MICHAEL URBAN / DDP MICHAEL URBAN Regierungschef Schröder*: „Wenn man die Verantwortung, die man hat, nicht wahrnehmen kann, muss man sie abgeben“ Warten auf Erlösung Nicht nur der liebestolle Verteidigungsminister bringt die Regierung in Bedrängnis: Steigende Arbeitslosigkeit, die Mazedonien-Abweichler in der SPD und der Zwist mit den Grünen um die Zuwanderung machen dem Kanzler zu schaffen. Er drohte mit Rücktritt und Koalitionsbruch.

rifft ein Politiker eine Politikerin im Parteivorsitz 1995 und als Fraktionschef tag vor einer martialischen Panzer-Kulisse: Flugzeug. „Na“, dröhnt er jovial 1998. Aktuell sah der Verteidigungsminister „Ich habe überhaupt keine Zeit, den Tdurch die Business-Klasse, „haben auch im Verlauf der vorigen Woche kei- Gerüchten so nachzulaufen, wie manche Sie Ihren Rücktritt schon verwunden?“ nen Anlass, sein Amt zur Verfügung zu Produzenten glauben, dass ich sollte.“ Während die Angesprochene noch irritiert stellen. Stereotyp beteuerte der Sozialde- Einer der Kritiker, der wichtigste, heißt nach Worten sucht, fährt die Dröhnstimme mokrat: „Ich habe keinen Zweifel an der Gerhard Schröder. Zwar bestritt der Bun- fort: „Na ja, ich habe ja auch so meine Er- Korrektheit meines Verhaltens.“ deskanzler und SPD-Parteichef in der Nacht fahrungen.“ Das sagt ein Politiker, dem der nord- zum vergangenen Donnerstag, dass er sei- Was die ehemalige Gesundheitsministe- rhein-westfälische Regierungschef Wolf- nem Verteidigungsminister den Rücktritt rin vorvergangenen Sonn- gang Clement – wie Scharping stellvertre- „nahe gelegt“ habe. Dass es aber im Kanz- tag in der Lufthansa-Maschine von Frank- tender SPD-Vorsitzender – öffentlich eine leramt im Beisein von SPD-Fraktionschef furt nach Berlin am meisten verblüfft ha- „Macke“ bescheinigt hat. Die fadenschei- Peter Struck und Partei-Generalsekretär ben dürfte, war die Tatsache, dass ihr Ex- nigen Ausreden über die nächtliche Spritz- Franz Müntefering eine deutliche Abkanze- Kollege offenbar nur tour nach Mallorca? Die Dienstflüge nach lung gegeben hat, ist unbestritten. Ergebnis: frühere Abgänge im Sinn hatte – vom Frankfurt am Main seit Anfang des Jahres Scharping bleibt Minister, aber die Bedin- 2000, wo seine Gräfin lebt, darunter gung ist klar. Sollte er am Montag dieser * Zu Beginn der Kabinettssitzung am vergangenen Mitt- womöglich reine „Liebesflüge“ („Bild“)? Woche vor dem Verteidigungsausschuss woch. Aus Mazedonien tönte Scharping am Frei- nicht lückenlos die dienstliche Notwendig- / AFPBORIS ROESSLER / DPA

22 der spiegel 37/2001 Titel

keit der Frankfurt-Flüge mit der Bundes- In der Fraktion, die in einer Sondersit- nem Fall Schröder geworden“, höhnte ver- wehr seit Beginn seiner Affäre mit Kristina zung über die Abweichler bei der Mazedo- gangenen Freitag die „Bild“-Zeitung. Mit Gräfin Pilati nachweisen können, ist sein nien-Abstimmung debattierte, malte er sei- kalter Wut lauschte Schröder am Don- Rausschmiss besiegelt. nen Rücktritt an die Wand: „Wenn man die nerstag den hohlen Entschuldigungen des Der Kanzler ist gereizt und nervös. Sel- Verantwortung, die man hat, nicht wahr- Ministers für Selbstverteidigung über das ten sah sich der Regierungschef einer sol- nehmen kann, dann muss man sie abgeben.“ angeblich unvorhersehbare zeitliche Zu- chen Ballung von Problemen ausgesetzt – Am Abend riskierte er im Koalitionskreis sammentreffen des Mazedonien-Einsatzes ausgerechnet zu Beginn einer Haushalts- die Krise des rot-grünen Bündnisses, indem seiner Soldaten mit den Plantsch- und Tur- woche im mit Generalausspra- er Widerspruch gegen Otto Schilys Zuwan- telfotos aus Mallorca in der „Bunten“. che zur politischen Lage. Am Donnerstag derungsgesetz niederbügelte: „Wenn ihr Schröder, den eine jahrzehntelange Ge- vergangener Woche versuchte er gleich nicht wollt und wir uns vorher nicht einigen, schichte parteiinterner Rivalität mit Schar- zweimal, mit Drohungen seine Widersa- stimmen wir eben ab im Kabinett.“ „Dann ping verbindet, fühlt sich gehemmt, den cher im eigenen Lager gefügig zu machen wisst ihr, was das heißt“, gab Grünen-Frak- schon von Lafontaine gedemütigten Ex- – nach dem Motto „Alles oder nichts“. tionschef Rezzo Schlauch cool zurück – Konkurrenten einfach abzuservieren. Nicht Bruch der Koalitionsvereinbarung. Die rot- nur ist der stellvertretende SPD-Vorsitzen- grüne Uneinigkeit in der Zuwanderungs- de Scharping, bei allem aktuellen Befrem- frage und ein zaudernder Chef geraten zum den, noch immer eine Schlüsselfigur der nächsten Sprengsatz innerhalb der Schrö- Partei. Auch Schuldgefühle nach dem der-Regierung (siehe Kasten Seite 26). Putsch von Mannheim vor sechs Jahren, als Der Kanzler weiß, dass Führung gefragt die SPD ihren Vorsitzenden abrupt ab- ist. „Längst ist der Fall Scharping zu ei- wählte, sind noch nicht verschwunden. Scharping steht deshalb sozusagen unter Naturschutz bei Schröder, der sich bei seinem Amtsantritt vorge- nommen hatte, keine alten Rechnungen zu beglei-

