Josef Niebur: Buch der Erinnerung · Juden in Bocholt 1937–1945

BUCH DER ERINNERUNG | 1 Bocholter Quellen und Beiträge

Buch der Erinnerung Juden in Bocholt Band 13 1937 – 1945

Herausgegeben von der Stadt Bocholt Der Bürgermeister

von Josef Niebur unter Mitarbeit von Hermann Oechtering

Stadt Bocholt, 2013 Stadt Bocholt, 2013

2 | BUCH DER ERINNERUNG Bocholter Quellen und Beiträge

Buch der Erinnerung Juden in Bocholt Band 13 1937 – 1945

Herausgegeben von der Stadt Bocholt Der Bürgermeister

von Josef Niebur unter Mitarbeit von Hermann Oechtering

Stadt Bocholt, 2013 Stadt Bocholt, 2013

BUCH DER ERINNERUNG | 3 ISBN 978-3-00-041014-7

Impressum © bei Josef Niebur, Bocholt, und in seinem Verhinderungsfalle bei der Stadt Bocholt, Der Bürgermeister, Fachbereich Kultur und Bildung, Bocholt, 2013.

Redaktion und Gesamtgestaltung: Josef Niebur und Hermann Oechtering. Druck: Demmedia GmbH,

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die des Nachdrucks, der tontechnischen oder fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung. Ohne schriftliche Zustimmung des Autors Josef Niebur und in seinem Verhinderungsfalle des Bür- germeisters der Stadt Bocholt, Fachbereich Kultur und Bildung, ist es auch nicht gestattet, aus diesem urheberrechtlich geschützten Werk einzelne Textabschnitte mittels aller Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Trans- parente, Filme, Bänder, Platten und alle anderen Medien zu verbreiten und zu vervielfältigen. Ausgenommen sind die im Urheberrechtsgesetz ausdrücklich genannten Sonderfälle.

4 | BUCH DER ERINNERUNG I NHAL TSVERZEICHNIS

Geleitwort der Jüdischen Gemeinde Münster Geleitwort der Stadt Bocholt Vorwort Danksagungen

I. Juden in Bocholt - ein historischer Streifzug bis zur Gegenwart -

1. Von den Anfängen bis zur Gründung der israelitischen Gemeinde Bocholt . . 17 1.1. Erste Erwähnungen von Juden in Bocholt ...... 17 1.2. Juden leben in Bocholt ...... 18 Der israelitische Friedhof ...... 18

2. Von der Synagoge zur Gemeinde ...... 21 2.1. Das salm-salmsche Interregnum...... 21 Die Synagoge ...... 22 Die israelitische Schule ...... 27 Levy Nußbaum (1868 – 1940)...... 33 2.2. Im französischen Kaiserreich und im Königreich Preußen bis 1852 ...... 36

3. Die israelitische Gemeinde Bocholt 1853 – 1932 ...... 38 Statut für die Synagogen-Gemeinde Bochold [sic] ...... 38 Der israelitische Männerverein Chewra Kadischa, Bocholt ...... 41 Wirtschaftlicher Hilfsverein Esrass K’fufim e.V. (Hilfe der Schwachen), Sitz Bocholt ...... 43 Juden in der Stadtverordnetenversammlung während der Kaiserzeit ...... 44 3.1. Antisemitismus in Bocholt ...... 46 Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, Ortsgruppe Bocholt . 47 Israelitischer Frauenverein Bocholt ...... 48 3.2. Erster Weltkrieg ...... 49 3.3. Weimarer Republik ...... 51 Juden in der Stadtverordnetenversammlung in der Zeit der Weimarer Republik . 51 Reichsbund jüdischer Frontsoldaten ...... 56 Deutsch-jüdischer Wanderbund „Kameraden“...... 57 Jüdische Gewerbetreibende und Fabriken in Bocholt 1926...... 59

4. Bocholterinnen und Bocholter jüdischen Glaubens in der NS-Zeit...... 62 4.1. Vor dem 30. Januar 1933 ...... 62 4.2. 30. Januar 1933 – „Machterschleichung“ ...... 68 4.3. Der Boykott vom 28. März bis 1. April 1933 in Bocholt ...... 72 4.4. Einengung des politischen und gesellschaftlichen Lebens in Bocholt...... 74

BUCH DER ERINNERUNG | 5 4.5. Einengung des Lebens der Bocholter jüdischen Glaubens ...... 79 4.6. Kommunalpolitische Zusammenhänge ...... 81 4.7. Die Jahre 1934–1938 ...... 82 Die österreichische SA im Stadtwaldlager ...... 86 Auszug aus dem Gewerbe-Verzeichnis der Stadt Bocholt – Ausgabe 1937 . . . . 89 4.8. Das Pogrom vom 9./10. November 1938 ...... 93 4.8.1. Der 9./10. November 1938 in Bocholt...... 94 „Der Südwall war schwarz von Menschen“ – Augenzeugenberichte zur Pogromnacht am 9./10. Nov. 1938 in Bocholt – . . . 96 4.8.2. Folgen des Pogroms ...... 100 4.8.3. Flucht ...... 102 4.9. 1939 – Sommer 1941 ...... 103 4.9.1. Beginn des Zweiten Weltkriegs ...... 105 4.9.2. Das Ende der Jüdischen Kultusvereinigung „Israelitische Gemeinde e.V. Bocholt“ ...... 107

5. 1941/1942: Deportationen ...... 108 5.1. Deportationen in das Ghetto Riga ...... 108 5.1.1. Deportation am 10. Dezember 1941...... 110 5.1.2. Deportation am 24. Januar 1942 ...... 114 5.1.3. Das tödliche Schicksal der deportierten Bocholter Juden ...... 114 5.2. Deportation am 27. Juli 1942 in das Ghetto eresienstadt ...... 116 5.3. Deportation von Albert Löwenstein am 20. September 1944 nach Berlin . . 117 5.4. Deportation von Bocholtern aus den Niederlanden...... 119

6. Es bleiben nur Erinnerung und Gedenken ...... 122 6.1. Rückkehr von Bocholtern jüdischen Glaubens aus Konzentrationslagern . . 122 Albert Löwenstein ...... 124 6.2. Strafverfahren gegen ehemalige Bocholter Nazis ...... 126 6.3. Besuche von Bocholtern jüdischen Glaubens in ihrer alten Heimat . . . . . 126 6.4. Erinnern und Gedenken ...... 128

II. Biogramme

Kadisch ...... 137 Biogramme: Albersheim, Helene, bis ...... 138 Zytnik, Manfred ...... 445

Stätten der Ermordung ...... 447

6 | BUCH DER ERINNERUNG III. VHS-Arbeitskreis „Synagogenlandschaften“ und Koordinierungskreis Stolpersteine von Reinhold Sprinz...... 454

Anlagen

Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt vom 21. Oktober 1925...... 467 Aus einem Brief von Levy Nußbaum vom 15. Mai 1939 an einen Verwandten in den USA ...... 469 Edith Marx (geb. Wolff) überlebte die Shoah ...... 470 Wir fühlten uns wie Schlachtvieh Greta Meier (geb. Löwenstein) berichtet über ihr Leben ...... 478

Quellen- und Literaturverzeichnis ...... 482

BUCH DER ERINNERUNG | 7 Geleitwort der Jüdischen Gemeinde Münster

Das vorliegende „Buch der Erinnerung – Juden in Bocholt 1937–1945“ führt uns auf die Spuren einer verlorenen Welt. Es erinnert, wie lange Juden Anteil an der Stadtge- schichte Bocholts hatten, wie tief jüdische Familien auch in Bocholt verwurzelt waren. Sie wurden vertrieben, verjagt oder ermordet. Die Geschichte der Juden, gleich welchen Alters, gleich welcher Stadt, zu schreiben, heißt leider immer auch, von Leid, Raub und Brandschatzung, Vertreibung und Tod zu erzählen. Die Ermordung von mehr als fünf Millionen Juden liegt jenseits des Vorstellungsvermö- gens. Die Opfer waren Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder von nebenan. Ein schreckliches Stück deutsche Vergangenheit ist das. Aber an diese Intoleranz muss erinnert werden, nicht, um an die Vergangenheit zu fesseln, nein, sondern um für die Zukunft mehr Toleranz und mehr Menschlichkeit einzufordern. Es besteht leider Anlass, das immer wieder zu tun. Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit belegen dies. So haben uns die Feindseligkeiten gegen die Form religiösen Lebens, wie sie in Diskussionsforen und Blogs im Internet auch hinsichtlich der jüdisch rituellen Beschneidung deutlich wurden, tief erschreckt. Dazu kam, dass uns der feige und überaus brutale Überfall auf einen Rabbiner in Berlin im Zusammenhang mit der Stimmung um die Beschneidung empört, geängstigt und tief verunsichert hat. Jüdische Menschen in Deutschland hat dies alles nachhaltig betroffen gemacht und sich fragen lassen, ob sie hier noch erwünscht sind, ob sie hier weiter leben sollen und ob jüdisches Leben in Deutschland überhaupt noch Zukunft hat. Ich habe Verständnis für diese Sorge, doch teile ich sie nicht. Jüdisches Leben gehört zu Deutschland und auch die jüdischen Gemeinden Westfalens sind wieder fest integrierter und auch gewollter Teil der Bundesrepublik Deutschland. „Noch niemals“, so erklärte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, am 9. November 2012 in der Paulskirche in Frankfurt, „haben Juden hier so frei und so gut leben können wie gerade jetzt“. Setzen wir uns gemeinsam dafür ein, dass es in Zukunft so bleiben möge. Wir alle sind erleichtert über den Beschluss des Bundestages vom 12. Dezember 2012. Er wird wieder Rechtssicherheit herstellen und die teils feindselig geprägte Debatte hoffentlich beenden. Den Initiatoren und allen Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Bocholt, die das Entste- hen dieses Erinnerungswerkes ermöglichten, gebührt großer Dank. Mein besonderer Dank gilt Herrn Josef Niebur, der sich mit viel Kraft, Ausdauer und Zuversicht für die Erforschung der Geschichte der israelitischen Gemeinde Bocholt einsetzt und das Erinnerungsbuch maßgeblich gestaltet hat. Mein Dank gilt auch dem VHS-Arbeitskreis Synagogenlandschaften, namentlich Herrn Hermann Oechtering, für die Unterstützung. Ich wünsche jedem Leser Zeit für eine Gedenkreise durch das vorliegende „Buch der Erinnerung“. Münster, im März 2013

Sharon Fehr Geschäftsführender Erster Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Münster und Mitglied des Vorstands des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von West- falen Geleitwort der Stadt Bocholt

Liebe Bürgerinnen und Bürger, am 10. Dezember 2007 legte der Bocholter Josef Niebur für den VHS-Arbeitskreis „Synagogenlandschaften“ das „Buch der Erinnerung – Juden in Bocholt 1937 bis 1945“ mit 34 Biogrammen von aus Bocholt deportierten Juden vor. Das Buch wurde auf eine stilisierte Bima in die Schalterhalle der Geschäftsstelle der heutigen IKK Classic im Haus des Handwerks gelegt. Das Gebäude steht auf einem Teil des Grundstückes der ehemaligen Bocholter Synagoge.

Bei der Ergänzung des Buches im Jahr 2009 regte ich an, die Biogramme aller aus Bo- cholt stammender Menschen jüdischen Glaubens, die Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns wurden, zu sammeln und in einem Buch zu veröffentlichen.

In der gedruckten Fassung finden sich nun die Biogramme von 178 Bocholterinnen und Bocholtern, deren einziges „Verbrechen“ es war, „Jüdin“ bzw. „Jude“ zu sein. 178 ermordete Menschen, die in Bocholt geboren wurden, hier wohnten oder von hier in die Vernichtung deportiert wurden.

Jeder dieser Menschen wird nun durch sein Biogramm in das Gedächtnis unserer Stadtgemeinschaft zurückgeholt.

Beim Lesen der Texte wurde mir die ganze Brutalität der Shoah, des von Deutschen verübten Völkermords an etwa 6 Millionen Menschen jüdischen Glaubens, bewusst. Josef Niebur unterzog sich der schwierigen Arbeit, dem Lebensweg der Bocholter Juden bis zu ihrer Ermordung nachzuspüren. Für diese Arbeit hat er mit vielen Nachfahren der Bocholterinnen und Bocholter jüdischen Glaubens Kontakt aufgenommen und mit Archiven in Deutschland, den Niederlanden, Polen und anderen Ländern korrespondiert. Unzählige Akten, Zeitungen und Fotos wurden von ihm gesichtet.

Für diese Arbeit gebühren ihm unser herzlichster Dank und unser größter Respekt!

Das „Buch der Erinnerung – Juden in Bocholt 1937 bis 1945“ wird nun in einem Exem- plar in der Schalterhalle der IKK Classic für alle Bürgerinnen und Bürger offen liegen.

Ich danke Herrn Baly, dem Regionalgeschäftsführer der IKK Classic in Bocholt, sowie Herrn Koop, seinem Amtsvorgänger, und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihre Bereitschaft, dem Gedenken in der Schalterhalle seit vielen Jahren Raum zu geben.

Dem Buch der Erinnerung wünsche ich viele aufmerksame und einfühlsame Leserin- nen und Leser. Besonders Jugendliche sollen sich mit dem Buch die Unheilsgeschichte unseres Landes vor Augen führen können und so zu menschlichem Handeln ermutigt werden.

Bocholt, im März 2013

Peter Nebelo Bürgermeister der Stadt Bocholt …soll ich meines Bruders Hüter sein?” (Gen. 4,9)

Vorwort

Wie in nahezu allen Dörfern und Städten Deutschlands verstärkten sich seit der Pogromnacht 1938 auch in Bocholt eine systematische Drangsalierung und Verfolgung der Menschen jüdischer Herkunft und jüdischen Glaubens. Aus Nachbarn wurden „Volksfeinde“. Verbote und Verordnungen machten die Menschen unsichtbar und raub- ten ihnen ihre Lebensgrundlage. Das gipfelte in ihrer Deportation und Ermordung in den Jahren 1941 bis 1945.

Schon in meiner Jugendzeit beschäftigte mich das unsäglich brutale und traurige Schick- sal der Bürger jüdischen Glaubens. Vor vierzig Jahren, 1972, nach dem Attentat auf die israelische Mannschaft während der Olympischen Spiele in München, entstand bei mir erstmals der Gedanke, das unvor- stellbare Leid der ermordeten Juden müsse auch für meine Heimatstadt Bocholt doku- mentiert werden. Verschiedene Vorhaben wie meine erste Ausstellung zum Schicksal der Juden in Bocholt 1983, meine Buchveröffentlichung „Juden in Bocholt” (1988), die Mitarbeit an den jährlichen Gedenkstunden zur Pogromnacht in Bocholt, meine zahl- reichen und im Laufe der Jahre immer intensiver werdenden Kontakte zu emigrierten Juden und deren Nachkommen - dies alles verstärkte den Wunsch, die ehemals in mei- ner Heimatstadt wohnenden Juden wieder ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Die jüdischen Bürger, die in Bocholt wohnten oder aus Bocholt stammten, sollten nicht vergessen sein. Allen, die unter der nationalsozialistischen Herrschaft und unter weg- sehenden Mitbürgern gelitten hatten, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt, die als Person geächtet, verfolgt, drangsaliert, deportiert und schließlich ermordet worden waren, sollte ein erinnerndes Buch gewidmet werden. Ihre Namen - der Name jedes Einzelnen - sollten nicht in Deportationslisten enden, sondern im Gedächtnis der Men- schen erhalten bleiben.

Zunächst entstand ein Buch der Erinnerung mit den 34 Biogrammen der unmittelbar aus Bocholt deportierten und ermordeten Bürger jüdischen Glaubens als Einzelexem- plar. Es wurde am 10. Dezember 2007 in der Gedenkausstellung zur früheren Synagoge aus- gelegt: Diese Dauerausstellung kann seit 1988 in den Geschäftsräumen der heutigen IKK Classic Bocholt am Europaplatz dankenswerterweise gezeigt werden. Bocholter Bürger, vor allem Bürgermeister Peter Nebelo, ermunterten mich, dieses Buch der Erinnerung so weit wie möglich zu vervollständigen und als gedrucktes Werk zu veröffentlichen. Das Vorhaben beschäftigte mich mehrere Jahre intensiv und ich kann es nun weitgehend abschließen.

Manches in den Biogrammen musste aber offen bleiben, denn es verliert sich im Dunkel der Verfolgungs- und Kriegsjahre 1933–1945 oder in den Wirren danach.

Die einzelnen Biogramme mit den Lebensstationen der Verfolgten habe ich um eine Geschichte der israelitischen Gemeinde in Bocholt unter besonderer Berücksichtigung der Zeit der Shoah, um einen Beitrag zum Erinnern und Gedenken in Bocholt und um eine Darstellung zu den Ghettos sowie den Konzentrations- und Vernichtungslagern im Nationalsozialismus ergänzt. Der Leiter der Volkshochschule Bocholt-Rhede-, Reinhold Sprinz M. A., steu- erte einen Beitrag über den für die Erinnerungskultur wichtigen VHS-Arbeitskreis „Sy- nagogenlandschaften“ und über den Koordinierungskreis Stolpersteine bei.

Vielen Menschen bin ich für Anregungen und Hilfen dankbar. Im folgenden Abschnitt Danksagungen gebe ich eine Übersicht.

In ihrem Gedicht „Abel steh auf“ entfaltet die jüdische Dichterin Hilde Domin († 2006) die Vision einer Welt, in der vieles, was in der Menschheitsgeschichte an Bösem geschah, nicht stattgefunden hätte, wenn nur der von Kain ermordete Bruder Abel wieder aufgestanden wäre, wenn Kain seines Bruders Hüter gewesen wäre. Mich beeindruckende Verse in diesem Gedicht lauten: „…täglich steh auf / damit wir es vor uns haben / dies Ja ich bin hier / ich / dein Bruder / Damit die Kinder Abels / sich nicht mehr fürchten / weil Kain nicht Kain wird…“

Leider haben in den Jahren 1933–1945 viele Menschen als Hüter ihrer Schwestern und Brüder versagt, einige durch tätiges Mitwirken Schuld auf sich geladen. „Kain, wo ist dein Bruder Abel?“, so fragt Gott und Kain stellt fest: „Bin ich der Hüter meines Bruders?“

Dieses Buch schildert auch das Versagen vieler gegenüber dem Bruder Abel, dem Bruder Jude, den Mitbürgern in unserer Stadtgemeinschaft, in unserem Land.

Dieses Buch ist ein Buch der Erinnerung, des Gedenkens an jedes einzelne Opfer der Shoah in Bocholt. In ihm wird gleichsam von jeder und jedem Ermordeten der Name bewahrt. Das Buch mahnt zur Achtsamkeit vor der Würde des Menschen und zur Wachsamkeit vor allen Formen von Ausgrenzung, Hass und Verfolgung.

Das Buch soll wirken ganz im Sinne der Proklamation des ehemaligen Bundespräsi- denten Roman Herzog zum Tag des Gedenkens der Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar: „Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsam- keit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“

Denn nur so können wir der Hüter unserer Schwester, unseres Bruders werden und IHM, Gott, für die Zukunft positiv auf seine Frage antworten.

Bocholt, im März 2013 Josef Niebur Danksagungen

Viele Menschen haben in unterschiedlicher Weise daran mitgewirkt, dieses „Buch der Erinnerung“ zu erstellen. Ihnen will ich danken:

Hier will ich zuerst Hermann Oechtering nennen. Er machte das Buch zu seinem eige- nen Anliegen. So unterstützte er mich bei der Durchsicht und Korrektur dieses Buches zeitaufwändig, nachdrücklich und kontinuierlich. Danke, Hermann.

Zu großem Dank verpflichtet bin ich auch den Mitgliedern des VHS-Arbeitskreises Synagogenlandschaften, besonders dem Sprecher Ferdinand Salomon van Loopik und dem Moderator dieses Kreises Reinhold Sprinz M. A. Mit letzterem habe ich Anlage und Konzeption des Buches immer wieder diskutieren können. Der Arbeitskreis ist mir geistige Heimat. Aus ihm heraus können die Arbeitskreismit- glieder und auch ich vieles bewirken.

Ohne die unterstützende und fordernde Hilfe meines verstorbenen Freundes Manfred Dammeier (1946–2005), der mich als Referent der (Ober-) Bürgermeister Günther Hochgartz und Bernhard Demming und als Leiter des Presse- und Informationsamtes der Stadt Bocholt nachhaltig unterstützte, wären viele meiner Aktivitäten in der Erin- nerungsarbeit nicht möglich gewesen. Das Gleiche gilt für den ehemaligen Leiter des Fachbereichs Schule, Bildung und Kultur der Stadtverwaltung Bocholt und heutigen Leiter des Stadtmuseums, Georg Ketteler.

Bruno Wansing vom Presse- und Informationsdienst (PID) im Büro des Bürgermeisters betreute das Buch im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Bocholt engagiert seit der Herausgabe der ersten 34 Biogramme im Jahre 2007 und bereitete den Druck des Buches vor.

Viele Einzelpersonen, Archive, Behörden und öffentliche Einrichtungen halfen mir bei der Erforschung des Schicksals jüdischer Bürgerinnen und Bürger mit Auskünften, Unterlagen, Zeugenaussagen und Anregungen. Die Quellennennungen finden sich unmittelbar auf den Seiten der zitierten Textstellen.

Ich danke dem Bürgermeister der Stadt Bocholt, Peter Nebelo, sowie der Stadtverord- netenversammlung der Stadt Bocholt für ideelle und finanzielle Förderung dieses Buch- projektes.

Für das Lektorat bin ich Dr. Erhard Mietzner sowie besonders Rüdiger Beimesche und Ludger Schmeink dankbar.

Danken möchte ich dem praktischen Arzt Günter Schedding (für Übersetzungen der Diagnosen in den Todesfallmeldungen des Ghettos eresienstadt), Petra Taubach (Partnerschaftsbeauftragte der Stadt Bocholt) und Maria Wolsink vom Fachbereich Kultur und Bildung (für Übersetzungen aus dem Englischen, dem Spanischen und aus dem Niederländischen).

Zu danken habe ich für mancherlei Hilfen, Auskünfte, Anregungen und Förderung Alo Echelmeyer (Münster), Sharon Fehr (Vorsitzender der jüdischen Kultusgemein- de Münster), Johannes Hüls, Hugo Kuiper von der Stichting vrienden van de Aaltense Synagoge, Günther Lorch (der im Jahre 2008 als Sohn des letzten in Bocholt lebenden Mitbürgers jüdischen Glaubens Norbert Lorch starb), Jochen Methling (als dem lang- jährigen früheren Geschäftsführer des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Kreisverband Bocholt), Winni Nachtwei (Münster, Member of the Society of the Riga Ghetto), Dr. Hans D. Oppel (früherer Leiter des Stadtarchivs Bocholt bis 2010), Heike Schoo (Fachbereichsleiterin Kultur und Bildung) und Pfarrer em. Kurt Stappenbeck.

Ein weiterer Dank geht an Dr. Axel Metz, Gerhard Schmalstieg und Wolfgang Tem- brink vom Stadtarchiv Bocholt (für viele archivalische Auskünfte und Hinweise), an Bernhard Bier und Dieter Steuer, Stadtbibliothek Bocholt (für viele Literaturrecherchen und -beschaffungen), an Hermann Weinerth, den Leiter des Standesamtes Bocholt, und an Oliver Leson vom Büro des Bürgermeisters für viele grafische Arbeiten.

Einen Dank für geöffnete Archive, bereitgestellte Quellen und Auskünfte richte ich an: – Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt für die Erlaubnis zur Auswertung der Grund- akten (die Bestände befinden sich heute im Staatsarchiv Münster), der Toderklä- rungsakten und des Vereinsregisters, – Bundesarchiv, Koblenz und Dienstort Berlin, – Centrum Judaicum Berlin, – Kreisarchiv , – Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Staats- und Per- sonenstandsarchiv Detmold, Staatsarchiv Münster, – Kommunalarchive vieler Gemeinden und Städte in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz. Sie sind im Quellenverzeichnis aufge- führt, – Pfarrarchiv des Katholischen Pfarramtes Liebfrauen, Bocholt, – Privat- und Fotosammlungen Dr. John Goldsmith (Liverpool/Großbritannien), Mike Hines (Baltimore/USA), Andreas Lorch (Rheinstetten), Gerado Mera-Euler (Düsseldorf), Mhr. Gerard Hugenholtz (Utrecht/NL), Gisela Möllenhof (Münster), Yoav Orion (Israel), Benno Simoni (Berlin), Eduard Westerhoff (Bocholt, † 2011), – Städtisches St.-Georg-Gymnasium Bocholt und Städt. Marien-Gymnasium, Bocholt, – Stadt Bocholt, Büro des Bürgermeisters, Fachbereich Zentrale Verwaltung/Interne Dienste, Fachbereich Grundstücks- und Bodenwirtschaft, sowie Fachbereich Tief- bau, Verkehr und Stadtgrün, das ehemalige Grünflächenamt und das Standesamt, – Joods Historisch Museum, Amsterdam. – Yad Vashem, Jerusalem/Israel – viele Anbieter historischer und genealogischer Informationen im Internet.

Mitteilungen der Památník Terezin (Gedenkstätte eresienstadt) sowie aus e Inter- national Institute for Holocaust Research Yad Vashem (e Central Database of Shoah Victims’ Names - Pages of Testimony) waren für dieses Buch wichtig und wertvoll. Soweit in den Archiven unterschiedliche Daten zur Deportation angegeben wurden, sind die Daten des Landes genommen worden, aus dem heraus die Deportation statt- fand.

Auch nach sechsjähriger Arbeit am „Buch der Erinnerung – Juden in Bocholt 1937– 1945“ bin ich mir bewusst, dass einzelne Lücken bleiben mussten.

Josef Niebur I. Juden in Bocholt

Ein historischer Streifzug bis zur Gegenwart I. Juden in Bocholt

Ein historischer Streifzug bis zur Gegenwart

1. Von den Anfängen bis zur Gründung der israelitischen Gemeinde Bocholt

1.1. Erste Erwähnungen von Juden in Bocholt Am 26. Juli 1396 gab der Bocholter Stadtmagistrat dem Inhaber des städtischen Spielemonopols Hinrich Ovelken die Erlaubnis, dass er das ihm zustehende Geld, wenn die Stadt nicht zahlen könne, „auf Kosten der Stadt bei Juden oder Lombarden oder bei anderen aufnehmen“1 kann. Dies war das erste Mal, dass die Begriffe „Juden“ und „Bo- cholt“, wenn auch nur formelhaft, in einer Urkunde in einem Zusammenhang genannt wurden.

Friedrich Reigers war bereits in seinem Standardwerk „Beiträge zur Geschichte der Stadt Bocholt und ihrer Nachbarschaft“2 aus dem Jahre 1891 skeptisch, ob dies bedeutet habe, dass im Jahre 1396 Juden in Bocholt wohnten.

Ein – wenn auch nur kurzzeitiger – Zuzug von Juden nach Bocholt wurde erst über 160 Jahre später, nach der Mitte des 16. Jahrhunderts, bekannt.

Auf Ersuchen des jüdischen Arztes Jost und einiger Adeliger bat am 22. Mai 1562 der Stadtmagistrat von Bocholt das Hochstift Münster, dem jüdischen Medizinstudenten Michael, Sohn des Jost, für zwölf Jahre Geleit in der Stadt zu geben. Dies bedeutete, dass Juden gegen Geld das Zuzugs- und Wohnrecht im Fürstbis- Judenkring vor dem Rathaus tum erwerben konnten. Jost und Michael stammten wohl aus der 3 Der sog. Judenkring auf dem Platz vor dem Histo- Herrschaft s’Heerenberg im holländischen Gelderland . rischen Rathaus erinnert an eine Sage. Danach sollten in der frühen Neuzeit nur so viele Menschen In einer weiteren Eingabe an die Stiftsregierung vom 28. Juli 1562 jüdischen Glaubens in Bocholt leben dürfen, als Platz ergänzte die Stadt, Jost und Michael hätten sich verpflichtet, in diesem Kreis aus Lesesteinen finden konnten. Geld nur außerhalb Bocholts auszuleihen und sich in der Stadt (Stadt Bocholt, Presse- und Werbeamt) lediglich medizinisch zu betätigen. Diese Entscheidung der Stadt Bocholt, Jost und Michael entgegen der Anordnung des Fürstbischofes Aufenthalt zu gewähren, beleuchtete nicht nur das wachsende politische Selbstbewusstsein der sich gut entwickelnden und damals fast ganz protestantischen Stadt, sondern auch die medi- zinische Unterversorgung der Bevölkerung Bocholts. Das wurde dadurch deutlich, dass Fürstbischof Bernhard von entgegen seiner sonstigen Praxis hier eine Ausnah- me machte und das Geleit für die erbetenen zwölf Jahre am 3. August 1562 bewilligte. Trotzdem blieb der Aufenthalt der beiden Juden in Bocholt nur eine Episode: 1581 leb- ten keine Juden mehr in der Stadt, ebenfalls nicht bei der Judenzählung im Jahre 16074.

1 Urkundenbuch der Stadt Bocholt. Teil 1: Regesten der Urkunden 1201 - 1500. Mit Unterlagen von Elisabeth Bröker, bearbeitet von Reinhild Freitag, Hg.: Stadt Bocholt, Bocholter Quellen und Beiträge, 6. Band, Bocholt 1993, S. 49. 2 Reigers, Friedrich: Beiträge zur Geschichte der Stadt Bocholt und ihrer Nachbarschaft, Bocholt 1891, S. 423. 3 Aschoff, Diethard: Zur Geschichte der Juden im heutigen Kreis Borken bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges, in: Studien zur Geschichte der Juden im Kreis Borken. Eine Aufsatzsammlung. Beiträge des Heimatvereins zur Landes- und Volkskunde Heft 26, 1983 [künftig: Heimatverein Vreden], S. 22. 4 Ebd. , S. 23.

BUCH DER ERINNERUNG | 17 1.2. Juden leben in Bocholt Erst für 1654 war einem Schreiben zu entnehmen, dass Juden in Bocholt lebten5. Abra- ham Isaak aus meldete am 22. August 1654 an die fürstbischöfliche Behörde in Münster, dass „zweii [Juden] in Bucholt“ und daneben Juden in Vreden, Telgte, Waren- dorf und Coesfeld als Geleitejuden lebten6. 1667 oder etwas früher wurde im Gesamtgeleit des Stifts Münster zusätzlich ein Leeff- man in Bocholt registriert7. Am 9. Dezember 1678 wurden in Bocholt Leffmann mit 450, Lazarus mit 500 und Isaak mit 300 Reichstalern Tribut für das Geleit veranlagt8. Diese Juden wurden auch in den Gesamtgeleiten vom 18. Dezember 16839, 21. August 1688 und 18. Dezember 1689 auf- geführt. Am 12. Januar 1720 wurden für Bocholt Israel Isaac, Levi Leiffman und die Witwe des Isaac Leiffman genannt, weiter Jacob Joseph, der „biß zu[m …] Absterben im Lande annoch geduldet“ war10.

Zehn Jahre später, am 6. März 1730, wohnten fünf Juden in Bocholt: Neben dem be- reits 1683 hier wohnenden Levi Leifman waren dies Phillip Lazarus, Gumperts Lazarus, Leiffman Isaac und Salomon Isaac11. Am 19. Oktober 1739 waren noch Levi Leffman, Philipp Lazarus, Gumperts Lazarus, Leeffman Isaac und David Hertz als in Bocholt wohnend aufgeführt12. Im Hauptgeleit vom 18. September 1749 wurden David Hertz, Gumpert Israel, Leffman Isaac, Philipp Israel, Jacob Levi und Leffman Levi registriert13. Am 21. Januar 1784 waren in Bocholt mit elf Familien nach Warendorf (mit 15) die meisten Juden des Stifts Münster verzeich- net. Dies waren: Jacob Philipp, Heuman Gumpers, die Witwe des Leffman Levi, Levi Jakob, Marcus David, Israel Philipp, Levi Joel, Salomon Lefman, Levi Lefman, Gumpert Leifman und Isaac Jacob14.

Im letzten Geleit des Fürstbistums Münster, ausgestellt am 11. März 1795, fallen meh- rere Namensänderungen auf. Hier waren für Bocholt Dorus Levi, Salomon Benjamin, Zaudi Lefman, Levi Jakob, Michael Isaac, Cosman David Cohn, Meyer Levi, Jacob Pir- luch, Levi Leifman, Gumpert Leifman und Isaac Jacob angegeben15. Die kontinuierliche Zunahme von Juden in Bocholt bis hin zur zweithöchsten Anzahl in einer Gemeinde im Stift Münster bewies ein für jüdisches Leben in fürstbischöflicher Zeit offenbar ungewöhnlich günstiges Klima in der Stadt.

Der israelitische Friedhof

Ein Friedhof ist eher als eine Synagoge oder koschere Metzgerei die wichtigste Voraussetzung für das funktionierende religiöse Leben von Juden und hat in der hebräischen Sprache mehrere Bezeichnungen: „Beth Olam“ – Haus der Ewigkeit – oder „Beth Hachajim“ – Haus des Lebens.

5 Terhalle, Hermann: Die Geschichte der Vredener Judengemeinde von der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts bis zu ihrem Untergang, in: Heimatverein Vreden, S. 58. 6 Ebd. 7 Ebd., S. 59. Die Schreibung der Namen in den einzelnen Urkunden ist unterschiedlich. 8 Aschoff, Diethard: Zur Geschichte der Juden in Bocholt bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges, in: Unser Bocholt, Heft 4/1983, S. 5. 9 Terhalle in: Heimatverein Vreden, S. 120. 10 Ebd ., S. 122. 11 Ebd. 12 Ebd., S. 12. 13 Ebd. 14 Ebd., S. 126. 15 Ebd.

18 | BUCH DER ERINNERUNG Nach der jüdischen Religion werden beim Eintreffen des Messias die Toten wieder auf- erstehen, deshalb sind auch Einäscherungen oder die Auflassung eines Grabes nicht erlaubt (vgl. Hesekiel, Kapitel 37,1-14).

Der erste israelitische Friedhof in Bocholt befand sich im Rahm, einem kleinen Land- stück zwischen der immer mehr verfallenden Stadtmauer und dem ihr vorliegenden Stadtgraben. Die Lage des israelitischen Friedhofs ist bekannt: zwischen Oster- und Viehtor. Werner Sundermann lokalisierte ihn in seinem Bericht „Archäologische Bei- träge zur Geschichte der Juden in Bocholt“16 genauer mit einer Länge von etwa 115 m zwischen den heutigen Häusern Ostmauer 62 und 88.

Um diesen Friedhof gab es häufiger Streit zwischen den Bocholter Juden und dem Stadtmagistrat. So z. B. um 1744 und 1749, als der Stadtmagistrat das Gelände des israelitischen Friedhofs mit Eichen bepflanzen ließ. Erst als die fürstbischöfliche Re- gierung eingriff und eine Fällung der Bäume durchsetzte, konnte der Streit beigelegt werden17.

Nach 1810 erfolgte die Verlegung des Friedhofs der israelitischen Gemeinde aus dem „Rahm“ in das Gebiet „Auf der Recke“. Der Friedhof lag nördlich vor der damaligen Stadt, die sich nur langsam aus der ehemaligen Stadtmauer herausschälte. Heute ist dort z. T. der Pausenhof der Albert-Schweitzer-Realschule. An dieser Stelle verfügten die Juden jetzt über ein ca. 2500 qm großes Gelände. Auf dem Friedhof wurden auch die Juden aus Dingden18 und Werth, wo es von etwa 1822 bis vor 1891 einen israeli- tischen Friedhof gab19, beigesetzt. Anholt und Rhede verfügten über eigene israeliti- sche Friedhöfe. Zu den Verlegungskosten für die Leichen gab die Stadt Bocholt einen Zuschuss von 4000 Reichsmark20. Die erste Beerdigung auf dem neuen israelitischen Friedhof wurde für den 27. Februar 1822 bekannt.

In der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 7. April 1914 wurde beraten über „die Instandsetzung des von der israelitischen Gemeinde anzulegenden neu- en Zufuhrweges zum Friedhofe […]“. Dem Antrag wurde unter der Bedingung zu- gestimmt: „[…] wenn die israelitische Gemeinde auf das Wegerecht an dem jetzigen Wege zum Friedhofe verzichtet und der Stadt ein Benutzungsrecht an dem neuen Wege einräumt.“ Die Niederschrift über diesen Punkt endete: „Die Kosten mit 400 M. werden bewilligt.“21

Nach dem Statut der israelitischen Gemeinde Bocholt gab es in der Gemeindever- tretung einen Friedhofsausschuss, der sich um die „Belange des Friedhofs und die Ordnung auf ihm kümmerte.“22 Er verwaltete auch den Ansatz „für Beerdigungen mit

16 Sundermann, Werner: Archäologische Beiträge zur Geschichte der Juden in Bocholt, in: Niebur, Josef, Juden in Bocholt. Eine Dokumentation. Mit einer Einführung in die jüdische Religion von Kurt Nußbaum und einem An- hang „Archäologische Beiträge zur Geschichte der Stadt Bocholt“ von Werner Sundermann. Bocholter Quellen und Beiträge, 3. Band. Herausgegeben von der Stadt Bocholt – Stadtarchiv und Volkshochschule Bocholt – Rhede – Is- selburg –, Bocholt 1989, S. 151–154. 17 Niebur, S. 42. 18 Kreisarchiv Borken, Landratsamt Borken A 13; Kgl. Regierung Münster an Landrat Borken, 3. Juni 1854. Danach soll es in Dingden vor den 1850er Jahren einen jüdischen Friedhof gegeben haben. 19 Stadtarchiv Isselburg, VI/4 Synagogenangelegenheiten, XIII/3 Acta Vorschriften wegen den Todesfällen bey den Juden. Einwohner-Register der Mairie Anholt (1812). 20 Sundermann, Werner: Drei jüdische Friedhöfe in Bocholt, Bocholter Quellen und Beiträge, Band 10, Bocholt 2002 (Sundermann, Friedhöfe), S. 19. 21 Stadtarchiv Bocholt (fortan: StdA B), Amtsbücher, Stadtverordneten Beschlüsse 1911–1915, Bd. 19, Signatur: Amts- bücher Nr. 3, Stadtverordnetenbeschlüsse 12. Bd. 1911–1915, S. 285. 22 Landesarchiv Nordrhein-Westfalen – Staatsarchiv Münster – [fortan: LA NW STA MS], Regierung Münster Nr. 17139. Acta betreffend die Synagogen-Gemeinden des Kreises Borken 1.1.1902 – 31.12.1910. Satzungsänderung vom 6. Oktober 1902.

BUCH DER ERINNERUNG | 19 Leichenwagen“ aus dem Gemeindeetat, der Bedarfs-Nachweisung genannt wurde23. Der Friedhofsausschuss wurde seit etwa 1924 vom stellvertretenden Vorsitzenden der Gemeinde, dem Fabrikanten Hermann Rosenberg, geleitet24.

Am 24. April 1940 beschlossen die vom Kreisleiter der NSDAP bestimmten Ratsher- ren der Stadt Bocholt eine Verlegung des Friedhofs auf ein Waldgelände zwischen dem Barloer und dem Burloer Weg25. Der neue sogenannte israelitische Friedhof lag an der heutigen Vardingholter Straße im äußersten Winkel der damaligen Stadt. Nur we- nige Meter westlich war die Grenze zur damals selbstständigen Gemeinde Stenern. Der Friedhof war ringsum mit Bäumen und Buschwerk bestanden, so dass von au- ßen kaum etwas zu sehen war. Dorthin wurden von polnischen Kriegsgefangenen alle Leichen vom Friedhof Auf der Recke gebracht; die Grabsteine wurden auf die Gräber gelegt. Sie wurden erst 1964 aufgerichtet26.

Der Friedhof war als Waldfriedhof geplant, sollte also – ganz im Sinne der damals herrschenden antisemitischen NS-Ideologie – der Vergessenheit anheimfallen.

Am 21. Juni 1940 schlossen die damalige Stadtverwaltung und die jüdische Kultus- vereinigung Israelitische Gemeinde e.V. Bocholt einen Vertrag über die Verlegung des Friedhofs27. Die Umbettung wurde nach einem vom Gemeindevorsitzenden Bertold Löwenstein28 entworfenen Plan von polnischen Kriegsgefangenen durchgeführt29. Bertold Löwenstein hatte die Verhandlungen geführt. Zur Unterschrift unter den Ver- trag hatte er sich von der Bezirksstelle Bielefeld der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland bevollmächtigen lassen müssen30.

Die Verlegung eines israelitischen Friedhofs ist nach jüdischem, halachischem Recht nicht möglich, da ein Grab immer – d. h. bis zum physischen Vergehen – bestehen bleiben muss. Mit den Arbeiten zur Umbettung der Leichen wurde am 29. Juni 1940 begonnen. Sie sollen von Bertold Löwenstein beaufsichtigt worden sein31. Wie für den 10. Dezember 1941 in der Kriegschronik zu lesen ist, soll das ehemalige Friedhofsge- lände „rigolt [tief umgepflügt] und dem Gartenamt vorläufig als Anzuchtgarten zur Verfügung gestellt werden.“32

Am 30. Mai 1948 wurde auf dem jüdischen Friedhof an der Vardingholter Straße ein Gedenkstein für die Ermordeten der Israelitischen Gemeinde Bocholt enthüllt. Die Setzung des Gedenksteines ging zurück auf einen Antrag, den – laut Protokoll des Stadtmagistrats – die Jüdische Gemeinde Bocholt 1946 gestellt hatte. Diesem Antrag hatte der Stadtmagistrat, die von der britischen Militärregierung ernannte Stadtver- ordnetenversammlung, am 19. August 1946 zugestimmt33.

23 Ebd., Bedarfsnachweisung vom 5. Mai 1911. 24 Handbuch der jüdischen Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege 1924/25. hrsg. von dem Deutsch-Israeliti- schen Gemeindebund und von der Zentralwohlfahrtsstelle der Deutschen Juden, o. O., o. J. [1924] [fortan: Hand- buch 1924/25], S.56. 25 Kriegschronik der Stadt Bocholt 1939–1945, bearbeitet von Gerhard Schmalstieg. Bocholter Quellen und Beiträge, 7. Band. Herausgegeben von der Stadt Bocholt, Stadtarchiv Bocholt, 1995, Eintrag vom 24. April 1940, S. 39. 26 Sundermann, Friedhöfe, S. 45. 27 Ebd., S. 39. 28 Stadtverwaltung Bocholt, Fachbereich Stadtgrün, Altablage. Akte Jüdischer Friedhof. Albert Löwenstein, Bocholt, an Oberstadtdirektor Bocholt, 29. [sic] Februar 1953. 29 Kriegschronik, Eintrag vom 10. Dezember 1941, S. 160. 30 Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke der jüdischen Synagogengemeinde in Bocholt, der Stadt Bocholt, Band –, Blatt Nr. 930, Seite 65, Bezirksstelle Bielefeld der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Gemeindeabteilung, Bielefeld, Laerstr. 9 an Stadt Bocholt vom 17. Mai 1941. 31 Stadtverwaltung Bocholt, Fachbereich Stadtgrün, Altablage. Akte Jüdischer Friedhof. Aktenvermerk vom 23. Febru- ar 1953 von Stadtbaurat a. D. Simon, Verlegung des jüdischen Friedhofs von der Recke zum Burloer Weg. 32 Kriegschronik, S. 160. 33 StdA B, Zeitungssammlung (ZSlg.), Westfälische Nachrichten, 1. Juni 1948.

20 | BUCH DER ERINNERUNG Der Gedenkstein hat die Inschrift: „Zum Gedenken an die jüdischen Mitbürger der Stadt Bocholt, die in den Konzentrationslagern ihr Leben lassen mußten. Sie starben für ihr Volk und ihren Glauben. Die Stadt Bocholt“.

Seitdem mahnt dieser älteste Gedenk- stein auf einem israelitischen Friedhof in Westfalen alle Menschen zu Tole- ranz und warnt vor Menschenhass.

1964 wurden der jüdische Friedhof und die sich östlich daran anschließen- de russische Kriegsgräberstätte auf In- tervention des Landesverbandes durch Der Gedenkstein der einen Zaun voneinander getrennt und die Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof auf- Stadt Bocholt auf dem gerichtet. Außerdem wurden die hier liegenden Leichen der russischen Kriegsgefan- jüdischen Friedhof an 34 genen umgebettet . der Vardingholter Straße wurde am 30. Mai 1948 enthüllt. (Stadt Bocholt, Foto: Bruno Wansing) 2. Von der Synagoge zur Gemeinde

2.1. Das salm-salmsche Interregnum Nach der Auflösung des Fürstbistums Münster 1802/03 im Reichsdeputationshaupt- schluss kam das Westmünsterland unter die Herrschaft der Fürsten von Salm-Salm und Salm-Kyrburg, die von Napoleon Bonaparte in den Vogesen (Frankreich) und im Huns- rück (Bundesland Rheinland-Pfalz) enteignet worden waren.

Für ihren ehemaligen Grundbesitz, der jetzt zum Kaiserreich Frankreich gehörte, wur- den die Fürsten Salm mit Teilen des aufgelassenen Fürstbistums Münster – den ehema- ligen Landkreisen und Borken, dem Stadtkreis Bocholt sowie kleinen Teilen der Landkreise Coesfeld, Burgsteinfurt und Wesel – entschädigt. Hauptstadt des Fürsten- tums Salm-Salm wurde Bocholt, Anholt war Residenzort.

In der Finanzverfassung führte die neue Verwaltung eine Gesamtvertretung der Juden- schaft ein, von der sie einen Vorsteher und zwei Rezeptoren wählen ließ. Der Vorsteher war für die Abführung der landesherrlichen Abgaben sowie für die Eintreibung der Zin- sen für den auf die hier wohnenden Juden entfallenden Teil der Kooperationsschulden (also der Schulden vor 1803) zuständig. Er musste sich in seinen Aufgaben mit den Rezeptoren absprechen; Vorsteher und Rezeptoren übten ihr Amt unentgeltlich aus35.

34 Ebd. Münsterländische Zeitung vom 14. September 1964, Juden erhielten eigenen Friedhof. Nach jüdischem Religionsgesetz war eine Trennung von den russischen Kriegstoten nötig. 35 Niebur, Josef, S. 62 f.

BUCH DER ERINNERUNG | 21 Je ein Rezeptor für die Ämter Ahaus und Bocholt kontrollierten den Vorsteher. Am 4. Oktober 1803 wurde der Vorsteher der Bocholter Juden Cosman David Cohen von den Juden in der „hochfürstlichen Kanzlei“ in Bocholt, dem alten Stift (am heutigen Bus- treff), zum Rezeptor für das Amt Bocholt gewählt36. Vom 30. Juli 1806 bis zum Ende der salmschen Regierungszeit 1810 war Cohen Vorsteher der Judenschaft im Fürstentum Salm-Salm37.

Die Synagoge „Nach vielen Bemühungen erlangten die Juden in Bocholt im Jahre 1798 die Erlaubnis, daselbst eine Synagoge, jedoch an einer abgelegenen Stelle zu erbauen und ihren Got- tesdienst darin zu halten. Sie führten die Erlaubnis schnell aus und freuten sich nicht wenig, dass sie nun in einem hübschen Tempel ihr Gebet verrichten konnten.“38 Dies ist eine etwas euphemistische Betrachtung in der Chronik des Bocholter Bürger- meisters Bernhard von Raesfeld über den Bau der Synagoge, wobei der archivalische Befund eine andere Sprache spricht. Zum einen werden auch die Jahre 179539 und 180140 als Beginn bzw. Ende der Baumaßnahme genannt. Zum anderen hatte der Bau nach einer Anordnung der stiftmünsterischen Regierung an einer abgelegenen Stelle abseits der Ortsmitte zu erfolgen. Diese Anordnung wurde in Bocholt peinlich genau eingehalten: Nur 150 Meter hinter der Synagoge verlief die damals im Verfall begriffe- ne Stadtmauer.

Die Synagoge war nicht gleichwinklig: Die Länge des Gebäudes lag zwischen 18,03 m und 18,56 m, die Breite bei 8 m. Es war mit einem Volumen von etwa 190 m³ ein für die damalige Stadt sehr ansehnliches Gebäude41. Vorne und hinten besaß es jeweils drei Fenster. Dem Eingang gegenüber befand sich zunächst die Mikwe, ein rituelles Bad. Am 12. September 1816 berichtete der Vorsitzende der Israelitischen Gemeinde Cos- man David Cohen an Bürgermeister Teroerde, dass „die hiesige israelitische Gemeinde [...] eine [...] gemeinschaftlich erbaute Synagoge besitzt [...].“42

Die Synagoge war beim Bau wahrscheinlich kaum isoliert worden, was etwa 80 Jahre später zur ersten Renovierung von 1881 führte43. Dabei wurde die Mikwe im Eingang der Synagoge abgebrochen und dort ein Sitzungszimmer geschaffen. Hier tagte nun auch der israelitische Männerverein Chewra Kadischa. Am 16. März 1881 wurden Bauplan und Kostenvoranschlag durch die Königliche Regierung in Münster geneh- migt44. Sie genehmigte die Aufnahme einer jährlich mit 5 % verzinslichen und mit 1 % zu amortisierenden Anleihe von 10.000 Mark bei der Sparkasse Bocholt für die Reno- vierung der Synagoge45.

36 Terhalle, Die Geschichte ..., S. 73. 37 Niebur, S. 62. 38 StdA B, Raesfeldsche Chronik, S. 75. 39 Ebd., SBOH 2 Nr. 992, Judenschaft 1816–1820, Bürgermeister Bocholt an kgl. Landrat Borken, 7. April 1818. 40 LA NW STA MS, Regierung Münster 17140. Acta betreffend die Synagogengemeinden des Kreises Borken vom 2.1.1911–1928. Israelitische Gemeinde Bocholt an Regierung Münster Abteilung für Kirchen- und Schulangelegen- heiten , 19. Juni 1915 [sic] 41 Sundermann, Werner: Archäologische Beiträge zur Geschichte der Juden in Bocholt, in: Niebur, S. 157. 42 StdA B, SBOH 2 Nr. 992, Judenschaft 1816–1820, Cohen an Teroerde, 12. September 1816. 43 Ebd., SBOH 2 Nr. 1001. Cultusbedürfnisse der Gemeinde. Beschluss der Repräsentantenversammlung vom 28. No- vember 1880. 44 Ebd. 45 Ebd., Königliche Regierung Münster an den Königlichen Landrat Borken, 16. März 1881.

22 | BUCH DER ERINNERUNG Die Synagoge lag hinter der jüdischen Schule. Erst als das Schulgebäude 1904 abgebrochen wurde, war die Synagoge von der Nobelstraße aus zu sehen46. 1908 wurde die Synagoge wegen der auftretenden Feuchtig- keit innen „gestrichen und bemalt […].“47 Nach nur 17 Jahren musste die kaum 130 Jahre alte Syn- agoge 1925 erneut generalsaniert werden. Im Antrag der israelitischen Gemeinde Bocholt an den Regierungspräsi- denten Münster vom 19. Juni 1925 hieß es: „Es muß daher nun eine Trockenlegung des Gebäudes geschaff en werden, was dadurch geschieht, daß Blei in die Fundamente einge- schoben wird. […] Durch die Feuchtigkeit der Wände ist die Farbe verwischt und verblichen. Das ganze Gebäude soll nun neu gestrichen und in würdiger Weise bemalt werden. Die Heizung geschah bisher durch einen Ofen, der den gro- ßen Raum im Winter nicht genügend erwärmen konnte. Es soll an dessen Stelle nun eine Zentralheizung angelegt werden.“48 Ebenso wurden über dem Eingang Dekalog-Ta- feln (also Tafeln mit den zehn Geboten) angebracht. Die Wiedereinweihung der renovierten Synagoge erfolgte am 18. September 1925. Innenansicht der Synagoge nach der Renovierung 1925 (StdA B, Bildersammlung, Jüdische Gemeinde, Foto: Kurt Herzfeld)

Zeitungsnotiz zur Ein Gang durch die Synagoge Ein weihung der „Von der Nobelstraße aus betrat man das Grundstück, auf dessen hinteren Teil die renovierten Synagoge. Synagoge lag, durch ein schmiedeeisernes Tor. Ein Steinplattenweg führte zur Syna- (StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt, 17. Septem- goge. Die Eingangstür (1) erreichte man über drei Stufen. Darüber befanden sich zwei ber 1925) marmorne Dekalogtafeln (2), in die in Hebräisch die Anfangsbuchstaben der Zehn Gebote eingemeißelt waren. Man gelangte in einen fl urähnlichen Vorraum, an dessen gegenüberliegendem Ende ein Zimmer lag (3). Links war eine Treppe (4), über die man auf die Empore, die sogenannte Frauensynagoge, gelangte. Wandte man sich rechts, so kam man durch eine Tür in den eigentlichen Synagogenraum, der hell gestrichen war. Ein großer Leuchter erhellte den etwa 8 x 12 m großen Raum, wenn das durch die Fenster einfallende Tageslicht nicht ausreichte. Dem Eingang gegenüber stand an der Ostseite, erhöht auf einem Podium, das Vorlese- pult, Bima (5) genannt. Von hier aus wurde beim Gottesdienst aus der  ora vorgele- sen. Direkt an der Wand stand der Aron Hakodesch (6), der  oraschrein, in dem die  ora-Rollen aufbewahrt wurden. Ein mit der Widmung des Stifters verzierter Vor- hang verdeckte den  oraschrein. Auf die Ostseite hingeordnet standen drei Bankrei- hen für die Gemeinde.“49

46 Ebd., ZSlg., Bocholter Volksblatt, 25. August 1904. In der Nobelstraße. 47 LA NW – STA MS, Regierung Münster Nr. 17140 Acta betreff end die Synagogengemeinden des Kreises Borken vom 2.1.1911–1928, Schreiben der Israelitischen Gemeinde Bocholt vom 19. Juni 1925. 48 Ebd. 49 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Gespräch mit Elli Warschawski, Tochter von Levy Nußbaum, 1896–1932 Prediger an der Bocholter Synagoge, Juni 1988.

BUCH DER ERINNERUNG | 23 Der Gottesdienst in der Synagoge folgte orthodoxem Ritus, wie in einer Einheitsgemeinde wie in Bocholt üblich. Jedoch gab es ab 1901 einen Synagogenchor50, was für eine Einheits- gemeinde nicht üblich war. Bis nach dem Ersten Weltkrieg fand täglich ein Gottesdienst statt, an vielen Festen gab es auch später noch morgens und abends Gottesdienste51.

Die Bocholter Synagoge wurde in der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 von den durch Bocholt ziehenden plündernden und zerstörenden SA-, SS- und Stahlhelmmän- nern, die im Schützenhaus an einer Gedenkfeier der NSDAP teilgenommen hatten, geschändet. Die über dem Portal der Synagoge angebrachten Dekalog-Tafeln mit den zehn Gebo- Luftaufnahme der ten wurden in dieser Nacht von Bocholter Nazis aus ihren Synagoge (hohes Halterungen gebrochen und in das in der Nähe liegende SA-Heim gebracht52. Ge bäude mit zwei Eine Nachbarin erzählte, wie man Salomon Seif, der seit 1924 neben der Synagoge Türmchen). wohnte, herausholte und ihn dabei schwer schlug. Ein Nachbar schrie: „Hal mej denn (StdA B, Bildersamm- Sally herunder un schlitz üm denn Buck up, dann gewwe ik der ene ut!“ [Hole Sally lung) herunter und schlitze ihm den Bauch auf, dann gebe ich einen aus.] Die Synagogen- tür wurde aufgebrochen und die aufgehetzten Männer stürzten in die Synagoge. Hier zerstörten sie die Inneneinrichtung. Ein Jugendlicher berichtete, was er erlebte, als er am nächsten Tag in die Synagoge kam: „In der Synagoge war alles total zerstört, man hatte innen regelrecht herumgewütet. Es herrschte ein Durcheinander. Die Bänke la- gen durcheinander und waren kaputtgeschlagen. Es war nichts mehr an der Stelle, wo es hingehörte. Der oraschrein war ganz durcheinander, alles war herunterge- schlagen. Der Boden war feucht, es war irgendetwas verschüttet worden. Es roch nach Petroleum.“53 Das Anzünden des Synagogengebäudes war durch das beherzte Einschreiten des Nachbarn, des Zimmermeisters Karl Hülskamp, unterbunden worden. Er betrieb ne- ben der Synagoge eine Schreinerei und trat deswegen den offenbar in der Synagoge entzündeten Brand aus. Dabei drohte er den SA-Männern: „Makt ey mej wall dat Füer ut, sonst schloa ik ou dod.“ 54

Nach der Zerstörung der Inneneinrichtung der Synagoge in der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 war dort die Abhaltung des Gottesdienstes nicht mehr möglich. Die israelitische Gemeinde wurde durch die damalige Stadtverwaltung gezwungen, das Gebäude an den benachbarten Zimmermeister Karl Hülskamp zu verkaufen55. Den Kaufvertrag verhandelten am 5. Dezember 1938 der „Fabrikant Richard Friede zu Bocholt“ und der „Kaufmann Julius Silberschmidt zu Bocholt handelnd als Vorstand

50 StdA B SBOH 2 Nr. 388. Synagogenchor. Satzung vom 26. Januar 1902. Um die Wende zum 20. Jahrhundert wurden in vielen Gemeinden Synagogenchöre gegründet, so 1903 in Mülheim/ (vgl. Kaufhold, Barbara: „Juden in Mül- heim an der Ruhr“. Hg. v. Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte, Duisburg. Mit einem Beitrag von Gerhard Bennertz. Essen 2004, S. 128). 51 Privatbesitz Josef Niebur. Dr. Kurt Nussbaum, Schreiben vom 14. Mai 1983. 52 Fragmente der Dekalog-Tafeln wurden 1982 von der Archäologischen Gruppe im Verein für Heimatpflege im Be- reich des heutigen Bustreffs gefunden, sie befinden sich heute im Stadtmuseum Bocholt. Auf dem größeren Frag- ment ist als einziges das 6. jüdische Gebot bzw. das 5. christliche „[Du sollst] nicht morden!“ vollständig zu lesen. Siehe Sundermann, Werner: Archäologische Beiträge zur Geschichte der Stadt Bocholt, in: Niebur, S. 158. 53 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Gespräch mit Herrn D. (* 1922), Bocholt, am 8. Juni 1993, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur. 54 Ebd. 55 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten [...] über die Grundstücke des Zimmermeisters Karl Hülskamp[,] hier, Hülskamp[,] Antonia u. Georg, Band -, Blatt 2465, Vertrag zwischen der Synagogengemeinde Bocholt und dem Baumeister Karl Hülskamp vom 5. Dezember 1938, Seite 53 ff.

24 | BUCH DER ERINNERUNG der Synagogengemeinde Zerstörtes Synagogen- zu Bocholt“56. Der Regie- innere am Morgen nach rungspräsident Münster, der Pogromnacht. (StdA B, Bildersamm- der den Vertrag geneh- lung, Jüdische Gemeinde, migen musste, machte Foto: Pfarrer Heinrich am 22. Dezember 1938 Blömer †) dem neuen Erwerber die Aufl agen: „1. Das Aeussere [sic] des Gebäudes ist vollständig um zu gestalten, sodass der bis he ri ge Charakter verschwindet. Die Plä- ne zur Umgestaltung bedürfen der Zustimmung des Oberbürgermeisters der Stadt Bocholt; 2. die eiserne Einfriedigung an der Straßenseite muss durch eine andere Einfriedigung ersetzt werden; die anfallenden Schrottmengen sind dem Schrotthandel zuzuführen.“57 Das Synagogengebäude wurde fortan als Holzlager benutzt. Die „liturgischen Gerätschaften“, insbesondere die  ora-Rollen, sowie einige dort gefundenen Akten wurden an den Gemeindevorsitzenden Bertold Löwenstein über- geben. Löwenstein sandte sie später an Das Synagogengebäude die Bezirksstelle Bielefeld der Reichs- war nach dem Verkauf vereinigung der Juden in Deutsch- durch die Synagogenge- land58. meinde am 5. Dezember 1938 auf Anweisung des Wilhelmine Löwenstein soll, nachdem Regierungspräsidenten in der Synagoge die Abhaltung von Münster vom 22. De- Gottesdiensten wegen der Zerstörun- zember 1938 „vollständig umzugestalten, sodass gen am 9./10. November 1938 nicht der bisherige Charakter mehr möglich war, den noch in Bo- verschwindet“. cholt lebenden Juden ein Zimmer in (Amtsgericht Bocholt, ihrem Haus Hemdener Weg 11 als Bet- Grundbuchamt, Grund- raum zur Verfügung gestellt haben59. akten, Band-, Blatt 2465, Blatt 55) Bei einem Bombenangriff am 31. Mai 1942 wurde das Gebäude der ehe- maligen Synagoge von Brandbom- ben getroff en und brannte völlig aus. Kurze Zeit später wurden nahezu die gesamten Trümmer dem Erdboden gleichgemacht. Wo einst die Synago- ge stand, wurde jetzt ein öff entlicher Luftschutzbunker gebaut60. 1962 errichtete die Kreishandwerkerschaft Borken-Bocholt auf diesem Grundstück das heutige „Haus des Handwerks“ mit den Geschäftsstellen der Kreishandwerker- schaft und der damaligen Innungskrankenkasse Borken-Bocholt, der heutigen Verei- nigten IKK.

56 Ebd. 57 Ebd., Genehmigung des Regierungspräsidenten Münster, 22. Dezember 1938, S. 55. 58 LA NW – Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (HSTAD), NW 60 d 1675/76, Stadt Bocholt an Regierungspräsident Müns- ter, 29. April 1952. 59 Privatbesitz Josef Niebur. Notiz über eine Auskunft von N. N., Bocholt, am 26. Oktober 1983. 60 Ebd., Notiz über eine Auskunft des Pfarrers em. Johannes Tebroke vom 31. Mai 1992.

BUCH DER ERINNERUNG | 25 Am 31. August 1980 wurde an dieser Stelle vor dem „Haus des Handwerks“ eine Gedenkplatte zur Erinnerung an die Synagoge von Oberbürgermeister Hoch- gartz und Heinz Jäckel, dem Vor- sitzenden der Jüdischen Gemein- de Münster, der Öffentlichkeit übergeben. Sie trug die Inschrift: „An dieser Stelle stand die SYN- AGOGE der JÜDISCHEN GE- MEINDE. Geschändet in der Seit dem 31. August 1980 erinnerte diese Platte daran, dass Reichskristallnacht 1938. Endgül- auf dem Platz vor dem Haus des Handwerks bis Ende 1938 tig zerstört 1945.“61 die Synagoge der israelitischen Gemeinde Bocholt stand. (Stadt Bocholt, Presse- und Werbeamt) 1987 wurde das „Haus des Hand- werks“ erweitert. Dabei wurden die Fundamente und der südwestliche Eckstein der Synagoge durch die Archäologische Gruppe im Verein für Heimatpflege Bocholt er- graben. Am 9. November 1988 eröffnete Bürgermeister Bernhard Demming in der Schalterhalle der damaligen Innungskrankenkasse Borken-Bocholt eine Dauerausstel- lung, die an die Synagoge erinnert62.

Im Jahre 2005, auch am 9. November, wurde die neue Gedenkstätte für die Synagoge der Öffentlichkeit übergeben. Sie gliedert sich in drei Teile: Etwa an der Stelle, an der in der historischen Synagoge das Vorlesepult für die ora stand, wurde ein stilisiertes Vorlesepult aus schwarzem Marmor errichtet. Es steht 2,5 m südlich vom historischen Ort in der Gebetsrichtung der Synagoge nach Jerusalem. Auf dem Vorlesepult ist das Replikat eines der beiden wiedergefundenen Fragmente der Dekalog-Tafeln eingelassen. Auf dem größeren Fragment ist als einziges das 6. jüdische bzw. das 5. christliche Gebot vollständig zu lesen: „[Du sollst] nicht morden!“ Eine eindrucksvolle Mahnung. Die Grünfläche unmittelbar vor dem „Haus des Handwerks“ wurde um- gestaltet. In die Grünfläche wurden zwei Marmorplatten gestellt bzw. ge- Seit dem 10. Dezember legt. Auf der stehenden Platte sind Namen und Alter der 34 aus Bocholt 2007 liegt in der Schal- deportierten Juden vermerkt, die ermordet wurden. Die andere Platte gibt historische terhalle der heutigen Informationen zur Synagoge. Der Platz vor dem „Haus des Handwerks“ wurde neu IKK Classic, die auf dem gepflastert. Dabei wurden – soweit wegen des hier stehenden Hauses des Handwerks Grundstück der ehema- ligen Synagoge steht, möglich – die südlichen und östlichen Umrisse der historischen Synagoge durch eine 63 das „Buch der Erinne- verschiedenfarbige Pflasterung sichtbar gemacht . rung – Juden in Bocholt Am 10. Dezember 2007 wurde mit der Erarbeitung des Gedenkbuches „Buch der Er- 1937–1945“. (Foto: Stadt Bocholt, innerung. Juden in Bocholt 1937 – 1945“ begonnen. In diesem Buch, das in der Schal- Bruno Wansing) terhalle der heutigen IKK Classic, Regionaldirektion Bocholt, die auf der früheren Grundfläche der Synagoge errichtet wurde, ausliegt, werden die Lebens- und Ermor- dungsgeschichten der z. Z. bekannten 178 Bocholterinnen und Bocholter jüdischen Glaubens gesammelt64.

61 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt (BBV) vom 1. September 1980. 62 Ebd., 10. November 1988, Zeitzeugen berichteten über ihre Erlebnisse – Reichskristallnacht in Bocholt und KZ- Erfahrungen aus Dachau aufgearbeitet/Ratssaal war viel zu klein. 63 Hans-Rudolf Gehrmann, Ferdinand Salomon van Loopik, Josef Niebur, Reinhold Sprinz: Es gibt Momente, bei denen es schwer fällt, zu reden – Übergabe des Denkmals zur Erinnerung an die zerstörte Synagoge am 9. November 2005, in: Unser Bocholt, Heft 3/2006, S. 61–67. 64 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt, 11. Dezember 2007.

26 | BUCH DER ERINNERUNG Die israelitische Schule

Die Klagen über die mangelnde Schulbildung der jüdischen Kinder häuften sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

1807 Der jüdische Lehrer Salomon Bamberger65 lebte in Bocholt. Er besaß allerdings nicht die für eine offizielle Anstellung erforderlichen Examina, weshalb ihm eine Anstellung verweigert wurde. Der private Unterricht für die jüdischen Kinder fand in einem Haus an der Ecke Nobelstraße/Realschulstraße statt.

1816 Es gab in Bocholt keine jüdische Schule. „Die Namen der Familienväter, die mit mir einen Privatlehrer zum Unterricht unserer Kinder haben, sind folgende Herren [...] [Sonst] ist hier kein guter Schullehrer und Unterricht der übrigen Kinder.“66

1819 Salomon Bamberger war noch als privater Lehrer in Bocholt tätig67.

12. Juli 1824 Anordnung des Bürgermeisters aufgrund der Verordnung der Königlichen Regierung Münster: „Jüdische Kinder müssen so lange die christliche Schule besuchen, bis ein geprüfter und für tüchtig befundener jüd[ischer] Lehrer da ist.“68 Bamberger darf nur in Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichten, da er „nur wenig zu leisten im Stande ist.“69

1825 Die königlich-preußische Regierung in Münster ordnete am 17. November 1825 an, dass die jüdischen Kinder eine christliche Schule besuchen müssten. Eine „jüdische“ Schule könne in Bocholt erst eingerichtet werden, wenn ein geeigneter und tüchtiger jüdischer Lehrer gefunden worden sei, der die notwendige Lehrerlaubnis habe70.

1827 11 jüdische Kinder erhielten Privatunterricht71.

um 1830 „Lehrer Meier“ nahm die Stelle eines Lehrers an der inzwischen eingerichteten isra- elitischen Schule in Bocholt an. Das Schulgebäude, das ursprüngliche Wohnhaus des Fuldauer, war um 1798, also im gleichen Jahr wie die Synagoge, gebaut worden. Es war der Synagoge „in gleicher Breite [als] einstöckiges Schulhaus vorgesetzt“, ihm war „zur linken Hand eine Wohnung für den jeweiligen Küster eingefügt.“72

65 Ebd., 245/K 259, Register, welches die Nachrichten über die Mannspersonen enthält, welche über 12 Jahre alt sind, und in der Mairie Bocholt wohnen, o. Seitennummer, 15. April 1812. 66 Ebd., SBOH 2 Nr. 992. Judenschaft 1816–1820. Cosman David Cohen an Bürgermeister Teroerde, 12. September 1816. 67 Ebd., Vermerk von Bürgermeister von Raesfeld vom 16. November 1819. Cosman David Cohen an Bürgermeister Teroerde, 12. September 1816. 68 Ebd., Vermerk Bürgermeister von onhausen vom 12. Juli 1824. 69 Ebd., onhausen an die Eltern israelitischer Kinder, 28. Dezember 1824. 70 Ebd., 4 K 99 Acta Judenschaft betreffend . Bürgermeister Bocholt an königlichen Landrat Borken, 17. November 1825. 71 Ebd., SBOH 2 Nr. 992, Judenschaft 1816–1820. Übersicht der in der Stadt Bochold [sic] vorhandenen schulpflichti- gen jüdischen Kinder vom 12. Januar 1827. 72 Lindenberg, Anna: Von unseren jüdischen Mitbürgern, in: Dies.: Erinnerungen an Alt-Bocholt, Grabenstätt 1978, S. 86.

BUCH DER ERINNERUNG | 27 13. Dezember 1847 Eintrag in der Liste der Erschienenen bei der Bildung der Synagogen-Gemeinde Bocholt: „6. Lehrer Philip[p] Ruben.“73 1853 „Lehrer Abraham Wolf, 28 Jahre [alt].“74

26. Februar 1860 Aufstellung über die Verhältnisse der Synagogen-Gemeinde zu Bocholt: „Zahl der Kultusbeamten mit Einschluß der Lehrer an den Religionsschulen: 1.“75

1865 Der Antrag der israelitischen Gemeinde wegen „Bewilligung einer jährlichen Beisteuer zur Bestreitung von Schulbedürfnissen“ vom 14. März 1865 wurde am 19. April 1865 von der Stadtverordnetenversammlung abgelehnt76.

1866 Isaak Spier (* 11. April 1829, Bocholt), der von 1845 – 1848 im Marks-Haindorf- schen Seminar in Münster ausgebildet worden war, wurde Lehrer an der privaten jü- dischen Schule in Bocholt77. Er hatte am 1. November 1862 in Duisburg Sophie Levy (* 19. Dezember 1830, Ruhrort bei Duisburg) geheiratet78. 1869 inserierte er in der Allgemeinen Zeitung des Judentums, dass er in seiner Woh- nung „israelitische Knaben“ aufnehmen und ihnen „körperliche und geistige Pflege angedeihen“79 lassen würde. 1876 Durch Beschluss der Königlichen Regierung Münster vom 14. Oktober 1876 wurde aus der „bisherigen jüdischen Privatschule […] eine Öffentliche. [...] Wegen der [...] Ver- eidigung des Lehrers Spier wird an den Kreis=schulinspekector [sic] verfügt werden.“80 1891/92 An der jüdischen Schule wurde eine Handarbeitslehrerin in Teilzeit eingestellt81.

1. November 1896 „Nußbaum, Levi, Lehrer“ zog in das Haus Nr. 7611 (heute: Herzogstraße) in Bocholt zu82.

73 StdA B SBOH 2 Nr. 1003. Acta specialica, betreffend Jüdische Gemeinde 1864–1871. Protokoll der Sitzung vom 13. Dezember 1847. Philipp Ruben, der nach seiner Tätigkeit in Bocholt bis 1883 in Gütersloh als Lehrer tätig war, starb am 15. Januar 1890 und wurde neben seiner Schwester Clara Ruben, die am 22. Dezember 1890 in Gütersloh starb, auf dem (neuen) jüdischen Friedhof an der Böhmerstraße 4 in Gütersloh beigesetzt (Barley, Yehuda: Juden und Jüdi- sche Gemeinden in Gütersloh 1671–1943, Gütersloh 1988, S. 135). 74 Ebd., Stadt Bocholt Nr. 2, Nr. 934 Synagogengemeinde 1840–1932. Liste vom 7. Juni 1853. 75 Ebd., Aufstellung über die Verhältnisse der Synagogen-Gemeinde zu Bocholt [von 1860]. 76 Ebd., SBOH 2 Nr. 993. 1832–1864 Judenschaft überhaupt. Auszug aus den Stadtverordnetenbeschlüssen vom 19. April 1865. 77 LA NW STA MS, Regierung Münster Nr. 9567, Acta betreffend die Judenschule zu Bocholt von 1897. Königliche Regierung, Abteilung des Inneren, Münster, an Bürgermeister Bocholt, 14. Oktober 1876 (Abschrift). 78 Geschichte der Duisburger Juden. Von Günter von Roden in Zusammenarbeit mit Rita Vogedes. Duisburger For- schungen. Schriftenreihe für Geschichte und Heimatkunde Duisburgs, Band 34.1, herausgegeben vom Stadtarchiv Duisburg in Verbindung mit der Mercator Gesellschaft, Duisburg 1986, S. 506. 79 Compact-Memory, Deutsch-jüdische Literaturgeschichte im Web (fortan: Compact-Memory), Allgemeine Zeitung des Judentums, 1869, Heft 35, 31.8.1869, S. 13. 80 LA NW STA MS, Regierung Münster Nr. 9567, Acta betreffend die Judenschule zu Bocholt von 1897. Königliche Regierung, Abteilung des Inneren, Münster, 14. Oktober 1876 (Abschrift). 81 StdA B SBOH 2 Nr. 1001. Cultusbedürfnisse der Gemeinde. Bedarfsnachweisung ... für das Steuerjahr vom 1. Juli 1891 bis zum 1. Juli[sic] 1892. 82 Personenstandsregister der Stadt Bocholt 1886–1897 Stadt und Feldmark. Bearbeitet von Wolfgang Tembrink, Stadt archiv Bocholt 1999 [künftig: Personenstandsregister], S. 667. Das Haus befand sich in der heutigen Herzog- straße.

28 | BUCH DER ERINNERUNG Er löste am 1. November 1896 Isaak Spier ab, der nach 30 Jahren Tätigkeit als Lehrer in den Ruhestand ging.

25. Mai 1897 Die Stadtverordneten beschlossen: „Gegen die Benutzung der städtischen Turnhalle durch die israelitische Schule an zwei Stunden in der Woche findet sich nichts einzu- wenden.“ 83

3. August 1897 Den Stadtverordneten lag ein „Antrag der israelitischen Gemeinde auf Erhöhung des Schulzuschusses“ vor. Dieser wurde wie folgt beschieden: „D[ie] St[adtverordneten]- Versammlung beschließt einstimmig auf den Antrag der israelitischen Gemeinde um Erhöhung des Schulzuschusses, den Schulzuschuß auf 1750 Mk. festzusetzen. Sie nimmt dabei die Schülerzahl auf 70 Kinder an und für jedes Kind aufzunehmenden [sic] Lasten auf 25 Mk.“84

26. August 1897 Die Königliche Regierung Münster – Abteilung für Kirchen- und Schulwesen – genehmigte den Bau der [neuen] jüdischen Schule auf dem Grundstück Nordwall 2685.

23. Juli 1898 Stadt Bocholt an Königliche Regierung Münster: „Die Schule ist fertig gestellt und soll am 20. n. Mts. bezogen werden.“86

25. Oktober 1898 Die Stadtverordnetenversammlung genehmigte für die neue israelitische Schule ein Darlehen von 2.800 M.87 In dem im Jahr 1898 eröffneten Gebäude der israelitischen 20. Februar 1899 Schule am Nordwall 26 gab es zwei Klassenräume und die Die israelitische Schule wurde von 40 Kindern besucht88. Lehrerwohnung. Außerdem standen hier der Repräsentanten- versammlung sowie dem Gemeindevorstand Sitzungsräume um die Wende zum 20. Jahrhundert zur Verfügung; im Saal kam die Gemeinde zu ihren Festen Über die Zeit der Jahrhundertwende an der israelitischen zusammen. (StdA B, Bildersammlung, Jüdische Gemeinde Nr. 3) Schule schrieb Jeanette Cohen (spätere Jeanette Wolff): „Die neue Elementarschule u. der junge Lehrer Nußbaum aus Burghaun[/]Hessen, der sehr religiös und doch sehr weltoffen war [sic]. Er anerkannte nur Leistung und Fleiß. Dann schickten die Reichen ihre Kinder in die private Schule der Frau Koop[,] in die Kinder alle[r] Bocholter [gingen]. Nur an den Religionsstunden nahmen sie [in der israelitischen Schule] teil. Ich liebte meinen Lehrer sehr und auch seine spätere junge Frau, die Tochter eines Herforder Rabbiners.“ 89

83 StdA B, Amtsbücher: Nr. 3, Stadtverordneten-Beschlüsse 1890–1896, 10. Bd. 1896, 26. Juni – 1904, 20. Sept., S. 55. 84 Ebd., S. 65 Rs. 85 LA NW STA MS, Regierung Münster Nr. 9567, Acta betreffend die Judenschule zu Bocholt von 1897. Königliche Regierung Abt. f. Kirchen- und Schulwesen, Münster, 26. August 1897. 86 StdA B, SBOH 2 Nr. 1001. Cultusbedürfnisse der Gemeinde. Bürgermeister Bocholt an Regierung Münster, 23. Juli 1898. 87 LA NW STA MS, Regierung Münster Nr. 9567, Acta betreffend die Judenschule zu Bocholt von 1897. Königliche Regierung an Stadt Bocholt, 25. Oktober 1897. 88 Ebd., Betrifft: Die jüdische Schule zu Bocholt, Kreis Borken. 23. November 1898 [Bericht des Kreisschulrates]. 89 Stadtarchiv Dinslaken, Sammlung Jeanette Wolff, Nr. 5, „Aus einer kleinen jüd. Gemeinde um die Jahrhundert- wende“, o.O., o. J. [Stichpunkte zur Autobiographie von Jeanette Wolff].

BUCH DER ERINNERUNG | 29 28. Juli 1901 37 Kinder besuchten die israelitische Schule, 22 weitere, die andere Schulen besuchten, erhielten an ihr Religionsunterricht90.

um 1900 Levy Nußbaum gehörte dem Vorstand des Deutsch-Israelitischen Kinderhorts in Bad Schwalbach an91.

23. Oktober 1901 Bau- und Einrichtungsbeschreibung im Bericht über die kreisärztliche Besichtigung92.

6. August 1902 Am Religionsunterricht in der israelitischen Schule nahmen auch 13 Schulkinder jü- dischen Glaubens teil, die die höhere Töchterschule oder das Progymnasium in Bo- cholt besuchten93.

1905 32 Kinder besuchten die israelitische Schule, die Knaben nahmen am Turnunterricht der evangelischen Schule teil94.

1910 27 Kinder besuchten die israelitische Schule95.

1914 29 Kinder besuchten die israelitische Volksschule96.

1915 Auszug aus dem Protokoll der 3. Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 16. März 1915: „XIII. Zuschuß an die israelitische Volksschule Der Zuschuß für die israelitische Volksschule wird auf 1100 M. erhöht.“ 97

1922 Am Unterricht der israelitischen Volksschule nahmen 17 Kinder teil98.

1920er Jahre In der jährlich an den Regierungspräsidenten Münster zu erstattenden „Nach- weisung der Synagogengemeinden mit Rabbinern“ wird Levy Nußbaum jeweils als „seminaristisch vorgebildeter Prediger“ bezeichnet, der die Rabbinerstelle verwaltete99.

90 LA NW STA MS, Regierung Münster Nr. 9567, Acta betreffend die Judenschule zu Bocholt von 1897, Bericht des Kreisschulrates Borken vom 28. Juli 1901. 91 http://www.alemannia-judaica.de/bad_schwalbach_synagoge.htm#Aus%20der%20Geschichte%20des%20Rabbi- nates %20in %20Langenschwalbach. „Der Israelit“ vom 14. Oktober 1901, Jahresbericht des „Deutsch-Israelitischen Kinderhorts“ in Langenschwalbach (1900/01). 92 LA NW STA MS, Regierung Münster Nr. 9567, Acta betreffend die Judenschule zu Bocholt von 1897, Bericht des Kreisschulrates Borken vom 28. Juli 1901. 93 Ebd., Bericht Kreisschulinspektion Recklinghausen III an königliche Regierung Münster, 6. Februar 1902. 94 Ebd., 27. September 1905. 95 Ebd., Bericht Kreisschulinspektion Recklinghausen III an königliche Regierung Münster, 27. November 1910. 96 Ebd., Regierung Münster Nr. 9567, Acta betreffend die Judenschule zu Bocholt von 1897. Bericht Kreisschulinspek- tion Recklinghausen III an königliche Regierung Münster, 1914. 97 StdA B, Amtsbücher Nr. 3, Stadtverordnetenbeschlüsse 12. Bd. 1911–1915, S. 333 Rs. 98 LA NW STA MS, Regierung Münster Nr. 9567, Acta betreffend die Judenschule zu Bocholt von 1897, Bericht der Kreisschulinspektion III Recklinghausen über die einklassige jüdische Schule in Bocholt von 1922. 99 StdA B, Stadt Bocholt 2, Nr. 934, Judengemeinde 1840 – 1932. Nachweisung der Synagogengemeinden mit Rabbi- nern im Regierungsbezirk [Münster] für das Rechnungsjahr 1932.

30 | BUCH DER ERINNERUNG 1926 Unter maßgeblicher Mitarbeit von Levy Nußbaum aus Bocholt wurde 1926 von Leh- rern am Niederrhein die „Arbeitsgemeinschaft jüdischer Lehrer am Niederrhein“ ins Leben gerufen. „In ihr vereinten sich jüdische Lehrer am Niederrhein um jeweils vor den verschiedenen jüdischen Festen und Gedenktagen Quellen (Talmud) zu studieren und neuhebräische Literatur (Bialik, Agnon u. a.) zu lesen. Die Zusammenkünfte waren monatlich, zu Be- ginn in den Wohnungen der Teilnehmer, später meistens in den Logenräumen in Duis- burg. Nach Wegzug Dr. Eschweges nach Frankfurt a. M. übernahm Lehrer Nußbaum die Leitung, nach dessen Auswanderung Dr. Neumark, der seit der Gründung an der Arbeit teilgenommen hatte und dessen tiefgründiges Wissen auf dem Gebiete des Tal- muds und anderer religiös-jüdischer Quellen dazu beitrug, schwierige Fragen aufzu- klären und diesem Bestreben zum Erfolg zu verhelfen. Die Arbeitsgemeinschaft blieb noch bis etwa 1940 aktiv.“100

7. April 1928, Bocholter Volksblatt „60 Jahre alt. Herr Prediger Nußbaum von hier konnte am vergangenen Dienstag [3. April 1928] in bester Gesundheit seinen 60. Geburtstag feiern. Er ist bereits seit 31 Jahren in Bocholt als Lehrer und Prediger der israelitischen Gemeinde tätig. Dem Jubilar, der sich allge- meiner Beliebtheit erfreut, wurden zahlreiche Glückwünsche dargebracht.“101

10. Oktober 1930 Stadt Bocholt an Regierung Münster (Briefentwurf): „Die Zahl der im schulpflichtigen Alter stehenden Kinder beträgt in den nächsten 5 Jahren 17 – 20. Davon besuchen 4 – 6 Kinder die Privatschule Koop mit anschließen- dem Übertritt zu den höheren Schulen. Weitere 4 – 6 Kinder verlassen die jüdische Volksschule nach dem 4. Grundschuljahre, um die höheren Schulen zu besuchen, so daß die tatsächliche Schülerzahl in der j. V. in den nächsten 5 Jahren nicht mehr als 12 betragen wird. Diese Kinder können umgeschult werden, ohne daß neue Schulstellen pp. erforderlich sind.“ 102

10. Februar 1932 Stadt Bocholt an Regierung Münster: „Die Zahl der jüdischen Volksschulkinder beträgt z. Zeit 15. Sie hat sich gegenüber meinen früheren Angaben deshalb erhöht, weil die Privatschule Koop am 1. April 1931 aufgelöst wurde und die diese Schule besuchenden jüdischen Volksschulkinder über- wiesen wurden. Die Zahl der jüdischen Volksschulkinder wird auch in den nächsten Jahren nicht mehr als 15 betragen. Eine Umschulung dieser Kinder auf die hiesigen Volksschulen wäre wohl ohne Schaffung neuer Schulstellen möglich, da 7 Schulsys- teme für die Aufnahme in Frage kommen. Auch bei einer Zuteilung der Kinder an die evangelische Volksschule würde keine neue Schulstelle notwendig sein, da sich die Kinder auf sieben Klassen verteilen. – Aus erziehlichen [sic] Gründen und insbeson- dere auch nach Lage der örtlichen Verhältnisse in Bocholt bitte ich jedoch, dem Antrag der israelitischen Gemeinde auf Erhaltung der Schule entsprechen zu wollen, zumal die Steuer-Leistungen als außergewöhnlich hoch für den verhältnismäßig kleinen Teil der Bevölkerung bezeichnet werden dürften. [...].“103

100 Frank, Emil: Aus dem Gemeindeleben, Maschinoskript im Stadtarchiv Duisburg, S. 10, zitiert nach: Geschichte der Duisburger Juden, Band 34.1, S. 297. 101 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 7. April 1928. 60 Jahre alt. 102 LA NW STA MS, Regierung Münster Nr. 9567, Acta betreffend die Judenschule zu Bocholt von 1897, Stadt Bo- cholt an Regierung Münster, 10. Oktober 1930 (Briefentwurf). 103 Ebd., Stadt Bocholt an Regierung Münster, 10. Februar 1932.

BUCH DER ERINNERUNG | 31 30. März 1932 Beschluss des preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin: „Von einer Aufhebung der jüdischen Volksschule in Bocholt ist abzusehen.“104

9 . April 1932, Tageszeitung Grenzwarte „Die Verwaltung der Lehrstelle[sic] an der jüdischen Schule wurde von der Regierung dem Junglehrer Hüsener übertragen, [...].“105 In der gleichen Ausgabe wurde vermerkt, dass es in der israelitischen Schule zum Schuljahresbeginn 1932/33 keine neuen Schulkinder gab106.

1. September 1932 „Neuer Lehrer und Prediger der jüdischen Gemeinde. Nach Ausscheiden des seit 35 Jahren an der jüdischen Schule angestellten Herrn Leh- rer Nußbaum ist jetzt von der Regierung Herr Alfred Herz mit der Verwaltung der Lehrerstelle beauftragt „Erinnerungsfeier in worden. Herr Herz, der jüdischen Gemein- 1900 in Eisendorf[,] de. – Eine Abschieds- feier für Herrn Lehrer Kr[eis]. Aachen[,] ge- Nußbaum“ ist eine boren, war als Lehrer Meldung über das in Zülpich, Schweich 25-Jahres-Jubiläum und seit 1924 in Braun- von Louis Ostberg schweig angestellt und und den beginnenden war besonders in der Ruhestand von Levy Jugendbewegung tätig. Nußbaum überschrie- Mit seinem Dienstan- ben. (StdA B, ZSlg, tritt übernimmt Herr Grenzwarte, 24. Januar Herz auch die seelsor- 1933) gerischen Funktionen bei der hiesigen jüdi- schen Gemeinde.“107 Alfred Herz schloss sich ebenfalls der Arbeitsge- meinschaft jüdischer Lehrer am Niederrhein an, auch wurde er isra- elitischer Religionsleh- rer an der Städtischen Oberschule für Jun- gen108.

104 Ebd., Preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Berlin, an die Regierung in Münster, vom 30. März 1932. 105 StdA B, ZSlg., Grenzwarte vom 9. April 1932. Hüsener anstatt Nußbaum. 106 Ebd., Bocholts ABC-Schützenregiments. 860 neue Jünger der Wissenschaft. 107 Ebd., Bocholter Volksblatt vom 4. September 1932, Neuer Lehrer und Prediger der jüdischen Gemeinde. 108 Geschichte der Duisburger Juden, Band 34.1, S. 297; Städtisches Gymnasium für Jungen und Mädchen. Festschrift zum Doppeljubiläum der Schule, die seit 1828 als städtisches Gymnasium und seit 1903 als Gymnasium besteht. Herausgegeben von Oberstudiendirektor Wolfgang Feldhege. [Bocholt/Westfalen 1978], S. 137.

32 | BUCH DER ERINNERUNG 1. Februar 1933 Die israelitische Schule wurde von „3 Knaben“ und 11 Mädchen besucht109.

1. Oktober 1933 Aufhebung der jüdischen Volksschule als öffentliche Schule durch den Bescheid des Regierungspräsidenten Münster vom 8. September 1933: „Die Kinder der jüdischen Schule sind auf die kath. und evangel. Schulen zu verteilen, wobei nach Möglichkeit die Wünsche der Erziehungsberechtigten zu berücksichtigen sind. – Die jüdische Schule [Bocholt] wird eingespart. Der jüdische Lehrer Herz ist zum 1.10.33 aus dem öffentlichen Schuldienst zu entlassen.“ 110

Bis 1938 soll es in Bocholt in einem Raum unweit des Bahnhofs eine Beschulung für Kinder israelitischen Glaubens gegeben haben111.

Levy Nußbaum (1868–1940)

Levy Nußbaum wurde am 3. April 1868 in Burghaun/Hessen geboren. Seine Ausbildung zum jüdischen Elementarlehrer erfolgte an der Isra- elitischen Lehrerbildungsanstalt Würzburg112. 1896 wurde er Lehrer an der israelitischen Volksschule in Bocholt113.

Levy Nußbaum war jedoch nicht in erster Linie Lehrer. Das Amt eines israelitischen Lehrers war in Bocholt mit dem des Predigers an der Synagoge und somit des Seel sorgers der israelitischen Gemeinde ver- bunden. Ein Jahr nach seinem Dienstantritt in Bocholt heiratete Levy Nußbaum die aus Herford in Westfalen stammende und am 4. November 1875 geborene Rosa Hulisch, die Tochter des dortigen Rabbiners Dr. Israel Hulisch. Der Ehe Levy Nussbaum von Levy und Rosa Nußbaum entstammten die am Nordwall 26 geborenen Kinder Der 1868 in Burghaun/ Alfred , Herbert, Elli und Kurt114. Hessen geborene Levy Nussbaum war von Levy Nußbaum war zudem Dirigent des Synagogenchores, zu dessen Gründungsmit- 1896 bis 1932 israeliti- gliedern er und seine Frau Rosa 1901 gehört hatten115. Er spielte viele Jahre lang die erste scher Lehrer in Bocholt. Geige im Instrumentalverein Bocholt, den er mitgegründet hatte. Der Instrumental- Daneben unterrichtete er die Schüler jüdischen verein, ein klassisches Orchester, wagte sich auch an die Symphonie Nr. 6, F-Dur Glaubens am Städtischen („Pastorale“) von Ludwig van Beethoven, die er am 17. Februar 1925 im „großen Saal Gymnasium (heute: St.- 116 des St. Georgius-Schützenhauses“ aufführte . Georg-Gymnasium). Levy Nußbaum war mit den Vertretern der israelitischen Gemeinden am Niederrhein (Rosmary Warschawski- und in den Niederlanden befreundet. Besonders mit dem Duisburger Rabbiner Dr. Nussbaum, Baltimore/ Israel Neumark sowie dem Vorsteher der nederlands-joodse gemeente te Dinxperlo, USA) Isaac Menist, war Nußbaum gut befreundet. Menist und Nußbaum besuchten sich häufiger mit dem Fahrrad.

109 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 2. Februar 1933. Statistik der Bocholter Volksschulen. 110 LA NW STA MS, Regierung Münster Nr. 9567, Acta betreffend die Judenschule zu Bocholt von 1897. Regierungs- präsident Münster an Oberbürgermeister Bocholt, 8. September 1933. 111 Privatbesitz Josef Niebur. Vermerk über ein am 11. Juni 1993 von Werner Sundermann mit Frau Charlotte Wohl- fahrt geführtes Telefonat. Eventuell wurden die Schulkinder im Haus Bahnhofstraße 16 beschult. Dort wohnte Anna-Maria Loewenstein, die vor ihrem Zuzug nach Bocholt 1921 Lehrerin gewesen war. 112 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; ILBA Israelitische Lehrerbildungsanstalt Würzburg, 1864– 1938, by the Alumni of 1930–38, by Max Ottensoser/Alex Roberg, New York 1975, S. 239. 113 Personenstandsregister, S. 667. 114 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 115 Ebd., SBOH 2 Nr. 388. Synagogenchor. 116 Ebd., ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 12. Februar 1925, Instrumentalverein.

BUCH DER ERINNERUNG | 33 Die israelitische Schule in Bocholt war einklassig, vom 1. bis zum 8. Jahrgang wurden alle Schülerinnen und Schüler in einem Klassenraum unterrichtet, was – zumindest in Dorfschulen – bis weit in das 20. Jahrhundert hinein gang und gäbe war. Manche Schülerinnen und Schüler besuchten die israelitische Schule nur bis zur 4. Klasse und wechselten dann zu weiterführenden Schulen, wie dem Progymnasium (dem heutigen St. Georg-Gymnasium) oder dem Lyzeum (heute: Mariengymnasium). So gehörte Levy Nußbaum ab Oktober 1896 dem Lehrerkollegium des Gymnasiums an117. Ab dem 1. Januar 1897 genehmigte die Stadtverordnetenversammlung „dem jü- dischen Lehrer eine Besoldung von 180 Mk. pro Jahr für Ertheilung des Religionsun- terrichts am Progymnasium.“ Hierfür hatte Levy Nußbaum wöchentlich zwei Stunden Unterricht zu geben118.

Während des Ersten Weltkriegs war Levy Nußbaum Seelsorger der im Kreis Borken in Lazaretten liegenden jüdischen Soldaten. Zusammen mit seiner Frau Rosa engagierte er sich über Religionsgrenzen hinweg in der allgemeinen Wohlfahrtspflege, so u. a. bei Schulspeisungen, die von Textilfirmen jüdischer Inhaber gehalten wurden, wie etwa der Firma Friede.

Auch außerhalb der israelitischen Ge- meinde engagierte sich Levy Nußbaum. Weil er ein guter Redner war, wurde er bei „nationalen Anlässen“, wie z. B. dem Hel- dengedenktag und bei Kaisers Geburtstag, als Sprecher für die jüdische Gemeinschaft herangezogen.

Zusammen mit Prälat Franz Richter, dem Pfarrer von St. Georg, und dem evange- lischen Pfarrer Gustav Quade rief Levy Nußbaum bereits in den zwanziger Jahren in Bocholt Anfänge eines interreligiösen Gespräches ins Leben. Dies konnte – in einer Zeit, in der sowohl in evangelischen als auch katholischen Kirchen von den „treulosen und verdammten Juden“, den Christusmördern, gesprochen wurde – nur Prediger Levy Nußbaum aufgrund der persönlichen Freundschaften spricht zum Helden- von Nußbaum, Richter und Quade geschehen. Die Gespräche zeigten – auch dies gedenktag. muss gesagt werden – wenig Wirkung in die Gläubigen hinein. (StdA B, Zeitungs- In Vertretung seines erkrankten Vaters nahm Alfred Nußbaum am 4. April 1930 an der sammlung, Bocholter Beisetzung von Pfarrer Richter teil119. Volksblatt, 15. März 1927) In welch hohem Ansehen Nußbaum in Bocholt stand, gibt eine Zeitungsnotiz vom 4. September 1932 wieder, in der über Nußbaums Pensionierung berichtet wurde: „[...] Dadurch tritt Herr Nußbaum auch für dieses Amt [des Predigers der Israelitischen Gemeinde] in den Ruhestand, ein Amt, bei dem er sich nicht nur die Liebe und das Vertrauen seiner Gemeindemitglieder, sondern auch großes Ansehen in allen Kreisen der anderen Konfessionen erworben hat.“120

117 Städtisches Gymnasium, S. 137. 118 StdA B, Stadtverordnetenbeschlüsse, 10. Bd. 1896, 26. Juni – 1904, 20. Sept. S. 050, Sitzung vom 6. April 1897. 119 Stadt Bocholt, Allgemeine Verwaltung; Partnerschaften, Ordner: Jüdische Mitbürger. Alfred Nußbaum an Stadt Bocholt vom 9. Mai 1988. 120 StdA B., ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 4. September 1932, Neuer Lehrer und Prediger der jüdischen Gemeinde .

34 | BUCH DER ERINNERUNG Levy Nußbaum öffnete die Synagoge für interessierte, vor allem jugendliche Besucher. Sein Sohn Kurt erinnerte sich: „Er hielt es für sehr wichtig, Andersgläubige über das Judentum aufzuklären, um den vielen Missverständnissen und Vorurteilen vorzubeu- gen, die so unselig zum 2000-jährigen Leiden des jüdischen Volkes beigetragen haben. Er lud Volksschul- und Gymnasialklassen mit deren Lehrern in die Synagoge ein und zeigte ihnen die auf Pergament handgeschriebenen ora-Rollen, die die fünf Bücher Moses‘, den Pentateuch, enthalten.“121 Da zunächst kein Nachfolger zu finden war, war Nußbaum auch nach seiner Pensio- nierung am 31. März 1932 als Lehrer an der israelitischen Schule tätig. Zwei Bewer- ber für Nußbaums Nachfolge hatten wegen der Unsicherheit bei der Weiterführung der Schule abgesagt; außerdem war für 1932 eine Stellensperre verhängt worden. Schließlich wurde Alfred Herz zum Lehrer der israelitischen Schule in Bocholt gewählt und vom Regierungspräsidenten in Münster bestätigt. Herz trat am 1. September 1932 sein neues Amt in Bocholt an. Unter der Überschrift „Neuer Lehrer und Prediger der jüdischen Gemeinde“ berichtete das Bocholter Volksblatt über den Amtswechsel am 4. September 1932: „Nach Ausscheiden des seit 35 Jahren an der jüdischen Schule ange stellten Herrn Lehrer Nußbaum ist jetzt von der Regierung Herr Alfred Herz mit der Verwaltung der Lehrerstelle beauftragt worden.“122 Schon früh hatte Levy Nußbaum vor dem Emporkommen des Nationalsozialismus gewarnt. Bereits 1931 hatte er eine NSDAP-Versammlung in Bocholt besucht. Da- rin war er niedergebrüllt worden, als er sagte: „Ihr habt einen Haken in eurem Kreuz gefunden.“123 In einer Anzeige im Bocholter Volksblatt „Darum keine Unterschrift dem Volksbegehren!“ wandten sich am 28. Oktober 1932 neben den Stadtverordneten Jeanette Wolff und Josef Jakob sowie Oswald Ludwig auch „Levy Nußbaum (Lehrer und Prediger)“ und Ernst Weyl (Fabrikant) gegen ein von der NSDAP forciertes Volks- begehren124. Jetzt aber, Ende Januar 1933, war Hitler, der Leiter der NSDAP, Reichskanzler. Es war eingetreten, wovor Nußbaum jahrelang gewarnt hatte. Am 1. September 1937 zog das Ehepaar Nußbaum nach Köln125, hier musste es die Po- gromnacht erleben. Doch auch aus Bocholt erhielten Rosa und Levy Nußbaum Nach- richt von den Schrecken dieser Nacht126. Die Eheleute Nußbaum hatten bereits eine Einreisegenehmigung in die USA, als sie in der letzten Augustwoche 1939 von Köln aus zu einem Abschiedsbesuch zu ihrer Toch- ter Elli nach Basel in die Schweiz fuhren. Hier wurden sie vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 überrascht. Damit war eine Weiterreise in die USA nicht mehr möglich. Sie blieben deshalb bei ihrer Tochter und deren Familie in Basel. Obwohl Levy Nußbaum Basel von seinem Aufenthalt und dem Studium am Konser- vatorium 1890 gut kannte, sah er sein Dortsein als Verbannung aus seiner geliebten Heimat Bocholt an. Für ihn war sein Lebenswerk, zu Verständnis zwischen Menschen und Religionen in beiderseitiger Toleranz beizutragen, durch den Zweiten Weltkrieg gescheitert. Levy Nußbaum starb am 26. April 1940 in der schweizerischen Grenzstadt und wurde auf dem Friedhof der israelitischen Gemeinde Basel beigesetzt127.

121 Kurt Nußbaum, Mein Vater... in: Städtisches Gymnasium, S. 61. 122 StdA B., ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 4. September 1932, Neuer Lehrer und Prediger der jüdischen Gemeinde . 123 Ebd. 124 Ebd., ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 28. Oktober 1932. Darum keine Unterschrift dem Volksbegehren . 125 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 126 Ebd., 61 K 251 – ohne Titel -, Levy Nußbaum hielt sein Wissen in einem Brief vom 15. Mai 1939 an einen Ver- wandten in den USA fest, vgl. Anhang S. 469. 127 Privatbesitz Josef. Niebur. Niederschrift über ein Gespräch mit Elli Warschawski-Nußbaum am 4. September 1995 in Bocholt.

BUCH DER ERINNERUNG | 35 2.2 Im französischen Kaiserreich und im Königreich Preußen bis 1852

Von 1810 bis 1813 gehörte Bocholt zum Kaiserreich Frankreich, Departement Overijs- sel, kurze Zeit später zum Departement de la Lippe, Arrondissement Rees. Der hier ansässige Unter-Präfekt war während dieser Zeit ergebnislos bemüht, in Bocholt den auf die in der Stadt wohnenden Juden entfallenden Anteil an den Kooperationsschulden einzutreiben128.

1812 wurde Cosman David Cohen in der Gewerbesteuerliste Bocholt als einer von nur zwei Großhändlern genannt, der 1816 bereits 304 Arbeiter an 134 Webstühlen be- schäftigte, womit er der zweitgrößte Arbeitgeber in Bocholt war129.

Von 1813 bis 1815 unterstand die Stadt dem preußischen Zivilgouvernement zwischen Weser und Rhein. 1815 wurde das ehemalige Fürstentum Salm-Salm wie alle anderen vorübergehenden Herrschaften im Bereich des ehemaligen Fürstbistums Münster durch den Wiener Kongress endgültig aufgelöst. Bocholt wurde nun als kreisangehörige Stadt im Kreis Borken der preußischen Provinz Westfalen eingefügt. In Bocholt galt nun auch das preußische Judenedikt vom 11. März 1812. Dadurch wur- den die in Preußen lebenden Juden Inländer und damit preußische Staatsbürger. Somit wurden die in Preußen lebenden Juden nicht mehr als Fremde angesehen und unter- schieden sich rechtlich nicht mehr von den übrigen Untertanen. Das Edikt enthielt aber empfindliche Einschränkungen und war nicht in allen Teilen Preußens gültig, sodass kein gleiches und einheitliches Recht entstand. Das Edikt gewährte Juden Niederlassungsfreiheit, Handelsfreiheit und Gewerbefrei- heit. Sie konnten sich im gesamten preußischen Gebiet frei bewegen und ohne weitere obrigkeitliche Kontrolle Grundbesitz erwerben. Alle Sonderabgaben fielen weg.

Aus Bocholt nahm Levi Isaac, später Levi Spier genannt, an den Befreiungskriegen 1813 – 1815 gegen das französische Heer unter Napoleon Bonaparte teil130. 1839 wurden in Bocholt nach dem Statut des münsterschen Land-Rabbiners Abraham Sutro vom 22. September Moses Frank zum Vorsteher der israelitischen Gemeinde, Sa- lomon Cosman Cohen zum 1. Beigeordneten und Gumpfel Liffmann zum 2. Beigeord- neten gewählt. Zu diesen kamen als kontrollierende Deputierte David Cosman Cohen sowie Gumpfel Wertheim131. Am 10. September 1840 stellte die israelitische Gemeinde eine Ordnung für das Ver- halten in der Synagoge auf 132. Am gleichen Tag unterschrieben die „Deputi[e]rten nah- mens der Israelit[itischen] Gemeinde“ – L. M. Franc, David Cosman Cohen, Salomon Cosman Cohen, G. Salomon Hochheimer, G. Liefmann – die Statuten für die jüdische Gemeinde zu Bocholt133.

Für 1846 wurden die Firmen Spinnerei Salomon Cosman Cohen, Weberei und Fär- berei Levi Moses Frank, Weberei Phillip Liebreich und Färberei M. C. Wertheim genannt134. Ebenso wurden fünf Metzger und mehrere andere Geschäfte genannt, die von Bocholtern jüdischen Glaubens betrieben wurden135.

128 StdA B, 26 K 101, – ohne Titel –, Unter-Präfect an den Herrn Maire zu Bocholt, 10. Mai 1812. 129 Becker, Klemens: Namenverzeichnis für die Gewerbesteuerliste Bocholt vom 31. Juli 1812, in: Unser Bocholt, Heft 2/1952, S. 107. 130 StdA B, SBOH 2 Nr. 1013. [1867]. Protokoll des Bürgermeisters Degener vom 20. März 1867. 131 Ebd., Nr. 993, 1832 – 1864. Bürgermeister [Bocholt] an den Königlichen Landrat [Borken], 5. November 1839 [Entwurf]. 132 Ebd., Nr. 934 – Synagogengemeinde 1840 - 1932, Statuten für die jüdische Gemeinde Bocholt, 10. September 1840. 133 Ebd. 134 Becker, Namenverzeichnis […], in: Unser Bocholt, Heft 2/1952, S. 107. 135 Niebur, S. 69, S. 74.

36 | BUCH DER ERINNERUNG Das am 23. Juli 1847 erlassene Gesetz über die Verhältnisse der Juden regelte die Stel- lung der Juden im Königreich Preußen neu. Das Gesetz gewährte den israelitischen Ge- meinden, deren Grenzen territorial genau festgelegt werden mussten, die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes gleich den beiden großen christlichen Kirchen. Dadurch wurden den israelitischen Gemeinden Hoheitsrechte zugestanden, insbeson- dere der sogenannte Parochialzwang, d. h. die Verpflichtung aller Gemeindemitglie- der, Steuern zu zahlen, erforderlichenfalls mit Zwang von ihnen beizutreiben, sowie eine ordnungsgemäße Verwaltung mit dem Recht, ihre religiösen Angelegenheiten frei zu gestalten und ihre Gemeindebeamten selbst zu bestimmen. So wurde im Statut der Synagogengemeinde Bocholt vom 26. Juni 1856 bestimmt, dass sie Gemeindebeamte – Lehrer, Vorsänger und Küster – einstellen konnte.

Zugleich verpflichtete das Gesetz die israelitischen Gemeinden, den Kindern Religions- unterricht zu erteilen. Außerdem regelte das Statut detailliert den Ablauf der Wahlen zur Repräsentantenversammlung, dem in Bocholt nach der Gemeindegröße neun- köpfigen Gemeindeparlament: Die königliche Regierung, in ihrer Rechtsnachfolge ab 1919 der Regierungspräsident in Münster, ordnete diese Wahl bei Ablauf der Wahlperiode an. Der königliche Landrat in Borken, ab 1919 Landrat, war bis 1922 Wahlbehörde. Er beantragte vor Ablauf der Wahlperiode oder wenn ein Mitglied vorzeitig ausschied, die Anordnung zur Zuwahl für die Repräsentantenversammlung. Zugleich schlug er einen Beamten der Stadtver- waltung Bocholt als Wahlkommissar vor. Zumeist handelte es sich um den stellvertre- tenden Bürgermeister – bis 1921 Dr. Johannes Alff – ab 1922 sein Nachfolger Brockhoff bzw. der Beigeordnete Kaut. Ab 1922, als Bocholt kreisfrei wurde, war der Oberbürger- meister Wahlbehörde. Der Regierungspräsident verfügte dann die Wahl und setzte eine Frist aus, bis zu der ihm deren Durchführung zu melden war. Der Wahlkommissar hatte nach Vorgabe des Regierungspräsidenten den Wahltermin anzusetzen und die Wähler- liste aller stimmberechtigten und zum Gemeindeetat beitragenden Juden, die mit der Zahlung der Gemeindeabgaben nicht in Rückstand waren oder unter Vormundschaft standen, auszufertigen. Wahlberechtigt und wählbar waren alle jüdischen Männer über 25 Jahre. Da sich die israelitische Gemeinde Bocholt auch über die politischen Gemein- den Anholt, Dingden und Rhede erstreckte, waren an die dortigen Amtsverwaltungen entsprechende Anfragen zu richten. Ebenso war die israelitische Gemeinde nach Juden zu befragen, die mit der Zahlung der Abgaben in den letzten 3 Jahren in Rückstand geraten waren. Diese verloren das aktive Wahlrecht. Die Wählerliste war dann für 14 Tage in der Synagoge auszulegen. Dies wurde der Gemeinde durch den Prediger während des „Hauptgottesdienstes“ mitgeteilt. Der Wahlkommissar lud durch den Stadtboten die Wahlberechtigten zum Wahltag in das Verwaltungsgebäude an der Ravardistraße ein. Er ernannte aus dem Kreis der Wahl- berechtigten zwei Beisitzer. Die Wahlhandlung wurde zumeist auf einen Dienstag um 12 Uhr mittags angesetzt. Für jedes neu zu besetzende Amt fand ein gesonderter Wahl- gang statt. Das Wahlergebnis wurde der Königlichen Regierung Münster, ab 1919 dem Regie- rungspräsidenten, mitgeteilt und musste durch ihn bestätigt werden. Danach hatte der Wahlkommissar die Gewählten durch Handschlag zu vereidigen nach den Bestimmun- gen der §§ 38 – 41 des Gesetzes vom 23. Juli 1847 und des Statutes der Synagogen- gemeinde.

BUCH DER ERINNERUNG | 37 Die Repräsentantenversammlung wählte aus ihren Reihen den nach der Größe der Bo- cholter Gemeinde dreiköpfigen Gemeindevorstand. Dieser wählte dann für sich den Vorsitzenden – in Bocholt auch Präses genannt – und dessen Stellvertreter. Der Ge- meindevorstand, namentlich ihr Vorsitzender, leitete die Geschäfte der Gemeinde und vertrat sie nach außen. Das Gesetz vom 23. Juli 1847 bestimmte auch, dass Juden überall in Preußen, ab 1871 im gesamten Deutschen Reich, leben durften. Das Rendantenamt der israelitischen Ge- meinde Bocholt übten nebenamtlich Angestellte bzw. Beamte der Stadtverwaltung aus. Der letzte Rendant war der städtische Obersekretär Richard Wiedemann aus der Frie- denstraße.

3. Die israelitische Gemeinde Bocholt 1853 – 1932

Am 30. April 1853 bestätigte die königliche Regierung Münster die am 13. Dezember 1847 durch die Juden in Bocholt und Borken nach dem Gesetz vom 23. Juli 1847 ge- fällten Beschlüsse zur Trennung in zwei selbstständige israelitische Gemeinden. Zur Israelitischen Gemeinde Bocholt gehörten auch die Juden aus Anholt und Rhede und die in Dingden und Werth wohnenden Juden.

Kurz nach Festschreibung der Grenzen der Israelitischen Gemeinde Bocholt durch die Königliche Regierung Münster am 13. Juni 1853 stellte die Gemeinde auf Anforderung des Oberpräsidenten in Münster Statuten auf.

Statut für die Synagogen- Gemeinde Bochold [sic]  AUSZUG 

Abschnitt I – Synagogengemeinde und Grenzen § 1 Der vorgedachte Synagogen-Bezirk umfaßt nach Geneh- Statut für die migung der hoch- Synagogen-Gemeinde löblichen Regierung Bochold [sic vom a. die Stadt Bochold [sic], 26. Juni 1856, (1. Seite). b. die Ortschaften (StdA B, SBOH 2 Anholt Nr. 994) Werth Liedern Dingden Rhede […] Abschnitt II – Repräsentanten § 5 Die Anzahl der Repräsentanten wurde auf neun und die Zahl der Stellvertreter auf vier bestimmt.[…]

38 | BUCH DER ERINNERUNG Abschnitt III – Der Vorstand § 14 Der Gemeinde-Vorstand besteht aus drei Mitgliedern, welche Vor- steher heißen, und aus zwei Stellvertretern, welche bei Verhinderung eines Vorstandsmitgliedes nach Maßgaabe [sic] der bei der Wahl gehabten Stimmenzahl einberufen werden. Beim gänzlichen Aus- scheiden eines Vorstands-Mitgliedes tritt der Stellvertreter auf so lange Zeit ein, als der Ausgeschiedene noch im Amte gewesen sein würde.

§ 15 Der Vorstand wählt unter sich einen Präses auf drei Jahre. Derselbe hat die Geschäftsleitung, er erbricht und präsentiert alle an die Syna- gogengemeinde eingehenden Schreiben und bearbeitet sie entweder selbst oder überträgt die Bearbeitung einzelnen Vorstandsmitgliedern, er bereitet die erforderlichen Sitzungen vor und sorgt für Aufrechter- haltung der Ordnung in derselben. […]

Abschnitt IV – Von den Geschäftsverhältnissen des Vorstandes und der Repräsentanten-Versammlung § 18 Die Veranlassung zur Abfassung eines Beschlusses in Gemeinde-An- gelegenheiten kann sowohl vom Vorstand als von den Repräsentanten ausgehen. Auch die vorgesetzte Behörde kann eine Beschlußfassung über Gemeinde-Angelegenheiten anordnen. […]

§ 20 Die das Cultus-Wesen betreffenden inneren Einrichtungen – § 51 des Cultuswesen Gesetzes – werden in gemeinschaftlichen Versammlungen des Vor- standes und der Repräsentanten berathen. Die Beschlußfassung findet demnächst besonders statt. Kommt eine Vereinigung nicht zustande, so gebührt die Entscheidung der Synagogen-Gemeinde. Von den gefaßten Beschlüssen ist der Königlichen Regierung vor der Ausführung Kennt- niß zu geben. […]

Abschnitt VI – Von dem Gemeindebedarf und dem Abgabenwesen § 26 Die Kosten des Kultus und der übrigen Bedürfnisse der Synagogen- Gemeinde werden durch einen auf sechs Jahre angelegten, von der Königlichen Regierung zu genehmigenden Etat festgesetzt und auf die einzelnen Mitglieder der Gemeinde nach der Klassen- resp. Einkom- menssteuer festgesetzt. [Es dienen hierbei die Staatssteuerlisten als Grundlage.136] Nachdem von dem Vorstande und den Repräsentanten ermittelt worden [ist], welche Kostensumme zur Bestreitung sämtlicher Bedürfnisse während der Etats-Periode von Jahr zu Jahr erforderlich ist, wird darüber eine Heberolle gefertigt, und solche von der Königlichen Regierung für executorisch erklärt, worauf die einzelnen Beiträge für das betreffende Jahr von den einzelnen Leistungspflichtigen[,] gleich [den] Staatssteuern[,] im Verwaltungswege eingezogen werden. § 27 Die Heberolle muß während 3er Wochen zur Einsicht der beitragenden Gemeinde-Mitglieder in einem denselben bekannt zu machenden Lo- kale ausgelegt werden. […]

136 StdA B, SBOH Nr. 2, Nr. 934. Judengemeinde 1840–1932. Oberpräsidium von Westfalen, Münster, Genehmigungs- vermerk vom 4. August 1856.

BUCH DER ERINNERUNG | 39 Abschnitt VII – Von dem Unterrichtswesen § 28 Durch übereinstimmenden Beschluß des Vorstandes und der Repräsen- tanten können die Bedürfnisse für die innerhalb der Gemeinden beste- henden Privatschulen in den Etat aufgenommen und gleich den übrigen Abgaben im Verwaltungswege beigetrieben werden. Es können jedoch mit Rücksicht auf § 60 und 61 des Gesetzes zu diesen Beiträgen nur diejenigen Mitglieder herangezogen werden, welche die jüdische Privat- Schule für ihre Kinder wirklich benutzen, [es] steht diesen jeder Zeit frei, sich der Beitragspflicht durch Austritt aus der Schulgesellschaft zu entziehen.

Abschnitt VIII – Von der Anstellung und Wahl der Kultusbeamten § 29 Die Gemeinde stellt folgende Cultus-Beamten an: 1) Lehrer 2) einen Vorsänger 3) einen Küster. Die beiden ersten Funktionen können durch ein und dieselbe Person vertreten werden. […]

Abschnitt IX – Von den im Synagogen-Bezirk bestehenden Untergemeinden § 31 Es bestehen innerhalb des Synagogen-Bezirks Untergemeinden zu An- holt, Dingden, Rhede, Liedern[137] und Werth, zu welchen die in diesen Ortschaften wohnenden jüdischen Bewohner gewiesen sind. [...]138

Das Statut wurde am 26. Juni 1856 von den Mitgliedern des Vorstands – Aron Berla, H. A. Cohen und Phillip Liebreich – sowie den Repräsentanten – Salomon Cosman Cohen, S. Spier, G. Hochheimer, P. Wertheim, G. S. Cohen, B. Löwenstein, M. Steinweg, M. A. Leifmann – unterzeichnet, ebenfalls unterschrieb J. M. Cohen als stellvertreten- der Repräsentant. Der Oberpräsident von Westfalen genehmigte das Statut am 4. August 1856139.

Eine Liste der Bocholter jüdischen Glaubens war, wie von der Genehmigungsbehörde verlangt, dem Schreiben an den Oberpräsidenten von Westfalen als Anlage beigefügt.

Im Jahr 1856 lebten 25 jüdische Männer mit ihren Familien in Bocholt140: Name und Vorname Alter Wohnort Gewerbe Samuel, Jacob 57 Bocholt Metzger Spier, Samuel 37 Bocholt Metzger Liefmann, Spier 36 Bocholt Händler Frank, Isaack 33 Bocholt Kaufmann Spier, Bernhard 55 [Bocholt] Metzger Liefmann, Gumpfel 66 [Bocholt] s. o. Liebreich, Phil 27 [Bocholt] Kaufmann Samuel, Isaack 25 [Bocholt] desgl. Frank, Levie 75 [Bocholt] desgl. Cosmann Cohen 48 [Bocholt] desgl.

137 In der Bauernschaft Liedern, die Teil der Amtsverwaltung Liedern-Werth war, wohnten niemals Juden. 138 StdA B, SBOH 2, Nr. 934 Synagogengemeinde 1840–1932. Statut für die Synagogen-Gemeinde Bochold [sic] vom 13. Juni 1853. 139 Ebd., Genehmigungsvermerk des Oberpräsidenten Münster vom 4. August 1856. 140 Ebd., Liste vom 7. Juni 1856.

40 | BUCH DER ERINNERUNG Weinholt, Phil. 25 [Bocholt] desgl. Fuldauer, Levi 24 ? Bendix, Moises 52 Bocholt Gerber Liefmann, Cohen 35 - Händler Berla, Aron 26 [Bocholt] Kappenmacher Lorch, Salomon 49 [Bocholt] Metzger Spier, Phil[ipp] 27 [Bocholt] desgl. Wolf, Abraham 28 [Bocholt] Lehrer Wertheim, Gumpf 47 [Bocholt] Metzger Hochheimer, Moses 47 [Bocholt] desgl. Spier, Jacob 45 [Bocholt] desgl. Gumpfel, H. 62 [Bocholt] Partikulier Cohen, Heymann 34 [Bocholt] Metzger Wertheim, Phil[ipp] 46 [Bocholt] desgl. Gumpfel, Cohen 48 [Bocholt] desgl.

Am 15. August 1886 wurde die alte Synagogenordnung vom 10. September 1840 in ge- meinsamer Sitzung von Vorstand und Repräsentantenversammlung geändert141.

Der israelitische Männerverein Chewra Kadischa, Bocholt

Bereits im Jahre 1802142 wurde „unter den Einwohnern der hiesigen jüdischen Ge- meinde [ein] Verein, genannt ‚Chewra kadischo sehel gemihlas Chasodim wetalmud ora’“ gegründet. Er war eine israelitische Beerdigungs- und Krankenpflegebruder- schaft in Bocholt. Dieser Männerverein existierte mindestens noch 1826143. Er hatte die Aufgaben: „1. die ihm zugehenden Spenden an Arme unter besonderer Berücksichtigung der Kranken zu verteilen 2. regelmäßige Versammlungen zu gottesdienstlichen Vorträgen zu halten und 3. die Krankenpflege zu organisieren.“ 144 Dieser Chewra Kadischa löste sich vor 1859 auf, denn er war „ ... im Laufe der Zeit nicht allein von seinem eigentlichen Zwecke gar weit entfernt, sondern es wurden auch seine Bestimmungen der Mehrzahl nach nicht mehr aufrecht gehalten.“ (Statut vom 1. Juli 1859145) Der israelitische Männerverein in Bocholt gründete sich erneut 1859. Die Mitglieder pflegten die Kranken der Gemeinde, standen ihnen beim Sterben bei und sorgten für die rituelle Waschung der Leiche sowie die Beerdigung. So hatte Chewra Kadischa ein kostenloses Grab auf dem israelitischen Friedhof zur Verfügung zu stellen146.

141 Ebd., SBOH 2 Nr. 1001, 1871–1924 – Cultusbedürfnisse der Synagogengemeinde -, Synagogenordnung für die Isra- elitische Gemeinde zu Bocholt vom 15. August 1886. Die Synagogenordnung war vorher schon am 15. September 1865 abgeändert worden. 142 Centrum Judaicum Berlin, Bestand 1,75A Bo 1 Bocholt. Sally Wolff – Lederlager an Herrn I. Süssmann, Berlin, 14.10.1912. Im Protokollbuch der Chewra Kadischa, das 1826 beginnt und 1912 noch existierte, wird 1802 als Gündungsjahr genannt. 143 StdA B, SBOH 2 Nr. 389, Israelitischer Männerverein. Statuten vom 25. März 1894. 144 Ebd. 145 Ebd. 146 Centrum Judaicum Berlin, Bestand 1,75A Bo 1 Bocholt. Sally Wolff – Lederlager an Herrn I. Süssmann, Berlin, 14.10.1912.

BUCH DER ERINNERUNG | 41 Im Wiedergründungsvorstand waren Gumpfel Hochheimer und Salomon Benjamin147. 1894 waren Heimann Ostberg und Jacob Silberschmidt Vorstandsmitglieder148. 1912 war der Kaufmann Sally Wolff Vorsitzender des Bocholter Chewra Kadischa149. 1932 war Julius Silberschmidt Vorsitzender des 60 Mitglieder umfassenden Vereins, während Sally Wolff weiterhin der Ansprechpartner für Chewra Kadischa war150. Der israelitische Männerverein Bocholt wurde 1938 verboten und aus dem Vereins- register beim Amtsgericht Bocholt gelöscht151.

„Verzeichnis der zum 1. A. Berla hiesigen israel. Männer- 2. Gumpfel Cohen Verein gehörenden 3. E. Braunschweig Mitglieder von 1894 4. M. Braunschweig 5. Levi Cohen 6. Cosman Cohen 7. I. Magnus 8. Emil Cohen 9. Abr. Cohen 10. Z. David 11. S. B. Löwenstein 12. Phil. Löwenstein 13. Phil. Liebreich 14. Sam. Spier 15. I. Spier 16. I.Weyl 17. G. Silberschmidt 18. A. Wertheim 19. Herm. Ostberg 20. S. Weyl 21. I. Hochheimer 22. Louis Ostberg 23. Marc. Löwenstein 24. Heim. Ostberg 25. D. Friede 26. Jacob Silberschmidt 27. Moses Heimann Cohen I 28. B. Stern 29. Jacob Meyer 30. Abr. Weyl 31. Meyersohn Statut des israeli- 32. Al. Hochheimer tischen Männer- 33. Sam. Löwenstein vereins Bocholt vom 34. Alb. Heymann 25. März 1894 35. Gust. Heymann (1. Seite). 36. Albersheim (StdA B, SBOH 2 Nr. 389) 147 StdA B , SBOH 2 Nr. 389, Israelitischer Männerverein. Statuten des israelitischen Männer-Vereins zu Bocholt vom 25. März 1894. 148 Ebd. 149 Centrum Judaicum Berlin, Bestand 1,75A Bo 1 Bocholt. Sally Wolff – Lederlager an Herrn I. Süssmann, Berlin, 14.10.1912;. 150 Handbuch 1924/25, S. 56. 151 Amtsgericht Bocholt, 28. Oktober 2003. Die Akte aus dem Vereinsregister wurde nach Ablauf der Aufbewahrungs- frist vernichtet.

42 | BUCH DER ERINNERUNG 37. Aaron Löwenstein 38. Adolf Löwenstein 39. Gustav Gompertz 40. Moses Heimann Cohen II 41. M. Liebreich 42. M. Weinholt 43. M. Sander 44. Dan. Poppers 45. H. Sander in Werth 46. I. Plaat in Dingden 47. S. Plaat das. 48. Humberg[,] das. 49. Abraham Cleffmann[,] Rhede 50. H. Löwenstein[,] das.“152

Wirtschaftlicher Hilfsverein Esrass K’fufim e.V. (Hilfe der Schwachen), Sitz Bocholt

Unter maßgeblicher Mitarbeit des israelitischen Lehrers in Bocholt, Isaac Spier, und mit Unterstützung vieler Bocholter Juden wurde am 16. Februar 1890 in Wesel der Hilfs verein Esrass K’fufim e. V. (Hilfe der Schwachen) mit Sitz in Bocholt gegründet. Die Mitglieder kamen zunächst aus 13 israelitischen Gemeinden im Münsterland und am unteren Niederrhein, später auch aus Regionen darüber hinaus und aus den Nie- derlanden153.

Der Hilfsverein hatte die Aufgabe, „mittellose oder in ihren Vermögens-Verhältnis- sen zurückgegangene Glaubensgenossen wieder erwerbsfähig zu machen und zu erhalten.“154 Ab 1901 konnte der Verein aus den Zinsen des Kapitals auch „unbemit- telte Bräute“ und andere Bedürftige unterstützen sowie Erziehungskosten für „geistig zurückgebliebene Knaben“ übernehmen. Der Verein hatte damals 265 Mitglieder155. 1909 bestand der Vereinsbezirk aus den Städten Bocholt, Borken, Kleve, Dinslaken, Emmerich, Geldern, Haltern, Rees, Wesel, Ober- hausen, Sterkrade, Meiderich, Ruhrort, Mühlheim an der Ruhr, Kalkar und Gelsenkirchen156.

Gründungsvorsitzender des Hilfsvereins war der Nachruf von Vorstand israelitische Lehrer in Bocholt, Issac Spier, der 157 und Ortsgruppenvor- den Vorsitz bis in die 1910er Jahre wahrnahm . steher des Hilfsvereins Sein Nachfolger wurde der Fabrikbesitzer Emil Esrass K‘fufim für ihren 158 Cohen . Vor 1924 wurde der Vorsitzende der is- Mitgründer Abraham raelitischen Gemeinde, Louis Ostberg, auch Vor- Weyl. sitzender des Hilfsvereins159. (Israelitisches Familien- blatt, 3. Mai 1911 )

152 StdA B, SBOH 2 Nr. 389, Israelitischer Männerverein. Verzeichniß [sic] der zum hiesigen israel. Männer-Verein gehörenden Mitglieder. 153 Centrum Judaicum, Bestand 1,75A Bo 1 Bocholt. 21. Jahresbericht, 1910. 154 StdA B, SBOH 2 Nr. 389, Israelitischer Männerverein. Statut von Esrass K‘ fufim vom 16. Februar 1890. 155 Centrum Judaicum, Bestand 1,75A Bo 1 Bocholt. Statut vom 24. Februar 1901. 156 Ebd., Statut des Vereins von 1909. 157 Ebd., Jahresbericht von 1912. 158 Einwohnerbuch der Stadt Bocholt, Ausgabe 1922, Betzdorf 1922, S. 29. 159 Einwohnerbuch der Stadt Bocholt, Ausgabe 1929, Betzdorf 1929, S. 32.

BUCH DER ERINNERUNG | 43 Der Hilfsverein Esrass K’fufim bestand als „Hilfsverein und Verein zur Unterstützung Hilfsbedürftiger“ noch 1935 mit der Anschrift in Dingden160.

Im Jahre 1892 gab es in der israelitischen Gemeinde in Bocholt 5 Fabrikanten, 11 Händ- lerinnen und Händler, 17 Kaufleute, 1 Lehrer, 4 Handwerker, 6 Metzger sowie einen Weber. Für sechs Personen war in der Hebeliste angegeben, dass sie Rente bezogen; ebenso gab es 5 Witwen161.

Im Stadtplan 1897 waren folgende Firmen mit jüdischen Eigentümern aufgeführt: die mechanischen Webereien Cosman Cohen & Co., Dietmar Friede, Geisel & Elsberg, Al- bert Heymann & Co., Alex Hochheimer & Co., Aron Löwenstein, Hermann Rosenberg, Stern & Löwenstein und Gebrüder Weyl, die Baumwollspinnerei und Weberei S. A. Weyl & Sohn, Lohgerberei Moritz Cohen jr., die mechanische Weberei und Färberei Gebrüder Braunschweig sowie die Putzwollfabrik Meier Ostberg.

Juden in der Stadtverordnetenversammlung während der Kaiserzeit

In der Zeit des Kaiserreiches – also bis 1918/19 – galt das sogenannte Dreiklassenwahl- recht. Hier wurden die Wähler in den Gemeinden gemäß dem erbrachten Aufkom- men direkter Steuern in drei Klassen unterteilt. Die erste Klasse bildeten die Höchst- besteuerten, die das erste Drittel der Steuersumme aufbrachten. Der zweiten Klasse gehörten die Bezieher mittlerer und kleiner Einkommen an, die das zweite Steuerdrit- tel aufbrachten. Der dritten Klasse wurden alle diejenigen zugerechnet, die mit ihren geringen Einkommen das letzte Drittel aufbrachten oder sogar ohne Steuerpflicht waren. Jede Klasse wählte die gleiche Zahl an Abgeordneten.

Der erste Bocholter Stadtverordnete jüdischen Glaubens war in der Wahlklasse 1 der Kaufmann Abraham Weyl. Er gehörte dem Stadtparlament seit der Sitzung vom 7. Januar 1896162 an und wurde Ende 1911 letztmalig unter den Stadtverordneten genannt163. Am 27. Februar 1896 wurde er als Mitglied der Kommission für die Aa- Regulierung164 und der Rechnungskommission165 gewählt. Für die Jahre 1898 bis 1911 gehörte er weiter hin dieser Kommission an, außerdem war er ab dem 4. Januar 1898 mit wenigen Unterbrechungen Stellvertreter des Schriftführers166, letztmalig für das Jahr 1911167. Für das Jahr 1903 gehörte Abraham Weyl der Kommission zur Verwal- tung der Gasanstalt168, 1906 der Kommission zur Vorbereitung der Wahl eines Beige- ordneten an169. 1901 bis 1911 war er in der Mitrevision der Sparkasse tätig170, ebenfalls 1911 war er Beisitzer für die Stadtverordnetenwahl. Abraham Weyl starb am 3. Mai 1911 in Bocholt.

160 Einwohnerbuch für die Stadt Bocholt im Anhang Kreis Borken, Ausgabe 1937, Hösel, S. 5. 161 StdA B SBOH 2 Nr. 1001. 1871–1924 Cultusbedürfnisse der Synagogengemeinde. Hebeliste der von den Mitglie- dern der Synagogen-Gemeinde Bocholt für das Etatjahr 1892/93 vom 1. Juli 1892 bis zum 1. Juli [sic] 1893 aufzu- bringenden Beiträge zum Defizit der Synagogen-Kasse nach Verhältniß der Einkommenssteuer festgesetzt. 162 Ebd., Amtsbücher Nr. 3, Stadtverordnetenbeschlüsse, 10. Bd. 1896, 26. Juni – 1904, 20. Sept., S. 212. 163 Ebd., 12. Bd. 1911 – 1915 S. 46. 164 Ebd., 10. Bd. 1896, 26. Juni – 1904, 20. Sept., S. 217 Rs. 165 Ebd. 166 Ebd. 167 Ebd., 12. Bd. 1911–1915, S. 6. 168 Ebd., 10. Bd. 1896, 26. Juni – 1904, 20. Sept., S. 282. 169 Ebd., 11. Bd, 1904–1910, S. 69. 170 Ebd., S. 192.

44 | BUCH DER ERINNERUNG Bei der 11. Sitzung des Stadtparlamentes am 19. Oktober 1911 wurde die Wahl des Fabrikanten Hugo Weyl als Beisitzer zur Stadtverordnetenwahl in der II. Abteilung bestätigt171. Ebenfalls als Beisitzer wurden am 10. November 1911 „[...] für die Stadtver- ordneten-Wahlen noch bestimmt: Kaufmann Paul Scholten, Fabrikant Max Herding, Fabrikant Ernst Weyl.“172. In dieser Sitzung wurde unter Punkt „XI. Vermächtnis des verstorbenen Herrn Aron Berla“ sein „Legat von 1000 M. für die Armen der Stadt Bocholt […] dankend angenommen.“173

Am längsten von den Bocholtern jüdischen Glaubens – nämlich 19 Jahre lang, vom 14. Januar 1908 bis zum 4. August 1927 – gehörte der Kaufmann und Fabrikbesitzer Emil Cohen (1864 – 1932) der Stadtverordnetenversammlung an. Von 1908 bis März 1919 wurde er in der Wahlklasse 1 gewählt.

Zu Beginn der Sitzung am 14. Januar 1908 wurden alle Stadtverordneten wie auch Co- hen „[…] durch Handschlag an Eides statt verpflichtet und in ihr Amt […] eingeführt.”174 Bei der Sitzung am 19. Januar 1909 wurde er in die Rechnungskommission175 gewählt. Diese Mitgliedschaft hatte er bis 1919 inne176.

Am 12. Dezember 1911 wurde Emil Cohen für die Zeit vom 1. Dezember 1911 bis 31. Dezember 1914 in den Ausschuss für Gewerbeförderung gewählt177. Zusammen mit dem Bürgermeister und dem Stadtverordneten Marx wurde Cohen als Vertreter der Stadt beim westfälischen Städtetag bestimmt178. Am 7. Januar 1913 wurde er Mit- glied im Gaswerke- und Konzessionierungsausschuss179, am 4. November 1913 „für die Wahlperiode 1. April 1913 bis dahin 1915“ in diesen Ausschuss wiedergewählt180. Am 21. April 1913 wählte man Cohen in den Vorstand der Fortbildungsschule181. Am 13. Januar 1914 wurde er in den Bauausschuss gewählt182, dem er bis 1919 angehörte. Am 1. Februar 1916 wurde Cohen erneut in den Gaswerke- und Konzessionierungs- ausschuss für die Wahlperiode bis zum 1. April 1917183 gewählt.

Der Fabrikant Max Liebreich wurde nach erfolgter Wahl zum Stadtverordneten in der Wahlklasse 1 am 9. Januar 1912 auf sein neues Amt „durch Handschlag verpflichtet184, am 7. Januar 1913 wurde er in die Rechnungskommission gewählt. In diese Kommission wurde er alljährlich, zuletzt am 4. Januar 1919185, wiedergewählt. In der Sitzung vom 21. April 1913 entsandte ihn die Stadtverordnetenversammlung erstmals für drei Jahre in den Schulvorstand der kaufmännischen Fortbildungsschule186. Max Liebreich nahm am 4. Januar 1919 letztmalig an einer Sitzung der Stadtverordnetenversammlung teil187. Im Nachruf der „Stadtverwaltung und Stadtvertretung“ vom 8. Mai 1928 schrieb Oberbürgermeister Dr. Otto Schmitz: „[…] Vom Jahre 1912 bis 1919 Stadtverordneter wirkte der Verstorbene zugleich als Mitglied der Rechnungskommission und in ver-

171 Ebd., 12. Bd. 1911–1915, S. 35 Rs. 172 Ebd. 173 Ebd., S. 44. 174 StdA B, Amtsbücher Nr. 3, Stadtverordnetenbeschlüsse 11. Bd. 1904, 4. Okt. 1910, S. 143. 175 Ebd., S. 192. 176 StdA B, Amtsbücher Nr. 3, Stadtverordnetenbeschlüsse 15. Bd. 1924–1928, S. 170. 177 Ebd., S. 46. 178 Ebd., S. 34. 179 Ebd. 180 StdA B, Amtsbücher Nr. 3, Stadtverordnetenbeschlüsse 12. Bd. 1911–1915, S. 176 Rs. 181 Ebd., S. 158. 182 Ebd., S. 242. 183 StdA B, Amtsbücher Nr. 3, Stadtverordnetenbeschlüsse 12. Bd. 1916–1920, S. 005. 184 Ebd., S. 57. 185 Ebd., S. 196. 186 Ebd., S. 158. 187 Ebd., S. 196.

BUCH DER ERINNERUNG | 45 schiedenen Ausschüssen. In ernster Mittrauer beklagen wir den Tod dieses [Mannes], der aus reichem Schatze von Erfahrungen schöpfend, seine Kräfte dem Gemeinwohl widmete und sich bei seiner zuvorkommenden Wesensart allgemeiner Beliebtheit er- freute. […]“188 In der Sitzung vom 22. Mai 1928 gedachte vor „Eintritt in die Tagesordnung [...] der Vorsitzende [Oberbürgermeister Dr. Otto Schmitz] in ehrenden Worten […] des ver- storbenen ehemaligen Stadtverordneten Liebreich […]. Die Versammlung ehrte die Verstorbenen durch Erheben von den Sitzen.“189

Bei den Sitzungen vom 19. Oktober 1915 und 27. September 1918 wurde der langjäh- rige Vorsitzende der israelitischen Gemeinde Bocholt, Louis Ostberg190, zum Beisitzer für die Stadtverordnetenwahlen in der 3. Abteilung bestimmt191. Daneben wurde er bei den Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung am 28. Januar 1919 zum Wahlvorsteher des Wahlbezirks III (Kreuzbergschule)192. Ebenso war der frühere Stadtverordnete Max Liebreich Wahlvorsteher193. Bei den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung 1919 trat Sigismund Weyl auf der Liste der Deutschen Demokratischen Partei an. Er wurde jedoch nicht gewählt194.

Einem „Lexicon sämtlicher jüdischer Gemeinden Deutschlands“ von 1884 ist zu ent- nehmen, dass es in Bocholt unter 8534 Einwohnern 152 jüdischer Religion gab. In der Synagoge wurde der Gottesdienst vom einem Cantor nach „altem“ Ritus gehalten. Mar- cus und Salomon Löwenstein boten für Durchreisende gegen Bezahlung koscheres Es- sen an195.

3.1. Antisemitismus in Bocholt Nach dem angeblichen Ritualmord in Xanten 1892196 wurde auch in Bocholt der immer unterschwellig vorhandene und von Neid gespeiste Antisemitismus verstärkt spürbar. In Xanten war der Schächter der dortigen jüdischen Gemeinde Adolf Wolff Buschoff zu Unrecht des Mordes an einem Kind beschuldigt worden. Erst die Verhandlung vor dem Landgericht in Kleve konnte die Unschuld von Buschoff vollständig feststellen.

Else Bamberger, die Enkelin des damaligen Vorsitzenden der israelitischen Gemeinde Bocholt Cosman Cohen, berichtete von einer Familienüberlieferung zu ihrem Groß- vater aus dieser Zeit: „[Er] hatte [...] eine große Enttäuschung erlebt: Er hatte jahrelang nach der wöchentlichen Arbeit als einziger Jude einen Stammtisch in einem Restaurant am Marktplatz mit den grössten christlichen Fabrikanten. […] Eines Tages schlug er dem ‚Stammtisch’ vor, ein eigenes Casino in Bocholt aufzumachen, damit die Frauen u[nd] die Jugend auch Abwechslung mit Tennis u. Kegelbahn, Tanz und eater hät- ten. Alle fanden das eine gute Idee u[nd] nun sollten ‚Statuten’, also Regeln zur Mit- gliedschaft, gemacht werden. Einer der Herren hatte das unternommen, u[nd] alles in Gedichtform gemacht, das damit endete: ,der Jude und das Schwein, die kommen hier nicht rein[…]‘ Damit war der Stammtisch für Cosman C[ohen] beendet“197.

188 Ebd., ZSlg. Bocholter Volksblatt vom 8. Mai 1928, Nachruf auf Max Liebreich. 189 StdA B, Amtsbücher Nr. 3, Stadtverordnetenbeschlüsse 15. Bd. 1924–1928, S. 207. 190 Vgl. Biogramm, S. 342. 191 StdA B, Amtsbücher Nr. 3, Stadtverordnetenbeschlüsse 15. Bd. 1924–1928, S. 13, S. 170. 192 Ebd., ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 21. Januar 1919. Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung am 28. Ja- nuar 1919. 193 Ebd., 19. Januar 1919. 194 Ebd., Bocholter Volksblatt vom 28. Februar 1919, Liste der DDP. 195 Heidingsfelder, B.: Allgemeines Lexicon sa mmtlicher ju dischen Gemeinden Deutschlands nebst statistischen und historischen Angaben, sowie Mittheilungen der jüdischen Hotels, öffentlichen und Privat-Restaurants zum Ge- brauche für Behörden, Gemeindevorstände, Reisende, Gewerbetreibende, etc., Frankfurt, 1884, S. 17. 196 Privatbesitz Josef Niebur. Kurt Nussbaum s. A. Ein Schulausflug nach Xanten, o. O., o. J. (englisch). 197 Ebd., Else Bamberger an Edith Magnus, 25. Juli 1988.

46 | BUCH DER ERINNERUNG Nach vielen Jahren der Vorbereitung und Planung konnte am 20. August 1898 das jü- dische Gemeindehaus mit zwei Klassenräumen (von denen nur einer benutzt wurde), einem Gemeindesaal und der Lehrerwohnung am Nordwall 26 bezogen werden198. Das ehemalige Schulgebäude an der Nobelstraße wurde zunächst noch als Wohnhaus benutzt und erst Anfang 1904 abgebrochen. Danach war, wie das Bocholter Volksblatt schrieb, „in der Nobelstraße die mehrere Meter hinter der Straßenfl uchtlinie liegende Synagoge der hiesigen jüdischen Gemeinde freigelegt.“199 1902 wurde das Statut der is- raelitischen Gemeinde geändert und u. a. an die neuen gesetzlichen Vorschriften ange- passt200.

1905 wohnten in Bocholt unter 21278 Einwohnern 285 Bocholterinnen und Bocholter jüdischen Glaubens201. Damit war mit mehr als 1,4 % der Gesamtbevölkerung die höchste Prozentzahl von Juden erreicht, die je in Bocholt wohnten.

Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, Ortsgruppe Bocholt202 Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens wurde am 26. März 1893 in Berlin gegründet. Er trat für Bürgerrechte der Deutschen jü- dischen Glaubens und ihre gesell- schaftliche Gleichstellung ein, die trotz der seit 1850 in der Verfas- sung festgeschriebenen gesetzlichen Vorschriften im alltäglichen Leben noch immer nicht erfolgt war.

In Bocholt wurde 1908 eine Orts- gruppe des Centralvereins gegrün- det203. Die Grün dung war eventuell eine Reaktion auf die Klage des Ge- meindevorsitzenden Iwan Magnus über die Benachteiligung der Juden in Bocholt. Er beschwerte sich in der C.V.-Verbandszeitschrift „Im (C.V. Verbandszeit- deutschen Reich“ von Februar 1907 darüber, dass „das Amt eines Schöff en in hiesiger schrift „Im deutschen 204 Stadt [den Juden] scheinbar ganz verschlossen blieb.“ Reich“ von Februar 1907) Im Januar 1911 wurde für die inzwischen entstandene Bezirksgruppe Bocholt des Cen- tralvereins, der auch die Juden aus Borken, Emmerich, Rees und Wesel angehörten, ein Vorstand erwähnt. In den Vorstand wurden „defi nitiv“ gewählt: Sigismund Weyl als Vorsitzender, Louis Ostberg als Schriftführer und der Kassierer Adolf Elsberg. Für

198 LA NW STA MS, Regierung Münster Nr. 9567, Acta betreff end die Judenschule zu Bocholt von 1897. Bürgermeis- ter Bocholt an Regierung Münster, 23. Juli 1898. 199 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 26. August 1904, In der Nobelstraße. 200 LA NW STA MS, Regierung Münster Nr. 17139. Acta betreff end die Synagogen-Gemeinden des Kreises Borken 1.1.1902 – 31.12.1910. Satzungsänderung vom 6. Oktober 1902. 201 www.verwaltungsgeschichte/bocholt.de Homepage Deutsche Verwaltungsgeschichte 1871 – 1990 © 2006 by Dr. Michael Rademacher M.A. 202 Amtsgericht Bocholt, 28. Oktober 2003. Die Vereinsregisterakte Centralverein Ortsgruppe Bocholt wurde an das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen - Staatsarchiv Münster - abgegeben, ist jedoch dort nicht verzeichnet. 203 Ein Vierteljahrhundert im Kampf um das Recht und die Zukunft der deutschen Juden, 1916, Verlag des Central- vereins Berlin, S. 76. 204 Compact-Memory, C.V.-Verbandszeitschrift „Im deutschen Reich“ von Februar 1907.

BUCH DER ERINNERUNG | 47 die Ortsgruppen wurden jeweils Obmänner gewählt: J. Feith (Borken), J. Albersheim (Emmerich), Louis Wolff (Rees) und E. Spier (Wesel)205. Am 19. November 1911 fand in Bocholt eine „Propaganda-Veranstaltung“ der Bezirksgruppe statt. Dabei meldeten sich „etwa 40 neue Mitglieder – Damen und Herren – an, so dass zur Gründung eines Bezirksverbandes […] geschritten werden konnte.“ 206

1916 war Sigismund Weyl noch Vorsitzender der Bezirksgruppe207. 1926 war Gustav Gompertz Vorsitzender des in Bocholt „Zentralverein“ geschriebenen Zusammen- schlusses208. Bei der Bezirkstagung des Centralvereins deutscher Staatsbürger jü- dischen Glaubens sagte am 18. November 1928 dessen Bocholter Vorsitzender Gustav Gompertz: „Wir wollen ebenso gute Juden wie Deutsche und ebenso gute Deutsche wie Juden sein. Die Existenz des Vereins ist heute noch viel berechtigter als vor 25 Jahren, da sich die Verhältnisse stark zu Ungunsten der jüdischen Bevölkerung geän- dert haben. [...]“209

Am 28. Dezember 1928 sprach Bertold Löwenstein vor der Ortsgruppe über „Die Ent- wicklung der Ortsgruppe.“210 Spätestens im April 1929 war der „Kaufmann Berthold [sic] Löwenstein, Osterstr. 50“ Vorsitzender der Ortsgruppe Bocholt des „Zentral- vereins [sic] deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“. Die CV-Ortsgruppe war im Einwohnerbuch 1929 unter der Rubrik „Politische Vereine“ verzeichnet211.

Nach 1933 musste sich der Centralverein unter Behördenzwang immer wieder an- dere Namen geben. So wurde er ab 1936 „Jüdischer Central Verein“ genannt. Im Ein- wohnerbuch 1937 wurde der Centralverein Bocholt nicht mehr erwähnt212. Nach dem Pogrom vom 9./10. November 1938 musste die CV-Zeitung ihr Erscheinen einstellen und der Verein wurde verboten.

Israelitischer Frauenverein Bocholt

Am 3. April 1909 gründeten Frauen der Gemeinde den israelitischen Frauen-Verein in Bocholt, dessen Zweck neben der „Ausübung von Wohltätigkeitswerken an Armen und Kranken“ die gegenseitige Hilfeleistung „in Krankheits- und Todesfällen“, u. a. durch die „Vornahme der rituellen Waschungen“ der weiblichen Toten, war. Der israelitische Frauenbund verstand sich als Interessengemeinschaft für jüdische Kultur. Er bekannte sich klar zur jüdischen Tradition und wollte die Frauen im Rah- men dieser Tradition wirken lassen. Die Frauen wollten der Aufgabe jüdischer Werte entgegenwirken und entwickelten ein feminines Bewusstsein der religiösen Wohltätig- keit.

Vorsitzende des israelitischen Frauenvereins in Bocholt wurden Henny Ostberg, die Frau des Gemeindevorsitzenden Louis Ostberg, und die Frau des Lehrers und Predi-

205 Ebd., Nr. 12, Dezember 1911, S. 699. 206 Ebd., S. 700. 207 Ein Vierteljahrhundert im Kampf um das Recht und die Zukunft der deutschen Juden…, S. 76. 208 Einwohnerbuch des Stadtkreises Bocholt, der Städte Borken und Anholt sowie der Ämter Gemen-Weseke, Heiden- , Liedern-Werth, Rhede-Dingden, -Ramsdorf, Ausgabe 1926, Betzdorf 1926, S. 29. 209 StdA B, ZSlg. Bocholter Volksblatt vom 20. November 1928. Bezirkstagung des Central-Vereins deutscher Staats- bürger jüdischen Glaubens. 210 Compact-Memory, Blätter für Deutschtum und Judentum. Organ des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdi- schen Glaubens e.V. Allgemeine Zeitung des Judentums, 1922, 4. Januar 1929, S. 14. 211 Einwohnerbuch der Stadt Bocholt, Ausgabe 1929, Betzdorf 1929, S. 29. 212 Einwohnerbuch für die Stadt Bocholt im Anhang Kreis Borken, Ausgabe 1937, Hösel 1937.

48 | BUCH DER ERINNERUNG gers Levy Nußbaum, Rosa Nußbaum213. Der Frauenverein schloss sich dem Bocholter Verband für Armenpflege und Wohltätigkeit an. 1924 wurde „Frau Fabrikant Ostberg, Bismarckstraße 11“ als alleinige Vorsitzende genannt214. 1932 hatte der israelitische Frauenverein Bocholt 50 Mitglieder215. 1937 war Henny Ostberg, wie das Israelitische Familienblatt berichtete, 30 Jahre lang Vor- sitzende des Frauenvereins216.

1938 wurde der israelitische Frauenverein in Deutschland verboten.

Dem am 10. Juli 1909 gewählten ersten Vorstand des eatervereins Bocholt e. V. unter dem Vorsitzenden Dr. Josef Heuwes, dem Direktor des Gymnasiums Bocholt, gehörte mit Salomon Weyl auch ein Bocholter jüdischen Glaubens an217.

3.2. Erster Weltkrieg

Den Beginn des Ersten Weltkriegs Gedenkstein für die elf sahen die Bocholter Juden im glei- im Ersten Weltkrieg chen patriotischen Hochgefühl wie gefallenen Soldaten der die übrige Bevölkerung. 11 Gemein- israelitischen Gemein- de Bocholt auf dem demitglieder – davon zwei aus Werth israelitischen Friedhof – bezahlten ihren Kriegseinsatz mit an der Vardingholter dem „Heldentod“. Straße. (Bildersammlung Es waren dies: Hermann Oechtering)

Gottfried Albersheim Vizefeldwebel Erich Braunschweig Fritz Gompertz Gefreiter Paul Hochheimer Offizierstellvertreter Paul Löwenstein Julius Metzger Assistenzarzt Dr. Erich Rosenberg Otto Rosenberg Gustav Sander aus Werth Siegfried Sander aus Werth Walter Wolff

213 Centrum Judaicum, Bestand 1,75A Bo 1 Bocholt. Heftchen Israelitischer Frauenverein. Israelitischer Frauenverein Bocholt, Satzungsbroschüre vom 1. Dezember 1909. 214 Handbuch 1924/25, S. 56. 215 Meyer, Hans Chanoch: Aus Geschichte und Leben der Juden in Westfalen. Eine Sammelschrift, Frankfurt, 1962, S. 160. 216 Compact Memory, Israelitisches Familienblatt vom 28. Juni 1937. 217 Morhard, Hans-Joachim und Wilhelm Frieler (†): 100 Jahre Stadttheater Bocholt Die Geschichte des Stadttheaters Bocholt, in: Unser Bocholt, Heft 3/2006, S. 61–67.

BUCH DER ERINNERUNG | 49 Am 4. Juni 1917 teilte die Stadt Bo- cholt dem Amtsgericht Bocholt mit: „Der Vorstand der hiesigen Synago- gengemeinde besteht aus den Mitglie- dern Fabrikant Baruch Stern[,] Fabri- kant Hermann Rosenberg[,] Fabrikant Louis Ostberg und den Stellvertretern Fabrikant Salomon Weyl[,] Lehrer a. D. Isaak [sic] Spier sowie Kaufmann Sigmund Bach.[...]“218 Mehrere jüdische Firmen beteiligten sich durch Armenspeisungen an der Bekämpfung der Hungersnot vor al- lem des letzten Kriegswinters 1917/18 und der ersten Nachkriegs jahre, wie die Firma David Friede219. Doch auch Familien, wie die Familie David Spier in der Kreuzstraße220 oder Josef Metzger im Niederbruch, eröffneten Suppenküchen. In der Sitzung vom 4. März 1917 nahm die Stadtverordnetenversammlung für Aufruf des Arbeiter- die Stadt Bocholt die „von der Frau Fabrikbesitzer Iwan Magnus für die Volksküche und Soldaten- gestifteten 500 M an.[...]“221 rates Bocholt vom 18. November 1918. Max Ostberg, Sohn des Gemeindevorsitzenden Louis Ostberg und seiner Frau Henny, (StdA B, ZSlg., berichtete über den auch in Bocholt politisch unruhigen Winter 1918/1919: Bocholter Volksblatt, „1918 kam ich mit einem Matrosenregiment, das für einige Tage in Bocholt in Quar- 18. November 1918) tier war, aus Flandern zurück. Mit meinen Ortskenntnissen war ich Quartiermacher. Unser Kapitaen und Adjutant waren bei Frau Herding im Suedwall untergebracht. Bocholt hatte nur 2 Polizisten, Kaufhold und Sprick, die die Spitznamen ‚Hauptmann von Koepenick’ und ‚Peter von Serbien’ […] hatten. Buergermeister Wesemann war für einen hoeheren Posten abgerufen worden. Der zweite Buergermeister Alfs[222] ließ mich fragen, ob ich Polizeidienst machen wollte. So war ich einige Naechte mit einem Maschinengewehr, von den 13nern geliehen, im Hause Dickmann neben der Reichsbank, dann auf Strassenkontrolle. Ich erinnere mich, dass Hans und Ludwig Reygers dabei waren. Dann gruendeten wir eine Buergerwehr, die unter dem Kommando von Ignaz Messing stand. Es war eine Zeit, wo viele Men- schen hungerten und in Not waren. Infolgedessen wurde gestohlen und der Schwarz- handel blühte. [...]“223

218 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten [...] über die Grundstücke der jüdischen Synagogengemeinde in Bocholt, der Stadt Bocholt, Band -, Blatt Nr. 930, S. 21. 219 StdA B, 57 K 101 – ohne Titel -. Oberbürgermeister Bocholt als Ortspolizeibehörde an das Sonderbüro für Befrei- ungen vom § 3 des Blutschutzgesetzes im Reichsministerium des Innern, 27. Dezember 1935. 220 Ebd., ZSlg., Werbeanzeige Spier, 30. Januar 1919. 221 Ebd., Amtsbücher Nr. 3, Stadtverordnetenbeschlüsse 13. Bd. 1916–1920, S. 96. 222 Dr. jur. Johannes Alff (1881–1973) war von 1910–1922 zweiter Bürgermeister in Bocholt. Sein bedeutendstes Werk war die Schaffung der Lungenheilstätte „Walderholung“. 1922 verließ Dr. Alff Bocholt, um in Emmerich am 11. Mai das Amt des Bürgermeisters zu übernehmen. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde Alff dort zunächst am 1. April 1933 beurlaubt, dann zum 30. April 1934 aus politischen Gründen in den Ruhestand versetzt. Darauf kehrte er nach Bocholt zurück und eröffnete eine Rechtsanwaltskanzlei. Ab 1946 war Johannes Alff Vorsit- zender des Kreis-Sonderhilfsausschusses und dabei um die Wiedergutmachung des NS-Unrechts an Gegnern des NS-Systems bemüht. Er starb am 10. Dezember 1973 in Bocholt. 223 Stadt Bocholt, Fachbereich Zentrale Verwaltung - Interne Dienste - Ordner: Jüdische Mitbürger. Max Ostberg an Oberbürgermeister Hochgartz, 1. August 1979 .

50 | BUCH DER ERINNERUNG 3.3. Weimarer Republik

Nach 1919 wurde auf der Rückseite des Grabsteins des Fabrikanten Albert Heymann, der bei der Aufrichtung der Denkmale 1964 in Richtung Vardingholter Straße aufgestellt wurde, eine Erinnerung an die im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten einge- meißelt. Unter dem Eisernen Kreuz stehen dort die Namen der elf Gefallenen der isra- elitischen Gemeinde Bocholt. Zwei der gefallenen Soldaten stammten aus Werth.

Juden in der Stadtverordnetenversammlung in der Zeit der Weimarer Republik

Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs rief Philipp Scheidemann am 9. Novem- ber 1919 in Berlin die Republik aus. Bei den ersten freien, geheimen und gleichen Kommunalwahlen am 3. März 1919 wurde Emil Cohen auf den Wahlvorschlag der Verständigungsliste (einem Wahl- bündnis der christlichen Arbeiterschaft, der Handwerker-Innungen, der vereinigten Kaufleute, einiger konfessioneller Verbände sowie des Zentrums und der Deutschen Volkspartei) in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Bei der ersten Sitzung des Stadtparlaments am 16. März 1919 wurde Cohen in die Rechnungskommission224, in die Baukommission225 und als Vertreter der Verbraucher in die Lebensmittelkommission gewählt226. Diese Funktionen hatte er bis zum Ende der Wahlperiode 1924 inne. Bei der nächsten Sitzung am 29. April 1919 wurde Cohen bis zum 31. März 1921 in den Gaswerke- und Konzessionierungsausschuss gewählt227. Am 28. Oktober 1919 bestätig- te man ihn als stellvertretendes Mitglied in der Einkommenssteuervoreinschätzungs- kommission228 sowie im Ausschuss zur Veranlagung der Gewerbe- und Konzessions- steuer229. Stellvertretender Schriftführer der Stadtverordnetenversammlung wurde er erneut am 13. Januar 1920230; diese Funktion hatte er bis zu seinem Ausscheiden aus der Stadtverordnetenversammlung 1927 inne. 1923 übernahm er einen Sitz im Grund- steuerausschuss231 sowie im Steuerausschuss von Einkommen und Vermögen für die Fabrikanten232 und am 19. Februar 1924 wurde er als Vertrauensmann zur Wahl der Schöffen und Geschworenen für die Jahre 1924 und 1925233 gewählt.

Zur Kommunalwahl am 3. Mai 1924 traten folgende Kandidaten jüdischen Glaubens an: auf der Liste der DNVP Ernst Weyl, auf der Liste der SPD – genannt Wahlvorschlag I: Kennwort: Krüger – Jeanette Wolff, auf dem Wahlvorschlag III – Zentrum –: Emil Cohen sowie auf dem Wahlvorschlag VII, Kennwort: Deutsche Demokratische Par- tei, „Friede, Richard, Fabrikant, Kaiser-Wilhelmstr. 33.“234 Richard Friede starb 1958 in New York235.

224 StdA B, Amtsbücher Nr. 3, Stadtverordnetenbeschlüsse, 13. Bd. 1916–1920, S. 231. 225 Ebd. 226 Ebd. 227 Ebd., S. 251. 228 Ebd., S. 322. 229 Ebd. 230 Ebd., S. 336. 231 Ebd., 14. Bd. 1921–1923, S. 230. 232 Ebd., S. 253. 233 Ebd., 15. Bd. 1924–1928, S. 2. 234 Ebd., ZSlg., Bocholter Volksblatt, 29. April 1924, Bekanntmachung über Wahlvorschläge. 235 Ebd., 57 K 102 – ohne Titel –, Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt lebenden Juden.

BUCH DER ERINNERUNG | 51 Offenbar war Emil Cohen vor der Kommunalwahl der Zentrumspartei beigetre- ten. Der Vorsitzende der Repräsentantenversammlung der israelitischen Gemeinde Bocholt war Mitglied einer dezidiert katholischen Partei. Bei der Wahl wurde er – auf Platz 9 des Wahlvorschlags liegend – in die Stadtverordnetenversammlung gewählt236. Bei der konstituierenden Sitzung am 28. Mai 1924 wurde Emil Cohen stellvertre- tender Schriftführer237. Am 25. August 1925 wählte man ihn zum stellvertretenden Vertrauens mann zur Auswahl der Schöffen und Geschworenen für das Jahr 1926238. Ab dem 7. Mai 1926 entsandte man ihn in den Steuerausschuss für Einkommen und Vermögen und den Grundwertsteuerausschuss beim Finanzamt in Borken „aus dem Kreis der Fabrikanten“ für die Wahlperiode bis 31. Dezember 1928239. In der Sitzung am 8. Juli 1925 wandte sich Cohen wegen der schwierigen wirtschaftli- chen Lage gegen ein groß angelegtes Wohnungsbauprogramm in Bocholt und regte eine vorsichtige Finanzpolitik an240.

Am 4. August 1927 nahm Emil Cohen, der nach Köln verzog, letztmalig an der Sitzung der Stadtverordneten teil. Oberbürgermeister Dr. Otto Schmitz ehrte ihn dabei aus- führlich241. Das Bocholter Volksblatt druckte am 5. August 1927 unter der Überschrift „Ehrung für den scheidenden Stadtverordneten Cohen“ folgenden Bericht ab: „In der Sitzung fand eine Abschiedsfeier für den scheidenden Stadtverordneten Cohen statt. Aus diesem Grund war der Stadtverordnetensitzungssaal reich mit Lorbeerbäumen und Blumen geziert, vor dem Platze des Herrn Cohen stand ein großer Blumenstrauß. Auch war der Stuhl des Scheidenden geschmückt. […] Nach Schluß der öffentlichen Sitzung richtete Oberbürgermeister Dr. Schmitz an den aus Bocholt und damit auch aus dem Kollegium scheidenden Herrn Stadtverordneten Cohen folgende Ansprache:

‚Mein lieber, sehr verehrter Herr Cohen! Sie haben sich entschlossen, Bocholt zu verlassen und infolgedessen aus dem Stadtver- ordneten-Kollegium auszuscheiden. Abschiedsgeläut begleitet Ihren Weg aus der alten Heimat. Durchklingend hörbar wird in diesem Geläute die Glocke der Wehmut, die in allen ein dankbares Gedenken an Sie wachruft, ein Gedenken an Ihre von vornehmer Gesinnung durchdrungene Persönlichkeit, ein Gedenken an die von Ihnen in Opferbereit- schaft und Uneigennützigkeit erworbenen Verdienste. Seit 1908 Stadtverordneter wur- den Sie infolge Ihrer Beliebtheit und Ihres Ansehens auch Mitglied der Handelskammer und städtischer Ausschüsse. Großzügig im Denken und Handeln, klug und urteilssicher, haben Sie, gestützt auf vielfältige Kenntnisse und Erfahrung, reiche praktische Wert- arbeit, insbesondere in den Kommissionen, geleistet. Vom echten Bürgergeist beseelt, brachten Sie den alten Spruch zur Wahrheit: ‚Daß der Sinn des Lebens in der Mitarbeit für den Mitbürger gefunden wird!’ Unschätzbar waren ihre Verdienste in der Zeit der Not, wo es galt, Lebensmittel in ausreichendem Maße heranzuschaffen. Nicht zuletzt ist Ihrer persönlichen Mithilfe die zufriedenstellende Lösung dieser Frage zu danken. Seien Sie, verehrter Herr Cohen, des Dankes aller Bewohner von Bocholt sicher, nehmen Sie den aufrichtigen Dank insbesondere auch meiner Verwaltung entgegen, die vor allem ermessen kann, welch wertvolle Mitarbeit Sie im Interesse des kommunalen Aufblühens der Stadt geleistet haben. Mögen Ihnen noch viele Jahre in voller Gesundheit im Krei- se ihrer Angehörigen in Ihrer neuen Heimat beschieden sein. Als äußeres Zeichen des Dankes für Ihren fast 20jährigen kommunalen Ehrendienst haben sich Stadtverordnete und Stadtverwaltung erlaubt, Ihnen diese Ehrenurkunde zu überreichen.’

236 Ebd., ZSlg., Bocholter Volksblatt, 29. April 1924, Bekanntmachung über Wahlvorschläge. 237 Ebd., Amtsbücher Nr. 3, Stadtverordnetenbeschlüsse, 15. Bd., 1924–1928, S. 28. 238 Ebd., S. 131. 239 Ebd., S. 133. 240 Ebd., ZSlg., Bocholter Volksblatt, 9. Juli 1925, Stadtverordneten-Versammlung. 241 Ebd., Amtsbücher Nr. 3, Stadtverordnetenbeschlüsse 15. Bd. 1924–1928, S. 189.

52 | BUCH DER ERINNERUNG Herr Stadtverordneter Cohen hielt alsdann folgende Ansprache an die Versammlung:

‚Hochverehrter Herr Oberbürgermeister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Tief gerührt von den herzlichen Abschiedsworten sage ich Ihnen hiermit meinen verbindlichsten Dank. Das an mich gerichtete Lob muß ich aber als unverdient zurück- weisen, weil ich nur meine Pflicht und Schuldigkeit getan habe, wie ich es vor 20 Jahren dem damaligen Herrn Bürgermeister Geller gelobt habe. Daß es mir nicht leicht wird, meine Vaterstadt zu verlassen, wo schon vor 100 Jahren mein Großvater eine Handwe- berei betrieben hat, werden Sie verstehen. Ich verspreche Ihnen, der Stadt Bocholt treu zu bleiben und sie nie zu vergessen. Die Entfernung von Köln nach Bocholt ist ja nicht so weit. Und so rufe ich Ihnen nicht ein Lebewohl zu, sondern ein Auf Wiedersehen. Dem verehrten Stadtverordneten-Kollegium wünsche ich ersprießliche Weiterarbeit zum Wohle der Stadt Bocholt und der Stadt Bocholt ein Emporblühen, schnelles Wachsen und kräftiges Gedeihen. Ich bitte Sie herzlich, mit mir einzustimmen in das Wort: Un- sere Stadt Bocholt lebe hoch!’

Das Hoch auf die Stadt Bocholt fand bei der Mehrzahl der Stadtverordneten eine freudige Aufnahme. Nur die sonst recht redelustigen Kommunisten mit Ausnahme des Stadtverordneten Meis konnten es sich bei dieser Gelegenheit nicht verkneifen, sich in Schweigen zu hüllen. Ob sich diese Passivität gegen die beiden Redner oder gegen die Ehrung eines um das Gemeinwohl hochverdienten Stadtverordneten rich- ten sollte, oder aber, ob die Stadt Bocholt den Herren Kommunisten kein ‚Hoch’ mehr wert ist, – darüber sind sich die Herren Kommunisten offensichtlich selber noch nicht im Klaren.

Herr Cohen und die Mitglieder des Kollegiums verweilten darauf noch einige Zeit zu einem Abschiedstrunk im Schützenhausgarten.“242

Emil Cohen starb 1934 in Köln. Seine Frau, Tochter und Schwiegersohn flohen später in die Niederlande und wurden in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork gebracht. Sein Schwiegersohn wurde Opfer der Shoah.

Nach den ersten freien, geheimen und gleichen Wahlen zur Stadtverordneten- versamm lung fand am 16. März 1919 die konstituierende Sitzung des Stadtrates statt. An ihr nahm erstmals auch die dreiköpfige SPD-Fraktion teil, unter ihnen mit Jeanette Wolff 243 auch eine Bocholterin jüdischen Glaubens 244.

Während der Sitzung vom 28. Oktober 1919 wurde sie in die Armenkommission gewählt 245, in dieser Kommission blieb sie bis zur Wahl 1924. Hermann Wolff, der Mann von Jeanette Wolff, war kein Stadtverordneter. Er wurde am 28. Oktober 1919 von der Stadtverordnetenversammlung in die Einkommenssteuervoreinschätzungs- kommission246 und Lebensmittelkommission247 entsandt, am 26. Juni 1923 in den Steuerausschuss für die Steuern von Einkommen und Vermögen der Fabrikanten248. Am 25. April 1925 wurde Jeanette Wolff als Beisitzerin in die Kreishebammenstelle249

242 Ebd., ZSlg., Bocholter Volksblatt, 5. August 1927, Stadtverordnetenversammlung. 243 Vgl. Biogramm, S. 438. 244 StdA B., Amtsbücher Nr. 3, Stadtverordnetenbeschlüsse, 13. Bd. 1916–1920, S. 231. 245 Ebd., S. 321. 246 Ebd., S. 332. 247 Ebd. 248 Ebd., Amtsbücher Nr. 3, Stadtverordnetenbeschlüsse, 14. Bd. 1921 – 1923, S. 253. 249 Ebd., 15. Bd. 1924–1928, S. 37.

BUCH DER ERINNERUNG | 53 gewählt, für die Stadtverordneten in den Bezirksfürsorgeausschuss250 sowie in den Gesundheitsausschuss251. Diesem Ausschuss gehörte auch Sally Wolff, er war Vorsit- zender des israelitischen Männervereins Chewra Kadischa, als Vertreter der freien Wohlfahrtspflege an252.

1928 kandidierte Jeanette Wolff im Wahlkreis 17 – Westfalen-Nord – erfolglos für einen Sitz im Preußischen Landtag.

Das Bocholter Volksblatt brachte am 3. Oktober 1928 einen „[...] Nachtrag zur Stadt- verordneten-Versammlung. [...] In unserem gestrigen Bericht über die Stadtverordne- Jeanette Wolff (1888– ten-Versammlung am Montag war durch ein Versehen ein kleiner Absatz ausgeblie- 1976) war von März 1919 ben, in dem es heißen muß, daß die Stadtverordnete Frau Wolff auf die Vorhaltungen bis zum 3. Januar 1932 verschiedener anderer Stadtverordneten und des Vorsitzenden gegenüber ihren An- Mitglied der SPD-Frakti- schuldigungen erklärt hat, daß sie jederzeit bereit ist, zur Aufklärung des von ihr er- on in der Bocholter Stadt- wähnten Vorkommnisses die Namen ihrer Gewährsleute zu nennen. Diese Tatsache ist verordnetenversammlung. (Stadtarchiv Dinslaken, von Bedeutung für das Urteil unserer Leser über die ganze Debatte. Da wir das größte Sammlung Jeanette Wolff) Interesse daran haben, daß die Bürgerschaft über alle im Stadtparlament berührten Fragen restlose Aufklärung erfährt, bedauern wir unser Versehen. Im Übrigen hoffen wir, daß die im Laufe der etwas erregten Debatte angeschnittene Angelegenheit, die sicher geprüft wurde, eine alle Teile befriedigende Erledigung erfährt.“253

Während der Stadtverordnetensitzung am 4. Januar 1929 wurde Jeanette Wolff erneut als Beisitzerin der Kreishebammenstelle gewählt. In der gleichen Sitzung plädierte sie für eine Senkung der Eintrittspreise für das Wannenbad und die Verringerung der Wartezeit in der städtischen Badeanstalt254.

Bei der Kommunalwahl am 19. November 1929 kam es in Bocholt zu erdrutschartigen Verlusten der SPD, deren Sitzzahl um mehr als die Hälfte auf drei einbrach. Nur noch Gustav Krüger, Oswald Ludwig und Jeanette Wolff zogen erneut in die Stadtverordne- tenversammlung ein.

Isidor Metzger255, auf Platz 6 des Wahlvorschlags der wirtschaftlichen Vereinigung abgesichert, erreichte keinen Sitz256. Am 4. Januar 1929 war er für „den Kreis der Ver- mieter“ in das Mieteinigungsamt gewählt worden257. Isidor Metzger wurde am 10. Dezember 1941 aus Bocholt in das Ghetto Riga deportiert, wo er ermordet wurde.

Am 22. Oktober 1931 rief u. a. Jeanette Wolff mit ihren Parteikollegen Gustav Krüger und Oswald Ludwig, den Zentrums-Stadtverordneten August Göwert und Joseph Jakob sowie dem Fabrikanten Ernst Weyl und dem Lehrer an der israelitischen Schule und Prediger an der Synagoge Levy Nußbaum gegen ein von der NSDAP forciertes Volksbegehren auf: „Darum keine Unterschrift dem Volksbegehren!“258 DNVP, NSDAP und „Stahlhelm“ wollten per Volksbegehren Reichstagsneuwahlen und die Aufhebung aller Notverordnungen durchsetzen.

250 Ebd. 251 Ebd. 252 Ebd. 253 Ebd., ZSlg., Bocholter Volksblatt, 3. Oktober 1928. Ein Nachtrag zur Stadtverordnetensitzung. 254 Ebd., Grenzwarte – Öffentl. Anzeiger des Stadtkreises Bocholt, zugleich Abendzeitung für Borken. Rhede und Umgebung, 5. Januar 1929. Stadtverordneten-Sitzung in Bocholt. 255 Vgl. Biogramm, S. 323. 256 StdA B, 3 K 435 Provinziallandtags- und Stadtverordnetenwahl am 19.11.1929. Wahlvorschlag für die wirtschaft- liche Vereinigung. 257 Ebd., ZSlg., Grenzwarte – Öffentl. Anzeiger des Stadtkreises Bocholt, zugleich Abendzeitung für Borken. Rhede und Umgebung –, 5. Januar 1929. Stadtverordneten-Sitzung in Bocholt. 258 Ebd., Bocholter Volksblatt vom 28. Oktober 1932.

54 | BUCH DER ERINNERUNG Ende 1931 verzog Jeanette Wolff mit ihrer Familie nach Dinslaken. Am 3. Januar 1932 legte sie ihr Mandat in der Stadtverordnetenversammlung nieder. Hierzu schrieb sie an Oberbürgermeister Dr. Otto Schmitz: „Mit dem heutigen Tage lege ich mein Stadt- verordnetenmandat nieder, da ich nach Dinslaken verzogen bin. Nur ungern scheide ich von Bocholt u. von der kommunalen Mitarbeit, die zwar manchmal Schwierig- keiten u. Unannehmlichkeiten mit sich brachte[,] aber die Befriedigung den Mitar- beitenden brachte. Ebenso ungern scheide ich von all den Herren und Damen, mit denen gemeinsam wir zum Wohle der Allgemeinheit arbeiteten. Trotz aller Meinungs- verschiedenheit in politischer und wirtschaftlicher Beziehung ist die Zusammenarbeit doch eine ersprieß liche gewesen u. ich habe nur einen Wunsch, der sicherlich sich mit den Wünschen der Verwaltung u. der anderen Herren u. Damen deckt, nämlich daß die Selbstverwaltung in der Kommune bald wiederhergestellt wird und Arbeitsgele- genheit für diejenigen, die gezwungen sind, die Hände in den Schoß zu legen u. zu darben. [...]“259

Das Bocholter Volksblatt meldete am 20. März 1933 zur Verhaftung der letzten Stadt- verordneten jüdischen Glaubens, Jeanette Wolff in Dinslaken: „Verhaftet. Die ehema- lige Bocholter Stadtverordnete, Frau Jeanette Wolff, die vor ihrem Wegzug nach Dins- laken der sozialdemokratischen Stadtverordnetenfraktion angehörte, ist in Dinslaken verhaftet worden.“260

Mit dieser Zeitungsmeldung über die unrechtmäßige Verhaftung von Jeanette Wolff enden die Nachrichten darüber, dass Bocholterinnen und Bocholter jüdischen Glaubens in der Stadtverordnetenversammlung für das Allgemeinwohl tätig waren.

Nach 1919 wurde das Statut der israelitischen Gemeinde Bocholt wahrscheinlich letzt malig geändert. Aus der „königlichen Regierung“ wurde der „Regierungspräsi- dent Münster.“261 Die dortige Abteilung für Kirchen- und Schulsachen war jetzt für die Belange der israelitischen Gemeinden zuständig.

Im September 1921 wurde in der Synagoge „am Vorabend des Versöhnungstages [...] eine Tafel [...] eingeweiht, die die Namen der zehn [sic] auf dem Felde der Ehre gefallenen jüdischen Soldaten enthält. Die Tafel, das Werk des Kunsttischlers Robeling jr. und des Kunstmalers Meyermann hierselbst, wurde von dem Vorstandsmitglied Hermann Rosenberg, der selbst zwei hoffnungsvolle Söhne im Kriege verloren hat, als freiwillige Spende gestiftet. Die Ehrentafel wird in ihrer kunstvollen Ausführung eine Zierde des Gotteshauses sein.“262

259 Ebd., 3 K 435 Provinziallandtags- und Stadtverordnetenwahl am 19.11.1929. Jeanette Wolff, Dinslaken, an Ober- bürgermeister Dr. Schmitz, 3. Januar 1932. 260 Ebd., ZSlg, Bocholter Volksblatt, 20. März 1933. Verhaftet. 261 LA NW STA Ms, Regierung Münster Nr. 17139. Acta betreffend die Synagogen-Gemeinden des Kreises Borken 1.1.1902 – 31.12.1910. Handschriftliche Änderung des Statuts von 1902, ohne Datum. 262 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 23. September 1921. Notiz.

BUCH DER ERINNERUNG | 55 Reichsbund jüdischer Frontsoldaten

Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF) wurde im Februar 1919 in Berlin auf Initiative von Leo Löwenstein gegründet. Seine Zielsetzung war die Abwehr des Anti- semitismus in Deutschland unter Berufung auf die Tatsache, dass im Ersten Weltkrieg etwa 85.000 deutsche Juden gekämpft hatten, von denen etwa 12.000 fielen263.

Die Ortsgruppe Bocholt des RjF wurde vor 1922264 gegründet. Ihr Vorsitzender war der Kaufmann Bertold Löwenstein, der selbst als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil- genommen hatte265.

Zum 1. November 1920 lud der Kreiskriegerverband Bocholt zur Teilnahme an der „Kriegergedächtnisfeier“ ein. Über diese Feier, die auf dem israelitischen Friedhofe begann, berichtete das Bocholter Volksblatt: „[…] Alsdann ergriff der Prediger der israelitischen Gemeinde, Herr Nußbaum, das Wort. Er führte aus, daß der heutige Tag den Gefallenen gehöre, die alles für das Vaterland geopfert hätten. Weiter bedankte sich der Redner für die Aufmerksamkeit des Kreiskriegerverbandes, der am heutigen Tage bewiesen habe, daß er auch den israelitischen Gefallenen des Weltkrieges die alte Kame rad schaft und Treue beweise.“266

Über die Aktivitäten des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten in Bocholt war in einem Bericht des Bocholter Volksblattes über den Heldengedenktag 1928 zu lesen: „[...]Die Israelitische Gemeinde hielt bereits am Samstag eine Trauerfeier in Verbin- dung mit dem Hauptgottesdienst ab. Der Bocholter Kreiskriegerverband veranstaltete wie in den früheren Jahren wieder eine würdige öffentliche Feier. Nachmittags 2,15 Uhr ver sammelten sich die Vorstände und Fahnendeputationen der einzelnen dem Kreiskriegerverband angeschlossenen Vereine und marschierten unter Vorantritt der Musikkapelle des Bocholter Kriegervereins zum Israelitischen Friedhof. Herr Bellwinkel wies in seiner Ansprache darauf hin, daß man heute fast in jedem deutschen Hause in Stadt und Land eines lieben Toten gedenke, der im Kampfe fürs Vaterland gefallen sei. In Einmütigkeit trauere das deutsche Volk, ohne Rücksicht auf Partei und Konfession. [...] Der Redner legte im Auftrage des Kreiskriegerverbandes einen Kranz nieder. Nachdem die Kapelle das Lied ‚Ich hat’ einen Kameraden’ gespielt hatte, sprach Herr Ostberg, der Vorsitzende der israelitischen Gemeinde, im Namen der Ortsgruppe Bocholt des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten. [...] Er schloß mit Worten des Dankes an den Kreiskriegerverband, der die gefallenen jüdischen Kameraden in würdiger Weise geehrt habe. [...]“267

Wie in verschiedenen RjF-Ortsgruppen bildeten sich später auch in Bocholt Sportclubs für die aus den Sportvereinen ausgeschlossenen Jugendlichen jüdischen Glaubens. So wurde der Ortsgruppe Bocholt 1933 eine Tischtennismannschaft mit Namen ‚Schild’ angeschlossen. Im Jahr 1934 wurde dem ‚Schild’ eine Frauen- und Mädchenabteilung angegliedert268. 1936 wurde dem RjF auf Reichsebene jegliche politische Tätigkeit un- tersagt269, 1938 wurde dessen Bocholter Ortsgruppe aufgelöst.

263 http://de.wikipedia.org/wiki/Reichsbund_j%C3%BCdischer_Frontsoldaten. 264 Bürgerbuch der Stadt Bocholt verbunden mit Adreßbuch 1922, Bocholt 1922, S. 25. 265 Vgl. Anhang Greta Meyer, (geb. Löwenstein): Können Sie mich verurteilen, weil ich nichts mehr mit Deutschland und Bocholt zu tun haben möchte?, S. 478. 266 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 2. November 1920. Kriegergedächtnisfeier. 268 Ebd., Bocholter Volksblatt vom 6. März 1928. Volkstrauertag in Bocholt. 268 Kulka, Otto, Jäckel, Eberhard: Die Juden in den geheimen NS-Stimmungsberichten 1933-1945, CD-Rom, Dok. 407. 269 http://de.wikipedia.org/wiki/Reichsbund_j%C3%BCdischer_Frontsoldaten.

56 | BUCH DER ERINNERUNG Zum 1. Januar 1922 wurde Bocholt aus dem Landkreis Borken ausgegliedert und zu einer kreisfreien Stadt im Regierungsbezirk Münster. Die Stadt konnte nunmehr in Angelegenheiten der Synagogengemeinde direkt mit der Kirchenabteilung des Regierungspräsidenten Münster verhandeln. Am 22. April 1921 bescheinigte die Stadt Bocholt dem Grundbuchamt im Amts gericht Bocholt, dass seinerzeit Louis Ostberg, Hermann Rosenberg und Baruch Stern den Vorstand der Synagogengemeinde bildeten. Salomon Weyl und Paul Braunschweig waren ihre Stellvertreter270.

Deutsch-jüdischer Wanderbund „Kameraden“

1924 gründeten Jugendliche aus der israelitischen Gemeinde Bocholt den deutsch- jüdischen Wanderbund „Kameraden“. Der Wanderbund mit Anklängen aus der Pfadfinder bewegung „bezweckt die Förderung der gemeinsamen Interessen der ihm angeschlossenen Wander-, Sport- und Turnvereine, deren Ziele auf [...] Festigung in ihrer Liebe zur deutschen Heimat[...] gerichtet sind. [...] Nationaljüdische Bestrebun- gen werden von ihm abgelehnt.“ (§ 1 der Reichssatzung).

Erster Vorsitzender des Wanderbundes, dem in Bocholt auch Mädchen angehörten, war Rudolf Weyl.271 1926 war Max Ostberg, Sohn des Gemeindevorsitzenden Louis Ostberg, Vorsitzender der „Kameraden.“272 1929 wurde im Einwohnerbuch unter der Rubrik „Jugend pflegevereine“ Arthur Heimann, Kurfürstenstr. 25, als Vorsitzender genannt273. Die Ortsgruppe Bocholt der „Kameraden“ existierte noch 1932274.

Bis mindestens 1920 bestand in Bocholt ein Verein für jüdische Geschichte und Litera- tur mit mehr als 30 Mitgliedern. In den 1920er Jahren gründete Gustav Gompertz, der neben der Führung seines Schuh- geschäftes in der Neustraße auch Kolumnen für das Bocholter Volksblatt schrieb, den Literaturverein275. Am 30. März 1929 veröffentlichte das Bocholter Volksblatt – wohl im Vorgriff auf den 1. April – seine Glosse „Bernard Shaw und Bocholt“ 276. Darin beschrieb Gompertz einen Besuch des Nobelpreisträgers George-Bernard Shaw in Bocholt. Ei- nige Tage später klärte die Zeitung diesen Scherz auf, Shaw war natürlich nie in Bocholt gewesen.

1925 waren in Bocholt von 30.268 Einwohnern 250 jüdischen Glaubens277. Nach der Kirchensteuer-Hebeliste von 1925 zahlten 19 Juden keine Einkommenssteuer, 52 zahlten Jahressteuer bis 500 RM. Über 1000 bis 3000 RM Steuer zahlten 13 Juden, zehn weitere zwischen 4500 und 9300 RM. Allein das Brüderpaar Max und Richard Friede – Inhaber der mechanischen Weberei David Friede – zahlte über zehntausend Reichs- mark Steuern im Jahr278.

270 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten […] über die Grundstücke der jüdischen Synagogengemeinde in Bocholt, […] Band -, Blatt Nr. 930, Seite 17, Bescheinigung der Stadt Bocholt vom 22. April 1921. 271 Centrum Judaicum, Bestand 1,75A Bo 1 Bocholt. 272 Einwohnerbuch des Stadtkreises Bocholt, der Städte Borken und Anholt sowie der Ämter Gemen-Weseke, Heiden- Reken, Liedern-Werth, Rhede-Dingden, Velen-Ramsdorf, Ausgabe 1926, Betzdorf 1926, S. 33. 273 Stadtarchiv Bocholt, Auskunft vom 26. Oktober 2010. Arthur Heimann war kein Jude. 274 Meier, S. 160. Das Datum der Auflösung der Ortsgruppe Bocholt konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. 275 Handbuch 1924/25, S. 56. 276 StdA B, ZSlg. Bocholter Volksblatt vom 30. März 1929. 277 www.verwaltungsgeschichte/bocholt.de Homepage Deutsche Verwaltungsgeschichte 1871 - 1990 © 2006 by Dr. Michael Rademacher M.A. 278 StdA B, Stadt Bocholt 2, Nr. 934 Synagogengemeinde 1840 – 1932. Kirchensteuer-Hebeliste der israelitischen Gemeinde, Bocholt für die Zeit vom 1. Juli 1925 bis 30. Juni 1926.

BUCH DER ERINNERUNG | 57 Bocholter jüdischen Glaubens nahmen wie alle Bocholter Anteil am städtischen Ver- einsleben: So spielten der Fabrikant und Stadtverordnete Max Liebreich, Dr. med. Artur Hochheimer (er war langjähriger Protokollführer) und der israelitische Lehrer Levy Nußbaum Geige im Instrumentalverein, einem klassischen Orchester. Der Kul- tusbeamte und Küster der Synagoge Salomon Seif gehörte zu den Vorstandsmitgliedern der Bocholter Ortsgruppe des Bundes der Kinderreichen279.

Auch gehörten dem St.-Georgius-Schützenverein, dem 1407 gegründeten ältesten Bo- cholter Schützenverein, mehrere jüdische Fabrikanten und Geschäftsleute an, u. a. der jüdische Lehrer Levy Nußbaum. Der stellvertretende Vorsitzende des Vereins war 1862 Philipp Weinholt, der der Repräsentantenversammlung der israelitischen Gemeinde angehörte280. 1912 führte es einen Juden – Dr. jur. Rudolf Löwenstein – beim Schützen- fest auf den ron281. Und Paul Braunschweig gehörte von 1911 bis zu seinem Wegzug aus Bocholt dem Vereinsvorstand als Schriftführer an282. 1908 und 1909 waren Juden – Max Friede als Zahlmeister und Max Rosenberg als Feldwebel bzw. Leutnant der 1. Kompanie – Mitglieder des Offizierkorps283.

Alfred Nußbaum, der Sohn von Levy Nußbaum, war Torwart der 1. Mannschaft des Bocholter Fußballclubs 1900 und aktives Mitglied des Bocholter Wassersportvereins (BWV). Da der Mannschaftsarzt der Wasserball-Nationalmannschaft Moritz Nußbaum sein Vetter war, gelang es ihm, diese Mannschaft am 29. Mai 1932 zu einem Vorberei- tungsspiel auf die Olympischen Spiele in Los Angeles gegen eine westdeutsche Auswahl in das Vereinsbad des BWV „Tonwerke“ zu holen284.

Eine Nachbarin der Familie Seif berichtete aus den 1920er Jahren: „Unsere Familie hatte ein gutnachbarschaftliches Verhältnis zur Familie Seif. So er- laubte Vater Salomon Seif, daß wir Nachbarskinder für die Maialtärchen sogenannte ‚Gänseblümchen’ auf der Wiese vor der Synagoge pflücken konnten. Wenn sein Sohn Sigmar von der Arbeit kam (er durchlief eine kaufmännische Lehre in einer jüdischen Firma285) und durch den Gang zwischen Roloffs Haus und Johrmann zu seinem Elternhaus ging, machte er uns Kindern öfter eine Freude, indem er ‚wie ein Hahn krähte’, so daß es laut schallte. Darüber freuten wir Kinder uns. Im Hof neben der Synagoge schlachtete Herr Seif koscher Hühner, die er auch an aus- wärtige Juden verschickte. Das dafür benötigte Packpapier und Bindegarn kaufte [sein Sohn] Sigmar bei uns. Unsere Mutter ließ unsere Kleider von Rosa Seif, die Schneiderin war, nähen.“ 286

279 Ebd., ZSlg. Bocholter Volksblatt vom 8. November 1923. Bund der Kinderreichen. 280 Niebur, Josef: Herr Berla ist heute noch Mitglied. Erinnerungen an die jüdischen Mitglieder des St. Georgius- Schützenvereins [zitiert: Niebur, Herr Berla], S. 62, in: Unser Bocholt, Heft 2/2007, 600 Jahre St. Georgius-Schüt- zenverein. 281 Ebd., S. 66. 282 Ebd., S. 65. 283 Ebd.; zu anderen Schützenvereinen in Bocholt fehlen entsprechende Studien. 284 Privatbesitz Josef Niebur: Niederschrift über ein Gespräch mit Kurt Nußbaum am 30. April 1985 in Bocholt; StdA B, ZSlg. Bocholter Volksblatt vom 30. Mai 1932. Wasserball-Nationalmannschaft (olympia-sieben) : Westdeutsche Auswahl. 285 StdA B, SBOH 3, Akte nach dem BEG, Sigmar Seif, 3 – 917. Regierungspräsident Münster an Stadt Bocholt, 17. Mai 1956. Von 1933 bis zum November 1938 war Sigmar Seif bei der Firma Siegfried Ostberg, Ostwall 70, tätig. 286 Privatbesitz Josef Niebur, Niederschrift über ein Interview mit Frau K., * 1926 (wohnte bis 1942 Rosenstiege 2), geführt am 7. Januar 1993 von Werner Sundermann und Josef Niebur. Interview befindet sich als Depositgut im Stadtarchiv.

58 | BUCH DER ERINNERUNG Jüdische Gewerbetreibende und Fabriken in Bocholt 1926

Agenturen und Kommissionen Metzger, Josef, Niederbruchstraße 20

Alt[waren]handlungen Cohen, Magnus, Langenbergstraße 52

Ärzte Hochheimer, Artur, Dr. med., Osterstraße 64

Baumwollwaren-Großhandlungen Löwenstein, Julius, Hemdener Straße 11

Baumwollwebereien Gesellschaft für Mech. Weberei, Westend 2 Löwenstein, A., Ostwall 47 Rosenberg, Hermann, Frankenstraße 3 – 5 Stern & Löwenstein, Friesenstraße 260 Weyl, Gebrüder, Frankenstraße 3 – 5

Fischhandlungen Goedhardt, Jakob, Langenbergstraße 17 Goedhardt, Louis, Nordstraße 26

Futtermittel Sternfeld, M., Nordwall 3

Haus- und Küchengeräte Mühlfelder, M., Osterstraße 33

Lederwaren a) Fabriken … b) Handlungen Wolff, Sally, Nordstraße 51

Manufakturwaren Herzfeld, Eduard, Nordstraße 21 Löwenstein, S. B., Kaufhaus, Osterstraße 50 Triebwasser, D., Ernststraße 8 Warenhaus A. Weyl, Osterstraße 29

Metzgereien Silberschmidt, Jakob, Osterstraße 5 Silberschmidt, Julius, Ravardistraße 17 Silberschmidt, L., Osterstraße 5

BUCH DER ERINNERUNG | 59 Möbel a) Fabriken Löwenstein, A., Ostwall 47 b) Handlungen Triebwasser, D., Ernststraße 8

Modewaren Cohen, Bella, Modesalon, Niederbruchstraße 21 Löwenstein, S. B., Kaufhaus, Osterstraße 50

Spielwaren Mühlfelder, M., Osterstraße 33 [Scherbel, Otto, Nordstraße 19]

Textilwaren a) Fabriken … b) Handlungen Cohen, Else , Langenbergstraße 17

Vermietung von Raum und Kraft Textilwerk GmbH, Ostwall 47

Vertretungen Löwenstein, Albert, Handelsvertreter, Schwartzstraße 14

Viehhandlungen Landau, Julius, Osterstraße 10 Silberschmidt, Isidor, Nordallee 39 Sternfeld, Isaak, Nordwall 3

Warenhäuser Warenhaus A. Weyl, Osterstraße 29

Wäsche a) Fabriken … b) Handlungen Hirsch, Bruno, Osterstraße 2 Spier, A. und I., Königstraße 4

Weiß-, Woll- und Kurzwaren Gompertz, G., Nachf., Markt 2 Landau, Meyer, Ehefrau, Schützenstraße 21287

287 Einwohnerbuch 1926, II. Teil, Stadtkreis Bocholt, Abschnitt D, Handel- und Gewerbetreibende, S. 209 .

60 | BUCH DER ERINNERUNG 1931 unternahm die Synagogengemeinde Borken, die aus 106 Mitgliedern bestand, welche 6284,– RM Synagogensteuer zahlten (während in Bocholt 21.525,30 RM von 183 Mitgliedern aufgebracht wurden), den Versuch, die Bocholter Gemeinde zu über- nehmen. Nach dem negativen Votum der israelitischen Gemeinde Bocholt meldete der Borkener Landrat am 10. August 1931 an den Regierungspräsidenten in Münster: „[...] Hinsichtlich der Verbindung der Synagogengemeinden Borken und Bocholt teilt mir heute der Synagogenvorsteher der letztgenannten Gemeinde mit, daß die Synago- gengemeinde Bocholt einstimmig den Antrag auf Anschluß an die Synagogengemeinde Borken abgelehnt habe. [...]“288

In Bocholt sollen 1932 noch 254 Juden gelebt haben289.

Es gab damals u. a. 12 Fabrikanten, 35 Kaufleute, 17 Handwerker, darunter 7 Metzger, jü- dischen Glaubens290. Wie stark die wirtschaftliche Bedeutung der Fabrikanten jüdischen Glaubens für die Wirtschaftskraft der Stadt Bocholt war, beweist eine Formulierung der Stadtverwaltung in einem Schreiben vom 17. Januar 1931 an den Regierungsprä- sidenten Münster über die Fortführung der israelitischen Schule. Darin wurde darauf hingewiesen, dass die Steuereinnahmen der Stadt besonders wegen der florierenden Firmen jüdischer Inhaber so hoch seien. Deshalb müsse auch die Schule weiter beste- hen291.