7 6 Neue Horizonte 5 Scharpings Flugreisen mit der Flugbereitschaft 4 4

OLEG POPOV/REUTERSOLEG 3 3 monatliche Anzahl: von oder nach Frankfurt 2 2 von oder nach Köln 1 1 2000 2001 0 0 Jan. Febr. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez. Jan. Febr. März April Mai Juni Juli 2000 Uhrzeit Flugstrecke 2001 Uhrzeit Flugstrecke Fr. 14.01. 15:10 Frankfurt – Salzburg Do. 01.02. 07:10/14:40 Frankfurt – Berlin – Frankfurt Fr. 28.01. 14:45 Berlin – Frankfurt Fr. 16.02. 10:10 Berlin – Frankfurt So. 13.02. 18:45 Frankfurt – Berlin Mi. 14.03. 14:05 Berlin – Frankfurt Di. 28.03. 06:35 Berlin – Frankfurt Do. 15.03. 14:40 Frankfurt – Berlin Di. 28.03. 07:40 Frankfurt – Mannheim Di. 20.03. 21:30 Frankfurt – Berlin Mo. 10.04. 15:15 Berlin – Frankfurt So. 25.03. 14:40/18:15 Berlin – Hannover – Frankfurt Di. 11.04. 20:40 Frankfurt – Berlin Fr. 30.03. 16:00 Saarbrücken – Frankfurt Fr. 14.04. 13:30 Berlin – Frankfurt Mi. 11.04. 10:10 Berlin – Frankfurt Mo. 15.05. 17:55 Porto (P) – Frankfurt Mi. 25.04. 13:20/18:00 Berlin – Nürnberg – Frankfurt Di. 16.05. 12:00 Frankfurt – Berlin Do. 27.04. 05:45 Frankfurt – Berlin Sa. 16.09. 12:00 Torrejon (E) – Frankfurt Do. 27.04. 15:45/19:25 Berlin – Wittmund – Frankfurt Mo. 09.10. 09:20 Frankfurt – Berlin Do. 10.05. 06:35 Frankfurt – Berlin Di. 17.10. 07:00 Frankfurt – Straßburg Do. 17.05. 15:20 Berlin – Frankfurt Do. 19. 10. 12:50 Berlin – Frankfurt Mi. 06.06. 16:32 Frankfurt – Brüssel Do. 26. 10. 13:10 Payerne (CH) – Frankfurt Fr. 08.06. 11:55 Brüssel – Frankfurt Fr. 27.10. 09:00 Frankfurt – Berlin Di. 12.06. 17:10 Berlin – Frankfurt Fr. 27.10. 14:55 Berlin – Frankfurt Mi. 13.06. 13:25 Berlin – Frankfurt Mo. 30. 10. 09:10 Frankfurt – Northolt (GB) Fr. 15.06. 13:15 Berlin – Frankfurt Fr. 10. 11. 16:30 Epinal/Mirecourt (F) – Frankf. Mi. 27.06. 06:00/12:10 Frankfurt – Berlin – Frankfurt So. 12. 11. 09:00 Frankfurt – Wunstorf Do. 28.06. 10:55/18:25 Frankfurt – Berlin – Frankfurt So. 12. 11. 13:15 Wunstorf – Frankfurt Sa. 14.07 11:10 Frankfurt – Nürnberg Do. 23. 11. 14:00 Frankfurt – Berlin Mo. 16.07. 07:10/18:05 Frankfurt – Karlsruhe (Kaserne)– Di. 28. 11. 08:25 Frankfurt – Berlin Sigmaringen (Kaserne) – Berlin Fr. 01. 12. 15:20 Berlin – Frankfurt Di. 17.07. 15:55 Berlin – Frankfurt Mo. 04. 12. 07:50 Frankfurt – Berlin Mi. 25.07. 12:05/19:25 Nürnberg – Regensburg – Mi. 13. 12. 07:05 Frankfurt – Berlin Weiden – Frankfurt Liebespaar Scharping/Pilati Mi. 13. 12. 17:10 Berlin – Frankfurt Fr. 27.07. 06:50/12:00 Frankfurt – Erfurt – Bonn Fr. 10.08. 11:50/20:00 Frankfurt – Wittmund – Frankf.

der spiegel 37/2001 23 Titel

Nichtachtung (siehe Seite 33). „Wir wa- Nur: Es standen an dem Abend – wegen Pi- Schröders Minusbilanz ren regelrecht eingeklemmt zwischen lotenmangels und technischer Defekte – der Wirtschaft, die uns Stillstand bei nur zwei der sechs „Challenger“-Jets zur Wieder steigende Arbeitslosigkeit ... wichtigen Reformvorhaben vorwarf, ei- Verfügung. Einer war für die Oppositions- Veränderungen gegenüber dem Vorjahresmonat ner Opposition, die die Reformen führer (CDU) und Michael August 2001 blockierte, und einer Bevölkerung, die Glos (CSU) zwecks Visite bei den Balkan- 2000 2001 +8117 die Reformen fürchtete“, hatte Schrö- Truppen reserviert, der andere für Schily, ders Vorgänger als Grund der zurück in die Toskana wollte. Dessen –50000 für seine Wahlniederlage 1998 angege- Bestellung hatte Vorrang, weil er proto- ben. Nun ist der SPD-Kanzler in der kollarisch höher rangiert als der Vertei- –100000 nämlichen Situation – nur dass der ef- digungsminister. –150000 fektive Teil der Opposition im eigenen Nun wurde eine neue Legende gesucht. –200000 Lager sitzt. Scharping selbst formulierte mit seinem –250000 Der Kanzler – den Minister intern Bürochef und seinem Adjutanten eine als „sehr klar, sehr fordernd, sehr kon- Presseerklärung, wonach die Büros der ... mageres Wachstum: zentriert“ beschreiben, der bei öffent- Minister den Flugplan für Schilys Maschi- Veränderung des BIP lichen Auftritten aber jetzt oft erschöpft ne neu gezimmert hätten: Berlin – Zwi- gegenüber dem Vorjahr 3,0% und genervt wirkt – ist erbittert dar- schenstopp in Pisa für Schily – und mit über, dass weder die Medien noch sei- Scharping nebst Gast Bodewig weiter nach 2,2% IWF-Prognose 0,9% ne Partei zu würdigen scheinen, was Mallorca. Plötzlich waren die Mitarbeiter 1,6% er selbst als geradezu epochalen politi- schuld. schen Aufbruch empfindet. Hätte der Minister nicht die Nacht eben- Es sei ein „Missverständnis“, ihm so gut in Berlin verbringen können, um 1998 1999 2000 2001 und seiner Regierung eine „Reform- anderntags mit Generalinspekteur Harald pause“ vorzuwerfen, sagte Schröder Kujat nach Skopje zu düsen? „Der Büro- Die Zufriedenheit mit dem Kanzler vergangene Woche auf einer interna- chef hat ihn doch nicht betäubt und bene- lässt nach tionalen Wirtschaftstagung der SPD in belt in die Maschine nach Mallorca ge- Berlin. Die Menschen empfänden die zerrt“, grollte ein SPD-Mann aus dem Ver- Wie zufrieden sind Sie mit Globalisierung als eine Art „Naturge- teidigungsausschuss. der Arbeit von Bundeskanzler walt“ und seien überfordert. Deshalb Da hatte die Opposition längst Zweifel Gerhard Schröder? passe er die Reformen der „Alltags- geschürt an den Ministerflügen nach Frank- 65 Zufriedenheit in Prozent realität“ der Menschen an, von der die furt, dem Wohnort der Minister-Gefähr- ihn kritisierenden Ex-Partner „meilen- tin, und eine Sondersitzung des Verteidi- Infratest-dimap-Umfrage im Auftrag der ARD/„Bericht aus Berlin“; 1300 Befragte weit entfernt“ seien. Die Wahrneh- gungsausschusses verlangt. Am Montag mung stimme einfach nicht. „muss Scharping die Hosen runterlassen“, In dieser Woche wird sich die Wahr- so der Siegerländer CDU-Abgeordnete nehmung der Öffentlichkeit zunächst . 52 Scharping-Flüge mit Ziel- 60 wieder auf Rudolf Scharping konzen- oder Abflugsort Frankfurt stehen für die 20 59 trieren, der am Montag vor dem Ver- Monate seit Januar des vergangenen Jah- 58 58 teidigungsausschuss über seine Flüge res auf den Listen der Flugbereitschaft, aus 2001 berichten will: „Sehr detailliert, sehr der Staatskasse bezahlte Linienflüge zwi- ruhig und sehr begründet“, wie er schen Hauptstadt und Main-Metropole Mai Juni Juli August September ankündigte. Das wird ihm aber schon nicht eingerechnet. bei seiner Acht-Stunden- chen. Aber die Forderungen nach Schrö- Nacht auf Mallorca schwer der-Taten werden dringlicher. fallen, zu der er nach der Kanzler in Not? Tatsächlich ist Schrö- Bundestagsdebatte vorver- der, der am Freitag auf einer verregneten gangene Woche jettete. Denn Wahlkundgebung in Hannover kaum noch noch mehr als die Plantsch- die Hände hochkriegte zum geliebten Sie- Fotos verübelten die Ge- geswinken, an allen Fronten in die Defen- nossen dem SPD-Vize die sive geraten. Der Verteidigungsminister, höchst unsolidarischen Aus- die Fraktion und das Defizit im Gesund- flüchte. heitswesen drücken auf die Stimmung. Ge- Per „Bild“ und „Bunte“ wiss, der Wirtschaftseinbruch, der ihn un- ließ Scharping wissen, er verschuldet traf, fraß die ökonomischen wäre „niemals allein“ geflo- Vorteile der strukturellen Reformen von gen. Nur weil auch die Minis- Rot-Grün – und droht nun sogar den Spar- ter-Kollegen Kurt Bodewig haushalt von 2002 zu sprengen. (Verkehr) und Doch der Kanzler schien auf eine posi- (Innen) „zu fliegen waren“, tive Arbeitsmarkt- und Beschäftigungs- habe er die Flugbereitschaft bilanz mehr zu hoffen, als auf sie hinzuar- mit in Anspruch genommen. beiten. Seine Lieblingsmetapher von der Tatsächlich hatte Schar- „ruhigen Hand“ wurde zur Spottfloskel ge- ping zunächst für sich selbst gen den neuen Aussitzer im Kanzleramt. eine Maschine für die Rück- Selbst eine von ihm eingesetzte Wissen- kehr nach Mallorca bestellt. schaftler-Kommission kritisiert heftig die Untätigkeit der Regierung. Das Gutachten Genossen Struck, Müntefering