Mit einer offiziellen Erinnerungsfeier wurde der ehemalige Lehrer an der israelitischen Schule Levy Nußbaum, der bereits am 1. Oktober 1932 offiziell in den Ruhestand ge- gangen war, am 22. Januar 1933 von der israelitischen Gemeinde Bocholt verabschiedet und Louis Ostberg für seine 25jährige ehrenamtliche Tätigkeit als Vorsitzender der is- raelitischen Gemeinde Bocholt geehrt292.

288 LA NW STA MS, Regierung Münster Nr. 29674, Acta generalia die Synagogengemeinden Kreis Borken, vom 1.4.1928 bis 16.6.1938, Landrat Borken an Regierungspräsident Münster, 10. August 1931. 289 StdA B, Stadt Bocholt Nr. 2, Nr. 934, Synagogengemeinde 1840–1932, Nachweisung der Synagogengemeinden mit Rabbinern im Regierungsbezirk [Münster] für das Rechnungsjahr 1932. Im Führer durch die jüdische Gemeinde- verwaltung und Wohlfahrtspflege in Deutschland 1930–1932, herausgegeben von der Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden, S. 57, werden für die israelitische Gemeinde Bocholt 300 Juden, davon 4 in Dingden, 12 in Rhede und 3 in Werth, verzeichnet. 290 Errechnet nach den Berufsangaben im Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogenge- meinde Bocholt vom 25. Juni 1932, StdA B, SBOH 2 Nr. 1007. Wahl des Vorstandes und der Repräsentanten der Synagogengemeinde 1916–1935. 291 LA NW – STA MS, Regierung Münster Nr. 9567, Acta betreffend die Judenschule zu Bocholt von 1897, Stadt Bocholt an Regierung Münster, 10. Februar 1932. 292 StdA B, ZSlg., Grenzwarte vom 24. Januar 1933, Erinnerungsfeier in der jüdischen Gemeinde. - Eine Abschiedsfeier für Herrn Lehrer Nußbaum.

BUCH DER ERINNERUNG | 61 4. Bocholterinnen und Bocholter jüdischen Glaubens in der NS-Zeit

4.1 Vor dem 30. Januar 1933

Am 22. Juni 1930 kamen SA-Leute und andere Nationalsozialisten aus dem Gau Emscher-Lippe zu einem „Werbetag“ nach Bocholt. Das Bocholter Volksblatt gab hierüber aus dem Polizeibericht wieder: „Die Angehörigen der N.S.D.A.P. [sic] […] parkten ihre Fahrzeuge auf dem Viehmarktplatz an der Kaiser-Friedrich-Straße und ordneten sich dort zu einem Umzuge, an dessen Spitze eine Musikkapelle marschierte. Mehrere Parteifahnen wurden mitgeführt. Während des Umzugs wurden Flugblätter und Zeitungen verteilt. […] Am Capitoltheater wurden einige Teilnehmer des Zuges, die trotz des [für Preußen erlassenen Uniform-] Verbots in Braunhemden erschienen waren, von der Polizei festgenommen. Nach dem Durchmarsch durch einige Straßen bog der Zug auf dem Gasthausplatz ein, um dort eine Werbeveranstaltung abzuhalten. Mehrere Redner versuchten von einem Kraftwagen aus zu sprechen. Da politisch andersdenkende Zuhörer durch lautes Rufen und Absingen von Liedern einen starken Lärm verur sachten, waren die Redner jedoch nicht zu verstehen. Die Polizei [...] hatte Mühe, die auf dem Platze versammelten Meinungsgegner davon abzuhalten, aufeinander loszugehen. Verschiedentlich mußte vom Gummiknüppel Gebrauch gemacht werden. Nach der Versammlung zog der Zug durch die Gasthausstraße ab. Der letzte Teil des Zuges wurde von einer Anzahl nachdrängender Zuschauer erheblich bedrängt. Man schlug mit Stöcken auf die Zugteilnehmer ein und bewarf sie mit Steinen. In der Gasthausstraße wurde der Zug mit einer Flasche beworfen. Festgenommen wurden von den Zugteilnehmern drei Männer, weil sie verbotene Uniformstücke trugen, ein Mann, weil er nach dem Abzug des Zuges vom Gasthausplatz einen Zuschauer mit einem Messer beworfen hatte, und ein Mann, weil er sich an einer tätlichen Auseinandersetzung beteiligte. Die Teilnehmer des Umzuges fuhren nach der Veranstaltung auf ihren Wagen zum Teil über Wesel, zum Teil über Borken zurück. Politisch Andersdenkende, die sich auf dem Viehmarktplatz angesammelt hatten, bewarfen einen Wagen mit Steinen. Als Antwort hierauf wurde aus einem Wagen eine leere Flasche geworfen, die einem Unbeteiligten Gesichtsverletzungen beibrachte. […]“293

Unter denen, die den Nazis widersprachen, war auch Salomon Seif, Kultusbeamter der israelitischen Gemeinde. Hierzu sagte ein Bocholter Polizist 1933 aus: „Dabei hat Seif bei seinem Schimpfen auf die Nationalsozialisten vor diesen ausgespiehen. Ein Nationalsozialist hielt ihm und den neben ihm stehenden [...], ebenfalls schimpfenden Töchtern des Kommunisten van den Berg laufend eine Rolle Bonbons vor. […]“294 Diese Aussage fand auch Niederschlag in einer Eingabe der Stadt vom 7. Dezember 1933 an den Tumultschaden-Feststellungsausschuss in Gelsenkirchen wegen der am 30. März 1933 bei Seif verursachten Schäden: „Durch die Polizeibehörde in Bocholt ist festgestellt worden, daß der Antragsteller gegen die Nationalsozialisten eingestellt war. Bei dem großen Aufmarsch der NSDAP im Sommer 1930 war der Antragsteller einer der größten Hetzer. Er fuchtelte vor den Nationalsozialisten mit dem Stock herum und spuckte auch vor diesen aus. Durch dieses Gebaren [sic] machte er sich später in der nationalsozialistischen Bevölkerung Bocholts unbeliebt. Seif stand auch in dem Verdacht[,] daß er entstellte Bilder und Berichte des Reichskanzlers Hitler aus Zeitungen, die in Holland erscheinen, in Bocholt in Verkehr brachte“ 295. Auch dass Seif

293 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt, 23. Juni 1933, Propagandamarsch. 294 Ebd., SBOH 2 Nr. 1012. Tumultschadenssache Salomon Seif -, Blatt 25, hs. Notiz (nicht unterschrieben). 295 Ebd. Blatt 3, Bescheid des Feststellungsausschusses in Gelsenkirchen vom 7. Dezember 1933. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold war ein von Sozialdemokraten dominiertes Bündnis zum Schutz der Demokratie gegen politi- schen Extremismus.

62 | BUCH DER ERINNERUNG ehemals Angehöriger des Reichsbanners gewesen war, blieb den Nationalsozialisten nicht unbekannt. Bei einem Verfahren wegen „Nachrichtenübermittlung an das feindliche Ausland“ am 28. Mai 1941 vor dem Schöffengericht Coesfeld wurde ihm dieser Umstand noch negativ durch die Gestapo nachgetragen296.

Am 23. Januar 1931 sprach „Parteigenosse Faßbach“ auf einem „Sprechabend“ in der Gaststätte Bürgerkrug in der Langenbergstraße 26 – 28. Dabei sollen 91 Personen an- wesend gewesen sein297. Wie dieser Abend verlief, wurde in der Zeitung nicht berichtet. Nach diesem Termin wurde es ein halbes Jahr vordergründig ruhig um die Nazis in Bocholt. Am 4. Oktober 1931 kam „Parteigenosse“ Dr. Alfred Meyer, der NSDAP-Gau- leiter von Westfalen-Nord, zu einer Kundgebung in die Gaststätte „Großer Kurfürst“ an der Dinxperloer Straße nach Bocholt298.

Am 9. April 1932 wies die Tageszeitung Grenzwarte auf eine Veranstaltung der NSDAP- Ortsgruppe Bocholt am gleichen Tag mit Herrn „Müllmeyer-Essen“ hin299. Dies war die erste Nachricht über eine bereits bestehende Ortsgruppe der NSDAP, die nach ihrer offiziösen Chronik bereits Anfang 1932300 in Bocholt gegründet worden sein soll.

Auch während des gesamten Jahres 1932 erschienen z. B. fast täglich Werbeanzeigen des Manufakturwarengeschäftes S. B. Löwenstein in der Osterstraße 50. Einmal bewarb Bertold Löwenstein Damenmode, Anfang Juni 1932 machte er auf „Reklamewochen“ aufmerksam, dann wieder auf Schnittmusterbögen oder Gardinen. Andere jüdische Fir- men – wie etwa Bella Cohen aus dem Niederbruch oder die Firma A. & J. Spier am Markt – warben inzwischen nur noch sporadisch für ihr Angebot.

Vor dem katholischen Feiertag Fronleichnam gaben nahezu alle Geschäfte von christlichen und jüdischen Eigentümern in einer Anzeige ihrer Kundschaft zur Kenntnis: „Die unterzeichneten Firmen halten am Fronleichnamstage ihre Geschäfte geschlossen. Wir bitten die Käuferschaft, tunlichst heute (Mittwoch) ihre Geschäfte zu tätigen“. Neben anderen Geschäften waren hier das Eisenwarengeschäft Josef Fehler sowie S. B. Löwenstein, Jakob Meier, M. Mühlfelder, Schuhhaus David, A. & J. Spier und die Wekape verzeichnet301.

Am 13. Mai und 6. Juni 1932 wurde unter den Überschriften „Ein Jubilar der Arbeit“ bzw. „Silbernes Arbeitsjubiläum“ über „den Untermeister Bernhard Dohle (Schaffeld- straße)“ und „den Lagerarbeiter Josef Dammeyer, Grabenstraße“ berichtet, die 25 Jahre der Firma Stern & Löwenstein [sic!] angehörten und „durch schöne Geschenke“ geehrt wurden. Der Schlusssatz „Möge es dem Jubilar vergönnt sein, noch lange der Firma seine Arbeitskraft zu leihen“,302 ging nicht in Erfüllung. Bereits 1936 ging die Firma Stern & Loewenstein in anderen Besitz über.

Der „ehem[alige]. Privatdozent der Universität Jena, Dr. Beck“, kam am „Freitag, 10. Juni abends 20 Uhr in den Saal der Kronenburg“. Er sprach zum ema: „Der wirtschaftli- che und kulturelle Aufbau Deutschlands durch den Nationalsozialismus“. Von den Besuchern wurde als „Unkostenbeitrag 30 Pf., Erwerbslose 10 Pf.“ erwartet303.

296 LA NW STA MS, Amtsgericht Coesfeld, I Nr. 7 Schöffengericht Coesfeld. Strafsache Amtsgericht Münster gegen Seif wegen Verg. ./. V. O. über Nachrichtenverkehr. Vermerk der Staatspolizeileitstelle Münster vom 5. April 1941 für die Staatsanwaltschaft Münster. 297 Schröder, Arno: Mit der Partei vorwärts. Zehn Jahre Gau Westfalen-Nord. Detmold 1940, S. 303. 298 Ebd., S. 315. 299 StdA B, ZSlg., Grenzwarte vom 9. April 1932. 300 Einwohnerbuch 1937, S. VIII. Die Entwicklung der NSDAP des Kreises Borken-Bocholt von Kreisorganisationslei- ter Josef Wehling. 301 StdA B, ZSlg, Bocholter Volksblatt vom 26. Mai 1932. Feiertagshalber sind unsere Geschäfte [...] geschlossen. 302 Ebd., Grenzwarte vom 3. und 6. Juni 1932. Silbernes Arbeitsjubiläum. 303 Ebd., Grenzwarte vom 8. und 10. Juni 1932. Anzeige NSDAP-Versammlung am 10. Juni 1932.

BUCH DER ERINNERUNG | 63 Zu dieser Parteiveranstaltung erschien in der Tageszeitung Grenzwarte ein redaktio- neller Bericht „Aus der hiesigen NSDAP“: „[…] Der Name des Jenaer Professors zündete und rüttelte selbst die Lauen wach, so daß der geräumige Saal der Kronenburg am Samstagabend restlos besetzt war, als der Redner seine tiefgründigen Ausführungen begann. Bemerken muß man, daß sich in Dr. Beck kein Wahlagitator im üblichen Sinne vorstellte, er gehörte auch nicht zur Klasse derjenigen Redner, die in ihren Ausführungen um den Kern der Sache herumgehen, wie der Knabe um den heißen Brei. Wer sich bisher noch nicht im Klaren war darüber, was der Nationalsozialismus will, erhielt eine aufschlußreiche Lektion. In nicht mißzuverstehender Weise definierte er die Stellung der Partei zu Kapital, Wirtschaft und Religion. In seiner kontrastreichen Vortragsweise befaßte er sich mit den Schicksalsfragen des deutschen Volkes. Immer und immer wieder betonte er, daß der Nationalsozialismus dem deutschen Volke keine goldenen Berge, noch Pfründe, noch Pöstchen verspreche, was er aber verspreche und unter allen Umständen durchzuführen gewillt sei, sei Gerechtigkeit gegen alle Volksgenossen. Nicht Stand und Titel würden im Dritten Reich einen Staatsbürger erster Klasse machen, sondern das wäre ausschlaggebend, was er als Mensch und Arbeiter der Stirn und der Faust leistet. [...] Zum Schlusse seiner Ausführungen kam er auf die Gestaltung des Dritten Reiches zu sprechen und prägte unter anderem den markanten Satz: ‚Wir verlangen von keinem Volksgenossen, daß er Heil Hitler rufe, wir werden aber veranlassen, daß jeder, der Heil Moskau ruft, nach dem Sowjetparadies geht. [...]’“304 Der 10. Juni 1932 war auch der Gründungstag der NSDAP in Bocholt, denn nach der Wahlkampfveranstaltung wurde in der Gaststätte Rothenburg an der Nordallee „die Ortsgruppe Bocholt der NSDAP.[sic] aus der Taufe gehoben. [...]“305 An der Gründung waren, wie sich Kurt Nussbaum, der Sohn des jüdischen Lehrers Levy Nußbaum, erinnert, Bocholter Fabrikanten, die im Zuge der Weltwirtschaftskrise ihre Fabriken schließen mussten, Selbstständige, Beamte und Angestellte beteiligt. Einige von ihnen, besonders die aus dem „Stahlhelm-Bund der Frontsoldaten“ Kommenden, wandten sich nach einigen Monaten, manche erst nach Jahren, entsetzt über die Politik der NSDAP von der „Partei“ ab 306. Bei den in diesen Tagen stattfindenden Elternbeiratswahlen am Marien-Oberlyzeum gab es unter den zehn Gewählten eine Jüdin, nämlich „Frau M[ax] Friede, Südwall“, als Religion wurde „israel.“ angegeben. Bei „Frau A. von Delft“ wurde als Religion „ev[angelisch]“ angegeben, bei den katholischen Mitgliedern war keine Religion genannt307. Dies war in einer damals zu 98 % katholischen Stadt wie Bocholt nicht ungewöhnlich. Im „Gymnasium“ wurde „Frau Fabrikant Richard Friede“ zur Ersatzfrau des Elternbeirates gewählt 308. Am 24. Juni 1932 sprach der „bekannte Reichsredner P[artei]g[enosse] Eisen bahn- obersekretär März, Ortsgruppenleiter in Essen, zu dem ema ‚Nationalsozialismus und Weltanschauung’ in einer ‚öffentlichen Wahlkampfkundgebung’ in der Kronenburg“. Mit dem Slogan „Die Bahn frei für Adolf Hitler“ machte die Anzeige der „N.S.D.A.P.[sic], Ortsgruppe Bocholt“ auf 309. Um den 1. Juli 1932 wurde in Bocholt die „Volksfront“ gegründet. Analog zur SA – die die Kundgebungen der NSDAP „schützen“ sollte – boten darin die Katholischen Arbeitervereine, die Kolpingfamilie und die christlichen Gewerkschaften eine Schutz- truppe zur Sicherung der eigenen Veranstaltungen auf. Die Mitglieder der „Volksfront“,

304 Ebd., Grenzwarte vom 12. Juni 1932. Aus der hiesigen NSDAP. 305 Ebd. 306 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Gespräch mit Kurt Nussbaum am 30. April 1985 in Bocholt. 307 StdA B, ZSlg., Grenzwarte vom 23. Juni 1932. Elternbeiratswahlen am Lyzeum. 308 Ebd., Bocholter Volksblatt vom 19. Juni 1932. Der neue Elternbeirat des Gymnasiums. 309 Ebd., Grenzwarte vom 24. Juni 1932, NSDAP-Wahlkampfanzeige. Die Bahn frei für Adolf Hitler.

64 | BUCH DER ERINNERUNG die in Bocholt in den Stadtpfarreien St. Georg und Liebfrauen in „Stürmen“ organisiert waren, trugen auf dem Oberarm als Abzeichen drei Pfeile. In den Bocholter Zeitungen wurden vielfach die Termine der „Volksfront“ veröffentlicht. Am 15. Juli 1932 übernahm Heinrich Pfeffer, Nationalsozialist aus „Buer bei Gelsen- kirchen“, als Kreisleiter den NSDAP-Kreis Borken-Bocholt310. Trotz der politisch unsicheren und wirtschaftlich schweren Zeiten wurde auch im Sommer 1932 Schützenfest gefeiert. Beim Schützenfest des St. Georgius- Schützenvereins wurde u. a. Louis Ostberg, seit 1912 Vorsitzender der israelitischen Synagogengemeinde Bocholt, für 50jährige Vereinszugehörigkeit geehrt. Das silberne Jubiläumsabzeichen erhielten u. a. Max Rosenberg (Sohn des stellvertretenden Gemeinde vorsitzenden Hermann Rosenberg) und Sally Wolff, der Ansprechpartner des israelitischen Männervereins Chewra Kadischa311.

Ende September 1932 kam es in Bocholt zum Streik der halben Belegschaft (ca. 300 Mann) der Firma Stern & Loewenstein. Auf Grund der Notverordnung vom 5. September 1932 waren den Arbeitern die Löhne gekürzt worden. Außerdem wurden neue Arbeiter zu geringeren Löhnen eingestellt, was einen zusätzlichen Druck auf die Löhne brachte. Zwei Tage später – inzwischen hatte sich der Streik ausgeweitet, überdies war das Einigungsangebot der Firma abgelehnt worden – wurden alle Arbeiter entlassen312. Erst am 6. Oktober 1932 konnte das Bocholter Volksblatt „Der Streik beendet“ melden313.

Die Gottesdienstordnungen für Jom Kippur (Neujahr) und Sukkot (Laubhüttenfest) wurden auch in diesem Jahr veröffentlicht314:

Neujahr 5682 Freitagmorgen Andacht 7 Uhr Freitagabend 19 ½ Uhr Predigt Samstagmorgen 7 ½ Uhr Predigt Samstagabend 18.50 Uhr [Schacharit Minchah an beiden Tagen 16 Uhr Festende 18.50 Uhr

Sukkot Freitagabend Festbeginn 17.30 Uhr Samstagmorgen Beginn des Gottesdienstes 8.30 Uhr Samstagabend 2. Festabend 18.20 Uhr Sonntagmorgen 8.30 Uhr Predigt Minchah an beiden Tagen 16 Uhr Festausgang 18.20 Uhr

Bei diesen „hohen Feiertagen“ amtierte in der Synagoge erstmals Alfred Herz, der am 4. September 1932 als Prediger an der Synagoge und Lehrer der israelitischen Schule eingeführt worden war.

Hierzu stand im Bocholter Volksblatt: „Nach Ausscheiden des seit 35 Jahren an der jüdischen Schule angestellten Herrn Lehrer Nußbaum ist jetzt von der Regierung Herr Alfred Herz mit der Verwaltung der Lehrerstelle beauftragt worden. Herr Herz, 1900 in Eisendorf[,] Kr[eis]. Aachen[,] geboren, war als Lehrer in Zülpich, Schweich und seit 1924 in Braunschweig angestellt und besonders in der Jugendbewegung tätig. Mit sei-

310 Schröder, S. 331. 311 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 9. August 1932. Schützenfest im Schützenhaus. 15 Jubilare werden geehrt. 312 Ebd., 28. September 1932. 313 Ebd., 6. Oktober 1932, Der Streik beendet. 314 Ebd., 28. September 1932, Israelitischer Gottesdienst Neujahr 5682.

BUCH DER ERINNERUNG | 65 nem Dienstantritt übernimmt Herr Herz auch die seelsorgerischen Funktionen bei der hiesigen jüdischen Gemeinde.“315 Zum 1. Oktober 1932 meldete die NSDAP-Kreisleitung Borken-Bocholt einen Mitglie- derzuwachs von 117 %. Damit lag der heimische Kreis an der Spitze der münsterlän- dischen NSDAP-Kreisleitungen316. Während des gesamten bisherigen Jahres 1932 – Ende des Jahres galten 6000 Bo- cholter als Wohlfahrtsempfänger – war die wirtschaftliche Kraft der Stadt gesunken. Viele Bocholterinnen und Bocholter, besonders die in der Textilindustrie beschäftigten, verarmten. Viele verloren ihre bisherigen Wohnungen und mussten in Baracken auf dem Hochfeld ziehen317. Das Bocholter Volksblatt rief zu Sammlungen für „Bocholter in Not“ auf318. Anfang No- vember 1932 sammelte man auch im niederländischen Bredevoort für Bocholt. Goldenes Geschäftsjubiläum feierte am 1. November 1932 die Firma Jacob Meier, das Geschäft eines Bocholters jüdischen Glaubens, an der Osterstraße. Hierüber berich- tete das Bocholter Volksblatt: „Die Firma wurde von Herrn Jacob Meier gegründet und hat sich aus kleinen Anfängen heraus zu einem der bedeutendsten Spezialgeschäfte der Teppich- und Gardinenbranche des Münsterlandes entwickelt. Das jetzige Geschäfts- haus wurde im Jahre 1890 von dem damaligen Inhaber angekauft und ist inzwischen mehrmals modernisiert worden. Der letzte Umbau, wobei das heutige neuzeitliche Ge- schäftslokal errichtet wurde, geschah im Jahre 1925. Dank der hervorragenden Leistun- gen der jetzigen Inhaber ist die Entwicklung auch in der augenblicklichen Krisenzeit nicht aufgehalten worden.“319 Über die traditionelle „Würdige Gedenkfeier für die gefallenen Krieger“ konnte man ebenfalls am 1. November 1932 im Bocholter Volksblatt lesen: „[...] Am frühen Nach- mittag marschierten die Vereine des Kreiskriegerverbandes mit umflorten Fahnen unter Vorantritt der Kriegerkapelle vom Kaiser-Franz-Josef-Platz aus zum jüdischen Friedhof und dann zum Ehrenfriedhof auf dem neuen Friedhof, wo man der gefalle- nen Kameraden in der üblichen Weise gedachte. Auf dem jüdischen Friedhof sprachen Diplomingenieur Bellwinkel und Fabrikant Ostberg. [...]“320 Am 3. November 1932 berichtete das Bocholter Volksblatt unter der Überschrift “Ein alter Bocholter gestorben“ über den Tod von Moses Cohen: „Wiederum ist einer un- serer ältesten Mitbürger, der Metzgermeister Moses Cohen, zur ewigen Ruhe eingegan- gen. Der im 80. Lebensjahre Dahingeschiedene hat sich noch bis vor wenigen Monaten einer guten körperlichen und geistigen Frische erfreut. Bei jeder Witterung sah man den alten Herrn in den Morgenstunden seine Spaziergänge machen. Er war das älteste Mitglied der hiesigen Metzgerinnung, die er mitbegründet hat. An den Arbeiten der Städtischen Fürsorgekommission nahm er als Vertreter der Kleinrentner regen Anteil und half durch sachkundigen Rat manche Not zu lindern. Möge dem Dahingeschie- denen die Erde leicht werden.”321 Zwei Tage später meldete das Bocholter Volksblatt: „Im Silberkranz. Am heutigen Tage begehen die Eheleute Salomon Seif und Regina, geborene Simoni, das Fest der silbernen Hochzeit.“322

315 Ebd., 4. September 1932, Neuer Lehrer und Prediger der jüdischen Gemeinde. 316 Schröder, S. 336. 317 Katholisches Pfarramt Liebfrauen, Bocholt, Pfarrarchiv, Chronik Hl. Kreuz, S. 5. 318 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 25. Oktober 1932. Sammlung für „Bocholter in Not“. 319 Ebd., Bocholter Volksblatt vom 29. Oktober 1932. Goldenes Geschäftsjubiläum. 320 Ebd., 3. November 1932. Allerheiligen Allerseelen. Würdige Gedenkfeier für die gefallenen Krieger. 321 Ebd., Ein alter Bocholter gestorben. 322 Ebd., 5. November 1932. Im Silberkranz.

66 | BUCH DER ERINNERUNG Im Bocholter Volksblatt vom 9. November 1932 wurde unter der Überschrift „Bald ist Martinsabend da!“ die Zugordnung für den einen Tag später stattfindenden Martinszug abgedruckt. Danach beteiligte sich die „jüdische Schule“ mit 13 Kindern zusammen mit u. a. der Kreuzbergschule, der Feuerwehrkapelle und der Sanitätskolonne V an dem Umzug. Dieser Zugteil wurde nach dem Martinszug in der Realschulstraße aufgelöst323.

Über eine politisch motivierte Schießerei mit einem Todesopfer berichtete das Bocholter Volksblatt am 18. November 1932. Die Beerdigung des Erschossenen wenige Tage später wurde von der KPD zu einer politischen Demonstration umfunktioniert. Ebenfalls wurde über eine Gerichtsverhandlung berichtet, nach der ein „Hilfsarbeiter“ einen Stahlhelm-Mann mit „Rot Front“ begrüßt und geschlagen hatte. Der Arbeiter wurde zu einer Woche Gefängnis auf Bewährung verurteilt324.

In der Nacht zum 28. November 1932 wurden „wieder zwei Schaufenster in [der] Nord- und Osterstraße zertrümmert, zusätzlich wurde in eine Hauswand in der Osterstraße ein Hakenkreuz eingeritzt.“325 Bei einer polizeilichen Haussuchung Anfang Dezember 1932 wurde bei einem KPD-Funktionär Diebesgut aus nächtlichen Einbrüchen gefun- den.

Als einige Tage später Wohlfahrtsempfänger im Stadthaus an der Ravardistraße, dem Sitz von Oberbürgermeister Dr. Otto Schmitz und der Stadtverwaltung, demon strier- ten, wurde das Haus durch die Polizei geräumt326.

Die Anzeigen für das Geschäft S. B. Löwenstein waren um Weihnachten 1932 wie in jedem Jahr mit Tannenbaum-Motiven geschmückt. Auch David Triebwasser warb in einer Anzeige, die mit Tannenzweigen und Kerzen verziert war, für seine Geschenk- ideen327.

„So kann es nicht weiter gehen!“ lautete am 14. Dezember 1932 die Überschrift über einem Artikel zur prekären wirtschaftlichen Lage der Bewohner der Stadt. Jeder sechste Einwohner in Bocholt wurde vom Wohlfahrtsamt unterstützt, ging aus diesem Artikel hervor. 6000 Bocholter, das waren 18 % der Bevölkerung, „leben auf Kosten der Stadt“328.

Das Spielwarengeschäft Otto Scherbel in der Nordstraße reagierte auf diese Lage und versprach Käufern bis zum Jahresende 10 % Rabatt329.

Am 16. Dezember 1932 „erfolgte [die] Wahl der Herren Louis Ostberg, Hermann Rosen- berg, Ernst Braunschweig zu Mitgliedern des Vorstandes der Synagogengemeinde Bo- cholt und des Herrn Dr. [med.] Arthur Hochheimer zum stellvertretenden Vorstands- mitglied.“ Die Vereidigung der beiden neuen stellvertretenden Vorstandsmitglieder Ernst Braunschweig und Arthur Hochheimer erfolgte nach ihrer Bestallung durch den Regierungspräsidenten Münster am 18. Januar 1933 durch Bürgermeister Wilhelm Brockhoff 330.

323 Ebd., 9. November 1932. Bald ist Martinsabend da. 324 Ebd., 18. November 1932. Schießerei Ein Todesopfer. 325 Ebd., 29. November 1932. Wieder 2 Schaufenster zertrümmert. 326 Ebd., 11. Dezember 1932. Demonstration von Wohlfahrtsempfängern im Stadthaus – polizeilich geräumt. 327 Ebd., 19. Dezember 1932. Werbeanzeige Triebwasser. 328 Ebd., 14. Dezember 1932. So kann es nicht weiter gehen. 329 Ebd., 14. Dezember 1932. Werbeanzeige Scherbel: Achtung für Bocholt und Umgebung – bis 31.12.32 – 10% Rabatt. Schaufenster Nobelstraße Nordstraße. 330 Ebd., SBOH 2 Nr. 1007. Wahl des Vorstandes und der Repräsentanten der Synagogengemeinde 1916 – 1935, Pro- tokoll vom 18. Januar 1933.

BUCH DER ERINNERUNG | 67 „Wieder 2 Schaufenster Unter den Inserenten einer Anzeigen- zertrümmert“ meldete seite in der Ausgabe des Bocholter die Grenzwarte am 12. Volksblattes vom 31. Dezember 1932/1. Januar 1933. „Im Kauf- Januar 1933 findet sich erstmals keine haus Mühlfelder wurde eine kleine Scheibe an jüdische Firma mehr. 1933 gab es un- der Hinterfront des ter 33441 Einwohnern 2955 evange- Geschäftshauses an lischen Glaubens, 30.191 katholischen der Gasthausstraße“ Glaubens und 204 Juden331. zertrümmert. Die große Arbeitslosigkeit, gepaart mit (StdA B, ZSlg., Grenz- den hetzerischen und in der Tendenz warte, 12. Januar 1933) vielfach antisemitischen politischen Parolen der Nazis, radikalisierte im Winter 1932/33 auch in Bocholt Teile der Bevölkerung. Unter der Überschrift „Eine unruhige Nacht“ berichtete das Bocholter Volksblatt am 12. Januar 1933, dass „wieder zwei Schaufenster zertrümmert“ wurden: „In der gleichen Nacht wurde gegen 2 Uhr ein an der Gasthausstraße gelegenes Schaufenster der Firma M. Mühlfelder (Ostermarkt) eingeschlagen. Nachbarn, die das Klirren der Scheibe gehört haben wollen, nahmen keine Notiz von dem Vorfall. Da die Inhaber überhaupt nichts gehört hatten, wurde der angerichtete Schaden erst am anderen Mor- gen entdeckt. Gestohlen wurde auch hier nichts.“ Die Polizei rief die Bevölkerung zur Mitarbeit bei der Fahndung auf; dafür setzte sie eine hohe Belohnung aus332.

4.2. 30. Januar 1933 – „Machterschleichung“

Am 30. Januar 1933 wurde Hitler durch Reichspräsident von Hindenburg zum Reichs- kanzler ernannt. An diesem Tag soll in Bocholt ein Fackelzug der Nationalsozialisten vom Schützenhaus aus Richtung Innenstadt gezogen sein. „Singende Mädchen und Jungen folgten ihnen“, erinnerte sich Edith Magnus, die als Siebenjährige den Zug vom elterlichen Haus Bahnhofstraße 17 sah333. Sie hörte auch die dabei gesungenen anti- semitischen Lieder. Was über die neue Regierung zunächst in den Bocholter Zeitungen zu lesen war, klang nicht beunruhigend. Man hielt Hitler jetzt durch die Zwänge des Regierens für bald entzaubert und zwischen Hugenberg und Vizekanzler Franz von Papen eingerahmt. Deshalb lauteten auch in Überschätzung der Festigkeit der demokratischen Strukturen in Deutschland die Schlagzeilen des Bocholter Volksblatts am nächsten Tag: „Die Harz- burger Front am Ziel – Hitler auf dem Stuhle Bismarcks“, andererseits: „Das Zentrum wartet ab.“334

331 Nach der Statistik der Stadt Bocholt lebten am 17. Juni 1933 insgesamt 204 Bocholterinnen und Bocholter jüdi- schen Glaubens in Bocholt (LA NW STA Detmold, D 21 A Nr. 4852. Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen Ernst Diele u. a. wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord 5 Js 18/61, Band 1, S. 140). 332 StdA B, ZSlg., Zeno-Zeitung – Volksblatt für Bocholt und den Kreis Borken – vom 12. Januar 1933. Eine unruhige Nacht – Wieder zwei Schaufenster zertrümmert. 333 Ebd., BBV vom 30. Januar 1993 [Edith Magnus] „Das wird man einfach nicht mehr los! Wie NS-Propaganda bei einem jüdischen Mädchen antisemitische Gedanken verankerte.“ Von Berthold Blesenkemper. Für einen Umzug am Abend des 30. Januar 1933 gibt es ansonsten auch in den vorhandenen Zeitungsausgaben keinen Hinweis. Evtl. verwechselt Edith Magnus das Datum mit dem 20. März 1933, als eine sogenannte „vaterländische Feier“ mit Umzug in Bocholt stattfand. 334 Ebd., Bocholter Volksblatt – überregionaler Teil -, vom 31. Januar 1933. Die Harzburger Front am Ziel – Hitler auf dem Stuhle Bismarcks. Das Zentrum wartet ab.

68 | BUCH DER ERINNERUNG Am 5. Februar 1933 berichtete die Tageszeitung Grenzwarte: „Regierungspräsident Dr. Pünder hat für den gesamten Regierungsbezirk Münster aufgrund des Artikels 123, Absatz 2, der Reichsverfassung mit sofortiger Wirkung sämtliche Versammlun- gen unter freiem Himmel und Umzüge der kommunistischen Partei und ihrer Neben- organisationen wegen unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten. Alle Zuwider handlungen werden strafrechtlich verfolgt.“335

Am gleichen Tag wurde dieses Verbot in Bocholt umgesetzt, als eine Versammlung der noch zweitstärksten Partei in der Stadtverordnetenversammlung, der linkskommu- nistischen Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP), verboten wurde. Hierüber schrieb das Bocholter Volksblatt: „[...] Gestern Nachmittag gegen 4 Uhr hatten sich etliche Mitglie- der der SAP. [sic] auf dem Gasthausplatz eingefunden. Die Versammlung, die unter das kommunistische Versammlungsverbot fiel, wurde von einem Polizeibeamten aufgelöst, ohne daß Gewaltanwendung erforderlich gewesen wäre. Zu Zwischenfällen ist es nicht gekommen.“336

Am 7. Februar 1933, einem Samstagabend, fand im Saal des Hotels Bürgerkrug ein von der Bocholter SA veranstalteter Werbeabend statt337. Hierüber ist der Tageszeitung Grenzwarte zu entnehmen: „Im überfüllten Saal des Hotel-Restaurants Bürgerkrug veranstaltete [...] die SA der NSDAP unter Beteiligung des Stahlhelms einen Werbeabend. [...] Nach dem Einzug der Fahne begrüßte der Sturmführer Martin die Anwesenden und erteilte im Anschluß daran dem Sturmbannführer Wagner, Hervest-Dorsten, das Wort, der sich verbreitete über die Aufgaben, die der S. A. [sic] im neuen Staat harren. [...]“338 Bereits am 9. Februar 1933 las man in der Tageszeitung Grenzwarte, dass die Scheiben des Wild- und Geflügelgeschäftes von Norbert Lorch an der Ostmauer eingeworfen worden waren339.

Das zunächst noch rabaukenhafte Vorgehen gegen Juden nahm nach der Berufung Hit- lers zum Reichskanzler zu, auch in Bocholt verbreitete das z. T. terroristische Auftreten der SA bald Respekt und bei den Gegnern und Verfolgten des neuen Regimes Angst. Am 29. Februar [sic] 1933 meldete die Tageszeitung Grenzwarte: „Haussuchungen bei KPD und SPD.“ Darüber las man: „Im Laufe des gestrigen Tages wurde bei einer größeren Anzahl von Funktionären der KPD und der SPD Haussuchung abgehalten. Erhebliche Mengen von Flugschriften und Broschüren sind beschlagnahmt worden.“340

Am 1. März 1933 berichtete das Bocholter Volksblatt, dass das Paulushaus, das Vereins- haus der KAB „St. Paulus Bocholt“ und Sitz des KAB-Arbeitersekretariates, bei der Wahlkampfveranstaltung mit dem früheren Reichsarbeitsminister Adam Stegerwald wegen Überfüllung polizeilich geschlossen wurde341.

Im Zusammenhang mit dem Abbau demokratischer Rechte nach der Reichstagsbrand- verordnung vom 27. Februar 1933 erfolgte auch in Bocholt am 3. März 1933 die Ein- stellung von SA-, SS- und Stahlhelm-Männern als Hilfspolizisten. Menschlich und fachlich zumeist ungeeignete Männer, vielfach Schläger, deren einzige „Qualität“ ihre Mitgliedschaft in der NSDAP war, „werden auch in Bocholt [...] eingestellt. Da die Zahl

335 Ebd., Grenzwarte – Amtliches Kreisblatt für den Stadtkreis Bocholt und den Landkreis Borken – vom 5. Februar 1933, Regierungspräsident verbietet alle Umzüge und Versammlungen der KPD. 336 Ebd., Aufgelöste Versammlung der SAP. 337 Ebd., Bocholter Volksblatt vom 4. Februar 1933, Anzeige. 338 Ebd., Grenzwarte vom 9. Februar 1933, SA-Werbeabend. 339 Ebd., 9. Februar 1933, Schaufensterstürmer in Bocholt. Mehrere Fensterattentate in einer Nacht. 340 Ebd., 29. Februar 1933, Haussuchungen bei KPD und SPD. 341 Ebd., Bocholter Volksblatt vom 1. März 1933, Das Paulusheim wegen Überfüllung geschlossen.

BUCH DER ERINNERUNG | 69 der Hilfspolizeibeamten die Zahl der planmäßigen Polizeibeamten nicht überschreiten darf, kommen für Bocholt höchstens 25 Hilfspolizeibeamte in Frage. [...]“342 Im Bereich des Polizeipräsidiums Recklinghausen wurden Hilfspolizisten nur in Münster und Bo- cholt rekrutiert. Die Tageszeitung Grenzwarte meldete bereits am 7. März 1933, dass die Einstellung für Bocholt schon zu Ende geführt sei: „Grundsätzlich sollen alle na- tionalgesinnten Kreise zur Mitarbeit herangezogen werden; bis auf weiteres kommen [...] aber nur Angehörige der SS, SA, des Stahlhelms (Bund der Frontsoldaten) und des deutschnationalen Kampfringes in Betracht. [...]“343

Am gleichen Tag konnte die SPD ihre letzte Anzeige zu einer Wahlkampfveranstaltung mit „dem Genossen“ Schmidt aus Solingen schalten344. Hierzu berichtete die Tageszei- tung Grenzwarte: „Die Bocholter Ortsgruppe der Sozialdemokratischen Partei hielt am Freitag im ‚Großen Kurfürsten’ eine Wahlversammlung ab, deren Besuch als recht gut bezeichnet werden muß, war doch der geräumige Saal restlos besetzt. Mit einem Chorlied des ‚Volkschores’ Bocholt wurde die Veranstaltung eingeleitet. Herr H. Sänger von der hiesigen Ortsgruppe eröffnete die Versammlung und übergab dann dem Redner des Abends, Herrn Schmidt-Solingen, das Wort zu einem längeren Re- ferat. In recht vornehmer und schlichter Form entwickelte der Redner des Abends seine Ideen. Die SPD habe sich in den Jahren ihres Wirkens stets restlos für die Belange der werktätigen Masse eingesetzt und man habe manchen großen Erfolg zu verzeichnen gehabt. Die SPD verurteile jede Terrorpolitik aufs schärfste. […] Mit einem Lied des ‚Volkschores’ Bocholt schloß die ruhig verlaufene Wahlkundgebung.“345

Die Reichstagswahlen am 5. März 1933 fanden im Stadtkreis Bocholt mit einer Wahl- beteiligung von 91,0 % statt.

Bei der letzten freien Kommunalwahl am 12. März 1933 fuhr das Zentrum einen großen Wahlsieg ein und errang 19 Sitze, zwei mehr als bisher. Die erstmals in Bocholt an- tretende NSDAP (auf dem Wahlzettel noch „Hitlerbewegung“ genannt) schaffte auf Anhieb 5 Sitze. Neben drei Stadtverordneten der SPD zogen nur noch zwei Kommu- nisten sowie zwei Kandidaten der Wirtschaftlichen Vereinigung in die Stadtverordne- tenversammlung ein.346 Von den abgegebenen gültigen Stimmen von insgesamt 17.687 erhielt die NSDAP 2.415 Stimmen, die SPD erreichte 2.245 und die KPD 2.068 Stim- men. Wahlsieger wurde das Zentrum mit 9.640 Stimmen347.

Zu ihrem 70. Geburtstag am 14. März 1933 gratulierte das Bocholter Volksblatt bereits am 11. März 1933 Emmy Gompertz. Die engagierte Bocholterin jüdischen Glaubens sei „seit Jahren als Vorstandsmitglied verschiedener Vereine auf sozialem und geisti- gem Gebiet eifrig tätig, und trotz ihres Alters bekundet sie großes Interesse auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens. Möge der Altersjubilarin ein sorgenfreier Lebens- abend beschieden sein.“348

„Wekape wieder geöffnet“, meldete das Bocholter Volksblatt, nachdem das am 14. März 1933 durch SA-Leute erneut geschlossene Geschäft in der Osterstraße einen Tag später

342 Ebd., Grenzwarte vom 7. März 1933, Die Einstellung der Hilfspolizei. 343 Ebd. 344 Buschfort, Hermann: Zwischen Soutane und roten Fahnen. Die Geschichte der Bocholter SPD, Essen 1986, S. 76. 345 StdA B, ZSlg., Grenzwarte vom 5. März 1933, Aus dem Wahlkampf. – Wahlkampfappell der SPD Bocholt. 346 Ebd., Bocholter Volksblatt vom 13. März 1933, Extrablatt Die Kommunalwahlen in Bocholt und Umgebung. 347 www.verwaltungsgeschichte.de Homepage Deutsche Verwaltungsgeschichte 1871 – 1990 © 2006 by Dr. Michael Rademacher M.A. 348 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 11. März 1933, Hohes Alter, vgl. Biogramm S. 203.

70 | BUCH DER ERINNERUNG wieder geöffnet worden war349. Die Zeitungsnotiz „Das Wekape war Eigentum der jüdischen Wekape geschlossen.“ Familie Meierhardt, die 1935 aus Bo- (StdA B, ZSlg., Bochol- ter Volksblatt, 10. März cholt verzog. 1933)

Auch die auf dem Gymnasium nach dem Flaggenerlass des Reichskommis- sars für Preußen, Göring, ge hisste Hak- enkreuzfahne wurde wieder entfernt350. In der Nacht zum 16. März 1933 kam es in verschiedenen Straßen, in der Kaiser- Friedrich-Straße und der Marienstraße, zu Schlägereien zwischen politischen Gegnern. Hierbei soll ein früherer kommunis- tischer Stadtverordneter verletzt worden sein351.

An ihrem neuen Wohnort Dinslaken wurde am 18. März 1933 Jeanette Wolff, die bis 1932 in Bocholt der SPD-Fraktion der Stadtverordnetenversammlung angehört hatte, verhaftet352. Die ehemalige Bocholterin jüdischen Glauben wurde bis zum 17. April 1935 in Duisburg-Hamborn in „Schutzhaft“ gehalten.

Am 22. März 1933 war dem Bocholter Volksblatt zu entnehmen: „Bocholt im Flag- genschmuck: Der Nationalfeiertag. Vaterländische Feier auf dem Marktplatz – ein im- posanter Fackelzug“. So machte das Bocholter Volksblatt seinen Bericht über die Feier des Nationalfeiertags auf: „Mit heller Begeisterung stimmten die Massen in das Hoch ein, und dann erbrauste das Deutschlandlied, aus vielen tausend Kehlen gesungen, in den abendlichen Himmel. Nachdem das Horst-Wessel-Lied verklungen war, formierten sich die Verbände und Vereine zu einem imposanten Fackelzug, der sich durch die Straßen der Altstadt bewegte, während eine riesige Menschenmenge allüberall Spalier bildete. Voran schritten die Stahlhelmleute, es folgten Zoll- und Polizeibeamte, Abordnungen des Gymnasiums und von Jugendvereinen aller Art, die Kriegervereine, Reichs-, Staats- und Kommunalbeamte, Schützen- und Sportvereine und zuletzt die Abteilungen der N.S.D.A.P. [sic], sie alle mit ihren Fahnen, Standarten und Bannern – ein buntfarbiges Bild. Immer wieder erklangen die Sturm- und Bannerlieder. Die Feuerwehrkapelle, die vereinigten Kriegerkapellen und die Kapelle des Arbeitervereins St. Paulus intonierten immer erneut Militärmärsche und sonstige Weisen.“353 Unter dem Aufmacher „Betriebsratswahlen in der Textilindustrie. In den meisten Be- trieben nur christliche Listen“ berichtete das Bocholter Volksblatt über die letzten frei- en Betriebsratswahlen am 20. und 21. März 1933. Trotz der Einschüchterungsversuche der neuen Machthaber gewann die Liste der christlichen Gewerkschaft in Bocholt die Betriebsratswahlen354.

In der „Verordnung zur Behebung von Mißständen in der gemeindlichen Verwaltung“ vom 22. März 1933 dekretierte der kommissarische preußische Ministerpräsident und Kommissar des Reiches, Hermann Göring, dass „besoldete gemeindliche Beamte, Angestellte und Arbeiter innerhalb ihrer Vertretungskörperschaft kein Mitglied der Vertretungskörperschaft sein können.“

349 Ebd., Bocholter Volksblatt vom 14. März 1933, Wekape abermals geschlossen; Grenzwarte vom 15. März 1933, Ungestörter Geschäftsverkehr im Wekape. 350 Ebd., Grenzwarte vom 12. März 1933, Hakenkreuz auf dem Gymnasium. 351 Ebd., Bocholter Volksblatt vom 12. März 1933. Überfall auf ein NSDAP-Mitglied. 352 Ebd., 19. März 1933. Verhaftet. 353 Ebd., 23. März 1933, Bocholt im Flaggenschmuck: Der Nationalfeiertag. Vaterländische Feier auf dem Marktplatz – ein imposanter Fackelzug. 354 Ebd., 21. März 1933, Betriebsratswahlen in der Textilindustrie.

BUCH DER ERINNERUNG | 71 In Bocholt betraf dies u. a. Oswald Ludwig (SPD), der die Schlosserwerkstatt im städtischen Lagerhof führte, und den Direktor des Städtischen Gymnasiums und Re- algymnasiums und bisherigen Fraktionsvorsitzenden des Zentrums, Bartholomäus Sommer355.

Am 25. März 1933 legte zudem Gewerkschaftssekretär Gustav Krüger sein Stadtverord- netenmandat nieder. Im Bocholter Volksblatt stand darüber einige Tage später: „Noch ein Stadtverordneter tut nicht mit. Außer den beiden Stadtverordneten, deren Namen wir gestern mitteilten, hat auch Sekretär Gustav Krüger, der auf dem Wahlvorschlag der SPD [sic!] gewählt worden war, die Annahme [sic] des Stadtverordnetenmandats nieder gelegt.“ 356 Am gleichen Tag war der Tageszeitung Grenzwarte unter der Überschrift „Arbeitsge- meinschaft der Rechtsparteien im Bocholter Stadtparlament“ zu entnehmen, dass „[...] aussichtsreiche Bemühungen im Gange [sind], die drei Rechtsparteien des hiesigen Stadtparlaments, die NSDAP., die Nationale Arbeitsgemeinschaft und die Wirtschaftli- che Vereinigung, zu einer taktischen Arbeitsgemeinschaft zusammenzuführen, sodaß sich auf der rechten Seite des Hauses eine 9köpfige Fraktion bilden würde. Die Gesamt- zahl der Fraktionen würde dadurch auf drei herabgemindert, nach dem auch das Bocholter Stadtparlament kommunistenfrei sein wird.“ 357 Ebenfalls am 25. März 1933 rief der „National-sozialistische Frauenorden“ zu einer „nationalen Frauen-Kundgebung“ im Hotel Bürgerkrug in der Langenbergstraße 26 – 28 auf. Im Anschluss an das Referat von Frau Hoffmann-Buer fand eine Verlosung statt. „Alle nationalgesinnten Frauen mit ihren Angehörigen laden wir herzlich ein. Die Leiterin der Ortsgruppe Bocholt“358.

4.3. Der Boykott vom 28. März bis 1. April 1933 in Bocholt Das neue Regime nahm sich jetzt, nachdem es seine politischen Gegner verhaftet und ihre Organisationen zum Teil verboten hatte, seinen „Hauptfeind“, den „Juden“, vor. In Hitlers Schrift „Mein Kampf“ und den Leitsätzen der Partei hätte man schon lange lesen können, dass zum Wesen eines Nationalsozialisten der erbitterte Kampf gegen die Ju- den bis zu ihrer Vernichtung gehört. Wie bitter ernst Hitler dies nahm, sollte sich jetzt, noch mehr aber nach 1940 zeigen, als er nahezu 6 Millionen Juden umbringen ließ. Am 26. März 1933 machte der überregionale Teil des Bocholter Volksblattes, der Zeno- Mantel, wie alle deutschen Zeitungen, mit der Schlagzeile „Greuelmärchen verbreiter festgenommen“ auf. Darin wurde den deutschen Juden unterstellt, sie hätten im Ausland „Greuelmärchen über die deutsche Reichsregierung“ verbreitet. Obwohl sich die Reichsvertretung der deutschen Juden gegen diesen Vorwurf wehrte, wurde er für den am 29. März 1933 im überregionalen Teil der Tageszeitung Grenzwarte veröffentlichten „Auf ruf der Parteileitung“ zum „Abwehrkampf gegen die jüdische Greuelpropaganda“ am 1. April 1933359. Hierin wurde behauptet, dass Juden für den Boykott deutscher Waren im Ausland und die Hetze gegen Deutschland verantwortlich seien. Unterschrieben wurde der Aufruf, jüdische Praxen und Geschäfte zu boykottieren und Käufern bzw. Klienten den Zugang durch Posten zu verwehren, durch das „Zentral-Komitee zur Abwehr der jüdischen Greuel- und Boykotthetze“. An der Spitze des Komitees stand der fränkische Gauleiter und fanatische Antisemit Julius Streicher.

355 StdA B, 3 K 435 Provinziallandtags- und Stadtverordnetenwahl am 19.11.1929. Vermerk vom 25. März 1933. 356 Ebd., ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 28. März 1933. Noch ein Stadtverordneter tut nicht mit. 357 Ebd., Grenzwarte, 28. März 1933, Arbeitsgemeinschaft der Rechtsparteien im Bocholter Stadtparlament. 358 Ebd., 25. März 1933, National-sozialistischer Frauenorden. 359 Ebd., überregionaler Teil, 29. März 1933, Abwehrkampf gegen die jüdische Greuelpropaganda.

72 | BUCH DER ERINNERUNG In Bocholt kam es deshalb schon am 29. März 1933 zu teilweise gewalttätigen Ausschreitungen gegen Juden: In der Nacht zum 30. März war hier – wie der Polizeibericht aussagt – Ausnahmezustand, als Nationalsozialisten durch die Stadt hasteten und Angst und Schrecken unter Bocholtern jüdischen Glaubens verbreiteten. Die Wohnung und das Geschäft von David Triebwasser in der Ernststraße wurden vom NS-Mob verwüstet und die Einrichtung z. T. schwer beschädigt. Auch der neben der Synagoge Durch die Meldung über wohnende Kultusbeamte Salomon Seif wurde in dieser Nacht Opfer der Randalierer. den „Boykott jüdischer Dies schlug sich im Bocholter Volksblatt in dieser lapidaren Meldung nieder: „Wieder Geschäfte“ erfuhren Fenster eingeschlagen. In der Nacht zum Freitag wurden an der Wohnung eines die Leser des Bocholter jüdischen Mitbürgers an der Nobelstraße mehrere Fenster eingeschlagen.“360 Vor den Volksblatts am 1. April 1933 von den tumultarti- jüdischen Geschäften standen an diesen Tagen SA-Männer Posten und verwehrten 361 gen Boykottmaßnahmen Kaufwilligen den Zutritt . in Bocholt. (StdA B, ZSlg., Bocholter Polizeibericht362 Volksblatt, 1. April 1933)

„Am 31. März und 1. April 1933 wurde in Bocholt gegen eine Reihe von jüdischen Geschäften von Nationalsozialisten vorgegangen. Am 31. März 1933 wurden in der Wohnung des Synagogendieners Salomon Seif in der Nobelstraße Fensterscheiben zertrümmert und in den Geschäften von Löwenstein, Silberschmidt und Meier in der Osterstraße sowie bei Scherbel in der Nordstraße Fensterscheiben mit schwarzer Farbe angestrichen. In der Nacht vom 31. März zum 1. April 1933, etwa in der drit- ten Stunde, wurden in dem Geschäfte von Spier in der Königstraße 2 Schaufenster- scheiben eingeschlagen und ferner in dem Tapetengeschäfte Fischmann in der Neu- straße und bei Herzfeld in der Nordstraße Schaufensterscheiben eingeschlagen. Um diese Zeit wurde auch mehrfach in der Nobelstraße und in der Nähe der Franz- und Ernststraße sowie des Marktplatzes, des Franz-Josef-Platzes und der Hermannstraße geschossen und Signalpfiffe abgegeben. Infolge dieses Lärms versuchten mehrere Po- lizeibeamte insbesondere die Hauptwachtmeister Schmitz und von Radzimiski nach den Tätern zu fahnden. Hauptwachtmeister Schmitz wurde dabei von einem von ihm nicht erkannten Manne, der eine Waffe in der Hand hielt, an der Ecke der Franz- und Ernststraße angerufen ‚weiterfahren oder ich schieße’. Auf einen in der Nähe befind- lichen Konditor Weissing wurde sodann auch tatsächlich ein Schuß abgegeben, der nicht traf, aber zu dem Ausruf Anlaß gab, es sei ja noch schlimmer als in Rußland. Soweit in den Strafakten gegen S. und Genossen [...] festgestellt werden konnte, haben auf Veranlassung des Sturmführers Bertram vorher in der Gastwirtschaft ‚Bierquelle’ von Flügemann anwesende Personen reichlich getrunken und sind sodann unbefug- terweise in die Wohnung des vorher schon genannten Synagogendieners Seif in der Nobelstraße und hierauf in die Wohnung des Möbelhändlers Triebwasser, Ernststraße 8, gedrungen. [...]

360 Ebd., Bocholter Volksblatt vom 1. April 1933. Wieder Fenster eingeschlagen. 361 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über Gespräche am 10. August/1. Dezember 1994 mit Klara Lehmbrock (1923 – 2010), geführt vom Josef Niebur und Werner Sundermann. 362 StdA B, SBOH 2 Nr. 1012. Tumultschadenssache Seif. Polizeibericht Bocholt [vom 30., 31. März und 1. April 1933] in: Schreiben der Geschäftsstelle des Reichswirtschaftsgerichts vom 17. Mai 1934 - 1.S. XVII. 6/34. - an die Stadt- gemeinde Bocholt.

BUCH DER ERINNERUNG | 73 In die Wohnung des Synagogendieners Seif gingen nach Angaben des Kaufmanns S. dieser – auf Aufforderung des B. – mit P., S., S. und H.. Es war dies etwa um 2.30 Uhr morgens. Die Eingedrungenen zertrümmerten bei Seif den größten Teil des Mobiliars, suchten sodann das obere Stockwerk auf, wo eine alte katholische Frau, Elisabeth Groß- Holtick, wohnte, bei der sie zunächst die Tür einschlugen, in der Küche die Gefäße zerschlugen und den Küchenschrank mit dem darin aufgestellten Porzellan umwarfen. Als sie hierauf weiter in die Schlafräume der Familie Seif dringen wollten, ertönte der Ruf ‚Polizei kommt’, wonach die Täter nach Angaben der Elisabeth Groß-Holtick die Flucht ergriffen. [...] Infolge des Lärms hatte ein in der Nobelstraße wohnender Dr. Eckervogt fernmündlich die Polizei benachrichtigt.”

Harry Meier, dessen Familie im Haus Osterstraße 8 ein Teppichgeschäft führte, erin- nerte sich an diese Tage: „[…] Die Nazis marschierten die Königstraße entlang, vorbei an unserer Wohnung und sangen antisemitische Lieder. Die Fenster unseres Geschäftes wurden mit Teer beschmiert, mit den Wörtern ‚Jude – jüdisches Geschäft’. Nazis stellten sich vor dem Geschäft auf, machten Fotos und hinderten Kunden daran, das Geschäft zu betreten. […]“363 Am 29. März 1933 wurde für Preußen ein landesweites Schächtverbot, das Schlachten nach jüdischer Tradition, erlassen. Städtische Schlachthöfe durften Juden entsprechende Einrichtungen nicht mehr zur Verfügung stellen. Dies war in Bocholt vor diesem Termin selbstverständlich gewesen. So hatte es noch in der letzten novellierten Betriebs- Ordnung für den Schlachthof der Stadt Bocholt vom 8. Juni 1914 unter der Überschrift „Schlachten der Tiere“ eigene Vorschriften für das Schächten gegeben364.

4.4. Einengung des politischen und gesellschaftlichen Lebens in Bocholt Der frühere Bürgermeister von Bocholt Clemens Wesemann, der als Vizepräsident beim Breslauer Oberpräsidium tätig war, war seitens des Preußischen Ministeriums des Innern mit sofortiger Wirkung beurlaubt worden, berichtete das Bocholter Volksblatt vom 8. April 1933365. Paul Levy366 war am 1. Dezember 1931 aus Krefeld nach Bocholt, Osterstraße 52 gekom- men367. Hier hatte er sein Rechtsanwaltbüro. In den Tagen vom 29. Mai bis zum 1. April 1933 wurde sein Büroschild von der Hauswand geschlagen. Der Präsident des Ober- landesgerichtes Hamm entzog ihm zunächst seine Zulassung. Später bekam Levy seine Zulassung zurück368. Levy zog bereits am 1. Juli 1933 nach Krefeld zurück369. Er entkam ins sichere Ausland. Gertrud Reimer, 1911 als Gertrud Weyl in Bocholt geboren, weiß über diese Zeit in Bocholt zu berichten: „Wir saßen im Familienrat zusammen. Zufällig war ich die Einzige der jungen Generation. Als ich, um meine Meinung befragt, sagte: ‚Nicht nur raus aus Deutschland, sondern auch aus Europa!’, wurde ich aus dem Zimmer geschickt. Die gesamte ältere Generation ist umgekommen. […]“370

363 Stadt Bocholt. Fachbereich Zentrale Verwaltung - Interne Dienste - Ordner: Jüdische Mitbürger. Harry Meier, Balti- more/USA, 26. November 1997, Meine Erinnerungen an Bocholt. 364 StdA B, Amtsbücher Nr. 3, Stadtverordnetenbeschlüsse 12. Bd. 1911–1915, 7. Sitzung vom 7. April 1914, einge- heftet hinter S. 294, Betriebs-Ordnung für den Schlachthof der Stadt Bocholt vom 8. Juni 1914, Schlachten der Tiere, § 6–8. 365 Ebd., ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 8. April 1933, Vize-Präsident Wesemann beurlaubt. 366 StdA Münster, Münstersche Zeitung, 1. April 1933. 367 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906-1962. 368 StdA Münster, Münstersche Zeitung, 1. April 1933. 369 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906-1962. 370 Stadt Bocholt. Fachbereich Zentrale Verwaltung - Interne Dienste - Ordner: Jüdische Mitbürger. Gertrud Reimer (Haifa/Israel) an Bürgermeisterin und Stadtdirektor, im August 1997.

74 | BUCH DER ERINNERUNG Letztmalig erschien am 9. April 1933 die Gottesdienstordnung zum israelitischen Pes- sachfest: „Montagabend: Beginn des Festes 19 Uhr – Dienstagmorgen: 8.30 Uhr Predigt. Dienstagabend: 2. Festabend 20 Uhr – Mittwochmorgen: 8.30 Uhr. Mittwochabend: 20 Uhr. Mincha an beiden Tagen 16 Uhr.“371

Am 18. April 1933 legte Johannes Raestrup, Studienrat am Städtischen Gymnasium und Realgymnasium, sein Stadtverordnetenmandat nieder372.

Am 20. April 1933 löste sich die Ortsgruppe Bocholt der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands laut Beschluss des Vorstands auf. Die drei gewählten bzw. nachgerück- ten Stadtverordneten Josef Sicker, Wilhelm Hoves und Wilhelm Senger teilten dies und ihren Mandatsverzicht am 16. Mai 1933 der Stadtverwaltung mit373. Dazu hatten sie keine Alternative, denn NSDAP und Zentrum hatten sich unter Ausschluss der SPD auf die Besetzung der Sitze in den Ausschüssen und Kommissionen geeinigt, eine geordnete Mitarbeit der SPD in der Stadtverordnetenversammlung wäre nicht möglich gewesen.

Es begann jetzt eine Entwicklung, die unter der Bezeichnung „Märzgefallene“ bekannt wurde: Eingeschüchtert, z. T. auch angezogen durch das martialische und gewalttätige Auftreten der „neuen Herren“, versuchte man sich politisch neu zu orientieren. Auch die Warnungen der Kirchen vor dem Nationalsozialismus wurden leiser, als Hitler im März 1933 beiden Kirchen durch die Zusicherung entgegenkam, ihren Bestand und ihre Entwicklungsmöglichkeiten nicht anzutasten.

Durch dieses taktische Kalkül sicherte er sich die aufgrund der Stimmenverhältnisse im Reichstag zwar nicht notwendige, aber dennoch hoch willkommene Zustimmung des Zentrums zum Ermächtigungsgesetz. Dies setzte wiederum die Bischöfe unter Druck, die daraufhin am 28. März 1933 ihre Warnungen und Mahnungen vor dem Nationalsozialismus zurückzogen, ohne aller dings ihre Verurteilung der nationalsozialistischen Weltanschauung aufzuheben. Dieser Unterschied wurde aber, soweit die Verlautbarung wahrgenommen wurde, nicht verstanden. Stattdessen wurde die oberhirtliche Erklärung vom Kirchenvolk als eine Art Unbedenklichkeitserklärung für die von Hitler geführte Regierung und die NSDAP verstanden, die nicht wenige Gläubige irritierte. Trotz der Einschüchterungs- und Drangsalierungsszenarien der örtlichen Nazi-Führer gegen Andersdenkende hatten sie darauf gewartet, von den Bischöfen in eine aus ihrer Sicht notwendige Auseinandersetzung mit der verächtlich „Hitler-Partei“ genannten NSDAP geführt zu werden.

In Bocholt erregte in diesem Zusammenhang besonders der Eisenwarenhändler Josef Fehler, der 1918/19 an den Abwehrkämpfen gegen Polen in seiner oberschlesischen Heimat teilgenommen hatte, großes Aufsehen. Der überzeugte Katholik und Träger des EK II und I trat – zunächst dem nationalsozialistischen Gedankengut nicht ab- geneigt – 1933 der NSDAP und der SA bei. Er sah im Parteiprogramm der NSDAP seine wesentlichen politischen Vorstellungen angesprochen. Im KKV – dem Verband der Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung – war man über diesen Schritt Fehlers geradezu konsterniert374.

371 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 9. April 1933, Gottesdienstordnung zum Pessachfest. 372 Ebd., 3 K 435, Provinziallandtags- und Stadtverordnetenwahl am 19.11.1929. Vermerke der Stadtverwaltung vom 18. und 20. April 1933. 373 Ebd., Josef Sicker, Wilhelm Hoves und Wilhelm Senger [Stadtverordnete der SPD] an die Stadtverwaltung Bocholt, 16. Mai 1933. 374 Ebd., Nachlaß Josef Fehler, Zeugenaussage von Wilhelm Seggewiß vom 3. November 1955 im Prozess Fehler und Andere gegen das Land NRW vor der 2. Entschädigungskammer des Landgerichts Münster Aktenzeichen 9 0 (Entsch.) 66/54 -.

BUCH DER ERINNERUNG | 75 Nicht erklärlich ist auch das Verhalten der christlichen Gewerkschaften. Nach der Machtübernahme Hitlers änderten alle Gewerkschaften – bis auf die kommunistische Rote Gewerkschafts-Opposition – zumindest vordergründig ihre Strategie im Bezug auf die „nationale Regierung“. Bei einer Versammlung der christlichen Textilarbeiter am 20. April 1933 betonte Schriftleiter Otto Maier, „dass [...] die christlich organisierte Arbeiterschaft von jeher national eingestellt war.“375

Der 1. Mai 1933 war ein neuer Feiertag für Bocholts Arbeiter, zumindest wenn man der Berichterstattung des Bocholter Volksblattes glaubt. Der von den National sozialisten erst wenige Wochen zuvor proklamierte arbeitsfreie „Tag der nationalen Arbeit“ mit Lohnfortzahlung sollte die Arbeiter für das NS-Regime einnehmen. Der Tag begann mit Gottesdiensten, denn am 1. Mai begeht die katholische Kirche den Feiertag „Josef, der Arbeiter“. Danach versammelten sich die Belegschaften in den Betrieben. Hier wurden sie auf den „Sinn des Feiertages der Arbeit hingewiesen. [...] Nachdem die Hakenkreuz- fahne gehisst war, wurde ein Sieg-Heil auf den Reichskanzler ausgebracht, womit die Kundgebung ihr Ende fand.“376 Maria Niebur, die an solchen Kundgebungen teilnehmen musste, erinnerte sich: „Wir mußten uns in der Nazizeit so oft Reden anhören, daß ich nicht mehr weiß, wie es genau am 1. Mai 1933 war. Ich erinnere mich aber daran, daß der 1. Mai immer arbeitsfrei war. Damit wir unseren Lohn für diesen Tag bekamen, mußten wir aber morgens zur Fabrik. Hier wurden wir auf den 1. Mai ‚eingestimmt’. Dann ging es mit der ganzen Belegschaft, auch den Angestellten, meistens zum ‚Aschenplatz’, wo wir uns eine Propagandarede eines Nazis anhören mußten. Das war sehr langweilig, da in der Rede nur der ‚Führer’ und seine Erfolge, nicht aber unsere Arbeitswirklichkeit ema war. Ich war froh, wenn die Kundgebung zu Ende war. Denn ich hatte mit den Nazis nichts im Sinn. Anschließend konnte ich nach Hause und dort weiter im Haushalt arbeiten.“377

Doch im Windschatten dieser Errungenschaft der Gewerkschaften, die seit 1895 den 1. Mai als „Tag der Arbeit“ gefeiert hatten, war vom neuen Regime bereits das Ende der Gewerkschaften handstreichartig vorbereitet worden: Der Führer der Partei-Or- ganisation Robert Ley hatte in einem Geheimschreiben vom 21. April 1933 an NSDAP, SA und SS bestimmt: „Dienstag, den 2. Mai 1933, vormittags 10.00 Uhr, beginnt die Gleichschaltungsaktion gegen die Freien Gewerkschaften.“ Anstelle der Gewerkschafts- sekretäre sollten Beauftragte der Nationalsozialistischen Betriebszellen-Organisation (NSBO) die verbotenen Gewerkschaften übernehmen und „gleichschalten.“ 378

Auch in Bocholt wurden die Gewerkschaften am 2. Mai 1933 gleichgeschaltet: In den Morgenstunden war der Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Gewerkschafts- bundes in Bocholt, Gustav Krüger, von SA und SS „verhaftet“ worden379. Er wurde in das berüchtigte Gestapo-Gefängnis „Auf der Ulm“ nach Düsseldorf gebracht. Die christli- chen Gewerkschaften wurden in Bocholt – anders als im übrigen Deutschland – bereits am 5. Mai 1933 von der NSBO „gleichgeschaltet“ und existierten faktisch nicht mehr. Am 23. Juni 1933, als die christlichen Gewerkschaften reichsweit verboten wurden, übernahmen Vertreter der NSBO offiziell das Gewerkschaftsbüro in der Langenberg-

375 Ebd., ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 22. April 1933. Wir waren und sind national. Die christlichen Gewerkschaf- ten im neuen Reich. Schriftleiter Maier spricht vor der Bocholter Arbeiterschaft. 376 Ebd., Bocholter Volksblatt vom 3. Mai 1933, Der Ehrentag der Arbeit in Bocholt. 377 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über Gespräche mit meiner Mutter Maria Niebur (1915–2004) von März/ April 2003. 378 Lauber, Heinz, Rothstein, Birgit: Hitlers Machtergreifung in Arbeiterschaft und in Betrieben. Augen- und Zeitzeu- gen, Daten, Fakten, Dokumente, Quellentexte, esen und Bewertungen, Berlingen 1983, S. 67f. 379 LA NW Düsseldorf, Akten der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeistelle Düsseldorf, RW 58 – 62515. Oberbürger- meister – Kriminalpolizei – Bocholt an die Geheime Staatspolizei – Staatspolizeileitstelle Münster – vom 7. Februar 1938.

76 | BUCH DER ERINNERUNG straße. Mit der Führung wurde der Leiter der Bocholter NSBO, Karl Jacobs, beauftragt380. Der bisherige Vorsitzende der christlichen Gewerkschaften in Bocholt, August Göwert, wurde für mehrere Tage inhaftiert381. Unter der Überschrift „Gewerkschaftssekretäre ihres Amtes enthoben“ meldete das Bocholter Volksblatt am 16. Juli 1933 mit der Amtsenthebung von Göwert und Krüger das endgültige Ende der Gewerkschaften. In der Meldung wurde betont, dass „[...] die Maßnahme nicht auf lokale Vorkommnisse zurückzuführen [war ...] Die Geschäftsführung der beiden Verwaltungsstellen wurde von den NSBO-Beauftragten als ordnungsgemäß anerkannt.“382

„Um die Genossenschaft den geänderten politischen und wirtschaftlichen Verhältnis- sen anzupassen“, wurde diese, wie es in der Meldung des Bocholter Volksblattes „Gleich- schaltung bei der Zentralmolkerei“ vom 15. Mai 1933 hieß, bei der „außerordentlichen Mitgliederversammlung im Bürgerkrug gleichgeschaltet“. Es wurde betont, „daß nur solche Mitglieder in der Führung der Genossenschaft tätig sein könnten, die zur neuen Regierung und nicht in Opposition ständen.“ In welcher Windeseile die NSDAP ihre örtlichen Führungsstrukturen aufbaute, beweist die Tatsache, dass es bereits einen „Beauftragten der Kreisleitung“ für das Agrar- und Genossenschaftswesen gab, der bei der Versammlung anwesend war383.

Am gleichen Tag wurde bekannt gegeben, dass wegen des „Anschwellen[s] der Mit- gliederzahl der NSDAP. [sic] in Bocholt […] eine Teilung [der Partei] erforderlich“ war. Bocholt wurde deshalb in „drei selbständige Ortsgruppen Bocholt-Süd, Bocholt-West, Bocholt-Ost [aufgeteilt]“. Bei der nächsten Mitgliederversammlung übergab Kreisleiter Pfeffer die Fahnen384.

Nun hatten auch die Vereine erkannt, was die neuen Machthaber von ihnen forderten: den Ausschluss der Mitglieder jüdischen Glaubens. Der Vorstand des St.-Georgius- Schützenvereins Bocholt hatte noch am 22. Mai 1933 beschlossen, beim Schützenfest 1933 Franz Beckmann, Heinrich Elsinghorst, Louis Ostberg, Max van Velsen und Franz Wietholt für ihre über fünfzigjährige Mitgliedschaft zu ehren385. Kurze Zeit später wur- den drei Namen von der Liste der zu Ehrenden gestrichen, u. a. der des Vorsitzenden der israelitischen Gemeinde Louis Ostberg386. Von diesem Zeitpunkt an tauchte kein Bocholter jüdischen Glaubens mehr in Akten und Festschriften des Vereins auf. Sie waren aus dem St.-Georgius-Schützenverein ausgeschlossen.

Bereits an der Zerschlagung der christlichen und freien Gewerkschaften in Bocholt Anfang Mai 1933 waren Vertreter der örtlichen Nationalsozialistischen Betriebszellen- organisation (NSBO) aktiv beteiligt. Am 23. Mai 1933 lud die NSBO „zu einer Versamm- lung in den Großen Kurfürst [...]. Die Versammlung spendete dem Redner stürmische Beifallsbezeugungen.“387 Am 26. Mai 1933 wurde im Bocholter Volksblatt über die Gleich schaltung im Eisenbahnverein berichtet388, während sich Ende Juni 1933 der Stenographen-Verein Stolze-Schreyl in den neuen Staat eingliederte389.

380 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 26. Juni 1933, Gleichschaltung der Gewerkschaen. 381 Ebd., BBV vom 23. April 1957. August Göwert ist gestorben. 382 Ebd., Bocholter Volksblatt vom 16. Juli 1933. Verbot der Gewerkschaften. 383 Ebd., Bocholter Volksblatt vom 15. Mai 1933, Vorstand und Aufsichtsrat neu gewählt. 384 Ebd. 385 Ebd., Depositum St. Georgius-Schützenverein, Materialien eodor Schwartz, Hefter 1, handschriftliche Vorberei- tung auf die Sitzung vom 22. Mai 1933. 386 Ebd., Notiz Schützenfest 1933 [Erledigungsvermerk: 10.7.33]. 387 Ebd., ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 24. Mai 1933, Kundgebung der NSBO im Großen Kurfürst. 388 Ebd., Bocholter Volksblatt vom 26. Mai 1933, Gleichschaltung im Eisenbahnverein. 389 Ebd., 28. Juni 1933, Gleichschaltung der Stenographen.

BUCH DER ERINNERUNG | 77 Am 16. Juni 1933 lebten 185 Bocholterinnen und Bocholter jüdischen Glaubens in der Stadt an der Aa. Das waren 0,55 % der insgesamt 33.654 Einwohner390.

Bernhard Schürmann, Kaplan an der Pfarrkirche St. Georg und Religionslehrer an der Berufsschule, wurde am 20. Juni 1933 „in Schutzhaft genommen. [...] Die Maßnahme ist darauf zurückzuführen, daß Kaplan Schürmann gewisse Äußerungen gemacht haben soll, durch die der Führer der Hitlerjugend sich beleidigt fühlt. Am Mittwochmorgen gegen 4 Uhr wurde Kaplan Schürmann wieder aus der Schutzhaft entlassen.”391

„Eine KPD-Versammlung aufgelöst“ stand am 27. Juni 1933 als Notiz im Bocholter Volksblatt. Darin wurde ausgeführt: „Am Samstagabend wurde eine kommunistische Versammlung, die in der Schützenstraße stattfand, von der Polizei aufgelöst. 6 Teil- nehmer wurden festgenommen und zur Polizeiwache geführt, jedoch gestern bereits wieder auf freien Fuß gesetzt.”392 Am gleichen Tag wurde darüber informiert, dass „[…] der Betriebsrat der Firma Flender [in Schutzhaft genommen wurde], weil in ihm marxistische Elemente unter nationaler Flagge Unterschlupf gefunden haben.”393 Einen Tag später erfuhr man: „Aus der Schutzhaft entlassen wurden gestern vier Funktionäre der S.P.D. [sic], die vor einigen Tagen inhaftiert worden waren. Es handelt sich um frühere Mitglieder der Firma Flender und nicht etwa um Mitglieder der jetzigen Betriebsvertretung, wie aus der gestern veröffentlichten Notiz hätte entnommen werden können.”394

Ebenfalls am 28. Juni 1933 konnte man lesen, dass am Vortag „die Kommunisten Josef Sch. und N., die sich seit einigen Monaten im hiesigen Gerichtsgefängnis befanden, nach Gelsenkirchen gebracht [wurden], von wo aus sie in einem Sammeltransport in ein Konzentrationslager überführt werden.“395 Der frühere SAP-Vorsitzende Josef Schmitz wurde in das Konzentrationslager Esterwegen gebracht, aus dem er erst im März 1935 entlassen wurde. Von Oktober 1938 bis Mai 1945 war er in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Bergen-Belsen inhaftiert396.

Am längsten hielt sich neben der nunmehr alleinigen Staatspartei NSDAP in Bocholt das Zentrum als letzte demokratische Partei in der beginnenden Diktatur. Dies war kein Ruhmesblatt für die älteste Partei in Bocholt, 1873 gegründet, die eng mit der katholischen Kirche verbunden war. Der bisherige Fraktionsvorsitzende Bartholomäus Sommer musste am 6. April 1933 zwar „auf Grund der ‚Verordnung des Preussischen Staatsministeriums zur Behebung von Mißständen in der gemeindlichen Verwaltung vom 22. 3. 1933 § 4 Nr. 2 [... das] Mandat als Stadtverordneter (Wahlvorschlag ‚Zentrum’ Nr. 1) niederlegen.“397 Immer- hin aber kam es zwischen der NSDAP und dem Zentrum im Vorfeld der konstituieren- den Ratssitzung am 18. Mai 1933 zu einer Zusammenarbeit bei der Besetzung der Sitze in den Ausschüssen und Deputationen, die sie unter bewusster Ausschaltung der SPD

390 http://www.verwaltungsgeschichte.de/bocholt.html. Deutsche Verwaltungsgeschichte 1871 - 1990 © 2006 by Dr. Michael Rademacher M.A.; nach der Statistik der Stadt Bocholt lebten am 17. Juni 1933 insgesamt 204 Bocholterin- nen und Bocholter jüdischen Glaubens in Bocholt (LA NW – STA Detmold, D 21 A Nr. 4852. Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen Ernst Diele u. a. wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord 5 Js 18/61, Band 1, S. 140). StdA B, ZSlg., Zeno-Zeitung - Volksblatt für Bocholt und den Kreis Borken - vom 12. Januar 1933. Eine unruhige Nacht – Wieder zwei Schaufenster zertrümmert. 391 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 22. Juni 1933, In Schutzhaft genommen. 392 Ebd., Bocholter Volksblatt vom 27. Juni 1933, Notiz. 393 Ebd., Eine KPD-Versammlung aufgelöst. 394 Ebd.. Bocholter Volksblatt vom 28. Juni 1933, Aus der Schutzhaft entlassen. 395 Ebd., Ins Konzentrationslager überführt. 396 Niebur, Josef: Mein ganzes Leben habe ich im Kampf um die Rechte der Arbeiter gestanden - Aus dem Leben des Bocholter Stadtverordneten und SAP-Vorsitzenden Josef Schmitz (1885 - 1954), in: Unser Bocholt, Heft 1/1996, S. 35 f. 397 StdA B, 3 K 435 Provinziallandtags- und Stadtverordnetenwahl am 19.11.1929. Bartholomäus Sommer an die Stadtverwaltung vom 6. April 1933.

78 | BUCH DER ERINNERUNG unter sich aufteilten. Offensichtlich meinte das Zentrum, sich durch Zugeständnisse in der politischen Arena halten zu können. Am 25. Juni 1933 wandte sich die Zentrums- fraktion an die Stadtverwaltung, da die NSDAP sich weigerte, ihren Vorsitzenden Jakob zu Kommissionssitzungen zuzulassen. Die Zentrums-Fraktion erklärte sich mit Jakob solidarisch, zumal sie „genügend Beweise dafür erbracht [habe], daß sie gewillt ist, durch weitestgehendes Entgegenkommen, ein harmonisches Zusammenarbeiten für das Gemeinwohl zu ermöglichen.“398 Am gleichen Tag teilte die Zentrumsfraktion Oberbürgermeister Schmitz mit, dass ihre Mitglieder „zum Zeichen des Protestes“ an den Sitzungen der Rechnungskommission und des Fürsorgeausschusses nicht teilnehmen würden399. Wenige Tage später nahm aber der Textilfabrikant Werner G. H. Schwartz noch die Stelle als unbesoldeter Stadtrat an und legte deshalb seinen Stadtverordnetensitz nieder400.

Am 30. Juni 1933 gab Joseph Jakob, der seit April 1933 das Bocholter Zentrum leitete, sein Stadtverordnetenmandat zurück. Er schrieb an den Oberbürgermeister, dass er „hoffe, durch dieses persönliche Entgegenkommen den Weg zur gedeihlichen Zusam- menarbeit im Parlament freizumachen zum Wohle der Allgemeinheit.“401

Am gleichen Tag löste sich die Zentrumsfraktion auf. „Die Mitglieder der Zentrums-Fraktion gliedern sich geschlossen in die Fraktion der N.S.D.A.P. mit gleichen Rechten und Pflichten ein.“402, hieß es im Beschluss der Zentrumsfraktion vom gleichen Tag. Am 1. Juli 1933 meldete das Bochol- ter Volksblatt unter Abdruck des Jakob-Briefes: „Nur noch eine Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung – Arbeitersekretär Jakob legt sein Mandat nieder.“403 Das Stadtparlament hatte sich selbst gleichgeschaltet.

Am 7. Juli 1933 gab der praktische Arzt Dr. Wilhelm van Laak sein Stadt- verordnetenmandat mit der Erklärung zurück: „Die veränderten kom- munalpolitischen Verhältnisse, welche ich bei Rückkehr aus meinem Ur- laub vorfinde, nötigen mich, hiermit mein Mandat als Stadtverordneter niederzulegen.“404

4.5. Einengung des Lebens der Bocholter jüdischen Glaubens

Die Schneidermeisterin Rachel Zytnik, die jüdischer Religion war, veröffentlichte am 29. Juni 1933 eine Todesanzeige für ihren Mann Max Zytnik, der am Vortag im Alter von 39 Jahren gestorben war: „Beerdigung am 30. Juni, 3 Nachruf der Schneider- Uhr vom Trauerhause (Königstraße 9) aus.“405 Im Nachruf der Schneider-Zwangsinnung zwangsinnung für Max Bocholt und Umgebung war zu lesen: „Er war uns allen ein lieber und treuer Kollege Zytnik. und wir werden sein Andenken in Ehren halten. […]406 Eine solche öffentliche Aussage (StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt, 29. Juni 1933) über einen Juden war damals mutig.

398 Ebd., Zentrumsfraktion an Stadtverwaltung z. H. Herrn Oberbürgermeister Dr. Schmitz, Bocholt vom 25. Juni 1933 [2. Schreiben], Erklärung von 12 Mitgliedern der ehemaligen Zentrumsfraktion vom 30.06.33. 399 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 1. Juli 1933. Nur noch eine Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung - Arbeitersekretär Jakob legt sein Mandat nieder. 400 Ebd., 3 K 435. Provinziallandtags- und Stadtverordnetenwahl am 19.11.1929. Vermerk vom 28. Juni 1933. 401 Ebd., ZSlg., Bocholter Volksblatt, 1. Juli 1933, Nur noch eine Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung – Arbeitersekretär Jakob legt sein Mandat nieder. 402 Ebd. 403 Ebd. 404 Ebd., 3 K 435. Provinziallandtags- und Stadtverordnetenwahl am 19.11.1929, Dr. van Laak an Oberbürgermeister Dr. Schmitz, 7. Juli 1933. 405 Ebd., ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 29. Juni 1933, Todesanzeige der Familie Zitnik [sic]. 406 Ebd., Nachruf der Schneider-Zwangsinnung Bocholt und Umgebung.

BUCH DER ERINNERUNG | 79 Am 22. Juli 1933 berichtete das Bocholter Volksblatt über die Silberhochzeit des jü- dischen Ehepaares Hedwig und Josef Metzger: „Am heutigem Tage begehen die Ehe- leute Kaufmann Josef Metzger und Frau Hedwig, geborene Blumenthal (Niederbruch- straße 20) das Fest ihrer silbernen Hochzeit. Leider wurden die Eheleute vor einem halben Jahre von einem schweren Schicksalsschlag betroffen, indem ihr einziger Sohn, die Stütze des Geschäftes, im Alter von 20 Jahren plötzlich an einem Herzschlag ver- schied. Dem Jubelpaar, das bereits 25 Jahre Abonnent des Bocholter Volksblattes ist, entbieten wir zu seinem heutigen Ehrentag die herzlichsten Glückwünsche.“407

Ebenfalls an diesem Tag wurde über das 50jährige Bestehen des Herz-Jesu-Hospizes und des Arbeiterinnenvereins berichtet. Das Haus war 1883 durch die finanzielle Zu- wendung von Bocholter Fabrikanten, u. a. von Salomon Cosman Cohen und Salomon Weyl, errichtet worden408.

Kreisleiter Heinrich Pfeffer referierte am 13. August 1933 in Borken vor Funktionären der NSDAP über die „Rassenfrage“. Hierbei äußerte er sich sehr herabsetzend und ver- letzend über die Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens: „[...] Der Kern der na- tionalsozialistischen Bewegung, so führte er aus, liege in der Rassenfrage. Es wäre allen Völkern der Welt manche schwere Stunde und vielleicht auch das furchtbare Schicksal von 1914 erspart geblieben, wenn man rechtzeitig die Rassenfrage in ihrer Bedeutung erkannt hätte und wenn [man] diese Rassenfrage auf alle Gebiete übertragen und daraus die Nutzanwendung gezogen hätte“. Der Zeitungsartikel wurde so fortgesetzt: „Pg. Pfef- fer zog dann in seiner tiefgründigen Art eine Parallele zwischen der nordischen Rasse und dem Judentum. Diese Gegensätze ständen sich so gegenüber, daß sich zwischen ihnen der Endkampf abspielen würde. Hierfür sei Deutschland der Ausgangspunkt; denn gerade in Deutschland habe man die Gefahr erkannt; seitens der jüdischen Herrschaft habe man sich zunächst das deutsche Volk mit seinen großen moralischen Fähig keiten ausgesucht, um an ihm als Versuchsob- jekt das giftige Blut zu verspritzen. [...] Man habe erkannt, mit welch unlauteren Mitteln Alljuda nach der Weltherrschaft strebt, und wenn das nordische Volk, die nordische Rasse sich nicht mit allen Mitteln gegen diese jüdische Verknebelung wehren würde, dann sei der Kampf gegen das Parasitentum verloren. [...]“ Nach Pfeffer sprach „Partei- genosse Mertens [...] über das ema ‚Weltjudentum und Presse’. [...] Wenn seitens die- ser Zeitungen trotz wiederholter Aufforderungen keine Abhilfe geschaffen werde, dann müsse man diesen Herrschaften und jüdischen Schmierfinken beweisen, daß wir heute in unserem deutschen Reich eine sogenannte ‚Volkshochschule für Charakterbildung’ namens Konzentrationslager hätten, in der sie sich einen anderen Stil zu Eigen machen könnten. Die Pressewarte müssten dafür sorgen, daß das jüdische Gift der Presse radi- kal entzogen werde. [...]“409

Aus dem in der Ausgabe vom 15. August 1933 veröffentlichten „Dienstplan der Hit- lerjugend“ für Bocholt konnte ersehen werden, dass es inzwischen – ein halbes Jahr, nachdem Hitler Reichskanzler geworden war – bereits 7 Jungzüge der HJ und die ganze Nomenklatur der HJ-Dienstgrade gab410.

Etwa um diese Zeit veränderten sich der Aufbau und die Berichterstattung auf den Lo- kalseiten des Bocholter Volksblattes und der Tageszeitung Grenzwarte. Immer häufiger waren jetzt die Nachrichten und Bekanntmachungen der NS-Organisationen mit ihren

407 Ebd., 22. Juli 1933, Im Silberkranz. 408 Archiv der Schwestern Unserer Lieben Frau, Kloster Annenthal, Coesfeld, 6. Dezember 1996. 409 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 14. August 1933, Die Amtswaltertagung der NSDAP. Bedeutsame Referate des Kreisleiters Pfeffer und des Pg. Mertens. 410 Ebd., 15. August 1933, Dienstplan der Hitlerjugend.

80 | BUCH DER ERINNERUNG „richtigen“ Emblemen zu sehen. Nicht mehr der Oberbürgermeister unterzeichnete die Erklärung zum Erntedankfest, sondern „Pfeffer, Kreisleiter.“411

Am 6. Oktober 1933 traf sich die NS-HAGO (NS-Organisation für Handwerker und Gewerbetreibende) zu ihrer ersten Sitzung. Zu ihrem ersten „Führer“ wurde Maler- meister Ludwig Meyermann bestimmt412.

Am 8. Oktober 1933 veranstaltete die in Bocholt inzwischen etablierte NS-Volks- wohlfahrt, Ortsgruppe Bocholt, im Schützenhaus eine Werbeveranstaltung für das erstmals anlaufende Winterhilfswerk413. Das Winterhilfswerk des Deutschen Volkes war eine Stiftung öffentlichen Rechts, die Sach- und Geldspenden sammelte und damit bedürftige „Volksgenossen“ entweder unmittelbar oder über Nebenorganisationen der „Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt“ (NSV) unterstützte. Der Staatshaushalt wurde somit von Sozialausgaben entlastet.

Erneut wurde im Oktober 1933, wie es im Bocholter Volksblatt hieß, „Das Braune Haus verlegt“. Die Kreisleitung der NSDAP mit den Geschäftsstellen der Parteigliederungen zog in das ehemalige Verwaltungsgebäude der Firma Pieron an der Münsterstraße 76. Die Parteioberen wollten aber das „gemeine Volk“ nicht sehen. „Es wird nachdrücklich darauf hingewiesen, daß das Publikum nur nach vorheriger Ansuchung der zuständigen Ortsgruppenleitung zur Kreisleitung vorgelassen werden kann“, schloss diese Zeitungs- notiz414.

Aus dem Bocholter Volksblatt war am 14. Oktober 1933 zu entnehmen, dass die NS- Frauenschaft Bocholt unter der Führung von Ortsgruppenleiterin Frau Stoll stand. Die NS-Organisation für Frauen verfügte auch über eine Aussteuersparkasse, sie bot Sani- tätskurse und Nähstunden an415.

Am 21. Oktober 1933 formulierte das Bocholter Volksblatt in einem Text zum silbernen Arbeitsjubiläum von Jakob Schumacher bei der Weberei David Friede: „Das ist gewiß ein Zeichen für das gute Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.“416 Die Eigentümer der Firma Friede waren jüdischer Religion.

4.6. Kommunalpolitische Zusammenhänge

Einem Paukenschlag gleich kam am 24. Oktober 1933 die Nachricht „Oberbürgermeister Schmitz in den Ruhestand versetzt.“ 417 Dr. Otto Schmitz war am 11. Dezember 1921 als Nachfolger von Clemens Wesemann, der in das Oberpräsidium Breslau gewechselt hatte, zum Bürgermeister in Bocholt ernannt worden. Schmitz führte Bocholt 1923 in die Kreisfreiheit. Noch am 9. Mai 1932 wurde er, der in der Stadtverordnetenversammlung und der Bevölkerung sehr beliebt war, erneut für 12 Jahre in seinem Amt bestätigt.418 Ein halbes Jahr hielt er sich in der NS-Zeit noch in seinem Amt, schwankend zwischen hinhaltender Gegnerschaft zum neuen Regime und der Ausführung der NS-Gesetze.

411 Ebd., 27. September 1933, Erklärung zum Erntedankfest. 412 Ebd., 7. Oktober 1933, 1. öffentliche Sitzung der NS-HAGO. 413 Ebd., NS-Volkswohlfahrt e. V. 414 Ebd., 12. Oktober 1933, Das Braune Haus verlegt. 415 Ebd., 14. Oktober 1933, NS-Frauenschaft. 416 Ebd., 21. Oktober 1933, Silbernes Arbeitsjubiläum. 417 Ebd., 24. Oktober 1933, Oberbürgermeister Schmitz in den Ruhestand versetzt. 418 Bröker, Elisabeth: Oberbürgermeister Dr. Otto Schmitz, in: Unser Bocholt, Heft 1/1974, S. 5 – 6.

BUCH DER ERINNERUNG | 81 Jetzt wurde er durch ein Telegramm des Preußischen Innenministeriums aus seinem Amt entfernt. „Auf Erkundigungen erfahren wir, daß dienstliche oder ehrenrührige Gründe gegen Herrn Dr. Schmitz nicht vorliegen“, endete die Meldung des Bocholter Volksblatts über seine plötzliche Entlassung419. Vorläufiger Nachfolger wurde sein bisheriger Stellvertreter Bürgermeister Wilhelm Brockhoff.

Es war bemerkenswert, dass und wie das Bocholter Volksblatt über die „Werksfeier bei der Firma D. Friede“ am 3. November 1933 berichtete: „[...] Als die Chefs erschienen, wurden sie von der ganzen Belegschaft herzlich begrüßt. Sodann hielt Herr Max Friede eine Ansprache, in der er einleitend den Werdegang der Firma Friede schilderte, worauf er seine Anerkennung für die von Arbeitern und Angestellten geleistete Arbeit am Aufbau der Firma aussprach. Insbesondere hob er die enge Verbundenheit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern hervor, die in der Firma immer geherrscht habe. Er schloß mit einem Hoch auf das Vaterland. [...]“420

Am traditionellen Martinszug am 10. November 1933 nahm trotz der vielen antijü- dischen Maßnahmen auch in diesem Jahr wieder die israelitische Schule teil. Die elf jüdischen Schülerinnen und Schüler, die von Lehrer Alfred Herz angemeldet wurden, zogen zusammen mit der Overbergschule, der Kreuzbergschule und dem Oberlyzeum hinter der Feuerwehrkapelle Ostwall im vierten Zugteil. Dieser Teil wurde nach dem Zug in der Realschulstraße aufgelöst421.

4.7. Die Jahre 1934 – 1938

Der Umgang von Teilen der Bevölkerung, die vom Nazi-Geist immer mehr durchdrun- gen wurde, mit ihren Nachbarn jüdischen Glaubens wurde rauer: Eine Nachbarin der Familie Seif aus der Nobelstraße erinnerte sich: „Familie Seif hatte eine große Verwandtschaft. Eines Tages kam eine Familie mit kleinen Kindern zu Besuch. Als die Kinder draußen spielten, wurden sie von einem Bocholter Jungen mit Steinchen beworfen und ihnen wurde nachgerufen: ,Da wackelt so’n Juden- kind mit seinen krummen Beinchen!’ Das fanden die Bocholter Jungen ganz normal. Als ich das meiner Mutter erzählte, war sie sehr entsetzt. ‚Juden stinken’, war eine in dieser Zeit oft gehörte gehässige Bemerkung. Die Kinder der Familie, die nach 1938 das Haus der Familie Rosenberg zur geschäftlichen Erweiterung benutzte, sagten: ,Jetzt müssen wir erst einmal das Haus auslüften lassen!’ Vielleicht war dies eine Folge der damaligen Propaganda. Dadurch wurden sicher schon die Kinder antisemitisch beeinflußt. Ein ‚Stürmerkasten’ hing an der Nobelstraße am Eingangsweg zum Weißen Stift, in dem das SA-Heim untergebracht war. Der Kasten war für jedermann sichtbar. An zwei der großen Balkenüberschriften in dieser NS-Zei- tung ,Der Stürmer’ erinnere ich mich: ,Juda verrecke’ und ,Wer den Juden kennt, kennt den Teufel’.“422

419 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 24. Oktober 1933, Oberbürgermeister Schmitz in den Ruhestand versetzt. 420 Ebd., 12. November 1933, Werksfeier bei der Firma D. Friede. 421 Ebd., 9. November 1933. Morgen steigt der Martinszug. 4800 Kinder werden durch die Straßen ziehen. 422 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Gespräch mit Frau K., * 1926, wohnte bis 1942 Rosenstiege 2. Interview befindet sich als Depositgut im Stadtarchiv.

82 | BUCH DER ERINNERUNG Max Lorch, ein Bocholter jüdischen Glaubens, erinnerte sich an diese Zeit: „In der Nazizeit grüßten uns Nachbarn und deren Kinder, mit denen wir aufgewachsen waren, von heute auf morgen nicht mehr. Bekannte verschwanden auf einmal in Hauseingängen oder drehten sich um, um uns nicht grüßen zu müssen. Das tat sehr weh.“423

Und weiter erinnerte er sich: „Ich ging durch die Langenbergstraße, vor mir ging ein Geistlicher, der wohl zur Lieb- frauen-Pfarre gehörte. Diesem kam ein Hitlerjunge in Uniform entgegen, der dem Geistlichen ins Gesicht spuckte. Ich wollte den Jungen packen, doch der Priester hielt mich zurück. Ich ging weiter mit ihm bis zum Pastorat, wo er sich den Speichel aus dem Gesicht wischte. Dabei sagte er: ,Der Herrgott läßt die Bäume nicht in den Him- mel wachsen’. Ich denke mir, daß der Priester mich vor einem verhängnisvollen Fehler bewahrt hat, der die Einweisung ins KZ hätte bedeuten können.“424

1934 Im Jahr 1934 kam es – wenigstens an der Oberfläche – zum kurzen Abflachen der an- tisemitischen Propaganda in Bocholt. Nachdem die Zeitungen – Bocholter Volksblatt und die Tageszeitung Grenzwarte – etwa ein Jahr lang keine Werbeanzeige des Ge- schäftes S. B. Löwenstein veröffentlicht hatten, erschien am 9. Februar 1934 die An- nonce „In Kurzwaren zu kurz gekommen“ in der Tageszeitung Grenzwarte425. Es sollte jedoch die letzte Anzeige von Bertold Löwenstein sein, der früher nahezu täglich in den Bocholter Zeitungen geworben hatte.

„Am Nordwall wurde eingebrochen“. Unter dieser Überschrift berichtete die Zeno- Zeitung – Volksblatt für Bocholt und den Kreis Borken – am 30. August 1934 über einen Einbruch in die israelitische Volksschule am Nordwall 26, in der damals neben der Lehrerfamilie Herz bereits mehrere „wohnungslos gewordene“ Ehepaare wohnten: „Der oder die Täter drückten an der Hofseite eine Fensterscheibe ein und gelangten ins Innere. [...] Entwendet wurden u. a. eine Chasselongwebdecke [sic], ein Bettuch und sieben Teegläser. Wahrscheinlich sind die Diebe, die unbekannt entkommen sind, gestört worden.“426

Am 16. Oktober 1934 gab die Zeno-Zeitung – Volksblatt für Bocholt und den Kreis Borken – bekannt, dass Oberstudiendirektor Bartholomäus Sommer, der bisherige Leiter des Städtischen Gymnasiums und Realgymnasiums in Bocholt, nach Borken ver- setzt worden sei. Sommer war bis Ende März 1933 Fraktionsvorsitzender des Zentrums in der Stadtverordnetenversammlung gewesen427.

Sein Schüler jüdischen Glaubens, Kurt Nussbaum, erinnerte sich an ihn: „Mein Vater amtierte unter fünf Direktoren, Johannes Waldau, Joseph Heuwes, Edmund Niesert, Peter Broichmann und Bartholomäus Sommer. Der letztere war acht Jahre lang mein Ordinarius und hatte von allen Lehrern den größten Anteil an meiner Persönlichkeitsentwicklung.“428 Und an ein Zusammentreffen nach 1933 erinnerte er sich: „Herr Sommer war damals schon strafversetzt nach Borken. Sein Bundes- bruder, mein langjähriger Mathematiklehrer Dr. Robert Schmidt, begegnete mir auf

423 Ebd., Niederschrift über ein Gespräch mit Max Lorch (Buenos Aires/Argentinien) 1914 – 2002, während eines Besuches am 29. Juli 1991 in Bocholt. 424 Ebd. 425 StdA B, ZSlg., Grenzwarte vom 9. Februar 1934, Anzeige Löwenstein, In Kurzwaren zu kurz gekommen. 426 Ebd., Zeno-Zeitung – Volksblatt für Bocholt und den Kreis Borken – vom 30. August 1934, Am Nordwall wurde eingebrochen. 427 Ebd., 16. Oktober 1934, Oberstudiendirektor Sommer nach Borken versetzt. 428 Nussbaum, Mein Vater... in: Städtisches Gymnasium, S. 61f.

BUCH DER ERINNERUNG | 83 der Aabrücke in der Neustraße zur Hauptverkehrszeit. Wir standen da für eine halbe Stunde, während der Verkehr um uns brauste und er von vielen mit dem Hitlergruß angesprochen wurde, den er natürlich erwidern mußte. Ich bat ihn mehrere Male, sich doch nicht meinetwegen einer persönlichen Gefahr aussetzen zu wollen. Er antwor- tete: ‚Sie waren mein Freund und Lieblingsschüler und werden es immer bleiben.‘ Er wünschte mir alles Gute für eine damals ungewisse Zukunft.“429

„Die NSDAP gedenkt ihrer Gefallenen“. Unter diesem Titel wurde im Bocholter Volks- blatt zur „Gedenkfeier für die Opfer der Bewegung“ am 9. November 1934 einge laden.430 Wie schon 1933 trafen sich die NSDAP und ihre Gliederungen am Abend dieses Tages im Schützenhaus. Zunächst hörten sie der Rede des Kreisleiters zu, nachher trank man in trauter Runde.

Letztmalig nahm die israelitische Schule am traditionellen Martinszug des Vereins für Heimatpflege Bocholt am 10. November 1934431 teil. Nach Rücksprache des Veranstal- ters, des Vereins für Heimatpflege, mit dem Westfälischen Heimatbund wurde der isra- elitischen Schule bedeutet, ab 1935 nicht mehr am Martinszug teilzunehmen.

1935 Am 2. Januar 1935 trat Emil Irrgang seinen Dienst als neuer Oberbürgermeister in Bocholt an. Er wurde dazu durch NSDAP-Kreisleiter Heinrich Pfeffer, Stadtrat Wolfgang Gruhn, Sturmbannführer Rick sowie Sturmführer Aupke begrüßt. Irrgang sagte bei dieser Gelegenheit: „Ich fühle mich als politischer Soldat des Führers, der nichts anderes zu tun hat, als für die Idee des Nationalsozialismus zu kämpfen, der Ihnen den Nationalsozialismus vorlebt und ihn in der hiesigen Verwaltung zur restlosen Durchführung bringt.“432

Bei einer „Massenversammlung“ im Großen Kurfürsten sagte Pfeffer zur „Judenfrage“: „[...] Gewiß, wir sind Antisemiten, und doch leben noch so viele Juden in Deutschland. Auch wir sind nicht deshalb gegen die Juden, weil er nun mal Jude ist, sondern wir ver- bitten es uns, daß wir einen Juden als Polizeipräsidenten [433] haben sollen, daß Juden Minister werden. Wenn eben der Führer bestimmt, daß der Kampf so geführt werden soll, dann haben wir mit unserem Willen gefälligst den Mund zu halten. Dasselbe ist es mit den Warenhäusern. Wir sind Feinde des Warenhauses, und der Kampf gegen sie läuft unvermeidlich weiter. [...] Jedem muß klar sein: Wenn du in ein Warenhaus gehst, verrätst du deine Volksgenossen, den Mittelständler, der um seine Pfennige schwer zu kämpfen hat.“ 434

„43 Lehrlinge wurden freigesprochen“. Über eine „Feierstunde im Festsaal des Rat- hauses“ mit einer „Ansprache von Kreisjugendwalter Stöhler“ berichtete die Zeno- Zeitung – Volksblatt für Bocholt und den Kreis Borken – am 12. April 1935. Unter den Jugendlichen, die die Ausbildung beendet hatten, war in der Sparte „Damen- schneiderinnen“ auch Katharina Klein-Hitpaß genannt, deren Lehrmeisterin Rahel

429 Ebd. 430 Ebd., ZSlg., Zeno-Zeitung - Volksblatt für Bocholt und den Kreis Borken - vom 9. November 1934. Die NSDAP gedenkt ihrer Gefallenen. 431 Ebd., 8. November 1934, Heut‘ ist Martinsabend da. 432 Ebd., 3. Januar 1935, Oberbürgermeister Irrgang tritt sein Amt an. 433 Gemeint ist damit Bernhard Weiß, der sich als Polizeivizepräsident von Berlin seit 1928 juristisch intensiv mit der NSDAP auseinandersetzte und viele Veranstaltungen mit dem damaligen Berliner Gauleiter Joseph Goebbels mit seinen Fragen sprengte oder sie kurzerhand verbot. 434 StdA B, ZSlg., Zeno-Zeitung – Volksblatt für Bocholt und den Kreis Borken vom 9. Januar 1935. Wir bauen das neue Deutschland.

84 | BUCH DER ERINNERUNG Zytnik war, eine Bocholterin jüdischen Glaubens435. Am gleichen Tag wurde jüdischen Handwerksmeistern reichsweit die Verwendung des Handwerkszeichens untersagt.

Am 23. Mai 1935 stellte die Firma David Friede über die Stadtverwaltung einen Antrag an den Regierungspräsidenten Münster auf Genehmigung einer Angestellten-Pensions- kasse unter dem Namen „David-Friede-Stiftung“.

Die erst seit wenigen Tagen in Bocholt bestehende Grenzaußenstelle der Staats- polizeistelle für den Regierungsbezirk Münster wurde um Stellungnahme ersucht. Der Leiter, Kriminalassistent Alfred K., schrieb: „Die Firma Friede wird von drei Brüdern geführt. Sie sind alle Frontkämpfer, aber Juden. Ihr Ruf und Leumund ist ein guter. In politischer Beziehung sind sie nicht hervorgetreten und ist auch nichts Nachteiliges bekannt geworden. Die Firma beschäftigt etwa 300 Arbeiter in Kurzarbeit. Letztere werden in sozialer Hinsicht gut behandelt.“436

In einer weiteren Stellungnahme des Polizeireviers Bocholt vom 17. Juni 1935 hieß es außerdem: „[...] Klagen über schlechte Behandlung von Arbeitern und Angestellten sind noch nicht laut geworden. Der Betrieb der Firma D. Friede ist ein flotter. Mit den Ar- beitsplätzen wurde bei der Firma nicht viel gewechselt. Arbeiter und Angestellte sind lange Jahre dort tätig. [...] Gegen die Einrichtung einer Angestellten-Pensionskasse bestehen polizeilicherseits keine Bedenken.“437

Mit diesen Erklärungen versehen wurde der Antrag mit einer eigenen Stellungnahme der Ortspolizeibehörde vom Oberbürgermeister am 24. Juni 1935 dem Regierungs- präsidenten vorgelegt: „[…] Z. Zt. werden 247 Arbeiter und 44 Angestellte beschäftigt. Darunter befinden sich sechs Schwerkriegsbeschädigte. In den Nachkriegsjahren ist die Firma D. Friede stets durch besonders große soziale Maßnahmen für die Belegschaft hervorgetreten. Zu erwähnen sind hier die in den Wintermonaten durchgeführten Speisungen für Arbeitslose und deren Kinder. […] Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind somit gesund. Die Einrichtung einer Angestellten-Pensionskasse kann nur begrüßt werden, zumal sich die Firma in § 9 der Satzung vorbehält, in den kommenden Jahren weitere Zuwendungen an die Kasse zu machen. […] Im Übrigen habe ich keine Bedenken.“438 Dieses Schreiben war von Oberbürgermeister Emil Irrgang abgezeichnet. Trotzdem lehnte der Regierungspräsident Münster am 26. Juli 1935 die Errichtung dieser Angestellten-Pensionskasse ab: „Aber auch [ansonsten] könnte die Stiftung aus grundsätzlichen Erwägungen nicht genehmigt werden. Es ist zwar eine Selbst- verständlichkeit, daß auch nichtarische Betriebsführer ihrer Gefolgschaft gegen über die ihnen gesetzlich obliegenden Pflichten mit peinlicher Genauigkeit erfüllen. Darüber hinaus besteht aber kein Anlaß, das deutsche Volk gegenüber Fremdstämmigen durch Annahme freiwilliger Leistungen zu verpflichten.“439 Damit war klar: Kein „Arier“ sollte einem „Nichtarier“, kein „Deutscher“ einem „Juden“ für etwas dankbar sein müssen. Dabei wäre gerade die Firma Friede, deren Eigentümer wirklich vorausschauend sozial dachten, für die Einrichtung einer solchen Pensions- kasse geeignet gewesen.

435 Ebd., 12. April 1935, 43 Lehrlinge wurden freigesprochen. 436 Ebd., 57 K 102 – ohne Titel –, Staatspolizeistelle für den Reg.-Bez. Münster – Grenzaußenstelle Bocholt – an Stadt Bocholt, 14. Juni 1935. 437 Ebd., Stadt Bocholt Ortspolizeibehörde an Regierungspräsident Münster, 17. Juni 1935. 438 Ebd., Oberbürgermeister als Ortspolizeibehörde an Regierungspräsident Münster, 24. Juni 1935. 439 Ebd., Regierungspräsident Münster an Firma Friede, Bocholt, 26. Juli 1935.

BUCH DER ERINNERUNG | 85 Über die Beerdigung eines „Gefolgschaftsmitglieds“ (Beschäftigten) der Firma Friede wurde am 12. Juni 1935 im Bocholter Volksblatt berichtet: „Zur letzten Ruhe gebettet. [...] Ebenso wie Führer und Gefolgsschaft der Zentralmolkerei Bocholt ihrem Arbeits- kameraden Weber das letzte Geleit gaben, schritten vor dem Sarg des Verunglückten Storm Führer und Gefolgschaft der Firma D. Friede.“440

Die österreichische SA im Stadtwaldlager

Im Spätwinter und Frühjahr 1935 kamen österreichische SA-Männer, die nach dem Dollfuß-Putsch im Juli 1934 nach Deutschland geflohen waren, ins Westmünster- land, auch nach Bocholt. Zunächst wurden die SA-Männer, in Bocholt „Österreicher“ genannt, die wegen ihrer Gewalttätigkeit gefürchtet waren, in Schulen untergebracht. Die Zeno-Zeitung – Volksblatt für Bocholt und den Kreis Borken – meldete am 5. Juni 1935 u. a. den Auszug von fünf Klassen aus der Kreuzbergschule, „da diese Räume anderweitig benutzt werden.“441 Schließlich wurde vom SA-Hilfswerk Nordwest in Bad Godesberg an der nördlichen Stadtgrenze hinter dem nach 1923 angelegten Stadt- wald im Frühjahr 1935 ein Barackenlager errichtet, in dem die österreichischen SA- Männer untergebracht wurden. Am 24. Juni 1935 rückten dort zwei Sturmbanne der SA-Standarte Nordwest ein442.

Am gleichen Tag kündigte die Zeitung an: „Heute kommt die Lagerbesatzung. Marsch durch die Stadt“. In diesem Bericht wurde „die Bevölkerung […] zu der Empfangs- feierlichkeit am Bahnhof herzlich eingeladen und [aufgefordert,] sicher auch durch reichliche Beflaggung der Häuser zum Ausdruck [zu] bringen, daß sie die Volksgenos- sen herzlich aufnimmt.“443

Am nächsten Tag wurde vom „Einzug der Lagerbesatzung“ berichtet: „[…] Als die österreichischen SA-Männer, insgesamt 560 Mann, gegliedert in vier Stürmen, im strammen Schritt auf dem Bahnhofsvorplatz erschienen, wurden sie vom Publikum herzlich begrüßt. Nachdem die braunen Kolonnen Aufstellung genommen hatten, schritt Sturmbannführer Rieck die Fronten ab, worauf er namens der Standarte 8 die österreichischen Kameraden herzlich willkommen hieß. […] Die Kameraden der SA und der P[artei-]O[rganisation]. würden versuchen, den österreichischen Kameraden kameradschaftlich entgegen zu kommen, mit ihnen die Kameradschaft zu hegen und zu pflegen. […] Nachdem der Standartenführer noch den Oberbürgermeister entschuldigt hatte, […] schloß er seine Ansprache mit den Worten: Eines ist für uns maßgebend: die Treue zum Führer, zum deutschen Volk und zum deutschen Reich. […] Dann erfolgte der Abmarsch der Sturmbanne […]. Voran die Musik und dahinter im strammen Schritt die braunen Kolonnen in Sechserreihen, überall vom zahlreichen Publikum und den Fahnen des neuen Deutschlands begrüßt. Auf dem Horst-Wessels- Platz [444] wurde ein schneidiger Parademarsch gekloppt, der jedes Soldatenherz begeisterte. […] Nach dem Parademarsch marschierten die Kolonnen durch Nord-, Nobel-, Ravardi-, Kirch-, König-, Münster- und Blücherstraße zum Stadtwald, auch auf diesem Weg immer wieder vom zahlreichen Publikum, das sich auf den Bürgersteigen staute, begrüßt. […]“445

440 StdA B, ZSlg., Zeno-Zeitung - Volksblatt für Bocholt und den Kreis Borken - vom 12. Juni 1935. Zur letzten Ruhe gebettet. 441 Ebd., 5. Juli 1935, Auszug von fünf Klassen aus der Kreuzbergschule. 442 Katholisches Pfarramt Liebfrauen, Bocholt, Pfarrarchiv, Chronik Hl. Kreuz, S. 98. 443 StdA B, ZSlg., Zeno-Zeitung - Volksblatt für Bocholt und den Kreis Borken – vom 24. Juni 1935. Heute kommt die Lagerbesatzung. 444 Heute Markt, Platz vor dem Historischen Rathaus. 445 StdA B, ZSlg., Zeno-Zeitung - Volksblatt für Bocholt und den Kreis Borken – vom 25. Juni 1935. Einzug der La- gerbesatzung.

86 | BUCH DER ERINNERUNG Die Begeisterung für die „Österreicher“ nahm rasch ab. Das Auftreten der öster- reichischen SA-Männer gab immer wieder Anlass zu Klagen und Beschwerden der Bevölkerung und der Stadtverwaltung. Mehrfach kamen Gestapo-Beamte aus Münster und Abgesandte des Höheren Polizei- und SS-Führers West aus Düsseldorf nach Bocholt, um den Beschwerden über die Übergriffe der österreichischen SA-Männer gegen die Bevölkerung, insbesondere gegen Juden und Katholiken, nachzugehen.

In einer Notiz mit dem harmlos formulierten Titel „Verlegung von Dienststellen der Polizei“ erfuhr der Leser des Bocholter Volksblattes am 20. Juni 1935 beiläufig, dass Hitlers Geheimpolizei, die Geheime Staatspolizei, nun auch eine Dienststelle in Bocholt hatte. Sozusagen nebenbei konnte man lesen, dass im Verwaltungsgebäude Kirchstraße 5 „in [...] den Räumen, die bisher die ‚Polizeiinspektion’ inne hatte, […] die ‚Grenz- außenstelle der Staatspolizeistelle’ [ihren Sitz hat]. Man achte auf die an den Eingängen angebrachten Haustafeln.“446

Ob diese Verlegung eine Reaktion auf die sich häufenden „Zwischenfälle“ zwischen der Bevölkerung und den nicht sonderlich geschätzten Österreichern war oder den Möglichkeiten des Zugriffs auf die Grenze galt, wo Anfang 1935 umfangreiches kom- munistisches Propagandamaterial nach Deutschland eingeschleppt wurde, kann nur gemutmaßt werden.

Erst am 9. Juli 1935 unterrichtete die Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Münster, die sich damals noch in Recklinghausen befand, ihre nachgeordneten Dienst- stellen und die Landräte und Oberbürgermeister im Regierungsbezirk darüber, dass sie eine „Grenzdienststelle der Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Münster [in] Bocholt, Kirchstraße 5 (Polizeiverwaltungsgebäude)“ errichtet hatte. Hier waren jetzt zwei Kriminalsekretäre tätig, die bislang in Recklinghausen Dienst getan hatten.447

Grenzdienststellen hatten folgende Aufgaben: • Beobachtung von verdächtigen Durchreisenden, • Behandlung von Grenzzwischenfällen, • Sammlung politisch bedeutsamer Nachrichten im Grenzverkehr, • Verfolgung von Grenzstraftaten, die gegen den Bestand des Reiches gerichtet werden.

Daneben hatte die Grenzdienststelle am Ort die Aufgaben einer Stapo-Außenstelle wahrzunehmen. Sie vollzog deshalb in Bocholt die repressiven Aufgaben der Gestapo in der Bekämpfung von „Regimegegnern“.

Mit dem Einzug der österreichischen SA-Männer in das Stadtwaldlager nahmen auch die antisemitischen Vorfälle in Bocholt erheblich zu.

Klara Lehmbrock berichtete: „Ich erinnere mich daran, wie Frau Fehler, deren Mann öfter bei den Nazis im Gefängnis saß und später auch umkam, des Öfteren von österreichischen SA-Männern als ‚Judensau‘ bezeichnet wurde, wenn sie bei Löwenstein einkaufte. Dies passierte meistens Samstagsnachmittags, denn da kamen die österreichischen SA- Männer aus dem Stadtwaldlager, auf ihrem Wagen das Transparent ‚Wer beim Juden kauft, ist ein Landesverräter’ gespannt, in die Stadt, und dann war immer ‚etwas los’, d. h., dass die ‚Österreicher’ Menschen drangsalierten.“448

446 Ebd., 20. Juni 1935. Verlegung von Dienststellen der Polizei. 447 Stadtarchiv Rhede (StA R), A – 562, Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Münster, Recklinghausen, an die Her- ren Landräte und die Oberbürgermeister, 9. Juli 1935. 448 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über Gespräche am 10. August/1. Dezember 1994 mit Klara Lehmbrock (1923 – 2010), geführt von Josef Niebur und Werner Sundermann.

BUCH DER ERINNERUNG | 87 Im Urteil des Schöffengerichts Coesfeld gegen Josef Fehler vom 6. Oktober 1935 fand einer dieser Vorfälle folgenden Niederschlag: „Am Nachmittag des 24. August 1935 kaufte die Zeugin Frau Fehler in dem jüdischen Geschäft Löwenstein in Bocholt. Sie wurde nach dem Verlassen des Geschäfts von einem Begleiter des Zeugen und Neben- klägers M. [...] darauf aufmerksam gemacht, sie dürfe bei einem Juden nicht kaufen. Sie verbat sich dieses und sagte dem Zeugen M., er möge sich selbst an seine Nase fassen, dann habe er genug zu tun. Als sie kurz darauf nochmals an dieser Stelle vorbeikam, wurde ihr ein- oder zweimal zugerufen ‚Judenmädchen’, nach ihrer Erinnerung sagte dieses einer aus der Gruppe des M. [...].“449

Mit den „Nürnberger Gesetzen“ gaben die Nazis ihrer antisemitischen Ideologie eine juristische Grundlage. Neben dem Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre – dem so genannten Blutschutzgesetz – umfasste sie das Reichs- bürgergesetz und das Reichsflaggengesetz. Ihnen wurden anlässlich des so genannten „Reichsparteitags der Freiheit“ am 15. September 1935 durch den Reichstag zuge- stimmt450

Ideologischer Mittelpunkt dieser Gesetze war das so genannte Blutschutzgesetz. Dieses sollte mit seinen Bestimmungen der so genannten „Reinhaltung des deutschen Blutes“ dienen. Verstöße galten als „Rassenschande“ und wurden streng bestraft. In § 3 wurde es Menschen jüdischen Glaubens verboten, „deutschblütige“ Dienstmädchen unter 45 Jahren zu beschäftigen. Dahinter stand die Unterstellung, „Juden“ würden sich sonst an ihnen vergehen.451

Aus Bocholt stellten sieben Bürger jüdischen Glaubens Befreiungsanträge an das Sonderbüro für Befreiungen vom § 3 des Blutschutzgesetzes im Reichsministerium des Innern, Berlin NW 40, Königsplatz 6, um ihre Hausangestellten weiter beschäftigen zu können. Die Ortspolizeibehörde, von der die Anträge an das Reichsinnenministerium weitergeleitet wurden, befürwortete drei Anträge, zwei weitere wurden mit einer negativen Stellungnahme nach Berlin gesandt. Weitere zwei Anträge wurden nicht weitergegeben, weil die Dienstmädchen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit waren und so nicht Einschränkungen des Blutschutzgesetzes unterlagen. Ob das Reichsinnen- ministerium den Empfehlungen der Ortspolizeibehörde Bocholt entsprach und die Weiterbeschäftigung der Haushaltshilfen genehmigte, konnte der Akte nicht ent- nommen werden.452

1936 Am 28. Oktober 1936 fand die letzte Ergänzungswahl zum Vorstand der israelitischen Gemeinde Bocholt nach dem Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Juden vom 22. Juli 1847 statt. Dabei wurden gewählt: a) Friede, Richard, Bocholt, b) Silberschmidt, Julius und c) Silberschmidt, Isidor, Bocholt.453

449 Ebd., Nachlaß Fehler. Urteil des Schöffengerichts Coesfeld vom 18. Oktober 1935 gegen den Kaufmann Josef Fehler aus Bocholt. Abschrift. 450 http://de.wikipedia.org/wiki/N%C3%BCrnberger_Gesetze. 451 Ebd. 452 StdA B, 57 K 102 - ohne Titel -. 453 Ebd., Stadt Bocholt an Regierungspräsident Münster, 21. November 1936.

88 | BUCH DER ERINNERUNG 1937 Am 6. Januar 1937 beschlossen der Vorstand und die Repräsentantenversammlung der Israelitischen Gemeinde Bocholt in einer gemeinsamen Sitzung die Eingliederung der Synagogengemeinde Anholt. Im Beschluss war vermerkt: „Die Synagogengemeinde An- holt hat aufgehört zu existieren, weil sie nicht mehr die nötige Seelenzahl aufweist, um eine eigene Verwaltung ihrer Besitzungen und Vermögen führen zu können.“ Zur Sit- zung waren zusammengekommen: vom Vorstand: „Herr Louis Ostberg[,] Herr Herm. Rosenberg[,] Herr Dr. [med.] Hochheimer [stellvertretendes Vorstandsmitglied,] Herr Julius Silberschmidt[,] Herr Isidor Silberschmidt[,]“ und von den Repräsentanten: „Herr Adolf Löwenstein[,] Herr Isidor Metzger[,] Herr Max Rosenberg[,] Herr Moritz Stern[,] Herr Hermann Sander.“ Gleichzeitig beschloss der Vorstand die Änderung der §§ 1 und 2 des Gemeindestatuts454, hier wurde der Verweis auf die bislang selbstständige Synago- gengemeinde Anholt gestrichen. Der Regierungspräsident genehmigte den Anschluss der Synagogengemeinde Anholt und die Änderung des Statuts der Israelitischen Ge- meinde Bocholt am 26. Januar 1937.455

Im Einwohnerbuch für die Stadt Bocholt von 1937 waren weder die israelitische Ge- meinde noch der israelitische Frauen- bzw. Männerverein aufgeführt. Allein der wirtschaftliche Unterstützungsverein Esras k’fufim war mit der Adresse „Dingden“ ver- zeichnet456.

Auszug aus dem Gewerbe-Verzeichnis der Stadt Bocholt – Ausgabe 1937457 Ärzte Hochheimer, Dr. med. Arthur, Osterstraße 64

Zahnärzte Nußbaum, Dr. Alfred, Kaiser-Wilhelm-Str. 11

Althandel Cohen, Magnus, Langenbergstraße 54

Baumwollhandlungen Ostberg, Fritz, Ostwall 70

Handelsvertreter Hochheimer, Max, Weberstraße 23 Löwenstein, Albert, Schwartzstraße 14 Metzger, Josef, Niederbruchstraße 20

Landesprodukte Lorch, Norbert, Ostmauer 3

Lebensmittel Metzger, Isidor, Dinxperloer Str. 29

454 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke der jüdischen Synagogengemeinde in Bocholt […], Band -, Blatt Nr. 930, S. 29. 455 Ebd., S. 30. 456 Einwohnerbuch 1937, S. 5. 457 Ebd., Gewerbe-Verzeichnis, S. 107 f.

BUCH DER ERINNERUNG | 89 Metzgereien Gottschalk, Siegfried, Ravardistraße 11

Putzwolle und Putztücher Ostberg, Meyer. L. und H., Ostwall 70

Schneider und Schneiderinnen Zitnik [sic], Rachel, Königstraße 9

Viehhandlungen Silberschmidt, Julius, Ravardistraße 11

Webereien Baumwollweberei Vahrenwald GmbH, Westend 2 Friede, D., Mühlenweg Löwenstein, A., Ostwall Rosenberg, Hermann, Frankenstraße

Web- und Wollwaren Gompertz, Gust., Nordwall Herzfeld, Eduard, Nordstraße 21 Mühlfelder, Emanuel, Ludgerusstraße 4 Sander, Max, Dietrichstraße 4.

1938 Im ersten Vierteljahr 1938 wurden immer neue Gesetze und Verordnungen gegen den jüdischen Bevölkerungsteil erlassen. Eine der weitreichendsten war die Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 1938. Danach galt: „§ 1: Jeder Jude [hat] sein gesamtes in- und ausländisches Vermögen gemäß den folgen- den Bestimmungen anzumelden und zu bewerten.“ Eine hierzu erlassene Anordnung bestimmte: „Die Veräußerung oder die Verpachtung eines gewerblichen, land- oder forstwirtschaftlichen Betriebes sowie die Bestellung eines Nießbrauchs an einem sol- chen Betrieb bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung, wenn an dem Rechtsge- schäft ein Jude als Vertragabschließender beteiligt ist. Das gleiche gilt für die Verpflich- tung zur Vornahme eines solchen Rechtsgeschäfts.“458

Der Zweck war klar und gab die Strategie vor: Man wollte wissen, welcher Besitz jü- disch war, um den Eigentümer später problemlos enteignen zu können. Das daraufhin für Bocholt angelegte Grundstücksregister umfasste 56 Grundstücke459, 28 Firmen von Bocholtern jüdischen Glaubens wurden noch genannt460.

Durch das „Gesetz über die Rechtsverhältnisse der jüdischen Kultusvereinigungen“ vom 28. März 1938461 verloren die israelitischen Gemeinden den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts, sie mussten nun unter anderem Grund- und Vermögenssteuer entrichten. Die Mitglieder der jüdischen Religionsgemeinschaft gehörten zudem nicht mehr, entsprechend dem Gesetz von 1848, „automatisch“ der jüdischen Gemeinde an,

458 Reichsgesetzblatt I, S. 415, Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 1938. 459 Stadt Bocholt, Fachbereich Stadtgrün, Altablage, Akte Jüdischer Friedhof. Stadtkreis Bocholt: 2. Liste über Grund- und Gebäudebesitz vor dem 30. Januar 1933, aufgestellt: 3. August 1945. 460 StdA B, 57 K 102 – ohne Titel -, Verzeichnis der jüdischen Gewerbebetriebe in Bocholt. 461 Reichsgesetzblatt I, S. 338.

90 | BUCH DER ERINNERUNG sondern mussten ihr ausdrücklich beitreten. Darum wurde 1938 die Reichsvertretung umgestaltet in „Reichsverband der Juden in Deutschland“, einen Dachverband, in dem jeder im Deutschen Reich lebende Glaubensjude Pflichtmitglied war.

Der 1936 gewählte letzte Vorstand – Richard Friede, Julius Silberschmidt und Isidor Silberschmidt sowie als stellvertretende Vorstandsmitglieder Louis Ostberg und Her- mann Rosenberg462 – amtierte auch nach der Gesetzesänderung weiter. Die Aufgaben des Vorsitzenden nahm offenbar Julius Silberschmidt wahr463.

Am 6. Juli 1938 erließ die Deutsche Arbeitsfront – Gau Westfalen-Nord – in Münster die Anordnung „Ausschaltung der jüdischen Händler des ambulanten Gewerbes“, die über den Regierungspräsidenten und den Polizeipräsidenten Münster auch an den Oberbürgermeister in Bocholt weitergeleitet wurde.

Am 21. Juli 1938 verfügte Oberbürgermeister Irrgang hierauf als Anordnung an den Marktmeister: „1) Jüdische ambulante Händler sind in Zukunft zu den Bocholter Märkten und zur Herbstkirmes nicht mehr zuzulassen, wenn Meldungen gleicher Art von arischen Händlern vorliegen. 2) Sollte jedoch aus der Meldung nicht hervorgehen, daß es sich um einen jüdischen Händler handelt, und deshalb Zulassung erfolgt sein, so ist diesem jüdischen Händler als Platz die letzte Buden-Reihe an der Mauer des Grundstücks Wissing anzuweisen. Dem Händler ist aufzugeben, seinen Verkaufsstand durch ein gut sichtbares Schild als ‚Jüdischer Händler’ zu kennzeichnen. [...] Seit Jahren wurde hier vermieden, jüdische Unternehmen, soweit sie als solche kenntlich waren, zu irgendwelchen Veranstaltungen zuzulassen. Meine heutige Anordnung ist lediglich ein Ausfluß der bisher geübten Praxis.“464

Am 23. Juli 1938 wurde u. a. ein Kennkartenzwang eingeführt. Menschen jüdischen Glaubens, die das 15. Lebensjahr vollendet hatten, hatten sich auf amtliches Verlangen stets durch eine Kennkarte auszuweisen, auch hatten sie in Ämtern stets auf diese „Eigenschaft“ hinzuweisen und die Kennkarte vorzulegen. Auch Juden, die in einer Ehe mit einem nichtjüdischen Partner lebten, mussten eine Kennkarte beantragen. Die Polizei verwaltung des Wohnortes war für die Ausstellung der Kennkarten zuständig.

Am 5. August 1938 wurde das Namensrecht für Juden geändert. Männer hatten ihrem Vornamen den Namen „Israel“ hinzuzufügen, Frauen den Namen „Sara“. Als die Aus- führungsbestimmungen im Januar 1939 erlassen worden waren, beantragten auch die Bocholter Juden diese Namensänderung beim Standesamt465.

Ein Schnellbrief des Reichswirtschaftsministers vom 25. August 1938 grenzte aufgrund des Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung vom 6. Juli 1938 Juden aus einer Reihe von Gewerbezweigen aus. Wandergewerbescheine und Legitimationskarten, ohne die die Ausübung eines Gewerbes nicht möglich war, verloren grundsätzlich mit dem 30. September 1938 ihre Gültigkeit. Zur Begründung wurde angegeben: „Es ist in vielen Fällen festgestellt worden, daß der Jude versucht, seine wirtschaftliche Stellung nur ge- gen eine hohe Entschädigung an einen Deutschblütigen abzugeben. Dies traf besonders für Vertretungen zu, die früher in der Hand von Juden waren. Es muß grundsätzlich daran festgehalten werden, daß der Betrieb des Juden durch das Gesetz zur Änderung

462 StdA B, 57 K 102 – ohne Titel -, Stadt Bocholt an Regierungspräsident Münster, 21. November 1938. 463 Ebd. 464 Ebd., Vermerk des Oberbürgermeisters Irrgang vom 21. Juli 1938. 465 Standesamt Bocholt, 21. Februar 2011.

BUCH DER ERINNERUNG | 91 der Gewerbeordnung wertlos geworden ist und aus diesem Grund keine besondere Entschädigung gewährt werden kann.“ 466

Diese Anordnung hatte Auswirkungen auch in Bocholt: Am 8. Oktober 1938 wandte sich der Viehwirtschaftsverband Westfalen – Sachbear- beiter bei der Kreisbauernschaft Borken – an die Stadtverwaltung Bocholt mit der An- frage, „ob der jüdische Viehverteiler Isidor Silberschmidt auf Grund des neuen Gesetzes seinen Betrieb eingestellt hat oder ob und in welcher Form er gegebenenfalls weiterge- führt wurde.“467 Einem Vermerk der Polizei vom 13. Oktober 1938 war zu entneh- men: „[…] Isidor Silberschmidt hat seinen Wandergewerbeschein bereits abgegeben, demnach kann er das Gewerbe als Viehverteiler nicht weiter betreiben.“468

Am 11. Oktober 1938 wies die Polizei-Verwaltungsabteilung das Polizeirevier in Bocholt an: „Die Auguste Lorch, Ostmauerstr. 15 a, der Rudolf Löwenstein, Hemdenerstr. 11 und falls David Spier, Dinxperloerstr. 29 noch hier wohnen sollte, sind aufzufordern, Wandergewerbeschein bzw. Legitimationskarte umgehend hier abzugeben, anderenfalls wird ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet.“469

Auguste Lorch, die Frau von Norbert Lorch – im Verzeichnis war hinter ihrem Namen in Klammern „arisch“ vermerkt – weigerte sich, ihren Wandergewerbeschein abzuge- ben. Sie wandte sich, nachdem sie mit ihrer Bitte von der Stadtverwaltung abgewiesen worden war, an den Regierungspräsidenten in Münster. Dieser wies die Stadtverwal- tung Bocholt an, Auguste Lorch einen Wandergewerbeschein auszuhändigen470. Am 19. Oktober 1938 quittierte sie der Stadtverwaltung: „Den Wandergewerbeschein für das Jahr 1938 Nr. 1098 – Reg. Münster – habe ich heute wieder erhalten“.471 Erhielt ihren Wander- gewerbeschein zurück: Auguste Lorch, die Legitimationskarten waren ebenfalls an David Spier, Bertold und Rudolf Löwenstein, 472 katholische Frau von Max Hochheimer und Max Sander ausgegeben worden . Julius Löwenstein stellte Norbert Lorch. noch am 10. September 1938 den Antrag auf Aushändigung einer Legitimationskarte. (André Lorch, Rhein- Er zog ihn aber noch am gleichen Tag zurück, nachdem ihm von der Gestapo bedeutet stetten) worden war, dass „er sein Bocholter Geschäft doch nicht weiterführen kann und die Sache damit aussichtslos ist.“473

Max Sander wandte sich am 24. September 1938 an den Regierungspräsidenten und bat um „Abgabe der Legitimationskarte für Nichtarier“. In seinem Antrag schrieb er: „Ich bin in Deutschland geboren und auch meine Vorfahren haben schon vor 1800 in Deutschland gewohnt. Den Weltkrieg habe ich von Januar 1915 bis zum Ende als Frontkämpfer an der Westfront mitgemacht und bin mit dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse, dem Frontkämpfer- und Verwundetenabzeichen ausgezeichnet. Zwei Brüder sind im Weltkrieg gefallen. Die hiesige Behörde wird Ihnen bestätigen, daß ich mich politisch nie betätigt habe. Da ich nicht nur für mich, sondern auch für eine unverhei- ratete Schwester und einen verheirateten kranken Bruder nebst Familie mit zu sorgen habe, bitte ich mein Gesuch gütigst zu berücksichtigen. [...]“ Oberbürgermeister Irrgang leitete den Antrag noch am gleichen Tag mit dem Vermerk weiter: „Die Angaben des

466 StdA B, 57 K 102 - ohne Titel -, Schnellbrief des Reichswirtschaftsministeriums vom 25. August 1938. 467 Ebd., Viehwirtschaftsverband Westfalen - Sachbearbeiter bei der Kreisbauernschaft Borken - an die Stadtverwal- tung Bocholt vom 8. Oktober 1938. 468 Ebd., Vermerk vom 13. Oktober 1938. 469 Ebd., Polizei-Verwaltungsabteilung des Polizeireviers in Bocholt vom 11. Oktober 1938. 470 Ebd., Vermerk der Stadtverwaltung Bocholt vom 19. Oktober 1938. 471 Ebd., Bescheinigung vom 19. Oktober 1938. 472 Ebd., Verzeichnis der Legitimationskarten (vor September 1938). 473 Ebd., Vermerk der Grenzdienststelle Bocholt vom 10. September 1938.

92 | BUCH DER ERINNERUNG Sanders entsprechen der Wahrheit. [...]“474 Was aus diesem Antrag wurde, ist nicht überliefert. Die Legitimationskarten und Wandergewerbescheine waren nach der Änderung der Gewerbeordnung vom 6. Juli 1938, die Juden die Ausübung mehrerer Gewerbe unter- sagte, von den Inhabern bis zum 30. September 1938 zurückzugeben. Hierzu wurden die Bocholter Juden Anfang September 1938 aufgefordert. Dem kamen alle bis auf Bertold und Rudolf Löwenstein nach. Am 18. Oktober 1938 drohte der Oberbürger- meister diesen: „Ich fordere Sie daher hiermit auf, innerhalb von 8 Tagen nach Erhalt dieses Schreibens Ihrer Verpflichtung nachzukommen, anderenfalls ich das Strafver- fahren nach § 145 a RGO einleiten muß.“475

Ein Vermerk des Polizeireviers Bocholt vom 27. Oktober 1938 lautete: „Die Legitima- tionskarten für Berthold [sic] und Rudolf Löwenstein sind inzwischen bei Abt. V ab- gegeben worden.“ 476

Am 2. November 1938 wurden umfangreiche Personalveränderungen in der deutschen Wehrmacht bekannt gegeben. Der Mantel der Zeno-Zeitung widmete diesem „Ereignis“ eine ganze Seite. Die Versetzung des Chefs des Generalstabs des Heeres, General Ludwig Beck, in den Ruhestand ragte hier heraus. Beck, genauso Militär wie Feingeist, hatte zunächst in drei berühmt gewordenen Denkschriften vor der Hasardpolitik Hitlers, die zum Krieg führe, gewarnt. Seine Denkschrift vom 15. Juli 1938 an die Oberbefehlshaber von Heer, Marine und Luftwaffe forderte deutlich zum Widerspruch gegen Hitler auf: „Es stehen hier letzte Entscheidungen über den Bestand der Nationen auf dem Spiele. Die Geschichte wird diese Führer [der Wehrmacht] mit einer Blutschuld belasten, wenn sie nicht nach ihrem fachlichen und staatspolitischen Wissen und Gewissen handeln. Ihr soldatischer Gehorsam hat dort eine Grenze, wo ihr Wissen, ihr Gewissen und die Verantwortung die Ausführung eines Befehls verbieten.“477 Als Beck mit seinen Warnungen kaum Widerhall bei seinen Generalskollegen fand, trat er am 27. August 1938 zurück. Auf Hitlers Anweisung musste der Rücktritt bis zum 31. Oktober 1938 geheim gehalten werden. An diesem Tag wurde Ludwig Beck – der nun unbestrittener „Leiter“ des militärischen und bald des gesamten Widerstandes wurde – unter Beförderung zum Generalobersten als Generalstabschef des Heeres entlassen478. In der Nacht vom 20. zum 21. Juli 1944 wurde er nach dem Zusammenbruch des Umsturzversuches hingerichtet.

4.8. Das Pogrom vom 9./10. November 1938

Am 27./28. Oktober 1938 wurden etwa 15.000 in Deutschland lebende, aber ur- sprünglich in Polen wohnende polnische Juden aus Deutschland abgeschoben. Da Polen zunächst die Aufnahme ablehnte, irrten die Menschen tagelang durch das Niemands- land. Unter ihnen waren die Eltern des in Paris wohnenden Herschel Grynszpan, die ihn über das ihnen zugefügte Unrecht per Postkarte unterrichteten. Am 7. November 1938 ging Grynszpan in die deutsche Botschaft in Paris und verlangte, den Botschafter zu sprechen. Darauf wurde er zu Legationssekretär Ernst vom Rath, einem subalternen Botschaftsbeamten, geführt. Mit den Worten „[...] und nun übergebe ich Ihnen im Na- men hunderttausender gequälter Juden ein Dokument“ schoss er auf vom Rath und

474 Ebd., Max Sander an den Oberbügermeister Bocholt, 24. September 1938. 475 Ebd., Stadt Bocholt – Polizeirevier - an Bertold und Rudolf Löwenstein, 18. Oktober 1938 (Entwurf). 476 Ebd., Vermerk Polizeirevier Bocholt, 27. Oktober 1938. 477 Hoffmann, Peter: Widerstand, Staatsstreich, Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler, München ²1970, S. 102. 478 Ebd., S. 108.

BUCH DER ERINNERUNG | 93 verletzte ihn lebensgefährlich. Der Botschaftssekretär wurde in eine Pariser Klinik gebracht, wo ihn französische Ärzte und Hitlers Leibarzt behandelten479. „Jüdischer Mordschütze in der Pariser deutschen Botschaft – Feiger Mordversuch – Werkzeug des Weltjudentums“ lauteten die Schlagzeilen des überregionalen Teils der Zeno-Zeitung vom 8. November 1938.480 Schon am Vortag kam es zu Pogromen an mehreren Orten in Kurhessen und Magdeburg-Anhalt. Täter waren Angehörige von SA und SS, die je- doch in Zivil auftraten. Dass all diese Aktionen zumindest auf Gauebene zentral gelenkt waren, kann als sicher gelten. Am Abend des 8. November 1938 brannte in Bad Hersfeld die erste jüdische Synagoge. In Kassel gab es das erste Todesopfer der Pogrome481.

Am 9. November 1938 machte die Zeno-Zeitung, der überregionale Teil des Bocholter Volksblattes, mit der Schlagzeile „Die neuerliche Provokation des Weltjudentums“ auf und berichtete über „Das feige Attentat des jüdischen Mordbuben [...].“482 Gegen 16 Uhr starb der zwischenzeitlich von Hitler zum Gesandtschaftsrat I. Klasse beförderte Eduard vom Rath an seinen Verletzungen. Danach kam es in ganz Deutschland zu dem auf Gauebene vorbereiteten Pogrom gegen Juden. In Dessau wurden die Synagoge und das jüdische Gemeindehaus angezündet, um 19 Uhr begannen die Ausschreitungen in Chemnitz. Am Abend dieses Tages kamen die Spitzen der NSDAP und ihrer Gliederungen im Alten Rathaus in München zu einem Gedenkabend an den Hitler-„Putsch“ 1923 zusammen. Durch die geschickte Regie des Reichspropagandaministers Goebbels erfuhr Hitler erst während der Feier vom Tod vom Raths. Goebbels setzte darauf zu einer scharfen antisemitischen Rede an, in deren Verlauf er gegen die Juden hetzte. Das Signal war eindeutig: Sofort begann in ganz Deutschland der Sturm auf die jüdische Bevölkerung.

4.8.1. Der 9./10. November 1938 in Bocholt

Für den Abend des 9. November 1938 rief die NSDAP-Kreisleitung Bocholt-Borken un- ter der Überschrift „Und ihr habt doch gesiegt“ im Bocholter Volksblatt zur Teilnahme an der Gedenkfeier für die „Opfer der Bewegung“ im Schützenhaus auf483. Jedoch wur- den auch Angehörige der „angeschlossenen Verbände“ eingeladen. Maria Willing erin- nerte sich: „Mein Vater war Mitglied im Bocholter Marine-Verein, der geschlossen in die SA überführt worden war. Am Abend der sogenannten Reichskristallnacht war im Schützenhaus eine große Kundgebung, an der auch mein Vater teilnehmen mußte. Erst spät kam er nach Hause!“484 Kreisleiter Uppmann sollte bei dieser Feier, an der mehrere auswärtige SA- und SS-Gruppen teilnahmen, die Gedenkrede halten. Dann wurde nach 22 Uhr der Tod Ernst vom Raths, des Legationssekretärs in der deutschen Botschaft in Paris, bekannt. Daraufhin kam es auch in Bocholt zur Hetze gegen die Juden. Durch Nachkriegsaussagen im Prozess gegen den Bocholter SA-Standartenführer Karl Wolff wurde bekannt, dass es dabei zwischen ihm und dem NSDAP-Kreisleiter Hermann Uppmann zu Auseinandersetzungen gekommen sei. Wolff will vor Zerstörungen jü- dischen Besitzes gewarnt haben, während Uppmann darauf gedrängt haben soll485.

479 Lauber, Heinz: Judenpogrom: „Reichskristallnacht“ November 1938 in Großdeutschland. Daten, Fakten, Doku- mente, Quellentexte, esen und Bewertungen, Berlingen 1981, S. 49, 53 - 56f. 480 StdA B, ZSlg., Zeno-Zeitung – Volksblatt für Bocholt und den Kreis Borken – vom 8. November 1938. Jüdischer Mordschütze in der Pariser deutschen Botschaft Feiger Mordversuch Werkzeug des Weltjudentums. 481 Döscher, Hans Jürgen: Reichskristallnacht . Die Novemberpogrome 1938, S. 77. 482 StdA B, ZSlg., Zeno-Zeitung – Volksblatt für Bocholt und den Kreis Borken – 9. November 1938, Die neuerliche Provokation des Weltjudentums. 483 Ebd., Und ihr habt doch gesiegt! – Heute gedenken wir der Opfer der Bewegung. 484 Privatbesitz Josef Niebur, Niederschrift über ein Interview mit Maria Willing, geborene Kartenkämper (* 1925) [früher wohnhaft: Schonenbergstraße 1, Bocholt], am 2. Dezember 1994 geführt von Werner Sundermann. 485 StdA B, ZSlg., Westfälische Nachrichten, 5. November 1948, Die Judenaktion wider Willen in Bocholt.

94 | BUCH DER ERINNERUNG Gegen 22.30 Uhr zogen die braunen Horden in mehreren Gruppen in die Innenstadt, andere wandten sich zu der neben dem Schützenhaus stehenden Villa von Richard Friede. Levy Nußbaum schrieb an Verwandte in den USA, wie schlimm die Nazis in Bocholt zu Werke gegangen waren: „[...] ich kann Euch sagen, daß man dort viel schlimmer als an vielen anderen Orten gehaust hat. ‚Wehe, wenn sie losgelassen!‘ und ‚Da werden Weiber zu Hyänen!‘ Vorne dran waren nämlich Frau T. [...] und Frau K.. Außerdem hat sich noch Dr. J. betätigt, wogegen Dr. Weglau und Dr. Roskamp (Pottmeyer) sich geweigert haben, mitzumachen. Alle Einzelheiten sind zu viele, um sie zu schildern, außerdem ist es schon so lange her. Es sind fast alle ‚drangekommen‘.“ 486 Im „Haus der (Hitler-)Jugend“ in der Bahnhofstraße, dem Sitz der Bannführung „Weißes Venn“, erhielt man vermutlich gegen 20.00 Uhr den Befehl, die Straßenlaternen in der Stadt zu löschen. Hitlerjungen führten dies ab 21.00 Uhr aus.487 Auch bei dem in der Bismarckstraße wohnenden Ernst Friede wurde randaliert. Seine Frau Grete erinnerte sich: „Kurz vor Mitternacht hörten wir vor dem Haus eine Grup- pe wilder und alkoholisierter Männer und bereits wenige Sekunden später klirrten die Fensterscheiben. Gleich darauf wurde die Haustür aufgebrochen und der braune Mob drängte in die Wohnung. Hier randalierten sie sofort, das gesamte Porzellan wurde auf den Boden geschmissen, der danach über und über mit Scherben bedeckt war. Die Tep- piche wurden zerschnitten. – Wir hatten Todesangst. Nach etwa einer halben Stunde verließen die Männer unser Haus. Zwei Arbeiter aus der Fabrik meines Mannes kamen und halfen uns, die gröbsten Schäden zu beseitigen. Einer von ihnen nahm uns mit nach Hause, wo wir übernachten konnten. Mit seiner Hilfsbereitschaft setzte er sich einer großen Gefahr aus. Er bat uns auch, sein Haus möglichst früh am Morgen wie- der zu verlassen. Wir empfanden diese Geste als außerordentlich wohltuend in unserer Notsituation und haben dies bis heute nicht vergessen.“ 488 Der rasende Mob jagte auch zum Haus Dingdener Straße 116, wo Sally Cohen mit seiner Frau Juliane und den Töchtern Margot und Ruth wohnte. Im Schlafanzug, so erzählten sich Nachbarn am nächsten Tag, sei Sally Cohen auf die Dingdener Straße getrieben, geschlagen und immer wieder zu Boden gerissen worden.489 Währenddessen wurde das Wohnungsinventar kurz und klein geschlagen. Am nächsten Morgen kam Juliane Cohen zu einer Nachbarin, um sich Kaffeetassen zu leihen, da ihre in der Nacht zerschlagen worden waren490. Der Hauptteil der z. T. alkoholisierten Nazis aus dem Schützenhaus zog Richtung Stadt. Hier machten sie sich als Erstes über die Villen der jüdischen Fabrikanten in der Bahnhofstraße her. Im Haus Nr. 14 stellte sich in dieser Nacht Hauptmann der Reserve Friedrich Baldus vor seine Nachbarin Amalia Weyl, bei der die braunen Horden bereits vor der Tür standen, um die Wohnung zu demolieren. Mit den Worten „Fünf (Kugeln) sind für euch, die sechste für mich!“ konnte er die SA-Männer und den Pöbel vertreiben. Er selber, der 1932 die NSDAP-Ortsgruppe Bocholt mitbegründet und der sich später angewidert von ihr gelöst hatte, entging nach dieser Nacht nur mühsam der Einweisung ins Konzentrationslager. Doch er versuchte mehr als nachbarschaftliche Hilfe: Als Standortältester von Bocholt wollte er die im Stadtwaldlager stationierte Einheit Lan- des schützen alarmieren, um sie gegen die Randalierer einzusetzen.491 Dies gelang ihm nicht.

486 Ebd., 61 K 251 – ohne Titel –, Levy Nußbaum an einen Verwandten in den USA, 15. Mai 1939. 487 Privatbesitz Josef Niebur, Vermerk über eine Auskun von Herrn H., * 1927. 488 Stadt Bocholt, Fachbereich Zentrale Verwaltung - Interne Dienste - Ordner: Jüdische Mitbürger. Grete Friede an Bürger- meisterin Christel Feldhaar, 31. August 1998. 489 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über Gespräche mit meiner Mutter Maria Niebur (1915–2004) von März/ April2003. 490 Ebd. 491 Stadt Bocholt, Fachbereich Zentrale Verwaltung - Interne Dienste - Ordner: Jüdische Mitbürger. Ansprache von Annemarie Hortmann während der Gedenkfeier für die Opfer der Kristallnacht 1938 am 9. November 1988.

BUCH DER ERINNERUNG | 95 Im Haus Königstraße 9 wohnte Rachel Zytnik. Sie hatte versucht, durch eine eigene Schneiderei sich und ihre Kinder Manfred und Edith zu ernähren, bis ihr dies nach 1935 durch die National sozialisten ver- wehrt wurde. Als in dieser Nacht die Braunen auch zu der Wohnung kamen, in der sie und ihre Mutter Marianne Roth wohnten, konnte der Nachbar, Bauunternehmer August Vallée, das Unheil verhindern. Levy Nußbaum erwähnte in seinem Schreiben vom 15. Mai 1939 an Verwandte in den USA: „Noch ein Bocholter hat sich in dieser Nacht fabelhaft benommen, indem er sich schützend vor die Wohnung der armen [Rachel] Roth-Zitnik [sic] gestellt und die Banditen nicht he- raufgelassen hat, [nämlich] der lange [August] Vallée – Königstraße [Mitglied im Bocholter] (Gardeverein).“ 492 Elisabeth Schwab-Liebreich war aus Paris, wohin sie mit ihrem Mann emigriert war, „aus Sorge um ihre alte Mutter am Abend vor dem Ereignis nach Bocholt“ gekommen493. Im Prozess gegen einen Bo- cholter SA-Mann, der den Sturm der SA-Männer auf die elterliche Villa am Westend 2 befehligt hatte, wurde in der Vernehmung er- August Vallée stellte wähnt: „[...] Etwa 2 Uhr in der Nacht sei sie dann durch einen großen Lärm, der sich sich in der Pogrom- vor ihrem elterlichen Haus entwickelt habe, und durch schwere Rammstöße aus dem nacht am 9./10. No- Schlaf geweckt worden. Sie habe sich gleich mit der Polizei in Verbindung gesetzt, habe vem ber 1938 vor das aber von dort keine Hilfe erhalten. Daraufhin sei sie aus dem Haus gelaufen, um von Haus König straße 9, in dem Rachel Zytnik mit draußen her Hilfe herbeizuholen. Sie sei aber bald von einem SA-Mann aufgehalten und ihren beiden Kindern in ihre Wohnung zurückgebracht worden. Dort sei die Zerstörung inzwischen bereits wohnte. Dem ehema- in vollem Gange gewesen. Insgesamt hätten sich etwa 50 SA-Männer in ihrer Wohnung ligen Garde offizier ge- befunden, die mit Äxten, Beilen und schweren Stöcken auf den Möbeln und zum Teil lang es so, den braunen wertvollen Kunstgegenständen herumgeschlagen und sie so vernichtet hätten.“ 494 Mob, der in das Haus eindringen wollte, zu vertreiben. „Der Südwall war schwarz von Menschen“ (Manfred Vallée, - Augenzeugenberichte zur Pogromnacht am 9./10. November 1938 in Bocholt - Millingen) „Die Randalierer drangen auch in das neben der Synagoge stehende Haus Seif ein. Da- bei wurde Frau Seif mit einer Holzkeule, die man aus einer Turnhalle mitgenommen hatte, geschlagen und dabei am Kopf verletzt. Offiziere aus dem Stadtwaldlager, die zufällig vorbeikamen, brachten Frau Seif mit einem Fahrrad ins Krankenhaus. [Ein Nachbar] rief vor dem Haus: ‚Hal mej denn Sally herunder un schlitz em den Buck up, dann gewwe ick eene ut!’“ (Anna Roloff 495)

„Unsere Familie wohnte 1938 im Kolpinghaus. Durch das Küchenfenster konnte man auf die Rückseite der ca. 30 Meter entfernten Synagoge sehen. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde ich zwischen 23.00 Uhr und 24.00 Uhr wach und ging in die Küche. Dort stand mein Vater bereits am Küchenfenster. Wir sahen durch die Fen- ster in der nördlichen Synagogenwand, wie die Deckenleuchter wild hin und her pendel- ten. Vater weinte und sagte, daß dort Fürchterliches vor sich geht. Das Weinen meines Vaters, der Weltkriegsteilnehmer gewesen war, hat sich unauslöschlich in meine Erin-

492 StdA B, 61 K 251 – ohne Titel -, Levy Nußbaum an einen Verwandten in den USA, 15. Mai 1939. 493 Ebd., ZSlg., Westfälische Rundschau, 15. Juli 1948, Die Nacht der unmenschlichen Grausamkeit. 494 Ebd.; Emilie Liebreich gelang noch die Flucht aus Bocholt, am 18. Dezember 1940 starb sie in Saint Cloude (Seine et Oise) Frankreich (Stadt Bocholt 3, Akte nach dem BEG 3 – 954. Liebreich, gesch. Schwab, El.). 495 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Anna Roloff (1904 – 1997), Bocholt, gemeinsam mit ihrer Tochter Maria Lüer (* 1926) und deren Mann (* 1925), Isselburg-Werth, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur am 24. Juli 1988.

96 | BUCH DER ERINNERUNG nerung eingebrannt. Je älter ich werde, desto öfter denke ich daran. Die Vorgänge in der Synagoge dau- erten etwa eineinhalb Stunden. Am nächsten Morgen ging ich zur Synagoge, in die ich ungehindert hineinkam. Ein Großteil der In- neneinrichtung lag kreuz und quer durcheinandergeworfen. In der Luft lag ein starker Geruch, wie von Öl oder Benzin, auf dem Boden waren nasse Flecken. An der östlichen Wand stand der oraschrein noch aufrecht[496], Zerstörtes Synagogen- ebenso einige Bänke, auf denen Gebetbücher lagen. Ich erinnere mich noch an den innere am Morgen nach siebenarmigen Leuchter, von dem ich nicht mehr sagen kann, ob er aufrecht stand oder der Pogromnacht. (StdA B, Bildersamm- lag. Ich nahm zwei Gebetbücher aus der Synagoge mit. Als Mutter dies sah, sagte sie zu lung, Jüdische Gemeinde, mir, daß ich die Gebetbücher zurückbringen müsse, da sie fremdes Eigentum seien.“ Foto: Pfarrer Heinrich 497 (Reiner Jungblut ) Blömer †)

„In der sogenannten Reichskristallnacht wurde ich durch Lärm geweckt und öffnete das Fenster; im Zimmer brannte Licht. Draußen sah ich eine Gruppe Männer, die mit allen möglichen Schlagwerkzeugen ausgerüstet waren. Die Männer schlugen mit Knüppeln die Fenster am Haus der Familie Metzger [Niederbruch 20] ein. Ein Mann aus der Gruppe löste sich, lief auf unser Haus zu und schrie: ‚Licht aus, Fenster zu!’ Am nächsten Morgen herrschte in der Nachbarschaft großer Aufruhr und starkes Ent- setzen. Man hatte bei Metzgers die Tür eingetreten, Sachen aus dem Haus geholt und auf der Straße zerstört.“ (Heinz-Otto Kartenkämper 498)

„Nach Mitternacht ging der Lärm los. Meine Mutter rief unsere Oma: ‚Komm doch mal, da haut man doch den Juden das ganze Haus kaputt!’ Und dann rief sie nochmals: ‚Es ist gut, daß unser Vater zu Hause ist! – Das bekommen wir alles zurückgezahlt, wir und unsere Kinder!’“ (Maria Willing (geb. Kartenkämper)499)

„In der sogenannten Reichskristallnacht beobachteten Leute aus dem Hospiz die Vorgänge im Südwall und wiesen dorthin. Ich lief deshalb zur dort gelegenen Villa Friede. Es gab Neugierige satt und genug. Der Südwall war schwarz von Menschen. In der Villa lagen die zerschlagenen Einmachgläser etwa einen halben Meter hoch. Eine Frau, von der ich annahm, daß es Frau Friede war, sagte den SA-Männern, daß sie die Einmachgläser mitnehmen sollten. Doch die Männer trampelten weiter in den auf dem Boden herumliegenden Einmachgläsern herum. Niemand von den Vielen, die dort herumstanden, sagte den SA-Männern, daß sie mit den Zerstörungen aufhören sollten.“ (Maria Wolsing 500)

496 Auf einem Foto, das Pfr. Heinrich Blömer (†) am Morgen nach der sogenannten Pogromnacht vom Innern der Synagoge aufnahm, ist der umgestürzte oraschrein zu sehen. (Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Prof. Dr. Reiner Jungblut (* 1931) im Beisein seiner Frau, geführt von Josef Niebur und Werner Sun- dermann). Also müssen Nazis auch am 10. November 1938 in der Synagoge randaliert haben. 497 Ebd. 498 Ebd., Niederschri über ein Interview mit Heinz-Otto Kartenkämper (1923 - 2009), Bocholt, geführt am 4. Dezember 1994 von Werner Sundermann. 499 Ebd., Niederschrift über ein Interview mit Maria Willing, geborene Kartenkämper (* 1925) [früher wohnhaft: Scho- nenbergstraße 1, Bocholt], am 2. Dezember 1994, geführt von Werner Sundermann. 500 Ebd., Niederschrift über ein Interview mit Maria Wolsing (geb. Brüning (1920 - 2004), geführt durch Josef Niebur und Werner Sundermann am 8. Dezember 1994.

BUCH DER ERINNERUNG | 97 „Am 9. November […] kam eine laute, grosse Gruppe Männer in unser Haus in der Bahnhofstraße. Sie vernichteten alle Möbel und der Fussboden war voll von Glas und Scherben. Nach etwa eineinhalb Stunden verliessen sie unser Haus. Sie wollten ei- gentlich das Haus anstecken und uns verbrennen. Nur sie hatten keine Zeit mehr um das zu tun und so sind wir am Leben geblieben. Am nächsten Tag stellten wir fest, dass auch der Gastank ein grosses Loch hatte. Nur den zerbrochenen Fensterscheiben war es zu verdanken, dass wir nicht erstickt waren. Nicht lange danach wurde mein Vater [Ernst Friede] verhaftet und im Gefängnis inhaftiert, zwei Tage später sollte er ins KZ kommen. Nur dem Einschreiten eines Bocholter Bürgers ist es zu verdanken, dass Vater vorher entlassen wurde. Ohne Geld konnten wir am 24. Dezember 1938 in die Niederlande entkommen, von wo wir über England nach Swaziland in Südafrika ausreisten.“ (Sue Speier, geb. Friede 501)

„Ich war bereits zu Bett gegangen und hatte geschlafen, als mein Mann mich weckte und berichtete, daß es in Bocholt zu Übergriffen gegen Juden gekommen ist. Er sagte zu mir: ‚Ich fahr schnell zu Friede!’ Da Herr Friede nicht zu Hause war, blieb mein Mann bei Frau Friede, um sie und ihre Kinder zu schützen. Er kam am nächsten Morgen sehr aufgeregt zurück und sagte, daß er es eine ‚Todsünde’ findet, wie man einen angesehenen Bürger, der seine Arbeiter an- ständig behandelte, angreift. Ein Onkel meines Mannes war August Vallée. Er war lang gewachsen und ist jener Mann, der sich in der ‚Reichskristallnacht’ schützend vor die Witwe Zytnik und ihre beiden Kinder stellte, die von SA- und SS-Männern bedroht wurden.“ (Hanna Vallée 502)

„Bei Herzens[503] wollten sie anfangen, hörten aber auf, als beim Klirren eines Spie- gels das Kind anfing zu schreien. Bei Julius und Minna Löw[enstein] waren sie auch. Natürlich wurde auch Seif nicht geschont. Sigmar mußte mit in die Rentei und sollte ihnen vorlesen, was in den orarollen steht, doch konnte er es nebbich[504] nicht. Er ist in Holland, wie auch sonst noch viele. Julius Löw[enstein] ist mit seiner Familie noch in Bocholt, hat aber ein Permit [505] für England. Als ‚sie‘ die Synagoge anzünden wollten, wurden sie von Hüls kamp daran gehindert, da er eine Schreinerei nebenan hat.“ (Levy Nussbaum506)

„Am Morgen nach der ‚Reichskristallnacht’ ging ich durch den Südwall Richtung Neustraße und kam daher im Südwall an den Häusern Weyl und Friede vorbei. Dabei sah ich, wie die Gardinen aus den zerschlagenen Fenstern flatterten. Vor den Häusern lagen Dinge auf der Erde. In der Schule [Städtische Oberschule für Jungen, heute St.-Georg-Gymnasium] erfuhr ich, daß die Juden in der Nacht verfolgt worden waren. Ein Lehrer, der auf Grund seiner Parteizugehörigkeit Gymnasiallehrer geworden war, protzte vor uns: ‚Jungs, was meint ihr wohl, woher ich das blaue Auge habe?‘

501 Stadt Bocholt. Fachbereich Zentrale Verwaltung - Interne Dienste -, Ordner: Jüdische Mitbürger. Sue Speier, Durham N. C. (USA), an Bürgermeisterin Christel Feldhaar, Bocholt, 20. August 1997. 502 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschri über ein Interview mit Hanna Vallée (1908 - 1999), geführt am 11. Mai 1993 von Josef Niebur und Werner Sundermann. 503 Der Lehrer an der ehemaligen israelitischen Schule, Alfred Herz, wohnte mit Frau Lotte und Kind Rudolf im israe- litischen Gemeindehaus am Nordwall. 504 jiddisch: natürlich. 505 Einreisegenehmigung. 506 StdA B, 61 K 251 – ohne Titel –. Levy Nußbaum an einen Verwandten in den USA, 15. Mai 1939.

98 | BUCH DER ERINNERUNG Einige Mitschüler kamen aus Richtung Synagoge und hatten angebrannte ‚Bibelteile‘ in der Hand. Unser Klassenlehrer wurde ganz erregt, riß ihnen die ‚Bibelteile‘ aus der Hand und rief laut ‚Kulturschande‘ in die Klasse.“ (Karl Walber 507)

„Von den Zerstörungen in der Reichspogromnacht 1938 habe ich in der Nacht nichts er- fahren. Mein Schulweg führte am nächsten Morgen durch Rosenstiege und Rebenstraße zur Schule am Wasserturm, ich kam also nicht an der Synagoge vorbei. Damals war ich im 5. Jahrgang. Erst in der ‚großen Pause’ erfuhr ich durch Mitschülerinnen, daß in der Nacht etwas geschehen war. Ich mußte sehr vorsichtig sein, da ich kein Mitglied des BDM [Bund Deutscher Mädel] war; nur meine jüngeren Geschwister waren später beim BDM bzw. bei der HJ [Hitler-Jugend]. Ich war darüber schockiert, daß sich die Klassen- kameradinnen, die bei den ‚Jungmädeln’ waren, über die vergangene Nacht zustimmend äußerten. Zu Hause habe ich Mutter gefragt, was geschehen war. Sie erzählte mir, daß sie von Frau Farwick, einer Nachbarsfrau, erfahren habe, daß das Ehepaar Regina und Salomon Seif in der Nacht zusammengeschlagen und ins Krankenhaus gebracht worden war. Ihr Sohn Sigmar soll sich während der Nacht auf den Dachpfannen versteckt ha- ben. Später wurde er dort entdeckt. Als Sigmar Seif später seine Eltern im Krankenhaus besuchte, hätte seine Mutter ihm zugeflüstert: ‚Rette Dich nach Holland!’ Er floh dann in die Niederlande. Am 10. oder 11. November 1938 fand der letzte Martinszug vor dem Kriege statt. Wir waren ganz betroffen, als wir z. B. das Textilhaus Herzfeld sahen: Zersplitterte Scheiben – Textilien – ein Tohuwabohu. Ob wir andere jüdische Geschäfte sahen, weiß ich nicht. Die Verwüstungen an der Synagoge habe ich nicht gesehen, da ich auf dem gleichen Weg wie morgens zur Schule ging, wo wir uns zum Martinszug versammeln mußten. Ich habe auch später die Synagoge nicht gesehen bzw. nicht angeschaut, denn ich fand schreck- lich, was dort geschehen war.“ (Frau K.508)

„Ich fuhr am Morgen nach der sog. Reichskristallnacht mit dem Fahrrad kurz nach 7.00 Uhr von zu Hause aus zu meiner Lehrstelle nach Rhede. An der Westend-Kreuzung kam ich zur Villa Liebreich. Die Haustür stand offen, in der Villa waren mehrere Menschen. Im Flur oder in der Diele lag eine kostbare chinesische Vase zerschlagen auf dem Boden. Ein Wandbild war mit Messern mehrfach zerschnitten worden. Ich ging nicht weiter in die Villa. Da ich dort gehört hatte, daß in der Nacht alle Häuser der Juden demoliert worden waren, fuhr ich anschließend zur Synagoge. Als ich zur Synagoge kam, stand die Außentür offen. Die Fenster waren eingeworfen. In der Synagoge sah es wüst aus: Auf dem Boden lagen Ziegelsteine. Die Bänke waren zerstört, die Gebetbücher auf den Boden geworfen und teilweise zerrissen worden. Der Vorhang vor dem oraschrein war heruntergerissen worden und lag auf dem Boden, ebenso die orarollen. Die Treppe zur Frauensynagoge war ausgehängt. Von der Nobelstraße fuhr ich zum Südwall und kam zur gegenüber der heutigen Volks- hochschule liegenden Villa Friede. Das Dach war zerstört, Stuhlbeine schauten heraus. Auch hier kam ich ungehindert ins Haus und ging in den Keller. Hier war der größte Teil von Gläsern mit eingemachtem Obst aus den Regalen geworfen und zerstört worden. Ich dachte mir: ‚Was hier passiert ist, ist nicht richtig.’“ (Herr D.509)

507 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Herrn Karl Walber (* 1922 – 2010), am 18. Dezem- ber 1993, geführt durch Werner Sundermann und Josef Niebur. 508 Ebd., Niederschrift über ein Interview mit Frau K., (* 1926), wohnte bis 1942 Rosenstiege 2, am 7. Januar 1994, geführt von Josef Niebur und Werner Sundermann. Interview befindet sich als Depositgut im Stadtarchiv Bocholt. 509 Ebd., Niederschrift über ein Interview mit Herrn D. (* 1922), Bocholt, am 8. Juni 1993, geführt von Josef Niebur und Werner Sundermann.

BUCH DER ERINNERUNG | 99 „Als ich am Morgen nach der Reichskristallnacht auf dem Weg von der Schulmesse in St. Georg kurz nach 7.40 Uhr eilig durch die Nobelstraße ging, sah ich vor der Synagoge sowie am danebenliegenden Haus Seif und am gegenüberliegenden Haus der Familie Rosenberg Zerstörungen. Ich erinnere mich an viele Scherben und Glassplitter, die dort lagen. Die Fenster der Synagoge waren zerstört. Auf oder neben der Straße lagen vor dem Synagogengrundstück Gegenstände wild durcheinander, einige waren angekohlt. Wir gingen schnell weiter zur Schule. In der Schule äußerte sich ein Lehrer, von dem wir wußten, daß er Nazi war, zustimmend über die in dieser Nacht angerichteten Zer- störungen.“ (Herr U.510)

„Mitschüler, die in der Innenstadt wohnten, berichteten über die Zerstörungen jü- discher Geschäfte und der Synagoge. Es wurde nur leise darüber gesprochen. Unter uns herrschte eine seltsam-gedrückte Stimmung. Keiner triumphierte über das Geschehen. Nach Schulschluß fuhr ich allein durch die Nordstraße bis zum Geschäft Herzfeld. Die Schaufensterscheiben waren eingeworfen. Kleider und Anzüge lagen wild durcheinan- dergeworfen. Ich empfand, daß etwas Schlimmes passiert war, und schämte mich. In den nächsten Tagen stellten wir Schüler fest, daß ein Lehrer, der als starker Nazi bekannt war und der bisher nur in SA-Uniform oder in einem Sportanzug mit Knickerbocker- Hose zur Schule kam, plötzlich einen neuen Anzug trug. Unter uns hieß es, daß er bei der nächtlichen Aktion gegen die Juden dabeigewesen war und den Anzug bei Herzfeld habe mitgehen lassen.“ (Werner Sundermann 511)

„Unsere Eltern unterhielten sich über das Geschehen der Reichskristallnacht in Bocholt, so erfuhren meine Geschwister und ich davon. Einige Tage später kam Herr Herzfeld, in dessen Konfektionsgeschäft in Bocholt wir immer kauften und das in der Reichspogrom- nacht verwüstet worden war, auf unseren Hof in Spork. Meine Eltern kauften bei ihm drei Kindermäntel. Herr Herzfeld sagte, daß er keine Zukunft in Deutschland sehe und deshalb nach Holland gehen werde.“ (Klemens Schnoklake 512)

4.8.2. Folgen des Pogroms In einem kleinen Zeitungsartikel des überregionalen Teils der Zeno-Zeitung vom 12. November 1938 wurde unter der Oberzeile „Gerechte Empörung – Judenfeindliche Kundgebungen im Münsterland“ kurz auf die Ereignisse dieser Nacht eingegangen: „[...] Ebenso trafen aus Borken, Bocholt, Coesfeld [...] Meldungen ein, die die Zerstörungen sämtlicher jüdischer Geschäfte und Synagogen meldeten.“513 Am 12. November 1938 erließ der Beauftragte für den Vierjahresplan, Göring, die „Ver- ordnung über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit“. Den Juden wurde dadurch eine „Sühneleistung“ von 1 Milliarde Reichsmark auferlegt, die über die Finanzämter eingezogen wurde514.

510 Ebd., Niederschrift über ein Interview mit Herrn U. (* 1927), Bocholt, am 15. September 1993, geführt von Josef Niebur. 511 Ebd., Niederschrift über ein Gespräch mit Werner Sundermann (* 1926), Bocholt, vom 5. Dezember 1991, geführt von Josef Niebur. 512 Ebd., Notiz über ein Gespräch mit Klemens Schnoklake (1928 – 1996), Bocholt, vom 25. November 1994, geführt von Josef Niebur. 513 StdA B., ZSlg., Zeno-Zeitung – Volksblatt für Bocholt und den Kreis Borken –, 12. November 1938. Gerechte Empörung – Judenfeindliche Kundgebungen im Münsterland. Der Lokalteil fehlt in der Zeitungssammlung für die Zeit vom 4. bis 13. November 1938. 514 Reichsgesetzblatt I 1938, S. 1579 vom 12. November 1938, Verordnung über eine Sühneleistung der Juden deut- scher Staatsangehörigkeit.

100 | BUCH DER ERINNERUNG In weiteren Verordnungen wurde gegen Juden verfügt: Juden durften kein Einzelhan- delsgeschäft, Versandgeschäft oder Bestellkontor mehr führen. Außerdem war ihnen nun der Betrieb von Handwerksgeschäften untersagt515.

Die Synagoge war in der Pogromnacht innen derart zerstört worden, dass in ihr kein Gottesdienst mehr stattfinden konnte. Wilhelmine und Julius Löwenstein stellten der durch Auswanderung und Flucht immer kleiner werdenden israelitischen Gemeinde in ihrem Haus Hemdener Weg 11 einen Raum zur Verfügung, in dem sie sich zum Gebet treffen konnten516.

Am 18. November 1938 war in der Zeno-Zeitung unter der Schlagzeile „Fahnen auf Halbmast“ zu lesen: „Wie in allen Städten und Gemeinden des Reiches so hatten gestern auch in Bocholt und den Orten ringsum die öffentlichen Gebäude und zahlreiche Privathäuser aus Anlaß der Beisetzung des von jüdischer Mörderhand dahingerafften Gesandschaftsrates Ernst vom Rath Trauerfahnen gehißt. Hierdurch kam noch einmal die Anteilnahme der Bevölkerung an dem Hinscheiden des jüngsten Blutzeugen der Bewegung sichtbar zum Ausdruck.“517

Wegen des „Gesetz[es] über die Rechtsverhältnisse der jüdischen Kultusvereinigungen“ vom 28. März 1938, mit dem den israelitischen Gemeinden auch in Bocholt die Steuer- und Abgabenfreiheit genommen worden war, beantragte die Stadtsparkasse Bocholt am 15. November 1938 einen „Arrestbefehl in Sachen der Sparkasse der Stadt Bocholt [...] gegen die jüdische Synagogen-Gemeinde in Bocholt“ wegen plötzlich berechneter Straßenbaukosten.518 Als Begründung ihres Antrags fügte die Stadtsparkasse an, dass „die Schuldnerin damit umgehe, ihren Grundbesitz in Geld umzusetzen.“519 Der Antrag war ein willkommener Anlass, die jüdische Gemeinde ihrer Synagoge zu berauben.

Dem Käufer der Synagoge wurde vom Regierungspräsidenten Münster, der den Ver- trag genehmigen musste, am 22. Dezember 1938 für das ehemalige Synagogengebäude vorgeschrieben: „Das Aeussere [sic] des Gebäudes ist vollständig umzugestalten, sodass der bisherige Charakter verschwindet. Die Pläne zur Umgestaltung bedürfen der Zustimmung des Oberbürgermeisters der Stadt Bocholt. Die eiserne Einfriedigung an der Straßenseite muss durch eine andere Einfriedigung ersetzt werden; die anfallenden Schrottmengen sind dem Schrotthandel zuzuführen.“520

Nach dem durch die Stadtverwaltung erzwungenen Verkauf der Synagoge wurden die nicht zerstörten Gegenstände und Akten zusammengeräumt und an Bertold Löwen- stein übergeben. Löwenstein sandte sie später an die Bezirksstelle Bielefeld der Reichs- vereinigung der Juden in Deutschland weiter521.

Nach der Pogromnacht gingen die braunen Machthaber auch gegen die noch in Bocholt existierenden zwei jüdischen Geschäfte und den Textilbetrieb A. Löwenstein vor.

515 StdA B, 57 K 102 – ohne Titel –. Verordnung zur Durchführung der Verordnung zur Ausschaltung von Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 23.11.1938. 516 Privatbesitz Josef Niebur. Notiz über eine Auskunft von N. N., Bocholt, am 26. Oktober 1983. 517 StdA B, ZSlg., Zeno-Zeitung – Volksblatt für Bocholt und den Kreis Borken –, 18. November 1938, Fahnen auf Halbmast. 518 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten [...] über die Grundstücke der jüdischen Synagogengemeinde in Bocholt, […], Band -, Blatt Nr. 930, S. 36, Stadtsparkasse Bocholt an Amtsgericht Bocholt, 15. November 1938. 519 Ebd. 520 Ebd., S. 55, Genehmigung des Regierungspräsidenten vom 22. Dezember 1938. 521 LA NW, HSTAD, NW 60 d 1675/76, Stadt Bocholt an Regierungspräsident Münster, 29. April 1952.

BUCH DER ERINNERUNG | 101 Die Niederrheinische Industrie- und Handelskammer Duisburg-Wesel wandte sich am 7. Dezember 1938 an die Ortspolizeibehörde Bocholt. Sie wies an: „Nach der Verord- nung zur Durchführung der Verordnung zur Ausschaltung von Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 23.11.1938 sind Einzelhandelsverkaufsstellen, Versandgeschäfte oder Bestellkontors von Juden abzuwickeln. [...] Wir bitten um Mitteilung, ob die Ab- wicklung der im dortigen Verwaltungsbezirk ansässigen jüdischen Geschäfte in die Wege geleitet worden ist und ob sich dabei die Bestellung von Abwicklern als notwendig erwiesen hat [...].“522

Handschriftlich sind auf dem Schreiben die noch bestehenden Firmen jüdischer Ei- gentümer notiert: „Herzfeld[,] Nordstraße Metzger[,] Dinxperloer Str. A. Löwenstein[,] Ostwall 39“. Bis Jahresende wurden auch sie „arisiert.“523

Unter der Schlagzeile „Eine Jüdin festgenommen“ berichtete die Zeno-Zeitung – Volks- blatt für Bocholt und den Kreis Borken – am 14. Dezember 1938: „Gestern wurde eine Jüdin polnischer Staatsangehörigkeit, die aus Köln stammte, in der Nähe der Grenze in Barlo von Zollbeamten festgenommen. Die Jüdin, die offenbar über die grüne Grenze aus Deutschland fliehen wollte, befand sich nicht im Besitze eines Passes, den sie angeb- lich verloren haben will. Sie wurde ins hiesige Gerichtsgefängnis eingeliefert.“524

4.8.3. Flucht

Ursula Bamberger, die Tochter von Grete und Richard Friede, erinnerte sich an diese Zeit: „Ich selber verliess Deutschland nach der Kristallnacht 1938 und floh ohne meine Familie nach England. Mein Vater musste zwangsmässig in Bocholt zurückbleiben, […] sein Reisepass wurde konfisziert, damit er gezwungen war, die neuen Fabrikleiter anzu- lernen. Meine Mutter hätte mit mir fliehen können, aber zog vor, mit meinem Vater zurückzubleiben. Im Frühjahr 1939 wurde meinen Eltern die Auswanderung endlich erlaubt. Wir blieben bis 1941 in England, wo wir dann unser Visum nach USA bekamen. […]“525 Grete und Richard Friede konnten Bocholt am 1. März 1939 verlassen, sie mel- deten sich, wie in der Einwohnermeldekarte vermerkt, nach „Amsterdam/Niederlande“ ab526.

Hans Fischer erinnerte sich an seine Mithilfe bei der Flucht in die Niederlande: „Ich erinnere mich daran, daß ich etwa 1935/36 in Plauen (Vogtland) einen neuen Lastwagen abholen mußte. Im Büro der Lastwagenfirma saßen einige Herren, die ich mit ‚Guten Morgen!’ grüßte. Einer von ihnen fragte, warum ich nicht mit ‚Heil Hitler!’ grüßen würde. Ich antwortete ihm darauf, daß ich nicht in der ‚Partei’ sei. Als wir später allein waren, fragte er mich, wie weit es von Bocholt zur holländischen Grenze sei. Als ich ihm sagte, daß dies etwa 5 km wären, bat er mich, ein jüdisches Ehepaar mit nach Bocholt zu nehmen und über die Grenze zu bringen. Er bemerkte, daß das Ehepaar ‚heraus müßte’. Ich erklärte mich dazu bereit. Das Ehepaar sagte, daß die Judenverfolgung in Deutschland so schlimm werden würde, daß sie weg müßten. Die beiden kannten in Bocholt den jüdischen Metzger Gottschalk, der in der Bismarck-

522 StdA B, 57 K 102 ohne Titel -, Niederrheinische Industrie- und Handelskammer zu Duisburg-Wesel vom 7. Dezem- ber 1938 an den Herrn Oberbürgermeister als Ortspolizeibehörde Bocholt. 523 Ebd. 524 Ebd., ZSlg., Zeno-Zeitung Volksblatt für Bocholt und den Kreis Borken -, 14. Dezember 1938, Eine Jüdin festge- nommen. 525 Stadt Bocholt. Fachbereich Zentrale Verwaltung – Interne Dienste. Ordner: Jüdische Mitbürger. Ursula Bamberger (geb. Friede), Silver Spring/USA, an Bürgermeister Bernhard Demming am 13. Mai 1988. 526 StdA B, 57 K 102 – ohne Titel -, Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962).

102 | BUCH DER ERINNERUNG straße wohnte. Ich brachte das Ehepaar in einem PKW über die Grenze zu Herrn B. in Dinxperlo. B., den ich bereits viele Jahre geschäftlich kannte. Von der geglückten Flucht erzählte ich Herrn Gottschalk. Er wurde später zum Mit- telsmann zu den Juden, die ich über die Grenze bringen sollte; zumeist kamen sie aus der Umgebung von Berlin. Ich holte sie am Bahnhof in Bocholt oder Wesel ab und brachte sie sofort über die Grenze an den Grenzübergängen Barlo oder Suderwick in die Niederlande. Meistens fuhr ich zum Grenzübergang Barlo. Dieser Übergang wurde um 18.00 Uhr geschlossen und eine Kette über die Straße gespannt, damit er nicht passiert werden konnte. Wenn ich dort später über die Grenze wollte, rief ich den Grenzbeamten an und bat ihn, die Kette los zu lassen. Die Juden versteckte ich hinter leeren Kisten, die ich nach Holland bringen mußte, um sie beladen zurückzu- bringen. Die Zöllner ahnten nicht, daß ich Menschen mitnahm und so über die Grenze schmuggelte. […] Zweimal habe ich Juden zum Hafen nach Rotterdam gebracht, von wo aus sie mit Kohlenschiffen ohne Ausweispapiere in die USA auswanderten.“527

Im Jahre 1938 verließen 60 Bocholter jüdischen Glaubens die Stadt, allein 29 zwischen der Pogromnacht und dem Jahresende.528

Josef Metzger, der im Niederbruch wohnte, wurde am 3. Januar 1939 von der Krimi- nalpolizei Bocholt festgenommen, da gegen ihn eine Anzeige erstattet worden war. Er wurde verdächtigt, dass er in seinem Haus auswärtige Juden beherbergte, die heimlich über die „grüne Grenze“ in die Niederlande entflohen. Ob es zu einer Anklage gegen Josef Metzger kam, ist nicht überliefert.

4.9. 1939 – Sommer 1941

Mit dem Erlass des „Gesetz[es über die Mietverhältnisse der Juden vom 30. April 1939“, durch das Juden weitgehend gegen Wohnungskündigungen schutzlos wurden, begann auch in Bocholt die Verdrängung jüdischer Personen in sog. Judenhäuser.

Im März 1939 mussten die Juden aus dem Haus Nordwall 26 ziehen, das unter Zwang an die Stadt Bocholt verkauft worden war 529. Im Mai 1939 mussten sie das inzwischen verkaufte Haus Ludgerusstraße 4 verlassen 530, Anfang August 1940 wurde den Eheleu- ten Rachel und Adolf Blumenthal die Mietwohnung Königstraße 9 gekündigt531.

Mit diesem Umzug am 8. August 1940 war die Zusammenlegung der jüdischen Men- schen in die sog. Judenhäuser Bahnhofstraße 16, Niederbruchstraße 20, Schwartzstraße 14 und Stiftstraße 32 abgeschlossen532.

Inge Becks, die im Haus Stiftstraße 38 wohnte, erinnerte sich an den zwangsweisen Zu- zug von Bocholterinnen und Bocholtern jüdischen Glaubens in das benachbarte soge- nannte Judenhaus Stiftstraße 32:

„Nach meiner Erinnerung mußten die noch in Bocholt wohnenden Juden im Jahre 1939 oder 1940 in das Haus Stiftstraße 32, drei Häuser weiter als mein Elternhaus, ziehen.

527 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschri über ein Interview mit Hans Fischer (1908–2002), Bocholt-Holtwick am 23. März 1995, geführt von Josef Niebur und Werner Sundermann. 528 StdA B, 57 K 102 – ohne Titel -. Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962). 529 Stadt Bocholt, Fachbereich Stadtgrün, Altablage, Akte Jüdischer Friedhof. Jewish Trust Corporation for , Zweigbüro Ruhr Mülheim, an Stadtdirektor Bocholt, 28. Oktober 1953. 530 StdA B, verlmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; vgl. Biogramme S. 310, 314. 531 Ebd., vgl. Biogramme S. 158, 160. 532 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

BUCH DER ERINNERUNG | 103 Insgesamt wurden in diesem großen, zweistöckigen Haus wohl 10 bis 12 Personen zusammengepfercht. Hier lebten bis Dezember 1941: – das ältere Ehepaar Mühlfelder[533], – Frau Hochheimer, die die Lager überlebte, mit Mann und Sohn [534], – Herr Cohen, ein kleiner Mann im Rollstuhl, der mindestens zwölf Sprachen sprach[535], – die etwa vierzigjährige Frau Landau mit ihrem Mann Ernst und dem ca. dreijährigen Sohn Leo, der ‚Bubi’ genannt wurde[536].

Mein Vater Carl Becks erhielt sofort beim Zuzug der Juden in das Haus Stiftstraße 32 von der Stadtverwaltung Bocholt den schriftlichen Auftrag, die noch in der Stadt be- findlichen Juden mit den elementarsten Lebensmitteln zu beliefern. Er durfte den Juden nur Rationen verkaufen, die wesentlich kleiner als die der sonstigen Bevölkerung waren. Vom Verkauf von Sonderrationen sowie Tabakwaren, Kaffee und Alkohol waren die Juden ausgeschlossen. Trotzdem bekamen sie auch diese von meinem Vater.

Die Juden kamen dazu abends oder nachts übers Feld zu ihm, so erhielt z. B. Herr Hoch- heimer Zigaretten. Sie durften nur zu bestimmten Zeiten – täglich von 13.00 Uhr bis 14.00 Uhr sowie von 17.00 Uhr bis 18.00 Uhr – bei uns einkaufen. Während dieser Zeit durften keine anderen Kunden im Geschäft anwesend sein. Ich kann mich daran erin- nern, daß neben den Bewohnern des Hauses Stiftstraße 32 u. a. Salomon Seif mit dem Fahrrad kam. Ins Geschäft kam auch Martha Löwenstein aus der Bahnhofstraße, die ich als sehr schöne schlanke Frau in Erinnerung habe.

Ein Nachbar stellte sein Radio bei den Nachrichten so laut, daß die Juden, die ab 1939 keine Radios mehr besitzen durften, Nachrichten hören konnten.“ 537

Im Juni 1939 stellte Max Sander an den „Herrn Oberbürgermeister der Stadt Bocholt“ einen Antrag auf den „Ausgleich bürgerlich-rechtlicher Ansprüche“. Hierin forderte er Ersatz für seinen Betrieb, in dem er Hosen konfektioniert hatte. Der Betrieb war nach der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 zum Erliegen gekommen.

Die um Stellungnahme aufgeforderte NSDAP-Kreisleitung charakterisierte Sander am 21. Juni 1939 im negativen Nazi-Stil: „[...] Der Obengenannte ist als Charakterschwein bekannt. Bis zum Erlasse der Nürnberggesetze[sic] hat er Verkehr mit einer blonden Verkäuferin aus dem früheren Juden-Geschäftshaus S. B. Löwenstein, heute Schmidt- mann, gehabt. In der Systemzeit hat er seine Stellung als Vertreter dazu ausgenutzt, um deutschen Mädeln nachzustellen. [...]“538

Oberbürgermeister Irrgang sandte den Antrag Sanders am 24. September 1939 an den Regierungspräsidenten Münster und vermerkte auf dem Original: „[...] weitergereicht. Die Angaben des Sanders entsprechen der Wahrheit. [...] Irrgang.“539 Was aus diesem Antrag wurde, konnte nicht ermittelt werden.

533 Vgl. Biogramme S. 330, 333. 534 Vgl. Biogramme S. 233, 236. 535 Vgl. Biogramm S. 168. 536 Vgl. Biogramme S. 245, 247, 249. 537 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Frau Inge Becks (* 1926), Bocholt, am 10. Dezember 1993, geführt durch Werner Sundermann und Josef Niebur. 538 StdA B, 57 K 102 – ohne Titel -, NSDAP-Kreisleitung Borken-Bocholt an den Oberbürgermeister Bocholt, 21. Juni 1939. 539 Ebd.

104 | BUCH DER ERINNERUNG 4.9.1. Beginn des Zweiten Weltkriegs

Bereits ab dem 22. August 1939 wurden immer mehr Männer zum Kriegsdienst einberufen und reisten in ihre Garnisonsstädte. Zurück in Bocholt blieben Frauen und Kinder, die angstvoll in die Zukunft sahen. Die Eintragungen in der Kriegschronik der Stadt Bocholt berichteten immer häufiger von erregten Gesprächen über die angeblichen Übergriffe von Polen auf Deutschland: „Immer wieder hieß die Frage: Wann wird es losgehen? Vergleiche mit den Augusttagen 1914 werden angestellt.“ 540 Am 27. August 1939 verteilte die Hitlerjugend erstmals Lebensmittelkarten, die zum Einkauf des Nötigsten berechtigten541.

Am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg durch den Überfall deutscher Truppen auf Polen. Wie die Kriegschronik aussagt, hat „ganz Bocholt ... die Rede [in Bertold Löwenstein wen- der Hitler lügt: ‚seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen’] mitangehört und ist voller det sich als Vorsitzender Begeisterung.“542 der jüdischen Kultusver- Die damals 23jährige Maria Niebur erinnerte sich, obwohl aus einem kirchlich-oppo- einigung „Israelitische sitionellen Umfeld stammend, daran, dass sie und ihre Freundin angesichts der immer Gemeinde e.V. Bocholt“ am 10. April 1940 an das wieder gemeldeten Erfolge der deutschen Truppen stolz waren. Sie waren davon über- Amtsgericht Bocholt, Abt. zeugt, dass der Krieg nicht lange dauern würde, machten sich aber Sorgen um die Frei- Grundbuch heit der Menschen und der Kirche in einem siegreichen NS-Staat. So sei es für sie und (Amtsgericht Bocholt, ihre Freundin ernüchternd gewesen, als ein Mann aus ihrer Nachbarschaft gesagt habe, Grundbuchamt, Grund- dass dieser Krieg länger als der erste dauern und mit einer deutschen Niederlage enden akten, Band-, Blatt 930, würde 543. S. 52)

Am 29. November 1939 benachrichtigte das Amtsgericht Bocholt die Polizeiver- waltung Bocholt über die am 15. Novem- ber 1939 erfolgte Eintragung des Vereins „Jüdische Kultus vereinigung ‚Israelitische Gemeinde e.V.’ Bocholt“ in das Vereins- register 544.

Deshalb war Bertold Löwenstein, der letzte Vorsitzende der Repräsentantenversamm- lung, schon am 17. Oktober 1939 von der Reichsvereinigung der Juden in Deutsch- land zum Vorsitzenden der Jüdischen Kultusvereinigung Israelitische Gemeinde Bocholt/Westfalen bestallt worden545.

Zur Jahreswende 1939/40 lebten noch 39 Juden in Bocholt546.

540 Kriegschronik, S. 3. 541 Ebd. 542 Ebd., S. 4. 543 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über Gespräche mit meiner Mutter Maria Niebur (1915–2004) von 1983 –2004. 544 Amtsgericht Bocholt, Vereinsregister, VR 100, Jüdische Kultusvereinigung Israelitische Gemeinde Bocholt e. V., Blatt 18, 17. Oktober 1939 von der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland an die Jüdische Kultusvereinigung Israelitische Gemeinde Bocholt/Westfalen. 545 Amtsgericht Bocholt, Registerabteilung, Vereinsregister Nr. 100, S. 17. 546 StdA Münster, Münsterischer Anzeiger, 6. Januar 1939.

BUCH DER ERINNERUNG | 105 Im April 1940 soll der Betraum im Haus von Wilhelmine und Julius Löwenstein, Hemdener Weg 11, aufgehoben worden sein. In der Zei- tungsmeldung hierüber soll der Ausdruck „ent- kultet“ gestanden haben547.

Wegen eines „Vergehen[s] nach §§ 2 – 4 der Verordnung über den Nachrichtenverkehr vom 2. April 1940 – RGBl. I S. 823“ kam es am 18. April 1941 „gegen die Witwe Isidor Silber- schmidt, Martha Sara[,] geborene Lehmann aus Bocholt, Nordallee 39“ sowie am 28. Mai 1941 gegen „den Küster und Synagogen diener Salomon Seif, Bocholt, Niederbruchstraße 20 b“ zu Verhandlungen vor dem Schöffen- gericht Coesfeld. Haus Löwenstein In diesem Haus der Was war geschehen? Familie Wilhelmine Am 2. Januar 1941 hatte Martha Silberschmidt „einen Brief an die Adresse: Comité Löwenstein am Hem- für die vom Krieg betroffenen Juden, Genf, zur Weitervermittlung nach Südfrankreich dener Weg 11 kamen (unbesetztes Gebiet) in den postalischen Verkehr gebracht.“548 Der Brief war von der die noch hier wohnen- Zensurstelle beim Postamt Bocholt abgefangen worden. In diesem Brief bat sie das Co- den BocholterInnen jüdischen Glaubens mité, einen mitgesandten Brief an ihre Nichte und deren Mann weiterzuleiten, die in für einige Monate zum einem Lager in Frankreich lebten. Gottesdienst zusam- men. In diesem Brief stand weder ein Satz über einen kriegswichtigen Umstand noch von (Foto: Stadt Bocholt, einem Staatsgeheimnis. Nur Stapo-Beamte konnten hier eine „unerlaubte Nachrich- Bruno Wansing) tenübermittlung ins feindliche Ausland“ sehen.

Martha Silberschmidt wurde am 18. April 1941 vom Amtsgericht Coesfeld „zu einer Geldstrafe von 25 RM (fünfundzwanzig RM), ersatzweise 5 (fünf) Tage Haft kosten- pflichtig verurteilt.“ Dies, obwohl die Staatspolizeileitstelle Münster in einem Vermerk vom 11. März 1941 festhielt: „Die Jüdin Martha Sara Silberschmidt [ist] in staats- polizeilicher Hinsicht […] bisher nicht in Erscheinung getreten.“549

Noch willkürlicher war das Urteil des Coesfelder Gerichtes gegen Salomon Seif. Er hatte am 5. Februar 1941 versucht, einen Brief an seinen im unbesetzten Teil Frankreichs lebenden Sohn Richard über Rosa Nußbaum, die Witwe des ehemaligen israelitischen Seelsorgers in Bocholt Levy Nußbaum, die in Basel wohnte, zu senden. In diesem Brief hatte er geschrieben: „Deine liebe Karte haben wir erhalten und daraus zu unserer Freude und Beruhigung erfahren, daß Du gesund bist, was ich G’tt [sic] Lob auch von uns berichten kann. Die Mädels sowie Sigmar schreiben immer zufrieden, in Wesel ist alles wohlauf. Heinz hat Arbeit und die Kinder entwickeln sich gut. Von Freda hatten wir letzten Samstag einen Brief und geht es auch Deinen Kinderchen gut. Namentlich auf Jakobchen kannst Du stolz sein, er ist der beste Schüler in seiner Klasse. Lieber R[ichard,] erkundige Dich mal dort, ob dort bei Dir ein Siegbert Meier ist […]. Nun

547 Privatbesitz Josef Niebur. Notiz über eine Auskunft von N. N., Bocholt, am 26. Oktober 1983. Das Haus war schon am 2. Dezember 1939 von Wilhelmine Löwenstein und ihren Kindern, die damals schon in den Niederlanden und Großbritannien lebten, verkauft worden. 548 LA NW – STA MS, Bestand Amtsgericht Coesfeld I Nr. 5, Schöffengericht Coesfeld, Strafsache Amtsgericht Müns- ter gegen Silberschmidt wegen Verg. ./. V. O. über Nachrichtenverkehr, Strafanzeige der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Münster, vom 11. März 1941. 549 Ebd., Vermerk der Staatspolizeileitstelle Münster vom 11. März 1941.

106 | BUCH DER ERINNERUNG mein lieber Richard, halte Dich weiter gesund und tapfer. Möge Dich der Allgütige weiter beschützen, bis für uns alle die Wiedersehensstunde schlägt. Mit den herzlichsten Grüßen und Küssen Dein Vater.“ 550

Der Brief war von der Postzensur beim Postamt Bocholt abgefangen und an die Ge- stapo in Münster weitergegeben worden. Die Stapoleitstelle fuhr in ihrem Vermerk zur Klageerhebung an die Staatsanwaltschaft Münster „schweres Geschütz“ gegen Salomon Seif auf: „Seif war früher Synagogendiener und Schächter der jüdischen Gemeinde in Bocholt. Vor der Machtübernahme war er Anhänger der KPD. Bei Aufmärschen der SA trat er besonders hervor, indem er die aufmarschierenden SA-Männer anspuckte und mit den Worten ‚Lumpen und Bluthunde‘ beschimpfte. Seif ist als Jude schlimmster Sorte anzusehen.“ 551 Bei seiner Vernehmung vor der Kriminalpolizei Bocholt gab Seif zu Protokoll: „Mein Sohn Richard ist 1938 nach Holland ausgewandert, dort wurde er ausgewiesen und war dann in Belgien. Er ist Prediger und Lehrer von Beruf. Im August 1940 erhielten wir von ihm Nachricht, daß er in Südfrankreich (unbesetztes Gebiet) Die Staatspolizeileit- ist. Die Frau Nußbaum ist die Witwe des früher in Bocholt wohnhaft gewesenen jüd. stelle Münster weist am Lehrers und Predigers Nußbaum. Nun wollte ich gerne unserm Sohn Richard Nachricht 26. Juli 1941 das Amts- zukommen lassen und da habe ich mich an Frau Nußbaum gewandt mit der Bitte, den gericht Bocholt an, die Brief an meinen Sohn weitergeben zu wollen. Vor einigen Monaten stand es dann in jüdische Kultusverei- unserem ‚Jüdische[n] Nachrichtenblatt’, daß es verboten und strafbar ist, über Leute im nigung „Israelitische neutralen Auslande mit Angehörigen, die in Frankreich sind, in Verbindung zu treten. Gemeinde e.V. Bocholt“ Nach dieser Bekanntmachung habe ich auch nicht wieder an meinen Sohn geschrieben. aus dem Vereinsregister zu löschen. Ich habe vor der oben bezeichneten Zeitungsbekanntmachung nicht gewußt, daß ich (Amtsgericht Bocholt, nicht an meinen Sohn in Frankreich schreiben darf. Ich lebe in ärmlichen Verhältnissen Vereinsregister VR 100, und bekomme als Küster der jüd. Gemeinde abzüglich Steuer pp. 69,- RM monatlich. Blatt 18, Staatspolizei- 552 Ich habe nicht absichtlich gegen die gesetzlichen Bestimmungen verstoßen.“ leitstelle Münster an Am 28. Mai 1941 verurteilte das Schöffengericht Coesfeld Seif zu einer doppelt so hohen Amtsgericht Bocholt, Geldstrafe wie Martha Silberschmidt, „[...] eine Geldstrafe von fünfzig RM, ersatzweise 26. Juli 1941) zehn Tage Gefängnis [...].“ 553

4.9.2. Das Ende der Jüdischen Kultus vereinigung „Israelitische Gemeinde e.V. Bocholt“

Die Geheime Staatspolizei – Staatspolizeileitstelle Münster – beantragte am 26. Juli 1941 beim Amtsgericht Bocholt, die Jüdische Kultusvereinigung „Israelitische Gemeinde e.V. Bo- cholt“ aus dem Vereinsregister zu löschen554. Diesem Antrag lag eine Anordnung des Reichsinnenministers vom 27. Mai 1941 bei, nach dem sich die „jüdischen Kultusvereinigun- gen unter 1000 Seelen in die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ einzugliedern hätten555. Für die Löschung der „Jüdischen Kultusvereinigung ‚Israeli- tische Gemeinde e. V.’ Bocholt“ musste Bertold Löwenstein,

550 LA NW – STA MS, Bestand Amtsgericht Coesfeld I Nr. 7, Schöffengericht Coesfeld, Strafsache Amtsgericht Müns- ter gegen Seif wegen Verg. ./. V. O. über Nachrichtenverkehr. Salomon Seif an Richard Seif, 5. Februar 1941. Die Schreibweise wurde der heutigen Rechtschreibung angepasst. 551 Ebd., Vermerk der Stapo Münster an Staatsanwaltschaft Münster, 5. April 1941. 552 Ebd.; Vernehmung durch die Kriminalpolizei Bocholt am 10. März 1941. 553 Ebd., Urteil vom 28. Mai 1941. 554 Amtsgericht Bocholt, Vereinsregister VR 100 Jüdische Kultusvereinigung Israelitische Gemeinde Bocholt , Blatt 18, Staatspolizeileitstelle Münster an Amtsgericht Bocholt, Vereinsregister, 26. Juli 1941. 555 Ebd., Blatt 19, Anordnung des Reichsministers des Innern, 27. Mai 1941.

BUCH DER ERINNERUNG | 107 wie die Gerichtskasse Bocholt am 25. August 1941 anzeigte, Gerichtskosten in Höhe von 10,08 RM entrichten556.

Mit dieser Streichung der Gemeinde aus dem Vereinsregister begann – etwa zeitgleich mit dem Befehl Görings an Heydrich zur Vorbereitung der „Endlösung“ – der letzte Akt der Geschichte der Bocholter Juden.

5. 1941/1942: Deportationen

Der Bevollmächtigte für den Vierjahresplan Göring beauftragte am 30. Juli 1941 den Chef des Reichssicherheitshauptamtes SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich mit der „Endlösung der Judenfrage“. Der Sinn der „Endlösung“ war klar: Alle Juden sollten – wie dies später das Protokoll der Wannsee-Besprechung vom 20. Januar 1942 ausdrückt – „sonderbehandelt“ (also getötet) werden.

Am 12. August 1941 konnten als letzte Bürger jüdischen Glaubens die Eheleute Hedwig und Josef Metzger aus dem Niederbruch 20 Bocholt verlassen und zu ihrer in Argenti- nien wohnenden Tochter Erna fliehen557.

Wie gefährlich es war, seine jüdischen Nachbarn auch nur anzusprechen, daran erin- nerte sich die Nachbarin der Metzgers im Niederbruch, Margret Hemming: „Meine Mutter, die Hebamme Gertrud Krasenbrink, ging im Frühsommer 1940, hochschwanger mit meiner im Juli geborenen Schwester Marianne, am Haus der Familie Metzger vor- bei. Es war an diesem Tag sehr heiß und es fiel ihr schwer zu gehen. Herr Metzger erkundigte sich dabei unauffällig nach ihrem Befinden. Das sah der Schreinermeister [...], der als starker Nazi bekannt war und wegen seines spitzen Bartes „PG-Spitzbart“ genannt wurde und in der Schonenbergstraße wohnte. [Er] verwarnte meine Mutter wegen dieser Unterhaltung ‚mit einem Juden’ und sagte ihr, daß er sie bei einer Wieder- holung ‚melden’ müsse. Mutter war sehr geschockt darüber, wie er Metzgers mitfüh- lende Nachfrage zum Anlaß nahm, sie abzukanzeln.“ 558

Durch eine Polizeiverordnung vom 1. September 1941 waren Menschen jüdischen Glaubens vom sechsten Lebensjahr an ab 19. September 1941 unter Strafandrohung verpflichtet, einen Stern aus gelbem Stoff mit der Aufschrift „Jude“ zu tragen559. Wilhelm Jakob, damals 15jähriger Schüler, erinnert sich daran, dass ihm in dieser Zeit morgens auf seinem Schulweg „ein Mann mit einem gelben Stern am Mantel“ in der Realschulstraße entgegenkam560.

5.1. Deportationen in das Ghetto Riga Im Oktober 1941 begannen die Vorbereitungen für die Deportation der Menschen jüdischen Glaubens aus dem Münsterland, also auch aus Bocholt. Als Erstes benach- richtigte der Chef der Ordnungspolizei im Reichssicherheitshauptamt am 23. Oktober 1941 auch die Staatspolizeileitstelle Münster darüber, dass „[...] aus dem Altreich, der Ostmark und dem Protektorat Böhmen und Mähren 50.000 Juden [...] in die Gegend

556 Ebd., Blatt 23, Zahlungsanzeige der Gerichtskasse Bocholt, 25. August 1941. 557 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1902–1962. 558 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über Gespräche mit Margret Hemming (geb. Krasenbrink * 1934), Bocholt, am 2. und 27. Dezember 1994, geführt von Werner Sundermann. 559 Topographie des Terrors. Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt auf dem „Prinz-Albrecht-Gelände“. Eine Dokumentation. Berlin 71987, S. 116. 560 Privatbesitz Josef Niebur. Notiz über ein Gespräch mit Wilhelm Jakob (* 1927), Bocholt, vom 18. September 1993.

108 | BUCH DER ERINNERUNG um Riga abgeschoben [werden]. [...] Die Aussiedlungen erfolgen in Transportzuegen [sic] der Reichsbahn zu je 1000 Personen. Die Transportzuege [sic] werden in Berlin, Hamburg, Hannover, Dortmund, Muenster [sic] zusammengestellt.“561 Darauf forderte am 30. Oktober 1941 die Gestapo in Münster die Landräte ihres Bezirks und den Ober- bürgermeister in Bocholt auf, „eine listenmäßige Aufstellung der im dortigen Bereich noch ansässigen Juden“ anzufertigen562. Die Stadtverwaltung Bocholt meldete 36 Juden, die am 1. November 1941 in Bocholt lebten, darunter die Geschwister Edith und Manfred Zytnik, die damals noch im jüdischen Provinzial-Waisenhaus für Westfalen und Rheinland in Paderborn untergebracht waren563. Am 18. November 1941 verfügte die Staatspolizeileitstelle Münster per Rund- schreiben an die Landräte und Ober bürger- meister ihres Bezirks, so auch von Bocholt, die „Evaku ierung“ u.a. von 26 Menschen jüdischen Glaubens in das Ghetto Riga am 10. Dezember 1941. Ín diesem Rundschreiben wurde detailliert aufgeführt, was die Juden mitzunehmen hatten: „Zahlungsmittel bis zu 50,– RM, Koffer mit Ausrüstungsstücken, vollständige Kleidung, Bettzeug mit Decken, Verpflegung für 3 Wochen (Brot, Mehl, Grau pen, Bohnen), Eßgeschirr mit Löffel.“ Die zur Deportation Aufgefordeten waren, wie abschließend mitgeteilt wurde, „am 10. Dezember 1941 in Münster, Gertrudenhof, zu übergeben.“564 Die 26 Bocholterinnen und Bocholter jüdi- schen Glaubens erfuhren vor dem 1. Dezember 1941, dass sie deportiert werden sollten. An diesem Tag wandte sich Max Hochheimer an das Standesamt Witten. Er bat „um Zusendung von 3 Geburtsurkunden für Henny Sara Hoch heimer […] ferner 2 Heiratsurkunden […] sowie 3 Geburtsurkunden für Paul Israel Hochheimer […]. Die Zusendung eilt sehr, da diese Urkunden umsiedlungsbedingt gebraucht werden [...].“ Unterschrieben war das Schreiben, das nur noch in Abschrift im Stadtarchiv Witten vorliegt, von Max Israel Staatspolizeileitstelle Hochheimer, der seinem Namen „Kennort: Bocholt“ und „Kennkarte Nr. A 00164“ Münster an die Land- 565 hinzufügen musste . Glaubten sie wirklich, „nur“ umgesiedelt zu werden, wie eventuell räte und Oberbürger- Max Hochheimer? meister ihres Bezirkes vom 18. November 561 Topographie des Terrors, S. 117, Text 29. 562 Wessels, Heinz-Günter Runte, Jürgen: Die Rheder Juden. Versuch einer Darstellung ihrer Geschichte. Schrienreihe des 1941, Betreff: Evakuie- Heimatvereins Rhede, Band 8, Rhede Januar 1989, S. 145. rung der Juden. 563 Rekonstruktion der Namen der Bocholter jüdischen Glaubens, die am 31. Oktober 1941 in Bocholt wohnten. Die (Gemeindearchiv Heek, originale Aktendurchschrift des Schreibens der Stadt Bocholt an die Staatspolizeileitstelle Münster von Anfang Bestand D, Nr. 392) November 1941 wurde, wie fast alle Akten der Stadtverwaltung Bocholt der Jahre 1928 bis März 1945, zwischen dem 22. und 30. März 1945 absichtlich vernichtet. 564 Gemeindearchiv Heek, Bestand D, Nr. 392. Staatspolizeileitstelle Münster an Landräte und Oberbürgermeister vom 18. November 1941. 565 Gedenkbuch „… vergessen kann man das nicht“. Wittener Jüdinnen und Juden unter dem Nationalsozialismus. Von Martina Klinner-Lintzen und Siegfried Pape, herausgegeben von der Stadt Witten, Witten 1991, S.91.

BUCH DER ERINNERUNG | 109 Einige offenbar nicht. Ein Augenzeugenbericht der damals fünfzehnjährigen Inge Becks, deren Elternhaus fast unmittelbar neben dem sogenannten Judenhaus Stiftstraße 32 lag, lässt die Verzweiflung der Menschen jüdischen Glaubens beim Eintreffen der Deporta- tionsanordnung erahnen: „Ich erinnere mich daran, daß Leo Landau, den wir alle „Bubi“ nannten, im November oder Dezember 1941 in der Gosse vor ihrem Haus spielte, als die Nachricht kam, daß unsere jüdischen Nachbarn deportiert werden sollten. Frau Landau kam zu Vater ins Geschäft und rief sehr aufgeregt: ‚Herr Becks, Herr Becks, wir haben Bescheid. Wir müssen weg. Die bringen uns um!‘ Ich wurde dann von Vater aus dem Laden geschickt. – Ich habe nicht gesehen, wie unsere Nachbarn deportiert wurden. Ein Nachbar sagte mir später, daß die Juden nur das Nötigste mitnehmen durften.“ 566

Auch in dieser Zeit vor der Deportation gingen noch nichtjüdische Bocholter zu den sog. Judenhäusern, um ihren ehemaligen Nachbarn Lebensmittel zu bringen. Eine von ihnen war Antonia Brüning. Trotz der Sorge ihres Mannes, dass sie sich und ihre Familie damit gefährdete, brachte Antonia Brüning abends Essen zum Haus Bahnhofstraße 16, wo ihre ehemaligen Nachbarn Martha und Bertold Löwenstein zu wohnen gezwungen waren. Ihre Tochter Maria Wolsing erinnerte sich: „Als das Ehepaar Löwenstein bereits zur Bahnhofstraße 16 umgezogen war, versorgte meine Mutter Antonia Brüning es mit Lebensmitteln, vor allen Dingen mit Gemüse aus dem eigenen Garten, der an der Bismarckstraße lag. Mutter brachte die Lebensmittel tagsüber zu Löwenstein. Sie fürchtete sich nicht, Juden zu helfen, und tat es deshalb nicht heimlich. Unser Vater hatte Angst, daß man seine Frau deswegen anpöbeln oder anzeigen würde. Wenn Mutter von ihren Besuchen bei Löwenstein zurückkam, sagte sie öfter: ‚Wie sehen die Leute heute aus und was hatten sie früher!’ Sie bedauerte sie sehr und meinte damit den krassen Unterschied u. a. zwischen der Kleidung, die Löwensteins vor 1933 tragen konnten und die sie jetzt tragen mußten, weil ihnen anscheinend viel weggenommen worden war. Als sie von einem dieser Besuche zurückkam, packte sie aus ihrer Tasche einen ‚schmutzigen alten Lappen’, in dem einige Schmuckstücke verborgen waren. Diese zeigte sie ihren Kindern und sagte: ‚Dat heff Mutti [damit meinte sie Frau Amalie Markus unter- Martha Löwenstein] meij for Ou meddegovven. Se säg, dat eij ou dovan watt utsöken nahm am 9. Dezember söllt!’ Damals oder später erzählte sie ihren Kindern, daß dies die Wertsachen waren, 1941, dem Tag vor die das Ehepaar Löwenstein hatte vor Haussuchungen retten können.“567 der angekündigten Deportation, einen Einen Tag vor der Deportation, am 9. Dezember 1941, versuchte Amalie Markus, Selbstmordversuch. An im Haus Bahnhofstraße 16 in den Freitod zu gehen. Sie trank aus Angst vor dem den Folgen starb sie am Ungewissen, das die Deportation für sie bedeutete, Essigessenz. Amalie Markus starb 16. Dezember 1941 im am 16. Dezember 1941 im Krankenhaus in Rhede allein einen schmerzvollen Tod568. Krankenhaus Rhede. Ihr Mann Leopold wurde am 10. Dezember 1941 in das Ghetto Riga verschleppt. Das (Foto: Gerardo Mera- Euler, Düsseldorf) Standesamt Rhede stellte auf Anforderung der dortigen Polizeiverwaltung am nächsten Tag die Todesurkunde aus 569.

5.1.1. Deportation am 10. Dezember 1941

In der Kriegschronik der Stadt Bocholt findet sich über die Deportation vom 10. Dezem- ber 1941 folgender Eintrag:

566 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Frau Inge Becks (* 1926), Bocholt, am 10. Dezember 1993, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur. 567 Ebd., Niederschrift über ein Interview mit Maria Wolsing (geb. Brüning, 1920 – 2004), geführt durch Josef Niebur und Werner Sundermann am 8. Dezember 1994. 568 Kriegschronik, S. 162. 569 StdA R, Sterbeurkunde Amalie Markus vom 17. Dezember 1941.

110 | BUCH DER ERINNERUNG „[...] Der Abtransport erfolgte am heutigen Tage, vormittags, durch einen von der Polizeiverwaltung in Bocholt zur Verfügung gestellten Omnibus. Das Gepäck wurde durch einen Anhänger eines Lastkraftwagens [...] nach Münster transportiert. [...] Wert- papiere, Devisen, Sparkassenbücher usw., Wertsachen jeder Art (Gold, Silber, Platin, mit Ausnahme des Eheringes) durften nicht mitgenommen werden. [...] Es war ihnen [den deportierten Juden] ferner anheimgestellt, Handwerkszeug (Spaten, Hacken, Schüppen usw.) mitzunehmen. Die Mehrzahl der Juden hat diese Werkzeuge auch mitgenommen. Fahrräder, Ferngläser, Schreibmaschinen, Fotoapparate usw., über die sich die Geh. Staatspolizei das Verfügungsrecht vorbehalten hat, wurden bei der Ortspolizeibehörde vorläufig sichergestellt. [...]“570

Luzia Sundermann sah an diesem Morgen des 10. Dezember 1941 auf ihrem Weg zur Liebfrauenkirche den Beginn der Deportation. Sie erinnerte sich: „Ich fuhr, wie an fast jedem Morgen, durch den Niederbruch. Dabei fiel mir an diesem kalten Dezembermorgen sofort eine Gruppe Männer auf, die vor dem Haus der Familie Metzger stand. Die Männer hatten Abzeichen am Arm. Als ich näher kam, sah ich, daß sie Metzgers aus dem Haus holten. Dabei wurden Metzgers geschlagen; die Frauen weinten. In den Gesichtern der Juden stand Angst, sie sträubten sich. Doch die Männer schrien sie an. Sie schlugen noch die Scheiben ein. Die Juden mußten in den Bus einsteigen.“ 571

Dann fuhr der Bus zu den sog. Judenhäusern Bahnhofstraße 16 und Stiftstraße 32, wo 16 Bocholterinnen und Bocholter jüdischen Glaubens in den Bus getrieben wurden. Vor der Polizeidirektion, an der an diesem Morgen der Bus mit den Deportierten zuletzt hielt, beobachtete Gertrud Deutmeyer eine Szene. Sie war Verkäuferin in einem Lebens- mittelgeschäft an der Münsterstraße, gegenüber der Polizeidirektion: „Eines Tages – es kann im Dezember 1941 gewesen sein – sah ich, während ich Kunden bediente, wie auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine größere Menschengruppe in ärmlicher Kleidung vorbeilief, alle trugen Koffer. Die Gruppe ging um das Polizeigebäude herum auf den Königsmühlenweg. Kurze Zeit später sah ich von dort einen Bus und einen LKW mit offener Ladefläche nach rechts, Richtung Rhede, fahren. Die Menschen, die ich gerade gesehen hatte, waren offensichtlich in den Bus eingestiegen. Dies sah ich, während ich bediente. Ob von den Kunden jemand sagte, daß dies Juden waren, die deportiert wurden, oder ob dies die ärmliche Kleidung nahelegte, weiß ich nicht.“ 572

Und ein damaliger Lehrling bei der Stadtverwaltung beobachtete: „Unsere Büros befanden sich in diesem Gebäude rückwärts (heute: an der Gebäudeecke Königsmühlenweg/ Parkplatz). Von hier aus sah ich an einem Dezembertag 1941, wie mehrere Juden zu einem hinter unserem Gebäude stehenden Omnibus gingen. Sie waren schlecht gekleidet. Viele von ihnen trugen Holzkoffer. Ich habe sonst nichts gesehen, weil ich mich auf meine Arbeit konzentrieren mußte.“ 573

In der Polizeidirektion kam es dann zu einer dramatischen Szene. Sie ist in der Kriegs- chronik der Stadt Bocholt überliefert: „Bern[h]ard Steinberg unternahm einen verz- weifelten Versuch, seine Frau, seine Schwiegereltern und sich selbst vor der Deporta- tion zu retten, da er im kriegswichtigen Interesse tätig wäre. Er setzte sich deshalb mit einem Berliner Bekannten, der Verbindung zum Reichssicherheitshauptamt in Berlin

570 Kriegschronik, S. 162. 571 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschri über ein Interview mit Luzia Sundermann (geb. Branse, 1901–1993), Bocholt, geführt durch deren Sohn Werner Sundermann und Josef Niebur am 2. Dezember 1987. 572 Ebd., Niederschrift über ein Interview mit Ernst (* 1921) und Gertrud (* 1919) Deutmeyer, Rhede, vom 9. Dezem- ber 1989, geführt von Josef Niebur und Werner Sundermann. 573 Ebd., Notiz über ein Interview mit Herrn Ernst Schülingkamp (etwa 67 Jahre), am 22. Juli 1995 auf dem Parkplatz hinter dem Gebäude des Arbeitsgerichts, Münsterstraße 76.

BUCH DER ERINNERUNG | 111 hatte, durch ein Blitzferngespräch in Verbindung, das 184,-- RM kostete. Die Geheime Staatspolizeileitstelle in Münster teilte auf fernmündliche Anfrage mit, daß von einer Nicht-Evakuierung der Juden Speyer und Steinberg nichts bekannt sei.“574

Nachdem die Juden ihre Häuser verlassen hatten, wurden – wie Kriminalobersekretär Schielke 1963 in einer schriftlichen Aussage festhielt – „[...]die Wohnungsschlüssel [...] sichergestellt und nach einigen Tagen von Beamten des Finanzamtes Borken abgeholt. Unter deren Aufsicht wurden dann alle Möbel usw. in den großen Saal des Restaurants „Zum großen Kurfürsten“ an der Dinxperloerstraße geschafft und dort öffentlich ver- steigert. [...]“575

Die 26 Bocholterinnen und Bocholter jüdischen Glaubens wurden zum Sammelpunkt, dem Saal der Gaststätte Gertrudenhof an der Warendorfer Straße in Münster, gebracht. Hier mussten sie unter unerträglichen Bedingungen zwei Tage existieren. Leibesvisita- tionen und Gepäckkontrollen lösten sich ab; was unter ihren Habseligkeiten noch wert- voll war, wurde den Juden von den bewachenden Gestapobeamten gestohlen. Schlafen konnten sie nur auf dem Fußboden bzw. auf Stühlen.

Am 10. Dezember 1941 wurden diese 26 Juden in das Ghetto nach Riga deportiert:

Adolf Blumenthal (54 Jahre) Rachel Blumenthal (40 Jahre) Simon Blumenthal (66 Jahre) Henny Hochheimer (59 Jahre) Max Hochheimer (58 Jahre) Paul Hochheimer (19 Jahre) Lila-Lilla Landau (31 Jahre) Ernst Landau (32 Jahre) Leo Landau (3 Jahre) Otto Landau (40 Jahre) Anna-Maria Löwenstein (43 Jahre) Bertold Löwenstein (59 Jahre) Martha Löwenstein (45 Jahre) Paul Löwenstein (51 Jahre) Leopold Markus (57 Jahre) Max Marcus (50 Jahre) Hilde Metzger (32 Jahre) Isidor Metzger (61 Jahre) Meta Metzger (19 Jahre) Selma Metzger (62 Jahre) Ernst Speyer (57 Jahre) Käthe Speyer (49 Jahre) Bernhard Steinberg (39 Jahre) Edith Steinberg (25 Jahre) Edith Zytnik (8 Jahre) Manfred Zytnik (9 Jahre)

574 Kriegschronik, S. 162. 575 LA NW – STA Detmold, D 21 A Nr. 4852. Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltscha Bielefeld gegen Ernst Diele u. a. wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord 5 Js 18/61, Band 1, S. 144 . Dienstliche Äußerung des ehemaligen Krimi- nalobersekretärs Walter Schielke vom 20. März 1963 an den Leiter der Kriminalpolizei Bocholt.

112 | BUCH DER ERINNERUNG Im Laufe dieses und des nächsten Tages trafen insgesamt 403 Juden aus dem ge- samten Regierungsbezirk Münster ein, die im Gertrudenhof ihrem Schicksal entgegen- bangten576. Der damals achtzehnjährige Siegfried Weinberg aus Münster, der sich hier befand, erinnerte sich: „ [...] Hier fand bei unserer Ankunft eine große Gepäck- und Leibesvisitation statt. Wehe, wenn man nicht schnell genug war, die Peitschen saßen sehr locker. Messer, Scheren, Rasierklingen, Toilettenartikel, unsere Habseligkeiten wurden aus den Koffern auf einen großen Haufen gekippt. Hieraus ‚bedienten’ sich die Gestapo-Bediensteten erst einmal an dem, was sie für wertvoll hielten. Den Rest mußten wir wieder zusammenpacken. Alles das geschah unter Peitschenhieben. Lebensmittel und Wäsche wurde uns bis auf etwas Wäsche und Lebensmittel abgenommen. Im Saal sah ich keine Liegen. Also mußten die Menschen aus dem Umland, die schon einen Tag länger hier sein mußten, auf Boden und Stühlen zu schlafen versucht haben. [...]“ 577

Am späten Abend des 12. Dezember 1941 begann der Abtransport der Juden zum Güterbahnhof. Am 13. Dezember 1941 verließ der Deportationszug Münster. Zwei Tage später, am Abend des 15. Dezember 1941, kam er in Šķirotava an, der Bahnstation für das Rigaer Ghetto578.

Wilhelmine Süsskind aus Coesfeld, eine der wenigen Überlebenden aus dem Riga- Transport, die 1970 in das Münsterland zurückkamen, erinnerte sich in einem Fern- sehinterview am 12. Dezember 1991 an diesen Augenblick: „Und wie wir in Riga anka- men, stand die SS mit Hunden und Gewehren am Zug und nahm uns in Empfang. Und da hieß es – es war ja Winter und es lag hoher Schnee – alte Leute, die nicht laufen können, und kleine Kinder können mit Wagen ins Lager fahren. Aber leider sind diese Menschen nicht angekommen und wir haben sie nie wiedergesehen.“ 579

Arie Goral, ein Bürger jüdischen Glaubens, der von Hamburg aus nach Riga depor tiert wurde und dort am 12. Dezember 1941 an- kam, vermerkte in seinem Buch „Vernichtung Ghetto Riga und Aufstand im Warschauer Ghetto – Eine Erinnerungsschrift“: „Shiro- tava war kein Bahnhof, sondern eine Station für Frachtgut; die Ankunft fand auf einer Rampe statt. Erschießungen und Prügel, ver- bunden mit Kommandos, erzeugten unter den physisch und psychisch erschöpften Ju- In diesem sogenannten den, die den letzten Rest ihrer Habe zurück- Haus B 7 an der lassen mußten, die von der SS gewünschte früheren Bielefelder Ohnmacht und Panik. [...] Ein großer Teil der Straße im Ghetto Riga Ankommenden wurde direkt von Shirotava musste die Mehrzahl der aus dem Münsterland, in den Biķernieki-Wald an die Erschießungs- also auch aus Bocholt gruben getrieben oder transportiert. Schon Deportierten „leben“. auf dem Weg dorthin fanden Erschießungen (Foto: Winfried 580 s t a t t .“ In Riga waren bereits im Sommer Nachtwei, Münster)

576 Aschoff, Diethard: In der Hölle des Ostens. Ein junger Münsteraner Jude berichtet von seinen Erlebnissen in let- tischen Konzentrations- und Arbeitslagern 1941 - 1944. in: Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster. Neue Folge, 12. Band, Beiträge zur neueren Stadtgeschichte, Münster 1987, S. 331ff. 577 Ebd. 578 Ebd. 579 Privatbesitz Josef Niebur: Wilhelmine Süsskind (Coesfeld) in einem Interview am 12. Dezember 1991 in der Sen- dung „Lokalzeit Müsterland“ (Abschrift). 580 Vernichtung Ghetto Riga und Aufstand im Warschauer Ghetto. Eine Erinnerungsschrift - zusammengestellt von Arie Goral, Selbstverlag, Hamburg [1978], S. 24.

BUCH DER ERINNERUNG | 113 1941 etwa 30.000 lettische Juden erschossen worden, die überlebenden Juden Rigas erlitten am 30. November 1941 das gleiche Schicksal. In dieser Situation kamen am 15. Dezember 1941 u. a. die Bocholter Juden mit der Deportation aus Münster in Riga an. Sie wurden einen Tag später ins Ghetto getrieben. Hierbei kam es bereits zu Er- schießungen im unweit des Bahnhofs Šķirotava gelegenen Hochwald von Biķernieki581. Viele Männer aus dem Münster-Transport kamen unmittelbar nach ihrer Ankunft im Ghetto in das KZ-Außenlager Salaspils, wo die meisten von ihnen durch harte Zwangs- arbeit und drakonische Strafen ermordet wurden582.

5.1.2. Deportation am 24. Januar 1942 Am 24. Januar 1942 wurden auch Regina und Salomon Seif aus Bocholt wahrscheinlich nach Münster und am 27. Januar 1942 mit einem Deportationstransport aus Gelsen- kirchen in das Ghetto Riga583 deportiert.

Eine ehemalige Nachbarin der Seifs erfuhr vom tödlichen Schicksal des Ehepaares. Ihre Tochter erinnerte sich: „Durch Frau Farwick erfuhr Mutter, daß Regina und Salomon Seif in ein Arbeitslager deportiert werden sollten. Im Winter 1941/42 war es in Bocholt sehr kalt. Frau Farwick sagte: ‚Die armen Leute, mitten im Winter müssen sie weg in den Osten!’ In der Stadt konnte man die hämische Bemerkung hören: ,Jetzt kriegen sie die Juden an die Arbeit!’ Unsere Mutter ist heimlich in der Dunkelheit zum Haus im Niederbruch gegangen und hat dem Ehepaar Seif warme Kleidung gebracht. Vater hatte Angst um seine Frau und warnte sie vor den Folgen, wenn man sie dabei beobachten würde. Er ließ Mutter jedoch zu Seifs gehen. Sie hat mir, ihrer Tochter, nie erzählt, was sie dabei erlebte. [...]“ 584

Regina und Salomon Seif wurden wahrscheinlich unmittelbar nach ihrer Ankunft in Riga am 31. Januar 1942 oder kurze Zeit später ermordet.

5.1.3. Das tödliche Schicksal der deportierten Bocholter Juden Die am 10. Dezember 1941 nach Riga deportierten Menschen schrieben aus Riga nach Bocholt. Der Bocholter Kriminalobersekretär a. D. Walter Schielke erinnerte sich 1963 in einer dienstlichen Aussage: „Einige haben aus den Wohngebieten geschrieben, ihre Post wurde vom Postamt Bocholt gesammelt der Kriminalpolizei Bocholt in beson- derem verschlossenen Briefe übergeben, der wiederum an die Stapoleitstelle in Münster weitergeleitet werden mußte. Von dort kamen die Postsachen zurück und mußten an den von der Stapo eingesetzten Vertrauensmann, Herrn Albert Löwenstein, übergeben werden.“585

581 Privatbesitz Josef Niebur: Wilhelmine Süßkind (Coesfeld) in einem Interview am 12. Dezember 1991 in der Sen- dung „Lokalzeit Münsterland“ (Abschrift). 582 Aschoff, Diethard: In der Hölle des Ostens, S. 332. 583 Möllenhoff, Gisela/Schlautmann-Overmeyer, Rita: Die Deportation aus Münster – Osnabrück, Bielefeld. Münster, in: Buch der Erinnerung, Band 2, S. 725 f. Nach einer polizeilichen Aussage des Kaufmanns Isidor Kahn aus Glad- beck vor der Kriminalpolizei Bottrop von 1962 wurden am 27. Januar 1942 Juden in Gelsenkirchen zusammengezo- gen, die man am 31. Januar 1942 nach Riga deportierte. Die 150 - 200 Deportierten sollen aus den heutigen Kreisen Gelsenkirchen, Recklinghausen, Bottrop sowie dem Kreis Borken und der Stadt Bocholt gekommen sein. (LA NW STA Detmold -, Bestand D 21 A Nr. 4852, […] Band I, S. 120 ff. ). 584 Privatbesitz Josef Niebur, Niederschri über ein Interview mit Frau K., * 1926, wohnte bis 1942 Rosenstiege 2, am 7. Januar 1994, geführt von Josef Niebur und Werner Sundermann. 585 LA NW - STA Detmold - D 21 A Nr. 4852, […], Band 1, S. 144 ff., Dienstliche Äußerung des ehemaligen Kriminal- obersekretärs Walter Schielke vom 20. März 1963 an den Leiter der Kriminalpolizei Bocholt über die Deportation in Bocholt aufgrund der Frageliste des LKA Düsseldorf.

114 | BUCH DER ERINNERUNG Am 21. Juni 1943 ordnete Himmler, dem alle KZ’s unterstanden, an, „alle im Gebiet Ost- land noch in Ghettos vorhandenen Juden in Konzentrationslager zusammen zu fassen [... 2) Ich verbiete ab 1. 8. 1943 jedes Herausbringen von Juden aus den Konzentrations- lagern zu Arbeiten. 3) In der Nähe von Riga ist ein Konzentrationslager zu errichten, in das die ganzen Bekleidungs- und Ausrüstungsfertigungen, die die Wehrmacht heute außerhalb hat, zu verlegen sind. Alle privaten Firmen sind auszuschalten. […] 5) Die nicht benötigten Angehörigen der jüdischen Ghettos sind nach dem Osten zu evaku- ieren.“ 586

Im Rigaer Villenvorort Kaiserwald (lettisch Mežaparks) entstand im Sommer 1943 das umzäunte KZ Riga-Kaiserwald, in dem acht Baracken für Häftlinge vorgesehen waren. Die ersten vierhundert Juden wurden im Juli 1943 aus dem Ghetto dorthin geschafft. Für die Häftlinge bedeutete dies die Trennung von den Angehörigen, Tragen von Häftlingskleidung, Abscheren der Haare und Verlust der Privatsphäre. Dies wirkte wie ein Schock. Im Sommer 1943 begann die schrittweise Auflösung des Ghettos in Riga. Zum wesentli- chen Teil war es im November 1943 geräumt. Weitreichende Planungen, das Konzen- trationslager auszubauen und ein zweites zu errichten, wurden nicht mehr verwirklicht. Mehrere Betriebe richteten Lager ein, in denen die Zwangsarbeiter kaserniert wurden. Kinder und Kranke wurden im November 1943 nach Auschwitz deportiert. Als das Ghetto Riga am 2. November 1943 endgültig aufgelöst worden war, waren fast alle noch lebenden Verschleppten in das Konzentrationslager Kaiserwald bei Riga deportiert worden. In Kaiserwald herrschte blanker Terror. Da kaum Arbeit vorhanden war, beherrschten hier stundenlange Zählappelle den Alltag587.

Ab August 1944 wurden die Überlebenden aus den Konzentrationslagern in Lettland beim Herannahen der Roten Armee nach Stutthof bei Danzig, das seit 1942 Konzen- trationslager war, verschleppt. Damals lebten noch acht der 25 am 10. Dezember 1941 in das Rigaer Ghetto deportierten Bocholterinnen und Bocholter jüdischen Glaubens. Am 9. August 1944 wurden Henny, Max und Paul Hochheimer in das Konzentrations- lager Stutthof deportiert. Am 13. August 1944 deportierte man Max und Paul Hoch- heimer weiter in das KZ Buchenwald, wo beide später umkamen588. Rahel Blumenthal, Meta Metzger und Käthe Speyer kamen mit einem der letzten Trans- porte aus dem Konzentrationslager Kaiserwald, das Ende September 1944 geräumt war, am 1. Oktober 1944 im Konzentrationslager Stutthof an589. Von ihnen konnten nur Henny Hochheimer und Meta Metzger im März 1945 von der Roten Armee befreit werden. Henny Hochheimer hatte ein durch die SS angerichtetes Massaker an Häftlingen bei Palmicken an der Ostsee überlebt, sie wurde „am 10.3.45 durch die russische Armee“590 in Lauenburg591, einem Außenlager des KZ Stutthof, befreit. Meta Metzger wurde ebenfalls „am 10.3.45 durch die russische Armee“ 592 aus dem KZ Stutthof593 befreit.

586 Angrick, Andrej, Peter Klein: Die „Endlösung“ in Riga. Ausbeutung und Vernichtung 1941–1944. wbg, Darmstadt 2006, S. 396. 587 Vgl. Erlebnisbericht von Edith Marx „Wir fühlten uns wie Schlachtvieh!“, S. 470. 588 Vgl. Biogramme S. 233, 236. StdA B, Stadt Bocholt Nr. 3, Akte nach dem BEG 920, Henny Hochheimer, Blatt 16, Antrags-Formular für frühere Häftlinge der Konzentrationslager beim Kreis-Sonderhilfsausschuß vom 26. Februar 1946. 589 StdA B, SBOH Nr. 3, Akte nach dem BEG 920, Henny Hochheimer, Blatt 16. Antrags-Formular für frühere Häftlin- ge der Konzentrationslager, 26. Februar 1946, 590 Ebd. 591 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 592 StdA B, SBOH Nr. 3, Akte nach dem BEG 918, Meta Metzger, Blatt 16. Antrags-Formular für frühere Häftlinge der Konzentrationslager, 26. Februar 1946. 593 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

BUCH DER ERINNERUNG | 115 In einer Anordnung der Staatspolizeileitstelle Münster vom 18. Juli 1942 an die Meldeämter ihres Bezirks – u. a. in Bocholt – wurde befohlen, den neuen „Wohnort“ Riga bei den „evakuierten Juden“ zu streichen. Er sollte durch den Vermerk „unbekannt verzogen (ausgewandert)“ ersetzt werden594. In Bocholt geschah dies bis auf drei Einwohnermeldekarten bei allen am 10. Dezem- ber 1941 deportierten Menschen: Der ursprüngliche Eintrag „n[ach]. Riga/Lettland“ wurde geschwärzt und durch „unbekannt verzogen (ausgewandert)“ ersetzt. Bei Julie und Ernst Speyer sowie Edith und Manfred Zytnik wurde das Schwärzen des Abmelde- datums vergessen595.

Der Vermerk „unbekannt verzogen (ausgewandert)“ wurde bei den am 27. Juli 1942 nach eresienstadt deportierten Bocholtern und Bocholterinnen jüdischen Glaubens sofort angebracht596.

5.2. Deportation am 27. Juli 1942 in das Ghetto eresienstadt

Klara Möllmann, die ehemalige Sekretärin des Bocholter KAB-Arbeitersekretärs Joseph Jakob, erinnerte sich: „Wenn wir zur Kirche gingen oder zur Stadt, dann kamen wir durch die Schwartzstraße. Dann sahen wir 1941/42 häufiger aus einem schmalen Haus, Nr. 14, ältere Leute eine hohe Treppe herunterkommen. Sie hat- ten sich hinterm Arm gefaßt, weil sie alt waren. Und wenn ich das so sah, dann hatten sie auf ihren Mänteln oder was sie anhatten, einen gelben Stern, auf dem ‚Jude‘ stand. Da habe ich noch gedacht: Meinee, die armen, alten Leute. Hat man sie so ver- unstaltet. [...] Ich hatte Mitleid mit Ihnen.

Und nachher sah man sie gar nicht mehr. Da dachte ich: Wo sind die denn, warum sind sie nicht mehr da? Später hörte ich, daß sie überhaupt nicht mehr da sind, sondern ‚weggebracht’ wurden. Man hatte ihnen vorgemacht, daß sie irgendwohin kämen, wo sie sicher wären. Wie diese ‚Sicherheit’ aussah, hörten wir erst später.“ 597 Aus dem Haus Schwartz straße 14 Und Rainer Jungblut weiß: „Mein Vater war Beamter bei der Betreuungsstelle für wurden am 27. Juli 1942 Kriegsbeschädigte der Stadt Bocholt. Er hatte auch Hermann Cohen betreut, der sich in acht Menschen jüdi- einem Selbstfahrer-Rollstuhl fortbewegte. Etwa Mitte Juli 1942 begegnete mein Vater, schen Glaubens in das der auf dem Weg in sein Büro in der Stadtverwaltung war, Herrn Cohen am heuti- Ghetto eresienstadt gen Crispinusplatz. Dieser bat Vater, nicht bei ihm stehenzubleiben, damit Vater keine deportiert. (Stadt Bocholt, Foto: Schwierigkeiten bekomme. Herr Cohen sagte dann im Vorbeigehen, daß sie – gemeint Bruno Wansing) waren die noch in Bocholt wohnenden Juden – sich in den nächsten Tagen am Bahnhof

594 Gemeindearchiv Heek, Bestand D, Nr. 392, Stapoleitstelle Münster an Landräte und Oberbürgermeister […], 18. Juli 1942. 595 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 596 Ebd. 597 Stadtmuseum Bocholt Klara Möllmann (1913–2004), in: „Bocholter Zeitzeugen - Erinnerungen zur Geschichte -“, Video-Film, Teil 3, Bocholt 1993.

116 | BUCH DER ERINNERUNG einzufinden hätten, von wo sie nach eresienstadt deportiert werden würden. Herr Cohen hat geahnt, daß er dort ermordet werden würde.“ 598

Am 3. Juli 1942 teilte das Reichssicherheitshauptamt in Berlin den Staatspolizei(leit)stel- len unter dem Betreff „Evakuierung nach eresienstadt“ mit: „Es besteht die Möglich- keit, die [...] Juden mit einem Sonderzug nach eresienstadt abzubefördern.“ 599

Der städtischen Kriegschronik ist über die Deportation aus Bocholt am 27. Juli 1942 in das Ghetto eresienstadt zu entnehmen: „Gegen 22.30 Uhr wurden die nachstehend aufgeführten Juden, die in der Schwartzstraße Nr. 14 wohnten, von einem Beamten der Geheimen Staatspolizei aus Münster mit einem großen Möbelauto abgeholt und zunächst nach Münster gebracht. Angeblich sollen sie nach Böhmen evakuiert werden:

1. Witwe Martha Sara Silberschmidt, geb. Lehmann, geb. am 12. 3.1883 in Darmstadt, 2. Witwe Aurelisa [sic] Sara Weyl, geb. Stern, geb. am 14.8.1875 in Holzminden, 3. Witwe Luise Löwenstein, geb. Blüth, geb. am 12.8.1861 in Schmalkalden, 4. Witwe Marianne Roth, geb. Dienstag, geb. am 7.6.1868 in Schrimm, 5. Landau, Meyer Israel, geb. 12.5.66 in Ramsdorf, 6. Cohen, Hermann, Israel, geb. 22.5.75 in Bocholt, 7. Frau Mühlfelder, Sophie Sara, geb. Kleffmann [sic], geb. 16.2.75 in Rhede, [8. Mühlfelder, Emmanuel, geb. am 22.8.1875 in Gleicherwiesen] […].“ 600

Aus Münster, wo der Zug am 29. Juli 1942 abfuhr, gelangte der Transport am 1. August 1942 ins Ghetto eresienstadt 601.

Als erste der aus Bocholt Deportierten starb Aurelia Weyl am 29. August 1942 an den unmenschlichen Lebensbedingungen in eresienstadt 602. Vier der Deportierten wurden am 23. September 1942 mit einem sog. Altentransport in das Vernichtungslager Maly Trostinec bei Sobibor überführt und dort umgebracht. Am 27. April 1943 kam Hermann Cohen in eresienstadt zu Tode 603. Er war der letzte der acht deportierten Bocholter jüdischen Glaubens, die am 27. Juli 1942 deportiert worden waren.

5.3. Deportation von Albert Löwenstein am 20. September 1944 nach Berlin

Nach der Deportation am 27. Juli 1942 in das Ghetto eresienstadt lebte nur noch ein Jude, Albert Löwenstein, in Bocholt, wie in der Kriegschronik stand: „In Bocholt befin- det sich jetzt nur noch der Jude Albert Löwenstein, der mit einer Arierin verheiratet ist und in der Schwartzstraße Nr. 14 wohnt.“604 Löwenstein war am 9. Dezember 1876 in Rietberg (heute: Kreis Gütersloh) geboren worden, er erlernte den Kaufmannsberuf605.

598 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschri über ein Interview mit Reiner Jungblut, * 1931 (wohnte bis 1942 im Kolping- haus), im Beisein seiner Frau, geführt von Josef Niebur und Werner Sundermann am 5. November 1993. 599 NW STA Detmold - Bestand D 21 A Nr. 4852 […], Schreiben des Reichssicherheitshauptamtes Berlin an die Staatspo- lizeileitstelle Düsseldorf vom 3. Juli 1942 (aus dem Institut für Zeitgeschichte, München). 600 Kriegschronik, S. 211. 601 Determann, Andreas in Zusammenarbeit mit Silke Helling, Gisela Möllenhoff und Rita Schlautmann-Overmey- er (Red.), Geschichte der Juden in Münster. Dokumentation einer Ausstellung in der Volkshochschule Münster, Münster 1989, S. 144. 602 Vgl. Biogramm S. 426. 603 Vgl. Biogramm S. 168. 604 Kriegschronik, S. 211. 605 Stadtarchiv Rietberg, 3. November 2012.

BUCH DER ERINNERUNG | 117 Vor 1906 zog Albert Löwenstein in Bocholt, Schonenberg 7, zu, am 1. Juli 1910 mietete er ein Zimmer im Haus Osterstraße 55 an, in die Nordstraße 32 zog er am 15. Juli 1914. Am 20. März 1916 meldete er sich zum „Militär“, also in den Ersten Weltkrieg, ab. Am 24. Januar 1919 kehrte er nach Bocholt zurück606. Am 30. August 1923 heiratete er hier Angelika Knappertsbusch (* 6. März 1877, Wieden, heute Wülfrath607), sie war katholisch608.

Im Wählerverzeichnis zur Wahl der Repräsentantenversammlung von 1916 wurde Al- bert Löwenstein als „Fabrikant“ bezeichnet609, ebenso im Wählerverzeichnis vom 10. Juli 1922610. Im Bürgerbuch 1926 wurde als sein Beruf „Vertreter“ genannt611. Das kinderlos bleibende Ehepaar lebte sehr zurückgezogen612. Wohl auch deshalb war ihr Haus Schwartzstraße 14 in der Pogromnacht 1938 von den braunen Horden unange- tastet geblieben613. In der Stadtverwaltung Bocholt müssen später Unklarheiten über die Religionszugehörigkeit von Angelika Löwenstein bestanden haben, denn 1939 wurde ihrem Vornamen auf der Einwohnermeldekartei der Zwangsname „Sara“ hinzugefügt. Dieser Zusatz wurde später wieder gestrichen614. Da das Ehepaar die Zeitläufte verstand, schenkte Albert Löwenstein am 11. September 1940 das Haus Schwartzstraße 14 seiner Frau Angelika notariell615.

Doch die damit verbundene Absicht gelang nicht: Das Haus wurde zum sog. Judenhaus. Am 25. März 1941616 musste Martha Silberschmidt ihr Haus Nordallee 39 verkaufen und zwangsweise bis zum 15. Mai 1941 in die Schwartzstraße 14 umziehen617.

Am 15. August 1941 wurden die Eheleute Ernst und Julie Speyer, die aus Soest nach Bocholt gezogen waren, in das Haus Schwartzstraße 14 eingewiesen. Das Ehepaar Bern- hard und Edith Steinberg folgte ihnen am 13. Oktober 1941618. Beide Ehepaare wurden am 10. Dezember 1941 in das Ghetto Riga deportiert619.

Am 25. Februar 1942 zwang man die Löwensteins, Hermann Cohen, Luise Löwen- stein, Meyer Landau sowie Marianne Roth, die zuvor im sog. Judenhaus Stiftstraße 32 gewohnt hatten, in ihr Haus Schwartzstraße 14 aufzunehnen620. Wie eng es in diesem

606 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 607 Ebd. 608 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt Grundakten über die Grundstücke der Ehefrau Fabrikant Max Ostberg, Erna geborene Rosenthal zu Bocholt[,] des Agenten Albert Israel Löwenstein zu Bocholt[,] der Ehefrau eod. Kother in Düsseldorf-Morsenbroich, Band -, Blatt 2235. Schenkungsvertrag vom 11. September 1940 zwischen dem Kauf- mann Albert Israel Löwenstein zu Bocholt, Schwartzstraße 14 und seiner Frau Angelika geborene Knappertsbusch, Blatt 2 – 3. Hier wird eine dem Grundbuchamt vorliegende Taufurkunde des katholischen Pfarramtes St. Maximin in Düssel (Kreis Mettmann) vom 5. Dezember 1938 erwähnt. 609 StdA B, SBOH 2 Nr. 1006. Wahl des Vorstandes und der Repräsentanten der Synagogengemeinde 1916–1935, Re- gister der männlichen stimmberechtigten Juden der Stadtgemeinde Bocholt [von 1916]. 610 Ebd., Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt, 10. Juli 1922. 611 Einwohnerbuch 1926, S. 88. 612 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Elli Jansen (1913–2004), Bocholt, am 10. August 1999, geführt von Josef Niebur und Werner Sundermann. 613 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt, 11. November 1978, Sonderseite Reichskristallnacht. Von Hermann-Josef Seg- gewiß. 614 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 615 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt Grundakten über die Grundstücke der Ehefrau Fabrikant Max Ostberg, Erna geborene Rosenthal zu Bocholt[,] des Agenten Albert Israel Löwenstein zu Bocholt[,] der Ehefrau eod. Kother in Düsseldorf-Morsenbroich, Band -, Blatt 2235. Schenkungsvertrag vom 11. September 1940 zwischen dem Kauf- mann Albert Israel Löwenstein zu Bocholt, Schwartzstraße 14 und seiner Frau Angelika geborene Knappertsbuch, Blatt 2–3. 616 Ebd., [... über die Grundstücke des Buchdruckers Hermann Feldhaus zu Essen, des Viehhändlers Isidor Silber- schmidt in Bocholt […] Band -, Blatt 1561, Vertrag vom 25. März 1941, Blatt 32 f. 617 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 618 Ebd. 619 Vgl. S. 110. 620 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962 .

118 | BUCH DER ERINNERUNG Haus in dieser Zeit zuging, in dem nun mehr als zehn Menschen wohnten, beschrieb Angelika Löwenstein 1955 in ihrer Aussage vor dem Landgericht Münster: „Ich wurde seinerzeit gezwungen, eine Reihe von jüdischen Familien in mein Haus aufzunehmen und wir hatten große Raumnot. Auf Bitten meines Mannes erklärte sich Herr Fehler ohne weiteres bereit, zwei Kisten, in denen u. a. wertvolles Porzellan war, bei sich un- terzustellen. […] Die Kisten wurden später vom Finanzamt abgeholt. Es war natürlich zur damaligen Zeit mit Gefahren verbunden, jüdisches Eigentum unterzustellen. Die Eigentümer der Kisten mussten damals angeben, wo ihr Eigentum untergestellt war, und haben auch den Unterstellort bei Fehler angegeben.“621

Am 27. Juli 1942 wurden die acht in diesem Haus wohnenden Bocholter jüdischen Glaubens über Münster in das Ghetto eresienstadt und teilweise weiter in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. Dort wurden alle ermordet, zuletzt Hermann Cohen am 27. April 1943 in eresienstadt622.

Albert Löwenstein wurde, wie viele in „privilegierter Mischehe“ lebende Juden, noch am 20. September 1944 in Bocholt verhaftet. Zunächst bei der Geheimen Staatspolizei in Borken inhaftiert, brachte man ihn am 26. September 1944 in das berüchtigte Gestapo- Gefängnis „Zwinger“ in Münster. Am 28. November 1944 wurde Löwenstein zunächst in ein Lager der Organisation Todt in Kassel und am 20. Dezember 1944 in das Arbeits- lager im ehemaligen jüdischen Krankenhaus in Berlin deportiert, das 1944 als Gefäng- nis und Sammellager für jüdische Häftlinge diente. Russische Truppen befreiten Albert Löwenstein am 1. Mai 1945623.

5.4. Deportation von Bocholtern aus den Niederlanden

Bereits in den 1920er Jahren waren in den Niederlanden rechtsextremistische Organisa- tionen aktiv. 1928 zog bei einem Blumenkorso in ein Wagen „de Fascisten“ mit. Seit 1931 gab es in den Niederlanden die Nationaal-Socialistische Beweging (NSB). Die Partei hatte stark antiparlamentarische und autoritäre Züge. Das NSB-Programm basierte weitgehend auf dem der NSDAP. Allerdings verzichtete es auf deren antisemi- tische Bestandteile. Bei den Provinzialwahlen 1935 wurde die NSB zur viertstärksten Partei mit 44 Mandaten im ganzen Land, acht Prozent aller Stimmen. Winterswijk war eine Hochburg der NSB624.

Im Frühjahr 1933 kam es vor allem in Winterswijk zu Protesten gegen die antijüdischen Maßnahmen in Deutschland. Hierzu trugen auch die hier bereits seit dem Regierungs- antritt Hitlers am 30. Januar 1933 heftig verfolgten Kommunisten bei. Am 30. März 1933 forderte das Bocholter Volksblatt seine Leser auf, im „benachbarten Holland in ihren Kreisen immer wieder auf die wahren Zustände in Deutschland hinzuweisen und allen Verleumdungen entgegenzutreten.“ 625

621 Ebd., Nachlass Josef Fehler, Zeugenaussage von Angelika Löwenstein vom 3. November 1955 im Prozess Fehler und Andere gegen das Land NRW vor der 2. Entschädigungskammer des Landgerichts Münster – Aktenzeichen 90 (Entsch.) 66/54 -. 622 Vgl. S. 116. 623 StdA B, SBOH 3 - Akte nach dem BEG 319, Albert Löwenstein. 624 http://www.marline.nl/nsb.html. 625 Ebd., ZSlg, Bocholter Volksblatt, 30. März 1933.

BUCH DER ERINNERUNG | 119 Nach der Pogromnacht vom 9. auf den 10. No vember 1938 fanden nahezu 14.000 Juden aus Deutschland Aufnahme in den Niederlanden. Auch über Bocholt führten Fluchtwe- ge in das Nachbarland. Nach dem deutschen Überfall auf die Niederlande im Mai 1940 wurde auf ausdrück- lichen Befehl Hitlers eine deutsche Zivilverwaltung in den besetzten Niederlanden ein gerichtet. An ihrer Spitze stand Reichskommissar Arthur Seyß-Inquart, Höherer SS- und Polizeiführer war Hanns Rauter. Mit dem Überfall begann die Verfolgung der Juden in den Niederlanden. Bereits am 15. Mai 1940 wurden die Nürnberger Gesetze eingeführt, ab dem 28. August 1940 mussten alle Juden aus dem öffentlichen Dienst ent lassen wer den.

Diese Zwangsmaßnahmen rie fen in der niederländischen Bevölkerung Empörung hervor: Viele Niederländer übten Sympathie mit ihren jüdischen Mitbürgern und waren empört, dass die „Besatzer” „niederländische” Juden drangsalierten. Das Ent setzen stei- gerte sich später zum Widerstand eines Teiles der Bevölkerung. Exemplarisch kann hier für der Streik der Amsterdamer Dockarbeiter vom 9. bis 11. Februar 1941 genannt werden, der sich gegen Razzien im jüdischen Viertel wandte. Sechzig Dockarbeiter wurden daraufhin in deutsche Konzentrationslager vers chleppt und 389 Juden, die als Gei seln genommen waren, nach Maut hau sen deportiert, wo sie ermordet wurden. Unter ihnen wa ren auch drei Juden aus Bo cholt: Kurt Jacob Marcus, Henri Spier und Moritz [Mauritz] Sternfeld. Sie waren in den Jahren 1936 bis 1939 über die Grenze geflohen. Nun wurden sie von den antisemitischen Zwangsmaßnahmen in den Niederlanden eingeholt. Marcus war der Erste, den Hitlers Häscher Ende August 1941 verhafteten, in das österreichische Konzentrationslager Mauthausen deportierten und dort am 6. September 1941626 ermordeten. Moritz [Mauritz] Sternfeld wurde im September 1941 im niederländischen Doesburg verhaftet und am 28. Oktober 1941 ebenfalls in Mauthausen ermordet 627. Obwohl zur gleichen Zeit aus Nijmegen nach Mauthausen deportiert, wurde Henri Spier erst kurz vor Kriegsende am 17. Februar 1945 ermordet 628.

Nach dieser Razzia tauchten viele Juden im Achterhoek unter. Hierbei boten sich die Bauernhöfe als Verstecke an. Jedoch auch in vielen Wohnungen, auf Speichern und in Kellern wurden Juden vor der SS, der ihr zuarbei tenden nie derländi schen „Grünen Po- lizei“ und zahlreichen Denunzianten verborgen. Die Erfindungen zur Schaffung von sog. Onderduikplaatsen waren endlos.

Ab dem 15. Juli 1942 wurde aus einem Lager bei Westerbork, das 1939 als Auffanglager für jüdische Flüchtlinge aus Deutschland eingerichtet worden war, ein polizeiliches Ju- dendurchgangslager. Ab diesem Tag fuhr jeden Dienstag ein Güterzug in die Vernich- tungslager Auschwitz-Birkenau und Sobibor. Insgesamt wurden von 1942 bis 1944 mehr als 107.000 Juden aus Westerbork deportiert. Nur etwa 5.000 von ihnen überlebten und konnten zurückkehren629.

Norbert Lorch war von 1942 bis zur Befreiung des Lagers Westerbork durch kanadische Truppen am 3. April 1945 dort inhaftiert gewesen und kehrte am 11. September 1945 in seine Heimatstadt Bocholt zurück630.

626 Joods Historisch Muzeum [Amsterdam], Joodsmonument Joodse Gemeenschap in Nederland, http://www.com- munityjoodsmonument.nl/ (JHM A, Joodsmonument) page (p.) 511017, Bundesarchiv, Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945, Koblenz 2007 (BA, Gedenk- buch, Onlineversion), Namenverzeichnis Nr. 976494). 627 JHM A, Joodsmonument, p. 545807; BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 976494. 628 JHM A, Joodsmonument, p. 453850. 629 http://de.wikipedia.org/wiki/Durchgangslager_Westerbork. 630 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekarte 1906–1962: Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Günter Lorch (1930–2008) und seiner Frau Magdalene (geb. Sackers, 1937–2003) Bocholt, am 9. Februar und am 2. März 1995, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur.

120 | BUCH DER ERINNERUNG Ab Juli 1942 begann die Kernphase der Deportationen, die als das Bringen zum „Arbeitseinsatz im Osten“ getarnt wurden. Danach folgte nur noch ein kleiner Teil der Aufgerufenen den Anordnungen. Inzwischen war klar, dass auch die angedrohten „schwersten Strafen“ nicht schlimmer sein konnten als das Los, das im „Osten“ wartete. Viele Menschen jüdischen Glaubens tauchten bei Niederländern ab. Untertauchen bedeutete, dass sie von ihren nichtjüdischen Bekannten, Nachbarn oder fremden Menschen oft über Jahre unter Lebensgefahr versteckt wurden. Oft wechselten die Untergetauchten häufiger ihre Fluchtadresse, um nicht bei einer der vielen Razzien der deutschen Besatzer entdeckt zu werden. In den großen Städten, in denen die meisten Juden wohnten, holten deutsche und auch niederländische Polizisten ihre Opfer aus deren Häusern und brachten sie zu einem Sammelplatz. Glückliche bekamen noch einmal eine Schonfrist, Unglückliche mussten nach Westerbork.

Insgesamt wurden aus den Niederlanden 120.000 Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens nach Auschwitz, Sobibor und Treblinka deportiert. Nur wenig mehr als 5000 überlebten.

Der südliche Teil der Niederlande wurde in der zweiten Hälfte des Jahres 1944 von den Alliierten befreit, der Norden und Osten, der an das Münsterland grenzt, erst Ende März/Anfang April 1945.

Insgesamt verzogen oder flohen in die Niederlande 128 Bocholter jüdischen Glaubens. Nachweislich gelang es 28 von ihnen, vor dem deutschen Überfall 1940 aus dem Nach- barland in ein Zufluchtsland zu fliehen.

85 ehemalige Bocholter jüdischen Glaubens wurden aus Vught und Westerbork in die Vernichtungslager im besetzten Polen und Weißrußland deportiert und dort ermordet; nur vier von ihnen überlebten: Ruth Cohen, Norbert Lorch, Sigmar Seif und Hermann Silberschmidt.

Fünf von ihnen gelang es mit Hilfe von Niederländern unterzutauchen, sie wurden 1945 befreit: Selma Silberschmidt, Sophie Grünberg, Selma Sternberg (verwitwete Stern), die am 7. Mai 1945 in Enschede/Niederlande starb631, Hilde Stern sowie Lea Sternfeld. Wilhelmine Löwenstein starb im Versteck632, Amalia Landau kam in ihrem Versteck zu Tode 633.

631 http://www.geni.com/people/Selma-Sternberg/6000000002186058113. 632 Vgl. Biogramm, S. 303. 633 Vgl. Biogramm, S. 242.

BUCH DER ERINNERUNG | 121 6. Es bleiben nur Erinnerung und Gedenken

Der 1921 in Bocholt geborene Hans Braunschweig war nach seiner Emigration in die USA 1937 im Jahre 1943 in die US-Army eingetreten. Später nahm er, der seinen Na- men in John Brunswick amerikanisiert hatte, ab Mitte 1944 an der Befreiung Frank- reichs und an den Kämpfen um die Befreiung Deutschlands teil.

An die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau am 29. April 1945, an der er aktiv beteiligt war, erinnerte sich John Brunswick: „Als wir im Frühjahr 1945 nach Süddeutschland vordrangen, war ich bei den Trup- pen, die das KZ Dachau befreiten. Ganz abgesehen von dem schrecklichen Gestank über dem ganzen Lager und Umgebung erwarteten uns schon gleich vor dem Lager ungefähr 50 offene Eisenbahnwagen voll von toten oder fast toten Menschen in der gestreiften KZ-Kleidung. Wir hörten später, dass diese Wagen von einem KZ-Lager im Osten gekommen waren, welches die SS vor den vorgehenden Russen geräumt hatte. Die armen Menschen waren mehrere Wochen unterwegs gewesen, ohne Wasser oder Nahrung. Es war grauenhaft. Im Lager selbst erwarteten uns die inzwischen bekannten Bilder, die für uns vollkom- men unerwartet waren. Tausende von halbverhungerten Menschen hinter Stachel- draht. Vor den Verbrennungsöfen cirka 1 ½ Meter hoch Tote, Gerippe nur mit Haut und Knochen. Mit deutscher Gründlichkeit hatte jede Leiche einen Zettel mit Nummer am großen Zeh. Ich kann dieses Bild nie vergessen – es war einfach unvorstellbar, dass aus einem hoch zivilisierten Volk Barbaren geworden waren.“ 634

Das war eines der brutalen Gesichter der NS-Diktatur, die Deutschland in ein großes moralisches Chaos gestürzt und in seinem Namen Massen- und Völkermord, z. T. auch am eigenen Volk, begangen hatte.

6.1. Rückkehr von Bocholtern jüdischen Glaubens aus Konzentrationslagern Im Sommer 1945 kamen vier Bocholterinnen und Bocholter jüdischen Glaubens aus Arbeits- und Konzentrationslagern nach Bocholt zurück: Henny Hochheimer meldete sich nach der Befreiung aus Lauenburg in Vorpommern, einem ehemaligen Außenlager des Konzentrationslagers Stutthof, am 14. Juni 1945 in Bocholt635 an. Sie zog zunächst in ein Zimmer des Hauses Lowicker Straße 13. Am 25. März 1946 zog sie in das Haus Stifstraße 32, wo bereits Meta Metzger und Norbert Lorch wohnten. Dieses Haus war am 29. November 1938 bei einer Zwangsversteigerung in das Eigentum der Stadt Bocholt gekommen636. Von Mai 1939 bis zum 25. Februar 1942 war es ein sog. Judenhaus gewesen.

Meta Metzger war am 11. Juli 1945 aus dem ehemaligen KZ Stutthof nach Bocholt in das Haus Stiftstraße 32 zurückgekehrt637.

634 Stadt Bocholt. Fachbereich Zentrale Verwaltung – Interne Dienste – Ordner: Jüdische Mitbürger. John H. Brunswick (Hans Braunschweig) (Southbury, CT/USA) an Bürgermeisterin Feldhaar und Stadtdirektor Dahlen, am 26. September 1997. 635 StdA B, SBOH 3, Akte nach dem BEG 920, Henny Hochheimer, Antrags-Formular für frühere Häftlinge der Kon- zentrationslager vom 26. Februar 1946. 636 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke des […] Band -, Blatt 2404, Protokoll der Zwangsversteigerung vom 29. November 1938, Blatt 25. 637 StdA B, SBOH 3, Akte nach dem BEG 918, Meta Metzger, Antrags-Formular für frühere Häftlinge der Konzentra- tionslager vom 26. Februar 1946.

122 | BUCH DER ERINNERUNG Vier BocholterInnen jüdischen Glaubens kamen 1945 aus Konzen tra tionslagern nach Bocholt zurück:

– Henny Hochheimer (StdA Witten, Foto: Marga Hellmann- Hochheimer, Hollis Hills/USA) – Norbert Lorch Am 1. August 1945 kam Albert Löwenstein aus Berlin, wo er zuletzt in einem Zwangs- (Foto: André Lorch, arbeiterlager im ehemaligen jüdischen Krankenhaus inhaftiert gewesen war, zu seiner Rheinstetten) Frau Angelika Löwenstein-Knappertsbusch, deren Haus Schwartzstraße 14 kriegs- – Meta Metzger zerstört war und die deshalb im früheren Haus von Martha Silberschmidt in der Nord- (Foto: André Lorch, allee 39 wohnte, nach Bocholt zurück638. Rheinstetten) sowie Albert Löwenstein. Ebenso kehrte Norbert Lorch, der von 1941 bis 1945 im polizeilichen Judendurchgangs- lager Westerbork in den Niederlanden inhaftiert gewesen war, am 5. September 1945 nach Bocholt zurück. Henny Hochheimer wanderte 1946, sobald ihre Ausreise aus dem von den alliierten Truppen besetzten Deutschland möglich war, zu ihrer in den USA verheirateten Toch- 639 ter Marga Hellmann aus . Sie war dazu eigens zur US-amerikanischen Besatzungs- Ludwig Kayser, hier regierung nach Frankfurt gefahren, über zwei Besatzungszonen hinweg. Hier hatte sie bei einem Empfang auf die notwendige Einreisegenehmigung in die USA bekommen. Schloss Diepenbrock Am 11. Juni 1948 zog Meta Metzger zu ihren Eltern Hedwig und Josef Metzger nach Ar- 1985, war von 1946 bis 640 1964 Oberstadtdirektor gentinien . Henny Hochheimer und Meta Metzger wollten nicht in dem Land bleiben, in Bocholt. das viele ihrer Familienangehörigen ermordet hatte. (StdA B, Bildersamm- In Bocholt wohnten weiterhin Albert Löwenstein und Norbert Lorch. lung, Persönlichkeiten, Ludwig Kayser) Am 13. August 1946 schrieb der Regierungspräsident Münster an die „Herren Landräte und Oberbürgermeister“ seines Bezirkes, dass der Oberpräsident der Provinz Westfalen sie informiere: „Das Central Committee of Liberated Jews in the America Occupation Zone in Germany beabsichtigt, sich mit einem Fragebogen an sämtliche Landräte und Oberbürgermeister in der britischen Zone zu wenden, um für Zwecke der Statistik nähere Auskunft über das Leben der Juden während des Nazi-Regimes zu erhalten. [...]“ Das Schreiben des Komitees war beigefügt. Darauf wurde in Bocholt am 16. Oktober 1946 vermerkt, dass der Fragebogen „Herrn Wilker zur Klärung übergeben“ worden war. Ein Antwortschreiben oder konkrete Informationen über die Beantwortung der Anfrage sind in der Akte nicht enthalten641. Am 14. Januar 1948 bat Oberstadtdirektor Ludwig Kayser das Ordnungsamt um die Erarbeitung einer Liste mit den Namen der 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden. Die erste Version dieser Liste wurde offenbar bis zum 27. Januar 1948 fertiggestellt und umfasste 209 Namen642.

638 Ebd., SBOH 3, Akte nach dem BEG 919, Albert Löwenstein. Antrags-Formular für frühere Häftlinge der Konzent- rationslager vom 26. Februar 1946. 639 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 640 Ebd., Akte nach dem BEG 918, Meta Metzger. Meta Metzger Buenos Aires (Argentinien) an Regierungspräsident Münster, 10. August 1950. Wie ihre Einwohnermeldekarte (StA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962) ausweist, gab sie vor ihrer Ausreise nach Argentinien ihren Ausweis für die britische Zone an die Stadtverwaltung zurück. 641 Stadtarchiv Bocholt, 21. Juli 2010. 642 StdA B, 57 K 102 – ohne Titel – Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden, Stand: 27. Januar 1948.

BUCH DER ERINNERUNG | 123 Das in Bocholt den Mitbürgern jüdischen Glaubens zugefügte Unrecht wach zu halten und ihre Ermordung nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, war eines der Hauptanlie- gen von Ludwig Kayser, der von 1946 bis 1964 Oberstadtdirektor in Bocholt war. Kayser, der aus Münster stammte, war von den Nazis 1933 als Bürgermeister von Braunsberg (Ostpreußen) entlassen worden.

Am 27. November 1962 sandte Oberstadtdirektor Ludwig Kayser die 1946 begonnene und nunmehr 227 Namen umfassende „Aufstellung der im Jahre 1932 in Bocholt ansäs- sig gewesenen Juden“ an die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem643. Kayser traf die vereinzelt nach Bocholt kommenden Juden, die nun im Ausland lebten, um von ihnen Informationen über den Verbleib ihrer Familienangehörigen zu bekommen.

Albert Löwenstein

Albert Löwenstein, der am 1. August 1945 aus einem Zwangsarbeiterlager in Berlin zurück nach Bocholt gekommen war, konnte zusammen mit seiner Frau Angelika am 20. Oktober 1948 in sein wieder aufgebautes Haus Schwartzstraße 14 ziehen644. Er, der sich als Vertreter der israelitischen Gemeinde Bocholt verstand, wurde nun zum Vermittler zwischen den emigrierten und geflohenen Juden und der Stadtver- waltung. Bocholts Oberstadtdirektor Ludwig Kayser suchte seinen Rat, vor allem bei Wiedergutmachungsanträgen des Jewish Trust of Germany. Auf der anderen Seite half Kayser Albert Löwenstein bei dessen Anträgen auf Wiedergutmachung, dem Wieder- aufbau seines Hauses Schwartzstraße 14 und der Wiedergründung seiner Textilvertre- tung. Löwenstein vertrieb in Abteilung I Kraft- und Arbeitsmaschinen für Spinnerei, Weberei, Färberei und Ausrüstung, in Abteilung II Industriebedarfsgegenstände und Apparate und in Abteilung III Webgarne645.

Am 25. September 1958 wandte das bereits betagte Ehepaar Löwenstein in einem großzügigen Testament neben den Haupterben, ihren Nichten Agnes Kother (Ratin- gen) und Charlotte Kurnick (New York), der katholischen Kirchengemeinde Lieb- frauen, der evangelischen Kirchengemeinde Bocholt und der israelitischen Kultusge- meinde „unseres letzten Wohnortes“ je 5000,– DM „für karitative Zwecke“ zu 646.

Albert Löwenstein war bei seinem Wegzug nach Düsseldorf bereits sehr krank und 83 Jahre alt. Wohl deshalb zog er mit seiner 82jährigen Frau Angelika am 16. Februar 1959 nach Düsseldorf, Rheinallee 124647. Hier waren sie in der Nähe der in Ratingen wohnenden Nichte seiner Frau, Agnes Kother.

In einem Aktenvermerk hielt Oberstadtdirektor Ludwig Kayser bei Löwensteins Ab- schiedsbesuch am 5. Mai 1959 über ihre Zusammenarbeit fest: „Herr Löwenstein hat mich immer vornehm und wohlwollend beraten. Ich habe nie etwas an Reminiszen- zen, zu denen er wirklich Veranlassung gehabt hätte, gemerkt.“648

643 Ebd., Stadt Bocholt an Yad Vashem, Jerusalem (Israel), 27. November 1962. 644 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 645 Stadt Bocholt, Fachbereich Stadtgrün, Altablage, Akte Jüdischer Friedhof. Albert Löwenstein, Bocholt, an Ober- stadtdirektor Bocholt, 29: [sic] Februar 1953. 646 Amtsgericht Bocholt Grundbuchamt -, Grundakten über die Grundstücke der Ehefrau Fabrikant Max Ostberg, Erna geborene Rosenthal zu Bocholt[,] des Agenten Albert Israel Löwenstein zu Bocholt[,] der Ehefrau eod. Kother in Düsseldorf-Morsenbroich, Band -, Blatt 2235, Testament vom 25. September 1958, Blatt 24 – 27. 647 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. Hinter dem Abmeldevermerk ist in Bleistift der Vermerk zugezog. 4.5.59 angegeben. 648 Ebd., 63 K 251, ohne Titel, Aktenvermerk des Oberstadtdirektors Kayser betr. Albert Löwenstein.

124 | BUCH DER ERINNERUNG Albert Löwenstein starb etwas mehr als ein Jahr nach seinem Umzug nach Düsseldorf am 3. Mai 1960 „nach langer, schwerer Krankheit.“ 649 Seine Frau Angelika Löwenstein- Knappertsbusch folgte ihm bereits am 26. August 1960650.

Bereits unmittelbar nach der Befreiung Deutschlands und Bocholts im Jahre 1945 ka- men ehemalige Bocholter jüdischen Glaubens in ihre Geburtsstadt, um sich hier nach Freunden und ihrem früheren Besitz umzusehen.

So war der Metzgermeister Siegfried Gottschalk, der 1901 in Bocholt geboren wurde und hier bis zur Flucht nach Nijmegen am 26. März 1937 lebte, 1945 kurz in Bocholt. Hans Fischer, der ihn kannte, erinnerte sich: „Nach dem Krieg kam ein amerikanischer Offizier zu uns, der sich nach mir erkundigte, als ich gerade nicht zu Hause war. Das war Siegfried Gottschalk, mit dem ich bei der Schleusung der Juden in die Niederlande zusammengearbeitet hatte.“ 651

Edith Marx erinnerte sich nicht gerne an ihren ersten Besuch in Bocholt etwa 1947: „Weil ich sehr neugierig war, was aus u nserem Haus geworden ist, bin ich für einige Stunden nach Bocholt zurückgekommen. Ich hatte damals die Gelegenheit, mit eng- lischen Besatzungssoldaten nach Bocholt zu fahren, und habe spontan gesagt: ‚Ich will Bocholt sehen!’ Zu den Soldaten sagte ich: ‚Setzt mich zentral am Rathaus ab, da könnt ihr mich später wieder abholen.’ Ich ging dann in den Ostwall, unser Haus war noch so, wie es früher war. Als ich auf der anderen Straßenseite stehe, sehe ich, wie eine Frau aus dem Fenster im ersten Stock schaut. Dann habe ich mich sofort umgedreht und lief wie blind und suchte die Soldaten. Ich sagte: ‚Bringt mich schnell weg von Bocholt, ich will nach Dortmund. Ich komme nicht wieder hierher’. Dieses Erlebnis war für mich wie ein Schock. Später habe ich mir gesagt: ‚Warum warst Du so entsetzt darüber, die Frau aus eurem Haus schauen zu sehen. Du hättest doch wissen müssen, was Dich erwartete.’“652

Insbesondere die vor 1940 in die Niederlande geflohenen Isabella Cohen, die früher im Niederbruch 21 wohnte, und Hilde Stern (die frühere Frau von Eduard Herzfeld von der Nordstraße 19) waren in dieser Zeit in Bocholt. Sie hatten in den Niederlanden untertauchen können, wohnten in der Nähe von Enschede und gaben während ihres Aufenthalts Hinweise zur „Aufstellung der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden“.

Vor ihrer Ausreise nach Australien im Jahre 1950 war Ruth Skurnick, Tochter von Juliane und Sally Cohen, einige Male bei Norbert Lorch in Bocholt zu Besuch653.

649 Jüdische Gemeinde Münster Archiv -. Totenbrief von Albert Löwenstein, 3. Mai 1960. 650 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt Grundakten über die Grundstücke der Ehefrau Fabrikant Max Ostberg, Erna geborene Rosenthal zu Bocholt[,] des Agenten Albert Israel Löwenstein zu Bocholt[,] der Ehefrau eod. Kother in Düsseldorf-Morsenbroich, Band -, Blatt 2235. 651 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Hans Fischer (1908 – 2002), Bocholt, am 23. März 1995, geführt von Josef Niebur und Werner Sundermann. 652 Ebd., Zusammenfassende Niederschrift über Interviews mit Edith Marx, geborene Wolff (* 26. November 1916, Bocholt), Alsfeld, in den Jahren 1988 bis 1994 bei Brigitte Eckers, Bocholt, unter Zuhilfenahme eines Interviews, das Maria und Dr. Hans-D. Oppel am 2. Juni 1987 mit Edith Marx führten, der Bücher von Jeanette Wolff Sadismus oder Wahnsinn. Erlebnisse in einem deutschen Konzentrationslager (Greiz 1947) und von Gunter Lange Jeanette Wolff. 1888 bis 1976. Eine Biografie (Bonn 1988). 653 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über Interviews mit Günter Lorch (1930–2008), Bocholt und seiner Frau Magdalene (geb. Sackers) am 9. Februar 1995 und am 2. März 1995, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur.

BUCH DER ERINNERUNG | 125 6.2. Strafverfahren gegen ehemalige Bocholter Nazis

Zu den Prozessen gegen ehemalige Bocholter Nazis wegen der Beteiligung an Untaten gegen Juden, zu denen das Landgericht Münster mit seiner auswärtigen Strafkammer in Bocholt tagte, kamen auch ehemalige Bocholter jüdischen Glaubens nach Bocholt, um Zeugenaussagen zu machen.

Anfang Oktober 1948 wurde vor der auswärtigen Strafkammer des Landgerichts Mün- ster in Bocholt gegen fünf ehemalige Nazis wegen ihrer Beteiligung an den Zerstörun- gen der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 verhandelt. Zu diesem Prozess kam als Zeuge auch Sigmar Seif, der als einziges Kind der siebenköpfigen Familie des israeli- tischen Kultusbeamten Salomon Seif die Shoah überlebte, aus den Niederlanden nach Bocholt. Er übernachtete in diesen Tagen bei seinen früheren Nachbarn, der Familie Roloff 654. Einer der Angeklagten, der ehemalige Bocholter SA-Sturmbannführer W., wurde wegen seiner Teilnahme an der Demolierung der Synagoge zu 20 Monaten Ge- fängnis verurteilt, ein ebenfalls angeklagter früherer Rechtsanwalt zu neun Monaten Gefängnis. Der SA-Sturmbannführer hatte für sich geltend gemacht, gegen die Zer- störungen gewesen zu sein, aber von Kreisleiter Uppmann zur Teilnahme am Pogrom gezwungen worden zu sein 655.

1953 kam es vor der gleichen Strafkammer in Bocholt zu einem Strafverfahren gegen einen ehemaligen SA-Mann wegen der Verwüstung der Villa Liebreich am Westend in der Pogromnacht. Im Bericht „Nacht der unmenschlichen Grausamkeit“ stand am 15. Juli 1953 in der Westfälischen Rundschau – Rundschau für Bocholt und Borken -: „Frau L[iebreich], die Tochter des Hauses, sagte aus, sie sei aus Sorge um ihre alte Mutter am Abend vor dem Ereignis nach Bocholt gekommen. Etwa 2 Uhr in der Nacht sei sie […] aus dem Schlaf geweckt worden. Sie habe sich gleich mit der Polizei in Verbindung gesetzt, habe aber von dort keine Hilfe erhalten. Daraufhin sei sie aus dem Haus ge- laufen, um von draußen her Hilfe herbeizuholen. Sie sei aber bald von einem SA-Mann aufgehalten und in ihre Wohnung zurückgebracht worden. Dort sei die Zerstörung inzwischen bereits in vollem Gange gewesen. [...] Das Gericht kam nach längerer Bera- tung zu dem Schluß, daß Hans S. als Rädelsführer an dem Landfriedensbruch beteiligt gewesen sei […].“656 Der Angeklagte wurde wegen Teilnahme am Landfriedensbruch zu einer Gefängnisstrafe von 9 Monaten verurteilt, die aber nach dem Straffreiheitsgesetz vom Jahre 1949 nicht mehr vollstreckbar war657.

Anna Georges-Schwab (geb. Liebreich) war für den Prozess aus Paris, wo sie mit ihrer Familie wohnte, nach Bocholt gekommen. Sie sagte gegen den Angeklagten Hans S. aus. Anna Georges-Schwab konnte während ihres Aufenthalts Oberstadtdirektor Ludwig Kayser bei einer Frage im Zusammenhang mit der beantragten Rückübertragung des Geländes des ehemaligen israelitischen Friedhofs an den Jewish Trust helfen.

6.3. Besuche von Bocholtern jüdischen Glaubens in ihrer alten Heimat

In den 1950er Jahren wurden, u. a. durch Oberstadtdirektor Ludwig Kayser, den früheren Direktor des St.-Georg-Gymnasiums Bartholomäus Sommer, die Heimatschriftstellerin

654 Niederschrift über ein Interview mit Anna Roloff (1904–1997), Bocholt, gemeinsam mit ihrer Tochter Maria Lüer (* 1926) und deren Mann (* 1925), Isselburg-Werth, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur am 24. Juli 1988. 655 StdA B, ZSlg., Westfälische Nachrichten, 5. November 1948, Die Judenaktion wider Willen in Bocholt. 656 Ebd., Westfälische Rundschau, 15. Juli 1953, Die Nacht der unmenschlichen Grausamkeit. 657 Ebd., BBV, 16. Juli 1953, Unter Hauruck Hausrat zerstört.

126 | BUCH DER ERINNERUNG Anna Lindenberg und andere, Versuche unternommen, Ännäherungen an ehemalige Bocholter jüdischen Glaubens zu finden.

Der in Pikesville im US-amerikanischen Bundesstaat Maryland lebende, als Psychiater tätige und später an der John-Hopkins-Universität in Baltimore lehrende Professor Dr. Kurt Nussbaum nahm damals Kontakt mit Menschen in Bocholt auf. Er wurde später zum Mittler vieler früherer Bocholter jüdischen Glaubens zu ihrer Geburtsstadt. Kurt Nussbaum trug mit mehreren Beiträgen zur Erforschung der Heimatgeschichte bei, besonders im BBV. 1955 kam er erstmals wieder nach Bocholt, als er in Europa war, um seine Mutter in Basel zu besuchen. Er fuhr damals nach Bocholt, um den Oberstudien direktor am St.-Georg-Gymnasium, seinen alten Lehrer Bartholomäus Prof. Dr. Kurt Nuss- Sommer, zu treffen. Hierüber schrieb Kurt Nussbaum später: „Nur wenigen Getreuen baum (1909 – 1986) ist es zu verdanken, daß eine seelische Annäherung zwischen einigen Vertriebenen wurde zum Mittler vie- und Bocholtern zustande gekommen ist. Herr Sommer hat die Versöhnung mit ler früherer Bocholter Bocholt für mich angebahnt. Seit etwa 1950 bis zu seinem Tode habe ich mit ihm im jüdischen Glaubens zu regen Briefwechsel gestanden.“ 658 Doch Nussbaum machte in Bocholt auch negative ihrer Geburtsstadt. Erfahrungen: Als er auf einen früheren Freund seines Bruders Alfred zugehen wollte, Er besuchte oftmals Bo- 659 cholt und hielt Kontakt den er auf der Straße traf, wandte sich dieser ab . zu vielen Bocholtern. (Rosemary Warschaws- 1968, als seine Abiturientia eigens für ihn den 41. Abiturtag feierte, sowie 1977 und ki, Baltimore/USA) 1985 besuchte Kurt Nussbaum seine westfälische Heimat, der er sich stark verbunden fühlte. Mit vielen Menschen in Bocholt stand er in regem Brief- kontakt. Am 29. Juli 1986 starb er sehr plötzlich.

Bereits früher hatten Max Ost- berg, der Sohn des langjähri- gen Vorsitzenden der Israeliti- schen Gemeinde Bocholt Louis Ostberg, „[…] und seine Frau Gertrude, […] eine gebürtige Bocholterin, mehrere Male die Stadt besucht.“660

„Ein Wiedersehen nach In den frühen 1960er Jahren 47 Jahren. Prof. Kurt ließen sich Angehörige von Nussbaum und Max mindestens vier ehemaligen Lorch in Bocholt“. Bocholter Familien jüdischen (StdA B, ZSlg., BBV, Glaubens, die vor 1938 aus ihrer 1. Mai 1985) ehemaligen Heimatstadt vor den NS-Verfolgungsmaßnahmen geflohen waren, wieder in Bocholt nieder. Sie hatten aber ihre Namen inzwischen geändert und gaben sich auch nicht zu erkennen661.

Norbert Lorch war deshalb offiziell der einzige Bocholter jüdischen Glaubens, der bis zu seinem Tod am 23. Januar 1980, dem fünfzigsten Geburtstag seines Sohnes Günter, in Bocholt wohnen blieb.

658 Nussbaum, Mein Vater..., S. 62. 659 Privatbesitz Josef Niebur, Notiz über ein Gespräch mit Kurt Nußbaum am 30. April 1985 in Bocholt. 660 StdA B, ZSlg., BBV, 4. April 1967, Eine alte Bocholterin schlug eine Brücke. Was wurde aus unseren jüdischen Mitbürgern und wo leben sie heute. 661 Privatbesitz Josef Niebur, Notiz über ein Interview mit N. N., 30. November 2008.

BUCH DER ERINNERUNG | 127 Für viele der nach 1933 ausgewanderten Bocholterinnen und Bocholter jüdischen Glaubens, wie für Gertrud Reiner (geb. Weyl), die im israelischen Haifa lebte, war es nach der Shoah sehr schwer, wieder Kontakt mit ihrer Geburtsstadt aufzunehmen. Sie erinnerte sich 1997: „Bei meiner Auswanderung 1936 wollte ich einen dicken Strich unter meine Vergangenheit in Bocholt machen und nahm deshalb fast nichts Persönli- ches mit; nur wichtige Dokumente (Zeugnisse, unsere Abiturzeitung, unser damaliges Couleurband – natürlich in den Bocholter Farben schwarz, silber, grün – und meinen Familienstammbaum). […] Bemerken möchte ich sofort, dass ich ‚in keinster Weise’ […] mit Trauer und Wut an Bocholt zurückdenke. […] Vielleicht mit Bedauern und etwas Wehmut. Ich gehörte als einzige Jüdin zu den ersten zwölf Abiturientinnen des Marien- Lyzeums. In unserer Klasse herrschte ein besonders herzliches Verhältnis, das sich über Jahre hinaus erhalten hat […].“ 662

Zur etwa gleichen Zeit kam John W. Brunswick zusammen mit seinen Söhnen nach Bocholt: „Ich stattete dort um 1960 auf einem Tagesausflug von Amsterdam kommend mit Fred und Roger einen Besuch ab. Damals konnten wir auch einen Teil meines El- ternhauses wieder sehen. Es war ein merkwürdiges Gefühl für mich, welches ich kaum beschreiben kann. Es war, als ob ich träumte; ich sollte ja eigentlich tot sein, wie so viele Millionen andere, die nie- mals zurückkehren konnten; ich war zurück versetzt in meine Kindheit mit äußerst ge- mischten Gefühlen, mit denen ich bis jetzt noch nicht richtig ins reine gekommen bin. Es ist schon eigenartig darüber nachzudenken, wie mein Leben sich unter ‚normalen’ Bedingungen entwickelt hätte.“663

Auch die in Baltimore/USA wohnende Greta Meier, die Tochter der 1942 beim Ghetto Riga ermordeten Martha und Bertold Löwenstein, hatte große Vorbehalte gegen einen Besuch Bocholts. Sie erinnerte sich 1997 in ihrem autobiographischen Bericht daran: „Seit dem Krieg war ich einmal in Bocholt in 1964. Ich habe den jüdischen Friedhof besucht und war erstaunt, wie schnell sich Bocholt nach dem Krieg erholt hatte. Ich reise ganz viel, aber ich will Deutschland nie mehr besuchen. Nach so vielen Jahren kann man vergeben, aber nicht vergessen.“ 664 Durch diese offenen Zeilen angeregt, nah- men Klassenkameradinnen aus dem Mariengymnasium (früher Lyzeum) Kontakt mit Greta Meier auf und luden sie mit Hilfe von Bürgermeister Bernhard Demming zum Klassentreffen ein. 1986 war Greta Meier dann in Bocholt, wo sie liebevoll von ihren Schulfreundinnen betreut wurde.

6.4. Erinnern und Gedenken Am 30. Mai 1948 wurde auf dem „Jüdi schen Friedhof“ an der Var- ding holter Straße ein Gedenkstein enthüllt. Er trägt den Gedenktext: „Zum Gedenken an die jüdischen Mitbürger der Stadt Bocholt, die (StdA B, ZSlg., West- in den Konzentrationslagern ihr fälische Nachrichten, Leben lassen mußten. Sie starben 29. Mai 1948) für ihr Volk und ihren Glauben. Die Stadt Bocholt“.

662 Stadt Bocholt. Fachbereich Zentrale Verwaltung – Interne Dienste – Ordner: Jüdische Mitbürger. Gertrud Reiner (Haifa/Israel) an Bürgermeisterin und Stadtdirektor Bocholt, im August 1997. 663 Brunswick, J. H. (Hans Braunschweig) My Life, im Verwahr von Dr. Werner Loock, Bocholt. 664 StdA B, ZSlg., BBV-Sonderbeilage Bocholter in aller Welt , Weihnachten 1982, Greta Meier, ohne Seitenzählung.

128 | BUCH DER ERINNERUNG Die Zeitungen, auch das Jüdische Informationsblatt für die britische Zone, berichteten, dass Vertreter der „kleinen jüdischen Gemeinde Bocholt“ bei der Enthüllung anwesend waren. Eine jüdische Gemeinde gab es in Bocholt seit 1941 aber nicht mehr. Zur Stein- setzung waren auch die jüdischen Flüchtlinge eingeladen, die im Lager für „displaced persons“ (heimatlose Personen, abgekürzt: DP) im Stadtwald wohnten665. Dorthin waren sie ab Mitte Januar 1947 mit Sammeltransporten aus dem ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen gekommen. Sie waren zuvor aus ehemaligen Ghettos und Konzentrationslagern in das außerhalb des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen gelegene DP-Lager gebracht worden. In Bocholt wurden sie im DP-Lager in drei Sonderbaracken während eines Zeitraums von drei Wochen auf ihre Ausreise nach Israel vorbereitet666. Die Weiterreise erfolgte mit der Bahn bis Marseille und von dort mit dem Schiff in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina, ab Mai 1948 in den gerade gegründeten Staat Israel. Damit diese Menschen im DP-Lager gemäß den jüdischen Speisevorschriften koscher essen konnten, nutzte ein im Lager wohnender Schächter die Hilfe eines Metzgers aus Bocholt. Dieser hatte bei einem Landwirt in Stenern eine Scheune angemietet, in welcher der Schächter heimlich Kühe und Schafe koscher schlachten konnte. Dieses Schwarzschlachten war damals nach der alliierten Gesetzgebung verboten667.

Als die ab 1955 in der Siedlung um die im Bau befindliche Herz-Jesu-Kirche in der Giethorst entstandenen Straßen benannt werden sollten, folgte die Stadtverordneten- versammlung dem Antrag von Oberstadtdirektor Ludwig Kayser. Die Straßen wurden vor allem nach Menschen benannt, die im Widerstand gegen Hitler gestanden hatten und hingerichtet worden waren: Nikolaus Groß (er hatte 1933/34 das KAB-Sekretariat in Bocholt während der Gestapo-Haft von Joseph Jakob geführt, nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 war er wegen seiner Beteiligung am Widerstand verhaftet und am 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet worden), Wilhelm Leuschner (SPD, * 1890, der ehemalige hessische Innenminister und Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes wurde nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 verhaftet und am 29. September 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet), Erich Klausener (* 1891, der Vorsitzende der Katholischen Aktion war beim sog. „Röhmputsch“ am 30. Juni 1934 ermordet worden), die Geschwister Hans (* 1918) und Sophia Scholl (* 1921; die Studenten waren 1943 wegen der Verteilung von Flugblättern gegen das NS-Regime nach einem Volksgerichtshofprozess am 23. Februar 1943 hingerichtet worden) und Carl- Friedrich Goerdeler (* 31. Juli 1884, Schneidemühl. Er war ein Widerstandskämpfer und sollte nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 das Amt des Reichskanzlers übernehmen. Am 2. Februar 1945 wurde er in Berlin-Plötzensee hingerichtet). Für die in diesem Bezirk entstehende damalige katholische Volksschule wurde am 2. Dezember 1955 durch die Stadtverordnetenversammlung der Name „Edith-Stein-Schule“ gewählt668. In der Pausenhalle dieser am 2. Oktober 1957 eingeweihten Volksschule, der heutigen Clemens-Dülmer-Schule, steht ein Glasmosaik zum Leben von Edith Stein.

Edith Stein wurde 1891 in eine orthodoxe jüdische Familie in Breslau geboren, stu- dierte Philosophie, Psychologie und Geschichte. 1931 konvertierte sie zum katholischen Glauben. Auf Druck des Naziregimes erhielt Edith Stein als gebürtige Jüdin 1933 Lehr- verbot. Sie musste deshalb ihre Stelle in Münster aufgeben. Am 14. Oktober 1933 trat

665 Jüdisches Informationsblatt für die britische Zone, 5. Juni 1948. 666 Lindenberg, Fritz: Das Stadtwaldlager in Bocholt. Ein Rückblick 1935–1955, in: Unser Bocholt, Heft 4/ 1955, S. 12f. 667 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit den Schwestern N. N. (* 1925) und N. N. (* 1928), Bocholt, am 28. November 1986. 668 StdA B, ZSlg., BBV 2. Dezember 1955, Straßen in der Giethorst benannt. Vorschlag des Heimatvereins wurde zur Kenntnis gebracht.

BUCH DER ERINNERUNG | 129 Edith Stein in den Kölner Karmel Maria vom Frieden ein und nahm den Ordensnamen „Schwester Teresia Benedicta a Cruce“ (d.h. „die vom Kreuz Gesegnete“) an. Um den Kölner Karmel zu schützen, siedelte Edith Stein mit ihrer Schwester Rosa 1938 in den Karmel im niederländischen Echt über. Von dort wurden die beiden Schwestern Stein am 7. August 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und am 9. August 1942 in der Gaskammer ermordet. Zur Benennung dieser Schule schrieb Max Ostberg: „[…] meine Stadt, die sich bemüht, [...] mit der [Benennung der] Edith-Stein- Schule ihren jüdischen Mitbürgern ein Denkmal zu setzen.“ 669

Auf dem früheren Grundstück der Synagoge wurde 1962 das „Haus des Handwerks“ als Geschäftsstelle der Kreishandwerkerschaft Borken-Bocholt und der Innungskranken- kasse Borken-Bocholt eingeweiht. Im Bocholter Volksblatt wurde zwar zur Einweihung des Hauses erwähnt, dass das Haus auf dem „ehemaligen Grundstück Hülskamp“ stand. An die hier einst stehende Synagoge wurde nicht erinnert670. Das Bocholter Volksblatt berichtete am 4. April 1967 unter der Überschrift „Eine alte Bo- cholterin schlug eine Brücke. Was wurde aus unseren jüdischen Mitbürgern und wo leben sie heute?“ über den Briefwechsel der in Bocholt geborenen und nun in Rheydt wohnen- den Hety Keymer mit Bocholterinnen und Bocholtern jüdischen Glaubens. Sie nannte dabei die Na- Mit dem Bericht „Eine alte Bocholterin schlug men derer, eine Brücke:Was wurde mit denen sie aus unseren jüdischen Kontakt hatte: Mitbürgern und wo Ostberg, Stern, leben sie heute?“ wurde L öwenstein, am 4. April 1967 im Nußbaum [sic] Bocholter Volksblatt an und den 1960 die hier ehemals woh- in Düsseldorf nenden BocholterInnen jüdischen Glaubens wohnenden erinnert. Al bert Löwen- 671 (StdA B, ZSlg., BBV, 4. stein . April 1967) 1979 bat der in Nethanya in Israel le- ben de Ernst ten Bosch, der Sohn des An- streichermeis- ters Abraham ten Bosch, den Bocholter Bürgermeister Günter Hochgartz, ihm den Besuch seiner Heimatstadt Bo- cholt zu ermöglichen. Dies erfolgte auch. Die Anfrage war Anlass für den damaligen Referenten des Bürgermeisters, Manfred Dammeier, nach den Adressen der ehemaligen Bocholter jüdischen Glaubens zu forschen, die nach 1933 vornehmlich nach Nord- und Südamerika geflohen waren. Durch die Hilfe der ersten sechs Angeschriebenen gelang es, zunächst 38 Anschriften zu ermitteln 672.

669 Ebd., BBV vom. 4. April 1967, Eine alte Bocholterin schlug eine Brücke. Was wurde aus unseren jüdischen Mitbür- gern und wo leben sie heute? 670 Ebd., BBV vom 8. Mai 1962, Redaktioneller Bericht auf der Sonderseite Wir bauten das „Haus des Handwerks“. 671 Ebd., BBV vom 4. April 1967, Eine alte Bocholterin schlug eine Brücke. Was wurde aus unseren jüdischen Mitbür- gern und wo leben sie heute? 672 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über mündliche Mitteilungen von Manfred Dammeier (1946–2005) von 1984–2005.

130 | BUCH DER ERINNERUNG Danach wurde von Bürgermeister Hochgartz der Antrag in die Stadtverordnetenver- sammlung eingebracht, einen Fond zur Finanzierung von Besuchen ehemaliger Bocholter jüdischen Glaubens einzurichten673.

Bis zum Jahre 2010 kamen 58 ehemalige Bocholterinnen und Bocholter jüdischen Glaubens zu Besuchen in ihre Heimatstadt.

Der nach seiner Flucht aus Nazi-Deutschland 1937 bei New York lebende Zahnarzt Dr. Alfred Nussbaum kam 1981 zu einem Besuch nach Bocholt. Während der Pause eines Fußballspiels seines ehemaligen Vereins, des damaligen Zweitbundesligisten 1. FC Bo- cholt 1900, bei dem er in den 1920er Jahren als Torhüter akiv gewesen war, wurde er durch den Platzsprecher als Ehrengast begrüßt674. Nach dem Besuch schrieb er am 12. September 1981 an Stadtdirektor Gillen: „Ich habe nie die Anhänglichkeit an meine Hei- mat und die Stadt meiner Geburt verloren, habe in aufrichtiger Trauer die Zerstörung, aber auch den Wiederaufbau, größer und moderner denn je, mit Stolz miterlebt.“ 675 Bocholter, die ihn in den USA besuchten, wurden mit dem Gruß „Nörgens bäter as in Bokelt“ begrüßt 676.

1980 wurde am ehemaligen Standort der Bocholter Synagoge auf dem Platz vor dem „Haus des Handwerks“ am Europaplatz ein Denkmal enthüllt. In einem Davidstern war der historisch nicht ganz korrekte Schriftzug zu lesen: „An dieser Stelle stand die Syna- goge der jüdischen Gemeinde. Geschändet in der Reichskristallnacht 1938. Endgültig zerstört 1945.“ 677

Im gleichen Jahr wurde in Bocholt der Jeanette-Wolff-Weg benannt, der an Bocholts bekannteste SPD-Politikerin jüdischen Glaubens erinnert 678.

1983 fand – konzipiert von Josef Niebur – die Ausstellung „Juden in Bocholt“ statt. Weitere historische Ausstellungen wurden der Öffentlichkeit durch die damalige Arbeits gruppe Geschichte in der Deutsch-Niederländisch-Israelischen Gesellschaft Achterhoek/Westmünsterland e. V., die von 1989 bis 1996 bestand, gezeigt: „Unbekannt verzogen ... en ondergeduiken ... – deportiert aus dem Westmünsterland – en overleefd in de Achterhoek” (1993), „Je älter ich werde, desto öfter denke ich daran!“ – Die Verfol- gung der Bocholter Juden am 9./10. November 1938 – (1998), „Synagogen im Achter- hoek und Westmünsterland“ (2000), „Auf der Flucht erschossen – Unbekannt verzogen (ausgewandert)“ zum 60. Jahrestag der 1. Deportation nach Riga 1941 (2001) 679.

Seit dem 17. Juni 1987 erinnert im ehemaligen Kriegsgefangenen- und späteren DP- Lager im heutigen Stadtwald ein Denkmal u. a. daran, dass 1947/48 über dieses Lager viele jüdische Menschen aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina, den heutigen Staat Israel, gebracht wurden 680.

673 Hochgartz, Günter: Kontakt mit ehemaligen jüdischen Mitbürgern. Trotz allem, was geschehen ist, in: Unser Bocholt, Heft 1/1983, S. 72 f. 674 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über mündliche Mitteilungen von Manfred Dammeier (1946–2005) von 1984–2005. 675 Stadt Bocholt, Allgemeine Verwaltung; Partnerschaften. Ordner Juden 1, Stadt Bocholt, Alfred Nussbaum an Stadt- direktor Gillen, 12. September 1981. 676 So berichtet von Dr. med. Werner Loock am 16. Mai 2000. 677 Oppel, Dr. Hans-D.: Gedenkstunde zur Übergabe einer Gedenktafel zur Erinnerung an die einmal in Bocholt beste- hende Synagoge [mit Ansprachen von Bürgermeister Günter Hochgartz, Pfarrer Kurt Stappenbeck, Pfarrer Hein- rich Westhoff und Landesrabbiner Emil Davidovic], in: Unser Bocholt, Heft 1/1981, S. 37-45. 678 Stadt Bocholt, Hauptamt, 29. April 1986. 679 Zu den weiteren Ausstellungen der VHS-Arbeitsgruppe Synagogenlandschaften vgl. S. 454 ff. 680 Die Einweihung der Gedenkstätte im ehemalischen Stadtwaldlager, in: Unser Bocholt, Heft 4/1987, S. 26.

BUCH DER ERINNERUNG | 131 Seit dem 17. Juni 1987 1988 erschien das Buch „Juden in Bocholt“, in erinnert im ehemaligen dem durch Josef Niebur die Geschichte der Kriegsgefangenen- und Juden in Bocholt seit 1562 beschrieben wurde. späteren DP-Lager im heutigen Stadtwald ein Denkmal u. a. Am 8. November 1988 wurde in der Schal- daran, dass 1947/48 terhalle der damaligen Innungskrankenkasse über dieses Lager viele Borken-Bocholt im „Haus des Handwerks“ jüdische Menschen aus der Öffentlichkeit eine Dauerdokumentation dem Konzentrations- „Bocholter Synagoge 1798 – 1942“ übergeben. lager Bergen-Belsen in das damalige britische Am 9. November 1988 – 50 Jahre nach den Mandatsgebiet Palästi- Verbrechen der Pogromnacht – wurde an die na, den heutigen Staat Israel, gebracht wurden. Schandnacht gedacht, in der auch in Bocholt (StdA B, Bildersamm- die Synagoge sowie Häuser und Geschäfte lung) von Bocholtern jüdischen Glaubens zerstört und verwüstet wurden. Bei der Gedenkstunde sprach Annemarie Hortmann (Kleve), die Tochter von Major d. R. Friedrich Baldus. Baldus hatte sich in der Pogromnacht 1938 vor dem Haus Bahnhofstraße 14 schützend vor seine Nachbarin Aurelia Weyl gestellt. Ebenso sprach Pfarrer i. R. Johannes Sonnenschein (Ahaus). Der geborene Bocholter war von 1942 bis 1945 Häftling im Konzentrationslager Dachau. Im Anschluss daran fand in der Pfarrkirche St. Georg ein ökumenischer Gottesdienst statt 681.

Seit 1992 wird alljährlich am Abend des 9. November an der Gedenkstätte für die Syna- goge auf dem Vorplatz des Hauses des Handwerks in einem stillen Gedenken an die Verbrechen der Pogromnacht 1938 erinnert.

1995 wurden in Bocholt Straßen in Neubaugebieten nach Dr. med. Arthur Hoch heimer und Leo Nußbaum682 be nannt683.

Übergabe des Stra- ßenschildes Leo- Nußbaum-Straße am 7. September 1995. (StdA B, ZSlg., BBV, 11. September 1995)

681 StdA B, ZSlg., BBV vom 11. November 1988, Zeitzeugen berichteten über ihre Erlebnisse – Reichskristallnacht in Bocholt und KZ-Erfahrungen aus Dachau aufgearbeitet/Ratssaal war viel zu klein. 682 Auf ausdrücklichen Wunsch der Tochter von Levy Nußbaum, Elly Warschawski-Nußbaum (Basel/Schweiz), erhielt die Straße den heutigen Namen Leo-Nußbaum-Straße. 683 StdA B, ZSlg., BBV vom 7. April 1995.

132 | BUCH DER ERINNERUNG Die Erinnerungsarbeit, die we- Seit dem 30. November sent lich durch einen Freundes- 2001 erinnert dieser kreis getra gen wird, der sich Stein mit der Aufschrift „Bocholt“ in der 1997 zum VHS-Arbeitskreis 684 Gedenkstätte Riga-Biker- Synagogenlandschaften nieki daran, dass nach zusammenfand, wird gemein- Riga 25 BocholterInnen sam mit der Deutsch- Israeli - jüdischen Glaubens schen Gesellschaft Westmüns- deportiert worden sind. terland (Gründung Februar (Volksbund deutscher 1998) und der 2001 gegründe- Kriegsgräberfürsorge, ten Gesellschaft für christlich- Kassel) jüdische Zusammenarbeit mit Unterstützung der Stadt Bo- cholt geleistet.

Für die Erinnerungsarbeit an den Schulen kann dabei auf die Lernwerkstatt Sekundar- stufe I verwiesen werden. Einer ihrer Schwerpunkte ist die Erinnerung an die Shoah. Die Lernwerkstatt hat seit 2003 an verschiedenen Projekten teilgenommen und initiiert selbst Schulprojekte. Im Jahre 2001 trat die Stadt Bocholt auf Initiative des VHS-Arbeitskreises Synago- genlandschaften dem Riga-Komitee deutscher Städte bei. Unter Schirmherrschaft des Volksbundes deutscher Kriegsgräber- fürsorge hatten sich am 23. Mai 2000 dreizehn Städte zusammengefun- den und das Deutsche Riga-Komitee gegründet. Es stellte u. a. die Finan- zierung der Gedenkstätte Biķernieki in der Nähe von Riga sicher. Am 9. November 2005 wurde auf dem Platz vor dem Haus des Hand- werks die neue Gedenkstätte für die Bocholter Synagoge der Öffentlich- Am 9. November 2005 keit übergeben. Sie besteht aus einer wurde auf dem Vorplatz Gedenktafel mit den Namen der un- am Haus des Handwerks mittelbar aus Bocholt deportierten der Öffentlichkeit eine 34 Bürgerinnen und Bürger jüdischen neue Synagogengedenk- Glaubens, einer Tafel mit einem Text stätte übergeben. Sie besteht aus dieser stehen- zur Lage der Synagoge und einer stili- den Gedenktafel und sierten Bima (Lesepult). Außerdem einer stilisierten Bima ist in der Pflasterung des Platzes der (Vorlesepult). Außerdem Umriss der Synagoge eingelassen. ist der Grundriss der Vorderfront der Synago- Zur Übergabe waren der Vorsitzende ge in das Bodenpflaster der Jüdischen Gemeinde Münster, eingelassen worden. Sharon Fehr, für das Bistum Münster (Stadt Bocholt, Foto: Weihbischof Professor Dr. Franz- Bruno Wansing) Peter Tebartz-van Elst und Superintendent Joachim Arnicker für den evangelischen Kirchenkreis Steinfurt-Borken nach Bocholt gekommen685.

684 Zum VHS-Arbeitskreis Synagogenlandschaften vgl. S. 454. 685 Gehrmann, Hans-Rudolf, Ferdinand Salomon van Loopik, Josef Niebur, Reinhold Sprinz: Es gibt Momente, bei de- nen es schwer fällt, zu reden – Übergabe des Denkmals zur Erinnerung an die zerstörte Synagoge am 9. November 2005, in: Unser Bocholt, Heft 4/2006, S. 61f .

BUCH DER ERINNERUNG | 133 Die Anregung und Planung für diese Gedenkstätte wurde von der VHS-Arbeitsgruppe Synagogenlandschaften geleistet.

Am 26. Januar 2006, dem Vorabend zum „Tag des Gedenkens an die Opfer des National- sozialismus“, wurde ein Innenstadtplatz nach Bertold Löwenstein, dem letzten Vorsit- zenden der jüdischen Kultusvereinigung „Jüdische Gemeinde Bocholt“ e. V., benannt686.

Seit 2006 veranstaltet der VHS-Arbeitskreis Synagogenlandschaften in Zusammenar- beit mit der Lernwerkstatt für die Sekundarstufe I, Bocholt, am Morgen des 10. Dezem- ber vor der Gedenkstätte für die Bocholter Synagoge ein Erinnern an die erste Deporta- tion aus Bocholt 1941.

Seit Februar 2007 wurden in Bocholt vor den ehemaligen Wohnungen ermordeter Ju- den und Regimegegner Stolpersteine gelegt. Stolpersteine sind 10 x 10 x 10 cm große aus Beton gegossene Steine mit eingelassener Messingtafel. Hierin sind Name, Geburts- datum, Datum der Deportation, Sterbedatum und Sterbeort des jeweiligen Opfers des II. Biogramme Nationalsozialismus eingestanzt687.

In den späten 1990er Jahren zogen in Bocholt Juden aus den Staaten der ehemaligen GUS zu.

Seit 2007 liegen in Bocholt Stolper steine. Diese Stolpersteine liegen vor dem Haus Königstraße 9. Sie erinnern daran, dass dort einst die Fami- lie Rahel und Adolf Blumenthal mit ihren Kindern Edith und Manfred Zytnik sowie Marie Roth wohnte. Sie wurden alle ermordet. (Fotosammlung Her- mann Oechtering)

686 StdA B, ZSlg., BBV vom 28. Januar 2006. 687 Siehe S. 459.

134 | BUCH DER ERINNERUNG II. Biogramme

BUCH DER ERINNERUNG | 135

Kaddisch

Das Kaddisch ist ein jüdisches Heiligungsgebet in aramäischer Sprache, das für die jüdischen Verstorbenen und die Verstorbenen der Shoah gesprochen wird, um uns an sie zu erinnern. Oft sind es männliche Verwandte, die das Kaddisch nach dem Tod eines Elternteiles sagen.

Den Text des ursprünglichen Kaddisch hat Pfarrer em. Kurt Stappenbeck in hebräischer Schrift, die zur Verschriftlichung des Aramäischen benutzt wird, geschrieben.

Erhoben und geheiligt werde sein großer Name auf der Welt, die nach seinem Willen von Ihm erschaffen wurde.

Sein Reich erstehe in eurem Leben, in euren Tagen und im Leben des ganzen Hauses Israel, schnell und in nächster Zeit.

Sprecht: Amen!

Sein großer Name sei gepriesen in Ewigkeit und Ewigkeit der Ewigkeiten.

Gepriesen und gerühmt, verherrlicht, erhoben, erhöht, gefeiert, hocherhoben und gepriesen sei der Name des Heiligen, gelobt sei er, hoch über jedem Lob und Gesang, jeder Verherrlichung und Trostverheißung, die je in der Welt gesprochen wurde, sprecht Amen.

BUCH DER ERINNERUNG | 137 Helene Albersheim geborene Gompertz

geboren am 20. Oktober 1858 in Geldern ermordet am 21. Februar 1943 im Ghetto eresienstadt

Helene Gompertz wurde am 20. Oktober 1858 in Geldern als Tochter von Esther (geb. Süß-Spiero, * 15. April 1825, Rheinberg – 7. Januar 1907, Emmerich688) und Gottfried Gompertz (* 5. Juli 1815, Geldern – 25. April 1870, Geldern689) geboren. Die Eheleute Esther und Gottfried Gompertz hatten am 22. Juli 1850 in Rheinberg ge- heiratet690. Aus dieser Ehe stammten die Kinder: – Leopold Alexander Gompertz (* 6. Juli 1851, Geldern – 19. Januar 1910, Wesel691) – Siegmund Gompertz (* 8. August 1852, Geldern – 15. Juli 1928, Düren692) – Rosalie Nathan (geb. Gompertz, * 17. Mai 1854, Geldern – 693) – Gustav Gompertz (* 31. Mai 1856, Geldern – 14. Juli 1942, Essen694) – Helene.

In diesem Haus Markt 4 Ihr Vater Gottfried Gompertz hatte führte Moritz Albers- von 1868 bis 1870 als in der II. heim, der Mann von Wählerklasse gewählt der Stadtver- Helene Albersheim, ordnetenversammlung in Geldern ein Manufakturwaren- 695 geschäft. angehört . (StdA B, Bildersamm- Helene Gompertz zog am 28. März lung) 1884 aus Rheinberg nach Bocholt Nr. 168 (heute: Markt 4) 696. In Bocholt heiratete sie den hier wohnhaften Meyer (Moritz) Al- bersheim (* 24. Oktober 1861, Borken 697 – 30. November 1916, Bocholt 698). Ihr Mann Meyer (Moritz) Albers- heim betrieb in seinem Haus, das später die Straßenbezeichnung Markt 4 führte, ein Manufaktur- warengeschäft, das ab 1907 ihr Bruder Gustav Gompertz weiter- führte 699.

688 Juden in Emmerich, bearbeitet von Prof. Dr. Michael Brocke (Köln), Dr. Cläre Pelzer (Köln), Herbert Schürmann (Emmerich), Emmerich 1993, S. 253. 689 Ebd. 690 Ebd. 691 Ebd., S. 255. 692 Ebd., S. 253. 693 Zum Todeszeitpunkt von Rosalie Nathan konnte keine Feststellungen getroffen werden. 694 Schröter, S, 554. 695 Bosch, Heinz: Illustrierte Geschichte der Stadt Geldern, Band 1, Geldern 1994, S. 485. 696 StdA B, Personenstandsregister, S. 94. 697 Ebd. 698 Foto des Grabsteins in: Sundermann, Friedhöfe, S. 101. 699 Vgl. Biogramm Emmy Gompertz, S. 203.

138 | BUCH DER ERINNERUNG Am 3. Februar 1881 war Meyer (Moritz) Albersheim dem St. Georgius-Schützenverein beigetreten700. 1911 wurde er – wie in der Festschrift vermerkt – beim Schützenfest für langjährige Mitgliedschaft im Schützenverein geehrt701.

Ihr Mann stand 1894 im „Verzeichniß [sic] der zum hiesigen israel. Männer-Verein ge- hörenden Mitglieder“702.

Der Ehe von Helene und Meyer (Moritz) Albersheim entstammten die Kinder: – Gottfried (* 19. Mai 1887, Bocholt – gefallen am 3. April 1915, Perbles/Frankreich703). Für ihn und die übrigen zehn Gefallenen des Ersten Weltkriegs aus der israelitischen Gemeinde Bocholt wurde auf dem israelitischen Friedhof auf der Rückseite eines Denk mals eine Gedenkinschrift angebracht704.  Toni Kahn (geb. Albersheim, * 28. November 1892, Bocholt – ermordet nach dem 30. Januar 1943, Vernichtungslager Auschwitz705).

Am 30. November 1916706 starb der Mann von Helene Albersheim. Meyer (Moritz) Al- bersheim wurde auf dem israelitischen Friedhof in Bocholt beigesetzt707. Tochter Toni Kahn zog am 9. November 1919 nach Köln708. Helene Albersheim über- siedelte vermutlich mit ihrer Tochter in die rheinische Domstadt.

Am 2. Oktober 1942 wurde Helene Albersheim mit 42 Menschen jüdischer Religion aus Köln in das Ghetto eresienstadt deportiert709. Der Zug, der die Ordnungsnummer III/7710 trug, kam hier am 3. Oktober 1942 an 711. Nur zwei der deportierten Menschen jüdischen Glaubens konnten 1945 aus dem Ghet- to befreit werden712. Helene Albersheim wohnte in eresienstadt im Haus L 211, Zimmer 116. Am 21. Februar 1943 starb sie. Der zuständige Lagerarzt Dr. Karl Bergmann gab in der von ihm unterzeichneten Todesfallanzeige des eresienstädter Ghettos als offizielle Todesursache „Altersschwäche“ an. Tatsächlich dürfte Helene Albersheim jedoch den unmenschlichen und grausamen Um- ständen, die auch im Ghetto von eresienstadt herrschten, zum Opfer gefallen sein713.

700 Westerhoff, Eduard: Abschriften aus Protokollbüchern des St. Georgius-Schützenvereins. Ballotagen neuer Mit- glieder auf Generalversammlungen, Typoskript, (fortan: Westerhoff, Ballotagen). 701 StdA B, Depositum St. Georgius-Schützenverein, III. Präsentationsmaterialen, 1.1. Festschriften I, St. Georgius- Schützenverein. 1861. Bocholt 1911. Schützenfest am 6., 7., 8., 13. August 1911. Zur Geschichte des St. Georgius- Schützenvereins, S. 39. 702 Ebd., SBOH 2 Nr. 389, Israelitischer Männer-Verein. 703 http://www.denkmalprojekt.org/Verlustlisten/vl_rjf_wk1_orte_b.htm. 704 Vgl. Foto S. 49. 705 Vgl. Biogramm S. 241. 706 Foto des Denkmals in: Sundermann, Friedhöfe, S. 101. 707 StdA B, Einwohnermeldekartei 1906–1962; Sundermann, Friedhöfe, S. 101. 708 NS-Dokumentationszentrum Köln, 18. November 2008. 709 eresienstädter Gedenkbuch. Die Opfer der Judentransporte aus Deutschland nach eresienstadt, Institut e- resienstädter Initiative, Academia, Praha 2000 (eresienstädter Gedenkbuch), S. 61. 710 http://www.yadvashem.org/wps/portal/!ut/p/_s.7_0_A/7_0_FL/.cmd/acd/.ar/sa.portlet.FromDetailsSubmit- Action/. c/6_0_9D/.ce/7_0_V9/.p/5_0_P1/.d/1?related_key=&DTsearchQuery=&todo=2&images=[%2Fleadi ng_folder%2Ftheresienstadt.jpg]&imagedescs=[%2Fleading_folder%2Ftheresienstadt.jpg]&itemid=4868926&q1= G%2FYe3lkCz6g%3D&q2=Z4YBlyMQVtvLC8m%2FQrux31OD4%2B6NMZDJ&q3=5qKJ6A92NIM%3D&q4=5qK J6A92NIM%3D&q5=bZukTLFN4Kw%3D&q6=zhcYGjLZRKM%3D&q7=qB0nNqf696fHUfJ3KXY3VHbuHrsRTC ZH&npage=&zoomdesc=&victim_details_name=+Albersheim+Helene&fromSearch=yes&victim_details_id=486 8926&imagenum=0&searchfor=5#7_0_V9. 711 eresienstädter Gedenkbuch, S. 61. 712 Ebd. 713 Nationalarchiv Prag: Patmatnik Terezin, Todesfallanzeige vom 21. Februar 1942.

BUCH DER ERINNERUNG | 139 Emma Alexander geborene Cohen geb. am 25. Dezember 1881 in Bocholt ermordet nach dem 15. November 1941 im Ghetto Minsk

Emma Alexander wurde als Emma Cohen am 25. Dezember 1881 in Bocholt Nr. 360 (heute: Langenbergstraße 17) geboren. Ihre Eltern waren der Metzger Moses Cohen (* 15. Mai 1854, Bocholt – 30. September 1926, Bocholt) und seine Frau Ziypora [oder Zipora] (geb. Spier, * 19. Juli 1852, Kalkar – 15. April 1914, Bocholt714).

Emma Cohen hatte drei Geschwister:  Hermann (* 5. Januar 1887, Bocholt – ermordet nach dem 27. April 1943, Ghetto eresienstadt715)  Else (* 27. Januar 1889, Bocholt – ermordet nach dem 5. Oktober 1942, Vernich- tungs lager Auschwitz716) – Paula (* 23. April – 6. Juli 1893, Bocholt717).

Ihr Vater Moses Cohen führte als Metzgermeister im Haus Langenbergstraße 17 eine Metzgerei. Seit dem 3. Februar 1877 war er Mitglied im St. Georgius-Schützenverein718.

Emma Cohen zog am 1. Dezember 1920 von Bocholt nach Düsseldorf, Fürstenwall 228.

Am 28. November 1920 hatte sie in Bocholt Wilhelm Alexander (* 21. September 1885, Düsseldorf – ermordet nach dem 15. November 1941, Ghetto Minsk719) geheiratet. Er war Kutscher. Kinder bekamen sie nicht.

Emma und Wilhelm Alexander mussten 1939 in das sog. Judenhaus Derendorfer Straße 47 in Düsseldorf ziehen720. Vom Güterbahnhof Düsseldorf-Derendorf wurde das Ehepaar zusammen mit 992 an- deren Juden am 10. November 1941721 in das Ghetto Minsk in Weißrußland deportiert. Am 15. November 1941 kam der Zug dort an. In Minsk war eines der größten Ghettos in Europa entstanden.

Hier kam Emma Alexander nach dem 15. November 1941 60jährig um722.

Die Eheleute wurden nach den Beschlüssen des Amtsgerichtes Düsseldorf 42 II 331/54 bzw. 332/54 vom 26. März 1955 für tot erklärt723.

714 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 715 Vgl. Biogramm S. 168. 716 Vgl. Biogramm S. 166. 717 StdA B, Personenstandsregister, S. 189. 718 Westerhoff, Ballotagen. 719 BA, Gedenkbuch, Onlineversion. Namenverzeichnis Nr. 830012. 720 StdA Düsseldorf, 22.September 2008. 721 Ebd., danach wurde Emma Alexander bereits am 8. November 1941 aus Düsseldorf deportiert. 722 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 829840. 723 StdA Düsseldorf, 22.September 2008.

140 | BUCH DER ERINNERUNG Anna Andorn geborene Löwenstein geboren am 14. Juli 1885 in Bocholt ermordet nach dem 12. Oktober 1944 im Konzentrationslager Auschwitz

Anna Löwenstein kam am 14. Juli 1885 im Haus Nr. 39 (heute: Ostermarkt) als Tochter des Kaufmanns Samuel Benjamin Löwenstein (* 24. Januar 1851, Rhede724 – 11. Dezember 1917, Bocholt725) und seiner Frau Julie (geb. Kaufmann, * 19. September 1855, Geldern726 – 10. Januar 1908, Bocholt727) zur Welt.

Anna Löwenstein hatte sechs Geschwister:  Paula Levisohn (geb. Löwenstein, * 9. Juli 1880, Bocholt – ermordet nach dem 22. April 1942, Konzentrationslager Izbica728)  Bertold (* 2. März 1882, Bocholt – ermordet Anfang 1942 beim Ghetto Riga729) – Wilhelmine Rohr (geb. Löwenstein, * 6. Januar 1884, Bocholt – 5. März 1958, New York 730) – Martha Löwenstein (* 28. Februar – 28. August 1887, Bocholt731) – Max (* 14. Juni 1890, Bocholt732 – 1979, USA733) – Paul (* 24. August 1896, Bocholt734 – 19. Oktober 1918, Lazarett Bayreuth735).

Anna Löwenstein führte Tagebuch736, dadurch ist vieles über sie bekannt: „Meine liebe Mutter ist gestorben, ich kann es einfach nicht glauben, sie war nur einige Tage krank, und wir fanden sie morgens tot in ihrem Bett. Es gab aber auch eine freudige Nachricht: Meine Schwester [Wilhelmine] hat einen Sohn bekommen, soll Fritz heißen.“ (Januar 1908)737

„Max und Paul, meine beiden jüngeren Brüder, meldeten sich freiwillig zum Heeres- dienst und auch Bertold, mein ältester Bruder, spricht davon, sich freiwillig zu melden. Alle sind begeistert und man glaubt, daß wir bald wieder Frieden haben werden. Ich kann es noch nicht recht glauben, wünsche es mir aber von ganzem Herzen. Ich selbst komme mir wie ein Verräter vor und werde mich als Hilfsschwester beim Roten Kreuz melden.“ (August 1914)738

724 StdA B, Personenstandsregister, S. 94. 725 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 726 Ebd., Personenstandsregister, S. 94. 727 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 728 Vgl. Biogramm S. 255. 729 Vgl. Biogramm S. 277. 730 Schröter, Hermann: Geschichte und Schicksal der Essener Juden. Ein Gedenkbuch für die jüdischen Mitbürger der Stadt Essen, Essen 1980, S. 694. 731 StdA B, Personenstandsregister, S. 37. 732 Ebd. 733 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~mhines/GedHtml/gp135.htm#head2. 734 StdA B, Personenstandsregister, S. 37. 735 http://www.denkmalprojekt.org/Verlustlisten/vl_rjf_wk1_orte_b.htm. 736 Das durch den Neffen von Anna Andorn, Federico Rohr, abgeschriebene Tagebuch wurde 1981 dem Bocholter Volksblatt übergeben und vom 10. bis 22. Juni 1982 auszugsweise dort abgedruckt. 737 StdA B, ZSlg., BBV, 13. Juni 1982, Aus dem Tagebuch der Anna Andorn, Teil II, 1907-1917. 738 Ebd.

BUCH DER ERINNERUNG | 141 Anna Löwenstein ließ sich als Hilfsschwester ausbilden und wurde im Lazarett am Krankenhaus Bottrop eingesetzt. Später erlernte sie den Beruf einer Kinderkranken- schwester739.

Am Ende des Ersten Weltkriegs wurde ihr Bruder Paul Löwenstein schwer verwundet und starb.

„Ich erbat eine sofortige Beurlaubung und war bald [in Bayreuth] da. Er hat mich aber nicht erkannt. Man hatte ihm indessen beide Beine amputiert, weil man so hoffte, sein Leben zu retten, er verstarb aber am 19. Oktober 1918 [,] und meine Tätigkeit bestand hauptsächlich darin, für die Überführung der Leiche zu sorgen. Paul wurde mit allen Ehren eines tapferen Soldaten in Bocholt auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt […]“. (November 1918)740

Am 25. November 1925 zog Anna Löwenstein aus Bocholt, Osterstraße 50, nach Es- sen741.

1930 lernte sie in Essen den dreizehn Jahre älteren Lehrer Meier Andorn (* 28. Sep- tember 1872, Gemünden – ermordet am 21. Oktober 1943, Ghetto eresienstadt742) kennen.

Sie schrieb in ihr Tagebuch:

„Er ist Witwer, hat drei Söhne. Er machte mir einen Heiratsantrag. Ich glaube, ich werde, nachdem ich es mir sehr gründlich überlegt habe, annehmen. Er ist 58 Jahre alt, aber sehr rüstig, intelligent und vergnügt. Er ist Konrektor an der jüdischen Schule in Dortmund. Ich hoffe aber sehr, dass wir bald nach unserer Heirat nach Essen umziehen.“743

Drei Jahre später, 1933, heiratete Anna Löwenstein Meier Andorn744.

Im gleichen Jahr stellte sie, wie böse vorausahnend, fest:

„Mit meinem Mann verstehe ich mich gut. Auch zu den Söhnen habe ich ein gutes, herzliches Verhältnis. Das wäre alles wunderbar, wenn nicht der Hitler an die Macht gekommen wäre.“745

Erst nach der Pensionierung Meier Andorns zog das Ehepaar nach Essen in die Moo- renstraße 19, eine bürgerliche Wohngegend in der Nähe der Gruga. Dort hatten sie eine „sehr schöne, fast zu große Wohnung für uns zwei.“ 746 Anna und Meier Andorn blieben auch in Deutschland, nachdem deutlich wurde, dass die nationalsozialistische Schreckensherrschaft keineswegs eine nur kurzfristige Epi- sode sein würde.

739 Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Page of Testimony, 9. Juli 1999, Rakhel Eschet- Lebenshtein, (Nichte). 740 StdA B, ZSlg., BBV vom 15. Juni 1982, Aus dem Tagebuch der Anna Andorn. Teil III, 1917-1938. 741 Ebd., Einwohnermeldekartei 1906–1962. 742 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 831519. 743 StdA B, ZSlg., BBV vom 15. Juni 1982, Aus dem Tagebuch der Anna Andorn. Teil III, 1917-1938. 744 http://www.hagalil.com/deutschland/west/hattingen.htm. 745 StdA B, ZSlg., BBV vom 15. Juni 1982, Aus dem Tagebuch der Anna Andorn. Teil III, 1917-1938. 746 Ebd.

142 | BUCH DER ERINNERUNG Im April 1942 wurde das Ehepaar Andorn aus seiner Wohnung gewiesen. Die Eheleute mussten in das Judenghetto Holbeckshof, ein Barackenlager in Essen-Steele, ziehen747. Am 20. Juli 1942 wurden Anna und Meier Andorn zunächst nach Düsseldorf gebracht. Die Deportation von dort geschah in aller Öffentlichkeit, die Opfer wurden zunächst mit der Straßenbahn zum Bahnhof Essen-Nord gebracht. Dort standen Personen- und Güterwagen für den Weitertransport zur Sammelstelle nach Düsseldorf-Derendorf be- reit, die an reguläre Linienzüge angekoppelt wurden. Dieser Bahnhof war ansonsten Verladebahnhof für den Düsseldorfer Schlachthof.

Am 21. Juli 1942 verließ der Deportationszug mit der Nummer VII/1 mit 965 Jüdinnen und Juden748 Düsseldorf. Für die 762 Kilometer bis eresienstadt waren ungefähr 23 Stunden vorgesehen. Anna Andorn trug die Gefangenennummer 14749.

Ein SA-Mann, dem Anna Andorn während des Ersten Weltkrieges als Kranken schwester im Lazarett in Bottrop das Leben gerettet hatte, bot ihr während eines Zwischenstopps die Möglichkeit zur Flucht an. Als Anna das Angebot zunächst abgelehnt hatte, reagierte ihr Mann verärgert: „Du kannst, wenn wir in ein Konzentrationslager kommen, von außen eher was für uns tun und für unsere Befreiung sorgen.“ 750 Anna Andorn legte sich bei ihrer Ankunft im Ghetto eresienstadt zwischen die Leichen. Als die Scheinwerfer gelöscht waren, floh sie.

„Selbstverständlich machte ich mir Gewissensbisse, dachte an Meier und wie ich ihm würde helfen können.“751

Durch die Hilfe eines tschechischen katholischen Priesters lebte Anna Andorn über ein halbes Jahr im Untergrund. Dann ging sie wieder ins Ghetto eresienstadt.

„Es ist Winter und sehr kalt. Meier ist stark erkältet, sagte mir der Geistliche. [...] Ich habe den Entschluß gefaßt, nächtens mit ihm ins Lager zu gehen. Er meint auch, daß das möglich sei. Er wird mir Schwesterntracht besorgen. Ich werde das Rote-Kreuz- Zeichen anhaben, so daß keiner etwas dabei finden kann. Im Lager muß ich nur bald die Lagerkleidung bekommen. Den Plan haben wir genau so durchgeführt. Die La- gerkleidung zogen wir einer Toten aus. Meier ist glücklich, daß ich wieder in seiner Nähe bin. Leider ist er sehr schwach. [...] Am 21. Oktober 1943 starb mein lieber Mann im Schlaf. Er hat nicht gelitten, es war ein Zerfall all seiner Kräfte. Allein kann und will ich in dieser Hölle nicht weiterleben.“752

Anna Andorn wurde am 12. Oktober 1944 mit dem Transport mit der Kennung Eq zusammen mit 1.600 Häftlingen753 aus dem Ghetto eresienstadt in das Vernichtungs- lager Auschwitz verschleppt. Hierbei hatte sie die Häftlingsnummer 503754. In Auschwitz wurde sie nach ihrer Ankunft ermordet755.

747 Schröter, S. 408. 748 eresienstädter Gedenkbuch, S. 87. 749 http://www.archiv.hatingen.de/pdf/stadtgeschichte/stolperst_andorn-m.pdf; http://www.holocaust.cz/de/victims/ PERSON ITI. 258246. 750 StdA B, ZSlg., BBV vom 17. Juni 1982, Aus dem Tagebuch der Anna Andorn, Teil IV, 1939-1942. 751 Ebd. 752 Ebd., BBV vom 22. Juni 1982, Aus dem Tagebuch der Anna Andorn, Teil V, 1942-1945. 753 eresienstädter Gedenkbuch, S. 87. 754 Ebd., S. 427; http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON.ITI.258246. 755 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 831510; so auch Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Page of Testimony, 9. Juli 1990. Nach Rakhel Eschet-Lebenshtein (Nichte von Anna An- dorn) soll Anna Andorn am 31. Oktober 1942 im Ghetto eresienstadt ermordet worden sein.

BUCH DER ERINNERUNG | 143 Ida Aronsohn geborene Ostberg geboren am 8. Mai 1888 in Bocholt ermordet nach dem 11. Juli 1942 wahrscheinlich im Vernichtungslager Auschwitz

Ida Aronsohn wurde am 8. Mai 1888 im Haus Nr. 553 (heute: Nobelstraße 38) in Bocholt als Ida Ostberg geboren. Ihre Eltern waren Julie (geb. Lebenstein, * 4. April 1860, Groß- Reken – 30. Mai 1911, Bocholt756) und der Kaufmann Hermann757 Ostberg (* 25. Juli 1851, Rhede – 5. August 1923, Bocholt758).

Ida Ostberg hatte zwei Geschwister: – Else Löwenstein (geb. Ostberg, * 20. Mai 1884, Bocholt – 15. Januar 1929, Ahaus759)  Paula Isidor (geb. Ostberg, * 13. Mai 1886, Bocholt – ermordet nach dem 25. März 1942, Ghetto Izbica760).

Nach dem Tod ihrer Mutter Julie 1911 kehrte Ida Ostberg nach Bocholt zurück. Sie führte ihrem Vater Hermann als 23jährige den großen Haushalt. Nach dem Tod ihres Vaters 1923 war sie im Haushalt ihres Bruders tätig761.

1927 heiratete sie Leopold Behr (* 9. März 1877, Leimersheim – ermordet nach dem 8. November 1941, Ghetto Minsk762) in Bremen und zog zu ihm763. Die Ehe dauerte nur wenige Jahre. Ida nahm nach der Scheidung wieder ihren Geburtsnamen Ostberg an. Sie zog 1934 nach Hamburg und eröffnete im Stadtteil Harvestehude in der Rothenbaum- chaussee 233 ein kleines Heim für ältere Damen. Sie hatte Erfolg. Im Juli 1935 meldete sie eine Pension an764. Am 1. Juli 1939 musste Ida Ostberg ihre Pension verkaufen und wechselte danach mehrfach die Adresse765.

Im Januar 1941 zog sie in das Haus Lenhartzstraße 7, wo am 24. August 1939 aus Rostock auch Dr. Bernhard Aronsohn zugezogen war. Ida Ostberg und Dr. Bernhard Aronsohn heirateten am 28. November 1941766.

Am 11. März 1942 wurde ihnen von der Staatspolizei Hamburg ein Zimmer im sog. Judenhaus Kielortallee 22, der früheren Oppenheimer-Stiftung, als Wohnung an gewie- sen767. Im ehemaligen Wohnstift Kielortallee 22/24 befand sich bis Anfang 1942 die letzte kleine Synagoge in Hamburg768.

756 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 757 Laut Personenstandsregister, S. 275 ist sein Vorname Heymann, ebenso in StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. Sein Grabmal trägt auch den Namen Heymann. 758 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962 759 http://www.tenhumbergreinhard.de/familie-tenhumberg/familie-loewenstein.html. 760 Vgl. Biogramm S. 240. 761 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~mhines/GedHtml/gp155.htm 762 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 841464. 763 Nach http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~mhines/GedHtml/gp155.htm soll dieser Mann Leopold Blum gewesen sein. 764 http://www.stolpersteine-hamburg.de/en.php?MAIN_ID=7&BIO_ID=177. 765 Ebd. 766 Ebd. 767 Ebd. 768 Meyer, Beate: Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933–1945. Geschichte Zeugnis Erinnerung. Hamburg 2006, S. 50.

144 | BUCH DER ERINNERUNG Das Ehepaar wurde am 11. Juli 1942769 mit einem Transport von Hamburg und Berlin deportiert. Mit 298 anderen Leidensgefährtinnen und Leidensgefährten, unter ihnen auffällig viele Kinder und Jugendliche, wurden sie am nächsten Morgen zum Hannover- schen Bahnhof gebracht und nach Auschwitz verschleppt. Sie gelten als verschollen770. Die Abfahrt aus Hamburg ist die letzte Nachricht über Ida Aronsohn.

Wahrscheinlich wurde das Ehepaar unmittelbar nach seiner Ankunft im Vernichtungs- lager Auschwitz ermordet771.

Vor der letzten frei gewählten Wohnung von Ida und Dr. Bernhard Aronsohn in der Lenhartzstraße 7 (Hamburg-Nord, Eppendorf) liegen heute Stolpersteine772.

Erich Bach geboren am 25. März 1899 in Bocholt ermordet nach dem 24. Juli 1942 im Ghetto Minsk

Erich Bach wurde am 25. März 1899 in Bocholt geboren. Seine Eltern waren der Kaufmann Sigismund Bach (* 8. Mai 1853, Wiesbaden – 3. März 1931, Bocholt773) und dessen Frau  Helene (geb. Weyl, * 22. August 1869, Erkelenz – ermordet nach dem 19. September 1942, Vernichtungslager Treblinka774).

Sein Vater führte im Haus Stadt Nr. 38 (heute: Osterstraße 29) das Manufakturwarenge- schäft „Warenhaus Abraham Weyl“, das er von seinem Schwiegervater übernommen hatte775.

Erich Bach hatte eine ältere Schwester namens Bertha (* 22. August 1898, Bocholt776). Sie lebte im November 1951 als Bertha Moser in St. Mandé/Seine, Frankreich777.

Die Familie wohnte zunächst im Haus Nr. 38 (heute: Osterstraße 29778), ab 1925 im Haus Ritterstraße 6779. Erich Bach war im Geschäft seines Vaters tätig. Am 25. August 1925 heiratete Erich Bach  Malli (Goldschmidt, * 15. August 1900, Hersfeld – ermordet nach dem 24. Juli 1942, Ghetto Minsk780).

769 Freie Universität Berlin. Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung (Herausgeber): Gedenkbuch Berlins der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, Berlin 1995, S. 1420; BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenver- zeichnis Nr. 941 810. 770 http://www.stolpersteine-hamburg.de/index.php?&MAIN_ID=7&p=4&BIO_ID=178. 771 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 941810. 772 http://www.stolpersteine-hamburg.de/index.php?&MAIN_ID=7&p=4&BIO_ID=178. 773 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 774 Vgl. Biogramm, S. 147. 775 Einwohnerbuch 1926, S. 220. 776 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 777 Amtsgericht Bocholt Grundbuchamt Grundakten […], Band -, Blatt Nr. 166, (später Nr. 814), S. 73, Wirtschafts- treuhänder Diplom-Kaufmann Fuchs, Köln-Sülz, Berenrather Str. 133 an Grundbuchamt beim Amtsgericht Bocholt, 2. Januar 1950. 778 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 779 Ebd. 780 Vgl. Biogramm S. 150.

BUCH DER ERINNERUNG | 145 Dem Ehepaar wurde Sohn  Günther (* 20. Juli 1926, Bocholt – ermordet nach dem 24. Juli 1942, Ghetto Minsk) geboren.

In der C.V.-Zeitung, dem Verbandsorgan des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, vom 30. Juli 1926 schalteten  Malli und Erich Bach folgende Geburtsanzeige: „Günther Die glückliche Geburt eines gesunden Knaben zeigen hocherfreut an Erich Bach und Frau Mally geb. Goldschmidt Bocholt i. W., den 20. Juli 1926.“ 781

Vermutlich zog die Familie im Jahr 1931 nach Köln782. Etwa 1939 musste Erich Bach mit seiner Frau  Malli, seinem Sohn  Günther und seiner Mutter  Helene Bach in das sog. Judenhaus St.-Apern-Straße 29 – 30 ziehen783.

Am 20. Juli 1942 wurde Erich Bach zusammen mit seiner Frau  Malli sowie seinem Sohn  Günther aus Köln in das Ghetto Minsk deportiert784. Am 24. Juli 1942 trafen sie dort ein785.

Dort wurden Erich Bach, seine Frau  Malli und sein Sohn  Günther umgebracht786. Seine Mutter  Helene Bach wurde nach dem 19. September 1942 im Ver nich tungs- lager Treblinka ermordet.

Günther Bach geboren am 20. Juli 1926 in Bocholt ermordet nach dem 24. Juli 1942 im Ghetto Minsk

Günther Bach wurde am 20. Juli 1926 als Sohn von  Malli (geb. Goldschmidt, * 15. August 1900, Hersfeld – ermordet nach dem 24. Juli 1942, Ghetto Minsk787) und  Erich Bach (* 25. März 1899, Bocholt – ermordet nach dem 24. Juli 1942, Ghetto Minsk788) in Bocholt geboren789. Mit seinen Eltern wohnte er im Haus Osterstraße 29790.

781 Compact-Memory, CV-Zeitung - Blätter für Deutschtum und Judentum. Organ des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens e.V. Allgemeine Zeitung des Judentums - 30. Juli 1926 Nr. 31, S. 414. 782 An diesem Tag zog Helene Bach nach Köln (StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962). Ein Verzugs- termin für Erich, Günter und Malli Bach ist auf der Einwohnermeldekarteikarte nicht verzeichnet. 783 NS-Dokumentationszentrum Köln, 18. November 2008. 784 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 1214838. 785 Ebd., Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 786 Vgl. Biogramme, S. 146, 150; so auch Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Erinnerungs- blätter für Erich und Günter Bach vom 17. Februar 1999 und für Malli Bach vom 4. Dezember 1998 von Axel Salm (Überlebender des Ghetto Riga). 787 Vgl. Biogramm S. 150. 788 Vgl. Biogramm S. 145. 789 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 790 Ebd.

146 | BUCH DER ERINNERUNG Vermutlich im Jahre 1931 zog Günther Bach mit Geburtsanzeige Günter Bach seinen Eltern und seiner Großmutter  Helene (Compact-Memory, Bach (geb. Weyl, * 22. August 1869, Erkelenz – er- CV-Zeitung - Blätter mordet nach dem 19. September 1942, Vernich- für Deutschtum und 791 tungslager Treblinka) nach Köln . Judentum. Organ des Central-Vereins Etwa 1939 musste Günther Bach mit seinen Eltern in das sog. Judenhaus St.-Apern- deutscher Staatsbürger Straße 29 – 30 ziehen792. jüdischen Glaubens e.V. Allgemeine Zeitung des Judentums - 30. Juli 1926 An seinem 16. Geburtstag, am 20. Juli 1942, wurde Günther Bach zusammen mit sei- Nr. 31, S. 414) nem Vater  Erich Bach sowie seiner Mutter  Malli Bach gemeinsam mit 1162 an- deren Juden in das Ghetto Minsk deportiert. Am 24. Juli 1942 traf der Deportationszug dort ein793. Hier wurden Günther Bach und seine Eltern  Malli und  Erich Bach umgebracht794.

Helene Bach geborene Weyl geboren am 22. August 1869 in Erkelenz ermordet nach dem 19. September 1942 im Vernichtungslager Treblinka795

Helene Weyl wurde am 22. August 1869 im rheinischen Erkelenz geboren796. Sie war die Tochter von Asher (oder Anselm797) Weyl (* Februar 1831, Erkelenz oder Haltern – 31. Mai 1897, Kleve) und seiner Frau Flora (geb. Leffmann, * 28. August 1844, Warendorf – 7. Mai 1919, Mönchengladbach798).

In Erkelenz wurden dem Ehepaar zwölf Kinder geboren799. Im Jahre 1878 zog das Ehepaar mit den Kindern nach Kleve, wo Asher (oder Anselm) Weyl in der Großen Straße ein Manufakturwaren- und Modegeschäft führte800. „1923 wurde das […] Kauf- haus von antisemitischen Plünderern heimgesucht.“801

791 An diesem Tag zog Helene Bach nach Köln (StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962). Ein Verzugs- termin für Günter Bach und seine Eltern ist auf deren Einwohnermeldekarteikarte nicht verzeichnet. 792 NS-Dokumentationszentrum Köln, 18. November 2008. 793 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 794 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 1197439; so auch Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Erin- nerungsblatt für Erich Bach von Axel Salm (Überlebender des Ghetto Riga) vom 17. Februar 1999. 795 Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Page of Testimony, 29. Dezember 1955 von Ida Losin. Die Nichte von Helene Bach gibt an, dass Helene Bach in Auschwitz ermordet worden ist. 796 Personenstandsregister, S. 20; Krebs, Wolfgang: Die Klever Juden im Dritten Reich, Kleve 1999, S. 120. 797 Ebd. 798 Ebd. 799 Rütten, Hubert: Lebensspuren – Spurensuche, Jüdisches Leben im ehemaligen Landkreis Erkelenz, Schriften des Heimatvereins der Erkelenzer Lande, Band 22, Erkelenz 2008, S. 223. 800 Krebs, S. 116. 801 Ebd., S. 119.

BUCH DER ERINNERUNG | 147 In Kleve wurden ihnen drei weitere Kinder geboren802.

Mit ihrem Mann, dem Kaufmann Sigismund Bach (* 8. Mai 1853, Wiesbaden – 3. März 1931, Bocholt), den sie in Kleve geheiratet hatte, zog Helene Bach am 8. Oktober 1896 aus Wiesbaden in Bocholt zu803.

Das Ehepaar Bach wohnte im Haus Nr. 38 (heute: Osterstraße 29)804, das am 7. Juni 1904 durch „Witwe Kaufmann Abraham [sic] Weyl, Flora, geborene Leffmann zu Cleve und Tochter Kaufmann Siegmund [sic] Bach, Helene, geborene Weyl zu Bocholt und Kaufmann Siegmund Bach […] für 42.000,-- Mark“ gekauft worden war805. Dort führte Sigismund Bach das Manufakturwarengeschäft seines Schwiegervaters Abraham Weyl weiter806.

In die Ehe wurden in Bocholt geboren: – Bertha (* 22. August 1896, Bocholt807). Bertha Bach heiratete Ludwig Moser 808 (* 27.März 1886, Rheydt – ermordet nach dem 20. März 1943, Vernichtungslager Treblinka809). Bertha Moser lebte im November 1951 in St. Mandé/Seine, Frankreich810.  Erich (* 25. März 1899, Bocholt – ermordet nach dem 24. Juli 1942, Ghetto Minsk811)

Am 23. Mai 1901 wurde Sigismund Bach in die Repräsentantenversammlung der isra- elitischen Gemeinde Bocholt gewählt. Er wechselte nach der Wahl vom 25. November 1913 als stellvertretendes Mitglied in den Vorstand, aus dem er am 22. Mai 1918 aus- schied812.

Sigismund Bach war am 30. Mai 1897 dem St. Georgius-Schützenverein beigetreten813. 1922 wurde er beim Schützenfest für 25jährige Vereinszugehörigkeit geehrt814.

Zu den ersten demokratischen Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung 1919 trat Sigismund Bach auf der Liste der Deutschen Demokratischen Partei an. Er wurde jedoch nicht gewählt. Als Sohn  Erich am 25. August 1925 in Hersfeld  Malli (geb. Goldschmidt, * 15. August 1900, Hersfeld – ermordet nach dem 24. Juli 1942, Ghetto Minsk815) heiratete und mit seiner Frau nach Bocholt, Osterstraße 29 zog, zogen die Eltern – das Ehepaar Helene und Sigismund Bach – in das Haus Ritterstraße 6, in dem Sigismund Bach eine Wohnung besaß816.

802 Ebd. 803 Personenstandsregister, S. 20. 804 Ebd., S. 719: Bürgerbuch 1922, S, 5. 805 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke der Ehefrau Siegmund Bach, Helene, geb. Weyl zu Bocholt, des Großdeutschen Reiches (Reichsfinanzverwaltung)[,des] Kauf- mann Henry Moser und Andere[, der] Stadtgemeinde Bocholt, Band -, Blatt Nr. 166 (später Nr. 814), Seite 1. 806 Einwohnerbuch 1922, S. 185. 807 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 808 Ebd. 809 NS-Dokumentationszentrum Köln, 18. November 2008; in JHM A, Datenbank Joodsmonument, p. 531314 wird eine andere Frau als Bertha Moser als Frau von Ludwig Moser genannt. 810 Amtsgericht Bocholt Grundbuchamt Grundakten […], Band -, Blatt Nr. 166, (später Nr. 814), Grundbuchtabelle, Eintrag vom 24. November 1951. 811 Vgl. Biogramm, S. 145. 812 StdA B, SBOH 2 Nr. 1007. Wahl des Vorstandes und der Repräsentanten der Synagogengemeinde 1916–1935, Isra- elitische Gemeinde Bocholt an Stadt Bocholt, 22. Mai 1918. 813 Westerhoff, Ballotagen. 814 StdA B, Depositum St.-Georgius-Schützenverein, Festbuch zum 55. Schützenfeste am 30., 31. Juli und 1. August 1922, S. 6. 815 Vgl. Biogramm S. 150 816 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; Einwohnerbuch 1926, S. 188.

148 | BUCH DER ERINNERUNG Nach dem Tod von Sigismund Bach am 3. März 1931 zog seine Frau Helene am 14. September 1931 nach Köln817.

Als das Haus Osterstraße 27- 29 in Bocholt 1937 verkauft wurde, wohnte Helene Bach, wie in der Grundbuchtabelle im Grundbuch angegeben war, in Köln-Bayenthal, Gold- steinstraße 126818.

1939 musste Helene Bach wie auch ihr ebenfalls in Köln wohnender Sohn  Erich und dessen Familie in das sog. Judenhaus St.-Apern-Straße 29 – 30 ziehen819. Am 15. Juni 1942 verfügte der Regierungspräsident Köln über das gesamte Vermögen von Helene Bach: „Auf Grund des § 1 des Gesetzes über die Einziehung kommunistischen Vermögens vom 26. Mai 1933 – RGBl. I S. 239 – [...] wird in Verbindung mit dem Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Verwertung des Vermögens von Reichsfeinden vom 29. Mai 1941 – RGBL. I S. 303 – das gesamte Vermögen der Bach, Helene Sara, geboren 22.8.1869, zuletzt wohnhaft in Köln, Baracke 5 V[,] zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen.“820

An diesem Tag wurde Helene Bach ohne ihre Angehörigen gemeinsam mit 963 Men- schen jüdischen Glaubens821 aus dem Bereich der Staatspolizei(leit)stellen Koblenz, Köln und Düsseldorf vom Tiefbahnhof Köln-Deutz mit dem Deportationszug III/1 de- portiert822.

Am 16. Juni 1942 traf der Zug im Ghetto eresienstadt ein. Von dort aus ging am 19. September 1942 ein sogenannter Altentransport mit der Bezeichnung „Bo“823 in das Vernichtungslager Treblinka824. In diesem Altentransport war auch Helene Bach. Dies war die letzte Nachricht über Helene Bach825. Ihr Sohn  Erich, dessen Frau  Malli und beider Sohn  Günther826 wurden nach dem 24. Juli 1942 im Ghetto Minsk ermordet.

Die beiden Enkelkinder von Helene Bach, Henry Moser in St. Mandé/Seine, Frankreich, und Irmgard Daniels, geb. Moser, Hants, England, überlebten mit ihrer Mutter Bertha Moser, geb. Bach, die Shoah. Bertha Moser lebte im November 1951 in St. Mandé/ Seine, Frankreich827.

1951 erhielten die Enkelkinder das 1942 enteignete Grundstück Osterstraße 27–29 durch einen Beschluss des Wiedergutmachungsamtes beim Landgericht Münster zurückerstattet; sie wurden am 24. November 1951 als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen. Am 21. Januar 1952 verkauften sie das Grundstück an die Stadt Bocholt828.

817 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 818 Amtsgericht Bocholt Grundbuchamt Grundakten […]Band -, Blatt Nr. 166, (später Nr. 814), Grundbuchtabelle. 819 NS-Dokumentationszentrum Köln, 18. November 2008. 820 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten [...] Band -, Blatt Nr. 166 (später Nr. 814), Oberfinanzpräsident Westfalen in Münster an Amtsgericht Bocholt - Grundbuchamt – vom 3. April 1943, Nr. 0 5300/2616/S, Seite 29. 821 eresienstädter Gedenkbuch, S. 75. 822 NS-Dokumentationszentrum Köln, 18. November 2008. 823 eresienstädter Gedenkbuch, S. 327. 824 http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON.ITI.264499 825 eresienstädter Gedenkbuch, S. 327. Nach Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Erinne- rungsblatt für Helene Bach von ihrer Nichte Agnes Losin, Israel, vom 29. Dezember 1955, wurde Helerne Bach zu einem nicht bekannten Zeitpunkt im Vernichtungslager Auschwitz ermordet. 826 Vgl. Biogramme S. 145, 146, 150. 827 Amtsgericht Bocholt Grundbuchamt Grundakten […], Band -, Blatt Nr. 166, (später Nr. 814), Wirtschaftstreu- händer Diplom-Kaufmann Fuchs, Köln […] an Grundbuchamt beim Amtsgericht Bocholt, 2. Januar 1950, S. 73. 828 Ebd., S. 101, Verkauf des Grundstücks Osterstraße 29 (5,52 a) durch die Erben Henri Moser und Irmgard Daniels […] an die Stadt Bocholt, 21. Januar 1952.

BUCH DER ERINNERUNG | 149 Malli Bach geborene Goldschmidt geboren am 15. August 1900 in Bad Hersfeld ermordet nach dem 24. Juli 1942 im Ghetto Minsk

Malli Goldschmidt wurde am 15. August 1900 in Bad Hersfeld in der Oberen Frauen- straße 197 als Tochter von Louis Goldschmidt (* 18. September 1856, Bad Hersfeld – 21. Juli 1931, Bad Hersfeld) und seiner zweiten Frau Sahra (geb. Schwarz, * 16. Novem- ber 1858, Bad Hersfeld – 1920, Bad Hersfeld) geboren829.

Ihr Vater Louis Goldschmidt war zweimal verheiratet. Seine erste Frau Sophie (geb. Adler, * 1872, Kassel) starb am 11. Juni 1890 in Bad Hers- feld 830.

Aus der zweiten Ehe ihres Vaters mit Sahra Goldschmidt entstammten die Kinder: – Feodor Goldschmidt (* Januar 1892 – 17. März 1892, Bad Hersfeld) 831 – Max Goldschmidt (* 19. Juli 1893, Bad Hersfeld – gefallen 1. Juli 1917 in Brzezay bei Olchowiec als Landsturmmann)832 – Minna Goldschmidt (* 12. September 1895, Bad Hersfeld – durch Beschluss des Amtsgerichts Hildesheim für tot erklärt, Zeitpunkt des Todes 31.12.1945)833 – Frieda Kugelmann (geb. Goldschmidt, * 25. Oktober 1897, Bad Hersfeld – ermordet 1943, Ghetto Außenlager Riga-Straszdenhof834) – Malli Goldschmidt.

1916 wohnte die Familie in der Breitenstraße 14 in Bad Hersfeld835.

Am 25. August 1925 heiratete Malli Goldschmidt in Bad Hersfeld  Erich Bach (* 25. März 1899, Bocholt – ermordet nach dem 24. Juli 1942, Ghetto Minsk836). Malli Goldschmidt zog nach Bocholt in die Osterstraße 29 837.

In die Ehe wurde  Günther Bach (* 20. Juli 1926, Bocholt – ermordet nach dem 24. Juli 1942, Ghetto Minsk) geboren838.

In der C.V.-Zeitung vom 30. Juli 1926 schalteten Malli und  Erich Bach folgende Geburtsanzeige: „Günther Die glückliche Geburt eines gesunden Knaben zeigen hocherfreut an Erich Bach und Frau Mally geb. Goldschmidt Bocholt i. W., den 20. Juli 1926.“ 839

829 StdA Bad Hersfeld, 8. Oktober 2009. 830 Ebd. 831 Ebd. 832 Ebd. 833 Ebd. 834 Buch der Erinnerung, Band 2, S. 674. 835 StdA Bad Hersfeld, 8. Oktober 2009. 836 Vgl. Biogramm S. 145. 837 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 838 Vgl. Biogramm S. 146. 839 Compact-Memory, C.V.-Zeitung vom 30. Juli 1926.

150 | BUCH DER ERINNERUNG Vermutlich zog die Familie am 14. September 1931 nach Köln840.

Etwa 1939 musste Malli Bach mit Mann und Kind in das sog. Judenhaus St.-Apern- Straße 29–30 ziehen841.

1942 zwang man Malli Bach, mit ihrem Mann  Erich, ihrem Sohn  Günther und Schwiegermutter  Helene Bach in ein Barackenlager in Köln zu ziehen842.

Am 20. Juli 1942 wurde Malli Bach zusammen mit ihrem Mann  Erich und Sohn  Günther sowie 1162 weiteren Juden aus dem Bereich der Staatspolizeileitstelle Köln in das Ghetto Minsk deportiert. Am 24. Juli 1942 trafen sie dort ein843.

Im Ghetto Minsk wurde Malli Bach umgebracht844.

Meta Baum geborene Seif geboren am 22. Oktober 1908 in Moschin (Regierungsbezirk Posen) ermordet nach dem 13. Dezember 1941, vor Herbst 1944 im Ghetto Riga/Konzentra- tionslager Kaiserwald

Meta Seif wurde am 22. Oktober 1908 in Moschin/Regierungsbezirk Posen geboren als Tochter von  Regina (geb. Simoni, * 22. Mai 1876, Moschin – ermordet nach dem 31. Januar 1942, Ghetto Riga845) und  Salomon Seif (* 28. März 1884, Schwersenz – ermordet nach dem 31. Januar 1942, Ghetto Riga 846).

Der Ehe von  Regina und  Salomon Seif entstammten die Kinder: – Meta Baum  Richard (* 8. Januar 1910, Moschin847 – ermordet nach dem 13. September 1942, Vernichtungslager Auschwitz848)  Margot Wallega (geb. Seif, * 1. Mai 1911, Moschin – ermordet am 10. September 1943 Vernichtungslager Auschwitz849)

840 An diesem Tag zog Helene Bach nach Köln (StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962). Ein Verzugs- termin für Malli Bach ist auf deren Einwohnermeldekarteikarte nicht verzeichnet. 841 NS-Dokumentationszentrum Köln, 18. November 2008. 842 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten über die Grundstücke der Ehefrau Siegmund Bach, Helene, geborene Weyl zu Bocholt [,] des Großdeutschen Reiches (Reichsfinanzverwaltung[,] Stadtgemeinde Bocholt[,] Kaufmann Henry Moser und Andere, Blatt Nr. 166. 843 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 844 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 1476534; so auch Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Erin- nerungsblatt für Erich Bach von Axel Salm (Überlebender des Ghetto Riga) vom 17. Februar 1999. 845 Vgl. Biogramm S. 366. 846 Vgl. Biogramm S. 373. 847 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 848 Vgl. Biogramm S. 368. 849 Vgl. Biogramm S. 422.

BUCH DER ERINNERUNG | 151 – Sigmar (* 2. März 1913, Moschin, er überlebte mehrere Konzentrationslager, u. a. das Vernichtungslager Auschwitz850, 2008 lebte er in den USA851)  Rosa (* 24. Mai 1914, Moschin – ermordet nach dem 28. April 1942, Ghetto Kras- nystaw 852)  Irma Bilski (geb. Seif, * 14. April 1920, Schrimm – ermordet nach dem 2. März 1943, Vernichtungslager Auschwitz 853).

Kurze Zeit nach der Geburt des jüngsten Kindes Irma musste die Familie Schrimm bei Posen verlassen 854. Der Regierungsbezirk Posen war durch den Versailler Vertrag vom 28. Juli 1919 an Polen abgetreten worden. Am 1. März 1920 zog Familie Seif in Bocholt zu.

Zunächst fand sie eine Bleibe im israelitischen Gemeindehaus – zugleich israelitische Schule – am Nordwall 26. Drei Monate später zogen die Seifs am 2. Dezember 1920 in die Waisenhausstraße 6 855.

Am 31. Mai 1924 zog die Familie endgültig in das Haus Nobelstraße 28856, das unmit- telbar links neben der Synagoge lag. Hier war der Arbeitsplatz von Vater Salomon Seif als Küster in der Synagoge und als Schächter (ritueller Schlachter)857.

Im Jahre 1924 zog Meta Seif für mehrere Monate nach Mannheim. Danach kehrte sie nach Bocholt zurück858.

Meta Seif heiratete am 7. Februar 1930 in Bocholt Markus Baum (* 22. September 1901, Schrimm – ermordet nach dem 13. Dezember 1941, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald 859) und zog zu ihm nach Wesel860. Doch erst am 22. Mai 1930 meldete sie sich im Einwohnermeldeamt nach Wesel, Esplanade 16, ab861.

Als Beruf des Ehemanns wurde in den Unterlagen aus dem Stadtarchiv Wesel zunächst „Arbeiter“, dann „Rangierer“ genannt862.

Dem Ehepaar wurden in Wesel vier Kinder geboren: – Ruth (* 2. März 1932 – ermordet nach dem 13. Dezember 1941, Ghetto Riga/Konzen- trationslager Kaiserwald) – Marianne (* 14. Februar 1933 – ermordet nach dem 13. Dezember 1941, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald) – Frieda (* 5. März 1934, Wesel – ermordet nach dem 13. Dezember 1941, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald)

850 StdAB, Stadt Bocholt Nr. 3. Akte nach dem BEG 3-917, Sigmar Seif (Paterson/USA) an Stadt Bocholt, 20. Au- gust 1952. Nach Informationen der Gedenkstätte eresienstadt (http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON. ITI.2208441) soll Sigmar Seif mit dem Transport XXIV/7 aus den Niederlanden in das Ghetto eresienstadt und von dort mit dem Transport El in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet worden sein. 851 Hinweis des Großneffen, Benno Simoni, Berlin, 31. Januar 2008. 852 Vgl. Biogramm S. 371. 853 Vgl. Biogramm S. 156. 854 StdA B, SBOH 2 Nr. 1012.Tumultschadenssache Seif. 30. Juni 1933 Antrag des Küsters Salomon Seif, in Bocholt i. W. Nobelstr. Nr. 28[,] auf Erstattung der Schäden, die mir am 31. März 1933 zum 1. April 1933 des Nachts ent- standen sind. 855 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 856 Ebd. 857 Ebd., SBOH 2 Nr. 1012. Tumultschadenssache Seif. Antrag vom 30. Juni 1933, S. 2. 858 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 859 Buch der Erinnerung, S. 694, 698. 860 StdA Wesel, 18. September 2008. 861 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 862 StdA Wesel, 18. September 2008.

152 | BUCH DER ERINNERUNG – Dora (* 17. Januar 1936, – ermordet nach dem 13. Dezember 1941, Ghetto Riga/ Konzentrationslager Kaiserwald)863.

„Dora, das Kind von Meta Baum, geborene Seif, lag im Weseler Krankenhaus, als der Deportationsbefehl kam. Es mußte auf Weisung der Gestapo aus dem Krankenhaus geholt werden. Die Schwestern hatten Frau Seif angefleht, ihr Kind im Krankenhaus zu lassen.“ (Anna Roloff, Bocholt, Nachbarin864)

Am 10. Dezember 1941 wurden 22 Juden aus Wesel verhaftet und nach Düsseldorf ge- bracht. Ein Deportationszug fuhr am 11. Dezember 1941 vom Schlachthof in Düssel- dorf in das Ghetto Riga. Er kam am 13. Dezember 1941 an der Bahnstation Skirotawa beim Ghetto Riga an.

Die Namen von Ruth, Marianne, Frieda, Dora und Meta Baum auf der Transportliste sind ihre letzte Spur865. Sie wurden im Ghetto Riga ermordet. Ihr Mann und Vater Markus Baum wurde dort am 5. Juli 1942 umgebracht866.

Otto Berla geboren am 25. November 1870 in Bocholt ermordet am 5. November 1943 im Ghetto eresienstadt

Otto Berla wurde am 25. November 1870 „um 7 Uhr abend[s]” als Sohn von Leopold Berla (* 1850, Bocholt – 1932, Dortmund) und Bertha Weinberg in Bocholt geboren. Die El- tern waren nicht verheiratet867.

Leopold Berla und Bertha Weinberg verzogen mit den Kindern vor 1886 nach Hamm. Dort heiratete Otto Berla später Henny Jenny Weingarten (* 9. November 1875, Herford – ermordet am 13. September 1942, Ghetto eresienstadt868).

Dem Ehepaar wurden in Hamm zwei Kinder geboren: – Hans (* 12. Mai 1902 – ermordet am 17. Dezember 1942, Ghetto eresienstadt869) – Ruth Carla (* 4. August 1904 – ermordet nach dem 1. Mai 1942, Ghetto Zamosc870).

863 Buch der Erinnerung, S. 698; über die Ermordung von Dora, Frieda, Marianne und Ruth Baum liegen keine ge- nauen Hinweise vor. Das Buch der Erinnerung schreibt jedoch zu diesen Kindern, sie seien in bzw. beim Ghetto Riga ermordet worden. Die aus Bocholt stammende und aus Dortmund am 27. Januar 1942 in das Ghetto Riga deportierte Edith Marx erinnert sich in ihrem Erlebnisbericht Wir fühlten uns wie Schlachtvieh , S. 470, daran, dass viele Kinder bei der Auflösung des Ghettos am 2. November 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden. 864 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Anna Roloff (1904 – 2004), Bocholt, gemeinsam mit ihrer Tochter Maria Lüer (* 1926) und deren Mann (* 1925), Isselburg-Werth, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur am 24. Juli 1988. 865 Buch der Erinnerung, Bd. 2, S. 698. 866 Ebd. 867 StdA B, Geburtenregister der jüdischen Gemeinde Bocholt. 868 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 84204. 869 Ebd., Nr. 841205. 870 Ebd., Nr. 841207.

BUCH DER ERINNERUNG | 153 Die Tochter Ruth Carla Berla wurde am 27. April 1942 in Hamm verhaftet und in das Gefängnis der Staatspolizeistelle Dortmund, die Steinwache, gebracht. Dort vegetierten die zur Deportation vorgesehenen Juden bis zum 28. April 1942871.

An diesem Tag wurden aus Dortmund 1000 Menschen jüdischen Glaubens deportiert. Der Zug hatte am 1. Mai 1942 das Ghetto Zamosc südwestlich von Warschau in Polen erreicht872. Ruth Carla Berla gilt als dort ermordet. Nach 1945 wurde sie für tot erklärt873.

Am 28. Juli 1942 wurden Henny Jenny sowie Otto Berla und ihr Sohn Hans aus Hamm ebenfalls in die Steinwache nach Dortmund gebracht.

Von dort wurden sie zusammen mit 968 Menschen am 30. Juli 1942 in das Ghetto eresienstadt deportiert874, das sie am 31. Juli 1942 erreichten875.

Der Zug trug die Bezeichnung „Da 72“876 bzw. X1877. Die Häftlingsnummer von Otto Berla während des Transports war 676 878.

In diesem Zug waren auch acht Bocholterinnen und Bocholter jüdischen Glaubens sowie aus Minden  Clärchen (geb. Meyer, * 21. August 1882, Münster – ermordet nach dem 23. September 1942, Vernichtungslager Treblinka879) und  Ernst Weyl (* 23. Juni 1873, Bocholt – ermordet nach dem 23. September 1942, Vernichtungs lager Treblinka880), die bis 1938 in Bocholt gewohnt hatten.

Am 5. November 1943 erlag Otto Berla den mörderischen Lebensbedingungen im Ghetto eresienstadt881.

871 Brand, Mechtild: Geachtet geächtet. Das Leben der Hammer Juden in diesem Jahrhundert, Hamm 1991, S. 194. 872 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 873 Brand, S. 314. 874 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 01037; eresienstädter Gedenkbuch, S. 72. 875 Ebd., Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 876 Terezínská pametní kniha / eresienstädter Gedenkbuch, Institut eresienstädter Initiative, Band II: Me- lantrich, Praha 1995; Band III: Academia, Praha 2000, wiedergegeben auf http://www.yadvashem.org/wps/ portal/!ut/p/_s.7_0_A/7_0_FL/.cmd/acd/.ar/sa.portlet.VictimDetailsSubmitAction/.c/6_0_9D/.ce/7_0_V9/.p/5_0_ P1/.d/0?victim_details_id=4787825&victim_details_name=Berla+Otto&q1=2ej6nBT6cpQ%3D&q2=pPc4xEsmzp MywafNnvlZvLs9P7W5tp3I&q3=adsYslud0jM%3D&q4=adsYslud0jM%3D&q5=dMM2jhks%2FMo%3D&q6=3rqi y9QuDPU%3D&q7=f0vH4b4vg7430NMAkXgtIfGXZ6CYfAV4&frm1_npage=1#7_0_V9 877 eresienstädter Gedenkbuch, S. 534. 878 Terezínská pametní kniha, nach: http://www.yadvashem.org/wps/portal/!ut/p/_s.7_0_A/7_0_FL/.cmd/ acd/.ar/sa.portlet.VictimDetailsSubmitAction/.c/6_0_9D/.ce/7_0_V9/.p/5_0_P1/.d/0?victim_details_ id=4787825&victim_details_name=Berla+Otto&q1=2ej6nBT6cpQ%3D&q2=pPc4xEsmzpMywafNnvlZvLs9P7W 5tp3I&q3=adsYslud0jM%3D&q4=adsYslud0jM%3D&q5=dMM2jhks%2FMo%3D&q6=3rqiy9QuDPU%3D&q7=f0 vH4b4vg7430NMAkXgtIfGXZ6CYfAV4&frm1_npage=1#7_0_V9 879 Vgl. Biogramm, S. 430. 880 Vgl. Biogramm, S. 433. 881 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 841206; eresienstädter Gedenkbuch, S. 534.

154 | BUCH DER ERINNERUNG Rosa Bier geborene Silberschmidt geboren am 2. August 1877 in Bocholt ermordet nach dem 21. September 1942 im Vernichtungslager Treblinka882

Rosa Silberschmidt wurde am 2. August 1877 im Haus Nr. 10 (heute: Osterstraße 5) als Tochter der Ehefrau Lina (oder Engelina) (geb. Cohen, * 18. März 1850, Dedersum/ Niederlande – 7. Juni 1901, Bocholt883) und des Metzgers Levy Silberschmidt (* 17. Februar 1842, Hengelo/Niederlande – 7. Juni 1911, Bocholt884) geboren. Ihr Vater Levy führte eine Fleischerei885.

Die Eheleute bekamen folgende Kinder: – Jacob (* 15. November 1873, Bocholt886 – 20. September 1927, Bocholt887) – Isidor (* 28. Juli 1875, Bocholt888 – 29. November 1938, Bocholt889) – Rosa Bier – Hermann (* 28. Juni 1879, Bocholt – gestorben nach 1948 in San Juan, Puerto Rico890)  Henriette (Henny) Levy (geb. Silberschmidt, * 16. Oktober 1881, Bocholt891 – ermordet 1942, Ghetto Lublin892) – Dr. Ludwig (oder Louis) (* 8. Dezember 1883, Bocholt – 4. Juni 1948, Brüssel/ Belgien893) – August (* 6. Juli 1887 894, Bocholt – lebte im März 1951, Brüssel/Belgien 895).

Später verzog Rosa Silberschmidt nach Köln und heiratete Karl Bier (* 1873, Ensen am Rhein – ermordet nach dem 19. September 1942, Vernichtungslager Treblinka896). Hier wohnten sie im Haus am Eigelstein 7 897.

Im Frühjahr 1942 kam das Ehepaar in das Lager Müngersdorf 898. Am 15. Juni 1942 wurden Rosa Bier – inzwischen 65 Jahre alt – und ihr Mann Karl mit 960 Menschen jüdischen Glaubens mit dem Zug III/1 vom Bahnhof Köln-Deutz-Tief in das Ghetto eresienstadt deportiert 899.

882 Es gibt nach der Auskunft des NS-Dokumentationszentrums Köln vom 23. Juni 2009, ohne weiteren Quellennach- weis, den Verweis darauf, dass Rosa Bier nach Minsk deportiert wurde. 883 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 884 Ebd. 885 Ebd. 886 Personenstandsregister, S. 437. 887 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 888 Personenstandsregister, S. 437. 889 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 890 Fachbereich Zentrale Verwaltung – Interne Dienste – Ordner: Jüdische Mitbürger. Hermann Silversmith an Ober- bürgermeister Hochgartz, 15. Februar 1982. 891 Personenstandsregister, S. 437. 892 Vgl. Biogramm S. 258. 893 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~alcalz/aufbau/1948/1948pdf/j14a25s08170045.pdf, Aufbau, June 18, 1948. 894 Personenstandsregister, S. 437. 895 Amtsgericht Bocholt, Abteilung 5, Toderklärungsakte Martha Silberschmidt, II-34/1 Blatt 1, Treuhänder Erich Bendix, Rupichteroth, an Amtsgericht Bocholt, 29. März 1951. 896 NS-Dokumentationszentrum Köln vom 18. November 2007. 897 Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Feuille de Témoignage de Erich Carl Isaak Horn (Neffe), Bruxelles/Belgie, 1. Juli 1998. 898 http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON.ITI.295621. 899 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich; eresienstädter Gedenkbuch, S. 61.

BUCH DER ERINNERUNG | 155 Rosa Bier hatte die Transportnummer 848 900. Von dort wurden sie am 19. September 1942 in einem Deportationszug mit der Bezeichnung „Bo“ mit 2000 Menschen in das Vernichtungslager Treblinka deportiert901. Hier trug Rosa Bier die Transportnummer 1584902.

In Treblinka kamen sie am 21. September 1942 an903. Hier wurden Rosa und Karl Bier ermordet904.

Irma Bilski geborene Seif geboren am 14. April 1920 in Schrimm (Regierungsbezirk Posen) ermordet nach dem 2. März 1943 im Vernichtungslager Auschwitz

Irma Seif wurde am 14. April 1920 in Schrimm im damaligen deutsch-polnischen Grenz gebiet geboren905.

Hier machten ihre aus Moschin/Regierungsbezirk Posen ausgewiesenen Eltern  Regina (geb. Simoni, * 22. Mai 1876, Moschin – ermordet nach dem 31. Januar 1942, Ghetto Riga906) und  Salomon Seif (* 28. März 1884, Schwersenz – ermordet nach dem 31. Januar 1942, Ghetto Riga 907) mit ihren Kindern Rast908.

Ihre sechs Kinder waren:  Meta Baum (geb. Seif, * 22. Oktober 1908, Moschin – ermordet nach dem 13. Dezem- ber 1941, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald909)  Richard (* 8. Januar 1910, Moschin – ermordet nach dem 13. September 1942, Ver- nichtungslager Auschwitz910)  Margot Wallega (geb. Seif, * 1. Mai 1911, Moschin – ermordet nach dem 10. Septem- ber 1943, Vernichtungslager Auschwitz911) – Sigmar (* 2. März 1913, Moschin, er überlebte u. a. das Vernichtungslager Auschwitz 912 und lebte 2008 in USA913)

900 http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON.ITI.295621. 901 eresienstädter Gedenkbuch, S. 78. 902 http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON.ITI.295621. 903 eresienstädter Gedenkbuch, S. 329. 904 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 843276; eresienstädter Gedenkbuch, S. 329. 905 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 906 Vgl. Biogramm S. 366. 907 Vgl. Biogramm S. 373. 908 StdA B, SBOH 2 Nr. 1012, Tumultschadenssache Salomon Seif, Antrag des Küsters Salomon Seif, in Bocholt i. W. Nobelstr. Nr. 28 auf Erstattung der Schäden, die mir am 31. März 1933. zum 1. April 1933 des Nachts entstanden sind, vom 30. Juni 1933, S. 2. 909 Vgl. Biogramm S. 151. 910 Vgl. Biogramm S. 368. 911 Vgl. Biogramm S. 422. 912 StdA B, Stadt Bocholt Nr. 3. Akte nach dem BEG 3-917, Sigmar Seif (Paterson/USA) an Stadt Bocholt, 20. Au- gust 1952. Nach Informationen der Gedenkstätte eresienstadt (http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON. ITI.2208441) soll Sigmar Seif mit dem Transport XXIV/7 aus den Niederlanden in das Ghetto eresienstadt und von dort mit dem Transport El in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet worden sein. 913 Mitteilung seines Großneffen Benno Simoni, Berlin, 31. Januar 2008.

156 | BUCH DER ERINNERUNG  Rosa (* 24. Mai 1914, Moschin – ermordet nach dem 28. April 1942, Ghetto Kras- nystaw914)  Irma.

Am 1. März 1920 zog die achtköpfige Familie in Bocholt zu 915. Die Familie wohnte nach zwei Umzügen in Bocholt seit dem 31. Mai 1924 im Haus Nobelstraße 28916. Das Haus lag unmittelbar neben der Synagoge, dem Arbeitsplatz ihres Vaters  Salomon Seif. Irma Seif wird ab 1927 die israelitische Schule in Bocholt besucht haben. Danach erlernte sie den Schneiderinnenberuf917.

Als Mitte Mai 1939 die beiden Häuser Nobelstraße 28 und 30 abgebrochen wurden, zogen die beiden Mietfamilien Roloff und Seif fort918.  Regina und  Salomon Seif mussten mit ihrer Tochter Irma am 25. Mai 1939 zur jüdischen Familie Josef Metzger in deren Haus im Niederbruch 20 ziehen. Dieses Haus war jetzt ein sog. Judenhaus.

Irma Seif wohnte mit „[...] Ich kann mich noch daran erinnern, daß unsere Nachbarin Käthe Farwick, die im ihren Eltern Regina Textilgeschäft Hermann Pottmeyer arbeitete, weißen Stoff organisierte, damit Irma und Salomon Seif von Seif in weiß heiraten konnte.“ 1924 bis 1939 im Haus (Frau K., * 1926919) Nobelstraße 28. (StdA B., Bilder samm- Am 17. Juli 1939920 zog Irma Seif nach Berlin und heiratete dort Heinz Bilski (* 28. Okto- lung, Nobelstraße) ber 1915, Berlin – ermordet am 4. März 1943, Vernichtungslager Auschwitz921).

Am 18. März 1942 wurde dem Ehepaar Sohn Joel (ermordet am 2. März 1943, Vernich- tungslager Auschwitz922) geboren. Die kleine Familie wohnte zuletzt im sog. Judenhaus Schönhauser Allee 185 in Berlin-Prenzlauer Berg923. Hier hatte sich früher ein jüdisches Kinderheim befunden924.

Zusammen mit 1719 Menschen jüdischen Glaubens aus Berlin wurden Irma Bilski, ihr Mann Heinz und Sohn Joel am 1. März 1943 mit dem 31. Transport deportiert, der am nächsten Tag das Vernichtungslager Auschwitz erreichte925. Hier wurden Irma, Heinz und Joel Bilski ermordet926.

Von der achtköpfigen Familie Regina und Salomon Seif überlebte nur Sohn Sigmar Arbeits- und Konzentrationslager im von deutschen Truppen besetzten Polen und wanderte in den frühen 1950er Jahren mit seiner niederländischen Frau in die USA aus. Hier lebte er im Jahre 2008 noch.

914 Vgl. Biogramm S. 371. 915 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 916 Ebd. 917 Privatbesitz Josef Niebur, Niederschrift über ein Interview mit N. N. (Nachbarin der Familie Seif), geführt am 7. Januar 1994 von Josef Niebur und Werner Sundermann. 918 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 919 Privatbesitz Josef Niebur, Niederschrift über ein Interview mit N. N. (Nachbarin der Familie Seif), geführt am 7. Januar 1994 von Josef Niebur und Werner Sundermann. 920 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 921 Gedenkbuch Berlin, S. 1333. 922 Ebd. 923 Ebd., S. 1419. 924 Ebd. 925 Ebd., S. 119. 926 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 1038840. Nach Auskunft des ITS Internationaler Such- dienst , Arolsen, an Sigmar Seif, Paterson/USA, vom 29. Juni 1956 (Amtsgericht Bocholt, Abteilung 5, Seif, Salomon und Regina, 5 II 28-29/56) wurde Irma Bilski im Konzentrationslager Izbica ermordet.

BUCH DER ERINNERUNG | 157 Adolf Blumenthal geboren am 6. Oktober 1887 in Heesen bei Hamm ermordet nach dem 15. Dezember 1941 im Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiser wald

Adolf Blumenthal zog 1931 aus Heesen bei Hamm927 zu seiner Schwester Hedwig (geb. Blumenthal, * 14. Oktober 1878, Heesen bei Hamm – lebte 1962 in Buenos Aires/ Argen tinien928) und deren Mann Josef Metzger (* 30. September 1877, /Kreis Borken929 – lebte 1962 in Buenos Aires/Argentinien930) in das Haus Niederbruch 20 in Bocholt931.

Erna Grünebaum (geb. Metzger), die bereits 1938 nach Argentinien geflohene Tochter von Hedwig und Josef Metzger, erinnerte sich: „Bei uns zu Hause lebte noch eine Schwester von mir (Hilde[932]), ein taubstummer Bruder meiner Mutter (Simon Blumental[933]) und aus Hamm ein lediger Bruder (Adolf Blumental). Er war Eisenbahnarbeiter und heiratete in späteren Jahren in Bocholt eine Witwe mit Namen Zitnik[934], Schneiderin mit zwei Kindern. Dann waren da noch Isidor[935] und Selma Metzger[936], beide Geschwister meines Vaters.“937

Vom 15. Juli bis zum 16. Oktober 1940 befand sich Adolf Blumenthal – wie auch der in Bocholt geborene  Siegfried Landau938 – kurzzeitig im Arbeitserziehungslager in Laer (heute: Kreis Steinfurt)939.

Am 30. August 1940 heiratete Adolf Blumenthal, der hierfür Urlaub aus dem Arbeits- erziehungslager erhalten hatte, die Witwe  Rahel (geb. Roth, verwitwete Zytnik, * 17. Februar 1901, Schrimm/Regierungsbezirk Posen – ermordet nach dem 1. Oktober 1944, Konzentrationslager Stutthof940), die bei ihrer Mutter  Marianne Roth (geb. Dienstag, * 7. Juni 1868, Schrimm/Regierungsbezirk Posen - ermordet nach dem 23. September 1942, Vernichtungslager Treblinka941) im Haus Königstraße 9 wohnte942.

Zu dieser Adresse meldete sich Adolf Blumenthal am 8. September 1940 um943.

927 Kreienfeld, Rita: Sie waren ja so beliebt. Die Geschichte der Blumenthals aus Heesen, Schrien des Hammer Heimatver- eins e. V. He 3, Hamm 2000, S. 24. 928 StdA B, 57 K 102, - ohne Titel -. Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962) 929 Ebd., verlmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 930 Ebd., Stadt Bocholt 3, Akte nach dem BEG 959, Josef Metzger. Registerblatt. 931 StdA B, verlmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 932 Vgl. Biogramm S. 321. 933 Vgl. Biogramm S. 163. 934 Gemeint ist Rahel Zytnik, die spätere Frau von Adolf Blumenthal. 935 Vgl. Biogramm S. 323. 936 Vgl. Biogramm S. 326. 937 BBV-Sonderbeilage, Weihnachten 1981, „Erna Grünebaum schreibt aus Argentinien. 1938 ausgewandert aus politischen Gründen. ‚Ich habe meine ganze Familie verloren’ “, ohne Seitenzählung. 938 Vgl. Biogramm S. 254. 939 Ascho , Diethard, Möllenho , Gisela, Ohl, Irmgard: Fünf Generationen Juden in Laer, Band 9 von Geschichte und Leben der Juden in Westfalen, Münster 2007, S. 183. 940 Vgl. Biogramm S. 160. 941 Vgl. Biogramm S. 354. 942 Standesamt Bocholt, 25. Oktober 2007. 943 StdA B, verlmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

158 | BUCH DER ERINNERUNG Am 23. September 1941 wurden Adolf und  Rahel Blumenthal gezwungen, in das sog. Judenhaus, Bahnhofstraße 16, zu ziehen944.

Am 5. Dezember 1941 zogen seine Stiefkinder  Edith (* 11. Oktober 1933, Bocholt – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, Ghetto Riga945) und  Manfred Zytnik (* 5. September 1932, Bocholt – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, Ghetto Riga946) auch in dieses Haus947.

Am 10. Dezember 1941 brachte die Geheime Staatspolizei 25 Bocholter Juden – unter ihnen Adolf Blumenthal und seine Familie – in das Sammellager in der ehemaligen Gaststätte Gertrudenhof in Münster948.

In die Einwohnermeldekarteikarte des Ehepaares Adolf Blumenthal wurde zunächst eingetragen: „10.12.41 n. Riga/Lettland.“ 949 Aufgrund des Schreibens der Staatspoli- zei leitstelle Münster vom 18. Juli 1942 an die Meldeämter wurde dieser Vermerk ge- schwärzt und durch den Eintrag „unbekannt verzogen (ausgewandert)“ ersetzt950.

Die Deportation in das Ghetto Riga erfolgte am 13. Dezember 1941. Dort kam der Zug am Abend des 15. Dezember 1941 an. Adolf Blumenthals Spur verliert sich in oder um Riga951.

Seine Frau  Rahel Blumenthal lebte noch, als das Konzentrationslager Kaiserwald im Spätsommer 1944 aufgelöst wurde. Sie wurde am 1. Oktober 1944 in das Konzentra- tionslager Stutthof deportiert, wo sie ermordet wurde952.

Die Namen von Adolf und  Rahel Blumenthal sowie deren Kinder  Manfred und  Edith Zytnik und von  Marianne Roth sind auf der Gedenktafel für die unmittelbar aus Bocholt 1941/42 deportierten Menschen jüdischen Glaubens in der Gedenkstätte für die ehemalige Bocholter Synagoge verzeichnet 953.

Vor dem Haus Königstraße 9 liegen Stolpersteine, einer erinnert an Adolf Blumenthal954.

944 Ebd. 945 Vgl. Biogramm S. 443. 946 Vgl. Biogramm S. 445. 947 StdA B, verlmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 948 Vgl. S. 110. 949 StdA B, verlmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 950 Ebd., Nacke, Aloys: Judendeportation im Kreis Borken. Ein Beitrag zur Geschichte der Endlösung, in: Heimatverein Vreden, S. 170. 951 Buch der Erinnerung, Band 2, S. 741; BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 844753. 952 Ebd., Nr. 845054. 953 Vgl. Foto S. 133. 954 Vgl. S. 459 .

BUCH DER ERINNERUNG | 159 Rahel Blumenthal verwitwete Zytnik, geborene Roth

geboren am 17. Februar 1901 in Schrimm/Regierungsbezirk Posen ermordet nach dem 1. Oktober 1944 im Konzentrationslager Stutthof

Rahel Roth zog am 1. März 1922 mit ihrer Mutter  Marianne Roth (geb. Dienstag, * 7. Juni 1868, Schrimm/Regierungsbezirk Posen – ermordet nach dem 23. September 1942, Vernichtungslager Treblinka955) und Schwester  Cylli (* 18. April 1911, Schrimm – ermordet nach dem 23. Oktober 1941, Ghetto Lodz956) sowie Bruder  Max (* 4. März 1903, Schrimm – ermordet nach dem 9. Juni 1943, Ghetto eresienstadt957) aus Schrimm nach Bocholt in das Haus von Josef Metzger, Niederbruchstraße 20. Der Name ihres Vaters war nicht zu ermitteln,  Marianne Roth war bereits Witwe, als sie nach Bocholt kam958 . Die Roths hatten Schrimm verlassen müssen, da nach dem Versailler Vertrag 1919 die west- preußische Provinz Posen an Polen abgetreten werden musste. Ihre deutschen Einwohner wurden größtenteils ausgewiesen959. In das Haus Wesemannstraße 6 zog Rahel Roth mit   Im Haus Königstraße 9 Mutter Marianne, Schwester Cylli und 960 wohnte nach seiner Bruder  Max am 28. Juni 1924 . Heirat mit Rahel Roth der Arbeiter Adolf Blu- Im Einwohnerbuch 1929 wurde Rahel Roth menthal. Am 23. Sep- mit der gleichen Adresse als Betreiberin einer tember 1941 wurde das Damenschneiderei geführt961. In der Wese- Ehepaar gezwungen, mannstraße 6 wohnte später auch ihr Mann, in das sog. Judenhaus Bahnhofstraße 16 zu der am 18. März 1930 aus Bielefeld nach Bo- ziehen. cholt zugezogene Schneidermeister Max Zyt- (StdA B, Bildersamm- nik (* 21. März 1894, Warschau/Polen – 28. lung) Juni 1933, Bocholt962).

Am 11. Dezember 1929 heirateten Rahel Roth und der Schneidermeister Max Zytnik in Bocholt963. Ab 8. Mai 1932 wohnte das Ehepaar in der Königstraße 9964, wo Max Zytnik auch seine Schneiderei betrieb965.

Dem Ehepaar wurden zwei Kinder geboren:  Manfred (* 5. September 1932, Bocholt – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald966)

955 Vgl. Biogramm S. 354. 956 Vgl. Biogramm S. 356. 957 Vgl. Biogramm S. 357. 958 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 959 http://de.wikipedia.org/wiki/Kreis_Schrimm. 960 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 961 Einwohnerbuch 1929, S. 107. 962 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 963 Ebd. 964 Ebd. 965 Einwohnerbuch 1929, S. 107. 966 Vgl. Biogramm, S. 445.

160 | BUCH DER ERINNERUNG  Edith (* 11. Oktober 1933, Bocholt – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald 967)

Am 28. Juni 1933 – nach nur dreieinhalb Jahren Ehe – starb der Mann von Rahel Zyt- nik. Max Zytnik wurde auf Wie einem Zeitungs- bericht vom 12. April dem israelitischen Friedhof 968 1935 zu entnehmen in Bocholt beigesetzt . Vier war, beschäftigte Rahel Monate später wurde Toch- Zytnik noch 1935 eine 969 ter  Edith geboren Auszubildende. (StdA B, ZSlg., Bochol- Um den Lebensunterhalt ter Volksblatt, 12. April für sich und ihre Kinder 1935) zu erwerben, führte Rahel Zytnik die Schneiderei ihres Mannes fort. Ihre Mutter  Marianne Roth kümmerte sich um die Kinder. Einem Artikel im Bocholter Volksblatt vom 12. April 1935 ist zu entnehmen, dass Katharina Klein-Hitpaß, die Auszubildende von Rahel Zytnik, im März 1935 die Gesellen prüfung ablegte970. Rahel Zytnik führte die Schneiderei noch im Oktober 1935971.

Großmutter, Mutter und Kinder wurden in der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 von ihrem Nachbarn, dem Bauunternehmer August Vallée, vor den vor dem Haus stehenden Nazis geschützt, die ihre Wohnung zerstören wollten.

„Dann hat sich noch der lange [August] Vallée – Königstraße (Gardeverein) – fabelhaft benommen, indem er sich schützend vor die Wohnung der armen [Frau] Roth-Zitnik [sic] gestellt und die Banditen nicht herauf gelassen hat. [...]“ (Brief von Levy Nußbaum vom 15. Mai 1939 an einen Verwandten in den USA972)

Da die beiden Kinder inzwischen schulpfl ichtig geworden waren, wurde  Edith Zytnik am 26. Mai 1940973 in die Schule des jüdischen Waisenhauses in Paderborn974 einge- schult. Nach der Einwohnermeldekartei Bocholt wurde sie am 20. Mai 1940 dorthin abgemeldet975.