der Professoren straft der Kanzler mit Die Leute verprellt PRESS / ACTION REIMANN LARS

24 der spiegel 37/2001 Jedenfalls hat Scharpings Flugverkehr ten Ausflug nach Skopje und einer Veran- Ende der Woche wurden nur noch Wetten nach Frankfurt, gemessen an Dienstflügen staltung in Bremen („Kapitänstag“), war auf den Tag angeboten, an dem er endgül- nach Köln/Bonn, in jüngerer Zeit merklich ein Rollenspiel im Ministerbüro anberaumt: tig vom Kanzler aus dem Amt entfernt zugenommen (siehe Grafik Seite 23). Mitarbeiter sollten giftig fragende Opposi- würde. Der Dienstag wurde bei den Be- Zwar wies Scharping wütend Vorwürfe tionelle mimen, Scharping sich selbst. amten als Favorit gehandelt – der Tag nach zurück, er habe die Regierungsflieger für Sollte der gebeutelte Ressortleiter am der Ausschusssitzung, unmittelbar vor der private Flüge zu seiner Lebensgefährtin Mittwoch weiter im Amt sein, käme es in Haushaltsdebatte, der traditionellen Ge- Tina Pilati missbraucht. Aber die beque- der Haushaltsdebatte noch schlimmer. neralabrechnung. men Touren haben ihre Tücken – was geht, Dann würde deutlich werden, dass seine Die Opposition muss Schröder auch da was geht nicht? „Eine Anforderung nur Bundeswehrreform so gut wie gescheitert nicht fürchten, sie ist mit sich beschäftigt. zum Zwecke der ,Heimreise‘ ist nicht statt- ist – aus Geldmangel. Längst hat es Tradition in dieser Legisla- haft“, erklärte das Verteidigungsministeri- Nur wenn die von Scharping gegründe- turperiode, dass der SPD-Kanzler und sei- um vor einigen Monaten auf Anfrage der te Gesellschaft für Entwicklung, Beschaf- ne Regierungsparteien sich ihre Schwie- Tageszeitung „Die Welt“. Insider sagen fung und Betrieb (Gebb) die erhofften Mil- rigkeiten selber machen. freilich, genau das sei seit Jahrzehnten un- liardenbeträge erwirtschafte, so lautete ver- Schröder ist Kämpfer und Spieler zu- ter Ministern Usus. Und auch bei Scharping gangenen Mittwoch der Befund in der gleich. Gerade dann, wenn er am tiefsten häufen sich die Wochenend- trips. Die Spitzen-Genossen gin- gen misstrauisch auf Distanz – so weit und so schnell sie nur konnten. Müntefering legte die Messlatte hoch: Scharping könne unter der „Vorausset- zung“ im Amt bleiben, „dass die innerdeutschen Flüge in Ordnung gewesen sind“. Frak- tionschef Peter Struck („Ich traue ihm“) präzisierte: „Wenn noch ein Haar in der Suppe gefunden wird, ist es vorbei.“ Schweigen umfing den star- ren Scharping, wo immer er vergangene Woche auftrat. „Das Fass ist einfach überge- laufen“, sagt ein Mitarbeiter, „nun hoffen alle nur noch darauf, dass sie von ihm erlöst werden.“ Im Kabinett kam Rudolf Scharping am Mitt- wochmorgen erst als Letzter in den Saal. Keine Begrüßung. Kurzer Vortrag zur Lage in Mazedonien. Danach keine Fragen, keine Ermunterung. tagesspiegel Als der detailversessene Minister den Klausur der SPD-Wehrexperten, sei die Re- im Schlamassel sitzt, entwickelt er unge- Wehrexperten seiner Fraktion anbot, die form zu retten. Doch Geld ist nicht in Sicht. ahnte Kräfte, um wieder nach oben zu Flüge sofort zu erläutern, winkten die kopf- Keine müde Mark hat die Gebb in diesem kommen. Aber genauso ist es auch umge- schüttelnd ab: Montag im Verteidigungs- Jahr überwiesen, obwohl schon gut eine kehrt: Wenn es ihm gut geht und er auf ei- ausschuss sei früh genug. Auch in der SPD- halbe Milliarde fest für neue Rüstungsgü- ner Welle des Erfolges schwimmt, setzt er Fraktionssitzung fand sich keiner, der eine ter verplant war. das Erreichte oft leichtfertig aufs Spiel. überzeugende Solidaritätsadresse abgeben So wächst Scharpings Schuldenberg. Am Das war schon beim Start in Bonn so, wollte. Jahresanfang schob er unbezahlte Rech- der ein glatter Fehlstart wurde. Zu sehr Ringsum brodelten da schon die Gerüch- nungen von rund einer Milliarde Mark vor wiegte sich der frisch gebackene Kanzler te um den Rücktritt, zu dem der Kanzler sich her. Jetzt schwellen die Schulden auf damals in dem Irrglauben, ein für alle Mal ihn angeblich gedrängt habe. Die Opposi- gut 1,5 Milliarden Mark an. am Ziel seiner Wünsche zu sein. Kanzler tion drohte sogar mit einem Untersu- Seit Anfang September gilt für die Bun- wollte er werden, seit beinahe 20 Jahren chungsausschuss. Der könnte über Mona- deswehr die Vorgabe, Rechnungen von schon. Aber als er es geworden war, ließ er te Scharpings Affären ausbreiten – für Lieferanten und Reparaturwerkstätten tun- die Zügel schleifen, rauchte dicke Zigarren Wahlkämpfer Schröder ein Gräuel. Nur lichst erst im nächsten Jahr zu begleichen. und ließ sich in teuren Anzügen ablichten. Scharping wollte nichts wahrnehmen und Dabei schrumpft der Wehretat 2002 von Das verheerende Echo auf seine ersten schimpfte über das „hysterische Jagdfie- jetzt 46,8 auf 46,2 Milliarden Mark. Es hundert Tage und der Kosovo-Krieg holten ber“. „Ich stehe das durch“, lautete die Lo- droht ein finanzielles Fiasko. Die Rüs- den Spaßkanzler auf den Boden der Rea- sung, die er am Donnerstagmorgen vor tungsplaner prüfen, welche Verträge mit litäten zurück. Plötzlich saß er im Mei- Vertrauten ausgab, „ich werde kämpfen.“ der Industrie aufgelöst oder gestreckt wer- nungstief – und schon verlor er den ersten Sicherheitshalber erklärte Scharping sich den könnten, selbst wenn Konventional- Minister: schmiss die einverstanden, vor dem Auftritt im Vertei- strafen fällig würden. Brocken hin und wurde Privatmann in digungsausschuss ein Verhör-Training zu Kein Wunder, dass niemand im Ministe- Saarbrücken. Kurze Zeit später schickte absolvieren. Für Sonntag, nach dem jüngs- rium noch auf Rudolf Scharping setzt. Schröder den wegen seiner Hausbau-

der spiegel 37/2001 25 Titel Alle gegen Otto Das von Bundesinnenminister Otto Schily geplante Zuwanderungsgesetz stößt auf massive Kritik – auch bei Ministerkollegen.