Am 30. August 1940 heirateten Rahel Zytnik und  Adolf Blumenthal (* 6. Oktober 1887, Heesen bei Hamm – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, Ghetto Riga/Konzentra- tionslager Kaiserwald976), der bisher im Haus Niederbruch 20 gewohnt hatte. In der Ein- wohnermeldekarteikarte der Familie des verstorbenen Max Zytnik wurde in der Spalte Bemerkungen vermerkt: „Am 30.8.1940 geheiratet mit Adolf Israel Blumenthal.“977

967 Vgl. Biogramm, S. 443. 968 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S, 29. 969 StdA B, verfi lmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 970 Ebd., ZSlg., Bocholter Volksblatt, 12. April 1935, 43 Lehrlinge freigesprochen. 971 Einwohnerbuch 1937, Gewerbeverzeichnis Schneider und Schneiderinnen , S. 118. Das Einwohnnerbuch hat den Stand vom 17. Oktoher 1935. 972 StdA B, 61 K 251 – ohne Aktentitel -, Levy Nußbaum an einen Verwandten in den USA, 15. Mai 1939. 973 Narmann, Margit: Von Ihren Leuten wohnt hier keiner mehr. Jüdische Familien in Paderborn in der Zeit des National sozialismus. Paderborner Historische Forschungen, Band 7, Köln 1999, S. 601, Anlage 5, Jüdische Kinder und Angestellte im Jüdischen Waisenhaus Paderborn. 974 StdA B, verfi lmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 975 Ebd. 976 Vgl. Biogramm, S. 158. 977 StdA B, verfi lmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

BUCH DER ERINNERUNG | 161  Adolf Blumenthal befand sich damals im Arbeitserziehungslager Laer978, wovon er für diesen Tag Urlaub erhielt.

 Manfred Zytnik, der Sohn Rahel Blumenthals, wurde am 7. September 1941979 an der jüdischen Schule in Paderborn angemeldet, in der bereits seine Schwester  Edith war. Am 23. September 1941 wurde das Ehepaar Blumenthal gezwungen, in das sog. Juden- haus Bahnhofstraße 16 zu ziehen980.

Drei Monate später, am 10. Dezember 1941, wurden 25 Bocholter Juden nach Münster in das Sammellager in der ehemaligen Gaststätte „Gertrudenhof“ an der Kreuzung Kaiser-Wilhelm-Ring/Warendorfer Straße gebracht. Hierunter waren auch Rahel und  Adolf Blumenthal sowie ihre Kinder  Edith und  Manfred Zytnik981.

In die Einwohnermeldekarteikarte des Ehepaares Adolf Blumenthal wurde zunächst eingetragen: „10.12.41 n. Riga/Lettland“982. Nach dem Schreiben der Staatspolizeileit- stelle Münster vom 18. Juli 1942 an die Meldeämter in ihrem Bezirk wurde der Teil des Vermerks „Riga/Lettland“ geschwärzt und durch den Eintrag „unbekannt verzogen (ausgewandert)“ ersetzt983. Die Deportation in das Ghetto Riga erfolgte am 13. Dezem- ber 1941984.

Rahel Blumenthals Kinder  Edith und  Manfred Zytnik sowie ihr Mann  Adolf Blumenthal wurden im oder beim Ghetto Riga oder im Vernichtungslager Auschwitz985 ermordet.

Rahel Blumenthal selbst lebte noch, als das Konzentrationslager Kaiserwald wegen des Vordringens der Roten Armee im Sommer 1944 aufgelöst wurde. Die überlebenden Häftlinge wurden ins damalige Deutsche Reich zurückgeschafft. Mit einem der letzten Schiffstransporte kam sie am 1. Oktober 1944 im Konzentrationslager Stutthof an986. Dies ist die letzte Nachricht über Rahel Blumenthal. Im Konzentrationslager Stutthof wurde sie ermordet987.

Die Namen von Rahel und  Adolf Blumenthal sowie deren Kinder  Manfred und  Edith Zytnik und von  Marianne Roth sind auf der Gedenktafel für die unmittelbar aus Bocholt 1941/42 deportierten Menschen jüdischen Glaubens in der Gedenkstätte für die ehemalige Bocholter Synagoge verzeichnet988.

Vor dem Haus Königstraße 9 liegen für sie Stolpersteine989.

978 Aschoff, Diethard, Möllenhoff, Gisela, Ohl, Irmgard: Fünf Generationen Juden in Laer, Band 9 von Geschichte und Leben der Juden in Westfalen, Münster 2007, S. 183. 979 Naarmann, S. 601, Anlage 5 Jüdische Kinder und Angestellte im Jüdischen Waisenhaus Paderborn. 980 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 981 Kriegschronik, S. 162. 982 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 983 Ebd., Nacke, S. 170. 984 Vgl. S. 110. 985 Buch der Erinnerung, Band 2, S. 741; über die Ermordung von Edith und Manfred Zytnik gibt es keine genauen Hinweise. Die aus Bocholt stammende und aus Dortmund am 27. Januar 1942 in das Ghetto Riga deportierte Edith Marx erinnert sich in ihrem Erlebnisbericht „Wir fühlten uns wie Schlachtvieh“, S. 470, daran, dass viele Kinder bei der Auflösung des Ghettos am 2. November 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermor- det wurden. Die neueren Verzeichnisse der Ermordeten (z. B. Buch der Erinnerung, Band 2, S. 741) geben Riga als Ermordungsort an. 986 Vgl. S. 115. 987 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 844753. 988 Vgl. Foto S. 133. 989 Vgl. S. 459 ff.

162 | BUCH DER ERINNERUNG Simon Blumenthal geboren am 22. August 1875 in Heesen bei Hamm ermordet nach dem 15. Dezember 1941 im Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiser- wald

Der Korbmacher Simon Blumenthal wurde am 22. August 1875990 in Heesen bei Hamm geboren, er war erblindet und der Bruder von Hedwig Metzger. Simon Blumenthal war vor dem 15. Juni 1913991 aus Hamm nach Bocholt in die Langenbergstraße 17 gezogen, wo auch seine Schwester Hedwig und ihr Mann Josef wohnten992.

Ab dem 3. Februar 1922 wohnte er in ihrem Haus im Niederbruch 20993. Das Haus wurde 1939 zu einem sog. Judenhaus994.

„Von der eigentlichen Deportation von Hilde, Meta und Isidor Metzger sowie Simon Blumenthal habe ich – obwohl ich damals bereits elf Jahre alt war – nichts erfahren. Isidor Metzger, der eine hohe Militärauszeichnung aus dem Ersten Weltkrieg hatte, und Simon Blumenthal, die beide über 60 Jahre alt waren, standen zunächst nicht auf der Liste derer, die weggebracht werden sollten. Weil alle Familienangehörigen jedoch deportiert werden sollten, wollten sie nicht allein in Bocholt bleiben. So gingen sie zur Polizei und baten darum, mit ihren Familien deportiert zu werden. Dies hat Mutter uns nach dem Krieg erzählt.“ (Günter Lorch, Bocholt) 995

Am 10. Dezember 1941 wurde Simon Blumenthal auf Anordnung der Geheimen Staats- polizei mit insgesamt 24 weiteren Bocholter Juden nach Münster gebracht. Aus Münster fuhr der Deportationszug am 13. Dezember 1941 nach Riga zum Ghetto und kam dort am 15. Dezember 1941 an996. In die Einwohnermeldekarteikarte von Simon Blumenthal wurde zunächst eingetragen: „10.12.41 n. Riga/Lettland.“ 997 Aufgrund des Schreibens der Staatspolizeileitstelle Münster vom 18. Juli 1942 an die Meldeämter wurde der Teil des Vermerks „Riga/ Lettland“ geschwärzt und durch den Eintrag „unbekannt verzogen (ausgewandert)“ ersetzt998.

Simon Blumenthal wurde nach dem 15. Dezember 1941 im oder beim Ghetto Riga oder dem Konzentrationslager Kaiserwald ermordet999.

Der Name von Simon Blumenthal ist auf der Gedenktafel für die unmittelbar aus Bocholt 1941/42 deportierten Menschen jüdischen Glaubens an der Gedenkstätte für die ehemalige Bocholter Synagoge verzeichnet1000.

990 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 991 Ebd., SBOH 2 Nr. 1006, Wahl des Vorstandes und der Repräsentanten der Synagogengemeinde 1916 – 1935, Re- gister der männlichen stimmberechtigten Juden der Stadtgemeinde Bocholt [von 1916]. 992 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 993 Ebd. 994 Vgl. S. 103. 995 Privatbesitz Josef Niebur. Notiz über ein Gespräch mit Günter Lorch (1930-2008) am 26. November 1996. 996 Kriegschronik, S. 162, Vgl. S. 110. 997 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; Nacke, S. 170. 998 Ebd. 999 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 845099; Buch der Erinnerung. Band 2, S. 741. 1000 Vgl. S. 133.

BUCH DER ERINNERUNG | 163 Ebenso liegen vor dem Haus Niederbruch 20 Stolpersteine, die an Simon Blumenthal,  Hilde Metzger,  Selma Metzger sowie ihren Onkel  Isidor Blumenthal erinnern1001.

Albertine Cohen geboren am 17. Juli 1914 in Hamborn (heute: Duisburg) ermordet nach dem 22. April 1942 im Konzentrationslager Izbica

Albertine Cohen wohnte in Hamborn auf der Weseler Straße 95 bei ihren Eltern Alfons Cohen und Regina (geb. Masur)1002. Sie war von Beruf Hausmädchen1003.

Albertine Cohen kam vermutlich auf Arbeitssuche am 15. Oktober 1936 aus Hamborn nach Bocholt, Nordwall 26. Hier, im Gebäude der früheren jüdischen Schule, wohnten ab 1936 mehrere „wohnungslose“ Menschen. Ihnen war, weil sie Juden waren, ihre frühere Wohnung gekündigt worden1004.

Auf der Einwohnermeldekarte von Duisburg ist 1939 der Umzug von der Gottliebstraße 74 zur Jägerstraße 29 in Hamborn vermerkt1005. Wenige Monate später zog Albertine Cohen mit ihrer Mutter Regina Cohen nach Duisburg in die Neckarstraße 501006.

Ab dem 13. Februar 1942 mussten sie im sog. Judenhaus Düsseldorfer Straße 111 leben1007. Mutter Regina Cohen und ihre Tochter Albertine wurden am 20. April 1942 von Duisburg zum Sammelplatz im Schlachthof in Düsseldorf gebracht1008.

Zusammen mit 842 bzw. 942 Menschen jüdischen Glaubens aus dem Bereich der Staats polizei leit stelle Düsseldorf wurden sie am 22. April 1942 vom Güterbahnhof Düsseldorf-Derendorf in das Ghetto Izbica deportiert1009. Albertine Cohen wurde im Ghetto Izbica umgebracht, das Datum ist nicht bekannt1010.

1001 Vgl. S. 459 ff. 1002 StdA Duisburg, 19. September 2008; die Lebensdaten der Eltern waren nicht zu ermitteln. 1003 Ebd. 1004 Stadt Bocholt, Fachbereich Stadtgrün, Altablage, Akte Jüdischer Friedhof. Jewish Trust Corporation for Germany, Zweigbüro Ruhr Mühlheim, an Stadtdirektor Bocholt, 28. Oktober 1953. 1005 StdA Duisburg, 19. September 2008. 1006 Ebd. 1007 Ebd. 1008 Ebd. 1009 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 1010 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 900919.

164 | BUCH DER ERINNERUNG Dina Cohen geborene Japhet geboren am 19. Mai 1890 in Breidenbach (Hessen) gestorben am 1. August 1942 in Aalten/Niederlande

Dina Japhet wurde am 19. Mai 1890 als Tochter von Mozes Japhet (* 21. April 1845 – 30. September 1922, Breidenbach) und seiner Frau Karoline (geb. Eppstein, * 15. April 1853, Gehaus – ermordet am 23. April 1943, Vernichtungslager Sobibor) in Breiden- bach geboren1011. Breidenbach ist eine Gemeinde im Westen des heutigen Landkreises Marburg-Biedenkopf und einer der ältesten urkundlich erwähnten Orte dieser Region.

Dina Japhet heiratete vor 1913  Moritz Cohen (* 7. Juli 1890, Neustadtgödens – er- mordet am 23. Juli 1943, Vernichtungslager Sobibor1012).

In diese Ehe wurden drei Kinder geboren: – Margarete (* 7. Oktober 1913, Neustadtgödens – 21. August 1985, Buenos Aires/ Argentinien1013) – Klara-Karoline Weijel (geb. Cohen, * 1915 – 1014) – Bern[h]ard (* 4. April 1917, Neustadtgödens – ermordet am 23. Juli 1943, Vernich- tungslager Sobibor).

Aus Varel (in Oldenburg) kommend zog die Familie am 14. August 1933 in Bocholt, Niederbruch 20, zu1015. Bereits am 28. August 1933 zogen Dina,  Moritz sowie ihre Tochter Margarete nach Aalten, in die niederländische Nachbargemeinde Bocholts, weiter1016. Sohn Bern[h]ard zog erst 1935 aus Neustadtgödens nach Aalten1017.

Moritz Cohen war Kaufmann. Zusammen mit seiner Frau Dina und seinem Sohn Bern[h]ard betrieb er am Markt ein Manufakturwarengeschäft unter dem Namen „Marktwinkel“1018.

Bei ihnen wohnte Karoline Japhet, die Mutter von Dina Cohen, die am 16. Oktober 1937 aus Breidenbach nach Aalten/Niederlande gezogen war1019.

Bern[h]ard Cohen, Vater  Moritz und Mutter Dina sowie deren Mutter Karoline Japhet verloren durch die Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 ihre deutsche Staatsangehörigkeit1020.

1011 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1012 Vgl. Biogramm S. 175. 1013 http://www.vangelderstories.com/stamboomnieuw1.pdf. 1014 Ein Todesdatum war nicht zu ermitteln. 1015 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1016 Ebd. 1017 http://www.synagoge-aalten.nl/phocadownload/zij-waren-aaltenaren-als-wij.pdf. Zij waren Aaltenaren als wij... Joodse gemeenschap in Aalten 1930-1945. Bronnenboek en Docentenhandleiding. Hans de Beukelaer en Jessie Jongejans, Borculo 2007, p. 27. 1018 Lurvink, p. 147. 1019 http://www.synagoge-aalten.nl/phocadownload/zij-waren-aaltenaren-als-wij.pdf., p. 27. 1020 Ebd.

BUCH DER ERINNERUNG | 165 Mit dieser Verordnung brachte das Deutsche Reich bei Deportationen das verbliebene Vermögen der deutschen Juden an sich. Die Juden verloren „mit der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts ins Ausland“ die deutsche Staatsangehörigkeit. Damit verfiel das „Vermögen des Juden, der die deutsche Staatsangehörigkeit auf Grund dieser Ver- ordnung verliert […]“ dem Deutschen Reich1021.

Dina Cohen starb am 1. August 1942 in Aalten1022.

Ihr Mann  Moritz Cohen1023 sowie Sohn Bern[h]ard Cohen1024 und ihre Mutter Karo- line Japhet1025 wurden am 23. Juli 1943 im Vernichtungslager Sobibor umgebracht1026.

Else Cohen geboren am 27. Januar 1889 in Bocholt ermordet nach dem 7. Oktober 1942 im Vernichtungslager Auschwitz

Else Cohen wurde am 27. Januar 1889 in Bocholt Nr. 360 (heute: Langenbergstraße 17) geboren. Ihre Eltern waren der Metzger Moses Cohen (* 15. Mai 1854, Bocholt – 30. September 1926, Bocholt) und seine Frau Ziypora (oder Zipora) (geb. Spier, * 19. Juli 1852, Kalkar – 15. April 1914, Bocholt)1027.

Else Cohen hatte drei Geschwister:  Hermann (* 5. Januar 1887, Bocholt – ermordet am 27. April 1943, Ghetto ere- sienstadt1028)  Emma Alexander (geb. Cohen, * 25. Dezember 1881, Bocholt – ermordet nach dem 15. November 1941, Ghetto Minsk 1029) – Paula (* 23. April – 6. Juli 1893, Bocholt1030).

Ihr Vater Moses Cohen führte als Metzgermeister im Haus Langenbergstraße 17 eine Metzgerei. Seit dem 3. Februar 1877 war er Mitglied im St. Georgius-Schützenverein1031.

Am 10. November 1903 zog Else Cohen nach Oberhausen1032. Später kehrte sie nach Bocholt zurück. Nach dem Einwohnerbuch 1926 führte Else Cohen eine Textilwaren- handlung in der Langenbergstraße 171033.

1021 § 3, Abs. 1 der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941, Reichsgesetzblatt 1941, S. 722. 1022 Lurvink, p. 189; JHM A, Joodsmonument, p. 407342. 1023 Ebd. 1024 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 901123. 1025 Ebd., Nr. 902 790 1026 Lurvink, p. 191. 1027 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1028 Vgl. Biogramm S. 168. 1029 Vgl. Biogramm S. 140. 1030 Personenstandsregister, S. 189. 1031 Westerhoff, Ballotagen. 1032 Personenstandsregister, S. 189. 1033 Einwohnerbuch 1926, S. 227.

166 | BUCH DER ERINNERUNG Am 1. März 1939 floh sie laut Eintragung in der Einwohnermeldekartei nach Winters- wijk in die Niederlande1034. Sie wird jedoch nicht in der Liste „Jüdische Einwohner Winterswijk“ aufgeführt1035.

1942 wohnte Else Cohen in Jekerstraat 32 huis in Amsterdam1036. Am 5. Oktober 1942 wurde sie vom polizeilichen Judendurchgangslager Westerbork in das Vernichtungs- lager Auschwitz deportiert. Dort traf sie am 7. Oktober 1942 ein1037. Es ist nicht sicher, wann Else Cohen nach der Ankunft im Vernichtungslager Auschwitz ermordet worden ist. Sie wurde für tot erklärt1038.

Friedrich Cohen geboren am 7. Dezember 1895 in Neustadtgödens (Landkreis Friesland) ermordet am 30. November 1941 im Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald

Wie mehrere Juden aus Neustadtgödens in Friesland zog auch Friedrich Cohen 1919 nach Bocholt. Er wohnte in der Neustraße 251039. Ohne Abmeldung verzog er später aus Bocholt nach Berlin1040. Er wohnte dort in der Dragonerstraße 43 in Berlin-Mitte1041. Später musste er in das Nachbarhaus, Dragonerstraße 41, ziehen, das offenbar ein sog. Judenhaus war. Von dort aus wurde er deportiert1042.

Mit der ersten Deportation von Berlin in das Ghetto Riga wurde Friedrich Cohen zusam- men mit 1052 Menschen jüdischen Glaubens am 27. November 1941 verschleppt1043. Nur zwei der Deportierten überlebten1044.

Im Ghetto Riga wurde er am 30. November 1941, dem sogenannten Rigaer Blut- sonntag (an dem 12.000 lettische Menschen jüdischen Glaubens ermordet wurden), erschossen1045.

1034 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1035 Gemeente Winterswijk, Jüdische Einwohner Winterswijk. 1036 JHM A, Joodsmonument, p. 519256. 1037 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlan- den. 1038 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 901422. 1039 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1040 Ebd. 1041 Gedenkbuch Berlins, S. 1420. 1042 Buch der Erinnerung, Band 1, S. 206. 1043 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 1044 Gedenkbuch Berlins, S. 1420. 1045 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 1052855.

BUCH DER ERINNERUNG | 167 Hermann Cohen

geboren am 5. Januar 1887 in Bocholt ermordet am 27. April 1943 im Ghetto eresienstadt

Hermann Cohen wurde am 5. Januar 1887 in Bocholt, Nr. 360 (heute: Langenberg- straße 17) geboren1046. Seine Eltern waren der Metzger Moses Cohen (* 15. Mai 1854, Bocholt – 30. Septem- ber 1926, Bocholt1047) und seine Frau Ziypora [oder Zipora] (geb. Spier, * 19. Juli 1852, Kalkar – 15. April 1914, Bocholt)1048. Hermann Cohen hatte drei Geschwister:  Emma Alexander (geb. Cohen, * 25. Dezember 1881, Bocholt – ermordet nach dem 15. November 1941, Ghetto Minsk1049)  Else (* 27. Januar 1889, Bocholt – ermordet nach dem 7. Oktober 1942, Vernichtungs- lager Auschwitz1050) – Paula (* 23. Juni – 6. Juli 1893, Bocholt1051).

Hermann Cohen war als Kind an Kinderlähmung erkrankt und zur Fortbewegung auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen.

Von 1895 bis 1898 besuchte er die israelitische Schule, die sich in einem 1907 abgebrochenen Haus vor der Synagoge in der Nobelstraße be- fand. Dann wechselte er zum Städtischen Gym- nasium zu Bocholt (heute: St.-Georg-Gymnasi- um), das sich damals an der nordöstlichen Seite des heutigen Europaplatzes befand.

Zum Schuljahresende 1906/1907 erhielt Her- mann Cohen am 28. Februar 1907 hier sein Abiturzeugnis1052. Er verließ das Gymnasium mit dem Berufs wunsch „Bankfach“1053. Dieser Berufs wunsch ließ sich nicht realisieren.

In Berlin, wohin er sich am 17. Oktober 1907 abmeldete1054, und später in Münster studierte Hermann Cohen deshalb Neuphilologie. In Münster war er vom Sommersemester 1910 bis zum Wintersemester 1910/11 in Neuphilologie eingeschrieben1055. Abiturzeugnis von Hermann Cohen aus 1046 Personenstandsregister, S. 189. dem Jahr 1907 1047 StdA B., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. (St.-Georg-Gymnasium, 1048 Ebd. Archiv) 1049 Vgl. Biogramm S. 140. 1050 Vgl. Biogramm S. 160. 1051 Personenstandsregister, S. 189. 1052 St.-Georg-Gymnasium, Bocholt, Archiv. Zeugnis der Reife für Hermann Cohen, 28. Februar 1907. 1053 Ebd., Gesuch von Hermann Cohen an die Königliche Abiturienten-Prüfung-Kommission zu Bocholt vom 9. Dezember 1906 auf Zulassung zur Abiturientenprüfung. 1054 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1055 Westfälische Wilhelms-Universität Münster – Archiv -: Verzeichnis der Studierenden Sommersemester 1910, Wintersemster 1910/1911.

168 | BUCH DER ERINNERUNG Neuphilologie ist ein Sammelbegriff für mehrere Fächer, die sich mit modernen Sprachen und Literaturen beschäftigen, wie etwa Germanistik, Anglistik, Romanistik und Slawistik.

Inge Becks, seine spätere Nachbarin in der Stiftstraße, erinnerte sich daran, dass Cohen zwölf Sprachen gesprochen haben soll1056.

Hermann Cohen kehrte am 27. Juli 1912 aus Münster nach Bocholt zurück1057.

In der Liste der israelitischen Gemeinde Bocholt der Wahlberechtigten zur Wahl der Repräsentantenversammlung vom 23. Mai 1916 war er als „cand. phil.“ verzeichnet1058. 1926 war im Wählerverzeichnis zur Wahl der Mitglieder der Repräsentantenversamm- lung sein Beruf als „Privatlehrer“ angegeben1059.

„Hermann Cohen kam am Schabatt pünktlich [zum Gottesdienst] mit seinem Selbst- fahrer-Rollstuhl zur Nordseite der Synagoge. Er ließ seinen Rollstuhl am überdachten Gang stehen und ging dann, mühsam auf seine Gehhilfen gestützt, in die Synagoge.“ (Frau K., * 19261060)

Hermann Cohen zog 1936 zur Miete in das Haus Ludgerusstraße 41061, das  Minna Marcus (geb. Proppert, * 20. April 1887, Wisch/Niederlande (heute Terborg) – ermor- det am 23. April 1943, Vernichtungslager Sobibor1062) gehörte1063.

„Am Abend des 9./10. November 1938 wollte ich den Rollstuhl meiner Schwiegermut- ter vom Mussumer Kirchweg zu ihrem Haus in der Herzogstraße bringen. Ich setzte mich also in den Rollstuhl und fuhr los. Unterwegs sahen mich Nazis. Sie drohten mir und setzten mir nach, weil sie mich wohl für den Juden hielten, den man öfter in sei- nem Rollstuhl in Bocholt sah. Ich konnte ihnen aber entkommen.” (Bernhard B. 1064)

Am 2. Mai 1939 wurde das Haus Ludgerusstraße 4 verkauft. Hermann Cohen musste deswegen in eines der vier sog. Judenhäuser in Bocholt, in das Haus Stiftstraße 32, umziehen1065. Dieses Haus sollte – nach einem am 16. Dezember 1938 zwischen der Israelitischen Gemeinde Bocholt und der damaligen Stadtverwaltung geschlossenen Vertrag über den Kauf des Gebäudes der früheren israelitischen Schule am Nordwall 26 – den „obdachlos werdenden jüdischen Menschen“ zur Verfügung stehen. Trotzdem wurde das Haus, aus dem am 10. Dezember 1941 neun Juden in das Ghetto Riga de- portiert wurden, später von der Stadt verkauft1066.

1056 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Gespräch mit Frau Inge Becks (* 1926), Bocholt, am 10. Dezem- ber 1993, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur. 1057 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1058 Ebd., SBOH 2 Nr. 1007 – Wahl des Vorstandes und der Repräsentanten der Synagogengemeinde 1916–1935. Ver- zeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt vom 23. Mai 1916. 1059 Ebd., Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt vom 19. März 1926. 1060 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Frau K., *1926 (wohnte bis 1942 Rosenstiege 2) am 7. Januar 1993, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur. Interview befindet sich als Depositgut im Stadtarchiv Bocholt. 1061 Ebd. 1062 Vgl. Biogramm S. 310. 1063 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke der Ehefrau Kaufmann Max Markus [sic], Minna geb. Proppert in Duisburg Mainstraße 48 […],Band 160, Blatt 4183, Kaufver- trag vom 22. Mai 1939, Seite 17 ff. 1064 Privatbesitz Josef Niebur. Notiz über ein Gespräch mit Bernhard B. (1910–1983), am 16. September 1977. 1065 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1066 Stadt Bocholt, Fachbereich Stadtgrün, Akte Jüdischer Friedhof. Jewish Trust Corporation for Germany, Zweig- büro Ruhr Mühlheim, an Oberstadtdirektor Bocholt, 28. Oktober 1953.

BUCH DER ERINNERUNG | 169 Am 25. Februar 1942 musste deshalb Hermann Cohen in das faktisch letzte sogenannte Judenhaus Schwartzstraße 14 umziehen. Angelika Löwenstein-Knappertsbusch, die „arische“ Ehefrau von Albert Löwenstein, der dieses Haus seit dem 13. November 1940 gehörte, war gezwungen worden, alle noch in Bocholt wohnenden Juden in ihr Haus aufzunehmen1067.

Die Staatspolizeileitstelle Münster kündigte mit Rundschreiben vom 6. Juli 1942 an die Landräte und Oberbürgermeister ihres Bezirks die Deportation von älteren, behinder- ten oder im Ersten Weltkrieg ausgezeichneten Menschen jüdischen Glaubens für den 27. Juli 1942 an1068.

„Mein Vater war Beamter bei der Betreuungsstelle für Kriegsbeschädigte der Stadt Bocholt. Er hatte auch Hermann Cohen betreut, der sich in einem Selbstfahrer-Roll- stuhl fortbewegte. Etwa Mitte Juli 1942 begegnete mein Vater, der auf dem Weg in sein Büro in der Stadtverwaltung war, Herrn Cohen am heutigen Crispinusplatz. Dieser bat Vater, nicht bei ihm stehenzubleiben, damit Vater keine Schwierigkeiten bekomme. Herr Cohen sagte dann im Vorbeigehen, daß sie [gemeint waren die noch in Bocholt wohnenden Juden] sich in den nächsten Tagen am Bahnhof einzufinden hätten, von wo sie nach eresienstadt deportiert werden würden. Herr Cohen hat geahnt, daß er dort ermordet werden würde.“ (Reiner Jungblut1069)

Kriegschronik der Stadt Bocholt, Eintrag vom 27. Juli 1942 „Gegen 22.30 Uhr wurden die nachstehend aufgeführten Juden, die in der Schwartzstraße Nr. 14 wohnten, von einem Beamten der Geheimen Staatspolizei aus Münster mit einem großen Möbelauto abgeholt und zunächst nach Münster gebracht. Angeblich sollen sie nach Böhmen evakuiert werden: [...] 6. Cohen, Hermann Israel, [...]“1070

Auf der Einwohnermeldekarte wurde „Hermann Israel Cohen“ am 27. Juli 1942 nach „Unbekannt verzogen“ abgemeldet1071.

Von Münster aus, wo der Zug mit der Transportnummer XI/I-7141072 u. a. mit Hermann Cohen am 29. Juli 1942 abfuhr, kam dieser Transport am 1. August 1942 im Ghetto eresienstadt an1073. Hermann Cohen starb am 27. April 1943 an den unmenschlichen Lebensbedingungen in diesem Ghetto1074.

An Hermann Cohen wird mit einem Stolperstein1075 und auf der Tafel an der Gedenk- stätte für die ehemalige Synagoge gedacht 1076.

1067 StdA B, Nachlaß Josef Fehler. Zeugenaussage von Angelika Löwenstein vom 3. November 1955 im Prozeß Fehler und Andere gegen das Land NRW vor der 2. Entschädigungskammer des Landgerichts Münster, Aktenzeichen 90 (Entsch.) 66/54 -. 1068 Nacke, S. 170. 1069 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Dr. Reiner Jungblut, geführt von Josef Niebur und Werner Sundermann am 5. November 1993. 1070 Kriegschronik, S. 211. 1071 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1072 Lederer, Zdenek: Ghetto eresienstadt. London 1965, S. 259, eresienstädter Gedenkbuch, S. 66. 1073 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 1074 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 901571; eresienstädter Gedenkbuch, S. 556. 1075 Vgl. S. 459 . 1076 Vgl. S. 133.

170 | BUCH DER ERINNERUNG Ida Cohen geborene Wolff geboren am 25. Januar 1866 in Bocholt ermordet am 20. März 1943 im Vernichtungslager Sobibor

Ida Wolff wurde am 25. Januar 1866 im Haus Nr. 114 (heute: Langenbergstraße 28) ge- boren. Ihre Eltern waren der Handelsmann Abraham Wolff und seine Frau Rosa (geb. Oppenheimer). Zu den Eltern gibt es keine näheren Informationen1077. Im Geburtenregister der israelitischen Gemeinde Bocholt sind jedoch folgende Kinder für dieses Ehepaar eingetragen: „1. Cäcilia, geb. 17.3.1863 (weiblich) 2. Henriette, geb. 12.9.1864 (weiblich) 3. Ida, geb. 25.1.1866 (Mädchen) 4. Nathalie, geb. 18.9.1867 (weiblich) [– 14. September 1868, Bocholt1078] 5. Isaak, geb. 15.3.1869 (Knabe) 6. Olga, geb. 23.3.1870 [– 6. Dezember 1870, Bocholt1079] 7. Karl Jakob, geb. 22.2.1872 (Knabe).“ 1080 Ida Wolff zog zu einem nicht zu ermittelnden Zeitpunkt nach Jülich1081. Vor 1897 zog sie wieder nach Bocholt zurück1082 Später wohnte Ida Cohen mit ihrem Mann Isaak Cohen in Horrem bei Köln1083. Sie floh offenbar ohne ihren Mann1084 nach 1933 in die Niederlande. 1941 wohnte Ida Cohen allein in der Kromme Mijdrechtstraat 75 in Amsterdam1085. Im Februar oder März 1943 wurde Ida Cohen verhaftet und in das polizeiliche Juden- durchgangslager Westerbork gebracht1086. Von dort wurde sie am 17. März 1943 zusam- men mit 963 Menschen jüdischen Glaubens in das Vernichtungslager Sobibor1087 de- portiert. Dort kam der Zug am 20. März 1943 an1088. An diesem Tag wurde Ida Cohen ermordet1089. Auf der Website „Zum Gedenken an unsere ermordeten Jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger des Jülicher Landes“ wird „Ida Cohen geborene Wolff *25-1-1866 Bocholt“ genannt1090. Auch auf dem Deportationsdenkmal in Jülich ist ihr Name verzeichnet1091.

1077 Stadtarchiv Bocholt, 7. Juni 2011. 1078 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 24. 1079 Ebd. 1080 StdA B, Geburtenregister der jüdischen Gemeinde Bocholt. 1081 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~bruggencate/family/family-e-o/153julichmem.htm.; Ida Co- hen ist in den Akten des Stadtarchivs Jülich nicht zu ermitteln, da viele Akten im Krieg zerstört wurden. (Auskunft 9. Juni 2009). 1082 Ebd. 1083 Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims’ Names. Gedenkblatt zu Ida Cohen von Axel Salm, Wegberg, 19. August 1998. 1084 Ebd., zum weiteren Schicksal von Isaak Cohen gibt es weder in Bundesarchiv, Gedenkbuch, Onlineversion, Na- mensverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument einen Hinweis. 1085 JHM A, Joodsmonument, p. 901890. 1086 Ebd. 1087 Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Gedenkblatt zu Ida Cohen von Axel Salm (Über- lebender des Ghetto Riga), Wegberg, 19. August 1998. Dort ist als Todesort Sobibor, Wlodawa, Lublin, Polen angegeben. 1088 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlan- den. 1089 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 901890. 1090 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~bruggencate/family/family-e-o/153julichmem.htm. 1091 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~bruggencate/family/family-e-o/153julichmem.htm#foto.

BUCH DER ERINNERUNG | 171 Juliane Cohen geborene Franzmann geboren am 4. Dezember 1899 in Dinslaken gestorben an den Entbehrungen der Haft am 28. Februar 1945 im ehemaligen Vernich- tungslager Auschwitz1092

Juliane Franzmann wurde am 4. Dezember 1899 in Dinslaken geboren. Ihre Mutter war Bertha Löwenthal. Auf der Geburtsurkunde ist vemerkt: „Der Ehemann der Kindsmut- ter[,] Salomon Franzmann[,] hat dem Kinde nach § 1706 des BGB seinen Familienna- men Franzmann erteilt.“1093

Am 23. September 1920 heirateten Juliane Franzmann und  Sally Cohen (* 19. April 1892, Bocholt – ermordet am 30. September 1944, Vernichtungslager Auschwitz1094) in Bocholt. Am 29. September 1920 meldete sich Juliane Cohen aus Dinslaken in Bocholt zu ihrem Mann  Sally Cohen zur Adresse Schwartzstraße 17 um1095.

In die Ehe wurden zwei Töchter geboren:  Margot Frank (geb. Cohen, * 15. Juli 1921, Bocholt – ermordet am 6. Oktober 1944, Vernichtungslager Auschwitz1096) – Ruth Skurnick (geb. Cohen, * 24. Januar 1923, Bocholt, die u.a. das polizeiliche Juden- durch gangs lager Westerbork und das Konzentrationslager Bergen-Belsen überlebte. Sie starb 1994 in Melbourne/Australien1097.)

Am 22. Februar 1923 zog die junge Familie von  Sally Cohen in die Dinxperloer Straße 26, am 18. September 1924 in die Schwanenstraße 32 a1098.

Am 15. Januar 1926 zog die Familie zu Magnus Cohen, dem Bruder ihres Mannes  Sally Cohen, in die Langenbergstraße 52. In diesem Haus, seinem Elternhaus, betrieb ihr Mann seinen Altwarenhandel1099. Zurück in die Schwanenstraße 32 a zogen die Cohens am 30. Mai 19291100.

In den Mussumer Kirchweg 129 zogen Juliane und  Sally Cohen mit ihren Kindern am 15. Juli 19321101. Erneut zog die Familie am 29. März 1933 um, und zwar in das Haus Dingdener Straße 1161102, das Magnus Cohen gehörte1103.

In der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 wurde ihre Wohnung überfallen und demoliert.

1092 JHM A, Joodsmonument, p. 515935. 1093 Amtsgericht Bocholt, Abteilung 5, Toderklärungsakte Cohen, Juliane und Sally, 5 II 31-32/59, Blatt 4. Geburtsur- kunde des Standesamtes Dinslaken Nr. 137/1899. 1094 Vgl. Biogramm S. 178. 1095 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1096 Vgl. Biogramm S. 185. 1097 Australian Jewish Genealogical Society (Vic), 16. August 2012. 1098 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1099 Im Einwohnerbuch 1926, S. 50, wird Sally Cohen als Fellhändler bezeichnet. Im Verzeichnis der Handel- und Gewerbetreibenden, S. 215, ist er aber unter „Fellhandlungen“ nicht aufgeführt. 1100 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1101 Ebd. 1102 Ebd. 1103 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke des Magnus Cohen [...] Blatt 2644. Grundbuchtabelle.

172 | BUCH DER ERINNERUNG „Eine Arbeitskollegin erzählte mir nach der Schandnacht leise und eingeschüchtert: Nachts kamen Nazis zu Cohen’s und gleich war das Klirren der Fensterscheiben und des zerstörten Hausrats zu hören. Herrn Cohen jagten sie im Schlafanzug auf die Straße und rissen ihn immer wieder zu Boden. Später kam er sehr stark blutend zurück. Frau Cohen schlich sich am nächsten Morgen zu uns und bat Mutter um Teller und Tassen. Die Nazis hatten ihnen offenbar alles kaputt geschlagen.“ (Maria Niebur1104)

Am 21. Februar 1939 zogen Juliane und  Sally Cohen – wie die Einwohnermeldekarte ausweist – „ohne Abmeldung nach Amsterdam (Holl.)“1105. Im Februar 1941 wohnten Juliane Cohen und ihre in- zwischen zu ihr gezogene Tochter  Margot Frank in der Kromme Mijdrechtstraat 82II in Amsterdam1106. Von Amsterdam wurden Juliane und  Sally Cohen am 6. Februar 1943 in das polizeiliche Judendurch- gangslager Westerbork gebracht. Von dort depor tierte man sie am 14. September 1943 in das Konzentrations- lager Bergen-Belsen1107. Aus Bergen-Belsen erfolgte am 25. Januar 1944 ihre Deportation in das Ghetto eresienstadt 1108. Am 4. Oktober 1944 wurden sie mit einem sogenannten „Altentransport“ unter der Bezeichnug „Ek“1109 zu- sam men mit 2944 Menschen jüdischen Glaubens weiter in das Vernichtungslager Auschwitz de por- tiert1110. Ihr Mann  Sally Cohen, der schon am 28. September 1944 nach Auschwitz deportiert worden war, wurde dort am 30. September 1944 getötet1111. Ihre Tochter  Margot Frank1112 und ihre Enkelin Sophia Juliana Senta Lindeman1113 wurden am 6. Oktober 1944 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet. Juliane Cohen überlebte das am 27. Januar 1945 befreite Vernichtungslager Auschwitz, Auskunft des Niederlän- dort starb sie an den Entbehrungen der Haft am 28. Februar 19451114. dischen Roten Kreuzes an das Amtsgericht Allein ihre Tochter Ruth Cohen überlebte. Sie war zwar wie ihre Eltern Juliane und Bocholt, 10. November  Sally Cohen sowie ihre Schwester  Margot Frank am 14. September 1943 aus 1959. (Amtsgericht Bocholt, 1104 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über Interviews mit Maria Niebur (1915 – 2004), Bocholt, in den Jahren Abteilung 5, Toderklä- 1983 – 2003. 1105 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; dieses Datum nennt auch BA, Gedenkbuch, Onlineversion, rungsakte Cohen, Sally Namenverzeichnis Nr. 902341. und Juliane, 5-II-31- 1106 JHM A, Joodsmonument, p. 515785. 32/59, Blatt 33) 1107 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlan- den. 1108 Ebd., Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 1109 eresienstädter Gedenkbuch, S. 87. 1110 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlan- den; eresienstädter Gedenkbuch, S. 87. 1111 JHM A, Joodsmonument, p. 515935. 1112 Ebd., p. 515787. 1113 Ebd., p. 515786. 1114 StdA B, SBOH 3. Akte nach dem BEG 965, Ruth Skurnick. Stadt Bocholt - Amt für Wiedergutmachung – an Amtsgericht Bocholt, 20. August 1959. Danach starb Juliane Cohen am 28. Februar 1945 im ehemaligen Ver- nichtungslager Auschwitz. In In Memoriam, Sdu, Uitgeverij Konninginnegracht, Den Haag, 1995, S. 212, wird als Todeszeitpunkt und –ort „28.02.1945, Midden-Europa“ angegeben.

BUCH DER ERINNERUNG | 173 Wester bork in das Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert worden. Im Gegen- satz zu diesen blieb sie aber in Bergen-Belsen, wo sie 1945 befreit wurde, und ging in die Niederlande1115.

Ruth Cohen heiratete 1948 in Amsterdam Alter Skurnick. Sie reiste in den späten 1940er Jahren einige Male nach Bocholt und besuchte Norbert Lorch1116. Am 9. August 1950 wanderten die Eheleute als „Staatenlose“ über den Flughafen Sydney nach Australien ein1117. Am 5. Oktober 1994 starb Ruth Skurnick in Melbourne/Australien1118.

Leo-Heymann Cohen geboren am 1. Januar 1907 in Bocholt ermordet am 27. September 1940 in der Euthanasie-Anstalt Brandenburg

Leo-Heymann Cohen wurde am 1. Januar 1907 als Sohn des Pferdehändlers Moses Cohen (* 6. Mai 1869, Bocholt – 12. Februar 1926, Bocholt1119) und seiner Frau Rosa (geb. Meyersohn, * 28. April 1874 – 23. September 1920, Bocholt)1120 im Niederbruch 21 geboren1121.

Er hatte drei in Bocholt geborene Geschwister: – Henny (* 8. Juni 1894) – Sally (* 23. Juli 1897) – Aurelia (* 18. Mai 1900)1122. Alle drei Geschwister haben die Shoah überlebt1123.

Rosa Cohen, die Frau von Moses Cohen, war – wie die Einwohnermeldekarte ausweist – geisteskrank und vererbte diese Erkrankung an das jüngste Kind, Leo-Heymann.

Auf seiner Einwohnermeldekarte ist ebenfalls „geisteskrank“ vermerkt. Ebenso sind vielfache Aufenthalte in (jüdischen) „Heilanstalten“ notiert: 1920 und 1921 in Ben- dorf, 1922 – 1926 in Dülken1124. Vormund von Leo-Heymann Cohen war der Lehrer der israelitischen Schule, „Prediger Levy Nußbaum“1125. Am 13. März 1926 wurde Leo- Heymann Cohen letztmals aus Bocholt nach Lippstadt abgemeldet1126. Wahrscheinlich wurde er in die Provinzialheilanstalt Lippstadt-Eikelborn eingewiesen.

1115 StdA B, SBOH 3, Akte nach dem BEG, Ruth Skurnick, 3-965. Stadt Bocholt – Amt für Wiedergutmachung – an Amtsgericht Bocholt, 20. August 1959. 1116 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über Interviews mit Günter Lorch (1930 – 2008, Bocholt) und seiner Frau Magdalene (geb. Sackers) am 9. Februar 1995 und am 2. März 1995, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur. 1117 Australian Jewish Genealogical Society (Vic), 16. August 2012. 1118 Ebd., 18. August 2012. 1119 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1120 Ebd. 1121 Ebd. 1122 Ebd. 1123 Die Namen von Henny, Sally und Aurelia Cohen sind weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeich- nis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 1124 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1125 Ebd. 1126 Ebd.

174 | BUCH DER ERINNERUNG Ende 1939 wurde er im Zusammenhang mit der Moses Cohen, der Vater von Leo-Heymann, warb „Euthanasieaktion“ aus Lippstadt in die Provinzi- im Winter 1918/19 für alheil- und Pfl egeanstalt Wunstorf bei Hannover seine Metzgerei im Nie- gebracht. derbruch 21. Von dort wurden am 27. September 1940 (StdA B, ZSlg., Bocholter aus Norddeutschland 158 Juden in die Volksblatt, 17. Dezember offi ziell euphemistisch „Landes-Pfl egeanstalt 1918) Brandenburg a. H.” genannte Euthanasie-Tötungsanstalt deportiert1127. Unter ihnen war Leo-Heymann Cohen1128.

Offi ziell sollte ihre „Verlegung“ in eine Nerven- heilanstalt in Cholm bei Lublin erfolgen. Dieser Ort existiert, aber es gab dort nie eine derartige Anstalt1129. Leo-Heymann Cohen wurde noch am Tag seiner Ankunft, am 27. September 1940, in der Gaskammer der Eutha- nasie-Anstalt Brandenburg er mor det1130. Die in Brandenburg entwickelten Tötungsmethoden wurden später in den Vernichtungslagern bei der Ermordung von Menschen jüdischen Glaubens angewandt.

Mordstätte Anstalts- scheune (Foto um 1930, Stif- tung Brandenburgische Gedenk stätten)

Moritz Cohen geboren am 7. Juli 1890 in Neustadtgödens (heute: Landkreis Friesland) ermordet am 23. Juli 1943 im Vernichtungslager Sobibor

Moritz Cohen wurde am 7. Juli 1890 in Neustadtgödens geboren. Seine Eltern waren Wilhelmine Cohen (geb. Breslauer, * 12. August 1844, Bredevoort/Niederlande – 1913, Neustadtgödens) und ihr Mann Victor Feibel (* 1836, Neustadtgödens – 1900, Gro- ningen/Niederlande1131). Neustadtgödens war damals eine Gemeinde, in der unter etwa 500 Einwohnern 24 Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens wohnten1132.

Moritz Cohen, der Kaufmann war, heiratete vor 1912  Dina (geb. Japhet, * 19. Mai 1890, Breitenbach – 1. August 1942, Aalten/Niederlande1133).

1127 http://de.wikipedia.org/wiki/NS-Tötungsanstalt_Brandenburg. 1128 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 902501. 1129 http://de.wikipedia.org/wiki/NS-Tötungsanstalt_Brandenburg. 1130 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 902501. 1131 http://www.vangelderstories.com. 1132 http://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCdische_Gemeinde_Neustadtg%C3%B6dens. 1133 Vgl. Biogramm S. 165.

BUCH DER ERINNERUNG | 175 Das Ehepaar hatte offenbar drei Kinder: – Margarete (* 7. Oktober 1913, Neustadtgödens – 21. August 1985, Buenos Aires/ Argentinien1134) – Klara-Karoline Weijel (geb. Cohen, 1915 – 1135) – Bern[h]ard (* 4. April 1917, Neustadtgödens – ermordet am 23. Juli 1943, Vernich- tungslager Sobibor).

Am 14. August 1933 zog die Familie von Varel in Oldenburg nach Bocholt, Niederbruch 20. Schon 14 Tage später zogen  Dina und Moritz Cohen sowie Tochter Margarete in das Haus Hoogestraat 13 in Aalten, der niederländischen Nachbargemeinde Bocholts1136.

Dort wohnten schon vor 19321137 Moritz Cohens Schwester Elise van Gelder (geb. Cohen, * 4. April 1876, Neustadtgödens – ermordet am 23. April 1943 im Vernichtungs- lager Sobibor1138) und deren Mann Philip van Gelder (* 22. September 1868, Aalten/ Niederlande – ermordet am 23. April 1943, Vernichtungslager Sobibor1139) am Lich- tenvoordsestraatweg 171140. Später wohnten sie in der Bredevoortsestraat 49a1141. Sohn Bern[h]ard zog erst 1935 aus Neustadtgödens nach Aalten1142.

Moritz Cohen betrieb später zusammen mit seiner Frau  Dina unter dem Namen „De Marktwinkel“ ein Manufakturwarengeschäft. Das Geschäft öffnete am 23. Oktober 1937 an der Landstraat 81143.

Sie verloren durch die Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 ihre deutsche Staatsangehörigkeit.

Diese Verordnung hatte den Zweck, bei der anstehenden Deportation der deutschen Juden den verbliebenen Rest ihres Vermögens an sich zu bringen. Sie verloren „mit der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts ins Ausland“ die deutsche Staatsangehörig- keit. Weiter hieß es: „Das Vermögen des Juden, der die deutsche Staatsangehörigkeit auf Grund dieser Verordnung verliert, verfällt mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit dem Reich. […]“1144

Es kann angenommen werden, dass der Familie Cohen spätestens nach dieser Verord- nung ihr Textilgeschäft „De Marktwinkel“ genommen wurde. Das Achterhoeks Archief konnte den Zeitpunkt nicht exakt ermitteln1145.

 Dina Cohen, die Frau von Moritz Cohen, starb am 1. August 1942 in Aalten und wurde auf dem dortigen jüdischen Friedhof beigesetzt1146. Moritz Cohen und sein Sohn Bern[h]ard tauchten nach den ersten Razzien in den östli- chen Niederlanden im Herbst 1941 bei einem Bauern in Varsseveld unter. Ihr Versteck wurde durch einen Juden bei einem Verhör durch den brutalen SS-Sicherheits dienst

1134 http://www.vangelderstories.com. 1135 Ein Todesdatum war nicht zu ermitteln. 1136 Ebd., BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 902790, vermerkt 1933 eine Emigration von Deutschland über Belgien in die Niederlande. 1137 Lurvink, p. 68. 1138 JHM A, Joodsmonument, p. 901890. 1139 Ebd., p. 536051/en. 1140 Ebd. 1141 http://www.synagoge-aalten.nl/phocadownload/zij-waren-aaltenaren-als-wij.pdf, p. 27. 1142 Ebd. 1143 Lurvink, p. 141. 1144 § 3, Abs. 1 der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941, Reichsgesetzblatt 1941, S. 722. 1145 Achterhoeks Archief, 28. Juli 2009. 1146 Lurvink, p. 189.

176 | BUCH DER ERINNERUNG verraten. Acht Juden, darunter Moritz und Bern[h]ard Cohen, wurden durch die Polizei verhaftet. Sie wurden in Ghettos oder Vernichtungslagern ermordet1147.

Moritz Cohen und sein Sohn Bern[h]ard wurden in das polizeiliche Judendurch gangs- lager Westerbork verschleppt.

Zusammen mit etwa 2300 Menschen jüdischen Glaubens wurden sie am 20. Juli 1943 von dort in das Vernichtungslager Sobibor deportiert1148. Am 23. Juli 1943, ihrem An- kunftstag in Sobibor, wurden Moritz Cohen und sein Sohn Bern[h]ard Cohen umge- bracht.

Die Namen von Moritz und Bern[h]ard Cohen sowie Karoline Japhet stehen auf einer Gedenktafel, die im Jahre 1996 an der westlichen Außenwand der Synagoge in Aalten angebracht wurde. Unter dem Psalmwort „Gedenk, Eeuwige, wat ons is geschied“, sind ihr die Namen der 39 ermordeten Juden aus Aalten zu entnehmen1149.

Paula Cohen geborene Cohen geboren am 1. Dezember 1873 in Bocholt erzwungener Freitod am 2. Dezember 1941 in Berlin

Paula Cohen wurde am 1. Dezember 1873 im Haus Feldmark Nr. 284 (heute: Kaiser- Wilhelm-Straße) in Bocholt geboren.

Ihre Eltern waren der Fabrikant David Cosman Cohen (* 17. April 1836, Bocholt – 16. Februar 1897, Bocholt1150) und seine Frau Rosalia (geb. Rosenberg, * 24. September 18381151 – 21. Dezember 1921, Bocholt1152). Sie hatten am 11. Juli 1864 geheiratet1153.

Paula Cohen hatte sieben Geschwister: – Ihr ältester Bruder Emil (* 30. März 1865, Bocholt) gehörte der Stadtverordne- tenversammlung in Bocholt seit 1911 als Stadtverordneter der ersten Wahlklasse an. Er zog nach den ersten demokratischen Wahlen 1919 über den Wahlvorschlag der Verständigungsliste, einem Wahlbündnis von christlicher Arbeiterschaft, der Handwerkerinnungen, der vereinigten Kaufleute, einiger konfessioneller Verbände sowie des Zentrums und der Deutschen Volkspartei, in die Stadtverordnetenver-

1147 Ebd., p. 173. 1148 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Nieder- landen. 1149 Vgl. Foto, S. 198 1150 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 26. 1151 Westerhoff, Cosman David Cohen (1753-1823) und seine Nachkommen, in: Teuteberg, Hans Jürgen (Hg.), Die westmünsterländische Textilindustrie und ihre Unternehmer (= Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsbiographien, 16), Münster 1996, S. 397. 1152 Ebd., S. 405. 1153 Ebd., S. 397.

BUCH DER ERINNERUNG | 177 sammlung ein. 1924 stand er auf der Zentrumsliste und wurde erneut in die Stadt- verordnetenversammlung gewählt. 1927 schied er mit seinem Wegzug nach Köln aus1154. Am 5. Januar 1934 starb er in Köln1155. – Ida Magnus (geb. Cohen, * 28. August 1866, Bocholt – 18. Juni 1920, Bocholt1156) – Salomon Cosman Cohen (* 13. Mai 1868, Bocholt – 30. August 1868, Bocholt1157)  Bertha Stern (geb. Cohen, * 8. Oktober 1869, Bocholt – ermordet am 27. September 1942, Ghetto eresienstadt1158) – Bernhard Cohen (* 22. August 1871, Bocholt – 23. November 1934, Mönchen glad- bach1159)  Julie Waller (geb. Cohen,* 22. August 1871, Bocholt – ermordet nach dem 23. Sep- tember 1942, Vernichtungslager Treblinka1160) – Max Cohen (* 27. März 1877, Bocholt – 13. Februar 1938, Berlin1161).

Am 10. September 1890 zog Paula Cohen nach Berlin und heiratete dort einen Mann namens Cohen1162. Am 2. Dezember 1941 ging sie – wahrscheinlich aus Angst vor ihrer Deportation – in Berlin in den Freitod1163.

Sally Cohen

geboren am 19. April 1892 in Bocholt ermordet am 30. September 1944 im Vernichtungslager Auschwitz1164 Sally Cohen (StdA B, 57 K 102)

Sally Cohen wurde am 19. April 1892 in Bocholt, Stadt Nr. 528 (heute: Langenberg- straße 28) geboren. Seine Eltern waren Dina (geb. Wolff, * 23. März 1859, Südlohn1165 – 20. Februar 1938, Bocholt1166) und ihr Mann, der Händler Isaac Cohen (* 27. März 1857, Südlohn1167 – 13. Februar 1929, Bocholt1168).

1154 Vgl. S. 45, 51 ff. 1155 Historisches Archiv Köln, 20. Dezember 1983. 1156 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 27. 1157 Ebd, S. 24. 1158 Vgl. Biogramm S. 406. 1159 http://www.steinheim-institut.de/cgi-bin/epidat?function=Ins&sel=e26&inv=4070. 1160 Vgl. Biogramm S. 423. 1161 Westerhoff Eduard, Cosman David Cohen…, S. 411. 1162 Personenstandsregister, S. 452. 1163 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 1028451. Im Gedenkbuch Berlin ist ihr Name nicht ver- zeichnet. 1164 Nach BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 903019 kam Sally Cohen am 28. September 1944 in Auschwitz an, wo er ermordet worden ist. In: In Memoriam, S. 134, wird 30.09.1944 Auschwitz als Ermordungsort und -tag angegeben. Dieses Datum beruht auf einer Bescheinigung des Informatie-Bureau van Het Nederlandsche Roode Kruis vom 3. August 1959. Hierauf ist vermerkt: Überstellt nach KL Auschwitz [...] ermordet etwa am 30. September 1944. (Amtsgericht Bocholt, Abteilung 5, Toderklärungsakte Cohen, Sally und Juliane, 5-II-31-32/59, Blatt 29). 1165 Personenstandsregister, S. 289. 1166 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 29. 1167 Personenstandsregister, S. 289. 1168 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 29.

178 | BUCH DER ERINNERUNG Er hatte vier Geschwister: – Seine älteste Schwester war Jeanette, die als spätere SPD-Bundespolitikerin Jeanette Wolff (* 20. Juni 1888, Bocholt – 19. Mai 1975, Berlin) bekannt war und ihre poli- tische Laufbahn 1919 als Stadtverordnete für die SPD in Bocholt begann. 1932 ver- zog Jeanette Wolff mit ihrer Familie nach Dinslaken. Hier wurde sie am 18. März 1933 in Schutzhaft genommen und erst 1935 wieder entlassen. Sie wurde zusammen mit ihrem Mann  Hermann (* 2. Februar 1888, Dortmund – ermordet auf dem Todesmarsch im April 1945 beim Konzentrationslager Flossenbürg1169) und ihrer Tochter Edith (* 25. November 1916, Bocholt – 20. Januar 2003, Dinslaken) am 27. Januar 1942 von Dortmund in das Ghetto Riga deportiert und überlebte mehrere Konzentrationslager1170. – Leopold (* 30. September 1890, Bocholt – 23. April 19001171) – Sein jüngster Bruder Magnus Cohen (* 18. Januar 1897, Bocholt) konnte mit seiner evangelischen Frau Frieda (* 21. Mai 1905, Bütow) am 24. September 1938 über Bre- men mit dem Dampfer Arugnuy1172 nach Paraguay fliehen1173. In Colonia/Uruguay wurde am 5. November 1938 Sohn Siegfried geboren1174.  Hedwig Polak (geb. Cohen, * 22. Juli 1898, Bocholt – ermordet am 11. Juni 1943, Vernichtungslager Sobibor1175).

Sally Cohen heiratete Frieda Hein (* 26. Dezember 1891, Lübeck), die am 16. Oktober 1918 im Alter von nur 26 Jahren starb1176.

Am 23. September 19201177 heirateten  Juliane (geb. Franzmann, * 4. Dezember 1899, Dinslaken – gestorben an den Entbehrungen der Haft am 28. Februar 1945 im befreiten Vernichtungslager Auschwitz1178) und Sally Cohen in Dinslaken.

In die Ehe wurden zwei Töchter geboren:  Margot Frank (geb. Cohen, * 15. Juli 1921, Bocholt – ermordet am 6. Oktober 1944, Vernichtungslager Auschwitz1179) – Ruth Skurnick (geb. Cohen, * 24. Januar 1923, Bocholt, die u. a. das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork und das Konzentrationslager Bergen-Belsen überlebte. Sie war Krankenschwester, 1948 heiratete sie in Amsterdam/Niederlande Alter Skurnick, 1994 starb sie in Melbourne/Australien1180.)

Am 22. Februar 1923 zog die junge Familie in Bocholt in die Dinxperloer Straße 26, am 18. September 1924 in die Schwanenstraße 32 a zu1181.

Am 15. Januar 1926 zog die Familie zu Magnus Cohen, dem Bruder von Sally Cohen, in die Langenbergstraße 52, sein Elternhaus. Dort betrieb sein Bruder einen Altwaren- handel1182.

1169 Vgl. Biogramm, S. 438. 1170 Vgl. S. 440. 1171 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 26. 1172 StdA B, SBOH 3, Akte nach dem BEG 3 934, Magnus Lorch. 1173 Ebd., 57 K 102 – ohne Titel –, Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962); Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Günter Lorch (1930 - 2008) am 9. Februar 1995 und am 2. März 1995, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur. 1174 StdA B, SBOH 3, Akte nach dem BEG 3 938, Siegfried Lorch. Karteikarte. 1175 Vgl. Biogramm S. 347. 1176 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1177 Ebd. 1178 Vgl. Biogramm S. 172. 1179 Vgl. Biogramm S. 185. 1180 Australian Jewish Genealogical Society (Vic), 18. August 2012. 1181 StdA B, verlmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1182 Ebd.

BUCH DER ERINNERUNG | 179 Im Eintrag im Einwohnerbuch des Stadtkreises Bocholt, der Städte Anholt und Borken und des Stadtkreises Borken von 1926 wurde Sally Cohen als Fellhändler bezeichnet. Er steht jedoch nicht im entsprechenden Berufsverzeichnis, in dem aber sein Bruder Magnus verzeichnet ist1183. Nach dem Antrag auf Wiedergutmachung, der durch die einzig überlebende Tochter Ruth Skurnick 1959 betrieben wurde, soll ihr Vater Sally Cohen „Inhaber einer Antiqui- täten[-] sowie Rohprodukten[-] und Möbelhandlung in Bocholt, Langenbergstraße“1184 gewesen sein.

„Wenn wir durch die Langenbergstraße fuhren, sahen wir des öfteren Sally Cohen vor seinem Geschäft stehen. Er hatte immer die Hände über dem Bauch gefaltet.“ (Maria Niebur)1185

„Ich erinnere mich daran, daß Herr Lorch in seinem Geschäft u. a. Wild verkaufte. Gleich daneben auf der Langenbergstraße hatte Sally Cohen seinen Altwarenhandel. Das Material lagerte auf einem Platz neben dem Haus, den man von der Straße aus einsehen konnte. Herr Cohen war ziemlich kräftig gebaut und hatte schütteres Haar.“ (Karl Walber)1186

Zurück in die Schwanenstraße 32 a zogen die Cohens am 30. Mai 19291187. Weiter in den Mussumer Kirchweg 129 zogen Juliane und Sally Cohen mit ihren Kindern am 15. Juli 19321188. In das Haus Dingdener Straße 116 zog Familie Cohen am 29. März 1933. Das Haus gehörte Magnus Cohen1189.

In der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 wurde ihre Wohnung überfallen und demoliert. „Meine Arbeitskollegin erzählte am anderen Morgen, wie die Nazis Sally Cohen im Schlafanzug über die Straße getrieben haben. Dabei sei er verhöhnt, geschlagen und immer wieder zu Boden gerissen worden.“ (Maria Niebur)1190

 Tochter Margot floh am 2. Januar 1939 nach Goor in die Niederlande. Hier lebte auch  Hedwig Polak, die Schwester von Sally Cohen. Am 21. Februar 1939 flohen  Juliane und Sally Cohen – wie die Einwohnermeldekarte ausweist – „ohne Abmeldung nach Amsterdam (Holl.).“1191

„Später arbeitete Vater als Gärtner in einem Kloster bei Venlo. Mutter und ich haben ihn dort besucht. Dann erinnere ich mich daran, wie Vater nach Aalten zurückkam und wir bei dichtem Nebel nach Amsterdam fuhren. [...] Dort trafen wir Sally Cohen. Mein Vater und Sally waren Anhänger des Fußballclubs Olympia Bocholt gewesen.“ (Günter Lorch)1192

1183 Einwohnerbuch 1926, S. 215. 1184 Ebd., StdA B, SBOH 3. Akte nach dem BEG 3-965, Ruth Skurnick. Stadt Bocholt – Amt für Wiedergutmachung an Amtsgericht Bocholt, 20. August 1959. 1185 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über Gespräche mit meiner Mutter Maria Niebur in den Jahren 1983 –2003. 1186 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1187 Ebd. 1188 Ebd. 1189 Ebd. 1190 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über Interviews mit meiner Mutter Maria Niebur in den Jahren 1983 –2003. 1191 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1192 Privatbesitz Josef Niebur. Notiz über ein Gespräch mit Günter Lorch (1930-2008) am 26. November 1996.

180 | BUCH DER ERINNERUNG Im Februar 1941 wohnten  Juliane Cohen und ihre inzwischen zu ihr gezogene Toch- ter  Margot Frank in der Kromme Mijdrechtstraat 82 II in Amsterdam1193. Es ist aber wahrscheinlich, dass auch ihr Mann Sally dort wohnte, für ihn ist jedoch in der Internet-Datenbank Digital Monument die Hausnummer 481 aufgeführt1194.

Dennoch ist sich Karl Walber sicher, Sally Cohen 1942 in Bocholt gesehen zu haben: „Im Sommer 1942 hatte ich erstmals Wochenendurlaub und im Oktober 1942 ca. 14 Tage regulären Urlaub. Während dieses Urlaubs ging ich in Uniform durch die Oster- straße Richtung Markt. Mir kamen zwei SA-Männer aus Richtung Ostermarkt entgegen, die zwischen sich einen Mann in Zivil führten. Er trug ein Schild, auf dem etwa stand: ‚Ich bin eine Juden sau (oder ein Judenschwein)!‘ Auf seiner Stirn standen Schweißtropfen, er rollte seine aufgerissenen schwarzen Augen. Der Mann trug ein Hemd mit aufgeknöpftem Kragen. Das Hemd stand offen. Ich dachte mir, daß man ihn so weggeholt hat, ohne ihm Gelegenheit zu geben, sich anzuziehen. Ich ging vorbei und fühlte mich beschämt. Die SA-Leute, die mir nicht bekannt waren, führten ihn in die Langenbergstraße hinein. Ich meine sicher, daß es sich um Sally Cohen handelte.“ (Karl Walber)1195

Aus Amsterdam wurden Sally und  Juliane Cohen am 5. Februar 1943 in das po- lizeiliche Judendurchgangslager Westerbork gebracht1196. Von dort wurden sie am 14. September 1943 in das Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert1197. Aus Bergen- Belsen erfolgte am 25. Januar 1944 ihre Deportation in das Ghetto eresienstadt 1198. Allein ihre Tochter Ruth Cohen blieb in Bergen-Belsen. Am 28. September 1944 wurden sie mit einem sogenannten „Altentransport“ unter der Bezeichnug „Ek“1199 zusammen mit 2944 Menschen jüdischen Glaubens weiter in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert1200. Sally Cohen wurde dort schon am Tag der Ankunft, am 30. September 1944, ermordet1201. Über seine Frau  Juliane Cohen gibt es für die Zeit nach ihrer Ankunft keine weitere Nachricht, sie gilt als am 28. Februar 1945 im Vernichtungslager Auschwitz an den Entbehrungen der Haft gestorben1202. Seine Tochter  Margot Frank und deren Tochter Sophia Juliana Senta Lindeman wurden am 6. Oktober 1944 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet1203. Seine Tochter Ruth Cohen überlebte das Konzentrationslager Bergen-Belsen. Sie kam einige Male nach Bocholt aus ihrer neuen Wahlheimat Amsterdam zurück und wohnte dann in der Familie von Norbert Lorch, einem der noch hier wohnenden Bocholter jüdischen Glaubens1204.

1193 JHM A, Joodsmonument, p. 388966. 1194 Ebd. 1195 Privatbesitz Josef Niebur, Niederschri über ein Interview mit Karl Walber (1922 - 2010) am 18. Dezember 1993, geführt durch Werner Sundermann und Josef Niebur. 1196 Amtsgericht Bocholt, Abt. 5, Toderklärungsakte Juliane und Sa1ly Cohen, Aktz. 5 II 31/32-59, Blatt 29, Informatie Bureau van het Nederlandsche Roode Kruis, s‘Gravenhage, 10. November 1959. 1197 Ebd., BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 902341. 1198 StdA B, SBOH 3, Akte nach dem BEG 965, Ruth Skurnick. Stadt Bocholt Amt für Wiedergutmachung an Amts- gericht Bocholt, 20. August 1959. 1199 eresienstädter Gedenkbuch, S. 87. 1200 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Nieder- landen. 1201 Amtsgericht Bocholt, Abt. 5, Toderklärungsakte Juliane und Sa1ly Cohen, Aktz. 5 II 31/32-59, Blatt 29, Infor matie Bureau van het Nederlandsche Roode Kruis, s‘Gravenhage, 10. November 1959; BA, Gedenkbuch, Online version, Namenverzeichnis Nr. 903019. 1202 Ebd., nach StdA B, SBOH 3, Akte nach dem BEG 965, Ruth Skurnick, Stadt Bocholt – Amt für Wiedergutmachung an Amtsgericht Bocholt, 20. August 1959, starb Juliane Cohen am 28. Februar 1945 im ehemaligen Vernichtungs- lager Auschwitz. 1203 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 902341 und JHM A, Joodsmonument, p. 515787. 1204 Vgl. S. 123.

BUCH DER ERINNERUNG | 181 „[Nach 1960] besuchte uns Ruth Cohen, die Tochter von Sally Cohen. Sie war nach Deutschland zurückgekommen, um dort den Arzt zu suchen, der im KZ medizinische Versuche an ihr unternommen hatte. Er hatte Schmutz usw. in ihr absichtlich zuge- fügte Wunden gerieben. Ich sah die Schnitte an ihrem Körper.“ (Günter Lorch, 1930 – 20081205)

Ruth Cohen heiratete 1948 in Amsterdam Alter Skurnick1206. Am 9. August 1950 wan- derten die Eheleute als „Staatenlose“ über den Flughafen Sydney nach Australien ein1207. Am 5. Oktober 1994 starb Ruth Skurnick in Melbourne/Australien1208.

Bertha Bella Davids geborene Spier geboren am 19. März 1865 in Duisburg ermordet am 14. September 1942 im Ghetto eresienstadt

Bertha Bella Spier wurde am 19. März 1865 als Tochter von Sophia (geb. Levy, * 16. Dezember 1830, Duisburg – 28. Februar 1908, Bocholt1209) und Isaac Spier (* 1. April 1829, Bocholt – 16. Februar 1920, Bocholt1210) im Haus Nr. 130 (später: Neustraße 4) geboren1211. Ihr Vater Isaac Spier war von 1866 bis 1896 der erste vereidigte jüdische Lehrer in der israelitischen Schule in Bocholt, die am 14. Oktober 1876 zur öffentlichen Volksschule wurde1212. Von 1904 bis 1910 gehörte er dem Vorstand der israelitischen Gemeinde an. Danach war er bis zu seinem Tod 1920 stellvertretendes Vorstandsmitglied1213.

Bertha Bella Spier hatte drei Geschwister: – Berthold (* 5. März 1864, Ruhrort (heute: Duisburg) -1214) – Ida (* 14. März 1868, Bocholt – 29. Dezember 1927, Bocholt1215)  Amalie (* 27. Juni 1874, Bocholt – ermordet am 11. Februar 1943, Ghetto eresien- stadt1216).

1205 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über Interviews mit Günter Lorch (1930 – 2008), Bocholt, und seiner Frau Magdalene (geb. Sackers) am 9. Februar 1995 und am 2. März 1995, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur. 1206 Australian Jewish Genealogical Society (Vic), 18. August 2012. 1207 Ebd., 16. August 2012. 1208 Ebd., 18. August 2012. 1209 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1210 Ebd. 1211 Ebd. 1212 LA NW – STA MS, Regierung Münster Nr. 9567, Acta betreffend die Judenschule zu Bocholt von 1897. Königliche Regierung, Abteilung des Inneren, Münster, 14. Oktober 1876 (Abschrift). 1213 StdA B, SBOH 2 Nr. 1006, Wahl des Synagogenvorstandes und der Repräsentanten 1895–1916; SBOH 2 Nr. 1007. Wahl des Vorstandes und der Repräsentanten der Synagogengemeinde 1916–1935. 1214 Berthold Spier ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als während der Shoah ermordet verzeichnet. 1215 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1216 Vgl. Biogramm, S. 392.

182 | BUCH DER ERINNERUNG Am 22. Dezember 1890 heiratete Bertha Bella Spier in Bocholt Albert Davids (* 1860, Hüls bei Krefeld – 1940, Stade1217). Sie zog mit in den Heimatort ihres Mannes, wo er als Viehhändler tätig war1218.

In die Ehe wurde ein Sohn geboren: – Otto Davids (* 2. März 1898, Hüls bei Krefeld – ermordet am 15. Juni 1942, Vernich- tungslager Sobibor1219).

1908 zog die Familie nach Stade bei Hamburg, wo Albert Davids als Viehhändler tätig war1220, 1940 starb er in Stade1221. Mit seinem Tod hörte die jüdische Gemeinde Stade auf zu bestehen, weil nur noch drei Bürger jüdischen Glaubens dort wohnten. Danach wurde der jüdische Friedhof Stade auf Anordnung des Bürgermeisters eingeebnet1222.

Bertha Bella Davids hatte eine vom Bürgermeister Stade ausgestellte Kennkarte mit der Nummer 00081223. 1940 mussten Bertha Bella Davids und ihr Sohn Otto nach Hamburg ziehen1224. Otto Davids muss später aus Hamburg in den Geburtsort seines Vaters, Hüls bei Krefeld, verzogen sein. Am 13. Juni 1942 wurde er mit einem Deportationstransport aus den Bereichen der Stapoleitstellen Düsseldorf und Köln in das Vernichtungslager Sobibor deportiert, wo er am 15. Juni 1942 ankam1225. Wahrscheinlich wurde Otto Davids an diesem Tag in Sobibor ermordet1226.

Bertha Bella Davids wurde am 15. Juli 1942 aus Hamburg, Beneckestraße 71227, mit 925 Menschen jüdischen Glaubens in das Ghetto eresienstadt deportiert1228. Der Trans- port hatte die Nummer VI/11229, während des Transports trug sie die Häftlingsnummer 183 1230. Im Ghetto eresienstadt wohnte sie im Gebäude L 420, Zimmer 171231. Am 14. September 1942 wurde sie in diesem Ghetto ermordet1232.

In der offiziösen Todesfallanzeige vom 15. September 1942, unterzeichnet vom Lager arzt Dr. Franz Weigert, wurde der Todeszeitpunkt auf „15. September 1942, 7 h“ festgelegt. Bei Bertha Bella Davids wurde als offizielle Todesursache eine akute Darmentzündung angegeben1233.

1217 Bohmbach, Jürgen: Unser Grundsatz war, Israeliten nach Möglichkeit fernzuhalten. Zur Geschichte der Juden in Stade. Stade 1992, S. 52. 1218 Ebd. 1219 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 851195. 1220 Bohmbach, S. 52. 1221 Ebd., S. 56. 1222 Ebd., S. 56f. 1223 Nationalarchiv Prag: Patmatnik Terezín, Todesfallanzeige vom 15. September 1942. 1224 Ebd., S. 56. 1225 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 1226 Bohmbach, S. 56. 1227 Patmatnik Terezín, Terezín, an Hermann Oechtering, Bocholt, 3. Juli 2012. Todesfallanzeige vom 15. September 1942. 1228 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 1229 Terezínská pametní kniha, zitiert nach: http://www.yadvashem.org/wps/portal/!ut/p/_s.7_0_A/7_0_FL/. cmd/acd/.ar/sa.portlet.VictimDetailsSubmitAction/.c/6_0_9D/.ce/7_0_V9/.p/5_0_P1/.d/0?victim_details_ id=4890254&victim_details_name=Davids+Bertha&q1=sjfmI3S1Zwo%3D&q2=EbzXsOS6s6nqFozaGOhLE6Z JOwaRnKzB&q3=adsYslud0jM%3D&q4=adsYslud0jM%3D&q5=dMM2jhks%2FMo%3D&q6=3rqiy9QuDPU%3- D&q7=f0vH4b4vg7430NMAkXgtIfGXZ6CYfAV4&frm1_npage=1#7_0_V9 1230 Ebd. 1231 Nationalarchiv Prag: Patmatnik Terezín, Todesfallanzeige vom 15. September 1942. 1232 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 851020; http://www.holocaust.cz/de/victims/ PERSON. ITI.328953. 1233 Nationalarchiv Prag: Patmatnik Terezín, Todesfallanzeige vom 15. September 1942. Warum in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 024222 der 14. September 1942 als Ermordungstag angegeben wird, konnte nicht geklärt werden.

BUCH DER ERINNERUNG | 183 Tatsächlich dürfte Bertha Bella Davids jedoch den unmenschlichen und grausamen Um- ständen, die auch im Ghetto von eresienstadt herrschten, zum Opfer gefallen sein. Als in eresienstadt inhaftierte Angehörige wurde ihre Schwester „Myriam  Amalie Spier“ angegeben, die im Gebäude L 116 wohnte1234.

Elsa Ebstein geborene Silbernagel-Friedländer geboren am 12. März 1881 in Bocholt ermordet nach dem 9. Oktober 1944 im Vernichtungslager Auschwitz

Elsa Silbernagel-Friedländer wurde am 12. März 1881, „nachmittags 9 ¼ Uhr [sic]“ in Bocholt als Tochter des Kaufmanns Julius Silbernagel (* 18. August 1841 – 1235) und seiner Frau Laura (geb. Friedländer1236) im Haus Nr. 203 (heute: Ravardistraße) in Bo- cholt geboren1237. Die Familie verzog vor 1885 aus Bocholt1238.

Elsa Ebstein, die 1938 bereits in Breslau wohnte, beantragte beim Standesamt Bocholt nach der Richtlinie über die Führung der Vornamen vom 18. August 1938 die Hinzufü- gung des Zusatznamens „Sara“ zu ihrem Vornamen. Dem daraufhin auf der Geburts- urkunde angebrachten Randvermerk ist zu entnehmen: „Bocholt, am 11. Januar 1939 – das nebenbezeichnete Kind hat zusätzlich den Vornamen ‚Sara’ angenommen [...]“ 1239.

Elsa Ebstein wurde am 30. August 1942 mit dem Deportationszug IX/2 aus Breslau in das Ghetto eresienstadt deportiert, sie hatte die Häftlingsnummer 1521240. Der Trans- port kam am 31. August 1942 im Ghetto eresienstadt an1241. Die Deportation aus dem Ghetto eresienstadt in das Vernichtungslager Auschwitz erfolgte am 9. Oktober 1944, zusammen mit 1600 Menschen jüdischen Glaubens mit dem Transport „Ep“1242, Elsa Ebstein hatte die Häftlingsnummer 69101243. Im Vernich- tungslager Auschwitz wurde Elsa Ebstein ermordet1244.

Am 8. Juli 1948 wurde im Geburtenregister von Bocholt der „nach der Verordnung vom 17.8.1938 bezeichnete Vorname ‚Sara’ [...] gelöscht [...]“ 1245.

1234 Patmatnik Terezín, Terezín, an Hermann Oechtering, Bocholt, 3. Juli 2012. Todesfallanzeige vom 15. September 1942. 1235 Stadtarchiv Bocholt, 5. September 2011. Weitere Informationen waren nicht zu ermitteln. 1236 Ebd., weitere Informationen waren nicht zu ermitteln. 1237 Ebd., 5. September 2011, Personenstandsregister 1847 – 1885. 1238 Personenstandsregister, S. 429. 1239 Stadtarchiv Bocholt, 5. September 2011, Standesamtsregister. 1240 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 853783. 1241 eresienstädter Gedenkbuch, S. 87. 1242 Ebd. 1243 Terezínská pametní kniha, zitiert nach: http://www.yadvashem.org/wps/portal/!ut/p/_s.7_0_A/7_0_FL/. cmd/acd/.ar/sa.portlet.VictimDetailsSubmitAction/.c/6_0_9D/.ce/7_0_V9/.p/5_0_P1/.d/0?victim_details_ id=4890254&victim_details_name=Davids+Bertha&q1=sjfmI3S1Zwo%3D&q2=EbzXsOS6s6nqFozaGOhLE6Z JOwaRnKzB&q3=adsYslud0jM%3D&q4=adsYslud0jM%3D&q5=dMM2jhks%2FMo%3D&q6=3rqiy9QuDPU%3- D&q7=f0vH4b4vg7430NMAkXgtIfGXZ6CYfAV4&frm1_npage=1#7_0_V9. 1244 eresienstädter Gedenkbuch, S. 492. 1245 Stadtarchiv Bocholt, 5. September 2011, Standesamtsregister.

184 | BUCH DER ERINNERUNG Regina Faibusch geborene Levy geboren am 23. Oktober 1890 in Bocholt ermordet nach dem 30. Oktober 1941 im Ghetto Lodz

Regina Levy wurde am 23. Oktober 1890 in Bocholt Feldmark Nr. 1791 (heute: Ernst- straße) als Tochter des Kaufmanns David Levy (* 21. August 1860, Carolinensiel -1246) und der Hausfrau Elisabeth (geb. Altgenug, * 13. Juni 1858, Aurich – 1247) geboren. Später zog die Familie nach Köln1248. Regina Levy heiratete dort Willi Faibusch1249.

Am 30. Oktober 1941 wurde Regina Faibusch aus Köln zusammen mit etwa 1000 Men- schen jüdischen Glaubens in das Ghetto Lodz deportiert. Der Zug erreichte das Ghetto am nächsten Tag1250. Dies ist die letzte Nachricht über Regina Faibusch, die im Ghetto Lodz ermordet wurde1251.

Auf der Website „MEMORBUCH der juedischen Opfer von Deutschland und Oester- reich 1933-1939“ wird ihr Name genannt1252.

Margot Frank geborene Cohen geboren am 15. Juli 1921 in Bocholt ermordet am 6. Oktober 1944 im Vernichtungslager Auschwitz

Margot Cohen wurde am 15. Juli 1921 in Bocholt, Schwartzstraße 12, geboren1253. Ihre Eltern waren der Kaufmann  Sally Cohen (* 19. April 1892, Bocholt – ermordet am 30. September 1944, Vernichtungslager Auschwitz1254) und  Juliane (geb. Franzmann, * 4. Dezember 1899, Dinslaken – gestorben an den Folgen der Haft am 28. Februar 1945, ehemaliges Vernichtungslager Auschwitz1255).

Margot Cohen hatte eine Schwester: – Ruth Skurnik (geb. Cohen, * 24. Januar 1923, Bocholt, die u. a. das polizeiliche Juden- durchgangslager Westerbork und das Konzentrationslager Bergen-Belsen überlebte.

1246 Personenstandsregister, S. 99; David Levy ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als während der Shoah ermordet verzeichnet. 1247 Elisabeth Levy ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als während der Shoah ermordet verzeichnet. 1248 Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Page of Testimony, Alex Salm, Wegberg, 15. März 1999. 1249 Ebd. 1250 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 1251 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 63406. 1252 http://www.kristallnacht1938.org/list. 1253 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1254 Vgl. Biogramm S. 178. 1255 Vgl. Biogramm S. 172.

BUCH DER ERINNERUNG | 185 Im Jahre 1950 wanderte sie aus den Niederlanden nach Australien aus, wo sie 1994 starb1256).

Nach mehreren Umzügen lebte Margot Cohen mit ihren Eltern und der Schwester Ruth im Haus Dingdener Straße 1161257.

Am 2. Januar 1939 floh Margot Cohen nach Goor in die Niederlande1258. Hier lebte ihre Tante  Hedwig Polak (geb. Cohen, * 22. Juli 1898, Bocholt – ermordet am 11. Juni 1943, Vernichtungslager Sobibor1259), die Schwester ihres Vaters  Sally Cohen. Ihre Eltern flohen sechs Wochen später am 21. Februar 1939 nach Amsterdam1260.

In Almelo, wo Margot Cohen in der Schuttenstraat 1 wohnte, heiratete sie 1939 Hein Lindeman (* 31. Juli 1918, Almelo/Niederlande – ermordet am 23. April 1943, Ver- nichtungslager Sobibor1261). Dort brachte sie am 10. Februar 1940 ihre Tochter Sophia Juliana Senta zur Welt1262. Am 21. März 1940 verzog Margot Lindeman-Cohen mit Mann Hein Lindeman und Tochter Sophia Juliana Senta nach Amsterdam/Niederlande in die Kromme Mijdrechtstraat 82, wo auch ihre Mutter  Juliane Cohen und wahrscheinlich auch ihr Vater  Sally Cohen wohnten. 1941 wurden Margot und Hein Lindeman geschieden1263.

Am 19. Juli 1942 wurde Margot Lindeman mit ihrer Tochter Sophia Juliana Senta aus Amsterdam in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork geschafft.

Schon am 27. Juli 1942 heiratete Margot Lindemann Siegfried Frank (* 7. Mai 1913, Velen (heute: Ramsdorf-Velen) – ermordet am 23. Januar 1945, Konzentrationslager Buchen wald1264). Siegfried Frank war am 17. November 1938 aus seinem Geburtsort Velen/Kreis Borken nach Groenlo/Niederlande gezogen. Am 13. Februar 1939 zog er nach Beesel, wo er im Dominicanerplein 385 (Auffanglager Reuver) wohnte, am 1. Mai 1939 war er in das Auffanglager Zeeburgerdijk in Amsterdam gekommen. Seit dem 9. November 1939 war er einer der ersten Bewohner im seinerzeitigen Flüchtlingslager Wester bork. Die Heirat fand in großer Eile statt: Beide sollten demnächst zum Arbeits- einsatz nach Deutschland – so wurden die Deportationen genannt1265.

Dennoch wurden Margot, Siegfried und Sophia Frank erst am 4. September 1944 nach eresienstadt deportiert. Dies war einer der letzten Transporte aus Westerbork1266. Einen Monat später kamen sie aus dem Ghetto eresienstadt am 4. Oktober 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz1267. In Auschwitz wurden Margot Frank und ihre Tochter Sophia Juliana Senta am 6. Oktober 1944 umgebracht1268. Ihr Mann Siegfried

1256 Australian Jewish Genealogical Society (Vic), 18. August 2012. 1257 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1258 Ebd. 1259 Vgl. Biogramm S. 347. 1260 StdA B, 57 K 102 – kein Aktentitel -, Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962). 1261 Gemeente Almelo, 29. September 2009. 1262 Nach Joodsmonument, p. 515787 war das Kind Sophia Juliana Senta von Siegfried Frank. Margot Frank soll Mutter von zwei Kindern gewesen sein (Amtsgericht Bocholt, Toderklärungsakte Cohen, 5 II 31-32/59 Blatt 11, Jeanette Wolff, MdB, eidesstattliche Erklärung, Bad Bernek, 13. August 1959). Die Daten des zweiten Kindes waren nicht zu ermitteln. 1263 JHM A, Joodsmonument, p. 543918. 1264 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 868632. 1265 Gemeente Almelo, 29. September 2009. 1266 Herinneringscentrum kamp Westerbork, 18. August 2011. 1267 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Nieder- landen. 1268 Ebd., in: http://www.levie-kanes.com/new-website/famtree/n_1918.htm#1 wird als Ermordungsort Auschwitz- Katowice genannt.

186 | BUCH DER ERINNERUNG Frank war schon am 29. September 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz und von dort in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt worden, wo er am 23. Januar 1945 ermordet wurde1269.

Margot Franks Vater  Sally Cohen war am 30. September 1944 im Vernichtungslager Auschwitz getötet worden1270. Ihre Mutter  Juliane Cohen starb am 28. Februar 1945 an Entkräftung im ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz1271.

Ihre Schwester Ruth, die das Konzentrationslager Bergen-Belsen überlebte, heiratete 1948 in Amsterdam/Niederlande Alter Skurnik. Am 9. August 1950 reisten die Eheleute als „Staatenlose“ über den Flughafen Sydney nach Australien ein1272. Am 5. Oktober 1994 starb Ruth Skurnik in Melbourne/Australien1273.

Carola Friedberger geborene Schindler geboren am 25. Dezember 1895 in Bocholt ermordet nach September 1942 im Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno)

Carola Schindler wurde am 25. Dezember 1895 in Bocholt geboren1274. Ihre Eltern waren Hulda (geb. Isaac, * 26. Mai 1863, Xanten – 1941, USA1275) und Ferdinand Schindler (* 1. Mai 1867, Gorek bei Oppeln1276 – 19. Januar 1940, Shanghai /China1277). Ferdinand Schindler war am 26. Februar 1895 aus Reichenbach nach Bocholt gekommen. Vor 1906 verzog die Familie wieder aus Bocholt. In der Einwohnermeldekartei, die 1906 eingerichtet wurde, sind sie nicht verzeichnet1278. Später verzog Carola Schindler nach Solingen und heiratete Eugen Friedberger (* 1. Dezember 1883, Solingen – ermordet im September 1942, Vernichtungslager Kulm- hof/ Chelmno1279). Sie wohnte im Haus der Familie Schindler an der Ecke Schwertstraße/ Hauptstraße1280. Nach 1926 lebte das Ehepaar in Köln1281.

1269 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 868632. 1270 JHM A, Joodsmonument, p. 515935. 1271 Ebd., Nr. 515785; nach StdA B, SBOH 3, Akte nach dem BEG 965, Ruth Skurnik. Stadt Bocholt – Amt für Wieder- gutmachung – an Amtsgericht Bocholt, 20. August 1959 . 1272 Australian Jewish Genealogical Society (Vic), 18. August 2012. 1273 Ebd., 18. August 2012. 1274 Carola Schindler ist in der verfilmten Einwohnermeldekartei 1906–1962 im Stadtarchiv Bocholt nicht verzeich- net. Das BA - Dienststelle Berlin -, Auskunft vom 17. Juni 2009, teilte mit, dass Carola Friedberger im Bestand R 1509 - Reichssippenamt - auf der Ergänzungskarte für Angaben über Abstammung und Vorbildung aus der Volkszählung vom 17. Mai 1939 mit klarem Bezug zu Bocholt genannt wird. 1275 http://records.ancestry.com/Albert_Cohn_records.ashx?pid=169635189. 1276 StdA B, Personenstandsregister, Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Full Record Details for Friedberger Karola, Alex Salm, 15. März 1998. 1277 Yad Vashem, List of Jewish refugees from Central Europe who died in Shanghai, 1940–1945. 1278 Ebd. 1279 Stefan Kahlen, Solingen, 10. September 2008, BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 69821. 1280 http://www2.solingen.de/C12573970063EF58/html/2B749195BA0AF51C12573A3003F582F?openDocument. 1281 Ebd.

BUCH DER ERINNERUNG | 187 Am 30. Oktober 1941 wurden Carola Friedberger und ihr Mann Eugen aus Köln zusam- men mit 1030 Menschen jüdischen Glaubens in das Ghetto Lodz deportiert, das sie am nächsten Tag erreichten1282. Im September 1942 wurden Carola und Eugen Fried- berger weiter in das Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) deportiert. Hier wurde das Ehepaar im gleichen Monat ermordet1283.

Walter Friede geboren am 21. Januar 1885 in Bocholt ermordet nach dem 31. Januar 1942 im Ghetto Riga

Walter Friede wurde am 21. Januar 1885 als Sohn des Kaufmanns Philipp Friede (* 10. Juli 1848, Oestrich bei Iserlohn – 1922, Dortmund1284) und dessen Frau Clara (geb. Davids, * 20. Dezember 1863, Hüls bei Krefeld – Ende der 1920er Jahre1285, Dortmund) im Haus Nr. 6 (heute: Osterstraße) in Bocholt geboren1286.

Sein Vater Philipp Friede war Miteigentümer der mechanischen Weberei David Friede. Seit dem 18. August 1872 gehörte er dem St. Georgius-Schützenverein an1287. 1897 ver- zog die Familie nach Dortmund1288. In Dortmund heiratete Walter Friede später Martha Schickler (* 29. Dezember 1898, Wuppertal – ermordet am 18. Dezember 1944, Konzentrationslager Stutthof). Dem Ehepaar wurden zwei Kinder geboren: – Ernst (* 1923, überlebte die Shoah in Schweden1289), – Cläre (* 7. April 1924, Dortmund – ermordet nach dem 9. August 1944, Konzentra- tionslager Stutthof1290).

„Walther [sic] Friede nutzte das Haus Ostenhellweg als Geschäftshaus für sein Bet- tengeschäft und teilweise auch als Wohnhaus. Die letzten Jahre bis zur Deportation war Walther Friede mit Frau und Tochter dort auch wohnhaft. Das Haus Ostenhellweg befand sich lt. Adreßbuch 1941 noch im Besitz der Erbengemeinschaft Philipp Friede bzw. Walter Friede Miterben. [...]“ (Feststellungen des Stadtarchivs Dortmund1291)

1282 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 1283 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 869821. 1284 http://www.azonline.de/lokales/kreis_coesfeld/luedinghausen/238310_Einweisung_in_ein_Altersheim.html All- gemeine Zeitung Coesfeld (Onlineversion), 1. Juni 2008. Das Todesdatum war nicht zu ermitteln. 1285 http://www.erport-do.de/wiki/index.php/Friede,_Martha. 1286 Personenstandsregister 1886–1897, S. 330. 1287 Westerhoff, Ballotagen. 1288 Personenstandsregister 1886–1897, S. 330. 1289 StdA Dortmund, 1. Oktober 2008. 1290 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 869965. 1291 StdA Dortmund, 1. Oktober 2008.

188 | BUCH DER ERINNERUNG Aus dem Haus Ostenhellweg 41, das Walter Friede gehörte, wurde 1939 ein sog. Juden- haus1292. Hieraus wurden Walter und Martha Friede sowie ihre Tochter Cläre am 23. Januar 1942 verhaftet1293, im Saal der Börse mit 1500 anderen Juden konzentriert, um am 27. Januar 1942 in das Ghetto Riga deportiert zu werden1294.

„Wir bekamen eine Aufforderung ‚Zwecks Aussiedlung und Kultivierung des deutschen Ostens haben Sie sich am 23. Januar 1942 in der Börse in Dortmund einzufinden.’ Im großen Saal der Börse, wo 1500 Deportierte auf engem Raum eingepfercht waren, la- gen wir nun vier Tage auf der Erde. Diese Tage werde ich nicht vergessen. […] Plötz- lich riefen die SS-Männer drei Personen auf. Wir kannten sie, der eine hatte jahrelang eine kranke ‚arische’ Frau gehabt, um die er sich sehr gekümmert hatte. Doch das war ‚Rassenschande’, weswegen sie zu einer Zuchthausstrafe verurteilt und nur freigelas- sen worden waren, weil sie mit uns deportiert werden sollten. Die drei wurden in den Hof der Börse geführt und dort erschossen. Nun machten wir uns keine Illusionen mehr über das Schicksal, das uns erwartete. Einige von uns drehten wegen der großen psychischen Belastung durch, die auf uns lag. Sie begannen zu schreien. Und so war es geradezu wie eine Entlastung, als es dann am Abend des 26. Januar 1942 hieß, daß wir am nächsten Morgen deportiert werden sollten. Doch war uns unklar, wohin. Es hatte nur immer geheißen: ‚Nach dem Osten’. Wir wurden am frühen Morgen des nächsten Tages, eines kalten Wintertages, zum Dortmunder Güterbahnhof gebracht. Es waren alte Güterwaggons, in die wir hinein- getrieben wurden. Wir sollten die festgefrorenen Toiletten säubern. Doch das ging nicht.“ (Edith Marx, geborene Wolff, wurde am 27. Januar 1942 zusammen mit der Familie Friede deportiert)1295

Walter Friede wurde im oder beim Ghetto Riga ermordet1296. Martha Friede und ihre Tochter Cläre Friede wurden bei der Auflösung des Konzen- trationslagers Kaiserwald im Spätsommer/Frühherbst 1944 in das Konzentrationslager Stutthof deportiert.

Tochter Cläre kam dort am 9. August 1944 an, dies ist das letzte Lebenszeichen von ihr. Im Konzentrationslager Stutthof wurde sie umgebracht1297.

Martha Friede kam am 10. Oktober 1944 im Konzentrationslager Stutthof an, wo sie am 18. Dezember 1944 ermordet wurde1298.

Sohn Ernst überlebte die Shoah in Schweden1299.

1292 Ebd. 1293 Ebd. 1294 Vgl. Edith Marx, Wir fühlten uns wie Schlachtvieh, S. 470. 1295 Ebd. 1296 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 870093. 1297 Ebd., Nr. 869965. 1298 Ebd., Nr. 870025. 1299 StdA Dortmund, 1. Oktober 2008.

BUCH DER ERINNERUNG | 189 Amalie Goedhardt geborene Goedhardt geboren am 16. Juli 1898 in Bocholt ermordet am 16. Juli 1943 im Vernichtungslager Sobibor

Amalie Goedhardt wurde am 16. Juli 1898 in Bocholt geboren. Ihre Eltern waren Betty (geb. Delevi, * 20. September 1858, Emden – 9. März 1919, Bocholt1300) und der Händler Louis Goedhardt (* 25. Oktober 1868, Ruurlo/ Niederlande1301 – 27. Oktober 1941, Winterswijk/Niederlande1302).

Amalie Goedhardt hatte einen Bruder:  Max (* 30. September 1895, Bocholt – ermordet am 28. Februar 1943, Vernichtungs- lager Auschwitz1303).

Sie wohnte mit ihrer Familie in Bocholt, Nordstraße 26. Ihre Mutter Betty Goedhardt starb am 9. März 1919 und wurde auf dem israelitischen Friedhof in Bocholt beigesetzt1304.

1918 zog Amalie Goedhardt nach Amsterdam und heiratete dort am 5. Juni 19181305 Louis Goedhardt (* 4. November 1893, Amsterdam/Niederlande – ermordet am 16. Juli 1943, Vernichtungslager Sobibor1306).

Dem Ehepaar wurden in Amsterdam/Niederlande vier Kinder geboren: – Betty (oder Rebecca) (* 2. Februar 1920 – 16. März 1993, Amsterdam/Niederlande) – Paula Weijl (geb. Goedhardt, * 3. Februar 1921 – ermordet am 2. Juli 1943, Vernichtungs lager Sobibor), – Selma Frederika (* 31. Mai 1923 – ermordet am 9. Juli 1943, Vernichtungslager Sobibor) – Abraham (* 26. Februar 1933 – ermordet am 16. Juli 1943, Vernichtungslager Sobibor)1307.

Im Februar 1941 wohnte die Familie dort in der Scheldestraat 94 II1308. Vor Juli 1943 wurden Amalie und Louis Goedhardt mit ihrem Sohn Abraham (wahr- schein lich auch ihre Kinder Paula und Selma Frederika) in das polizeiliche Judendurch- gangslager Westerbork gebracht1309.

Am 13. Juli 1943 wurden sie von hier in das Vernichtungslager Sobibor deportiert1310. Im Vernichtungslager Sobibor wurden Amalie, Louis und Abraham Goedhardt am 16. Juli 1943, ihrem Ankunftstag, umgebracht1311.

1300 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1301 Ebd. 1302 Gemeente Winterswijk: Jüdische Einwohner Winterswijk. 1303 Vgl. Biogramm S. 197. 1304 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 29. 1305 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1306 JHM A, Joodsmonument, p. 493019. 1307 Ebd. 1308 Ebd. 1309 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 874800. 1310 Ebd., Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlanden. 1311 http://www.yadvashem.org/wps/portal/!ut/p/_s.7_0_A/7_0_2KE/.cmd/acd/.ar/sa.portlet.VictimDetailsSubmitA ction/.c/6_0_1L5/.ce/7_0_2KI/.p/5_0_2E6?victim_details_id=135054. Hier ist als Ermordungsort „Sobibor-Biala Podleska, Poland“ angegeben.

190 | BUCH DER ERINNERUNG Ihre Tochter Paula Weijl-Goedhardt wurde in Sobibor am 2. Juli 1943, deren Schwester Selma Frederika am 9. Juli 1943 umgebracht1312. Tochter Betty (Rebecca) überlebte die Zeit der Shoah in den Niederlanden, sie starb am 16. März 1993 in Amsterdam1313.

Jacob Goedhardt geboren am 3. November 1878 in Aalten/Niederlande ermordet am 9. April 1943 im Vernichtungslager Sobibor

Jacob Goedhardt wurde am 3. November 1878 in Aalten/Niederlande geboren1314. Seine Eltern waren der Metzger Levi Goedhardt (* 1814, Aalten/Niederlande – 4. November 1895, Bocholt1315) und dessen Frau Esther (geb. Stern, * 11. Januar 1835, Grussheim1316 – Todesdatum und -ort nicht bekannt). Sie heirateten am 7. Februar 18561317.

Am 24. September 1888 zogen Esther und Levi Goedhardt mit ihren Kindern: – Meyer (* 16. August 1866, Bergh/Niederlande – 4. September 1906, Bocholt1318) – Louis (* 25. Oktober 1868, Ruurlo/Niederlande – 27. Oktober 1941, Winterswijk/ Niederlande1319). – Helena (* 25. November 1872, Aalten/Niederlande – 22. August 1890, Bocholt1320) – Ri[e]ka Herz (geb. Goedhart, * 13. Dezember 1873, Aalten/Niederlande – 29. April 1942, Maastricht/Niederlande1321) – Jacob aus Aalten/Niederlande nach Bocholt Nr. 2541322.

Am 6. September 1897 zog Jacob Goedhardt nach Amsterdam/Niederlande1323. Er hei- ratete am 21. Dezember 1900 in Emmen/Niederlande1324  Sara (geb. Denneboom, * 26. Juli 1874, Hardenbergh/Niederlande – ermordet am 9. April 1943, Vernichtungs- lager Sobibor1325).

Danach zogen Jacob Goedhardt und seine Frau Sara Anfang 1901 nach Bocholt, Nr. 547 (heute: Osterstraße) zurück.

1312 JHM A, Joodsmonument, p. 493018. 1313 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~herediasittig/pp/d0010/I53397.html. 1314 Personenstandsregister, S. 33. 1315 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 25. 1316 Personenstandsregister, S. 33. 1317 http://www.geni.com/people/Ester-Stern/6000000002725575228. 1318 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906-1962. 1319 Gemeente Winterswijk/NL, Jüdische Einwohner Winterswijk. 1320 Personenstandsregister, S. 33. 1321 JHM A, Joodsmonument, p. 455106. 1322 Personenstandsregister, S. 33. 1323 Ebd. 1324 http://www.gershon-lehrer.be/FmT/webtrees/individual.php?pid=I24423&ged=Family%20Tree. 1325 Vgl. Biogramm S. 200.

BUCH DER ERINNERUNG | 191 Hier wurden dem Ehepaar zwei Söhne geboren:  Louis (* 20. Dezember 1901, Bocholt1326 – ermordet am 28. Mai 1943, Vernichtungs- lager Sobibor 1327)  Josef Karl (* 17. Februar 1910, Bocholt1328 – ermordet am 9. Juli 1943, Vernichtungs- lager Sobibor1329).

Später zog die Familie in die Langenbergstraße 14, seit 1910 führte Jacob Goedhardt in der Langenbergstraße 13, wo die Familie dann auch wohnte, ein Gemüsegeschäft1330. Das Geschäft hatte die Rufnummer 5891331.

Im Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Stadtgemeinde Bocholt zur Wahl der Repräsentanten 1913 wurde Jacob Goedhardt so aufgeführt1332: Nr. Name Vorname Alter Wohnung Beruf 19 Goedhardt Jakob 32 Langenbergstr. 13 Gemüsegeschäft

Um 1930 zog die Familie in das Haus Ravardistraße 301333.

Im Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt vom 25. Juli 1932 ist er wie folgt verzeichnet1334: Nr. Name Vorname Alter Wohnung Beruf 62 Goedhardt Jakob 50 Ravardistr. 31 Kaufmann

Nach der Eintragung in der Einwohnermeldekarte vom 3. September 1933 floh Jacob Goedhardt mit seiner Familie – wohl wegen der antisemitischen Vorgänge im März 1933 in Bocholt – ohne meldeamtliche Abmeldung („seit August 1933 unbekannt ver- zogen“) nach Aalten in die Niederlande1335.

Später zogen Jacob und  Sara Goedhardt nach Amsterdam/Niederlande. Im Februar 1941 wohnten sie dort im Beukenweg 111336. Vor April 1943 wurde das Ehepaar in Amsterdam verhaftet und in das polizeiliche Ju- dendurchgangslager Westerbork in Nordholland verschleppt.

Von dort aus deportierte man Jacob und  Sara Goedhardt am 6. April 1943 mit einem Deportationszug mit 2020 Menschen jüdischen Glaubens in das Vernichtungslager Sobibor1337. Dort brachte man das Ehepaar Jacob und  Sara Goedhardt am 9. April 1943 um1338. Sohn  Louis Goedhardt wurde am 28. Mai 1943 in Sobibor ermordet1339. Den anderen Sohn,  Josef Karl Goedhardt, brachten die Nazis am 9. Juli 1943 in Sobibor um1340.

1326 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1327 Vgl. Biogramm S. 196. 1328 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1329 Vgl. Biogramm S. 193. BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 874799. 1330 Einwohnerbuch 1926, S. 168. 1331 Ebd., S. 62. 1332 StdA B, SBOH 2 Nr. 1006, 1894–1916 Wahl des Synagogenvorstandes und der Repräsentanten, Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Stadtgemeinde Bocholt zur Wahl der Repräsentanten vom 26. Juli 1913. 1333 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1334 Ebd, SBOH 2 Nr. 1007. Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt vom 25. Juni 1932. 1335 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1336 JHM A, Joodsmonument, p. 396252. 1337 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Nieder- landen. 1338 Ebd., JHM A, Joodsmonument, p. 396252. 1339 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 531715. 1340 JHM A, Joodsmonument, p. 531715.

192 | BUCH DER ERINNERUNG Josef Karl Goedhardt geboren am 17. Februar 1910 in Bocholt ermordet am 9. Juli 1943 im Vernichtungslager Sobibor

Josef Karl Goedhardt wurde am 17. Februar 1910 in Bocholt im Haus Ravardistraße 30 geboren. Als Rufname war Karl auf der Einwohnermeldekarteikarte eingetragen1341.

Seine Eltern waren der Händler  Jacob Goedhardt (* 3. November 1878 Aalten/ Nie- derlande – ermordet am 9. April 1943, Vernichtunglager Sobibor1342) und  Sara (geb. Denneboom, * 26. Juli 1874, Hardenbergh/Niederlande – ermordet am 9. April 1943, Vernichtunglager Sobibor1343).

Josef Karl Goedhart hatte einen Bruder:  Louis Goedhardt (* 20. Dezember 1901, Bocholt – ermordet am 28. Mai 1943, Ver- nichtungslager Sobibor1344).

Später zog die Familie in die Langenbergstraße 14, seit 1910 wohnte sie in der Langen- bergstraße 13 und betrieb dort ein Gemüsegeschäft1345. Vor 1930 zog die Familie in das Haus Ravardistraße 311346.

Am 20. Juli 1933 zog Josef Karl Goedhardt wohl wegen der z. T. gewalttätigen anti- semitischen Vorfälle zur Monatswende März/April 1933 aus Bocholt nach Amsterdam in die Niederlande1347. Dort heiratete er am 1. März 1939 Vrouwtje Biermann (* 31. Januar 1911, Amsterdam/ Niederlande – ermordet am 9. Juli 1943, Vernichtungslager Sobibor1348). Im Februar 1941 wohnte das Ehepaar in der Christiaan-de-Wetstraat 16II in Amsterdam/ Niederlande1349.

Aus Amsterdam wurden Josef Karl und Vrouwtje Goedhardt im Juni 1943 in das polizei- liche Judendurchgangslager Westerbork gebracht. Am 6. Juli 19431350 wurden sie zusam- men mit 2415 Menschen jüdischen Glaubens aus Westerbork in das Vernich tungs lager Sobibor deportiert1351. Hier wurden Josef Karl und Vrouwtje Goedhardt am 9. Juli 1943 umgebracht1352.

Seine Eltern  Jacob und  Sara Goedhardt hatte man schon am 9. April 1943 dort getötet1353. Der Bruder  Louis Goedhardt wurde am 28. Mai 1943 im Vernichtungs- lager Sobibor umgebracht1354.

1341 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1342 Vgl. Biogramm S. 191. 1343 Vgl. Biogramm S. 200. 1344 Vgl. Biogramm S. 196. 1345 Einwohnerbuch 1926, S. 168. 1346 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1347 Ebd. 1348 JHM A, Joodsmonument, p. 528410. 1349 Ebd., p. 528 411. 1350 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 874799. 1351 Ebd., Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlanden. 1352 JHM A, Joodsmonument, p. 528411. 1353 Ebd., p. 396252. 1354 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 874802.

BUCH DER ERINNERUNG | 193 Joseph Goedhardt geboren am 5. März 1921 in Bocholt ermordet am 28. Februar 1943 im Vernichtungslager Auschwitz

Joseph Goedhardt wurde am 5. März 1921 in der Nordstraße 26 in Bocholt geboren1355. Sein Vater war der Händler Louis Goedhardt (* 25. Oktober 1868, Ruurlo/Niederlande – 27. Oktober 1941, Winterswijk/Niederlande1356), seine Mutter  Isabelle (geb. Laufer, * 4. April 1879, Worms – ermordet am 23. April 1943, Vernichtungslager Sobibor1357).

Louis Goedhardt hatte  Isabelle am 21. November 19191358 nach dem Tod seiner ersten Frau Betty (geb. Delevie, * 20. September 1858, Emden – 9. März 1919, Bocholt1359) geheiratet. Der ersten Ehe entstammten vier Kinder, das jüngste war beim Tod der Mutter vier Jahre alt.

Das Ehepaar betrieb im Haus Nordstraße 26 einen Gemüse- und Südfrüchtehandel1360. Hier wurde dem Ehepaar am 5. März 1921 Sohn Joseph geboren1361. Im Frühjahr 1933 ließen sich Joseph, seine Mutter  Isabelle und Vater Louis Goedhardt in der Meddose- straat 15 in der niederländisch-deutschen Grenzstadt Winterswijk nieder1362. Louis Goedhardt, der Vater, starb am 27. Oktober 1941 in Winterswijk/Niederlande1363.

Am 30. Dezember 19421364 wurde Joseph Goedhardt mit mehreren anderen Juden aus Winterswijk in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork verschleppt. Mit dem Zug wurde er am 23. Februar 1943 von dort aus zusammen mit 1100 Menschen jüdischen Glaubens in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Sie erreichten Auschwitz am 25. Februar 19431365.

Am 28. Februar 1943 wurde Joseph Goedhardt dort ermordet1366. Seine Mutter  Isabelle Goedhardt wurde am 23. April 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet1367.

1355 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1356 Gemeente Winterswijk/NL, Jüdische Einwohner Winterswijk. 1357 Vgl. Biogramm S. 195. 1358 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1359 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 28. 1360 Einwohnerbuch 1926, S. 129. 1361 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1362 Kooger, Hans: Het oude volk. Kroniek van joods-leven in de Achterhoek, Liemers en het grensgebied, Doetinchem 2001, p. 212. 1363 Gemeente Winterswijk, Liste jüdische Einwohner Winterswijk. 1364 Ebd. 1365 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlan- den. 1366 JHM A, Joodsmonument, p. 408950, ebenso BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 874798. 1367 JHM A, Joodsmonument, p. 342484, BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 342484.

194 | BUCH DER ERINNERUNG Isabelle Goedhardt geborene Laufer geboren am 4. April 1879 in Worms ermordet am 23. April 1943 im Vernichtungslager Sobibor

Isabelle Laufer wurde am 4. April 1879 in Worms geboren. Sie zog aus Worms im Herbst 1919 nach Bocholt in das Haus Nordstraße 261368. Sie heiratete am 21. November 19191369 Louis Goedhardt (* 25. Oktober 1868, Ruurlo/Niederlande – 27. Oktober 1941, Winterswijk/Niederlande1370), dessen erste Frau Betty am 9. März 1919 gestorben war1371.

Am 5. März 1921 gebar Isabelle Goedhardt den Sohn  Joseph. Er wurde am 28. Februar 1943 im Vernichtungslager Auschwitz umge- bracht1372.

Die Familie zog 1933, wohl wegen der anti semitischen Unterschrift von Vor fälle vom 31. März und Louis Goedhardt und 1. April 1933 – es wurden seiner Frau Isabelle. Scheiben an jüdischen Ge- Löschungsbewilligung vom 18. Februar 1927. schäften und Mobiliar zerstört (Amtsgericht Bocholt, – in die Meddosestraat 15 Grundbuchamt, Blatt 1373 nach Winterswijk . 1295, Blatt 90)

Louis Goedhardt starb am 27. Oktober 1941 und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Winterswijk beigesetzt1374.

Isabelle Goedhardt wurde am 30. Dezember 1942 in Win- terswijk verhaftet1375 und in das polizeiliche Judendurch- gangslager Wester bork geschafft. Von dort wurde Isabelle Goedhardt am 20. April 1943 in das Vernichtungslager Sobibor deportiert.

Isabelle Goedhardt wurde am 23. April 1943 dort ermordet1376. Ihr Sohn  Joseph Goedhardt war bereits am 28. Februar 1943 in Auschwitz ermordet worden1377.

1368 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1369 Ebd. 1370 Gemeente Winterswijk/NL, Jüdische Einwohner Winterswijk. 1371 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1372 Vgl. Biogramm S. 194. 1373 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; ein exaktes Datum ist nicht angegeben. Kooger: Het oude volk, p. 212. 1374 Ebd., p. 215. 1375 Gemeente Winterswijk, Liste jüdischer Einwohner Winterswijk. 1376 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 874 801. 1377 JHM A, Joodsmonument, p. 408 950.

BUCH DER ERINNERUNG | 195 Louis Goedhardt geboren 20. Dezember 1901 in Bocholt ermordet am 28. Mai 1943 im Vernichtungslager Sobibor

Louis Goedhardt wurde am 20. Dezember 1901 im Haus Nr. 547 (heute: Osterstraße) in Bocholt geboren1378. Seine Eltern waren der Händler  Jacob Goedhardt (* 3. November 1878, Aalten – er- mordet am 9. April 1943, Vernichtungslager Sobibor1379) und  Sara (geb. Denneboom, * 26. Juli 1874, Hardenbergh/Niederlande – ermordet am 9. April 1943, Vernichtungs- lager Sobibor1380). Am 2. Oktober 1910 zogen Louis Goedhardt und seine Familie nach „Holland“, sie kamen aber am 18. August 1912 nach Bocholt zurück. Die Familie hatte die niederländische Staatsangehörigkeit1381.

Louis Goedhardt hatte noch einen Bruder1382, den am 17. Februar 1910 in Bocholt geborenen  Josef Karl. Er wurde am 9. Juli 1943 im Vernichtungslager Sobibor umgebracht1383.

Die Familie zog zweimal in Bocholt um: zunächst von der Osterstraße in die Ravardi- straße 31, dann in die Langenbergstraße 13, wo sein Vater  Jacob Goedhardt ein Gemüsegeschäft führte1384. Im Einwohnerbuch 1926 wurde Louis Goedhardt als Kaufmann in der Langenbergstraße 13 geführt1385.

Seit September 1933 wurde er im Einwohnermelderegister als „unbekannt verzogen“ geführt1386. Er verzog wahrscheinlich mit seinen Eltern  Jacob und  Sara Goedhardt nach Aalten/ Niederlande. Im Februar 1941 wohnten sie im Beukenweg 11 in Amster- dam1387. Dort wurden sie später verhaftet und in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork gebracht.

Am 25. Mai 1943 wurde Louis Goedhardt von Westerbork aus zusammen mit 2861 Menschen jüdischen Glaubens in das Vernichtungslager Sobibor deportiert. Das Ver- nichtungslager erreichten sie am 28. Mai 19431388. Am Tag seiner Ankunft wurde er in Sobibor umgebracht1389.

Seine Eltern  Jacob und  Sara Goedhardt hatte man schon am 9. April 1943 dort getötet1390. Sein Bruder  Josef Karl wurde am 9. Juli 1943 ebenfalls im Vernichtungs- lager Sobibor umgebracht1391.

1378 Personenstandsregister, S. 33. 1379 Vgl. Biogramm S. 191. 1380 Vgl. Biogramm S. 200. 1381 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1382 Ebd., in JHM A, Joodsmonument, p. 531715, wird Louis Goedhardt nicht als Bruder von Joseph Karl Goedhardt genannt. 1383 Vgl. Biogramm S. 193. 1384 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1385 Einwohnerbuch 1926, S, 62. 1386 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1387 JHM A, Joodsmonument, p. 531715. 1388 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Nieder- landen. 1389 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 874 802. 1390 JHM A, Joodsmonument, p. 396 252, p. 531 716. 1391 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 528 411.

196 | BUCH DER ERINNERUNG Max Goedhardt geboren am 30. September 1895 in Bocholt ermordet am 28. Februar 1943 im Vernichtungslager Auschwitz

Max Goedhardt wurde am 30. September 1895 im späteren Haus Nord- straße 26 in Bocholt geboren. Seine Eltern waren Louis Goedhardt (* 25. Oktober 1868, Ruurlo/Niederlande – 27. Oktober 1941, Winters- wijk/Niederlande1392) und dessen erste Frau Betty (geb. Delevie, * 20. Sep- tember 1858, Emden – 9. März 1919, Bocholt1393).

Max Goedhardt hatte folgende Geschwister:  Amalie (* 16. Juli 1898, Bocholt – ermordet am 16. Juli 1943, Vernich- tungslager Sobibor1394) – Laura (* 1. Juli 1914, Bocholt -1395) – Willi (* 6. Mai 1915, Bocholt1396 – lebte 1969 in Helmond/Nieder- lande1397).

Sein Vater Louis Goedhardt heiratete am 21. November 1919  Isabelle (geb. Laufer, * 4. April 1879, Worms – ermordet am 23. April 1943, Ver- nichtungslager Sobibor1398).

Dieser Ehe entstammte:  Joseph Goedhardt (* 5. März 1921, Bocholt – ermordet am 28. Februar 1943, Vernichtungslager Auschwitz1399).

Max Goedhardt verzog 1922 nach Düsseldorf und emigrierte von dort in die Niederlande. 1941 wohnte er in der Reinwardstraat 106/II in Amster- dam1400.

Am 19. Oktober 1942 wurde er gemeinsam mit 1326 Menschen jüdischen Glaubens aus dem polizeilichen Judendurchgangslager Westerbork in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Dort kamen sie am 21. Oktober Anzeige des väterlichen 1942 an1401. Im Vernichtungs lager Auschwitz wurde Max Goedhardt am Geschäftes. 28. Februar 1943 ermordet1402. (StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt, 1928)

1392 Gemeente Winterswijk/NL, Jüdische Einwohner Winterswijk. 1393 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1394 Vgl. Biogramm S. 190. 1395 Laura Goedhardt ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 1396 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1397 http://www.ebmpapst.nl/nl/company/history/history.html. 1398 Vgl. Biogramm S. 195. 1399 Vgl. Biogramm S. 194. 1400 JHM A, Joodsmonument, p. 498600. 1401 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlan- den. 1402 JHM A, Joodsmonument, p. 498600; nach BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 874 803 wurde er zu einem nicht bekannten Zeitpunkt ermordet.

BUCH DER ERINNERUNG | 197 Philippina Lea Goedhart geborene Rosenburg

geboren am 27. April 1863 in Enschede/Niederlande ermordet am 14. Mai 1943 im Vernichtungslager Sobibor

Philippina Lea Rosenburg wurde am 27. April 1863 in Enschede/Niederlande ge- boren1403. Enschede in der Provinz Overijssel ist eine Großstadt im Osten der Nieder- lande. Hier gibt es heute noch eine jüdische Gemeinde und eine der größten Synagogen in den Niederlanden. Philippina Lea Rosenburg, die am 3. Februar 1890 nach Bocholt gezogen war, heira- tete am 27. Juni 1907 in Aalten den Händler  Salomon Goedhart (* 8. Oktober 1860, Bergh/Niederlande – ermordet am 14. Mai 1943, Vernichtungslager Sobibor1404). Philippina Lea Goedhart kam am 1. März 1910 mit ihrem Mann  Salomon und dem Sohn Markus (* 22. Februar 1893, Aalten/Niederlande – 30. Dezember 1938, Aalten/ Niederlande1405) nach Bocholt in das Haus Ostmauer 241406 zurück. Markus Goedhart wurde Fleischergehilfe1407.

Zurück nach Aalten/Niederlande in die Hoogestraat 94 zog die Familie schon ein Jahr nach ihrem Zuzug nach Bocholt, am 1. März 19111408. 1940 war die Niederlande von der deutschen Wehrmacht überfallen worden. Auch hier wurden die antisemitischen Gesetze eingeführt.

Im Juli 1942 wurde die Einrichtung der Wohnung in der Hoogestraat 94 von der Polizei in ein Verzeichnis des jüdischen Vermögens aufgenom- men1409. Am 10. April 1943 wurde das achtzig- und zweiundachtzigjährige Ehepaar aus Aalten mit einem Taxi über das Konzentrationslager Vught in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork verschleppt1410.

Aus Westerbork wurden Philippina Lea und  Salomon Goedhart am 11. Mai 1943 zusammen mit 1446 Leidensgenossen in das Vernichtungs- lager Sobibor deportiert. Hier kamen sie am 14. Mai 1943 an1411. Der 14. Mai 1943 ist auch der Ermordungstag von Philippina Lea und  Salomon Goedhart1412.

Die Namen von Philippina Lea und  Salomon Goedhart stehen auf einer Gedenktafel, die im Jahre 2000 an der westlichen Außenwand der Synagoge in Aalten angebracht wurde. Unter dem Psalmwort „Gedenk, Eeuwige, wat ons is geschied“ sind ihr die Namen der 39 ermordeten Juden aus Aalten zu entnehmen1413. Gedenktafel an der Außen wand der Synagoge in Aalten/ 1403 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~herediasittig/pp/d0026/I53585.html. Niederlande. 1404 Vgl. Biogramm S. 199. (Foto: Wim Hofs, 1405 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~herediasittig/pp/d0026/I53585.html. 1406 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. Aalten) 1407 Ebd. 1408 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1409 JHM A, Joodsmonument, p. 536055. 1410 Lurvink, p. 157. 1411 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlanden. 1412 JHM A, Joodsmonument, p. 536055. 1413 http://www.4en5mei.nl/oorlogsmonumenten/zoeken/monument-detail/_pid/main/_rp_main_ele- mentId/1_183032.

198 | BUCH DER ERINNERUNG Salomon Goedhart geboren am 8. Oktober 1860 in Bergh/Niederlande ermordet am 14. Mai 1943 im Vernichtungslager Sobibor

Salomon Goedhart wurde am 8. Oktober 1860 in Bergh/Nie- derlande1414 geboren.

Der Kaufmann zog am 22. Januar 1890 aus Krefeld kommend in Bocholt, Ostmauer 24, zu 1415. Vor Februar 1893 zog Salomon Goedhart nach Aalten.

Am 27. Juni 1907 heiratete Salomon Goedhart dort  Philippina Lea (geb. Rosenburg, * 27. April 1863, Enschede – ermordet am 14. Mai 1943, Vernichtungslager Sobibor1416).  Philippina Lea Goedhart kam am 1. März 1910 mit ihrem Mann Salomon und dem Sohn Markus (* 22. Februar 1893, Aalten/ Niederlande – 30. Dezember 1938, Aalten/ Niederlande1417) nach Bocholt in das Haus Ostmauer 241418. Markus Goedhart wurde später Fleischergehilfe. In diesem Haus in Aalten/Niederlande Zurück nach Aalten/Niederlande in die Hoogestraat 94 zog die Familie schon ein Jahr wohnte Salomon Goed- hart mit seiner Familie nach ihrem Zuzug nach Bocholt am 1. März 19111419. von 1911 bis 1942. (E.M. Smilda: Aalten in Salomon Goedhart war Ende der 1920er Jahre Mitglied des Vorstandes der Nederlands- oude ansichten, deel 1 1420 Israelse Gemeente Aalten . pag. 50.)

Am 10. April 1943 wurden Salomon Goedhart und seine Frau  Philippina Lea zusam- men mit elf weiteren Menschen aus Aalten mit Taxen in das Konzentrationslager Vught gebracht1421.

Noch am gleichen Tag wurde der Hausrat der deportierten Menschen aus den Häusern geholt und in einer Scheune an der Hoogestraat untergestellt. Nach einigen Tagen wurde er verkauft1422.

Aus dem polizeilichen Judendurchgangslager Westerbork, wohin sie später gebracht worden waren, wurden Salomon und  Philippina Lea Goedhart am 11. Mai 1943 zusammen mit 1446 Menschen jüdischen Glaubens in das Vernichtungslager Sobibor deportiert.

1414 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; nach der us-amerikanischen Datenbank Rootsweb (http:// freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~herediasittig/pp/d0012/I53370.html) wurde Salomon Goedhart in Heerenhoek geboren. 1415 Personenstandsregister, S. 21. 1416 Vgl. Biogramm S. 198 . 1417 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~herediasittig/pp/d0026/I53585.html. 1418 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1419 Ebd. 1420 Lurvink, p. 71. 1421 Lurvink, p. 157. 1422 Ebd., p. 158.

BUCH DER ERINNERUNG | 199 Am Tag ihrer Ankunft, 14. Mai 1943, wurden  Philippina Lea und Salomon Goedhart in Sobibor ermordet1423.

Die Namen von  Philippina Lea und Salomon Goedhart stehen auf einer Gedenktafel, die im Jahre 2000 an der westlichen Außenwand der Synagoge in Aalten angebracht wurde. Unter dem Psalmwort „Gedenk, Eeuwige, wat ons is geschied“, sind ihr die Na- men der 39 ermordeten Juden aus Aalten zu entnehmen1424.

Sara Goedhardt geborene Denneboom geboren am 26. Juli 1874 in Hardenbergh/Niederlande ermordet am 9. April 1943 im Vernichtungslager Sobibor

Sara Denneboom wurde am 26. Juli 1874 in Hardenbergh/Niederlande geboren. Sie war die Tochter von Roosje (geb. van Coeverden, 1840-19341425) und Jozeph Denneboom (1841-19291426). Ihr Geburtsort Hardenbergh ist eine Stadt in der niederländischen Provinz Overijssel. Heute hat die Stadt ca. 58.000 Einwohner1427.

Sara Denneboom heiratete am 21. Dezember 19001428 in Emmen/Niederlande  Jacob Goedhardt (* 3. November 1878, Aalten/Niederlande – ermordet am 9. April 1943, Vernichtungs lager Sobibor1429). Emmen ist eine Stadt im Südosten der niederländischen Provinz Drenthe mit ca. 110.000 Einwohnern.

Die Familie zog Anfang 1901 aus Aalten in Bocholt zu. Sara und  Jacob Goedhardt wohnten zunächst im Haus Nr. 547 (heute: Osterstraße)1430. Später zogen sie in die Lan- genbergstraße 13, hier betrieb  Jacob Goedhardt ein Lebensmittelgeschäft1431, wo sie im April 1929 noch wohnten1432. Vor 1930 zog die Familie in die Ravardistraße 311433.

Das Ehepaar hatte zwei Söhne:  Louis (* 20. Dezember 1901, Bocholt – ermordet am 28. Mai 1943, Vernichtungs- lager Sobibor1434).  Josef Karl (* 17. Februar 1910, Bocholt1435 – ermordet am 9. Juli 1943, Vernichtungs- lager Sobibor1436).

1423 JHM A, Joodsmonument, p.536055. 1424 http://www.4en5mei.nl/oorlogsmonumenten/zoeken/monument-detail/_pid/main/_rp_main_ele- mentId/1_183032. 1425 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~herediasittig/pp/d0017/I53375.html. 1426 Ebd. 1427 JHM A, Joodsmonument, p. 531716. 1428 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~herediasittig/pp/d0017/I53375.html. 1429 Vgl. Biogramm, S. 191. 1430 Personenstandsregister, S. 33. 1431 Einwohnerbuch 1926, S. 62. 1432 Ebd. 1433 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1434 Vgl. Biogramm, S. 196. 1435 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1436 Vgl. Biogramm, S. 193.

200 | BUCH DER ERINNERUNG Nach der Eintragung in der Einwohnermeldekarte vom 3. September 1933 flohen Sara,  Jacob und  Louis Goedhardt – wohl wegen der antisemitischen Vorgänge im März 1933 in Bocholt – nach Aalten in die Niederlande1437. Später zog die Familie nach Amsterdam, im Februar 1941 wohnte sie dort im Beukenweg 111438.

Vor Anfang April 1943 wurde Sara Goedhardt mit ihrem Mann  Jacob sowie ihrem Sohn  Louis in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork gebracht. Aus Westerbork wurden sie am 6. April 1943 mit einem Transport von 2020 Jüdinnen und Juden in das Vernichtungslager Sobibor deportiert, wo der Zug am 9. April 1943 an- kam1439. An diesem Tag, dem 9. April 1943, wurden Sara Goedhardt1440 und ihr Mann  Ja- cob1441 ermordet.

Ihr Sohn  Louis Goedhardt wurde am 28. Mai 1943 ebenfalls im Vernichtungslager Sobibor ermordet1442.

Sohn  Josef Karl wurde am 9. Juli 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet.

Heinz-Arno Goldschmidt geboren am 4. Februar 1923 in Schmallenberg ermordet am 13. Oktober 1942 im Vernichtungslager Auschwitz

Heinz-Arno Goldschmidt wurde am 4. Februar 1923 in Schmallenberg (heute: Hoch- sauerlandkreis) als Sohn des Metzgers Julius Isaak Goldschmidt (* 22. Dezember 1887, Kobbenrode (heute: Gemeinde Eslohe/Hochsauerlandkreis) – ermordet nach dem 14. August 1942, Vernichtungslager Auschwitz1443) und seiner Ehefrau Hedwig (geb. Funke, * 23. Februar 1894, Schmallenberg – 19. März 1947, Schmallenberg1444) ge- boren1445.

Das Ehepaar hatte vier Kinder: – Ruth (* 27. Oktober 1920, Schmallenberg – ermordert nach dem 9. August 1944, Konzentrationslager Stutthof1446) – Leo (* 29. November 1921, Schmallenberg – entkam am 23. Juli 1938 in die USA1447) – Heinz-Arno – Lore (* 7. März 1928, Schmallenberg – ermordet nach dem 9. August 1944, Konzen- trationslager Stutthof1448).

1437 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1438 JHM A, Joodsmonument, p. 531716. 1439 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Nieder- landen. 1440 JHM A, Joodsmonument, p. 531716. 1441 Ebd., p. 396252. 1442 Ebd., p. 531175. 1443 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 876012. 1444 Bruns, Alfred: Die Juden im Altkreis Meschede. Dokumentation 1814–1874. Die Schmallenberger Juden 1934 –1943, Brilon 1987, S. 192. 1445 Ebd. 1446 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 876700. 1447 Bruns, S. 192. 1448 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 876475.

BUCH DER ERINNERUNG | 201 Heinz-Arno Goldschmidt soll später in Bocholt, Eintrachtstraße 4, gewohnt haben1449. Sein Vater Julius Isaak Goldschmidt wurde am 22. Juni 1938 in Schmallenberg verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert, wo er bis zum 13. Dezember 1938, zuletzt als „Aktionshäftling“, inhaftiert war1450.

Zu einem späteren Zeitpunkt flohen Heinz-Arno Goldschmidt und Vater Julius Isaak über Belgien nach Frankreich. Dort wurden sie im Sommer 1942 verhaftet und über das Durchgangslager Drancy am 14. August 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Hier wurden Heinz-Arno Goldschmidt am 13. Oktober 19421451 und sein Vater Julius Isaak ermordet1452.

Seine Mutter Hedwig zog 1938 mit ihren Töchtern Lore und Ruth zu ihrem Bruder Alfred Funke nach Duisburg, hier war er früher Textilkaufmann gewesen. Zuletzt wohnten Hedwig Goldschmidt und ihre Töchter sowie Bruder Alfred Funke im sog. Judenhaus Güntherstraße 421453.

Von hier wurden sie am 10. Dezember 1941 nach Düsseldorf gebracht und am 11. Dezem- ber 1941 in das Ghetto nach Riga deportiert, wo sie am 13. Dezember 1941 ankamen.

Hedwig, Lore und Ruth Goldschmidt überlebten die folgenden drei mörderischen Jahre im Ghetto Riga und dem Konzentrationslager Kaiserwald sowie den Außenlagern. Bei der Evakuierung des Konzentrationslagers Kaiserwald wurden die drei Frauen in das Konzentrationslager Stutthof gebracht. Hier kamen sie am 9. August 1944 an1454.

Lore und Ruth Goldschmidt wurden im Konzentrationslager Stutthof umgebracht1455. Hedwig Goldschmidt kehrte nach ihrer Befreiung aus dem Konzentrationslager Stutthof 1945 nach Schmallenberg zurück. Dort starb sie am 19. März 1947, da sie „den Verlust von Mann und Kindern nicht überwinden“ 1456 konnte.

1449 Heinz-Arno Goldschmidt ist in der verfilmten Einwohnermeldekartei 1906–1962 im Stadtarchiv Bocholt nicht verzeichnet. Das BA Dienststelle Berlin -, Mail vom 17. Juni 2009, teilte mit, dass Heinz Arno Goldschmidt im Bestand R 1509 – Reichssippenamt – auf der Ergänzungskarte für Angaben über Abstammung und Vorbildung aus der Volkszählung vom 17. Mai 1939 mit klarem Bezug zu Bocholt genannt wird. Willy Hövener (Notiz über ein Interview vom 22. November 2009, geführt von Josef Niebur) erinnert sich daran, dass in seinem Elternhaus Eintrachtstraße 4, Bocholt, eine Familie Goldschmidt wohnte. Er glaubt, sich an den Namen Heinz-Arno Gold- schmidt zu erinnern. Im Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962) (StdA B, 57 K 102 – ohne Titel -) werden lediglich Herbert und Jeanette Goldschmidt aufgeführt, die in diesem Haus wohnten und am 26. Januar 1939 nach Kiriat-Chaim bei Haifa in den heutigen Staat Israel auswanderten. 1450 Bruns, S. 192. 1451 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 876012. 1452 Ebd., Nr. 876278. 1453 Der Weg in den Holocaust. Mit Bildern aus dem Leben der Jüdischen Gemeinde in Schmallenberg. Texte zur Ausstellung im November 1994 anläßlich des 750-jährigen Bestehens der Stadt Schmallenberg, Schmallenberg, 1994, S. 46. 1454 Buch der Erinnerung, S. 702. 1455 Ebd. 1456 Der Weg in den Holocaust, S. 45.

202 | BUCH DER ERINNERUNG Emmy Gompertz geborene Blumenfeld geboren am 14. März 1863 in Essen ermordet am 14. August 1942 im Ghetto eresienstadt

Emmy1457 Blumenfeld wurde am 14. März 1863 in Essen als Tochter des Predigers und Lehrers Moses Blumenfeld (* 21. Dezember 1821, Schwerte – 6. Januar 1902, Essen1458) und seiner Ehefrau Lisette (geb. Fränkel, * 1829 – 5. April 1919, Essen1459) geboren.

Die Eheleute bekamen die folgenden Kinder: – Johanna (* 16. Juni 18531460 – 1461) – Ottilie Koppelmann (geb. Blumenfeld, * 28. November 1854, Essen – ermordet am 28. Juli 1942, Ghetto eresienstadt1462) – Bertha (* 28.11.1854, Essen1463 – 1464) – Clara Jordan (geb. Blumenfeld, * 20.11.1856, Essen1465 – 1466) – Selma (* 20. Februar 1859, Essen – ermordet am 17. August 1942, Ghetto eresien- stadt1467) – Albert (* 1. Dezember 1860, Essen1468 – 1469) – Emmy – Ernst (* 13. Januar 1865, Essen1470 – 1471) – Ida Klee (geb. Blumenfeld, * 18. Mai 1867, Essen1472 – 1473)

Die Hauslehrerin Emmy Blumenfeld aus Essen lebte seit etwa 1885 in Bocholt, Stadt Nr. 180 (heute: Kirchstraße). Am 8. April 1886 zog sie nach Hohnhausen1474 (heute: Hof- heim in Unterfranken).

Im gleichen Jahr heiratete sie den Kaufmann Gustav Gompertz (* 31. Mai 1856, Geldern – 14. Juli 1942, Essen1475) in Geldern und kehrte nach Bocholt Nr. 180 (heute: Kirch- straße) zurück1476.

1457 In: BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namensverzeichnis, Nr. 877406, wird Emmy Gompertz Emmi geschrieben. 1458 Schröter, S. 139. 1459 StdA Essen, 30. Juni 2011. 1460 Ebd. 1461 Johanna Blumenfeld ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namensverzeichnis, noch in der niederländi- schen Datenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 1462 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namensverzeichnis, Nr. 903449. 1463 StdA Essen, 30. Juni 2011. 1464 Bertha Blumenfeld ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namensverzeichnis, noch in der niederländi- schen Datenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 1465 StdA Essen, 30. Juni 2011. 1466 Clara Jordan ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namensverzeichnis, noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 1467 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namensverzeichnis, Nr. 844674. 1468 StdA Essen, 30. Juni 2011. 1469 Albert Blumenfeld ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namensverzeichnis, noch in der niederländi- schen Datenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 1470 StdA Essen, 30. Juni 2011. 1471 Ernst Blumenfeld ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namensverzeichnis, noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 1472 StdA Essen, 30. Juni 2011. 1473 Ida Klee ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namensverzeichnis, noch in der niederländischen Daten- bank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 1474 Personenstandsregister, S. 79. 1475 Schröter, S. 554. 1476 Personenstandsregister, S. 79.

BUCH DER ERINNERUNG | 203 Er war am 31. Mai 1856 als Sohn des Kaufmanns Gottfried Gompertz (* 5. Juli 1815, Geldern – 25. April 1870, Essen) und dessen Frau Esther (geb. Süß-Spiero, * 15. April 1825, Rheinberg – 7. Januar 1907, Emmerich) in Geldern geboren1477.

In die Ehe von Emmy und Gustav Gompertz wurden zwei Kinder geboren: – Dr. Margaretha (Greta) Jacobsohn (geb. Gompertz, * 25. September 1890, Bocholt – 27. Dezember 1925, Bocholt1478) – Gottfried [Fritz (* 17. April 1894, Bocholt – gestorben am 31. Dezember 19221479). Für ihren Sohn Gottfried [Fritz und die übrigen zehn Gefallenen des Ersten Welt- kriegs aus der israelitischen Gemeinde Bocholt wurde auf dem israelitischen Fried- hof auf der Rückseite eines Denkmals eine Gedenkinschrift angebracht1480.

Anzeige des Im Haus Neustraße 11 hatte Gustav Gompertz ein Schuh hauses Gustav Schuhgeschäft eröff net, das er vor 1928 vermietete. Ab Gompertz. etwa 1902 betrieb er ein zweites Geschäft am Markt 2 mit (StdA B, ZSlg., Herren- und Knabenkonfektion. Ein weiteres Geschäft Bocholter Volksblatt, am Markt 4, das er von seinem Schwager Meyer (Moritz) 4. September 1919) Albersheim (* 24. Oktober 1861, Borken – 30. November 1916, Bocholt) übernommen hatte, gab er bald wieder auf. Gustav Gompertz war viele Jahre Vorsitzender der Orts- gruppe Bocholt des Detaillistenvereins 1481. Hierin waren die Einzelhändler zusammengeschlossen. Um 1920 zog er sich aus seinen Schuh- und Konfektionsgeschäften zurück. Er führte aber noch 1926 eine „Schuhwaren- handlung mit Appretur“1482.

Unter dem Pseudonym In den frühen 1920ern übernahm „Quidam“ schrieb Gustav Gompertz vom Grün- Gustav Gompertz im- dungsvorsitzenden Sigmund Weyl mer wieder Kommen- den Vorsitz in der Ortsgruppe Bo- tare zum politischen cholt des Central-Vereins. Der und kulturellen Leben in Bocholt. Hier Central-Verein wollte das Selbstbe- steht die Wahl zur wusstsein der Deutschen jüdischen Verfas sunggebenden Glaubens stärken und gleichzeitig Nationalversammlung die Bevölkerung über das Judentum am 28. Januar 1919 aufklären, um anti semitischer Pro- im Mittelpunkt seiner paganda entgegenzuwirken. Betrachtungen. (StdA B, ZSlg., Grenz- In den 1920er Jahren gründete warte, 1. Februar 1919) Gustav Gompertz, der im Bocholter Volksblatt unter dem Pseudonym Quidam literarische Kolumnen schrieb, in der israelitischen Ge- meinde den Literaturverein1483.

1477 Juden in Emmerich, S. 253. 1478 StdA B, verfi lmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1479 Ebd. 1480 Sundermann, Friedhöfe, S. 159 1481 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 9. August 1909. 1482 Einwohnerbuch 1926, S. 175. 1483 Handbuch 1924/25, S. 56.

204 | BUCH DER ERINNERUNG Am 18. November 1928 sagte Emmy Gompertz, die den Vorsitz vor 1927 von ihrem Mann Gustav übernommen hatte, bei der Bezirkstagung des Central-Vereins in Bocholt, dass sie „ebenso gute Juden wie Deutsche und ebenso gute Deutsche wie Juden“ seien. Die Existenz des Vereins sei heute noch viel berechtigter als vor 25 Jahren, da sich die Verhältnisse stark zuungunsten der jüdischen Bevölkerung geändert hätten1484.

Am 22. Mai 1931 stand in der C.V.-Verbandszeitschrift „Im deutschen Reich“: „Der frühere Leiter der Ortsgruppe Bocholt des Centralvereins, Gustav Gompertz, vollendet in voller geistiger und körperlicher Frische sein 75. Lebensjahr“1485.

Am 11. März 1933, sechs Wochen nach Hitlers Machterschleichung, stand eine Würdi- gung von Emmy Gompertz im Bocholter Volksblatt: „Frau Gustav Gompertz wird am 14. März 70 Jahre alt. Seit Jahren ist sie als Vorstandsmitglied verschiedener Vereine auf sozialem und geistigem Gebiet eifrig tätig, und trotz ihres Alters bekundet sie großes Interesse auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens. Möge der Altersjubilarin ein sor- genfreier Lebensabend beschieden sein.“ 1486

Durch den Rückgang in der Geschäftstätigkeit verlor Gustav Gompertz in den frühen 1930er Jahren seine Geschäfte und Häuser. Am 15. Mai 1934 zogen die Eheleute Gompertz in das Haus Nordstraße 59, am 15. Januar 1936 mussten sie in das israelitische Gemeindehaus am Nordwall 261487 ziehen. Nachdem die israelitische Schule in diesem Haus 1933 aufgelöst worden war, wohnten mehrere Bocholter jüdischen Glaubens in diesem Gebäude.

Dort führte Gustav Gompertz noch eine „Agentur in Textilien“, die er Mitte 1938 wegen der judenfeindlichen Bestimmungen (Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung für das Deutsche Reich vom 6. Juli 1938) einstellen musste1488.

Einer in Bocholt wohnenden, aus den Niederlanden stammenden Frau, die beim Ehepaar Gompertz das Zimmer putzte, wurden bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse heftige, gegen Juden gerichtete Vorwürfe gemacht1489:

„[...] Weiter nun sagte der Beamte: ‚Sie gehen doch auch zu Juden arbeiten.‘ Weiter wollte der Beamte wissen, zu welchen Juden ich arbeiten ging. Er nannte die Namen Herz und Gompertz. Ich verneinte dieses. Da er jedoch den Namen unbedingt wissen wollte, erklärte ich, daß ich nach Gompertz arbeiten ging. Darauf sagte der Beamte: ‚Es ist doch allerlei, daß heute im Dritten Reich noch Frauen zu Juden arbeiten gehen.‘ Ich antwortete: ‚Das geht Sie nichts an und ich als niederländische Staatsangehörige darf das.‘[...]“ (Vernehmung von N. N. durch die Kriminalpolizei Bocholt vom 9. Januar 19371490)

In der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 wurde, wie der frühere israelitische Lehrer und Prediger, Levy Nußbaum, einem Verwandten in den USA mitteilte, „sogar Quidam (83 Jahre alt!!!) mit einem Stock über den Kopf gehauen!“1491.

1484 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt, 20. November 1928. 1485 Compact-Memory, C.V.-Verbandszeitschrift "Im deutschen Reich" , CV-Zeitung, 1931, Heft 21 (22.5.1931), S. 267. 1486 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt, 11. März 1933, Hohes Alter. 1487 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1488 Ebd., 57 K 101 - ohne Titel -, Verzeichnis der jüdischen Gewerbebetriebe in Bocholt. 1489 Ebd., Kgl. Niederländisches Generalkonsulat, Münster, an Stadt Bocholt – Ortspolizeibehörde - vom 1. Dezember 1936. 1490 Ebd. 1491 Ebd., 61 K 251 ohne Titel -, Levy Nußbaum an einen Verwandten in den USA, 15. Mai 1939.

BUCH DER ERINNERUNG | 205 Am 7. Juni 1939 mussten Emmy und Gustav Gompertz aus der am 4. Januar 1938 an die Stadt Bocholt „verkauften“ ehemaligen israelitischen Schule in das sog. Judenhaus Stiftstraße 32 ziehen1492.

Am 10. Juli 1940 zog das Ehepaar nach Essen, der Geburtsstadt von Emmy Gompertz, in die Cäsarstraße 221493. Die Eheleute wohnten später im sog. Judenhaus Hindenburgstraße 221494. Im Frühjahr 1942 mussten sie – wie die meisten der noch in Essen lebenden Menschen jüdischen Glaubens – zwangsweise in das Barackenlager Holbecks hof ziehen1495. Sie hatten schon ihre Deportationsanordnung für den 21. Juli 1942 in das Ghetto eresienstadt bekommen, als Gustav Gompertz am 14. Juni 1942 86jährig starb1496.

Ottilie Koppelmann und Selma Blumenfeld, ihre Schwestern, wurden mit Emmy Gompertz am 22. Juli 1942 nach eresienstadt deportiert1497. Sie wurden am 21. Juli 1942 von Essen nach Düsseldorf gebracht. Vom Güterbahnhof Düsseldorf-Derendorf erfolgte einen Tag später mit dem Transport VII/2 zusammen mit 980 Menschen jüdischen Glaubens aus dem Bezirk der Stapoleitstelle Düsseldorf ihre Deportation in das Ghetto eresienstadt1498.

Dort wurde Emmy Gompertz am 14. August 1942 ermordet1499.

Albert Gottschalk geboren am 25. Dezember 1877 in Eisleben1500 ermordet am 10. Januar 1942 im Ghetto Lodz

Albert Gottschalk und seine Frau Paula (geb. Bähr, * 5. Januar 1877, Nümbrecht/Ober- bergischer Kreis – sie wurde in der Shoah ermordet1501) zogen am 28. März 1895 aus Chemnitz nach Bocholt, Neustraße 181502. Er war von Beruf Techniker.

In die Ehe wurde ein Sohn geboren:  Erich (* 12. November 1903, Bocholt – ermordet am 30. April 1943, Ghetto Lodz1503).

1492 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; Fachbereich Stadtgrün, Altablage, Akte Jüdischer Friedhof. Jewish Trust Corporation for Germany, Zweigbüro Ruhr Mühlheim, an Stadtdirektor Bocholt, 28. Oktober 1953. 1493 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1494 Schröter, S. 413. 1495 http://www.holbeckshof.de/html/geschichte_des_hofes.html. 1496 StdA Essen, 30. Juni 2011. 1497 Schröter, S. 440. 1498 eresienstädter Gedenkbuch, S. 77. 1499 Ebd., S. 435, BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namensverzeichnis, Nr. 877406. 1500 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; nach BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 877978, wurde Albert Gottschalk am 25. Dezember 1877 in Hemer bei Iserlohn geboren. 1501 Paula Gottschalk ist nach Auskunft ihres Neffen Leo Baer (New York/USA an Stadt Bocholt, Bürgermeister Peter Nebelo, 10. April 2012) während der Shoah ermordet worden. Sie ist jedoch weder in BA, Gedenkbuch, Online- version, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 1502 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1503 Vgl. Biogramm, S. 208.

206 | BUCH DER ERINNERUNG Nach Auskunft von Leo Baer, New York/USA (Neffe von Paula Gottschalk) sollen die Eheleute einen weiteren Sohn, „den 1908/1909 geborenen Kurt Gottschalk“ gehabt haben. Er „kam 1936 oder 1937 in die USA. Wir wohnten eine kurze Zeit zusammen in New York City, bis Kurt in das Innere des Landes zog. Er wurde sesshaft in Champaign (Staat Illinois). Er heiratete dort, ist jedoch dort nach ein paar Jahren gestorben.“1504

Albert Gottschalk betrieb im Haus Neustraße 18 ein „Spezial-Geschäft in Herren- und Knaben- Werbeanzeige des Garderobe“. „Spezial-Geschäft in Herren- und Knaben- Garderobe“ von Albert Im Verzeichnis der männlichen stimmberechtig- Gottschalk. ten Juden der Synagogengemeinde Bocholt zur (StdA B, ZSlg., Bocholter Wahl der Repräsentanten vom 19. Februar 1904 Volksblatt, 19. Februar war Albert Gottschalk wie folgt aufgeführt1505: 1904)

Name Vorname Alter Wohnung Beruf Gottschalk Albert 26 Neustraße 18 Kaufmann

Am 18. November 1910 zog die Familie nach Oberhausen1506.

Am 27. Oktober 1941 wurden 1011 Juden aus dem Bezirk der Stapoleitstelle Düsseldorf, also auch aus Oberhausen, in das Ghetto Lodz gebracht, das sie erst am 7. November 1941 erreichten1507. Unter ihnen waren auch Albert Gottschalk und sein Sohn  Erich. Am 10. Januar 1942 wurde Albert Gottschalk im Ghetto Lodz ermordet1508.

Sein Sohn  Erich Gottschalk wurde dort am 30. April 1943 ermordet1509.

1504 Stadt Bocholt, Allgemeine Verwaltung, Partnerschaften, Ordner Jüdische Mitbürger 1, Leo Baer, New York (USA) an Stadt Bocholt, Bürgermeister Peter Nebelo, 10. April 2012. Kurt Gottschalk ist allerdings nicht in der Einwoh- nermeldekartei Bocholt verzeichnet. 1505 StdA B, SBOH 2 Nr. 1006, Wahl des Synagogenvorstandes und der Repräsentanten 1895–1916. 1506 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1507 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 1508 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 877978. 1509 Ebd., Nr. 878051.

BUCH DER ERINNERUNG | 207 Erich Gottschalk geboren am 12. November 1903 in Bocholt ermordet am 30. April 1943 im Ghetto Lodz

Erich Gottschalk wurde am 12. November 1903 als Sohn des Technikers  Albert Gott- schalk (* 25. Dezember 1877, Eisleben – ermordet am 10. Januar 1942, Ghetto Lodz1510) und seiner Frau Paula (geb. Bähr, * 5. Januar 1877, Nümbrecht/Oberbergischer Kreis – ermordet während der Shoah1511) in Bocholt, Neustraße 18, geboren1512.

Nach Auskunft seines Cousins Leo Baer, New York/USA, soll Erich Gottschalk einen Bruder, „den 1908/1909 geborenen Kurt Gottschalk“ gehabt haben. Dieser floh „1936 oder 1937 in die USA. Wir wohnten eine kurze Zeit zusammen in New York City […]. Er ist nach einigen Jahren gestorben.“1513

Am 18. November 1910 verzog die Familie nach Oberhausen1514. Als Beruf von Erich Gottschalk war später in den Unterlagen in Oberhausen „Ausgeher“ angegeben1515.

Erich Gottschalk wurde im Verzeichnis der zur Repräsentantenwahl berechtigten Mit- glieder der Synagogengemeinde Oberhausen genannt1516. In bzw. nach der Pogrom- nacht vom 9./10. November 1938 wurde er verhaftet. Er kam am 17. November 1938 als „Schutzhäftling“ mit dem Haftgrund „Jude“ im Konzentrationslager Dachau an1517.

Nach seiner Entlassung kehrte Erich Gottschalk nach Oberhausen, Wörthstraße 2, zurück. Als Beruf war jetzt kaufmännischer Angestellter angegeben1518. 1939 aus dem Beruf gedrängt, wurde er in der Liste der beim Gartenbau- und Friedhofsamt beschäftigten Juden genannt1519.

Am 27. Oktober 1941 wurden 1011 bzw. 983 Juden aus dem Bezirk der Stapoleitstelle Düsseldorf, also auch aus Oberhausen, in das Ghetto Lodz deportiert, das sie erst am 7. November 1941 erreichten1520. Unter ihnen waren auch Erich Gottschalk und sein Vater  Albert1521.

Erich Gottschalk wurde am 30. April 1943 im Ghetto Lodz umgebracht1522. Sein Vater  Albert Gottschalk war dort bereits am 10. Januar 1942 ermordet worden1523.

1510 Vgl. Biogramm S. 206. 1511 Paula Gottschalk ist nach Auskunft ihres Neffen Leo Baer (New York/USA an Stadt Bocholt, Bürgermeister Peter Nebelo, 10. April 2012) während der Shoah ermordet worden. Sie ist jedoch weder in BA, Gedenkbuch, Online- version, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als Ermordete der Shoah verzeichnet. 1512 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1513 Stadt Bocholt, Allgemeine Verwaltung, Partnerschaften, Ordner Jüdische Mitbürger 1, Leo Baer, New York (USA) an Stadt Bocholt, Bürgermeister Peter Nebelo, 10. April 2012. Kurt Gottschalk ist allerdings nicht in der Einwoh- nermeldekartei Bocholt verzeichnet. 1514 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1515 StdA Oberhausen, 17. September 2008. 1516 Ebd. 1517 Ebd., BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 878051. 1518 StdA Oberhausen, 17. September 2008. 1519 Ebd. 1520 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 878051. 1521 Ebd., Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 1522 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 878051. 1523 Ebd., Nr. 877978.

208 | BUCH DER ERINNERUNG Julia Gumpert geborene Metzger geboren am 15. August 1876 in Gescher ermordet am 12. Februar 1943 im Vernichtungslager Auschwitz

Julia Gumpert (Stadtarchiv Ahaus)

Julia Metzger wurde am 15. August 1876 in Gescher (heute: Kreis Borken) als Tochter der Ehefrau Amalia (geb. Löwenberg, * 1842, Datteln – 27. Mai 19081524, Bocholt) und des Handelsmanns Ansel (oder Arnold1525) Metzger (* 18. September 1835, Heiden – 5. Mai 1893, Bocholt1526) geboren.

Das Ehepaar hatte gemeinsam die Kinder: – Julia Gumpert – Josef (* 30. September 1877, Gescher1527 – lebte 1962 in Buenos Aires/Argen tinien1528)  Selma (* 29. September 1879, Gescher – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald1529)  Isidor (* 23. November 1880, Gescher – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor September 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald1530) – Julius (* 1892, Gescher – gefallen am 17. November 1917 im 11. Reserve-Infanterie- regiment1531).

Aus der ersten Ehe von Amalia Löwenberg mit Nathan Lorch (* 1838, Bocholt – 1. Dezember 1874, Bocholt1532) stammten Salomon Lorch (* 21. Februar 1874, Bocholt – 31. Juli 1934, Bocholt1533), der Vater von  Amalia Landau (geb. Lorch, * 20. Dezem- ber 1902, Bocholt – gestorben nach dem 17. März 1943, wahrscheinlich bei Schevenin- gen/Niederlande1534) sowie Norbert Lorch (* 16. April 1905, Bocholt – 27. Januar 1980, Bocholt1535).

Am 2. Januar 1897 zog Julia Metzger aus Borken nach Bocholt Haus 2017 zu, als Berufs- bezeichnung wurde „Näherin“ angegeben1536. Am 2. Januar 1900 zog Julia Metzger nach Ahaus1537.

1524 Personenstandsregister, S. 93. 1525 Nachlass Günter Lorch im Besitz von Josef Niebur: Stammbaum der Familien Lorch/Metzger, aufgestellt von Rechtsanwalt und Notar Dr. Johannes Alff. 1526 Personenstandsregister, S. 93. 1527 Ebd. 1528 StdA B, 57 K 100 – ohne Titel -, Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962). 1529 Vgl. Biogramm S. 326. 1530 Vgl. Biogramm S. 323. 1531 http://www.denkmalprojekt.org/Verlustlisten/vl_rjf_wk1_orte_b.htm.; Ich hatt‘ einen Kameraden, o. O. [Bocholt], o. J. [nach 1936]. 1532 Nachlass Günter Lorch im Besitz von Josef Niebur: Stammbaum der Familien Lorch/Metzger, aufgestellt von Rechtsanwalt und Notar Dr. Johannes Alff. 1533 Ebd. 1534 Vgl. Biogramm S. 242. 1535 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Herrn Günter Lorch (1930–2008) Bocholt und seiner Frau Magdalene (geb. Sackers) am 9. Februar 1995 und 2. März 1995, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur. 1536 Personenstandregister, S. 336. 1537 Ebd.

BUCH DER ERINNERUNG | 209 „Julia Metzger war von Beruf „Haushälterin“. In Ahaus war sie seit 1900 gemeldet, da war sie 23 oder 24 Jahre alt. Laut VHS-Mappe1538 soll sie in Ahaus häufiger ihre Woh- nung gewechselt haben, u.a. hat sie eine Zeit lang in der Gaststätte Herker-Orthaus an der Wessumer Straße gewohnt. Ob sie dort auch „Haushälterin“ war, ist unklar. Auf jeden Fall hat sie in Ahaus ihren zukünftigen Mann kennen gelernt. Nach fünf Jahren Aufenthalt in Ahaus heiratete sie am 15.11.1905 den über 30 Jahre älteren Aser Gumpert, der 1931 – also vor der Nazizeit – im Alter von 85 Jahren starb. [...] Julia Gumpert wurde mit 32 Jahren zum ersten und einzigen Mal Mutter. (Der Vater Aser Gumpert wa da schon 62 Jahre alt.) Sie gebar ihre Tochter Regina Gumpert am 16.4.1909. Regina war also ein Einzelkind – damals eine Seltenheit. Warum das Paar nicht mehr Kinder hatte, ist unklar. Ob das Alter des Mannes dabei eine Rolle spielte?

05.10.2005 Die ganze Familie Gumpert-Katz ging [...] ohne offizielle Abmeldung am 1.12.1938 über die Grenze nach Holland – und zwar nach Roermond. Das liegt 150 bis 200 Kilo- meter von Ahaus entfernt nahe der deutschen Grenze, nicht weit von Mönchenglad- bach entfernt. Warum sie gerade dorthin zogen, ist unklar. Vielleicht gab es dort Verwandte. Möglich ist aber auch, dass sie dort in ein niederländisches Auffanglager gesteckt wurden; denn nach der Pogromnacht strömten viele Juden aus Deutschland in die Niederlande. Und der niederländische Staat reagierte mit der Einrichtung von Lagern für die Flüchtlinge. Von Roermond aus tätigte die Familie dann die offizielle Abmeldung in Ahaus, datiert auf den 9. August 1939.

18.10.2005 Das Zeitzeugengespräch mit Frau Gertrud Richter hat vor ein paar Tagen als Telefonat stattgefunden. Frau Richter [...] hat an die Familie Gumpert-Katz leider nur noch wenig Erinnerungen. Sie weiß aber genau, wo das Geschäft der alten Frau Julia Gumpert auf der Bahnhofstraße war. Wenn man das Geschäft betrat, sagte sie, musste man einen schweren roten Vorhang zur Seite bewegen, um in den Laden zu kommen. In dem Laden sei es innen immer „so schummrig-düster“ gewesen. Man konnte „jeden kleinen Krimskrams“ für den Haushalt und die Nähstube bei Julia Gumpert kaufen. Die alte Frau sei „pummelig und klein“ gewesen. Ihre Tochter Regina war wohl größer: „Das war eine schöne Frau“, so Frau Richter. Ihr Mann, der Ernst Katz, war viel kleiner und bei vielen in Ahaus nicht so beliebt. Ob ihn manche Ahauser wegen seiner Geschäfte oder wegen seines Auftretens nicht mochten, weiß sie nicht genau. „Es kann auch sein, dass viele zu der Zeit einfach die Juden nicht mehr ausstehen konnten oder wollten“. Damit wird Frau Richter wohl Recht haben. Eine andere Zeitzeugin, die ihren Namen hier nicht genannt haben möchte, erzählte uns, dass kleine Kinder von der Bahnhofstraße vor dem Haus von Katz oder durch den Türschlitz öfter „Miau“ gerufen haben sollen, um die jüdische Familie wegen ihres Namens zu ärgern. [...] 31.1.2006 [...] An die Familie Gumpert-Katz konnte sich unsere Zeitzeugin Frau Nünning noch gut erinnern. Ähnlich wie Frau Hauke beschrieb sie die alte Frau Julia Gumpert als im- mer ruhige, freundliche, sachliche und nie geschäftlich aufdringliche Person. Man sei als Kind gerne in ihren Laden gegangen, der sehr klein war und viele Kurzwaren wie Gummibänder, Nähgarn, Topflappen u.ä. anbot. Auch habe es ein Schaufenster gege-

1538 VHS-Mappe Jüdische Geschichte in Ahaus. Materialien und Dokumente für die pädagogische Arbeit, zusammen- gestellt vom VHS-Arbeitskreis Ahauser Geschichte 1933-1945, Ahaus 2003.

210 | BUCH DER ERINNERUNG ben, das aber im Gegensatz zu heutigen Schaufensterflächen, nur schmal und klein war. Im Laden war es deshalb im Gegensatz zu heutigen hellen Geschäftsräumen viel dunkler, was auch mit den tiefbraunen Holzbohlen auf dem Laden-Fußboden zusam- menhängen könnte. Im Hausflur vor dem Laden habe es Steinfußboden gegeben. Die Familie sei arm gewesen, von dem Geschäft allein hätte sie wohl nicht leben können. [...]

[...] 4.10.2005 – Gumpert-Katz-Recherche 5: Pogrom und Passanträge Im Jahre 1938 gab es dann nicht nur für die Familie Gumpert-Katz, sondern für alle jüdischen Familien in Ahaus und überall in Deutschland, den bis dahin schlimmen Höhepunkt der Judenverfolgung: In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde die Synagoge in Brand gesteckt, sie brannte vollständig nieder. Es wurde von Nazi-Horden in den jüdischen Häusern geplündert, Ladeneinrichtungen vieler Ahauser Juden wurden zerstört, so z.B. bei Regina Katz‘ langjährigem Arbeitgeber Alfred Löwenstein, der sich mit seiner Frau auf dem Dachboden versteckt hatte, um nicht verprügelt zu werden. Ob sie das mit ihren 68 Jahren (beide waren gleich alt) überlebt hätten, darf bezweifelt werden, am nächsten Tag lagen beide mit schwerem Schock im Ahauser Krankenhaus. Auch bei Gumpert-Katz wurde geplündert; Ernst Katz wurde von den Nazis auf der Bahnhofstraße zusammengeschlagen. Seine Frau und seine Schwiegermutter werden ihn wohl ärztlich versorgt haben; er hat diesen Anschlag auf sein Leben jedenfalls überlebt. Nun aber wird den dreien klar, dass sie aus Ahaus und aus Deutschland so schnell wie möglich weg müssen. Schon am 10.2.1938, also über ein halbes Jahr vor der sog. „Kristallnacht“, hatte Julia Gumpert bei der Stadt Ahaus einen Passantrag gestellt. [...]

Auf dem Passbild schaut uns eine 61-jährige [...] sehr gepflegte und gut gekleidete Frau mit aufmerksam den Fotografen fixierenden Augen in einem runden Gesicht un- ter eng anliegendem Haar – vermutlich hinten zu einem Knoten gebunden – an. Sie wirkt wirklich wie „eine geachtete Persönlichkeit“ (Zitat aus der VHS-Mappe über die Ahauser Juden), aber in Gesicht und Haltung spiegeln sich nach langem Anschauen trotzdem Eingeschüchtertsein, Ausgrenzung, Ratlosigkeit und Wehrlosigkeit wider. Man meint als Betrachter auch eine Spur von Vorahnung des Kommenden in ihrem Gesicht entdecken zu können.

[...] Am 1.12.1938, drei Wochen nach der Pogromnacht, floh die Familie in die Niederlande. Ob sie in der Zwischenzeit noch manches regeln konnten, z.B. Möbel und anderen Hausrat bei Nachbarn unterstellen, ihnen zur Verwahrung geben, ist uns nicht bekannt. Was geschah mit den Waren in Julia Gumperts kleinem Lädchen, die noch nicht von den Nazis zerstört waren? [...] Möglich wäre, dass Nachbarn nachträglich einiges nach Holland geschickt oder gebracht haben, wie es in anderen Fällen bei Ahauser Juden unter großer Gefahr geschehen sein soll. [...]

6.10.2005 – Gumpert-Katz-Recherche 7: Westerbork und Auschwitz [...] Von Westerbork nach Auschwitz wird sie [Julia Gumpert] am 9. Februar 1943 [deportiert]. Nach den Aufzeichnungen in der heutigen Gedenkstätte Westerbork ist sie drei Tage später, am 12. Februar 1943, in Auschwitz ermordet worden, wahrscheinlich sofort nach Ankunft vergast worden. [...]“

(SchülerInnenarbeit. Auf der Suche nach der Familie Gumpert-Katz. Tagebuch einer Spurensuche von Nicole Büscherfeld, Alisa Früchting, Laura Helmich, Kristin Münstermann, Lea Münstermann, Eva Schaten, Nadine Schubert, eresa Söbbing (alle aus der Klasse 8e der Anne-Frank-Realschule Ahaus) Hermann Löhring, betreuender Lehrer)

BUCH DER ERINNERUNG | 211 Emil Herz geboren am 21. Januar 1900 in Bocholt ermordet am 30. April 1943 im Vernichtungslager Auschwitz

Emil Herz wurde am 21. Januar 19001539 als Sohn der Ehefrau Rieka (geb. Goedhardt, * 13. Dezember 1875, Aalten/Niederlande – gestorben am 29. April 1942, Maastricht/ Niederlande1540) und des Gemüsehändlers  Georg Herz (* 9. April 1871, Büderich – ermordet am 8. April 1944 im Ghetto eresienstadt1541) in Bocholt geboren1542.

Er hatte sieben Geschwister: – Louis (* 2. Oktober 1896, Bocholt1543. Er musste in der Zeit von 1941 bis 1945 keinen Judenstern tragen, da er mit einer Nichtjüdin verheiratet war. 1947 war er Mitglied der Jüdischen Gemeinde Berlin1544.) – Jakob (* 24. November 1898 – 1545)  Joseph (* 25. Februar 1901 – ermordet am 30. April 1943, Vernichtungslager Auschwitz1546) – Moritz (* 25. Juni 1902, Bocholt – 1547) – Philipp (* 20. Februar – 15. Juni 1904, Bocholt1548)  Sibilla (* 28. März 1905 – ermordet nach 1943 an einem unbekannten Ort1549) – Hermann (* 22. April – 28. August 1906, Bocholt1550).

Die Familie wohnte in Bocholt in der Osterstraße 261551. Sie zog am 16. Dezember 1908 nach Wesel in die Sandstraße 151552. Vor 19361553 emigrierte Emil mit seinen Eltern Rieka und  Georg Herz nach Maastricht in den Niederlanden.

Hier wohnte er im Juni 1942 zusammen mit seinen Eltern und den Geschwistern  Joseph und  Sibilla im Heerderweg 421554. Mutter Rieka Herz starb am 29. April 1942 in Maastricht/Niederlande1555.

Im Jahre 1942 wurden Emil Herz und sein Bruder  Joseph Herz verhaftet und in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Emil Herz wurde dort am 30. April 1943 er- mordet1556. Sein Bruder  Joseph Herz wurde ebenfalls an diesem Tag ermordet. Seine

1539 StdA B, Mail 21. Oktober 2009. In den Standesamtsnachrichten im Bocholter Volksblatt wird der 21. Januar 1899 angegeben. Für den Hinweis sei Herrn Tembrink gedankt. 1540 JHM A, Joodsmonument, p. 455106. 1541 Vgl. Biogramm S. 213. 1542 Personenstandsregister, S. 326. 1543 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1544 Jüdische Gemeinde Berlin, 31. Januar 2008. 1545 Jakob Herz ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Daten- bank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 1546 Vgl. Biogramm S. 215. 1547 Moritz Herz ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 1548 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1549 Vgl. Biogramm S. 218. 1550 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1551 Ebd. 1552 StdA Wesel, 1. Juli 2009. 1553 Ebd. 1554 JHM A, Joodsmonument, p. 361 369. 1555 Ebd., p. 455106. 1556 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 861 622; nach JHM A, Joodsmonument, p. 455 106 starb Emil Herz an einem unbekannten Ort in Mitteleuropa.

212 | BUCH DER ERINNERUNG Schwester  Sibilla Herz wurde nach 1943 an einem unbekannten Ort ermordet. Der Vater  Georg Herz wurde am 8. April 1944 im Ghetto eresienstadt ermordet. Sein Bruder Louis Herz überlebte die Shoah und lebte 1947 in Berlin.

Georg Herz geboren am 9. April 1871 in Büderich ermordet am 8. April 19441557 im Ghetto eresienstadt

Georg Herz wurde am 9. April 1871 in Büderich geboren1558. Büderich war damals eine selbstständige Gemeinde, seit 1975 ist Büderich ein Stadtteil von Wesel. Später zog er nach Weida, einer Stadt im heutigen thüringischen Landkreis Greiz1559. Er kam am 6. Juli 1895 von Weida/üringen nach Bocholt, Feldmark Nr. 620 (heute: Kurfürsten- straße) 1560. In Bocholt heiratete Georg Herz im gleichen Jahr Rieka (geb. Goedhardt, * 13. Dezember 1875, Aalten/Niederlande – gestorben am 29. April 1942, Maastricht/Niederlande1561). Als sein Beruf ist im Personenstandsregister Gerber angegeben1562.

In der Wohnung im Haus Nordstraße 21 wurden acht Kinder geboren: – Louis (* 2. Oktober 1896) lebte 1947 als Mitglied der Jüdischen Gemeinde in Berlin1563. – Jakob (* 24. November 1898 – 1564)  Emil (* 21. Januar 1900 – ermordet am 30. April 1943, Vernichtungslager Auschwitz1565)  Joseph (* 25. Februar 1901 – ermordet am 30. April 1943, Vernichtungslager Auschwitz1566) – Moritz (* 25. Juni 1902, Bocholt – 1567) – Philipp (* 20. Februar – 15. Juni 1904, Bocholt1568)  Sibilla (* 28. März 1905 – ermordet nach 1943 an einem unbekannten Ort1569) – Hermann (* 22. April – 28. August 1906, Bocholt1570).

1557 Dieses Ermordungsdatum wird in JHM A, Joodsmonument p. 455106 sowie in http://www.holocaust.cz/de/ victims/ PERSON.ITI.1035997 genannt. In BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 861793 ist der 18. Dezember 1944 als Ermordungstag genannt. 1558 Personenstandsregister, S. 326. 1559 Ebd. 1560 Ebd. 1561 JMH A, Joodsmonument, p. 455106. 1562 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. Bei der Anmeldung ist als Beruf Gemüsehändler angegeben. Diesen Beruf übte er später in Wesel aus. 1563 Jüdische Gemeinde Berlin, 31. Januar 2008. 1564 Jakob Herz ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Daten- bank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 1565 Vgl. Biogramm S. 212. 1566 Vgl. Biogramm S. 215. 1567 Moritz Herz ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Da- tenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 1568 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1569 Vgl. Biogramm S. 218. 1570 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

BUCH DER ERINNERUNG | 213 Georg Herz war im Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Syna- gogengemeinde Bocholt zur Wahl der Repräsentanten vom 19. Februar 1904 wie folgt verzeichnet1571: Nr. Name Vorname Alter Wohnung Beruf 44 Herz Georg 32 Osterstraße 26 Händler

Er betrieb ein Gemüsegeschäft in der Osterstraße 26. Am 16. Dezember 1908 verzog die Familie nach Wesel1572. Der Gemüsehändler1573 Georg Herz wohnte mit seiner Familie dort in der Sandstraße 15. Diese Anschrift findet sich in den Adressbüchern von Wesel der Jahre 1913, 1922, 1928 und 1931.

Vor 19361574 zogen die Eheleute Rieka und Georg Herz in die Niederlande. Rieka Herz starb am 29. April 1942 in Maastricht/Niederlande. In Maastricht wohnte Georg Herz noch im Juni 1942 zusammen mit seinen Kindern  Emil,  Joseph und  Sibilla im Heerderweg 411575.

Am 1. Juni 1942 wurde das Inventar dieser Wohnung durch die niederländische Polizei registriert. Die Wohnung bestand aus drei Räumen, der Küche sowie einem Schneider- zimmer1576.

Sohn  Emil Herz wurde 1942 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort am 30. April 1943 ermordet.

Sohn  Joseph Herz wurde ebenfalls am 30. April 1943 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet. Die Tochter  Sibilla Herz wurde nach 1943 an einem nicht bekannten Ort ermordet.

Georg Herz, der im polizeilichen Judendurchgangslager Westerbork interniert worden war, wurde von dort am 5. April 19441577 im Transport Nr. XXIV/51578 zusammen mit 287 Menschen jüdischen Glaubens in das Ghetto eresienstadt deportiert, das sie am 7. April 1944 erreichten 1579.

Aus diesem Transport sollten nur 46 Menschen überleben 1580. Einen Tag nach seiner Ankunft im Ghetto eresienstadt wurde Georg Herz am 8. April 1944 ermordet1581.

Louis Herz, Sohn von Georg Herz, hatte in der Zeit von 1941 bis 1945 keinen Stern tragen müssen, da er mit einer Nichtjüdin verheiratet war. 1947 lebte er in Berlin1582.

1571 Ebd., SBOH 2 Nr. 1006, 1895–1916 Wahl des Synagogenvorstandes und der Repräsentanten. Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt zur Wahl der Repräsentanten vom 19. Februar 1904. 1572 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1573 StdA Wesel, 1. Juli 2009. Nur im Einwohnerbuch 1913 wird er als Fleisch- und Gemüsehändler bezeichnet. 1574 Ebd. 1575 JHM A, Joodsmonument, p. 361369. 1576 Ebd., artefact-291352. 1577 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 861793. 1578 http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON.ITI.1035997. 1579 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Nieder- landen. 1580 http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON.ITI.1035997. 1581 JHM A, Joodsmonument, p. 455106; nach Bundesarchiv, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 861793 wurde Georg Herz am 18. Dezember 1944 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet. 1582 Jüdische Gemeinde Berlin, 31. Januar 2008.

214 | BUCH DER ERINNERUNG Joseph Herz geboren am 25. Februar 1901 in Bocholt ermordet am 30. April 1943 im Vernichtungslager Auschwitz

Joseph Herz wurde am 25. Februar 1901 in Bocholt, Nordstraße 21, geboren. Seine Eltern waren Rieka (geb. Goedhardt, * 13. Dezember 1875, Aalten/Niederlande – gestor ben 29. April 1942, Maastricht/Niederlande) und  Georg Herz (* 9. April 1871, Büde rich bei Wesel – ermordet am 8. April 1944, Ghetto eresienstadt1583).

Das Ehepaar Herz hatte acht Kinder: – Louis (* 2. Oktober 1896, Bocholt1584). Er musste in der Zeit von 1941 bis 1945 keinen Stern tragen, da er mit einer Nichtjüdin verheiratet war. 1947 war er Mitglied der Jüdischen Gemeinde Berlin1585. – Jakob (* 24. November 1898 – 1586)  Emil (* 21. Januar 19001587 – ermordet am 30. April 1943, Vernichtungslager Ausch witz1588) – Joseph – Moritz (* 25. Juni 1902, Bocholt – 1589) – Philipp (* 20. Februar – 15. Juni 1904, Bocholt1590)  Sibilla (* 28. März 19051591 – ermordet nach 1943 an einem unbekannten Ort1592) – Hermann (* 22. April – 28. August 1906, Bocholt1593).

 Georg Herz, der Vater von Joseph Herz, war im Verzeichnis der männlichen stimm- berechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt zur Wahl der Repräsentanten vom 19. Februar 1904 wie folgt verzeichnet1594: Nr. Name Vorname Alter Wohnung Beruf 44 Herz Georg 32 Osterstraße 26 Händler

Er betrieb ein Gemüsegeschäft. Am 16. Dezember 1908 verzog die Familie nach Wesel1595.

Seine Eltern Georg und Rieka Herz und sein Bruder  Emil zogen um 19361596 in die Niederlande. Joseph Herz1597 floh am 30. November 1938, seine Schwester  Sibilla1598

1583 Vgl. Biogramm S. 213. 1584 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1585 Jüdische Gemeinde Berlin, 31. Januar 2008. 1586 Jakob Herz ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Daten- bank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 1587 StdA B, Mail 21. Oktober 2009. Dieses Datum war in den Standesamtsnachrichten im Bocholter Volksblatt ange- geben. Für den Hinweis sei Herrn Tembrink gedankt. 1588 Vgl. Biogramm S. 212. 1589 Moritz Herz ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Da- tenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 1590 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1591 Ebd. 1592 Vgl. Biogramm S. 218. 1593 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1594 Ebd., SBOH 2 Nr. 1006, 1895–1916 Wahl des Synagogenvorstandes und der Repräsentanten. Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt zur Wahl der Repräsentanten vom 19. Februar 1904. 1595 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1596 StdA Wesel 1. Juli 2009. 1597 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 861880. 1598 Ebd., Nr. 862128.

BUCH DER ERINNERUNG | 215 im Verlauf dieses Jahres in die Niederlande. Joseph Herz war in den Niederlanden als Fruchthändler1599 tätig. Seine Mutter Rieka Herz starb am 29. April 1942 in Maastricht/ Niederlande1600.

Nach einem Verzeichnis vom 1. Juni 1942 wohnten er, sein Vater  Georg sowie seine Geschwister  Sibilla und  Emil Herz in Maastricht, Heerderweg 411601. Im Jahre 1942 wurde Joseph Herz festgenommen. Am 30. April 1943 wurde er im Vernichtungs- lager Auschwitz umgebracht1602. Sein Bruder  Emil Herz wurde ebenfalls am 30. April 1943 in Auschwitz umgebracht. Seine Schwester  Sibilla wurde 1943 an einem unbekannten Ort ermordet.

Ihr Vater  Georg Herz erlag im eresienstädter Ghetto den unmenschlichen Lebens- bedingungen am 8. April 1944. Sein Bruder Louis überlebte die Shoah, 1947 war er Mitglied der jüdischen Gemeinde Berlin1603.

Levi Herz

geboren am 26. Januar 1867 in Zülpich ermordet nach dem 23. September 1942 im Vernichtungslager Treblinka

Levi Herz wurde am 26. Januar 1867 als Sohn des Viehhändlers Abraham und seiner Ehefrau Veronika Herz (geb. Kaufmann) in Zülpich geboren1604. Zülpich ist eine Stadt zwischen Aachen und Bonn, sie liegt im Kreis Euskirchen; die Stadt entstand als rö- mische Ansiedlung im 1. Jahrhundert. Heute hat Zülpich über 20.000 Einwohner.

Levi Herz war der Vater von Alfred Herz, der seit dem 1. September 1932 Lehrer an der israelitischen Schule in Bocholt war. Nach der Aufhe- Levi Herz wohnte bung als öffentliche Schule zum bei der Familie seines 1. Oktober 1932 wurde sie bis Sohnes, des israeliti- etwa 1936 als private Schule schen Lehrers Alfred Herz, in der israeliti- weitergeführt. Danach zogen schen Schule. „wohnungslos gewordene“ Ju- (StdA B, Bildsamm- den in das Gebäude ein, das lung, jüdische Gemein- auch das israelitische Gemein- de) dehaus war.

1599 JHM A, Joodsmonument, p. 455104. 1600 Ebd., p. 455106. 1601 JHM A, Joodsmonument, p. 455106. 1602 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 861880, nach JHM A, Joodsmonument, p. 455106 soll er am 30. April 1943 in Mitteleuropa ermordet worden sein. 1603 Jüdische Gemeinde Berlin, 31. Januar 2008. 1604 Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names. Gedenkblatt von Alex Salm, Wegberg, 2. Juli 1998. Die Lebensdaten von Abraham und Veronika Herz waren nicht zu ermitteln (Stadt Zülpich, 9. Juni 2009).

216 | BUCH DER ERINNERUNG Am 20. Juni 1936 zog Levi Herz aus Eisendorf/Kreis Aachen, wo er gelebt hatte und am 20. Mai 1900 sein Sohn Alfred geboren worden war, zu diesem und seiner Familie in das israelitische Gemeindehaus am Nordwall 26 in Bocholt1605.

Hier musste er auch die Pogromnacht vom 9./10. November 1938 durchleben. Ein Augenzeuge weiß zu berichten: „Fensterscheiben [wurden] eingeschlagen sowie Türen und die Wohnungseinrichtung beschädigt. [...]“1606 Und ein anderer zufälliger Passant erinnerte sich: „Noch am nächsten Tage haben Jugendliche insbesondere Lampen zer- schlagen, so dass ein inzwischen verstorbener Augenzeuge sich veranlasst gesehen hatte, die Polizei zu benachrichtigen.“1607

„Bei Herzens wollten sie anfangen, hörten aber auf, als beim Klirren eines Spiegels das Kind anfing zu schreien.“ (Levy Nussbaum)1608

Levi Herz meldete sich am 11. Januar 1939 nach Aachen in das spätere sog. Judenhaus in der Jülicher Straße 18 ab1609.

Am 21. Januar 1939 wanderte der Sohn Alfred Herz mit seiner Frau Lotte und ihrem Sohn Rudolf in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina, den heutigen Staat Israel, aus. Sie gaben dabei als Ziel „Haifa/Palästina“ an1610.

Am 25. Juli 1942 verließ ein Deportationszug mit Levi Herz Aachen in Richtung Düsseldorf.

Dieser zweite „große“ Transport aus Düsseldorf trug bei der Reichsbahn die Zugnum- mer „Da 71“ und die Bezeichnung „VII/2-60“1611. Darin befanden sich 278 Menschen aus Aachen, die – wie viele andere auch – zuvor in Altersheimen und sog. Judenhäusern ge- wohnt hatten. Daneben gehörten dem Transport aus dem Bezirk der Gestapoleitstelle Düsseldorf etwa 735 weitere Menschen jüdischen Glaubens an1612. In diesem Zug war auch Levi Herz. Das Ghetto eresienstadt wurde am gleichen Tag erreicht1613. Diesen Transport überlebten nur 61 der Deportierten1614.

Am 21. September 1942 wurde Levi Herz zusammen mit 2000 älteren oder kran- ken Menschen jüdischen Glaubens mit einem sogenannten Altentransport weiter in das Vernichtungslager Treblinka deportiert1615. Der Transport hatte die Bezeichnung Bp-12951616. Nach der Ankunft in Treblinka am 23. September 1942 wurde Levi Herz dort, wie 1985 der Deportierten, umgebracht1617.

1605 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962, nach Keufgens, Norbert: Gedenkbuch für die Opfer der Shoah aus Aachen 1933 – 1945, Aachen 2009, S. 24, zog Levy Herz am 13. Mai 1936 nach Bocholt. 1606 Stadt Bocholt, FB Stadtgrün, Altablage, Akte Jüdischer Friedhof, Vermerk an I vom 5. August 1955. 1607 Ebd. 1608 StdA B, 61 K 251 – ohne Titel –, Levy Nußbaum an einen Verwandten in den USA, 15. Mai 1939. 1609 StdA Aachen, 9. Juni 2009. 1610 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1611 Keufgens, S. 24. 1612 Lepper, Herbert: Von der Emanzipation zum Holocaust. Die israelische Synagogengemeinde zu Aachen, Aachen 1994, S. 1350. 1613 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 1614 http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON.ITI.410775. 1615 Ebd. 1616 Keufgens, S. 24. 1617 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 861954; http://www.holocaust.cz/de/victims/ PERSON. ITI.410775.

BUCH DER ERINNERUNG | 217 Sibilla Herz geboren am 28. März 1905 in Bocholt ermordet nach 1943 an einem unbekannten Ort

Sibilla Herz wurde am 28. März 1905 als Tochter von  Georg Herz (* 9. April 1871, Büderich bei Wesel – ermordet am 8. April 1944, Ghetto eresienstadt1618) und Rieka (geb. Goedthart, * 13. Dezember 1875, Aalten/Niederlande – gestorben 29. April 1942, Maastricht/Niederlande1619) geboren.

Sibilla Herz hatte sieben Geschwister: – Louis (* 2. Oktober 18961620) – Er musste in der Zeit von 1941 bis 1945 keinen Stern tragen, weil er mit einer Nichtjüdin verheiratet war1621. – Jakob (* 24. November 1898, Bocholt – 1622)  Emil (* 21. Januar 1900, Bocholt – ermordet am 30. April 1943 im Vernichtungs lager Auschwitz1623)  Joseph (* 25. Februar 1901, Bocholt – ermordet am 30. April 1943 im Ver nich tungs- lager Auschwitz1624) – Moritz (* 25. Juni 1902, Bocholt – 1625) – Philipp (* 20. Februar – 15. Juni 1904, Bocholt1626 – Hermann (* 22. April – 28. August 1906, Bocholt1627).

Am 16. Dezember 1908 verzog die Familie nach Wesel1628. Im Jahre 1938 floh Sibilla Herz in die Niederlande1629.

Ihre Eltern  Georg und Rieka Herz sowie ihr Bruder  Emil waren bereits vor 1936 nach Maastricht in die Niederlande emigriert1630 und wohnten 1942 in Maastricht, Heerderweg 411631. Ihre Mutter Rieka Herz starb dort am 29. April 19421632. Sibilla Herz war später Patientin im Apeldoornse Bos1633, einer psychiatrischen Anstalt für Men- schen jüdischen Glaubens bei Apeldoorn, die 1909 gegründet worden war.

In der Nacht vom 21. zum 22. Januar 1943 gab es eine Razzia im Apeldoornse Bos. Unter Leitung des Leiters der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Amsterdam Ferdinand aus der Fünten wurde die Anstalt durchsucht. Die Patienten wurden geschlagen und misshandelt und über das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Dort wurden nahezu alle nach ihrer Ankunft

1618 Vgl. Biogramm S. 213. 1619 JHM A, Joodsmonument, p. 455106. 1620 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1621 Jüdische Gemeinde Berlin, 31. Januar 2008. 1622 Jakob Herz ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Daten- bank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 1623 Vgl. Biogramm S. 212. 1624 Vgl. Biogramm S. 215. 1625 Moritz Herz ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 1626 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1627 Ebd. 1628 Ebd. 1629 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 862 168. 1630 StdA Wesel 1. Juli 2009. 1631 JHM A, Joodsmonument, p. 455106. 1632 Ebd. 1633 Ebd., p. 480262, Toevoeging van een bezoeker van de website.

218 | BUCH DER ERINNERUNG ermordet1634. Es ist aber offiziell nicht bekannt, wann und wo Sibilla Herz ermordet wurde1635.

Ihre Brüder  Emil und  Joseph Herz wurden am 30. April 1943 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet.

Ihr Vater  Georg Herz erlag am 8. April 1944 im Ghetto eresienstadt den unmensch- lichen Lebensbedingungen.

Ihr Bruder Louis Herz überlebte die Zeit der Shoah und war 1947 Mitglied der Jüdischen Gemeinde Berlin1636.

Kurt Herzfeld geboren am 15. Mai 1913 in Bocholt ermordet nach dem 14. August 1942 im Vernichtungslager Auschwitz

Kurt Herzfeld wurde am 15. Mai 1913 in Bocholt geboren. Seine Eltern waren Selma (geb. Sternfeld, * 1. Februar 1873, Bocholt1637 – 7. Mai 1945, Hengelo/Niederlande1638) und der Kaufmann Eduard Herzfeld (* 12. Juni 1869, Groß-Seelig – 17. August 1928, Bocholt 1639).

Sein Vater Eduard Herzfeld war am 4. September 1910 aus Berlin nach Bocholt zugezogen und hatte am 17. Juni 1912 Selma Sternfeld geheiratet1640. Er war zunächst Mieter im Haus Nordstraße 21 – 23, in dem er ein Manufakturwarengeschäft betrieb1641. Am 25. September 1918 kaufte Eduard Herzfeld das Grundstück Nordstraße 21–231642, hier errichtete er ein Ge- schäfts haus unter dem Namen „Ma- nu fakturwarengeschäft Eduard Herz- feld“.

Zeitungsmeldung zur Über dieses Geschäft berichtete das Neueröffnung am Bocholter Volksblatt gelegentlich, 8. Oktober 1927. auch Eduard Herzfeld inserierte häu- (StdA B, ZSlg., fig in den Bocholter Zeitungen. Bocholter Volksblatt, 8. Oktober 1927)

1634 Ebd., p. 548505. 1635 JHM A, Joodsmonument, p. 455106. 1636 Jüdische Gemeinde Berlin, 31. Januar 2008. 1637 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1638 Ebd., Stadt Bocholt 3, Akte nach dem BEG 1022, May, geb. und verw. Stern, Hilde. Karteikarte ZK 443 194. 1639 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1640 Ebd. 1641 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten für die Grundstücke des Kaufmanns Eduard Herzfeld, [...], Blatt Nr. 147. Grundbuchtabelle. 1642 Ebd.

BUCH DER ERINNERUNG | 219 Kurt Herzfeld war der Fotograf des einzigen bekannten Fotos einer Innenansicht der Syna- goge der israelitischen Gemeinde Bocholt nach der Renovierung im Jahre 19251643. 1926 über- trug Eduard Herzfeld sein Geschäft an  Mori- tz Stern (* 11. April 1891, Meudt – ermordet am 3. September 1942, Vernichtungslager Aus- Anzeige zur Wieder- chwitz1644), der mit Herzfelds Stieftochter Hil- eröffnung des Manu- 1645 fakturwaren geschäftes de Stern (geb. Herzfeld, 1902 – 1987, USA ) Herzfeld am 8. Okto- verheiratet war. ber 1927. (StdA B, ZSlg., Bo- Am 17. August 1928 starb Eduard Herzfeld. cholter Volksblatt, 8. Er wurde am 18. August 1928 auf dem israeli- Oktober 1927) tischen Friedhof in Bocholt beigesetzt1646. Das Erbe ging, wie dem Testament vom 20. September 1925 zu entnehmen war, je zur Hälfte an Kurt und seine Stiefschwester Hilde Stern1647.

1930 zog Kurt Herzfeld für längere Zeit nach Düsseldorf. Während des ganzen Jahres 1932 lebte er in Oberhausen. Anfang des Jahres 1933 war er nach Herford abgemeldet, am 20. Oktober 1933 kam er aus Bautzen nach Bocholt zurück1648.

Das Geschäft behielt auch nach dem Übergang seinen ursprünglichen Namen Eduard Herzfeld. Dieser Schriftzug war auch über die gesamte Hausbreite oberhalb des Schaufensters angeschlagen. In einem durch die damalige Stadtverwaltung wahr- scheinlich im Sommer 1938 gefertigten Verzeichnis der jüdischen Gewerbebetriebe in Bocholt ist über das Geschäft folgendes verzeichnet: „einziges jüdisches Manufakturwarengeschäft in Bocholt“1649.

In der Pogromnacht wurde das Geschäft Herzfeld verwüstet. „Mitschüler, die in der Innenstadt wohnten, berichteten über die Zerstörungen jü- discher Geschäfte und der Synagoge. Es wurde nur leise darüber gesprochen. Unter uns herrschte eine seltsam gedrückte Stimmung. Keiner triumphierte über das Ge- schehen. Nach Schulschluß fuhr ich allein durch die Nordstraße bis zum Geschäft Herzfeld. Die Schaufensterscheiben waren eingeworfen. Kleider und Anzüge lagen wild durcheinan- dergeworfen. Ich empfand, daß etwas Schlimmes passiert war, und schämte mich. In den nächsten Tagen stellten wir Schüler fest, daß ein Lehrer, der als starker Nazi bekannt war und der bisher nur in SA-Uniform oder in einem Sportanzug mit Knickerbocker-Hose zur Schule kam, plötzlich einen neuen Anzug trug. Unter uns hieß es, daß er bei der nächtlichen Aktion gegen die Juden dabeigewesen war und den Anzug bei Herzfeld habe ‚mitgehen’ lassen.“ (Werner Sundermann, *1926, war 1938 Schüler am heutigen St.-Georg-Gymnasium1650)

1643 Nussbaum; Mein Vater, S. 62, vgl. S. 23. 1644 Vgl. Biogramm, S. 408. 1645 Kooger, Hans: Grenzzwischenfälle in den dreißiger Jahren. Ein Überlebender kehrt nach Gendringen zurück, in: Unser Bocholt, Heft 3/1988, S. 23. 1646 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 29. Hier ist ein falsches Jahr 1938 angegeben. 1647 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten [...] über die Grundstücke [...] des Eduard Herzfeld, Kaufmann zu Bocholt [...], Blatt Nr. 147, Testament vom 20. September 1925, S. 111. 1648 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1649 Ebd., 57 K 101 – ohne Titel -, Verzeichnis der jüdischen Gewerbebetriebe in Bocholt [Sommer 1938]. 1650 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschri über Gespräche mit Werner Sundermann (* 1926), Bocholt, von 1988 bis 2003, geführt von Josef Niebur.

220 | BUCH DER ERINNERUNG Nach dem Überfall auf das Herzfeldsche Haus war – wie Hilde Stern-May in ihrem Wiedergutmachungsantrag ausführte – „nur ein Zimmer nicht verwüstet“1651. Wohl des halb flohen die Bewohner jüdischen Glaubens aus dem Haus Nordstraße noch in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in die Niederlande1652. Unter ihnen war auch Kurt Herzfeld1653. Von dieser Flucht berichtete der niederländische Historiker Hans Kooger: „Am 10. November 1938, am Tag nach der berüchtigten ‚Reichskristallnacht’, kam in Megchelen die Familie Stern aus Bocholt über die Grenze. Sie bestand aus: Moritz Stern (47 Jahre), seiner Frau Hilde Stern-Herzfeld (36), beider Sohn Walter Stern (12) und Kurt Herzfeld (25). Ferner noch Selma Herzfeld-Sternburg[sic], die Mutter beziehungs weise Schwiegermutter von Hilde und Kurt. Moritz Stern war vor 12 Jahren nach Bocholt gekommen. Er hatte das Geschäft von Herrn Herzfeld in der Nordstraße 21 übernommen und hatte die Tochter des früheren Eigentümers geheiratet. Frau Herzfeld blieb bei ihm wohnen. Von der ganzen Gesellschaft hatte nur Kurt Herzfeld einen gültigen Pass. Der Händler Düking in Megchelen hatte der Familie vorüber- gehend Obdach gewährt. Die deutschen Juden erklärten dem hinzugerufenen Reichs- feldwächter H. N. Wiendels, daß sie wegen unmittelbar drohender Lebensgefahr nicht nach Bocholt zurückkehren wollten. [...] Familie Stern-Herzfeld war, nachdem ihre Türen und Fenster zertrümmert worden waren und sie bedroht wurden, über das Dach zu ihrem Nachbarn geflohen, der sie im Heu verbarg. Der Nachbar organisierte ein Auto, womit die Gruppe am 10. November bis zum Dorf Vehlingen an der Grenze kam. Danach sind sie über die Grenze nach Megchelen gelaufen.“ (Hans Kooger1654)

Am 7. Dezember 1938 wurde das Grundstück an der Nordstraße durch einen gericht- lich bestellten „Bevollmächtigte[n] für Kurt Herzfeld, Hilde Stern (geb. Stern) und Witwe Selma Herzfeld [...]“ an einen benachbarten Kaufmann verkauft1655.

Kurt Herzfeld muss sich in den Niederlanden irgendwann von seiner Mutter Selma Herzfeld und seinen anderen Verwandten getrennt haben. Er floh weiter nach Frank- reich, wo er später im Durchgangslager Drancy inhaftiert war1656. Am 14. August 1942 wurde Kurt Herzfeld aus Drancy in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo er an einem nicht bekannten Tag ermordet wurde1657. Seine Mutter Selma Herzfeld und seine Stiefschwester Hilde Stern fanden in den Niederlanden hilfsbereite Menschen, die sie versteckten. So überlebten sie die Zeit der nationalsozialistischen Besetzung der Niederlande als Untergetauchte. Selma Herzfeld starb am 7. Mai 1945 in Hengelo/Niederlande1658. 1947 wohnte Hilde Stern, die Stiefschwester von Kurt Herzfeld, in Enschede1659, vor 1953 wanderte sie aus den Niederlanden in die USA aus. Sie starb im Juli 19871660.