uf einmal stehen die Gegner über- Fingerabdrücke und Fotos verlangen. • Die Regelungen zur Erwerbserlaubnis all: Bundesinnenminister Otto Schi- Das aber, moniert das AA, vertrage sich für Ausländer seien „problematisch“ Aly (SPD) muss für sein Zuwande- nicht mit dem Image eines weltoffenen und „unklar“. rungsgesetz kämpfen. Grünen-Fraktions- Landes. Bei den CDU-regierten Bundes- • Schilys Pläne zur Aufenthaltserlaubnis chef Rezzo Schlauch attackiert die Schily- ländern steht Schily jedoch in dieser Sache seien nicht vereinbar mit EU-Vorstel- Pläne; falls das Gesetz ohne die Grünen im Wort. lungen, die Bestimmungen zum Nach- verabschiedet würde, „wäre die Koalition Die AA-Diplomaten verlangen vom In- zugsalter von Ausländerkindern „nicht am Ende“. Die SPD-Abgeordnete Andrea nenminister auch, er solle Geld für zusätz- sachgerecht“. Nahles poltert: „Wenn Otto Schily außer liche Stellen in den Botschaften herbei- • Schilys Vorhaben, Ausländern, die mut- Rand und Band gerät, muss ihn der Kanz- schaufeln. Mindestens 60 neue Posten und willig ihre Identität verschleiern, mit bis ler oder die Fraktion zurückholen.“ Ihr mehrere Millionen Mark für ortsansässige zu einem Jahr Gefängnis zu drohen, sei Kollege Rüdiger Veit meldet „dringenden Angestellte seien nötig, um die künftigen mit dem Grundsatz der Verhältnis- Korrekturbedarf“ an Schilys Referenten- Zuwanderungsbewerber zu beraten. mäßigkeit unvereinbar. entwurf zum geplanten Gesetz an: „Das Justizministerin Herta Däubler-Gmelin Gesamtnote der Spitzenjuristin für Schi- kann so nicht bleiben.“ übt in ihrer 80-seitigen Ressortstellung- lys Entwurf: Mangelhaft. Dabei hatte der Kollege bei der Präsentation des Plans zur „Steuerung und Begrenzung der Zuwan- derung“ vollmundig die „Top-Qualität“ ge- lobt, die sein Haus abgeliefert habe. Doch auch Mitarbeitern der Bundes- ausländerbeauftragten (Grüne) wurde bei der Lektüre des Klein- gedruckten „immer mulmiger“. Verweise endeten plötzlich „im Nichts“ oder bei „nicht existenten Paragrafen“, so Becks Juristen. Bei einer Expertenrunde von SPD, Grünen und Beamten des Innenmi- nisteriums gewann ein Teilnehmer „den Eindruck, dass Schily und seine Leute oft selbst nicht so recht begriffen haben, was sie da zusammengezimmert haben“. Die Fachleute bei den Grünen, der Ausländerbeauftragten und den Kirchen rätseln über die Gründe: Schlamperei? Unvermögen? Tribut an den ungeheuren Zeitdruck? Oder politischer Wille? „Ich sehe nicht, wie dieser Entwurf in der Fraktion eine Mehrheit bekommen könnte“, stöhnt der innenpolitische Spre-

PETER ENDIG / DPA cher der Grünen, Cem Özdemir. Partei- Kontrahenten Schily, Roth: Verweise ins Nichts chefin sieht die Entscheidung über den Gesetzentwurf in einer weiteren Unbeirrt von den offenen Angriffen nahme Fundamentalkritik am Entwurf des Koalitionsrunde fallen, erst dann im Kabi- aus dem eigenen Lager beharren Kanzler Kabinettskollegen. Kaum ein Absatz fin- nett. Die Kritik der Grünen: Gerhard Schröder und sein Innenminister det Gnade: • Hochqualifizierten soll ein großer Emp- darauf, das Kabinett werde am 26. Sep- • Die Auswirkungen der neuen Vorschrif- fang bereitet werden, während Flücht- tember den Entwurf beschließen. Dabei ten zur Aufenthaltserlaubnis seien „frag- linge weniger Rechtssicherheit befürch- melden auch mehrere Bundesministerien lich“ und führten zur „erhöhten Rechts- ten müssen. in ihren vertraulichen Stellungnahmen zu unsicherheit“. • Schily will das Nachzugsalter von allein dem Werk der Schily-Beamten harsche • Die schlechtere soziale Absicherung einreisenden Kindern von 16 auf 12 Jah- Kritik an. von Asylbewerbern sei „verfassungs- re herabsetzen, statt es, wie von der EU- So lehnt das Auswärtige Amt die Teile rechtlich problematisch“, die neuen Kommission vorgeschlagen, auf 18 Jah- des Gesetzentwurfs ab, mit denen der Befugnisse der Ordnungsbehörden sei- re anzuheben. Innenminister für schnellere Abschiebun- en „verfassungsrechtlich in besonderer • Der Schutz von Bürgerkriegsflüchtlin- gen sorgen will. Die deutschen Botschaf- Weise bedenklich“. Ihre „Erforderlich- gen und geschlechtsspezifisch Verfolg- ten in Ländern, die sich bei der Rücknah- keit“, moniert Justizministerin Däubler- ten ist weiterhin nicht gesichert. me ihrer Staatsbürger stur stellen, sollen Gmelin, sei im Gesetzentwurf „nicht Der CDU/CSU-Opposition verschafft zusätzlich zum Visum-Antrag künftig dargetan“. der rot-grüne Streit erst einmal Luft. Wie

26 der spiegel 37/2001 Affäre in die Feuerlinie geratenen Kanz- leramtschef als Koordina- In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist tor auf den Balkan. Danach sackte seine das Chaos in der Zuwanderungspolitik Partei bei sechs Landtagswahlen ab. „Drei nicht geringer als in den Unionsländern. Monate lang ist mir nichts als Müll um die Nach der von der Parteiführung erzwun- Ohren geflogen.“ genen Zustimmung zum Mazedonien-Ein- Ein Jahr später, im Sommer 2000, hatte satz zeigen sich viele Abgeordnete ent- Schröder es wieder geschafft: Er setzte die schlossen, wenigstens das Zuwanderungs- Green Card durch und am Ende auch die gesetz zu blockieren. „Teile der Fraktion von der Union heftig attackierte Steuerre- haben den Prozess der Mazedonien-Ent- form – indem er einige unionsgeführte Län- scheidung bisher nicht verkraftet“, schimpft der mit deftigen Geldgeschenken auf seine Saarlands Ministerpräsident Peter Müller. Seite brachte. „Die Argumentation, wir müssten Nein Die Sommerreise durch die ostdeutschen zur Zuwanderung sagen, weil wir Ja zu Länder wurde zum Triumphzug. 75 Pro- Mazedonien gesagt haben, halte ich gera- zent der Deutschen gaben dem Kanzler die dezu für zynisch“, sagt der liberale CDU- Schulnote „Gut“ bis „Befriedigend“. Mann, Vorsitzender der Zuwanderungs- Aber auch dieses Hoch dauerte nicht kommission seiner Partei. „Das würde ja lange. Erst musste sein Minister Reinhard heißen, dass uns die Sache überhaupt nicht Klimmt wegen umstrittener Beraterverträ-