1651 StdA B, SBOH 3, Akte nach dem BEG 3 1022, May, geb. und verw. Stern, Hilde. Karteikarte ZK 443 194. 1652 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1653 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 861736. 1654 Kooger, Grenzzwischenfälle, in: Unser Bocholt, Heft 3/1988, S. 23. 1655 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke des [...] Kauf- mann zu Bocholt [...], Blatt 147, S. 122 ff., Vertrag vom 7. Dezember 1938 zwischen 1) dem beeidigten Versteigerer und Bürovorsteher [...] für die og. Personen und 2) […] . 1656 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 861736. 1657 Ebd. 1658 StdA B, SBOH 3, Akte nach dem BEG 1022, May, geb. und verw. Stern, Hilde, Karteikarte ZK 443 194. 1659 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke des [...] Kauf- mann zu Bocholt [...], Blatt 147, S. 136. 1660 Kooger, Grenzzwischenfälle, in: Unser Bocholt, Heft 3/1988, S. 23.

BUCH DER ERINNERUNG | 221 Jetta Hes geborene Hony geboren am 24. Dezember 1875 in Laasphe ermordet am 4. Juni 1943 im Vernichtungslager Sobibor

Jetta (Jette oder Jettchen) Hony wurde am 24. Dezember 1875 in Laasphe im heutigen Kreis Siegen-Wittgenstein als Tochter von Meier (* vermutlich 1846, Laasphe – 16. Ok- tober 1905, Laasphe) und Bertha Hony (geb. Oppheimer, * vermutlich 1845, Berghofen – 19. Dezember 1916, Laasphe) geboren1661.

Das Ehepaar Meier und Bertha Hony hatte folgende Kinder: – Jetta – Siegfried (* 26. September 1878, Laasphe – ermordet am 27. November 1942, Vernichtungs lager Auschwitz1662) – Rebecke (* 12. Juni 1880, Laasphe – unbekannt1663) – Levi (* 1. September 1882, Laasphe – 21. Dezember 1886, Laasphe1664) – Lina Edelstein (geb. Hony, * 1. März 1885, Laasphe – ermordet nach dem 31. Januar 1942, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald1665) – Rudolf (* 20. Dezember 1889, Laasphe – unbekannt1666).

Vor 1905 heiratete Jetta (Jette oder Jettchen) Hony in Bocholt den Kantor  Joseph Hes (* 3. März 1879, Amsterdam/Niederlande – ermordet am 4. Juni 1943, Vernichtungs- lager Sobibor1667).

Am 1. November 1906 wurde ihr Mann als Kantor der israelitischen Gemeinde Bocholt angestellt, obwohl er als niederländischer Staatsbürger ohne die Genehmigung der königlichen Regierung Münster nicht hätte angestellt werden dürfen1668. Die Familie zog in Bocholt zu. Vermutlich wohnte die Familie, da Jettas Mann  Joseph Hes Gemeindeangestellter war, im israelitischen Gemeindehaus am Nordwall 26.

Dem Ehepaar wurden in Bocholt drei Kinder geboren:  Sally (* 31. Oktober 1908, Bocholt – ermordet am 31. Dezember 1942, Vernichtungs- lager Auschwitz1669)  Bertha Lopes Dias (geb. Hes, * 31. August 1910, Bocholt – ermordet am 2. Juli 1943, Vernichtungslager Sobibor1670) – Clara Kin (geb. Hes, * 26. Dezember 1919, Bocholt1671), die in den besetzten Nieder- landen untertauchen und so überleben konnte1672. Seit dem 7. Februar 1948 lebte sie in Chur/Schweiz1673.

1661 Bad Laasphe, Standesamt, 22. August 2011. 1662 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 940101. 1663 Bad Laasphe, Standesamt, 22. August 2011. 1664 Ebd. 1665 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 853884. 1666 Bad Laasphe, Standesamt, 22. August 2011. 1667 Vgl. Biogramm, S. 224. 1668 StdA B, Stadt Bocholt Nr. 2, Nr. 934. Judengemeinde 1840–1932. Verfügung des Regierungspräsidenten Münster vom 6. Dezember 1911. 1669 Vgl. Biogramm, S. 226. 1670 Vgl. Biogramm, S. 260. 1671 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 853884. 1672 http://www.stolpersteine-borne.nl/de_godsdienstleraren.htm. 1673 StdA B, Bocholt 3, Akte nach dem BEG 939, Kin Clara. Registerkarte.

222 | BUCH DER ERINNERUNG Das Dienstverhältnis von  Joseph Hes musste auf Anordnung der Regierung Münster vom 6. Dezember 1911 zum 1. Juli 1912 von der israelitischen Gemeinde Bocholt gekündigt werden1674.

Vater  Joseph, seine Frau Jetta (Jette oder Jettchen) Hes, die Töchter  Bertha und Clara sowie Sohn  Sally zogen im Januar 1922 nach Borne/Niederlande1675.

Ein Augenzeuge aus Borne berichtete:

„Jette Hes führte den Haushalt. Der einzige evangelisch-reformierte Junge in der Straße sorgte am Sabbatabend für Feuer. Die Flamme musste genau richtig unter dem Ölbrenner stehen, dazu gab Jette Hes ihm in Niederländisch mit schönem deutschen Akzent Anweisungen. Hinter dem Haus sang Joseph die Psalmen leise vor sich hin, dunkel und mit langen Tönen.“1676

Sohn  Sally Hes verzog am 10. März 1938 nach Harlingen (im Norden der Provinz Friesland1677). Seine Schwester  Bertha verzog 1938 nach Apeldoorn1678. Im Juni 1942 wohnten Jetta (Jette oder Jettchen) und  Joseph Hes noch in Borne, Ennekerdijk 101679.

Die Eheleute mussten – wahrscheinlich mit ihren Töchtern  Bertha und Clara1680 – am 8. April 1943 aus Borne nach Amsterdam verziehen, wo sie im jüdischen Ghetto wohnen mussten1681. Hier wurden sie verhaftet. Über das polizeiliche Judendurchgangs lager Westerbork wurde das Ehepaar Hes am 1. Juni 1943 in das Vernichtungslager Sobibor deportiert1682. Jetta1683 [Jette oder Jettchen] und ihr Mann  Joseph Hes1684 wurden am 4. Juni 1943, ihrem Ankunftstag, ermordet.

Sohn  Sally Hes, der am 20. August 1942 aus Harlingen deportiert worden war1685, war bereits am 31. Dezember 1942 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet wor- den1686. Ihre Tochter Clara Hes, die in den Niederlanden untertauchen konnte, zog am 7. Februar 1948 nach Chur/Schweiz; seit dem 30. Juni 1994 lebt sie als Clara Kin in Zürich/Schweiz 1687.

Stolpersteine für Jetta(Jette oder Jettchen) und  Joseph Hes liegen vor dem Haus am Ennekerdijk 13 in Borne, in dem sie wohnten1688.

1674 Ebd., SBOH Nr. 2, Nr. 934. Judengemeinde 1840 – 1932. Verfügung des Regierungspräsidenten Münster vom 6. Dezember 1911. 1675 Gemeente Borne (Archiv), 15. Juni 2009; auf der Website http://www.stolpersteine-borne.nl/de_godsdienstlera- ren.htm wird ausgesagt, dass die Familie Hes erst im Januar 1926 aus Onstwedde nach Borne zog. 1676 http://www.stolpersteine-borne.nl/de_godsdienstleraren.htm. 1677 Gemeente Borne (Archiv), 15. Juni 2009. 1678 Ebd. 1679 JHM A, Joodsmonument, p. 473796. 1680 Gemeente Borne (Archiv), 15. Juni 2009. 1681 http://www.stolpersteine-borne.nl/de_godsdienstleraren.htm. 1682 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 941759, 941761. 1683 Ebd., Nr. 941761. 1684 Ebd., Nr. 941759. 1685 http://www.oud-harlingen.nl/struikelstenen.pdf. 1686 StdA B, SBOH 3. Akte nach dem BEG, Kin, geb. Hes, Clara, 964. Antragsformular ZK 447254, 447255. 1687 Stadt Chur/Schweiz Einwohnerdienste -. 24. September 2012. 1688 http://www.stolpersteine-borne.nl/de_godsdienstleraren.htm.

BUCH DER ERINNERUNG | 223 Joseph Hes geboren am 3. März 1879 in Amsterdam/Niederlande ermordet am 4. Juni 1943 im Vernichtungslager Sobibor

Joseph Hes wurde am 3. März 1879 in Amsterdam in den Niederlanden als Sohn des Kaufmanns Abraham Bram Hes (* 1853, Druten/Niederlande – 18. Februar 1941, Nijmegen/ Niederlande) und seiner Ehefrau Sara (geb. Polak, * 1852 Tiel/Niederlande – 1935, Nijmegen/Niederlande) geboren1689. Joseph Hes machte eine Ausbildung zum Kantor und jüdischen Lehrer.

Am 1. November 1906 wurde er von der israelitischen Gemeinde Bocholt als Kantor angestellt, obwohl er nach dem Gesetz vom 23. Juli 1847 über die Verhältnisse der Juden als niederländischer Staatsbürger nicht hätte angestellt werden dürfen1690. In Bocholt heiratete Joseph Hes  Jetta (Jette oder Jettchen) (geb. Hony, * 24. Dezember 1875, Laasphe – ermordet am 4. Juni 1943, Vernichtungslager Sobibor1691).

Dem Ehepaar wurden drei Kinder geboren:  Sally (* 31. Oktober 1908, Bocholt – ermordet am 31. Dezember 1942, Vernichtungs- lager Auschwitz1692)  Bertha Lopes Dias (geb. Hes, * 31. August 1910, Bocholt – ermordet am 2. Juli 1943, Vernichtungslager Sobibor1693) – Clara Kin (geb. Hes, * 26. Dezember 19191694), die in den besetzten Niederlanden untertauchen und so überleben konnte1695. Seit 1948 lebte sie in Chur/ Schweiz1696.

Vermutlich wohnte die Familie im israelitischen Gemeindehaus am Nordwall 26 in Bo- cholt, da Joseph Hes als Kantor in Diensten der israelitischen Gemeinde Bocholt stand. Aufgrund der Verfügung des Regierungspräsidenten Münster vom 6. Dezember 1911 musste das Dienstverhältnis mit Joseph Hes von der israelitischen Gemeinde Bocholt gekündigt werden, da er die niederländische Staatsangehörigkeit hatte.

Die Anstellung eines nichtpreußischen Bürgers war nach § 71 des Gesetzes über die Verhältnisse der Juden vom 23. Juli 1847 nur im Ausnahmefall möglich. Die hierzu notwendige Ausnahmegenehmigung nach dem Erlass des preußischen Innenministers vom 17. Oktober 1884 war aber vor Hes’ Einstellung nicht eingeholt worden1697.

Seine Kündigung erfolgte zum 1. Juli 1912 durch den Vorsitzenden des Vorstandes der israelitischen Gemeinde Bocholt, Iwan Magnus1698. Dann gibt es für mehrere Jahre keine Nachricht zur Familie Hes.

Die Familie, Vater Joseph, seine Frau  Jette Hes, die Töchter  Bertha und Clara sowie

1689 http://akevoth.org/genealogy/duparc/5801.htm. 1690 StdA B, SBOH Nr. 2, Nr. 934. Judengemeinde 1840–1932. Anstellungsvertrag vom 1. November 1906. 1691 Vgl. Biogramm, S. 222. 1692 Vgl. Biogramm, S. 226. 1693 Vgl. Biogramm, S. 260. 1694 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1695 http://www.stolpersteine-borne.nl/de_godsdienstleraren.htm. 1696 StdA B, SBOH 3, Akte nach dem BEG 939, Kin Clara. Registerkarte. 1697 StdA B, SBOH Nr. 2, Nr. 934. Judengemeinde 1840–1932. Verfügung des Regierungspräsidenten Münster, 6. De- zember 1911. 1698 Ebd., Israelitische Gemeinde an Stadt Bocholt, 8. Januar 1912.

224 | BUCH DER ERINNERUNG Sohn  Sally, zog im Januar 1922 nach Borne/Niederlande1699. In Borne war Joseph Hes Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, Religionslehrer und Schächter. Auch war er im Schulvorstand der öffentlichen Schule. In jeder Woche schlachtete Joseph Hes in der Metzgerei Isaac in Borne1700.

Jüdische Einwohner von Borne erinnerten sich an ihn: „Hes war ein Fachmann. Er hatte eine tiefe Stimme und viel Taktgefühl. Er war ein guter Redner und Vertrauensmann für viele. Er war ein gelehrter Mann. Er hatte einen großen Gemüsegarten. Er war ein richtiger Dorfkantor. Er hatte auch die Laubhütte hinter dem Haus. Die ganze Gemeinde trank dort dann Kaffee. Er war sehr sparsam. Jüdische Kinder haben eine unbekümmerte Dreistigkeit: Sie sind frech. Ich wurde oft durch Lehrer Hes aus der Klasse geschickt. Dennoch lehrte er mich jüdisch lesen, übersetzen sowie die Lobgesänge, die Feiertage usw. Joseph Hes war ein guter Lehrer, jedoch wir Jugendlichen ärgerten ihn sehr. Man konnte sich nämlich beim Religionslehrer viel erlauben, mehr als bei einem normalen Lehrer.“ 1701

Am 10. März 1938 zog  Sally Hes aus Borne nach Harlingen/Niederlande (im Norden der Provinz Friesland1702). Für 1942 wird die Adresse von Joseph Hes und seiner  Frau Jette mit „Borne bei Hengelo, Ennerkerdijk 10“ 1703 angegeben.

Joseph Hes war in Borne der Verantwortliche des Judenrates1704. Der „Judenrat Am- sterdam“ (niederländisch: Joodsche Raad voor Amsterdam) war eine Einrichtung der deutschen Besatzungsmacht zwischen Februar 1941 und September 1943. Gezwun- genermaßen war der Judenrat Kooperations- und Ansprechpartner der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Amsterdam.

Erinnerungen an Joseph Hes: „Das Auto meines Vaters diente auch als Taxi. Jeden Montagmittag fuhr er mit Joseph Hes zum Schlachter nach Delden, damit er dort koscher schlachten konnte. Hes war ein streng orthodoxer Jude. Er war ein stiller und stattlicher Mann. Eine nette Erschei- nung. [...] Hes war gern gesehen und sympathisch [...].“ 1705

 Jette und Joseph Hes wurden verschiedene Möglichkeiten zum Untertauchen ange- boten. Doch Joseph Hes vertraute auf Gottes Schutz und lehnte dies ab1706. Die Eheleute mussten – wahrscheinlich mit ihren Töchtern  Bertha und Clara1707 – am 8. April 1943 nach Amsterdam ziehen. Sie bekamen in Amsterdam-Ost eine Wohnung zuge- wiesen. Inzwischen waren die meisten Juden aus Borne abgeholt und in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork transportiert worden1708.

Am 1. Juni 1943 wurden Joseph und seine Frau  Jette Hes aus Westerbork in das Ver- nichtungslager Sobibor deportiert. Dort wurden Joseph und seine Frau  Jette Hes am 4. Juni 1943 umgebracht1709. Sohn  Sally wurde von Harlingen am 20. August 1942 nach Westerbork gebracht. Am 31. Dezember 1942 wurde er im Vernichtungslager Auschwitz ermordet.

1699 Gemeente Borne (Archiv), 15. Juni 2009; auf der Website http://www.stolpersteine-borne.nl/de_godsdienstlera- ren.htm wird ausgesagt, dass die Familie Hes erst im Januar 1926 aus Onstwedde nach Borne zog. 1700 http://www.stolpersteine-borne.nl/de_godsdienstleraren.htm. 1701 Ebd. 1702 Gemeente Borne (Archiv), 15. Juni 2009. 1703 JHM A, Joodsmonument, p. 473797. 1704 http://www.jhm.nl/collectie/documenten/00000831. 1705 http://www.stolpersteine-borne.nl/de_godsdienstleraren.html. 1706 Ebd. 1707 Gemeente Borne (Archiv), 15. Juni 2009. 1708 http://www.stolpersteine-borne.nl/de_godsdienstleraren.html. 1709 Ebd., BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 941761.

BUCH DER ERINNERUNG | 225  Bertha Lopes Dias, die Tochter von  Jette und Joseph Hes, wurde am 29. Juni 1943 aus Westerbork in das Vernichtungslager Sobibor deportiert, wo sie am 2. Juli 1943 umgebracht wurde. Clara Hes, die jüngste Tochter der Familie, lebt als Clara Kin seit dem 30. Juni 1994 in Zürich/Schweiz1710.

Stolpersteine für  Jetta und Joseph Hes liegen vor ihrem ehemaligen Wohnhaus am Ennekerdijk 13 in Borne1711.

Sally Hes geboren am 31. Oktober 1908 in Bocholt ermordet am 31. Dezember 1942 im Vernichtungslager Auschwitz1712

Sally Hes war der Sohn von  Jetta (Jette oder Jettchen) (geb. Hony, * 24. Dezem- ber 1875, Laasphe – ermordet am 4. Juni 1943, Vernichtungslager Sobibor1713 ) und  Joseph Hes (* 3. März 1879, Amsterdam/Niederlande – ermordet am 4. Juni 1943, Vernichtungs lager Sobibor1714). Er wurde am 31. Oktober 1908 in Bocholt geboren1715.

Sally Hes hatte zwei Geschwister:  Bertha Lopes Dias (geb. Hes, * 31. August 1910, Bocholt – ermordet am 2. Juli 1943, Vernichtungslager Sobibor1716) – Clara Kin (geb. Hes, * 26. Dezember 19191717), die in den Niederlanden untertauchen konnte. Seit dem 7. Februar 1948 lebte sie, aus den Niederlanden zugezogen, in Chur/Schweiz1718.

Vermutlich wohnte die Familie, da Vater  Joseph Hes Angestellter der israelitischen Gemeinde in Bocholt war, im Gemeindehaus am Nordwall 26. Im Januar 1922 wohnte Sally Hes mit seiner Familie in Borne/Niederlande1719.

Am 10. März 1938 zog Sally Hes nach Harlingen in Friesland/Niederlande, wo er Reli- gionslehrer und Kantor war1720. In Borne, dem Wohnort seiner Eltern, heiratete er im gleichen Jahr Anna-Rosa van Gelder (* 1. April 1909, Borne/Niederlande – ermordet am 2. November 1942, Vernichtungslager Auschwitz1721).

1710 Stadt Chur/Schweiz Einwohnerdienste -. 24. September 2012. 1711 http://www.stolpersteine-borne./de_godsdienstleraren.htm. 1712 Nach der Lebensgeschichte von Sally Hes (http://www.stolpersteine-borne.nl/de_godsdienstleraren.htm) soll er kurz vor der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 dort an einer nicht behandelten Infektion gestorben sein. Nach dem Kamp-Dageboek von Ernst Ruschkewitz soll Sally Hes bereits am 8. Februar 1943 in Gleiwitz gestorben sein. 1713 Vgl. Biogramm S. 222. 1714 Vgl. Biogramm S. 224. 1715 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 815530. 1716 Vgl. Biogramm S. 260. 1717 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1718 Stadt Chur/Schweiz Einwohnerdienste -. 24. September 2012. 1719 Gemeente Borne (Archiv), 15. Juni 2009. 1720 Ebd. 1721 http://www.stolpersteine-borne.nl/de_godsdienstleraren.htm.

226 | BUCH DER ERINNERUNG Am 3. Juni 1939 wurde ihre Tochter Mathilde Henriette (* 3. Juni 1939, Hengelo/Nie- derlande – ermordet am 2. November 1942, Vernichtungslager Auschwitz) geboren1722. Im März 1942 wohnte die Familie noch in Harlingen, Schritsen 101723. Dort wurde Sally Hes am 20. August 1942 verhaftet1724 und in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork gebracht. Von dort aus deportierte man Sally Hes in das Vernichtungslager Auschwitz1725.

Sally Hes wurde am 31. Dezember 1942 in Auschwitz ermordet1726. Über Sally Hes berichtet jedoch Ernst Ruschkewitz in seinem Kamp-Dageboek, dass Kantor Hes aus Harlingen in Gleiwitz am 8. Februar 1943 getötet wurde1727: „Gestern starb Kantor Hes aus Harlingen. Es war sehr bedauerlich, dass er nicht mehr sprechen konnte. Deshalb herrschte große Betroffenheit.“1728

Seine Frau Anna-Rosa Hes sowie beider Tochter Mathilde Henriette wurden am 3. Oktober 19421729 ebenfalls in das Judendurchgangslager Westerbork gebracht und vermutlich am 30. Oktober 1942 zusammen mit 657 übrigen Menschen jüdischen Glaubens in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert1730. Dort wurden seine Frau Anna-Rosa sowie Mathilde Henriette am Tag ihrer Ankunft, 2. November 1942, ermordet1731.

Mutter  Jetta und sein Vater  Joseph Hes wurden am 4. Juni 1943 im Vernichtungs- lager Sobibor ermordet. Seine Schwester  Bertha wurde ebenfalls dort am 2. Juli 1943 ermordet. Clara Hes überlebte die Shoah1732. Seit dem 7. Februar 1948 lebte sie, aus den Nie- derlanden zugezogen, als Clara Kin in Chur/Schweiz. Am 30. Juni 1994 zog sie nach Zürich1733.

Sally Hes, seiner Frau Anna-Rosa sowie ihres Kindes Mathilde-Henriette wird auf dem Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof von Harlingen gedacht, der an die Befreiung der Niederlande am 4./5. Mai 1945 erinnert. Der gelbe Gedenkstein, der am 4. Mai 1965 enthüllt wurde, trägt auch die Namen der 43 übrigen Mitbürger jüdischen Glaubens aus Harlingen, die – so die Inschrift auf dem Stein in deutscher Übersetzung – „in der Zeit des Zweiten Weltkriegs durch die Besatzer deportiert und umgebracht wurden.“ 1734

1722 JHM A, Joodsmonument, p. 457863. 1723 Ebd. 1724 http://www.oud-harlingen.nl/struikelstenen.pdf. 1725 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 815530; Gemeente Borne (Archiv), 15. Juni 2009. 1726 JHM A, Joodsmonument, p. 457863. 1727 http://www.tweede-wereldoorlog.org/ruschkewitz-kampdagboek.html. 1728 Ebd. 1729 http://www.oud-harlingen.nl/struikelstenen.pdf. 1730 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlan- den 1731 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 815530. http://www.stolpersteine-borne..nl/de_godsdienstleraren.htm. 1732 Clara Hes überlebte als Untergetauchte in den Niederlanden (http://www.stolpersteine-borne.nl/de _godsdienst- leraren.htm.). 1733 Stadt Chur/Schweiz – Einwohnerdienste –. 24. September 2012. 1734 http://www.4en5mei.nl/oorlogsmonumenten/zoeken/monument-detail/_pid/main/_rp_main_elementId/1_7896.

BUCH DER ERINNERUNG | 227 Carl Heymann geboren am 30. November 1886 in Bocholt erzwungene Selbsttötung am 29. Juni 1943 im polizeilichen Judendurchgangslager Westerbork

Carl Heymann wurde am 30. November 1886 als Sohn der Ehefrau Regina (* 5. März 1858, Dinslaken – 1735) und des Kaufmanns Albert Heymann (* 12. November 1852, Kamen – 24. Oktober 1906, Bocholt1736) im Haus Feldmark 40 (heute: Münsterstraße 19) geboren1737.

Albert Heymann führte unter dem Firmennamen Albert Heymann & Co. eine mecha- nische Weberei1738. Albert Heymann war, wie viele jüdische Fabrikanten, Mitglied des St. Georgius-Schützenvereins. Er trat dem Verein am 20. Juli 1878 bei1739. Im Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden zur Wahl der Repräsentantenversammlung der israelitischen Gemeinde Bocholt 19041740 war er wie folgt verzeichnet: Nr. Name Vorname Alter Wohnung Beruf 12 Heymann Albert 51 Bismarckstraße 13 Fabrikant

Am 15. Juni 1903 zog Carl Heymann nach Köln1741. Am 24. Oktober 1906 starb sein Vater1742. Nach 1918 wurde auf der Rückseite seines Grabsteins eine Erinnerung an die im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten eingemeißelt. Unter dem Eisernen Kreuz sind hier die Namen der elf Gefallenen der israelitischen Gemeinde Bocholt ein- graviert. Carl Heymann heiratete später Billa Adler (* 9. Juni 1898, Köln – ermordet am 16. Juli 1943, Vernichtungslager Sobibor1743). In die Ehe wurden in Köln zwei Kinder geboren. Der am 30. September 1925 in Köln geborene Ernst Josef Heymann wurde am 16. Juli 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet. Dem Ehepaar wurde noch ein weiteres Kind geboren, dessen Name nicht bekannt ist, es überlebte die Shoah1744.

Später zog die Familie nach Koblenz, von dort floh sie in die Niederlande. Im Mai 1940 wohnte sie in der Albrecht Dürerstraat 43 huis in Amsterdam1745. Im März 1943 wurde die Familie in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork eingewiesen1746. Carl Heymann, der in Westerbork Mitglied des jüdischen Lagerrates war, nahm sich hier am 29. Juni 1943 das Leben1747. Die Leiche wurde am 1. Juli 1943 eingeäschert, die Urne auf dem jüdischen Friedhof in Diemen, Feld 4, Grab Nr. 12 beigesetzt1748.

1735 StdA Dinslaken, 18. November 2008, das Todesdatum von Regina Heymann war nicht zu ermitteln. 1736 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1737 Personenstandsregister, S. 503. 1738 StdA B, Kartensammlung, Stadtplan 1897. 1739 Westerhoff, Ballotagen. 1740 StdA B, SBOH 2 Nr. 1006, Wahl des Synagogenvorstandes und der Repräsentanten 1895–1916, Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden zur Wahl der Repräsentantenversammlung der israelitischen Gemeinde Bocholt 1904. 1741 Personenstandsregister, S. 503. 1742 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 26. 1743 JHM A, Joodsmonument, p. 397470. 1744 Ebd. 1745 Ebd. 1746 Ebd. 1747 Ebd., p. 534206, Oorlogsarchief Nederlandse Rode Kruis, Coll. Westerbork, Aanvr.nr. 298. 1748 Ebd., Register van joden die in het kamp Westerbork zijn gecremeerd, 1943-1944; archief van de gemeente Wes- terbork, opgenomen in het archief van de gemeente Midden-Drenthe te Beilen, inv. n 3789.

228 | BUCH DER ERINNERUNG Friedrich (Fritz) Heymann geboren am 28. August 1897 in Bocholt ermordet am 30. September 1944 im Vernichtungslager Auschwitz

„Fritz Heymann wurde am 28. August 1897 in Bocholt Nr. 140 [Neustraße] geboren. Seine Eltern waren die Eheleute Kaufmann Joseph Heymann [* 13. März 1865, Geldern – 20. Dezember 1928, Düsseldorf1749] und seine Frau Mathilde [geb. Rosenkranz, * 17. Mai 1870, Kassel – 5. Juli 1935, Düsseldorf1750].

Nach den Meldeunterlagen des Stadtarchivs Düsseldorf siedelte die Familie am 13. Juli 1906 nach Düsseldorf über. 1914 hatte er sich als Kriegsfreiwilliger gemeldet. 1917 floh er aus britischer Gefangenschaft. 1919 Anzeige des väterlichen machte er am 1. März am Düsseldorfer Realgymnasium sein Abitur nach. Er studierte Geschäftes. in Münster, Berlin, Bonn und Heidelberg. Nach einigen bewegten Jahren in Hamburg, (StdA B, ZSlg., Frankfurt und Weimar kam Heymann als Redakteur bei der „Düsseldorfer Lokal- Bocholter Volksblatt, Zeitung“ unter. 8. April 1905)

Von Juni 1933 bis zum Anschluss des Saargebietes an Deutschland 1935 hatte er seinen Wohnsitz in Saarbrücken und floh dann nach Amsterdam ins Exil. Hier schrieb er sein erfolgreiches Buch […] mit dem Titel ‚Der Chevalier von Geldern’, eine Chronik vom Abenteuer der Juden, zu Ende. Außerdem war er in Amsterdam für zwei Verlage als Übersetzer aus dem Englischen ins Deutsche tätig. [...]“ (Margret Bongert, Bocholter Stadtlexikon1751)

Friedrich (oder Fritz) Heymann wohnte in Amsterdam zunächst in der Pension Hattenbach in der Pieter de Hooghstraat 10. Im Jahr 1939 zog er zur Familie Srork in der Albrecht Dürerstraat 5/I1752. Nach der deutschen Besetzung der Niederlande im Mai 1940 wurde er zum Onderduiker, zum Untergetauchten.

Fritz Heymann, der sich zuletzt in der Scheldestraat 181/III in Amsterdam versteckt hatte, wurde Anfang September 1943 entdeckt, verhaftet und in das polizeiliche Juden- durchgangslager Westerbork gebracht1753.

Am 14. September 1943 wurde er mit 305 Menschen aus Westerbork deportiert. Ursprünglich sollte der Transport in das Ghetto eresienstadt gehen. Da der Transport dort wegen Überfüllung abgewiesen wurde, leitete man ihn weiter in das Konzentrationslager Bergen-Belsen1754.

1749 StdA Düsseldorf, 18. September 2008. 1750 Ebd. 1751 Margret Bongert: Bocholter Stadtlexikon, Fritz Heymann. 1752 JHM A, Joodsmonument, p. 534206. 1753 Ebd. 1754 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Nieder- landen.

BUCH DER ERINNERUNG | 229 Am 25. Januar 1944 wurden 283 Menschen jüdischen Glaubens, darunter auch Fritz Heymann, aus Bergen-Belsen in das Ghetto eresienstadt deportiert1755. Am 28. Sep- tember 1944 erfolgte der Weitertransport von 2499 Häftlingen in das Vernichtungs- lager Auschwitz, wo sie am 29. September 1944 ankamen1756. Im Vernichtungslager Auschwitz wurde Fritz Heymann am 30. September 1944 ermordet1757.

Unterschrift von Rebekka Hiegentlich Rebekka Hiegentlich. (Amtsgericht Bocholt, geborene Spier Grundbuchamt, Grundakten Blatt 3872, Blatt 6) geboren am 6. Oktober 1903 in Aalten/Niederlande ermordet am 4. Juni 1943 im Vernichtungslager Sobibor

Rebekka (oder Rebekka Hendrietta1758) Spier wurde am 6. Oktober 1903 in Aalten/Nie- derlande als Tochter des Viehhändlers Jacob Spier (* 16. Juli 1872, Gendringen/Nieder- lande – 13. Februar 1931, Bocholt1759) und seiner Frau Jetta (geb. Levy, * 5. Mai 1868, Doetinchem/Niederlande – vor August 1938, Amsterdam1760) geboren.

Ihre Eltern hatten am 13. Dezember 1893 in Doetinchem/Niederlande geheiratet1761. Rebekka Spier zog am 7. Januar 1916 mit ihrer Familie nach Bocholt, Dinxperloer Straße 291762.

Sie hatte fünf Geschwister:  David (* 30. April 1894, Aalten/Niederlande – ermordet am 31. März 1944, Ver- nichtungslager Auschwitz 1763)  Helene (* 18. Oktober 1898, Aalten/Niederlande – ermordet am 4. Juni 1943, Vernich tungslager Sobibor1764)  Sofia Lopes Dias (geb. Spier, * 26. Juli 1901, Aalten/Niederlande – ermordet am 21. Mai 1943, Vernichtungslager Sobibor1765)  Henri (* 7. Juni 1905, Aalten/Niederlande – ermordet am 30. November 1943, Ghetto Dorohusk 1766)  Salomon (* 21. Juni 1906, Aalten/Niederlande – ermordet am 17. Februar 1945, Kon zentrations lager Mauthausen1767)

1755 Ebd. 1756 Ebd. 1757 JHM A, Joodsmonument, p. 534206. 1758 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; nach JHM A, Joodsmonument, p. 507589 führte Rebekka Hiegentlich den Zweitnamen Hendrietta. 1759 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1760 Ebd.; Jetta Spier meldete sich am 2. September 1937 nach Amsterdam/Niederlande ab, wo sie vor August 1938 gestorben sein muss, da sie im Kaufvertrag des Hauses Dinxperloer Straße 29 vom 30. August 1938 (Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke [...], Band 150, Blatt 3872, Seite 1) nicht genannt wird. 1761 http://shum.huji.ac.il/~dutchjew/genealog/noach/index.htm. 1762 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1763 Vgl. Biogramm, S. 395. 1764 Vgl. Biogramm, S. 397. 1765 Vgl. Biogramm, S. 264. 1766 Vgl. Biogramm, S. 399. 1767 Vgl. Biogramm, S. 401.

230 | BUCH DER ERINNERUNG Im Alltag wurde Rebekka kurz Recha genannt1768. Um das Jahr 1926 wohnte Rebekka Spier, als deren Beruf „Haustochter“ angegeben war, in der Kreuzstraße 321769. Sie heira- tete vor dem 15. August 19381770 den Betriebsleiter Hermann Hiegentlich (* 5. Juli 1909, Assen/Niederlande – ermordet am 30. April 1943, Vernichtungslager Auschwitz1771) in Assen.

Später im Jahre 1938 wohnte das Ehepaar Hiegentlich in Zandvoort/Niederlande1772. 1941 wohnte es in der Nieuwe Hoogstraat 9 – 11 in Amsterdam1773. Wahrscheinlich wurden Rebekka und ihr Mann Hermann Hiegentlich Mitte April 1943 in Amsterdam verhaftet und in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork gebracht.

Von hier deportierte man Rebekka Hiegentlich am 1. Juni 1943 zusammen mit 3006 Menschen jüdischen Glaubens in das Vernichtungslager Sobibor, wo der Zug am 4. Juni 1943 ankam1774. Am Tag ihrer Ankunft, 4. Juni 1943, wurde sie dort umgebracht1775. Ihr Mann Hermann Hiegentlich war bereits vorher in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort am 30. April 1943 umgebracht worden1776.

Erich Hochheimer geboren am 8. Januar 1891 in Bocholt ermordet nach dem 14. Oktober 1944 im Vernichtungslager Auschwitz

Erich Hochheimer wurde am 8. Januar 1891 im Haus Nr. 327 (heute: Nobelstraße 21) als Sohn des Synagogendieners und späteren Kaufmanns Alex Hochheimer (* 23. Mai 1856, Bocholt – 29. September 1926, Bocholt1777) und seiner Frau Berta (geb. Gusdorf, *18. Februar 1857, Bad Pyrmont – 4. Dezember 1928, Bocholt1778) geboren.

Er hatte sechs Geschwister:  Max (* 28. Dezember 1882, Bocholt – ermordet am 11. November 1944, KZ-Außen- lager Rehmsdorf-Tröglitz1779) – Dr. med. Arthur (* 24. Dezember 1883, Bocholt – 14. Januar 1982, Bound Book, New Jersey/USA1780)

1768 Amtsgericht Bocholt Grundbuchamt -, Grundakten […] Band 150, Blatt 3872, Seite 6, Vollmacht der Geschwister Spier vom 15./30. August 1938, diese unterschrieb er als R. H. Hiegentlich Spier . 1769 Einwohnerbuch 1926, S. 117. 1770 Amtsgericht Bocholt Grundbuchamt -, Grundakten […] Band 150, Blatt 3872, Seite 6, Vollmacht der Geschwister Spier vom 15./30. August 1938. Diese unterschrieb sie bereits als R. H. Hiegentlich Spier . 1771 JHM A, Joodsmonument, p. 507590. 1772 Amtsgericht Bocholt Grundbuchamt -, Grundakten [… ] Band 150, Blatt 3872, Seite 6, Vollmacht der Geschwister Spier vom 15./30. August 1938. 1773 JHM A, Joodsmonument, p. 507589. 1774 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlan- den. 1775 JHM A, Joodsmonument, p. 507589. 1776 Ebd., p. 507590. 1777 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1778 Ebd. Compact-Memory, CV-Zeitung vom 14. Dezember 1928, Todesanzeige für Frau Alex Hochheimer, Bertha, geb. Gusdorf. 1779 Vgl. Biogramm, S. 233. 1780 StdA B, ZSlg., BBV vom 20. Januar 1982, Dr. Hochheimer ist tot!

BUCH DER ERINNERUNG | 231 – Renate (* 8. Juli 1885 – 28. März 1886, Bocholt1781) – Paul (* 23. Mai 1887, Bocholt – gefallen am 22. August 1917, Frankreich1782) – Siegfried (* 20. Mai 1888, Bocholt – emigrierte 1938 in die USA1783) – Jenna (* 9. August 1892 – 16. Mai 1893, Bocholt1784).

Erich Hochheimer verzog zu einem nicht bekannten Zeitpunkt nach Winzig in Nie- derschlesien. Dort heiratete er die am 14. November 1889 in Winzig geborene Gertrud Masur1785. Vor 19201786 verzogen Gertrud und Erich Hochheimer nach Breslau, wo Erich Hochheimer ein Geschäft betrieb1787.

Das Ehepaar hatte mindestens zwei Kinder: – Klara (* 27. April 1920, Breslau – sie emigrierte in das britische Mandatsgebiet Palästina1788) – Heinz (* 20. April 1922, Breslau – er überlebte wahrscheinlich die Shoah 1789).

Bei der Volkszählung 1939, als man in ganz Deutschland Angaben über Abstammung und Vorbildung erfasste, wohnte die Familie Hochheimer in der Yorck-Straße Nr. 21. Erich Hochheimer machte folgende Angaben: „Hochheimer, E., Israel, Privatm[ann].“ 1790 Nach dem Breslauer Adressbuch von 1941 wohnten die Eheleute mit ihrer Tochter Klara und der Schwester seiner Frau Gertrud Hochheimer, Ellen Masur, dort1791. Im Jahre 1943 mussten Gertrud und Erich Hochheimer in das sog. Judenhaus Sonnen- straße 19 in Breslau ziehen1792.

Am 2. April 1943 wurde Erich Hochheimer mit seiner Frau Gertrud zusammen mit 276 Menschen jüdischen Glaubens aus Breslau in das Ghetto eresienstadt deportiert1793. Aus eresienstadt wurden am 12. Oktober 1944 1500 Menschen in das Vernichtungs- lager Auschwitz1794 transportiert, unter ihnen waren auch Erich und Gertrud Hoch- heimer1795. Dort kamen sie am 14. Oktober 1944 mit dem Transport „Eq“ an1796. In Auschwitz wurden Erich und Gertrud Hochheimer ermordet1797.

1781 Personenstandsregister 1886–1897, S. 369. 1782 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962, http://denkmalprojekt.org/Verlustlisten/vl_rjf_wk1_orte_b. htm. 1783 Schröter, S. 588. 1784 Personenstandsregister 1886–1897, S.369. 1785 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 939021. 1786 Das älteste Kind, Klara, wurde am 27. April 1920 in Breslau geboren. 1787 Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names. Pages of Testimony von Aliza Berger (Nichte), Israel, 23. November 1955. 1788 Ebd. 1789 Heinz Hochheimer ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 1790 http://www.breslau-wroclaw.de/de/breslau/source/vz1939/ nach Volkszählung 1939.a. 1791 Ebd., nach Breslauer Adressbuch von 1941, Straßenverzeichnis Seite 392. 1792 Jersch-Wenzel, Stefi (Hrsg.): Ehemalige preußische Provinz Schlesien. Bearb. von Claudia Nowak und Sabine Rüdiger-iem. München, 2005, S. 1810. 1793 eresienstädter Gedenkbuch, S. 85. 1794 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 1795 eresienstädter Gedenkbuch, S. 501/502. 1796 Ebd. 1797 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 939018 und 939021.

232 | BUCH DER ERINNERUNG Max Hochheimer geboren am 28. Dezember 1882 in Bocholt ermordet am 11. November 1944 im KZ-Außenlager Rehmsdorf-Tröglitz1798

Max Hochheimer wurde am 28. Dezember 1882 in Bocholt als ältester Sohn des Agenten Max und Henny und Synagogendieners Alex Hochheimer (* 23. Mai 1856, Bocholt – 29. September 1926, Hochheimer mit ihren Bocholt1799) und der Hausfrau Berta (geb. Gusdorf, * 18. Februar 1857, Bad Pyrmont Kindern Marga und Paul. 1800 (StdA Witten, Foto: – 4. Dezember 1928, Bocholt ) im Haus gegenüber der Synagoge, Nr. 327 (später: Marga Hellmann- 1801 Nobelstraße 21), geboren . Hochheimer, USA)

Max Hochheimer trat am 27. August 1905 dem St. Georgius-Schützenverein bei1802. Am 14. April 1906 zog er nach Witten, wo er Henriette (genannt Henny) (geb. Rosenbaum, * 27. Oktober 1888, Witten – 1. Februar 1963, Hollis Hills, New York/ USA1803) am 18. August 1914 in einer Kriegstrauung1804 heiratete.

Ihre Eltern, der Synagogendiener Isaak Rosenbaum (* 2. April 1847, Ostherbede – 30. August 1938, Witten1805) und Sara (geb. Heumann, * 18561806, Kerchen1807 – 1931, Witten1808, hatten 1878 geheiratet. Das Ehepaar zog im gleichen Jahr nach Witten, Wideystraße 421809. Zwischen 1879 und 1891 wurden ihnen sechs Kinder geboren, von denen drei in der Shoah ermordet wurden: – Helene Singer (geb. Rosenbaum, * 30. April 1879, Witten1810 – ermordet nach März 1942, „Osttransport“1811), – Alma Stern (geb. Rosenbaum, * 16. Mai 1885, Witten1812 – ermordet nach dem 15. Juli 1942, Vernichtungslager Sobibor1813) – Margarethe Kramer (geb. Rosenbaum, * 29. Dezember 1891, Witten1814 – ermordet nach dem 20. Juli 1942, Ghetto Minsk1815).

Henny und Max Hochheimer wohnten in Witten, Bahnhofstraße 581816. In der Bahnhof- straße 60 führte Max Hochheimer ein Damen-Putzgeschäft1817.

1798 http://www.buchenwald.de/totenbuch/.Totenbuch Buchenwald. 1799 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1800 Ebd. 1801 Personenstandsregister, S. 369. 1802 Westerhoff, Ballotagen. 1803 http://search.ancestry.com/cgi-bin/sse.dll?gl=ROOT_CATEGORY&rank=1&new=1&so=3&MSAV=0&msT=1& gss=ms_r_f-2_s&gsfn=Henny+&gsln=Hochheimer&msbdy=1888&uidh=000&=y&=0. 1804 Gedenkbuch Witten, S. 91, Max Israel Hochheimer an das Standesamt der Stadt Witten, 1. Dezember 1941. 1805 Ebd., S. 181. 1806 Ebd., S. 90. 1807 Ebd., S, 181. 1808 Ebd. 1809 Ebd. 1810 Ebd., S. 257. 1811 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 962839. 1812 Gedenkbuch Witten, S. 297. 1813 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 975663. 1814 Gedenkbuch Witten, S, 120. 1815 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 289667. 1816 Gedenkbuch Witten, S. 91. 1817 Ebd.

BUCH DER ERINNERUNG | 233 Die beiden Kinder wurden in Witten geboren: – Margarete (genannt Marga) Hellmann (geb. Hochheimer, * 1. Juli 1915. Sie emigrierte am 3. März 1939 nach Großbritannien, vor 1946 in die USA1818, wo sie 2010 lebte1819)  Paul (* 8. September 1922 – 19. April 1945, Konzentrationslager Buchenwald1820).

Die nun vierköpfige Familie zog am 6. April 1927 zurück nach Bocholt in die Nobel- straße 21 a – hier war das Elternhaus von Max Hochheimer – und am 5. Dezember 1928 zur Kaiser-Friedrich-Straße 12. Im Jahr 1932 zog die Familie in eine Mietwohnung im Haus Weberstraße 231821.

Aus der Einwohnermeldekarteikarte geht hervor, dass Max Hochheimer zunächst den Beruf des Dekorateurs ausübte; später war er – wie sein Vater Alex – Handelsvertreter/ Agent1822. Nach Angaben seiner Frau Henny in ihrem Entschädigungsantrag führte Max Hochheimer eine Lebensmittelgroßhandlung, was auch von zwei Lieferanten bestätigt wurde1823.

Diese letzte Tätigkeit übte er bis zum Berufsverbot für Juden im Oktober 1938 aus1824. Einer Notiz über die Rückgabe der für seine Tätigkeit notwendigen Gewerbelegitima- tionskarte vom Oktober 1938 ist zu entnehmen, dass diese Karte von Max Hochheimer abgegeben worden war1825.

Über die Pogromnacht 1938 schrieb Henny Hochheimer in einem Antrag vom 24. Sep- tember 1954 an den Regierungspräsidenten Münster:

„In der Nacht vom 9. November 1938 sind in meiner Wohnung [...] die gesamte Ein- richtung, Kleider, Bilder, Teppiche und ähnliches zerstört worden.“1826

Am 22. November 1938 stellte Max Hochheimer bei der Stadt Bocholt einen Antrag auf Erteilung eines Heimatscheines1827. Offenbar wollte er mit seiner Familie auswandern.

Die Stadtverwaltung leitete den Antrag am 15. Dezember 1938 mit der Bemerkung „Der Antragsteller ist Jude“ an den Regierungspräsidenten weiter. Der Ausgang des Ver- fahrens kann der Akte nicht entnommen werden.

Am 1. März 19391828 mussten Henny und Max Hochheimer zwangsweise in den er- sten Stock der ehemaligen israelitischen Schule und des Gemeindehauses am Nordwall 26 ziehen. Das Gebäude war jedoch schon am 4. Januar 1939 von der israelitischen Gemeinde an die Stadt Bocholt „verkauft“ worden1829. Am 17. Juni 1939 musste das Ehepaar Hochheimer deshalb in das sog. Judenhaus Stiftstraße 32 ziehen1830.

1818 StdA B, 57 K 102 – ohne Titel -. Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962). 1819 Stadt Witten, 17. Oktober 2011. 1820 Vgl. Biogramm, S. 236. 1821 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1822 Ebd. 1823 StdA B, SBOH 3, Akte nach dem BEG 3 920, Henny Hochheimer. Stadt Bocholt an Finanzamt Borken, 5. Oktober 1954. 1824 StdA B, 57 K 101 – ohne Titel -, Betr. Juden im ambulanten Gewerbe 1938. 1825 Ebd. 1826 StdA B, SBOH 3, Akte nach dem BEG 3 920, Henny Hochheimer. Stadt Bocholt an Finanzamt Borken, 5. Oktober 1954. Antrag an den Regierungspräsidenten Münster vom 24. September 1954. 1827 StdA B, 47 K 101, Jüdische Gemeinde 1938–1939; 3. Heft, Antrag auf Erteilung eines Heimatscheines [für] Max Hochheimer vom 22. November 1938. 1828 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1829 Stadt Bocholt, Fachbereich Stadtgrün, Altablage, Akte Jüdischer Friedhof. Jewish Trust Corporation for Germany, Zweigbüro Ruhr Mühlheim, an Stadtdirektor Bocholt, 28. Oktober 1953. 1830 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; hier soll die Familie nach Angaben von Henny Hochheimer neun Zimmer bewohnt haben.

234 | BUCH DER ERINNERUNG Inge Becks erinnert sich daran, dass Bocholterinnen jüdischen Glaubens fast unmittel- bar neben ihrem Elternhaus Stiftstraße 38 wohnen mussten:

„Mein Vater erhielt sofort beim Zuzug der Juden in das Haus Stiftstraße 32 von der Stadtverwaltung Bocholt den schriftlichen Auftrag, die noch in der Stadt befindlichen Juden mit den elementarsten Lebensmitteln zu beliefern. Er durfte an Juden nur Ra- tionen verkaufen, die wesentlich kleiner als die der sonstigen Bevölkerung waren. Vom Verkauf von Sonderrationen so wie Tabakwaren, Kaffee und Alkohol waren die Juden ausgeschlossen. Trotzdem bekamen sie auch diese von ihm. Sie kamen dazu abends oder nachts übers Feld zu uns; so erhielt Herr Hochheimer Zigaretten.“ (Inge Becks, Nachbarin in der Stiftstraße1831)

Am 10. Dezember 1941 wurde Max Hochheimer zusammen mit seiner Frau Henny und dem Sohn  Paul von Bocholt aus nach Münster geschafft. Von hier aus wurden sie am 13. Dezember 1941 in das Ghetto Riga deportiert1832.

In die Einwohnermeldekarteikarte des Ehepaares Hochheimer wurde zunächst einge- tragen: „10.12.41 n. Riga/Lettland.“1833 Aufgrund des Schreibens der Staatspolizeileit- stelle Münster vom 18. Juli 1942 an die Meldeämter wurde der Teil des Vermerks „Riga/ Lettland“ geschwärzt und durch den Eintrag „unbekannt verzogen (ausgewandert)“ er- setzt1834.

Max Hochheimer überlebte die Auflösung des Ghettos zum 2. November 1943 und seine Verschleppung in das Konzentrationslager Kaiserwald bei Riga. Dort war seine Frau Henny Blockälteste der Frauenbaracke 21835. Im Sommer 1944 wurden die Überlebenden beim Heranrücken der Roten Armee in das Konzentrationslager Stutthof depor tiert. Max Hochheimer kam wie sein Sohn  Paul am 9. August 1944 dorthin und wurde wie die meisten männlichen Häftlinge am 13. August 1944 in das Konzentrations lager Buchenwald deportiert. Hier kam er am 16. August 1944 an1836. Max Hochheimer wurde im September 1944 aus Buchenwald mit über 5000 Häftlin- gen jüdischen Glaubens in das KZ-Außenlager „Wille“, Rehmsdorf-Tröglitz, im heu- tigen Bundesland Sachsen-Anhalt deportiert1837. Dabei hatte er die Häftlingsnummer 828691838.

Max Hochheimer erlag hier den Strapazen der dreijährigen Haft am 11. November 19441839 . Dieses Datum ist auf seiner Einwohnermeldekarte, allerdings mit dem Ermor- dungsort Buchenwald, vermerkt; als Quelle wird auf das Sonderstandesamt Weimar[-] Buchenwald verwiesen1840.

Sein Sohn  Paul Hochheimer verblieb im Konzentrationslager Buchenwald. Nachdem US-amerikanische Truppen das Lager befreit hatten, starb er dort am 19. April 1945 an Entkräftung1841.

1831 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Inge Becks (* 1926) am 10. Dezember 1993. 1832 Vgl. S. 110. 1833 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1834 Ebd., Nacke, S. 170. 1835 Schneider, Reise in den Tod: Deutsche Juden in Riga 1941-1944, Dülmen ²2008, S. 159. 1836 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 939024. 1837 Totenbuch Buchenwald (http://www.buchenwald.de/totenbuch/). Hier ist angegeben, dass Max Hochheimer in Rehmsdorf, einem Außenlager des KZ Buchenwald, ermordet wurde. 1838 Stadt Witten, 17. Oktober 2011. 1839 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1840 Ebd.; nach Auskunft des Standesamtes Bocholt beruht der Eintrag auf einer Mitteilung des Sonderstandesamtes Buchenwald. 1841 BA Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 939 026; Paul Hochheimer steht nicht im Totenbuch Buchenwald.

BUCH DER ERINNERUNG | 235 Henny Hochheimer, die Frau Max Hochheimers, kehrte am 14. Juni 1945 aus dem be- freiten KZ-Außenlager Lauenburg/Pommern nach Bocholt zurück. Sie zog zunächst in ein Zimmer des Hauses Lowicker Straße 13. Am 25. März 1946 zog sie in das Haus Stiftstraße 32, wo bereits Meta Metzger und Norbert Lorch wohnten1842.

1946 wanderte Henny Hochheimer zu ihrer Tochter Marga Hellmann in die USA aus1843, die 1943 Günther Hellmann aus Minden geheiratet hatte1844. Henny Hochheimer starb am 1. Februar 19631845.

Die Namen von Max und  Paul Hochheimer sind auf der Gedenktafel für die unmit- telbar aus Bocholt 1941/42 deportierten Menschen jüdischen Glaubens in der Gedenk- stätte für die ehemalige Bocholter Synagoge verzeichnet1846.

Vor dem ehemaligen Standort des Hauses Weberstraße 23 liegen Stolpersteine, die an Max und  Paul Hochheimer erinnern1847.

Paul Hochheimer

geboren am 8. September 1922 in Witten gestorben am 19. April 1945 im Konzentrationslager Buchenwald

Paul Hochheimer wurde am 8. September 1922 in Witten/Ruhr, dem Geburtsort seiner Mutter Henriette (genannt Henny), geboren1848. Seine Eltern Henriette (geb. Rosenbaum, * 27. Oktober 1888, Witten1849 – 1. Februar 1963, Hollis Hills, New York/USA1850) und  Max Hochheimer (* 28. Dezember 1882, 1851 Paul Hocheimer Bocholt – ermordet am 11. November 1944, KZ-Außenlager Rehmsdorf-Tröglitz ) (StdA Witten, Foto: waren 1927 mit ihm und seiner sieben Jahre älteren Schwester Margarete (genannt Marga Hellmann- Marga) Hellmann (geb. Hochheimer, * 1. Juli 1915, Witten. Sie emigrierte am 3. März Hochheimer, USA) 1939 nach Groß britannien, später in die USA1852, wo sie 2010 lebte1853) aus Witten nach Bocholt gezogen. Hier wohnte die Familie zunächst im Haus des Großvaters Alex Hochheimer, Nobelstraße 21a1854. Nach mehreren Umzügen zog Paul Hochheimer am 1. April 1932 mit der Familie in das Haus Weberstraße 23 um1855. In diesem Haus, das etwa an der heutigen Ecke von Weberstraße und Ostwall stand, wohnten die Hochheimers zur Miete.

1842 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1843 Ebd. 1844 Gedenkbuch Witten, S. 92. 1845 http://www.faqs.org/people-search/hochheimer. 1846 Vgl. S. 133. 1847 Vgl. S. 459 ff. 1848 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1849 Ebd. 1850 http://search.ancestry.com/cgi-bin/sse.dll?gl=ROOT_CATEGORY&rank=1&new=1&so=3&MSAV=0&msT=1& gss=ms_r_f-2_s&gsfn=Henny+&gsln=Hochheimer&msbdy=1888&uidh=000&=y&=0. 1851 Vgl. Biogramm, S. 233. 1852 StdA B, 57 K 102 ohne Titel -. Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962). 1853 Stadt Witten, 17. Oktober 2011. 1854 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1855 Ebd.

236 | BUCH DER ERINNERUNG Gleichzeitig wechselte Paul Hochheimer Ostern 1932 von der israelitischen Volksschule in Bocholt in das Gymnasium und Realgymnasium an der Nordallee. Er kehrte aller- dings bereits am 12. September 1932 in die Volksschule am Nordwall zurück. Ostern 1933 wechselte er erneut in das Gymnasium, das er am 16. Oktober 1935 aufgrund der antijüdischen Gesetzgebung verlassen musste1856.

Der Familie wurde offenbar Ende Februar 1939 die Wohnung gekündigt, weil sie Juden waren. Als seine Eltern am 1. März 1939 in das israelitische Gemeindehaus am Nordwall 26 zogen, blieb der siebzehnjährige Paul Hochheimer nach dem Eintrag in seiner Ein- wohnermeldekarte zunächst in der Wohnung Weberstraße 23 wohnen, ehe er am 12. Juni 1939 in das sog. Judenhaus Stiftstraße 32 zu seinen inzwischen dort wohnenden Eltern zog1857.

Aus dem Haus Stiftstraße 32 zog Paul Hochheimer vom 5. Dezember 1939 bis 9. Juli 19401858 nach Hamburg, wo er bei Familie Seelig, Grindelhof 2 – im jüdischen Viertel Hamburgs – wohnte. Erneut in der Hansestadt, Sedanstraße 2 bei „Feilmann“1859, meldete er sich am 28. Juli 1940 an1860. Am 14. November 19401861 meldete sich Paul Hochheimer aus dem Deutsch-Israelitischen Religionsverband Hamburg1862, wie sich seit 1940 die jüdische Gemeinde der Hansestadt nennen musste1863, ab. Warum Paul Hochheimer nach Hamburg zog, kann nicht gesagt werden. Am 28. November 1940 kehrte er endgültig nach Bocholt zurück1864.

Am 10. Dezember 19411865 wurde Paul Hochheimer zusammen mit seinen Eltern mit einem von der Staatspolizeileitstelle Münster bereitgestellten Bus nach Münster in die Sammelstelle, die Gaststätte Gertrudenhof an der Kreuzung Kaiser-Wilhelm-Ring/ Warendorfer Straße, gebracht. In die Einwohnermeldekarteikarte von Paul Hochheimer wurde eingetragen: „11.12.41 n. Riga/Lettland.“ 1866

Aufgrund des Schreibens der Staatspolizeileitstelle Münster vom 18. Juli 1942 an die Meldeämter wurde der Teil des Vermerks „Riga/Lettland“ geschwärzt und durch den Eintrag „unbekannt verzogen (ausgewandert)“ ersetzt1867. Von Münster aus wurden Paul, Henny und  Max Hochheimer am 13. Dezember 1941 in das Ghetto Riga deportiert, wo sie am 15. Dezember 1941 ankamen1868. Die Familie Hochheimer, auch Sohn Paul, überlebte die Auflösung des Ghettos Riga am 2. November 1943. Er wurde in das Konzentrationslager Kaiserwald bei Riga gebracht.

1856 St.-Georg-Gymnasium Archiv Zeugnis für Hochheimer, Paul, Schülerhauptverzeichnis Nr. 3443. 1857 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1858 Ebd; Staatsarchiv Hamburg, 17. Oktober 2011. 1859 Staatsarchiv Hamburg, 25. Oktober 2011. 1860 Ebd., nach StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962 meldete sich Paul Hochheimer erst am 31. Juli 1940 nach Hamburg ab. 1861 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1862 Staatsarchiv Hamburg, 25. Oktober 2011. Angaben nach der Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Ge- meinde in Hamburg, dort konnte eine Steuerkarte für Paul Hochheimer ermittelt werden. 1863 http://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCdische_Gemeinde_Hamburg. 1864 Staatsarchiv Hamburg, 25. Oktober 2011; nach StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962 kehrte Paul Hochheimer bereits am 28. September 1940 nach Bocholt zurück. 1865 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962, hier ist der 11. Dezember 1941 als Verzugstermin nach Riga eingetragen. 1866 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1867 Nacke, S. 170. 1868 Vgl. S. 110.

BUCH DER ERINNERUNG | 237 Im Sommer 1944 wurden die Überlebenden des Konzentrationslagers Kaiserwald vor der heranrückenden Roten Armee zum Konzentrationslager Stutthof bei Danzig de- portiert1869.

Paul Hochheimer kam wie sein Vater  Max am 9. August 1944 im Konzentrations- lager Stutthof an und wurde wie die meisten männlichen Häftlinge am 13. August 1944 in das KZ Buchenwald deportiert. Hier kamen sie am 16. August 1944 an1870. Sein Vater  Max Hochheimer wurde am 11. November 1944 im KZ-Außenlager Rehmsdorf-Tröglitz ermordet, wohin er im September 1944 aus Buchenwald deportiert worden war. Paul Hochheimer erlebte zwar den Tag der Befreiung des Konzentrations- lagers Buchenwald durch US-amerikanische Truppen am 11. April 1945. Er starb je- doch dort an den Entbehrungen der Haft am 19. April 19451871.

Auf seiner Einwohnermeldekarte wurde neben diesem Todesdatum der Vermerk „Weimar[-]Buchenwald Sonderstandesamt Nr. Bu 721/1152“ eingetragen1872.

Die Namen von Paul und  Max Hochheimer sind auf der Gedenktafel für die unmit- telbar aus Bocholt 1941/42 deportierten Menschen jüdischen Glaubens in der Gedenk- stätte für die ehemalige Bocholter Synagoge verzeichnet1873.

Vor dem ehemaligen Standort des Hauses Weberstraße 23 liegen Stolpersteine, die an Paul und seinen Vater Max Hochheimer erinnern1874.

Rosy Holländer geborene Mühlfelder geboren am 27. Juli 1890 in Bauerbach/Herzogtum Sachsen–Meiningen ermordet am 19. April 1943 im Vernichtungslager Majdanek

Rosy Mühlfelder wurde am 27. Juli 1890 in Bauerbach im Herzogtum Sachsen-Meinin- gen geboren. Ihre Eltern waren der Lehrer Louis Mühlfelder (* 4. August 1858, Bauer- bach1875 – 1876 ) und seine Frau Blume1877.

Vor 1910 verzog Rosy Mühlfelder nach Unna1878, wo sie Armin Holländer (* 1876, Bibra (heute: Verbandsgemeinde Grabfeld, Kreis Schmalkalden-Meiningen) – ermordet am 15. September 1941, Unna1879) heiratete.

1869 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 939026. 1870 Ebd., Nr. 939024. 1871 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 939026. 1872 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1873 Vgl. S. 133. 1874 Vgl. S. 459 ff. 1875 Stadt Unna, Der Oberstadtdirektor, Referat für Öffentlichkeitsarbeit [Hrsg.]: Juden in Unna Spuren ihrer Ge- schichte: eine historische Dokumentation, Unna 1993, S. 114. 1876 Das Todesdatum war im Kreisarchiv Hildburghausen nicht zu ermitteln. 1877 Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names; Pages of testimony der Tochter Gerda A. Yaffe, Dallas/USA, 13. Juni 1977. Weitere Daten waren nicht zu ermitteln. 1878 Stolpern über Messing gegen das Vergessen. Der Westen. Das Portal der WAZ-Gruppe, 14. Mai 2007, http://www. derwesten.de/staedte/unna/stolpern-ueber-messing-gegen-das-vergessen-id2016861.html. 1879 http://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCdische_Friedh%C3%B6fe_in_Unna.

238 | BUCH DER ERINNERUNG Dem Ehepaar wurden in Unna zwei Kinder geboren: – Werner (* 7. Juli 1911 – vor 1991, USA1880), – Gerda Yaffe (geb. Holländer, * 14. März 1919, die am 29. Oktober 1939 aus Unna floh1881 und 1991 in Dallas/USA lebte1882).

Armin Holländer betrieb in der Massener Straße 18 in Unna ein Textilgeschäft. Beim Boykott am 1. April 1933 wurde auch das Geschäft Holländer boykottiert, 1938 musste er es weit unter Preis verkaufen1883. In der Pogromnacht am 9./10. November 1938 wurde Armin Holländer verhaftet, in das Polizeigefängnis Dortmund überführt und einen Tag später wieder entlassen1884.

Am 13. Juli 1939 verzog Rosy Holländer nach Köln, kam aber schon am 21. Oktober 1939 nach Unna zurück1885.

Von Mai bis Juni 19411886 wohnte Rosy Holländer im sog. Judenhaus Schwarzstraße 14 in Bocholt1887. Hier wohnten auch ihr Onkel  Emanuel1888 und ihre Tante  Sophia Mühlfelder1889, die sie pflegte.

Vor dem 17. Juni 1941 richtete sie über den Auslandsdienst des Deutschen Roten Kreuzes diese Nachricht an ihre in Cincinnati/Ohio, USA, wohnende Tochter Gerda: „Geliebtes Kind. Werners und Marys Grüße vom 25. Januar und 10. März erhalten. Hoffe Dich gesund. Bin noch zur Betreuung hier. In Liebe Mutter.“ Das Formular trug die Unterschrift „Rosy Sara Holländer“ 1890. Ende Juni 1941 kehrte Rosy Holländer nach Unna zurück1891.

Nach der Einführung des sog. Judensterns am 1. September 1941 weigerte sich Armin Holländer, dieses Zeichen zu tragen. Er wurde verhaftet und am 15. September 1941 tot in einer Polizeizelle in Unna aufgefunden1892. Offiziell soll Armin Holländer an Herzversagen gestorben sein1893. Er wurde ohne Sarg und Grabstein auf dem jüdischen Friedhof in Unna verscharrt. Das Grab musste sofort eingeebnet werden1894.

Rosy Holländer wurde am 28. April 1942 zusammen mit etwa 1000 Frauen und Männern jüdischen Glaubens aus dem Bereich der Staatspolizeistelle Dortmund in das Ghetto Zamosz deportiert, später wurde sie weiter in das Vernichtungslager Majdanek1895 deportiert. Vom Einwohnermeldeamt Unna war sie am 26. April 1942 als nach „unbekannt verzogen“ abgemeldet worden1896. Am 19. April 1943 wurde Rosy Holländer im Vernichtungslager Majdanek umgebracht1897.

1880 Juden in Unna, S. 168. 1881 Stadt Unna, Beschlußvorlage des Betriebsausschusses Kultur, Vorlagen-Nr. 0907/07. 1882 Juden in Unna, S. 168. Das Todesdatum war nicht zu ermitteln. 1883 Ebd. 1884 Ebd., S. 112. 1885 Stadtarchiv Unna, 20. August 2012. 1886 Juden in Unna, S. 151, 168. In der Einwohnermeldekartei in Unna ist kein Verzug nach Bocholt verzeichnet (Stadt- archiv Unna, 20. August 2012). 1887 Vgl. S. 103. 1888 Vgl. Biogramm, S. 330. 1889 Vgl. Biogramm, S. 333. 1890 Juden in Unna, S. 151. 1891 Ebd., S. 168. 1892 Ebd., S. 168. Seine Tochter Gerda A. Yaffe vermutet, dass ihr Vater Armin Holländer ermordet wurde (vgl. Juden in Unna, S. 168). 1893 Ebd. 1894 http://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCdische_Friedh%C3%B6fe_in_Unna. 1895 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 939399. 1896 Stadtarchiv Unna, 20. August 2012. 1897 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 939399.

BUCH DER ERINNERUNG | 239 Paula Isidor geborene Ostberg geboren am 13. Mai 1886 in Bocholt ermordet nach dem 25. März 1942 im Ghetto Izbica

Paula Ostberg wurde am 13. Mai 1886 in Bocholt, Feldmark 911898 (heute: Ostwall 1 a1899) als Tochter von Julie (geb. Lebenstein, * 4. April 1860, Coesfeld1900 – 30. Mai 1911, Bo- cholt1901) und dem Kaufmann Hermann Ostberg (* 21. Juli 1851, Rhede1902 – 5. August 1923, Bocholt1903) geboren 1904. Hermann Ostberg, ihr Vater, war seit dem 21. Mai 1877 Mitglied im St. Georgius-Schüt- zenverein1905.

Paula Ostberg hatte zwei Geschwister: – Else Löwenstein (geb. Ostberg, * 20. Mai 1884, Bocholt – 15. Januar 1929, Ahaus1906)  Ida Aronsohn (geb. Ostberg, * 8. Mai 1888, Bocholt – ermordet nach dem 16. Juli 1942, wahr scheinlich im Vernichtungslager Auschwitz1907).

Am 19. Dezember 19091908 heiratete Paula Ostberg in Bocholt Moses Isidor (* 26. Januar 1879, St. Goar-Werlau – ermordet nach dem 22. März 1942, Ghetto Izbica1909) und zog zu ihrem Mann nach St. Goar. Moses Isidor war Lederwarenfabrikant in St. Goar (Deutsche Lederwarenfabrik). Ihm gehörte ein ansehnliches Stadthaus in St. Goar, Heerstraße 10.

Das Ehepaar hatte fünf Kinder: – Gertrud Johanna (Trude) Feige (geb. Isidor, * 21. November 1910, St. Goar-Werlau, sie konnte mit ihrem Mann Hans Feige am 21. Mai 1939 nach London emigrieren und lebte seit 1953 in Sao Paulo/Brasilien) – Julie Landsberg (geb. Isidor, * 11. August 1912, St. Goar, sie heiratete am 5. August 1937 in Boppard Dr. jur. Paul Landsberg, lebte 1964 in New York/USA) – Karl Günther Isidor (* 27. Oktober 1913, St. Goar, er emigrierte nach Santiago de Chile, verstorben 1999) – Herbert Isidor (* 24. Mai 1915, St. Goar, er verzog mit seinem Cousin Karl Leo am 19. Oktober 1937 nach Königgrätz. Nach Angaben des Bruders Karl Günther war sein letzter Wohnsitz Prag. Am 6. September 1943 wurde er aus dem Ghetto ere- sienstadt in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Der letzte Lebensnachweis kam am 11. Februar 1944 aus dem Vernichtungslager Auschwitz- Birkenau) – Lieselotte Dreifuß (geb. Isidor, * 3. September 1918, St. Goar – ermordet nach dem 22. März 1942, Ghetto Izbica, sie wurde gemeinsam mit ihren Eltern aus Koblenz deportiert)1910.

1898 Personenstandsregister, S. 275. 1899 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1900 Personenstandsregister, S. 275. 1901 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 27. 1902 Personenstandsregister, S. 275. 1903 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 27. 1904 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1905 Westerhoff, Ballotagen. 1906 http://www.tenhumbergreinhard.de/familie-tenhumberg/familie-loewenstein.html. 1907 Vgl. Biogramm S. 144. 1908 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1909 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 885901. 1910 Doris Spormann, St. Goar, 18. September 2009.

240 | BUCH DER ERINNERUNG Im November 1939 wohnten Paula und Moses Isidor sowie Tochter Lieselotte Dreifuß noch in ihrem Haus in St. Goar, Heerstraße 101911. 1940 mussten sie nach Koblenz, Kaiser-Friedrich-Straße 20 (heute Südallee1912), einem sog. Judenhaus, umziehen1913.

Gemeinsam mit ihrem Mann Moses und Tochter Lieselotte Dreifuß wurde Paula Isidor zusammen mit etwa 1000 Leidensgenossen am 22. März 1942 aus dem Bereich der Staatspolizeistelle Koblenz in das Ghetto Izbica deportiert, wo sie am 25. März 1942 ankamen1914. Paula, ihr Mann Moses Isidor sowie beider Tochter Lieselotte Dreifuß wurden nach dem 25. März 1942 im Ghetto Izbica ermordet1915.

Toni Kahn geborene Albersheim geboren am 28. November 1892 in Bocholt ermordet nach dem 30. Januar 1943 im Vernichtungslager Auschwitz

Toni Albersheim wurde am 28. November 1892 in Bocholt als Tochter von  Helene (geb. Gompertz, * 20. Oktober 1858, Rheinberg – ermordet am 21. Februar 1943, Ghetto eresienstadt1916) und Moritz (Moses) Albersheim (* 24. Oktober 1861, Borken1917 – 30. November 1916, Bocholt1918) in Bocholt Nr. 168 (heute: Markt 4) geboren1919. Ihr Vater Moritz betrieb dort ein Manufakturwarengeschäft1920.

Sie hatte einen Bruder: – Gottfried (* 19. Mai 1887, Bocholt, der im Ersten Weltkrieg am 3. April 1915 in Perbles/Frankreich fiel1921).

Für ihn und die übrigen zehn Gefallenen der israelitischen Gemeinde Bocholt wurde auf dem Friedhof auf der Rückseite des Denkmals von Albert Heymann eine Gedenk- inschrift angebracht1922.

1911 Ebd. 1912 Yad Vaschem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Gedenkblatt von Doris Spormann, St. Goar, vom 30. Dezember 1996. 1913 Doris Spormann, St. Goar, 18. September 2009. 1914 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 1915 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 885902. 1916 Vgl. Biogramm S. 138. 1917 Personenstandsregister, S. 94. 1918 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1919 Personenstandsregister, S. 94. 1920 StdA B, SBOH 2 Nr. 1006, Wahl des Synagogenvorstandes und der Repräsentanten 1895–1916, Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt [zur Wahl der Repräsentanten am 31. Juli 1913]. 1921 http://www.denkmalprojekt.org/Verlustlisten/vl_rjf_wk1_orte_b.htm. 1922 Vgl. S. 49.

BUCH DER ERINNERUNG | 241 Toni Albersheim zog am 9. November 1919 nach Köln1923. Hier heiratete sie Julius Kahn (* 7. August 1879, Köln – ermordet am 17. September 1942, Vernichtungslager Auschwitz 1924). Mit ihm hatte sie die Tochter – Lani (* 21. März 1925, Köln – 20. September 1937, Köln1925).

Ihrem Mann Julius Kahn gelang es zu einem bislang nicht bekannten Zeitpunkt, in die Niederlande zu emigrieren. 1942 wurde er vom polizeilichen Judendurchgangslager Westerbork aus in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet1926.

Vor 1938 verzog Toni Kahn nach Berlin. Sie wohnte dort zuletzt in der Utrechter Straße 61927. Aus Berlin wurde Toni Kahn mit dem 27. Auschwitz-Transport zusammen mit 1003 Menschen jüdischen Glaubens am 29. Januar 1943 in das Vernichtungslager Ausch witz deportiert1928. Einen Tag später kam der Zug in Auschwitz an1929. Ihre An- kunft in Auschwitz ist das letzte Lebenszeichen von Toni Kahn1930. Keiner aus diesem Transport überlebte1931.

Amalia Landau geborene Lorch

geboren am 20. Dezember 1902 in Bocholt zu Tode gekommen nach dem 17. März 1943 an einem nicht bekannten Ort

Amalia Lorch wurde am 20. Dezember 1902 als zweites von sieben Kindern von Bertha (geb. ten Bosch, * 23. April 1878, Lichtenvoorde/Niederlande – 16. April 1925, Bocholt1932) und dem Pferdemetzger Nathan Lorch (* 21. Dezember 1874, Bocholt – 31. Juli 1924, Bocholt1933) im Haus Osterstraße 67 in Bocholt geboren1934.

Amalia Landau, Amalia Lorch hatte sechs Geschwister: geborene Lorch – Aron (* 30. November 1899, Bocholt – „lebte nach dem Krieg in Argentinien“ 1935) (André Lorch, Rhein- – Norbert (* 16. April 1905, Bocholt – 23. Januar 1980, Bocholt1936) stetten)

1923 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1924 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 892707. 1925 NS-Dokumentationszentrum Köln, 18. November 2008. 1926 Ebd. 1927 Freie Universität Berlin. Zentralinstitut f. sozialwissenschaftliche Forschung: Gedenkbuch Berlins der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, Berlin 1995, S. 1051. 1928 Ebd., S. 1421. 1929 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 1930 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 1078536. 1931 Gedenkbuch Berlins, S. 1421. 1932 StdA B, verlmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1933 Ebd. 1934 Ebd. 1935 Nachlass Günter Lorch im Besitz von Josef Niebur: Stammbaum der Familien Lorch/Metzger, aufgestellt von Rechtsanwalt und Notar Dr. Johannes Alff. 1936 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Herrn Günter Lorch (1930–2008), Bocholt, und seiner Frau Magdalene (geb. Sackers) am 9. Februar 1995 und 2. März 1995, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur.

242 | BUCH DER ERINNERUNG – Helena (* 24. Oktober 1906, Bocholt – 31. Dezember 1906, Bocholt1937) – Jakob (* 9. Dezember 1907, Bocholt – lebte 1963 in New York1938) – Alfred (* 5. Februar 1910, Bocholt – „lebte nach dem Krieg in New York“ 1939) – Max (* 10. November 1914, Bocholt – 1991, Buenos Aires/Argentinien1940). Er hei- ratete am 27. August 1936 in Bocholt Dorothea Baum (* 27. August 1915, Schrimm/ Regierungsbezirk Posen) und floh vor der auch in Bocholt antisemitischen Stimmung am 24. September 1938 ab Bremen mit dem Schiff nach Paraguay/Süd amerika1941. Später ließen sie sich in Buenos Aires/Argentinien nieder1942.

Am 2. November 1917 meldete sich Amalia Lorch ins brandenburgische Putlitz ab, von dort kehrte sie am 2. November 1919 nach Bocholt, Ostmauer 3, zurück1943. Das Haus, in dem die Familie Nathan Lorch seit 1917 wohnte, steht heute nicht mehr. Es würde in der Straßenfläche der Langenbergstraße, etwa in Höhe der Einmündung der Gasthausstraße, stehen.

Obwohl ihre Einwohnermeldekartei keinen Wegzug für 1923 festhält, muss sich Amalia Lorch im April/Mai 1923 in Osnabrück aufgehalten haben. Hier wurde am 16. April 1923 ihre Tochter  Ruth (ermordet nach dem 29. April 1942, Konzentrationslager Izbica1944) geboren. Mit ihr kehrte sie wahrscheinlich am 13. Mai 1923 nach Bocholt, Ostmauer 3, zurück1945.

Im Einwohnerbuch 1926 war Amalia Lorch unter gleicher Adresse als Inhaberin eines Gemüsegeschäftes eingetragen, ihr Bruder Norbert führte dort eine Fellhandlung1946.

Am 31. Oktober 1927 zog Amalia Lorch nach Aalten/Niederlande1947.

Norbert Lorch, ihr Bruder, floh einige Tage nach der Pogromnacht 1938 über die deutsch-niederländische Grenze nach Aalten in die Niederlande1948. Amalia Lorch, die Anfang 1938 nach Scheveningen/Niederlande gezogen war, verpflichtete sich, für seinen Unterhalt aufzukommen1949.

Später kam Norbert Lorch in verschiedene Lager, zuletzt in das polizeiliche Juden- durchgangslager Westerbork. Hier wurde er am 12. April 1945 durch kanadische Trup- pen befreit1950.

1937 Nachlass Günter Lorch im Besitz von Josef Niebur: Stammbaum der Familien Lorch/Metzger, aufgestellt von Rechtsanwalt und Notar Dr. Johannes Alff. 1938 StdA B, 57 K 100 ohne Titel -. Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962). 1939 Nachlass Günter Lorch im Besitz von Josef Niebur: Stammbaum der Familien Lorch/Metzger, aufgestellt von Rechtsanwalt und Notar Dr. Johannes Alff. 1940 Stadt Bocholt, Allgemeine Verwaltung, Partnerschaften. Ordner Juden 1, 1941 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1942 Privatbesitz Josef Niebur, Niederschrift über ein Interview mit Doris und Max Lorch (Argentinien) (1914–2002), während eines Besuches am 29. Juli 1991 in Bocholt. 1943 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1944 Vgl. Biogramm S. 267. 1945 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. Danach soll sich Amalia Lorch zwischen 1917 und 1927 in Bocholt aufgehalten haben. 1946 Einwohnerbuch 1926, S. 182. 1947 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; Lurvink, p. 191. 1948 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Herrn Günter Lorch (1930–2008), Bocholt, und seiner Frau Magdalene (geb. Sackers) am 9. Februar 1995 und 2. März 1995, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur. 1949 http://www.synagoge-aalten.nl/phocadownload/zij-waren-aaltenaren-als-wij.pdf ..., S. 138, Gemeeente Aalten aan den Heern Inspecteur van den kon. Marechaussee, 9. Januar 1939. 1950 International Tracing Center HQ[Herausgeber]: Catalogue of camps and prisons in Germany and german- occupied territories. Sept. 1st, 1939 – May 8th, 1945. 1st Issue, Arolsen, July 1949, S. 285.

BUCH DER ERINNERUNG | 243 Mit dem Überfall deutscher Truppen auf die Niederlande am 10. Mai 1940 begann auch für Amalia eine Zeit zunehmender Einschränkungen.

Am 8. Juli 1942 informierte die Gemeinde den „Chef-Veldwachter“ in Aalten, dass Amalia Lorch bei der Gemeinde um einen Zuzug nach Aalten, Hoogestraat 55 I nachgefragt habe. Dieser teilte mit, dass die dort Wohnenden planten, eine Hochzeit von Amalia Lorch mit dem dort wohnenden Frits Landau (* 28 November 1905, Niederlande – umgekommen am 17. März 1943 an einem unbekannten Ort1951) anzubahnen1952. So kam es. Im Jahre 1942 heiratete Amalia Lorch Frits Landau „vor dem Standesbeamten in Aalten“ 1953.

Im Einwohnermeldeverzeichnis der Gemeinde Aalten ist Frits Landau als am 17. März 1943 „vertrokken onbekend waarheen“ verzeichnet1954. Amalia und Fritz Landau waren untergetaucht. Untertauchen bedeutete, dass Juden von ihren nichtjüdischen Bekannten, Nachbarn oder fremden Menschen oft über Jahre unter Lebensgefahr versteckt wurden. Oft wech- selten die Untergetauchten häufiger ihre Fluchtadresse, um nicht bei einer der vielen Razzien der deutschen Besatzer entdeckt zu werden.

Amalia Landau verkraftete das Leben im Versteck bei Aalten nicht. Sie wurde in ihrem Versteck nervenkrank und ihre „Gastfamilie“ lief Gefahr, durch ihre Schreie entdeckt zu werden. Deshalb wurde das Ehepaar im Versteck nach dem 17. März 1943 „geliquideerd door de illegaliteit“ (getötet durch die Menschen, die illegal Lebenden beim Überleben halfen)1955. Für Frits Landau wäre ein Leben alleine im Versteck zu schwer geworden.

Amalia und Frits Landau wurden durch Beschluss des Amtsgerichts Bocholt vom 11. Dezember 1954 zum „8. Mai 1945, 24.00 Uhr“ für tot erklärt1956.  Ruth Lorch, die Tochter von Amalia Landau, wurde nach dem 29. April 1942 im Konzentrationslager Izbica ermordet.

Die Namen von Amalia und Frits Landau stehen auf einer Gedenktafel, die im Jahre 2000 an der westlichen Außenwand der Synagoge in Aalten angebracht wurde. Unter dem Psalmwort „Gedenk, Eeuwige, wat ons is geschied”, sind dieser Tafel die Namen der 39 ermordeten Juden aus Aalten zu entnehmen1957. Ihre Namen stehen außerdem auf dem Mahnmal 4./5. Mai in Aalten1958.

Neben ihrem Geburtshaus liegen an der Abzweigung der Ostmauer von der Lan- genbergstraße in Bocholt Stolpersteine für Amalia Landau und ihre Tochter  Ruth Lorch1959.

1951 Ebd. 1952 http://www.synagoge-aalten.nl/phocadownload/zij-waren-aaltenaren-als-wij.pdf. ..., S. 159. 1953 Amtsgericht Bocholt, Abteilung 5, Toderklärungsakte Lorch-Metzger 5 II 11 -14/54), Beschluss des Amtsgerichts Bocholt vom 11. Dezember 1954, Blatt 24. 1954 Ebd., Gemeente Aalten an Amtsgericht Bocholt, 4. Mai 1954, Blatt 13. 1955 Lurvink, p. 191. 1956 Amtsgericht Bocholt, Abteilung 5, Toderklärungsakte Lorch-Metzger 5 II 11 -14/54, Beschluss des Amtsgerichts Bocholt vom 11. Dezember 1954, Blatt 24. 1957 Vgl. Foto, S. 198. 1958 Mitteilung von Hugo Kuiper, Aalten, 31. Mai 2009. 1959 Vgl. S. 459 ff.

244 | BUCH DER ERINNERUNG Ernst Landau geboren am 10. März 1909 in Ramsdorf (heute: Velen-Ramsdorf) ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944 im Ghetto Riga/Konzentra- tionslager Kaiserwald

Ernst Landau wurde am 10. März 1909 in Ramsdorf geboren. Seine Eltern waren  Meyer Landau (* 12. Mai 1865, Ramsdorf – ermordet nach dem 23. September 1942, Vernichtungslager Treblinka1960) und Friederika Landau (geb. Wolff, * 25. April 1866, Mülheim/Ruhr – 11. Dezember 1926, Bocholt1961).

Die Familie bestand neben den Eltern aus den Kindern: – Walter (* 19. Februar – 11. März 1899, Ramsdorf1962) – Ehrlich (* 20. Februar – 27. März 1899, Ramsdorf1963)  Siegfried (* 10. Juni 1900, Ramsdorf – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald1964)  Otto (* 5. Dezember 1901, Ramsdorf – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald1965) – Helena (Elena) (* 15. Juni 1904, Ramsdorf, überlebte als konvertierte Frau eines protestantischen Beamten und starb 19911966) – Ernst.

Die Familie zog am 2. Juni 1910 in Bocholt zu1967.

Im Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt vom 25. Juni 19321968 ist Ernst wie folgt aufgeführt: Nr. Name Vorname Alter Wohnung Beruf 75 Landau Ernst 23 Mühlenweg 40 Weber

Wo er gearbeitet hat, ist nicht bekannt. Am 9. Dezember 1934 heiratete er in Hombruch (heute: Dortmund-Hombruch)1969  Lila (geb. Sternberg, * 5. November 1910, Essen-Borbeck – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald1970). Das Ehepaar wohnte in Bocholt im Niederbruch 20.1971

Am 20. Februar 1938 wurde  Leo Landau (ermordet nach dem 15. Dezember 1941, Ghetto Riga1972) als Sohn von  Lila und Ernst Landau im Haus Hinter der Friesen- straße 9 geboren. Hier wohnte die Familie vom 8. März 1935 bis zum 3. Oktober 19381973.

1960 Vgl. Biogramm S. 250. 1961 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1962 Fasse, Norbert: Das Amt Velen-Ramsdorf 1918-1945. Katholiken und NS-Herrschaft im Münsterland. (Schriften- reihe der Gemeinde Velen Band 4. Studien zur Regionalgeschichte Band 7.), Bielefeld, ²1997, S. 109. 1963 Ebd. 1964 Vgl. Biogramm S. 254. 1965 Vgl. Biogramm S. 252. 1966 Fasse, S. 109. 1967 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1968 Ebd., SBOH 2 Nr. 1007. Wahl des Vorstandes und der Repräsentanten der Synagogengemeinde 1916–1935. 1969 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1970 Vgl. Biogramm S. 249. 1971 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1972 Vgl. Biogramm S. 247. 1973 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

BUCH DER ERINNERUNG | 245 Dann zog die Familie mehrmals um: – bis zum 14. April 1939 wohnte sie in der Kronenstraße 43, – anschließend bis zum 16. Oktober 1939 in der Jägerstraße 12, – sodann bis zum 6. Juni 1940 im Niederbruch 201974. Dann zog Familie Landau in das sog. Judenhaus Stiftstraße 32.

1938 hatte die Stadt Bocholt „die Verpflichtung [übernommen], die in Bocholt obdachlos werdenden jüdischen Familien unterzubringen, […] dies [soll] in dem Hause Stiftstraße 32 geschehen […].“1975

Am 10. Dezember 1941 wurden Ernst, seine Frau  Lila, der dreijährige Sohn  Leo sowie sein Bruder  Otto Landau auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei zusam- men mit insgesamt 21 anderen Bocholter Juden nach Münster in den Saal der ehema- ligen Gaststätte Gertrudenhof an der Kreuzung von Kaiser-Wilhelm-Ring und Waren- dorfer Straße gebracht.

Danach wurde in die Einwohnermeldekarteikarte des Ehepaares Ernst Landau zunächst eingetragen: „10.12.41 n. Riga/Lettland.“1976 Aufgrund des Schreibens der Staats- polizeileitstelle Münster vom 18. Juli 1942 an die Meldeämter wurde der Teil des Ver- merks „Riga/Lettland“ geschwärzt und durch den Eintrag „unbekannt verzogen (ausge- wandert)“ ersetzt1977.

Aus Münster wurde die Familie am 13. Dezember 1941 in das Ghetto der lettischen Hauptstadt Riga deportiert. Hier kam der Zug am 15. Dezember 1941 an1978. Ernst,  Lila und  Leo Landau wurden vor August 1944 in oder beim Ghetto Riga oder Konzentrationslager Kaiserwald ermordet1979.  Meyer Landau, sein Vater, wurde nach dem 23. September 1942 im Vernichtungs- lager Treblinka ermordet.

Die Namen von Ernst, seiner Frau  Lila, seinem Sohn  Leo und seinem Vater  Meyer Landau sind auf der Gedenktafel für die unmittelbar aus Bocholt 1941/42 de- portierten Menschen jüdischen Glaubens in der Gedenkstätte für die ehemalige Bo- cholter Synagoge verzeichnet1980.

Am Rande der Straßenfläche des Wendehammers der Friesenstraße zur Hohenzollern- straße in Bocholt, dem ehemaligen Standort des Hauses Hinter der Friesenstraße 9, liegen Stolpersteine, die daran erinnern, dass dort einst Ernst,  Leo,  Lila und  Meyer Landau wohnten1981.

1974 Ebd. 1975 Stadt Bocholt, Stadtgrün, Altablage, Akte Jüdischer Friedhof. Jewish Trust Corporation for Germany, Mülheim/ Ruhr an Stadt Bocholt, 28. Oktober 1953. 1976 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1977 Ebd., Nacke, S. 170. 1978 Vgl. S. 110. 1979 Buch der Erinnerung, Band 2, S. 749. 1980 Vgl. S. 133. 1981 Vgl. S. 459 ff.

246 | BUCH DER ERINNERUNG Leo Landau geboren am 20. Februar 1938 in Bocholt ermordet nach dem 15. Dezember 1941 im Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiser- wald1982

Über Leo Landau ist wenig bekannt. Sein aus Ramsdorf stammender Vater war  Ernst Landau (* 10. März 1909, Ramsdorf – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald1983).

Am 9. Dezember 1934 hatte seine Mutter  Lila (geb. Sternberg, * 5. November 1910, Essen-Borbeck – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald1984) in Hombruch (heute: Dortmund-Hombruch)  Ernst Landau geheiratet. Sie zog zu ihm nach Bocholt in den Niederbruch 201985.

Leo Landau wurde am 20. Februar 1938 im Haus mit der Adresse Hinter der Friesen- straße 9 geboren1986. Das Haus läge heute im Bereich des südlichen Teils des Wende- hammers, der die Friesenstraße zur Willy-Brandt-Straße abschließt. Nach Angaben seines Cousins Raimund B., der auf einem Bauernhof bei Haltern versteckt mit seiner Mutter [H]Elena, Leos Tante, die Shoah überlebte, war Leo Landau ein sehr schreck- haftes Baby, das beim geringsten lauten Wort weinte1987.

Die Familie zog nach der Geburt von Leo Landau mehrmals um: – bis zum 14. April 1939 wohnte sie in der Kronenstraße 43, – anschließend bis zum 16. Oktober 1939 in der Jägerstraße 12, – sodann bis zum 6. Juni 1940 im Niederbruch 201988.

Das Haus Niederbruch 20 war eines der vier sog. Judenhäuser in Bocholt. Es war Eigen- tum von Josef Metzger, einem Bürger jüdischer Religion1989. Bis zu seiner Deportation am 10. Dezember 1941 wohnte Leo Landau mit seinen Eltern im sog. Judenhaus Stift- straße 32.

Ein damals in der Weidenstraße wohnender Jugendlicher erinnerte sich daran, den kleinen Leo an der Hand wahrscheinlich seines Großvaters  Meyer Landau (* 12. Mai 1865, Ramsdorf – ermordet nach dem 23. September 1942, Vernichtungslager Treblinka1990) des Öfteren in der Stiftstraße gesehen zu haben 1991.

Inge Becks, eine Nachbarin aus der Stiftstraße, erinnerte sich an einen Augenblick An- fang Dezember 1941:

1982 Es gibt unterschiedliche Berichte über die Ermordung von Kindern aus dem Ghetto Riga. Edith Marx erinnert sich in ihrem Erlebnisbericht Wir fühlten uns wie Schlachtvieh, S. 470, daran, dass viele Kinder bei der Auflösung des Ghettos am 2. November 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden. 1983 Vgl. Biogramm S. 245. 1984 Vgl. Biogramm S. 249. 1985 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1986 Ebd. 1987 Privatbesitz Josef Niebur. Notiz über ein Gespräch mit dem Cousin von Leo Landau, Raimund B., am 10. August 1993. 1988 Ebd. 1989 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke [...] Blatt 550, Grundbuchtabelle. 1990 Vgl. Biogramm S. 250. 1991 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Herrn U. (* 1927), Bocholt, am 28. August 1993.

BUCH DER ERINNERUNG | 247 „Ich erinnere mich daran, wie Leo Landau, den wir alle Bubi nannten, im November oder Dezember 1941 in der Gosse vor dem Haus spielte, als wohl die Nachricht kam, dass unsere jüdischen Nachbarn deportiert werden sollten. Frau Landau kam zu Vater ins Geschäft und rief sehr aufgeregt: ‚Herr Becks, Herr Becks, wir haben Bescheid. Wir müssen weg. Die bringen uns um!‘ Ich wurde dann von Vater aus dem Laden geschickt.“1992

Am 10. Dezember 1941 wurden der dreieinhalbjährige Leo und seine Eltern  Ernst und  Lila Landau auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei mit insgesamt 22 an- deren Bocholter Juden nach Münster gebracht. Von dort wurden sie am 13. Dezember 1941 in das Ghetto Riga deportiert1993.

Danach wurde in die Einwohnermeldekarteikarte der Familie Landau, auf der auch Sohn Leo stand, zunächst eingetragen: „10.12.41 n. Riga/Lettland.“ 1994 Aufgrund des Schreibens der Staatspolizeileitstelle Münster vom 18. Juli 1942 an die Meldeämter wurde der Teil „Riga/Lettland“ des Vermerks geschwärzt und durch den Eintrag „unbekannt verzogen (ausgewandert)“ ersetzt.1995 Über Leo Landau gibt es nach seiner Ankunft in Riga am 15. Dezember 1941 keine Nachricht mehr1996.

Die Namen von Leo, seiner Mutter  Lila, seinem Vater  Ernst und dem Großvater  Meyer Landau sind auf der Gedenktafel für die unmittelbar aus Bocholt 1941/42 deportierten Menschen jüdischen Glaubens in der Gedenkstätte für die ehemalige Bo- cholter Synagoge verzeichnet1997.

Am Rande der Straßenfläche des Wendehammers der Friesenstraße zur Hohenzollern- straße in Bocholt, dem ehemaligen Standort des Hauses Hinter der Friesenstraße 9, liegen Stolpersteine, die daran erinnern, dass dort einst Leo,  Ernst,  Lila und  Meyer Landau wohnten1998.

1992 Ebd., Niederschrift über ein Interview mit Frau Inge Becks (* 1926), Bocholt am 10. Dezember 1993. 1993 Vgl. S. 110. 1994 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 1995 Nacke, S. 170. 1996 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 907897. 1997 Vgl. S. 133. 1998 Vgl. S. 459 ff.

248 | BUCH DER ERINNERUNG Lila Landau geborene Sternberg geboren am 5. November 1910 in Essen-Borbeck ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944 im Ghetto Riga/Konzentra- tionslager Kaiserwald

Lila Sternberg oder Lisa Sara Sternberg, wie sie in der Bocholter Einwohnermeldekartei verzeichnet war1999, wurde am 5. November 1910 in Borbeck, heute ein Stadtteil von Essen, geboren2000. Am 9. Dezember 1934 heiratete sie in Hombruch (heute: Dortmund- Hombruch)  Ernst Landau2001 und zog nach Bocholt in den Niederbruch 202002. Ihr Stand war in der Einwohnermeldekartei mit „Ehefrau“ angegeben2003.

Am 8. März 1935 zog sie in das Haus mit der Straßenbezeichnung Hinter der Friesen- straße 92004. Heute ist hier ein Wendehammer der Friesenstraße. Dort gebar sie am 20. Februar 1938 ihren Sohn  Leo Landau2005. In diesem Haus wohnte Lila mit  Ernst Landau sowie  Leo bis zum 3. Oktober 19382006.

Dann zog die Familie mehrmals um: – bis zum 14. April 1939 wohnte sie in der Kronenstraße 43, – anschließend bis zum 16. Oktober 1939 in der Jägerstraße 12, – sodann bis zum 6. Juni 1940 im Niederbruch 202007.

Bis zur Deportation am 10. Dezember 1941 wohnte die Familie im sog. Judenhaus Stiftstraße 322008. Am 18. November 1941 wurden von der Staatspolizeileitstelle Münster Anordnungen für die „Evakuierung von Juden“, also auch von Juden in Bocholt, erlassen. Empfänger waren die Landräte und die Oberbürgermeister in Bocholt, Bottrop und Münster2009.

Am 10. Dezember 1941 wurden Lila und  Ernst Landau sowie ihr dreieinhalbjähriger Sohn  Leo auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei mit insgesamt 22 anderen Bocholter Juden nach Münster gebracht. Von dort aus wurden sie am 13. Dezember 1941 in das Ghetto Riga deportiert2010.

In die Einwohnermeldekarteikarte des Ehepaares Landau wurde zunächst eingetragen: „10.12.41 n. Riga/Lettland.“2011 Aufgrund des Schreibens der Staatspolizeileitstelle Münster vom 18. Juli 1942 an die Meldeämter wurde dieser Vermerk geschwärzt und durch den Eintrag „unbekannt verzogen (ausgewandert)“ ersetzt2012.

1999 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2000 Ebd. 2001 Vgl. Biogramm S. 245. 2002 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2003 Ebd. 2004 Ebd. 2005 Vgl. Biogramm S. 247. 2006 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2007 Ebd. 2008 Ebd. 2009 Vgl. S. 109. 2010 Vgl. S. 110. 2011 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2012 Nacke, S. 170.

BUCH DER ERINNERUNG | 249 Lila Landau wurde im Ghetto Riga oder dem KZ Kaiserwald ermordet2013, über sie gibt es nach ihrer Ankunft in Riga am 15. Dezember 1941 keine Nachricht mehr2014. Die Namen von Lila, ihrem Mann  Ernst, ihrem Sohn  Leo und dem Schwiegervater  Meyer Landau2015 sind auf der Gedenktafel für die unmittelbar aus Bocholt 1941/42 deportierten Menschen jüdischen Glaubens in der Gedenkstätte für die ehemalige Bo- cholter Synagoge verzeichnet2016.

Am Rande der Straßenfläche des Wendehammers der Friesenstraße zur Hohenzollernstraße in Bocholt, dem ehemaligen Standort des Hauses Hinter der Friesenstraße 9, liegen Stolpersteine, die daran erinnern, dass dort einst Lila,  Ernst,  Leo und  Meyer Landau wohnten2017.

Meyer Landau geboren am 12. Mai 1865 in Ramsdorf (heute: Velen-Ramsdorf) ermordet nach dem 25. September 1942 im Vernichtungslager Treblinka

Meyer Landau wurde am 12. Mai 1865 in Ramsdorf geboren2018. 1898 heiratete er Frie- derika (geb. Wolf, * 25. April 1866, Mülheim/Ruhr – 11. Dezember 1926, Bocholt2019).

Dem Ehepaar wurden sechs Kinder geboren: – Walter (* 19. Februar – 11. März 1899, Ramsdorf2020) – Ehrlich (* 20. Februar – 27. März 1899, Ramsdorf2021)  Siegfried (* 10. Juni 1900, Ramsdorf – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald2022)  Otto (* 5. Dezember 1901, Ramsdorf – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald2023) – Helena (Elena) (* 15. Juni 1904, Ramsdorf – 25. August 1991) heiratete einen Protes- tanten und konvertierte2024, so überlebte sie die Shoah2025)  Ernst (* 10. März 1909, Ramsdorf – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald2026).

Am 2. Juni 1910 zog die Familie in Bocholt, Hochfeldstraße 1798 zu. Nach einem Umzug in die Körnerstrasse 12 zogen die Landaus am 21. November 1911 in die Schützenstraße

2013 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 907906. 2014 Buch der Erinnerung, Band 2, S. 749. 2015 Vgl. Biogramm S. 250. 2016 Vgl. S. 133. 2017 Vgl. S. 459 ff. 2018 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2019 Ebd. 2020 Fasse, S. 109. 2021 Ebd. 2022 Vgl. Biogramm S. 254. 2023 Vgl. Biogramm S. 252. 2024 Fasse, S. 109. 2025 Privatbesitz Josef Niebur. Notiz über ein Gespräch mit dem Cousin von Leo Landau, Raimund B., am 10. August 1993. 2026 Vgl. Biogramm S. 245.

250 | BUCH DER ERINNERUNG 21, wo sie bis 1927 wohnten2027. Im Wählerverzeichnis der israelitischen Gemeinde Bocholt wurde als Meyer Landaus Beruf „Händler“2028 angegeben. Seine Frau Friederika führte in der Wohnung Schützenstraße 21 einen Handel mit Kurzwaren2029.

Am 11. Dezember 1926 starb Friederika Landau, sie wurde auf dem Friedhof der israelitischen Gemeinde Bocholt beigesetzt2030. Mit seinen Söhnen  Ernst,  Otto und  Siegfried zog Meyer Landau mehrfach um2031. Später, als  Ernst Landau verheiratet war, lebte er bis zum 14. Januar 1939 in dessen Familie2032.

Am 16. Oktober 1939 musste er, wie sein Sohn  Ernst mit seiner Familie, in das sog. Judenhaus Niederbruch 20 ziehen2033. Meyer Landau wurde am 6. August 1940 ein Zim- mer im sog. Judenhaus Stiftstraße 32 angewiesen. Hier mussten auch seine Söhne  Otto und  Ernst mit dessen Frau  Lila2034 und deren Sohn  Leo2035 zwangsweise einziehen. Sie wurden am 10. Dezember 1941 nach Münster gebracht und von dort am 13. Dezember 1941 in das Ghetto von Riga deportiert2036.

Am 25. Februar 1942, als das Haus Stiftstraße 32 als sog. Judenhaus aufgelöst wurde, zwang man den hier zusammen mit  Hermann Cohen2037 und  Luise Löwenstein2038 noch wohnenden Meyer Landau, in die Schwartzstraße 14 zu ziehen2039. Dieses Haus war seit dem 13. November 1940 im Eigentum der katholischen Frau von Albert Löwenstein (* 9. Dezember 1876, Rietberg – 3. Mai 1960, Düsseldorf), Angelika (geb. Knappertsbusch, * 6. März 1877, Wieden (heute: Wülfrath) – 26. August 1960, Düsseldorf2040), und dennoch das faktisch letzte sog. Judenhaus in Bocholt2041.

Hieraus wurde Meyer Landau am 27. Juli 1942 gemeinsam mit sieben der letzten neun in Bocholt lebenden Juden von einem Stapobeamten in einem Möbelwagen nach Münster gebracht2042. Danach wurde in seine Einwohnermeldekarte eingetragen: „Am 27. Juli 1942 nach unbekannt verzogen (ausgewandert).“ 2043

65 der deportierten Menschen aus diesem Transport konnten 1945 befreit werden2044. Meyer Landau wurde am 23. September 1942 aus dem Ghetto eresienstadt mit einem sog. Altentransport mit der Bezeichnung „Bq“, zusammen mit 1980 Menschen jüdischen Glaubens, in das Vernichtungslager Treblinka deportiert2045, hier kamen sie am 25. September 1942 an2046. Dort wurde Meyer Landau ermordet.

2027 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekarte 1906–1962. 2028 Ebd., SBOH 2 Nr. 1006, Wahl des Synagogenvorstandes und der Repräsentanten 1895–1916. Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt vom 10. Juli 1913. 2029 Einwohnerbuch 1926, S. 229. 2030 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 29. 2031 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2032 Ebd. 2033 Ebd. 2034 Vgl. Biogramm, S. 249. 2035 Vgl. Biogramm, S. 247. 2036 Vgl. S. 110. 2037 Vgl. Biogramm, S. 168. 2038 Vgl. Biogramm, S. 294. 2039 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2040 Vgl. S. 118. 2041 StdA B, Nachlaß Josef Fehler. Zeugenaussage von Angelika Löwenstein vom 3. November 1955 im Prozess Fehler und Andere gegen das Land NRW vor der 2. Entschädigungskammer des Landgerichts Münster, Aktenzeichen 9 0 (Entsch.) 66/54 -. 2042 Vgl. S. 116. 2043 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2044 Ebd. 2045 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 907921. 2046 Ebd., Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich; eresienstädter Ge- denkbuch, S. 66.

BUCH DER ERINNERUNG | 251 Auch seine Söhne  Siegfried,  Otto und  Ernst wurden während der Shoah er- mordet.

Die Namen von Meyer Landau, seiner Schwiegertochter  Lila, seinem Sohn  Ernst und seinem Enkel  Leo sind auf der Gedenktafel für die 1941/42 unmittelbar aus Bo- cholt deportierten Menschen jüdischen Glaubens in der Gedenkstätte für die ehemalige Bocholter Synagoge verzeichnet2047.

Am Rande der Straßenfläche des Wendehammers der Friesenstraße zur Hohenzollern- straße in Bocholt liegen Stolpersteine, die daran erinnern, dass in dem dort einst ste- henden Haus Hinter der Friesenstraße 9  Ernst,  Leo,  Lila und Meyer Landau wohnten2048.

Otto Landau geboren am 5. Dezember 1901 in Ramsdorf (heute: Velen-Ramsdorf) ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944 im Ghetto Riga/Konzentra- tionslager Kaiserwald

Otto Landau wurde am 5. Dezember 1901 in Ramsdorf geboren2049. Seine Eltern waren  Meyer Landau (* 12. Mai 1865, Ramsdorf – ermordet nach dem 23. September 1942, Vernichtungslager Treblinka2050) und Friederika Landau (geb. Wolff, * 25. April 1866, Mülheim/Ruhr – 11. Dezember 1926, Bocholt2051).

Otto Landau hatte eine Schwester und vier Brüder: – Walter (* 19. Februar – 11. März 1899, Ramsdorf2052) – Ehrlich (* 20. Februar – 27. März 1899, Ramsdorf2053)  Siegfried (* 10. Juni 1900, Ramsdorf – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald2054) – Helena (Elena) (* 15. Juni 1904, Ramsdorf – 25. August 19912055. Sie heiratete einen protestantischen Beamten und überlebte so.)  Ernst (* 10. März 1909, Ramsdorf – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor Au- gust 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald2056).

Am 2. Juni 1910 zog die Familie in Bocholt, Hochfeldstraße 1798, zu. Nach einem Umzug in die Körnerstrasse 12 zogen die Landaus am 21. November 1911 in die Schützenstraße 21, wo sie bis 1927 wohnten2057. Als Beruf von Otto Landau war im Wählerverzeichnis

2047 Vgl. S. 133. 2048 Vgl. S. 459 ff. 2049 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2050 Vgl. Biogramm, S. 250. 2051 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2052 Fasse, S. 108. 2053 Ebd. 2054 Vgl. Biogramm, S. 254. 2055 Fasse, S. 108. 2056 Vgl. Biogramm, S. 245. 2057 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

252 | BUCH DER ERINNERUNG der israelitischen Gemeinde Bocholt zur Ersatzwahl zur Repräsentantenversammlung am 21. Oktober 1925 „Arbeiter“ angegeben2058. Wo er tätig war, ist nicht bekannt.

Ab 1940 wohnte Otto Landau in der Hochfeldstraße 147 (die Baracke würde sich heute im Bereich des dreigeschossigen Hauses Hochfeldstraße 111 befinden). Von hier musste er am 17. August 1940 in das sog. Judenhaus Stiftstraße 32 ziehen2059. Hier wohnten bereits seit dem 6. August 1940 auch sein Vater  Meyer Landau, sein Bruder  Ernst mit dessen Frau  Lila2060 und ihrem Sohn  Leo Landau2061.

Otto Landau wurde am 10. Dezember 1941 auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) zusammen mit insgesamt 24 anderen Bocholter Juden, u. a. seinem Bruder  Ernst Landau und Familie, nach Münster in das Sammellager Gertrudenhof an der Kreuzung Kaiser-Wilhelm-Ring/Warendorfer Straße gebracht. In die Einwohnermeldekarteikarte von Otto Landau wurde danach zunächst ein- getragen: „10.12.41 n. Riga/Lettland“ verzogen2062. Aufgrund des Schreibens der Staats- polizeileitstelle Münster vom 18. Juli 1942 an die Meldeämter wurde dieser Vermerk geschwärzt und durch den Eintrag „unbekannt verzogen (ausgewandert)“ ersetzt2063.

Otto Landau wurde zusammen mit den übrigen 24 Bocholterinnen und Bocholtern jüdischen Glaubens am 13. Dezember 1941 aus Münster in das Ghetto Riga deportiert, wo der Zug am 15. Dezember 1941 ankam2064. Von Otto Landau gab es nach seiner Ankunft in Riga keine Nachricht mehr2065. Es steht aber fest, dass er im Ghetto Riga bzw. dem Konzentrationslager Kaiserwald ermordet wurde.

Sein Vater  Meyer Landau wurde im Vernichtungslager Treblinka ermordet2066. Seine Brüder  Ernst, der mit ihm deportiert worden war, und  Siegfried Landau wurden im Ghetto Riga ermordet.

Vor dem ehemaligen Standort Mit diesem Stolperstein der Baracke Hochfeldstraße auf der Hochfeldstraße 147 liegt auf dem Fußweg vor in Bocholt wird an den dem Haus Hochfeldstraße 111 hier einst wohnenden ein Stolperstein, der an Otto Otto Landau erinnert. (Fotosammlung Landau erinnert2067. Hermann Oechtering) Der Name von Otto Landau ist auf der Gedenktafel für die unmittelbar aus Bocholt 1941/42 deportierten Men- schen jüdischen Glaubens in der Gedenkstätte für die ehe- malige Bocholter Synagoge verzeichnet2068.

2058 Ebd., SBOH 2 Nr. 1007. Wahl des Vorstandes und der Repräsentanten der Synagogengemeinde 1916–1935. Ver- zeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt am 21. Oktober 1925. 2059 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2060 Vgl. Biogramm, S. 249. 2061 Vgl. Biogramm, S. 247. 2062 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2063 Nacke, S. 170. 2064 Vgl. S. 110. 2065 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 907940. 2066 Ebd. Nr. 907921. 2067 Vgl. S. 459 ff. 2068 Vgl. S. 133.

BUCH DER ERINNERUNG | 253 Siegfried Landau geboren am 10. Juni 1900 in Ramsdorf (heute: Velen-Ramsdorf) ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzen trations- lager Kaiserwald

Siegfried Landau wurde am 10. Juni 1900 in Ramsdorf als Sohn der Ehefrau Friederika (geb. Wolff, * 25. Mai 1866, Mülheim/Ruhr – 11. Dezember 1926, Bocholt2069) und des Händlers  Meyer Landau (* 12. Mai 1865, Ramsdorf – ermordet nach dem 23. Sep- tember 1942, Vernichtungslager Treblinka2070) geboren2071. Die Familie bestand neben den Eltern aus den Kindern: – Walter (* 19. Februar – 11. März 1899, Ramsdorf2072) – Ehrlich (* 20. Februar – 27. März 1899, Ramsdorf2073) – Siegfried  Otto (* 5. Dezember 1901, Ramsdorf – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald2074) – Helene (Elena) (* 15. Juni 1904, Ramsdorf, überlebte als konvertierte Frau eines protes tantischen Beamten, starb 19912075)  Ernst (* 10. März 1909, Ramsdorf – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald2076). Familie Meyer Landau, und mit ihr auch Siegfried, zog am 2. Juni 1910 in Bocholt zu. 1927 wohnte Siegfried Landau in der Schützenstraße 152077, von hier aus zog er am 23. November 1927 nach Rheine, Hohe Straße 192078. 1930 zog er in Dinslaken zu und hei- ratete Helene (geb. Gradus, * 26. Mai 1908 – ermordet nach dem 12. Dezember 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald2079). Am 18. Juni 1931 wurde Tochter Wilma (ermordet nach dem 12. Dezember 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald2080) geboren. In Dinslaken wohnte Siegfried Landau mit seiner Familie in der Augustastraße 842081. Siegfried Landau war leidenschaftlicher Motorradfahrer. 1940 musste Siegfried Landau für einige Monate im Aufbaulager Altenburg in Laer (heute: Kreis Steinfurt) Zwangsarbeit leisten2082. Am 10. Dezember 1941 wurde Sieg- fried Landau zusammen mit seiner Frau Helene und Tochter Wilma sowie mehreren Juden aus Dinslaken nach Düsseldorf geschafft2083. Einen Tag später wurde die Familie zusammen mit 1007 Menschen jüdischen Glaubens vom Güterbahnhof Düsseldorf- Derendorf aus mit dem Sonderzug „Da 37“ in das Ghetto Riga deportiert2084. Im oder beim Ghetto Riga wurden Siegfried, Helene und Wilma Landau ermordet2085.

2069 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2070 Vgl. Biogramm S. 250. 2071 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2072 Fasse, S. 108. 2073 Ebd. 2074 Vgl. Biogramm S. 252. 2075 Fasse, S. 108. 2076 Vgl. Biogramm S. 245. 2077 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2078 Ebd. 2079 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis, Nr. 1565838. 2080 Ebd., Nr. Nr. 100675. 2081 http://www.jung-in-dinslaken.de/aradinfo/vorgeschichte/spuren/namen/hauptteil_namen.html. 2082 Aschoff, Diethard, Möllenhoff, Gisela, Ohl, Irmgard: Fünf Generationen Juden in Laer, Band 9, Von Geschichte und Leben der Juden in Westfalen, Münster 2007, S. 183. 2083 StdA Dinslaken, 18. November 2008. 2084 Buch der Erinnerung, Band 2, S. 706. 2085 Ebd.

254 | BUCH DER ERINNERUNG Paula Levisohn geborene Löwenstein geboren am 9. Juli 1880 in Bocholt ermordet nach dem 22. April 1942 im Konzentrationslager Izbica2086

Paula Löwenstein wurde am 9. Juli 1880 als Tochter des Kaufmanns Samuel Benjamin Löwenstein (* 24. Januar 1851, Rhede – 11. Dezember 1917, Bocholt2087) und seiner Frau Julie (geb. Kaufmann, * 19. September 1855, Geldern – 10. Januar 1908, Bocholt2088) im Haus Nr. 39 (heute: Ostermarkt) geboren2089.

Sie hatte sechs in Bocholt geborene Geschwister:  Bertold (* 2. März 1882 – ermordet Anfang Februar 1942, Ghetto Riga2090) – Wilhelmine Rohr (geb. Löwenstein, * 6. Januar 1884 – 5. März 1958, New York/ USA2091)  Anna Andorn (geb. Löwenstein, * 14. Juli 1885 – ermordet nach dem 12. Oktober 1944, Konzentrationslager Auschwitz2092 ) – Martha (* 28. Februar – 28. August 1887, Bocholt2093) – Max (* 14. Juni 1890, Bocholt – 1979, USA2094) – Paul (* 24. August 1896, Bocholt – 19. Oktober 1918, Lazarett Bayreuth2095)

1886 zog die Familie in das spätere Haus Osterstraße 50. Hier, im Steinerschen Haus, errichtete Samuel B. Löwenstein sein Geschäft. Im hinteren Teil des Hauses mit dem Eingang von der Südmauer war ihre Wohnung2096.

Paula Löwenstein zog am 19. Februar 1921 nach Essen2097, wo sie den Lehrer und Kan- tor Max Levisohn aus Bochum (* 30. Dezember 1879, Bochum – ermordet nach dem 22. April 1942, Ghetto Izbica2098) heiratete.

Ihr Mann Max war zunächst Lehrer in Korbach, später in Lippstadt. Seit 1910 war er Lehrer in Essen an der jüdischen Volksschule in der Gerlingstraße, später in der Drei- Linden-Straße2099.

„Neben seiner Tätigkeit als Lehrer an dieser Schule wurde Max Levisohn auch Kan- tor (Vorbeter) an der neuen […] Synagoge am Steeler Tor, wo er auch den gemischten Chor und den Kinderchor leitete. Nicht selten hat er auch den Organisten vertreten, was er jedes Mal mit großer Freude und musikalischem und technischem Können tat. Neben seinem Beruf betätigte er sich aktiv in verschiedenen Organisationen, wie z.B.

2086 Nach Page of Testimony vom 9. Juli 1999 ihres Stiefsohnes David Bar Levy (Jerusalem) (Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names) wurde Paula Levisohn 1945 in eresienstadt umgebracht. 2087 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2088 Ebd. 2089 Ebd. 2090 Vgl. Biogramm S. 277. 2091 Schröter, S. 694. 2092 Vgl. Biogramm S. 141. 2093 Personenstandsregister, S. 94. 2094 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~mhines/GedHtml/gp90.htm#head1. 2095 http://www.denkmalprojekt.org/Verlustlisten/vl_rjf_wk1_orte_b.htm. 2096 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 15. Oktober 1931, 50 Jahre S.B. Löwenstein. 2097 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2098 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 914592. 2099 Schröter, S. 110, Anmerkung 43.

BUCH DER ERINNERUNG | 255 im Verband der jüdischen Jugendvereine, deren Landesvorstand er angehörte, und natürlich im jüdischen Lehrerverband – Rheinland/Westfalen[-]. Außerdem gehörte er dem Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens an.[…]“2100

Bei Max und Paula Levisohn lebten seine Kinder, die er mit seiner ersten, Anfang 1919 verstorbenen Ehefrau Paula, geb. Israel, hatte: – Heinz (* 22. Juni 1912, er lebte 1980 als David Bar-Levi in Jerusalem2101) – Ruth (* 13. Januar 1922, Essen – ermordet nach dem 22. April 1942, Konzentrations- lager Izbica2102).

Zunächst wohnte die Familie in der von-Seeckt-Str. 372103, später in der Saarbrücker Straße 39 in Essen. Von dort wurden Paula, Max und Ruth Levisohn deportiert2104. Dies geschah am 22. April 1942, als 355 Juden aus Essen gemeinsam in einem Transport von 942 Menschen jüdischen Glaubens aus dem Bereich der Staatspolizeileitstelle Düsseldorf in das Konzentrationslager Izbica deportiert wurden. Über Paula, Max und Ruth Levisohn gab es nach ihrer Deportation keine Nachricht mehr2105. In Izbica wurde Paula Levisohn ermordet2106. Überlebt hat von der Familie nur Sohn Heinz, der unter dem Namen David Bar-Levi 1980 in Jerusalem lebte2107.

Erwin Levy geboren am 22. Juni 1896 in Carolinensiel (heute: Kreis Friesland) ermordet am 11. Juni 1943 im Vernichtungslager Sobibor

Erwin Levy wurde am 22. Juni 1896 in Carolinensiel geboren. Seine Eltern waren der Metzger und Hotelbesitzer Moritz Levy (* 10. Dezember 1864 – 2. Februar 19422108) und seine Frau Rosalie (geb. Leeuwarden, * 13. Mai 1870 – 1. Oktober 19352109).

Er hatte fünf Geschwister: – Dagobert (* 18. November 1892, Oldenburg – 11. Juni 19422110) Erwin Levy 2111 (Family Orion, Israel) – Richard (* 19. Oktober 1894 – 3. Januar 1974, Holon/Israel ) – Harry (* 20. November 1898 – lebte seit 1938 im britischen Mandatsgebiet Palästina, später Israel2112) – Alfred Julius (* 29. Oktober 1902 – 2113) – Wilhelm (* 15. Dezember 1904, Oldenburg2114 – 19802115)

2100 Bar Levi, S. 20. 2101 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~mhines/GedHtml/gp595.htm#head0 2102 Schröter, S. 632. 2103 Ebd., S. 391. 2104 Ebd., S. 632. 2105 Ebd. 2106 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis, Nr. 914596. 2107 Schröter, S. 622. 2108 Stadt Wittmund, Hauptamt, 16. Juni 2009, aufgrund von Informationen des Heimatforschers Edzard Eichenbaum, Carolinensiel. 2109 Ebd. 2110 Ebd. 2111 http://www.hugenholtz.net/par_leeuwarden.htm. 2112 Ebd. 2113 Stadt Wittmund. Hauptamt, 16. Juni 2009, aufgrund von Informationen des Heimatforschers Edzard Eichenbaum, Carolinensiel. Da Alfred Julius Levy weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument genannt wird, hat er vermutlich die Shoah überlebt. 2114 Stadt Wittmund. Hauptamt, 16. Juni 2009. Nach http://www.hugenholtz.net/par_leeuwarden.htm wurde Wilhelm Levy am 14. Januar 1907 in Delmenhorst geboren, er emigrierte nach Chile. 2115 http://www.hugenholtz.net/par_leeuwarden.htm.

256 | BUCH DER ERINNERUNG Am 28. Mai 1915 war Erwin Levy aus Köln in die Osterstraße 29 in Bocholt zugezo- gen2116. Auf die ostfriesische Nordseeinsel Wangerooge zog er am 4. August 19152117. Hier betrieb sein Vater Moritz Levy das Hotel „Villa Arosa.“2118

Schon am 1. September 1915 zog Erwin Levy nach Bocholt zurück2119. Zum kai- serlichen Heer wurde er am 8. Oktober 1915 eingezogen, er kam bereits am 4. November 1915 zurück nach Bocholt in die Osterstraße 292120. Am 30. November 1915 meldete er sich nach Duisburg ab2121.

Am 23. Februar 1920 heiratete Erwin Levy Selma (geb. Simon, * 10. Februar 1897, Setterich – ermordet am 11. Juni 1943, Vernichtungslager Sobibor2122) in Setterich bei Aachen2123. Danach zog das Ehepaar nach Nordenham-Atens, wo die Kinder geboren wurden: – Manfred (* 8. Dezember 1920 – ermordet am 5. Mai 1945, Vernichtungslager Auschwitz2124) – Günther (* 29. September 1923 – ermordet am 16. Juli 1943, Vernichtungslager Sobibor2125) – Dagobert (* 16. Februar 1930 – ermordet am 11. Juni 1943, Vernichtungslager Sobibor2126).

Am 24. April 1935 zog die Familie nach Eygelshoven/Niederlande (heute ist Eygels- hoven ein Stadtteil von Maastricht)2127. Im Juli 1942 wohnte sie noch in der Laurastraat 89 in Eygelshoven2128. Bei ihnen wohnten Gottschalk Simon (* 2. Juli 1856, Rheinbach – 18. Mai 1943, Maastricht) und dessen Frau Henriette (geb. Breuer, * 12. Juli 1861, Setterich – 18. Mai 1943, Maastricht 2129), die Eltern von Selma Levy. Erwin Levy war Vertreter für Stoffe2130.

Am 9. April 1943 wurden Selma und Erwin Levy, ihre Kinder Manfred, Günther und Dagobert von SS-Männern verhaftet und in das Konzentrationslager Vught gebracht2131. Von dort aus wurden sie am 8. Juni 1943 in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork verschleppt2132. Aus Westerbork wurden am gleichen Tag Erwin und Selma Levy mit ihren Kindern Manfred, Günther und Dagobert zusammen mit 3017 Menschen jüdischen Glaubens in das Vernichtungslager Sobibor deportiert2133. Am 11. Juni 1943 war das Vernichtungslager erreicht. An diesem Tag wurden Erwin Levy, seine Frau Selma und sein Sohn Dagobert ermordet2134.

2116 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2117 Ebd. 2118 http://www.hugenholtz.net/par_leeuwarden.htm. 2119 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2120 Ebd. 2121 Ebd. 2122 JHM A, Joodsmonument, p. 461255. 2123 http://www.hugenholtz.net/Homepage_Gerard_Hugenholtz/Genealogie/Paginas/Levy-Simon_%28English%29. html#2. e Erwin Levy-Selma Simon family. 2124 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 912872. 2125 Ebd., Nr. 912215. 2126 Ebd., Nr. 912000. 2127 http://www.hugenholtz.net/par_leeuwarden.htm. 2128 JHM A, Joodsmonument, p. 461254. 2129 http://www.hugenholtz.net/par_leeuwarden.htm. 2130 JHM A, Joodsmonument, p. 461254. 2131 http://www.hugenholtz.net/Homepage_Gerard_Hugenholtz/Genealogie/Paginas/Levy-Simon_%28English%29. html#2. e Erwin Levy-Selma Simon family. 2132 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 912215. 2133 Ebd., Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlanden. 2134 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 322582.

BUCH DER ERINNERUNG | 257 Über die Ermordung schreiben niederländische Quellen: „Bei ihrer Ankunft in Au schwitz wurden sie nach Männern und Frauen getrennt. Einige Männer wurden zu einem Sonderkommando abkommandiert. Ihr Gepäck wurde ihnen abgenommen. Die Ankommenden mussten sich entkleiden, den Frauen wurden die Haare geschoren. Danach wurden sie durch die SS in die Gaskammern getrieben. Wenn sie geschlossen waren, wurden Abgase aus Dieselmotoren hineingeleitet.“2135

Günther Levy wurde am 16. Juli 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet. Manfred Levy starb erst am 5. Mai 1945 im früheren Vernichtungslager Auschwitz2136.

Henriette (Henny) Levy geborene Silberschmidt2137 geboren am 16. Oktober 1881 in Bocholt ermordet nach dem 24. Juli 1942 im Vernichtungslager Maly Trostinec2138

Henriette (Henny) Silberschmidt wurde am 16. Oktober 1881 in Bocholt als Tochter des Metzgermeisters Levy Silberschmidt (* 17. Februar 1842, Hengelo/Niederlande – 22. Februar 1908, Bocholt2139) und seiner Frau Lina (Engeline) (geb. Cohen, * 18. März 1850, Dedersum/Niederlande – 7. Juni 1911, Bocholt2140) im Haus Stadt Nr. 10 (heute: Osterstraße 5) geboren2141.

Ihr Vater Levy war Metzger und führte in der Osterstraße 5 eine Fleischerei2142.

Henny Silberschmidt hatte sechs Geschwister: – Jacob (* 15. November 1873, Bocholt2143 – 20. September 1927, Bocholt2144) – Isidor (* 28. Juli 1875, Bocholt – 29. November 1938, Bocholt2145)  Rosa Bier (geb. Silberschmidt, * 2. August 1877, Bocholt – ermordet nach dem 21. September 1942, Vernichtungslager Treblinka2146) – Hermann (* 28. Juni 1879, Bocholt2147 – 2148) – Dr. Ludwig (oder Louis, * 8. Dezember 1883, Bocholt – 4. Juni 1948, Brüssel/ Belgien2149) – August (* 6. Juli 18872150, Bocholt – nach März 1951, Brüssel/Belgien2151).

2135 http://www.hugenholtz.net/par_leeuwarden.htm. 2136 JHM A, Joodsmonument, p. 461254. 2137 In BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 913395, wird als Geburtsname Silberschurz genannt. 2138 http://www.openstreetmap.org/browse/node/822766381. 2139 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2140 Ebd. 2141 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2142 Ebd. 2143 Personenstandsregister, S. 437. 2144 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2145 Ebd. 2146 Vgl. Biogramm, S. 155. 2147 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2148 Die Todesdaten waren nicht zu ermitteln. 2149 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~alcalz/aufbau/1948/1948pdf/j14a25s08170045.pdf, Aufbau, June 18, 1948. 2150 Personenstandsregister, S. 437. 2151 Amtsgericht Bocholt, Abteilung 5, Toderklärungsakte Martha Silberschmidt, II-34/1 Blatt 1, Treuhänder Erich Bendix, Rupichteroth, an Amtsgericht Bocholt, 29. März 1951; http://akevoth.org/genealogy/zilversmit/127.htm.

258 | BUCH DER ERINNERUNG Am 9. November 1896 zog Henriette Silberschmidt nach Moers2152. Später zog sie nach Bonn, wo sie Samuel Levy (* 1877 – verstorben am 4. März 1942, Sammellager Bonn- Endenich2153) heiratete.

Das Ehepaar Henny und Samuel Levy wohnte in der Oberen Wilhelmstraße 12154 in der damals noch selbstständigen Stadt Beuel, heute einem rechtsrheinischen Stadtteil Bonns. Wahrscheinlich im Sommer 1941 musste das Ehepaar in das Sammellager im aufgelösten Kloster zur Ewigen Anbetung in Bonn-Endenich ziehen.

Bis Juni 1942 lebten in dem Sammellager insgesamt 474 Menschen. Als im Juni 1942 die Deportationen begannen, bestimmten Angst und Unsicherheit zunehmend den Alltag. Von den im Kloster Internierten überlebten nur sieben die Shoah. Samuel Levy starb am 4. März 1942 im Sammellager Bonn-Endenich2155.

Henny Levy wurde am 20. Juli 1942 mit dem Deportationszug „Da 219“ aus Köln in das Ghetto Minsk in Weißrussland deportiert, das der Zug am 24. Juli 1942 erreichte. Die Deportierten wurden in den nahe gelegenen Ort Maly Trostinec gebracht und entweder unterwegs in Lastwagen vergast oder nach der Ankunft erschossen. Überlebende aus diesem Transport sind nicht bekannt. Hier wurde auch Henny Levy ermordet2156.

Für Henny Levy liegt ein Stolperstein in der Oberen Wilhelmstraße 1 in Bonn-Beuel2157.

Ida Levy geborene Hochheimer geboren am 21. Juni 1874 in Bocholt ermordet nach dem 19. September 1942 im Vernichtungslager Treblinka

Ida Hochheimer wurde am 21. Juni 1874 im Haus Stadt Nr. 62 (heute: Osterstraße) in Bocholt geboren2158. Ihr Vater war der Kaufmann David Hochheimer (* 6. Juni 1835, Bocholt – 27. November 1906, Bocholt). Ihre Mutter war Bertha Hochheimer (geb. Löwenthal, * um 1838 – 1. Dezember 1876, Bocholt 2159).

Am 9. Dezember 1895 zog Ida Hochheimer nach Moers, später nach Mühlheim an der Ruhr. Hier heiratete sie den Kaufmann Max Levy (* 17. Dezember 1874, Kreis Erkelenz2160).

2152 Personenstandsregister, S. 22. 2153 http://www.openstreetmap.org/browse/node/822766381. 2154 Ebd. 2155 Ebd. 2156 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 913395. 2157 http://www.bonner-geschichtswerkstatt. de/index.php?option=com_content&view=article&id=67:der-mord-an- den-godesberger-juden-1933-1945&catid=39:godesberg&Itemid=. 2158 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2159 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 24. 2160 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~bruggencate/family/family-e-o/153julichmem.htm. Zu Max Levy waren keine näheren Informationen zu erhalten.

BUCH DER ERINNERUNG | 259 Dort wurden auch die beiden Kinder – Hermann (* 8. Mai 1900, Mühlheim – 26. Oktober 19422161) – Elisabeth (* 13. November 1903, Mühlheim – überlebte die Shoah2162) geboren2163.

Am 4. August 1908 zog die Familie nach Gelsenkirchen2164. Am 26. Oktober 1939 meldete sie sich von dort nach Berlin ab2165. Hier wohnte sie in Berlin-Wilmersdorf, Zähringerstraße 13 2166.

Am 17. August 1942 wurde Ida Levy aus Berlin mit dem „1. großen Altentransport“ unter der Bezeichnung „I/46“, zusammen mit 997 Menschen jüdischen Glaubens2167, in das Ghetto eresienstadt deportiert. Nur 13 dieser Deportierten überlebten das Ghetto2168. Von dort deportierte man Ida Levy am 19. September 1942 mit dem Transport „Bo“, zusammen mit 2020 Menschen jüdischen Glaubens, in das Vernichtungslager Treblinka2169. Hier wurde Ida Levy zu einem nicht bekannten Zeitpunkt ermordet2170.

Bertha Lopes Dias geborene Hes geboren am 31. August 1910 in Bocholt ermordet am 2. Juli 1943 im Vernichtungslager Sobibor

Bertha Hes war die Tochter von  Jetta (geb. Hony, * 24. Dezember 1875, Laasphe – ermordet am 4. Juni 1943, Vernichtungslager Sobibor2171) und  Joseph Hes (* 3. März 1879, Amsterdam/ Niederlande – ermordet am 4. Juni 1943, Vernichtungslager Sobi- bor2172). Sie wurde am 31. August 1910 in Bocholt, Nordwall 26, geboren2173.

Bertha Hes hatte zwei Geschwister:  Sally Hes (* 31. Oktober 1908, Bocholt – ermordet am 31. Dezember 1942, Vernich- tungslager Auschwitz2174)

2161 Institut für Stadtgeschichte (ISG) - Forschung -, Gelsenkirchen, 6. Juli 2009. Hermann Levy ist weder in BA, Ge- denkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 2162 Elisabeth Levy ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 2163 Institut für Stadtgeschichte (ISG) - Forschung -, Gelsenkirchen, 6. Juli 2009. 2164 Ebd. 2165 Ebd. 2166 Gedenkbuch Berlin, S. 743. 2167 eresienstädter Gedenkbuch, S. 77. 2168 Ebd., S. 1421. 2169 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 1103268. 2170 Ebd. 2171 Vgl. Biogramm, S. 222. 2172 Vgl. Biogramm, S. 224. 2173 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2174 Vgl. Biogramm, S. 226 .

260 | BUCH DER ERINNERUNG – Clara Kin (geb. Hes, * 26. Dezember 1919, Bocholt), die in den besetzten Nieder- landen untertauchen und so überleben konnte2175. Seit dem 7. Februar 1948 lebte sie, aus den Niederlanden zugezogen2176, in Chur/Schweiz, Tivoli 72177, ab 30. Juni 1994 in Zürich/Schweiz2178.

Mit ihrer Familie zog Bertha Hes zu einem nicht zu ermittelnden Zeitpunkt in die Nie- derlande, wo sie nach Januar 1922 in Borne (Provinz Groningen) wohnte2179. Bertha Hes verzog 1928 aus Borne nach Apeldoorn2180, wo sie heiratete.

1942 wohnte Bertha Lopes Dias in der Noorder Amstellaan 266 III in Amsterdam. Sie arbeitete als Krankenschwester2181. In Amsterdam wurde sie mit ihrem Mann bei einer Razzia festgenommen2182 und in das polizeiliche Durchgangslager Westerbork gebracht. Beide wurden am 29. Juni 1943 in einem Transport von 2.397 Menschen2183 jüdi schen Glaubens aus Westerbork in das Vernichtungslager Sobibor deportiert. Am 2. Juli 19432184, dem Ankunftstag im Vernichtungslager, wurden Bertha Lopes Dias und ihr Mann in Sobibor ermordet2185.

Rosette Lopes Dias geborene Krant geboren am 17. Dezember 1898 in Amsterdam/Niederlande ermordet am 5. November 1942 im Vernichtungslager Auschwitz

Rosette Krant wurde am 17. Dezember 1898 in Amsterdam/Niederlande geboren2186. Am 2. Mai 1921 zog sie nach Bocholt, dem Wohnort ihres zukünftigen Mannes, des Betriebsleiters Mozes Lopes Dias (* 5. September 1899, Amsterdam/Niederlande – 18. Juni 1937, Amsterdam/Niederlande2187). Sie heirateten am 5. September 19212188.

2175 http://www.stolpersteine-borne.nl/de_godsdienstleraren.htm. 2176 Stadt Chur/Schweiz – Einwohnerdienste –, 24. September 2012. 2177 StdA B, Bocholt 3, Akte nach dem BEG 3 – 939, Kin Clara. Registerkarte. 2178 Stadt Chur/Schweiz – Einwohnerdienste –, 24. September 2012. 2179 Gemeente Borne (NL), 15. Juni 2009. 2180 http://www.stolpersteine-borne.nl/de_godsdienstleraren.htm. 2181 JHM A, Joodsmonument, p. 504749; hier wird sie als alleinstehend bezeichnet, obwohl sie nach der Auskunft der Gemeente Borne vom 15. Juni 2010, die nicht den Namen ihres Mannes nennt, verheiratet war. 2182 http://www.stolpersteine-borne.nl/de_godsdienstleraren.htm. 2183 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Nieder- landen. 2184 Ebd. 2185 JHM A, Joodsmonument, p. 504749. 2186 Ebd., p. 541775. 2187 http://www.maxvandam.info/humo-gen/family.php?database=humo9_&id=F16949&show_sources=1&main_ person=I45132. 2188 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

BUCH DER ERINNERUNG | 261 Im Haus Hohenzollernstraße 53 gebar Rosette Lopes Dias drei Kinder: – Sophia (* 16. Oktober 1921, Bocholt, sie überlebte die Shoah2189), – Johanna (* 9. Oktober 1923, Bocholt, sie überlebte die Shoah2190),  Rudolf (* 24. Dezember 1925, Bocholt – ermordet am 31. März 1943, Vernichtungs- lager Auschwitz2191).

Im Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bo- cholt vom 21. Oktober 19252192 ist ihr Mann Mozes wie folgt verzeichnet: Nr. Name Vorname Alter Wohnung Beruf 18 Lopes Dias Mozes 26 Hohenzollernstraße 53 Betriebsleiter

In welcher Firma er Betriebsleiter war, kann nicht gesagt werden.

Mozes Lopes Dias verzog am 5. April 1928 nach Manchester/England2193. Später kehrte er zu seiner in Amsterdam/Niederlande wohnenden Familie zurück, wo er am 18. Juni 1937 starb2194.

Am 8. April 1928 waren seine Frau Rosette und die Kinder dorthin verzogen2195. 1941 wohnte Rosette Lopes Dias mit ihrer Familie in der Nieuwe Herengracht 89 II in Amsterdam2196.

1941 oder 1942 kam sie in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork. Hieraus wurde Rosette Lopes Dias 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und am 5. November 1942 ermordet2197. Ihr Sohn  Rudolf Lopes Dias wurde am 31. März 1943 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet.

2189 http://www.Joodsmonument.nl/page/541775/nl. 2190 Ebd. 2191 Vgl. Biogramm S. 263. 2192 StdA B, SBOH 2 Nr. 1007. Wahl des Vorstandes und der Repräsentanten der Synagogengemeinde 1916–1935, Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt vom 21. Oktober 1925. 2193 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2194 http://www.maxvandam.info/humo-gen/family.php?database=humo9_&id=F16949&show_sources=1&main_ person=I45132. 2195 Ebd. 2196 JHM A, Joodsmonument, p. 541775. 2197 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlan- den.

262 | BUCH DER ERINNERUNG Rudolf Lopes Dias geboren am 24. Dezember 1925 in Bocholt ermordet am 31. März 1943 im Vernichtungslager Auschwitz

Rudolf Lopes Dias wurde am 24. Dezember 1925 als Sohn des Betriebsleiters Mozes Lopes Dias (* 5. September 1899, Amsterdam2198 – 18. Juni 1937, Amsterdam/Nieder- lande2199) und seiner Frau  Rosette (geb. Krant, * 17. Dezember 1898, Amsterdam – ermordet am 5. November 1942, Vernichtungslager Auschwitz2200) im Haus Hohen- zollernstraße 53 geboren2201. Sein Vater Mozes Lopes Dias war am 4. April 1921 aus Amsterdam kommend nach Bocholt zugezogen2202.

Seine Mutter  Rosette Krant war am 2. Mai 1921 nach Bocholt gekommen2203 und hatte am 5. September 1921 Mozes Lopes Dias geheiratet2204.

Rudolf Lopes Dias hatte zwei ältere Schwestern: – Sophia (* 16. Oktober 1921, Bocholt2205- hat die Shoah überlebt2206) – Johanna (* 9. Oktober 1923, Bocholt2207 – hat die Shoah überlebt2208).

Im Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt vom 21. Oktober 1925 ist sein Vater wie folgt verzeichnet2209: Nr. Name Vorname Alter Wohnung Beruf 18 Lopes Dias Mozes 26 Hohenzollernstr. 53 Betriebsleiter

Am 8. April 1928 zogen  Rosette Lopes Dias und ihre Kinder nach Amsterdam2210. Vater Mozes Lopes Dias war am 5. April 1928 nach Manchester/England gezogen2211.

Im Februar 1941 wohnten die Mutter sowie Johanna und Sophia Lopes Dias2212 in der Nieuwe Herengracht 89 II in Amsterdam. Hier wohnten auch die Eltern von Rosette Lopes Dias 2213. 1941 oder 1942 kam Rudolf Lopes Dias in das polizeiliche Judendurch- gangslager Westerbork. Hieraus wurde er 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz de- portiert und am 31. März 1943 ermordet2214.

Seine Mutter  Rosette Lopes Dias war dort bereits am 5. November 1942 ermordet worden2215. Seine Schwestern Johanna und Sophia Lopes Dias konnten die Shoah über- leben2216.

2198 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2199 http://www.maxvandam.info/humo-gen/gezin/humo9_/F16949/I45132/. 2200 Vgl. Biogramm, S. 261 . 2201 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2202 Ebd. 2203 Ebd. 2204 http://www.maxvandam.info/humo-gen/gezin/humo9_/F16949/I45132/. 2205 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2206 http://www.joodsmonument.nl/page/385497/nl. 2207 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2208 http://www.joodsmonument.nl/page/385497/nl. 2209 StdA B, SBOH 2 Nr. 1007. Wahl des Vorstandes und der Repräsentanten der Synagogengemeinde 1916–1935. Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt vom 21. Oktober 1925. 2210 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2211 Ebd. 2212 JHM A, Joodsmonument, p. 389457. 2213 Ebd., p. 507741. 2214 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 918335. 2215 JHM A, Joodsmonument, p. 541775. 2216 Ebd., p. 385497/nl.

BUCH DER ERINNERUNG | 263 Unterschrift von Sofia Lopes Dias Sofia Spier auf einer Vollmacht vom 15./30. geborene Spier August 1938. (Amtsgericht Bocholt, geboren am 26. Juli 1901 in Aalten/Niederlande Grundbuchamt, Grundakten Blatt ermordet am 21. Mai 1943 im Vernichtungslager Sobibor 3872, Blatt 6)

Sofia (oder Sophia Sibilla2217) Spier wurde am 26. Juli 1901 in Aalten/Niederlande als Tochter des Viehhändlers Jacob Spier (* 16. Juli 1872, Gendringen/Niederlande – 13. Februar 1931, Bocholt2218) und seiner Frau Jetta (geb. Levy, * 5. Mai 1868, Doetinchem/ Niederlande – vor 1938, Amsterdam/Niederlande2219) geboren2220.

Sofia Spier hatte fünf Geschwister:  David (* 30. April 1894, Aalten/Niederlande – ermordet am 31. März 1944, Ver- nichtungslager Auschwitz2221)  Helene (* 18. Oktober 1898, Aalten/Niederlande – ermordet am 4. Juni 1943, Vernichtungs lager Sobibor2222)  Rebekka Hiegentlich (geb. Spier, * 6. Oktober 1903, Aalten/Niederlande – ermordet am 4. Juni 1943, Vernichtungslager Sobibor2223)  Henri (* 7. Juni 1905, Aalten/Niederlande – ermordet am 30. November 1943, Ghetto Dohorusk2224)  Salomon (* 21. Juni 1906, Aalten/Niederlande – ermordet am 17. Februar 1945, Konzentrations lager Mauthausen2225).

Die Familie zog am 7. Januar 1916 nach Bocholt2226. Sie wohnte in der Dinxperloer Straße 29, ab 23. Juni 1919 in der Kreuzstraße Nr. 383. Im Jahr 1920 zog Sofia Spier nach Detmold, kehrte aber noch einmal nach Bocholt, Dinxperloer Straße 29, zurück2227. Von dort zog sie am 6. September 1924 nach Utrecht/Niederlande2228.

Hier heiratete sie David Lopes Dias (* 29. Januar 1898, Amsterdam – ermordet am 29. Februar 1945, Vernichtungslager Auschwitz). Mit diesem hatte sie zwei Kinder: – Henriette (* 30. Juli 1927, Utrecht/Niederlande – ermordet am 4. Juni 1943, Vernich- tungslager Sobibor) – Jacob Emanuel (* 29. Dezember 1928, Amsterdam/Niederlande – ermordet am 4. Juni 1943, Vernichtungslager Sobibor2229).

2217 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; nach JHM A, Joodsmonument, p. 570600 führte Sofia Lopes Dias den Zweitnamen Sibilla. 2218 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2219 Ebd.; Jetta Spier meldete sich am 2. September 1937 nach Amsterdam/Niederlande ab, wo sie vor August 1938 gestorben sein muss, da sie im Kaufvertrag des Hauses Dinxperloer Straße 29 vom 30. August 1938 (Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke [...], Band 150, Blatt 3872, Seite 1) nicht genannt wird. In einem Schreiben des Rechtsanwalts Glaeser, Amsterdam, an Amtsgericht Bocholt Grundbuchabteilung (a. a. O., S. 24) vom 26. Juni 1952 schreibt dieser: Jacob Spier soll bereits in 1933 verstorben sein, während die Ehefrau mit ihrem Sohn David 1938 emigrierte. Letztere beiden sind von Holland aus deportiert und nicht mehr zurückgekehrt. Hierauf gibt es anderwärts keine Hinweise. 2220 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2221 Vgl. Biogramm, S. 395. 2222 Vgl. Biogramm; S. 397. 2223 Vgl. Biogramm, S. 230. 2224 Vgl. Biogramm, S. 399. 2225 Vgl. Biogramm, S. 401. 2226 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2227 Ebd. 2228 Ebd. 2229 JHM A, Joodsmonument, p. 507600.

264 | BUCH DER ERINNERUNG Am 30. August 1938 verkaufte ihr Bruder  David Spier das Haus Dinxperloer Straße 29. Sofia, die nach ihrer Scheidung wieder den Namen Spier angenommen hatte, wohnte zu diesem Zeitpunkt in Amsterdam2230.

Im Mai 1943 wurden Sofia Lopes Dias und ihre Kinder in Amsterdam verhaftet und in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork verschleppt2231. Am 21. Mai 1943 wurde Sofia Lopes Dias im Vernichtungslager Sobibor umgebracht2232.

Aus Westerbork wurden die Kinder am 1. Juni 1943 mit 3006 Menschen jüdischen Glaubens in das Vernichtungslager Sobibor deportiert. Am 4. Juni 1943, ihrem An- kunftstag in Sobibor, wurden die Kinder Henriette und Jacob Emanuel ermordet2233.

David Lopes Dias, der Mann von Sofia Lopes Dias, wurde am 29. Februar 1944 im Ver- nichtungslager Auschwitz2234 umgebracht.

Philipp Lorch geboren am 29. November 1879 in Bocholt ermordet nach dem 31. Januar 1942 im Ghetto Riga

Philipp Lorch wurde am 29. November 1879 in Bocholt geboren2235. Er zog mit seiner Familie vor 1886 nach Dortmund2236.

„Die Familie Lorch bestand aus: Philipp Lorch, Schneider/Kaufmann, * 29.11.1879 in Bocholt, [und seiner Ehefrau] Berta (auch Bertha) Lorch, geborene Friedlein, * 21.3.1885 in Heidingsfeld/Würzburg, [sowie der Tochter] ea Ruth Lorch, * 25.11.1911 in Dortmund.

Außer der Tochter Ruth sind keine weiteren Kinder in den Unterlagen feststellbar. Nach den vorliegenden Dokumenten handelte es sich um ein Einzelkind. Wann die Ehe- schließung der Eheleute Lorch stattgefunden hat, konnte hier nicht ermittelt werden. Es ist aber anzunehmen, dass diese Ehe 1911 geschlossen wurde. Eheschließungen jüdischer Paare fanden traditionsgemäß am Heimatort der Braut statt.

Philipp Lorch wird im Adressbuch 1911 noch mit einer Anschrift geführt, unter der auch noch weitere Bewohner namens Lorch verzeichnet sind. Erst 1912 erscheint er

2230 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des königlichen Amtsgerichts Bocholt Eigentümer: [... ] Pferde händler Jakob Spier zu Bocholt, Band 104, Blatt Nr. 3672, S. 6, Vollmacht der Geschwister Spier vom 15. August/30. August 1938. Hier unterschrieb sie Sofie Spier. 2231 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlan- den. 2232 JHM A, Joodsmonument, p. 507600. 2233 Ebd. 2234 Ebd., p. 176 121. 2235 StdA B, Übernahme aus dem Standesamt, Geburtsurkunde Nr. 311 vom 6. Dezember 1879. 2236 In StdA B, Personenstandsregister, das 1886 beginnt, ist Philipp Lorch nicht mehr genannt.

BUCH DER ERINNERUNG | 265 als Einzelperson mit der Anschrift Brückstr. 41/43. Diese Anschrift – Brückstr. 41 – ist auch als Wohnsitz des Ehepaares Lorch auf der Geburtsurkunde der Tochter verzeichnet. Als weitere Wohnsitze der Familie bzw. des Ehepaares konnten folgende Anschriften festgestellt werden: Weißenburger Str. 22 – 28.09.1932 Saarbrücker Str. 22 28.09.1932 – 16.01.1939 Westenhellweg 33 16.01.1939 – 15.12.1941 Schwanenwall 46 15.12.1941 – 27.01.1942 Die Eltern wurden ein Opfer der zunehmenden Ausgrenzung und der Shoah. Bei den beiden letzten Dortmunder Anschriften handelt es sich um sogenannte „Judenhäuser“. [...]“ (Feststellungen des Stadtarchivs Dortmund)2237

Am 25. Januar 1939 zeigte Philipp Lorch dem Standesamt Bocholt an, dass er nach der zweiten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Fami- liennamen und Vornamen vom 17. August 1938 den zusätzlichen Vornamen „Israel“ angenommen habe. Der Eintrag wurde am 7. Juli 1948 wieder gelöscht2238.

Das Ehepaar Bertha und Philipp Lorch wurde am 27. Januar 1942 zusammen mit 936 Leidensgenossen – unter ihnen Jeanette,  Hermann2239, Edith und  Juliane Wolff2240, die ehemals in Bocholt gewohnt hatten – von Dortmund in das Ghetto Riga deportiert2241.

„Wir bekamen eine Aufforderung: ,Zwecks Aussiedlung und Kultivierung des deutschen Ostens haben Sie sich am 23. Januar 1942 in der Börse in Dortmund einzufinden’. Im großen Saal der Börse, wo 1400 Deportierte auf engem Raum eingepfercht waren, lagen wir nun vier Tage auf der Erde. Diese Tage werde ich nicht vergessen: Wir durften uns nicht unterhalten. Wenn die SS nur meinte, es wäre geflüstert worden, prügelte sie auf uns ein. Plötzlich riefen die SS-Männer drei Personen auf. Wir kannten sie, der eine hatte jahrelang eine kranke ‚arische’ Frau gehabt, um die er sich sehr gekümmert hatte. Doch das war ,Rassenschande’, weswegen sie zu einer Zuchthausstrafe verurteilt und nur freigelassen worden waren, weil sie mit uns deportiert werden sollten. Die drei wurden in den Hof der Börse geführt und dort erschossen. Nun machten wir uns keine Illusionen mehr über das Schicksal, das uns erwartete. Einige von uns drehten wegen der großen psychischen Belastung durch, die auf uns lag. Sie begannen zu schreien. Und so war es geradezu wie eine Entlastung, als es dann am Abend des 26. Januar 1942 hieß, daß wir am nächsten Morgen deportiert werden sollten. Doch war uns unklar, wohin. Es hatte nur immer geheißen: ‚Nach dem Osten’. Wir wurden am frühen Morgen des nächsten Tages, eines kalten Wintertages, zum Dortmunder Güterbahnhof gebracht. Es waren alte Güterwaggons, in die wir hinein- getrieben wurden. Wir sollten die fest gefrorenen Toiletten säubern. Doch das ging nicht.“ (Edith Marx, geborene Wolff, geboren in Bocholt, wurde am 27. Januar 1942 zusam- men mit der Familie Lorch aus Bocholt deportiert 2242)

2237 Stadtarchiv Dortmund, 15. September 2008. 2238 StdA B, Übernahme aus dem Standesamt. 2239 Vgl. Biogramm, S. 438. 2240 Vgl. Biogramm, S. 441. 2241 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 2242 Erlebnisbericht von Edith Marx: Wir fühlten uns wie Schlachtvieh , S. 470

266 | BUCH DER ERINNERUNG In Riga kam der Deportationszug am 1. Februar 1942 an2243. Hier oder im Konzentra- tionslager Kaiserwald wurden Bertha und Philipp Lorch zu einem nicht bekannten Zeit punkt vor August 1944 ermordet2244.

Ruth Lorch geboren am 16. April 1923 in Osnabrück ermordet nach dem 29. April 1942 im Konzentrationslager Izbica

Ruth Lorch wurde am 16. April 1923 als Tochter von  Amalia Lorch (später Landau, * 20. Dezember 1902, Bocholt – gestorben nach dem 17. März 1943, wahrscheinlich bei Scheveningen/Niederlande2245) in Osnabrück geboren2246.

Am 12. Mai 1923 zog sie dann mit ihrer Mutter  Amalia Lorch nach Bocholt in deren Elternhaus, Ostmauer 32247. Am 9. Juli 1927 wurde Ruth Lorch nach Köln2248 abgemel- det, in ein Kinderheim mit jüdischer Privatschule an der Lützowstraße 35/372249.

Ihr Vormund wurde Josef Metzger (* 30. September 1877, Gescher/Kreis Coesfeld2250 – lebte 1961 in Buenos Aires/Argentinien2251), der im Niederbruch 20, Bocholt2252 wohnte. Zurück nach Bocholt zog sie nach der Schließung des Kinderheimes am 24. April 1937 in das Haus Schwartzstraße 14 in Bocholt, wo das Ehepaar Angelika (geb. Knapperts- busch, * 6. März 1877, Wieden (heute: Wülfrath) – 26. August 1960, Düsseldorf2253) und Albert Löwenstein (* 9. Dezember 1876, Rietberg – 3. Mai 1960, Düsseldorf) wohnte2254.

Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt, wahrscheinlich im Januar 1939, musste ihr Vor- mund nach der am 17. August 1938 erlassenen zweiten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 5. Januar 1938 einen Antrag beim Standesamt Bocholt auf Hinzufügung des Zweitnamens „Sara“ stellen. Der Zusatzname wurde auf ihrer Einwohnermeldekarteikarte vermerkt2255.

Am 19. April 1940 zog Ruth Lorch aus Bocholt nach Stuttgart, Urbanstraße 66. Un- ter dem maschinenschriftlichen Eintrag wurde handschriftlich, offenbar mit Bleistift, hinzugefügt: „Stgt.[,] Rosenberg Str. 162 zugezogen.“2256

2243 Buch der Erinnerung, Band 2, S. 847. 2244 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nrn. 918431, 918445. 2245 Vgl. Biogramm, S. 242 . 2246 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2247 Ebd. 2248 Ebd. 2249 Ebd.; http://www.gbg-koeln.de/denkmal/jg10/luetzowstr.htm. 2250 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2251 Ebd., 57 K 102 – ohne Titel -, Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962). 2252 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2253 Vgl. S. 118. 2254 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2255 Ebd. 2256 Ebd.; in Stuttgart war Ruth Lorch nicht gemeldet. Dies deutet nach Auskunft des Stadtarchivs Stuttgart vom 29. März 2011 darauf hin, dass sie zur Untermiete wohnte. Auch wird Ruth Lorch nicht in den Unterlagen zu den Deportationen aus Stuttgart genannt.

BUCH DER ERINNERUNG | 267 Zusammen mit 1000 Juden wurde Ruth Lorch am 26. April 1942 vom Nordbahnhof auf dem Killisberg in Stuttgart aus in das Konzentrationslager Izbica südöstlich von Lublin/ Polen deportiert2257. Dort kam der Zug am 29. April 1942 an2258. Ruth Lorch wurde im Konzentrationslager Izbica umgebracht, ein genaues Datum ist nicht bekannt2259.

Ihre Mutter  Amalia Landau wurde nach dem 17. März 1943 in ihrem Versteck aus Angst davor, vom deutschen Besatzungsregime aufgespürt zu werden, durch den nie- derländischen Widerstand getötet.

Gegenüber dem Geburtshaus ihrer Mutter Amalia Landau liegen an der Ostmauer in Bocholt Stolpersteine für Ruth Lorch und ihre Mutter2260.

Adolf Löwenstein geboren am 8. Dezember 1864 in Rhede ermordet am 11. Mai 1942 im Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno)

Adolf Löwenstein wurde am 8. Dezember 1864 in Rhede geboren2261. Seine Eltern waren der Kaufmann Marcus (* 28. Dezember 1818, Rhede – 11. Juni 1907, Bocholt2262) und Amalia Magdalena Löwenstein (geb. Oster, * 26. Mai 1829, Alpen/Kreis Moers – 23. Juni 1899, Bocholt2263).

Adolf war ein Bruder von Aron Löwenstein, dem Mann von  Wilhelmine Löwenstein (geb. Geisel, * 13. Juni 1868, Rheinbach – 14. August 1943, Dordrecht/Niederlande2264). Er blieb ledig2265. Wie im Personenstandsregister vermerkt, zog er 1869 von Rhede nach Bocholt Stadt Nr. 29 (heute: Nordstraße 24) zu2266. Als Beruf wurde „Commis“ angege- ben2267.

Adolf Löwenstein stand im „Verzeichnis der zum hiesigen israel. Männer-Verein gehörenden Mitglieder von 1894.“2268 Am 21. Dezember 1908 zog er in das Haus Langenbergstraße 182269.

2257 http://www.zeichen-der-erinnerung.org/n2.htm. 2258 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 2259 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 1008415. 2260 Vgl. S. 459 ff. 2261 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~mhines/GedHtml/gp200.htm#head2; Mail Andreas Körner an Berthold Kamps (Stadtarchiv Rhede), 13. Juni 2001. 2262 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 26; Mail Andreas Körner an Berthold Kamps (Stadtarchiv Rhede), 13. Juni 2001. 2263 Ebd. 2264 Vgl. Biogramm, S. 303. 2265 Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Pages of Testimony seines Enkels Rolf A. Mandeau, 11. Juni 1986. 2266 Personenstandsregister, S. 21. 2267 Ebd. 2268 StdA B, Stadt Bocholt 2 Nr. 389, Israelitischer Männerverein. 2269 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

268 | BUCH DER ERINNERUNG Das Datum, zu dem sein Umzug in das Haus Rebenstraße 2 erfolgte, ist in der Ein- wohnermeldekarte nicht vermerkt. Hier lebte auch seine Schwester Clara Elsberg (geb. Löwenstein, * 10. November 1866, Bocholt – 1964, Zürich/Schweiz2270). Sie war verhei- ratet mit dem Fabrikanten Adolf Nathan Elsberg (* 31. Dezember 1865, Ostenfelde2271 – 1. November 1918, Bocholt2272). Er war am 6. Juli 1897 aus Ritzebüttel nach Bocholt gekommen2273. Adolf Elsberg betrieb zusammen mit Max Geisel, dem Bruder von  Wilhelmine Löwen stein, die Firma Weberei Geisel & Elsberg am Westend 664. Die Firma hatte die Fernsprechnummer 2292274.

Adolf Löwenstein war zusammen mit Adolf Elsberg Eigentümer der Firma A. Löwen stein, Möbelfabrik, Ostwall 472275. 1914 traten die Witwe von Aron Löwenstein,  Wilhelmine Löwenstein2276, und ihr Sohn in die Firma ein. Sie lag in der Weidenstraße 422277. Später trat sein Neffe Rudolf Löwenstein in die Firma ein2278. Am 9. Dezember 1932 wurde das Vergleichsverfahren über diese Firma eröffnet2279. Am 23. Mai 1916 wurde Adolf Löwenstein erstmals für die Zeit bis zum 6. Juli 1922 zum stellvertretenden Mitglied der Repräsentantenversammlung der israelitischen Gemeinde Bocholt gewählt2280. Später wurde die Wahlperiode bis zum 4. September 1925 verlängert2281. Am 5. November 1925 wurde er erneut bis zum 29. Dezember 1931 als stellver tre ten- der Repräsentant wiedergewählt2282. Der Repräsentantenversammlung gehörte Adolf Löwen stein mindestens bis 1937 an. Am 6. Januar 1937 trug er bei einer gemeinsamen Sitzung des Vorstandes und der Repräsentantenversammlung der israelitischen Gemeinde Bocholt als Repräsentant den Beschluss über den Anschluss der Synagogen- gemeinde Anholt und die damit in Zusammenhang stehende Änderung des Gemeinde- statuts zum 26. Januar 1937 mit 2283. Im Winter bzw. Frühjahr 1939 musste er nach dem Erlass der Ausführungsbestimmun- gen zu den Richtlinien über die Führung der Vornamen vom 5. August 1938 beim Standes amt Bocholt den Antrag auf Ergänzung seines Vornamens stellen. Wie alle jüdischen Männer hatte Adolf Löwenstein seinem Vornamen den Zusatznamen „Israel“ hinzuzufügen. Der Zusatzname „Israel“ wurde vor dem 17. April 1939 auf der Einwohnermeldekarte eingetragen2284.

2270 Stadt Bocholt, Allgemeine Verwaltung, Partnerschaften. Ordner Juden 1, Lotte Kleinzeller (geb. Reuter), Philadel- phia/ USA, an Oberbürgermeister Hochgartz, 18. Februar 1980. 2271 Personenstandsregister, S. 21. 2272 Denkmal in: Sundermann, Friedhöfe, S. 146. 2273 Personenstandsregister, S. 21. 2274 Telefonbuch Bocholt (Westf.) 1907, nach http://www.ahnenforschung-bildet.de/forum/viewtopic. php?f=33&t=2396. 2275 Einwohnerbuch 1926, S. 221. 2276 Ebd. 2277 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten […] über die Grundstücke des Kaufmanns Aron Löwenstein zu Bocholt, der Witwe Fabrikant Aron Löwenstein, Wilhelmine, geborene Geisel in fortgesetzter wirtschaftlicher Gütergemeinschaft mit ihren Kindern [...] Band 111, Blatt 73, Seite 65, Rudolf Löwenstein (London) an das Grund- buchamt der Stadt Bocholt, 30. Juli 1946. 2278 Ebd. 2279 Ebd., Blatt 73, Beschluss des Amtsgerichts Bocholt vom 9. Dezember 1932. 2280 StdA B, SBOH 2 Nr. 1007. Wahl des Synagogenvorstandes und der Repräsentanten 1895 – 1916. Verzeichnis der Mitglieder des Vorstandes und des Repräsentantenkollegiums der Synagogengemeinde in Bocholt[,] C. Repräsen- tanten[,] B. Stellvertreter. 2281 Ebd. 2282 Ebd. 2283 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten über die Grundstücke der jüdischen Synagogengemeinde in Bocholt, der Stadt Bocholt, Band -, Blatt Nr. 930, S. 29, Protokoll der Repräsentantenversammlung der israeliti- schen Gemeinde Bocholt in Westfalen vom 6. Januar 1937. 2284 StdA B, Übernahme der Unterlagen des Standesamtes Bocholt; Stadtarchiv Bocholt, 14. Februar 2001.

BUCH DER ERINNERUNG | 269 Am 17. April 1939 verkaufte „Adolf Israel Löwenstein zu Bocholt, Rebenstraße No. 2, welcher erklärte, dass er handele als Bevollmächtigter der Ehefrau Adolf Israel Elsberg, Klara Sara geb. Löwenstein zu Bocholt, Rebenstraße No. 2, Vollmacht vom 23. Februar 1939 vorlegend,“2285 Grundstück und Haus Rebenstraße 2 für 20.000 RM. Vom Kaufpreis ging aber nur „der Restkaufpreis von 1.000 RM […] ohne Zinsen an den Notar für den Verkäufer.“ 2286

Am 28. April 1939 gelang es seiner Schwester Clara Elsberg (geb. Löwenstein) und ihrer Tochter Martha Reuter (* 1898, Bocholt – 1972, Zürich/Schweiz), die bisher bei Adolf Löwenstein in der Rebenstraße 2 gewohnt hatten, nach Großbritannien auszureisen2287. Gut vierzehn Tage später zog dann Adolf Löwenstein am 15. Mai 1939 nach Köln in das Haus Lindenstraße 192288. Später musste er in das sog. Judenhaus St. Apern-Straße 9 – 11 ziehen2289.

Am 22. Oktober 1941 wurde Adolf Löwenstein vom Tiefbahnhof Köln-Deutz aus zusammen mit 1018 Personen in das Ghetto Lodz deportiert. Am 23. Oktober 1941 kam der Zug dort an 2290. Am 11. Mai 1942 wurde er in das Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) deportiert, wo er am gleichen Tag ermordet wurde2291.

Am 5. Februar 1948 bat der in Borken wohnende Erich Haas das Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt -: „Im Auftrag der Familie Löwenstein bzw. Meta Goldschmidt geb. Löwenstein […] um Ausfertigung eines Grundbuchauszuges über das frühere Besitztum der Frau Klara Elsberg, Bocholt, Rebenstraße 2. Die Familie Löwenstein ist Besitzerin eines Grundschuldbriefes auf dieses Anwesen.“ 2292

Die Stadt Bocholt – Wiedergutmachungsstelle – wies am 29. April 1948 das Amts- gericht Bocholt – Grundbuchamt – an, das Grundstück Bocholt, Rebenstraße 2 zur Si- cherung der Rückerstattung von Wiedergutmachungsvermögen sicherzustellen. 2293 In das Grundbuch wurde für dieses Grundstück am 3. November 1950 eingetragen: „Die Geschwister Rudolf Samuel Low (früher Löwenstein) in Landau [sic], Amalie Meyer geb. Löwenstein und Luise [sic] Rosenberger [sic] geb. Löwenstein in Chile haben die Rückerstattung einer Grundschuld von 13.000 RM gegen das Reich angemeldet.[…]“ 2294

Das Wiedergutmachungsamt bei dem Landgericht Münster teilte dem Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt – am 14. Juli 1956 mit, dass „die Sache […] durch rechts- kräftigen Beschluß des Wiedergutmachungsamtes vom 4.4.51 erledigt ist. […]“2295

2285 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten […] über die Grundstücke des Kaufmanns Adolf Elsberg, Wit- we und Kinder zu Bocholt […] Band -, Blatt 1453, Vertrag vom 17. April 1939, Seite 85f. 2286 Ebd. 2287 StdA B, 57 K 102. Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962). 2288 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2289 NS-Dokumentationszentrum Köln, 18. November 2007. 2290 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 2291 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 919160. 2292 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten […] über die Grundstücke des Kaufmanns Adolf Elsberg, Wit- we und Kinder zu Bocholt […] Band -, Blatt 1453, Firma Haas, Borken, an das Amtsgericht Bocholt - Grundbuch- amt -, 5. Februar 1948, Band -, Blatt 1453, Seite 115. Erich Haas war nach 1950 Mitglied der Repräsentantenver- sammlung der jüdischen Gemeinde Münster. 2293 Ebd., Stadt Bocholt – Wiedergutmachungsstelle – an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt –, 29. April 1948, S. 131. 2294 Ebd., Wiedergutmachungsamt bei dem Landgericht Münster an Amtsgericht Bocholt - Grundbuchamt -, 3. No- vember 1950, Seite 119. 2295 Ebd., Wiedergutmachungsamt bei dem Landgericht Münster an Amtsgericht Bocholt - Grundbuchamt -, 14. Juli 1956, Seite 157.

270 | BUCH DER ERINNERUNG Anna Löwenstein geborene Teutsch geboren am 21. November 1901 in Venningen/Pfalz ermordet am 16. Juli 1943 im Vernichtungslager Sobibor

Anna Teutsch wurde am 21. November 1901 in Venningen in der Rheinpfalz geboren2296. Heute gehört Venningen zum Kreis Südliche Weinstraße. Ihre Eltern waren die Ehefrau Mathilde (geb. Triefus, * 12. Juni 1864, Offenbach an der Queich2297 – ermordet nach dem 11. November 1942, Vernichtungslager Auschwitz2298) und der Viehhändler und Landwirt Heinrich Teutsch (* 9. Januar 1856, Venningen2299 – 13. März 1938, Venningen2300). Heinrich Teutsch war Synagogenrat der mit 36 Mitgliedern sehr kleinen israelitischen Gemeinde Venningen; in der Rheinpfalz nannte man so die stellvertretenden Vorsitzen- den. Dieses Amt hatte er noch bei seinem Tode 1938 inne2301.

Anna Teutsch hatte vier Geschwister: – Pauline (* 29. März 1880, Venningen – ermordet nach dem 22. Oktober 1941, Vernichtungs lager Auschwitz2302) – Irma (oder Irina) Nachmann (geb. Teutsch, * 18. Juli 1889, Venningen – ermordet nach dem 22. Oktober 1940, Durchgangslager Gurs/Frankreich2303) – Max (* 3. Dezember 1890, Venningen – gefallen am 2. Juni 19172304). – Ernst (* 9. Januar 1892, Venningen – Februar 19772305).

In Krefeld verlobte sich die Lehrerin Anna Teutsch am 11. Dezember 19332306 mit  Julius Löwenstein (* 9. Oktober 1894, Bocholt – ermordet am 16. Juli 1943, Vernich- tungslager Sobibor2307).

Am 14. Mai 1934 heiratete Anna Teutsch in ihrem Heimatort Venningen den Bocholter Textilgroßhändler  Julius Löwenstein2308. Sie meldete sich am 4. Juli 1934 in Bocholt in das Elternhaus ihres Mannes  Julius Löwenstein, Hemdener Weg 11, an2309. Ihr Mann Julius betrieb dort „Agenturen von Textilwaren und Handel mit denselben auf eigene Rechnung“ und eine Baumwoll-Großhandlung2310.

Hier lebten außer dem Ehepaar Anna und  Julius Löwenstein noch ihre Schwieger- mutter  Wilhelmine Löwenstein (geb. Geisel, * 13. Januar 1868, Rheinbach –

2296 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 919195. 2297 Amtsgericht Bocholt, Registerabteilung II 145–148, Toderklärungakte Löwenstein, Julius und Anna, Arnold und Franz-Heinrich, Eidesstattliche Versicherung von Ernst Teutsch, New York, 14. Juli 1949, Blatt 3. 2298 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 981955. 2299 Amtsgericht Bocholt, Registerabteilung II 145–148 […], Eidesstattliche Versicherung von Ernst Teutsch, New York, 14. Juli 1949, Blatt 3. 2300 Franz Schmidt, Edenkoben, 19. Januar 2011. 2301 http://www.alemania-judaica.de./venningen. 2302 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 981957. 2303 Ebd. Nr. 934414. 2304 Teutsch, Albert: Die Geschichte der Juden der Gemeinde Venningen. Familie Teutsch von 1590 – 1936, [Karlsruhe 1936], S. 22. 2305 http://www.ancientfaces.com/research/person/18467368/ernst-teutsch-profile-and-genealogy. 2306 Compact-Memory, CV-Zeitung 1933, Nr. 43, S. 11. 2307 Vgl. Biogramm, S. 290. 2308 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2309 Ebd. 2310 Einwohnerbuch 1926, S. 212.

BUCH DER ERINNERUNG | 271 14. August 1943, Dordrecht/Niederlande2311) sowie deren Söhne  Fritz Löwen- stein (* 25. April 1898, Bocholt – ermordet um den 1. April 1943, Warschau2312) bis 22. Juni 1936 und Rudolf Löwenstein, später Rudolf Samuel Low2313 (* 12. April 1891, Bocholt2314 – 1951, London/Großbritannien2315) mit seiner Frau Charlotte (geb. Heinlein, * 21. Januar 1907, Köln – 1987, London/Großbritannien2316). Rudolf und Charlotte Löwenstein heirateten am 11. Mai 1937 in Köln-Lindenthal und bekamen den Sohn Johannes (* 12. Januar 1938, Köln). Sie zogen 1938 nach London2317.

Dem Ehepaar Anna und  Julius Löwenstein wurden zwei Söhne geboren:  Arnold (* 6. März 1935, Bocholt – ermordet am 16. Juli 1943, Vernichtungslager Sobibor2318)  Franz Heinrich (* 6. April 1938, Bocholt – ermordet am 16. Juli 1943, Vernichtungs- lager Sobibor2319). Für jedes der Kinder schalteten die Eltern in der CV-Zeitung 1935 und 1938 Geburts- anzeigen mit identischen Texten2320. In der Pogromnacht am 9./10. November 1938 wüteten die Nazis auch in ihrem Haus Hemdener Weg 11. Hubert Mispelkamp, damals Lehrling, erinnerte sich daran, was er sah, als er am nächsten Morgen zum Löwensteinschen Haus kam: „Schon von weitem sah ich an diesem Morgen vor dem Haus Absperrungen. Davor standen SA-Männer in Uniform, sie hatten den Riemen ihrer Kappen unter dem Kinn angezogen. Als ich näher kam, fragte mich einer der SA-Männer, was ich wolle. Als ich sagte, daß ich eine Bestellung für Löwenstein hätte, schüttelte er den Kopf und brüllte: ‚Wie kann ein deutscher Junge nur Juden bedienen?‘ Dann nahm er den Korb vom Fahrrad und schüttete den Inhalt auf das auf der Straße liegende zerstörte Mobiliar. Ich sah dort Tische, ein Sofa und Stühle. Die Gardinen hingen in Fetzen aus den zerstörten Fenstern. Der Korb wurde mir dann zurückgegeben. Von der Familie Löwenstein sah ich an diesem Tag niemand.“ (Hubert Mispelkamp)2321

Am 27. November 19392322 – eine niederländische Quelle spricht vom 6. September 19392323 – flohen Anna und  Julius Löwenstein mit ihren Kindern  Arnold und dem eineinhalbjährigen  Franz Heinrich nach Oostzaan nahe dem Ijsselmeer2324.

2311 Vgl. Biogramm S. 303. 2312 Vgl. Biogramm S. 282. 2313 Rudolf` Löwenstein nahm 1947 den Namen Rudolf Low an (Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke des Kaufmanns Aron Löwenstein zu Bocholt, der Witwe Fabri- kant Aron Löwenstein, Wilhelmine, geborene Geisel in fortgesetzter wirtschaftlicher Gütergemeinschaft mit ih- ren Kindern [...] Band 111, Blatt 19, Wiedergutmachungsamt beim Landgericht Münster an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt -, Grundbuchtabelle, Eintrag vom 25. November 1949). 2314 Personenstandsregister, S. 89. 2315 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~mhines/GedHtml/gp545.htm. 2316 Ebd. 2317 Nach Angaben von Charlotte Low, der Frau von Rudolf Löwenstein (wiedergegeben in: StdA B, Stadt Bocholt 3. Akte nach dem BEG 3 – 982, Charlotte Low. Stadt Bocholt – Stadtsteueramt -, 17. Mai 1955), floh sie mit Mann und Kind am 12. November 1938 aus Bocholt nach „England“. 2318 Vgl. Biogramm S. 276. 2319 Vgl. Biogramm S. 281. 2320 Compact-Memory, Central Verein-Zeitung 1935, Heft 11 (14. März 1935), 1938, Heft 15 (14. April 1938), S. 10. 2321 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschri über ein Interview mit Herrn Hubert Mispelkamp (1921- 2011), Bocholt, ge- führt von Werner Sundermann und Josef Niebur am 28. Februar 2001. 2322 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962, so auch BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 919158. 2323 Joodse vluchtelingen in Oostzaan, pag. 1. 2324 Nach ebd., p. 12 soll die Familie „von dort [...] noch im November 1939 für wenige Tage nach Zandvoort“ gezogen sein.

272 | BUCH DER ERINNERUNG Am 2. Dezember 1939 wurde im Vertrag über den Verkauf des Hauses Hemdener Weg 11 in Bocholt als Anschrift von  Julius, sicher mit seiner Frau Anna und seinen Kindern, sowie  Wilhelmine Löwenstein die Quinten-Masseystraat 5 in Amsterdam- Zuid genannt2325.

Am 8. August 1940 wurde die Familie Julius Löwenstein – Anna und  Julius Löwen- stein sowie ihre Kinder  Arnold und  Franz-Heinrich – „Aufgrund des § 2 des Ge- setzes über Widerruf von Einbürgerungen u. Aberkennung der deutschen Staatsange- hörigkeit v. 14. 7. 1933 ab 7. 8. 1940 der deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig erklärt.“ 2326 Dies hatte weitreichende Folgen, da sie nunmehr in den Niederlanden als „staatenlose Juden“ galten und damit vollkommen rechtlos waren.

Im Februar 1941 wohnten  Julius Löwenstein und seine Familie im 2. Stock des Hauses Achillesstraat 120, 2. Stock, in Amsterdam, wo außer ihnen eine weitere Familie und eine Einzelperson lebten2327.

Anna und  Julius Löwenstein wurden mit ihren Kindern  Arnold und  Franz Heinrich Löwenstein am 13. Januar 1943 in Amsterdam verhaftet und in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork gebracht2328. Am 13. Juli 1943 wurde die Familie von hier in das Vernichtungslager Sobibor in Südpolen deportiert. Hier kam der Zug am 16. Juli 1943 an2329.

Dort wurden Anna und  Julius Löwenstein sowie ihre Kinder  Arnold und  Franz Heinrich an diesem Tag ermordet2330.

Mathilde Teutsch, die Mutter Anna Löwensteins, ebenso ihre Schwestern Pauline Teutsch sowie Irma Nachmann wurden während der Shoah ermordet.

Vor dem früheren Löwensteinschen Haus, Hemdener Weg 11, liegen Stolpersteine für Anna,  Arnold,  Franz,  Fritz,  Julius und  Wilhelmine Löwenstein sowie für  Meta Weiss2331.

2325 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amts-Gerichtes Bocholt über die Grundstücke des Kauf- manns Aron Löwenstein zu Bocholt, der Witwe Fabrikant Aron Löwenstein, Wilhelmine, geborene Geisel in fortgesetzter wirtschaftlicher Gütergemeinschaft mit ihren Kindern [...] Band 11, Blatt 19, Kaufvertrag vom 2. Dezember 1939, S. 20–22. 2326 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962 2327 JHM A, Joodsmonument, p. 535051. 2328 Amtsgericht Bocholt, Abt. 5. Toderklärungsakte Löwenstein, Julius und Anna 5 II 145-148/49, Beschluss des Amtgerichtes Bocholt vom 12. Dezember 1949, Blatt 12. 2329 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Nieder- landen. 2330 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 919195 und Gedenk, S. 476. 2331 Vgl. S. 459 ff.

BUCH DER ERINNERUNG | 273 Anna-Marie Löwenstein2332 geborene Friedrichs geboren am 29. Oktober 1898 in Breslau ermordet am 20. Dezember 1944 im Konzentrationslager Stutthof

Anna-Marie Elise Friedrichs wurde am 29. Oktober 1898 in eine evangelisch-lutherische Familie im schlesischen Breslau geboren. Die Eltern zogen später nach Hamburg. Dort meldete sich Anna-Marie Elise Friedrichs erstmals am 27. Dezember 1915 aus Braun- schweig, Bernhardstraße 16, bei den Eltern an, die in Bergedorf, Kampstraße 6 b, wohn- ten. Anna-Marie Friedrichs erhielt die hamburgische Staatsangehörigkeit2333.

Nach einem etwa einjährigen Aufenthalt in Wölfelsgrund (heute: Międzygórze im Süd- westen Polens2334) zog sie im März 1921 wiederum zu ihren Eltern nach Bergedorf.

Am 20. bzw. 26. Juli 1921 meldete sie sich nach Bocholt ab. Sie hatte am 14. Juli 1921 – wahrscheinlich in Bergedorf bei Hamburg – den Bocholter Kaufmann  Paul Löwenstein (* 11. September 1890, Bocholt – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald2335) geheiratet. Paul Löwenstein war jüdischer Religion.2336

In Bocholt meldete sich Anna-Marie Löwenstein am 27. Juli 1921 zur Nordallee 25 mit der Religionszugehörigkeit „jüd.“[isch] an2337. Sie war als Hausfrau eingetragen2338.

Ihr Mann  Paul Löwenstein zog am 27. Juli 1921 aus dem Elternhaus Bahnhofstraße 16 zu seiner Frau in das Haus Nordallee 25 um2339. Das Ehepaar Anna-Marie und  Paul Löwenstein hatte keine Kinder; es zog am 2. Januar 1930 in das Haus Neustraße 232340.

Dieses Haus war Eigentum ihres bereits verstorbenen Schwiegervaters Philipp Löwen stein (* 21. April 1854, Obermöllrich – 29. Oktober 1925, Bocholt) gewesen. Nach seinem Testament vom 17. Mai 1922 gehörte das Haus ihrer Schwiegermutter  Ida Löwenstein (* 8. November 1868, Gütersloh – ermordet am 20. März 1943, Vernichtungslager Sobibor2341) und Philipp Löwenstein je zur Hälfte2342. Beim Tod von

2332 Die Schreibweise des Nachnamens ist bei Annemarie, Ida und Paul Löwenstein nicht gesichert. Während auf der Einwohnermeldekartei eindeutig Löwenstein geschrieben wird, heißt die Firma des Vaters Stern & Loewenstein. Ebenso wird von der Geheimen Staatspolizei – Staatspolizeistelle Leipzig - z. B. am 17. Mai 1941 Loewenstein geschrieben. 2333 Staatsarchiv Hamburg, 5. April 2001. 2334 http://de.wikipedia.org/wiki/Mi%C4%99dzyg%C3%B3rze. 2335 Vgl. Biogramm, S. 298. 2336 Staatsarchiv Hamburg, Mail 5. April 2011, vgl. StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. Das Heirats- datum ist auch in der Einwohnermeldekartei der Freien und Hansestadt Hamburg eingetragen. 2337 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962, hier ist als Religion „jüd.“ eingetragen. In der Kirchensteuer- Hebeliste der israelitischen Gemeinde, Bocholt für die Zeit vom 1. Juli 1925 bis 30. Juni 1926 vom 24. November 1925 (StdA B, Stadt Bocholt Nr. 2, Nr. 934, Synagogengemeinde 1840 – 1932) ist jedoch bei Paul Loewenstein der Vermerk „Frau evangelisch“ angebracht. Sollte Anna-Maria Loewenstein offiziell nicht konvertiert sein? 2338 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2339 Ebd. 2340 Ebd. 2341 Vgl. Biogramm, S. 287 . 2342 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des königlichen Amts-Gerichts Bocholt über die Grundstücke des Kaufmanns Philipp Löwenstein [sic], Ww.- und andere [.. ]; Band -, Blatt 230 A, Rechtsanwalt Dr. Rudolf Franz, Notar, - Mitglied des NSRB - Leipzig, Goethestraße 1, an Amtsgericht Bocholt - Grundbuchamt -, 8. Februar 1939 – Anlage –, S. 26.

274 | BUCH DER ERINNERUNG Philipp Löwenstein ging dessen Anteil an  Paul Löwenstein, den Mann von Anna- Marie Löwenstein, und ihre Schwägerin Hanna Plaut, geb. Löwenstein.

Am 1. März 1935 zogen Anna-Marie und  Paul Löwenstein in dessen Elternhaus Bahnhofstraße 16. Ihre dort bisher wohnende Schwiegermutter  Ida Löwenstein war am 21. Februar 1935 ausgezogen und wohnte nun bei ihrer Tocher Hanna und ihrem Schwiegersohn Dr. med. Otto Plaut in Leipzig2343.

Um 1937 wohnte Trude Euler, die Tochter von  Amalia und  Leopold Markus, nach dem Eintrag in dem „Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden” im Haus Bahnhofstraße 162344.

Das Haus wurde 1939 eines von vier sog. Judenhäusern in Bocholt. Hierhin mussten umziehen:  Martha und  Bertold Löwenstein am 5. August 1939,  Amalie und  Leopold Markus am 18. September 1940,  Luise Löwenstein am 11. Dezember 1940 aus Essen,  Rahel und  Adolf Blumenthal am 29. September 1941,  Marianne Roth am 29. September 1941,  Edith und  Manfred Zytnik am 5. Dezember 1941.

Am 10. Dezember 1941 wurden Anna-Marie und  Paul Löwenstein,  Martha und  Bertold Löwenstein,  Leopold Markus sowie  Rahel und  Adolf Blumenthal mit den Kindern  Edith und  Manfred Zytnik aus dem Haus Bahnhofstraße 16 mit weiteren Bocholtern jüdischen Glaubens nach Münster in das Sammellager in der ehe- maligen Gaststätte Gertrudenhof am Kaiser-Wilhelm-Ring gebracht.

Aus Münster deportierte man 402 Menschen jüdischen Glaubens, unter ihnen Anna- Marie und  Paul Löwenstein, am 13. Dezember 1941 in das Ghetto Riga. Hier kam der Zug am 15. Dezember 1941 an2345.

Anna-Marie Löwenstein wurde bei der Auflösung des Konzentrationslagers Kaiserwald im August 1944, wie alle Inhaftierten, in das Konzentrationslager Stutthof depor tiert. Dort wurde sie am 20. Dezember 1944 ermordet. Ihr Mann  Paul Löwenstein wurde zu einem nicht bekannten Zeitpunkt im Ghetto Riga oder im Konzentrations lager Kaiserwald bei Riga vor August 1944 ermordet2346.

Vor dem Haus Bahnhofstraße 16 liegen heute Stolpersteine, die an Anna-Marie und  Paul sowie  Ida Löwenstein erinnern2347.

Auf der Gedenktafel für die unmittelbar aus Bocholt 1941/42 deportierten Menschen jüdischen Glaubens in der Gedenkstätte für die ehemalige Bocholter Synagoge sind auch die Namen von Anna-Marie und  Paul Löwenstein verzeichnet2348.

2343 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2344 StdA B, 57 K 102 - ohne Titel -. In dem „Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden“ ist „Euler, geb. Markus, Trude“ mit der Anschrift Bahnhofstraße 16 aufgeführt. Das Verzeichnis berücksichtigt die Zuzüge bis 1941. 2345 Vgl. S. 110. 2346 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 919796. 2347 Vgl. S. 459 ff. 2348 Vgl. S. 133.

BUCH DER ERINNERUNG | 275 Arnold Löwenstein geboren am 6. März 1935 in Bocholt ermordet am 16. Juli 1943 im Vernichtungslager Sobibor Geburtsanzeige Arnold Löwenstein (CV-Zeitung, 6. März 1935)

Arnold Löwenstein wurde am 6. März 1935 in Bocholt geboren2349. Seine Eltern waren  Anna (geb. Teutsch, * 21. November 1901, Venningen/Pfalz – ermordet am 16. Juli 1943, Vernichtungslager Sobibor2350) und  Julius Löwenstein (* 9. Oktober 1894, Bo- cholt – ermordet am 16. Juli 1943, Vernichtungslager Sobibor2351).

Arnold Löwenstein hatte einen jüngeren Bruder:  Franz Heinrich (* 6. März 1938, Bocholt – ermordet am 16. Juli 1943, Vernichtungs- lager Sobibor2352).

Über das kurze Leben von Arnold Löwenstein ist nur wenig bekannt. Die Schrecken der Pogromnacht vom 9./10. November 1938, als das elterliche Haus Hemdener Weg 11 von Bocholter Nazis verwüstet wurde, wird er als Dreieinhalbjähriger unterbewusst mitbekommen haben.

Zusammen mit seinen Eltern  Anna und  Julius sowie seinem Bruder  Franz Heinrich floh er am 27. November 1939 – niederländische Quellen2353 sprechen vom 6. September 1939 – von Bocholt nach Oostzaan in die Niederlande. Dann zog die Familie nach Amsterdam in die Quinten-Masseystraat 5, 2. Stock2354. Im Februar 1941 wohnte die Familie Julius Löwenstein im 2. Stock des Hauses Achillesstraat 120 in Amsterdam2355.

In Amsterdam wurden Arnold Löwenstein und seine Familie verhaftet und am 13. Januar 1943 in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork gebracht2356. Am 13. Juli 1943 erfolgte ihre Deportation zusammen mit 1984 Juden in das Vernichtungslager Sobibor2357.

Arnold Löwenstein wurde mit seiner Familie – Mutter  Anna und Vater  Julius sowie seinem Bruder  Franz Heinrich – wahrscheinlich unmittelbar nach Ankunft des Zuges am 16. Juli 1943 im Vernichtungslager Sobibor umgebracht2358.

Vor dem früheren Löwensteinschen Haus, Hemdener Weg 11, liegen Stolpersteine für Arnold,  Anna,  Franz,  Fritz,  Julius und  Wilhelmine Löwenstein sowie für  Meta Weiss2359.

2349 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2350 Vgl. Biogramm S. 271. 2351 Vgl. Biogramm S. 290. 2352 Vgl. Biogramm S. 281. 2353 Joodse Vluchtelingen uit Nazi-Duitsland in Oostzanerwerf. Jelle Brinkhuijsen, Pim Ligtvoet, Wijnand Takken- berg, p. 11 f. 2354 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichtes Bocholt über die Grundstücke des Kauf- manns Aron Löwenstein zu Bocholt [,] der Witwe Fabrikant Aron Löwenstein, Wilhelmine, geborene Geisel in fortgesetzter wirtschaftlicher Gütergemeinschaft mit ihren Kindern [...] Band 11, Blatt 19, Kaufvertrag vom 2. Dezember 1939, S. 20 – 22. 2355 JHM A, Joodsmonument, p. 535048. 2356 Amtsgericht Bocholt, Abt. 5. Toderklärungsakte Löwenstein, Julius und Anna 5 II 145-148/49, Beschluss des Amtsgerichts vom 12. Dezember 1949, S. 1. 2357 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlan- den. 2358 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 919220; JHM A, Joodsmonument, p. 535048. 2359 Vgl. S. 459 ff.

276 | BUCH DER ERINNERUNG Bertold Löwenstein geboren am 2. März 1882 in Bocholt ermordet Anfang Februar 1942 im Ghetto Riga

2. März 1882 geboren als Sohn der Hausfrau Julie (geb. Kaufmann, * 19. September 1855, Geldern – 10. Januar 1908, Bocholt) und des Kaufmanns Samuel Benjamin Löwenstein (* 24. Januar 1851, Rhede2360 – 11. Dezember 1917, Bocholt2361) im Haus Nr. 39 (heute: Ostermarkt) in Bocholt. Samuel Löwenstein hatte dort ein Manufakturwarengeschäft für Kleiderstoffe und Bettwaren. Bertold Löwenstein (StdA B, 57 K 102) Geschwister:  Paula Levisohn (geb. Löwenstein, * 9. Juli 1880, Bocholt – ermordet nach dem 22. April 1942, Konzentrationslager Izbica2362) – Wilhelmine Rohr (geb. Löwenstein, * 6. Januar 1884, Bocholt – 5. März 1958, New York 2363)  Anna Andorn (geb. Löwenstein, * 14. Juli 1885, Bocholt – ermordet nach dem 12. Oktober 1944, Konzentrationslager Auschwitz2364) – Martha (* 28. Februar – 28. August 1887, Bocholt2365) – Max (* 14. Juni 1890, Bocholt – 1979, USA2366) – Paul (* 24. August 1896, Bocholt – 19. Oktober 1918, Lazarett Bayreuth2367).

1886 zog die Familie in das spätere Haus Osterstraße 50. Hier, im Steinerschen Haus, errichtete Samuel B. Löwen- stein sein Geschäft. Im hinteren Teil des Hauses mit dem Eingang von der Südmauer war die Wohnung2368.

1896 Ausbildung in einem Manufakturwaren- geschäft in Essen2369. 29. 1. 1905 Eintritt in den St. Georgius-Schützen- verein2370. 1908 Prokurist im Manufakturwarengeschäft seines Vaters Samuel B. Löwenstein, Oster straße 502371.

Geschäft S. B. Löwenstein, Osterstraße 50 (zweites Haus rechts) 2360 Personenstandsregister, S. 94. (StdA B, Bildersammlung Osterstraße) 2361 Ebd., S. 21. 2362 Vgl. Biogramm S. 255. 2363 Schröter, S. 694. 2364 vgl. Biogramm S. 141. 2365 Personenstandsregister, S. 94. 2366 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~mhines/GedHtml/gp90.htm#head1. 2367 http://www.denkmalprojekt.org/Verlustlisten/vl_rjf_wk1_orte_b.htm. 2368 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt, 15. Oktober 1931, 50 Jahre S.B. Löwenstein. 2369 Ebd. 2370 Westerhoff, Ballotagen. 2371 Amtsgericht Bocholt, Grundakten […] über die Grundstücke des Kaufmanns Samuel B. Löwenstein zu Bocholt, Band 82, Blatt 10. S. B. Löwenstein an das Königliche Amtsgericht, Hier, 20. November 1909, S. 56.

BUCH DER ERINNERUNG | 277 1914 – 1918 Kriegsfreiwilliger 2372 im Ersten Weltkrieg vom 4. Mai 1915 bis zum 16. Mai 1916 und vom 15. Ok- tober 1916 bis zum 19. November 19182373.Über- nahme des väterlichen Geschäftes nach dem Tod seines Vaters am 11. November 19172374.

4. 1. 1920 Heirat mit  Martha (geb. Löwenstein, * 6. Juni 1896, Eisenach – ermordet Anfang Februar 1942, Ghetto Riga2375) in Eisenach2376. Kinder: – Hans (* 24. Oktober 1921) – Grete (* 24. November 1924) – Ilse (* 5. März 1927)2377.

Bertold Löwenstein war zunächst als Mitglied, ab 1930 als Vor- sitzender der Repräsentantenversammlung der Israelitischen Gemeinde tätig2378. Spätestens im April 1929 war der „Kaufmann Berthold [sic] Löwenstein, Osterstr. 50“ Vorsitzender der Orts- gruppe Bocholt des „Zentralvereins [sic] deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens.“ 2379 Außerdem war er Vertrauensmann nach dem Versicherungs- gesetz für Angestellte für die Vereinigten Arbeitgeberverbände von Bocholt2380. „Ein neuer Geschäfts- umbau in der Oster- 1928 Anmietung des Hauses Osterstraße 49; Vergrößerung des Geschäfts- 2381 straße. Eröffnungsfeier lokals, es wurden jetzt auch Damen- und Kinderkonfektion geführt . bei S. B. Löwenstein“ 1929 Bruno Stern aus Mühlhausen/üringen wurde Teilhaber im Ge- (StdA B, ZSlg., 2382 Bocholter Volksblatt, schäft . Umzug der Familie Bertold Löwenstein in die Mietwohnung 28. November 1928) Nordstr. 16. 1931 Feier des 50jährigen Jubiläums des Manufakturwarengeschäftes S.B. Löwenstein im Schützenhaus.

29. März – Boykott gegen jüdische Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte; 1. April 1933 SA-Männer standen auch vor dem Textilgeschäft S. B. Löwenstein und verwehrten Käufern den Zutritt2383. Sie beschmierten die Fenster- scheiben mit schwarzer Farbe2384.

2372 Stadt Bocholt. Fachbereich Zentrale Verwaltung - Interne Dienste – Ordner: Jüdische Mitbürger, Meier, Greta, Baltimore/USA, 31.10.1997, Können Sie mich verurteilen, weil ich nichts mehr mit Deutschland und Bocholt zu tun haben möchte?, vgl. S. 478. 2373 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2374 Stadt Bocholt. Fachbereich Zentrale Verwaltung - Interne Dienste – Ordner: Jüdische Mitbürger, Meier, Greta, Baltimore/USA, 31.10.1997, Können Sie mich verurteilen, weil ich nichts mehr mit Deutschland und Bocholt zu tun haben möchte?, vgl. S. 478. 2375 Vgl. Biogramm, S. 296. 2376 Amtsgericht Bocholt, Abteilung 4, Todeserklärung der Eheleute Berthold [sic] Löwenstein, 4 II 24-25/49, S. 4a, Stadt Bocholt an Amtsgericht Bocholt, 4. April 1949. 2377 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2378 Ebd., SBOH 2 Nr. 1006, Wahl des Vorstandes und der Repräsentanten der Synagogengemeinde 1916–1935. 2379 Einwohnerbuch der Stadt Bocholt, Ausgabe 1929, Betzdorf 1929, S. 29. 2380 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt, 6. November 1927, Vorschlagsliste der vereinigten Verbände der Arbeitgeber zu Bocholt [für die Wahl der] Vertrauensmänner. 2381 Ebd., Bocholter Volksblatt, 15. Oktober 1931, 50 Jahre S. B. Löwenstein. 2382 Ebd. 2383 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Maria Wolsing (geb. Brüning, 1920–2004), geführt durch Josef Niebur und Werner Sundermann am 8. Dezember 1994. 2384 StdA B, SBOH 2 Nr. 1012. Tumultschadenssache Salomon Seif, S. 1, Geschäftsstelle des Reichswirtschaftsgerichts vom 17. Mai 1934 – 1.S. XVII. 6/34. – an die Stadtgemeinde Bocholt.

278 | BUCH DER ERINNERUNG Eine Schulfreundin von Grete Löwenstein weiß zu berichten:

„Ich erinnere mich daran, wie ich während der Boykott-Tage Ende März/Anfang April 1933 für eine Bekannte im Geschäft Löwenstein Metz-Nähseide holen wollte. Vor dem Eingang an der Osterstraße standen drei bis vier uniformierte SA-Leute in einer Postenreihe und verwehrten Käufern den Zutritt zum Geschäft. Einer der SA-Männer, den ich kannte, sagte auf Platt leise zu mir: ‚Hier kümm’se ne rin, goah van achtern!‘ Am Wohnungseingang von Löwenstein an der Südmauer standen keine SA-Wachen.“ (Maria Wolsing * 19242385)

14. Juli 1936 Vermietung von Geschäft und Haus Osterstraße 50 an Arno Schmidt mann aus Bremen, der das Löwensteinsche Warenangebot weiterführte2386. Bertold Löwenstein übernahm auf Provisionsbasis die Vertretung der Firma Essener Schürzenfabrik Max Callmann.

7. März 1938 Bertold Löwenstein erhielt auf seinen Antrag eine Legitimationskarte für Kaufleute, Handlungsreisende und Handlungsagenten. Der beige- hefteten Bescheinigung der IHK Duisburg-Wesel vom 3. April 1937 ist zu entnehmen: „[...] Herr Bertold Löwenstein in Bocholt reist für die Firma Essener Schürzenfabrik Max Callmann in Essen und in eigener Rechnung und muß bei seinen Reisen Warenproben- und Muster- koffer im Höchstgewicht von 40 kg mit sich führen.“ 2387 Im Oktober 1938 wurde Juden die hierfür notwendige Legitimations- karte durch den Gewerbeaußendienst der Stadt Bocholt entzogen2388.

18. 8. 1938 Nach den Richtlinien über die Führung der Vornamen von 19382389 wurden auf der Einwohnermeldekarte der Familie Löwenstein dem Vornamen von  Martha der Zusatz „Sara“ und dem Bertolds der Zusatzname „Israel“ hinzugefügt2390.

9./10. 11. 1938 Aus ihrer Wohnung musste die Familie die Schrecken der Pogrom- nacht im gegenüberliegenden Geschäft Herzfeld mit ansehen:

„In der Nacht wurden wir wach von lautem Gegröle. Wir stellten uns ans Fenster, um auf das gegenüberliegende Herrenmodegeschäft Herzfeld zu sehen. [...] Wir sahen vor dem Geschäft Herzfeld 10 bis 15 Männer, die auf einem offenen Wagen in die Straße gekommen waren. Die Männer zerstörten das Geschäft völlig. Mutter zog uns dann schnell weg vom Fenster. Unsere Wohnung wurde allerdings nicht beschädigt.“ (Greta Meier, geb. Löwenstein)2391

5. August 1939 Erzwungener Umzug von  Martha und Bertold Löwenstein in das sog. Judenhaus Bahnhofstraße 162392.

2385 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Maria Wolsing (geb. Brüning, 1920–2004), geführt durch Josef Niebur und Werner Sundermann am 8. Dezember 1994. 2386 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt, 14. Juli 1936, Heute Erö nung der Firma Schmidtmann. 2387 Ebd, 57 K 101 – ohne Titel -, Gewerbelegitimationskarte für Herrn Bertold Löwenstein. 2388 Ebd., IV/5, Verzeichnis über die Juden, die für das Kalenderjahr 1938 a) einen Wandergewerbeschein [,] b) eine Legitimationskarte haben. 2389 Ministerial-Blatt des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Inneren, Nummer 35 vom 24. August 1938. Runderlaß des Reichsminister des Inneren vom 18. August 1938 (I d 42 X/38-5501 b), Richtlinien über die Füh- rung der Vornamen von 1938. 2390 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2391 Stadt Bocholt, Allgemeine Verwaltung; Partnerschaften. Ordner: Jüdische Mitbürger 1. Greta Meier: Können Sie mich verurteilen, weil ich nichts mehr mit Deutschland und Bocholt zu tun haben möchte?, S. 478. 2392 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

BUCH DER ERINNERUNG | 279 17. 10. 1939 Bertold Löwenstein wurde von der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland zum alleinigen Vorsitzenden der „Jüdischen Kultusver- einigung ‚Israelitische Gemeinde Bocholt’“ bestimmt2393.

13. März 1941 Notarielles Protokoll der Auflassung des Grundstücks: „Der Auflas- sung liegt der Kaufvertrag zwischen Löwenstein und Kornbusch [sic] zu Grunde. 1) Der Kaufmann Bertold Israel Löwenstein zu Bocholt Bahnhofstraße 16; 2) der Kaufmann Arno Schmidtmann zu Bocholt, Oster straße 50 [schließen folgenden Vertrag:] Der Wert des Gegenstandes wird auf 70000 RM festgesetzt. […]“2394

18. 11. 1941 Anordnung der Staatspolizeileitstelle Münster über die „Evakuierung von Juden“, darunter auch  Martha und Bertold Löwenstein2395.

„Unsere Eltern deuteten uns im Spätsommer/Frühherbst 1941 in einem Brief an, dass sie sich zur Ausreise entschlossen hätten. Doch bekamen sie eine solch hohe Nummer für die Zuteilung des Einreisevisums in die USA, dass sie ihr Visum nicht mehr rechtzeitig vor ihrer Deportation bekamen. Im letzten Brief schrieben sie, dass sie bald verreisen müssten. Vorher würden sie noch schreiben. Doch ein solcher Brief kam nie. [...]“ (Greta Meier, geb. Löwenstein2396)

10. 12. 1941  Martha und Bertold Löwenstein wurden zusammen mit 23 weiteren Menschen jüdischen Glaubens von Bocholt über Münster in das Ghetto Riga deportiert2397. Auf der Einwohnermeldekarteikarte der Familie wurde eingetragen: „10.12.41[,] Eheleute n. Riga/Lettland“. Die Worte „n. Riga/ Lettland“ 2398 wurden nach Anordnung der Staats- polizeileitstelle Münster vom 18. Juli 1942 geschwärzt und durch die Formel „unbekannt verzogen (ausgewandert)“ ersetzt2399.

Wahrscheinlich Anfang Februar 1942  Martha und Bertold Löwenstein wurden im Wald von Biķernieki, dem Hochwald bei Riga, ermordet2400.

„Wir wurden am 10. Dezember 1941 nach Riga deportiert, einschließlich Berthold [sic] Löwenstein und Frau. Nach kurzem Zusammensein wurden wir getrennt, da Familie Löwenstein auf Transport ging, wo sie beide umgekommen sind. Auch ich habe bei den damaligen Machthabern meine ganzen Angehörigen verloren.“ (Meta Metzger)2401

2393 Amtsgericht Bocholt, Vereinsregister VR 100 Jüdische Kultusvereinigung Israelitische Gemeinde Bocholt, VR 100, Blatt 1, Antrag der Jüdischen Kultusvereinigung Israelitische Gemeinde Bocholt auf Eintrag in das Vereins- register, vom 18. November 1939. 2394 Ebd., Grundbuchamt, Grundakten […], Band 134, Blatt 3392, Blatt 32-33; Notatielles Protokoll über den Vertrag zwischen dem Kaufmann Bertold Israel Löwenstein und dem Kaufmann Arno Schmidtmann vom 13. März 1941. 2395 Vgl. S. 109. 2396 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Ilse Lebach (geb. Löwenstein, * 1927, Bocholt) und Greta Meier (geb. Löwenstein, * 1924, Bocholt), heute in Baltimore/USA lebend, Töchter von Martha und Bertold Löwenstein, Osterstraße 50, am 6. Mai 1992 in Bocholt, geführt von Manfred Dammeier und Josef Niebur. 2397 Vgl. S. 110. 2398 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2399 Nacke, S. 170. 2400 Nach Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Page of Testimony von Rackel Eschet-Leben- stein vom 9. August 1999 wurde Bertold Löwenstein in Riga, Rigas, Vidzeme, Lativa, 1945 getötet. 2401 Amtsgericht Bocholt, Abteilung 4, Toderklärungsakte Bertold und Martha Löwenstein, Az.: 4 II 24-25/49 Blatt 35. Eidesstattliche Erklärung von Meta Metzger, Buenos Aires, vom 11. September 1949.

280 | BUCH DER ERINNERUNG Am 14. April 1948 forderte der in London wohnende Hans Lowenstein [sic] beim Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt -: „Als Sohn und Erbe des verstorbenen Kaufmanns Bertold Löwenstein bitte ich um Übersendung eines Grundbuch- Auszuges von dem früheren Besitztum, Osterstraße 50.“2402 Nach mehreren Nachfragen des Grundbuchamtes erhielt er am 31. Mai 1948 die erbetenenen Auszüge. Das Wiedergutmachungs verfahren wurde durch den Bescheid des Kreisbeauftragten für gesperrte Vermögen beim Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen in Coesfeld an das Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt – vom 2. April 1951 beendet2403.

Die „Eheleute [wurden] durch Beschluss des Amtsgerichts Bocholt – 4 II 24-25/49 – vom 24.9.1949 für tot erklärt. Als Todestag der Vorstehenden wird der 8.5.1945 festgestellt,“ wie das Amtsgericht Bocholt am 24. September 1949 feststellte2404.

Vor dem Geschäftshaus Osterstraße 50 liegen im Straßenpflaster Stolpersteine für  Martha und Bertold Löwenstein2405.

Die Namen von Bertold und  Martha Löwenstein sind auf der Gedenktafel in der Gedenkstätte für die ehemalige Bocholter Synagoge verzeichnet2406.

Seit dem 27. Januar 2007 trägt ein Innenstadtplatz zwischen der Gasthausstraße und der Osterstraße den Namen Bertold-Löwenstein-Platz2407.

Geburtsanzeige Franz Heinrich Löwenstein (Central Verein- Franz Heinrich Löwenstein Zeitung 1938, Heft 15, 14. April 1938, S. 10) geboren am 6. April 1938 in Bocholt ermordet am 16. Juli 1943 im Vernichtungslager Sobibor

Franz – wie er in der Einwohnermeldekartei genannt wurde – oder Franz Heinrich (wie er in der Toderklärungsakte heißt) wurde am 6. April 1938 in Bocholt geboren2408. Seine Eltern waren  Anna (geb. Teutsch, * 21. November 1901, Venningen/Pfalz – ermordet am 16. Juli 1943, Vernichtungslager Sobibor2409) und  Julius Löwenstein (* 9. Oktober 1894, Bocholt – ermordet am 16. Juli 1943, Vernichtungslager Sobibor2410). Die Familie  Julius und  Anna Löwenstein wohnte im Haus Hemdener Weg 112411.

2402 Ebd., Blatt 32, Hans Lowenstein, London, an Amtsgericht Bocholt, 14. April 1948. 2403 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke des Kauf- manns Samuel B. Löwenstein zu Bocholt, Band 82, Blatt 10, Kreisbeauftragter für gesperrte Vermögen beim Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Coesfeld an Amtsgericht Bocholt - Grundbuchamt -, 2. April 1951, Seite 58. 2404 Amtsgericht Bocholt, Toderklärungsakte Bertold und Martha Löwenstein, 4 II 24-25/49, Blatt 40, Beschluß des Amtsgerichts Bocholt vom 24. September 1949. 2405 Vgl. S. 459 ff. 2406 Vgl. S. 133. 2407 Vgl. S. 134. 2408 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2409 Vgl. Biogramm S. 271. 2410 Vgl. Biogramm S. 290. 2411 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

BUCH DER ERINNERUNG | 281 Franz Heinrich Löwenstein hatte noch einen fast drei Jahre älteren Bruder:  Arnold (* 6. März 1935, Bocholt – ermordet am 16. Juli 1943, Vernichtungslager Sobibor2412).

Über das Leben von Franz Heinrich Löwenstein ist nur wenig bekannt.

Die Schrecken der Pogromnacht vom 9./10. November 1938, als das elterliche Haus Hemdener Weg 11 von Bocholter Nazis verwüstet wurde, wird er als sieben Monate alter Säugling nicht mitbekommen haben.

Zusammen mit seinen Eltern  Anna und  Julius sowie seinem Bruder  Arnold floh der kleine Franz Heinrich auf dem Arm seines Vaters am 27. November 1939 – nieder- ländische Quellen sprechen vom 6. September 19392413 – von Bocholt nach Oostzaan in die Niederlande2414. Im Dezember 1939 wohnten die Löwensteins in Amsterdam-Zuid, Quinten-Masseystraat 52415.

Im Februar 1941 lebte die Familie im 2. Stock des Hauses Achillesstraat 5 in Amsterdam, wo eine weitere Familie und eine Einzelperson wohnten2416. Aus Amsterdam wurde Franz Heinrich Löwenstein mit seiner Familie am 13. Januar 1943 in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork gebracht2417.

Franz Heinrich Löwenstein wurde mit seiner Familie – Mutter  Anna und Vater  Julius sowie Bruder  Arnold – unmittelbar nach Ankunft des Zuges am 16. Juli 1943 im Vernichtungslager Sobibor umgebracht2418.

Vor dem Haus Hemdener Weg 11 wurden am 27. Januar 2008 Stolpersteine verlegt, einer erinnert an Franz Heinrich Löwenstein 2419.

Fritz Löwenstein

geboren am 25. April 1898 in Bocholt ermordet am 1. April 1944 in Warschau/Polen

Fritz Löwenstein wurde am 25. April 1898 als Sohn des Kaufmanns Aron Löwenstein (* 4. Dezember 1859, Rhede – 12. April 1914, Bocholt2420) und dessen Frau  Wilhelmine (geb. Geisel, * 13. Juni 1868, Rheinbach – gestorben am 14. August 1943, Dordrecht/ Niederlande2421) in Bocholt Nr. 776 (heute: Hemdener Weg 11) geboren2422. Fritz Löwenstein (Foto Dr. John Gold- 2412 Vgl. Biogramm S. 276. smith, Liverpool/Groß- 2413 Joodse vluchtelingen in Oostzaan, pag. 11. britannien) 2414 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2415 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amts-Gerichtes Bocholt über die Grundstücke des Kauf- manns Aron Löwenstein zu Bocholt, der Witwe Fabrikant Aron Löwenstein, Wilhelmine, geborene Geisel in fortgesetzter wirtschaftlicher Gütergemeinschaft mit ihren Kindern [...] Band 11, Blatt 19, Kaufvertrag vom 2. Dezember 1939, S. 20 22. 2416 JHM A, Joodsmonument, p. 535048. 2417 Amtsgericht Bocholt, Abt. 5. Toderklärungsakte Löwenstein, Julius und Anna 5 II 145-148/49, Beschluss des Amtgerichtes Bocholt vom 12. Dezember 1949, Blatt 12. 2418 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 919472. 2419 Vgl. S. 459 ff. 2420 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2421 Vgl. Biogramm S. 303. 2422 Personenstandsregister, S. 671.

282 | BUCH DER ERINNERUNG Er hatte noch fünf Geschwister: – Rudolf (* 12. April 1891, Bocholt2423 – verstorben 1951 in London2424)  Meta (-Karoline) Weiss (geb. Löwenstein, * 28. Dezember 1892, Bocholt – ermordet nach dem 3. März 1943, Vernichtungslager Auschwitz2425)  Julius (* 9. Oktober 1894, Bocholt – ermordet am 16. Juli 1943, Vernichtungslager Sobibor2426) – Dr. med. dent. Amalie Meyer (geb. Löwenstein, * 28. Dezember 1898, Bocholt2427 – 1966, Liverpool/Großbritannien2428) – Luise Rosenberg (geb. Löwenstein, * 9. Oktober 1899, Bocholt2429 – 1988, Santiago de Chile/Chile2430).

Sein Vater Aron Löwenstein starb am 12. April 1914, er wurde auf dem Friedhof der israelitischen Gemeinde Bocholt beigesetzt2431.

Am 22. Juni 19362432 emigrierte Fritz Löwenstein nach Amsterdam/Niederlande, wo er sich in der Quinten-Massey-Straat 5/II niederließ2433.

In Amsterdam wurde Fritz Löwenstein im Jahre 1943 verhaftet und in das polizeiliche Judend urchgangslager Westerbork gebracht2434. Am 21. Mai 1943 heirateten Fritz Löwenstein und Ruth Auguste Weissmann (* 23. März 1910, Mannheim – ermordet am 3. September 1943, Vernichtungslager Auschwitz2435) im Hilfs- sekretariat des Einwohnermeldeamtes der Gemeinde Westerbork im polizeilichen Judendurchgangslager Westerbork2436.

Aus Westerbork wurde Fritz Löwenstein 1943 nach Polen deportiert. Am 1. April 1944 soll er in Warschau ermordet worden sein2437. Seine Frau Ruth Auguste Löwenstein war bereits am 3. September 1943 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet worden2438.

Vor dem Haus am Hemdener Weg 11 in Bocholt liegen Stolpersteine, die an die Ermor- deten der hier einst wohnenden Familie Löwenstein erinnern, einer erinnert an Fritz Löwenstein2439.

2423 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2424 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~mhines/GedHtml/ipl.htm#Little. 2425 Vgl. Biogramm S. 424. 2426 Vgl. Biogramm S. 290. 2427 Personenstandsregister, S. 671. 2428 Privatbesitz Josef Niebur, Protokoll über mündliche Mitteilungen von Dr. John Goldsmith, 31. Januar 2008. 2429 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2430 Stadt Bocholt, Allgemeine Verwaltung; Partnerschaften. Ordner Juden 1, Liesel Rosenberg an Bürgermeister Demming, 22. Juli 2003. 2431 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt, 13. April 1914. 2432 Ebd., 57 K 102 ohne Titel -. Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962). 2433 JHM A, Joodsmonument, p, 500297, dort wohnten später auch seine Mutter Wilhelmine sowie Bruder Julius und Familie. 2434 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 919486. 2435 JHM A, Joodsmonument, p. 500297. 2436 Die Heiratsurkunden der Gemeinde Westerbork befinden im Archiv der Gemeinde Midden-Drenthe in Beilen (JHM A, Joodsmonument, p. 500297). 2437 Ebd.; nach BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 919486 wurde Fritz Löwenstein 1943 im War- schauer Ghetto ermordet. 2438 JHM A, Joodsmonument, p. 509950. 2439 Vgl. S. 459 ff.

BUCH DER ERINNERUNG | 283 Hugo Löwenstein geboren am 5. Januar 1889 in Bocholt ermordet am 24. Dezember 1942 im Ghetto Lodz

Hugo Löwenstein wurde am 5. Januar 1889 als Sohn des Viehhändlers Samuel Löwenstein (* 26. Mai 1854, Rhede – 27. März 1932, Bocholt2440) und seiner Frau Adele (geb. Cahn, * 22. Januar 1857, Mönchengladbach – 20. Februar 1920, Bocholt2441) im Haus Stadt Nr. 1541 (später: Kirchstraße 3) in Bocholt geboren2442. Am 7. Mai 1876 war Samuel Löwenstein in den St. Georgius-Schützenverein eingetre- ten2443.

Hugo Löwenstein hatte noch eine Schwester:  Dina Sternberg (geb. Löwenstein, * 10. Mai 1891, Bocholt2444 – ermordet nach dem 25. März 1942, Konzentrationslager Izbica2445).

Hugo Löwenstein zog am 16. September 1906 nach Bonn und kam am 14. Juni 1909 zurück nach Bocholt2446. Bereits am 5. August 1909 zog er nach Duisburg, am 13. Februar 1913 von dort nach Düsseldorf. Am 9. Dezember 1914 erfolgte seine Abmeldung von Düsseldorf, Karlstraße 101, zurück nach Bocholt2447.

Seit dem 1. Juni 1915 war er „zum Militär“ einberufen, kämpfte also im Ersten Welt- krieg. Einmal wurde der Einsatz unterbrochen. Am 7. Dezember 1918 kehrte er in sein Elternhaus in Bocholt, Kirchstraße 3, zurück2448.

Am 18. Juni 19202449 heiratete Hugo Löwenstein in Düsseldorf  Johanna (geb. Davids, * 4. August 1892, Hüls bei Krefeld – ermordet am 19. Juli 1944, Vernichtungslager Kulmhof/Chelmno2450). Er verzog am 6. Juli 1920 nach Düsseldorf und meldete sich dort am 9. Juli 1920 mit der Adresse Gartenstraße 125 an2451.

In die Ehe wurden in Düsseldorf zwei Söhne geboren: – Rudolf (* 21. Juni 19212452 – 2004, Winnipeg/Kanada2453) – Kurt (* 6. September 19232454). Am 19. April 1939 konnten die Söhne nach England entkommen2455.

2440 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2441 Ebd. 2442 Personenstandsregister, S. 89. 2443 Westerhoff, Ballotagen. 2444 Personenstandsregister, S. 89. 2445 Vgl. Biogramm S. 411. 2446 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2447 Ebd. 2448 Ebd. 2449 StdA Düsseldorf, 22. September 2008. 2450 Vgl. Biogramm S. 285. 2451 StdA Düsseldorf, 22. September 2008. 2452 Ebd. 2453 Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Page of testimony, Rudolf Löwenstein, Winnipeg/ Kanada, 7. Juli 1975. 2454 StdA Düsseldorf, 22. September 2008. 2455 Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Page of testimony, Rudolf Löwenstein Winnipeg/ Kanada, 7. Juli 1975, http://goldbergcohenfamily.info/GEDCOM/p77.html#I00863.

284 | BUCH DER ERINNERUNG Später zogen Hugo und  Johanna Löwenstein in die Harleßstraße 13 in Düsseldorf2456. Danach mussten sie in das Haus Graf-Recke-Straße 21 ziehen. Hier wohnten bis zur Zerstörung des Hauses durch einen Bombenangriff 1942 fast nur noch Juden2457. Es war also ein sog. Judenhaus.

Vom Güterbahnhof Düsseldorf-Derendorf aus wurden Hugo Löwenstein und seine Frau  Johanna am 27. Oktober 1941 zusammen mit 1011 Menschen jüdischen Glaubens in das Ghetto Lodz deportiert. Hier kam der Zug am 28. Oktober 1941 an2458.

Am 24. Dezember 1942 kam Hugo Löwenstein im Ghetto Lodz um2459. Seine Frau  Johanna Löwenstein wurde am 19. Juli 1944 im Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) ermordet.

Auf dem jüdischen Friedhof in Krefeld-Hüls wird vor dem Grabmal ihrer Mutter Julie Davids auf einer Gedenktafel auch an  Johanna und Hugo Löwenstein erinnert 2460.

Johanna Löwenstein geborene Davids geboren am 4. August 1892 in Hüls (heute: Stadt Krefeld) ermordet am 19. Juli 1944 im Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno)

Johanna Löwenstein wurde als Johanna Davids am 4. August 1892 in Hüls (damals Kreis Kempen, heute: Stadt Krefeld) geboren2461. Ihre Eltern waren Max (* 4. August 1863, Hüls – ermordet am 23. Februar 1943, Ghetto eresienstadt) und Julie Davids (geb. Kamp, * 23. August 1861, Hüls – 4. Februar 1935, Hüls2462).

Johanna Davids hatte zwei Schwestern: – Paula (* 22. Oktober 1895, Hüls – ermordet 1944, Konzentrationslager Stutthof2463) – Luise Mohr (geb. Davids, * 11. August 1897, Hüls – ermordet am 15. Mai 1944, Ver- nichtungslager Auschwitz2464).

2456 StdA Düsseldorf, 22. September 2008. 2457 Ebd. 2458 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 2459 Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Page of testimony, Rudolf Löwenstein Winnipeg/ Kanada, 7. Juli 1975, http://goldbergcohenfamily.info/GEDCOM/p77.html#I00863. 2460 http://www.steinheim-institut.de/cgi-bin/epidat?function=Ins&sel=e42&inv=0042. 2461 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2462 http://www.steinheim-institut.de/cgi-bin/epidat?function=Ins&sel=e42&inv=0042. 2463 http://www.yadvashem.org/wps/portal/!ut/p/_s.7_0_A/7_0_FL/.cmd/acd/.ar/sa.portlet.VictimDetailsSubmit Action/.c/6_0_9D/.ce/7_0_V9/.p/5_0_P1/.d/0?victim_details_id=629308&victim_details_name=Davids+Paula& q1=OBU7Yk1czBQ%3D&q2=V7Gn31mKmwZ2mYzVkyp1guc6v4vVayAy&q3=%2BWzOzkBX9ds%3D&q4=%2B WzOzkBX9ds%3D&q5=Mf%2Ft6OM9ePg%3D&q6=OI8Y4WOvOls%3D&q7=rwQyhvCc%2BctlVdklAbxkpjT% 2BqALwoOiN&frm1_npage=1#7_0_V9 2464 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 932131.

BUCH DER ERINNERUNG | 285 Wahrscheinlich zog sie mit ihrem späteren Mann  Hugo Löwenstein (* 5. Januar 1889, Bocholt – ermordet am 24. Dezember 1942, Ghetto Lodz2465), der aus dem Ersten Weltkrieg zurückkam, am 7. Dezember 1918 in dessen Elternhaus Kirchstraße 3 in Bocholt2466. Am 18. Juni 1920 heiratete Johanna Davids in Düsseldorf  Hugo Löwenstein2467.

Die Eheleute verzogen am 6. Juli 1920 aus Bocholt nach Düsseldorf und meldeten sich dort am 9. Juli 1920 mit der Adresse Gartenstraße 125 an2468. Später zog die Familie in die Harleßstraße 132469.

In der Ehe wurden zwei Söhne geboren: – Rudolf (* 21. Juni 1921, Düsseldorf2470 – 2004, Winnipeg/Kanada2471) – Kurt (* 6. September 19232472). Am 19. April 1939 konnten die Söhne nach England entkommen2473.

Nach 1939 mussten Johanna und  Hugo Löwenstein in das Haus Graf-Recke-Straße 21 ziehen. Hier wohnten fast nur noch jüdische Personen2474. Vom Güterbahnhof Düsseldorf-Derendorf wurden Johanna Löwenstein und ihr Mann  Hugo am 27. Oktober 1941 zusammen mit 1011 Menschen jüdischen Glaubens in das Ghetto Lodz deportiert. In Lodz kam der Zug am 28. Oktober 1941 an2475.

Johanna Löwenstein durchlebte das Ghetto fast drei Jahre. Sie wurde noch am 18. Juli 1944 in das Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) deportiert, wo sie am 19. Juli 1944 ermordet wurde2476.

 Hugo Löwenstein war schon am 24. Dezember 1942 im Ghetto Lodz ermordet wor- den2477.

Auf dem jüdischen Friedhof in Krefeld-Hüls wird vor dem Grabmal ihrer Mutter Julie Davids auf einer Gedenktafel auch an Johanna und  Hugo Löwenstein erinnert2478.

2465 Vgl. Biogramm, S. 284 . 2466 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2467 Ebd. 2468 StdA Düsseldorf, 22. September 2008. 2469 Ebd. 2470 StdA Düsseldorf, 22. September 2008. 2471 Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Page of testimony, Rudolf Löwenstein Winnipeg/ Kanada, 7. Juli 1975. 2472 StdA Düsseldorf, 22. September 2008. 2473 Ebd. 2474 Ebd. 2475 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 2476 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 919583. 2477 Yad Vashem, Central Database of Shoah Victims‘ Names, A Page of testimony from Rudolf Löwenstein, Kanada, 7. Juli 1975. 2478 http://www.steinheim-institut.de/cgi-bin/epidat?function=Ins&sel=e42&inv=0042.

286 | BUCH DER ERINNERUNG Ida Löwenstein2479 geborene Meyer geboren am 8. November 1868 in Gütersloh ermordet am 20. März 1943 im Vernichtungslager Sobibor

Ida Meyer wurde am 8. November 1868 in Gütersloh, Domhof 15, geboren. Ihre Eltern waren der Kaufmann Hermann Meyer (* 27. Dezember 1833, Gütersloh – 6. November 1915, Bielefeld) und Johanna (geb. Speyer, * 24. September 1843, Gütersloh – 27. April 1900, Bielefeld). Sie wurden auf dem jüdischen Friedhof in Bielefeld beigesetzt2480.

Ida Meyer hatte drei Geschwister: – Adelheid (* 12. August 1865, Gütersloh) – Julie (* 15. Juni 1867, Gütersloh) – Emma (* 3. November 1869, Gütersloh2481).

Ihr späterer Mann war der Fabrikant Philipp Löwenstein (* 21. April 1854, Obermöllrich – 29. Oktober 1925, Bocholt2482). Er war zunächst mit Nathalie (geb. Bernthal, * 16. Februar 1860, Homburg – 4. November 1895, Bocholt) verheiratet gewesen2483. Aus dieser Ehe stammten die Söhne: – Dr. jur. Richard (* 6. November 1887, Bocholt – 18. Mai 1915, Chur/Schweiz2484)  Paul (* 11. September 1890, Bocholt – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald2485).

Philipp Löwenstein war 1883 Mitgründer der Firma Stern & Loewenstein und einer ihrer Geschäftsführer2486.

Am 10. Juni 1878 trat er dem St. Georgius-Schützenverein bei2487. Sein Sohn Richard war 1912 ronherr auf dem Schützenfest2488. Die Familie wohnte im Haus Feldmark Nr. 277 (heute: Bahnhofstraße)2489. Am 4. November 1895 starb Philipp Löwensteins Frau Nathalie2490.

Zwischen 1898 und 1899 kam Ida Meyer aus Bielefeld2491 nach Bocholt und heiratete den Fabrikanten Philipp Löwenstein.

2479 Die Schreibweise des Nachnamens ist bei Annemarie, Ida und Paul Löwenstein nicht gesichert. Während auf der Einwohnermeldekartei eindeutig Löwenstein geschrieben wird, heißt die Firma des Vaters Stern & Loewenstein. Ebenso wird von der Geheimen Staatspolizei – Staatspolizeistelle Leipzig – z. B. am 17. Mai 1941 Loewenstein geschrieben. 2480 Remigius von Boeselager, Gütersloh, 6. Juni 2007. 2481 Ebd.; die Geschwister Adelheid, Julie und Emma Meyer haben mit großer Wahrscheinlichkeit die Shoah überlebt bzw. sind vor 1940 aus Deutschland oder den von deutschen Truppen besetzten Ländern ausgewandert. Sie sind weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument genannt. 2482 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2483 Personenstandsregister, S. 448. 2484 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2485 Vgl. Biogramm, S. 298. 2486 Niebur, Herr Berla. […] in: Unser Bocholt, Heft 2/2007, S. 64. 2487 Westerhoff, Ballotagen. 2488 Niebur, Herr Berla. […] in: Unser Bocholt, Heft 2/2007, S. 64. 2489 Personenstandsregister, S. 448. 2490 Ebd. 2491 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

BUCH DER ERINNERUNG | 287 Dem Ehepaar Ida und Philipp Löwenstein wurden zwei Kinder geboren: – Ernst (* 23. Juni 1900, Bocholt – 14. Juli 1916, Lohsen oder Losen2492) – Johanna Plaut (geb. Löwenstein, * 20. August 1905, Bocholt2493 – 13. Januar 1982, USA2494).

Philipp Löwenstein kaufte am 24. Juni 1905 das nachmalige Grundstück Bahnhofstraße 16 und errichtete hier ein dreistöckiges Haus2495. Am 29. Oktober 1925 starb Philipp Löwenstein im Alter von 71 Jahren2496, er wurde auf dem Friedhof der israelitischen Gemeinde Bocholt beigesetzt2497.

Nach dem gemeinschaftlichen Testament von Philipp und Ida Löwenstein vom 17. Mai 1922 ging das Haus Bahnhofstraße 16 in das Eigentum von Ida Löwenstein sowie den beiden Kindern Johanna und Paul über2498.

Am 19. Mai 1928 heiratete Tochter Johanna in Bocholt2499 den Arzt Dr. med. Otto Plaut (* 2. Januar 1893, Leipzig – 20. Dezember 1983, Canton, Stark County, Ohio/USA2500). Die Hochzeitsfeier fand im Schützenhaus an der Kaiser-Wilhelm-Straße in Bocholt statt. Johanna Plaut meldete sich am 26. Juni 1928 in Bocholt zu ihrem Mann nach Leipzig ab2501.

Ida Löwenstein musste das gegen die Juden gerichtete z.T. militante Vor gehen der Bocholter Nazis ab 1933 zwei Jahre über sich ergehen lassen. Am 21. Februar 1935 zog sie in die Nähe ihrer Tochter Johanna und ihres Schwiegersohnes Dr. Otto Plaut nach Leipzig C 12502.

„[...] Ich wurde in Bocholt, Bahnhofstraße 16, 1905 geboren, [war die] Tochter von Philipp und Ida Löwenstein (Stern & Löwenstein, Weberei, wo jetzt Siemens ist), war in Frau Koops Schule, später im Lyzeum. 1928 heiratete ich in Leipzig [sic] den Frauenarzt Dr. Otto Plaut. [...] In Bocholt, als ich jung war, war Dr. Farwick unser Arzt, Hebberling, Rechtsanwalt und viele alte Freunde. Was später geschah, kann ich heute noch nicht begreifen. Meine Mutter zog etwa 1935 nach Leipzig, um in unserer Nähe zu sein. Als wir später auswanderten, zog sie nach Holland, wo zwei ihrer Schwestern mit ihren Familien wohnten. Von dort wurde sie 1943 nach Sobibor, Polen, deportiert, später [wurde sie für] tot erklärt. [...]“ (Johanna Plaut2503)

2492 Ebd. 2493 Ebd. 2494 http://www.calzareth.com/aufbau/2007db.php?=&offset=31401. 2495 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des königlichen Amts-Gerichts Bocholt über die Grundstücke des Kaufmanns Philipp Löwenstein, Ww. und andere, [...] Blatt 230 A., Auflassungsverhandlung vom 4. Juli 1905, Seite 1. 2496 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2497 Friedhofsliste, in: Sundermann, Friedhöfe, S. 28. 2498 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, [...] Blatt 230 A, Rechtsanwalt Dr. Rudolf Franz, Notar, – Mitglied des NSRB – Leipzig, Goethestraße 1, an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt -, vom 8. Februar 1939, Seite 26. 2499 http://wc.rootsweb.ancestry.com/cgi-bin/igm.cgi?op=AHN&db=joelettinger&id=I931. 2500 Ebd. 2501 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2502 Ebd. 2503 Stadt Bocholt, Fachbereich Zentrale Verwaltung – Interne Dienste – Ordner: Jüdische Mitbürger. Johanna Plaut (geb. Loewenstein) an Oberbürgermeister Hochgartz, 29. Februar 1980.

288 | BUCH DER ERINNERUNG Ida Löwensteins Tochter Johanna und deren Mann Dr. Otto Plaut flohen Anfang 1939 in die USA2504. Sie selbst emigrierte am 6. Juni 1939 in die Niederlande2505.

Am 17. Mai 1941 teilte die Geheime Staatspolizei – Staatspolizeistelle Leipzig – dem Grundbuchamt im Amtsgericht Bocholt mit, dass das Grundstück Bahnhofstraße 16 für das Deutsche Reich sichergestellt ist.2506

Am 26. Juli 1943 wandte sich der Oberfinanzpräsi- dent Westfalen, Münster, an das Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt – und verfügte die Eintragung des Reichsfiskus als Eigentümer des Grundstückes Bahnhof- straße 16:

„Das Vermögen der Witwe Ida Sara Löwenstein [...] ist durch Verfügung des Polizeipräsidenten Leipzig vom 25. November 1941, veröffentlicht im Reichsanzeiger Nr. 279 vom 28. November 1941, zugunsten des Reichs eingezo- gen worden. [...] Der Kaufmann Paul Israel Löwenstein, zuletzt wohnhaft in Bocholt, ist am 15. Dezember 1941 [sic] in das Ausland abgeschoben worden. Er besaß die deutsche Staatsange- hörigkeit. Sein Vermögen ist gemäß § 1 der 11. Verord- nung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 dem Reich verfallen. [...] Das Vermögen der nach Amerika ausgewanderten Ehe- frau Hanna Sara Plaut, geborene Löwenstein ist gemäß § 3 der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 dem Reich verfallen. [...]“ 2507

Ida Löwenstein wohnte 1941 in der Burgemeester Gülcherlaan 43 in Hilversum2508. Vor März 1943 wurde Ida Löwenstein aus Hilversum in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork gebracht. Am 17. März 1943 deportierte man sie zusammen mit 964 Menschen jüdischen Glaubens in das Vernichtungslager 2509 Sobibor . Die Staatspolizeistelle Leipzig wies das In Sobibor wurde Ida Löwenstein an ihrem Ankunftstag, am 20. März 1943, umge- Amtsgericht Bocholt – bracht2510. Ihr Enkel Andrew G. Plaut (Lexington/Massachusetts/USA) kommentierte Grundbuchamt – am die Ermordung seiner Großmutter am 29. November 1995 in einem Page of Testimony 17. Mai 1941 an, das Ida der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, Ida Löwenstein sei „In the Camps, at the Löwenstein und deren Kindern Hanna und hands of the Nazis”2511 umgebracht worden. Paul gehörige Grund- stück Bahnhofstraße 16 sicherzustellen. 2504 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, [...] Blatt 230 A, Rechtsanwalt Dr. Rudolf Franz, Notar, – Mitglied des (Amtsgericht Bocholt, NSRB – Leipzig, Goethestraße 1, an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt -, 23. Mai 1939, S. 22 2505 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 919508. Grundbuchamt, Grund- 2506 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten […] Geheime Staatspolizei – Staatspolizeistelle Leipzig – an Amts- akten [...] über die gericht Bocholt - Grundbuchamt -, 17. Mai 1941, S. 32. Grundstücke des Kauf- 2507 Ebd., Oberfinanzpräsident Westfalen an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt -, 26. Juli 1943, Blatt 36. manns Philipp Löwen- 2508 JHM A, Joodsmonument, p. 457278. 2509 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlan- stein, Ww.- und andere, den. Lorei, Johannes, Band -, 2510 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 919508. Blatt 230 A, S. 32) 2511 Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Name. Page of testimony, 29. November 1994, Andrew G. Plaut (Neffe), Lexington (Massachusetts/USA).

BUCH DER ERINNERUNG | 289 Stiefsohn  Paul Löwenstein wurde zwischen Dezember 1941 und Spätsommer 1944 im Ghetto Riga, dessen Nebenlagern oder dem Konzentrationslager Kaiserwald umge- bracht. Seine Frau  Anna-Marie Löwenstein wurde ebenfalls dort ermordet2512.

Am 6. Mai 1955 beschloss das Wiedergutmachungsamt bei dem Landgericht Münster in einem Verfahren gegen „Das Deutsche Reich, vertreten durch die Bundesvermögensstelle Münster“ die Rückerstattung von Haus und Grundstück an die „Ehefrau Dr. Otto Ludwig Plaut, Johanna, geb. Löwenstein [...] als Alleinerbin nach Witwe Philipp Löwenstein. [...]“2513 Die Eintragung von Johanna Plaut in die Grundbuchtabelle erfolgte am 5. November 19572514. Am gleichen Tag verkaufte sie das Trümmergrundstück an einen Bocholter Kaufmann2515. Hanna Plaut starb am 13. Januar 1982 in den USA2516.

Vor dem Haus Bahnhofstraße 16, Bocholt, liegen, ebenso wie am Haus Domhof 15 in Gütersloh, Stolpersteine, die an Ida Löwenstein erinnern2517.

Julius Löwenstein

geboren am 9. Oktober 1894 in Bocholt ermordet am 16. Juli 1943 im Vernichtungslager Sobibor

Julius Löwenstein wurde am 9. Oktober 1894 als Sohn von Aron Löwenstein (* 4. Dezember 1859, Rhede – 12. April 1914, Bocholt2518) und dessen Frau  Wilhelmine (geb. Geisel, * 13. Juni 1868, Rhein- Julius Löwenstein bach – 14. August 1943, Dordrecht/Niederlande)2519 (Foto: Dr. John Gold- im Haus Feldmark Nr. 772 b (heute: Hemdener Weg) smith, Liverpool/Groß- 2520 britannien) geboren .

Er hatte noch fünf Geschwister.

Vom 21. August 1908 bis zum 18. Mai 1910 lebte Julius Löwenstein in Kleve. Dann kehrte er für mehr als ein Jahr nach Bocholt zurück2521. Vermutlich war er in Kleve und ein Jahr später in Gelsenkirchen „in der Lehre“ zum Handlungsgehilfen2522. Heute wäre das der Beruf des Groß- und Einzelhandelskaufmanns.

2512 Vgl. Biogramm S. 274. 2513 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Beschluß des Wiedergutmachungsamtes bei dem Landgericht Münster vom 6. Mai 1955, Blatt 57. 2514 Ebd., Grundbuchtabelle. 2515 Ebd. 2516 http://www.calzareth.com/aufbau/2007db.php?=&offset=31401. 2517 Vgl. S. 459 ff, http://www.guetersloh.de/Z3VldGVyc2xvaGQ0Y21zOjE4NjU0.x4s. 2518 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2519 Vgl. Biogramm S. 303. 2520 Personenstandsregister, S. 671. 2521 Stadtarchiv Kleve, 27. Januar 2011; StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2522 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

290 | BUCH DER ERINNERUNG Am 15. August 1911 meldete er sich in Gelsenkirchen, Arminstraße 3, an. In der Ein- wohnermeldekarte war als Beruf „Handelslehrling“ eingetragen2523. In seine Heimatstadt Bocholt am 14. August 1915 aus Gelsenkirchen zurückgekehrt, zog Julius Löwenstein wieder in sein Elternhaus Hemdener Weg 112524.

Nach seiner Rückkehr nach Bocholt Eintrag des Großhan- wurde er zum Kriegsdienst im Ersten dels von Julius Löwen- Weltkrieg einberufen. Am 29. Novem- stein im Bürgerbuch 1926. ber 1918, fast drei Wochen nach dem (Einwohnerbuch des Waffenstillstand vom 9. November Stadtkreises Bocholt, 1918, meldete er sich wieder in Bo- der Städte Borken und 2525 cholt an . Ab spätestens 1922 betrieb Anholt sowie der Ämter Julius Löwenstein im Haus Hemdener Weg 11 einen Baumwollwarengroßhandel2526. Gemen-Weseke, Heiden- Reken, Liedern-Werth, John Goldsmith erinnert sich daran, dass sein Onkel Julius für die Verwaltung seines Rhede-Dingden, Velen- Großhandels ein Büro in einem Haus auf dem Hemdener Weg angemietet hatte2527. Ramsdorf, Ausgabe 1926, Betzdorf 1926, Dennoch war in den Einwohnerbüchern 19262528 bis 19372529 für den Baumwollwaren- S. 212.) großhandel nur seine Wohnadresse Hemdener Weg 11 verzeichnet2530.

Aus dem ebenfalls im Einwohnerbuch abgedruckten Verzeichnis der Fernsprechan- schlüsse kann man die Nummer 2438 für den Großhandel entnehmen2531. Sein 2001 verstorbener Fahrer Josef Schülingkamp berichtete, dass er Julius Löwenstein oft zu Kunden nach Köln und Frankfurt habe fahren müssen2532. Es darf also angenommen werden, dass er mehrere Firmen, die Textilwaren anboten, im Rheinland sowie in West- falen und den Randgebieten vertrat. Nach dem Verzeichnis der jüdischen Gewerbe- betriebe in Bocholt existierte die Firma von Julius Löwenstein noch Mitte 1938 2533.

Die väterliche Firma A. Löwenstein, Weberei und Möbelfabrik, an der neben seiner Mutter  Wilhelmine auch sein Bruder Rudolf Löwenstein (* 12. April 1897, Bocholt – 1953, London/Großbritannien) beteiligt war, ging 1932 in Vergleich2534. Sie wurde Ende 1938 verkauft.

In Krefeld verlobte sich Julius Löwenstein am 11. Dezember 19332535 mit der Lehrerin  Anna Teutsch (* 21. November 1901, Venningen/Pfalz – ermordet am 16. Juli 1943, Vernichtungslager Sobibor2536). Am 18. Mai 1934 heiratete das Paar in Venningen2537.  Anna Löwenstein meldete sich am 4. Juni 1934 zu ihrem Mann Julius nach Bocholt, Hemdener Weg 11, an2538. In der

2523 Institut für Stadtgeschichte, Gelsenkirchen, 24. Januar 2011; StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2524 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2525 Ebd. 2526 Einwohnerbuch 1922, S. 132. 2527 Privatbesitz Josef Niebur. Notiz über Mitteilungen von Dr. John Goldsmith, Liverpool/GB, 28. Januar 2008. 2528 Einwohnerbuch des Stadtkreises Bocholt, der Städte Borken und Anholt sowie der Ämter Gemen-Weseke, Hei- den-Reken, Liedern-Werth, Rhede-Dingden, Velen-Ramsdorf, Ausgabe 1926, Betzdorf 1926, S. 212. 2529 Einwohnerbuch für die Stadt Bocholt, im Anhang Kreis Borken, Ausgabe 1937, Hösel 1937, S. 42. 2530 Ebd. 2531 Ebd., S. 231. 2532 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Josef Schülingkamp (1902–1986), dem Fahrer von Julius Löwenstein, Bocholt, im Beisein seiner Frau Maria, geführt von Josef Niebur und Heinrich Böing am 23. Mai 1984. 2533 StdA B, 57 K 102 - ohne Titel -. Verzeichnis der jüdischen Gewerbebetriebe in Bocholt. 2534 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten, Band 11, Blatt 19, Beschluß des Amtsgerichts Bocholt vom 9. Dezember 1932, S. 73. 2535 Compact-Memory, Central Verein-Zeitung Heft 43, 9. November 1933, Seite 11. 2536 Vgl. Biogramm, S. 271. 2537 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2538 Ebd.

BUCH DER ERINNERUNG | 291 Ehe wurden zwei Kinder geboren:  Arnold (* 6. März 1935, Bocholt – ermordet am 16. Juli 1943, Vernichtungslager Sobibor2539)  Franz Heinrich (* 6. April 1938, Bocholt – ermordet am 16. Juli 1943, Vernich tungs- lager Sobibor2540).

Julius Löwenstein brauchte zur Weiterführung seines Handels ab Sommer 1938 eine Gewerbelegitimationskarte, die er auch beantragte. Am 10. September 1938 zog er seinen Antrag auf Erteilung einer Gewerbelegitimationskarte zurück, – wie vermerkt wurde – „weil er sein Bocholter Geschäft doch nicht weiter führen kann und die Sache damit aussichtslos ist.“ Dies geschah, obwohl die Grenzdienststelle Bocholt der Staatspolizeistelle Münster eine positive Stellungnahme zu Löwensteins Antrag gab2541.

Trotzdem war Julius Löwenstein auch danach noch geschäftlich tätig. So erinnert sich sein Fahrer Josef Schülingkamp, dass er ihn noch am 9. November 1938, dem Tag vor der Pogromnacht, zu einem Geschäftstermin nach Köln gefahren hat: „Mein Chef war zuversichtlich, daß es trotz des Attentats [auf Ernst vom Rath, einen Beamten der deutschen Botschaft in Paris,] auch weiterhin unbehelligt jüdisches Leben in Deutsch- land geben werde.“2542 In der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 überfielen Bocholter SA- und SS- Männer das Löwensteinsche Haus, drangsalierten die Bewohner und zerstörten die Inneneinrichtung. „Dann fuhr ich am anderen Morgen zum Löwensteinschen Haus am Hemdener Weg. Das Bild, das sich mir dort bot, war kaum zu beschreiben. Bereits an der Haustür kam mir Wasser entgegen: Man hatte einige Heizungsrohre zerstört und das Wasser hatte sich in die ganze Wohnung ergossen. Alle Zimmer waren leer, in einigen lagen kniehoch die Reste der Einrichtung und Schränke. In den Schlafzimmern wirbelten die Daunenfedern. Im Obergeschoß fand ich Minna Löwenstein, die Mutter meines Chefs. Sie war verstört und zu keiner Regung fähig. In ihren Augen standen noch die Schrecken der letzten Nacht. Meine Frau machte Frühstück für Frau Löwenstein, und ich brachte es zum Hemdener Weg. Ich schämte mich, daß man meinem Chef, der mir während vieler Jahre geholfen hatte, wirtschaftlich schlimme Zeiten zu überstehen, so übel mitgespielt hatte.“ (Josef Schülingkamp2543)

Julius Löwenstein gestattete der israelitischen Gemeinde Bocholt, in seinem Haus zum Gottesdienst zusammenzukommen. Die Inneneinrichtung der Synagoge war in der Pogromnacht zerstört worden, so dass dort keine Gottesdienste mehr gehalten werden konnten2544. Levy Nußbaum schrieb am 15. Mai 1939 u. a. an seinen Sohn Kurt in den USA: „Julius Löw[enstein] ist mit seiner Familie noch in Bocholt, hat aber ein Permit[2545] für England“2546.

2539 Vgl. Biogramm, S. 276. 2540 Vgl. Biogramm, S. 281. 2541 StdA B, 57 K 101 ohne Titel -, hs. Vermerk der Stadtverwaltung vom 10. September 1938. 2542 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Josef Schülingkamp (1902–1986), dem Fahrer von Julius Löwenstein, Burggrafenstr. 4, Bocholt, im Beisein seiner Frau Maria, geführt von Josef Niebur und Heinrich Böing in seinem Haus Dinxperloer Str. 36, am 23. Mai 1984. 2543 Ebd. 2544 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit N.N. (geb. 1926) am 11. November 1983, geführt von Josef Niebur. 2545 Engl.: Einreisegenehmigung. 2546 StdA B, 61 K 251 ohne Aktentitel -, Levy Nußbaum an einen Verwandten in den USA, 15. Mai 1939.

292 | BUCH DER ERINNERUNG Julius und  Anna Löwenstein verließen mit ihren Kindern  Arnold und  Franz Heinrich am 27. November 19392547 Bocholt und flohen ausweislich des Eintrags in der Einwohnermeldekarte nach Oostzaan in die Niederlande2548.

Josef Schülingkamp erinnerte sich: „Ich brachte Julius Löwenstein und seine Familie bis an die Grenze hinter Barlo. Es war ein sehr nebliger Tag, als ich meinen Chef zum letzten Mal sah.“ 2549

Trotz der Einreisegenehmigung nach Großbritannien gelang es Julius Löwenstein mit seiner Familie nicht, dorthin zu entkommen.

Am 2. Dezember 1939 wurde im Vertrag über den Verkauf des Hauses Hemdener Weg 11 in Bocholt als Anschrift von Julius, sicher mit seiner Frau  Anna und seinen Kindern sowie seiner Mutter  Wilhelmine Löwenstein, die Quinten-Masseystraat 5 in Amsterdam-Zuid genannt2550.

Am 7. August 1940 wurde die Familie Julius Löwenstein – Julius und  Anna Löwenstein sowie ihre Kinder  Arnold und  Franz-Heinrich – „Aufgrund des § 2 des Gesetzes über Widerruf von Einbürgerungen u. Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit v. 14. 7. 1933 ab 7. 8. 1940 der deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig erklärt.“ 2551

Dies hatte weitreichende Folgen, da sie nunmehr in den Niederlanden als „staatenlos“ galten und damit, über ihren minderen rechtlichen Status als „Juden“ hinaus, rechtlos waren. Auf der Einwohnermeldekarteikarte der Familie ist für den 15. Juli 1940 ein weiterer Verzug nach Oostzaan vermerkt2552.

Im Februar 1941 wohnten Julius Löwenstein und seine Familie im 2. Stock des Hauses Achillesstraat 120 in Amsterdam, wo außer ihnen eine weitere Familie und eine Einzel- person lebten2553.

Aus Amsterdam wurde Julius Löwenstein mit seiner Familie am 13. Januar 1943 in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork gebracht. Am 13. Juli 1943 erfolgte ihre Deportation mit 1987 anderen in das Vernichtungslager Sobibor2554.

Julius Löwenstein wurde wahrscheinlich mit seiner Frau  Anna und ihren Kindern  Arnold und  Franz Heinrich unmittelbar nach Ankunft des Zuges am 16. Juli 1943 im Vernichtungslager Sobibor umgebracht2555.

Vor dem Haus Hemdener Weg 11 liegen seit dem 27. Januar 2008 Stolpersteine, einer davon erinnert an Julius Löwenstein 2556.

2547 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2548 Joodse vluchtelingen in Oostzaan, p. 11. 2549 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Josef Schülingkamp (1902–1986) […] am 23. Mai 2005. 2550 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amts-Gerichtes Bocholt Band 111, Seite 19 […], Vertrag vom 2. Dezember 1939, Blatt 20–22). 2551 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2552 Ebd. An diesem Tag befand sich die Familie jedoch bereits in den Niederlanden, da ihnen dort – wie der Einwoh- nermeldekarte zu entnehmen ist – am 7. März 1940 die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt wurde. 2553 JHM A, Joodsmonument, p. 535051. 2554 Amtsgericht Bocholt, Abt. 5. Toderklärungsakte Löwenstein, Julius und Anna 5 II 145-148/49, Beschluß des Amts gerichtes Bocholt vom 12. Dezember 1949, Blatt 12; Bundesarchiv, Gedenkbuch, Onlineversion, Depor- tationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlanden. 2555 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 919620. 2556 Vgl. S. 459 ff.

BUCH DER ERINNERUNG | 293 Luise Löwenstein geborene Blüth geboren am 12. August 1861 in Schmalkalden ermordet am 7. September 1942 im Ghetto eresienstadt

Luise Blüth wurde am 12. August 1861 in Schmalkalden im heutigen Kreis Schmalkalden -Meiningen in üringen als Tochter von Jakob Blüth und seiner Frau Karoline (geb. Frank) geboren2557. Sie verzog später zu ihrem Mann Josef Löwenstein (* 21. Januar 1856, Nesselröden – 21. Januar 1916, Eisenach) nach Eisenach2558. Luise Blüth heiratete ihn am 14. Oktober 1881 in Schmalkalden2559.

Dem Ehepaar wurden folgende Kinder geboren: – Renate Frank (geb. Löwenstein, * 22. März 1886, Eisenach – 24. März 1936, Marburg2560) – Walter (* 9. August 1887, Eisenach – 1964, Hamburg2561) – Paul (* 10. Mai 1891, Eisenach – 24. März 1954, Montevideo/Uruguay2562) – Levi, genannt Ernst (* 19. November 1893, Eisenach – 22. Januar 1894, Eisenach2563)  Martha Löwenstein (geb. Löwenstein, * 6. Juni 1896, Eisenach – ermordet Anfang Februar 1942, Ghetto Riga2564).

Luise Löwenstein zog am 11. Dezember 1940 aus Essen2565 zu ihrer Tochter  Martha und ihrem Schwiegersohn  Bertold Löwenstein (* 2. März 1882, Bocholt – ermordet Anfang Februar 1942, Ghetto Riga2566), die damals schon im sog. Judenhaus Bahnhof- straße 16 wohnten2567.

„Der Zuzug unserer Großmutter nach Bocholt“, so erinnerte sich Enkelin Greta Meier, die bereits am 5. August 1939 mit einem Kindertransport nach England gekommen war, „war für unsere Eltern ein Grund, nicht an Auswanderung zu denken.“2568

Am 10. Dezember 1941 wurden die Tochter von Luise Löwenstein,  Martha, und deren Mann  Bertold Löwenstein mit 23 weiteren Bocholterinnen und Bocholtern jüdischen Glaubens auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei aus Bocholt nach Münster gebracht. Drei Tage später wurden sie in das Ghetto Riga deportiert. Dort kam der Zug am Abend des 15. Dezember 1941 an2569.

2557 Památník Terezin, Terezin an Hermann Oechtering, Bocholt, 29. August 2011, Ghetto eresienstadt, Todesfall- anzeige vom 7. September 1942. 2558 Stadtarchiv Eisenach, 14. September 2009. 2559 Památník Terezin, Terezin an Hermann Oechtering, Bocholt, 29. August 2011, Ghetto eresienstadt, Todesfall- anzeige vom 7. September 1942. 2560 Stadtarchiv Eisenach, 14. September 2009. 2561 Ebd. 2562 Ebd. 2563 Ebd. 2564 Vgl. Biogramm S. 296. 2565 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; Greta Meier schreibt in ihrem Bericht Können Sie mich verurteilen, weil ich nichts mehr mit Deutschland und Bocholt zu tun haben möchte? , vgl. S. 478, dass ihre Groß- mutter Luise Löwenstein am 11. November 1940 aus Eisenach nach Bocholt zugezogen ist. 2566 Vgl. Biogramm S. 277. 2567 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2568 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Greta Meier (geb. Löwenstein, * 1924) und Ilse Lebach (geb. Löwenstein, * 1927) am 3. Mai 1993 in Bocholt, geführt von Manfred Dammeier und Josef Niebur. 2569 Vgl. S. 110.

294 | BUCH DER ERINNERUNG Nach der Deportation vom 10. Dezember 1941 konnte man in der Stadt die hämische Bemerkung hören: „Jetzt kriegen sie die Juden an die Arbeit!“2570. Damals lebten noch zwölf Bocholterinnen und Bocholter jüdischen Glaubens in der Stadt, unter ihnen Luise Löwenstein.

Luise Löwenstein musste am 31. Dezember 1941 vom sog. Judenhaus Bahnhofstraße 16 in die Stiftstraße 32 umziehen2571. Paula-Maria Ebbert, die frühere Schulfreundin ihrer Enkelin Greta am Lyzeum, weiß zu berichten, dass eine ihrer Schulkameradinnen von deren Eltern samstags zu Frau Löwenstein in die Stiftstraße geschickt wurde, um der inzwischen 80 Jahre alten Frau beim Baden zu helfen2572.

Aus dem sog. Judenhaus Stiftstraße 32 zog Luise Löwenstein am 25. Februar 1942 zusammen mit  Hermann Cohen,  Meyer Landau,  Sophia und  Emanuel Mühl- felder sowie  Marianne Roth in das Haus Schwartzstraße 142573. Dieses Haus war seit dem 13. November 1940 Eigentum der katholischen Frau von Albert Löwenstein (* 9. Dezember 1876, Rietberg – 3. Mai 1960, Düsseldorf), Angelika (geb. Knappertsbusch, * 6. März 1877, Wieden (heute: Wülfrath) – 26. August 1960, Düsseldorf), und war dennoch faktisch das letzte sog. Judenhaus in Bocholt.

Eintrag in der Kriegschronik, 27. Juli 1942: „Gegen 22.30 Uhr wurden die nachstehend aufgeführten Juden, die in der Schwartzstraße Nr. 14 wohnten, von einem Beamten der Geheimen Staatspolizei aus Münster mit einem großen Möbelauto abgeholt und zunächst nach Münster gebracht. Angeblich sollen sie nach Böhmen evakuiert werden: [...] 3. Witwe Luise Sara Löwenstein, geborene Blüth, geboren 12.8.1861 in Schmalkalden, [...].“2574

Auf der Einwohnermeldekarte von Luise Löwenstein ist, wie von der Staatspolizei- leitstelle Münster in ihrem Schreiben vom 18. Juli 1942 an die Meldeämter ihres Bezirks gefordert, als letzter Eintrag vermerkt: „Am 27.7.42 nach unbekannt verzogen (ausgewandert).“2575

In Münster waren sie und die vor allem älteren Menschen im Saal der Gaststätte Ger- trudenhof untergebracht. Von Münster aus, wo der Zug mit der Transportnummer XI/I-714 am 29. Juli 1942 abfuhr, kam dieser Transport von 901 Menschen jüdischen Glaubens2576 am 1. August 1942 im Ghetto eresienstadt an2577. Luise Löwenstein lebte dort im Gebäude A II im Zimmer M.Z. 72578.

In der offiziösen Todesfallanzeige wurde durch den Lagerarzt Dr. Josef Weil vermerkt, dass sie am 7. September 1942 um 17.50 Uhr an einer akuten Darmentzündung verstorben sein soll2579.

2570 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Frau K., * 1926, wohnte bis 1942 Rosenstiege 2, am 7. Januar 1994, geführt von Josef Niebur und Werner Sundermann. 2571 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2572 Privatbesitz Josef Niebur. Vermerk über ein Gespräch mit Paula-Maria Ebbert, Bocholt, am 26. August 1993 in Marienbaum. 2573 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2574 Kriegschronik, S. 211. 2575 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2576 eresienstädter Gedenkbuch, S. 77. 2577 Ebd. S. 567. 2578 Památník Terezin, Terezin, an Hermann Oechtering, Bocholt, 29. August 2011, Ghetto eresienstadt, Todesfall- anzeige vom 7. September 1942. 2579 Ebd., als Grunderkrankung wurde bei ihr Altersschwäche diagnostiziert.

BUCH DER ERINNERUNG | 295 Luise Löwenstein erlag jedoch eher den menschenunwürdigen Lebensumständen im Ghetto.

Ihre Tochter  Martha und ihr Schwiegersohn  Bertold Löwenstein waren schon Anfang Februar 1942 beim Ghetto Riga ermordet worden.

Auf der Gedenktafel für die unmittelbar aus Bocholt 1941/42 deportierten Menschen jüdischen Glaubens in der Gedenkstätte für die ehemalige Bocholter Synagoge sind auch die Namen von Luise,  Martha und  Bertold Löwenstein verzeichnet2580.

Vor dem Haus Schwartzstraße 14 liegt ein Stolperstein, der an Luise Löwenstein erinnert2581.

Martha Löwenstein geb. Löwenstein

geboren am 6. Juni 1896 in Eisenach ermordet Anfang Februar 1942 beim Ghetto Riga

Martha Löwenstein wurde am 6. Juni 1896 als jüngstes der fünf Kinder2582 von Josef (* 21. Januar 1856, Nesselröden – 21. Januar 1916, Eisenach2583) und  Luise Löwenstein Martha Löwenstein (geb. Blüth, * 12. August 1861, Schmalkalden – ermordet am 7. September 1942, Ghetto (Mike Hines, Balti- 2584 2585 more/USA) eresienstadt ) in Eisenach geboren . Am 4. Januar 1920 heiratete sie in Eisenach  Bertold Löwenstein (* 2. März 1882, Bocholt – ermordet Anfang 1942 beim Ghetto Riga2586) und zog in das Haus Oster- straße 50 in Bocholt zu2587. Martha Löwenstein wurde Mutter von drei Kindern: – Hans Lawson (früher Löwenstein, *19212588, lebt heute als Jack Lawson in den USA2589) – Gretel Meier (geb. Löwenstein,* 19242590, lebt heute als Greta Meier in den USA2591) – Ilse Lebach (geb. Löwenstein, * 19272592, lebt heute als Ilse Lebach in den USA2593).

2580 Vgl. S. 113. 2581 Vgl. S. 459 ff. 2582 Stadt Eisenach, 14. September 2009. 2583 Ebd. 2584 Vgl. Biogramm S. 294. 2585 Amtsgericht Bocholt, Abt. 4, Toderklärungsakte Löwenstein, Bertold und Martha, 25 u. 25/49, Blatt 15. Geburts- urkunde der Stadt Eisenach vom 28. Mai 1948. 2586 Vgl. Biogramm S. 277. 2587 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962, danach soll Martha Löwenstein am 14. Januar 1920 in das Haus Nordstraße 16 zugezogen sein, für ihren Mann Bertold ist 1920 kein Zuzug dort angegeben. Dies kann jedoch nicht sein, da das Ehepaar zumindest noch am 23. November 1933 im Haus Osterstraße 50 (Amtsge- richt Bocholt, Grundakten […] über die Grundstücke des Kaufmanns Samuel B. Löwenstein zu Bocholt, Band 82, Blatt 10, Abtretung der verzinslichen Grundschuld über 20.000 Goldmark an die Stadtsparkasse Bocholt vom 23. November 1933, S. 12.) lebte. 2588 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2589 Stadt Bocholt, Allgemeine Verwaltung; Partnerschaften. Ordner: Jüdische Mitbürger 1. Verzeichnis der jüdischen Mitbürger. 2590 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2591 Stadt Bocholt, Allgemeine Verwaltung; Partnerschaften. Ordner: Jüdische Mitbürger 1. Verzeichnis der jüdischen Mitbürger. 2592 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2593 Stadt Bocholt, Allgemeine Verwaltung; Partnerschaften. Ordner: Jüdische Mitbürger 1. Verzeichnis der jüdischen Mitbürger.

296 | BUCH DER ERINNERUNG „Frau Löwenstein war eine kleine, schlanke Frau. Ihr Mann war sehr stark beschäftigt, wir sahen ihn wenig zu Hause. Der Eingang ihrer Wohnung war von der Südmauer. Wer dort schellte und um Hilfe bat, bekam sie. Mutter hat viel Gutes von Löwenstein gehabt. So bekam sie Sachen aus dem Geschäft.“ (Maria Wolsing 2594)

Nach den erschreckenden Erfahrungen der Verfolgung durch die Nationalsozialisten, insbesondere in der Pogromnacht 1938, versuchten Martha und  Bertold Löwenstein, ihre Kinder außerhalb Deutschlands in Sicherheit zu bringen: – am 1. Mai 1939 reiste Sohn Hans nach Großbritannien aus2595 – am 7. Juli 1939 reisten die Töchter Gretel und Ilse mit einem Kindertransport eben- falls nach Großbritanien2596.

„Am 7. Juli 1939 wurden Grete und ich von Vater zum Bahnhof nach Emmerich ge- bracht. Dort bestiegen wir einen Zug, der uns mit den anderen Kindern zum Hafen nach Hoek van Holland brachte. Von dort aus gelangten wir mit dem Schiff nach Eng- land. In Emmerich sahen wir Vater zum letzten Mal.“ (Ilse Lebach2597)

Nach den Richtlinien über die Führung der Vornamen vom 18. August 19382598 wurden auf der Einwohnermeldekarte der Familie Löwenstein dem Vornamen von Martha der Zusatz „Sara“ und dem von  Bertold der Zusatzname „Israel“ hinzugefügt2599.

„Ich habe Frau Löwenstein, die Mutter meiner früheren Spielgefährtinnen Grete und Ilse, etwa 1939 noch einige Male auf der Neustraße/Kaiser-Wilhelm-Straße in Höhe der Deutschen Bank gesehen. Bei den ersten Malen hat Frau Löwenstein meinen Gruß erwidert, später grüßte sie – wohl um mir Schwierigkeiten zu ersparen – nicht mehr zurück.“ (Klara Lehmbrock2600)

Am 5. August 1939 mussten Martha Löwenstein und ihr Mann  Bertold aus ihrer späteren Wohnung in der Nordstraße 16 in das sog. Judenhaus Bahnhofstraße 16 ziehen2601.

„Meine Mutter Antonia Brüning brachte unseren früheren Nachbarn Martha und Bertold Löwenstein bis unmittelbar vor ihrer Deportation im Schutz der Dunkelheit Leben smittel in das Haus in der Bahnhofstraße. Dies war nicht ungefährlich. Wenn mein Vater ihr aus Angst, sie könne erwischt werden, Vorhaltungen machen wollte, schob sie ihn beiseite und ging trotzdem.“ (Maria Wolsing2602)

2594 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Maria Wolsing (geb. Brüning, 1920 – 2004), geführt durch Josef Niebur und Werner Sundermann am 8. Dezember 1994. 2595 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2596 Ebd. 2597 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Ilse Lebach (geb. Löwenstein, * 1927, Bocholt) und Greta Meier (geb. Löwenstein, * 1924, Bocholt), heute in Baltimore/USA lebend, Töchter von Martha und Bertold Löwenstein, Osterstraße 50, am 6. Mai 1992 in Bocholt, geführt von Manfred Dammeier und Josef Niebur. 2598 Ministerial-Blatt des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Inneren, Nummer 35 vom 24. August 1938. Runderlaß des Reichsminister des Inneren vom 18. August 1938 (I d 42 X/38-5501 b), Richtlinien über die Füh- rung der Vornamen von 1938. 2599 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2600 Ebd., Niederschrift über ein Interview mit Klara Lehmbrock (1923 – 2010) am 10. August/1. Dezember 1994, geführt von Josef Niebur und Werner Sundermann. 2601 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2602 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Maria Wolsing (geb. Brüning, 1920 – 2004), Bo- cholt, am 8. Dezember 1994, geführt von Josef Niebur und Werner Sundermann.

BUCH DER ERINNERUNG | 297 Martha und  Bertold Löwenstein wurden am 10. Dezember 1941 in einem von der Geheimen Staatspolizei gestellten Bus zusammen mit 23 weiteren Menschen jüdischen Glaubens von Bocholt nach Münster in das Sammellager in der Gaststätte Gertruden- hof gebracht. Am 13. Dezember 1941 wurden sie in das Ghetto Riga deportiert2603.

„Wir wurden am 10. Dezember 1941 nach Riga deportiert, einschließlich Berthold [sic] Löwenstein und Frau. Nach kurzem Zusammensein wurden wir getrennt, da Familie Löwenstein auf Transport ging, wo sie beide umgekommen sind. Auch ich habe bei den damaligen Machthabern meine ganzen Angehörigen verloren.“ (Meta Metzger2604)

Wahrscheinlich wurden Martha und  Bertold Löwenstein Anfang Februar 1942 im Hochwald bei Riga, dem Wald von Biķernieki, ermordet. Am 24. September 1949 wur- den Martha und  Bertold Löwenstein durch Beschluss des Amtsgerichts Bocholt mit dem Zeitpunkt „8. Mai 1945, 24 Uhr“ für tot erklärt2605.

Vor dem Geschäftshaus Osterstraße 50 liegen im Straßenpflaster Stolpersteine für  Bertold und Martha Löwenstein2606.

Die Namen von  Bertold und Martha Löwenstein sind auf der Gedenktafel in der Gedenkstätte für die ehemalige Bocholter Synagoge verzeichnet2607.

Paul Löwenstein2608 geboren am 11. September 1890 in Bocholt ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor Juli 1944 im Ghetto Riga/Konzentrations- lager Kaiserwald2609

Paul Löwenstein wurde am 11. September 1890 als Sohn des Fabrikanten Philipp Löwen stein (* 21. April 1854, Obermöllrich – 29. Oktober 1925, Bocholt2610) und des- sen Frau Nathalie (geb. Bernthal, * 15. Februar 1858, Homburg2611 – 4. November 1895, Bocholt2612) im Haus Feldmark Nr. 2774 (heute: Bahnhofstraße 16) geboren2613.

2603 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 919748. 2604 Amtsgericht Bocholt, Abteilung 4, Toderklärungsakte Bertold und Martha Löwenstein, Az.: 4 II 24-25/49 Blatt 35. Eidesstattliche Erklärung von Meta Metzger, Buenos Aires, vom 11. September 1949. 2605 Ebd., Beschluß des Amtsgerichtes Bocholt vom 24. September 1949. 2606 Vgl. S. 459 ff. 2607 Vgl. S. 133. 2608 Die Schreibweise des Nachnamens ist bei Annemarie, Ida und Paul Löwenstein nicht gesichert. Während auf der Einwohnermeldekartei eindeutig Löwenstein geschrieben wird, heißt die Firma des Vaters Stern & Loewenstein. Ebenso wird von der Geheimen Staatspolizei – Staatspolizeistelle Leipzig – z. B. am 17. Mai 1941 Loewenstein geschrieben. 2609 In der genealogischen US-Datenbank Ancestry wird ohne Verweis auf eine Fundstelle für diese Behauptung ange- geben, dass Paul Löwenstein 1943 in Lettland ermordet wurde (Death: 1943 Latvia). 2610 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2611 Personenstandsregister, S. 448. 2612 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 26. 2613 Personenstandsregister, S. 448

298 | BUCH DER ERINNERUNG Paul Löwenstein hatte noch einen Bruder: – Dr. jur. Richard (* 6. November 1887, Bocholt – 18. Mai 1915 Chur/Schweiz2614).

Sein Vater Philipp Löwenstein war 1883 Mitgründer der Firma Stern & Loewenstein – mechanische Baumwollweberei, Rauherei, Bleicherei, Färberei und Appretur2615 und einer ihrer Gesellschafter.

Briefkopf der väterlichen Firma Stern & Loewen- stein. (Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt …, Blatt 230a)

Paul Löwensteins Mutter Nathalie starb am 4. November 18952616 in Bocholt.

Zwischen 1898 und 1899 kam  Ida Löwenstein, geb. Meyer (* 8. November 1868, Bielefeld – ermordet am 20. März 1943, Vernichtungslager Sobibor2617) nach Bocholt. Sie hatte den Fabrikanten Philipp Löwenstein geheiratet.

Dem Ehepaar  Ida und Philipp Löwenstein wurden zwei Kinder geboren: – Ernst (* 23. Juni 1900, Bocholt – 14. Juli 1916, Lohsen oder Losen2618) – Johanna Plaut (geb. Löwenstein, * 20. August 1905, Bocholt2619 – 13. Januar 1982, USA2620).

Von einem längeren Aufenthalt in Köln, wohin er sich am 28. November 1907 abmeldete, kehrte Paul Löwenstein am 11. September 1909 nach Bocholt, Bahnhofstraße 16, zurück2621. Paul Löwenstein trat dem St. Georgius-Schützenverein in Bocholt am 1. August 1909 bei2622.

Am 30. September 1909 meldete er sich nach „Amerika“ ab, am 21. Juni 1910 kam er in die Bahnhofstraße 16 nach Bocholt zurück2623. Am gleichen Tag zog er nach Essen, von wo er am 1. November 1911 zurückkehrte2624. Zur „Truppe“, also in den Ersten Welt- krieg, wurde er am 2. Oktober 1915 einberufen, von wo er am 1. Dezember 1918 nach Bocholt zurückkam2625.

Am 14. Juli 1921 heiratete Paul Löwenstein  Anna-Marie (geb. Friedrichs, * 29. Okto- ber 1898, Breslau – ermordet am 20. Dezember 1944, Konzentrationslager Stutthof2626).

2614 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2615 In der Grundakte Bocholt Blatt 301 (Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt) ist die Firma als Stern & Loewenstein verzeichnet. So auch im Briefkopf der Nachfolgefirma Westdeutsche Feinweberei vormals Stern & Loewenstein vom 9. Mai 1937. 2616 Personenstandsregister, S. 448 2617 Vgl. Biogramm, S. 287. 2618 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2619 Ebd. 2620 http://www.calzareth.com/aufbau/2007db.php?=&offset=31401. 2621 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2622 Westerhoff, Ballotagen. 2623 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2624 Ebd. 2625 Ebd. 2626 Vgl. Biogramm, S. 274.

BUCH DER ERINNERUNG | 299 Das kinderlos bleibende Ehepaar wohnte zunächst im Haus Nordallee 28, wohin Paul Löwenstein sich am 27. Juli 1921 ummeldete2627. Als sein Beruf wurde im Einwohner- buch 1926 „kaufmännischer Angestellter“ angegeben2628.

Nach dem Tod des Vaters Philipp Löwenstein am 29. Oktober 1925 traten neben seiner Stiefmutter  Ida Löwenstein auch Paul und seine Stiefschwester Hanna mit ihrem Mann Dr. med. Otto Plaut als Gesellschafter in die Firma Stern & Loewenstein ein2629. Am 2. Januar 1930 zogen Paul und  Anna-Marie Löwenstein zur Neustraße 232630.

Die Firma Stern & Loewenstein wurde am 7. Februar 1932 durch den „Gesellschafter- vertrag zwischen den Gesellschaftern: Frau Witwe Ida Löwenstein, Herr Leo Stern, Herr Dr. Max Stern, Herr Paul Loewenstein, sämtlich in Bocholt [und den] Eheleute[n] Dr. Otto Plaut und Hanna, geb. Loewenstein aus Leipzig“ aufgelöst2631.

Nachdem seine Stiefmutter  Ida Löwenstein am 21. Februar 19352632 zu seiner Stief- schwester Hanna Plaut nach Leipzig gezogen war, zog Paul Löwenstein zusammen mit seiner Frau  Anna-Marie am 2. März 1935 in sein Elternhaus Bahnhofstraße 162633.

Am 3. April 1936 wurden Grundstück und Gebäude der insolventen Firma Stern & Loewenstein an die Firma Westdeutsche Feinweberei Aktiengesellschaft verkauft2634.

Um 1937 wohnte Trude Euler, die Tochter von  Amalia und  Leopold Markus, nach dem Eintrag in dem „Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden” im Haus Bahnhofstraße 162635.

Am 8. Februar 1939 vermachte  Ida Löwenstein das Haus Bahnhofstraße 16 zu gleichen Teilen ihrer damals schon in die USA geflohenen Tochter Hanna und ihrem Stiefsohn Paul Löwenstein2636.

Unter dem 16. Januar 1939 ist im Geburtenregister des Standesamtes Bocholt für Paul Löwenstein vermerkt: „Das nebenbezeichnete Kind hat zusätzlich den Vornamen ‚Israel’ angenommen.“ Dieser beigegebenene Vorname wurde am 8. Juli 1948 wieder gelöscht2637.

2627 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2628 Einwohnerbuch 1926, S. 177. 2629 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke der offenen Handelsgesellschaft in Firma Stern & Loewenstein zu Bocholt, [...] Band -, Blatt 301, Gesellschaftervertrag vom 7. Februar 1932, S. 99–101. 2630 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2631 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke der offenen Handelsgesellschaft in Firma Stern & Loewenstein zu Bocholt, [...] Band -, Blatt 301, Gesellschaftervertrag vom 7. Februar 1932, Blatt 99–101. 2632 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2633 Ebd. 2634 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke der offenen Handelsgesellschaft in Firma Stern & Loewenstein zu Bocholt, der Westdeutschen Feinweberei Akt.-Ges. vorm. Stern & Löwenstein, Band -, Blatt 301, Vertrag vom 3. April 1936, Blatt 111–112. 2635 StdA B, 57 K 102 – ohne Titel -. In dem Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden ist Euler, geb. Markus, Trude mit der Anschrift Bahnhofstraße 16 aufgeführt. Das Verzeichnis berücksichtigt die Zuzüge bis 1941. 2636 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke des Kauf- manns Philipp Löwenstein, Ww.- und andere, […], Band -, Blatt 230 A, Rechtsanwalt Dr. Rudolf Franz, Notar, – Mitglied des NSRB – Leipzig, Goethestraße 1, an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt -, vom 8. Februar 1939, Seite 18. 2637 Stadtarchiv Bocholt, 6. April 2011.

300 | BUCH DER ERINNERUNG Auf der Einwohnermeldekarteikarte von  Anna-Marie und Paul Löwenstein ist jedoch keine Namensergänzung „Sara“ bzw. „Israel“ nach dem Namensänderungsgesetz vom 5. August 1938 eingetragen worden2638.

Nach dem Gesetz über die Mietverhältnisse von Juden vom 30. April 1939 wurden Juden ihrer bisherigen Wohnungen verwiesen und in Häusern jüdischer Eigentümer zusammengefasst. Das Haus Bahnhofstraße 16 war eines von vier sog. Judenhäusern in Bocholt.

Hier mussten nun einziehen:  Martha und  Bertold Löwenstein am 5. August 1939,  Amalie und  Leopold Markus am 18. September 1940,  Luise Löwenstein am 11. Dezember 1940,  Rahel und  Adolf Blumenthal am 29. September 1941,  Marianne Roth am 29. September 1941,  Edith und  Manfred Zytnik am 5. Dezember 19412639.

Am 10. Dezember 1941 wurden Paul und seine Frau  Anna-Marie Löwenstein zusammen mit den anderen zehn zwangsweise eingewiesenen jüdischen Bewohnern und weiteren 13 Bocholterinnen und Bocholtern nach Münster in das Sammellager Gertrudenhof gebracht. In der Einwohnermeldekartei wurde danach eingetragen „10.12.41 n. Riga/Lettland“. Aufgrund des Schreibens der Staatspolizeileitstelle Münster vom 18. Juli 1942 an die Meldeämter wurde der Teil „n. Riga/Lettland“ des Vermerks geschwärzt und durch den Eintrag „unbekannt verzogen (ausgewandert)“ ersetzt2640.

Aus Münster deportierte man am 13. Dezember 1941 403 Juden, unter ihnen Paul und seine Frau  Anna-Marie Löwenstein, in das Ghetto Riga, wo sie am 15. Dezember 1941 ankamen2641. Es gab kein Lebenszeichen von Paul Löwenstein aus Riga bzw. dem Konzentrationslager Kaiserwald2642. Dort wurde auch seine Frau  Anna-Marie Löwenstein ermordet2643.

Am 26. Juli 1943 wurde das Haus, das ihm, seiner Stiefmutter  Ida Löwenstein sowie seiner Stiefschwester Hanna Plaut und deren Mann Dr. Otto Plaut, die sich in den USA befanden, gehörte, durch den Oberfinanzpräsidenten Westfalen beschlagnahmt. Der Oberfinanzpräsident verfügte an diesem Tag: „Der Kaufmann Paul Israel Löwenstein [sic], zuletzt wohnhaft in Bocholt, [ist] am 15. Dezember 1941 in das Ausland abge- schoben worden. [...] Sein Vermögen ist gemäß § 1 der 11. Verordnung zum Reichs- bürgergesetz vom 25. November 1941 dem Reich verfallen.“2644

Vor dem Haus Bahnhofstraße 16 liegen Stolpersteine, die an Paul und  Anna-Marie Löwenstein erinnern2645.

Auf der Gedenktafel für die unmittelbar aus Bocholt 1941/42 deportierten 34 Men- schen jüdischen Glaubens in der Gedenkstätte für die ehemalige Bocholter Synagoge sind auch die Namen von Paul und  Anna-Marie Löwenstein verzeichnet2646.

2638 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2639 Ebd. 2640 Ebd. 2641 Vgl. S. 110. 2642 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 919796. 2643 Ebd., Nr. 919204. 2644 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, [...] Grundakte Nr. 230 A, Blatt 36, Oberfinanzpräsident Westfalen an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt –, Gesch.-Nr. 0 5205/253/S, Betrifft: Umschreibung von Judengrund- stücken vom 26. Juli 1943, Blatt 36. 2645 Vgl. S. 459 ff. 2646 Vgl. S. 133.

BUCH DER ERINNERUNG | 301 Rosa Löwenstein geborene Weyl

geboren am 25. August 1877 in Haltern ermordet nach dem 23. Januar 1942 im Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald

Rosa Weyl wurde am 25. August 1877 in Bocholt, Feldmark 276 (heute: Bahnhofstraße), geboren. Ihre Eltern waren der Fabrikant Abraham Weyl (* 7. Juni 1839, Haltern2647 – 3. Mai 1911, Bocholt2648) und seine Frau Friederike (geb. Hertz, * 26. April 1839, Coes- feld2649 – 24. Juli 1925, Bocholt2650). Das Ehepaar hatte sieben Kinder, drei Mädchen und vier Jungen2651. Rosa Weyls Vater Abraham führte ein Textil-Warenhaus an der Osterstraße2652. Seit dem 17. Mai 1880 gehörte er dem St. Georgius-Schützenverein an2653.

Abraham Weyl war der erste Stadtverordnete jüdischen Glaubens in Bocholt, der – nach dem preußischen Drei- klassenwahlrecht von 1896 bis 1911 in der obersten (Wahl-) Klasse gewählt – der Stadtverordnetenversamm- lung angehörte2654. Außerdem war er von 1892 bis 1898 Mitglied im Vorstand der israelitischen Gemeinde2655. Am 5. Oktober 1899 zog Rosa Weyl nach Iserlohn, Westerthor 6, und heiratete den Bankier Josef Löwenstein2656. Später zog das Ehepaar nach Berlin2657. Rosa Löwenstein musste nach dem Runderlass des Reichsministers des Inneren vom 18. August 19382658 den zusätzlichen Vornamen „Sara“ annehmen und dies beim 2659 Anzeige des väter- Standesamt Bocholt anzeigen. 1951 wurde dieser Zwangsname wieder gelöscht . lichen Warenhauses. Sie wohnte ab einem nicht bekannten Zeitpunkt bis zu ihrer Deportation in Berlin in (StdA B, ZSlg., der Berkaer Straße 32-352660. Rosa Löwenstein wurde am 19. Januar 19422661 zusammen Bocholter Volksblatt, 2662 9. Mai 1919) mit 995 Leidensgenossen von Berlin in das Ghetto Riga deportiert. Von diesen über- lebten nur zehn Menschen2663. In Riga kam der 10. „Ost“-Transport am 23. Januar 1942 an2664. Im oder beim Ghetto Riga wurde Rosa Löwenstein ermordet2665.

2647 Personenstandsregister, S. 447. 2648 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 27. 2649 Personenstandsregister, S. 447. 2650 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 27. 2651 Personenstandsregister, S. 447. 2652 StdA B., ZSlg., 3. Oktober 1919. Anzeige: Feiertagshalber sind unsere Geschäfte von Freitag, den 3. Oktober, abends 6 Uhr an und Samstag, den 4. Oktober, den ganzen Tag geschlossen […]. 2653 Westerhoff, Ballotagen. 2654 Vgl. S. 44. 2655 StdA B., SBOH 2 Nr. 1006. Wahlen 1896–1916. Wahl des Synagogenvorstandes und der Repräsentanten. 2656 Personenstandsregister, S. 87. 2657 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 111207. 2658 Ministerial-Blatt des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Inneren, Nummer 35 vom 24. August 1938. 2659 Stadtarchiv Bocholt, 18. März 2010. 2660 Berliner Gedenkbuch, S. 196. 2661 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 111207; in Berliner Gedenkbuch, S. 196 wird der 21. Januar 1942 als Deportationstag genannt. 2662 Ebd; nach BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich waren insgesamt 1002 Personen im Deportationszug. 2663 Berliner Gedenkbuch, S. 1020. 2664 Ebd., BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deut- schen Reich. 2665 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 111207.

302 | BUCH DER ERINNERUNG Wilhelmine Löwenstein geborene Geisel geboren am 13. Juni 1868 in Rheinbach gestorben am 14. August 1943 in Dordrecht/Niederlande

Wilhelmine Geisel wurde am 13. Juni 1868 in Rheinbach Wilhelmine Löwenstein bei Bonn geboren2666. Ihre Eltern waren der Handels- (Foto: Dr. John Gold- mann Alexander Geisel (* 17. Februar 1830, Rheinbach – smith, Liverpool/Groß- britannien) 1915, Rheinbach) und seine Frau Caroline (geb. Wendel, * 18352667, ihr Todesdatum ist nicht bekannt).

Wilhelmine Geisel war das älteste von vier Kindern: – Max (* 15. November 1869, Rheinbach – 2668) – Elise (genannt Elisabeth) David (geb. Geisel, * 15. Mai 1872, Rheinbach – ermordet am 19. September 1942, Vernichtungslager Treblinka2669) – Emil (* 3. Oktober 1873, Rheinbach – 2670)

Wilhelmine Geisel verzog später nach Berlin und wurde Aron Löwenstein Lehrerin2671. Sie heiratete 1890 den Bocholter Textilfabrikanten (Foto: Dr. John Gold- Aron Löwenstein (* 4. Dezember 1859, Rhede – 12. April 1914, smith, Liverpool/ Bocholt2672). Ihr Mann betrieb zusammen mit seinem Bruder, Großbritannien) dem Kaufmann  Adolf Löwenstein (* 8. Dezember 1864, Rhede – ermordet am 11. Mai 1942, Vernichtungslager Chelmno2673), zunächst in der Nähe des Bahnhofs, dann in der Weidenstraße eine „Möbelfabrik mit Weberei“2674. Die Firma ging Ende 1932 in Vergleich2675. Sie wurde im Dezember 1938 an einen Bocholter Kaufmann verkauft.

Dem Ehepaar Wilhelmine und Aron Löwenstein wurden sechs Kinder geboren: – Rudolf (* 12. April 1891, Bocholt – gestorben 1951, London/Großbritannien2676)  Meta Weiss (geb. Löwenstein, * 28. Dezember 1892, Bocholt – ermordet nach dem 3. März 1943, Vernichtungslager Auschwitz2677)  Julius (* 9. Oktober 1894, Bocholt – ermordet am 16. Juli 1943, Vernichtungs lager Sobibor 2678)  Fritz (* 25. April 1897, Bocholt – ermordet am 1. April 1944, Warschau/Polen 2679)

2666 Personenstandsregister, S. 667. 2667 Mies, Horst: Sie waren Nachbarn. Zur Geschichte der Juden in Rheinbach im Dritten Reich, Rheinbach. Geschich- ten in Rheinbach 1. 2002, S. 96. 2668 Das Todesdatum war nicht zu ermitteln. 2669 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 850792. 2670 Das Todesdatum war nicht zu ermitteln. 2671 Mies, S. 96. 2672 Ebd. 2673 Vgl., Biogramm, S. 268. 2674 Grundakten des königlichen Amts-Gerichtes Bocholt über die Grundstücke des Kaufmanns Aron Löwenstein zu Bocholt, der Witwe Fabrikant Aron Löwenstein, Wilhelmine, geborene Geisel, in fortgesetzter wirtschaftlicher Gütergemeinschaft mit ihren Kindern [...] Band 111, Blatt 19, S. 73 Beschluß des Amtsgerichtes Bocholt vom 9. Dezember 1932. 2675 Ebd. 2676 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~mhines/GedHtml/ipl.htm#Little. 2677 Vgl. Biogramm, S. 424. 2678 Vgl. Biogramm, S. 290. 2679 Vgl. Biogramm, S. 282.

BUCH DER ERINNERUNG | 303 – Dr. med. dent. Amalie Meyer (geb. Löwenstein, * 28. Dezember 1898, Bocholt – 1966, Liverpool/Großbritannien2680) – Liesel Rosenberg (geb. Löwenstein, * 9. Oktober 18992681, 1988 starb sie in Santiago de Chile/Chile2682). Wilhelmine Löwensteins Mann Aron starb am 12. April 19142683. Im gleichen Jahr traten die Witwe, Wilhelmine Löwenstein, und ihr Sohn Rudolf in die Firma Aron Löwenstein ein. In der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 überfielen Bocholter SA- und SS- Männer das Löwensteinsche Haus, drangsalierten die Bewohner und zerstörten die Inneneinrichtung.

„Dann fuhr ich am anderen Morgen zum Löwensteinschen Haus am Hemdener Weg. (...) Im Obergeschoß fand ich Minna Löwenstein, die Mutter meines Chefs. Sie war verstört und zu keiner Regung fähig. In ihren Augen standen noch die Schrecken der letzten Nacht. Meine Frau machte Frühstück für Frau Löwenstein, und ich brachte es zum Hemdener Weg. Ich schämte mich, daß man meinem Chef, der mir während vieler Jahre geholfen hatte, wirtschaftlich schlimme Zeiten zu überstehen, so übel mit- gespielt hatte.“ (Josef Schülingkamp 2684)

Am 15. November 19392685 floh Wilhelmine Löwenstein nach Amsterdam-Zuid, Quinten-Masseystraat 52686, wo ihr Sohn  Fritz wohnte. Hier zogen kurze Zeit später ihre Schwiegertochter  Anna2687, Sohn  Julius sowie deren Kinder  Arnold2688 und  Franz Heinrich2689 zu.

Das Haus Hemdener Weg 11, das der „Witwe Fabrikant Aron Löwenstein, Wilhelmine, geborene Geisel, in Bocholt, Hemdener Weg 11, in fortgesetzter wirtschaftlicher Güter- gemein schaft mit ihren Kindern [...]“ gehörte, wurde am 2. Dezember 1939 verkauft. Im Kaufvertrag hieß es: „Die am 9. November 1938 in dem Hause verursachten Schäden hat die Witwe A. Löwenstein jedoch selber wieder herzustellen. Die Verkäuferin er- mächtigt den Käufer, diese Wiederherstellung auf ihre Kosten vornehmen zu lassen und die dafür erforderlichen Beträge von dem Kaufgeld in Abzug zu bringen. [...]“2690 Unterschrift von Wilhelmine Löwenstein (Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Blatt Wilhelmine Löwenstein tauchte nach den ersten Razzien nach Menschen jüdischen 4219, Blatt 6) Glaubens in den Niederlanden im Oktober 1941 in der Nähe von Dordrecht bei Rotterdam unter; im Versteck bekam sie Krebs. Hieran starb sie, umsorgt von ihrer Zufluchtsfamilie2691, am 14. August 1943 in Dordrecht2692.

2680 Privatbesitz Josef Niebur. Protokoll über mündliche Mitteilungen von Dr. John Goldsmith, 31. Januar 2008. 2681 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2682 Stadt Bocholt, Fachbereich Zentrale Verwaltung – Interne Dienste – Ordner: Jüdische Mitbürger. Raul Rosenberg, Santiago de Chile, an Bürgermeisterin Feldhaar, 22. Juli 2004. 2683 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2684 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Josef Schülingkamp (1903–1986), dem Fahrer von Julius Löwenstein, Burggrafenstr. 4, Bocholt, im Beisein seiner Frau Maria, geführt von Josef Niebur und Heinrich Böing am 23. Mai 1985. 2685 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2686 Amtsgericht Bocholt, Grundakten, [...] Band 111, Blatt 24. 2687 Vgl. Biogramm S. 271. 2688 Vgl. Biogramm S. 276. 2689 Vgl. Biogramm S. 281. 2690 Amtsgericht Bocholt, Grundakten, [...] Band 111, Blatt 20 22. Kaufvertrag vom 2. Dezember 1939. 2691 Privatbesitz Josef Niebur. Mündliche Mitteilungen ihres Enkels Dr. John Goldsmith, Liverpool/GB, 31. Januar 2008. 2692 StdA B., 57 K 101 ohne Titel -. Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962).

304 | BUCH DER ERINNERUNG Sie wurde auf dem jüdischen Friedhof in Grabstein von Wilhel- Dordrecht begraben. Hier steht heute ein Denk- mine Löwenstein auf mal, das an Wilhelmine Löwenstein erinnert. dem jüdischen Friedhof in Dordrecht/Nieder- lande. Bereits in der Ausgabe der deutsch-jüdischen (Foto: Dr. John Gold- Emigrantenzeitung „Aufbau“ vom 4. Juli 1944 smith, Liverpool/Groß- stand eine offensichtlich von Rudolf Löwenstein bri tannien) in London aufgegebene Todesanzeige für Wilhelmine Löwenstein:

„In tiefer Trauer teilen wir allen Freunden mit, dass unsere geliebte Mutter u. Großmutter Minna Löwenstein geb. Geisel (fr. Bocholt i. Westfalen) im August 1943 in Amsterdam verschieden ist.“

Als Angehörige standen auch die ermordeten Kinder „Bruno Weiss u[nd]. Frau Meta, geb. Löwenstein, zul. Berlin (Aufenth. unbek.), Julius Löwenstein u. Frau Anna, geb. Teutsch, zul. Amsterdam (Aufenth. unbekannt), Fritz Löwenstein u. Frau Ruth, geb. Weissmann, zuletzt Amsterdam (Aufenth. unbekannt)“ unter der Anzeige2693.

Für das Haus Hemdener Weg 11 wurde am 15. November 1946 durch Rudolf Löwenstein, der sich später in Rudolf Samuel Low umbenannte, beim Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt – die Rückerstattung beantragt2694. Durch immer neu eingeschlagene verzögernde Verfahrenswege gelang es dem neuen Eigentümer – Amtsgerichtsdirektor Josef Willebrand – das Wiedergutmachungs- verfahren auszudehnen. Dies ist verwunderlich, hatte Willebrand doch keinerlei Affinität zum NS-Staat gezeigt. Erst am 14. Mai 1954 konnte deshalb das Wiedergutmachungsamt bei dem Landgericht Münster in einem Vergleich den überlebenden Erben – „der Witwe Charlotte Babette Low in London (England) als Testamentsvollstreckerin für den Nachlass nach Rudolf Samuel Low [Rudolf Löwenstein] …, der Witwe Amalie Meyer geb. Löwenstein in Cambridge [und] der Ehefrau Luise Rosenberg, geb. Löwenstein“ einen Betrag von 26.500,– DM Wiedergutmachung zusprechen2695.

Seit dem 27. Januar 2008 liegt ein Stolperstein zur Erinnerung an Wilhelmine Löwenstein vor ihrem ehemaligen Haus Hemdener Weg 11. An der Verlegung nahm auch ihr Enkel, Dr. John Goldsmith, Liverpool/Großbritannien, teil2696.

2693 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~alcalz/aufbau/1944/1944pdf/j10a14s16.pdf. Aufbau, 4. Juli 1944. 2694 Amtsgericht Bocholt, Grundakten, [...] Band 111, Blatt 53, Rudolf Loewenstein an das Grundbuchamt der Stadt Bocholt [sic], 15. November 1946. 2695 Ebd., Wiedergutmachungsamt bei dem Landgericht Münster, Vergleich vom 14. Mai 1954, Rü 7/51. 2696 Vgl. S. 459 ff.

BUCH DER ERINNERUNG | 305 Hildegard Josepha Henriette Lorenz geboren 19. August 1922 in Bocholt gestorben am 8. März 1943 in Amsterdam /Niederlande

Hildegard Josepha Henriette Lorenz wurde am 19. August 1922 in Bocholt, Hammer- senstraße 6, geboren. Ihre Eltern waren Elisabeth (geb. Füser, * 16. November 1886, Bocholt – 27. November 1950, Winterswijk2697) und Gerhard Lorenz. Ob das Ehepaar weitere Kinder hatte, ist nicht bekannt. Die Familie war katholischer Konfession2698.

1927 zog Elisabeth Lorenz mit ihrer Tochter Hildegard nach Winterswijk/Niederlande, Gerhard Lorenz zog nach Österreich2699. Die Ehe von Elisabeth und Gerhard Lorenz wurde geschieden.

Später zogen Elisabeth und Hildegard, die wieder den Namen Füser angenommen hatte, von Winterswijk nach Amsterdam. Hier heiratete Elisabeth Füser am 21. August 1940 David Werkendam (* 17. Juni 1890, Amsterdam/Niederlande – ermordet am 1. Februar 1942, Konzentrationslager Neuengamme2700). David Werkendam war jüdischer Reli- gion2701. Elisabeth Werkendam war damals römisch-katholisch2702.

Hildegard Lorenz wohnte zusammen mit ihrer Mutter Elisabeth und ihrem Stiefvater David Werkendam noch am 1. Februar 1941 in der van-Woutstraat 103I in Amster- dam2703. Im Januar 1942 wurde David Werkendam in das Konzentrationslager Neuen- gamme bei Hamburg deportiert2704.

Im KZ Neuengamme und seinen Außenlagern waren mehrere hundert deutsche Men- schen jüdischen Glaubens inhaftiert. Die ersten Juden trafen 1940 aus dem Konzentra- tionslager Sachsenhausen in Neuengamme ein. Im Frühjahr 1942 wählte eine Ärztekom- mission jüdische Häftlinge aus, die in Bernburg/Saale mit Giftgas ermordet wurden2705. Im Konzentrationslager Neuengamme wurde David Werkendam am 1. Februar 1942 umgebracht2706.

Hildegard Josepha Henriette Lorenz kam am 8. März 1943 in Amsterdam zu Tode 2707. Ihre Mutter Elisabeth Werkendam überlebte die Shoah. Sie starb am 27. November 1950 in Winterswijk2708.

2697 http://www.maxvandam.info/humo-gen/gezin/humo9_/F18178/I48557/. 2698 Standesamt Bocholt, Geburtsurkunde. 2699 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2700 http://www.maxvandam.info/humo-gen/gezin.php?database=humo33_&id=F19548&hoofdpersoon=I52381. 2701 http://www.maxvandam.info/humo-gen/gezin/humo9_/F18178/I48557/ (Stadsarchief Amsterdam, Archiefkart Max Werkendam). 2702 Ebd. 2703 JHM A, Joodsmonument Nr. 563532. 2704 Ebd.; nach BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, gab es keine Deportationen aus den Nie- derlanden nach Neuengamme. 2705 http://www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/?id=475#1500. 2706 JHM A, Joodsmonument Nr. 563532. 2707 Ebd., p. 563532/en 2708 http://www.maxvandam.info/humo-gen/gezin/humo9_/F18178/I48557/.

306 | BUCH DER ERINNERUNG Kurt Jakob Marcus geboren am 25. November 1922 in Duisburg ermordet am 6. September 1941 im Konzentrationslager Mauthausen/Österreich

Kurt Jakob Marcus wurde am 25. November 1922 in Duisburg als Sohn von  Minna (geb. Proppert, * 20. April 1887, Wisch (heute Terborg/Niederlande) – ermordet am 23. April 1943, Vernichtungslager Sobibor2709) und  Max Marcus (* 15. November 1891, Mülheim/Ruhr – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald2710) in Duisburg geboren2711. Er hatte den Beruf eines Webers erlernt2712.

Zusammen mit seinen Eltern und seinem Bruder Erwin (* 7. September 1919, Duisburg2713, lebte 1949 in London/Großbritannien2714) zog er am 19. Dezember 1936 von Duisburg aus in das Haus Ludgerusstraße 4 zu, das seiner Mutter  Minna Marcus gehörte2715.

Kurt Jakob Marcus floh am 3. August 1937 nach Amsterdam in den Niederlanden2716. Am 4. September 1939 floh auch seine Mutter nach Amsterdam2717.  Max Marcus, der Vater von Kurt Jakob Marcus, wohnte weiter in Bocholt2718. Im Februar 1941 wohnten Sohn und Mutter im Meerhuizenplein 14 I in Amsterdam2719.

Im August 1941 protestierten Teile der niederländischen Bevölkerung gegen ihre deutschen Besatzer. Darauf wurde von der SS und der holländischen Polizei Jagd auf Juden gemacht. Unter den Verhafteten, die in das Konzentrationslager Mauthausen/ Österreich deportiert wurden, war auch Kurt Jakob Marcus2720. Er wurde dort am 6. September 1941 umgebracht2721. Im Totenbuch der Gedenkstätte Mauthausen ist er nicht verzeichnet.

Sein Vater  Max Marcus wurde am 10. Dezember 1941 aus Bocholt über Münster in das Ghetto Riga deportiert2722. Am 15. Dezember 1941 kam er im Bahnhof Skirotawa beim Ghetto Riga an. Danach gab es kein Lebenszeichen von ihm.

Seine Mutter  Minna Marcus wurde am 23. April 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet.

2709 Vgl. Biogramm S. 310. 2710 Vgl. Biogramm S. 308. 2711 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2712 JHM A, Joodsmonument, p. 511018. 2713 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2714 Ebd., 57 K 102 – ohne Titel –. Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962). 2715 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2716 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 925464. 2717 Ebd., Nr. 925532. 2718 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2719 JHM A, Joodsmonument, p. 511018. 2720 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 925464. 2721 JHM A, Joodsmonument, p. 511017. 2722 Vgl. S. 110.

BUCH DER ERINNERUNG | 307 Max Marcus geboren am 15. November 1891 in Mülheim/Ruhr ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944 im Ghetto Riga/ Konzentrationslager Kaiserwald

Max Marcus wurde am 15. November 1891 in Mülheim/Ruhr geboren. Er war von Beruf Vertreter2723 oder Agent für Schuhbedarfsartikel2724. Seine Eltern waren Fanny (* 1854 – 19. August 1888, Mülheim-Broich) und Albert Marcus2725.

Seit etwa 1913 wohnte Max Marcus in Duisburg, Untermauerstraße 48. Im Jahre 1915 zog er zu seiner Frau  Minna (geb. Proppert, * 20. April 1887, Wisch (heute: Terborg/Niederlande) – ermordet am 23. April 1943, Vernichtungslager Sobi- bor2726) in das Haus Mainstraße 48. Er hatte sie 1915 in Duisburg geheiratet2727.

Max Marcus war 1931 stellvertretender Vorsitzender des Jüdischen Jugendvereins, Ortsgruppe Duisburg2728.

Zusammen mit seiner Frau  Minna Marcus und den Söhnen – Erwin (* 7. Januar 1919, Duisburg, emigrierte am 10. Januar 1939 mit dem Ziel Australien2729, er lebte 1949 in London2730) und  Kurt Jakob (* 25. November 1922, Duisburg – ermordet am 6. September 1941, Konzentrationslager Mauthausen2731) zog er am 19. Dezember 1936 von Duisburg aus in das seiner Frau  Minna Marcus gehörende Haus Ludgerusstraße 4 in Bocholt zu2732.

In diesem Haus wohnten auch  Sophia und  Emanuel Mühlfelder sowie  Hermann Cohen. Hier hatte die israelitische Gemeinde wahrscheinlich auch einen Raum für Juden, die in Bocholt auf die Überquerung der Grenze in die Niederlande warteten 2733.

„Am 27.12.38 traf ich in Bocholt ein. Ich habe dann 3 Tage bei Marxus[2734,] Ludgerusstraße[,] Wohnung genommen. Ich habe freiwillig für die Tage 6 RM bezahlt. Als M. verreiste, habe ich Wohnung bei dem Juden Hochheimer genommen. Bei Marcus und auch bei Hochheimer hatte ich nur eine Schlafstelle inne. In Kost war ich die ganzen Tage beim Juden Metzger. Für Schlafen habe ich freiwillig 10,50 RM bezahlt. Für Kost bei dem Juden Metzger habe ich freiwillig 15 RM für sechs Tage bezahlt. Das Frühstück war inbegriffen. [...]“ (Aussage von Jakob Schönbach, Halle a. der Saale, vor der Kriminalpolizei Bocholt vom 5. Januar 1939 2735)

2723 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2724 Geschichte der Duisburger Juden, Band 34.2, S. 1221. 2725 StA Mülheim/Ruhr, 19. August 2011. Weitere Daten waren nicht zu erhalten. 2726 Vgl. Biogramm S. 310. 2727 Geschichte der Duisburger Juden, Band 34.2, S. 1221. 2728 Ebd., S. 678. 2729 StdA B, 57 K 102 – ohne Titel -. Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962). 2730 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt Grundakte [...] über die Grundstücke der Ehefrau Kaufmann Max Markus, Minna geborene Proppert in Duisburg Mainstraße 48 [...], Band 160, Blatt 4183, S. 75, Erwin Marcus, London/ Großbritannien an Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, 3. Januar 1949. 2731 Vgl. Biogramm S. 307. 2732 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2733 Ebd., 57 K 101 – ohne Titel – Vernehmung von Josef Metzger vom 3. Januar 1939. 2734 Gemeint waren Minna und Max Marcus. 2735 StdA B, 57 K 101 - ohne Titel - Ermittlungsverfahren Josef Metzger, Aussage von Jakob Schönbach, Halle a. d. Saale, vor der Kriminalpolizei Bocholt vom 5. Januar 1939.

308 | BUCH DER ERINNERUNG Max Marcus wurde als letzter Bewohner des inzwischen verkauften Hauses seiner Frau, Ludgerusstraße 4, am 16. Oktober 1939 in das sog. Judenhaus Stiftstraße 32 ein- gewiesen2736.  Minna Marcus war am 4. September 1939 in die Niederlande geflohen. Am 10. Dezember 1941 wurde Max Marcus auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei mit insgesamt 24 weiteren Bocholter Juden abgeholt und nach Münster gebracht.

In die Einwohnermeldekarteikarte der Familie Marcus wurde zunächst maschi- nenschriftlich eingetragen: „10.12.41 Ehemann n. Riga/Lettland.“2737 Aufgrund des Schreibens der Staatspolizeileitstelle Münster vom 18. Juli 1942 an die Meldeämter wurde der Teil des Vermerks „n. Riga“ geschwärzt und durch den handschriftlichen Eintrag „unbekannt verzogen (ausgewandert)“ ersetzt2738.

Aus Münster deportierte man Max Marcus am 13. Dezember 1941 in das Ghetto Riga, wo der Zug am 15. Dezember 1941 ankam2739. Es gibt kein Lebenszeichen von ihm nach seiner Ankunft in Riga2740.

Sein Sohn  Kurt Jakob Marcus gehörte zu den Juden, die im Spätsommer 1941 im niederländischen Achterhoek festgenommen und am 6. September 1941 im Konzen- trationslager Mauthausen ermordet wurden2741.  Minna Marcus, die Frau von Max Marcus, wurde am 23. April 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet2742.

Am 15. September 1948 wurde das Haus Ludgerusstraße 4 zur „Sicherung der Rück- erstattung von Wiedergutmachungsvermögen“ auf Antrag der Stadt Bocholt – Wieder- gutmachungsstelle – auf die Liste der gesperrten Grundstücke beim Grundbuchamt Bocholt gestellt2743.

Erwin Marcus, der damals noch in London wohnende überlebende Sohn des Ehepaars Marcus, bat das Grundbuchamt mit Schreiben vom 3. Januar 1949 um „eine Abschrift des Kaufvertrages für das oben genannte Haus, das unter dem Drucke der damaligen Zeit verkauft wurde.“2744 Damit setzte er das Wiedergutmachungsverfahren für das Haus Ludgerusstraße 4 in Gang. Am 5. Dezember 1950 wurde das Verfahren durch einen Vergleich vor dem Wiedergutmachungsamt bei dem Landgericht Münster beendet2745.

Vor dem Haus Ludgerusstraße 4 liegen heute Stolpersteine, die an Max und  Minna Marcus,  Hermann Cohen,  Amalie und  Leopold Markus sowie  Emanuel Mühlfelder und  Sophia Mühlfelder erinnern2746.

Auf der Gedenktafel für die unmittelbar aus Bocholt 1941/42 deportierten Menschen jüdischen Glaubens in der Gedenkstätte für die ehemalige Bocholter Synagoge ist auch der Name von Max Marcus verzeichnet2747.

2736 Ebd. 2737 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2738 Nacke, S. 170. 2739 Vgl. S. 110. 2740 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 925528. 2741 Ebd., Nr. 925464. 2742 Ebd., Nr. 925532. 2743 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt Grundakte [...] über die Grundstücke der Ehefrau Kaufmann Max Markus, Minna geborene Proppert in Duisburg Mainstraße 48 [...], Band 160, Blatt 4183, Stadt Bocholt Wiedergutma- chungsstelle an Amtsgericht Bocholt Grundbuchamt -, 15. September 1948, Blatt 73. 2744 Ebd., Erwin Marcus an Amtsgericht Bocholt, 3. Januar 1949, Blatt 75. 2745 Ebd., Wiedergutmachungsamt beim Landgericht Münster an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt –, 30. April 1951, Blatt 83. 2746 Vgl. S. 459 ff. 2747 Vgl. S. 133.

BUCH DER ERINNERUNG | 309 Minna Marcus geborene Proppert geboren am 20. April 1887 in Wisch (heute Terborg/Niederlande) ermordet am 23. April 1943 im Vernichtungslager Sobibor

Minna Proppert wurde am 20. April 1887 als Tochter des Händlers Daniel Proppert (* 6. Februar 1846, Wisch/Niederlande – 2748) und seiner Ehefrau Else (geb. Abrahamsohn, * 4. Oktober 1844, Esens – 2749) in Wisch (heute Terborg/Niederlande) geboren2750.

Ihre Eltern waren am 17. April 1888 mit Tochter Minna aus Wisch, wenige Kilometer über die niederländische Grenze, nach Bocholt gezogen2751. Am 4. Oktober 1898 kaufte „Kaufmann Daniel Proppert zu Feldmark, Bocholt“ das Grundstück Nr. 62, Parzelle 282/22, auf dem später sein Haus Ludgerusstraße 4 stand2752.

1904 lebte, wie das Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Syna- gogengemeinde Bocholt zur Wahl der Repräsentanten am 12. März 1904 auswies, der Händ ler Daniel Proppert noch in Bocholt2753. Er zog am 19. März 1907 „nach Holland.“2754

Am 7. September 1904 zog Minna Proppert nach Duisburg2755. 1915 heiratete sie dort  Max Marcus (* 15. November 1891, Mülheim/Ruhr – ermordet nach dem 15. Dezem- ber 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald2756).

Im Haus Mainstraße 48 gebar Minna Marcus ihre Söhne: – Erwin (* 7. Januar 1919, Duisburg, lebte 1949 in London/Großbritannien2757) und  Kurt Jakob (* 25. November 1922, Duisburg – ermordet am 6. September 1941, Konzentrationslager Mauthausen2758).

Die Familie zog am 19. Dezember 1936 von Duisburg aus in das Haus Ludgerusstraße 4 nach Bocholt2759.

Hier wohnten später auch die unter Zwang nach dem Gesetz über die Mietverhältnisse der Juden am 30. April 1939 eingewiesenen  Sophia und  Emanuel Mühlfelder sowie  Hermann Cohen, zeitweise auch  Leopold und  Amalie Markus. Ihnen hatte man ihre frühere Wohnung gekündigt. Außerdem unterhielt die israelitische Gemeinde im Haus Ludgerusstraße 4 wahrscheinlich einen Raum für Juden, die in Bocholt auf die Überquerung der Grenze in die Niederlande warten mussten.

2748 Weitere Daten waren nicht zu erhalten. 2749 Weitere Daten waren nicht zu erhalten. 2750 Personenstandsregister, S. 269. 2751 Ebd. 2752 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt Grundakte [...] über die Grundstücke der Ehefrau Kaufmann Max Markus, Minna geborene Proppert in Duisburg Mainstraße 48 [...], Band 160, Blatt 4183, Grundbuchtabelle. 2753 StdA B, SBOH 2 Nr. 1006, Wahl des Synagogenvorstandes und der Repräsentanten 1895–1916, Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt von 1904. 2754 Stadtarchiv Bocholt, 7. Oktober 2010, 2755 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2756 Vgl. Biogramm S. 308. 2757 StdA B, 57 K 102 – ohne Titel -. Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962). Hier lebte er noch 1949 (Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt Grundakte [...] über die Grundstücke der Ehefrau Kaufmann Max Markus, Minna geborene Proppert in Duisburg Mainstraße 48 [...], Band 160, Blatt 4183, S. 75, Erwin Marcus an Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, 3. Januar 1949). 2758 Vgl. Biogramm S. 307. 2759 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

310 | BUCH DER ERINNERUNG „Der Jude Kurt Margulius, 26 Jahre alt, Berlin[-]Wilmersdorf erklärt: Am 27.12.38 traf ich in Bocholt ein. Ich wohnte dann 3 Tage beim Juden Marxus [sic]. Als M. verreiste, bin ich nach Sanders umgezogen. Für die 3 Tage Wohnung und Kost habe [ich] freiwil- lig bei M 4 RM bezahlt. Bei Sanders habe ich nichts bezahlt. Ich hatte kein Geld mehr. v. g. u. Kurt Margulius“ (Aussage von Kurt Margulius vor der Kriminalpolizei Bocholt, 3. Januar 1939 2760)

Am 22. Mai 1939 wurde das Haus durch den „Bürovorsteher Wilhelm Fischer, handelnd für die Ehefrau Kaufmann Max Israel Markus, Minna Sara geb. Proppert früher zu Duisburg, Mainstraße Nr. 48, jetzt zu Amsterdam (Holland) Zuid Emsstraat 17 II hoch wohnhaft“ an den „städtische[n] Angestellten […]“ verkauft. Anwesend bei der Verkaufsverhandlung war auch „der Kaufmann Max Israel Markus zu Bocholt, Ludgerusstraße 4.“2761

Minna Marcus wurde am 4. September 1939, vier Tage nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, mit dem Vermerk „nach Australien“ aus der Einwohnermeldekarte aus- getragen 2762. Sie wohnte damals zusammen mit Sohn  Kurt Jakob Marcus schon im zweiten Stock des Hauses in Amsterdam2763-Zuid, Emsstraat 172764. Im Februar 1941 wohnten sie in Meerhuizenplein 14 I, Amsterdam2765.

Sohn  Kurt Jakob Marcus wurde bei einer der vielen Razzien der deutschen Besat- zungsmacht Anfang September 1941 in Amsterdam festgenommen und in das Konzen- trationslager Mauthausen in Österreich deportiert. Dort wurde er am 6. September 1941 ermordet2766.

Minna Marcus wurde 1943 aus dem polizeilichen Judendurchgangslager Wester- bork in das Vernichtungslager Sobibor deportiert. Dort wurde sie am 23. April 1943 ermordet2767.

Ihr Mann  Max Marcus war in Bocholt geblieben und musste als letzter Bewohner jüdischen Glaubens das verkaufte Haus seiner Frau, Ludgerusstraße 4, verlassen. Er wurde am 16. Oktober 1939 zwangsweise in das sog. Judenhaus Stiftstraße 32 ein- gewiesen2768. Von dort deportierte man ihn am 10. Dezember 1941 über das Sammellager Gertrudenhof in Münster in das Ghetto Riga, wo er am 15. Dezember 1941 ankam. Es gab kein Lebenszeichen von  Max Marcus aus Riga2769.

Das Haus Ludgerusstraße 4 wurde am 15. September 1948 auf Antrag der Stadt Bocholt – Wiedergutmachungsstelle – zur Sicherung der Rückerstattung von Wiedergut- machungs vermögen im Grundbuch gesperrt2770.

2760 Ebd., 57 K 101 – ohne Titel -. Haftsache Metzger, Josef vom 3.1.1939. 2761 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt Grundakte [...] über die Grundstücke der Ehefrau Kaufmann Max Markus, Minna geborene Proppert in Duisburg Mainstraße 48 [...], Band 160, Blatt 4183, Kaufvertrag vom 22. Mai 1939 , Blatt 17 – 19. 2762 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2763 JHM A, Joodsmonument, p. 511018. 2764 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt Grundakte [...] über die Grundstücke der Ehefrau Kaufmann Max Markus, Minna geborene Proppert in Duisburg Mainstraße 48 [...], Band 160, Blatt 4183, Kaufvertrag vom 22. Mai 1939 , Blatt 17 – 19. 2765 JHM A, Joodsmonument, p. 511018. 2766 Ebd. 2767 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 925532. 2768 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2769 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 925528. 2770 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt Grundakte [...], Band 160, Blatt 4183, Stadt Bocholt – Wiedergutma- chungsstelle – an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt -, 15. September 1948, Blatt 73.

BUCH DER ERINNERUNG | 311 Sohn Erwin, der in London wohnte, erbat am 3. Januar 1949 „eine Abschrift des Kaufvertrages für das oben genannte Haus, das unter dem Drucke der damaligen Zeit verkauft wurde.“ 2771 Das Verfahren wurde nach Erstattung einer Wiedergutmachungssumme gemäß einem Vergleich vor dem Wiedergutmachungsamt bei dem Landgericht Münster vom 15. März 1950 beendet2772.

Amalie Markus geborene Meyer

geboren am 2. Juni 1884, Duisburg gestorben am 16. Dezember 1941 in Rhede an den Folgen einer versuchten Selbsttötung

Amalie Meyer wurde am 2. Juni 1884 als Tochter der Hausfrau Adelheid (geb. Stein- hard, * 7. Januar 1850, Mönchengladbach – 13. November 1910, Duisburg) und des Synagogendieners Hermann Meyer (* 30. Juli 1852, Wesel – 26. Januar 1920, Duisburg) Amalie Markus geboren. Sie hatte sieben Geschwister2773. (Foto: Gerardo Mera- Euler, Düsseldorf) Amalie Meyer heiratete 19102774 den Postbeamten2775  Leopold Markus (* 19. Novem- ber 1884, Mülheim-Speldorf – ermordet im März 1943, Ghetto Riga2776) in Duisburg. Das Ehepaar wohnte in der Musfeldstraße 122777.

Am 8. April 19112778 wurde dort Tochter Gertrud geboren, die in der Familie nur kurz Trude genannt wurde2779. 1920 zog die Familie in das Haus Musfeldstraße 33, zuletzt wohnte sie in der Kolonie straße 1782780.

Tochter Trude Markus trat am 7. Januar 1933 aus der Synagogengemeinde Duisburg2781 aus und ließ sich evangelisch-lutherisch taufen. Am 25. März 1933 heiratete sie Erich Euler, der kein Jude war2782.

Das Ehepaar Amalie und Leopold Markus wohnte zunächst in Duisburg in der Diester- wegstraße 12. Hier kam am 27. Oktober 1933 auch Tochter Ursula zur Welt. 1934

2771 Ebd. 2772 Ebd., Blatt 83, Wiedergutmachungsamt beim Landgericht Münster an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt -, 30. April 1951. 2773 Geschichte der Duisburger Juden, Band 34.2, S. 1229. 2774 Ebd. 2775 StdA B, Stadt Bocholt 3, Akte nach dem BEG, Euler, Trude 3 – 985. Stadt Bocholt Amt für Wiedergutmachung – an Rechtsanwalt Bödeker, Wuppertal, 14. Mai 1958. 2776 Vgl. Biogramm S. 314. 2777 Geschichte der Duisburger Juden, Band 34.2, S. 1021. 2778 Ebd. 2779 Privatbesitz Josef Niebur. Notiz über ein Interview am 21. Mai 2010 mit Wolfgang Euler (Enkel von Amalie und Leopold Markus), Cali/Kolumbien, während eines Besuches in Bocholt, geführt von Josef Niebur und Hermann Oechtering. 2780 Geschichte der Duisburger Juden, Band 34.2, S. 1021. 2781 Privatbesitz Gerardo Mera-Euler. Bescheinigung des Amtsgerichts Duisburg, Abt. 6 a, 20. Januar 1933. 2782 Geschichte der Duisburger Juden, Band 34.2, S. 1021.

312 | BUCH DER ERINNERUNG zog die Familie in die Krummacherstraße 201, 1936 in die Kortumstraße 1452783. Am 26. Februar 1937 zog Amalie Markus mit ihrem Mann Leopold in den Ostwall 70 in Bocholt2784.

Ihre Tochter Trude Euler zog, der Eintragung in dem Verzeichnis der 1932 in Bocholt wohnenden Juden nach, später nach Bocholt in die Bahnhofstraße 162785. Ende 1937 emigrierte sie zusammen mit ihrem Mann und der Tochter in die Niederlande2786. Am 11. Februar 1938 schiffte sich die Familie Trude, Erich und Ursula Euler aus Amster- dam mit dem Dampfer Barneveld nach Kolumbien aus2787. Hier wurden sie in Cali an- sässig2788.

Am 15. März 1939 zogen Amalie und  Leopold Markus in das Haus Ludgerusstraße4 2789.

Amalie und  Leopold Markus wurden nach dem am 22. Mai 1939 erfolgten Verkauf des Hauses Ludgerusstraße 4 aus dem Haus gedrängt und vom 2. Mai bis zum 8. Dezember 1939 von Nachbarn in deren Haus Ludgerusstraße 7 aufgenommen2790. Dann verzogen Amalie und  Leopold Markus nach Köln2791. Schon am 11. Januar 1940 nach Bocholt zurückgekehrt, mussten die Eheleute in das sog. Judenhaus Bahnhofstraße 16 ziehen2792.

Am 18. November 1941 erließ die Staatspolizeileitstelle Münster, u. a. an den Oberbürgermeister Bocholt, die Aufforderung, dass 26 Juden am 10. Dezember 1941 nach Münster zu bringen seien. Von hier aus würden sie „nach dem Osten“ deportiert2793.

Am Vortag der angekündigten Deportation versuchte Amalie Markus am 9. Dezember 1941, sich das Leben zu nehmen. Sie trank aus Angst vor dem Ungewissen Essigessenz 2794. Amalie Markus wurde in das Krankenhaus in Rhede eingeliefert. An den durch die Essigessenz hervorgerufenen Verätzungen in der Luftröhre starb Amalie Markus am 16. Dezember 1941. Ihr Tod wurde am 18. Dezember 1941 von der Ortspolizeibehörde dem Standesamt Rhede angezeigt2795. In der Einwohnermeldekarte in Bocholt wurde auf der Vorderseite unter „Bemerkung“ eingetragen: „am 16.12.41 in Rhede †.“2796 Sterbeurkunde der 2783 Ebd. Amalie Markus 2784 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. (Stadtarchiv Rhede, 2785 Ebd., 57 K 102 – ohne Titel -. In dem Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden ist Euler, geb. Markus, Trude mit der Anschrift Bahnhofstraße 16 aufgeführt. Das Verzeichnis berücksichtigt die Zuzüge Standesamt, Sterbe- bis 1941. urkunde der Amalie 2786 Ebd. Markus vom 18.12.1941, 2787 Privatbesitz Gerardo Mera-Euler, Koninklijke nederlandsche Stoomboot-Maatschappij b. v. Amsterdam, an Erich Nr. 88) Euler, 7. Februar 1938. 2788 Privatbesitz Josef Niebur. Notiz über ein Interview am 21. Mai 2010 mit Wolfgang Euler (Enkel von Amalie und Leopold Markus), Cali/Kolumbien, während eines Besuches in Bocholt, geführt von Josef Niebur und Hermann Oechtering. 2789 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2790 Ebd; Privatbesitz Josef Niebur. Notiz über ein Gespräch mit H. R. (* 1925) am 18. Oktober 2006. 2791 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2792 Ebd. 2793 Vgl. S. 109. 2794 Privatbesitz Josef Niebur. Notiz über ein Gespräch mit H. R. (* 1925) am 18. Oktober 2006. 2795 StdA R., Sterbeurkunde von Amalie Markus vom 17. Dezember 1941. 2796 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

BUCH DER ERINNERUNG | 313 Am 10. Dezember 1941 war ihr Mann  Leopold Markus nach Münster gebracht und am 13. Dezember 1941 in das Ghetto Riga deportiert worden2797.

In die Einwohnermeldekarteikarte des Ehepaares Markus wurde bei Leopold Markus zunächst eingetragen: „10.12.41 n. Riga/Lettland.“2798 Aufgrund des Schreibens der Staats polizei leit stelle Münster vom 18. Juli 1942 an die Meldeämter wurde der Teil des Vermerks „Riga/Lettland“ geschwärzt und durch den Eintrag „unbekannt verzogen (ausgewandert)“ ersetzt2799.

Leopold Markus überlebte das mörderische Leben im Ghetto Riga 16 Monate. Im März 1943 starb er an den im Ghetto Riga herrschenden unmenschlichen Verhältnissen und dem brutalen Terror der SS-Wachmannschaften2800.

Erst 1954 erhielt die Tochter von Amalie Markus, die in Cali (Kolumbien) wohnende Trude Euler, die Nachricht vom Internationalen Roten Kreuz, dass ihre Mutter Amalie Markus am 9. Dezember 1941 aus Verzweiflung Selbstmord begangen hatte. Am Tag, als diese Nachricht eintraf, so erinnert sich ihr Sohn Wolfgang Euler, fiel das Foto von Amalie und  Leopold Markus von der Wand2801.

Vor dem Haus Ludgerusstraße 4 liegen heute Stolpersteine, die nicht nur an  Leopold und Amalie Markus, sondern auch an  Max und  Minna Marcus,  Hermann Co- hen sowie  Emanuel Mühlfelder und  Sophia Mühlfelder erinnern2802.

Leopold Markus

geboren am 19. November 1884 in Mülheim/Ruhr ermordet im März 1943 im Ghetto Riga

Leopold Markus wurde am 19. November 1884 in Mühlheim-Speldorf, Section II Nr. 3, geboren als Sohn von Albert2803 und Fanny Markus (geb. Levy, * 1864 – 19. August 1888, Mülheim/Ruhr2804). Neben Leopold hatten die Eheleute ein weiteres Kind: Die 1886 ge- borene Rosalie starb aber im gleichen Jahr2805.

Leopold Markus Leopold Markus war nach dem Eintrag in der Bocholter Einwohnermeldekartei von 2806 (Foto: Gerardo Mera- Beruf Post-Betriebsassistent a. D. , in der Einwohnermeldekarteikarte Duisburg ist Euler, Düsseldorf) vermerkt, dass er zunächst Commis und später Postbeamter mit dem Titel Postschaff- ner war2807.

2797 Vgl. S. 110. 2798 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2799 Ebd., Nacke, S. 170. 2800 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 925478; dieses Datum nannte auch schon seine Tochter Trude Euler im Wiedergutmachungsantrag vom 20. August 1958 (StdA B, SBOH 3, Akte nach dem BEG, 3 985, Euler, Trude, Karteikarte Regierungspräsident Münster). 2801 Privatbesitz Josef Niebur, Notiz über ein Interview am 21. Mai 2010 mit Wolfgang Euler (Enkel von Amalie und Leopold Markus), Cali/Kolumbien, während eines Besuches in Bocholt, geführt von Josef Niebur und Hermann Oechtering. 2802 Vgl. S. 459 ff. 2803 StdA Mülheim an der Ruhr, 27. Juni 2011; die Lebensdaten von Albert Markus sind nicht überliefert. 2804 Privatbesitz Gerardo Mera-Euler. Auszug aus dem Geburtsregister der Stadt Mülheim an der Ruhr vom 19. No- vember 2009. 2805 StdA Mülheim an der Ruhr, 27. Juni 2011. 2806 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2807 Geschichte der Duisburger Juden, Band 34.2, S. 1021.

314 | BUCH DER ERINNERUNG 1902 zog er aus Essen nach Duisburg2808. Leopold Markus heiratete 1910  Amalie Meyer (* 2. Juni 1884, Duisburg – 16. Dezember 1941 in Rhede, gestorben an den Folgen eines Selbstmordversuches2809) in Duisburg 2810.

Am 8. April 19112811 wurde Tochter Gertrud geboren, die in der Familie nur kurz Trude genannt wurde2812. Seit 1912 wohnte die Familie Leopold Markus in der Musfeldstraße 12, seit 1920 Musfeldstraße 33, zuletzt in der Koloniestraße 178 2813. Am 22. Februar 1937 zog Leopold Markus mit seiner Frau  Amalie Markus nach Bocholt in das Haus Ostwall 70 2814.

Tochter Trude Markus trat am 7. Januar 1933 aus der Synagogengemeinde Duisburg2815 aus und ließ sich evangelisch-lutherisch taufen. Am 25. März 1933 heiratete sie Erich Euler, der evangelischer Konfession war2816. Ihre Tochter Ursula wurde am 27. Oktober 1933 in Duisburg-Hamborn geboren2817.

Trude Euler zog, nach dem Eintrag im „Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansäs- sig gewesenen Juden“, zu einem nicht bekannten Zeitpunkt nach Bocholt in die Bahn- hofstraße 162818. Wahrscheinlich Ende 1937 emigrierte sie zusammen mit ihrem Mann und ihrer Tochter nach Amsterdam in die Niederlande.

Am 11. Februar 1938 schifften sich Trude, Erich und ihre Tochter Ursula Euler aus Am- sterdam mit dem Dampfer Barneveld nach Kolumbien aus2819. Hier wurden sie in Cali ansässig2820.

Leopold Markus teilte aufgrund der „Zweite[n] Verordnung zur Durchführung des Ge- setzes über die Änderung der jüdischen Vornamen“ vom 17. August 1938 am 3. Januar 1939 dem Standesamt seiner Geburtsstadt Mülheim an der Ruhr mit, dass er zusätz lich den Vornamen „Israel“ angenommen habe. Dieser Randvermerk im Geburtsregister wurde auf Anordnung des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen am 28. März 1947 „von Amts wegen“ gelöscht2821.

In das Haus Ludgerusstraße 4 zogen Leopold und  Amalie Markus am 15. März 19392822. In diesem Haus, das  Minna Markus gehörte, wohnten auch  Sophia und  Emanuel Mühlfelder sowie  Hermann Cohen. Außerdem war in diesem kleinen Haus wahrscheinlich auch ein Raum für Juden, die in Bocholt auf ihre Flucht in die Niederlande warteten.

2808 Ebd. 2809 Vgl. Biogramm S. 312. 2810 Geschichte der Duisburger Juden, Band 34.2, S. 1028. 2811 Ebd. 2812 Privatbesitz Josef Niebur. Notiz über ein Interview am 21. Mai 2010 mit Wolfgang Euler (Enkel von Amalie und Leopold Markus), Cali/Kolumbien, Gerardo Mera-Euler, Düsseldorf, während eines Besuches in Bocholt, geführt von Josef Niebur und Hermann Oechtering. 2813 Geschichte der Duisburger Juden, Band 34.2, S. 1021. 2814 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2815 Privatbesitz Gerardo Mera-Euler. Bescheinigung des Amtsgerichts Duisburg, Abt. 6 a, 20. Januar 1933. 2816 Geschichte der Duisburger Juden, Band 34.2, S. 1021. 2817 Privatbesitz Gerardo Mera-Euler, Standesamt Duisburg-Hamborn, Geburtsschein vom 31. Oktober 1933. 2818 StdA B, 57 K 102 – ohne Titel -, Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand 1962). Das Verzeichnis gibt den Stand der Zuzüge bis 1941 wieder. 2819 Privatbesitz Gerardo Mera-Euler. Koninklijke nederlandsche Stoomboot-Maatschappij b. v. Amsterdam, an Erich Euler, 7. Februar 1938. 2820 Privatbesitz Josef Niebur. Notiz über ein Interview am 21. Mai 2010 mit Wolfgang Euler (Enkel von Amalie und Leopold Markus), Cali/Kolumbien, Gerardo Mera-Euler, Düsseldorf während eines Besuches in Bocholt, geführt von Josef Niebur und Hermann Oechtering. 2821 Privatbesitz Gerardo Mera-Euler. Auszug aus dem Geburtsregister der Stadt Mülheim an der Ruhr vom 19. November 2009. 2822 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

BUCH DER ERINNERUNG | 315 Leopold und  Amalie Markus wurden nach dem Verkauf des Hauses Ludgerusstraße 4 sofort aus dem Haus gedrängt. Vom 2. Mai bis zum 8. Dezember 1939 wurden sie von Nachbarn in ihr Haus Ludgerusstraße 7 aufgenommen2823. Dann verzog das Ehepaar nach Köln2824.

Schon am 11. Januar 1940 nach Bocholt zurückgekehrt, musste es nunmehr in das sog. Judenhaus Bahnhofstraße 16 ziehen2825.

Am 18. November 1941 erließ die Staatspolizeileitstelle Münster, u. a. an den Ober- bürgermeister Bocholt, die Aufforderung, dass 26 Juden am 10. Dezember 1941 nach Münster zu bringen seien. Von hier aus würden sie „nach dem Osten“ deportiert2826.

Amalie Markus sollte auch am 10. Dezember 1941 nach Riga deportiert werden. Am Vortag unternahm sie im sog. Judenhaus Bahnhofstraße 16 aus Angst vor dem Ungewis- sen den Versuch, sich das Leben zu nehmen. An den Folgen starb sie am 16. Dezember 1941 im Krankenhaus Rhede2827.

Am 10. Dezember 1941 wurde Leopold Markus auf Anordnung der Geheimen Staats polizei mit insgesamt 24 weiteren Bocholter Juden nach Münster gebracht. Währenddessen lag seine Frau  Amalie mit dem Tode ringend, allein von der Clemens-Schwes ter M. eophania Schroeder versorgt, im Rheder Krankenhaus. Am 16. Dezember 1941 starb Amalie Markus dort2828.

Aus Münster war Leopold Markus am 13. Dezember 1941 in das Ghetto Riga depor- tiert worden, wo der Zug am Abend des 15. Dezember 1941 ankam2829. Leopold Markus überlebte das mörderische Leben im Ghetto 16 Monate. Im März 1943 starb er an den im Ghetto Riga herrschenden unmenschlichen Lebensverhältnissen2830.

Erst 1954 erhielt die Tochter von Leopold Markus, die in Cali (Kolumbien) wohnende Trude Euler, die Nachricht vom Internationalen Roten Kreuz, dass ihr Vater im März 1943 im Ghetto Riga ermordet worden war. Am Tag, als diese Nachricht eintraf, so er- innert sich ihr Sohn Wolfgang Euler, fiel das Foto von  Amalie und Leopold Markus von der Wand2831.

1991 starb Trude Euler in Cali/Kolumbien2832.

Vor dem Haus Ludgerusstraße 4 liegen heute Stolpersteine, die an Leopold und  Amalie Markus,  Max und  Minna Marcus,  Hermann Cohen sowie  Emanuel Mühlfelder und  Sophia Mühlfelder erinnern2833.

Der Name von Leopold Markus ist auf einer Gedenktafel für die unmittelbar aus Bo- cholt 1941/42 deportierten Menschen jüdischen Glaubens in der Gedenkstätte für die ehemalige Bocholter Synagoge verzeichnet2834.

2823 Privatbesitz Josef Niebur. Notiz über ein Gespräch mit H. R. (* 1925) am 18. Oktober 2006. 2824 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2825 Ebd. 2826 Vgl. S. 109. 2827 StdA R, Sterbeurkunde von Amalie Sara Markus. 2828 Kriegschronik, S. 162; StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2829 Vgl. S. 110. 2830 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 925478. 2831 Privatbesitz Josef Niebur, Notiz über ein Interview am 21. Mai 2010 mit Wolfgang Euler (Enkel von Amalie und Leopold Markus), Cali/Kolumbien, während eines Besuches in Bocholt, geführt von Josef Niebur und Hermann Oechtering. 2832 Gerardo Mera Euler, Düsseldorf, 13. Oktober 2009. 2833 Vgl. S. 459 ff. 2834 Vgl. S. 133.

316 | BUCH DER ERINNERUNG Laura Mayer geborene Weinholt geboren am 13. Januar 1866 in Bocholt ermordet am 12. März 1943 im Ghetto eresienstadt

Laura Weinholt wurde am 13. Januar 1866 als Tochter des Fabrikanten Philipp Weinholt (* 8. Juni 1828, Warendorf – 3. Juni 1889, Bocholt2835) und seiner Frau Bella (* 29. März 1834, Beelen – 2836) in Bocholt Haus Feldmark Nr. 762 b (heute: Herzogstraße) geboren.

Das Ehepaar hatte fünf Kinder, zwei Jungen und drei Mädchen2837.

Einer der beiden Söhne, Philipp Isaac Weinholt (* 8. April 1890, Bocholt), wurde Kinder- arzt (Approbation 1916, Freiburg) und zog 1919 nach Limburg. Dort engagierte er sich als Stadtverordneter für die Deutsche Demokratische Partei in der Kommunalpolitik. 1938 zog er nach Aachen, von wo er 1939 nach Japan floh. In den frühen 1950er Jahren zog er nach Limburg zurück, wo er wieder praktizierte und am 23. März 1958 starb2838.

Philipp Weinholt, der Vater von Laura, betrieb seit 1845 in Bocholt eine Weberei und gehörte neben Philipp Liebreich, Salomon Benjamin und Isaac Franck 1862 zu den Gründern der Firma Gesellschaft für mechanische Weberei am Westend2839.

Weinholt war 1873 Vorsitzender der israelitischen Gemeinde und zuvor von 1861 – 1873 deren Repräsentant2840. Auch gesellschaftlich engagierte er sich: Er war 1862 stell- vertretender Vorsitzender des St. Georgius-Schützenvereins. Ein solch hohes Amt in einem Schützenverein in Bocholt bekleidete nach ihm kein Jude mehr. Weinholt wurde am 20. Juni 1863 von den Schützen in ein definitives Komitee gewählt, das die Neu- gründung des Schützenvereins voranbringen sollte2841.

Am 15. März 1887 verzog Laura Weinholt nach Köln2842.

Dort heiratete sie Jakob Mayer (* 6. Januar 1863, Bad Godesberg – ermordet am 11. August 1942, Ghetto eresienstadt2843). Nach 1939 mussten Laura und Jakob Mayer in das sog. Juden haus Salierring 48 ziehen, dann in ein Lager in Köln-Müngersdorf2844.

Am 15. Juni 1942 wurden sie zusammen mit 962 Leidensgenossen von Köln in das Ghetto eresienstadt deportiert, wo der Zug mit der Kennung III/1 am 16. Juni 1942 ankam2845. Laura Meyer trug die Transportnummer 8952846.

2835 Personenstandsregister, S. 447. 2836 Todesdatum und -ort waren nicht zu ermitteln. 2837 Personenstandsregister, S. 447. 2838 Stadtarchiv Limburg, 31. Mai 2012. 2839 Niebur, Herr Berla. […] in: Unser Bocholt, Heft 2/2007, S. 64. 2840 StdA B, Stadt Bocholt Nr. 2, Nr. 934 Synagogengemeinde 1840–1932. 2841 Niebur, Herr Berla. […] in: Unser Bocholt, Heft 2/2007, S. 64. 2842 Personenstandsregister, S. 447. 2843 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 1000555. 2844 NS-Dokumentationszentrum Köln, 30. November 2008. 2845 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 2846 http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON.ITI.532065.

BUCH DER ERINNERUNG | 317 Jakob Mayer wurde knapp zwei Monate nach seiner Ankunft am 11. August 1942 er- mordet2847. Den menschenverachtenden Lebensbedingungen im Ghetto eresienstadt konnte Laura Mayer mehrere Monate trotzen. Sie wurde am 12. März 1943 im Ghetto eresienstadt ermordet2848.

Anna Mendels geborene Goldberg geboren am 11. November 1875 in Großendorf (heute: Rahden) ermordet am 22. September 1942 im Ghetto eresienstadt

Anna Goldberg wurde am 11. November 1875 in Großendorf (heute Rahden-Großen- dorf) im damaligen Landkreis Lübbecke (heute: Minden-Lübbecke) geboren2849. Ihre Eltern waren der in Großendorf geborene Metzger Moses Goldberg und seine Frau Rita (geb. Grünewald) aus Borgholz, Kreis Warburg. Sie hatten am 2. Juni 1858 in Rahden geheiratet2850. Heute ist Rahden die nördlichste Stadt in Nordrhein-Westfalen.

Am 2. April 1911 zog Anna Mendels mit ihrem Mann, dem am 1. Mai 1876 in Rheda geborenen Max Mendels, und den in Münster geborenen beiden Kindern  Paul (* 1. Januar 1904 – ermordet nach dem 30. September 1944, Vernichtungslager Auschwitz2851) – Irma (* 6. Dezember 19042852, sie überlebte die Shoah2853) in Bocholt zu2854.

Die Familie wohnte zunächst in der Neustraße 18, ab dem 3. Januar 1927 in der Münsterstraße 131. Am 1. Dezember 1931 zogen die Mendels in das Haus Karolinger- straße 182855.

Bei der Wahl zur Repräsentantenversammlung der israelitischen Gemeinde Bocholt vom 21. April 1913 war Max Mendels für die Wahlperiode vom 3. Mai 1913 bis 2. Mai 1919 zum stellvertretenden Mitglied gewählt worden. Am 21. Mai 1913 wurde er von Bürger- meister Geller, dem vom Regierungspräsidenten in Münster ernannten Wahlkommis- sar, in sein Amt eingeführt2856.

2847 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 1000555. 2848 Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Gedenkblatt Axel Salm (Überlebender des Ghetto Riga), Wegberg, 15. März 1999, ebenso BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 1000537. Nach http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON.ITI.532065 wurde Laura Meyer am 15. März 1943 im Ghetto e- resienstadt ermordet. 2849 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 929638. 2850 StdA Rahden, 10. November 2011; weitere Personendaten waren weder dort noch beim landeskirchlichen Archiv Bielefeld vorhanden. 2851 Vgl. Biogramm S. 320. 2852 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2853 Irma Mendels ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 2854 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2855 Ebd. 2856 Ebd., SBOH 2 Nr. 1006. Wahlen 1896–1916. Wahl des Synagogenvorstandes und der Repräsentanten. Verzeichnis der Repräsentanten.

318 | BUCH DER ERINNERUNG 2857 Max Mendels starb am 1. Juli 1917 . Er Todesanzeige wurde auf dem Friedhof der israelitischen ihres Mannes Max Gemeinde Bocholt beigesetzt2858. Im Ein- Mendels. wohnerbuch, Ausgabe 1926, sind Anna (StA B, ZSlg., Bochol- Mendels und ihre Kinder wie folgt aufge- ter Volksblatt, 2. Juli 1917) führt: „Mendels, Anna, Witwe, Neustraße 18, Mendels, Irma, Verkäuferin, Neustraße 18, Mendels, Paul, kfm. Angestellter, Neu- straße 18“ 2859.

Anna Mendels und ihre Tochter Irma zo- gen am 31. Dezember 1938 nach Bielefeld, Laerstraße 92860. Hier befand sich später die Bezirksstelle Bielefeld der Reichsver- einigung der Juden in Deutschland2861.

Am 29. Juli 1942 wurde Anna Mendels aus Bielefeld in das Ghetto eresienstadt deportiert. Dort kam dieser Transport mit 901 Menschen jüdischen Glaubens am 1. August 1942 an2862. Nur 65 der deportierten Menschen aus diesem Transport wurden 1945 befreit2863. Anna Mendels wohnte zuletzt im Gebäude L 213, Zimmer 162864.

Die 67jährige erlag am 22. September 1942 den unmenschlichen Lebensbedingungen in diesem Ghetto2865. In der offiziösen Todesfallanzeige vom gleichen Tag, unterzeichnet vom Lagerarzt Dr. Schenie, wird der Todeszeitpunkt auf 12.00 Uhr festgelegt. Bei Anna Mendels wird als Todesursache eine akute Darmentzündung attestiert2866. In der Re- alität wird sie eher den unmenschlichen Lebensbedingungen im Ghetto eresienstadt erlegen sein.

Ihr Sohn  Paul Mendels wurde nach dem 30. September 1944 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet. Irma Mendels, ihre Tochter, überlebte wahrscheinlich die Shoah.

2857 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2858 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 29. 2859 Einwohnerbuch 1926, S. 90. 2860 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2861 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten über die Grundstücke der jüdischen Synagogengemeinde in Bocholt der Stadt Bocholt, Band -, Blatt Nr. 930, Jüdische Kultusvereinigung Israelitische Gemeinde e. V. Bocholt [Stempel] an Amtsgericht Bocholt, Abt. Grundbuch, vom 10. April 1940, Blatt 52. 2862 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich; eresienstädter Gedenkbuch, S. 66, http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON.ITI.535666. 2863 Ebd. 2864 Patmatnik Terecin, Terecin, an Hermann Oechtering, Bocholt, 29. August 2011. Todesfallanzeige vom 22. Sep- tember 1942. 2865 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 929638. 2866 Patmatnik Terecin, Terecin, an Hermann Oechtering, Bocholt, 29. August 2011. Todesfallanzeige vom 22. Sep- tember 1942.

BUCH DER ERINNERUNG | 319 Paul Mendels geboren am 1. Januar 1904 in Münster ermordet nach dem 30. September 1944 im Vernichtungslager Auschwitz

Paul Mendels wurde am 1. Januar 1904 in Münster geboren2867. Seine Eltern waren  Anna Mendels (geb. Goldberg, * 11. November 1875, Rahden-Großendorf – ermordet am 22. September 1942, Ghetto eresienstadt2868) und der Kaufmann Max Mendels (* 1. Mai 1876, Rheda – 1. Juli 1917, Bocholt2869).

Am 2. April 1911 zog Paul Mendels mit seiner ebenfalls in Münster geborenen Schwester Irma (* 6. Dezember 1904, sie überlebte die Shoah2870) und seinen Eltern nach Bocholt 2871.

Die Familie wohnte in der Neustraße 18.

Am 9. April 1920 zog Paul Mendels nach Bielefeld, am 24. Mai 1924 kam er nach Bo- cholt zurück und zog wieder zu seiner Mutter  Anna Mendels und Schwester Irma in die Neustraße 182872. Ab dem 3. Januar 1927 wohnten sie in der Münsterstraße 131. Am 1. Dezember 1931 zogen die Mendels in das Haus Karolingerstraße 182873. Der ursprüngliche Eintrag „kaufmännischer Angestellter“ auf seiner Einwohnermelde- karte wurde später durchgestrichen und durch „Expedient“ ersetzt2874.

Vier Wochen nach der Entrechtung der Menschen jüdischen Glaubens in der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 floh Paul Mendels am 6. Dezember 1938 nach Dinxperlo in die Niederlande2875. Am 4. Dezember 1939 zog er weiter nach Ede2876.

Paul Mendels wurde am 4. September 1944 aus dem polizeilichen Judendurch gangs- lager Westerbork zusammen mit etwa 2080 Menschen jüdischen Glaubens in das Ghetto eresienstadt deportiert. Das Ghetto war am 6. September 1944 erreicht.

Am 29. September 1944 deportierte man ihn aus eresienstadt in das Vernichtungs- lager Auschwitz2877, wo er am 30. September 1944 ankam2878. Dort verliert sich die Spur von Paul Mendels2879. Seine Mutter  Anna Mendels war schon am 22. September 1942 im Ghetto eresien- stadt getötet worden.

2867 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2868 Vgl. Biogramm, S. 318. 2869 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2870 Irma Mendels ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 2871 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2872 Ebd. 2873 Ebd. 2874 Ebd. 2875 Ebd. 2876 Gemeente Ede/Niederlande, 28. Januar 2001. 2877 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 929773. 2878 Ebd., Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlanden. 2879 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 929773.

320 | BUCH DER ERINNERUNG Hilde Metzger2880 geboren am 17. August 1909 in Bocholt ermordet nach dem 15. Dezember 1941 im Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiser- wald

Hilde Metzger wurde am 17. August 1909 als Tochter von Hedwig (geb. Blumenthal, * 14. Oktober 1878, Heesen bei Hamm2881 – lebte 1962 in Buenos Aires/Argentinien2882) und Josef Metzger (* 30. September 1877, Gescher2883 – lebte 1962 in Buenos Aires/ Argentinien2884) in Bocholt geboren.

Sie wohnte bei ihren Eltern und ihren Geschwistern im Haus Niederbruch 202885: – Alfred (* 8. Mai 1912, Bocholt – 2. Januar 1913, Bocholt2886) – Max (* 13. Februar 1913, Bocholt – 17. Januar 1933, Bocholt2887) – Erna Grünebaum, (geb. Metzger, * 20. Februar 1916, Bocholt2888 – lebte noch 1981 in Buenos Aires/Argentinien2889) – Meta Grünebaum (geb. Metzger, * 29. Januar 1919, Bocholt, wurde am 10. Dezember 1941 über Münster in das Ghetto Riga verschleppt, kehrte am 14. Juni 1945 aus dem ehemaligen Konzentrationslager Stutthof nach Bocholt zurück und wanderte am 11. Juni 1948 zu ihren Eltern nach Buenos Aires/Argentinien aus2890. Hier im Haus Nieder- Meta Metzger starb 1981 in Argentinien2891). bruch 20 (Zustand 1942) wohnte bis zu ihrer De- portation Hilde Metzger Hilde Metzger war mit ihren Schwestern Meta und Erna des Öfteren bei ihrer Tante  mit ihrer Familie. Selma Metzger (* 29. September 1879, Gescher – ermordet nach dem 15. Dezember (StdA B, Bildersamm- 2892 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald ) an der Dinx- lung, Niederbruch 20) perloer Straße. Heinrich Böing, der gegenüber dem Haus Dinxperloer Straße wohnte, konnte sich an die „schlanken Mädchen mit den schwarzen Haaren“ erinnern, die dort häufiger zu Besuch kamen2893.

Am 28. September 1940 wurde gegen die „auf den Namen des Kaufmanns Josef Metzger eingetragenen Grundstücke Kartenblatt 11, Parzellen 68, 722/69 und 723/702“, Nie-

2880 In Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names Page of testimony von 1971 von Fruma Frumet ist vermerkt, dass Hilde Metzger offensichtlich im Ghetto Riga einen Mann mit Namen Cohen heiratete. 2881 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2882 Ebd., 57 K 102 – ohne Titel -, Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962). 2883 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2884 Ebd., 57 K 102 – ohne Titel -, Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962). 2885 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2886 Ebd. 2887 Ebd. 2888 Ebd. 2889 BBV-Sonderbeilage, Weihnachten 1981, ohne Seitenzählung. Erna Grünebaum schreibt aus Argentinien. 2890 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2891 BBV-Sonderbeilage, Weihnachten 1981, ohne Seitenzählung. Erna Grünebaum schreibt aus Argentinien. 2892 Vgl. Biogramm S. 326. 2893 Privatbesitz Josef Niebur. Notiz über ein Interview mit Gertrud (* 1923) und Heinrich Böing (* 1921), Bocholt, am 15. Mai 1984.

BUCH DER ERINNERUNG | 321 derbruchstraße 20, die Zwangsversteigerung eingeleitet2894. Am 28. März 1941 wurde ein „Notarielles Protokoll […] über den Vertrag zwischen [dem] Kaufmann Josef Israel Metzger zu Bocholt, Niederbruchstraße 20 [und dem] Anstreichermeister [… über den] Verkauf des Hausbesitzes in Bocholt, Niederbruchstraße 20, 20 a und 20 b, – Grund- buch Blatt 665, Flur 11 Nr. 68, 722/69 und 723/70, 2,55 ar“ aufgenommen2895.

Noch am 12. August 1941 – Ende des zweiten Kriegsjahres, die Deportationen „nach dem Osten“ liefen seit mehr als einem Jahr – konnten Hilde Metzgers Eltern Josef und Hedwig Metzger nach Argentinien zu ihrer Tochter Erna ausreisen2896. Warum konnten Hilde und ihre Schwester Meta, die das Ghetto Riga und das Konzentrationslager Stutthof überlebte, nicht ihre Eltern begleiten und so dem NS-Regime entkommen?

Am 10. Dezember 1941 wurde Hilde Metzger zusammen mit ihrer Schwester Meta, ihrer Tante  Selma Metzger und ihrem Onkel  Isidor Metzger2897 nach Münster in das Sammellager Gertrudenhof gebracht.

„Ich fuhr, wie an fast jedem Morgen auch am 10. Dezember 1941, durch den Nieder- bruch zur Liebfrauenkirche. Dabei fiel mir an diesem kalten Dezembermorgen sofort eine Gruppe Männer auf, die vor dem Haus der Familie Metzger stand. Die Männer hatten Abzeichen am Arm. Als ich näher kam, sah ich, dass sie Metzgers aus dem Haus holten. Dabei wurden sie geschlagen; die Frauen weinten. In den Gesichtern der Juden stand Angst, sie sträubten sich. Doch die Männer schrien sie an. Sie schlugen noch die Scheiben ein. Die Juden mussten in den Bus einsteigen.“ (Luzia Sundermann 2898)

In die Einwohnermeldekarteikarte von Hilde Metzger wurde zunächst eingetragen: „10.12.41 n. Riga/Lettland.“2899 Aufgrund des Schreibens der Staatspolizeileitstelle Münster vom 18. Juli 1942 an die Meldeämter wurde dieser Vermerk geschwärzt und durch den Eintrag „unbekannt verzogen (ausgewandert)“ ersetzt2900.

Drei Tage später wurde Hilde Metzger mit 1031 Menschen jüdischen Glaubens aus dem Bereich der Staatspolizeileitstelle Münster sowie den Staatspolizeistellen Bielefeld und Osnabrück in das Ghetto Riga deportiert2901. Hier kam der Zug u. a. mit Hilde Metzger am 15. Dezember 1941 an. Von Hilde Metzger gab es nach ihrer Ankunft im Ghetto Riga keine Nachricht mehr2902.

Am 29. April 1949 wurde das ehemalige Grundstück Niederbruch 20 zur Sicherung der Rückerstattung von Wiedergutmachungsvermögen durch ein Schreiben der Stadt Bocholt – Wiedergutmachungsstelle – an das Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt – „aufgrund des Gesetzes Nr. 52/Allgem.Verfg. Nr. 10 der Mil.Reg. vom 20.10.1947“ auf die Liste der gesperrten Grundstücke gesetzt2903.

2894 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten […] über die Grundstücke […], Band -, Blatt 550, Blatt 47. 2895 Ebd., Notarielles Protokoll von Notar Hebberling über den Vertrag vom 28. März 1941, Blatt 55. 2896 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2897 Vgl. Biogramm, S. 323. 2898 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Luzia Sundermann (geb. Branse, 1901–1993), Bo- cholt, am 2. Dezember 1987. 2899 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2900 Nacke, S. 170. 2901 Vgl. S. 110. 2902 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 98416; Buch der Erinnerung, Band 2, S. 752. 2903 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten […] über die Grundstücke […], Band -, Blatt 550, Stadt Bocholt Wiedergutmachungsstelle an Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt , 29. April 1949, S. 93.

322 | BUCH DER ERINNERUNG Nach einem Vergleich zwischen Josef Metzger und dem neuen Eigentümer vor dem Wiedergutmachungsamt beim Landgericht Münster wurde das Wieder gut- machungsverfahren durch ein Schreiben des Kreisbeauftragten für gesperrte Vermögen beim Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Coesfeld, an das Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt – vom 9. Januar 1951 abgeschlossen2904.

Der Name von Hilde Metzger ist auf der Gedenktafel für die unmittelbar aus Bocholt 1941/42 deportierten Menschen jüdischen Glaubens an der Gedenkstätte für die ehe- malige Bocholter Synagoge verzeichnet2905.

Ebenso liegen vor dem Haus Niederbruch 20 sechs Stolpersteine. Sie erinnern u.a. an Hilde Metzger, ihre Tante  Selma Metzger sowie ihre Onkel  Simon Blumenthal und  Isidor Metzger2906.

Isidor Metzger geboren am 23. November 1880 in Gescher ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor Juli 1944 im Ghetto Riga/Konzentrations- lager Kaiserwald

Isidor Metzger wurde am 23. November 1880 als Sohn der Ehefrau Amalia (geb. Löwen- berg, * 1842, Datteln2907 – 27. Mai 19082908, Bocholt) und des Handelsmanns Ansel (oder Arnold2909) Metzger (* 18. September 1835, Heiden – 5. Mai 1893, Bocholt2910) in Gescher geboren2911.

Das Ehepaar Amalia und Arnold Metzger hatte gemeinsam die Kinder:  Julia Gumpert (geb. Metzger, * 15. August 1876, Gescher – ermordet am 12. Februar 1943, Vernichtungslager Auschwitz2912) – Josef (* 26. September 1877, Gescher2913 – lebte 1961 in Buenos Aires/Argen tinien2914)  Selma (* 29. September 1879, Gescher – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald2915) – Isidor – Julius (* 1892 – gefallen am 17. November 1917 im 11. Reserve-Infanterie- regiment2916).

2904 Ebd., Kreisbeauftragter für gesperrte Vermögen beim Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Coesfeld, an das Amtsgericht Bocholt Grundbuchamt – vom 9. Januar 1951, S. 95. 2905 Vgl. S. 133. 2906 Vgl. S. 459 ff. 2907 Nachlass Günter Lorch im Besitz von Josef Niebur: Stammbaum der Familien Lorch/Metzger, aufgestellt von Rechtsanwalt und Notar Dr. Johannes Alff. 2908 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 25. 2909 Nachlass Günter Lorch im Besitz von Josef Niebur: Stammbaum der Familien Lorch/Metzger, aufgestellt von Rechtsanwalt und Notar Dr. Johannes Alff. 2910 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 25. 2911 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2912 Vgl. Biogramm S. 209. 2913 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2914 Ebd., 57 K 100 – ohne Titel -. Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962). 2915 Vgl. Biogramm, S. 326. 2916 http://www.denkmalprojekt.org/Verlustlisten/vl_rjf_wk1_orte_b.htm.; Ich hatt‘ einen Kameraden, o. O. [Bocholt], o. J. [nach 1936].

BUCH DER ERINNERUNG | 323 Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt heiratete Isidor Metzger Josefine Salomon (* 5. Dezember 1880, Hilbringen bei Merzig – 27. Januar 1927, Bocholt2917). Die Ehe blieb kinderlos2918.

Am 9. April 1906 zogen Josefine und Isidor Metzger aus Gescher in Bocholt, Ostmauer 40, zu2919. Kaum sechs Wochen später, am 21. Mai 1906, zogen sie nach Gescher zurück. Am 2. August 1910 zogen sie aus Prüssenhofen nach Bocholt zunächst in das Haus Osterstraße 44. Einen Tag später meldeten sie sich zum Haus Osterstraße 49 um2920. Im Haus Osterstraße 49 führte Isidor Metzger ein Lebensmittelgeschäft. Er bewarb es mit seinen Anzeigen für „holländische Fische“ sowohl zur Zeit des jüdischen Neujahr- festes Rosch Haschana bzw. des Versöhnungstages Jom Kippur (im September bzw. Ok- tober) als auch an den christlichen Kartagen im März bzw. April2921. Wie fast alle jüdischen Geschäftsleute in Bocholt gab er in Gemeinschaftsanzeigen bekannt, dass sein Geschäft an Jom Kippur, dem jüdischen Versöhnungstag, geschlos- sen blieb2922. Bei den Wahlen am 25. Juni 1919 wurde er für die Zeit vom 4. September 1919 bis zum 4. September 1925 zum Mitglied der Repräsentantenversammlung gewählt, 1925 wurde er erneut bis zum 29. Dezember 1931 wiedergewählt2923. Noch 1938 gehörte er der letz- ten Repräsentantenversammlung der israelitischen Gemeinde Bocholt an2924. Josef Metzger, sein Bruder, wohnte mit seiner Frau Hedwig und den Kindern ebenfalls in Bocholt2925. Am 12. Juli 1924 zog  Selma Metzger zu ihrem Bruder Isidor nach Bo- cholt2926. Sie wurde in seinem Geschäft Verkäuferin2927.

Isidor Metzgers Frau Josefine starb am 27. Januar 1927 im Alter von 46 Jahren2928, sie wurde auf dem Friedhof der israelitischen Gemeinde Bocholt am Wasserturm beige- setzt2929.

Bei der Kommunalwahl am 19. November 1929 bewarb sich Isidor Metzger auf der Liste der Wirtschaftlichen Vereinigung um einen Sitz in der Stadtverordnetenversamm- lung. Als an sechster Stelle dieser Liste aufgestellt, schaffte er nicht den Einzug in die Stadtverordnetenversammlung2930.

1935 gab er sein Geschäft in der Osterstraße auf und zog in das Haus Dinxperloer Straße 292931. Seine Lebensmittelhandlung behielt er dort bei2932. Sie wurde noch in einem handschriftlichen Vermerk auf einem Schreiben der IHK Duisburg-Wesel an

2917 Nachlass Günter Lorch (1930–2008) im Besitz von Josef Niebur: Todesurkunde Josefine Metzger. 2918 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2919 Ebd. 2920 Ebd. 2921 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt, 27. März 1929. 2922 Ebd., Bocholter Volksblatt, 11. September 1927. 2923 StdA B, SBOH 2 Nr. 1007. Wahl des Vorstandes und der Repräsentanten der Synagogengemeinde 1916–1935. Verzeichnis der Repräsentanten der Synagogengemeinde. 2924 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke der jüdischen Synagogengemeinde in Bocholt […] Band -, Blatt Nr. 930, S. 29. 2925 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2926 Ebd. 2927 Einwohnerbuch 1926, S. 91; in der Einwohnermeldekarte (StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962) war als Beruf zunächst Geschäftsführerin, später Verkäuferin angegeben. 2928 Nachlass Günter Lorch im Besitz von Josef Niebur: Sterbeurkunde von Josefine Metzger, Standesamt Bocholt, 27. Januar 1927. 2929 Foto des Denkmals in: Sundermann, Friedhöfe, S. 155. 2930 StdA B, 3 K 435. Provinziallandtags- und Stadtverordnetenwahl am 19.11.1929. Wahlvorschlag für die Wirtschaft- liche Vereinigung für Kommunalwahl am 19.11.1929. 2931 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2932 StdA B, 57 K 101 – ohne Titel – Verzeichnis der jüdischen Gewerbebetriebe in Bocholt.

324 | BUCH DER ERINNERUNG die Stadtverwaltung Bocholt vom 7. Dezember 1938 als eine der drei letzten jüdischen Firmen in Bocholt erwähnt2933.

Der Hauseigentümer, die Erbengemeinschaft Jacob Spier, verkaufte das Haus Dinxper- loer Straße 29, in dem Isidor Metzger wohnte, am 30. August 1938. Am 16. Dezember 1938, nach der Auflösung seiner Lebensmittelhandlung, zog Isidor Metzger zu seinem Bruder Josef und dessen Familie in den Niederbruch 202934.

Kriegschronik der Stadt Bocholt, 11. Dezember 1941: „[...] Simon Israel Blumenthal und Isidor Metzger waren für die Deportation nicht mit vorgesehen; ihre Umsiedlung erfolgte auf eigenen Wunsch. [...]“2935

Isidor Metzger wurde gemeinsam mit seiner Schwester  Selma sowie den Nichten  Hilde (* 17. August 1909, Bocholt – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald2936) und Meta am 10. Dezember 1941 auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei aus dem Haus Niederbruch 20 in Bocholt abgeholt. Zusammen mit 24 anderen Bocholtern jüdischen Glaubens wurde Isidor Metzger nach Münster in das Sammellager Gertrudenhof gebracht. Hier wurden die Inhaftierten schikaniert und geschlagen2937.

Danach wurde auf seiner Einwohnermeldekartei eingetragen „10.12.41 n. Riga/ Lettland“. Anders als bei fast allen übrigen deportierten Bocholtern jüdischen Glaubens wurde dieser Vermerk nach der entsprechenden Anordnung der Staatspolizeileitstelle Münster vom 18. Juli 1942 nicht gelöscht2938.

Am 13. Dezember 1941 wurde Isidor Metzger aus Münster in das Ghetto Riga depor- tiert. Dort kam der Zug am Abend des 15. Dezember 1941 an2939. Dies ist die letzte Nachricht von Isidor Metzger2940.

Isidor Metzger wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Bocholt vom 11. Dezember 1954 zum „8. Mai 1945, 24.00 Uhr“ für tot erklärt2941.

Der Name von Isidor Metzger ist auf der Gedenktafel an der Gedenkstätte für die ehe- malige Bocholter Synagoge verzeichnet2942.

Ebenso liegen Stolpersteine vor dem Haus Niederbruch 20, die an Isidor Metzger, seine Schwester  Selma Metzger und seine Nichte  Hilde Metzger sowie seinen Schwager  Simon Blumenthal erinnern2943.

2933 Ebd., hs. Notiz der Stadtverwaltung Bocholt auf dem Schreiben der Niederrheinischen Industrie- und Han- delskammer Duisburg-Wesel vom 7. Dezember 1938 an den Herrn Oberbürgermeister als Ortspolizeibehörde Bocholt. 2934 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2935 Kriegschronik, S. 162. 2936 Vgl. Biogramm S. 321. 2937 LA NW- STA Detmold, Bestand D 21 A Nr. 4852, Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen Ernst Diele u. a. wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord 5 Js 18/61, Ordner I, Blatt 92–94, Vermerk über eine Aussage des Ehepaares Goldenberg. 2938 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2939 Vgl. S. 110. 2940 Buch der Erinnerung, Band 2, S. 752. 2941 Amtsgericht Bocholt, Abteilung 5, Toderklärungsakte Lorch-Metzger 5 II 11 -14/54, Beschluß des Amtsgerichts Bocholt vom 11. Dezember 1954, Blatt 24. 2942 Vgl. S. 133. 2943 Vgl. S. 459 ff.

BUCH DER ERINNERUNG | 325 Selma Metzger geboren am 29. September 1879 in Gescher ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor August 1944 im Ghetto Riga/Konzen- trationslager Kaiserwald

Selma Metzger wurde am 29. September 1879 als Tochter der Ehefrau Amalia (geb. Löwenberg, * 1842, Datteln2944 – 27. Mai 19082945, Bocholt) und des Handelsmanns Ansel (oder Arnold2946) Metzger (* 18. September 1835, Heiden – 5. Mai 1893, Bocholt2947) in Gescher (Kreis Coesfeld, heute: Kreis Borken) geboren.

Das Ehepaar Metzger hatte gemeinsam die Kinder:  Julia Gumpert (geb. Metzger, * 15. August 1876, Gescher – ermordet am 12. Februar 1943, Vernichtungslager Auschwitz2948) – Josef (* 26. September 1877, Gescher2949 – lebte 1961 in Buenos Aires/ Argentinien2950) – Selma  Isidor (* 23. November 1880, Gescher – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor Juli 1944, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald2951) – Julius (* 1892 – gefallen am 17. November 1917 im 11. Reserve-Infanterieregiment 2952).

Selma Metzger blieb ledig2953. Sie kam vor 1886 mit ihrer Familie nach Bocholt, Feld- mark 2017. Am 31. Oktober 1900 zog sie nach Emmerich, vor 1906 kam sie nach Bo- cholt, Ostmauer 40, zurück.

Dann zog sie nach Odenkirchen. Am 17. November 1910 kam sie nach Bocholt, Nobel- straße 28, zurück, wo  Salomon Seif2954 mit seiner Familie wohnte. 1911 zog sie in die Osterstraße 42.

Nach vorübergehendem Umzug nach Borken 1917 kam sie am 15. Juli 1919 nach Bo- cholt, Osterstraße 42, zurück. Selma Metzger zog am 18. Juli 1935 in die Dinxperloer Straße 292955, wo ihr Bruder  Isidor Metzger eine Lebensmittelhandlung betrieb2956.

Als ihr Beruf wurde in der Einwohnermeldekarteikarte zunächst „Fabrikarbeiterin“ an- gegeben. Später wurde diese Berufsbezeichnung gestrichen und stattdessen „Geschäfts- führerin“ vermerkt2957.

2944 Nachlass Günter Lorch im Besitz von Josef Niebur: Stammbaum der Familien Lorch/Metzger, aufgestellt von Rechtsanwalt und Notar Dr. Johannes Alff. 2945 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 25. 2946 Nachlass Günter Lorch im Besitz von Josef Niebur: Stammbaum der Familien Lorch/Metzger, aufgestellt von Rechtsanwalt und Notar Dr. Johannes Alff. 2947 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 25. 2948 Vgl. Biogramm, S. 209. 2949 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2950 Ebd., 57 K 100 – ohne Titel -. Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962). 2951 Vgl. Biogramm, S. 323. 2952 http://www.denkmalprojekt.org/Verlustlisten/vl_rjf_wk1_orte_b.htm.; Ich hatt‘ einen Kameraden, o. O. [Bocholt], o. J. [nach 1936]. 2953 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2954 Vgl. Biogramm S. 373. 2955 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2956 Einwohnerbuch 1937 [Stand: 15. Oktober 1935], S. 117. 2957 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

326 | BUCH DER ERINNERUNG Am 6. Dezember 1938 verzog Selma Metzger zu ihrem anderen in Bocholt wohnenden Bruder Josef Metzger in den Niederbruch 202958.

„Unsere Mutter, die keine Jüdin war, schirmte meine Schwester und mich weitest- gehend von der Öffentlichkeit ab. Außer zur Schule verließen wir – nachdem wir einige Male von der HJ drangsaliert worden waren – das Haus kaum, seitdem Vater 1938 in die Niederlande geflohen war. Einige Male ging sie mit uns zu unserem Großonkel Jupp Metzger und seiner Frau Hedwig, die im Niederbruch wohnten. Bei ihm wohnten ihre Kinder Hilde und Meta sowie Isidor Metzger, der Bruder von Onkel Jupp. Eben- falls im Haus wohnten Selma Metzger und Simon Blumenthal.” (Günter Lorch, 1930-2008 2959)

Selma Metzger wurde am 10. Dezember 1941 auf Anordnung der Geheimen Staats polizei mit insgesamt 24 anderen Bocholter Juden von Bocholt nach Münster gebracht2960. Darunter waren auch ihr Bruder  Isidor Metzger sowie ihre Nichten  Hilde2961 und Meta Metzger.

In die Einwohnermeldekarteikarte von Selma Metzger wurde danach eingetragen: „10.12.41 n. Riga/Lettland.“2962 Dieser Vermerk wurde auch nach der Anordnung der Staatspolizeileitstelle Münster vom 18. Juli 1942 an die Meldeämter, diesen Vermerk zu löschen2963, nicht ersetzt.

Am 13. Dezember 1941 wurde Selma Metzger mit ihren Verwandten zusammen mit 1031 Menschen jüdischen Glaubens aus den Bereichen der Staatspolizeileitstelle Münster sowie der Staatspolizeistellen Bielefeld und Osnabrück in das Ghetto Riga depor tiert. Hier kam der Transport mit Selma Metzger am Abend des 15. Dezember 1941 an2964.

In oder bei Riga wurde sie ermordet2965. Über ihre Ermordung gab es keinen Bericht. Selma Metzger wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Bocholt vom 11. Dezember 1954 zum „8. Mai 1945, 24.00 Uhr“ für tot erklärt2966.

Der Name von Selma Metzger ist auf der Gedenktafel für die unmittelbar aus Bocholt 1941/42 deportierten Menschen jüdischen Glaubens in der Gedenkstätte für die ehe- malige Bocholter Synagoge verzeichnet2967.

Ebenso liegen Stolpersteine vor dem Haus Niederbruch 20, die an Selma Metzger, ihren Bruder  Isidor Metzger, ihre Nichte  Hilde Metzger sowie ihren Schwager  Simon Blumenthal erinnern2968.

2958 Ebd. 2959 Privatbesitz Josef Niebur, Notiz über ein Interview mit Günter Lorch (1930 – 2008) am 26. November 1996. 2960 Vgl. S. 110. 2961 Vgl. Biogramm S. 321. 2962 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2963 Nacke, S. 170. 2964 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 930515. 2965 Ebd. 2966 Ebd., Amtsgericht Bocholt, Abteilung 5, Toderklärungsakte Lorch-Metzger 5 II 11 -14/54, Beschluß des Amtsge- richts Bocholt vom 11. Dezember 1954, Blatt 24. 2967 Vgl. S. 133. 2968 Vgl. S. 459 ff.

BUCH DER ERINNERUNG | 327 Otto Meyer

geboren am 11. September 1896 in Bocholt ermordet nach dem 22. Januar 1945 im Konzentrationslager Buchenwald

Otto Meyer wurde am 11. September 1896 im Haus Osterstraße 8 in Bocholt geboren. Seine Eltern waren „Jakob M[eier], Kaufmann, jüdisch, geboren in Dülken / Kempen [am] 6. März 1853, gestorben am 16. Juli 1918 in [Bad] Lippspringe und Paulina, ge- borene Ostberg, jüdisch, geboren [in] Rhede [am] 6. März 1859“2969. Am 21. November 1928 warb Jakob Meier, der Otto Meyer verzog am Vater von Otto Meyer, 14. April 1919 nach für sein Teppich- Düsseldorf, Berger allee geschäft. 32970. Unter dieser Ab- (StdA B, ZSlg., meldung folgt auf der Bocholter Volksblatt, Einwohnermeldekartei- 21. November 1928) karte der Vermerk: „l[etzte]. pol[izeiliche]. Feststell[ung]. in Berlin- Charlottenburg, Witz- lebenstr. 23, Aug[ust] [19]22.“2971 Otto Meyer arbeitete in einem Werk von Siemens & Halske in Berlin2972.

Vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 soll er nach Polen de- portiert worden sein2973. Nach Feststellungen des Bundesarchivs wurde Otto Meyer später aus Berlin in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert.

Als die Rote Armee im Januar 1945 kurz vor Auschwitz stand, wurde er am 22. Januar 1945 in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Dort wurde er ermordet2974.

2969 Wessels/Runte, S. 41. 2970 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2971 Ebd. 2972 Stadt Bocholt, Fachbereich Zentrale Verwaltung - Interne Dienste - Ordner: Juden 1. Harry Meier, Baltimore/ USA, Bericht „Meine Erinnerungen an Bocholt“ vom 24. November 1997 an Bürgermeisterin Feldhaar und Stadt- direktor Dahlen. 2973 Ebd. 2974 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 1120524; im Gedenkbuch Berlins gibt es keinen Eintrag zu Otto Meyer.

328 | BUCH DER ERINNERUNG Bertha Mühlfelder geboren am 12. Oktober 1892 in Straßburg/Sachsen ermordet nach dem 1. Oktober 1944 im Konzentrationslager Stutthof

Bertha2975 Mühlfelder kam vor 1906 mit ihrer Schwester  Hedwig Mühlfelder (* 6. Dezember 1890, Straßburg/Sachsen – ermordet nach dem 1. Oktober 1944, Konzentrations lager Stutthof2976) nach Bocholt. Berta Mühlfelder Sie hatte die Staatsangehörigkeit des Herzog- wohnte im Haus tums Sachsen-Meiningen. Ihre Eltern waren Osterstraße 33, in dem der Lehrer Jacob Mühlfelder (* 1855 – etwa Meier Mühlfelder sein Kauf- und Reformhaus 19222977) und dessen Frau Frieda (geb. Barbier, betrieb. * 9. Juni 1864 – ermordet am 16. April 1943, (StdA B, ZSlg., Bocholter 2978 Ghetto eresien stadt ). Volksblatt, 8. Juli 1911)

Wie ihre Schwester  Hedwig wohnte sie in der Osterstraße 33 bei der Familie Meier Mühlfelder2979. Beide Schwestern blieben un- verheiratet2980.

Am 2. November 1936 zog Bertha Mühl- felder nach Köln, eresienstraße 86, wo ihre Schwester  Hedwig bereits seit sechs Wochen lebte2981. Etwa 1939 mussten Bertha und  Hedwig Mühlfelder in das sog. Juden- haus Bismarckstraße 12 ziehen2982.

Mit einem Deportationszug wurden Bertha und  Hedwig Mühlfelder am 7. Dezember 1941 von Köln aus mit über 1011 Menschen jüdischen Glaubens in das Ghetto Riga deportiert, wo sie am 10. Dezember 1941 ankamen.

Bertha und ihre Schwester  Hedwig Mühlfelder wurden im September 1944 bei der Auflösung des Konzentrationslagers Kaiserwald bei Riga in das Konzentrationslager Stutthof deportiert. Dort kamen sie am 1. Oktober 1944 an. Die Schwestern erlagen den im Herbst 1944 besonders mörderischen Haftbedingungen im Konzentrationslager Stutthof oder wurden in einer Gaskammer ermordet2983.

2975 Die Schreibweise ihres Vornamens ist nicht einheitlich. In der Einwohnermeldekartei Bocholt wird sie Bertha geschrieben, während in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 102581 das „h“ entfällt und ihr Vorname Berta lautet. 2976 Vgl. Biogramm, S. 332. 2977 http://www.thueringen.de/imperia/md/content/lzt/6juedischevergangenheit.pdf, S. 159. Den Hinweis auf die Le- bensdaten von Jacob und Frieda Mühlfelder erteilte das Kreisarchiv Hildburghausen, 9. Dezember 2011. 2978 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 933583. 2979 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2980 Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names. Gedenkblatt vom 12. März 2003 von Alex Salm, Wegberg (Überlebender des Ghetto Riga). 2981 NS-Dokumentationszentrum Köln, 18. November 2007. 2982 Ebd. 2983 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nrn. 933578, 933579.

BUCH DER ERINNERUNG | 329 Emanuel2984 Mühlfelder

geboren am 22. Mai 1875 in Gleicherwiesen/üringen ermordet nach dem 23. September 1942 im Vernich- tungslager Treblinka Emanuel Mühlfelder (StdA B, 57 K 102 – ohne Titel -) Emanuel Mühlfelder wurde am 22. Mai 1875 als Sohn des Kaufmanns Gustav Mühlfelder und seiner Frau Regina (geb. Freund)2985 in Gleicherwiesen/üringen geboren2986.

1906 kam er nach Rhede, wo er am 13. August 1906  Sophia (geb. Cleffmann, * 16. Februar 1875, Rhede – ermordet nach dem 23. September 1942, Vernichtungslager Treblinka2987) heiratete2988.

Dem Ehepaar wurden zwei Kinder geboren: – Alfred (* 9. Juli 1907, Rhede, lebte 1959 in Israel2989, wo er später mit Fruma Mühlfelder verheiratet war2990) – Hilde (* 7. Dezember 1908, Rhede, emigrierte vor 19392991).

In der Hohen Straße 9 in Rhede übernahm Emanuel Mühlfelder das Manufaktur- warengeschäft seines Schwiegervaters Louis Cleffmann2992. Im Ersten Weltkrieg zum Militär einberufen, wurde er nach 1918 Mitglied im Rheder Kriegerverein2993. Emanuel Mühlfelder war Mitglied im St. Jakobi-Schützenverein, in dem sein Schwager Louis Cleffmann 1910 Schützenkönig, außerdem Schützenmajor und Träger des Ehrendegens war 2994. Sein Sohn Alfred Mühlfelder spielte später beim VfL Rhede 1920 e. V. mehrere Jahre Fußball2995.

Im Einwohnerbuch 1926 ist unter dem Amtsbezirk Rhede aufgeführt: „Mühlfelder, E., vormals L. Kleffmann [sic], Manufakturwaren, Hohestr. 7“2996. 1935 musste das Ehepaar wegen des auch nach Rhede kommenden Antisemitismus‘ sein Geschäft aufgeben. Emanuel und  Sophia Mühlfelder verzogen am 28. Oktober 1935 nach Bocholt in die Ludgerusstraße 42997.

2984 Emanuel Mühlfelder unterschreibt am 13. August 1906 seine Heiratsurkunde in Rhede (StdA R, Standesamt Rhe- de Heirats-Erstbuch 1906, Archivregistratur A 1859) als Emmanuel Mühlfelder. 2985 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. Kreisarchiv Hildburghausen, 15. Dezember 2011, zur Fa- milie von Emanuel Mühlfelder konnten keine Angaben gemacht werden. Familie Mühlfelder wohnte 1851 schon in Gleicherwiesen. 2986 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 2987 Vgl. Biogramm, S.333. 2988 Stadtarchiv Rhede, A 1859, Heirats-Erstbuch 1906, Urkunde Nr. 29 vom 13. August 1906. 2989 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grund-Akten des Amts-Gerichts Bocholt über die Grundstücke des Kauf- manns Emanuel Mühlfelder in Bocholt, des Händlers Norbert Lorch, hier, der Geschwister Günter und Regina Lorch, hier, Band 129, Blatt 3242, S. 161, Alfred (Ephraim) Mühlfelder, Jaffa-Tel Aviv, Israel, Giwat Alijah 409/17 an das Grundbuchamt Bocholt - 15. April 1959. 2990 Wessels/Runte, S. 59. 2991 Ebd. 2992 Einwohnerbuch 1926, S. 391. 2993 Wessels/Runte, S. 59. 2994 Ebd. 2995 Ebd., S. 60. 2996 Einwohnerbuch 1926, S. 391. 2997 StdA B, verlmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

330 | BUCH DER ERINNERUNG „Ebenso weiß ich, dass Emanuel Mühlfelder, der aus Rhede kam, mit Textilien handelte, um sich ‚über Wasser‘ zu halten. Emanuel Mühlfelder war klein und kaufte die Textilien bei meinem Vater, der am Westend eine Textilfabrik hatte. Vater wurde angeschwärzt, weil er an Herrn Mühlfelder verkaufte. Als er einmal in Vaters Firma war, kam eine Kontrolle. Vater versteckte Herrn Mühlfelder in einem Regal und zog dann den Vorhang vor, damit dieser nicht entdeckt wurde. Danach sagte er zu Herrn Mühlfelder, dass er nicht mehr an ihn verkaufen werde. Das war meinem Vater zu gefährlich.“ (Hans Fischer2998)

Am 5. Juni 1937 verkaufte der „[...] Kaufmann Emanuel Mühlfelder zu Bocholt, Ludgerusstraße 4“ dem „Händler Norbert Lorch zu Bocholt, Ostmauer 3“ das Grund- stück Ostmauer 15 a2999.

Aus dem Haus Ludgerusstraße 4 mussten Emanuel und dessen Frau  Sophia Mühlfelder am 2. Mai 1939 in das sog. Judenhaus Stiftstraße 32 ziehen3000. Dieses Haus sollte, nach einem am 16. Dezember 1938 zwischen der Israelitischen Gemeinde Bocholt und der damaligen Stadtverwaltung geschlossenen Vertrag über den Kauf des Gebäudes der früheren israelitischen Schule am Nordwall 26, den „obdachlos werdenden jüdischen Menschen“ 3001 zur Verfügung stehen. Trotzdem wurde das Haus von der Stadt verkauft.

Am 31. Januar 1939 wurde folgender Randvermerk auf der Heiratsurkunde von Emanuel und  Sophia Mühlfelder angebracht: „Gemäß Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17. August 1938 hat […] nebenbezeichneter Ehemann ab 1. Januar 1939 zusätzlich den Vornamen ‚Israel’ angenommen.“3002

Am 27. Februar 1942 wurde das Ehepaar zusammen mit den letzten jüdischen Be- wohnern aus dem Haus Stiftstraße 32 gewiesen. Sie wurden in das Haus Schwartzstraße 14 gebracht. Es war seit dem 13. November 1940 Eigentum der katholischen Frau von Albert Löwenstein (* 9. Dezember 1876, Rietberg – 3. Mai 1960, Düsseldorf), Angelika (geb. Knappertsbusch, * 6. März 1877, Wieden (heute: Wülfrath) – 26. August 1960, Düsseldorf), und dennoch faktisch ein sog. Judenhaus3003. Von hier aus wurden Emanuel und seine  Frau Sophia Mühlfelder am 27. Juli 1942 von Beamten der Stapoleitstelle Münster mit einem Möbelwagen in das Sammellager in der ehemaligen Gaststätte Ger- trudenhof am Kaiser-Wilhelm-Ring in Münster gebracht.

Von dort wurden sie am 29. Juli 1942 mit etwa 900 vornehmlich älteren Juden aus dem Bezirk der Stapoleitstelle Münster mit dem Transport XI/1 in das Ghetto eresien- stadt deportiert3004. Der Deportationstransport kam am 1. August 1942 im Ghetto an3005.

2998 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Hans Fischer (1908–2002), Bocholt-Holtwick, am 23. März 1995, geführt von Josef Niebur und Werner Sundermann. 2999 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Kaufmanns Emanuel Mühlfelder in Bocholt, [des] Händ- lers Norbert Lorch, hier, der Geschwister Günter und Regina Lorch, hier, Band 129, Blatt 3242, Seite 35–36, Vertrag vor Notar Dr. Karl Isert. 3000 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3001 Stadt Bocholt, Fachbereich Stadtgrün, Altablage, Akte Jüdischer Friedhof, Jewish Trust Corporation for Germany, Zweigbüro Ruhr Mühlheim, an Stadtdirektor Bocholt, 28. Oktober 1953. 3002 StdA Rhede, A 1859, Heirats-Erstbuch 1906, Urkunde Nr. 29 vom 13. August 1906. Randvermerk vom 31. Januar 1939. Dieser Randvermerk wurde am 23. Mai 1946 „auf Anordnung der Provinz Westfalen gemäß § 134 DA von Amtswegen“ gelöscht. 3003 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; Nachlaß Josef Fehler. Zeugenaussage von Angelika Löwen- stein (geb. Knappertsbusch) vom 3. November 1955 im Prozess Fehler und Andere gegen das Land NRW vor der 2. Entschädigungskammer des Landgerichts Münster – Aktenzeichen 9 0 (Entsch.) 66/54 -. 3004 eresienstädter Gedenkbuch, S. 77. 3005 Ebd.

BUCH DER ERINNERUNG | 331 Emanuel und  Sophia Mühlfelder wurden am 23. September 1942 aus dem Ghetto eresienstadt mit dem Transport „Bq“, einem sog. Altentransport, zusammen mit 1980 Menschen in das Vernichtungslager Treblinka gebracht3006. Dort wurden Emanuel und  Sophia Mühlfelder ermordet3007.

Vor dem Haus Ludgerusstraße 4 liegen heute Stolpersteine, die an Emanuel Mühlfelder und  Sophia Mühlfelder,  Leopold und  Amalie Markus,  Max und  Minna Marcus sowie  Hermann Cohen erinnern3008.

Ebenso sind die Namen von Emanuel Mühlfelder und seiner Frau  Sophia auf dem Gedenkstein an der Gedenkstätte für die ehemalige Synagoge in Bocholt verzeichnet3009.

Hedwig Mühlfelder geboren am 6. Dezember 1890 in Straßburg/Sachsen ermordet nach dem 1. Oktober 1944 im Konzentrationslager Stutthof

Hedwig Mühlfelder aus Straßburg/Sachsen kam mit ihrer Schwester  Bertha Mühlfelder (* 12. Oktober 1892, Straßburg/Sachsen – ermordet nach dem 1. Oktober 1944, Konzentrationslager Stutthof 3010) vor 1906 nach Bocholt. Die Geschwister besaßen die Staatsangehörigkeit des Herzogtums Sachsen-Meiningen. Hedwig wohnte wie ihre Schwester  Bertha in der Osterstraße 33 bei der Familie Meier Mühlfelder3011. Beide Schwestern blieben unverheiratet3012.

Von 1908 bis 1919 wohnte Hedwig Mühlfelder in Köln, dann zog sie wieder nach Bo- cholt zurück3013. Am 19. September 1936 zog Hedwig Mühlfelder endgültig nach Köln in die eresienstraße 86, wo sie später wieder zusammen mit ihrer Schwester  Bertha wohnte3014. Um 1939 musste sie, wie ihre Schwester  Bertha, in das sog. Judenhaus Bismarckstraße 12 in Köln ziehen3015.

Mit einem Deportationszug wurden Hedwig Mühlfelder und ihre Schwester  Bertha am 7. Dezember 1941 von Köln aus mit über 1011 Menschen jüdischen Glaubens in das Ghetto Riga deportiert, wo sie am 10. Dezember 1941 ankamen3016.

3006 Patmatnik Terecin (Gedenkstätte eresienstadt), 29. April 1997; die Schwiegertochter Fruma Mühlfelder (Haifa) schreibt in einer Page of Testimony von 1988, dass Emanuel Mühlfelder im April 1943 im Ghetto eresienstadt ermordet worden sei (Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names), eresienstädter Gedenk- buch, S. 77. 3007 Ebd., S. 565. 3008 Vgl. S. 459 ff. 3009 Vgl. S. 133. 3010 Vgl. Biogramm, S. 329. 3011 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3012 Ebd. 3013 Ebd. 3014 NS-Dokumentationszentrum Köln, 18. November 2008. 3015 Ebd. 3016 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich.

332 | BUCH DER ERINNERUNG Hedwig Mühlfelder und ihre Schwester  Bertha wurden bei der Auflösung des Konzentrationslagers Kaiserwald bei Riga im September 1944 in das Konzentrations- lager Stutthof deportiert. Dort kamen sie am 1. Oktober 1944 an.

Die Schwestern erlagen den im Herbst 1944 besonders mörderischen Lebensbedingun- gen in diesem Konzentrationslager oder wurden hier in einer Gaskammer ermordet3017.

Sophia Mühlfelder geborene Cleffmann3018 geboren am 16. Februar 1875 in Rhede ermordet nach dem 23. September 1942 im Vernichtungs- lager Treblinka

Sophia Mühlfelder wurde als Sophia Cleffmann am 16. Feb- ruar 1875 in Rhede geboren. Am 13. August 19063019 heira- tete sie dort  Emanuel Mühlfelder (* 22. Mai 1875, Glei- cherwiesen/üringen – ermordet nach dem 23. September 1942, Vernichtungslager Treblinka3020).

Dem Ehepaar wurden zwei Kinder geboren: – Alfred (* 9. Juli 1907, Rhede, lebte 1959 in Israel, wo er mit Fruma Mühlfelder verheiratet war3021) – Hilde (* 7. Dezember 1908, Rhede, emigrierte vor 19393022).

1935 musste das Ehepaar sein Manufakturwarengeschäft an der Hohen Straße in Rhede aufgeben. Sophia und  Ema- nuel Mühlfelder verzogen am 28. Oktober 1935 nach Bocholt in die Ludgerusstraße 43023.

Am 31. Januar 1939 wurde folgender Randvermerk auf der  Heiratsurkunde von Emanuel Mühlfelder und Sophia Heiratsurkunde von Sophia und Emanuel Mühlfelder an- Cleffmann vom 13. August 1906 (1. Seite). gebracht: „Gemäß Verordnung zur Durchführung des Ge- (Stadtarchiv Rhede, Standesamt, Heiratsurkunde von setzes über die Änderung von Familiennamen und Vorna- Emmanuel Mühlfelder und Sophie Cleffmann vom men vom 17. August 1938 hat [... nebenbezeichnete Ehefrau 13.08.1906, Nr. 29) ab 1. Januar 1939 zusätzlich den weiteren Vornamen ‚Sara’ angenommen.“3024

3017 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 933579. 3018 Nach StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962 war der Familienname von Sophia Mühlfelder Kleff- mann. 3019 StdA Rhede, A 1859, Heirats-Erstbuch 1906, Urkunde Nr. 29 vom 13. August 1906. 3020 Vgl. Biogramm S. 330. 3021 Wessels/Runte, S. 59. 3022 Ebd. 3023 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3024 StdA Rhede, A 1859, Heirats-Erstbuch 1906, Urkunde Nr. 29 vom 13. August 1906. Randvermerk vom 31. Januar 1939. Dieser Randvermerk wurde am 23. Mai 1946 „auf Anordnung der Provinz Westfalen gemäß § 134 DA von Amtswegen“ gelöscht.

BUCH DER ERINNERUNG | 333 Nach dem Verkauf des Hauses Ludgerusstraße 4 durch  Minna Marcus3025 mussten sie von dort am 2. Mai 1939 in das sog. Judenhaus Stift straße 32 ziehen3026. Bei dessen Auflösung als sog. Judenhaus am 27. Februar 1942 wurden Sophia und  Emanuel Mühlfelder in das Haus Schwartzstraße 14 gebracht. Das Haus war seit dem 13. November 1940 Eigentum der katholischen Frau von Albert Löwenstein (* 9. Dezember 1876, Rietberg – 3. Mai 1960, Düsseldorf), Angelika (geb. Knappertsbusch), und dennoch faktisch ein sog. Judenhaus.