MICHAEL JUNG / DPA interessiert.“ Die Union, bekräftigt Mül- ge abtreten, dann ging sein Staatsminister Unionspolitiker Beckstein, Müller ler, habe „sich durch ihre eigenen Be- für Kultur, Michael Naumann, ein Glanz- Peinliches Statement schlüsse gebunden“. licht seines Kabinetts. Die BSE-Krise fraß Angesichts des Durcheinanders beim an der Berliner Koalition, die Gesund- beim Mazedonien-Einsatz überdeckt er die Gegner empfiehlt der Grüne Özdemir, das heitsreform geriet ins Stocken. Am Ende völlige Zerstrittenheit der Union. Zuwanderungsgesetz nach dem Vorbild der war Schröder noch zwei Minister los: Karl- Nicht einmal im kleinsten Kreis konnten Steuerreform durchzusetzen. Mehrere Län- Heinz Funke und Andrea Fischer. sich die sieben konservativen Innenminister der mit CDU-Regierungsbeteiligung hatte Im Jahr 2001 sackten mit den Wirt- am Montag vorletzter Woche im Kempins- der Kanzler vor einem Jahr mit finanziel- schaftsdaten auch Schröders Popularitäts- ki-Hotel nahe dem Frankfurter Flughafen len Zusagen geködert – und so die Uni- werte ab. Erst explodierten die Rohölprei- auf eine gemeinsame Position zum Schily- onsfront im Bundesrat zerschlagen. „Dies- se, dann stiegen die Sprit- und Heizkosten Gesetz einigen. Der abwesende Branden- mal brauchen wir nur eine einfache Mehr- und auch die Arbeitslosenzahlen. Und burger Ressortchef Jörg Schönbohm, der heit“, feixt Özdemir. „Und welcher Unions- dann kam Scharping. auf Wandertour durch Usbekistan war, zog politiker kann schon etwas dagegen haben, Trotzdem wäre Schröder mit Scharping, den Neid der Kollegen auf sich: „Der hatte wenn der Bund die Kosten für Sprach- wenn der ginge, seine Nöte nicht los. Ein wenigstens einen entspannten Abend.“ unterricht und Orientierungshilfen über- weiterer Minister drängt sich unliebsam in Nach zähen Verhandlungen kam ledig- nimmt?“ Tina Hildebrandt, Georg Mascolo, den Mittelpunkt der öffentlichen Auf- lich eine 53-zeilige „gemeinsame Grund- Rüdiger Scheidges, Holger Stark merksamkeit: Otto Schily. position“ von CDU und CSU zu Stande. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) fand das dürftige Statement offenbar arg peinlich. Beckstein warn- te Schily, er gehe davon aus, „dass sich gegebenenfalls Kollegen noch gesondert äußern werden“. Während die Bayern in- zwischen auf Fundamental- opposition geschaltet haben, wollen andere einen Kom- promiss. „Jetzt muss die CDU auf Schily zugehen, sonst stehen wir als Verwei- gerer da“, fordert der Bre- mer Innensenator Kuno Böse (CDU): „Noch können wir einen nationalen Konsens in dieser grundlegenden Frage beeinflussen.“ Auch der Brandenburger Schönbohm plädiert für eine gemeinsame Lösung bei der Zuwande-

rung. / OSTKREUZ ANNE SCHÖNHARTING

Multikulturelles Berlin Dissens festgestellt Nicht dass auch Schilys Stuhl wackelte, im Gegenteil. Keiner sitzt so fest an Schrö- ders Seite wie der Innenminister, selbstsi- cher bis zur Arroganz. Für die Grünen – und damit für den Koalitionsfrieden – hat sich der Ex-Grüne in der Regierung als permanente Provokation etabliert. „Der Otto kündigt jede Art von Kollegialität in der rot-grünen Koalition auf“, schimpft der grüne Abgeordnete Cem Özdemir. Wie ernst die Lage ist, wurde den Spit- zenleuten am späten Donnerstagabend beim Koalitionsgipfel im Kanzleramt klar, wo es laut Vizekanzler „klar, hef- tig und nicht immer schön“ zur Sache ging. „Und Sie bestimmen nicht, wann ein Ge-

setzentwurf ins Kabinett kommt“, fauchte GUENSCHE / MELDEPRESS MAREIKE Schröder die Spitzen-Grüne Claudia Roth Mazedonien-Abstimmung im Bundestag*: „Abgeordnete nicht wie Kinder behandeln“ an, als die den engen Terminplan in Sachen Zuwanderungsgesetz in Frage stellte. Grü- diese diplomatische Floskel konnte sich die schließlich nicht der Generalmanager der nen-Fraktionschef Rezzo Schlauch analy- Koalition nicht verständigen. Außenminis- Grünen“ – kann als neutral gelten, sieht er sierte in der kleinen Runde, dass die Part- ter Fischer, aus der Nahostkrise mittler- doch die Radikalopposition seiner Partei ner wohl bei keinem Thema so weit aus- weile an Vermittlerrollen gewöhnt, suchte mit genauso viel Skepsis wie die Sturheit einander seien wie bei der Zuwanderung. nach Anknüpfungspunkten zwischen den seines Freundes Otto Schily. Spät in der Nacht erklärte Grünen-Chefin verfeindeten Lagern. Er selbst – „ich bin Doch viel gebracht haben die Vermitt- Roth lapidar, der „Dissens ist festgestellt“. lerdienste nicht. „Das Thema langsam run- „We agreed to disagree“, auf mehr als * Am 29. August. terzufahren“, rät ein führender Grüner an- Die Abweichler der SPD-Fraktion

Die 19 SPD-Abgeordneten, die gegen die Beteiligung am Nato-Einsatz in Mazedonien Christine Lehder, 48, gestimmt haben, sind keine homogene Diplomingenieurin Gruppe. Im SPIEGEL legen sie ihre Gründe dar. „Ich habe lange überlegt. Der Balkan braucht eine Gesamt- strategie, keine sporadischen , 45, Einsätze, deren Ausgang Gewerkschaftssekretär ungewiss und gefährlich ist.“ „Die Nato-Strategie auf dem Balkan ist gescheitert, weil sie nicht dazu bei- trägt, dass Frieden in der Christa Lörcher, 60, Region entsteht.“ Lehrkrankenschwester FOTOS: DEUTSCHER BUNDESTAG DEUTSCHER FOTOS: „Mein Vater hat im Ersten Welt- Peter Dreßen, 58, „Ich habe ein fast unend- krieg in der russischen, im DGB-Kreisvorsitzender liches Vertrauen in die Zweiten in der deutschen Ar- „Ich bin Kriegswaise und Bundesregierung. Da mee gekämpft. Militäreinsätze Organisator von vielen sind kein Mittel der Politik.“ Friedensdemos. In diesem Fall gibt es nur eine Grenze: konnte ich nicht anders.“ mein Gewissen.“ , 57, Götz-Peter Lohmann, 59, Fremdsprachenlehrerin Harald Friese, 56, Diplompsychologe „Mir waren zu viele Fragen Bürgermeister a. D. Der Mecklenburger Abgeordnete war offen. Ich hatte große Beden- „Ich befürchte, dass die Politik bis 1989 parteilos und stieß über ken, dass die Bundeswehr in in eine Gewaltfalle läuft wie die DDR-Bürgerrechtler vom Neuen ein militärisches Abenteuer schon im Kosovo. Politische Forum zur Politik. hineingezogen werden könnte.“ Konflikte können nicht mit Soldaten gelöst werden.“

Rüdiger Veit, 52, Wolfgang Grotthaus, 54, Adolf Ostertag, 62, Rechtsanwalt Angestellter Gewerkschaftssekretär „Die Mission hat nicht mal „Ich möchte nicht Eltern „Mit 18 habe ich den Kriegs- eine symbolische Wirkung. gegenübertreten müssen, die dienst verweigert, ich bin Stattdessen werden wir Stück sagen: Du bist schuld daran, Pazifist. Ich habe noch nie für Stück in einen Bürgerkrieg dass unser Sohn im Zinksarg für einen Auslandseinsatz der hineingezogen.“ zurückgekommen ist.“ Bundeswehr gestimmt.“

28 der spiegel 37/2001 Freie Meinung SPD-Generalsekretär Franz Bruch der Koalition geht“. Mehrmals Praktisch jeder grüne Funktionär, erzählt Müntefering droht den 19 Ab- sprach der sonst so moderate Schwabe vom etwa Bundesumweltminister Jürgen Trit- weichlern seiner Partei, die gegen Ende der Zusammenarbeit und forderte tin, habe in seiner politischen Arbeit per- den Mazedonien-Einsatz gestimmt die Abgeordneten auf, in den nächsten sönliche Erfahrungen mit dem Schicksal haben, mit Nachteilen. zwei Wochen in ihren Heimatzeitungen ausländischer Flüchtlinge gemacht. Finden Sie das in Ordnung? Stimmung gegen Schily zu machen. Angeschärft wird der Konflikt durch die Wie tief der Graben zwischen SPD und Positionskämpfe für die anstehenden Lis- Befragte Anhänger Grünen ist, davon konnten sich am vergan- tenaufstellungen zur Bundestagswahl. Par- gesamt West Ost der SPD genen Mittwoch die in Berlin versammelten teichef Kuhn sah sich unter Druck mächti- deutschen Botschafter überzeugen. Bei ei- ger Landesvorsitzender seines eigenen JA 12 11 18 17 ner Konferenz des Auswärtigen Amtes Realo-Flügels. Der bayerische Parteichef referierte Schilys Staatssekretär Claus , einer der Wortführer des NEIN 71 72 65 75 Henning Schapper ausführlich über die Basis-Protests gegen den Gesetzentwurf, Bestimmungen des Gesetzentwurfs zur Re- informierte seine Partei per Brief darüber, NFO-Infratest-Umfrage für den SPIEGEL vom 4. bis 6. form der Zuwanderung und des Auslän- dass er ab 2002 im Bundestag persönlich September; rund 1000 Befragte; Angaben in Prozent; an 100 fehlende Prozent: „weiß nicht“/keine Angabe derrechts. Dann erklärte die neben ihm „konsequent dagegenhalten“ wolle, wenn sitzende Ausländerbeauftragte Marieluise „Gauweiler, Stoiber und – leider – manch- Beck (Grüne) den verdutzten Diplomaten, mal auch Schily den Karren des Rechts- gesichts der Schwere des Konflikts. Einen warum genau diese Reform dem „Ansehen staats in den Dreck ziehen wollen“. Konsens in der Ausländerfrage von der Deutschlands in Europa und der Welt“ Bei der Fraktionsklausur vor dem Union bis zu den Grünen zu stiften, wie es schade, EU-Standards unterlaufe und zum abendlichen Koalitionsgespräch im Kanz- Otto Schilys Ziel war, habe sich als nicht Beispiel das deutsch-türkische Verhältnis leramt hatten die Abgeordneten vergange- machbar erwiesen. bedrohe. nen Donnerstag nacheinander den Kropf Andere Grüne feuerten die eigenen Leu- Für die Grünen, so die einhellige Ana- geleert über das unmögliche Verhalten te nur noch weiter an. Parteichef Fritz lyse an der Berliner Spitze, ist das Thema Schilys. Spätestens da wurde Schlauch und Kuhn nannte die Zuwanderung am Freitag Zuwanderung ähnlich sensibel wie der Fischer klar, dass sie ihre Parteifreunde eine „so ernsthafte Frage, dass es bis zum Krieg im Kosovo und der Atomausstieg. von der Palme herunterholen mussten.

Renate Gudrun Roos, 56, Rennebach, Sekretärin, Nachrückerin für 53, Oskar Lafontaine Angestellte „Seit Jahrzehnten lautet meine „Ich bin Pazifis- tiefe Überzeugung: Militär tin und werde kann weder Frieden schaffen gegen jeden noch erhalten.“ Einsatz deutscher Soldaten stimmen. Ich habe Struck ge- René Röspel, 37, sagt: Ich kann es nicht.“ Biologe „Meine Begründung ist die gleiche wie bei Kosovo und Ost- FOTOS: DEUTSCHER BUNDESTAG DEUTSCHER FOTOS: Timor: Ich bin gegen die Konstanze „Die deutsche Außenpolitik wird Entsendung deutscher Soldaten Wegner, 63, durch die kriminellen Machenschaf- ins Ausland.“ Historikerin ten der UÇK instrumentalisiert. Da- „Ich glaube Hansjörg Schäfer, 57, nicht, dass die durch kann ein dritter albanischer Gynäkologe UÇK wirkungs- Krieg entstehen – in Montenegro.“ „Für den Nato-Einsatz gibt es kein voll entwaffnet Uno-Mandat. Die Nato ist für wird. Sie wird sich wieder Konrad Gilges, 60, Fliesenleger die Entwaffnung ungeeignet, weil neue Waffen beschaffen.“ Der Kölner stimmt seit jeher konsequent auf Parteitagen sie einige auf dem Balkan für und im Parlament gegen jeglichen Militäreinsatz. Sein parteiisch halten.“ Pazifismus wird deshalb selbst in der Fraktionsspitze ak- zeptiert. Sigrid Skarpelis-Sperk, 56, Volkswirtin „Wenn die politischen Möglichkeiten „Wenn man ein Feuer löschen ausgeschöpft sind und Militär- will, sollte man nicht gegen den Rauch vorgehen, sondern präsenz erforderlich ist, dann ist die gegen den Brandherd. Und das Uno zuständig und nicht die Nato.“ ist die UÇK.“

Bernd Reuter, 60, Bauingenieur Waltraud Wolff, 45, Nach 22 Jahren im Bundestag tritt der unauffällige Schulleiterin Hesse 2002 nicht wieder an. Die Motive für sein überra- „SPD-Außenpolitik soll Friedens- schendes Nein werden von der Fraktionsspitze an- politik sein. Man kann nicht Frie- gezweifelt. Er habe sich dafür gerächt, dass der Kanzler den schaffen, indem man in 30 ihn bei einem Besuch in seinem Wahlkreis nicht eingela- Tagen Waffen von den Verbrecher- den habe. „Das ist dummes Zeug“, empört sich Reuter. banden der UÇK einsammelt.“

der spiegel 37/2001 29 Nato-Soldaten in Mazedonien* „Kein Allheilmittel“

bis April vergangenen Jahres die westli- chen Truppen im Kosovo kommandiert hat. Nur eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit der Balkan-Staaten un- tereinander kann die Voraussetzungen für weiter reichende politische Lösun- gen schaffen – da sind sich Politiker und Militärs einig. Der Koordinator der EU für den Bal- kan-Stabilitätspakt, Bodo Hombach, rät deswegen, in der Region zunächst viel Geld und gute Worte zu investieren – frei nach dem jesuitischen Motto: „Erst beten, dann glauben.“ Derselben Logik folgt auch der „Drei- Stufen-Plan“, den Joschka Fischer ver- gangenes Wochenende seinen EU-Kol- legen im belgischen Genval vorstellen wollte. Danach sollen sich die Europäi- sche Union, Russland und die Balkan- Staaten bei einer groß angelegten Kon-