Eintrag in die Kriegschronik vom 27. Juli 1942: „Gegen 22.30 Uhr wurden die nachstehend aufgeführten Juden, die in der Schwartzstraße Nr. 14 wohnten, von einem Beamten der Geheimen Staatspolizei aus Münster mit einem großen Möbelauto abgeholt und zunächst nach Münster gebracht. Angeblich sollen sie nach Böhmen evakuiert werden: ... 7. Frau Mühlfelder, Sophie Sara, geborene Kleffmann [sic], geb. 16.2.75, Rhede, ..“3027

In diesem Haus Hohe Von der Schwartzstraße 14 aus wurden Sophia und ihr Mann  Emanuel Mühlfelder Straße 9 (zweites Haus links) in Rhede wurde am 27. Juli 1942 von Beamten der Geheimen Staatspolizei zusammen mit sechs weiteren Sophia Mühlfelder gebo- Juden nach Münster in das Sammellager in der ehemaligen Gaststätte Gertrudenhof an ren; hier führte sie mit der Kreuzung von Kaiser-Wilhelm-Ring und Warendorfer Straße gebracht. In diesem ihrem Mann Emanuel Sammellager waren sie den Schikanen der Gestapo ausgesetzt3028. bis 1935 ein Manufak- turwarengeschäft. Aus Münster wurde das Ehepaar am 29. Juli 1942 mit 900 älteren Menschen mit dem (Stadtarchiv Rhede, Transport XI/1 in das Ghetto eresienstadt deportiert. Reproduktion Bildarchiv,

Abb. Hohe Straße in 3029 Rhede) Der Deportationstransport kam am 1. August 1942 im Ghetto an . Sophia und  Emanuel Mühlfelder wurden am 23. September 1942 aus dem Ghetto eresienstadt mit dem Transport „Bq“, einem sog. Altentransport, in das Vernichtungslager Treblinka gebracht3030. Hier wurden Sophia und  Emanuel Mühlfelder ermordet3031.

Vor dem Haus Ludgerusstraße 4 liegen heute Stolpersteine, die an Sophia und  Emanuel Mühlfelder,  Leopold und  Amalie Markus,  Max und  Minna Marcus sowie  Hermann Cohen erinnern3032.

Die Namen von Sophia und  Emanuel Mühlfelder sind auf einer Gedenktafel an der Gedenkstätte für die ehemalige Synagoge in Bocholt verzeichnet3033.

3025 Vgl. Biogramm S. 310. 3026 StdA B, verlmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3027 Kriegschronik, S. 211. 3028 Vgl. S. 116. 3029 Ebd. 3030 Patmatnik Terecin (Gedenkstätte eresienstadt), 29. April 1997; die Schwiegertochter Fruma Frumet (Haifa) schreibt in einer Page of Testimony von 1988, dass Emanuel Mühlfelder im April 1943 im Ghetto eresienstadt ermordet worden sei (Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names), eresienstädter Gedenk- buch, S. 565. 3031 eresienstädter Gedenkbuch, S. 77. 3032 Vgl. S. 459 ff. 3033 Vgl. S. 133.

334 | BUCH DER ERINNERUNG Berta Münchhausen geborene Weinholt geboren am 28. Mai 1870 in Bocholt ermordet am 21. Januar 1943 im Ghetto eresienstadt

Berta Weinholt wurde am 28. Mai 1870 in Bocholt Nr. 762 b (heute: Herzogstraße) als eines von fünf Kindern des Fabrikanten Philipp Weinholt (* 8. Juni 1828, Warendorf – 3. Juli 1889, Bocholt3034) und dessen Frau Bella (geb. Löwenstein, * 29. Juli 1834, Iserlohn) geboren3035.

Ihr Vater Philipp betrieb seit 1845 in Bocholt eine Weberei und gehörte neben Salomon Benjamin und Isaac Frank 1862 zu den Gründern der Firma Gesellschaft für mechanische Weberei am Westend3036. Er war von 1861 – 1873 Mitglied der Repräsentantenversammlung und 1873 Vorsitzender der israelitischen Gemeinde3037. Auch gesellschaftlich engagierte sich Philipp Weinholt. So war er 1862 der stellvertretende Vorsitzende der St. Georgius-Gilde, der Vorgängerorganisation des St. Georgius-Schützenvereins3038.

Vom 30. September 1886 bis zum 11. Juni 1887 lebte Berta Weinholt in Berlin3039. Dann kehrte sie nach Bocholt zurück.

Am 13. Juli 1892 zog Berta Weinholt nach Köln und heiratete Sigismund Münch- hausen3040. Um 1939 musste Berta Münchhausen, deren Mann inzwischen verstorben war, in das sog. Judenhaus Salier-Ring 48 ziehen3041.

Am 15. Juni 1942 wurde Berta Münchhausen zusammen mit mehr als 960 Juden mit dem Transport III/1 aus den Bereichen der Staatspolizeileitstellen Köln und Düsseldorf sowie der Staatspolizeistelle Koblenz in das Ghetto eresienstadt deportiert3042.

Dort im Ghetto erlag sie am 21. Januar 1943 den mörderischen Lebensbedingungen3043.

3034 Personenstandsregister, S. 447. 3035 Ebd. 3036 Westerhoff, Eduard: Die Bocholter Textilindustrie. Unternehmer und Unternehmen. ²1984, S. 277. 3037 StdA B, SBOH 2 Nr. 1001. 1871 – 1924. Cultusbedürfnisse der Synagogengemeinde. Abschrift des Protokolls der Sitzung der Repräsentantenversammlung vom 26. Januar 1873. 3038 Ebd., Depositum St. Georgius-Schützenverein, III. Präsentationsmaterialien, 1.1. Festschriften I, St. Georgius- Schützenverein 1861 Bocholt 1911. Schützenfest am 6., 7., 8., 13. August 1911. Zur Geschichte des St. Georgius- Schützenvereins, S. 16. 3039 Personenstandsregister, S. 447. 3040 Ebd. 3041 NS-Dokumentationszentrum, 18. November 2008. 3042 eresienstädter Gedenkbuch, S. 61. 3043 Ebd., S. 353; BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 103022.

BUCH DER ERINNERUNG | 335 Ruth Neuhaus geborene Heinemann geboren am 13. Mai 1909 in Bielefeld ermordet nach dem 2. März 1943 im Vernichtungslager Auschwitz3044

Ruth Heinemann wurde am 13. Mai 1909 in Bielefeld als Tochter von Simon Heine- mann (* 16. Januar 1878, Bielefeld – 23. Februar 1957, Bielefeld3045) und seiner Frau Sara, genannt Ada (geb. Wolff, * 31. Dezember 1878, Quetzen/Kreis Minden-Lübbecke – 26. April 1961, Bielefeld3046) geboren. Die Eltern überlebten die Deportation am 29. Juli 1942 und die Haft im Ghetto eresienstadt seit dem 1. August 19423047. Sie kehrten am 12. September 1945 (Simon Heinemann) bzw. am 1. Oktober 1945 (Sara Heinemann) aus eresienstadt nach Bielefeld, Stapenhorststraße 42 a, zurück3048.

Aus der am 23. Dezember 1908 in Bielefeld3049 geschlossenen Ehe von Sara und Simon Heinemann gingen die Kinder hervor: – Ruth – Herbert (* 3. Februar 1910, Bielefeld – 18. Juli 1939, Gadderbaum3050) – Werner (* 8. Januar 1912, Bielefeld – 7. Juli 1913, Bielefeld3051).

Ruth Heinemann war Näherin bei der Firma Stern sen. in Bielefeld, wo sie den Beruf einer „Weißnäherin“ erlernt hatte und bis zur „Arisierung“ der Firma beschäftigt war3052.

Am 16. Oktober 19353053 zog Ruth Heinemann nach Bocholt. Hier wurde sie Haus- angestellte bei der Familie Bernhardine und Max Friede (*1880 – 1967, New York/ USA)3054 im Haus Südwall 7. Friede war Miteigentümer der Weberei David Friede am Mühlenweg.

Ruth Heinemann zog am 16. Juli 1939 zu ihren Eltern in ihre Heimatstadt Bielefeld zurück3055 in das Haus Stapenhorststraße 42 a3056. Nach 1939 musste Familie Heine- mann in das sog. Judenhaus Oberntorwall 4 ziehen, später zog sie in das sog. Judenhaus Koblenzer Straße 43057.

Nach ihrer Rückkehr nach Bielefeld und auch während der Zeit im Lager Schloßhof- straße war Ruth Heinemann als „Arbeiterin“ bei der chemischen Fabrik Dr. Hans Custodis in Bielefeld beschäftigt3058.

3044 In BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 935454 ist vermerkt, dass Ruth Neuhaus am 13. Dezember 1941 in das Ghetto Riga deportiert wurde. 3045 Stadtbibliothek, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, Bestand 104,2.20/Standesamt, Perso- nenstandsregister, Nr. 100,1876-1, Geburtseintrag Bielefeld 84/1876; ebd., Nr. 300,1957-1, Sterbeeintrag Bielefeld 297/1957. 3046 Ebd., Personenstandsregister, Nr. 300,1961-2, Sterbeeintrag Bielefeld 749/1961. 3047 eresienstädter Gedenkbuch, S. 572. 3048 Stadtbibliothek, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, 4. August 2011. 3049 Ebd., Bestand 104,2.20/Standesamt, Personenstandsregister, Nr. 200,1908-3, Heiratseintrag Bielefeld 755/1908. 3050 Ebd., Personenstandsregister, Nr. 304,1939-1, Sterbeeintrag Gadderbaum 490/1939. 3051 Ebd., Personenstandsregister, Nr. 300,1913-1, Sterbeeintrag Bielefeld 469/1913. 3052 Stadtbibliothek, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, 4. August 2011. 3053 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3054 Ebd., www.crt-ii.org/_.../Friede_Max_den.pdf . 3055 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3056 Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Gedenkblatt für Ruth Neuhaus vom 2. Juli 2007 von Luise Flick, Bielefeld. 3057 Stadtbibliothek, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, 4. August 2011. 3058 Ebd.

336 | BUCH DER ERINNERUNG Am 16 . Dezember 19413059 heiratete Ruth Heinemann Ludwig Neuhaus (* 4. Juni 1908, Stadtlengsfeld/Sachsen-Weimar – ermordet nach dem 7. März 1945, Konzentrations- lager Buchen wald3060). Die letzte Adresse von Ruth Neuhaus war die ehemalige „Arbeits- einsatzstelle“, das Lager Schloßhofstraße 733061.

Nach dem Eintrag in der Meldekarte des Einwohnermeldeamtes Bielefeld wurden Ruth und ihr Mann Ludwig Neuhaus am 2. März 1943 aus Bielefeld in den „Osteinsatz“ mit dem Transport VI in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Hierhin wurden 63 Menschen aus dem Schloßhof gebracht. In Auschwitz wurde Ruth Neuhaus nach dem 2. März 1943 umgebracht3062.

Ihr Mann Ludwig Neuhaus wurde 1945 vom Vernichtungslager Auschwitz in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert, wo er am 7. März 1945 ankam. Hier wurde er ermordet3063.

Ruth Neuhaus wurde am 6. August bzw. 1. Oktober 1956 durch das Amtsgericht Bielefeld für tot erklärt3064.

Rosa Nohlen geboren am 10. Februar 1898 in Bocholt ermordet nach dem 25. März 1942 im Ghetto Piaski

Zu Rosa Nohlen kann mangels archivalischer Überlieferung kaum etwas gesagt werden.

Obwohl sie im Personenstandsregister der Stadt Bocholt 1886 – 1897 Stadt und Feldmark3065 nicht genannt wurde, ist in der Ergänzungskarte für Angaben über Abstammung und Vorbildung aus der Volkszählung vom 17. Mai 1939 der Geburtsort Bocholt angegeben3066.

Vom 12. Februar 1896 an wohnte der Kaufmann Adolph Nohlen (* 28. März 1870, Mohnheim) in Bocholt, ab 27. Mai 1896 wohnte Siegmar Nohlen (* 20. Juli 1874) eben- falls in Bocholt3067. Wer oder ob jemand von beiden der Vater von Rosa Nohlen war, konnte nicht ermittelt werden.

3059 Ebd., Heiratseintrag Bielefeld 950/1941. 3060 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 935454. 3061 Stadtbibliothek, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 21. 3062 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 935480. 3063 Ebd. Nr. 935454. 3064 Stadtbibliothek, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, 4. August 2011: Yad Vashem, e Cen- tral Database of Shoah Victims‘ Names, Gedenkblatt für Ruth Neuhaus vom 2. Juli 2007 von Luise Flick, Bielefeld. 3065 Personenstandsregister, S. 100. 3066 BA Berlin, Bestand 1509 – Reichssippenamt –, danach gibt es in der Liste der jüdischen Einwohner im Deutschen Reich 1933-1945, die den Stand vom 17. Mai 1939 wiedergibt, einen Hinweis auf Bocholt. 3067 Personenstandsregister, S. 100.

BUCH DER ERINNERUNG | 337 Rosa Nohlen soll später in Darmstadt gelebt haben3068. Sie wird auf der Website „Denk- zeichen Güterbahnhof“, Darmstadt, genannt3069.

In Darmstadt wurden am 9./10. November 1938, der Pogromnacht, die Synagogen in der Bleichstraße, in der Friedrichstraße und in Eberstadt in Brand gesteckt sowie jüdische Geschäfte und Wohnungen verwüstet3070.

Am 20. März 1942 wurden etwa 600 Menschen jüdischen Glaubens aus Darmstadt nach Mainz gebracht, von dort wurden sie am 25. März 1942 in das Ghetto Piaski bei Lublin deportiert3071. Piaski war ein Transitghetto für die Vernichtungslager Belzec und Sobibor. Unter den Deportierten war auch Rosa Nohlen.

Am 25. März 1942 kam der Deportationszug aus Mainz im Ghetto Piaski an3072. Dort wurde Rosa Nohlen ermordet3073.

Hedwig Ostberg geborene Stern geboren am 24. Juli 1881 in Bochum ermordet am 12. Mai 1942 im Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno)

Hedwig Stern wurde am 24. Juli 1881 als Tochter von Israel Stern und Rika, geb. Cohen, in Bochum geboren3074. Sie heiratete in Wesel  Julius Jakob Ostberg (* 20. Okto- ber 1880, Bocholt – ermordet am 6. oder 12. Mai 1942, Vernichtungslager Kulmhof/ Chelmno3075). Dorthin war Julius Jakob Ostberg am 20. Oktober 1899 gezogen3076.

Das Ehepaar hatte zumindest eine Tochter: – Ilse Scamper (geb. Ostberg, gestorben am 16. Dezember 1983, New York/USA3077).

Vor oder um 1933 soll Familie Ostberg für längere Zeit in Bocholt gewohnt haben3078. Hedwig und  Julius Jakob Ostberg zogen später nach Köln3079. 1939 wohnte das Ehepaar im Haus Mozartstraße 56, einem sog. Judenhaus3080.

3068 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 937340. 3069 http://www.denkzeichen-gueterbahnhof.de/?page_id=62. 3070 http://www.darmstadt.de/kultur/geschichte/02648/. 3071 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 937340. 3072 Ebd., Deportationschronologie. Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 3073 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 937340. 3074 Yad Vashem, Jerusalem. e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Page of testimony von Tocher Ilse Scamper, New York/USA, 5. Dezember 1983. 3075 Vgl. Biogramm, S. 341. 3076 Personenstandsregister, S. 37. 3077 Yad Vashem, Jerusalem. e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Page of testimony von Tocher Ilse Scamper, New York/USA, 5. Dezember 1983. 3078 Ebd. 3079 NS-Dokumentationszentrum Köln, 23. Juni 2009. 3080 Ebd.

338 | BUCH DER ERINNERUNG Am 22. Oktober 1941 wurden Hedwig und  Julius Jakob Ostberg aus diesem Haus zusammen mit 1018 Menschen jüdischen Glaubens aus Köln in das Ghetto Lodz deportiert, das der Zug am 23. Oktober 1941 erreichte3081. In Lodz wohnte Hedwig Ostberg in der Kelmstraße 9, wo sie in drangvoller Enge zusammen mit acht weiteren Juden ein Zimmer bewohnte3082.

Am 5. Mai 1942 wurde sie zusammen mit ihrem Mann  Julius Jakob Ostberg aus Lodz in das Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) deportiert. Hier wurde  Julius Jakob Ostberg am 6. oder 12. Mai 1942, Hedwig Ostberg am 12. Mai 1942 ermordet.3083

Henny Ostberg geborene Cohen geboren am 1. Dezember 18673084 in Wittmund (heute: Kreis Friesland) ermordet am 20. August 1942 im Ghetto eresienstadt

Henny – oder Henriette – Cohen wurde am 1. Dezember 1867 als Tochter von Jeanette Cohen (geb. Hess, * 31. März 1847, Wittmund – 30. Juni 1887, Wittmund) und Isaak Cohen (* 4. August 1836, Oldesum – 20. Juni 1906, Wittmund) in Wittmund geboren3085.

Das Ehepaar Jeanette und Isaak Cohen hatte sechs Kinder: – Henny Ostberg – Rieke Apt (geb. Cohen, * 9. November 1871, Wittmund – 28. März 1937, Wittmund3086) – Adolf (* 10. Januar 1874, Wittmund – ermordet nach dem 28. Okt. 1944, Vernich- tungslager Au schwitz3087) – Markus (* 25. März 1875, Wittmund – 1. Februar 1939, Wittmund) – Viktor (* 13. September 1879, Wittmund – 21. Juli 1921, Wittmund) – Meier (* 10. September 1881, Wittmund – 31. März 1967, Düsseldorf 3088).

1891 zog Henny Cohen aus ihrer Geburtsstadt Wittmund nach Bocholt, wo sie am 20. Juli 1891  Louis Ostberg (* 7. Juni 1861, Rhede – ermordet zwischen dem 15. Juni 1943 und dem 17. Juli 1944, Ghetto eresienstadt3089) heiratete.

In die Ehe wurden drei Kinder geboren: – Jeanette (genannt Nettchen) Goldschmidt (geb. Ostberg, * 4. März 18923090), heiratete am 14. Juli 1913 Julius Goldschmidt und zog nach Mühlhausen in üringen3091. Hier

3081 Diese Deportationstage sind im BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 941811 angegeben. 3082 NS-Dokumentationszentrum Köln, 23. Juni 2009. 3083 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 941811 und 122 9457. 3084 Personenstandsregister, S. 37; in Farwick, Josef: Biographische Geschichte der jüdischen Familien in Herbern und Ascheberg 1710–1945, Ascheberg 2004, S. 51, wird der 8. Juni 1867 als Geburtsdatum genannt. 3085 Farwick, S. 51. 3086 Ebd. 3087 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 900869. 3088 Farwick, S. 51. 3089 Vgl. Biogramm S. 342. 3090 Personenstandsregister, S. 37. 3091 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

BUCH DER ERINNERUNG | 339 führte Julius Goldschmidt eine Altwarenhandlung3092. Julius Goldschmidt starb am 1. Dezember 1938 in Mühlhausen. Jeanette Goldschmidt floh in die USA, wo sie 1965 starb3093) – Anna Stern (geb. Ostberg, * 9. August 18943094. Sie verzog am 12. Juli 1919 nach Aachen, Kaiserallee 54, später heiratete sie Max Stern (* 1890, Bocholt – 1961, USA3095) und starb am 23. Februar 1929 in Aachen3096) – Max (* 7. Februar 18973097, Bocholt – 1985, Bound Break, Kalifornien/USA3098).

Henny Ostberg setzte sich ebenso wie ihr Mann  Louis, der von 1911 bis 1936 Vor- sitzender der israelitischen Gemeinde Bocholt war, für die Belange der Gemeinde ein. 1909 verabschiedeten Frauen der Gemeinde die Satzung des israelitischen Frauenver- eins in Bocholt. Dessen Zweck war neben der „Ausübung von Wohltätigkeitswerken an Armen und Kranken“ die gegenseitige Hilfeleistung „in Krankheits- und Todesfällen“, die „Vornahme der rituellen Waschungen“ an Toten sowie die „Aussteuerung bedürf- tiger Bräute“. Neben Luise Braunschweig war Henny Ostberg Vorsteherin des israeli- tischen Frauenvereins Bocholt 3099.

1924/25 hatte der Frauenverein, dem Henny Ostberg nun allein vorstand, 70 Mitglieder, 1932 waren es 50 Mitglieder. 1937 war Henny Ostberg, wie das Israelitische Familien- blatt berichtete, 30 Jahre lang Vorsitzende des israelitischen Frauenvereins Bocholt3100.

„[...] Im alten Rathaus [*] war nicht nur das Polizeiquartier, oben im Turmzimmer haben mich in der Nazizeit Gestapobeamte mißhandelt und niedergeschlagen (Es hatte mich jemand angezeigt, ich sollte Geld im Ausland haben). Auf Veranlassung von Kriminalkommissar M. brachte meine Frau mir Essen ins Gefängnis im Wall. Als ich nach ein paar Tagen freigelassen wurde, haben wir uns, mit dem Einverständnis meiner Eltern, auf dem schnellsten Weg gerettet.“ [*Die Gestapo-Nebenstelle Bocholt – eine Grenz dienststelle – befand sich in der Kirchstraße 5 in unmittelbarer Nähe des Rathauses. (Max Ostberg3101)

Henny Ostbergs noch lebende Kinder flohen frühzeitig aus Deutschland: Jeanette Gold- schmidt floh als Witwe 1938 in die USA3102. Max Ostberg und dessen Frau Gertrud, die nach dem Wegzug von Henny und  Louis Ostberg weiterhin in Bocholt, Nordstraße 32, wohnten, flohen am 23. Januar 1939 in die USA3103.

Mit ihrem Mann  Louis zog Henny Ostberg am 28. Juni 1938 in das jüdische Alten- heim nach Düsseldorf, Duisburger Straße 773104.

3092 Liesenberg, Carsten: Zur Geschichte der Juden in Mühlhausen und Nordthüringen und die Mühlhäuser Synagoge. Sonderheft 11 der Mühlhäuser Beiträge. Herausgegeben von den Mühlhäuser Museen in Zusammenarbeit mit dem Mühlhäuser Geschichts- und Denkmalpflegevererein. Mühlhausen 1998, S. 70 f. 3093 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~mhines/GedHtml/gp145.htm#head4. 3094 Personenstandsregister, S. 37. 3095 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~mhines/GedHtml/gp145.htm#head4. 3096 StdA B., ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 24. Februar 1929. 3097 Personenstandsregister, S. 37. 3098 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~mhines/GedHtml/gp145.htm#head4. 3099 Centrum Judaicum Berlin, Bestand 1,75A Bo 1, Israelitischer Frauenverein Bocholt, Satzungsbroschüre vom 1. Dezember 1909; vgl. S. 48. 3100 Compact-Memory, Israelitisches Familienblatt, 28. Juni 1937. 3101 Stadt Bocholt, Fachbereich Zentrale Verwaltung - Interne Dienste - Ordner: Jüdische Mitbürger. Max Ostberg an Oberbürgermeister Hochgartz, 1. August und 6. Dezember 1979. 3102 Liesenberg, Carsten: Zur Geschichte der Juden in Mühlhausen und Nordthüringen und die Mühlhäuser Synagoge. Sonderheft 11 der Mühlhäuser Beiträge. Herausgegeben von den Mühlhäuser Museen in Zusammenarbeit mit dem Mühlhäuser Geschichts- und Denkmalpflegevererein. Mühlhausen 1998, S. 70 f. 3103 Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Page of testimony, Max Ostberg, 8. Mai 1997. 3104 Ebd.

340 | BUCH DER ERINNERUNG Am 21. Juli 1942 wurden sie vom Güterbahnhof Düsseldorf-Derendorf aus zusammen mit 965 Menschen in das Ghetto eresienstadt deportiert.3105 Der Transport hatte die Kennzeichnung VI/1, Henny Ostberg trug die Transportnummer 6593106. Am nächsten Tag war das Ghetto erreicht3107. Henny Ostberg erlag kurze Zeit später am 20. August 19423108 den völlig unzureichenden Lebensbedingungen im Ghetto eresienstadt3109.

Ihr Mann  Louis Ostberg wurde zwischen dem 15. Juni 1943 und dem 17. Juli 1944 im Ghetto eresienstadt ermordet.

Julius Jakob Ostberg geboren am 20. Oktober 1880 in Bocholt ermordet am 6. oder 12. Mai 1944 im Konzentrationslager Kulmhof (Chelmno).

Julius Jakob Ostberg wurde am 20. Oktober 1880 im Haus Nr. 386 (heute: Nordstraße) in Bocholt als Sohn des Händlers Hermann3110 (oder: Heymann3111) Ostberg (* 7. Juni 1847, Rhede – 27. Januar 1931, Bocholt3112) und seiner Frau Sara (* 27. Juni 1855, Bocholt – 26. Juni 1931, Bocholt3113) geboren.

Das Ehepaar hatte sieben Kinder. Von ihnen wurden während der Shoah ermordet:  Lina Rosenbaum (geb. Ostberg, * 10. März 1878, Bocholt – ermordet nach dem 23. September 1942, Vernichtungslager Treblinka3114) – Julius Jakob Ostberg  Max Ostberg (* 21. November 1883, Bocholt – ermordet zu einem nicht bekannten Zeitpunkt3115).

Vater Hermann Ostberg gehörte von 1886 – 1907 der Repräsentantenversammlung der israelitischen Gemeinde Bocholt an3116. Seit dem 21. Mai 1876 war er Mitglied im St. Georgius-Schützenverein3117.

Julius Jakob Ostberg verzog aus Bocholt am 20. Oktober 1899 nach Wesel. Dort hei- ratete er  Hedwig (geb. Stern, * 24. Juli 1881, Bochum – ermordet am 12. Mai 1942,

3105 Gedenkbuch eresienstadt, S. 76. 3106 http://109.123.214.108/de/victims/PERSON.ITI.567802. 3107 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 3108 StdA Düsseldorf, 8. September 1983; Gedenkbuch eresienstadt, S. 450, Sonder-Standesamt Arolsen des Inter- nationalen Suchdienstes, Arolsen Nr. 764/55. 3109 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 108489. Dieses Datum nennt auch Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Page of testimony, Max Ostberg, 8. Mai 1997, ebenso Gedenkbuch eresienstadt, S. 450. 3110 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962, auch auf seinem Grabstein in: Sundermann, Friedhöfe, S. 84. 3111 Personenstandsregister 1886–1897, S. 275. 3112 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3113 Ebd. 3114 Vgl. Biogramm, S. 349. 3115 Vgl. Biogramm, S. 346. 3116 StdA B, SBOH 2 Nr. 1001. Cultusbedürfnisse der Gemeinde. 3117 Westerhoff, Ballotagen.

BUCH DER ERINNERUNG | 341 Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno)3118). Aus der Familie Hermann Ostberg waren im Ersten Weltkrieg vier Söhne – auch Julius Jakob Ostberg – Soldaten3119.

Vor oder um 1933 soll Familie Julius Jakob Ostberg für längere Zeit in Bocholt ge- wohnt haben3120. Von hier zog das Ehepaar Ostberg nach Köln. Hier wohnte es im Haus Mozartstraße 56. Das Haus wurde 1939 zum sog. Judenhaus3121.

Am 22. Oktober 1941 wurden die Eheleute zusammen mit 1018 Menschen jüdischen Glaubens aus Köln in das Ghetto Lodz deportiert, das der Zug am 23. Oktober 1941 erreichte3122.

Julius Jakob Ostberg wurde Anfang Mai 1942 zusammen mit seiner Frau  Hedwig aus Lodz in das Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) deportiert 3123. Hier wurde er am 6. oder 12. Mai 1942 ermordet3124. Seine Frau  Hedwig Ostberg wurde ebenfalls im Mai 1942 im Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno getötet.3125

Unterschrift von Louis Ostberg Louis Ostberg (Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Blatt geboren am 7. Juni 1861 in Rhede 1295, Seite 101) ermordet zwischen dem 15. Juni 1943 und dem 17. Juli 1944 im Ghetto eresienstadt

Louis Ostberg wurde am 7. Juni 1861 als Sohn des Kaufmanns Meier Elias Ostberg (* 8. September 1816, Rhede – 11. Mai 1888, Bocholt) und seiner Ehefrau Rosa (geb. Plaat, * 14. September 1821, Raesfeld3126 – 23. April 1900, Bocholt3127) in Rhede ge- boren3128.

Der Ehe von Meier Elias Ostberg mit seiner ersten Frau Caroline (geb. Blumenthal, * 1813 – 21. März 1854, Rhede) entstammten sechs Kinder3129. In die Ehe von Meier Elias und Rosa Ostberg, die zwischen 1854 und 1858 heirateten, wurden noch zwei Kinder geboren: – Pauline Meier (geb. Ostberg, * 6. April 1859, Rhede – 25. Juli 1913, Bonn3130) – Louis

3118 Vgl. Biogramm S. 338. 3119 StdA B, Depositum St Georgius-Schützenverein, III. Präsentationsmaterialien, I.1. Festschriften I, Zur Geschichte des St. Georgius-Schützenvereins, in: 53. Schützenfest des St. Georgius-Schützenvereins 25. und 26. Juli 1920, [Bocholt, 1920] unpaginiert. 3120 Yad Vashem, Jerusalem.. e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Page of testimony von Tocher Ilse Scamper, New York/USA, 5. Dezember 1983. 3121 NS-Dokumentationszentrum Köln, 23. Juni 2008. 3122 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 3123 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 108491; NS-Dokumentationszentrum Köln, 23. Juni 2008. 3124 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 941811; NS-Dokumentationszentrum Köln, 23. Juni 2008. 3125 Ebd. 1229457. 3126 Personenstandsregister, S. 37. 3127 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 26. 3128 Wessels/Runte, S. 61. 3129 Ebd., S. 62. 3130 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 90.

342 | BUCH DER ERINNERUNG Nach 1871 zog die Familie Meier Elias Ostberg nach Bocholt Nr. 60 (heute: Osterstraße)3131. Dem St. Georgius-Schützenverein trat Louis Ostberg am 2. Februar 1880 bei3132.

1890 war Louis Ostberg unter den Gründern des Hilfsvereins Esrass k’fufim zu finden, als Schriftführer gehörte er dem Grün- dungsvorstand an3133. Der Hilfsverein hatte die Aufgabe, „mittellose oder in ihren Ver- mögens-Verhältnissen zurückgegangene Glaubensgenossen wieder erwerbsfähig zu machen und zu erhalten.“ (§ 1 des Statuts)3134. Vor 1924 wurde der Vorsitzende der israeli- tischen Gemeinde, Louis Ostberg, auch Vor- sitzender des Hilfsvereins Esrass k’fufim3135. Bismarckstraße 11, Am 20. Juli 1891 heiratete Louis Ostberg die aus Wittmund (Ostfriesland) stammende 2. Haus (Foto 1970).  Henny (geb. Cohen, * 1. Dezember 1867, Wittmund – ermordet am 20. August 1942, Haus des Textilfabrikan- Ghetto eresienstadt3136). ten Louis Ostberg, der von 1912 bis 1936 Vorsit- zender der israelitischen In der Ehe wurden geboren: 3137 Gemeinde Bocholt war. – Jeanette (genannt Nettchen) Goldschmidt (geb. Ostberg, * 4. März 1892 , sie heira- (StdA B, Bildersamm- 3138 tete am 14. Juli 1913 Julius Goldschmidt und zog nach Mühlhausen in üringen . lung) Er starb am 1. Dezember 1938 in Mühlhausen3139. Jeanette Goldschmidt reiste in die USA aus, wo sie 1965 starb3140) – Anna Stern (geb. Ostberg, * 9. August 18943141. Sie verzog am 12. Juli 1919 nach Aachen, Kaiserallee 54, später heiratete sie Max Stern und starb am 23. Februar 19293142) – Max (* 7. Februar 18973143, Bocholt – 1985 in Bound Break/USA3144).

1894 stand Louis Ostberg auf der Mitgliederliste des 1889 wieder gegründeten israeli- tischen Männervereins Chewra Kadischa3145.

1897 trat Louis Ostberg als Teilhaber in die mechanische Putzwollstrickerei seines Vaters Meier Ostberg, Feldmark Nr. 834 a (später: Ostwall 70) ein. Im Telefonbuch 1907 war die Firma wie folgt aufgeführt: „Ostberg, M., Putzwollfabrik u. baumwollene Abfälle, Victoriastraße.“3146 Er leitete die Firma bald zusammen mit seinem Bruder Hermann3147.

3131 Personenstandsregister, S. 37. 3132 Westerhoff, Ballotagen. 3133 Centrum Judaicum Berlin, Bestand 1,75A Bo 1. Vorstand von Februar 1890. 3134 Ebd., Satzung des Hilfsverein Esrass k‘fufim vom 16. Februar 1890, 3. März 1895 und 24. Februar 1901, vgl. S. 43. 3135 Einwohnerbuch der Stadt Bocholt, Ausgabe 1929, Betzdorf 1929, S. 32. 3136 Vgl. Biogramm S. 339. 3137 Personenstandsregister, S. 37. 3138 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3139 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~mhines/GedHtml/gp145.htm#head4. 3140 http://www.ashkenazhouse.org/novplisteng.html. 3141 Personenstandsregister, S. 37. 3142 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt, 24. Februar 1929, Todesanzeige Anna Stern. 3143 Personenstandsregister, S. 37. 3144 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~mhines/GedHtml/gp145.htm#head4. 3145 Vgl. S. 41 f. 3146 Bocholter Telefonbuch 1907. 3147 StdA B, 57 K 102 – ohne Titel – Verzeichnis der jüdischen Gewerbebetriebe in Bocholt [ohne Datum, 1938].

BUCH DER ERINNERUNG | 343 Um 1901 wohnte Louis Ostberg mit seiner Familie im Haus Osterstraße 543148. Vor 1906 zog Louis Ostberg mit seiner Familie in sein Haus Bismarckstraße 113149.

Am 1. November 1912 wurde Louis Ostberg, der seit den Ergänzungswahlen vom 23. Oktober 1907 Vorstandsmitglied war, vom Vorstand zum Vorsitzenden der israeliti- schen Gemeinde Bocholt gewählt3150. Dieses Ehrenamt hatte er (mit Unterbrechung in der Zeit vom 8. März 1932 bis 11. Juli 1935, als er das Amt wegen der Zahlungs- schwierigkeiten seiner Firma ruhen ließ3151) bis zur letzten Ergänzungswahl zum Vorstand der israelitischen Gemeinde Bocholt am 28. Oktober 1936 inne3152.

Bei den Wahlen zur verfassunggebenden Nationalversammlung am 28. Januar 1919 war Louis Ostberg Wahlvorsteher im Stimmbezirk Bocholt III (Kreuzbergschule)3153.

1930 feierte Louis Ostberg sein goldenes Jubiläum im St. Georgius-Schützenverein: „Zur Ehrung der Jubilare tritt das Bataillon ohne Waffen um 5 ½ Uhr vor der Gartenterrasse an und begibt sich unter Vorantritt der Musik-Kapelle in den großen Saal“, vermerkt das Programm in der Festschrift zum Schützenfest 19303154.

Wie alle Juden, so bekam auch Familie Ostberg den Antisemitismus der Jahre nach 1933 zu spüren: Louis Ostberg wurde in den Festschriften des St. Georgius-Schützenvereins nicht mehr unter den Goldenen Jubilaren genannt. Im Juni 1933 wurde er aus dem Schützenverein ausgeschlossen3155.

Bei der Wahl des Vorstandes der israelitischen Gemeinde Bocholt am 28. Oktober 1936 wurde Louis Ostberg, der bisherige Vorsitzende, zum stellvertretenden Vorstandsmit- glied gewählt3156. Diese Funktion übte er bis zum Ende der Gemeinde als Körperschaft des öffentlichen Rechts im Jahr 1938 aus3157.

Am 3. Juni 1938 verkaufte Louis Ostberg sein Haus Bismarckstraße 11 an einen Bocholter Facharzt mit Wohnaufschub bis zum 15. Juli 19383158. Das Ehepaar Ostberg zog dennoch schon am 28. Juni 1938 in das jüdische Altenheim nach Düsseldorf, Duisburger Straße 773159.

Im Verzeichnis der jüdischen Gewerbebetriebe in Bocholt, das von der Stadtverwaltung nach der dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938 gefertigt war, war vermerkt, dass die Firma „Ostberg M., Putzwollfabrik, Viktoriastraße 116 nach Ein- tragung eingegangen“ war3160.

3148 Einwohnerbuch 1902 (Stand 1901), S. 44, im Einwohnerverzeichnis ist aber für das Haus Osterstraße 54 kein Louis Ostberg angegeben. 3149 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. Dort ist kein Zuzugstermin angeben, so dass anzunehmen ist, dass Louis Ostberg mit seiner Familie 1902, dem Baujahr des Hauses, im Haus Bismarckstraße 11 zuzog. 3150 StdA B, SBOH Nr. 2, Nr. 934. Synagogengemeinde 1840–1932. Abschrift des Protokolls der Vorstands sitzung vom 1. November 1912. 3151 Ebd., SBOH 2 Nr. 1007. Wahl des Vorstandes und der Repräsentanten der Synagogengemeinde 1916–1935. Vor- stand der israelitischen Gemeinde Bocholt an Stadt Bocholt, 8. März 1932, Vermerk von Hermann Rosenberg (stellv. Vorsitzender der israelitischen Gemeinde Bocholt) vom 11. Juli 1935. 3152 Ebd., 57 K 102 – ohne Titel -, Stadt Bocholt an Regierungsbezirk Münster, 21. November 1936. 3153 Ebd., ZSlg., Bocholter Volksblatt, 21. Januar 1919. Amtliche Bekanntmachung zur Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung am 28. Januar 1919. 3154 Ebd., Depositum St. Georgius-Schützenverein, III. Präsentationsmaterialen, 1.1. Festschriften I, [Festschrift des] St. Georgius-Schützenverein [1930], nicht paginiert. 3155 Niebur, Herr Berla. […] in: Unser Bocholt, Heft 2/2007, S. 64. 3156 StdA B, 57 K 102 – ohne Titel -, Stadt Bocholt an Regierungsbezirk Münster, 21. November 1936. 3157 Ebd., Stadt Bocholt an Regierungspräsident Münster, 21. November 1938. 3158 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten über die Grundstücke des Kaufmanns Louis Ostberg zu Bocholt, [...] Band -, Blatt 1295. Vertrag vom 3. Juni 1938, Blatt 39. 3159 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3160 Ebd., 57 K 102 – ohne Titel -, Verzeichnis der jüdischen Gewerbebetriebe in Bocholt.

344 | BUCH DER ERINNERUNG Sohn Max wurde bei einem Gestapo-Verhör schwer geschlagen. Zusammen mit seiner Frau Gertrud (geb. Rosenberg) wanderte er am 23. Januar 1939 nach St. Marcos, Cali- fornia/USA aus3161. Die Versuche von Max Ostberg, seine Eltern  Henny und Louis Ostberg in die USA nachzuholen, scheiterten an der restriktiven US-amerikanischen Einwanderungspolitik3162.

Zu der Zeit nach dem 1. September 1941, als Menschen jüdischen Glaubens verpflichtet wurden, einen sog. „Judenstern“ an ihrer Kleidung zu tragen, schrieb Max Ostberg:

„Mein Vater hat nie verstanden, warum er den gelben Fleck am Arm hatte. Wenn in Düsseldorf am Altenheim Soldaten vorbeimarschierten, so war das sein Regiment, die ‚39er’, wo er Vizefeldwebel war. Wir haben Genaueres erst später über das Schicksal meiner Eltern gehört. Wir versuchten alles, um sie zu retten, aber leider ohne Erfolg. [...]“ (Max Ostberg 3163)

Am 21. Juli 1942 wurden Louis Ostberg und seine Frau  Henny vom Güterbahnhof Düsseldorf-Derendorf aus mit dem Transport Nr. VI/13164 zusammen mit 965 Menschen aus Düsseldorf, vom Niederrhein und dem Industriegebiet, wie auch aus Essen, in das Ghetto eresienstadt deportiert3165. Louis Ostberg hatte die Transportnummer 6603166. Am nächsten Tag war das Ghetto erreicht.

Nach den Feststellungen des Sonder-Standesamtes Arolsen des Internationalen Such- dienstes –ITS – in Arolsen, Nr. 765/55, wurde Louis Ostberg zwischen dem 15. Juni 1943 und dem 17. Juli 1944 im Ghetto eresienstadt ermordet3167. Seine Frau  Henny war dort bereits am 20. August 1942 ermordet worden.

An seinen ersten Besuch in Bocholt nach der Befreiung 1945 erinnerte sich Max Ostberg: „Wie wir vor 27 Jahren [1957] in Bocholt waren, konnten wir auf dem umgebetteten Friedhof die Grabsteine meiner Großeltern nicht finden, da die Metallbuch staben ent- fernt waren. [Der neue Eigentümer des Hauses] hat es mir erlaubt, das Kaddisch-Gebet[3168] für meine Eltern im Garten an der Bismarckstraße zu sprechen. [...]“ (Max Ostberg3169)

Mit Schreiben vom 21. Mai 1950 bat die Stadt Bocholt – Wiedergutmachungsstelle – das Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt – zur Sicherung der Rückerstattung von

3161 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; hier ist als letzter Eintrag vermerkt: 23. Januar 1939 lt. pol[izeilicher]. Nachr[icht]. nach Amerika verzogen (ohne Abmeldung) . 3162 Stadt Bocholt, Fachbereich Zentrale Verwaltung – Interne Dienste – Ordner: Jüdische Mitbürger. Max Ostberg an Oberbürgermeister Hochgartz, 1. August 1979. 3163 Stadt Bocholt Fachbereich Zentrale Verwaltung – Interne Dienste – Ordner: Jüdische Mitbürger. Max Ostberg an Oberbürgermeister Hochgartz, 1. August 1979. 3164 http://109.123.214.108/de/victims/PERSON.ITI.812657. 3165 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich; ebenso Gedenkbuch eresienstadt, S. 77. 3166 http://109.123.214.108/de/victims/PERSON.ITI.812657. 3167 StdA Düsseldorf, 8. September 1983, in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 941812 wird der 16. Juli 1943 genannt. Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Page of Testimony Max J. Ostberg, Vista CA., 3. Mai 1977 nennt den Zeitraum zwischen Juli 1943 und Juli 1944, und gibt eresienstadt als Möglichkeit auch das Vernichtungslager Auschwitz als Ermordungsort an ; Gedenkbuch eresienstadt, S. 450, nennt keinen Ermordungstag. 3168 Jüdisches Gebet zur Verherrlichung Gottes, das zum Totengedenken gesprochen wird, Vgl. S. 137. 3169 Stadt Bocholt Fachbereich Zentrale Verwaltung – Interne Dienste – Ordner: Jüdische Mitbürger. Max Ostberg an Oberbürgermeister Hochgartz, 6. Dezember 1980.

BUCH DER ERINNERUNG | 345 Wiedergutmachungsvermögen – das Grundstück von Louis Ostberg, Bismarckstraße 11, sicherzustellen3170. Am 16. Juli 1951 teilte der Kreisbeauftragte für gesperrte Vermögen beim Finanz minister des Landes Nordrhein-Westfalen, Coesfeld, dem Amtsgericht Bocholt – Grundbuch- amt – mit, dass „Aufgrund einer Verzichtserklärung seitens des Anspruchsberechtig- ten und einer dementsprechenden Mitteilung vom 22. 6. 1951 [...] obiges Grundstück aus den dort nach Militär-Regierungs-Gesetz Nr. 59 und 52 geführten Sperrlisten‚ zu streichen“ 3171 ist.

Max Ostberg geboren am 21. November 1883 in Bocholt ermordet zu einem nicht bekannten Zeitpunkt3172

Max Ostberg wurde am 21. November 1883 im Haus Nr. 386 (heute: Nordstraße) in Bocholt als Sohn des Händlers Heymann Ostberg (* 7. Juni 1847, Rhede – 26. Januar 1931, Bocholt3173) und seiner Frau Sara (geb. Cohen, * 27. Juni 1855, Bocholt – 26. Januar 1931, Bocholt3174) geboren.

Das Ehepaar Heymann und Sara Ostberg hatte sieben Kinder:  Lina Rosenbaum (geb. Ostberg, * 10. März 1878, Bocholt – ermordet nach dem 23. September 1942, Vernichtungslager Treblinka3175)  Julius-Jakob (* 20. Oktober 1880, Bocholt – ermordet am 6. oder 12. Mai 1942, Vernichtungslager Kulmhof/Chelmno3176) – Emil (* 9. April 1882, Bocholt – 26. August 1902, Bocholt3177) – Max – Hedwig (* 25. Februar 1885, Bocholt -3178) – Sophie (* 8. Oktober 1886, Bocholt – 15. November 1891, Bocholt3179) – Moritz (* 9. Januar 1891, Bocholt – 1. Februar 1892, Bocholt 3180).

Der Vater, Heymann Ostberg, gehörte von 1886 bis 1907 der Repräsentantenversamm- lung der israelitischen Gemeinde an3181. Am 21. Mai 1876 trat er in den St. Georgius-

3170 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten über die Grundstücke des Kaufmanns Louis Ostberg zu Bocholt, [...] Band -, Blatt 1295, Stadt Bocholt_Wiedergutmachungsstelle an das Amtsgericht Bocholt – Grund- buchamt, 21. Mai 1950, Blatt 73. 3171 Ebd., Kreisbeauftragter für gesperrte Vermögen beim Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Coesfeld, an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt , 16. Juli 1951, Blatt 74. 3172 NS-Dokumentationszentrum Köln vom 23. Juni 2009. 3173 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3174 Ebd. 3175 Vgl. Biogramm S. 349. 3176 Vgl. Biogramm S. 341. 3177 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 26. 3178 Hedwig Ostberg ist weder in Bundesarchiv, Gedenkbuch, Onlineversion, Namensverzeichnis noch in der nieder- ländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 3179 Personenstandsregister, S. 275. 3180 Ebd. 3181 StdA B, SBOH 2 Nr. 1001. Unterschrift unter die Synagogenordnung für die Israelitische Gemeinde Bocholt vom 15. August 1886.

346 | BUCH DER ERINNERUNG Schützenverein ein3182. In der Festschrift zum Schützenfest 1911 wurde Heymann Ostberg als einer von vierzehn Mitgliedern genannt, die dem Verein mehr als 25 Jahre angehörten3183. Vom 5. Oktober 1895 bis zum 28. Juni 1896 leistete Max Ostberg seine Wehrpflicht ab3184.

Als Beruf von Max Ostberg war auf der Einwohnermeldekarte „Geschäfts-Gehülfe“ an- gegeben. Hierauf war auch unter der Rubrik Bemerkungen „geisteskrank“ vermerkt3185. 1910 meldete er sich nach Paris/Frankreich ab, kehrte aber schon am 26. Oktober 1910 von dort zurück nach Bocholt.

Aus der Familie Heymann Ostberg waren im Ersten Weltkrieg vier Söhne Kriegsteil- nehmer3186. Vom 8. April bis zum 21. November 1918 war auch Max Ostberg Soldat3187.

Aus Bocholt verzog Max Ostberg am 21. Juli 1921 nach Köln, später von dort nach Berlin3188. Im Gedenkbuch des Bundesarchivs ist verzeichnet, dass er zu einem nicht bekannten Zeitpunkt deportiert und ermordet wurde3189.

Hedwig Polak geborene Cohen geboren am 22. Juli 1898 in Bocholt ermordet am 11. Juni 1943 im Vernichtungslager Sobibor

Hedwig Cohen kam am 22. Juli 1898 in der Langenbergstraße 28 als Tochter von Dina (geb. Japhet, * 23. März 1859, Borculo/Niederlande – 20. Februar 1938, Bocholt3190) und ihrem aus Südlohn stammenden Mann, dem Händler Isaac Cohen (* 27. März 1855 – 12. Februar 1929, Bocholt3191), zur Welt3192.

Sie hatte vier Geschwister: – Ihre älteste Schwester war Jeanette, die als spätere SPD-Bundespolitikerin Jeanette Wolff (geb. Cohen, verwitwete Fuldauer, * 22. Juni 1888, Bocholt – 19. Mai 1976, Ber- lin) bekannt war und ihre politische Laufbahn 1919 als Stadtverordnete für die SPD in Bocholt begann. 1932 verzog Jeanette Wolff mit ihrer Familie nach Dins laken.

3182 Westerhoff, Ballotagen. 3183 StdA B, Depositum St. Georgius-Schützenverein, III. Präsentationsmaterialen, 1.1. Festschriften I, St. Georgius- Schützenverein 1861 Bocholt 1911. Schützenfest am 6., 7., 8., 13. August 1911. [Bocholt, 1911] Zur Geschichte des St. Georgius-Schützenvereins, S. 40. 3184 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3185 Ebd. 3186 Ebd., Depositum St. Georgius-Schützenverein, III. Präsentationsmaterialen, I.1. Festschriften I, 53. Schützenfest des St. Georgius-Schützenvereins, 25. und 26. Juli 1920, [Bocholt, 1920], Zur Geschichte des St. Georgius-Schüt- zenvereins, unpaginiert. 3187 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3188 NS-Dokumentationszentrums Köln, 23. Juni 2009. Danach war seine letzte Adresse eine Heilanstalt in Berlin. 3189 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 108493. 3190 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3191 Ebd. 3192 Ebd.

BUCH DER ERINNERUNG | 347 Hier wurde sie am 18. März 1933 in Schutzhaft genommen und erst 1935 wieder entlassen. Sie wurde zusammen mit ihrem Mann  Hermann Wolff (* 12. Februar 1888, Dortmund – ermordet auf dem Todesmarsch im April 1945 beim Konzen- trationslager Flossenbürg3193) und ihren Töchtern  Juliane (* 26. Oktober 1912, Bocholt – ermordet am 25. November 1941, Ghetto Kowno3194) und Edith (* 24. No- vember 1916, Bocholt – 20. Januar 1999, Dinslaken) am 27. Januar 1942 von Dort- mund in das Ghetto Riga deportiert und überlebte mehrere Konzentrations lager. – Leopold (* 30. September 1890, Bocholt – 23. April 19003195) – Ihr Bruder  Sally Cohen (* 19. April 1892, Bocholt) wurde am 30. September 1944 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet3196. – Ihr jüngster Bruder Magnus Cohen (* 18. Januar 1897, Bocholt) konnte mit seiner evangelischen Frau Frieda (* 21. Mai 1905, Bütow) am 24. September 1938 über Bre- men mit dem Dampfer Arugnuy3197 nach Paraguay fliehen3198. In Colonia/Uruguay wurde am 5. Novemher 1938 Sohn Siegfried geboren3199.

Hedwig Cohen heiratete am 28. August 1930 in Bocholt den niederländischen Staats- bürger Abraham Polak (* 8. September 1896, Goor/Niederlande – ermordet am 31. März 1944, Mittel-Europa3200) aus Goor, der heutigen Gemeinde Hof van Twente in der Provinz Overijssel. Sie verzog am 1. September 1930 dort in die H. Heijamanstraat 543201.

Die Tochter ihrer Schwester Jeanette Wolff,  Käthe Wolff (* 6. März 19203202 – er- mordet zu einem nicht bekannten Zeitpunkt an einem unbekannten Ort3203), wohnte 1933/34 einige Monate bei ihrer Tante Hedwig Polak in Goor/Niederlande3204.

Am 17. April 1935 wurde Hedwig und Abraham Polak ihr Sohn Johnnij Magnus ge- boren3205.

Aus Goor wurde das Ehepaar im Juni 1943 in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork in Nordholland gebracht3206. Kurz zuvor war Johnnij Magnus Polak mit einem sog. Kindertransport aus dem Konzen- trationslager Vught in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork deportiert worden3207. Aus Westerbork wurden Hedwig, ihr Mann Abraham sowie ihr Sohn Johnnij Magnus Polak am 8. Juni 1943 zusammen mit 3014 Menschen jüdischen Glaubens in das Vernichtungslager Sobibor deportiert3208. Dort wurden Mutter und Sohn am 11. Juni 1943, dem Tag ihrer Ankunft, ermordet3209. Abraham Polak gilt als am 31. März 1944 in Mittel-Europa3210 ermordet.

3193 Vgl. Biogramm S. 438. 3194 Vgl. Biogramm S. 441. 3195 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 26. 3196 Vgl. Biogramm S. 178. 3197 StdA B, SBOH 3, Akte nach dem BEG 3 934, Magnus Lorch. 3198 Ebd., 57 K 102 – ohne Titel -, Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962); Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Günter Lorch (1930 – 2008) am 9. Februar 1995 und am 2. März 1995, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur. 3199 Ebd., SBOH 3, Akte nach dem BEG 3 938, Siegfried Lorch. Karteikarte. 3200 JHM A, Joodsmonument, p. 461132. 3201 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3202 Ebd. 3203 Vgl. Biogramm S. 442. 3204 Vgl. Augenzeugenbericht von Edith Marx Wir fühlten uns wie Schlachtvieh, S. 470. 3205 JHM A, Joodsmonument, p. 461132. 3206 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 111683. 3207 De Moei, Johann: Joodse kinderen in het kamp Vught, Vught 1999, p. 63. 3208 BA Gedenkbuch, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlanden. 3209 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 111683. 3210 JHM A, Joodsmonument, p. 461132.

348 | BUCH DER ERINNERUNG Auf dem jüdischen Friedhof von Goor wird auf einem Gedenkstein an die „aus unserer Mitte weggeführten“ Mitbürger gedacht, zu denen auch Hedwig, Abraham und Johnnij Magnus Polak gehören. Der Gedenkstein wurde 1970 enthüllt3211.

Lina Rosenbaum geborene Ostberg geboren am 10. März 1878 in Bocholt ermordet nach dem 23. September 1942 im Vernichtungslager Treblinka

Lina Ostberg wurde am 10. März 1878 im Haus Nr. 386 (heute: Nordstraße) in Bocholt als ältestes von sieben Kindern des Händlers Heymann Ostberg (* 7. Juni 1847, Rhede – 26. Januar 1931, Bocholt) und seiner Frau Sara (* 27. Juni 1855, Bocholt – 26. Januar 1931, Bocholt3212) geboren3213.

Von ihnen wurden während der Shoah ermordet: – Lina Rosenbaum (geb. Ostberg)  Julius Jakob (* 20. Oktober 1880, Bocholt – ermordet am 6. oder 12. Mai 1942, Ver- nichtungslager Kulmhof/Chelmno3214)  Max (* 21. November 1883, Bocholt – ermordet zu einem nicht bekannten Zeit- punkt3215).

Vater Heymann Ostberg gehörte von vor 18863216 bis 19073217 der Repräsentanten ver- sammlung der israelitischen Gemeinde an.

Seit dem 21. Mai 1876 war er Mitglied des St. Georgius-Schützenvereins3218. 1911 wurde er beim Schützenfest für langjährige Vereinstreue geehrt3219.

Aus der Familie Heymann Ostberg waren im Ersten Weltkrieg vier Söhne – auch  Max und  Julius-Jakob – Kriegsteilnehmer3220. Lina Ostberg zog zu einem nicht bekannten Zeitpunkt nach Essen. Am 13. Juni 1928

3211 http://www.4en5mei.Niederlande/oorlogsmonumenten/zoeken/monument-detail/_pid/main/_rp_main_ elementId/1_1Polak. 3212 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3213 Personenstandsregister, S. 275 3214 Vgl. Biogramm S. 341. 3215 Vgl. Biogramm S. 346. 3216 StdA B, SBOH 2 Nr. 1001, 1871–1924, Cultusbedürfnisse der Synagogengemeinde, Unterschrift unter der Syna- gogenordnung für die israelitische Gemeinde zu Bocholt vom 15. August 1886. 3217 Ebd., SBOH 2 Nr. 1006, Wahl des Synagogenvorstandes und der Repräsentanten 1895–1916, Protokoll über die Wahlverhandlung vom 21. August 1907. 3218 Westerhoff , Ballotagen. 3219 StdA B, Depositum St. Georgius-Schützenverein, III. Präsentationsmaterialen, I.1. Festschriften I, St. Georgius- Schützenverein. 1861. Bocholt. 1911. Schützenfest am 6., 7., 8., 13. August 1911. Zur Geschichte des St. Georgius- Schützenvereins, S. 40. 3220 Ebd., 53. Schützenfest des St. Georgius-Schützenvereins 25. und 26. Juli 1920. Zur Geschichte des St. Georgius- Schützenvereins, unpaginiert.

BUCH DER ERINNERUNG | 349 zogen Lina und ihr Mann, Kaufmann Max Rosenbaum (* 8. September 1873, Peckels- heim/Kreis Warburg) von Essen, Callenbachstraße 18, nach Düsseldorf, Unterrather Straße 185, zu. Auf der Familienmeldekarte ist kein Kind aufgeführt.

Am 18. Juli 1942 erfolgte die meldeamtliche Abmeldung von Lina und Max Rosenbaum von der Konkordiastraße 66 nach „eresienstadt b. Prag“ 3221. Am 21. Juli 1942 wurden vom Güterbahnhof Düsseldorf aus 965 Menschen jüdischen Glaubens aus dem Bezirk der Staatspolizeileitstelle Düsseldorf deportiert. Der Transport kam am 22. Juli 1942 im Ghetto eresienstadt an3222. Lina Rosenbaum, die mit ihrem Mann deportiert wurde, trug die Transportnummer 7083223.

Am 21. September 1942 wurden von dort 2020 Menschen mit dem Transport „Bp“ in das Vernichtungslager Treblinka deportiert3224. Sie trug dabei die Häftlingsnummer 10233225. Die Ankunft dort etwa am 23. September 1942 ist die letzte Nachricht über Lina und Max Rosenbaum 3226, keiner der Deportierten überlebte.

Frieda Rosenblatt geborene Schwarzbart geboren am 153227. Mai 1875 in Kalisch ermordet am 5. Oktober 1942 im Vernichtungslager Auschwitz3228

Frieda Schwarzbart (oder: Frajdla Schwartbart3229) wurde am 15. Mai 1875 in Kalisch geboren3230. Kalisch ist eine Kreisstadt im heutigen Verwaltungsbezirk Großpolen. Vor 1908 kam Frieda Schwarzbart nach Bocholt und heiratete  Hirsch Rosen- blatt (* 10 . Oktober 1879, Skarischow/Polen – ermordet am 5. Oktober 1942, Vernichtungslager Auschwitz3231).

3221 StdA Düsseldorf, 18. September 2008. 3222 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Deportationen aus dem Deutschen Reich; eresi- enstädter Gedenkbuch, S. 76. 3223 http://www.yadvashem.org/wps/portal/!ut/p/_s.7_0_A/7_0_FL/.cmd/acd/.ar/sa.portlet.VictimDetailsSubmitAct ion/.c/6_0_9D/.ce/7_0_V9/.p/5_0_P1/.d/0?victim_details_id=4890254&victim_details_name=Lina+Rosenbaum &q1=sjfmI3S1Zwo%3D&q2=EbzXsOS6s6nqFozaGOhLE6ZJOwaRnKzB&q3=adsYslud0jM%3D&q4=adsYslud0j M%3D&q5=dMM2jhks%2FMo%3D&q6=3rqiy9QuDPU%3D&q7=f0vH4b4vg7430NMAkXgtIfGXZ6CYfAV4&f rm1_npage=1#7_0_V9. 3224 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 3225 http://www.yadvashem.org/wps/portal/!ut/p/_s.7_0_A/7_0_FL/.cmd/acd/.ar/sa.portlet.VictimDetailsSubmitAct ion/.c/6_0_9D/.ce/7_0_V9/.p/5_0_P1/.d/0?victim_details_id=4890254&victim_details_name=Lina+Rosenbaum &q1=sjfmI3S1Zwo%3D&q2=EbzXsOS6s6nqFozaGOhLE6ZJOwaRnKzB&q3=adsYslud0jM%3D&q4=adsYslud0j M%3D&q5=dMM2jhks%2FMo%3D&q6=3rqiy9QuDPU%3D&q7=f0vH4b4vg7430NMAkXgtIfGXZ6CYfAV4&f rm1_npage=1#7_0_V9 3226 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis 951356 und 951029. 3227 Stadtbibliothek, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, 10. Juni 2009. in JHM A, Joodsmonu- ment, p. 398151 ist das Geburtsdatum 10. Mai 1875 genannt. 3228 JHM A, Joodsmonument, p. 398151. 3229 Ebd. 3230 Stadtbibliothek, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, 10. Juni 2009. 3231 Vgl. Biogramm, S. 352.

350 | BUCH DER ERINNERUNG Das Ehepaar hatte zumindest einen Sohn:  Samuel Rosenblatt (* 7. Juni 1909, Bocholt – ermordet am 24. September 1943, Vernichtungs lager Auschwitz3232).

Familie Rosenblatt zog nach 1910 nach Braunschweig. Mit ihrer Familie zog Frieda Rosenblatt am 12. Juli 1926 von dort nach Bielefeld, Heinrichstraße 38 a, am 21. März 1927 in die Wiesenstraße 14, am 17. August 1927 in die Wiesenstraße 2. Die Familie verzog nach (Bielefeld-)Sieker Nr. 278, am 22. Mai 1930 in die Göbenstraße (heute: August-Bebel-Str.) 20. Sie verzog am 29. März 1932 in die Sedanstraße (heute: Hubertusstraße) 243233.

Gemeinsam mit ihrem Mann  Hirsch wurde Frieda Rosenblatt am 28. Oktober 1938 im Rahmen einer reichsweiten Aktion gegen polnische Juden „ausgewiesen nach Polen“ (nach dem Hausbuch „am 28.10.38 nach der polnischen Grenze abgeschoben“3234). Über die Stadt Szbaszyn in Polen gelangten Frieda und  Hirsch Rosenblatt in die Niederlande, wo Sohn  Samuel und Schwiegertochter Berta lebten3235. Im August 1941 wohnte das Ehepaar in Alphen aan den Rijn in der Amtswohnung des Religionslehrers Samuel Aardewerk in der Rijnkade 10. Von dort verzog es im September 1941 in die Julianastraat 293236. Bei der „großen Razzia“ am 30. September 1942 wurden Frieda und  Hirsch Rosenblatt in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork gebracht3237. Von dort wurden Frieda und  Hirsch Rosenblatt am 2. Oktober 1942 zusammen mit 1012 Menschen jüdischen Glaubens in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Hier kam der Zug am 3. Oktober 1942 an3238.

Frieda Rosenblatt „[...] gilt als gestorben am 5.10.1942 in der Umgebung von Auschwitz“ (Angabe des niederländischen Roten Kreuz)3239.

 Hirsch Rosenblatt, ihr Mann, wurde ebenfalls an diesem Tag in Auschwitz umge- bracht3240. Ihr Sohn  Samuel Rosenblatt wurde am 24. September 1943 im Vernich- tungslager Auschwitz ermordet3241.

3232 Vgl. Biogramm, S. 353. 3233 Stadtbibliothek, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, 10. Juni 2009. 3234 Ebd. 3235 JHM A, Joodsmonument, p. 398175. 3236 Ebd. 3237 http://www.4en5mei.nl/oorlogsmonumenten/zoeken/monument-detail/_pid/main/_rp_main_ele- mentId/1_6366. 3238 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlan- den. 3239 Stadtbibliothek, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, 10. Juni 2009. Bestand 109,3/Amt für Wiedergutmachung Stadt, Nr. B 164. 3240 Ebd. 3241 JHM A, Joodsmonument, p. 471843.

BUCH DER ERINNERUNG | 351 Hirsch (Hersz3242) Rosenblatt geboren am 10.3243 Oktober 1879 in Skarischow/Polen ermordet am 5. Oktober 1942 im Vernichtungslager Auschwitz

Hirsch Rosenblatt wurde am 10. Oktober 1879 in Skarischow (Polen) geboren3244. Er lebte seit 1903 in Bocholt und heiratete vor November 1908, wahrscheinlich in Bocholt,  Frieda (geb. Schwarzbart, * 15. Mai 1875, Kalisch/Polen – ermordet am 5. Oktober 1942, Vernichtungslager Auschwitz3245). Hirsch Rosenblatt soll nach den Akten in Biele- feld Schächter gewesen sein3246. In Bocholter Verzeichnissen wurde Hirsch Rosenblatt als Maler3247, aber auch als Weber3248 genannt.

Das Ehepaar hatte zumindest einen Sohn:  Samuel Rosenblatt (* 7. Juni 1909, Bocholt – ermordet am 24. September 1943, Vernichtungs lager Auschwitz3249).

Hirsch Rosenblatt war im Verzeichnis der stimmberechtigten Mitglieder der Synago- gengemeinde Bocholt zur Repräsentantenversammlung am 7. April 1910 verzeichnet3250: Nr. Name Vorname Alter Ort Beruf 56 Rosenblatt Hirsch 32 Bocholt Maler

Auch war er im Einwohnerbuch 1914 aufgeführt. Dort war als Beruf „Weber“ angege- ben.

Hirsch Rosenblatt zog mit seiner Familie am 12. Juli 1926 von Braunschweig nach Bielefeld, Heinrichstraße 38a, am 21. März 1927 in die Wiesenstraße 14, am 17. August 1927 in die Wiesenstraße 2. Die Familie verzog zwischenzeitlich nach (Bielefeld-)Sieker Nr. 278, kehrte von dort zurück am 22. Mai 1930 in die Göbenstraße (heute: August-Bebel-Str.) 20, verzog am 29. März 1932 in die Sedanstraße (heute: Hubertusstraße) 243251. Hirsch Rosenblatt war Schächter der Synagogengemeinde Bielefeld3252.

Hirsch Rosenblatt wurde gemeinsam mit seiner Frau  Frieda am 28. Oktober 1938 im Rahmen einer reichsweiten Aktion „ausgewiesen nach Polen“ (lt. Hausbuch „am 28.10.38 nach der polnischen Grenze abgeschoben“ 3253).

Über die Stadt Szbaszyn in Polen gelangten  Frieda und Hirsch Rosenblatt in die Nie- derlande3254.

3242 Ebd., p. 398151. 3243 In der Einwohnermeldekartei Bielefeld ist der 16. Oktober 1879 als Geburtstag verzeichnet (Stadtbibliothek, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld vom 10. Juni 2009), in JHM A, Joodsmonument, p. 398151 ist der 16. Oktober 1877 genannt. 3244 Stadtbibliothek, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, 10. Juni 2009. 3245 Vgl. Biogramm, S. 350. 3246 Stadtbibliothek, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, 10. Juni 2009, Bestand 109,3/Amt für Wiedergutmachung Stadt, Nr. B 164. 3247 StdA B, SBOH 2 Nr. 1006, Wahl des Synagogenvorstandes und der Repräsentanten 1895–1916. Wählerverzeichnis vom 7. April 1910. 3248 Einwohnerbuch 1908, S. 56. 3249 Vgl. Biogramm, S. 353. 3250 StdA B, SBOH 2 Nr. 1006, Wahl des Synagogenvorstandes und der Repräsentanten 1895–1916. Wählerverzeichnis vom 7. April 1910. 3251 Stadtbibliothek, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, 10. Juni 2009. 3252 Ebd. 3253 Ebd. 3254 Ebd., Bestand 109,3/Amt für Wiedergutmachung Stadt, Nr. B 164.

352 | BUCH DER ERINNERUNG Im August 1941 wohnte das Ehepaar in Alphen aan den Rijn in der Amtswohnung des Religionslehrers Samuel Aardewerk in der Rijnkade 10.

Von dort verzogen sie im September 1941 in die Julianastraat 293255. Bei einer „großen Razzia“ am 30. September 1942 wurden  Frieda und Hirsch Rosenblatt in das polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork gebracht3256.

Von dort aus wurden sie am 1. Oktober 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert3257. Hirsch Rosenblatt „gilt als gestorben am 5.10.1942 in der Umgebung von Auschwitz“, so lautet die Feststellung des Niederländischen Roten Kreuzes. Für seine Frau  Frieda Rosenblatt wird das gleiche Schicksal angenommen3258.

Die Namen von Hirsch und  Frieda Rosenblatt stehen auf einem Denkmal für die 56 jüdischen Opfer aus Alphen aan den Rijn am Raoul Wallenbergplein. Das Denkmal steht etwa an der Stelle, von wo aus sie in das polizeiliche Judendurchgangslager Wester- bork gebracht worden waren. Das Denkmal wurde am 19. Mai 1990 der Öffentlichkeit übergeben3259.

Ihr Sohn  Samuel Rosenblatt war am 24. September 1943 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet worden3260.

Samuel Rosenblatt geboren am 7. Juni 1909 in Bocholt ermordet am 24. September 1943 im Vernichtungslager Auschwitz

Samuel Rosenblatt wurde am 7. Juni 1909 in Bocholt als Sohn von  Hirsch Rosenblatt (* 10. Oktober 1879, Skarischow/Polen – ermordet am 5. Oktober 1942, Vernichtungslager Auschwitz3261) und  Frieda (geb. Schwarzbart, * 10. Mai 1875, Kalisch/Polen – ermordet am 5. Oktober 1942, Vernichtungslager Auschwitz3262) geboren. Samuel Rosenblatt war kaufmännischer Angestellter3263.

Von Bocholt zog er mit seinen Eltern  Frieda und  Hirsch Rosenblatt zu einem nicht bekannten Zeitpunkt nach Braunschweig. Er zog vermutlich am 12. Juli 1926 von Braunschweig nach Bielefeld3264. Am 18. Januar 1931 zog er von Bielefeld nach Den Haag/Niederlande3265.

3255 JHM A, Joodsmonument, p. 398175. 3256 http://www.4en5mei.nl/oorlogsmonumenten/zoeken/monument-detail/_pid/main/_rp_main_elementId/1_6366. 3257 Brouwer, L. de: De Joodse Gemeente Alphen aan den Rijn, 1792-1964, Haarlem 2002, p. 56. Stadtbibliothek, Stadt- archiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, Bestand 109,3/Amt für Wiedergutmachung Stadt, Nr. B 164. 3258 Ebd. 3259 http://www.4en5mei.nl/oorlogsmonumenten/zoeken/monument-detail/_pid/main/_rp_main_elementId/1_6366. 3260 JHM A, Joodsmonument, p. 398175. 3261 Vgl. Biogramm, S. 352. 3262 Vgl. Biogramm, S. 350. 3263 Stadtbibliothek, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, 10. Juni 2009. 3264 Ebd. 3265 Ebd.

BUCH DER ERINNERUNG | 353 Später heiratete der in niederländischen Verzeichnissen als „Händler“3266 bezeichnete Samuel Rosenblatt in Den Haag Berta (geb. Goldblum, * 1914, Plauen – 13. November 1964, Den Haag/Niederlande3267). Ihr gelang es unterzutauchen und zu überleben, als Berta Ringer lebte sie 1959 in den Niederlanden3268.

Samuel Rosenblatt wurde am 1. September 1943 aus dem polizeilichen Judendurch- gangslager Westerbork zusammen mit 978 Menschen jüdischen Glaubens in das Ver- nichtungslager Auschwitz deportiert3269. Am 24. September 1943 wurde Samuel Rosen- blatt in Auschwitz ermordet3270.

Seine Mutter  Frieda Rosenblatt und Vater  Hirsch waren am 5. Oktober 1942 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet worden.

Marianne Roth geborene Dienstag geboren am 7. Juni 1868 in Schrimm/Regierungsbezirk Posen ermordet nach dem 23. September 1942 im Vernichtungslager Treblinka

Marianne3271 Dienstag wurde am 7. Juni 1868 in Schrimm geboren3272. Schrimm war eine Kreisstadt im damaligen preußischen Regierungsbezirk Posen, 1905 hatte sie 6571 Ein- wohner. Die Stadt verfügte über ein Amtsgericht und ein Gymnasium. 81 % der Bevöl- kerung waren 1905 deutsch. Heute heißt die Stadt Śrem, sie liegt in der Wojewodschaft (polnischer Verwaltungsbezirk) Großpolen, ca. 40 km südlich von Posen.

In Schrimm wurden die Kinder von Marianne Roth geboren:  Rahel Blumenthal (geb. Roth, verwitwete Zytnik, * 17. Februar 1901 – ermordet nach dem 1. Oktober 1944, Konzentrationslager Stutthof3273)  Max (* 4. März 1903 – ermordet nach dem 9. Juni 1943, Ghetto eresienstadt3274)  Zylli (* 18. April 1911 – ermordet nach dem 23. Oktober 1941, Ghetto Lodz3275). Der Vater war nicht zu ermitteln.

Nach dem Ersten Weltkrieg fiel die Stadt Schrimm 1919 an Polen. Marianne Roth und ihre Kinder wurden als Deutsche ausgewiesen. Am 1. März 1922 zogen sie nach Bocholt in das Haus Niederbruch 20 zu, am 28. Juni 1924 verzogen die Roths in die Wesemannstraße 63276.

3266 Ebd., BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 952362. 3267 Bei JHM A, Joodsmonument, p. 471843 wird Samuel Rosenblatt als alleinstehend bezeichnet. 3268 Stadtbibliothek, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, 10. Juni 2009. 3269 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 952362; ebd., Deportationschronologie, Chronologie der Deportation aus den Niederlanden. 3270 JHM A, Joodsmonument, p. 471843, nach BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 952362 wurde Samuel Rosenblatt am 24. September 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet. 3271 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. In: BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 955114 wird sie Marianne oder Marina genannt. 3272 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3273 Vgl. Biogramm S. 160. 3274 Vgl. Biogramm S. 357. 3275 Vgl. Biogramm S. 356. 3276 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

354 | BUCH DER ERINNERUNG Marianne Roth zog am 2. Mai 1932 zu ihrer inzwischen verheirateten Tochter  Rahel Zytnik und deren Mann Max, der am 27. Juni 1933 starb, in das Haus Königstraße 93277.

Es kann vermutet werden, dass sie die 1932 und 1933 geborenen Kinder  Man- fred (* 5. September 1932, Bocholt – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald3278) und  Edith (* 11. Oktober 1933, Bocholt – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald3279) hütete, wenn deren Mutter  Rahel Zytnik in ihrer Schneiderei tätig war.

Im Haus Königstraße 9 musste Marianne Roth zusammen mit Tochter  Rahel Zytnik, deren Kindern  Manfred und  Edith und Rahels späterem Mann  Adolf Blumen- thal3280 alle Entrechtungen bis 1941 durchleben.

Am 23. September 1941 musste Marianne Roth zusammen mit ihrer Tochter  Rahel Blumenthal und deren Mann  Adolf in das sog. Judenhaus Bahnhofstraße 16 ziehen. Hier erlebte sie am 10. Dezember 1941 die Deportation von Tochter und Schwieger- sohn sowie der Enkelkinder  Edith und  Manfred Zytnik3281.

Am 22. Dezember 1941 wurde Marianne Roth gezwungen, zusammen mit  Luise Löwenstein in das sog. Judenhaus Stiftstraße 32 umzuziehen3282.

Von hier aus kam sie am 23. Februar 1942 zusammen mit  Hermann Cohen,  Luise Löwenstein sowie  Sophia und  Emanuel Mühlfelder in das faktisch letzte sog. Juden haus in Bocholt, Schwartzstraße 143283. Von dort aus erfolgte am 27. Juli 1942 ihre Deportation.

Kriegschronik der Stadt Bocholt, 27. Juli 1942: „Gegen 22.30 Uhr wurden die nachstehend aufgeführten Juden, die in der Schwartz- straße Nr. 14 wohnten, von einem Beamten der Geheimen Staatspolizei aus Münster mit einem großen Möbelauto abgeholt und zunächst nach Münster gebracht. Angeblich sollen sie nach Böhmen evakuiert werden: [...] 4. Witwe Marianne Roth, geborene Dienstag, geboren am 7.6.1868 in Schrimm, [...].“3284

Nach zwei mörderischen Tagen in der Sammelunterkunft, der ehemaligen Gaststätte Gertrudenhof in Münster, ging am 29. Juli 1942 der Deportationstransport mit 900 anderen Leidensgenossen – darunter weiteren sieben Menschen aus Bocholt – in das Ghetto eresienstadt3285. Der Zug hatte die Nummer XI/1 – Da 773286. Am 1. August 1942 war die kleine Bahnstation des Ghettos erreicht3287.

Marianne Roth wurde nach tschechischen Quellen am 23. September 1942 mit einem sog. Altentransport mit 1980 Schicksalsgleichen in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. 3288 In Treblinka wurde Marianne Roth ermordet3289.

3277 Ebd. 3278 Vgl. Biogramm S. 445. 3279 Vgl. Biogramm S. 443. 3280 Vgl. Biogramm S. 158. 3281 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3282 Ebd. 3283 Ebd. 3284 Kriegschronik, S. 211. 3285 eresienstädter Gedenkbuch, S.77. 3286 Ebd. 3287 Ebd. 3288 Ebd., S. 79. 3289 Ebd., S. 567, ebenso BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 955114.

BUCH DER ERINNERUNG | 355 Zylli3290 Roth geboren am 18. April 1911 in Schrimm/Regierungsbezirk Posen ermordet nach dem 23. Oktober 1941 im Ghetto Lodz

Zylli (auch Cylli) Roth wurde am 18. April 1911 in Schrimm als Tochter3291 von  Mari- anne Roth (geb. Dienstag * 7. Juni 1868, Schrimm – ermordet nach dem 23. September 1942, Vernichtungslager Treblinka3292) geboren3293. Der Name ihres Vaters konnte nicht ermittelt werden.

Sie hatte zwei Geschwister:  Rahel Blumenthal (geb. Roth, verwitwete Zytnik, * 17. Februar 1901, Schrimm – er- mordet nach dem 1. Oktober 1944, Konzentrationslager Stutthof3294)  Max (* 4. März 1903, Schrimm – ermordet nach dem 9. Juni 1943, Ghetto eresien- stadt3295).

Schrimm war eine Kreisstadt im ehemaligen preußischen Regierungsbezirk Posen. Nach dem Ersten Weltkrieg fiel die Stadt 1919 an Polen.

 Marianne Roth, ihre beiden Töchter  Rahel und Zylli sowie ihr Sohn  Max wurden als Deutsche danach ausgewiesen.

Am 1. März 1922 zog Zylli Roth mit ihrer Mutter  Marianne Roth und ihren Ge- schwistern  Rahel und  Max nach Bocholt in das Haus Niederbruch 20 zu, 1924 verzogen sie in die Wesemannstraße 63296.

Mit ihrer Mutter zog sie am 2. Juni 1932 zu ihrer inzwischen verheirateten Schwester  Rahel Zytnik (später:  Rahel Blumenthal) und deren Familie in das Haus König- straße 9 3297.

Am 30. August 1938 zog Zylli Roth nach Mönchengladbach3298, später nach Köln. Hier musste sie ab etwa 1939 im sog. Judenhaus Roonstraße 84 wohnen3299. Vom Tiefbahnhof Köln-Deutz wurde Zylli Roth zusammen mit 1117 Menschen jüdischen Glaubens am 22. Oktober 1941 deportiert. Am 23. Oktober 1941 kam der Zug im Ghetto Lodz an3300. Dies war die letzte Nachricht über Zylli Roth3301.

3290 In StdA B, Einwohnermeldekartei 1906–1962 ist ihr Name mit Cylli angegeben. Das BA, Gedenkbuch, Onlinever- sion, Namenverzeichnis Nr. 589503 nennt den Namen Cilla. 3291 In StdA B, Einwohnermeldekartei 1906–1962 wird Cylli Roth als Tochter von Marianne Roth geführt. Nach Aus- kunft des NS-Dokumentationszentrums Köln vom 18. November 2008 soll Cylli Roth die Schwiegertochter von Marianne Roth gewesen sein. 3292 Vgl. Biogramm, S. 354. 3293 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3294 Vgl. Biogramm, S. 160. 3295 Vgl. Biogramm, S. 357. 3296 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3297 Ebd. 3298 NS-Dokumentationszentrum Köln, 18. November 2008. 3299 Ebd.; hier ist Cylli Roth als „geb. Frank, geb. 1911, Verkäuferin, Kontoristin“ verzeichnet. 3300 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 3301 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 589503.

356 | BUCH DER ERINNERUNG Max Roth geboren am 4. März 1903 in Schrimm / Regierungsbezirk Posen ermordet nach dem 9. Juni 1943, Ghetto eresienstadt 3302

Max Roth wurde am 4. März 1903 in Schrimm / Regierungsbezirk Posen als Sohn von  Marianne Roth (geb. Dienstag, * 7. Juni 1868, Schrimm – ermordet nach dem 23. September 1942, Vernichtungslager Treblinka3303) geboren3304. Der Name seines Vaters konnte nicht ermittelt werden,  Marianne Roth war bereits Witwe, als sie nach Bocholt kam3305.

Max Roth hatte zwei in Schrimm geborene Schwestern:  Rahel Blumenthal (geb. Roth, verwitwete Zytnik, * 17. Februar 1901 – ermordet nach dem 1. Oktober 1944, Konzentrationslager Stutthof 3306)  Zylli (* 18. April 1911 – ermordet nach dem 23. Oktober 1941, Ghetto Lodz3307).

Am 1. März 1922 zog er mit seiner Mutter  Marianne und seinen Schwestern  Rahel und  Cylli aus Schrimm kommend in das Haus Niederbruch 20 zu3308. Er war von Beruf Schneider3309.

Am 25. Oktober 1932 zog Max Roth nach Breslau3310. Hier war er als Handelsvertreter tätig, 1941 wohnte er in Breslau, XIII. Stadtbezirk, Goethestraße 51/II. Er hatte die Tele- fonnummer 85273311 und war wahrscheinlich ledig3312.

Am 9. Juni 1943 wurde er aus Breslau zusammen mit 161 Menschen in das Ghetto eresienstadt deportiert3313. Seine Ankunft im Ghetto am gleichen Tag ist die letzte Nachricht von Max Roth3314.

3302 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 955120. 3303 Vgl. Biogramm, S. 354. 3304 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3305 Ebd. 3306 Vgl. Biogramm, S. 160. 3307 Vgl. Biogramm, S. 356. 3308 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3309 Ebd., Mail vom 10. April 2012. 3310 Ebd. 3311 http://www.breslau-wroclaw.de/de/breslau/ab/1941/ ?ct=no&lastname=Roth&firstname=&street=&professional =&=Los. Breslauer Adressbuch 1941. 3312 Ebd. 3313 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 3314 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 955120.

BUCH DER ERINNERUNG | 357 Alma Rothschild geborene Levy geboren am 11. Dezember 1893 in Quakenbrück-Bersenbrück (Provinz Hannover) ermordet nach dem 13. Juni 1942 im Vernichtungslager Sobibor oder Majdanek

Alma Levy wurde am 11. Dezember 1893 in Quakenbrück in der Provinz Hannover geboren3315. Am 1. Dezember 1903 zog sie aus Quakenbrück in Bocholt, Osterstraße 29, zu. Von hier aus zog sie am 30. September 1905 nach Elberfeld (heute: Wuppertal- Elberfeld)3316.

1907 heiratete Alma Levy in Brilon Julius Rothschild (* 10. Juli 1878, Brilon – ermordet nach dem 11. Juni 1942, Vernichtungslager Majdanek oder Sobibor 3317).

In die Ehe sollen geboren worden sein3318: – Elly Stein (geb. Rothschild, * 1. März 1908, Hannover – 3319) – Dr. med. Hans (* 20. Januar 1910, unbekannt3320 – wanderte nach Paraguay aus3321) – Kurt (* 26. November 1911, unbekannt – 3322).

Zumindest im Jahre 1908 wohnte die Familie kurzzeitig in Hannover3323, kehrte aber später nach Brilon zurück. Hier betrieb Julius Rothschild in der Derkere Straße 13324 das Manufakturwarengeschäft seines Vaters, M. Rothschild Brilon. Sein Geschäft war „eine gute Adresse“3325.

Anfang der 1930er Jahre ging der Geschäftsbetrieb immer mehr zurück. Zwischen 1931 und 1934 fielen seine Umsätze um 85% 3326. Als Sohn Hans im Sommer 1933 ein Boykottschild auf dem Marktplatz in Brilon fotografierte, wurde er verhaftet und seine Kamera eingezogen. Er selbst wurde für sechs Wochen von der Geheimen Staatspolizei in Arnsberg inhaftiert3327. Unter dem Zwang der antijüdischen Gesetze musste Julius Rothschild im November 1935 sein Geschäft verkaufen3328.

Danach zogen Alma und Julius Rothschild nach Wiesbaden3329. Sie wohnten dort bis nach dem 12. Dezember 1938 in der Dotzheimer Straße 543330, später im Haus Kaiser- Friedrich-Ring 653331.

3315 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 955228. 3316 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3317 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 955589; Demokratische Initiative. Verein zur Förderung sozialer, kultureller und politischer Bildung e. V.: Juden in Brilon zur Zeit des Nationalsozialismus. Dokumente, Familienschicksale, Zeugenaussagen. Brilon [1988 ], S. 128. 3318 Angaben nach Paul-Lazarus-Stiftung, Wiesbaden. 3319 Paul-Lazarus-Stiftung, Wiesbaden, Datenbank, Familienblatt von Julius Rothschild/Alma Levy (F1483). Elly Stein ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 3320 Paul-Lazarus-Stiftung, Wiesbaden, Datenbank, Familienblatt von Julius Rothschild/Alma Levy (F1483). 3321 Juden in Brilon, S. 129. 3322 Paul-Lazarus-Stiftung, Wiesbaden, Datenbank, Familienblatt von Julius Rothschild/Alma Levy (F1483). Kurt Rothschild ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Daten- bank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 3323 Paul-Lazarus-Stiftung, Wiesbaden, Datenbank, Familienblatt von Julius Rothschild/Alma Levy (F1483). 3324 Juden in Brilon, S. 139. 3325 Ebd., S. 128. 3326 Ebd. 3327 Ebd., S. 129. 3328 Ebd., Sauerländer Zeitung vom 7. November 1935. 3329 Ebd., S. 129. 3330 Ebd., S. 72. 3331 Paul-Lazarus-Stiftung, Wiesbaden, 29. März 2012.

358 | BUCH DER ERINNERUNG Am 11. Juni 1942 wurden Alma und Julius Rothschild mit etwa 380 Jüdinnen und Juden mit der Reichsbahn über Frankfurt am Main in die Vernichtungslager Majdanek oder Sobibor deportiert. Wahrscheinlich wurden Alma und Julius Rothschild unmittelbar nach ihrer Ankunft am 13. Juni 1942 ermordet3332.

Minna Scherbel geborene Wiesenfelder geboren am 28. April 1877 in Eiterfeld wurde am 4. Mai 1937 in Düsseldorf in den Selbstmord getrieben

Minna Wiesenfelder wurde am 28. April 1877 in Eiterfeld (ehemals Kreis Hünfeld) ge- boren3333. Die Marktgemeinde Eiterfeld liegt in Osthessen im nördlichen Teil des heu- tigen Landkreises Fulda an der Grenze des hessischen Landkreises Hersfeld-Rotenburg und des thüringischen Wartburgkreises.

Minna Wiesenfelder hatte zwei in Eiterfeld geborene Geschwister: – Bertha (* 13. Mai 1871 – 5. Januar 1930, Geldern 3334) – Salomon (* 21. März 1875 – ermordet am 20. November 1938, Konzentrationslager Buchenwald3335).

Am 2. August 1909 heiratete Minna Wiesenfelder  Otto Scherbel (* 2. Juli 1883, Essen – wurde am 4. Mai 1937 in Düsseldorf in den Selbstmord getrieben3336).

Sie meldeten sich am 14. August 1909 aus Wesel in Bocholt an. Das Ehepaar wohnte in der Neustraße 243337.

Der Ehe entstammte ein Sohn:  Walter Moritz (* 25. September 1911, Bocholt – ermordet am 30. September 1942, Vernichtungslager Auschwitz3338).

Vom 8. bis 22. Juni 1920 wohnte Minna Scherbel mit Mann und Kind in (Bad) Pyrmont, wohin sie sich aus Bocholt ummeldete. Sie kehrten am 23. Juni 1920 nach Bocholt in das Haus Nordstraße 193339 zurück, wo ihr Mann  Otto Scherbel ein Geschäft für Haus- halts- und Spielwaren führte3340.

3332 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 955288, 955589. 3333 Ebd., Nr. 964362. 3334 http://www.kle.nw.schule.de/lmg/juden/juden.htm. 3335 http://www.buchenwald.de/totenbuch/ 3336 Vgl. Biogramm S. 360. 3337 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3338 Vgl. Biogramm S. 362. 3339 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3340 Ebd., ZSlg., 20. September 1922, Anzeige Feiertagshalber bleiben unsere Geschäfte […] geschlossen .

BUCH DER ERINNERUNG | 359 Am 2. Oktober 1934 verkaufte Otto Scherbel Grundstück und Haus Nordstraße 19 an einen benachbarten Bocholter Kaufmann. § 6 des Vertrages lautete: „Der Verkäufer [Otto Scherbel] kann bis 30. Juni 1935 mietweise (150 RM) wohnen bleiben.“3341

Am Tag nach dem Ablauf des Mietverhältnisses, am 1. Juli 1935, verzogen Minna und  Otto Scherbel nach Düsseldorf, Marsstraße 53342.

Zwei Jahre später, am 4. Mai 1937, setzten Minna und  Otto Scherbel ihrem Leben in Düsseldorf aus Verzweiflung ein Ende3343. Am 10. Februar 1937 hatte das Finanzamt Düsseldorf einen Fahndungsbefehl gegen Minna und  Otto Scherbel erwirkt3344. Der Grund hierfür ist nicht bekannt. Laut einer Mitteilung der Zollfahndungsstelle Düs- seldorf vom 19. Juni 1937 haben „die Eheleute am 04.05.1937 den Freitod im Rhein gefunden.“3345 Die Leichen wurden bei Voerde am Niederrhein gefunden3346.

Sohn  Walter Moritz, der 1934 in die Niederlande übergesiedelt war, wurde am 30. September 1942 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet3347.

Am 16. Dezember 1949 meldete sich der Steuerhelfer Heinz Arden als Bevollmächtigter von Salomon Katz aus Geldern, dem Schwager von Minna Scherbel, beim Amts gericht Bocholt – Grundbuchamt –. Er beantragte die Rückübertragung des Hauses Nord- straße 193348. Katz wurde 1955 als einzig Überlebender nach Minna Scherbel in einem Vergleich vor der Wiedergutmachungskammer bei dem Landgericht Münster wegen Unregelmäßigkeiten beim nicht freiwilligen Verkauf dieses Hauses entschädigt3349.

Otto Scherbel geboren am 2. Juli 1883 in Essen wurde am 4. Mai 1937 in Düsseldorf in den Selbstmord getrieben

Otto Scherbel wurde am 2. Juli 1883 in Essen geboren. Er kam am 14. August 1908 aus Wesel nach Bocholt, wo er in die Neustraße 24 zog3350.

Am 19. Mai 1909 wurde er in den St. Georgius-Schützenverein aufgenommen3351. In der Liste der Mitglieder und Förderer von 1910, die anlässlich der Zeichnung von Anteilen zur Finanzierung des Baues des zweiten Schützenhauses angelegt wurde, ist auch Otto Scherbel aufgeführt3352.

3341 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten über die Grundstücke des Kaufmanns Otto Scherbel, Bocholt, […] Blatt Nr. 1624, Blatt 40–42. 3342 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3343 StdA Düsseldorf, 10. Juni 2008. 3344 Ebd. 3345 Ebd. 3346 Ebd., nach der Mitteilung des Standesamtes Voerde wurde die Leiche von Minna Scherbel am 5. Mai 1937 bei Rheinkilometerstein 295,5 aufgefunden. 3347 StdA Düsseldorf, 10. Juni 2008. 3348 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten über die Grundstücke des Kaufmann Otto Scherbel, Bocholt, […] Blatt Nr. 1624, Heinz Arden, Steuerhelfer, Geldern an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt -, 16. Dezember 1949, Blatt 50. 3349 Ebd., Landgericht Münster Wiedergutmachungsamt – an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt -, 14. Februar 1956, Batt 61. 3350 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3351 Westerhoff, Ballotagen. 3352 Niebur, Herr Berla. […] in: Unser Bocholt, Heft 2/2007, S. 64.

360 | BUCH DER ERINNERUNG Am 2. August 19093353 heiratete er  Minna (geb. Wiesenfelder, * 28. April 1877, Eiter- feld – beging aus Verzweiflung am 4. Mai 1937 in Düsseldorf Selbstmord3354).

Der Ehe entstammte ein Sohn:  Walter Moritz (* 25. September 1911, Bocholt – ermordet am 30. September 1942, Vernichtungslager Auschwitz3355).

Im Verzeichnis zur Wahl der Repräsentanten der israelitischen Gemeinde Bocholt von 1913 war Otto Scherbel wie folgt verzeichnet3356: Name Vorname Alter Adresse Beruf Scherbel Otto 30 Neustraße 24 Haushaltswarengeschäft

Vom 14. August 1914 bis zum 2. November 1915 war Otto Scherbel bei der „Truppe“, wie die Einwohnermeldekarte ausweist3357. Vom 8. bis 22. Juni 1920 meldete sich die Familie nach (Bad) Pyrmont im heutigen Bundesland Niedersachsen ab. Dann kehrte sie nach Bo- cholt in das Haus Nordstraße 19 zurück3358.

Am 8. Mai 1919 und am 26. April 1920 kaufte Otto Scherbel Parzel- len des Grundstückes Nordstraße 193359. Hier baute er ein Geschäfts- haus mit Wohnung und betrieb dort ein „Haushaltswarengeschäft mit Spielwarenhandlung“3360 unter der Bezeichnung „Otto Scherbel Riesenbazar“, für das er häufig – besonders vor dem Weihnachtsfest – in den Tageszeitungen Werbung machte. Am 29. September 1923 machte „Riesen-Bazar Otto Scherbel” mit den Geschäften „Warenhaus A. Weyl, S. B. Löwenstein, Jakob Meier, M. Mühlfelder, G. Gompertz, Schuhhaus“ die Kunden aufmerksam: „Feiertagshalber sind unsere Geschäfte am Montag, den 2. Oktober geschlossen.“ 3361 Am 2. Oktober 1923 war Yom Kippur, der Versöhnungstag. Er ist der höchste jüdische Feiertag, an ihm besteht striktes Arbeitsverbot. Bereits wenige Wochen nach dem Regierungsantritt Hitlers am 30. Januar 1933 kam es am 31. März und 1. April 1933 auch in Bo- cholt zum z.T. zerstörerischen Boykott gegen jüdische Geschäfts- leute, Ärzte und Rechtsanwälte. Auch vor dem Spielwarengeschäft von Otto Scherbel standen an diesen Tagen SA-Wachen, strichen die Fenster schwarz an und verwehrten möglichen Käufern den Zu- tritt 3362. Werbeanzeige für das Haushalts- und Spielwarengeschäft 3353 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3354 Vgl. Biogramm, S. 359. Scherbel. 3355 Vgl. Biogramm, S. 362. (StdA B, ZSlg., 3356 StdA B, SBOH 2 Nr. 1006, Wahl des Synagogenvorstandes und der Repräsentanten 1895–1916, Verzeichnis der Bocholter Volksblatt, männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt [1913]. 10. April 1919) 3357 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3358 Ebd. 3359 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke des Kauf- mann Otto Scherbel, Bocholt [...] Band -, Blatt Nr. 1624, Seite 1. 3360 Einwohnerbuch 1926, S. 178. 3361 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt, 29. September 1923. Feiertagshalber sind unsere Geschäfte am Montag, den 2. Oktober geschlossen. 3362 Ebd., SBOH 2 Nr. 1012. Tumultschadenssache Seif. Polizeibericht Bocholt [vom 30., 31. März und 1. April 1933] in: Schreiben der Geschäftstelle des Reichswirtschaftsgerichts vom 17. Mai 1934 – 1.S. XVII. 6/34. – an die Stadt- gemeinde Bocholt.

BUCH DER ERINNERUNG | 361 Sohn  Walter Moritz Scherbel zog am 18. Mai 1933 nach Bonn3363.

Am 2. Oktober 1934 verkaufte Otto Scherbel Grundstück und Haus Nordstraße 19 an einen benachbarten Bocholter Kaufmann. § 6 des Kaufvertrages lautete: „Der Verkäufer [Otto Scherbel] kann bis 30. Juni 1935 mietweise (150 RM) wohnen bleiben.“3364 Einen Tag später, am 1. Juli 1935, verzogen Otto und  Minna Scherbel nach Düsseldorf, Marsstraße 53365.

Am 10. Februar 1937 erwirkte das Finanzamt Düsseldorf einen Fahndungsbefehl ge- gen  Minna und Otto Scherbel3366. Der Grund hierfür ist nicht bekannt. Die Eheleute setzten ihrem Leben am 4. Mai 1937 im Rhein ein Ende3367. Nach einer Mitteilung der Zollfahndungsstelle Düsseldorf vom 19. Juni 1937 haben „die Eheleute am 04. 05. 1937 den Freitod im Rhein gefunden.“3368

Zusammen mit seiner Frau Edith wurde ihr Sohn  Walter Moritz Scherbel am 30. September 1942 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet.

Walter Moritz Scherbel geboren am 25. September 1911 in Bocholt ermordet am 30. September 1942 im Vernichtungslager Auschwitz3369

Walter Moritz Scherbel wurde am 25. September 1911 als Sohn des Kaufmanns  Otto Scherbel (* 2. Juli 1883, Essen – 4. Mai 1937, Düsseldorf, Selbstmord 3370) und seiner Ehefrau  Minna (geb. Wiesenfelder, * 28. April 1877, Eiterfeld – 4. Mai 1937, Düssel- dorf, Selbstmord3371) in Bocholt geboren.

Die Familie wohnte im Haus Neustraße 24 3372. 1920 wohnte Walter Moritz Scherbel mit seinen Eltern für etwa drei Wochen in (Bad) Pyrmont. Dann zog die Familie nach Bocholt, Nordstraße 19, zurück3373.

Ob Walter Moritz Scherbel die israelitische Schule am Nordwall besuchte, wo er seine Ausbildung machte und in welcher Firma er dann arbeitete, konnte nicht ermittelt werden.

3363 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3364 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke des Kauf- mann Otto Scherbel, Bocholt [...] Band -, Blatt Nr. 1624, S. 40. 3365 StdA Düsseldorf, 10. Juni 2008. 3366 Ebd. 3367 Ebd. 3368 Ebd. 3369 Nach Auskunft des Stadtarchivs Düsseldorf vom 10. Juni 2009 (Suchy-Liste) wurde Walter Moritz Scherbel nach dem 19. Oktober 1942 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet. JHM A, Joodsmonument, p. 522338, nennt als Ermordungsdatum den 30. September 1942. 3370 Vgl. Biogramm, S. 360. 3371 Vgl. Biogramm, S. 359. 3372 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3373 Ebd.

362 | BUCH DER ERINNERUNG Am 18. April 1933 zog er nach Bonn, Gangolfstraße 113374. Schon am 11. Mai 1933 ver- zog Walter Moritz Scherbel ohne Abmeldung beim Einwohnermeldeamt aus Bonn3375. Neben dem Abgangsdatum ist „auf Reisen“ vermerkt. Außerdem findet sich auf seiner Einwohnermeldekarte die Notiz, dass sich Walter Scherbel am 3. November 1934 in Amsterdam/Niederlande angemeldet hatte3376. In den Niederlanden soll er als Groß- händler tätig gewesen sein3377.

Seine Eltern  Otto und  Minna Scherbel waren am 1. Juli 1935 aus Bocholt nach Düsseldorf gezogen. Wahrscheinlich aus Verzweiflung über ein gegen sie angestrengtes Ermittlungsverfahren wählten sie am 4. Mai 1937 im Rhein den Freitod3378. Im Februar 1942 wohnte Walter Scherbel mit seiner Frau Edith (geb. Salm, * 6 Juni 1908, Köln – ermordet am 30. September 1942, Vernichtungslager Auschwitz3379) in der Harlemer- meerstraat 102 huis, Amsterdam3380.

In Amsterdam wurden Edith und Walter Moritz Scherbel am 3. September 1942 ver- haftet3381. Am 29. September 1942 wurden sie aus dem polizeilichen Judendurchgangslager Westerbork zusammen mit 1325 Menschen jüdischen Glaubens in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Dort kamen sie am 30. September 1942 an3382. In Auschwitz wurden Edith und Walter Moritz Scherbel am 30. September 1942 ermordet3383.

In der Ausgabe der deutsch-jüdischen Emigrantenzeitung „Der Aufbau“ vom 28. Dezember 1945 suchte die Schwiegermutter von Walter Moritz Scherbel, die in Sao Paulo/Brasilien wohnende Amalie Breslauer-Salm, mit einer Anzeige nach Tochter Edith und Schwiegersohn Walter Moritz Scherbel.

Golda Seif geboren am 19. Januar 1937 in Reichelsheim ermordet nach dem 14. Oktober 1944 im Vernichtungslager Auschwitz

Am 19. Januar 1937 wurde Golda Seif in Reichelsheim im Odenwald als Tochter von  Richard Seif (* 8. Januar 1910, Moschin/Regierungsbezirk Posen – ermordet nach dem 13. September 1942, Vernichtungslager Auschwitz3384) und seiner Frau Frieda (geb. Adler, * 12. April 1910, Berlin – ermordet nach dem 14. Oktober 1944, Vernichtungs- lager Auschwitz) geboren.

3374 Ebd. 3375 StdA Bonn. 10. Juni 2009. 3376 Ebd. 3377 JHM A, Joodsmonument, p. 522338. 3378 Vgl. S. 360. 3379 Bundesarchiv, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 964357. 3380 JHM A, Joodsmonument, p. 522338. 3381 StdA Düsseldorf, Suchy-Liste. 3382 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlan- den. 3383 JHM A, Joodsmonument, p. 522338. 3384 Vgl. Biogramm S. 368.

BUCH DER ERINNERUNG | 363 Vater  Richard Seif war Lehrer in der jüdischen Bezirksschule in Höchst im Oden- wald. Die Familie wohnte in einer Dienstwohnung im Haus Darmstädter Straße 3 in Reichelsheim3385. Golda Seif hatte noch zwei Geschwister: – Jakob Isfried (* 20. Februar 1934, Verden – ermordet nach dem 14. Oktober 1944, Vernichtungslager Auschwitz) – Judith Janette (* 23. Juni 1938, Reichelsheim – ermordet nach dem 14. Oktober 1944, Vernichtungslager Auschwitz).

Ihr Vater  Richard Seif, der vom 11. November bis zum 5. Dezember 1938 als „Aktionshäftling“ im KZ Buchenwald inhaftiert gewesen war, emigrierte am 6. Januar 1939 in die Niederlande. Er wurde nach dem 13. September 1942 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet.

Ihre Mutter Frieda Seif3386 versuchte am 12. April 1939 gemeinsam mit ihren Kindern Jakob Isfried und Judith Janette zu ihrem Mann und Vater in die Niederlande zu ent- kommen. Sie waren im Besitz eines deutschen Passes, der bis zum 7. März 1940 „voor Noord-Amerika over Holland” gültig war3387.

In einem Vernehmungsprotokoll der niederländischen Grenzpolizei vom 12. April 1939 gab Frieda Seif an:

„Ich kam um etwa 16.40 Uhr an das Zollamt Hemden. Die Beamten befanden meine Papiere in Ordnung und ich wurde durchgelassen. Der niederländische Zoll verweigerte mir die Einreise und brachte mich auf deutsches Hoheitsgebiet zurück. Die deutschen Zollbeamten zeigten mir dann einen Weg über die ‚grüne Grenze’, sie führten mich auch ein Stück. Schließlich kam ich auf einen Sandweg und war dann in Holland. Wir liefen bis Aalten, wo ich eine Autowerkstatt kannte. Der Besitzer fuhr uns nach Amsterdam. [...].“ 3388 Einige Zeit später kehrten sie nach Bocholt, dann nach Frankfurt zurück3389.

Golda Seifs Mutter Frieda zog mit ihren Kindern Jakob Isfried und Judith Janette im Juni 1939 zu ihrer Schwägerin  Rosa Seif (* 24. Mai 1914, Moschin – ermordet nach dem 28. April 1942, Ghetto Krasnystaw3390) in die Ludwigstraße 9 in Aschaffenburg3391.

Ab 11. September 19393392 lebte die zweijährige Golda Sara Seif – wie die Ein- wohnermeldekartei vermerkt – bei ihren inzwischen zwangsweise verzogenen Großeltern  Regina (geb. Simoni, * 22. Mai 1876, Moschin/ Regierungsbezirk Posen – ermordet nach dem 31. Januar 1942, Ghetto Riga3393) und  Salomon Seif (* 28. März 1884, Schwersenz/Regierungsbezirk Posen – ermordet nach dem 31. Januar 1942, Ghetto Riga3394) in dem sog. Judenhaus Niederbruch 20 in Bocholt3395.

3385 Heimatbote. Gemeindeblatt für die evangelische Michaels-Gemeinde Reichelsheim, Februar/März 2011, 96. Aus- gabe, S. 36. Stolpersteinverlegung, Situationsbericht.1. 3386 Frieda Seif wird zusammen mit ihren Kindern Golda und Jakob Isfried um den 12. April 1939 einige Tage in Bo- cholt gelebt haben. Frieda, Jakob Isfried und Judith Janette sind jedoch nicht in der Einwohnermeldekartei (StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962) verzeichnet. 3387 http://www.synagoge-aalten.nl/phocadownload/zij-waren-aaltenaren-als-wij.pdf..., p. 28. 3388 Lurvink, p. 134. 3389 http://www.synagoge-aalten.nl/phocadownload/zij-waren-aaltenaren-als-wij.pdf..., p. 28. 3390 Vgl. Biogramm S. 371. 3391 http://www.wir-wollen-uns-erinnern.de/wer_namen_id.php?eid=100&PHPSESSID=967d28f034a0cc35c34f69 ca64c9cd62. 3392 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3393 Vgl. Biogramm S. 366. 3394 Vgl. Biogramm S. 373. 3395 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

364 | BUCH DER ERINNERUNG Die Kinder Jakob Isfried und Judith Janette zogen im Herbst 1939 in das Kinderhaus der Jüdischen Wohlfahrtspflege in Frankfurt, Hans-omas-Straße 243396. Am 7. Dezember 1939 wurde Golda Seif aus Bocholt nach Frankfurt, Neu-Isenburg, Taunusstraße 7 abgemeldet3397. Dort, unter der Adresse des Neu-Isenburger Heimes des Jüdischen Frauenbundes, wurde sie am nächsten Tag angemeldet3398. Ihre Mutter Frieda Seif zog im April 1940 dorthin3399, wo sie als Köchin tätig war. Sie erhielt hierfür 468,– Reichsmark im Jahr und freie Unterkunft3400.

Als das Heim am 2. April 1942 aufgelöst wurde, zog Golda Seif in das Kinderhaus der Jüdischen Wohlfahrtspflege in Frankfurt, Hans-omas-Straße 24, wo auch ihre Ge- schwister Jakob Isfried und Judith Janette lebten3401.

Am 15. September 1942 wurden Golda Seif, ihre Mutter und ihre Geschwister von der Großmarkthalle in Frankfurt3402 aus zusammen mit 13783403 Menschen jüdischen Glaubens in das Ghetto eresienstadt gebracht, wo sie am 16. September 1942 ein- trafen3404. Der Transport hatte die Nummer XII.3, Golda Seif trug die Transportnum- mer 9803405.

Aus eresienstadt wurden am 12. Oktober 1944 1500 Menschen mit einem Evaku- ierungs transport in das Vernichtungslager Auschwitz gebracht, wo sie am 14. Oktober 1944 ankamen3406. Dieser Transport hatte die Bezeichnung „Eq“3407, Golda Seif trug die Transportnummer 12993408.

Vermutlich wurden Golda Seif, ihre Mutter und ihre Geschwister unmittelbar nach der Ankunft in Auschwitz am 14. Oktober 1944 selektiert und ermordet3409.

Vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Seif in Reichelsheim, Darmstädter Straße 3, liegen seit 2011 Stolpersteine, die an Golda, ihre Geschwister Judith Janette und Jakob Isfried sowie ihre Eltern Frieda (Freda) und  Richard Seif erinnern3410.

3396 StdA Frankfurt/Main, 17. September 2008. 3397 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3398 http://gedenkbuch.neu-isenburg.de/seif-golda/. Gedenkbuch für das Heim des Jüdischen Frauenbundes in Neu- Isenburg (1907–1942). 3399 Ebd. 3400 Diersch, Brigitte: Und dann war sie weg … Das kurze Leben der Doris Katz, in: Ansichten und Perspektiven Bayerische Zeitschrift für Politik und Geschichte herausgegeben von der Bayerischen Landeszentrale für politi- sche Bildungsarbeit, 01/2010, ohne Seitenzahl. 3401 StdA Frankfurt/Main, 17. September 2008. 3402 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 3403 Nach eresienstädter Gedenkbuch, S. 78, waren 1369 Häftlinge im Deportationszug. 3404 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 3405 http://www.holocaust.cz/en/victims/PERSON.ITI.634297. 3406 eresienstädter Gedenkbuch, S. 78. 3407 http://www.holocaust.cz/en/victims/PERSON.ITI.634297. 3408 Ebd. 3409 http://gedenkbuch.neu-isenburg.de/seif-golda/ Gedenkbuch für das Heim des Jüdischen Frauenbundes in Neu- Isenburg (1907 – 1942); BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 959408. 3410 Aktionsgruppe Stolpersteine in Reichelsheim, Stolpersteine in Reichelsheim, Reichelsheim, S. 7.

BUCH DER ERINNERUNG | 365 Regina Seif geborene Simoni geboren am 22. Mai 1876 in Moschin/Regierungsbezirk Posen ermordet nach dem 31. Januar 1942 im Ghetto Riga

22. Mai 1876 Geburt als Tochter des Handelsmannes Ephraim Simoni und seiner Frau Rosa (geb. Rothholz) in Moschin/Regierungsbezirk Posen3411.

15. Oktober 1907 Heirat von Regina und  Salomon Seif (* 28. März 1884, Schwersenz/Regierungsbezirk Posen – ermordet nach dem 31. Januar 1942, Ghetto Riga3412) in Moschin3413.

1. März 1920 Regina und Salomon Seif zogen mit ihren sechs Kindern nach Bocholt in das israeli- tische Gemeindehaus, Nordwall 263414:  Meta Baum (geb. Seif, * 22. Oktober 1908, Moschin – ermordet nach dem 13. Dezem- ber 1941, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald 3415)  Richard (* 8. Januar 1910, Moschin – ermordet nach dem 13. September 1942, Vernichtungs lager Auschwitz3416)  Margot Wallega (geb. Seif, * 1. Mai 1911, Moschin – ermordet am 10. September 1943, Vernichtungslager Auschwitz3417) – Sigmar (* 2. März 1913, Moschin, er überlebte mehrere Vernichtungslager, u.a. Auschwitz3418 und lebte 2009 in USA3419)  Rosa (* 24. Mai 1914, Moschin – ermordet nach dem 28. April 1942, Ghetto Kras nystaw3420)  Irma Bilski (geb. Seif, * 14. April 1920, Schrimm – ermordet nach dem 2. März 1943, Vernichtungslager Auschwitz3421).

2. Dezember 1920 Die Familie Seif zog in die Waisenhausstraße 6 (heute: Wesemannstraße) um3422.

31. Mai 1924 Ihr endgültiges Zuhause fand die Familie im Haus Nobelstraße 28, das links neben der Synagoge lag3423.

3411 Privatbesitz Benno Simoni, Stadt Schrimm, Heiratsurkunde vom 15. Oktober 1907. Weitere Personenstandsdaten waren nicht zu ermitteln. 3412 Vgl. Biogramm S. 373. 3413 Privatbesitz Benno Simoni, Stadt Schrimm, Heiratsurkunde vom 15. Oktober 1908. 3414 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3415 Vgl. Biogramm S. 151. 3416 Vgl. Biogramm S. 368. 3417 Vgl. Biogramm S. 422. 3418 StdAB, Stadt Bocholt Nr. 3. Akte nach dem BEG 3-917, Sigmar Seif (Paterson/USA) an Stadt Bocholt, 20. Au- gust 1952. Nach Informationen der Gedenkstätte eresienstadt (http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON. ITI.2208441) soll Sigmar Seif mit dem Transport XXIV/7 aus den Niederlanden in das Ghetto eresienstadt und von dort mit dem Transport El in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet worden sein. 3419 Mitteilung seines Großneffen Benno Simoni, Berlin vom 31. Januar 2009. 3420 Vgl. Biogramm S. 371. 3421 Vgl. Biogramm S. 156. 3422 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3423 Ebd.

366 | BUCH DER ERINNERUNG „Regina Seif war nur für die Familie da. Sie war sehr arbeitsam, lebte sehr zurück- gezogen und ging fast nie aus dem Haus. Sie schien gebrechlich zu sein.“ (Anna Roloff, Nachbarin 3424)

„Im Silberkranz. Am heutigen Tage begehen die Eheleute Salomon Seif und Regina, geborene Simoni, das Fest der silbernen Hochzeit.“ (Bocholter Volksblatt, 8. November 1932 3425)

9./10. September 1938 Pogromnacht: „SA und andere Nazis kamen gegen Mitternacht zur Synagoge. [...] Die Randalierer drangen unter Führung von Otto W. in das neben der Synagoge stehende Haus ein, in dem Familie Seif wohnte. [...] Regina Seif schlugen sie mit einer aus einer Turnhalle mit- genommenen Holzkeule. Sie erlitt dabei eine über den Kopf laufende Wunde. Offiziere aus dem Stadtwaldlager, die zufällig vorbeikamen, brachten sie mit einem Fahrrad ins Krankenhaus.“ (Anna Roloff, Nachbarin3426)

25. Mai 1939 Umzug in das sog. Judenhaus Niederbruch 203427.

5. August 1941 Als Randvermerk notiert der Standesbeamte auf der Heiratsurkunde: „Die neben Genannte hat den zusätzlichen Vornamen ‚Sara’ angenommen.“3428

24. Januar 1942 Regina und  Salomon Seif wurden durch Polizei- oder Gestapobeamte nach Gelsen- kirchen gebracht,3429 hierhin wurden auch die Juden aus Münster verschleppt3430. Am 27. Januar 1942 ging von dort über Dortmund ein Deportationstransport in das Ghetto Riga. Am 31. Januar 1942 kam der Zug auf dem Güterbahnhof Skirotawa bei Riga an3431. Es kann angenommen werden, dass  Salomon und Regina Seif unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet wurden.

Amtliche Bekanntmachung des Amtsgerichtes Bocholt: „Der am 28. März 1884 in Schwersenz/Posen geborene Salomon Seif und die am 22. Mai 1876 in Moschin/Posen geborene Regina Seif, geborene Simoni, werden für tot erklärt. Als Zeitpunkt des Todes wird der 8. Mai 1945, 24.00 Uhr, festgestellt. Bocholt, den 10. Dezember 1956 Das Amtsgericht“3432

3424 Privatbesitz Josef Niebur, Niederschrift über ein Interview mit Anna Roloff (1904–1997), Bocholt, gemeinsam mit ihrer Tochter Maria Lüer (* 1926) und deren Mann (* 1925), Isselburg-Werth, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur am 24. Juli 1988. 3425 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt 8. November 1932, Im Silberkranz. 3426 Privatbesitz Josef Niebur, Niederschrift über ein Interview mit Anna Roloff (1904–1997), Bocholt, gemeinsam mit ihrer Tochter Maria Lüer (* 1926) und deren Mann (* 1925), Isselburg-Werth, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur am 24. Juli 1988. 3427 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3428 Privatbesitz Benno Simoni, Stadt Schrimm, Heiratsurkunde vom 15. Oktober 1908. Der zwangsweise zu führende Zweitname Sara wurde vom Einwohnmermeldeamt Bocholt nicht eingetragen. 3429 LA NW- STA Detmold, Bestand D 21 A Nr. 4852, Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen Ernst Diele u. a. wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord, 5 Js 18/61, Aussage des Kaufmanns Isidor Kahn aus Gladbeck (Ordner I, S. 120 ff.). 3430 Möllenhoff, Gisela, Schlautmann-Overmeyer, Rita: Die Deportation aus Münster – Osnabrück – Bielefeld. Müns- ter, in: Buch der Erinnerung, Band 2, S. 725 f. 3431 http://www.hagalil.com/archiv/2000/05/dortmund.htm. 3432 StdA B, ZSlg., Westfälische Rundschau, Rundschau für Bocholt und Borken , 15. Dezember 1956.

BUCH DER ERINNERUNG | 367 Vor dem ehemaligen Standort des Hauses Nobelstraße 28 liegen heute im Fußweg Stolper steine, die an Regina und  Salomon Seif erinnern3433.

Ihre Namen sind auf der Gedenktafel für die unmittelbar aus Bocholt 1941/42 depor- tierten Menschen jüdischen Glaubens in der Gedenkstätte für die ehemalige Bocholter Synagoge verzeichnet3434.

Richard Seif geboren am 8. Januar 1910 in Moschin/Regierungsbezirk Posen ermordet nach dem 13. September 1942 im Vernichtungslager Auschwitz

Richard Seif wurde am 8. Januar 1910 geboren als Sohn von  Regina (geb. Simoni, * 22. Mai 1876, Moschin/Regierungsbezirk Posen – ermordet nach dem 31. Januar 1942, Ghetto Riga3435) und  Salomon Seif (* 28. März 1884, Schwersenz/Regierungsbezirk Posen – ermordet nach dem 31. Januar 1942, Ghetto Riga3436).

Er hatte fünf Geschwister:  Meta Baum (geb. Seif, * 22. Oktober 1908, Moschin – ermordet nach dem 13. Dezember 1941, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald 3437)  Margot Wallega (geb. Seif, * 1. Mai 1911, Moschin – ermordet am 10. September 1943, Vernichtungslager Auschwitz3438) – Sigmar (* 2. März 1913, Moschin; er überlebte mehrere Vernichtungslager, u.a. Auschwitz3439, und lebte 2009 in den USA3440)  Rosa (* 24. Mai 1914, Moschin – ermordet nach dem 28. April 1942, Ghetto Krasnystaw3441)  Irma Bilski (geb. Seif, * 14. April 1920, Schrimm – ermordet nach dem 2. März 1943, Vernichtungslager Auschwitz 3442).

1920 wurde die Familie aus Moschin ausgewiesen, da der Regierungsbezirk Posen nach dem Versailler Vertrag von Deutschland an Polen abgetreten werden musste3443.

Am 1. März 1920 zogen Richard Seif, seine Eltern und Geschwister in Bocholt zu. Zunächst fanden sie eine Bleibe im israelitischen Gemeindehaus – das zugleich

3433 Vgl. S. 459 ff. 3434 Vgl. S. 133. 3435 Vgl. Biogramm S. 366. 3436 Vgl. Biogramm S. 373. 3437 Vgl. Biogramm S. 151. 3438 Vgl. Biogramm S. 422. 3439 StdAB, Stadt Bocholt Nr. 3. Akte nach dem BEG 917, Sigmar Seif (Paterson/USA) an Stadt Bocholt, 20. Au- gust 1952. Nach Informationen der Gedenkstätte eresienstadt (http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON. ITI.2208441) soll Sigmar Seif mit dem Transport XXIV/7 aus den Niederlanden in das Ghetto eresienstadt und von dort mit dem Transport El in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet worden sein. 3440 Mitteilung seines Großneffen Benno Simoni, Berlin, 31. Januar 2009. 3441 Vgl. Biogramm S. 371. 3442 Vgl. Biogramm S. 156. 3443 StdA B, SBOH 2 Nr. 1012. Tumultschadenssache Seif, S. 1, Antrag des Küsters Salomon Seif[...].

368 | BUCH DER ERINNERUNG israelitische Schule war – am Nordwall 263444. Neun Monate später zogen die Seifs am 2. Dezember 1920 in die Waisenhausstraße 6 (heute: Wesemannstraße)3445.

Ihr endgültiges Zuhause fand die Familie am 31. Mai 1924 im Haus Nobelstraße 28, das links neben der Synagoge lag3446. Hier war der Arbeitsplatz von Vater  Salomon Seif als Küster und Kultusbeamter3447. Nach dem Besuch der israelitischen Volksschule in Bocholt und der städtischen Oberschule für Jungen (heute St.-Georg-Gymnasium) erhielt Richard Seif seine Ausbildung zum Lehrer an der israelitischen Lehrer bildungs- anstalt (ILBA) in Würzburg3448. Er lebte – nach der Einwohnermeldekartei – vom 28. April 1924 bis 18. April 1930 in Würzburg3449.

Am 28. April 1930 zog Richard Seif von Bocholt nach Urspringen3450, einem kleinen Ort in Mainfranken. Hier gab es schon seit 1918 keine jüdische Schule mehr, doch er erteilte den Kindern vor Ort Religionsunterricht. In Urspringen wurde er, der „Lehrer Seif“, am 3. November 1931 Mitglied im jüdischen Lehrerverein in Bayern3451.

(Bayerische Israelitische Gemeindezeitung, 1930, S. 21) Im Frühjahr 1933 heiratete er Frieda (geb. Adler, * 12. April 1910, Berlin – ermordet nach dem 14. Oktober 1944, Vernichtungslager Auschwitz) in Berlin.

Das Ehepaar, das zunächst in Verden/Aller gelebt hatte, bekam drei Kinder: – Jakob Isfried (* 20. Februar 1934, Verden – ermordet nach dem 14. Oktober 1944, Vernichtungslager Auschwitz)  Golda (* 19. Januar 1937, Reichelsheim – ermordet nach dem 14. Oktober 1944, Vernichtungs lager Auschwitz3452) – Judith Janette (* 23. Juni 1938, Reichelsheim – ermordet nach dem 14. Oktober 1944, Vernichtungslager Auschwitz).

1935 zog das Ehepaar mit Sohn Jakob Isfried nach Reichelsheim im Odenwald.

Richard Seif hatte eine Stelle in der jüdischen Bezirksschule in Höchst bekommen. Hier unterrichtete er mit Lehrer Hermann Kahn die „allgemeinen Volksschulfächer“. Zwei nebenamtliche Lehrer waren für die Fächer Religion, Englisch, Neuhebräisch (Iwrit) zuständig. Lehrerin Oppenheimer (Fränkisch-Crumbach) und Lehrer Leopold Strauß (Michelstadt) unterrichteten Chemie und Physik, Frau Flörsheimer Hand arbeit3453. Bis 1938 nahm Richard Seif die noch sechs schulpflichtigen jüdischen Kinder aus Reichelsheim und die neun Kinder aus Fränkisch-Crumbach mit einem Auto (sic) in die jüdische Bezirksschule nach Höchst im Odenwald mit3454 .

Auf einer solchen Fahrt wurden Richard Seif und seine Schüler 1935 Opfer eines anti- semitischen Überfalls. Eine Schülerin, die die Shoah überlebte, berichtete später:

3444 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3445 Ebd. 3446 Ebd. 3447 Ebd. 3448 ILBA Israelitische Lehrerbildungsanstalt Würzburg, 1864–1938, by the Alumni of 1930 38, by Max Ottensoser/ Alex Roberg, New York 1975, S. 234. 3449 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3450 Ebd. 3451 Bayerische Israelitische Gemeindezeitung, 1930, Heft 22 (15.11.1930), S. 21, Mitteilungen des Jüdischen Lehrer- vereins in Bayern. 3452 Vgl. Biogramm S. 363. 3453 http://www.alemannia-judaica.de/hoechst_synagoge.htm. 3454 Ebd.

BUCH DER ERINNERUNG | 369 „Eines Tages […] sahen wir in einiger Entfernung einen Lastwagen quer auf der Straße stehen. […] Der Besitzer des Lastwagens stieg aus der Fahrerkabine aus und hatte eine Startkurbel in seiner Faust. Er kam auf uns zu und begann, ohne ein Wort zu sagen, die Fenster unseres Busses zu zerschlagen, hinter denen wir Kinder kauerten und zu schreien begannen.“3455

Während des Novemberpogroms 1938 wurde die Synagoge neben der Wohnung der Familie Seif, Darmstädter Straße 33456, geplündert und in Brand gesetzt. Reichelsheimer Nationalsozialisten unter Führung eines Trupps von SS-Leuten verwüsteten außer- dem zahlreiche Häuser von Juden und misshandelten ihre Bewohner. Sie zerrten die jüdischen Einwohner aus ihren Wohnungen und zwangen sie, um ein vor der Synagoge entfachtes Feuer zu tanzen. In diesem Feuer verbrannten die Gebetbücher und ora- Rollen aus der Synagoge.

Richard Seif erlitt im Zusammenhang mit dem Pogrom einen weiteren Angriff auf sein Leben: „Er wurde vor ein fahrendes Auto gestoßen und entkam nur knapp dem Tod.“3457

Richard Seif wurde nach der Pogromnacht im Rahmen einer von der Geheimen Staatspolizei inszenierten „Aktion“ in Frankfurt am Main am 11. November 1938 verhaftet. Er kam in das Konzentrationslager Buchenwald, wo er die Häftlingsnummer 24307 erhielt. Als Grund der Verhaftung war im Häftlingsbuch „Aktionsjude“ angegeben. Am 5. Dezember 1938 wurde Richard Seif wieder aus dem KZ entlassen3458.

Nach der Pogromnacht 1938 kam das Ende der Bezirksschule Höchst, die in der Nacht völlig verwüstet worden war. Richard Seif meldete am 16. Dezember 1938 an das Kreis- schulamt in Erbach: „Unser Schulbetrieb ruht seit dem 10. November 1938.“3459 Er bean- tragte in Reichelsheim einen Auslandspass, um mit seiner Familie über die Niederlande in die USA auszuwandern3460.

Am 6. Januar 19393461 floh Richard Seif nach Amsterdam/Niederlande, wo er bei Hans Adler (* 23. Juni 1893, Berlin – Ermordungsort und –tag nicht bekannt3462), dem Bruder seiner Frau Frieda, unterkam. Ob er bis dahin bei seinen Eltern in Bocholt gelebt hatte, konnte nicht ermittelt werden.

Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Niederlande am 10. Mai 1940 floh Richard Seif in den unbesetzten Teil Frankreichs, wo er im Februar 1941 noch lebte. In einem Brief vom 5. Februar 1941 versuchte sein Vater  Salomon Seif ihm einige Nach- richten von seiner Frau Frieda und seinen Kindern zukommen zu lassen3463.

Später wurde Richard Seif im Internierungslager Rivesaltes in der Nähe der südfranzö- sischen Stadt Perpignan inhaftiert3464.

3455 http://gedenkbuch.neu-isenburg.de/seif-frieda/. 3456 Heimatbote. Gemeindeblatt für die evangelische Michaels-Gemeinde Reichelsheim, Februar/März 2011, 96. Aus- gabe, S. 36. Stolpersteinverlegung Situationsbericht. 3457 http://gedenkbuch.neu-isenburg.de/seif-frieda/. 3458 Amtsgericht Bocholt, Toderklärungsakte Seif, Salomon und Regina, 5 II 28-29/56, Blatt 2, Schreiben Comité International de la Croix-Rouge Internationaler Suchdienst -, Arolsen, vom 17. November 1955 an Sigmar Seif, Paterson (USA). 3459 http://alemannia-judaica.org/hoechst_synagoge.htm. 3460 http://gedenkbuch.neu-isenburg.de/seif-frieda/. 3461 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 59417. 3462 JHM A, Joodsmonument, p. 545691. 3463 LA NW STA MS, Amtsgericht Coesfeld I Nr. 7, Schöffengericht Coesfeld, Strafsache Amtsgericht Münster ge- gen Seif wegen Verg. ./. V. O. über Nachrichtenverkehr, Salomon Seif an Richard Seif, 5. Februar 1941. Der Brief erreichte Richard Seif nicht, er wurde von der Briefzensur im Postamt Bocholt beschlagnahmt und der Staatspo- lizeileitstelle Münster übergeben. 3464 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 959417.

370 | BUCH DER ERINNERUNG Von dort kam Richard Seif am 4. September 1942 in das Sammellager Drancy bei Paris. Aus Drancy wurde er am 11. September 1942 mit Transport Nr. 313465 in das Vernich- tungslager Auschwitz deportiert 3466. Am 13. September 1942 kam der Deportations- transport mit etwa 1035 Menschen an3467. Im Vernichtungslager Auschwitz wurde Richard Seif ermordet.

Nach dem 14. Oktober 1944 wurden seine Frau Frieda (Freda) sowie die Kinder Jakob Isfried,  Golda und Judith Janette ebenfalls im Vernichtungslager Auschwitz ermordet.

Vor dem ehemaligen Wohnaus der Familie Seif in Reichelsheim, Darmstädter Straße 3, liegen seit 2011 Stolpersteine, die an Richard und Frieda (Freda) Seif sowie deren Kinder Jakob Isfried,  Golda und Judith Janette erinnern3468.

Rosa Seif geboren am 24. Mai 1914 in Moschin/Regierungsbezirk Posen ermordet nach dem 24. April 1942 im Ghetto Krasnystaw

Rosa Seif wurde am 24. Mai 1914 in Moschin/Regierungsbezirk Posen geboren als Toch- ter von  Regina (geb. Simoni, * 22. Mai 1876, Moschin/Posen – ermordet nach dem 31. Januar 1942, Ghetto Riga3469) und  Salomon Seif (* 28. März 1884, Schwersenz/ Posen – ermordet nach dem 31. Januar 1942, Ghetto Riga3470).

In Moschin, woher ihre Mutter  Regina Seif stammte, wurden ihre Geschwister ge- boren:  Meta Baum (geb. Seif, * 22. Oktober 1908, Moschin – ermordet nach dem 13. Dezem- ber 1941, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald 3471)  Richard (* 8. Januar 1910, Moschin – ermordet nach dem 13. September 1942, Ver- nichtungslager Auschwitz3472)  Margot Wallega (geb. Seif, * 1. Mai 1911, Moschin – ermordet am 10. September 1943, Vernichtungslager Auschwitz3473) – Sigmar (* 9. März 1913, Moschin. Er überlebte mehrere Konzentrationslager, u.a. das Vernichtungslager Auschwitz3474, 2009 lebte er in den USA3475).

3465 Le mémorial de la déportation des Juifs de France, Serge und Beate Klarsfeld, Paris 1978. 3466 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 959417. 3467 Ebd., Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus Frankreich. 3468 Aktionsgruppe Stolpersteine in Reichelsheim, Stolpersteine in Reichelsheim, Reichelsheim, S. 7. 3469 Vgl. Biogramm S. 366. 3470 Vgl. Biogramm S. 373. 3471 Vgl. Biogramm S. 151. 3472 Vgl. Biogramm S. 368. 3473 Vgl. Biogramm S. 422. 3474 StdAB, SBOH Nr. 3. Akte nach dem BEG 3-917, Sigmar Seif (Paterson/USA) an Stadt Bocholt, 20. August 1952. Nach Informationen der Gedenkstätte eresienstadt (http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON. ITI.2208441) soll Sigmar Seif mit dem Transport XXIV/7 aus den Niederlanden in das Ghetto eresienstadt und von dort mit dem Transport El in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet worden sein. 3475 Hinweis des Großneffen, Benno Simoni, Berlin, 31. Januar 2009.

BUCH DER ERINNERUNG | 371 Ihre jüngste Schwester  Irma Bilski (geb. Seif, ermordet nach dem 2. März 1943, Vernichtungslager Auschwitz3476) wurde am 14. April 1920 in Schrimm geboren3477.

Kurz nach Irmas Geburt musste die Familie den Regierungsbezirk Posen verlassen, da das Gebiet nach dem Versailler Vertrag an Polen abgetreten werden musste. Am 1. März 1920 zog Familie Seif, darunter auch Rosa, in Bocholt zu. Zunächst fand die Familie eine Bleibe im israelitischen Gemeindehaus – das zugleich israelitische Schule war – am Nordwall 263478. Neun Monate später zogen die Seifs am 2. Dezember 1920 in die Waisenhausstraße 6 (heute Wesemannstraße) 3479.

Am 31. Mai 1924 zogen die Seifs dann in das Haus Nobelstraße 28, das neben der Synagoge lag3480. Hier war der Arbeitsplatz von Vater  Salomon Seif als Küster und Schächter. Ebenso war er stellvertretender Kantor bei den Synagogengottesdiensten.

Am 15. Mai 1936 zog Rosa Seif aus Bocholt nach Aschaffenburg3481 in die Ludwig- straße 93482. Weshalb sie nach Aschaffenburg umzog, ist nicht bekannt. Ihre Schwägerin Frieda Seif (geb. Adler, * 12. April 1910, Berlin – ermordet nach dem 14. Oktober 1944, Vernichtungslager Auschwitz) lebte im Juli 1939 einige Zeit mit ihren Kindern Jakob Isfried und Judith Janette bei Rosa Seif in Aschaffenburg3483.

Aus diesem Haus wurde sie am 3. April 1942 geholt und zum Sammelpunkt, dem Platzschen Garten in Würzburg, gebracht. Ihre Evakuierungsnummer war 100, ihre De- portationsnummer 101. Mit ihr wurde auch der in Schwersenz geborene Kantor der israelitischen Gemeinde Aschaffenburg, Jakob Seif, deportiert3484.

Am 25. April 1942 wurde sie aus Würzburg mit 954 weiteren Jüdinnen und Juden in das Ghetto von Krasnystaw bei Lublin in Südpolen deportiert3485. Dort kamen sie am 28. April 1942 an3486. Die Ankunft im Ghetto von Krasnystaw ist die letzte Nachricht von Rosa Seif3487.

3476 Vgl. Biogramm S. 156. 3477 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3478 Ebd. 3479 Ebd. 3480 Ebd. 3481 Ebd. 3482 http://www.wir-wollen-uns-erinnern.de/wer_namen_id.php?eid=100&PHPSESSID=967d28f034a0cc35c34f69ca 64c9cd62. 3483 Diersch, Brigitte: Und dann war sie weg … Das kurze Leben der Doris Katz, in: Ansichten und Perspektiven, Bayerische Zeitschrift für Politik und Geschichte herausgegeben von der Bayerischen Landeszentrale für politi- sche Bildungsarbeit, 01/2010, ohne Seitenzahl. 3484 http://www.agg.de/datenbanken/krasny-deportatliste.pdf, Transport nach Osten 25.4.1942, Gestapo-Liste vom 3.4.42. 3485 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 959419; ebd. Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich . 3486 Ebd., Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 3487 Nach der Datenbank Juden in Unterfranken (http://www.wir-wollen-unserinnern.de/wer_namen_ id.php?eid=100& PHPSESSID=967d28f034a0cc35c34f69ca64c9cd62) wurde Rosa Seif am 25.4.1942 von Würz- burg aus nach Krasnystaw deportiert und im Raum Lublin ermordet.

372 | BUCH DER ERINNERUNG Salomon Seif geboren am 28. März 1884 in Schwersenz/Regierungsbezirk Posen ermordet nach dem 31. Januar 1942 im Ghetto Riga

28. März 1884 Geburt als Sohn des Händlers Isidor Seif und seiner Ehefrau Jetta (geb. Snobek). Salomon Seif wurde später Tischler3488.

1914 – 1918 Salomon Seif nahm von Oktober 1914 bis Dezember 1918 als Angehöriger des Reserve- Artillerie-Regiments 60, 6. Batterie, am Ersten Weltkrieg teil. Hierfür wurde ihm nach dem 13. Juli 1934 das Ehrenkreuz des Weltkrieges (Frontkämpferkreuz) verliehen3489.

1. März 1920 Salomon Seif und seine Frau  Regina (geb. Simoni, * 22. Mai 1876, Moschin/ Regie- rungsbezirk Posen – ermordet nach dem 31. Januar 1942, Ghetto Riga3490) zogen mit ihren sechs Kindern nach Bocholt3491:  Meta Baum (geb. Seif, * 22. Oktober 1908, Moschin – ermordet nach dem 13. Dezem- ber 1941, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald 3492)  Richard Seif (* 8. Januar 1910, Moschin – ermordet nach dem 13. September 1942, Vernichtungslager Auschwitz3493)  Margot Wallega (geb. Seif, * 1. Mai 1911, Moschin – ermordet am 10. September 1943, Vernichtungslager Auschwitz3494) – Sigmar (* 2. März 1913, Moschin, er überlebte mehrere Konzentrationslager, u. a. das Vernichtungslager Auschwitz3495, 2009 lebte er in den USA3496)  Rosa (* 24. Mai 1914, Moschin – ermordet nach dem 28. April 1942, Ghetto Krasnystaw3497)  Irma Bilski (geb. Seif, * 14. April 1920, Schrimm – ermordet nach dem 2. März 1943, Vernichtungslager Auschwitz3498).

In Bocholt wurde Salomon Seif als Kultusbeamter der Israelitischen Gemeinde ange- stellt3499. Er war Synagogenküster und zweiter Kantor. Diese Tätigkeit übte er zeitweise auch in den israelitischen Gemeinden Aalten und Dinxperlo, Bocholts niederlän dischen Grenzgemeinden, aus.

3488 Privatbesitz Benno Simoni, Stadt Schrimm, Heiratsurkunde vom 15. Oktober 1907. Weitere Personenstandsdaten waren nicht zu ermitteln. 3489 LA NW STA MS, Amtsgericht Coesfeld I Nr. 7. Vermerk der Staatspolizeileitstelle Münster vom 5. April 1941. Vernehmungsprotokoll vom 10. März 1941. 3490 Vgl. Biogramm S. 366. 3491 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3492 Vgl. Biogramm S. 151. 3493 Vgl. Biogramm S. 368. 3494 Vgl. Biogramm S. 422. 3495 StdAB, Stadt Bocholt Nr. 3. Akte nach dem BEG 917, Sigmar Seif (Paterson/USA) an Stadt Bocholt, 20. Au- gust 1952. Nach Informationen der Gedenkstätte eresienstadt (http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON. ITI.2208441) soll Sigmar Seif mit dem Transport XXIV/7 aus den Niederlanden in das Ghetto eresienstadt und von dort mit dem Transport El in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet worden sein. 3496 Hinweis des Großneffen, Benno Simoni, Berlin, 31. Januar 2009. 3497 Vgl. Biogramm S. 371. 3498 Vgl. Biogramm S. 156. 3499 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

BUCH DER ERINNERUNG | 373 „Sally Seif war ein untersetzter Mann. Er war ‚ein Hausherr, wie er im Buche steht’ und schwerhörig. Die Familie lebte in sehr ärmlichen Verhältnissen. Sie waren ortho- doxe, gesetzestreue Juden, die sich genau nach den jüdischen Religionsvorschriften richteten. So gab es bei ihnen getrennte Tische für milchige und fleischige Speisen. Freitagabends, wenn der Schabbat begann, wurde bei Seifs ein großer Tisch gedeckt. Bei Sonnenuntergang wurde jede Tätigkeit eingestellt. Selbst für das Anzünden des Feuers im Herd wurde eine nichtjüdische Frau, häufig meine Tochter Maria, geholt.“ (Anna Roloff, Nachbarin3500)

1923 Salomon Seif gehörte der Bocholter Ortsgruppe des „Bundes der Kinderreichen zum Schutz der Familie“ an3501. Er stand der SPD nahe und war im Reichsbanner Schwarz- Rot-Gold, einem sozialdemokratisch orientierten Bündnis zum Schutz der Weimarer Republik, aktiv3502.

1930 Bei einer Wahlkampfkundgebung von Nazis aus dem „Gau Emscher-Lippe” am 30. Juni 1930 gerieten diese mit Bocholtern auf dem Gasthausplatz aneinander3503. Unter denen, die vehement widersprachen, war auch Salomon Seif.

„Vor der Machtergreifung trat er bei Aufmärschen der SA besonders hervor, indem er die aufmarschierenden SA-Männer anspuckte und mit den Worten ‚Lumpen und Bluthunde’ beschimpfte. Seif ist als Jude schlimmster Sorte anzusehen.“ (Vermerk der Staatspolizeileitstelle Münster vom 5. April 19413504)

31. März 1933 Reichsweiter Boykott gegen Juden am 1. April 1933: „Die Eingedrungenen zertrümmerten bei Seif den größten Teil des Mobiliars, suchten sodann das obere Stockwerk auf, [...]. Als sie hierauf weiter in die Schlafräume der Familie Seif dringen wollten, ertönte der Ruf ‚Polizei kommt‘, wonach die Täter nach Angaben der Elisabeth Groß-Holtick die Flucht ergriffen. Von dem Lärm in den Wohnräumen des Seif erwachte auch der an einem besonderen Nebeneingang wohnende Spinnereiarbeiter Hermann Rohloff [sic]. […] Nach Rohloffs [sic] Angabe haben [sie] ihre Zerstörungen in den Wohnräumen des Seif fortgesetzt. Als Rohloff [sic] sodann seine Haustür verriegelte, schlugen sie noch diese Tür ein. Der im Hause Rebenstraße 56 wohnende Schreiner T.G. erwachte, als bei Seif alles kurz und klein geschlagen wurde. […]“ (Polizeibericht)3505

Für die bei diesem Überfall angerichteten Schäden wurde Salomon Seif letztinstanzlich mit Urteil des Reichswirtschaftsgerichts in Berlin vom 7. September 1934 entschädigt.

3500 Privatbesitz Josef Niebur, Niederschrift über ein Interview mit Anna Roloff (1904–1997), Bocholt, gemeinsam mit ihrer Tochter Maria Lüer (* 1926) und deren Mann (* 1925), Isselburg-Werth, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur am 24. Juli 1988. 3501 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 8. November 1923. Bund der Kinderreichen zum Schutz der Familie (Ortsgruppe Bocholt). 3502 Ebd., SBOH 2 Nr. 1012. Tumultschadenssache Salomon Seif. Vermerk der Polizeiverwaltung Bocholt an das Reichswirtschaftsgericht Berlin vom 6. Juli 1934. 3503 Ebd., ZSlg., Bocholter Volksblatt, 23. Juni 1930, Propagandamarsch. 3504 LA NW STA MS, Amtsgericht Coesfeld I Nr. 7. Vermerk der Staatspolizeileitstelle Münster vom 5. April 1941. 3505 StdA B., SBOH 2 Nr. 1012. Tumultschadenssache Seif. Polizeibericht Bocholt [vom 30., 31. März und 1. April 1933] in: Schreiben der Geschäftsstelle des Reichswirtschaftsgerichts vom 17. Mai 1934 – 1.S. XVII. 6/34. – an die Stadtgemeinde Bocholt.

374 | BUCH DER ERINNERUNG 9./10. November 1938 – Pogromnacht „SA und andere Nazis kamen gegen Mitternacht zur Synagoge. Otto W. holte einen Benzinkanister aus seinem Auto, schüttete Benzin in der Synagoge aus und zündete die zerstörten Bänke und die auf dem Boden liegenden Gebetbücher und orarollen an. [...] Die Randalierer drangen unter Führung von Otto W. in das neben der Synagoge stehende Haus ein, in dem Familie Seif wohnte. G. rief vor dem Haus: ‚Hal mej denn Sally herunder un schlitz em denn Buck up, dann gewwe ick eene ut!’ [...]“ [Hole den Sally aus der Wohnung und schlitze ihm den Bauch auf. Dann gebe ich einen aus!]. (Anna Roloff, Nachbarin3506)

21. Mai 1939 Das Ehepaar Seif musste in das sog. Judenhaus Niederbruchstraße 203507 ziehen, weil das Haus in der Nobelstraße 28 abgebrochen werden sollte3508.

28. Mai 1941 Das Schöffengericht Coesfeld verurteilte Salomon Seif wegen „Nachrichten über- mittlung an das feindliche Ausland“ zu einer Geldstrafe von fünfzig Reichsmark, er- satzweise zehn Tage Haft. Er hatte versucht, über Rosa Nußbaum, die in Basel lebende Witwe des früheren Lehrers Levy Nußbaum, seinem im unbesetzten Frankreich leben- den Sohn  Richard Seif einen belanglosen Brief zu übermitteln3509.

Januar 1942 „Durch Frau Farwick erfuhr meine Mutter, dass Regina und Salomon Seif, die inzwischen in den Niederbruch hatten umziehen müssen, nach Osten in ein Arbeitslager deportiert werden sollten. Sie ging heimlich in der Dunkelheit zum Haus im Niederbruch, wo die Juden untergebracht waren, und brachte dem Ehepaar Seif warme Kleidung.“ (Frau K., * 19263510)

24. Januar 1942  Regina und Salomon Seif wurden durch Polizei- oder Gestapobeamte nach Gelsen- kirchen gebracht3511, hierhin wurden auch die Juden aus Münster verschleppt3512. Am 27. Januar 1942 ging von dort über Dortmund ein Transport in das Ghetto von Riga. Am 31. Januar 1942 kam der Zug in Skirotawa bei Riga an3513.

„Nach drei Tagen endete die Fahrt am Güterbahnhof Skirotawa. Erst dort wurde uns gesagt, daß wir in Riga waren. Wir wurden von SS-Männern aus dem Zug geprügelt. Auf dem Bahndamm rief man einige Namen, offenbar hatte man bereits eine Liste

3506 Privatbesitz Josef Niebur, Niederschrift über ein Interview mit Anna Roloff (1904–1997), Bocholt, gemeinsam mit ihrer Tochter Maria Lüer (* 1926) und deren Mann (* 1925), Isselburg-Werth, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur am 24. Juli 1988. 3507 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3508 Privatbesitz Josef Niebur, Niederschrift über ein Interview mit Anna Roloff (1904–1997), Bocholt, gemeinsam mit ihrer Tochter Maria Lüer (* 1926) und deren Mann (* 1925), Isselburg-Werth, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur am 24. Juli 1988. 3509 LA NW STA MS, Amtsgericht Coesfeld I Nr. 7. Vermerk der Staatspolizeileitstelle Münster vom 5. April 1941. Vernehmungsprotokoll vom 10. März 1941. 3510 Privatbesitz Josef Niebur: Niederschrift über ein Interview mit Frau K., * 1926 (wohnte bis 1942 Rosenstiege 2), geführt am 7. Januar 1993 von Werner Sundermann und Josef Niebur. Interview befindet sich als Depositgut im Stadtarchiv. 3511 LA NW STA Detmold, Bestand D 21 A Nr. 4852, Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen Ernst Diele u. a. wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord 5 Js 18/61, Aussage des Kaufmanns Isidor Kahn aus Gladbeck (Ordner I, S. 120 ff.). 3512 Möllenhoff, Gisela, Schlautmann-Overmeyer, Rita: Die Deportation aus Münster, Osnabrück, Bielefeld. Münster, in: Buch der Erinnerung, S. 725 f. 3513 http://www.hagalil.com/archiv/2000/05/dortmund.htm.

BUCH DER ERINNERUNG | 375 mit unseren Personalien nach dort übermittelt. Die Aufgerufenen wurden vor unseren Augen erschossen.“ (Edith Marx, geborene Wolff (geboren in Bocholt), die mit Salomon und Regina Seif deportiert wurde)3514

Es kann angenommen werden, dass Salomon und  Regina Seif unmittelbar nach ihrer Ankunft in Riga ermordet wurden3515.

Vor dem ehemaligen Standort des Hauses Nobelstraße 28 liegen heute im Fußweg Stol- persteine, die an  Regina und Salomon Seif erinnern3516.

Ihre Namen sind auf der Gedenktafel für die unmittelbar aus Bocholt 1941/42 deportierten Menschen jüdischen Glaubens in der Gedenkstätte für die ehemalige Bocholter Synagoge verzeichnet3517.

Adele Silberschmidt geborene Cohen geboren am 4. September 1874 in Rees ermordet am 21. August 1944 im Ghetto eresienstadt

Adele Cohen wurde am 4. September 1874 in Rees am Rhein geboren. Ihre Eltern waren Meyer Cohen (* 4. April 1831, Rees – 31. Mai 1915, Bocholt3518) und Sophie (geb. Lohn, * 21. Januar 1836, Münster – 28. Juli 1904, Rees3519).

Adele Cohen hatte drei Geschwister: – Johanna Sternfeld (geb. Cohen, * 25. Juli 1867, Rees – 23. April 1895, Bocholt), die den in Bocholt ansässigen Metzger Isaak Sternfeld heiratete3520 – Hedwig Cohen (* 1871, Rees – 29. Juli 1885, Rees3521) – Sabine Rosenthal (geb. Cohen, verwitwete Goldschmidt, * 2. April 1877, Rees – ermordet nach dem 27. Januar 1942, Ghetto Riga3522).

1903 zog Adele Cohen in das Haus Nr. 208 (später Ravardistraße 11) in Bocholt und hei- ratete den Metzgermeister  Julius Silberschmidt (* 4. Juni 1876, Bocholt – ermordet am 11. November 1943, Ghetto eresienstadt3523).

3514 Vgl. Edith Marx Wir fühlten uns wie Schlachtvieh, S. 470. 3515 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 959419, 959422. 3516 Vgl. S. 459 ff. 3517 Vgl. S. 133. 3518 Stadtarchiv Rees, 16. Juli 2009. 3519 Ebd. 3520 Personenstandsregister, S. 110. 3521 Stadtarchiv Rees, 16. Juli 2009. 3522 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 954181. 3523 Vgl. Biogramm S. 380.

376 | BUCH DER ERINNERUNG Dem Ehepaar wurden zwei Kinder geboren: – Hermann (* 1. Juli 1904, Bocholt. Er wurde Tierarzt, überlebte die Shoah in den Nie- derlanden und starb nach 1983 in San Juan, Puerto Rico3524)  Ernst (* 11. Dezember 1906, Bocholt – ermordet am 24. April 1944, Vernichtungs- lager Auschwitz- Monowitz3525).

Am 8. November 1939 zogen Adele und  Julius Silberschmidt in das Haus Schonen- berg 33526. Dies soll ein Zimmer im St.-Agnes-Hospital gewesen sein3527.

Schon am 16. Dezember 1939 floh das Ehepaar Silberschmidt nach Utrecht in die Nie- derlande3528. Dort, in der Justus van Effenstraat 13, wohnten sie zusammen mit ihrem Sohn  Ernst und dessen Frau Ilse auch noch im Juni 19413529.

Adele Silberschmidt wurde im Einwohnermeldeverzeichnis der Stadt Utrecht als am 14. Dezember 1942 nach „onbekend“ verzogen eingetragen; ihr Mann  Julius Silber- schmidt wurde mit Datum vom 21. Dezember 1942 „onbekend“ abgemeldet3530.

Am 21. April 1943 wurden Adele und  Julius Silberschmidt aus Amsterdam in das Ghetto eresienstadt deportiert3531. Am 11. November 1943 wurde  Julius Silber- schmidt dort ermordet3532. Adele Silberschmidt wurde am 21. August 1944 im Ghetto eresienstadt ermordet3533.

Der älteste Sohn  Ernst Silberschmidt wurde am 24. April 1944 im Vernichtungslager Auschwitz-Monowitz ermordet. Dessen Frau Ilse überlebte die Shoah im Vernichtungs- lager Auschwitz und heiratete ihren Schwager Hermann Silversmith (Silberschmidt).

Dieser schrieb 1949 in einer eidesstattlichen Erklärung: „Von Ostern 1910 bis Ostern 1914 besuchte ich in meiner Vaterstadt [Bocholt] die Volksschule und von Ostern 1914 ab das Gymnasium, an dem ich Ostern 1923 die Reifeprüfung ablegte. Anschließend war ich mehrere Jahre in einem kaufmännischen Betrieb in Köln und während dieser Zeit nebenher an der dortigen Universität immatrikuliert. Mein tierärztliches Studium begann ich sodann an der Tierärztlichen Hochschule zu Hannover. Dort verbrachte ich die vorklinischen und erste klinische Semester, um an der Universität Leipzig mein Studium fortzusetzen, wo ich am 23. IV. 1931 [mit der Doktorarbeit „Untersuchungen über das Vorkommen von Tuberkelbakterien im Blute tuberkulöser Hühner“3534] die Approbation als Tierarzt erlangte. […] Seit 1931 hatte [ich auf Suchanzeigen für Vertreter oder Assistenten den Fachzeitschriften geschrieben, aber in den Antworten kam immer dasselbe zum Ausdruck: ‚Wenn Sie nicht jüdisch sind, können Sie kommen.’ Dasselbe geschah mit

3524 Stadt Bocholt, Fachbereich Zentrale Verwaltung - Interne Dienste - Ordner: Jüdische Mitbürger. Hermann Sil- versmith an Oberbürgermeister Hochgartz, 15. Februar 1982. 3525 Vgl. Biogramm S. 378. 3526 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3527 Stadt Bocholt, Fachbereich Zentrale Verwaltung - Interne Dienste - Ordner: Jüdische Mitbürger. Hermann Sil- versmith an Oberbürgermeister Hochgartz, 15. Februar 1982. 3528 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3529 JHM A, Joodsmonument, p. 357327. 3530 Gemeente Utrecht Dienst Burgerzaken & Gemeentebelastingen Afdeling Dienstverlening vom 8. Juni 2009. 3531 http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON.ITI.2177839. 3532 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlan- den. In JHM A, Joodsmonument, p. 357329 wird ausgesagt, dass Julius Silberschmidt am 14. November 1943 ermordet wurde. 3533 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 961516. 3534 http://de.scientificcommons.org/hermann_silberschmidt.

BUCH DER ERINNERUNG | 377 den von mir eingesendeten Anzeigen. Um mir ein ständiges Einkommen zu sichern gelang dem Direktor des Tierseucheninstitutes in Leipzig […], ein Stipendium von der Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland ‚in Zürich’ für wissenschaftliche Untersuchungen zu bekommen. Dies endete, [als] mir in 1933 das Betreten des Laboratoriums verboten wurde. Dann wanderte ich nach Utrecht, Holland, aus, wo mir ebenfalls Gelegenheit gegeben wurde, wissenschaftlich zu arbeiten aber ohne Vergütung. Mein Lebensunterhalt wurde von holländischen Verwandten bestritten. […] Vom 2. Mai 1942 ab habe ich den Judenstern getragen. Am 29. Juli 1942 bin ich ‚untergetaucht’ und wurde verhaftet am 20. März 1945 und in die Gefängnisse Utrecht und Amsterdam gebracht und am 6. Mai 1945 befreit. Ich lebte dann in Utrecht bis zum 2. Januar 1948 (Tag der Auswanderung nach den Vereinigten Staaten), hatte kein Einkommen und wurde von holländischen Organisationen unterhalten. […] Ich studierte Englisch und hatte Kurse in Veterinärmedizin belegt […]. Ich heiratete am 29. Januar 1948 [meine Schwägerin].“3535 Mit ihr, Ilse Silberschmidt (geb. Isaacson,* 20. März 1908, Dinslaken3536), wanderte Hermann Silversmith in die USA aus3537. Er starb nach 1982 in San Juan, Puerto Rico.

Ernst Silberschmidt geboren am 11. Dezember 1906 in Bocholt ermordet am 24. April 19443538 im Vernichtungslager Auschwitz-Monowitz

Ernst Silberschmidt wurde am 11. Dezember 1906 in Bocholt als Sohn des Metzger- meisters  Julius Silberschmidt (* 4. Juni 1876, Bocholt – ermordet am 11. November 1943, Ghetto eresienstadt3539) und seiner Frau  Adele (geb. Cohen, * 4. September 1874, Rees am Rhein – ermordet am 21. August 1944, Ghetto eresienstadt3540) im Haus Nr. 208 (später Ravardistraße 113541) geboren3542.

1925 war Ernst Silberschmidt wie folgt im Verzeichnis der Wähler zur Repräsentanten- versammlung der israelitischen Gemeinde Bocholt verzeichnet3543: Nr. Name Vorname Alter Straße Beruf 58 Silberschmidt Ernst 19 Ravardistr. 11 Kaufmann

3535 Jüdische Tierärzte im Deutschen Reich in der Zeit von 1918 bis 1945. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Veterinärmedizin (Dr. med. vet.) durch die Tierärztliche Hochschule Hannover, vorge- legt von Georg Möllers aus Rheine. 3536 StdA Dinslaken, 14. Dez. 2011. 3537 Deutsch-Jüdische Emigrantenzeitung Aufbau, Januar, 23, 1948. 3538 StdA B, 57 K 102 - ohne Titel - , Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden. In BA, Ge- denkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 113778, wird kein Ermordungsdatum genannt. 3539 Vgl. Biogramm S. 380. 3540 Vgl. Biogramm S. 376. 3541 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3542 Ebd. 3543 StdA B, SBOH 2 Nr. 1007. Wahl des Vorstandes und der Repräsentanten der Synagogengemeinde 1916 – 1935. Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt vom 21. Oktober 1925.

378 | BUCH DER ERINNERUNG Im Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bo- cholt vom 25. Juni 1932 zur letzten Wahl der Repräsentantenversammlung der israeli- tischen Gemeinde Bocholt ist vermerkt3544: Nr. Name Vorname Alter Straße Beruf 37 Silberschmidt Ernst 25 Ravardistr. 11 Fabrikant

Am 16. Dezember 1939 flohen Ernst Silberschmidt und seine Frau Ilse mit seinen Eltern  Julius und  Adele Silberschmidt nach Utrecht in den Niederlanden3545. Dort in der Justus van Effenstraat 13 wohnten sie auch noch im Juni 19413546.

Ilse Silberschmidt wurde im Einwohnermeldeverzeichnis der Stadt Utrecht als am 14. Dezember 1942 nach „onbekend“ verzogen geführt; ihr Mann Ernst Silberschmidt ist mit Datum vom 21. Dezember 1942 „onbekend“ verzogen.

Vor Ende März 1943 wurden Ernst und Ilse Silberschmidt in das polizeiliche Juden- durchgangslager Westerbork gebracht.3547 Ernst Silberschmidt blieb wahrscheinlich bis zum 5. April 1944 in Westerbork. An diesem Tag ging ein Deportationszug mit 240 Menschen jüdischen Glaubens in das Vernichtungslager Auschwitz-Monowitz. Hier kam der Zug am 7. April 1944 an. Ernst Silberschmidt wurde am 24. April 1944 in Auschwitz-Monowitz ermordet3548.

Am 11. November 1943 kam sein Vater  Julius Silberschmidt im Ghetto eresien- stadt wegen der völlig unzureichenden Lebensbedingungen um. Seine Mutter  Adele Silberschmidt wurde am 21. August 1944 ebenfalls im Ghetto eresienstadt umge- bracht.

Ilse, die Frau von Ernst Silberschmidt, überlebte die Shoah im Vernichtungslager Auschwitz. Sie heiratete später ihren Schwager Dr. med. vet. Hermann Silberschmidt3549. Mit ihm wanderte sie im Januar 1948 in die USA ein3550, später zogen sie nach San Juan, Puerto Rico3551. Hermann Silversmith starb nach 1982 in San Juan, Puerto Rico3552.

3544 Ebd., Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt vom 25. Juni 1932. 3545 Gemeente Utrecht, Dienst Burgerzaken & Gemeentebelastingen, Afdeling Dienstverlening, 9. Juni 2009. 3546 JHM A, Joodsmonument, p. 357327. 3547 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 133778; ebd., Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlanden. 3548 StdA B, SBOH 3, Akte nach dem BEG 3 949, Hermann Silberschmidt. Im Schreiben des Regierungspräsidenten Münster an die Stadt Bocholt vom 29. Mai 1962 ist als Ermordungsdatum von Ernst Silberschmidt der 15. April 1944 vermerkt. 3549 Stadt Bocholt, Fachbereich Zentrale Verwaltung – Interne Dienste – Ordner: Jüdische Mitbürger. Hermann Silversmith an Oberbürgermeister Hochgartz, 15. Februar 1982. 3550 Compact-Memory, Aufbau, January, 23. 1948. 3551 StdA B, 57 K 102 – ohne Titel -, Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962) http://akevoth.org/genealogy/zilversmit/122.htm. 3552 Stadt Bocholt. Fachbereich Interne Verwaltung. Interne Dienste. Ordner Jüdische Mitbürger, Hermann Silver- smith an Oberbürgermeister Hochgartz, 15. Februar 1982.

BUCH DER ERINNERUNG | 379 Unterschrift von Julius Julius Silberschmidt Silberschmidt. (Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, geboren am 4. Juni 1876 in Bocholt Grundakte Nr. 2440, ermordet am 11. November 3553 1943 im Ghetto eresienstadt Seite 41)

Julius Silberschmidt wurde am 4. Juni 1876 in Bocholt als Sohn des Metzgers Jacob Silberschmidt (* 29. Juli 1849, Hengelo/Niederlande3554 – 26. Mai 1919, Bocholt3555) und seiner Frau Marianne (geb. Cohen, * 5. Januar 1845, Rees/Rhein – 2. Juli 1912, Bocholt3556) im Haus Nr. 208 (später Ravardistraße 11) geboren3557.

Am 29. Juli 1896 trat Julius Silberschmidt dem St. Georgius-Schützenverein bei3558. In der Festschrift zum Schützenfest 1921 wurde Julius Silberschmidt, zusammen mit Her- mann Rosenberg, Edgar Weyl, Isidor Silberschmidt und Hugo Weyl (* 1873, Bocholt – 7. Mai 1929, Berlin3559), als silberner Jubilar genannt3560.

Im Haus Ravardistraße 11 betrieb sein Vater, Metzgermeister Jacob Silberschmidt, seit 1895 eine Metzgerei, die Julius nach dem Tod des Vaters 1911 übernahm3561. 1903 hei- ratete Julius Silberschmidt  Adele (geb. Cohen, * 4. September 1874, Rees – ermordet am 21. August 1944, Ghetto eresienstadt3562).

Der Ehe entstammten die Kinder: – Hermann (* 1. Juli 1904, Bocholt3563). Er wurde Tierarzt und reichte am 22. Dezem- ber 1931 seine veterinär-medizinische Dissertation zum ema „Untersuchungen über das Vorkommen von Tuberkelbakterien im Blute tuberkulöser Hühner“ an der Universität Leipzig ein3564. Dr. Hermann Silberschmidt überlebte die Shoah in den Niederlanden. Er starb als Hermann Silversmith nach 1982 in San Juan, Puerto Rico3565.  Ernst (* 11. Dezember 1906, Bocholt – ermordet am 24. April 1944, Vernichtungs- lager Auschwitz-Monowitz3566).

1913 war Julius Silberschmidt wie folgt im Verzeichnis der Wähler zur Repräsentanten- wahl der israelitischen Gemeinde Bocholt3567 verzeichnet: Name Vorname Alter Adresse Beruf Silberschmidt Julius 37 Ravardistraße 11 Metzgermeister

3553 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 961 524. Nach JHM A, Joodsmonument, p. 357329 wurde Julius Silberschmidt am 14. November 1943 im Ghetto eresienstadt ermordet. 3554 StdA B, Personenstandsregister, S. 110, danach wurde Jacob Silberschmidt am 17. Juli 1849 geboren. 3555 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3556 Ebd. 3557 Personenstandsregister, S. 110. 3558 Westerhoff, Ballotagen. 3559 Amtsgericht Bocholt, Grundakten, [...] Band 111, Blatt 87. 3560 StdA B, Depositum St. Georgius-Schützenverein, III. Präsentationsmaterialen, 1.1. Festschriften I; Festschrift zum 54. Schützenfeste [des St. Georgius-Schützenvereins] am 31. Juli, 1. und 2. August 1921, S. 6. 3561 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke des Metzgers Jacob Silberschmidt, des Metzgers Julius Silberschmidt [...] Blatt 845. 3562 Vgl. Biogramm S. 376. 3563 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3564 http://de.scientificcommons.org/hermann_silberschmidt. 3565 Stadt Bocholt. Fachbereich Interne Verwaltung. Interne Dienste. Ordner Jüdische Mitbürger, Hermann Silver- smith an Oberbürgermeister Hochgartz, 15. Februar 1982. 3566 Vgl. Biogramm S. 378. 3567 StdA B, SBOH 2 Nr. 1006, Wahl des Synagogenvorstandes und der Repräsentanten 1895–1916. Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt vom 25. Mai 1913.

380 | BUCH DER ERINNERUNG Fast vom Beginn des Ersten Weltkriegs, ab 5. August 1914, bis zum 14. Mai 1918 war Julius Silberschmidt bei der „Truppe“3568. Bei den Wahlen am 25. Juni 1919 wurde er für sechs Jahre in die Repräsentanten- versammlung der israelitischen Gemeinde Bocholt gewählt, 1925 wurde er nicht wie- dergewählt3569.

Ab spätestens April 1929 übernahm der Metzgermeister Siegfried Gottschalk die Metzgerei Julius Silberschmidt3570.

1932 war Julius Silberschmidt der Vorsitzende des Israelitischen Männervereins Chewra Kadischa (Beerdigungsbruderschaft), der damals 60 Mitglieder hatte3571. Die Mitglieder des 1801 erstmals und dann wieder 1859 neu gegründeten Vereins pflegten die Kranken der Gemeinde, standen ihnen beim Sterben bei und sorgten für die rituelle Waschung der Leiche sowie für deren Beerdigung3572.

Bereits wenige Wochen nach dem Regierungsantritt Hitlers am 30. Januar 1933 kam es am 31. März und 1. April 1933 auch in Bocholt zum z. T. zerstörerischen Boykott ge- gen jüdische Geschäftsleute, Ärzte und Rechtsanwälte. Auch vor der Metzgerei Silber- schmidt in der Ravardistraße 11 standen an diesen Tagen SA-Wachen, strichen die Fenster schwarz an und verwehrten etwaigen Käufern den Zutritt3573.

Bei der Ergänzungswahl zum Vorstand der israelitischen Gemeinde Bocholt am 28. Oktober 1936 wählte die Repräsentantenversammlung neben Richard Friede und Isidor Silberschmidt auch Julius Silberschmidt. Zu den Vorstandsmitgliedern gehörten außerdem als Stellvertreter der Langzeitvorsitzende  Louis Ostberg3574 und sein Stellvertreter Hermann Rosenberg3575.

Bis zum 17. Oktober 1939, als die Jüdische Kultusvereinigung Israelitische Gemeinde Bocholt/Westfalen als Kultusverein in das Vereinsregister eingetragen und Bertold Löwenstein von der Reichsvereinigung der Juden als Vorsitzender eingesetzt wurde, war Julius Silberschmidt Vorsitzender der israelitischen Gemeinde Bocholt3576.

Am 19. Mai 1939 verkaufte Julius Silberschmidt Haus und Grundstück Ravardistraße 11 an einen Bocholter Metzger. § 6 des Vertrags lautete: „[...] Die Räumung der Wohnung, die der Verkäufer im Hause Ravardistraße 11 innehat, wird bei seiner demnächstigen Ausreise erfolgen, zu deren Durchführung bereits die notwendigen Schritte getan sind.“3577

Am 8. November 1939 zogen  Adele und Julius Silberschmidt in das Haus Schonen- berg 3. Ihr Sohn Hermann glaubt, so schreibt er in einem Brief vom 15. Februar 1982,

3568 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3569 Ebd., SBOH 2 Nr. 1006, Wahl des Vorstandes und der Repräsentanten der Synagogengemeinde 1916–1935 Ver- zeichnis der Repräsentanten der Synagogengemeinde. 3570 Einwohnerbuch 1929, S. 63. 3571 Meier, S. 132. 3572 Vgl. S. 41. 3573 StdA B, SBOH 2 Nr. 1012. Tumultschadenssache Seif. Polizeibericht Bocholt [vom 30., 31. März und 1. April 1933] in: Schreiben der Geschäftstelle des Reichswirtschaftsgerichts vom 17. Mai 1934 – 1.S. XVII. 6/34. – an die Stadtgemeinde Bocholt. 3574 Vgl. Biogramm S. 342. 3575 StdA B, 57 K 102 – ohne Titel -. Stadt Bocholt an RP Münster, 21. November 1938. 3576 Ebd. 3577 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten [...] über die Grundstücke [...] [Ravardistraße 11], Blatt 845. Grundstückskaufvertrag vom 19. Mai 1939 zwischen Metzgermeister Julius Israel Silberschmidt zu Bocholt, Ravardistraße 11 und [...], Blatt 53–54.

BUCH DER ERINNERUNG | 381 dies sei ein Zimmer im St.-Agnes-Hospital gewesen3578. Schon am 16. Dezember 1939 floh das Ehepaar Silberschmidt – wie die Einwohnermeldekarte ausweist – „ohne Ab- meldung […] nach Utrecht (Holl.).“3579 Dort, in der Justus van Effenstraat 13, wohnten sie zusammen mit ihrem Sohn  Ernst und dessen Frau Ilse auch noch im Juni 19413580.

Aus Amsterdam deportierte man Julius und  Adele Silberschmidt am 21. April 1943 in das Ghetto eresienstadt3581, wo sie einen Tag später mit dem Transport XXIV/1 ankamen3582. Julius Silberschmidt hatte die Transportnummer 148. Das Ghetto war am 22. April 1943 erreicht3583.

Am 11. November 1943 kam Julius Silberschmidt dort wegen der völlig unzureichenden Lebensbedingungen um3584. Seine Frau  Adele Silberschmidt wurde am 21. August 1944 ebenfalls im Ghetto eresienstadt ermordet3585.

Ihr Sohn  Ernst Silberschmidt wurde am 5. April 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz-Monowitz deportiert und am 24. April 1944 ermordet3586. Dessen Frau Ilse überlebte die Shoah im Vernichtungslager Auschwitz und heiratete später ihren Schwa- ger Hermann Silberschmidt. Hermann Silberschmidt, ein Tierarzt, überlebte die Shoah. Er erinnerte sich an seine Befreiung am 7. Mai 1945 in Amsterdam:

„Am Abend des 5. Mai 1945 musste ich im Hof des Gefängnisses Amsterdam mit noch elf anderen Insassen antreten – zwei konnten abtreten. Darunter [war] meine Wenig- keit[, wir] wurden wieder in [die] Zellen zurückgebracht; die restlichen Zehn wurden in dieser Nacht nach Scheveningen gebracht und dort erschossen, wie ich später er- fuhr. Am übernächsten Tag wurde ich frei gelassen, da am 6. Mai der Waffenstillstand in Kraft getreten war. Es war für mich kein freudiges Ereignis, da meine ganze Fami- lie ausgelöscht war, die Eltern waren in eresienstadt ermordet und mein einziger Bruder in Birkenau vergast. Seine Frau hat das Todeslager Auschwitz überlebt und ist jetzt meine Frau.“ (Herman Silversmith3587)

In der Ausgabe der deutsch-jüdischen Emigrantenzeitung „Aufbau“ vom 23. Januar 1948 wurde gemeldet, dass Hermann Silberschmidt mit seiner Frau Ilse in die USA emigriert war: „Es trafen ein: […] Aus Holland: … Dr. Hermann Silberschmidt (fr. Bocholt i/W), c/o Kanthai, 243 West 98th St., New York 25, N. Y.; Ilse Silberschmidt, geb. Isaacson (fr. Dinslaken), c/o Menkel, 83-64 Talbot St., Kew Gardens, L. L, N. Y.“3588 Hermann Silversmith, der seinen Namen amerikanisiert hatte, war weiterhin als Tier- arzt tätig3589.

3578 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; Stadt Bocholt. Fachbereich Interne Verwaltung. Interne Dienste. Ordner Jüdische Mitbürger 1. Hermann Silversmith an Oberbürgermeister Hochgartz, 15. Februar 1982. 3579 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3580 JHM A, Joodsmonument, p. 357327. 3581 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 961524. 3582 http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON.ITI.2177839. 3583 Ebd. 3584 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 961524. 3585 Ebd., Nr. 961516. 3586 Ebd., Nr. 961521. 3587 Stadt Bocholt. Fachbereich Interne Verwaltung. Interne Dienste. Ordner Jüdische Mitbürger 1. Hermann Silver- smith an Oberbürgermeister Hochgartz, 15. Februar 1982. 3588 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~alcalz/aufbau/1948/1948pdf/j14a04s00750015.pdf. 3589 Stadt Bocholt. Fachbereich Interne Verwaltung. Interne Dienste. Ordner Jüdische Mitbürger 1. Hermann Silver- smith an Oberbürgermeister Hochgartz, 15. Februar 1982.

382 | BUCH DER ERINNERUNG 1948 wurde das Haus Ravardistraße 11 auf Antrag der Stadtverwaltung Bocholt im Amtsgericht – Grundbuchamt – unter Rückerstattungsanspruch gestellt. Das Wie- dergutmachungsamt beim Landgericht Münster beantragte am 11. Mai 1950 beim Grundbuchamt Bocholt, das Grundbuch mit dem Vermerk zu versehen: „Der Tierarzt Hermann Silberschmidt in New York hat als Erbe des früheren Eigentümers den An- spruch auf Rückerstattung gemäß Mil.Reg.Ges. Nr. 59 angemeldet.“3590

Am 25. Juni 1954 wurde die Rückerstattungsangelegenheit durch einen Vergleich zwischen Hermann und Ilse Silversmith und dem neuen Eigentümer vor dem Wieder- gutmachungsamt Münster beigelegt3591. In diesem Vergleich, zu dessen Verhandlung neben dem „Kaufmann Hermann Silberschmidt, jetzt Silversmith, Columbus 1, Ohio USA, 81½ East Wodruff Avenue“ auch seine Frau Ilse nach Münster gekommen war, wurde entschieden: „Der Antragsgegner zahlt an die Antragsteller [...] einen Abfindungsbetrag von 10.000,– DM. [...] Sie verzichten weiter auf alle Ansprüche wegen des vom Antragsgegner seiner- zeit übernommenen Mobiliars des Julius Silberschmidt.“ Weiter waren sich beide Vergleichspartner darüber einig: Deshalb „[...] verzichten die Antragsteller auf die Rück- erstattung der [...] Grundstücke. [...] Die Antragsteller treten an den Antragsgegner ihre Entschädigungsansprüche gegen das Reich [...] zur Hälfte ab, die sie deswegen erhalten haben, weil der seinerzeit vom Antragsgegner gezahlte Kaufpreis nicht in die freie Ver- fügungsgewalt des Julius Silberschmidt gelangt sein möchte. [...]“3592

Der Kreisbeauftragte für gesperrte Vermögen beim Finanzminister des Landes Nord- rhein-Westfalen, Regierungsbezirk Münster, Kreisgruppe West in Coesfeld teilte dem Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt – am 23. November 1954 mit, dass das Grund- stück Ravardistraße 11 „aus den dort nach Militär-Regierungs-Gesetz Nr. 59 und 52 geführten Sperrlisten zu streichen und dieser Dienststelle die erfolgte Streichung an- zuzeigen“ sei3593.

Herman Silversmith, der seinen Namen amerikanisiert hatte, starb nach 1982 in San Juan, Puerto Rico3594.

3590 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten [...] über die Grundstücke […] [Ravardistraße 11], Blatt 845, Grundbuchtabelle. 3591 Ebd., Wiedergutmachungsamt bei dem Landgericht Münster an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt , 16. April 1950, Blatt 74. 3592 Ebd., Vergleich vor dem Wiedergutmachungsamt bei dem Landgericht Münster vom 25. Juli 1954, Blatt 87. 3593 Ebd., Kreisbeauftragter für gesperrte Vermögen beim Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Regie- rungsbezirk Münster, Kreisgruppe West in Coesfeld an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt -, 23. November 1954, Blatt 94. 3594 Stadt Bocholt. Fachbereich Interne Verwaltung. Interne Dienste. Ordner Jüdische Mitbürger, Hermann Silver- smith an Oberbürgermeister Hochgartz, 15. Februar 1982.

BUCH DER ERINNERUNG | 383 Martha Silberschmidt geborene Lehmann geboren am 12. März 1883 in Darmstadt ermordet nach dem 30. Januar 1943 im Vernichtungslager Auschwitz

Martha Lehmann wurde als Tochter des Jonas Lehmann und seiner Frau Helene (geb. Simon) am 12. März 1883 in Darmstadt geboren3595. Sie zog am 7. Juli 1935 aus Frank- furt nach Bocholt in das Haus Nordallee 39 (heute: Adenauerallee). Hier heiratete sie am 29. Juli 1935 Isidor Silberschmidt (* 28. Juli 1875, Bocholt – 29. November 1938, Bocholt3596).

Dessen erste Frau Regine (geb. Gumpert, * 22. April 1882, Ahlen3597) war am 2. Juni 1906, seine zweite Frau Jenny (geb. Heumann, * 5. November 1875, Lechenich/heute: Erftstadt) am 21. April 1933 im Alter von 57 Jahren3598 verstorben.

Isidor Silberschmidt, der Mann von Martha Silberschmidt, war am 28. Juli 1896 dem St. Georgius-Schützenverein beigetreten3599. Im Haus Nordallee 39 betrieb er einen Viehhandel3600.

Aus der Ehe mit seiner verstorbenen Frau Jenny stammte ein Sohn: – Leo (* 14. September 1908, Bocholt3601). Er zog 1937 nach Krefeld und am 9. Mai 19383602 von dort nach Bocholt zurück. Bis zum 3. November 19383603 wohnte er noch im Elternhaus Nordallee 39. Dann reiste er nach Uruguay aus. Am 12. Februar 1959 starb er in Buenos Aires/Argentinien, wohin er 1943 gezogen war3604.

Vor dem 13. Oktober 1938 musste Isidor Silberschmidt, weil er „Jude“ war, den Wan- dergewerbeschein an die Stadtverwaltung zurückgeben. Diesen brauchte er aber für die Ausübung seines Viehhandels3605. Nach der Rückgabe des Wandergewerbescheins „kann er das Gewerbe als Viehverteiler nicht weiter betreiben“, wie Bocholts Ortspo- lizeibehörde dem Sachbearbeiter bei der Kreisbauernschaft Borken im Viehwirtschafts- verband Westfalen am 13. Oktober 1938 mitteilte3606.

3595 LA NW STA MS, Amtsgericht Coesfeld, I Nr. 5, Schöffengericht Coesfeld, Strafsache Amtsgericht Münster ge- gen Silberschmidt wegen Verg. ./. V. O. über Nachrichtenverkehr. Der Oberbürgermeister als Ortspolizeibehörde Bocholt, 15. Februar 1941. 3596 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3597 Ebd. 3598 Ebd. 3599 Westerhoff, Ballotagen. 3600 Einwohnerbuch 1926, S. 228. 3601 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3602 https://www.bkukr.de/index.php?id=488&L=1. Verzeichnis der Krefelder Jüdinnen und Juden. 3603 StdA B, 57 K 101 – ohne Titel -, Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962). Im Gegensatz dazu schreibt Trude Goldschmidt, die Frau von Raul Goldschmidt: […] „Ich bin Trude Goldschmidt, verwitwete Frau Leo Silberschmidt. Ich heiratete im August 1938 in Dinslaken meinen Mann, mit dem ich nach Uruguay auswanderte im November 1938. Am 27. August 1940 gebar ich unseren Sohn Raul. ..., 1943 [zogen wir] nach Argentinien.“ (Trude Goldschmidt; Buenos Aires, an den Bürgermeister der Stadt Bocholt, 18. Mai 1987). Am 4. Oktober 2009 starb Trude Goldschmidt in Buenos Aires (Raul Goldschmidt an Stadt Bocholt, 13. Januar 2011). 3604 Amtsgericht Bocholt - Grundbuchamt -. Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke des Buch- druckers Hermann Feldhaus zu Essen, des Viehhändlers Isidor Silberschmidt in Bocholt […] Band -, Blatt 1561, Vertrag vom 25. März 1941, Blatt 31–32. 3605 StdA B, 57 K 101 – ohne Titel -, Viehwirtschaftsverband Westfalen an den Sachbearbeiter bei der Kreisbauern- schaft Borken, 8. Oktober 1938. 3606 Ebd., Vermerk der Stadtverwaltung Bocholt vom 13. Oktober 1938.

384 | BUCH DER ERINNERUNG Silberschmidts Nachbarn erinnern sich, dass die Nazis in der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 auch zum Haus von Isidor Silberschmidt kamen. Eine Nach- barin, Marga van der Linde, schrieb in ihren Lebenserinnerungen: „Als die Nazis, die nicht aus Bocholt kamen, zu ihnen kamen, legte er stolz seine Orden aus dem Ersten Weltkrieg an. Wohl deswegen ließen die Nazis Isidor in Ruhe.“3607 Am 29. November 1938 starb Isidor Silberschmidt, wie sich seine Nachbarin Marga van der Linde erinnerte, „an gebrochenem Herzen“3608. Er wurde in der Gruft seiner 1933 verstorbenen Frau Jenny beigesetzt3609.

Um seine weiterhin im Haus Nordallee 39 wohnende Witwe Martha, die nach seinem Tod dort allein wohnte, wurde es einsam. Einen Teil des großen Hauses vermietete sie, weil ihr anderweitige Einnahmen fehlten3610. Isidor Silberschmidt (Stadtarchiv Bocholt Die Geheime Staatspolizei – Staatspolizeileitstelle Münster – erstattete am 25. Februar 57 K 102 – ohne Titel –) 1941 Strafanzeige gegen Martha Silberschmidt wegen eines am 2. Januar 1941 an Verwandte im damals noch unbesetzten Teil Frankreichs geschriebenen Briefes. Am 18. April 1941 wurde Martha Silberschmidt deshalb vom Schöffengericht Coesfeld zu einer Geldstrafe von 25,-- Reichsmark, ersatzweise zu fünf Tagen Haft, verurteilt3611.

Am 25. März 19413612 musste Martha Silberschmidt ihr Haus verkaufen und bis zum 15. Mai 1941 in die Schwartzstraße 14 umziehen3613. Dieses Haus war seit dem 13. November 1940 Eigentum der katholischen Frau von Albert Löwenstein, Angelika (geb. Knappertsbusch, * 6. März 1877, Wieden (heute: Wülf rath) – 26. August 1960, Düsseldorf), und dennoch das faktisch letzte sog. Judenhaus in Bocholt3614.

Kriegschronik der Stadt Bocholt, 27. Juli 1942: „Gegen 22.30 Uhr wurden die nachstehend aufgeführten Juden, die in der Schwartzstraße Nr. 14 wohnten, von einem Beamten der Geheimen Staatspolizei aus Münster mit einem großen Möbelauto abgeholt und zunächst nach Münster gebracht. Angeblich sollen sie nach Böhmen evakuiert werden: 1. Witwe Martha Sara Silberschmidt, geborene Lehmann, geboren am 12. 3. 1883 in Darmstadt, [...].“3615

Aus Münster wurde Martha Silberschmidt am 29. Juli 1942 gemeinsam mit sieben weiteren Bocholtern jüdischen Glaubens in dem Transport XI/1 von 900 älteren Juden in das Ghetto eresienstadt deportiert3616. Martha Silberschmidt hatte die Transport- nummer 8663617. Der Transport kam am 1. August 1942 in eresienstadt an3618.

3607 Falk, Marga: Steps in my life‘s Journey , Australien 1991 (unveröffentlichtes Manuskript), S. 23. 3608 Ebd. 3609 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 29. 3610 LA NW STA MS, Bestand Amtsgericht Coesfeld I Nr. 5, [...] Blatt 5, Vermerk der Staatspolizeileitstelle Münster – II B 3 -180,01 -34/41 vom 11. März 1941. 3611 Ebd.; Blatt 1, Geheime Staatspolizei Staatspolizeileitstelle Münster an Amtsgericht Münster, 11. März 1941. 3612 Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt -. Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke des Buch- druckers Hermann Feldhaus zu Essen, des Viehhändlers Isidor Silberschmidt in Bocholt […] Band -, Blatt 1561, Vertrag vom 25. März 1941, Blatt 31-32. 3613 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3614 Ebd., Nachlaß Josef Fehler. Zeugenaussage von Angelika Löwenstein (geb. Knappertsbusch) vom 3. November 1955 im Prozess Fehler und Andere gegen das Land NRW vor der 2. Entschädigungskammer des Landgerichts Münster Aktenzeichen 9 0 (Entsch.) 66/54 -. 3615 Kriegschronik, S. 211. 3616 eresienstädter Gedenkbuch, S. 568. 3617 http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON.ITI.639705. 3618 Ebd.

BUCH DER ERINNERUNG | 385 Albert Löwenstein erinnerte sich in einer Nachkriegsaussage vom 16. April 1951 daran, dass Martha Silberschmidt von eresienstadt „einige Male geschrieben (habe) und zwar bis Dezember 1942. Seit dieser Zeit habe ich von ihr nichts mehr gehört.“3619

Am 29. Januar 1943 wurde Martha Silberschmidt aus dem Ghetto eresienstadt mit etwa 1000 Schicksalsgenossen in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert3620, das der Zug am 30. Januar 1943 erreichte3621. Hier wurde sie ermordet3622.

Am 8. August 1950 bat Dr. Ludwig Heydt – Rechtsanwalt am Oberlandesgericht Köln – das Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt –: „Als Prozeßbevollmächtigter des Herrn Kaufmanns Leo Silberschmidt aus Buenos Aires, Calle Melian 3761, im Wiedergut- machungsverfahren bitte ich um eine unbeglaubigte Abschrift der beiden oben genannten Grundbuchblätter. [...“ 3623 Das Wiedergutmachungsamt beim Landgericht Münster wies am 18. August 1950 das Amtsgericht Bocholt an, in die Grundbuchtabelle einzutragen: „Der Kaufmann Leo Silberschmidt in Buenos Aires hat den Anspruch auf Rückerstattung der Grundstücke auf Grund des Rückerstattungsgesetzes ange- meldet.“ 3624

Bei einem Vergleich vor dem Wiedergutmachungsamt bei dem Landgericht Münster am 29. Februar 1952 erhielt Leo Silberschmidt den Betrag von 8.000,– DM als Entschä- digung zugesprochen3625.

Mit diesem Stolper- Mit Schreiben vom 10. Dezember 1952 wies stein vor ihrem ehema- der Kreisbeauftragte für gesperrte Vermögen ligen Haus, Nordallee beim Finanzminister des Landes Nordrhein- 39 (heute Adenauer- Westfalen, Kreisgruppe West, Coesfeld, das allee), wird an Martha Silberschmidt erinnert. Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt – an, (Fotosammlung Her- das Grundstück Nordallee 39 aus der Sperr- 3626 mann Oechtering) liste zu streichen .

Vor ihrem ehemaligen Haus an der heutigen Adenauerallee 39 liegt ein Stolperstein, der an Martha Silberschmidt erinnert3627.

3619 Amtsgericht Bocholt, Abt. 5, Toderklärungsverfahren Silberschmidt, Martha AZ 5 II 34/51 – vom 25. Juni 1951. Eidesstattliche Versicherung von Albert Löwenstein vom 16. April 1951, S. 7. 3620 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 961529. Nach eresienstädter Gedenkbuch, S. 568, soll Martha Silberschmidt am 29. Januar 1943 mit Zug Cr , in dem sich 2000 Menschen jüdischen Glaubens befanden, in das Vernichtungslager Maly Trostinec bei Minsk deportiert worden sein. 3621 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 3622 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 961529. 3623 Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt -. Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke des Buchdruckers Hermann Feldhaus zu Essen, des Viehhändlers Isidor Silberschmidt in Bocholt […] Band -, Blatt 1561, Dr. Ludwig Heydt Rechtsanwalt am Oberlandesgericht Köln, an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt –, 8.August 1950, Blatt 38. 3624 Ebd., Wiedergutmachungsamt beim Landgericht Münster an das Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt –, 18. August 1950, Blatt 39. 3625 Ebd., Vergleich vor dem Wiedergutmachungsamt bei dem Landgericht Münster am 29. Februar 1952, Blatt 48. 3626 Ebd., Kreisbeauftragter für gesperrte Vermögen beim Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Kreis- gruppe West, Coesfeld, an das Amtsgericht Bocholt Grundbuchamt , 10. Dezember 1952, Blatt 49. 3627 Vgl. S. 459 ff.

386 | BUCH DER ERINNERUNG Rudolf Silberschmidt geboren am 23. Mai 1912 in Bocholt ermordet am 30. September 1942 im Vernichtungslager Auschwitz

Rudolf Silberschmidt wurde am 23. Mai 1912 als Sohn des Metzgermeisters Jacob Silberschmidt (* 15. November 1873, Bocholt – 20. September 1927, Bocholt3628) und seiner Frau Selma (geb. Berg, * 18. November 1884, lebte 1962 in den USA3629) in Bocholt, Osterstraße 5, geboren3630. Sein Vater Jacob führte dort eine Metzgerei.

Rudolf Silberschmidt hatte einen Bruder: – Fritz Silberschmidt (* 4. Oktober 1908, Bocholt3631 – gestorben in Boston/USA3632).

Sein Vater Jacob Silberschmidt trat am 14. März 1909 dem St. Georgius-Schützenverein bei3633. Er starb am 20. September 1927. Der Kreiskriegerverband Bocholt ließ für sein Mitglied Jacob Silberschmidt am 22. September 1927 einen Nachruf veröffentlichen. Hierin wurden die Mitglieder aufgefordert: „Antreten der Kameraden um 3¼ Uhr am Marktplatz.“3634

Anfang 1936 wurden Rudolf Silberschmidt, der Registrator bei der Buntweberei Stern & Löwenstein war, sowie der „Musterchef und Oberzeichner Eduard Gold“3635 wegen „kommunistischer Betätigung“ bzw. „hochverräterischer Umtriebe“ in Haft genom- men3636. Wohl wegen dieses Zusammenstoßes mit der braunen Macht verzogen Rudolf Silberschmidt und seine Mutter Selma am 26. Juni 1936 nach Köln, Euskirchener Straße 363637.Rudolf Silberschmidt vermietete vorher die Metzgerei an einen Bocholter Metzger3638.

Ende 1938 emigrierte er, wohl in Folge der Pogromnacht vom 9./10. November 1938, in die Niederlande3639. Im Januar 1939 wohnte er in Amsterdam-Zuid, Erste-Jan- Steenstraat 313640. Am 8. November 1939 wurde er „Auf Grund des § 2 des Gesetzes über [den] Widerruf von Einbürgerungen u. Aberkennung der deutschen Staats angehörigkeit v. 14.7.39 ab 8.11.39 (Nr. 262 des Staatsanz.) der deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig erklärt.“3641

3628 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3629 Ebd., 57 K 102 – ohne Titel -, Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962). 3630 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3631 Ebd. 3632 http://akevoth.org/genealogy/zilversmit/125.htm. 3633 Westerhoff, Ballotagen. 3634 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt, 22. September 1927. 3635 Eduard Gold, ein österreichischer Staatsbürger, zog am 20. Juni 1938 nach Wien und von dort nach Maribor (Slo- wenien). Dort oder in Italien konnte er die Shoah überleben. Gold kehrte am 28. Juni 1946 aus Venedig nach Wien zurück, wo er am 9. April 1971 starb (Bundespolizeidirektion Wien (Österreich) – Zentralamt – 17. Juni 1997). 3636 Kulka, Otto Dov, Jäckel, Eberhard: Die Juden in den geheimen NS-Stimmungsberichten 1933-1945, CD-Rom, Dok. 1616, 1703. 3637 NS-Dokumentationsstätte Köln, 18. November 2008. Nach Selma Silberschmidt (USA) an Stadt Bocholt, 11. Juni 1956 (StdA B, Stadt Bocholt, BEG-Akte 3 – 919 Selma Silberschmidt) zogen Mutter und Sohn bereits am 1. Juni 1936 nach Köln. 3638 StdA B, Stadt Bocholt, BEG-Akte 3 – 919 Selma Silberschmidt. 3639 NS-Dokumentationszentrum Köln, 23. Juni 2008. 3640 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke des Metz- germeisters Levi Silberschmidt, Bocholt, des Metzgermeisters Jakob Silberschmidt jr., Bocholt, [...] Blatt Nr. 766. U[rkunden]. R[olle]. Nr. 329 für 1939 Abänderung [zum Kaufvertrag vom 11. Januar 1939] vom 4. Mai 1939. 3641 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

BUCH DER ERINNERUNG | 387 Im Februar 1941 lebte Rudolf Silberschmidt mit seiner Mutter Selma im Haus Merwedeplein 8 II in Amsterdam3642. Wahrscheinlich am 28. September 1942 wurde Rudolf Silberschmidt aus dem polizeilichen Judendurchgangslager Westerbork in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert3643. Hier wurde er am 30. September 1942 ermordet3644. Seine Mutter Selma Silberschmidt überlebte als Untergetauchte die Zeit der deutschen Besetzung der Niederlande.

Am 25. Juni 1949 wies die Stadt Bocholt – Wiedergutmachungsstelle – das Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt – an, das „Grundstück: Bocholt, Osterstraße 5 – Flur 10 Par- zelle 707/132 u. 708/131, Blatt 766“ sicherzustellen3645. Am 20. November 1950 wurde in das Grundbuch eingetragen: „Frau Selma Silberschmidt geb. Berg in Newton (Mass.) USA hat den Anspruch auf Rückerstattung des Grundstücks auf Grund des Rückerstattungsgesetzes angemeldet.“3646 In einem Vergleich vor dem Wiedergutmachungsamt bei dem Landgericht Münster vom 14. Dezember 1951 hieß es: „[...] der Antragsgegner […] hat den Anspruch der Antragstellerin auf Rückerstattung des Grundstücks anerkannt. […] Sie verzichten weiter auf alle Ansprüche wegen des vom Antragsgegner seinerzeit übernommenen Mobiliars des Julius Silberschmidt.“ Ebenso wurde vereinbart, dass der neue Eigentümer der Witwe von Rudolf Silberschmidt 9.000,00 DM zu zahlen hatte3647. An Rudolf Silberschmidt erinnert in der Euskirchener Straße 36 in Köln-Sülz ein Stolperstein3648.