ANJA NIEDRINGHAUS / DPA ANJA ferenz zunächst auf drei Themen-„Ti- sche“ einigen: Demokratie, Ökonomie, Abrüstung. In einem zweiten Schritt könnte Vertrauen durch wirtschaftliche „Erst beten, dann glauben“ Zusammenarbeit gebildet werden. Erst später wäre die heikelste aller Fragen dran: Wie sieht der künftige Sta- Die Nato soll weiterhin den Frieden in Mazedonien tus der Balkan-Gebilde aus, die jetzt nur sichern. Joschka Fischer schlägt ein Balkan-Konzept vor. mit Militärgewalt ruhig gehalten werden können? n Brüssel wie in Berlin weiß derzeit Nach Fischers Vorstellung müssen die Fischer will so den Stabilitätspakt mit niemand, wie Mazedonien zu befrie- Nato-Truppen dafür ein klares Mandat der der Initiative des französischen Staats- Iden ist. Einig sind sich EU- und Nato- Vereinten Nationen erhalten. Das Kapitel präsidenten „verheiraten“. Jacques Chi- Strategen nur in einem: was nicht pas- 6 der Uno-Charta erlaubt den Einsatz von rac hatte nach dem Sturz des Serben-Dik- sieren darf. internationalen Truppen, wenn alle Kon- tators Slobodan Milo∆eviƒ die EU-Län- Keinesfalls darf nach dem Ende der fliktparteien zustimmen. Mit einem Uno- der und fünf Balkan-Staaten in Zagreb Waffensammel-Aktion „Essential Har- Auftrag wäre auch Kanzler Gerhard versammelt und dabei eine Balkan-Frei- vest“ am 25. September und dem ge- Schröder geholfen. Der muss sonst fürch- handelszone angeregt, die dereinst der planten Abzug der Nato-Truppen ein ten, dass sich das Desaster vom 29. August EU zugeordnet werden könnte. Doch die- Machtvakuum entstehen. Albaner wie wiederholt, als ihm 19 SPD-Abgeordnete se Perspektive blieb zu vage, um in den Slawen würden die Lage unweigerlich zur die Gefolgschaft für einen Bundeswehr- zerrütteten Balkan-Staaten Zuversicht zu Verbesserung ihrer Positionen im ethni- Einsatz in Mazedonien verweigerten. stiften. schen Stellungskrieg nutzen – das wäre Mitte September wird sich der Nato- Auch der Stabilitätspakt, ausgestattet die sichere Rückkehr zum Bürgerkrieg. Rat in Brüssel mit einem neuen Mandat mit 2,4 Milliarden Euro, hat bisher weder Vermeiden wollen EU und Nato auch, für Mazedonien befassen. Nach Lage der zu einem wirtschaftlichen Zusammen- dass die Nato länger als geplant vor Ort Dinge wird die Nato einige ihrer 4500 schluss noch zu einer Stabilisierung der bleibt, ohne dass es dafür ein neues Man- Soldaten abziehen. Dafür könnte die Or- Region geführt. Eine schwerfällige Büro- dat der Konfliktparteien und der Staa- ganisation für Sicherheit und Zusam- kratie in Brüssel verhindert, dass das tengemeinschaft gibt. menarbeit in Europa (OSZE) zusätzliche Geld abfließt und die Segnungen des Von seinem Kurztrip nach Skopje Beobachter entsenden. Die würden – un- Westens vor Ort sichtbar werden. Außer- brachte Bundesaußenminister Joschka ter anderem – die Einhaltung des Ab- dem fehlt dem Pakt die politische Fischer vergangene Woche die Erkennt- kommens zwischen Albanern und der Dimension. nis mit, dass Nato-Soldaten und inter- mazedonischen Regierung überwachen, Der CDU-Außenpolitiker nationale Beobachter über den bisher die künftige multiethnische Polizei Ma- glaubt, dass der Balkan ohne einen radi- vereinbarten Zeitraum von 30 Tagen hin- zedoniens ausbilden und eine Volkszäh- kalen Schritt nicht zur Ruhe kommt: aus in Mazedonien stationiert bleiben lung vorbereiten. Ohne die Gründung eines autonomen al- müssen. Sie sollen darüber wachen, dass Doch auch dann bleibt die wichtigste banischen Kosovo sei die „albanische alle slawischen Flüchtlinge in ihre von Frage offen: Wie kann der Balkan zur Frage“ nicht zu lösen – die derzeitige Albanern bedrohten Ortschaften zurück- Ruhe kommen? Hauptquelle für Gewalt auf dem Balkan. kehren und die mazedonische Armee „Soldaten sind kein Allheilmittel“, Doch solcherlei kühne Gedanken sind wieder als Ordnungsfaktor in Landstriche warnt General a. D. Klaus Reinhardt, der derzeit noch tabu: in Brüssel, in Berlin – einrücken kann, die von der UÇK be- und auf dem Balkan erst recht. setzt waren. * Mit eingesammelten Waffen der UÇK. Jürgen Hogrefe

30 der spiegel 37/2001 Titel

Der Kanzler, so das Kalkül, würde mit maßlichen Verlängerung des Mazedonien- desvorsitzende , eben- Macht und notfalls unter Verweis auf die Mandats (siehe Kasten Seite 30) zwei wei- falls Einsatz-Befürworter, gab zu bedenken: hilfswillige Konkurrenz von der FDP auf tere hoch heikle Themen an. „Wer erwachsene Entscheidungen will, darf eine Einigung drängen, damit sein einziges In der Klausur vor den Abgeordneten Abgeordnete nicht wie Kinder behandeln.“ verbleibendes Reformprojekt für diese Le- warb Schröder vergangenen Donnerstag Dieser Eindruck bedrängt jedoch man- gislaturperiode, die Zuwanderung, ein Er- für die Loyalität, die ihm in der Woche zu- chen Abgeordneten. Es ist das „Unbehagen, folg werde. Und die Grünen könnten mit vor versagt geblieben war. Zugleich flocht dass immer wieder woanders entschieden ein paar sachlich berechtigten, aber am er Drohungen ein. Er habe die Aufgabe, für wird, nur nicht im Parlament“, klagte der Ende womöglich vergeblichen Forderun- die SPD und die Grünen die Verantwor- bayerische Abgeordnete Klaus Barthel. gen zum Wohl diskriminierter Ausländer tung als Bundeskanzler wahrzunehmen: Der Kosovo-Konflikt gilt als Dreh- und zwar ihr Image als Modernisierungspartei „Diejenigen, die uns daran hindern, müs- Angelpunkt der Vertrauenskrise. Nach wie schwerlich aufbessern, das der ewigen Ver- sen sich sagen lassen: Macht’s selbst.“ vor haben viele Genossen die moraltrie- lierer aber umso mehr. Damit beendete er seine Rede. Für einen fende Inszenierung des Bonner Parteitags Dass Bundeskanzler Schröder unter die- Moment wurde es ganz still im Fraktions- vom April 1999 in Erinnerung, als die Par- sen Umständen nicht allzu bereit war, grü- saal. Erst später folgte schüchterner Ap- tei – widerwillig zwar, aber mehrheitlich – ne Empfindlichkeiten zu schonen, konnte plaus. dem Tornado-Einsatz im Kosovo ihren Se- alternative Oldtimer wie Trittin nicht über- Schweres Geschütz fuhr auch General- gen gab. Die Kriegsrhetorik von Rudolf raschen. Er kennt das aus Hannover. sekretär Franz Müntefering auf. Erneut Scharping haben viele nicht vergessen. Dass Schröder aber – seit dem Triumph drohte er mit Sanktionen und forderte von Und wenn dann, wie im Fall Kosovo, ein der Steuerreform im vergangenen Jahr – den Abgeordneten bedingungslose Ge- weiterer SPD-Konvent eine kritische Auf- auch seine eigene Fraktion zu vernach- folgschaft ein: „Wenn man regiert, muss arbeitung verlangt, geschieht – nichts. Bis lässigen begann, rächte sich bei der man mehrheitsfähig sein.“ heute liegt kein Bericht der Parteiführung Mazedonien-Abstimmung. „Leute, wir Doch der Auftritt des scharf gescheitel- vor. Da half auch beharrliches Nachbohren sind an der Regierung“, rief er seinen Ge- ten „Stalinisten aus dem Sauerland“ („Süd- der Linken im SPD-Vorstand nichts. nossen vergangene Woche zu, als es zu deutsche Zeitung“) überzeugte nicht. So hat das Verhältnis zwischen dem spät war. Selbst Müntefering sonst zugeneigte Ab- Kanzler und seinen Abgeordneten in den PRESSEFOTO BACH & PARTNER BACH PRESSEFOTO Regierungschef Schröder auf dem Balkon seines neuen Berliner Amtssitzes*: „Leute, wir sind an der Regierung“

Aber hatte er nicht selbst – in trauter geordnete gaben hernach zu verstehen: vergangenen Monaten spürbar Schaden ge- Eintracht mit Müntefering und Struck – „Der hat die Leute heute eher verprellt.“ nommen, ohne dass es den Spitzenleuten eine schon vor einiger Zeit begonnene „Überlegt euch, was ihr sagt“, erwider- aufgefallen wäre. Zu geschmeidig lief das schleichende und tiefgreifende Entfrem- te denn auch Hans-Ulrich Klose, früher Regieren à la Schröder. Selbst schwierige dung zwischen Parteispitze und den Ab- selbst Fraktionschef. Noch eine Woche zu- und sperrige Projekte wie die Rentenre- geordneten massiv unterschätzt? Vor al- vor war Klose an der Spitze derer gewesen, form waren von den Abgeordneten abge- lem deshalb entsetzte die fehlende Mehr- die in bedächtigen Sätzen die Zweifler zu nickt worden. heit in der Mazedonien-Abstimmung das überzeugen versucht hatten. Am Don- Noch 48 Stunden vor der Mazedonien- Führungstrio fundamental. nerstag mahnte er: „Ihr erzeugt mit euren Abstimmung war Struck fest von der eige- In sämtliche engere und weitere Partei- Drohungen Helden oder Parias – beides nen Mehrheit ausgegangen. Seine Sensoren zirkel, bis in den selten tagenden Gewerk- kann uns nicht helfen.“ erwiesen sich als untauglich. Erst als ihn schaftsrat hinein, trug der erschrockene „Es macht überhaupt keinen Sinn, dem am Tag vor der Sondersitzung Dutzende Schröder in der vergangenen Woche seine Gewissen mit dem Knüppel nachzuhelfen“, Abgeordnete anriefen, schwante dem Vor- Erschütterung. Seine zentrale Sorge: Wie sagt der ehemalige Fallschirmjäger und Ex- mann: Es könnte eng werden. stabil steht die Regierung eigentlich noch? Bundesgeschäftsführer der Partei, Ottmar Bereits im vergangenen Herbst stänker- Muss er in den nächsten Wochen womög- Schreiner. Und der thüringische Lan- te der Kanzler im Kreis der SPD-Linken lich noch häufiger auf die FDP als Ret- über einzelne Abgeordnete. Eine weitere tungsanker zurückgreifen? Immerhin ste- * Anfang Mai mit Kanzleramtschef Frank-Walter Stein- Veranstaltung im Frühjahr, bei der Schrö- hen mit der Zuwanderung und der mut- meier. der – eher zufällig – Entwicklungshilfemi-

der spiegel 37/2001 31 nisterin Heidi Wieczorek-Zeul abmeierte, verlief kaum besser. Nachhaltig im Gedächtnis blieb den Teil- nehmern auch ein Schröder-Gespräch über den Solidarpakt mit Ost-Abgeordneten kurz vor der Sommerpause. „Jammert nicht immer nur rum“, raunzte der Kanz- ler. „Ihr müsst halt auch mal logisch argu- mentieren.“ Ein Teilnehmer hinterher: „Eine verheerende Veranstaltung.“ Mittlerweile beginnt auch die Partei ver- nehmlich aufzustöhnen über den auto- ritären, in der Sache aber kaum begrün- deten Gestus ihrer Vorleute. Zu Beginn der Woche hatten nicht nur die Landesvorsit- zenden Christoph Matschie (Thüringen), Gerhard Bökel (Hessen), (Baden- Württemberg) und Detlev Albers (Bremen) vor Überreaktionen der Parteispitze gegen die Mazedonien-Dissidenten gewarnt. Auch der frühere SPD-Fraktions- und Par- teichef Hans-Jochen Vogel empfahl seinen Nachfolgern einen „sehr sensiblen Um- gang“ mit den Abweichlern. Um seine Linie zu erläutern, setzte Mün- tefering für diesen Montag eilends eine Sit- zung in Berlin an. Viel Verständnis wird er dort kaum erwarten können. Zumal ihm auch an anderer Stelle die Zü- gel zu entgleiten drohen. Vergangene Woche erlitt er seine nächste Schlappe – diesmal in seiner Funktion als NRW-Landesvorsitzen- der. Vergebens hatte Müntefering versucht, Arbeitsminister Harald Schartau in seinem Stammland als Generalsekretär und starken zweiten Mann hinter dem Ministerpräsi- denten zu installieren. Clement jedoch machte klar, dass er die Rolle des Kronprin- zen lieber anders besetzt sähe – mit seinem Finanzminister Peer Steinbrück. Mittlerweile kann es sehr wohl sein, dass der erfolgsverwöhnte Parteisoldat beim Nürnberger Parteitag im November eine Abreibung bekommt. Das hat er offenbar selbst erkannt. Vor der Fraktion murmelte er vergangenen Donnerstag: „In Nürnberg könnt ihr ja entscheiden, wer weiter Ver- antwortung trägt.“ Entspannung fand Schröder vergange- ne Woche bei einem sinnreichen Besuch in der Berliner Firma Stadler Pankow GmbH, die Triebwagen auf Luftkissen herstellt. Be- herzt griff der Kanzler dort zum Joystick und lenkte das massige Gefährt durch die Fabrikhalle. Mit der Begeisterung eines technikverliebten Schuljungen dirigierte er den Wagen mal nach links, mal nach rechts. Endlich konnte er zeigen, was eine ruhige Hand ist. Die Belegschaft quittierte sein Geschick mit Applaus. Seine derzeitige Gefühlslage erläuterte der Regierungschef bei der Stippvisite di- plomatisch: „Der Firmenchef hier hat mir gesagt, es könnte noch besser laufen. Das kann man ja auf viele Bereiche anwenden.“ Karen Andresen, Ralf Beste, Ulrich Deupmann, Sascha Klettke, Horand Knaup, Fabian Leber, Jürgen Leinemann, Hartmut Palmer, Alexander Szandar

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