Ernst Speyer geboren am 23. Februar 1884 in Soest ermordet nach dem 15. Dezember 1941 im Ghetto Riga3649

Ernst Speyer wurde am 23. Februar 1884 in Soest geboren3650. Er war 1932 stellvertre- tender Repräsentant der israelitischen Gemeinde Soest3651. Ernst Speyer meldete sich – als Ernst Israel Speyer3652 – und seine Frau  Käthe Sara (geb. Wolff, * 3. April 1892,

3642 JHM A, Joodsmonument, p. 510508. 3643 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlan- den. In ebd., Namenverzeichnis Nr. 961529 wird kein exaktes Deportationsdatum genannt. 3644 JHM A, Joodsmonument, p. 510508; so auch die Information in Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Gedenkblatt von Alex Salm, Wegberg, vom 12. März 1999. 3645 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten […] über die Grundstücke des Metzgermeisters Levi Silber- schmidt zu Bocholt, des Metzgermeisters Jakob Silberschmidt jr zu Bocholt […] Band -, Blatt Nr. 766, Seite 87, Stadt Bocholt – Wiedergutmachungsstelle – an das Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt, 25. Juni 1949. 3646 Ebd., Grundbuchtabelle. 3647 Ebd., Vergleich vor Wiedergutmachungsamt bei dem Landgericht Münster vom 14. Dezember 1951, Seite 87. 3648 http://www.museenkoeln.de/ns-dok/default.asp?s=763&tid=&kontrast=&schrift=&buchstabe=S&id=1439. 3649 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 972580. Ernst Speyer wurde zunächst am 10. Oktober 1947 (Az.: II 11 14/1947) durch das Amtsgericht Bocholt zum 8. Mai 1945 für tot erklärt. Nach der eidesstattli- chen Erklärung von Emmi Apfel, New York, USA, vom 3.Juli 1951 (Amtsgericht Bocholt, Abt. 5, Toderklärungs- akte Speyer/Steinberg, 5 II 79-82/51, Blatt 14) wurde Ernst Speyer Anfang 1943 in Riga ermordet. 3650 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3651 Jüdische Nachbarn in Soest bis 1942. Ein Stadtrundgang. Zusammengestellt im Auftrag des Vereins für Geschich- te und Heimatpflege Soest von Ulrike Sasse-Voswinkel und Gerhard Köhn, Soest 2001, S. 41. 3652 Die Verfolgung der jüdischen Mitbürger in Soest während des Dritten Reiches. Eine Dokumentation. Zusammen- gestellt von Burkhard Köhn. Veröffentlichung des Stadtarchivs Soest, Heft 8, Soest 1979, S. 92. StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

388 | BUCH DER ERINNERUNG Dortmund – ermordet am 31. Dezember 1944, Konzentrationslager Stutthof3653) am 15. August 1941 aus Soest, Hoher Weg 83654, in die Schwartzstraße 14 in Bocholt an3655. Am 13. Oktober 1941 folgten ihnen aus Berlin-Wilmersdorf kommend Tochter  Edith Steinberg (geb. Speyer, * 1. Oktober 1916, Soest – ermordet nach dem 1. Oktober 1944, Konzentrationslager Stutthof3656) und Schwiegersohn  Bernhard Steinberg (* 31. Juli 1902, Berlin – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, vor dem 1. November 1943, Ghetto Riga3657).

Angelika Löwenstein (geb. Knappertsbusch, * 6. März 1877, Wieden (heute: Wülfrath) – 26. August 1960, Düsseldorf) erinnerte sich an den Einzug der Familien Speyer und Steinberg in ihr Haus Schwartzstraße 14: „Ich wurde seinerzeit gezwungen, eine Reihe von jüdischen Familien in mein Haus aufzunehmen und wir hatten große Raumnot. Auf Bitten meines Mannes erklärte sich Herr Fehler ohne weiteres bereit, zwei Kisten, in denen u.a. wertvolles Porzellan war, bei sich unterzustellen. Die Kisten haben von Sommer [1941 an] dort gestanden. Die Besitzer wurden am 10. Dezember 1941 deportiert. Die Kisten wurden später vom Finanzamt abgeholt. Es war natürlich zur damaligen Zeit mit Gefahren verbunden, jüdisches Eigentum unterzustellen. Die Eigentümer der Kisten mussten damals ange- ben, wo ihr Eigentum untergestellt war, und haben auch den Unterstellort bei Fehler angegeben.“ (Angelika Löwenstein in einer Zeugenaussage vor dem Landgericht Münster am 15. November 19553658)

Am 10. Dezember 1941 wurde Ernst Speyer auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei mit insgesamt 24 weiteren Bocholter Juden, darunter seine Frau  Julie (Käthe) Speyer, seine Tochter  Edith Adele Steinberg und sein Schwiegersohn  Bernhard Steinberg, nach Münster gebracht. Danach wurde auf der Einwohnermeldekartei der Eheleute Speyer eingetragen: „10.12.41 n. Riga/Lettland.“3659 Anders als bei fast allen übrigen deportierten Bocholtern jüdischen Glaubens wurde dieser Vermerk trotz der entsprechenden Anordnung der Staatspolizeileitstelle Münster vom 18. Juli 1942 nicht gelöscht3660.

Aus Münster wurde Ernst Speyer am 13. Dezember 1941 in das Ghetto Riga depor- tiert3661. Über Ernst Speyer gab es nach der Ankunft in Riga keine offizielle Nachricht mehr3662.

Emmi Apfel, eine ebenfalls nach Riga deportierte Bekannte des Ehepaars Speyer, erklärte in einer eidesstattlichen Versicherung am 24. Mai 1952, dass Ernst Speyer Anfang 1943 in Riga an Hungertyphus gestorben sein soll. Dieses Datum wurde auch im Beschluss des Amtsgerichts Bocholt vom 24. April 1953 übernommen3663.

3653 Vgl. Biogramm S. 390. 3654 Die Verfolgung der jüdischen Mitbürger in Soest während des Dritten Reiches, S. 92. 3655 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3656 Vgl. Biogramm S. 405. 3657 Vgl. Biogramm S. 303. 3658 StdA B, Nachlass Josef Fehler, Zeugenaussage von Angelika Löwenstein vom 3. November 1955 im Prozess Fehler und Andere gegen das Land NRW vor der 2. Entschädigungskammer des Landgerichts Münster, Aktenzeichen 90 (Entsch.) 66/54 -. 3659 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3660 Nacke, S. 170. 3661 Vgl. S. 110. 3662 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 972580. 3663 Amtsgericht Bocholt, Abt. 5, Toderklärungsakte Speyer/Steinberg, 5 II 79-82/51, Blatt 53f., Toderklärung vom 24. Mai 1953.

BUCH DER ERINNERUNG | 389 Seine Frau  Käthe Speyer lebte noch, als das Konzentrationslager Kaiserwald bei Riga im Spätsommer 1944 aufgelöst wurde und die Überlebenden in das Konzentra- tionslager Stutthof deportiert wurden. Am 31. Dezember 1944 wurde sie in Stutthof umgebracht3664.

Die Namen von Ernst und  Käthe Speyer sowie seiner Tochter  Edith Adele Steinberg und seines Schwiegersohns  Bernhard Steinberg sind auf der Gedenktafel in der Gedenkstätte für die ehemalige Bocholter Synagoge verzeichnet3665.

Käthe Speyer geborene Wolff geboren am 3. April 1892 in Dortmund ermordet am 31. Dezember 1944 im Konzentrationslager Stutthof3666

Käthe Sara Speyer, wie sie in der Bocholter Einwohnermeldekartei verzeichnet ist, oder „Julie (Käthe3667) Speyer“ (wie sie in der rekonstruierten Deportationsliste3668 genannt wird) wurde am 3. April 1892 in Dortmund als Käthe Wolff geboren3669.

Am 15. August 1941 zog sie mit ihrem Mann  Ernst Speyer (* 23. Februar 1884, Soest – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, Ghetto Riga3670) in Bocholt zu3671.

Dem Ehepaar wurde ein Zimmer im Haus Schwartzstraße 14 angewiesen. Das Haus gehörte der katholischen Frau von Albert Löwenstein, Angelika (geb. Knappertsbusch, * 6. März 1877, Wieden/Ruhr – 26. August 1960, Düsseldorf3672). Dennoch war es faktisch ein sog. Judenhaus geworden.

Dort zog am 13. Oktober 1941 auch ihre Tochter  Edith Steinberg (geb. Speyer, * 1. Oktober 1916, Soest – ermordet nach dem 1. Oktober 1944, Konzentrationslager Stutt hof3673) mit ihrem Mann  Bernhard Steinberg (* 31. Juli 1902, Berlin – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, Ghetto Riga3674) zu.

3664 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 972619. 3665 Vgl. S. 133. 3666 Emmi Apfel, eine ebenfalls in Riga inhaftierte Bekannte der Eheleute Speyer, behauptet in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 3. Juli 1951 (Amtsgericht Bocholt, Abt. 5, Toderklärungsakte Speyer/Steinberg, Az.: II 79- 82/51, Blatt 14), dass Julie Käthe Speyer bei der Auflösung des Ghettos Riga Selbstmord begangen hat. Käthe Speyer war zunächst durch Beschluss des Amtsgerichts Bocholt 10. Oktober 1947 (Ebd., Az.: II 11 14/1947, Blatt 53 f.) auf den 8. Mai 1945, 24.00 Uhr für tot erklärt worden. 3667 Der Zweitname Käthe wird auch in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 974234 genannt. 3668 StdA Ms, Stadtregistratur, Fach 36, Nr. 18 f. Liste des Wiedergutmachungsamtes der Stadt Münster über die 403 Juden, die am 13. Dezember 1941 nach Riga deportiert wurden. 3669 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3670 Vgl. Biogramm S. 388. 3671 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3672 Ebd. 3673 Vgl. Biogramm S. 405. 3674 Vgl. Biogramm S. 403.

390 | BUCH DER ERINNERUNG Angelika Löwenstein sagte hierüber aus: „Ich wurde seinerzeit gezwungen, eine Reihe von jüdischen Familien in mein Haus aufzunehmen und wir hatten große Raumnot. Auf Bitten meines Mannes erklärte sich Herr Fehler ohne weiteres bereit, zwei Kisten, in denen u. a. wertvolles Porzellan war, bei sich unterzustellen. Die Kisten haben von Sommer [1941 an] dort gestanden. Die Besitzer wurden am 10. Dezember 1941 deportiert. Die Kisten wurden später vom Finanzamt abgeholt. Es war natürlich zur damaligen Zeit mit Gefahren verbunden, jüdisches Eigentum un- terzustellen. Die Eigentümer der Kisten mussten damals angeben, wo ihr Eigentum untergestellt war, und haben auch den Unterstellort bei Fehler angegeben.“ (Angelika Löwenstein in einer Zeugenaussage vor dem Landgericht Münster am 15. November 1955 3675)

Am 18. November 1941 erließ die Staatspolizeileitstelle Münster, u. a. an den Ober- bürgermeister Bocholt, die Aufforderung, dass 26 Juden am 10. Dezember 1941 nach Münster zu bringen seien. Von dort aus würden sie „nach dem Osten“ deportiert3676. Unter ihnen war auch Käthe Speyer.

Am 10. Dezember 1941 wurde Käthe Speyer auf Anordnung der Geheimen Staatspo- lizei mit insgesamt 24 weiteren Bocholter Juden nach Münster gebracht. Hierunter waren auch ihr Mann  Ernst Speyer, ihre Tochter  Edith Adele Steinberg und ihr Schwiegersohn  Bernhard Steinberg3677.

Danach wurde auf der Einwohnermeldekartei der Eheleute Speyer eingetragen: „10.12.41 n. Riga/Lettland“. Anders als bei fast allen übrigen deportierten Bocholtern jüdischen Glaubens wurde dieser Vermerk trotz der entsprechenden Anordnung der Staats polizeileitstelle Münster vom 18. Juli 1942 nicht gelöscht. Er sollte durch den Ein- trag „nach unbekannt verzogen (ausgewandert)“ ersetzt werden3678.

Aus Münster wurden die Eheleute Speyer am 13. Dezember 1941 in das Ghetto Riga deportiert, wo Käthe Speyers Mann  Ernst und ihr Schwiegersohn  Bernhard Steinberg ermordet wurden.

Käthe Speyer lebte noch, als das Konzentrationslager Riga-Kaiserwald im Sommer 1944 aufgelöst wurde und die überlebenden Eingesperrten in das Konzentrationslager Stutthof bei Danzig gebracht wurden. Sie wurde am 1. Oktober 1944 nach Stutthof deportiert und dort am 31. Dezember 1944 ermordet3679. Ihre Tochter  Edith Steinberg wurde ebenfalls am 1. Oktober 1944 nach Stutthof deportiert und dort ermordet.

Die Namen von Käthe Speyer und ihrem Ehemann  Ernst sowie ihrer Tochter  Edith Steinberg und ihrem Schwiegersohn  Bernhard Steinberg sind auf der Gedenktafel in der Gedenkstätte für die ehemalige Bocholter Synagoge verzeichnet3680.

3675 StdA B, Nachlass Josef Fehler, Zeugenaussage von Angelika Löwenstein vom 3. November 1955 im Prozess Fehler und Andere gegen das Land NRW vor der 2. Entschädigungskammer des Landgerichts Münster – Aktenzeichen 90 (Entsch.) 66/54 -. 3676 Vgl. S. 109. 3677 Vgl. S. 110. 3678 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; Nacke, Aloys: Judendeportation im Kreis Borken, in: Hei- matverein Vreden, S. 170. 3679 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 972619; nach der eidesstattlichen Erklärung von Emmi Apfel vom 3. Juli 1951 (Amtsgericht Bocholt, Abt. 5, Toderklärungsakte Speyer/Steinberg, Az.: II 79-82/51, Blatt 14) sollen Julie Käthe Speyer und Edith Adele Steinberg vor der Auflösung des Ghettos Riga vor ihrer in Aussicht genommenen Deportation nach Auschwitz Selbstmord verübt haben . Dies ist jedoch definitiv nicht möglich, da beide Frauen in den Häftlingsakten des Konzentrationslagers Stutthof genannt werden. 3680 Vgl. S. 133.

BUCH DER ERINNERUNG | 391 Amalie Spier geboren am 27. Juni 3681 1874 in Bocholt ermordet am 11. Februar 1943 im Ghetto eresienstadt

Amalie Spier wurde am 27. Juni 1874 als Tochter von Sophia (geb. Levy, * 16. Dezember 1830, Duisburg – 28. Februar 1908, Bocholt3682) und Isaac Spier (* 11. April 1829, Bocholt – 16. Februar 1920, Bocholt3683) im Haus Nr. 130 (heute: Neustraße) geboren3684. Ihre Eltern hatten am 1. November 1862 in Duisburg geheiratet3685.

Ihr Vater, Isaac Spier, war von 1866 – 1896 der erste vereidigte jüdische Lehrer an der isra elitischen Schule in Bocholt3686. Zuvor war er seit 1858 Lehrer an der jüdischen Schule in Duisburg-Ruhrort gewesen3687.

Amalie Spier hatte vier Geschwister: – Berthold Baer (* 5. März 1864, Ruhrort (heute Duisburg) – 3688)  Bertha Bella Davids (geb. Spier, * 19. März 1865, Ruhrort (heute: Duisburg) – ermor- det am 14. September 1942, Ghetto eresienstadt3689) – Abraham Adolf (* 20. Juni 1866 – 3690) – Ida (* 14. März 1868, Bocholt – 29. Dezember 1927, Bocholt3691).

1890/91 lebte Amalie Spier in Emmerich3692. Sie betrieb später in Bocholt im Haus Königstraße 4 zusammen mit ihrer Schwester Ida unter dem Namen „A. & J. Spier” ein Geschäft für „Handarbeiten, Wäsche, Wollwaren”, außerdem verkaufte sie „ganze Aussteuern.”3693

Am 4. November 1919 wurde das Grundstück Königstraße 4 – Parzellen Flur Nrn. 771/226 und 772/227 – im Rahmen einer Zwangsversteigerung durch die Firma A. & J. Spier erworben3694. Amalie Spier war zusammen mit ihrer ebenfalls unverhei- rateten Schwester Ida Eigentümerin eines Weißwarengeschäftes und des Grundstücks Königstraße 43695. Im Verzeichnis der „Handel- und Gewerbetreibenden“ wurde das Ge- schäft als „Wäschehandlung A + J Spier“ mit der Fernsprechnummer 704 aufgeführt3696.

3681 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; nach BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 973078 war Amalie Spier am 24. Juni 1874 geboren geworden. 3682 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3683 Ebd. 3684 Personenstandsregister, S. 76. 3685 Geschichte der Duisburger Juden, Band 34.2, S. 506. 3686 Vgl. S. 28. 3687 Geschichte der Duisburger Juden, Band 34.2, S. 506. 3688 Berthold Baer Spier ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineverson, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als während der Shoah ermordet erwähnt. 3689 Vgl. Biogramm, S. 182. 3690 Geschichte der Duisburger Juden, Band 34.2, S. 506. Abraham Adolf Spier ist weder in BA, Gedenkbuch, Online- version, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als während der Shoah ermordet erwähnt. 3691 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3692 Personenstandsregister, S. 76. 3693 Einwohnerbuch 1926, S. 117. 3694 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten […] betreffend Grundstücke der Firma A. & J. Spier in Bo- cholt, [...] Band -, Blatt Nr. 1802, Grundbuchtabelle. 3695 Einwohnerbuch 1926, S. 117. 3696 Ebd.

392 | BUCH DER ERINNERUNG „In der Nacht vom 31. März Werbeanzeige der Firma A. & J. Spier. zum 1. April 1933 etwa in der (StdA B, ZSlg., Bochol- dritten Stunde wurden in dem ter Volksblatt, 5. März Geschäfte von Spier in der 1914) Königstraße zwei Schaufen- sterscheiben eingeschlagen.“ (Polizeibericht)3697

Amalie Spier zog am 6. April 1936 in das Haus Weberstraße 233698. Am 8. Mai 1936 wurde das Grundstück Königstraße 4, das nach dem Tod ihrer Schwester Ida 1927 Eigentum von Amalie Spier wurde, auf diese umgeschrieben3699. Der Geschäftsbetrieb kam wegen der antisemitischen Gesetze und der teilweise gewalttäti- gen Boykottmaßnahmen, vor allem der österreichischen SA-Männer aus dem SA-Hilfs- werklager im Stadtwald, im Laufe des Frühjahres 1936 immer mehr zum Erliegen.

Wohl deshalb vermietete Amalie Spier am 1. Dezember 1936 ihr Geschäft und das Haus Königstraße 4 an einen Bocholter Geschäftsmann rückwirkend zum 1. März 19363700. Am 16. Mai 1939 erwarb er das Grundstück3701.

Am 29. September 1938 war Amalie Spier nach Krefeld-Uerdingen, Südwall 54, gezo- gen3702. Am 18. Juli 1941 musste sie dort in die Elisabethstraße 132 umziehen, später in die Bismarckstraße 58. Ihr letzter Umzug erfolgte am 22. Juni 1942 in das sog. Juden- haus Mariannenstraße 463703.

Von dort wurde Amalie Spier – wie 222 andere ältere Menschen jüdischen Glaubens – am 24. Juli 1942 von Stapo-Beamten aus Krefeld zur „Sammelstelle“ im Schlachthof nach Düsseldorf gebracht3704.

Am 25. Juli 1942 wurde sie von dort mit dem Transport VII/2 mit 979 Menschen jüdischen Glaubens in das Ghetto eresienstadt deportiert3705, das sie am nächsten Tag erreichten3706. Amalie Spier trug die Transportnummer 8953707.

3697 StdA B., SBOH 2 Nr. 1012. Tumultschadenssache Seif. Polizeibericht Bocholt [vom 30., 31. März und 1. April 1933] in: Schreiben der Geschäftsstelle des Reichswirtschaftsgerichts vom 17. Mai 1934 – 1. S. XVII. 6/34. – an die Stadtgemeinde Bocholt. 3698 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3699 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten […] betreffend Grundstücke der Firma A. & J. Spier in Bo- cholt, [...] Band -, Blatt Nr. 1802, Seite 30. 3700 Ebd., Seite 34. 3701 Ebd., Seite 45, Auflassungsvermerk vom 16. Mai 1939. 3702 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3703 Dr. Ingrid Schupetta, NS-Dokumentationsstätte Villa Merfelder, Krefeld, 17. September 2008. 3704 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 3705 eresienstädter Gedenkbuch, S. 63. 3706 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 137263. 3707 http://109.123.214.108/de/victims/PERSON.ITI.650170.

BUCH DER ERINNERUNG | 393 „Betrachtet man die näheren Umstände dieser Altendeportationen, so dürften bei diesen Menschen mögliche Illusionen schnell geschwunden sein. Es wurden zum Beispiel die 223 Seniorinnen und Senioren aus Krefeld (zumindest zum Teil) mit LKWs abgeholt und am Bahnhof von Polizeibeamten, insbesondere den Mitarbeitern der Krefelder Gestapo, zu einer Gruppe zusammengestellt. Am späten Nachmittag des 24. Juli 1942 ging es mit einem normalen Personenzug nach Düsseldorf. Die Nacht verbrachten die Krefelder aber, gemeinsam mit den aus den anderen Orten eintreffenden Leidens- gefährten, in der Schlachthofhalle. Bevor es am Mittag des nächsten Tages in den Zug ging, nahm man ihnen die letzten Besitztümer ab. Planmäßig blieb die Zeit zwischen 11.34 Uhr (Ankunft Düsseldorf-Derendorf) und 13.15 (Abfahrt) zum Beladen des Zuges. Auch der Zug Da 71 von Aachen über Düsseldorf nach Bauschowitz bei eresienstadt bestand aus Personenwaggons. Nur die von der Gestapo bestimmte jüdische Transportleitung durfte sich frei im Zug bewegen. Die Fahrt dauerte gut zweiundzwanzig Stunden.“ (Ingrid Schupetta3708)

Amalie Spier wohnte zuletzt im Gebäude L 11 b, Zimmer 033709. Am 11. Februar 1943 wurde Amalie Spier im Ghetto eresienstadt ermordet3710. In der offiziösen Todes- fallanzeige vom gleichen Tag, unterzeichnet von einem Lagerarzt, wird der Todeszeit- punkt auf 14.00 Uhr festgelegt. Bei ihr wird als Todesursache eine Lungenentzündung attestiert3711. Tatsächlich dürfte Helene Amalie Spier den unmenschlichen und unzu- reichenden Umständen, die auch im Ghetto von eresienstadt herrschten, zum Opfer gefallen sein3712.

Nur 61 der deportierten Menschen überlebten das Ghetto3713. Der Kreisbeauftragte für gesperrte Vermögen beim Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Coesfeld, wies am 12. April 1951 das Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt – an: „Für den obigen Grundbesitz [,...] früherer Eigentümer Amalie Spier [...,] ist bei dieser Dienststelle ein Rückerstattungsanspruch geltend gemacht worden. Sie werden daher um die Eintragung eines Sperrvermerkes in die Sperrliste gebeten. [...]“3714

Am 27. April 1951 wies das Wiedergutmachungsamt beim Landgericht Münster das Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt – an: „Kurt Bernhard Frankfurter zu Wincester (England) […] als augenblicklicher Erbe der früheren Eigentümerin [hat] den Anspruch auf Rückerstattung der Grundstücke auf Grund des Rückerstattungsgesetzes angemel- det […]“ ist in das Grundbuch einzutragen3715.

Über das Ergebnis des Wiedergutmachungsverfahrens gibt die Grundakte keinen Auf- schluss.

3708 Schupetta, Dr. Ingrid, NS-Dokumentationsstätte Villa Merfelder, Krefeld, 17. September 2008. 3709 Patmatnik Terecin, Terecin, an Hermann Oechtering, Bocholt, 29. August 2011. Todesfallanzeige vom 11. Februar 1943. 3710 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 973078; eresienstädter Gedenkbuch, S. 456. 3711 Patmatnik Terecin, Terecin, an Hermann Oechtering, Bocholt, 29. August 2011. Todesfallanzeige vom 11. Februar 1943. 3712 Ebd. vom 15. September 1942. 3713 eresienstädter Gedenkbuch, S. 63. 3714 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten der Firma A. & J. Spier in Bocholt, […], Band -, Blatt Nr. 1802, Kreisbeauftragter für gesperrte Vermögen beim Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Coesfeld, an das Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt -, 12. April 1951, Blatt 94. 3715 Ebd., Wiedergutmachungsamt beim Landgericht Münster an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt -, 27. April 1951, Blatt 95.

394 | BUCH DER ERINNERUNG David Spier geboren am 30. April 1894 in Aalten/Niederlande ermordet am 31. März 1944 im Vernichtungslager Auschwitz

David (oder David Jacob3716) Spier wurde am 30. April 1894 in Aalten/Niederlande als Sohn des Viehhändlers Jacob Spier (* 16. Juli 1872, Gendringen/Niederlande – 13. Februar 1931, Bocholt3717) und seiner Ehefrau Jetta (geb. Levy, * 5. Mai 1868, Doetinchem/Nie- derlande – vor August 1938, Amsterdam/Niederlande3718) geboren3719. Sie hatten am 13. Dezember 1893 in Doetinchem geheiratet3720.

Am 7. Januar 19103721 zog David Spier mit seinen Eltern und folgenden Geschwistern nach Bocholt:  Helene (* 18. Oktober 1898, Aalten/Niederlande – ermordet am 4. Juni 1943, Vernichtungs lager Sobibor3722)  Sofia Lopes Dias (geb. Spier, * 26. Juli 1901, Aalten/Niederlande – ermordet am 21. Mai 1943, Vernichtungslager Sobibor3723)  Rebekka Hiegentlich (geb. Spier, * 6. Oktober 1903, Aalten/Niederlande – ermordet am 4. Juni 1943, Vernichtungslager Sobibor3724 )  Henri (* 7. Juni 1905, Aalten/Niederlande – ermordet am 30. November 1943, Ghetto Dorohusk3725)  Salomon (* 21. Juni 1906, Aalten/Niederlande – ermordet am 17. Februar 1945, Konzentrations lager Mauthausen3726).

David Spier wohnte zunächst im Haus Dinxperloer Straße 4183727. In der Einwohner- meldekartei ist als Beruf „Kaufmann“ eingetragen3728.

Im Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogen- gemeinde Bocholt vom 7. Mai 1919 wurde er als „Metzger“ bezeichnet3729, 1925 als „Pferdehändler“3730. Am 5. November 1927 zog die Familie, also auch er, in das Haus

3716 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; nach BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 973105, und nach JHM A, Joodsmonument, p. 484964 führte David Spier den Zweitnamen Jacob. Im Stadtar- chiv Dinslaken (Mitteilung vom 19. Juni 2012) ist ebenfalls David J. vermerkt. 3717 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3718 Ebd.; Jetta Spier meldete sich am 2. September 1937 nach Amsterdam/Niederlande ab, wo sie vor August 1938 gestorben sein muss, da sie im Vertrag über den Verkauf des Hauses Dinxperloer Straße 29 vom 30. August 1938 (Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke [...], Band 150, Blatt 3872, Seite 1) nicht genannt wird. In einem Schreiben des Rechtsanwalts Glaeser, Amsterdam, an Amts- gericht Bocholt Grundbuchabteilung (a. a. O., S. 24) vom 26. Juni 1952 schreibt dieser: „Jacob Spier soll bereits in 1933 verstorben sein, während die Ehefrau mit ihrem Sohn David 1938 emigrierte. Letztere beiden sind von Holland aus deportiert und nicht mehr zurückgekehrt.“ Auf die Ermordung von Jetta Spier gibt es in anderen Quellen keinerlei Hinweise. 3719 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3720 http://www.bnnch.net/html/dutch/noach/prvnshtml/frame.htm. 3721 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3722 Vgl. Biogramm S. 397. 3723 Vgl. Biogramm S. 264. 3724 Vgl. Biogramm S. 230. 3725 Vgl. Biogramm S. 399. 3726 Vgl. Biogramm S. 401. 3727 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3728 Ebd. 3729 Ebd., SBOH 2 Nr. 1007. Wahl des Vorstandes und der Repräsentanten der Synagogengemeinde 1916–1935. Ver- zeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt vom 7. Mai 1919. 3730 Ebd., Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt vom 21. Oktober 1925.

BUCH DER ERINNERUNG | 395 Dinxperloer Straße 293731. Das Haus hatte sein Vater, der „Pferde- händler Jakob Spier, Kreuzstraße“ am 30. November 1926 gekauft3732.

Nach dem Tod des Vaters Jacob Spier am 13. Februar 1931 über- nahm Sohn David Spier die Pfer- demetzgerei seines Vaters und entwickelte sie unter dem Firmen- Werbeanzeige der namen „Spier J. Inh. David Spier“ 3733 väterlichen Firma zu einer Fleischimportfi rma . Jakob Spier. (StdA B, ZSlg., Am 26. Juli 19343734 heiratete Bocholter Volksblatt, David Spier in Dinslaken  Ilse 30. Januar 1919) (geb. Stahl, * 19. Juni 1912, Dins- laken – ermordet am 3. September 1943, Vernichtungslager Auschwitz3735). Sie meldete sich am 30. August 1934 zu ihrem Mann in das Haus Dinxperloer Straße 29 in Bocholt an3736.

Am 11. August 1938 meldete David Spier seine Fleischimportfi rma bei der Stadtverwal- tung Bocholt ab3737, weil er nach Amsterdam/Niederlande verziehen wollte.

Am 30. August 1938 verkaufte der „Kaufmann David Spier zu Bocholt, Dinxperloer Straße 29, handelnd für sich und die Miterben des verstorbenen Jakob[sic] Spier, nämlich – Helene Spier (Dinxperloer Str. 29) – Sofi a Spier, geschiedene Frau Dias [sic] zu Amsterdam – Rebekka (genannt Recha) Spier, jetzt Frau Hermann Hiegentlich – Henri Spier zu Amsterdam – Salomon Spier zu Amsterdam […]“ das Haus Dinxperloer Straße 29, das unter Zwangsvollstreckungsvorbehalt stand3738.

Damals befanden sich seine Geschwister, bis auf seine bei ihm wohnende unverheiratete Schwester  Helene, schon in den Niederlanden3739.

Eine auf David Spier lautende Vollmacht für die Verkaufsverhandlung wurde am 15. August 1938 von  Sofi a Spier,  Rebekka Hiegentlich,  Henri Spier und  Salomon Spier durch den deutschen Generalkonsul in Amsterdam beglaubigt3740.

Einer Übersicht über die von den Bocholter Juden durch die Stadtverwaltung eingezo- genen Legitimationskarten, die zum ambulanten Handel berechtigten, vom 12. Okto-

3731 Ebd., verfi lmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3732 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des königlichen Amtsgerichts Bocholt, Eigentümer: [... ] Pferdehändler Jakob Spier zu Bocholt, Band 104, Blatt Nr. 26, Kaufvertrag vom 30. November 1926 zwischen dem Händler Wilhelm Buss, genannt Swanekamp, Dinxperloer Straße 29 und dem Pferdehändler Jakob Spier, Kreuzstraße, S. 123 f. 3733 StdA B, 57 K 102 – ohne Titel -. Verzeichnis der jüdischen Gewerbebetriebe in Bocholt [vom Sommer 1938]. 3734 Ebd., verfi lmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3735 Vgl. Biogramm S. 400. 3736 StdA B, verfi lmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3737 Ebd., 57 K 101 – ohne Titel -. Verzeichnis der jüdischen Gewerbebetriebe in Bocholt [vom Sommer 1938]. 3738 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakte [...] Band 150, Blatt 3872, Vertrag vom 30. August 1938, Blatt 1. 3739 Ebd. 3740 Ebd., Vollmacht der Geschwister Spier vom 15./30. August 1938. Blatt 6.

396 | BUCH DER ERINNERUNG ber 1938, war zu entnehmen, dass „Spier, David, Dinxperloerstr. 29“ seine Karte „nicht abgegeben“ hatte. Der Grund ist in einer Notiz festgehalten: „Spier ist am 10.9.38 nach Amsterdam in Holland verzogen.“3741

David Spier meldete sich mit seiner Frau  Ilse an diesem Tag nach Amsterdam ab3742. Im Februar 1941 wohnten die Eheleute dort in der Uithornstraat 93743.

Im Spätsommer 1943 wurden die Eheleute in Amsterdam verhaftet, im polizeilichen Judendurchgangslager Westerbork interniert und von dort in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert3744.  Ilse Spier wurde dort am 3. September 1943 ermordet3745, David Spier am 31. März 19443746.

Am 26. Juni 1952 wandte sich Rechtsanwalt Glaeser, Amsterdam, an das Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt. Er bat für „[…] die Erben von Jakob [sic] Spier und seiner Ehefrau Henriette Spier, geb. Levie [sic] […] um einen Grundbuchauszug“ für das Grund stück Dinxperloer Straße 29.3747 Der Kreisbeauftragte für gesperrte Vermögen beim Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Coesfeld, wies am 16. Juni 1952 das Amtsgericht Bocholt an, das Grundstück auf die Liste der gesperrten Grundstücke zu setzen3748.

In einem Vergleich vom 19. März 1953 vor dem Wiedergutmachungsamt bei dem Land- gericht Münster wurde entschieden, dass eine „Hypothek von 10.000 RM an Erben des Kaufmanns Sally Hertz“ zurückzuerstatten ist3749. Nachdem dies erfolgt war, teilte das Wiedergutmachungsamt bei dem Landgericht Münster dem Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt – am 24. Dezember 1953 mit: „[...] Die Sache ist durch Vergleich erledigt.“ 3750

Unterschrift von Helene Spier Helene Spier auf einer Vollmacht vom 15./30. August 1938. geboren am 18. Oktober 1898 in Aalten/Niederlande (Amtsgericht Bocholt, ermordet am 4. Juni 1943 im Vernichtungslager Sobibor Grundbuchamt, Grundakten Blatt 3872, Blatt 6) Helene (oder Helena Sophia3751) Spier wurde am 18. Oktober 1898 in Aalten/Nieder- lande als Tochter des Viehhändlers Jacob Spier (* 16. Juli 1872, Gendringen/Nieder- lande – 13. Februar 1931, Bocholt) und seiner Ehefrau Jetta (geb. Levy, * 5. Mai 1868,

3741 Ebd., Betr. Juden im ambulanten Gewerbe [...] 1938. Legitimationskarten. 3742 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3743 JHM A, Joodsmonument, p. 484965. 3744 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 973105. 3745 JHM A, Joodsmonument, p. 484963. 3746 Ebd., p. 484965. 3747 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten [...] über die Grundstücke [...], Band 150, Blatt 3872, Rechtsan- walt Glaeser, Amsterdam, an Amtsgericht Bocholt Grundbuchamt , 26. Juni 1952, Blatt 24. 3748 Ebd., Der Kreisbeauftragte für gesperrte Vermögen beim Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Coes- feld, an Amtsgericht Bocholt, 16. Juni 1952, Blatt 26. 3749 Ebd., Vergleich vor dem Wiedergutmachungsamt bei dem Landgericht Münster, 19. März 1953, Blatt 36. 3750 Ebd., Wiedergutmachungsamt bei dem Landgericht Münster an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt –, 24. Dezember 1953, Blatt 37. 3751 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; nach BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 973116, und nach JHM A, Joodsmonument, p. 501976 führte sie den Namen Helena Sophia.

BUCH DER ERINNERUNG | 397 Doetinchem/Niederlande – vor August 1938, Amsterdam/Niederlande3752) geboren. Ihre Eltern hatten am 13. Dezember 1893 in Doetinchem geheiratet3753. Zusammen mit ihren Eltern Jetta und Jacob Spier sowie den Geschwistern zog Helene Spier am 7. Januar 1910 nach Bocholt3754:

 David (* 30. April 1894, Aalten/Niederlande – ermordet am 31. März 1944, Vernich- tungslager Auschwitz3755 )  Sofia Lopes Dias (geb. Spier, * 26. Juli 1901, Aalten/Niederlande – ermordet am 21. Mai 1943, Vernichtungslager Sobibor3756)  Rebekka Hiegentlich (geb. Spier, * 6. Oktober 1903, Aalten/Niederlande – ermordet am 4. Juni 1943, Vernichtungslager Sobibor3757)  Henri (* 7. Juni 1905, Aalten – ermordet am 30. November 1943, Ghetto Doro- husk 3758)  Salomon (* 21. Juni 1906, Aalten – ermordet am 17. Februar 1945, Konzentrationslager Mauthausen3759).

Helene Spier wohnte zunächst im Haus Dinxperloer Straße 418, ab 23. Juni 1919 in der Kreuzstraße Nr. 329 (später: Nr. 32)3760. Dort wurde sie im Einwohnerbuch 1926 als „Haustochter“ bezeichnet3761. Am 5. April 1933 kam sie, ohne vorherige Abmeldung, aus Duisburg nach Bocholt zurück3762.

Am 30. August 1938 verkaufte ihr Bruder, der „Kaufmann David Spier zu Bocholt, Dinxperloer Straße 29, handelnd für sich und die Miterben des verstorbenen Jakob [sic] Spier, nämlich a) Helene Spier (Dinxperloer Str. 29) b) Sofia Spier, geschiedene Frau Dias [sic zu Amsterdam c) Rebekka Henriette (genannt Recha) Spier, jetzt Frau Hermann Hiegentlich d) Henri Spier zu Amsterdam e) Salomon Spier zu Amsterdam […]“ das Haus Dinxperloer Straße 293763.

Helene Spier wohnte also zu diesem Zeitpunkt noch in Bocholt, am 10. September 1938 verzog sie in die Niederlande3764. Im Februar 1941 wohnte sie im A.C. Wertheim-huis, Plantage Parklaan 15 in Amsterdam zusammen mit vielen vor den Nazis aus Deutsch- land in die Niederlande geflohenen Menschen jüdischen Glaubens3765. Sie war dort als Köchin tätig3766.

3752 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; Jetta Spier meldete sich am 2. September 1937 nach Amster- dam/Niederlande ab, wo sie vor August 1938 gestorben sein muss, da sie im Kaufvertrag des Hauses Dinxperloer Straße 29 vom 30. August 1938 (Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke [...], Band 150, Blatt 3872, Seite 1) nicht genannt wird. In einem Schreiben des Rechts- anwalts Glaeser, Amsterdam, an Amtsgericht Bocholt Grundbuchabteilung (a. a. O., S. 24) vom 26. Juni 1952 schreibt dieser: „Jacob Spier soll bereits in 1933 verstorben sein, während die Ehefrau mit ihrem Sohn David 1938 emigrierte. Letztere beiden sind von Holland aus deportiert und nicht mehr zurückgekehrt.“ Auf eine Ermordung von Jette Spier gibt es ansonsten keinerlei Hinweise. 3753 http://shum.huji.ac.il/~dutchjew/genealog/noach/index.htm. 3754 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3755 Vgl. Biogramm S. 395. 3756 Vgl. Biogramm S. 264. 3757 Vgl. Biogramm S. 230. 3758 Vgl. Biogramm S. 399. 3759 Vgl. Biogramm S. 401. 3760 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3761 Einwohnerbuch 1926, S. 117. 3762 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3763 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakte […] Band 150, Blatt 3872, Vertrag vom 15. Oktober 1938, Blatt 1. 3764 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3765 JHM A, Joodsmonument, p. 501976. 3766 Ebd.

398 | BUCH DER ERINNERUNG Vor dem 1. Juni 1943 wurde Helene Spier in Amsterdam verhaftet und in das polizei- liche Judendurchgangslager Westerbork verschleppt3767. Von dort aus wurde sie an diesem Tag mit 3006 Menschen jüdischen Glaubens in das Vernichtungslager Sobibor deportiert3768.

Am 4. Juni 1943, ihrem Ankunftstag in Sobibor, wurde sie ermordet3769.

Henri Spier geboren am 7. Juni 1905 in Aalten/Niederlande ermordet am 30. November 1943 im Ghetto Dorohusk Unterschrift von Henri Spier auf einer Henri (oder Henri Jacob3770) Spier wurde am 7. Juni 1905 in Aalten/Niederlande als Sohn Vollmacht vom 15./30. des Viehhändlers Jacob Spier (* 16. Juli 1872, Gendringen/Niederlande – 13. Februar August 1938. 1931, Bocholt) und seiner Frau Jetta (geb. Levy, * 5. Mai 1868, Doetinchem/Niederlande (Amtsgericht Bocholt, 3771 3772 Grundbuchamt, – vor August 1938, Amsterdam/Niederlande ) geboren . Seine Eltern hatten am 13. Grundakten Blatt 3773 Dezember 1893 in Doetinchem geheiratet . 3872, Blatt 6)

Er kam zusammen mit seinen Eltern Jetta und Jacob Spier sowie den Geschwistern am 7. Januar 1910 nach Bocholt3774:  David (* 30. April 1894, Aalten/Niederlande – ermordet am 31. März 1944, Vernich- tungslager Auschwitz3775)  Helene (*18. Oktober 1898, Aalten/Niederlande – ermordet am 4. Juni 1943, Ver- nichtungslager Sobibor3776)  Sofia Lopes Dias (geb. Spier, * 26. Juli 1901, Aalten/Niederlande – ermordet am 21. Mai 1943, Vernichtungslager Sobibor3777)  Rebekka Hiegentlich (geb. Spier, * 6. Oktober 1903, Aalten/Niederlande – ermordet am 4. Juni 1943, Vernichtungslager Sobibor3778)  Salomon (* 21. Juni 1906, Aalten/Niederlande – ermordet am 17. Februar 1945, Konzentrations lager Mauthausen3779).

3767 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 973116. 3768 Ebd., Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlanden. 3769 JHM A, Joodsmonument, p. 501976. 3770 Nach JHM A, Joodsmonument, p. 484964 führte Henri Spier den Zweitnamen Jacob. 3771 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; Jetta Spier meldete sich am 2. September 1937 nach Amster- dam/Niederlande ab, wo sie vor August 1938 gestorben sein muss, da sie im Kaufvertrag des Hauses Dinxperloer Straße 29 vom 30. August 1938 (Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke [...], Band 150, Blatt 3872, Seite 1) nicht genannt wird. In einem Schreiben des Rechtsan- walts Glaeser, Amsterdam, an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchabteilung – (a. a. O., S. 24) vom 26. Juni 1952 schreibt dieser: „Jacob Spier soll bereits in 1933 verstorben sein, während die Ehefrau mit ihrem Sohn David 1938 emigrierte. Letztere beiden sind von Holland aus deportiert und nicht mehr zurückgekehrt.“ Auf eine Ermordung von Jetta Spier gibt es ansonsten keinerlei Hinweise. 3772 http://www.bnnch.net/html/dutch/noach/prvnshtml/frame.htm. 3773 Ebd. 3774 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3775 Vgl. Biogramm S. 395. 3776 Vgl. Biogramm S. 397. 3777 Vgl. Biogramm S. 264. 3778 Vgl. Biogramm S. 230. 3779 Vgl. Biogramm S. 401.

BUCH DER ERINNERUNG | 399 In der Familie wurde Henri Spier „Harry“ genannt3780. Er wohnte zunächst im Haus Dinxperloer Straße Nr. 418, am 15. April 1916 zog er nach Kleve. Von dort am 9. Juli 1921 zurückgekommen, zog er wieder in die Dinxperloer Straße 29 zu3781. Henri Spier war Kaufmann3782.

Henri Spier meldete sich am 10. September 1938 aus Bocholt nach Amsterdam ab3783. Auch seine Geschwister zogen in die Niederlande. Im Februar 1941 wohnte Henri Spier in Amsterdam, Uithornstraat 93784. Hier wurde er im Spätsommer 1943 verhaftet und im polizeilichen Judendurchgangslager Westerbork inhaftiert.

Henri Spier, der zu einem nicht bekannten Zeitpunkt aus Westerbork nach Auschwitz deportiert worden war, wurde von dort weiter in das Ghetto Dorohusk deportiert. Dorohusk war ein Außenlager des Vernichtungslagers Majdanek. Im Ghetto Dorohusk wurde Henri Spier am 30. November 1943 ermordet3785.

Ilse Spier geborene Stahl geboren am 19. Juni 1912 in Dinslaken ermordet am 3. September 1943 im Vernichtungslager Auschwitz

Ilse Stahl wurde am 19. Juni 1912 in Dinslaken geboren. Ihre Eltern waren Sally Stahl und dessen Frau Sofie (geb. Moses). Die Familie wohnte in der Bismarckstraße 613786.

Am 26. Juli 19343787 heiratete sie in ihrer Heimatstadt Dinslaken den aus Bocholt stam- menden  David Spier (* 30. April 1894, Aalten/Niederlande – ermordet am 31. März 1944, Vernichtungslager Auschwitz3788). Die Ehe blieb kinderlos.

Am 30. August 1934 meldete sie sich zu ihrem Mann in das Haus Dinxperloer Straße 29 in Bocholt3789 um. Ilse Spier meldete sich gemeinsam mit ihrem Mann  David am 10. September 1938 nach Amsterdam/Niederlande ab3790. Im Februar 1941 wohnten sie dort in der Uithornstraat 93791.

3780 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke [...], Band 150, Blatt 3872, Seite 6, Vollmacht der Geschwister Spier vom 15./30. August 1938. 3781 Ebd. 3782 JHM A, Joodsmonument, p. 484964. 3783 StdA B., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3784 JHM A, Joodsmonument, p. 484964. 3785 Ebd. 3786 StdA Dinslaken, 23. Juni 2009. 3787 Ebd. 3788 Vgl. Biogramm S. 395. 3789 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3790 Ebd.; nach BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 973141 soll Ilse Spier am 14. Juni 1939 in die Niederlande emigriert sein. 3791 JHM A, Joodsmonument, p. 484965.

400 | BUCH DER ERINNERUNG Im Spätsommer 1943 wurde das Ehepaar in Amsterdam verhaftet, im polizeilichen Judendurchgangslager Westerbork interniert und von dort in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert3792.

Ilse Spier wurde dort am 3. September 1943 ermordet3793,  David Spier am 31. März 19443794.

Unterschrift von Salomon Spier auf Salomon Spier einer Vollmacht vom 15./30. August 1938. (Amtsgericht Bocholt, geboren am 21. Juni 1906 in Aalten/Niederlande Grundbuchamt, ermordet am 17. Februar 1945 im Grundakten Blatt Konzentrationslager Mauthausen 3872, Blatt 6)

Salomon (oder: Salomon Henry3795) Spier wurde am 21. Juni 1906 in Aalten/Nieder- lande als Sohn des Viehhändlers Jacob Spier (* 16. Juli 1872, Gendringen/Niederlande – 13. Februar 1931, Bocholt) und seiner Frau Jetta (geb. Levy, * 5. Mai 1868, Doetinchem/ Niederlande – vor August 1938, Amsterdam/Niederlande3796) geboren3797. Seine Eltern hatten am 13. Dezember 1893 in Doetinchem geheiratet3798.

Er kam zusammen mit seinen Eltern Jetta und Jacob Spier sowie den Geschwistern am 7. Januar 1910 nach Bocholt3799:  David (* 30. April 1894, Aalten/Niederlande – ermordet am 31. März 1944, Vernich- tungslager Auschwitz3800)  Helene (* 18. Oktober 1898, Aalten/Niederlande – ermordet am 4. Juni 1943, Vernichtungs lager Sobibor3801)  Sofia Lopes Dias (geb. Spier, * 26. Juli 1901, Aalten/Niederlande – ermordet am 21. Mai 1943, Vernichtungslager Sobibor3802)  Rebekka Hiegentlich (geb. Spier, * 6. Oktober 1903, Aalten/Niederlande – ermordet am 4. Juni 1943, Vernichtungslager Sobibor3803)  Henri (* 7. Juni 1905, Aalten/Niederlande – ermordet am 30. November 1943, Ghetto Dorohusk3804).

3792 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 973105. 3793 JHM A, Joodsmonument, p. 484963. 3794 Ebd., p. 484965. 3795 Nach BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 973253, und nach JHM A, Joodsmonument, p. 453850 führte Salomon Spier den Zweitnamen Henry. 3796 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; Jetta Spier meldete sich am 2. September 1937 nach Amster- dam/Niederlande ab, wo sie vor August 1938 gestorben sein muss, da sie im Vertrag über den Verkauf des Hauses Dinxperloer Straße 29 vom 30. August 1938 (Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke [...], Band 150, Blatt 3872, Seite 1) nicht genannt wird. In einem Schreiben des Rechtsanwalts Glaeser, Amsterdam, an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchabteilung – (a. a. O., S. 24) vom 26. Juni 1952 schreibt dieser: „Jacob Spier soll bereits in 1933 verstorben sein, während die Ehefrau mit ihrem Sohn David 1938 emigrierte. Letztere beiden sind von Holland aus deportiert und nicht mehr zurückgekehrt.“ Auf die Ermordung von Jetta Spier gibt es ansonsten keinerlei Hinweise. 3797 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3798 http://www.bnnch.net/html/dutch/noach/prvnshtml/frame.htm. 3799 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3800 Vgl. Biogramm S. 395. 3801 Vgl. Biogramm S. 397. 3802 Vgl. Biogramm S. 264. 3803 Vgl. Biogramm S. 230. 3804 Vgl. Biogramm S. 399.

BUCH DER ERINNERUNG | 401 Salomon Spier wohnte zunächst im Haus Dinxperloer Straße 418, am 15. April 1916 zog er nach Kleve. Von dort am 9. Juli 1921 zurückgekommen, zog er in die Dinxperloer Straße 29, wo seine Familie wohnte3805. Am 5. April 1938 zog Salomon Spier nach Nijmegen3806. 1941 wohnte er noch dort in der Snijderstraat 153807.

1944 wurde Salomon Spier in das österreichische Konzentrationslager Mauthausen de- portiert3808. Er wurde dort am 17. Februar 1945 ermordet3809.

Im Totenbuch von Mauthausen ist er wie folgt verzeichnet: „Herr Spier, Salamon [sic] (122131), aus: Niederlande, geboren: 21.6.1906, gestorben: 17.2.1945.“3810

Selma Spier geborene Goslar geboren am 27. Juni 1877 in Siegen ermordet am 25. November 1941 im Ghetto Kowno

Selma Goslar wurde am 27. Juni 1877 in Siegen geboren3811. Ihre Eltern waren Israel Goslar (verstorben am 16. März 1918, Siegen) und Emma (geb. Bernthalm, verstorben am 26. April 1922, Siegen)3812.

Das Ehepaar hatte drei Kinder: – Hermann (* 29. Mai 1876, Siegen – 3813) – Selma – Julio (* 10. August 1883, Siegen – 3814)

Die drei Kinder wurden in der elterlichen Wohnung Markt Nr. 183 in Siegen geboren3815. Selma Goslar heiratete am 18. Mai 1896 vor dem Standesamt Siegen den Ingenieur Abraham Adolf Spier (* 20. Juni 1876, Kalk bei Köln – vor 1941, Frankfurt3816). Selma Spier zog später nach Kalk bei Köln, woher ihr Mann stammte3817.

Mit ihrem Mann zog sie am 2. September 1916 aus Bukarest (Kaiserreich Österreich- Ungarn) in die Königstraße 4 in Bocholt zu3818. Am 12. Mai 1919 zogen Selma und Adolf Spier von Bocholt nach Frankfurt3819.

3805 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3806 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 973253 3807 JHM A, Joodsmonument, p. 453850. 3808 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 973253. 3809 Ebd. 3810 http://www.mauthausen-memorial.at/index_open.php. 3811 StdA Siegen, 10. Juni 2009. 3812 Standesamt Siegen, Sterberegister, Eintragung Nr. 125/1918. 3813 Hermann Spier ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 3814 Julio Spier ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Daten- bank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 3815 StdA Siegen, 10. Juni 2009. 3816 Ebd., Standesamt, Heiratsregister, Eintragung Nr. 44/1896. 3817 StdA Siegen, 10. Juni 2009. 3818 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3819 Ebd.

402 | BUCH DER ERINNERUNG Am 17. März 1939 wurde auf der Urkunde über die Eheschließung von Selma und Adolf Spier im Heiratsregister des Standesamtes Siegen der Randvermerk angebracht: „Der Ehemann führt nach der Verordnung vom 18. August 1938 zusätzlich den Vornamen ‚Israel‘ und die Ehefrau zusätzlich den Vornamen ‚Sara‘. [...]“3820

Aus Frankfurt wurde Selma Spier am 22. November 1941 zusammen mit fast 1000 Menschen jüdischen Glaubens in das Ghetto Kowno – Fort IX – deportiert. Dort kam der Zug am 25. November 1941 an3821. Im Ghetto Kowno – Fort IX – wurde Selma Spier am 25. November 1941 ermordet3822.

Bernhard Steinberg geboren am 31. Juli 1902 in Berlin ermordet nach dem 15. Dezember 1941 im Ghetto Riga3823

Bernhard Steinberg wurde am 31. Juli 1902 in Berlin geboren3824. Am 13. Oktober 1941 zog er mit seiner Frau  Edith Steinberg (geb. Speyer, * 1. Oktober 1916, Soest – ermordet nach dem 1. Oktober 1944, Konzentrationslager Stutthof3825) aus Berlin in Bocholt zu. Das Ehepaar wurde in das Haus Schwartzstraße 14 eingewiesen, das Eigentum von Angelika Löwenstein, der katholischen Frau von Albert Löwenstein, und dennoch faktisch ein sog. Judenhaus war.

Dorthin waren bereits am 15. August 1941 Steinbergs Schwiegereltern  Käthe (geb. In diesem Haus Wolff, * 3. April 1892, Dortmund – ermordet am 31. Dezember 1944, Konzentrations- Schwartzstraße 14 lager Stutthof3826) und  Ernst Speyer (* 23. Februar 1884, Soest – ermordet nach dem wohnten Edith und 15. Dezember 1941, Ghetto Riga3827) gezogen3828. Bernhard Steinberg zwischen dem 15. August und dem 10. Dezember 1941. (Stadt Bocholt, Foto: Bruno Wansing) 3820 StdA Siegen, Standesamt, Eintragung Nr. 44/1896, Randvermerk vom 17. März 1939 auf dem Heiratsregister. 3821 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie. Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 3822 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 973257. 3823 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 974227, ebenso Amtsgericht Bocholt, Abteilung 5, Tod- erklärungsakte Speyer/Steinberg, Beschluß des Amtsgerichts Bocholt, 10. Oktober 1947 (Ebd., Az.: II 11 14/1947, Blatt 53 f.) auf den 8. Mai 1945, 24.00 Uhr. Am 24. April 1953 wurde vom Amtsgericht Bocholt (AZ.: 5 II 79-82/51, Blatt 63) festgestellt, dass Bernhard Steinberg im Sommer 1942 in Riga erhängt worden sei. 3824 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3825 Vgl. Biogramm S. 405. 3826 Vgl. Biogramm S. 390. 3827 Vgl. Biogramm S. 388. 3828 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

BUCH DER ERINNERUNG | 403 Am 18. November 1941 erließ die Staatspolizeileitstelle Münster, u. a. an den Ober- bürgermeister in Bocholt, die Aufforderung, dass 26 Juden am 10. Dezember 1941 nach Münster zur Evakuierung „in den Osten“ zu bringen seien. Unter ihnen war auch Bernhard Steinberg3829.

Kriegschronik, Eintrag vom 11. Dezember 1941 „[...]Bern[h]ard Steinberg unternahm wenige Minuten vor der Abfahrt des Busses einen verzweifelten Versuch, seine Frau, seine Schwiegereltern und sich selbst vor der Depor- tation zu retten, da er im kriegswichtigen Interesse tätig wäre. Er setzte sich deshalb mit einem Berliner Bekannten, der Verbindung zum Reichssicherheitshauptamt in Berlin hatte, durch ein Blitzferngespräch in Verbindung, das 184,– RM kostete. Die Geheime Staatspolizeileitstelle in Münster teilte auf fernmündliche Anfrage mit, daß von einer Nicht-Evakuierung der Juden Speyer und Steinberg nichts bekannt sei. [...]“3830

Am 10. Dezember 1941 wurde Bernhard Steinberg auf Anordnung der Geheimen Staats polizei mit 24 weiteren Bocholter Juden, darunter seine Frau  Edith Steinberg sowie seine Schwiegereltern  Käthe und  Ernst Speyer, nach Münster gebracht.

Danach wurde in die Einwohnermeldekartei eingetragen: „10.12.41 n. Riga/Lettland.“3831 Anders als bei fast allen übrigen deportierten Bocholtern jüdischen Glaubens wurde dieser Vermerk trotz der entsprechenden Anordnung der Staatspolizeileitstelle Münster vom 18. Juli 1942 nicht gelöscht3832.

Aus Münster wurden Bernhard Steinberg, seine Frau  Edith und seine Schwiegerel- tern am 13. Dezember 1941 in das Ghetto der lettischen Hauptstadt Riga deportiert3833. Bernhard Steinberg wurde nach dem 15. Dezember 1941 ermordet, ehe das Ghetto Riga im November 1943 aufgelöst wurde3834. Seine Frau  Edith wurde zu einem nicht bekannten Zeitpunkt nach dem 1. Oktober 1944 im Konzentrationslager Stutthof er- mordet3835.

Die Namen von Bernhard Steinberg, seiner Frau  Edith sowie ihren Eltern  Käthe und  Ernst Speyer sind auf der Gedenktafel in der Gedenkstätte für die ehemalige Bocholter Synagoge verzeichnet3836.

3829 Vgl. S. 109. 3830 Kriegschronik, S. 162. 3831 StdA B., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3832 Ebd., Nacke, S. 170. 3833 Vgl. S. 110. 3834 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 974227; er war am 10. Oktober 1947 (Amtsgericht Bo- cholt, Abteilung 5, Toderklärungsakte Speyer/Steinberg, AZ.: 5 II 79-82/51, Blatt 53 f.) auf den 8. Mai 1945, 24.00 Uhr für tot erklärt worden. Nach der eidesstattlichen Versicherung der ebenfalls nach Riga deportierten Emmi Apfel vom 3. Juli 1951 (Ebd., Blatt 14) soll Bernhard Steinberg im Sommer 1942 in Riga erhängt worden sein. Dieses Datum wurde auch in der gerichtlichen Toderklärung des Amtsgerichtes Bocholt vom 24. April 1953 ein- getragen (s. o. Blatt 31). 3835 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 974234. 3836 Vgl. S. 133.

404 | BUCH DER ERINNERUNG Edith (Adele) Steinberg geborene Speyer geboren am 1. Oktober 1916 in Soest ermordet nach dem 1. Oktober 1944 im Konzentrationslager Stutthof3837

Edith Sara Steinberg, wie sie in der Bocholter Einwohnermeldekartei beim Zuzug am 13. Oktober 1941 verzeichnet war, oder Edith (Adele3838) Sara Steinberg (wie ihr Name in der vom Wiedergutmachungsamt der Stadt Münster im Jahre 1961 rekonstruierten Deportationsliste3839 steht) wurde am 1. Oktober 1916 in Soest geboren3840. Sie hatte in Soest 1939 aufgrund des Namensänderungsgesetzes vom 5. August 1938 zwangsweise den zusätzlichen Vornamen Sara annehmen müssen3841.

Am 13. Oktober 1941 zog Edith mit ihrem Mann  Bernhard Steinberg (* 31. Juli 1902, Berlin – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, Ghetto Riga3842) aus Soest, Hoher Weg 83843, in Bocholt zu. Das Ehepaar wurde in das Haus Schwartzstraße 14, das Eigentum der katholischen Frau von Albert Löwenstein, Angelika, und dennoch faktisch ein sog. Judenhaus war, eingewiesen.

Dorthin waren bereits am 15. August 1941 ihre Eltern  Käthe (geb. Wolff, * 3. April 1892, Dortmund – ermordet am 31. Dezember 1944, Konzentrationslager Stutthof3844) und  Ernst Speyer (* 23. Februar 1884, Soest – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, Ghetto Riga3845) gezogen.

„Ich wurde seinerzeit gezwungen, eine Reihe von jüdischen Familien in mein Haus aufzunehmen, und wir hatten große Raumnot. Auf Bitten meines Mannes erklärte sich Herr Fehler ohne weiteres bereit, zwei Kisten, in denen u. a. wertvolles Porzellan war, bei sich unterzustellen. Die Kisten haben von Sommer [1941 an] dort gestanden. Die Besitzer wurden am 10. Dezember 1941 deportiert. Die Kisten wurden später vom Finanzamt abgeholt. Es war natürlich zur damaligen Zeit mit Gefahren verbunden, jüdisches Eigentum unterzustellen. Die Eigentümer der Kisten mussten damals an- geben, wo ihr Eigentum untergestellt war, und haben auch den Unterstellort bei Fehler angegeben.“ (Angelika Löwenstein 3846)

3837 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 972619. Edith Steinberg war zunächst durch Beschluss des Amtsgerichts Bocholt 10. Oktober 1947 (Ebd., Az.: II 11 14/1947, Blatt 53 f.) auf den 8. Mai 1945, 24.00 Uhr für tot erklärt worden. Im Beschluss des Amtsgerichts Bocholt vom 24. April 1953 wurde dann aufgrund einer eidesstattlichen Versicherung der ebenfalls nach Riga deportierten Emmi Apfel vom 3. Juli 1951 (Ebd., Blatt 14) festgestellt, dass Edith Adele Steinberg Anfang November 1943 im Ghetto Riga Selbstmord verübt habe. 3838 Der Zweitname Adele wird auch in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 974234 erwähnt. 3839 StdA Ms, Stadtregistratur, Fach 36, Nr. 18 f. 3840 StdA B., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3841 Die Verfolgung der jüdischen Mitbürger in Soest, S. 92. 3842 Vgl. Biogramm S. 403. 3843 Die Verfolgung der jüdischen Mitbürger in Soest, S. 92. 3844 Vgl. Biogramm S. 390. 3845 Vgl. Biogramm S. 388. 3846 StdA B, Nachlass Fehler, Zeugenaussage von Angelika Löwenstein vom 3. November 1955 im Prozess Fehler und Andere gegen das Land NRW vor der 2. Entschädigungskammer des Landgerichts Münster Aktenzeichen 9 0 (Entsch.) 66/54 -.

BUCH DER ERINNERUNG | 405 Am 10. Dezember 1941 wurde Edith Steinberg auf Anordnung der Geheimen Staats- polizei mit insgesamt 24 weiteren Bocholtern jüdischen Glaubens, darunter ihr Mann  Bernhard Steinberg sowie ihre Eltern  Käthe und  Ernst Speyer, nach Münster gebracht3847. Von dort wurden sie am 13. Dezember 1941 in das Ghetto Riga deportiert.

Edith Adele Steinberg lebte trotz der mörderischen Lebensbedingungen noch, als das Konzentrationslager Kaiserwald im Sommer 1944 aufgelöst wurde und die Ein- gesperrten, die überlebt hatten, mit dem Schiff in das Konzentrationslager Stutthof bei Danzig verschleppt wurden3848.

Sie kam dort am 1. Oktober 1944 zusammen mit drei weiteren Frauen aus Bocholt, u.a. ihrer Mutter  Käthe Speyer, an3849. Im Konzentrationslager Stutthof wurde Edith Steinberg zu einem nicht bekannten Zeitpunkt nach dem 1. Oktober 1944 ermordet3850.

Ihre Mutter  Käthe Speyer wurde dort am 31. Dezember 1944 ermordet3851.

Die Namen von Edith Steinberg, ihrem Mann  Bernhard sowie ihren Eltern  Käthe und  Ernst Speyer sind auf der Gedenktafel in der Gedenkstätte für die ehemalige Bocholter Synagoge verzeichnet3852.

Bertha Stern geborene Cohen geboren am 8. Oktober 1869 in Bocholt ermordet am 27. September 1942 im Ghetto eresienstadt

Am 8. Oktober 1869 wurde Bertha Cohen als Tochter des Fabrikanten Cosman Cohen (* 17. April 1836, Bocholt – 16. Februar 1897, Bocholt) und seiner Ehefrau Rosalia (geb. Rosenberg, * 24. September 1839, Oestinghausen/Kreis Soest – 21. Dezember 1921, Bocholt)3853 im Haus Feldmark Nr. 284 (heute: Bahnhofstraße) geboren. Ihre Eltern hat- ten am 11. Juli 1864 geheiratet3854.

3847 Vgl. S. 110. 3848 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 972619. Edith Steinberg war zunächst durch Beschluss des Amtsgerichts Bocholt 10. Oktober 1947 (Ebd., Az.: II 11 14/1947, Blatt 53 f.) auf den 8. Mai 1945, 24.00 Uhr für tot erklärt worden. Im Beschluss des Amtsgerichts Bocholt vom 24. April 1953 wurde dann festgestellt, dass Edith Adele Steinberg Anfang November 1943 im Ghetto Riga Selbstmord verübt habe. Diesem Beschluss lag die eidesstattliche Erklärung von Emmi Apfel vom 3. Juli 1951 (Ebd., Blatt 14) zu Grunde, nach der Julie Käthe Speyer und Edith Adele Steinberg vor der Auflösung des Ghettos Riga vor ihrer in Aussicht genommenen Deportation nach Auschwitz Selbstmord verübt haben. Dies ist jedoch definitiv nicht möglich, da beide Frauen in den Häft- lingsakten des Konzentrationslagers Stutthof genannt werden. Die Datumsangabe November 1943 wurde in der gerichtlichen Todeserklärung des Amtsgerichtes Bocholt vom 24. April 1953 eingetragen (Amtsgericht Bocholt, Abt. 5, Toderklärungsakte Bernhard und Edith Steinberg (5) 5 II 79-82/51, Blatt 53). 3849 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 972619. 3850 Ebd., Nr. 974234. 3851 Ebd., Nr. 972619. 3852 Vgl. S. 133. 3853 Westerhoff, Cosman David Cohen [...], S. 405. 3854 Ebd., S. 397.

406 | BUCH DER ERINNERUNG Bertha Cohen hatte sieben Geschwister: – Emil (* 30. März 1865, Bocholt – 1934, Köln3855) – Ida Magnus (geb. Cohen, * 28. August 1866, Bocholt – 18. Juni 1920, Bocholt3856) – Salomon Cosman (* 13. Mai 1868, Bocholt – 30. August 1868, Bocholt3857) – Bernhard (* 22. August 1871, Bocholt – 23. November 1934, Mönchengladbach3858)  Julie Waller (geb. Cohen, * 22. August 1871, Bocholt – ermordet nach dem 23. Sep- tember 1942, Vernichtungslager Treblinka3859)  Paula Cohen (geb. Cohen, * 1. Dezember 1873, Bocholt – erzwungener Freitod am 2. Dezember 1941, Berlin3860) – Max (* 27. März 1877, Bocholt3861 – 13. Februar 1938, Berlin3862).

Am 29. November 1890 verzog Bertha Cohen nach Brüssel3863. 1916 kam sie aus Köln wieder nach Bocholt. Sie trug jetzt den Familiennamen Stern3864. Am 22. August 1931 verzog sie aus Bocholt nach Berlin-Charlottenburg3865. Sie wohnte dort später im sog. Judenhaus Dahlmannstraße 2 3866. Vor der Deportation wohnte sie im sog. Judenhaus in der Hamburger Straße 163867.

Zusammen mit 101 weiteren Menschen jüdischen Glaubens wurde Bertha Stern am 11. September 1942 mit dem 62. „Altentransport“3868 aus Berlin in das Ghetto eresien- stadt deportiert3869. In eresienstadt wohnte sie im Gebäude Q 608, Zimmer 0163870.

Im Ghetto kam sie bereits vierzehn Tage später, am 27. September 1942, durch die hier herrschenden grausamen Lebensverhältnisse zu Tode3871. In der offiziösen Todesfall- anzeige vom gleichen Tag, unterzeichnet von einem Lagerarzt, Dr. Oskar Cherowicka, wird der Todeszeitpunkt auf „8 h. früh“ festgelegt. Bei Bertha Stern wird als Todes- ursache eine akute Darmentzündung attestiert3872.

3855 Vgl. S. 177 f. 3856 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 27. 3857 Ebd., S. 25. 3858 http://www.steinheim-institut.de/cgi-bin/epidat?function=Ins&sel=e26&inv=4070, 3859 Vgl. Biogramm S. 423. 3860 Vgl. Biogramm S. 177. 3861 Westerhoff, Cosman David Cohen [...], S. 379f. 3862 Ebd., S. 411. 3863 Personenstandsregister, S. 183. 3864 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3865 Ebd. 3866 Berliner Gedenkbuch, S. 1243. 3867 Patmatnik Terecin, Terecin, an Hermann Oechtering, Bocholt, 29. August 2011. Todesfallanzeige vom 27. Sep- tember 1942. 3868 eresienstädter Gedenkbuch, S. 57. 3869 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 3870 Patmatnik Terecin, Terecin, an Hermann Oechtering, Bocholt, 29. August 2011. Todesfallanzeige vom 27. Sep- tember 1942. 3871 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 116768. 3872 Patmatnik Terecin, Terecin, an Hermann Oechtering, Bocholt, 29. August 2011. Todesfallanzeige vom 27. Sep- tember 1942.

BUCH DER ERINNERUNG | 407 Moritz Stern geboren am 11. April 1891 in Meudt im Westerwald ermordet am 3. September 1942 im Vernichtungslager Auschwitz

Moritz Stern wurde am 11. April 1891 in Meudt geboren. Meudt ist heute die zweit- größte Gemeinde der Verbandsgemeinde Wallmerod im Westerwaldkreis in Rheinland- Pfalz. Sein Vater war Isaak Alexander Stern (* 11. November 1845, Meudt – 29. Septem- ber 1923, Montabaur). Nach dem Tod seiner ersten Frau Fanny (geb. Hecht) heiratete er Fanny (geb. Hertz, * 2. November 1855, Großsteinheim – 21. April 1917, Montabaur)3873.

In dieser Ehe wurden folgende Kinder geboren: – Sally (* 2. Februar 1890, Meuth, wohnte später in Montabaur3874) – Moritz – Name unbekannt, Mädchen (* 4. Juni 1892 – 4. Juni 1892, Meudt3875) – Mathilde (* 5. Juli 1894, Meudt, wohnte 1962 in New York3876) – Herbert (* 23. November 1898, Meudt – 24. Dezember 1898, Meudt3877).

Am 12. Januar 1924 zog der Kaufmann Moritz Stern aus Oberhausen nach Bocholt in das Haus Nordstraße 21 zu 3878. Hier wurde er im Manufakturwarengeschäft Herzfeld tätig.

Am 20. September 1925 errichtete der Geschäftsinhaber Eduard Herzfeld sein Testament. In diesem vermachte er sein Eigentum je zur Hälfte an seinen Sohn  Kurt Herzfeld (* 15. Mai 1913, Bocholt – ermordet nach dem 14. August 1942, Vernichtungslager Auschwitz3879) und seine Stieftochter Hilde Stern. Seine Frau Selma Herzfeld, geb. Sternberg, setzte er als Testamentsvollstreckerin ein. Dies galt besonders für die Interessen von Kurt Herzfeld, „der die volle uneingeschränkte Verfügung über das ihm Zugewendete erst mit Vollendung des 25. Lebensjahres verlangen kann. Bis zu diesem Zeitpunkt steht ihm nur die Nutznießung [...] zu.“ 3880

Am 23. Dezember 1925 heiratete Moritz Stern die aus Bocholt stammende Hilde (geb. Herzfeld, * 14. Februar 19023881 – Juli 1987, Babylon bei New York/USA3882 ), die Stief- schwester von  Kurt Herzfeld. 1926 übergab Eduard Herzfeld sein Geschäft an Moritz Stern. Am 11. November 1926 kam Sohn Walter Alexander3883 zur Welt.

3873 900 Jahre Meudt 1097 – 1997. Gesamtleitung Wolf Dieter Endlein / Redaktion: Aßmann, Endlein , Roos, Steiger- wald, Wirth, Wolf. Bildband, Hachenburg 1997, S. 450. 3874 Ebd., S. 482. 3875 Ebd. 3876 Ebd. 3877 Ebd. 3878 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3879 Vgl. Biogramm S. 219. 3880 Amtsgericht Bocholt Grundbuchamt, Grundakten [...] über die Grundstücke des Buchhändlers Amandus Tem- ming zu Bocholt und Kinder, des Eduard Herzfeld, Kaufmann Bocholt [...] Band -, Blatt Nr. 147, Testament vom 20. September 1925, Blatt 111. 3881 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3882 http://www.geni.com/people/Hilde-Stern/6000000002186056435. 3883 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

408 | BUCH DER ERINNERUNG Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Neugestaltung des Manufakturwarengeschäfts Herzfeld im Spätsommer 1927 auf die Initiative von Moritz Stern zurückging. Über die Eröffnung nach dem Umbau berichtete das Bocholter Volksblatt am 8. Oktober 1927:

„Geschäftsumbau auf der Nordstraße Am heutigen Tage kann wieder einer der vielen Geschäftsumbauten, die wir in der letzten Zeit in Bocholt zu verzeichnen haben, seiner Bestimmung übergeben werden, und zwar eröffnet die Firma Herzfeld (Manufakturwaren), Nordstraße, heute ihren Geschäftsbetrieb. Durch Zusammenlegung zweier Häuser und Hochziehen einer modernen Fassade hat es der Architekt Herr W. Hallen verstanden, diesem Haus ein künstlerisches, der heutigen Zeit entsprechendes Gepräge zu geben, bei dem Schönheit und Zweckmäßigkeit harmonisch zusammenwirken. Besondere Beachtung verdienen die aparten Türen und Fenster sowie die moderne Einrichtung. Der Umbau trägt in hohem Maße zur Verschönerung und modernen Ausgestaltung des Stadtbildes bei. Es ist ein Beweis für den rührigen Gewerbefleiß der Firma Herzfeld, die in diesen Tagen auf ihr 20jähriges Bestehen zurückblicken kann. Wir wünschen ihr auch in dem neuen Hause weiteren Erfolg.“ (Bocholter Volksblatt, 8. Oktober 1927 3884)

Moritz Stern war am 6. Januar 1937 Repräsentant der israelitischen Gemeinde Bocholt, als über den Anschluss von Anholt beschlossen wurde, deren Juden bisher eine beson- dere Untergemeinde gebildet hatten3885.

In der Nacht zum 10. November 1938, in der sein Geschäft demoliert wurde, floh Moritz Stern mit seinen Familienangehörigen – wie die Einwohnermeldekarteikarte ausweist („November 1938”3886) – nach Meghelen in die Niederlande, nur wenige Kilometer von Isselburg-Anholt entfernt3887.

Gretel Löwenstein (heute als Greta Meier in Baltimore/USA wohnhafte Bocholterin jüdischen Glaubens) erinnerte sich, was sie als Elährige in der Pogromnacht aus der dem Haus Herzfeld gegenüberliegenden Wohnung sah:

„In der Nacht wurden wir wach von lautem Gegröle. Wir stellten uns ans Fenster, um auf das gegenüberliegende Herrenmodegeschäft Herzfeld zu sehen. [...] Wir sahen vor dem Geschäft Herzfeld 10 bis 15 betrunkene Männer, die auf einem offenen Wagen in die Straße gekommen waren. Die Männer zerstörten das Geschäft völlig. Mutter zog uns dann schnell weg vom Fenster. Unsere Wohnung wurde allerdings nicht be- schädigt. [...] Am nächsten Morgen war die Familie Stern nicht mehr da. Wir erfuhren später, daß sie über die Grenze nach Holland geflohen waren.“ (Greta Meier, geborene Löwenstein 3888)

3884 Ebd., ZSlg., Bocholter Volksblatt, 8. Oktober 1927. 3885 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke der jüdischen Synagogengemeinde in Bocholt, der Stadt Bocholt, Band -, Blatt Nr. 930, S. 29. Beschluss einer gemeinschaftlichen Sitzung des Vorstands und der Repräsentanten vom 6. Januar 1937 (Abschrift). 3886 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3887 Kooger, Grenzzwischenfälle, in: Unser Bocholt, Heft 3/1988, S. 23; so auch BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 977241. 3888 Meier, Greta, S. 478.

BUCH DER ERINNERUNG | 409 Im Zuge ihres Wiedergutmachungsverfahrens sagte Hilde Stern aus, dass in dieser Nacht in ihrem Haus „nur ein Zimmer nicht verwüstet“ worden sei3889. Am 7. Dezember 1938 verkaufte ein Beauftragter von „Kurt Herzfeld, Hilde Stern, Moritz Stern, Selma Herzfeld (sämtlich Gendringen)“ 3890 „Grundstück und Haus für 37.070 RM.“3891

1940 wurde Moritz Stern von der „Grünen Polizei“ in Enschede verhaftet. Er soll vor die Wahl gestellt worden sein, nach Polen oder in den sogenannten nicht besetzten Teil Frankreichs auszuwandern. Er wählte Letzteres. Am 19. November 1941 wurden Moritz und Hilde Stern sowie Sohn Walter der deutschen Staatsangehörigkeit für ver- lustig erklärt3892.

In Frankreich war Moritz Stern in einem Auffanglager in der Versorgung von Pferden beschäftigt. Hier passte er seinen Vornamen an die franzözische Sprache an und nannte sich fortan Maurice. Später wurde er im Sammellager Drancy interniert3893. Moritz Stern wurde am 31. August 1942 mit 1000 Menschen jüdischen Glaubens aus Drancy in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo der Zug am 2. September 1942 eintraf3894. Im Vernichtungslager Auschwitz wurde er am 3. September 1942 „durch Gas“3895 ermordet3896.

Seine Frau Hilde und sein Sohn Walter konnten während der deutschen Besatzung der Niederlande untertauchen und so der Deportation entgehen3897. Dies war auch für die helfenden Niederländer sehr gefährlich. Jene, bei denen untergetauchte Menschen bei den vielen Razzien gefunden wurden, kamen in ein Konzentrationslager. 1947 wohnte Hilde Stern in Enschede3898.

Am 9. Mai 1947 wandte sich „Frau Hilde Stern, Enschede, Kortelandstraat 61, Holland“ an das Amtsgericht Bocholt: „Als Witwe des durch die Deutschen verschleppten und in Auschwitz umgekommenen Moritz Stern ersuche ich Sie um Eintragung eines Sperr- vermerkes für die Grundstücke Nordstraße 21 – 23 und des eventuell noch darauf ste- henden Hauses zu meinen Gunsten. Die Grundstücke mit Gebäude standen auf den Namen der Frau Hilde Stern. Es bedarf wohl keiner Begründung mehr. Ich bitte Sie, mir von der vollzogenen Eintragung Mitteilung zukommen zu lassen.“ 3899

Am 4. Juni 1950 wies das Wiedergutmachungsamt bei dem Landgericht in Münster das Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt – an, in das Grundbuch einzutragen: „Frau Hilde Stern-Mai [sic] in New York hat als Erbin des früheren Eigentümers Eduard Herzfeld den Anspruch auf Rückerstattung der Grundstücke auf Grund des Rückerstattungsgesetzes angemeldet.“ 3900 Am 6. September 1952 teilte das Wiedergutmachungsamt bei dem Landgericht Münster dem Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt – mit: „Es wird ersucht, den Sperrvermerk zu löschen.“ 3901

3889 StdA B, Stadt Bocholt 3, Akte nach dem BEG, May, geb. und verw. Stern, Hilde, 3 1022. 3890 Amtsgericht Bocholt Grundbuchamt, Grundakten [...] über die Grundstücke des Buchhändlers Amandus Tem- ming zu Bocholt und Kinder, des Eduard Herzfeld, Kaufmann Bocholt [...] Band -, Blatt Nr. 147, Vollmacht vom 6. Dezember 1938, Blatt 115. 3891 Ebd., S. 122, Kaufvertrag vom 7. Dezember 1938. 3892 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3893 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 977241. 3894 Ebd., Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus Frankreich. 3895 Amtsgericht Bocholt, Abteilung 5, Toderklärungsakte Moritz Stern, Gz.: 5 II 28/59, Beschluß vom 14. Januar 1960. Danach soll Moritz Stern am 1. September 1942 ermordet worden sein. 3896 JHM A, Joodsmonument, p. 539218. 3897 Kooger, Grenzzwischenfälle, in: Unser Bocholt, Heft 3/1988, S. 23. 3898 Amtsgericht Bocholt Grundbuchamt, Grundakten [...] über die Grundstücke des Buchhändlers Amandus Tem- ming zu Bocholt und Kinder, des Eduard Herzfeld, Kaufmann Bocholt [...] Band -, Blatt Nr. 147. 3899 Ebd., Hilde Stern, Enschede (Niederlande) an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt –, 9. Mai 1947, Blatt 134. 3900 Ebd., Wiedergutmachungsamt bei dem Landgericht in Münster an das Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt –, 4. Juni 1950, Blatt 140. 3901 Ebd., 6. September 1952, Blatt 156.

410 | BUCH DER ERINNERUNG 1949 war Hilde Stern in die USA gezogen, wo sie erneut heiratete und im Juli 1987 als Hilde May verstarb3902. Auch Sohn Walter wanderte in die USA aus, wo er am 25. August 1994 in Boca Raton, Florida/USA starb.

Dina Sternberg geborene Löwenstein geboren am 10. Mai 1891 in Bocholt ermordet nach dem 25. März 1942 im Konzentrationslager Izbica3903

Dina (oder Diana3904) Löwenstein wurde am 10. Mai 1891 im Haus Nr. 1541 (heute: Kirchstraße 3) als Tochter des Händlers Samuel Löwenstein (* 26. Mai 1857, Rhede3905 – 27. März 1932, Bocholt3906) und seiner Frau Adele (geb. Cahn, * 22. Januar 1854, Mönchengladbach3907 – 13. Februar 1935, Krefeld3908) geboren3909.

Sie hatte einen Bruder:  Hugo (* 5. Januar 1889, Bocholt – ermordet am 24. Dezember 1942, Ghetto Lodz3910).

Dina Löwenstein heiratete am 9. August 1912 in Plettenberg Max Sternberg (1876 – 1934). Er besaß dort ein Manufakturwaren-Geschäft in der Wilhelmstraße3911. Am 22. September 1912 meldete sich Dina zu Max Sternberg nach Plettenberg um3912.

In ihre Ehe wurde eine Tochter geboren: – Alice (* 9. November 1921, Plettenberg – ermordet am 19. Oktober 1944, Vernich- tungslager Auschwitz3913).

Das Geschäftshaus in Plettenberg, Wilhelmstraße, musste am 14. November 1938 von Dina Sternberg für 34.000 RM veräußert werden3914.

Dina Sternberg zog am 28. Dezember 1938 gemeinsam mit ihrer Tochter Alice aus Plettenberg, Adolf-Hitler-Straße 24, nach Aachen, Eupener Str. 23. Von dort zog sie am 25. März 1941 alleine nach Aachen, Eupener Straße 249, um, in ein sog. Juden- haus3915. Beim Einwohnermeldeamt in Aachen wurde sie am 25. März 1942 abgemeldet

3902 Kooger, Hans: Grenzzwischenfälle, in: Unser Bocholt, Heft 3/1988, S. 23. 3903 StdA Aachen, Hausbuch 3666, S. 4 und Hausbuch 3730, S. 5. 3904 In Keufgens, S. 65, wird Dina Löwenstein (StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962) Diana genannt. 3905 Personenstandsregister, S. 89. 3906 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3907 Ebd. 3908 https://www.bkukr.de/index.php?id=488&L=1. Verzeichnis der Krefelder Jüdinnen und Juden. 3909 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3910 Vgl. Biogramm S. 284. 3911 http://www.plbg.de/lexikon/a-z/s1.htm. 3912 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3913 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 975803. 3914 http://www.plbg.de/lexikon/a-z/s1.htm. 3915 StdA Aachen, 9. Juni 2009.

BUCH DER ERINNERUNG | 411 als „nach unbekannt ausgewandert.“ 3916 An diesem Tag wurde Dina Sternberg zusam- men mit 1000 Menschen jüdischen Glaubens in das Ghetto Izbica deportiert, das sie am 25. März 1942 erreichten3917. Dina Sternberg wurde wahrscheinlich an diesem Tag ermordet3918.

Im Gedenkbuch für die Opfer der Shoah aus Aachen 1933 – 1945 wird Diana Sternberg genannt3919.

Ihre Tochter Alice Sternberg war am 1. Mai 1939 nach Köln, Ottostraße 85, verzogen3920. Von dort wurde sie am 15. Juni 1942 in das Ghetto eresienstadt deportiert. Aus die- sem Ghetto deportierte man sie am 19. Oktober 1944 weiter in das Vernichtungslager Auschwitz, wo sie ermordet wurde3921.

Dina Sternfeld geboren am 12. Mai 1902, Arnheim/Niederlande ermordet am 22. Oktober 1943 im Vernichtungslager Auschwitz

Dina Sternfeld wurde am 12. Mai 1902 als Tochter des Izaak Sternfeld (* 12. November 1867, Renkum/Niederlande – 28. April 1944, Varsseveld/Niederlande3922) und seiner Ehefrau Johanna Sternfeld (geb. Cohen, * 25. Juli 1867, Rees – 22. September 1936, Win- terswijk/Niederlande) in Arnheim/Niederlande geboren. Izaak und Johanna Sternfeld hatten am 12. November 1895 in Renkum/Niederlande geheiratet3923.

Familie Sternfeld zog vor Dezember 1903 aus Arnheim/Niederlande in das Haus Kreuz- straße 24 in Bocholt3924.

Dina Sternfeld hatte drei Geschwister: – Julius (* 2. November 1896, Osterwijk/Niederlande3925 – 19443926)  Moritz (* 9. November 1898, Osterwijk/Niederlande – ermordet am 28. Oktober 1941, Konzentrationslager Mauthausen3927)

3916 Ebd. 3917 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich; nach Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Page of Testimony von Rudolf Silber- schmidt, Winnipeg/Canada (Sohn) vom 1. Juli 1975. 3918 StdA Aachen, 9. Juni 2009, Hausbuch 3666, S. 4 und Hausbuch 3730, S. 5. In BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namensverzeichnis ist Dina Sternberg nicht verzeichnet. 3919 Die Namen der ermordeten Aachener Juden, zusammengestellt von Sebastian Elverfeldt, veröffentlicht in der Aachener Zeitung vom 8. November 2001. 3920 StdA Aachen, 9. Juni 2009. Aachen, Hausbuch 3730, S. 5. 3921 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 975803. 3922 JHM A, Joodsmonument, p. 559456. 3923 http://akevoth.org/genealogy/sternfeld/90.htm. 3924 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3925 Stadtarchiv Bocholt, 23. Januar 2012. 3926 http://akevoth.org/genealogy/sternfeld/90.htm. Julius Sternfeld wurde kein Opfer der Shoah. 3927 Vgl. Biogramm, S. 413.

412 | BUCH DER ERINNERUNG – Sophie Grueneberg (geb. Sternfeld, * 15. Dezember 1903, Bocholt – 23. November 1977, Arnheim/Niederlande. Sie heiratete am 30. Oktober 1927 in Bocholt Julius Grueneberg(* 18. März 1897), der am 22. April 1968 in den Niederlanden starb3928).

Dina Sternfeld erhielt am 31. Mai 1923 durch die Stadtverwaltung Bocholt einen Pass3929 und verzog später nach Aalten. Dort wohnte sie bis 19313930. Zu irgendeinem Zeitpunkt nach 1940 wohnte Dina Sternfeld in der Van Tuyll van Serooskerkenplein 22 huis in Amsterdam3931. Wann sie nach Westerbork gebracht wurde, ist nicht bekannt.

Am 19. Oktober 1943 wurden 1007 Menschen jüdischen Glaubens von dort in das Ver- nichtungslager Auschwitz deportiert, wo dieser Zug am 21. Oktober 1943 ankam3932. Vermutlich wurde Dina Sternfeld mit diesem Zug deportiert. Am 22. Oktober 1943 wurde Dina Sternfeld im Vernichtungslager Auschwitz ermordet.

Von der Familie Sternfeld überlebten nur Tochter Sophie und deren Mann Julius Grueneberg sowie die Frau des Sohnes Moritz, Lea Goldsteen, die 1993 in Arnheim/ Niederlande starb. Julius Grueneberg starb am 22. April 1968, seine Frau Sophie Grueneberg-Sternfeld am 23. November 19773933.

Moritz Sternfeld geboren am 9. November 1898 in Osterwijk/Niederlande ermordet am 28. Oktober 1941 im Konzentrationslager Mauthausen

Moritz (oder Maurits3934) Sternfeld wurde am 9. November 1898 als Sohn des Izaak Sternfeld (* 12. November 1867, Renkum/Niederlande – 28. April 1944, Varsseveld/ Niederlande3935) und seiner Ehefrau Johanna Sternfeld (geb. Cohen, * 25. Juli 1867, Rees – 22. September 1936, Winterswijk/Niederlande) in Osterwijk/Niederlande geboren.

Izaak und Johanna Sternfeld hatten am 12. November 1895 in Renkum/Niederlande geheiratet3936. Familie Sternfeld zog vor Dezember 1903 aus Arnheim/Niederlande in das Haus Kreuzstraße 24 in Bocholt3937.

3928 http://akevoth.org/genealogy/sternfeld/90.htm. 3929 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3930 http://www.ecal.nu/archieven?miview=ldt&mivast=26&mizig=118&miadt=26&miq=233304370&miaet=14&mi code=2000-67&minr=2141481&milang=nl&misort=voornaam|asc&mizk_alle=sternfeld%2c+dina. 3931 JHM A, Joodsmonument, p. 483380. 3932 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Nieder- landen. 3933 Ebd., http://akevoth.org/genealogy/sternfeld/90.htm. 3934 Moritz Sternfeld wird in den Niederlanden (JHM A, Joodsmonument, p. 559456) Maurits Sternfeld genannt. 3935 JHM A, Joodsmonument, p. 559456. 3936 http://akevoth.org/genealogy/sternfeld/90.htm. 3937 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

BUCH DER ERINNERUNG | 413 Moritz Sternfeld hatte drei Geschwister: – Julius (* 2. November 1896, Osterwijk/Niederlande3938 – 19443939)  Dina (* 12. Mai 1902, Arnheim/Niederlande – ermordet am 22. Oktober 1943, Vernichtungs lager Auschwitz3940) – Sophie Grueneberg (geb. Sternfeld, * 15. Dezember 1903, Bocholt – 23. November 1977, Arnheim/Niederlande. Sie heiratete am 30. Oktober 1927 in Bocholt Julius Grueneberg (* 18. März 1897), der am 22. April 1968 in den Niederlanden starb3941).

Vater Izaak Sternfeld kaufte am 7. Oktober 1918 das Grund- stück Nordwall 3 und baute dort ein Haus, in dem er einen Handel für Getreide, Futter und Düngemittel betrieb3942. Sein Sohn Moritz ging zur israelitischen Schule, die sich im israelitischen Gemeindehaus, Nordwall 26, befand. Er wurde nach dem Schulabschluss zunächst Handlungsgehilfe3943. Später betrieb Moritz Sternfeld den Getreidehandel seines Vaters am Nordwall 33944 in Bocholt. Das Geschäft hatte den Telefonanschluss Nr. 1333945.

Am 15. Dezember 1934 heiratete Moritz Sternfeld in Meppel/ Niederlande die am 17. Oktober 1908 dort geborene Lea Gold- steen3946, die die Shoah überlebte3947. Sie meldete sich am 20. Dezember 1934 in Bocholt an3948. Lea Sternfeld war kaufmän- nische Ange stellte3949.

Anzeige: Geschäfts- Nach den Eintragungen im Einwohnerbuch 1937 wohnten Moritz und Lea Sternfeld verlegung (StdA B, ZSlg., bereits im Oktober 1935 nicht mehr in Bocholt. Laut der Einwohnermeldekartei mel- Bocholter Volksblatt, dete sich Lea Sternfeld jedoch erst am 14. Dezember 1935 aus Bocholt nach Doesburg/ 3950 5. April 1919) Niederlande ab . Moritz Sternfeld zog Ende Januar 19363951 ebenfalls nach Doesburg/Niederlande, wo er an der Abzweigung der ehemaligen Beitelstraat (heute: Philip Gastelaarsstraat) und der Koepoortstraat einen Milchhandel betrieb. An der Mauer dieses Geschäftes wurde Ende April 2008 eine Gedenkplatte zur Erinnerung an die Familie Sternfeld enthüllt3952.

3938 Stadtarchiv Bocholt, 23. Januar 2012. 3939 http://akevoth.org/genealogy/sternfeld/90.htm. Julius Sternfeld wurde kein Opfer der Shoah. 3940 Vgl. Biogramm, S. 412. 3941 http://akevoth.org/genealogy/sternfeld/90.htm. 3942 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten [...] über die Grundstücke [...] des Getreidehändlers Moritz Sternfeld, Bocholt, Band -, Blatt Nr. 1115. Kaufvertrag vor Justizrat Koop vom 7. Oktober 1918 zwischen der Wit- we Maschinenbauer Jakob Balk, Marie, geb. Jungebluth und dem Kaufmann Isaac Sternfeld, Blatt 1 3. 3943 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3944 Stadtarchiv Bocholt, 23. Januar 2012. 3945 Einwohnerbuch 1926, S. 117. 3946 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; http://akevoth.org/genealogy/sternfeld/index.htm. 3947 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten [...] über die Grundstücke [...] des Getreidehändlers Moritz Sternfeld, Bocholt, Band -, Blatt Nr. 1115, Stadt Bocholt Wiedergutmachungsamt – an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt -, 11. November 1948, Blatt 111. 3948 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; Ebd., Stadt Bocholt 3, BEG-Akte 3-989 Cohen, Lea. 3949 http://akevoth.org/genealogy/sternfeld/90.htm. 3950 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3951 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten [...] über die Grundstücke [...] des Getreidehändlers Moritz Sternfeld, Bocholt, Band -, Blatt Nr. 1115, Generalvollmacht vom 9. Januar 1936, S. 101. Die Vollmacht unterzeich- net Moritz Sternfeld in Doesburg/Niederlande, der auch seinen dortigen Wohnsitz beglaubigt. 3952 JHM A, Joodsmonument, p. 545807.

414 | BUCH DER ERINNERUNG Im Jahre 1940 wurde dem Ehepaar die Tochter Johanna Geertrudia (* 1940, Meppel/ Niederlande – 2009, Utrecht/Niederlande) geboren3953.

Nach dem deutschen Überfall auf die Niederlande am 10. Mai 1940 wurden in dem besetzten Land alle antijüdischen Gesetze und Maßnahmen, die in Deutschland galten, eingeführt. Ein Teil der niederländischen Bevölkerung verhielt sich solidarisch mit ihren jüdischen Nachbarn und Freunden, versteckte sie oder hielt durch Streiks ihre Deportation auf. Pressionen bis zur Erschießung waren die Folge.

Im September und Oktober 1941 wurden im Achterhoek – aber auch in Amsterdam – wegen Sabotageakten von der deutschen Besatzung Razzien gegen jüdische Männer durchgeführt. Etwa 900 Männer – unter ihnen drei aus Bocholt, die in die Niederlande geflohen waren – wurden in das Konzentrationslager Mauthausen deportiert. Von hier erhielten die Familien nach kurzer Zeit die Nachricht, dass ihr Angehöriger „auf der Flucht erschossen“ worden sei. Keiner der Deportierten aus dem Achterhoek überlebte das Konzentrationslager Mauthausen. Unter denen, die verhaftet und ins Konzentrationslager Mauthausen deportiert wur- den, war auch Moritz Sternfeld. Er wurde dort am 28. Oktober 1941 umgebracht3954.

Am 21. Januar 1943 verkaufte ein Bankdirektor aus Bocholt „als Bevollmächtigter von Moritz Sternfeld“ den Sternfeldschen Besitz Nordwall 3 „gegen Übernahme der Grundschulden von 5000 RM an die Gewerbebank, Restbetrag von 13.487 RM sofort [zahlbar].“ 3955

Da Moritz Sternfeld 1943 schon seit fünfzehn Monaten ermordet war, verwies der Bevollmächtigte zu seiner Legitimation auf Sternfelds Vollmacht vom 9. Januar 19363956.

Moritz Sternfelds Frau Lea und beider Tochter Johanna Geertrudia konnten in einem Versteck untertauchen und überlebten so die Shoah. Sie wurden nach der Befreiung 1945 in Almelo/Niederlande ansässig3957.

1950 beantragten Lea Cohen, die erneut geheiratet hatte, und ihre Tochter Johanna Geertrudia Sternfeld die Rückerstattung des Grundstücks von Moritz Sternfeld nach dem Rückerstattungsgesetz. Diesem Antrag wurde entsprochen3958. Lea Cohen starb 1993 in Arnheim/Niederlande3959.

Auf einer Gedenktafel für die Synagoge im Rathaus an der Ph. Gastelaarsstraat in Doesburg wird an Moritz Sternfeld erinnert3960.

3953 http://akevoth.org/genealogy/sternfeld/90.htm. 3954 JHM A, Joodsmonument, p. 545807. 3955 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten [...] über die Grundstücke [...] des Getreidehändlers Moritz Sternfeld, Bocholt, Band -, Blatt Nr. 1115, Kaufvertrag vom 21. Januar 1943, Blatt 98–99. 3956 Ebd., Vollmacht auf den […] vom 9. Januar 1936, S. 101. 3957 StdA B, 57 K 102 – ohne Titel -. Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand: 1962). 3958 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten [...] über die Grundstücke [...] des Getreidehändlers Moritz Sternfeld, Bocholt, Band -, Blatt Nr. 1115, Stadt Bocholt – Wiedergutmachungsamt bei dem Landgericht Münster an Amtsgericht Bocholt - Grundbuchamt -, 11. November 1948, Blatt 111. 3959 http://akevoth.org/genealogy/sternfeld/90.htm. 3960 http://www.4en5mei.nl/herinneren/oorlogsmonumenten/monumenten_zoeken/oorlogsmonument/332.

BUCH DER ERINNERUNG | 415 Abraham ten Bosch geboren am 21. Juni 1881 in Aalten/Niederlande ermordet am 28. Juli 1942 im Ghetto Minsk

Abraham ten Bosch wurde am 21. Juni 1881 in Aalten/Niederlande geboren. Er war der Sohn von Jacob ten Bosch (* 19. März 1842, Lichtenvoorde/Niederlande3961 – 1925, Bocholt3962) und Bertha (geb. de Groot, * 13. Juni 1842, Doesburg/Niederlande – 11. September 1915, Bocholt3963). Abraham ten Bosch zog am 1. August 1894 aus Gendringen/Niederlande in Bocholt zu3964.

Wie seine Eltern, so zogen auch er und seine Geschwister – Isaak ten Bosch (* 9. Juli 1876, Aalten/Niederlande3965 – 3966) und – Betty ten Bosch (* 24. April 1880, Aalten/Niederlande3967 – 3968) nach Bocholt Nr. 591 (später: Langenbergstraße 42)3969.

Am 2. November 1895 zog Abraham ten Bosch nach Uelft /Niederlande3970. 1904 wohnte er wieder in Bocholt, Ostmauer 3, wie das Verzeichnis der männlichen stimm- berechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt ausweist3971. Abraham ten Bosch leistete 1906/07 seinen Dienst in der kaiserlichen Armee ab. Am 7. September 1907 kehrte er nach Bocholt, Ostmauer 3, zurück3972.

Am 29. August 19083973 heiratete er in Bocholt  Fanni (geb. Katz, * 11. Juli 1881, Silixen – ermordet am 28. Juli 1942, Ghetto Minsk3974), die sich am 22. August 1908 in Bocholt, Ostmauer 3, angemeldet hatte3975.

Dem Ehepaar wurden drei Kinder geboren: – Karl (* 21. Oktober 1909, Bocholt3976 – Juni 1966, USA3977) – Ernst (* 27. Dezember 1914, Bocholt3978 – 2000, Netha niya/Israel3979),  Helene (* 3. Oktober 1920, Bocholt – ermordet am 28. Juli 1942, Ghetto Minsk3980).

3961 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906-1962. 3962 Lurvink, p. 109. 3963 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3964 Personenstandsregister, S. 567. 3965 Ebd. 3966 Isaak ten Bosch ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 3967 Personenstandsregister, S. 567. 3968 Betty ten Bosch ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Datenbank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 3969 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3970 Personenstandsregister, S. 567. 3971 StdA B, SBOH 2 Nr. 1006, Wahl des Synagogenvorstandes und der Repräsentanten 1895–1916, Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogengemeinde Bocholt [1904]. 3972 Personenstandsregister, S. 567. 3973 Ebd. 3974 Vgl. Biogramm, S. 419. 3975 Personenstandsregister, S. 567. 3976 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3977 http://www.familysearch.org/Eng/Search/SSDI/individual_record.asp?recid=106246420&lds=3®ion=- 1®ionfriendly=&frompage=99. 3978 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3979 Jüdische Gemeinde Berlin, 24. Januar 2007. 3980 Vgl. Biogramm, S. 420.

416 | BUCH DER ERINNERUNG Am 5. Juli 1912 zog Abraham ten Bosch mit seiner Familie in das Haus Langenbergstraße 423981, das er am 10. Juni 1912 erworben hatte3982; hier eröffnete er ein An- streichergeschäft3983.

In Bocholt musste die Familie nach der Machterschleichung Hitlers 1933 alle Entrechtungen der Bürger jüdischen Glaubens durchleben. Sohn Karl ten Bosch zog am 18. August 19343984 nach Bremen. Zu seinem Sohn Karl nach Bremen, Düsternstraße 119, zog Abraham ten Bosch am 26. September 19363985. Seine Frau  Fanni, Tochter  Helene und Sohn Ernst folgten ihm am 1. März 19373986. In der anonymen Großstadt erwartete sich die Familie wohl mehr Sicherheit vor NS-Verfolgungsmaßnahmen als im kleinstädtischen Bocholt.

Nach der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 wurde Abraham ten Bosch ver- haftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert. Am 5. Dezember 1938 wurde er wieder nach Bremen entlassen3987. Sohn Ernst ten Bosch konnte am 13. März 1939 aus Bremen in das damalige britische Vorläufige Sicherungs- Mandatsgebiet Palästina, den heutigen Staat Israel, auswandern3988. anordnung gegen Abraham ten Bosch, Sein Haus in Bocholt verkaufte Abraham ten Bosch unter den Zwängen der Zeitum- 14.12.1938. stände am 24. April 1939 vor einem Notar in Bremen. Im Vertrag wurde erwähnt: „Der (Amtsgericht Bocholt, Erschienene zu 1) ist Jude.“ 3989 Grundbuchamt, Blatt 837, S. 41) In der Genehmigung der Devisenstelle beim Oberfinanzpräsidenten Weser- Ems, Bremen, für diesen Vertrag vom 20. Juni 1939 heißt es, dass der Verkauf „[...] mit der Massgabe [genehmigt wird], daß der Verkaufs erlös nach Ab- zug etwaiger Kosten unter Anrechnung etwa zu übernehmender Lasten, zu Gunsten des Verkäufers Abraham Israel ten Bosch, auf ein gemäss § 59 des De- visengesetzes gesichertes Konto bei der Bremer Bank zu hinterlegen ist, über welches für Steuerzahlungen und an- dere Abgaben bei direkter Überweisung an die betreffende Kasse, sowie die Zahlung von Anwaltskosten, Gebühren, Zinszahlungen für Hypotheken und andere mit dem Grundstück [...] direkt zusammenhängende Zahlungen ohne meine besondere Genehmigung ge- leistet werden können. Jede andere Art

3981 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3982 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten über die Grundstücke […] des Anstreichermeisters Abraham ten Bosch zu Bocholt, [...] Bocholt, Band -, Blatt 837, S. 18, Auflassungsvermerk vom 10. Juni 1912. 3983 Einwohnerbuch 1926, S. 291. 3984 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 3985 Ebd. 3986 Ebd. 3987 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 846781. 3988 Staatsarchiv Bremen, 11. August 1983. 3989 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten über die Grundstücke […] des Anstreichermeisters Abraham ten Bosch zu Bocholt, [...] Bocholt, Band -, Blatt 837, Vertrag vor Notar Dr. juris Georg Carl August Milarch zu Bremen, vom 24. April 1939, Seite 45–46.

BUCH DER ERINNERUNG | 417 der Verfügung über den Verkaufserlös bedarf meiner besonderen Genehmigung.“ 3990

Die letzte Adresse von Abraham ten Bosch, seiner Frau  Fanni und Tochter  Helene in Bremen war ein sog. Judenhaus: Legion-Condor-Straße 13991.

Am 18. November 1941 wurden sie mit 440 Menschen jüdischen Glaubens aus Bremen nach Hamburg3992 gebracht und von dort mit 1014 Menschen in das Ghetto Minsk deportiert3993. Abraham ten Bosch wurde dort am 28. Juli 1942 ermordet3994, am gleichen Tag wie seine Frau  Fanni 3995 und Tochter  Helene3996.

Ab 1950 betrieb die „United Restitution Office of the Irgun Olej Merkas Europe – Association of the Jews from Central Europe – as Palestinian Constituent of the Council of Jews from Germany – [für] Ernst Jacob ten Bosch, Nathanya [sic] Pituach, Beth Meinstein“, die Wiedergutmachung für das Haus Langenbergstraße 423997. Am 1. Oktober 1952 wurde das Verfahren durch einen Vergleich vor dem Wiedergut- machungsamt beim Landgericht Münster beendet3998.

Der Sohn Ernst ten Bosch kam Ende März 1979 auf Einladung von Bocholts damaligem Oberbürgermeister Günter Hochgartz erstmals zu Besuch in seine ehemalige Heimat- stadt. Im August 1982 war er, der inzwischen in Berlin wohnte, zum zweiten Mal in Bocholt3999.

Vor dem ehemaligen Haus Parkstraße 1, heute Schwachhauser Heerstraße 18/Ecke Parkstraße, in Bremen-Schwachhausen liegen Stolpersteine, die an Abraham ten Bosch, seine Frau  Fanni und ihre Tochter  Helene erinnern4000.

3990 Ebd., Genehmigung der Devisenstelle beim Oberfinanzpräsidenten Weser-Ems vom 20. Juni 1939. Blatt 50. 3991 Weser-Kurier, 6. Oktober 2010, Die letzte Adresse vor eresienstadt. 3992 Meyer, Beate, S. 50. 3993 Staatsarchiv Bremen, 11. August 1983. 3994 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 846781. 3995 Ebd., Nr. 846783. 3996 Ebd., Nr. 846782. 3997 Amtsgericht Bocholt, […] Band -, Blatt 837, United Restitution Office of the Irgun Olej Merkas Europe-Associ- ation of the Jews from Central Europe as Palestinian Constituent of the Council of Jews from Germany, Tel Aviv, an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt –, 22. Juni 1950, Blatt 75. 3998 Ebd.; Schreiben des Kreisbeauftragten für gesperrte Vermögen beim Finanzminister des Landes Nordrhein-West- falen, Coesfeld, Schützenwall 15, an Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt – vom 1. Oktober 1952, Blatt 79. 3999 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt, 17. August 1982. 4000 http://stolpersteine-bremen.de/detail.php?id=428.

418 | BUCH DER ERINNERUNG Fanni ten Bosch geborene Katz geboren am 11. Juli 1881 in Silixen ermordet am 28. Juli 1942 im Ghetto Minsk

Fanni Katz wurde am 11. Juli 1881 in Silixen geboren. Silixen ist heute ein Ortsteil von Extertal im Kreis Lippe4001. Ihre Eltern waren der in Rahden-Großendorf geborene Metzger Moses Katz und dessen Frau Rita (geb. Grünewald) aus Borgholz im Kreis Warburg. Sie hatten am 2. Juni 1858 in Rahden geheiratet4002. Am 22. August 1908 meldete sich Fanni Katz in Bocholt, Ostmauer 34003, an, wo sie am 29. August 19084004  Abraham ten Bosch (* 21. Juni 1881, Aalten/Niederlande – ermordet am 28. Juli 1942, Ghetto Minsk4005) heiratete. Fanni ten Bosch gebar drei Kinder: – Karl (* 21. Oktober 1909, Bocholt – Juni 1966, USA4006) – Ernst (* 27. Dezember 1914, Bocholt4007 – 2000, Nethaniya/Israel4008)  Helene (* 3. Oktober 1920, Bocholt – ermordet am 28. Juli 1942, Ghetto Minsk4009).  Abraham ten Bosch führte im Haus Langenbergstraße 42, wo er mit seiner Frau und den Kindern wohnte4010, ein Anstreichergeschäft4011. Mit ihrer Familie musste Fanni ten Bosch ab 1933 alle Stufen der Entrechtung über sich ergehen lassen. Karl ten Bosch zog am 18. August 1934 nach Bremen, später übersiedelte er nach Großbritannien4012.  Abraham ten Bosch folgte ihm am 26. September 1936 nach Bremen4013. Mutter Fanni, Tochter  Helene und Sohn Ernst ten Bosch blieben alleine bis zum 1. März 1937 in Bocholt4014. Es ist zu vermuten, dass  Helene ten Bosch vor ihrem Umzug das Schuljahr am Städtischen Oberlyzeum beenden sollte4015. Nach Bremen, Düsternstraße 119, zogen Fanni, Ernst und  Helene ten Bosch am 1. März 19374016, nachdem Tochter  Helene das Schuljahr beendet hatte. In der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 wurde Fannis Mann  Abraham ten Bosch verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt. Am 5. Dezember 1938 wurde er wieder entlassen4017.

4001 BA,Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr 846783. 4002 StdA Rahden, 10. November 2011, exaktere Angaben zu Eltern und Geschwistern von Fanni Katz liegen dort nicht vor. 4003 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4004 Ebd. 4005 Vgl. Biogramm, S. 416. 4006 http://www.familysearch.org/Eng/Search/SSDI/individual_record.asp?recid=106246420&lds=3®ion=- 1®ionfriendly=&frompage=99. 4007 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4008 Jüdische Gemeinde Berlin, 24. Januar 2007. 4009 Vgl. Biogramm S. 420. 4010 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4011 Einwohnerbuch 1926, S. 291. 4012 StdA B, 57 K 102 – ohne Titel –, Verzeichnis der im Jahre 1932 in Bocholt ansässig gewesenen Juden (Stand 1962). 4013 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4014 Ebd. 4015 Städtisches Marien-Gymnasium, Bocholt, Archiv, Hauptbuch von Nr. 1 bis 4450 / Ostern 1928 bis Ostern 1965. 4016 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4017 Vgl. S. 417.

BUCH DER ERINNERUNG | 419 Sohn Ernst ten Bosch konnte am 13. März 1939 in das damalige britische Mandats- gebiet Palästina, den heutigen Staat Israel, fliehen4018. Zuletzt mussten Fanni ten Bosch, ihr Mann  Abraham und beider Tochter  Helene im sog. Judenhaus Legion-Condor-Straße 1 in Bremen wohnen4019.

Am 18. November 1941 wurden 440 Bremer jüdischen Glaubens zum Lloydbahnhof be- fohlen. Von hier wurden sie nach Hamburg gebracht und von dort zusammen mit 1014 Menschen in das Ghetto Minsk deportiert4020. Die Familie ten Bosch zählte zu ihnen4021. In Minsk mussten sie acht Monate lang Zwangsarbeit verrichten. Am 28. Juli 1942 wur- den Fanni,  Abraham und  Helene ten Bosch dort umgebracht4022. Nur sechs der aus Bremen Deportierten überlebten4023.

Vor dem ehemaligen Haus Parkstraße 1, heute Schwachhauser Heerstraße 18/Ecke Parkstraße, in Bremen-Schwachhausen liegen Stolpersteine, die an Fanni ten Bosch, ihren Mann  Abraham und beider Tochter  Helene erinnern4024.

Helene ten Bosch geboren am 3. Oktober 1920 in Bocholt ermordet am 28. Juli 1942 im Ghetto Minsk

Helene ten Bosch wurde am 3. Oktober 1920 als Tochter von  Fanni (geb. Katz, * 11 Juli 1881, Silixen – ermordet am 28. Juli 1942, Ghetto Minsk4025) und  Abraham ten Bosch (* 21. Juni 1881, Aalten/Niederlande – ermordet am 28. Juli 1942, Ghetto Minsk4026) im Haus Langenbergstraße 424027 geboren. Ihr Vater  Abraham ten Bosch war Anstreichermeister und führte im Haus Langenbergstraße 42, das er 1912 gekauft hatte4028, ein Anstreichergeschäft4029.

Helene hatte zwei ältere Brüder: – Karl (* 21. Oktober 1909, Bocholt4030 – Juni 1966, USA4031) – Ernst (* 27. Dezember 1914, Bocholt4032 – 2000, Netha niya/Israel4033).

4018 Staatsarchiv Bremen, 11. August 1983. 4019 Weser-Kurier, 6. Oktober 2010, Die letzte Adresse vor eresienstadt. 4020 http://spurensuche-bremen.de/2441/deportation-ins-ghetto-minsk/. 4021 Meyer, S. 50. 4022 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 846783. 4023 http://spurensuche-bremen.de/2441/deportation-ins-ghetto-minsk/. 4024 http://stolpersteine-bremen.de/detail.php?id=428. 4025 Vgl. Biogramm, S. 419. 4026 Vgl. Biogramm, S. 416. 4027 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4028 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten über die Grundstücke […] des Anstreichermeisters Abraham ten Bosch zu Bocholt, [...] Bocholt, Band -, Blatt 837, S. 18, Auflassungsvermerk vom 10. Juni 1912. 4029 Einwohnerbuch 1926, S. 291. 4030 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4031 http://www.familysearch.org/Eng/Search/SSDI/individual_record.asp?recid=106246420&lds=3®ion=- 1®ionfriendly=&frompage=99. 4032 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4033 Jüdische Gemeinde Berlin, 24. Januar 2007.

420 | BUCH DER ERINNERUNG Helene ten Bosch verließ am 3. März 1937 das städtische Oberlyzeum, da sie mit ihrer Mutter Fanny nach Bremen zog. (Marien-Gymnasium, Bocholt, Archiv, Haupt- buch von Nr. 1 bis 4450 / Ostern 1928 bis Ostern 1965)

Helene ten Bosch besuchte nach vier Jahren in der israelitischen Schule am Nordwall das städtische Oberlyzeum, das spätere Marienlyzeum, am Schleusenwall. Als letzter Schultag ist im Hauptbuch des Mariengymnasiums der 3. März 1937 und als Grund ihres Wegganges der Umzug der Familie nach Bremen vermerkt4034.

An diesem Tag zogen Helene und ihre Mutter  Fanni ten Bosch nach Bremen. Dort wohnten schon seit 1934 die Brüder Ernst und Karl. Am 26. September 1936 war auch ihr Vater  Abraham ten Bosch dorthin gezogen4035. Ihren Brüdern gelang es, Deutsch- land 1939 zu verlassen.

Ab einem nicht bekannten Zeitpunkt wohnten Helene,  Fanni und  Abraham ten Bosch im sog. Judenhaus Legion-Condor-Straße 1 in Bremen4036.

Am 18. November 1941 mussten sich 440 Bremerinnen und Bremer jüdischen Glaubens vor der Schule Am Barkhof versammeln. Gemeinsam mit Leidensgenossen aus dem Regierungsbezirk Stade marschierten sie anschließend zum Lloydbahnhof. Von dort wurden sie mit Zügen über Hamburg zusammen mit 1014 Menschen ins Ghetto Minsk deportiert4037. Helene ten Bosch, ihre Mutter  Fanni und ihr Vater  Abraham zählten zu ihnen4038.

In Minsk mussten sie acht Monate lang Zwangsarbeit verrichten. Am 28. Juli 1942 wurde Helene ten Bosch zusammen mit ihrer Mutter  Fanni und ihrem Vater  Abraham in Minsk umgebracht4039.

Vor dem ehemaligen Haus Parkstraße 1, heute Schwachhauser Heerstraße 18/Ecke Parkstraße, in Bremen-Schwachhausen liegen Stolpersteine, die an Helene ten Bosch, ihre Mutter  Fanni und ihren Vater  Abraham erinnern4040.

4034 Städtisches Marien-Gymnasium, Bocholt, Archiv, Hauptbuch von Nr. 1 bis 4450 / Ostern 1928 bis Ostern 1965. 4035 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4036 http://stolpersteine-bremen.de/detail.php?id=428. 4037 http://spurensuche-bremen.de/2441/deportation-ins-ghetto-minsk/. 4038 Meyer, S. 50. 4039 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 846781. 4040 http://stolpersteine-bremen.de/detail.php?id=428.

BUCH DER ERINNERUNG | 421 Margot Wallega geborene Seif geboren am 1. Mai 1911 in Moschin/Regierungsbezirk Posen ermordet am 10. September 1943 im Vernichtungslager Auschwitz

Margot Seif wurde am 1. Mai 1911 in Moschin/Regierungsbezirk Posen4041 geboren als Tochter von  Regina (geb. Simoni, * 22. Mai 1876, Moschin – ermordet nach dem 31. Januar 1942, Ghetto Riga4042) und  Salomon Seif (* 28. März 1884, Schwersenz/ Regierungsbezirk Posen – ermordet nach dem 31. Januar 1942, Ghetto Riga4043).

Margot Seif hatte fünf Geschwister:  Meta Baum (geb. Seif, * 22. Oktober 1908, Moschin – ermordet nach dem 13. Dezem- ber 1941, Ghetto Riga/Konzentrationslager Kaiserwald 4044)  Richard (* 8. Januar 1910, Moschin – ermordet nach dem 13. September 1942, Ver- nichtungslager Auschwitz4045) – Sigmar (* 2. März 1913, überlebte mehrere Vernichtungslager, u. a. das Vernichtungs- lager Auschwitz4046, lebte 2008 in den USA4047)  Rosa (* 24. Mai 1914, Moschin – ermordet nach dem 28. April 1942, Ghetto Krasnystaw4048)  Irma Bilski (geb. Seif, * 14. April 1920, Schrimm – ermordet nach dem 2. März 1943, Vernichtungslager Auschwitz4049).

Am 1. März 1920 zog Familie Seif in Bocholt zu. Zunächst fand sie eine Bleibe im israelitischen Gemeindehaus – das zugleich israelitische Schule war – am Nordwall 26. Sieben Monate später zogen die Seifs am 2. Dezember 1920 in die Waisenhausstraße6 (heute Wesemannstraße )4050. Am 31. Mai 1924 wurde dann das Haus Nobelstraße 28, das neben der Synagoge lag, für lange Zeit ihr Zuhause4051. Am 26. April 1933 zog Margot Seif nach Berlin4052.

Zu einem späteren Zeitpunkt vor 1940 verzog sie in die Niederlande, wo sie Machiel Wallega (* 18. März 1901, Zwolle/Niederlande – ermordet am 31. März 1944, Vernichtungs lager Auschwitz4053) heiratete. Am 18. Januar 1940 kam in Amsterdam Tochter Aaltje (* 18. Januar 1940 – ermordet am 10. September 1943, Vernichtungslager Auschwitz) zur Welt4054.

4041 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4042 Vgl. Biogramm S. 366. 4043 Vgl. Biogramm S. 373. 4044 Vgl. Biogramm S. 151. 4045 Vgl. Biogramm S. 368. 4046 StdAB, Stadt Bocholt Nr. 3. Akte nach dem BEG 3-917, Sigmar Seif (Paterson/USA) an Stadt Bocholt, 20. August 1952, nach Informationen der Gedenkstätte eresienstadt (http://www.holocaust.cz/de/victims/ PERSON.ITI.2208441) soll Sigmar Seif mit dem Transport XXIV/7 aus den Niederlanden in das Ghetto eresi- enstadt und von dort mit dem Transport El in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet worden sein. 4047 Mitteilung seines Großneffen Benno Simoni, Berlin, 31. Januar 2008. 4048 Vgl. Biogramm S. 373. 4049 Vgl. Biogramm S. 156. 4050 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4051 Ebd. 4052 Ebd. 4053 JHM A, Joodsmonument, p. 507168. 4054 Ebd.

422 | BUCH DER ERINNERUNG Im Februar 1941 wohnte die Familie in der Margot Wallega (geb. Seif) wohnte mit Nieuwe Hoogstraat 19 III in Amsterdam 4055. ihren Eltern Regina Wahr scheinlich am 7. September 1943 wurde und Salomon Seif von Margot Wallega mit Mann Machiel und Toch- 1924 bis 1933 im Haus ter Aaltje aus dem polizeilichen Judendurch- Nobelstraße 28. gangslager Westerbork in das Vernichtungs- (StdA B., Bildersammlung, lager Auschwitz deportiert4056. Nobelstraße)

Hier wurden Margot und Aaltje Wallega am 10. September 19434057, Machiel Wallega am 31. März 1944 umgebracht4058.

Julie Waller geborene Cohen geboren am 22. August 1871 in Bocholt ermordet nach dem 23. September 1942 im Vernichtungslager Treblinka

Julie Cohen wurde am 22. August 1871 in Bocholt, Haus Feldmark Nr. 284 (heute: Bahnhofstraße) als Tochter des Textilfabrikanten Cosman Cohen (* 17. April 1836, Bocholt – 16. Februar 1897, Bocholt4059) und dessen Frau Rosalia (geb. Rosenberg, * 24. September 1839, Oestinghausen/Kreis Soest – 21. Dezember 1921, Bocholt4060) geboren4061.

Sie hatte sieben Geschwister: – Emil (* 30. März 1865, Bocholt – 1934, Köln). Er gehörte der Stadtverordnetenver- sammlung seit 1911 an. Er zog nach den ersten freien, gleichen und geheimen Wahlen 1919 über den Wahlvorschlag der Verständigungsliste, eines Wahlbündnisses der christlichen Arbeiterschaft, der Handwerkerinnungen, der vereinigten Kaufleute, einiger konfessioneller Verbände sowie des Zentrums und der Deutschen Volkspar- tei, in die Stadtverordnetenversammlung ein. 1924 stand er auf der Zentrumsliste und wurde erneut in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. 1927 schied er mit seinem Wegzug nach Köln aus. 1934 starb er in Köln4062.

4055 Ebd. 4056 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus den Niederlan- den. 4057 JHM A, Joodsmonument, p. 507160. Nach dem Berliner Gedenkbuch, S. 1311, wurde Margot Wallega für tot erklärt. 4058 JHM A, Joodsmonument, p. 507168. 4059 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4060 Ebd. 4061 Personenstandsregister, S. 452. 4062 Vgl. S. 51 ff.

BUCH DER ERINNERUNG | 423 – Ida Magnus (geb. Cohen, * 28. August 1866, Bocholt – 18. Juni 1920, Bocholt4063) – Salomon Cosman (* 13. Mai 1868, Bocholt – 30. August 1868, Bocholt4064)  Bertha Stern (geb. Cohen, * 8. Oktober 1869, Bocholt – ermordet am 27. September 1942, Ghetto eresienstadt4065) – Bernhard (* 22. August 1871, Bocholt – 23. November 1934, Mönchengladbach4066)  Paula Cohen (geb. Cohen, * 1. Dezember 1873, Bocholt – erzwungener Freitod am 2. Dezember 1941, Berlin4067) – Max (* 27. März 1877, Bocholt4068 – 13. Februar 1938, Berlin4069).

Am 22. August 1888 verzog Julie Cohen nach Berlin4070, später nach Köln. Hier heiratete sie Carl Hugo Waller. Ob das Paar Kinder hatte, ist nicht bekannt.

In den frühen 1930er Jahren erfolgte ihr Zuzug nach Düsseldorf4071. Am 21. Juli 1942 wurden aus Düsseldorf und dem Bezirk der Staatspolizeileitstelle Düs- seldorf 965 Menschen jüdischen Glaubens deportiert, die am 23. Juli 1942 im Ghetto eresienstadt ankamen. Unter ihnen war auch Julie Waller. Der Deportationszug hatte die Nummer VII/14072. Julie Waller hatte beim Transport die Häftlingsnummer 9034073.

Am 21. September 1942 wurden von dort 2020 Menschen mit dem Altentransport „Bp“ in das Vernichtungslager Treblinka deportiert4074. Hierbei trug Julie Waller die Nummer 10444075. Die Ankunft dort am 23. September 1942 war die letzte Nachricht von ihr4076, in Treblinka wurde sie ermordet.

Meta (Karoline) Weiss geborene Löwenstein

geboren am 28. Dezember 1892 in Bocholt ermordet nach dem 3. März 1943 im Vernichtungslager Auschwitz Meta Weiss (geb. Löwenstein) (Foto: Dr. John Gold- Meta (Karoline) Löwenstein wurde als zweitältestes von sechs Kindern des Ehepaares smith, Liverpool/Groß-  Wilhelmine (geb. Geisel, * 13. Januar 1868, Rheinbach – 14. August 1943, Dordrecht/ britannien)

4063 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 27. 4064 Ebd., S. 26. 4065 Vgl. Biogramm S. 406. 4066 http://www.steinheim-institut.de/cgi-bin/epidat?function=Ins&sel=e26&inv=4070. 4067 Vgl. Biogramm S. 177. 4068 Westerhoff, Cosman David Cohen [...], S. 379f. 4069 Ebd., S. 411. 4070 Personenstandsregister, S.452. 4071 NS-Dokumentationszentrum Köln, 18. November 2007. 4072 eresienstädter Gedenkbuch, S. 458. 4073 http://109.123.214.108/de/victims/PERSON.ITI.679537. 4074 eresienstädter Gedenkbuch, S. 458. 4075 http://109.123.214.108/de/victims/PERSON.ITI.679537. 4076 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 148537; eresienstädter Gedenkbuch, S. 458.

424 | BUCH DER ERINNERUNG Niederlande4077) und Aron Löwenstein (* 4. Dezember 1859, Rhede – 12. April 1914, Bocholt4078) in Bocholt Feldmark Nr. 7184079 (später: Hemdener Straße bzw. Weg 11) geboren4080.

Meta (Karoline) Löwenstein hatte noch fünf Geschwister: – Rudolf (* 12. April 1891, Bocholt4081 – 1951, London4082)  Julius (* 9. Oktober 1894, Bocholt – ermordet am 16. Juli 1943, Vernichtungs lager Sobibor4083)  Fritz (* 25. April 1897, Bocholt – ermordet am 1. April 1944, Warschau/Polen4084) – Dr. med. dent. Amalie Meyer (geb. Löwenstein, * 28. Dezember 1898, Bocholt4085 – 1966, Liverpool/Großbritannien4086) – Luise Rosenberg (geb. Löwenstein, * 9. Oktober 1899, Bocholt – 1988, Santiago de Chile/Chile4087).

Über Meta (Karoline) Löwenstein ist wenig bekannt. 1923 zog sie aus Bocholt nach Berlin W 15, Württembergische Straße 31–324088. In Berlin heiratete sie am 7. Mai 19294089 Bruno Weiss (* 7. September 1889, Berlin – ermordet nach dem 23. Januar 1943, Vernichtungs lager Auschwitz4090). Das Ehepaar wohnte in der Düsseldorfer Straße 604091.

Ihr Mann Bruno Weiss wurde am 17. Dezember 1942 von Berlin aus in das Ghetto eresienstadt deportiert. Von dort verschleppte man ihn am 23. Januar 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz. Hier wurde er ermordet4092.

Aus Berlin wurde Meta (Karoline) Weiss am 3. März 1943 mit 1725 weiteren Menschen mit dem 34. „Ost“-Transport in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert4093. Dort wurde sie nach der Ankunft am 4. März 1943 ermordet4094.

Meta (Karoline) Weiss wurde vom Amtsgericht Berlin-Charlottenburg am 6. März 1950 zum 31. Dezember 1944 [sic] für tot erklärt 4095.

Vor dem früheren Löwensteinschen Haus in Bocholt, Hemdener Weg 11, liegen Stol per steine für Meta Weiss,  Anna,  Arnold,  Franz,  Fritz,  Julius und  Wilhelmine Löwenstein4096.

4077 Vgl. Biogramm S. 303. 4078 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4079 Personenstandsregister, S. 671. 4080 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4081 Personenstandsregister, S. 671. 4082 http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~mhines/GedHtml/ipl.htm#Little. 4083 Vgl. Biogramm S. 290. 4084 Vgl. Biogramm S. 282. 4085 Personenstandsregister, S. 671. 4086 Privatbesitz Josef Niebur, Protokoll über mündliche Mitteilungen von Dr. John Goldsmith, 31. Januar 2008. 4087 Ebd. 4088 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962, Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten […] über die Grundstücke des Kaufmanns Adolf Elsberg, Witwe und Kinder zu Bocholt Band -, Blatt 1453, S. 114, Amtsge- richt Berlin-Schöneberg, Aktenzeichen 7 VI 144/50, 6. März 1950; Berliner Gedenkbuch, S. 1331. 4089 Ebd., S. 109, beglaubigte Abschrift der Heiratsurkunde, 9. Mai 1940. 4090 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 1176661. 4091 Amtsgericht Bocholt, Grundakten, [...] Band 111, Blatt 87. 4092 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 1176661. 4093 Ebd., Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 4094 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 1178134. 4095 Amtsgericht Bocholt, Abteilung 5, Toderklärungsakte Löwenstein, Julius und Anna 5 II 145-148/49, Beschluß des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg vom 6. März 1950, Aktenzeichen: J VI 144/50 . 4096 Vgl. S. 459 ff.

BUCH DER ERINNERUNG | 425 Unterschrift Aurelia Weyl Aurelia Weyl (Amtsgericht Bocholt, geborene Stern Grundbuchamt, Grundakten Band 131, Blatt 3313, Bl. geboren am 14. August 1875 in Holzminden 78) ermordet am 29. August 1942 im Ghetto eresienstadt

Aurelia Stern wurde am 14. August 1875 in Holzminden (heute Niedersachsen)4097 als Tochter von Johanna (geb. Klestadt, * 27. April 1840, Ossendorf bei Warburg – 16. Juli 1917, Wuppertal4098) und dem Fabrikanten Joel Stern (* 1834, Warburg – 26. September 1888, Wuppertal4099) geboren. Ihre Eltern hatten 1872 geheiratet4100.

Sie hatte vier ebenfalls in Holzminden geborene Geschwister: – Imanuel (Emanuel) (* 1873 – er wanderte vor Beginn der Deportationen aus Deutsch- land aus4101) – Gerson (* 7. Juli 18744102 – 15. Januar 1956, Jerusalem/Israel). Er besuchte die Volks- schule in Holzminden, nach 1884 das Gymnasium in Elberfeld (heute ein Stadtteil von Wuppertal) bis zur Mittleren Reife. Anschließend war er zumeist als Kaufmann tätig. 1917 heiratete er Erna Schwarz (22. Juli 1894 – 1967) aus Metz. Von 1920 bis 1937 lebte Stern in Kiedrich/Rheingau. Dort kam auch sein einziges Kind, der Sohn Joel Stern (20. Mai 1920 – 1948), zur Welt. Neben seiner Tätigkeit als Fabrikant veröffent- lichte Gerson Stern literarische Arbeiten. Bereits 1915 erschien sein Gedichtband „Symphonie“. 1923 folgte das Drama „Ich im Lehnstuhl. Auch ein Totentanz“. Beide Publikationen blieben weitgehend unbeachtet. Während der Inflation verlor Gerson Stern fast sein gesamtes Vermögen. Ab 1936 bemühte sich Gerson Stern mit seiner Familie um eine Emigration nach Palästina. Nach zweimaliger Verhaftung im November und Dezember 1937 wegen angeblicher Devisenvergehen und unter erheblichem Vermögensverlust gelang es ihm, am 26. März 1939 Deutschland zu verlassen, er ließ sich in Jerusalem nie- der. Dort war er als Zeitungsredakteur tätig, setzte sich für eine deutschsprachige Literatur in Palästina ein und verkehrte in dem von Else Lasker-Schüler gegründeten Künstlerkreis „Der Kraal“. 1945 veröffentlichte er den Gedichtband „Stille Wege“. 1947 folgte in hebräischer Sprache der Roman „Die Waage der Welt“. Am 15. Januar 1956 starb Gerson Stern in Jerusalem/Israel4103. – Hirsch (* 1876 – 1876, Holzminden4104) – Moritz (Moses) (* 22. April 1880 – ermordet nach dem 8. November 1941, Ghetto Minsk4105).

4097 Personenstandsregister, S. 437. 4098 http://www.ns-gedenkstaetten.de/fileadmin/files/Dokumente/J%C3%BCdische_Friedh%C3%B6fe_gesamt.pdf. Jüdische Friedhöfe in Wuppertal. Friedhof Weinberg. 4099 Ebd. 4100 Kieckbusch, Klaus: Der Schriftsteller Gerson Stern, in: Heimat- und Geschichtsverein für die Stadt und den Land- kreis e. V.: Jahrbuch 2000 für den Landkreis Holzminden, Band 18, Holzminden [1999], S. 132. 4101 Ebd., S. 149. 4102 Ebd. 4103 http://www.buecher-wiki.de/index.php/BuecherWiki/SternGerson. 4104 Kieckbusch, S. 132. 4105 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 977254.

426 | BUCH DER ERINNERUNG 18844106 verkaufte ihr Vater Joel Stern sein Textilhandelsgeschäft sowie zwei ihm ge- hörige Häuser in Holzminden und zog mit seiner Familie nach Elberfeld bei Wuppertal. Hier beteiligte sich Joel Stern an der Textilfirma seines Bruders Abraham4107. Aurelia Stern zog am 4. Juli 18964108 aus Elberfeld bei Wuppertal nach Bocholt in das Haus Feldmark Nr. 255 (später: Bahnhofstraße 14) und heiratete den Fabrikanten Salomon Weyl (* 2. Dezember 1859, Haltern – 28. Januar 1923, Bocholt4109). Am 2. Mai 1897 wurde in Bocholt der Sohn Max geboren4110. Er konnte nach 1933 in die USA entkommen, wo er 1981 noch lebte4111. Am 28. Januar 1923 starb Salomon Weyl in Bonn4112. Er wurde auf dem israelitischen Friedhof in Bocholt beigesetzt4113. Über die weiteren Lebensumstände von Aurelia Weyl ist wenig bekannt. In der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 versuchten SA- und SS-Männer in ihr Haus Bahnhofstraße 14 einzudringen, wurden aber daran durch einen Nachbarn ge- hindert. „Als ‚sie‘ zu Rele Weyl wollten, stellte sich [Friedrich] Baldus (höher gewesener Offizier) mit geladener Pistole davor und sagte: ‚Ich habe 6 Schüsse, 5 für Euch, einen für mich, wenn ihr über diese Schwelle tretet‘. [...] Baldus soll dann später einen Brief von der ‚Partei‘ bekommen haben, daß er sich nicht um ihre Angelegenheit zu kümmern habe.“ (Levy Nussbaum 4114) Am 1. März 1940 musste Aurelia Weyl, nachdem sie ihr Haus Bahnhofstraße 14 unter Zwang vermietet hatte, in das Haus Schwartzstraße 14 ziehen4115. Es war ab dem 13. November 1940 Eigentum der katholischen Frau von Albert Löwenstein (* 9. Dezember 1876, Rietberg – 3. Mai 1960, Düsseldorf), Angelika (geb. Knappertsbusch, * 6. März 1877, Werden/Ruhr – 26. August 1960, Düsseldorf)4116. Dennoch war es das faktisch letzte sog. Judenhaus in Bocholt. Am 22. November 1941 musste Aurelia Weyl ihr Haus Bahnhofstraße 14 weit unter Preis an den bisherigen Mieter verkaufen4117. Im Vertrag hieß es: „Laut Verordnung vom 18. Januar 1940 kann die Verkäuferin, da sie Jüdin ist, nicht vom Vertrag zurücktreten. [...]“ 4118 Eintrag in die Kriegschronik vom 27. Juli 1942: „Gegen 22.30 Uhr wurden die nachstehend aufgeführten Juden, die in der Schwartzstraße Nr. 14 wohnten, von einem Beamten der Geheimen Staatspolizei aus Münster mit einem großen Möbelauto abgeholt und zunächst nach Münster gebracht. Angeblich sollen sie nach Böhmen evakuiert werden: [...] 2. Witwe Aurelisa [sic] Sara Weyl, geborene Stern, geboren am 14.8.1875 in Holz- minden [...]“4119

4106 http://de.wikipedia.org/wiki/Gerson_Stern. 4107 Kieckbusch, S. 132. 4108 Personenstandsregister, S. 671. 4109 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4110 Ebd. 4111 Stadt Bocholt, Allgemeine Verwaltung, Zentrale Verwaltung – Interne Dienste – Ordner: Jüdische Mitbürger -, Werner Weyl (USA), an Oberbürgermeister Hochgartz, 25. November 1981. 4112 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4113 Friedhofsliste in: Sundermann, Friedhöfe, S. 23. 4114 StdA B, 61 K 251 – ohne Aktentitel –, Levy Nußbaum an einen Verwandten in den USA, 15. Mai 1939. 4115 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4116 Ebd. 4117 Grundakten des Amtsgerichts Bocholt über die Grundstücke der Ww. Fabrikant Salomon Weyl, geborene Stern u. Sohn […] Band 131, Blatt 3313, Kaufvertrag vom 22. Dezember [sic] 1940, Blatt 70. 4118 Ebd., Blatt 72. 4119 Kriegschronik, S. 211.

BUCH DER ERINNERUNG | 427 Nach zwei Tagen im Sammellager Gertrudenhof in Münster wurde sie am 29. Juli 1942 mit dem Zug XI in das Ghetto eresienstadt deportiert4120. Hier kam Aurelia Weyl am 31. Juli 1942 an4121.

Nach knapp vier Wochen starb die schwer kranke4122 Frau angesichts der katastrophalen Lebensbedingungen im Ghetto eresienstadt am 29. August 19424123 um 11.40 Uhr im Gebäude L 124 im Zimmer 18 an einer – wie es in der Todesfallmeldung des Ghettos heißt – Lungenstauung4124.

Am 19. Dezember 1947 wandten sich Law Offices Galef und Dr. Jacobs, New York/USA an das Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt -: „Ich vertrete Herrn Max J. Weyl, der der alleinige Erbe seiner verstorbenen Eltern, Salomon Weyl und Aurelie [sic] Weyl, ist. Zum Zwecke der Geltendmachung von Rückerstattungsansprüchen unter der General Order Number 10 of the Military Government Germany, British Zone of Control, benötige ich einen Grundbuchauszug des Hauses Bahnhofstraße 14 in Bocholt, beginnend mit dem 1. Januar 1938.“ 4125

Die Stadt Bocholt – Wiedergutmachungsstelle – stellte in einem Schreiben vom 5. August 1948 an das Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt – den Antrag, das Grundstück Bahnhofstraße 14 auf die Liste der gesperrten Grundstücke zu setzen 4126. Am 12. Februar 1951 wurde auf Grund des Ersuchens des Wiedergutmachungsamtes beim Landgericht Münster vom 26. Januar 1951 in die Grundbuchtabelle eingetragen: „Der Ingenieur Max J. Weyl zu Kew Gardens L. J. N. Y. USA hat den Anspruch auf Rückerstattung des Grundstücks auf Grund des Rückerstattungsgesetzes angemeldet.“ 4127 Am 2. Oktober 1953 entschied die Wiedergutmachungskammer beim Landgericht Münster: „Der Antragsgegner bleibt Eigentümer des Hausgrundstücks Bocholt, Bahnhofstr. 14 […]. Zur Abgeltung aller in diesem Verfahren geltend gemachten Ansprüche zahlt der Antragsgegner an den Antragsteller 10.000,-- DM [...], 750,-- DM an Herrn Albert Löwen stein [4128...] werden als Beiträge zu den Kosten in dieser Sache bezahlt.“ 4129

Vor dem Haus Bahnhofstraße 14 in Bocholt liegt ein Stolperstein, der an Aurelia Weyl erinnert4130.

4120 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 152647, eresienstädter Gedenkbuch, S. 77. 4121 Ebd., S. 570, BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 4122 Aurelia Weyl war schwer magenkrank. 4123 eresienstädter Gedenkbuch, S. 570; BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 152647. 4124 Památník Terezin, 29. August 2011, Ghetto eresienstadt, Todesfallanzeige vom 29. August 1942. 4125 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten [...] der Ww. Fabrikant Salomon Weyl, geborene Stern u. Sohn[,] Band 131, Blatt 3313, Law Offices Galef und Dr. Jacobs, New York, an Amtsgericht Bocholt – Grundbuch- amt -, 19. Dezember 1947, S. 92. 4126 Ebd., Stadt Bocholt Wiedergutmachungsstelle an das Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt –, 5. August 1948, Blatt 95. 4127 Ebd., Grundbuchtabelle. 4128 Albert Löwenstein hatte als Vertrauensmann der ehemals in Bocholt wohnenden Bürger jüdischen Glaubens ungehinderten Zugang zu den Akten des Grundbuchamtes. Er half so vielen bei der Durchsetzung ihrer Wie- dergutmachungsansprüche (Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten über die Grundstücke der Firma Cosmann Cohen & Co., offene Handelsgesellschaft in Bocholt […] Band 155, Blatt 4027, Amtsgericht Bocholt an Käthe Blühdorn, New York/USA, 28. Juni 1950). 4129 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundakten [...] der Ww. Fabrikant Salomon Weyl, geborene Stern u. Sohn[,] Band 131, Blatt 3313, Niederschrift über die öffentliche Sitzung der Wiedergutmachungskammer beim Landgericht Münster vom 2. Oktober 1953, S. 107–108. 4130 Vgl. S. 459 ff.

428 | BUCH DER ERINNERUNG Carl Weyl geboren am 27. Februar 1876 in Bocholt gestorben am 28. Dezember 1938 in Düsseldorf an den Folgen von Verletzungen in der Pogromnacht

Carl Weyl wurde am 27. Februar 1876 im Haus Feldmark Nr. 271 (heute: Kaiser- Wilhelm-Straße) in Bocholt geboren4131. Seine Eltern waren der Fabrikant Samuel Weyl (* 27. Oktober 1842, Haltern – 31. Dezember 1915, Bocholt) und dessen Ehefrau Bertha (geb. Isaac, * 10. April 1850, Olfen – 30. September 1925, Bocholt)4132.

Carl Weyl hatte sechs Geschwister:  Ernst (* 23. Juni 1873, Bocholt – ermordet nach dem 25. September 1942, Vernichtungs lager Treblinka4133)  Julius (* 13. Oktober 1874, Bocholt – ermordet nach dem 16. September 1942, Vernichtungslager Auschwitz4134)  Rosa Löwenstein (geb. Weyl, * 25. August 1877, Bocholt – ermordet nach dem 23. Januar 1942, Ghetto Riga4135) – Otto (* 18. Dezember 1878 – 4136) – Milli (* 13. November 1880 – 4137) – Anna (* 18. Februar 1882 – 4138).

Carl Weyl absolvierte in den Jahren 1898/99 seinen Wehrdienst bei einem Feld-Artillerie- Regiment4139. Er trat dem St. Georgius-Schützenverein am 11. Juli 1909 bei4140.

Carl Weyl, als dessen Beruf in der Einwohnermeldekartei „Fabrikant“ angegeben war4141, heiratete vor 1908 in Brilon  Elfriede (geb. Dahlberg, * 16. Mai 1886, Brilon – ermordet nach dem 24. April 1942, Ghetto Izbica4142).

Das Ehepaar wohnte zunächst im Elternhaus von Carl Weyl in der Kaiserstraße 271 in Boc holt 4143. Am 7. Juli 1908 wurde Tochter Agnes Margret geboren4144, sie überlebte die Shoah. Die Familie zog am 7. September 1908 in das Haus Friedenstraße 24145. In diesem Haus Frieden- straße 2 wohnten Carl 4131 Personenstandsregister, S. 444. 4132 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. und Elfriede Weyl von 4133 Vgl. Biogramm S. 433. 1908 bis 1933. 4134 Vgl. Biogramm S. 436. (Stadt Bocholt, Foto: 4135 Vgl. Biogramm S. 302. Bruno Wansing) 4136 Otto Weyl ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Daten- bank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. In einem Page of Testimony, Gertrud Reiner (Haifa/Israel), 9. Mai 1999 (Yad Vashem, Jerusalem/Israel) wird suggeriert, dass Otto Weyl überlebt hat. 4137 Milli Weyl ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Daten- bank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 4138 Anna Weyl ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Daten- bank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 4139 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4140 Westerhoff, Ballotagen. 4141 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4142 Vgl. Biogramm S. 432. 4143 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4144 Ebd. 4145 Ebd.

BUCH DER ERINNERUNG | 429 Von Beginn des Ersten Weltkriegs am 2. August 1914 bis zum 28. Dezember 1918 war Carl Weyl – wie die Einwohnermeldekartei festhielt – „im Felde“4146.

Seine Ehefrau  Elfriede Weyl und beider Tochter Agnes Margret zogen am 5. Mai 1915 nach Iserlohn. Sie kehrten zu einem nicht bekannten Zeitpunkt vor 1918 nach Bocholt zurück und zogen in das Elternhaus von Carl Weyl in der Kaiser-Wilhelm- Straße 2714147.

Nach der Rückkehr von Carl Weyl aus dem Ersten Weltkrieg am 28. Dezember 1918 zog er wieder in das Haus Friedenstraße 24148. Am 6. November 1933 meldete sich Carl Weyl zu seiner bereits am 14. Oktober 1933 nach Düsseldorf verzogenen Frau  Elfriede ab4149.

In der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 wurde Carl Weyl durch brutale Schläger der SA und SS schwer verletzt4150. Seine Nichte Gertrud Reiner (Haifa/Israel) schrieb im Page of Testimony vom 9. Mai 1999, dass Carl Weyl „in seinem Haus in Düsseldorf von Nazis sehr schwer geschlagen“ worden sei4151.

Den Folgen der Verletzungen, die er sich dabei zuzog, erlag er am 28. Dezember 19384152. Seine Frau  Elfriede wurde nach dem 24. April 1942 im Ghetto Izbica ermordet.

Clärchen Weyl geborene Meyer

geboren am 21. August 1882 in Münster Clärchen Weyl (Sammlung ermordet nach dem 25. September 1942 im Vernichtungslager Treblinka G. Möllenhoff/ R. Schlautmann- Overmeyer, Klara – oder, wie sie zumindest in Bocholt genannt wurde, Clärchen – Meyer wurde Münster) am 21. August 1882 in Münster geboren4153. Sie heiratete am 3. September 1904 den Fabrikanten  Ernst Weyl (* 23. Juni 1873, Bocholt – ermordet nach dem 23. September 1942, Vernichtungslager Treblinka4154).

4146 Ebd. 4147 Ebd. 4148 Ebd. 4149 Ebd. 4150 StdA Düsseldorf, 7. August 1983. 4151 Yad Vaschem. e Central Database of Shoah Victims‘ Names. Page of Testimony, Gertrud Reiner (Haifa/Israel), 9. Mai 1999. 4152 StdA Düsseldorf, 7. August 1983. 4153 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4154 Vgl. Biogramm S. 433.

430 | BUCH DER ERINNERUNG Am 16. November 19074155 wurde Geburtsanzeige – Werner geboren, der noch 1984 in den USA für Gertrud Weyl. lebte4156, (StdA B, ZSlg., Bocholter Volks- am 23. Februar 19114157 blatt, 24. Februar – Gertrud Bernhardina, die 2009 als Gertrud Reiner 1911) in einem Altenheim in Haifa/ Israel lebte4158.

Ab 1919 besuchte Gertrud, die Tochter von Clärchen Weyl, das Lyzeum (heute: Mariengymnasium)4159.

„Ich gehörte als einzige Jüdin zu den ersten zwölf Abiturientinnen des Marien- Lyzeums. In unserer Klasse herrschte ein besonders herzliches Verhältnis, das sich über Jahre hinaus erhalten hat. […] 1933, als ich mich nach einem Semester an der Pariser juristischen Universität im Dolmetscher-Institut in Mannheim zurückmelden wollte, bekam ich kurz und bündig die Antwort ‚Juden werden neu nicht aufgenommen‘. So fiel mein erstes Diplom in Französisch und alles weitere ‚ins Wasser’. Ich war derartig unglücklich, plötzlich ein Bürger niederer Klasse zu sein, dass ich gern die Einladung meiner Pariser Freunde annahm, für 10 Tage zu ihnen zu kommen. Aus den 10 Tagen wurden ca. 2 Jahre. Dann musste ich zurück nach Bocholt, weil ich in Paris ohne Arbeitserlaubnis gearbeitet hatte und denunziert worden war. […]“ (Gertrud Reiner 4160)

Gertrud Weyl konnte am 21. November 1936 in das britische Mandatsgebiet Palästina – den heutigen Staat Israel – nach Haifa ausreisen4161. Hier heiratete sie später den Zahnarzt Dr. Reiner4162.

„Bei meiner Auswanderung 1936 wollte ich einen dicken Strich unter meine Ver- gangenheit in Bocholt machen und nahm deshalb fast nichts Persönliches mit; nur wichtige Dokumente (Zeugnisse, unsere Abiturzeitung, unser damaliges Couleur- band, natürlich in den Bocholter Farben – schwarz, silber, grün – und meinen Fami- lienstammbaum). […] Bemerken möchte ich sofort, dass ich in keinster Weise […] mit Trauer und Wut an Bocholt zurückdenke. […] Vielleicht mit Bedauern und etwas Wehmut." (Gertrud Reiner 4163)

Am 5. November 1938 zogen die Eheleute Clärchen und  Ernst Weyl nach Düsseldorf, Prinz-Georg-Straße 174164. Von dort verzogen sie am 28. Juni 1939 in die Rudolfstraße 20 nach Münster4165.

4155 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4156 Ebd., ZSlg., BBV-Weihnachtsbeilage 1984. 4157 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962; ZSlg., Bocholter Volksblatt, 24. Februar 1911. 4158 Stadt Bocholt, Fachbereich Zentrale Verwaltung - Interne Dienste - Ordner: Jüdische Mitbürger. Liste der jüdi- schen Mitbürger (Stand: 31. Dezember 2009). 4159 Ebd., Gertrud Reiner an Oberbürgermeister Hochgartz, 8. Oktober 1979. 4160 Ebd., Gertrud Reiner an Bürgermeisterin und Stadtdirektor, August 1997. 4161 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4162 Stadt Bocholt, Fachbereich Zentrale Verwaltung - Interne Dienste - Ordner: Jüdische Mitbürger. Gertrud Reiner an Oberbürgermeister Hochgartz, 8. Oktober 1979. 4163 Ebd., Gertrud Reiner (Haifa/Israel) an Bürgermeisterin und Stadtdirektor, im August 1997. 4164 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4165 StdA Düsseldorf, 9. August 1983.

BUCH DER ERINNERUNG | 431 Später zogen sie nach Minden, Kampstraße 124166. Vermutlich wählten sie Minden als vermeintliche Zuflucht, weil in der Nachbarschaft in der Kampstraße 27 der Bruder und die Schwester von Clärchen Weyl lebten: Dr. Max Meyer und Elisabeth Leeser 4167. Am 31. Juli 1942 wurden Clärchen und  Ernst Weyl mit 901 Menschen jüdischen Glaubens mit einem Deportationstransport der Staatspolizei(leit)stellen Münster und Bielefeld von Bielefeld aus in das Ghetto eresienstadt deportiert4168. Der Zug hatte die Nr. XI/1, Clärchen Weyl trug die Transportnummer 5724169.

Am 23. September 1942 wurde das Ehepaar von eresienstadt in das Vernichtungs lager Treblinka gebracht4170. Dieser Zug hatte die Bezeichnung „Bq“. Hier wurden Clärchen und  Ernst Weyl nach der Ankunft am 25. September 1942 ermordet4171.

Am 10. Juni 1953 wurden die Eheleute mit Wirkung vom 31. Dezember 1945 vom Amts- gericht Minden für tot erklärt4172.

Vor ihrer letzten Wohnung in Minden, Kampstraße 12, liegen seit 2008 Stolpersteine, die an Clärchen und  Ernst Weyl erinnern4173.

Elfriede Weyl geborene Dahlberg geboren am 16. Mai 1886 in Brilon ermordet nach dem 24. April 1942 im Ghetto Izbica

Elfriede Dahlberg wurde am 16. Mai 1886 in Brilon (heute: Hochsauerlandkreis) geboren4174. Sie kam später nach Bocholt und heiratete vor 1908 in Brilon  Carl Weyl (* 27. Februar 1876, Bocholt – gestorben am 28. Dezember 1938, Düsseldorf4175).

Das Ehepaar Elfriede und  Carl Weyl wohnte in der Kaiser-Straße 2714176. In die Ehe wurde eine Tochter geboren: – Agnes Margret (* 7. Juli 1908, Bocholt – 4177).

Die Familie zog am 7. September 1908 in das Haus Friedenstraße 24178. Vom Beginn des Ersten Weltkriegs am 2. August 1914 bis zum 28. Dezember 1918 war  Carl Weyl – wie die Einwohnermeldekartei festhielt – „im Felde.“4179

4166 http://www.friedenswoche-minden.de/projekte/Stolpersteine1.html. 4167 Ebd. 4168 eresienstädter Gedenkbuch, S. 458. 4169 http://109.123.214.108/de/victims/PERSON.ITI.682384. 4170 Ebd. 4171 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 987 168 (Ernst Weyl) und 987440 (Klara Weil [sic]). 4172 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4173 http://www.friedenswoche-minden.de/projekte/Stolpersteine2.html. 4174 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906-1962. 4175 Vgl. Biogramm S. 429. 4176 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4177 Agnes Margret Weyl ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis, noch im niederländischen Verzeichnis JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 4178 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4179 Ebd.

432 | BUCH DER ERINNERUNG Elfriede Weyl und beider Tochter Agnes Margret zogen am 5. Mai 1915 nach Iserlohn. Sie kehrten zu einem nicht bekannten Zeitpunkt vor 1918 nach Bocholt zurück in das Elternhaus von  Carl Weyl in der Kaiser-Wilhelm-Straße 2714180.

Am 28. Dezember 1918,  Carl Weyl kam an diesem Tag aus dem Ersten Weltkrieg nach Bocholt zurück, zogen seine Frau Elfriede und Tochter Agnes Margret Weyl nach Berlin-Wilmersdorf. Sie kehrten am 27. Dezember 1921 nach Bocholt, Friedenstraße 2, zurück4181.

Am 14. Oktober 1933 verzog Elfriede Weyl nach Düsseldorf.  Carl Weyl folgte ihr am 6. November 19334182.

In der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 wurde Ehemann  Carl Weyl schwer von den Nazis geschlagen. An den Folgen starb er am 28. Dezember 1938 in Düssel- dorf4183. Elfriede Weyl wurde am 22. April 1942 zusammen mit 842 Menschen jüdischen Glaubens von Düsseldorf aus in das Ghetto Izbica deportiert4184. Hier wurde sie nach der Ankunft am 24. April 1942 ermordet4185.

Ernst Weyl geboren am 23. Juni 1873 in Bocholt ermordet nach dem 25. September 1942 im Vernichtungslager Treblinka

Ernst Weyl wurde am 23. Juni 1873 als Sohn der Ehefrau Bertha Weyl (geb. Isaac, * 10. April 1850, Olfen – 30. September 1925, Bocholt4186) und des Fabrikanten Samuel 4187 Weyl (* 27. Oktober 1842, Haltern – 31. Dezember 1915, Bocholt ) im Haus Feldmark Ernst Weyl 4188 Nr. 271 (heute: Kaiser-Wilhelm-Straße) geboren . (Sammlung G. Möllenhoff/R. Schlaut- Ernst Weyl hatte sechs Geschwister: mann-Overmeyer,  Julius (* 13. Oktober 1874, Bocholt – ermordet nach dem 16. September 1942, Münster) Vernichtungslager Auschwitz4189)  Carl (* 27. Februar 1876, Bocholt – gestorben am 28. Dezember 1938 in Düsseldorf an seinen Verletzungen aus der Pogromnacht4190)  Rosa Löwenstein (geb. Weyl, * 25. August 1877, Bocholt – ermordet nach dem 23. Januar 1942, Ghetto Riga4191)

4180 Ebd. 4181 Ebd. 4182 Ebd. 4183 StdA Düsseldorf, 9. August 1983; Yad Vaschem. e Central Database of Shoah Victims‘ Names. Page of Testi- mony, Gertrud Reiner (Haifa/Israel), 9. Mai 1999. 4184 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 4185 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 986998. 4186 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4187 Ebd. 4188 Personenstandsregister, S. 671. 4189 Vgl. Biogramm S. 436. 4190 Vgl. Biogramm S. 429. 4191 Vgl. Biogramm S. 302.

BUCH DER ERINNERUNG | 433 – Otto (* 18. Dezember 1878, Bocholt4192 – 4193) – Milli (* 13. November 1880, Bocholt – 21. Februar 1897, Hamburg4194) – Anna (* 18. Februar 1888, Bocholt4195 – 4196).

Dem St. Georgius-Schützenverein gehörte Ernst Weyl seit dem 28. Juni 1896 an4197. Er wurde in der Firma seines Vaters, Weyl & Cohen, tätig4198.

Am 3. September 1904 heiratete Ernst Weyl  Clärchen (geb. Meyer, * 21. August 1882, Münster – ermordet nach dem 23. September 1942, Vernichtungslager Treblinka4199). 1905 zog das Ehepaar in das Haus Bismarckstraße 214200.

In die Ehe wurden zwei Kinder geboren: – Werner (* 16. November 1907, Bocholt4201). Er wurde nach der Pogromnacht 1938 im Konzentrationslager Dachau inhaftiert und wanderte nach seiner Entlassung zusammen mit seiner Frau Margarethe am 14. Juni 1939 über England4202 in die USA aus4203, wo er 1984 noch lebte4204. – Gertrud Bernhardina Reiner (geb. Weyl, * 23. Februar 1911, Bocholt4205 – lebte 2009 in einem Altenheim bei Haifa4206).

Vom 17. November 1917 bis zum 13. November 1918 nahm Ernst Weyl am Ersten Welt- krieg teil4207. 1915, nach dem Tod seines Vaters Samuel, trat Ernst Weyl als dessen Nachfolger bei der Firma Weyl & Cohen ein. Nach dem Verkauf der Firma an die Rudolph Karstadt AG 1921 wurde er dort stellvertretender Vorstand, ab 1931 erhielt er eine Pension4208.

Ab 1919 besuchte Tochter Gertrud das Lyzeum (heute: Mariengymnasium)4209. Am 27. April 1927 zog die Familie in das Haus Schwartzstraße 11 um4210. Im November 1928 wurde Ernst Weyl mit der Anschrift Nordallee 81 auf der Vor- schlagsliste der vereinigten Verbände der Arbeitgeber zu Bocholt zur Wahl der Ver- trauens männer nach dem Versicherungsgesetz für Angestellte zum Ersatzmann gewählt4211.

4192 Personenstandsregister, S. 671. 4193 Otto Weyl ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Daten- bank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 4194 Personenstandsregister, S. 671. 4195 Ebd. 4196 Anna Weyl ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Daten- bank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 4197 Westerhoff, Ballotagen. 4198 http://www.friedenswoche-minden.de/projekte/Stolpersteine2.html. 4199 Vgl. Biogramm, S. 430. 4200 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4201 Ebd. 4202 Althoff, Gertrud: Geschichte der Juden in Olfen. Jüdisches Leben im katholischen Milieu einer Kleinstadt im Münsterland. Mit einem einleitenden Beitrag von Diethard Aschoff, Reihe: Geschichte und Leben der Juden in Westfalen, Bd. 4, 2000, S. 133. 4203 http://www.pforzheim.de/kultur-bildung/Geschichte/Juedische_Buerger/W/Weyl,_Werner. 4204 StdA B., ZSlg., BBV-Weihnachtsbeilage 1984, S. 66. Werner Weyl. 4205 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4206 Stadt Bocholt, Fachbereich Zentrale Verwaltung – Interne Dienste – Ordner: Jüdische Mitbürger. Liste der jüdi- schen Mitbürger (Stand: 2009). 4207 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4208 Niebur, Herr Berla. […] in: Unser Bocholt, Heft 2/2007, S. 64. 4209 Stadt Bocholt, Fachbereich Zentrale Verwaltung – Interne Dienste – Ordner: Jüdische Mitbürger. Gertrud Reiner an Oberbürgermeister Hochgartz, 8. Oktober 1979. 4210 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4211 Ebd., ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 6. November 1928, Bekanntmachung. Betrifft Wahl der Vertrauensmänner nach dem Versicherungsgesetz für Angestellte. [...] Vorschlagsliste der vereinigten Verbände der Arbeitgeber zu Bocholt. Vertrauensmänner.

434 | BUCH DER ERINNERUNG Am 22. Oktober 1931 druckte das Bocholter Volksblatt unter dem Titel „Darum keine Unterschrift dem Volksbegehren“ eine Anzeige gegen ein reichsweites Volksbegehren der NSDAP gegen den sog. Young-Plan ab. Unterzeichnet war dieser Aufruf für Bocholt – außer durch den Landtagsabgeordneten Joseph Jakob – von den Stadtverordneten Jeanette Wolff, August Göwert, Gustav Krüger und Oswald Ludwig. Ebenso hatten „Nußbaum (Lehrer und Prediger)“ und „Weyl (Fabrikant)“ ihre Unterschriften gegeben4212.

Nachdem Hitler am 30. Januar 1933 in Berlin zum Reichskanzler ernannt und danach SA und SS in ganz Deutschland, so auch in Bocholt, die „Macht“ an sich rissen, wurden auch hier die Juden immer mehr an die Seite gedrängt. Bei einem gewaltsamen Boykott gegen die Juden Ende März/Anfang April 1933 kam es zu pogromartigem Aufruhr4213.

Am 21. November 1936 reiste Tochter Gertrud aus4214. Sie ging später nach Israel und wohnte mit ihrem Mann, dem Zahnarzt Dr. med. Otto Reiner, in Haifa4215.

Am 5. November 1938 zog das Ehepaar  Clärchen und Ernst Weyl, wohl weil es hoff- te, in der Anonymität der Großstadt sicherer vor antisemitischen Angriffen zu sein, von Bocholt nach Düsseldorf, Prinz-Georg-Straße 174216.

Sohn Werner, der nach der Pogromnacht in Pforzheim festgenommen und einige Zeit im Konzentrationslager Dachau inhaftiert worden war4217, konnte mit seiner Frau 1939 in die USA ausreisen4218.

Aus Düsseldorf zogen  Clärchen und Ernst Weyl am 28. Juni 1939 in die Rudolfstraße 20 nach Münster zum Bruder von Clärchen Weyl, Dr. jur. Max Meyer. Als das Haus bei einem Bombenangriff zerstört wurde, zog das Ehepaar am 8. Juli 1941 in das sog. Juden- haus Salzstraße 3 in Münster4219. Am 29. August 1941 zog das Ehepaar zu  Clärchen Weyls Schwester, Elisabeth Leeser, nach Minden4220.

Am 31. Juli 1942 wurden Ernst und  Clärchen Weyl zusammen mit 901 Menschen jü- dischen Glaubens aus den Bezirken der Staatspolizei(leit)stellen Münster und Bielefeld mit dem Transport XI/1 in das Ghetto eresienstadt deportiert. Sie erreichten es am 1. August 19424221.

Am 23. September 1942 wurde das Ehepaar von eresienstadt mit 980 Leidensgenos- sen weiter4222 in das Vernichtungslager Treblinka gebracht, Ernst Weyl hatte die Trans- portnummer 12714223. In Treblinka kam der Zug vermutlich am 25. September 1942 an4224. Hier wurden Ernst und  Clärchen Weyl nach dem 25. September 1942 ermor- det4225.

4212 Ebd., Bocholter Volksblatt vom 22. Oktober 1931. Aufruf: Darum keine Unterschrift dem Volksbegehren. 4213 Vgl. S. 73. 4214 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4215 Stadt Bocholt, Fachbereich Zentrale Verwaltung – Interne Dienste – Ordner: Jüdische Mitbürger. Gertrud Reiner an Oberbürgermeister Hochgartz, 8. Oktober 1979. 4216 StdA Düsseldorf, 9. August 1983. 4217 StdA B, ZSlg., BBV-Weihnachtsbeilage 1984, S. 46. 4218 http://www.pforzheim.de/kultur-bildung/Geschichte/Juedische_Buerger/W/Weyl,_Werner. 4219 StdA Düsseldorf, 9. August 1983. 4220 Möllenhoff, Gisela, Schlautmann-Overmeyer, Rita: Jüdische Familien in Münster, Bd. 2, 1918-1935, S. 546. 4221 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. eresienstädter Gedenkbuch, S. 570. 4222 http://109.123.214.108/de/victims/PERSON.ITI.682384. 4223 Ebd. 4224 eresienstädter Gedenkbuch, S. 79. 4225 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 986998, 987168.

BUCH DER ERINNERUNG | 435 Am 10. Juni 1953 wurden die Eheleute mit Wirkung vom 31. Dezember 1945 vom Amts- gericht Minden für tot erklärt4226.

Vor ihrer letzten frei gewählten Wohnung in Minden, Kampstraße 12, liegen seit dem Jahre 2008 Stolpersteine, die an  Clärchen und Ernst Weyl erinnern4227.

Dr. med. Julius Weyl geboren am 13. Oktober 1874 in Bocholt ermordet nach dem 16. September 1942 im Vernichtungslager Auschwitz

Julius Weyl wurde am 13. Oktober 1874 im Haus Feldmark Nr. 271 (heute: Kaiser- Wilhelm-Straße) in Bocholt geboren4228. Seine Eltern waren der Fabrikant Samuel Weyl (* 27. Oktober 1842, Haltern – 31. Dezember 1915, Bocholt4229) und seine Ehefrau Bertha (geb. Isaac, * 10. April 1850, Olfen – 30. September 1925, Bocholt4230).

Julius Weyl hatte sechs Geschwister:  Ernst (* 23. Juni 1873, Bocholt – ermordet nach dem 25. September 1942, Vernichtungs lager Treblinka4231)  Carl (* 27. Februar 1876, Bocholt – gestorben am 28. Dezember 1938, Düssel- dorf4232)  Rosa Löwenstein (geb. Weyl, * 25. August 1877, Bocholt – ermordet nach dem 23. Januar 1942, Ghetto Riga4233) – Otto (* 18. Dezember 1878, Bocholt4234 – 4235) – Milli (* 13. November 1880 – 21. Februar 1897, Hamburg4236) – Anna (* 18. Februar 18884237 – 4238).

1895 bestand er am königlichen Gymnasium Wesel (heute: Konrad-Duden- Gymnasium) seine Reifeprüfung (heute: Abitur)4239.

4226 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4227 http://www.friedenswoche-minden.de/projekte/Stolpersteine2.html. 4228 Personenstandsregister, S. 444. 4229 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4230 Ebd. 4231 Vgl. Biogramm S. 433. 4232 Vgl. Biogramm S. 429. 4233 Vgl. Biogramm S. 302. 4234 Personenstandsregister, S. 444. 4235 Otto Weyl ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Daten- bank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 4236 Personenstandsregister, S. 671. 4237 Ebd., S. 444. 4238 Anna Weyl ist weder in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis noch in der niederländischen Daten- bank JHM A, Joodsmonument als in der Shoah ermordet verzeichnet. 4239 http://www.kdg-wesel.de/index.php?id=1119.

436 | BUCH DER ERINNERUNG Danach zog Julius Weyl nach Berlin und studierte dort Medizin4240. Nach seinem Studium ließ er sich zum Dr. med. ausbilden, im Jahre 1900 approbierte er und reichte seine Dissertation ein4241. Er eröffnete in der Schadowstraße 58 in Berlin eine Praxis als Kinderarzt4242.

Am 17. April 1902 zog Dr. med. Julius Weyl aus Berlin nach Düsseldorf, Kaiser- Wilhelm-Straße 354243. Er heiratete vor 1909 Lilly (geb. Löwenstein, * 31. Juli 1888, Trier – ermordet nach dem 19. September 1942, Vernichtungslager Auschwitz4244).

Das Ehepaar hatte zwei Söhne: – Heinrich Walter (* 24. Januar 1909, Düsseldorf), Kaufmann, ledig, – Gerd (* 23. Januar 1913, Düsseldorf), Angestellter, ledig.

Am 2. April 1934 zog Heinrich Walter Weyl nach Paris-Neuilly, 27 Rue de la Ferme. Gerd Weyl meldete sich am 23. Mai 1935 von Düsseldorf nach Mannheim, Karl-Lud- wig-Straße 38 ab4245.

In den 1920er Jahren war Dr. med. Julius Weyl Mitglied im Vorstand der Vereinigung Rheinisch-Westfälischer Kinderärzte4246.

Er emigrierte nach Hitlers Machterschleichung zunächst nach Monaco, am 26. Juli 1938 nach Paris/Frankreich4247, wohin seine Frau Lilly bereits vorher geflohen war4248.

Dort wurden Dr. med. Julius Weyl und seine Frau Lilly nach der deutschen Besetzung 1940 verhaftet und am 14. September 1942 über das Internierungslager Drancy in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert4249.

Die Eheleute kamen am 16. September 19424250 im Vernichtungslager Auschwitz an, wo sie ermordet wurden4251.

4240 Althoff, Gertrud: Geschichte der Juden in Olfen. Jüdisches Leben im katholischen Milieu einer Kleinstadt im Münsterland, Münster 2000, S. 132. 4241 Seidler, Eduard: Jüdische Kinderärzte 1933–1945: entrechtet, geflohen, ermordet, Dresden 1998, S. 249. 4242 Ebd.; Yad Vashem, e Central Database of Shoah Victims‘ Names, Page of Testimony, 22. März 1956, Mikhael Ben Ari, Israel (Neffe). 4243 StdA Düsseldorf, 18. September 2008. 4244 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 987284. 4245 StdA Düsseldorf, 18. September 2008. 4246 Johannsen, Lorenz Peter: Erich Aschenheim, Albert Eckstein, Julius Weyl. Jüdische Pädiater im Vorstand der Ver- einigung Rheinisch-Westfälischer Kinderärzte. Jüdische Miniaturen, Band 104, Berlin 2010, S. 96. 4247 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 987392. 4248 Ebd. Nr. 987284. 4249 Ebd. Nr. 987392; StdA Düsseldorf, 18. September 2008. 4250 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus Frankreich. 4251 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 987392, 987284.

BUCH DER ERINNERUNG | 437 Hermann Wolff war Hermann Wolff Soldat im Ersten Welt- krieg. (Stadtarchiv Dinslaken, geboren am 12. Februar 1888 in Dortmund Sammlung Jeanette Wolff) ermordet auf dem Todesmarsch der Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald am 23. April 1945 bei Wetterfeld/Oberpfalz4252

Hermann Wolff (* 12. Februar 1888, Dortmund) zog am 3. November 1910 aus Dortmund nach Bocholt zu und wohnte im Haus Baustraße 134253. 1911 heiratete er die Witwe Jeanette Fuldauer (geb. Cohen, * 22. Juni 1888, Bocholt – 19. Mai 1976, Berlin4254). Jeanette Wolff war ab 1919 für die SPD Mitglied in der Stadtverordnetenversammlung in Bocholt. Hier war sie Mitglied in der Rechnungs kommission, der Armenkommis- sion, der Hebammenstelle und im Bezirksfürsorgeausschuss4255. Ab dem 7. Juni 1915 wohnten Hermann Wolff, seine Frau Jeanette und die bereits Verlobungsanzeige geborene Tochter Jeanette Cohen und  Julia (* 26. Oktober 1912, Bocholt – ermordet am 25. November 1941, Ghetto Hermann Wolff. 4256 (StdA B, ZSlg., Bocholter Kowno ) Volksblatt, 25. August in der Wittekindstraße 7. 1911) Am 5. Februar 1916 zog die junge Familie in die Osterstraße 574257. Hier wurde Tochter Edith (* 24. November 1916, Bocholt) geboren, sie überlebte mit ihrer Mutter Jeanette Wolff vier mörderische Jahre im Ghetto Riga und in den Konzentrationslagern Kaiser- wald und Stutthof. Zusammen mit ihrer Mutter wurde sie auf einem Todesmarsch befreit, am 2. Januar 1946 kamen sie nach Berlin. Tochter Edith wohnte später mit ihrem Mann Erich Marx in Alsfeld/Hessen. Am 20. Januar 2000 starb Edith Marx in Dinslaken. Am 26. März 1917 zogen Hermann Wolff und seine Familie in das Haus Ostwall 73, in dem Hermann Wolff seine Rohproduktenhandlung führte. Am 6. Juli 1918 wurde er in den Ersten Weltkrieg einberufen, von wo er nach dem Waffenstillstand am 11. Novem- ber 1918 nach Bocholt zurückkam4258. Am 14. Juli 1919 kaufte Hermann Wolff das Grundstück am Ostwall 73 4259, das später die Adresse Ostwall 35 trug4260. In diesem Haus wurde die dritte Tochter geboren:  Käthe (* 6. März 1920, Bocholt4261 – ermordet zu einem nicht bekannten Zeitpunkt an einem nicht bekannten Ort4262).

4252 Faulenbach, Bernd (Hg.) unter Mitarbeit von Anja Wissmann: Habt den Mut zu menschlichem Tun. Die Jüdin und Demokratin Jeanette Wolff in ihrer Zeit (1888–1976), Essen 2002, S. 46. 4253 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4254 Ebd. 4255 Vgl. S. 53 ff. 4256 Vgl. Biogramm S. 441. 4257 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4258 Ebd. 4259 Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt, Grundbuch von Bocholt, Eigentümer: Der Güter-Expedient Mauritz Seignette zu Bocholt[,] Der Kaufmann Hermann Wolff zu Bocholt, Ostwall […],Band 82, Blatt 34, Kaufvertrag vom 14. Juli 1919, S. 1. 4260 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4261 Ebd. 4262 Vgl. Biogramm S. 442.

438 | BUCH DER ERINNERUNG Hermann Wolff wurde in der Einwohnermeldekartei als „Kaufmann“4263, im Einwohner- buch 1926 als Eigentümer einer Rohproduktenhandlung, Ostwall 354264, verzeichnet. Er gehörte von 1919 bis 1921 als sachkundiger Bürger der Lebensmittelkommission, dem Steuerausschuss für die Besteuerung von Einkommen und Vermögen sowie der Einkommenssteuer-Voreinschätzungskommission an4265.

Am 14. Januar 1932 verzog Hermann Wolff mit seiner Familie nach Dinslaken4266 und eröffnete in der Hünxer Straße 38 das „Bekleidungshaus Herm[ann] Wolff“4267. Mit seiner Familie wohnte er in der Wielandstraße 11.

Jeanette Wolff legte wegen des Umzugs am 3. Januar 1932 ihr Stadtverordnetenmandat in Bocholt nieder. In einem Schreiben an Oberbürgermeister Dr. Otto Schmitz führte sie aus: „Nur ungern scheide ich von Bocholt u[nd] von der kommunalen Mitarbeit, die zwar manchmal Schwierigkeiten u. Unannehmlichkeiten mit sich brachte[,] aber die Befriedi- gung den Mitarbeitenden brachte. Ebenso ungern scheide ich von all den Herren und Damen, mit denen gemeinsam wir zum Wohle der Allgemeinheit arbeiteten. Trotz aller Meinungsverschiedenheit in politischer und wirtschaftlicher Beziehung ist die Zusam- menarbeit doch eine ersprießliche gewesen. [...]“4268

Am 18. März 1933 wurde Hermann Wolffs Frau Jeanette von den Nazis in Schutzhaft genommen4269. „Mutter war auf Wahlkampfreise bis zum letzten Tag und am Wahltag selbst nicht in Dinslaken. Als sie dann zurückkam, wurde sie verhaftet. Als Haftgrund wurde – wie wir dem uns nachträglich gegebenen Haftschein entnahmen – ,Beunruhigung der nationalen Bevöl kerung’ angegeben. Bei ihrer Verhaftung wurde sie nicht, wie das üblich war, von der SA abgeführt und dabei verprügelt. Der Landrat von Dinslaken war SPD-Mitglied. Als Vater zu ihm ging, um sich nach Mutters Verbleib zu erkundigen, zeigte der Landrat ihm das NSDAP-Parteibuch, das auch schon zwei Jahre alt war. Vater sagte dem Landrat, daß er ein Lump sei. Vater wurde dann auch verhaftet. Er kam dann in das Gefängnis in Duisburg, was ich erst später durch die Polizei erfuhr. Erst nach vierzehn Tagen erfuhren wir, daß Mutter im Frauengefängnis Hamborn einsaß, das sie erst wenige Jahre zuvor mit eingeweiht hatte. Sie hatte dort die Wöchnerinnenzelle.“ (Edith Marx, geb. Wolff 4270)

Erst im April 1935 wurde Jeanette Wolff aus der Schutzhaft entlassen. Mit seiner Fami- lie, außer der Tochter  Julia, verzog Hermann Wolff danach in seine Geburtsstadt Dortmund. Dort betrieb Jeanette Wolff in der Münsterstraße eine Pension und einen Mittagstisch für jüdische Menschen4271. In der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 wurde die Wohnung zerstört und Hermann Wolff in das Konzentrationslager Sachsen- hausen deportiert. Zur Jahreswende 1938/39 wurde er – wie seine Frau Jeanette Wolff schreibt – als „gebrochener Mann” entlassen4272.

4263 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4264 Einwohnerbuch 1926, S. 135. 4265 Vgl. S. 52. 4266 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4267 Ebd., 3 K 435 Provinziallandtags- und Stadtverordnetenwahl am 19.11.1929, Jeanette Wolff, Dinslaken, an Ober- bürgermeister Dr. Schmitz, Bocholt, 3. Januar 1932. 4268 Ebd. 4269 Ebd., ZSlg., Bocholter Volksblatt, 20. März 1933, Verhaftet. 4270 Augenzeugenbericht von Edith Marx Wir fühlten uns wie Schlachtvieh, S. 470. 4271 Faulenbach, S. 87. 4272 Ebd.

BUCH DER ERINNERUNG | 439 1939 wurde die Familie in das sog. Judenhaus Williburgstraße 6 in Dortmund-Mengede eingewiesen4273. Zusammen mit seiner Frau Jeanette Wolff und seiner Tochter Edith wurde Hermann Wolff am 27. Januar 1942 von Dortmund in das Ghetto Riga deportiert. Er überlebte mit Frau und Tochter das Ghetto sowie das folgende Konzentrationslager Kaiserwald4274.

Als die Rote Armee im Sommer 1944 in das Baltikum vorstieß, wurden die in den lettischen Konzentrationslagern festgehaltenen Menschen jüdischen Glaubens in aller Eile nach Deutschland zurückgebracht. Die Frauen kamen in das Konzentrationslager Stutthof mit seinen Nebenlagern. Die Männer, wie auch Hermann Wolff, gelangten von dort in das Konzentrationslager Buchenwald. Bei der Auflösung des Konzentrationslagers Buchenwald wurde Hermann Wolff auf einem Todesmarsch in das Konzentrationslager Flossenbürg bei Wetterfeld/Oberpfalz am 23. April 1945 erschossen4275.

Seine Tochter  Julia wurde am 25. November 1941 im Ghetto Kowno umgebracht, Tochter  Käthe kam während der Shoah in einem nicht bekannten Lager zu einem nicht bekannten Termin um. Jeanette Wolff überlebte zusammen mit ihrer Tochter Edith das Konzentrationslager Stutthof und den Todesmarsch, aus dem sie von der Roten Armee befreit wurden4276.

Nach ihrer Befreiung widmete sich Jeanette Wolff ganz der Politik. Auf kommunaler Ebene wurde sie in Berlin aktiv und war von 1946 bis 1951 Stadtverordnete. Aufgrund der Erhöhung der Zahl der Berliner Abgeordneten rückte sie am 1. Februar 1952 in den ersten Deutschen Bundestag nach und gehörte ihm bis 1961 an. Von 1957 bis 1963 war sie stellvertretende Vorsitzende des ehrenamtlichen Gewerkschaftsrats der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG).

1949 war sie Mitbegründerin und bis 1970 Kuratoriumsmitglied der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Berlin e.V. Im Anschluss daran war sie bis 1976 aktiv als stellvertretende jüdische Vorsitzende des deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.

Von 1965 bis 1975 bekleidete Jeanette Wolff die Position der stellvertretenden Vorsitzenden des Direktoriums des Zentralrats der Juden in Deutschland. 1967 wurde sie mit dem Ehrentitel Stadtälteste von Berlin ausgezeichnet und im Jahr darauf, an ihrem 80. Geburtstag, zum Ehrenmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte ernannt4277.

Jeanette Wolff wurde nach ihrem Tod am 19. Mai 1976 in einem Ehrengrab auf dem Friedhof der Jüdischen Gemeinde in Berlin-Charlottenburg beigesetzt4278.

4273 Wolff, Jeanette: Mit Bibel und Bebel. hrsg. von Hans Lamm, Bonn 1980, S. 16. 4274 Vgl. Augenzeugenbericht von Edith Marx Wir fühlten uns wie Schlachtvieh , S. 470. 4275 Faulenbach, S. 188; BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 993781, ohne Ermordungsort und -tag. 4276 StdA B, ZSlg., BBV, 23. Januar 2001, Edith Marx ist tot. 4277 Stadtmuseum Bocholt, Handgeschriebener Lebenslauf von Jeanette Wolff. 4278 http://www.stadtentwicklung.berlin.de/cgi-bin/egab/eg.pl?fieldname=grab&search=W&Search=Suche+starten.

440 | BUCH DER ERINNERUNG Julia Wolff 4279 geboren am 26. Oktober 1912 in Bocholt ermordet am 25. November 1941 im Ghetto Kowno (Kauen), Fort IX 4280

Julia Wolff – in der Familie Juliane genannt4281 – wurde am 26. Oktober 1912 als Toch- ter der über Bocholt hinaus bekannten Kommunal- und nach 1945 Bundespolitikerin Jeanette Wolff (verw. Fuldauer, geb. Cohen, * 22. Juni 1888, Bocholt – 19. Mai 1976, Berlin) und ihres Mannes  Hermann (* 12. Februar 1888, Dortmund – ermordet auf dem Todesmarsch am 23. April 1945 bei Wetterfeld/Oberpfalz4282) in Bocholt, Bau- straße 134283, geboren. Julia Wolff. (Stadtarchiv Julia Wolff hatte noch zwei ebenfalls in Bocholt geborene Schwestern: Dinslaken, Sammlung 4284 – Edith Sophia Marx (geb. Wolff, * 24. November 1916 ) überlebte mit ihrer Mutter Jeanette Wolff) Jeanette Wolff vier mörderische Jahre im Ghetto Riga und in den Konzentrationslagern Kaiserwald und Stutthof. Zusammen mit ihrer Mutter befreit, kehrten sie am 2. Januar 1946 nach Deutschland zurück und ließen sich in Berlin nieder. Mit ihrem Mann Erich Marx wurde sie in Alsfeld/Hessen ansässig. Edith Marx starb am 20. Januar 2000 in Dinslaken.  Käthe (* 6. März 19204285 – ermordet zu einem nicht bekannten Zeitpunkt an einem unbekannten Ort4286).

Ihr Vater  Hermann Wolff war nach dem Einwohnerbuch 1926 Eigentümer einer Rohproduktenhandlung am Ostwall 354287. Außerdem war er für die SPD in mehreren Ausschüssen der Stadtverordnetenversammlung aktiv4288.

Zusammen mit ihrer Famlie zog Julia Wolff am 14. Januar 1932 von Bocholt nach Dins laken4289. Weiter nach Frankfurt zog Julia Wolff nach 19354290. Hier wohnte sie zuletzt in der Beethovenstraße 64. Die Beethovenstraße befindet sich im Frankfurter Westend4291.

Am 22. November 1941 wurde Julia Wolff von der Großmarkthalle in Frankfurt4292 am Main aus mit 988 Jüdinnen in das Ghetto Kowno (Kauen), Fort IX 4293 deportiert. Hier kam der Transport am 25. November 1941 an4294. An diesem Tag wurde Julia Wolff ermordet4295.

4279 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. Nach BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 993249 hieß sie Anne Julia Wolff. 4280 Ebd. 4281 Vgl. Augenzeugenbericht von Edith Marx Wir fühlten uns wie Schlachtvieh , S. 470. 4282 Vgl. Biogramm, S. 438. 4283 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4284 Ebd. 4285 Ebd. 4286 Vgl. Biogramm, S. 442. 4287 Einwohnerbuch 1926, S. 135. 4288 Vgl. S. 439. 4289 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4290 Vgl. Augenzeugenbericht von Edith Marx Wir fühlten uns wie Schlachtvieh , S. 470. 4291 http://www.juedische-pflegegeschichte.de/index.php?dataId=164371343494469&opener=131724511929199&id =131724555879435&sid=affdd580718ab9450e6bc4b0e0681e28. 4292 http://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fmarkthalle_%28Frankfurt%29. 4293 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 993249. 4294 Ebd., Deportationschronologie, Chronologie der Deportationen aus dem Deutschen Reich. 4295 Ebd., Namenverzeichnis Nr. 993249.

BUCH DER ERINNERUNG | 441 Käthe Wolff

geboren am 6. März 1920 in Bocholt ermordet zu einem nicht bekannten Zeitpunkt an einem unbekannten Ort4296

Käthe Wolff wurde am 6. März 1920 im Haus Ostwall 35 als Tochter der über Bocholt hinaus bekannten Kommunal- und nach 1945 Bundespolitikerin Jeanette Wolff (verw. Fuldauer, geb. Cohen, * 22. Juni 1888, Bocholt – 19. Mai 1976, Berlin) und ihres Ehemannes  Hermann Wolff (* 12. Februar 1888, Dortmund – ermordet auf dem Todesmarsch am 23. April 1945, Wetterfeld/Oberpfalz4297) geboren. Käthe Wolff als Kind. (Stadtarchiv „Jeanette Wolff erzählte mir, daß sie neben meinem Großvater Oswald Ludwig hoch- Dinslaken, Sammlung schwanger mit dem dritten Kind bei den Haushaltsberatungen im Stadtrat gesessen Jeanette Wolff) habe. Er habe zu ihr gesagt: ‚Jeanette, Du siehst aus, als würde es bei Dir sofort los- gehen. Ich bring’ Dich mal nach Hause.’ Es war ja nicht weit vom damaligen Rathaus in den Ostwall. Er sagte dann zur Mutter von Jeanette: ‚Setz’ schon mal Wasser auf. Ich glaube, es dauert nicht mehr lange.’ Bald darauf kam ihre jüngste Tochter Käthe zur We l t .“ (Brigitte Eckers 4298)

Käthe Wolff besuchte zunächst die Privatschule Koop am Schleusenwall4299. Danach war sie mehrere Jahre Schülerin im benachbarten Lyzeum, dem heutigen Marien- gymnasium4300.

Im Januar 1932 zog Familie Wolff nach Dinslaken. Hier wurde Jeanette Wolff am 18. März 1933 in Schutzhaft genommen und erst 1935 wieder entlassen4301. Danach zog die Familie nach Dortmund.

Hier wurde Käthe Wolff verhaftet. Sie soll vom Leiter der Staatspolizeistelle Dortmund, Otto Bovensiepen, bei Verhören misshandelt worden sein4302.

„Beim Putzen [im Gerichtsgefängnis Herne] half mir eine fidele, zwanzigjährige Jüdin aus Dortmund, die kleine rundliche Käthe W[olff], die sich mit einem deutschen Soldaten irgendwie abgegeben haben sollte. Sie sang und schmetterte den ganzen Tag [...]. Als die ersten Pakete von meinen Angehörigen, die so glücklich waren, mir etwas zukommen lassen zu dürfen, in Herne eintrafen, war ich bereits im Konzentrationslager und habe sie niemals ausgehändigt bekommen. Diese kleine, überschäumende, gütige Jüdin wurde kurz nach mir auch in das Konzentrationslager Ravensbrück eingeliefert und später nach Lublin oder Auschwitz überwiesen.“ (Nanda Herbermann4303)

4296 Käthe Wolff ist in BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis nicht genannt. Jeanette Wolff schreibt in einem Personalfragebogen für den Magistrat von Groß-Berlin vom 28. März 1949 (in: Faulenbach, S. 188), dass ihre Tochter Käthe auf dem Jugendhof im KZ Ravensbrück umkam. 4297 Vgl. Biogramm S. 438. 4298 Privatbesitz Josef Niebur. Vermerk über Gespräche mit Brigitte Eckers (* 1944), Bocholt, von 1994–2003. Brigitte Eckers ist die Enkeltochter des Bocholter SPD-Gründers Oswald Ludwig. 4299 StdA B, ZSlg., Bocholter Volksblatt vom 4. Juni 1929. Das Jubiläum der Schule Koop. 4300 Städtisches Marien-Gymnasium, Bocholt, Archiv, Hauptbuch von Nr. 1 bis 4450 / Ostern 1928 bis Ostern 1965. 4301 Vgl. S. 439. 4302 Vgl. Augenzeugenbericht von Edith Marx Wir fühlten uns wie Schlachtvieh , S. 470. 4303 Herbermann, Nanda: Der gesegnete Abgrund. Schutzhäftling Nr. 6582 im Frauenkonzentrationslager Ravens- brück. Nürnberg o. J. [1946], S. 54/55.

442 | BUCH DER ERINNERUNG Wo und wann Käthe Wolff ermordet wurde, ist nicht bekannt. Es gibt in der Literatur neben dem obengenannten Hinweis auch die Mitteilung von Jeanette Wolff, dass Käthe Wolff im Sommer 1944 im Konzentrationslager Ravensbrück erschossen worden sei4304.

Edith Zytnik geboren am 11. Oktober 1933 in Bocholt4305 ermordet nach dem 15. Dezember 1941 im Ghetto Riga4306

Edith Zytnik wurde am 11. Oktober 1933 in Bocholt geboren. Ihre Mutter war  Rahel Blumenthal (verw. Zytnik, geb. Roth, * 17. Februar 1901, Schrimm/Regierungsbezirk Posen – ermordet nach dem 1. Oktober 1944, Konzentrationslager Stutthof4307). Ihr Vater, der Schneidermeister Max Zytnik (* 21. März 1894, Warschau/ Polen4308), war bei Ediths Geburt schon tot, er starb am 27. Juni 19334309.

Sie hatte einen älteren Bruder:  Manfred (* 5. September 1932, Bocholt – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, Ghetto Riga4310).

Edith und ihr Bruder  Manfred Zytnik wuchsen bei ihrer im selben Haus Königstraße Todesanzeige von Max 9 wohnenden Großmutter  Marianne Roth (geb. Dienstag, * 7. Juni 1868, Schrimm/ Zytnik (hier Zitnik Regierungsbezirk Posen – ermordet nach dem 23. September 1942, Vernichtungslager geschrieben), dem Treblinka4311) auf. Vater von Edith. (StdA B, ZSlg., Bochol- Trotz des Antisemitismus der Nazis gelang es  Rahel Blumenthal, die damals noch ter Volksblatt, 29. Juni den Namen Zytnik trug, den Lebensunterhalt für sich und die beiden Kinder durch eine 1933) Damenschneiderei zu bestreiten, die sie nach dem Tod ihres Mannes Max 1933 weiter- führte. Noch 1935 bildete sie eine Auszubildende aus4312.

„Edith war kräftig gelockt, sie hatte dunkelrote Haare. Wir besuchten uns gegenseitig. Zytniks lebten in der Königstraße 9. Im ersten Stock befand sich ihre große Wohnung, im Parterre betrieb ihre Mutter eine Änderungsschneiderei mit einem großen Fenster zur Königstraße.“ (Maria Wigger 4313)

4304 Faulenbach, S. 188; Käthe Wolff ist in der Internet-Präsenz des BA Gedenkbuches nicht verzeichnet. 4305 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4306 Es gibt unterschiedliche Berichte über die Ermordung von im Rigaer Ghetto lebenden Kindern. Edith Marx er- innert sich in ihrem Erlebnisbericht Wir fühlten uns wie Schlachtvieh, S. 470, daran, dass viele Kinder bei der Auflösung des Ghettos am 2. November 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden. Die neueren Verzeichnisse der Ermordeten (z. B. Buch der Erinnerung, Band 2, S. 741) geben Riga als Ermordungsort an. 4307 Vgl. Biogramm S. 160. 4308 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4309 Ebd. 4310 Vgl. Biogramm S. 445. 4311 Vgl. Biogramm S. 354. 4312 StdA B, ZSlg., Zeno-Zeitung – Volksblatt für Bocholt und den Kreis Borken vom 12. April 1935. 43 Lehrlinge wurden freigesprochen. 4313 Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Frau Maria Wigger (* 1931, früher wohnhaft Gast- hausstraße 5, Bocholt), geführt von Josef Niebur und Hermann Oechtering am 29. Juli 2010.

BUCH DER ERINNERUNG | 443 Mutter und Kinder wurden in der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 von ihrem Nachbarn August Vallée, der Gardeoffizier gewesen war, vor den am Haus stehenden Nazis geschützt. Diese wollten ihre Wohnung, Königstraße 9, zerstören.

„Dann hat sich noch der lange [August] Vallée – Königstraße (Gardeverein) – fabelhaft benommen, indem er sich schützend vor die Wohnung der armen [Frau] Roth-Zitnik [sic] gestellt und die Banditen nicht herauf gelassen hat. [...“ (Levy Nußbaum 4314)

Am 26. Mai 1940 kam Edith Zytnik in das jüdische Provinzial-Waisenhaus für West- falen und Rheinland in Paderborn4315. Diesem war eine der wenigen noch erlaubten jüdischen Volksschulen in Westfalen angeschlossen. Ihr Bruder  Manfred Zytnik wurde am 10. November 1940 in das Kinderheim mit jüdischer Privatschule in Köln, Lützowstraße 35-37, abgemeldet4316.

Am 5. Dezember 19414317 kehrte Edith aus Paderborn „zur Mutter Frau Adolf Blumenthal“4318 und ihrem Stiefvater  Adolf Blumenthal4319 nach Bocholt zurück. Diese wohnten inzwischen im sog. Judenhaus Bahnhofstraße 16. Ediths Bruder  Manfred Zytnik kehrte am gleichen Tag aus Köln nach Bocholt zurück4320.

Am 10. Dezember 1941 wurde Edith Zytnik auf Anordnung der Geheimen Staats- polizei mit insgesamt 21 weiteren Bocholtern jüdischen Glaubens sowie ihrem Bruder  Manfred, Mutter  Rahel und Stiefvater  Adolf Blumenthal nach Münster gebracht. Von dort wurden sie am 13. Dezember 1941 in das Ghetto Riga deportiert4321.

In die Einwohnermeldekarteikarte von Edith Zytnik wurde eingetragen: „10.12.41 n. Riga/Lettland.“4322 Die Schwärzung des Verzugsvermerks, die die Staatspolizeileitstelle Münster am 18. Juli 1942 anordnete4323, unterblieb bei Edith Zytnik4324. Über Edith Zytnik gibt es nach ihrer Ankunft in Riga am 15. Dezember 1941 keine individuellen Nachrichten zu ihrer Ermordung4325.

Die Namen von Edith und  Manfred Zytnik sowie ihrer Mutter  Rahel Blumenthal, ihres Stiefvaters  Adolf Blumenthal und ihrer Großmutter  Marianne Roth sind auf der Gedenktafel in der Gedenkstätte für die ehemalige Bocholter Synagoge verzeichnet.

Vor dem Haus Königstraße 9 liegen Stolpersteine, von denen einer an Edith Zytnik erinnert4326.

4314 StdA B, 61 K 251 – ohne Aktentitel –, Levy Nußbaum an einen Verwandten in den USA, 15. Mai 1939. 4315 Ebd., verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4316 Ebd.; http://www.gbg-koeln.de/denkmal/jg10/luetzowstr.htm. 4317 Ebd.; nach der Einwohnermeldekartei von Paderborn (abgedruckt in Naarmann, S. 601) wurde sie dort bereits am 2. Dezember 1941 abgemeldet. 4318 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4319 Vgl. Biogramm S. 158. 4320 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4321 Vgl. S. 110. 4322 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4323 Nacke, S. 170. 4324 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4325 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 997676. 4326 Vgl. S. 459 ff.

444 | BUCH DER ERINNERUNG Manfred Zytnik geboren am 5. September 1932 in Bocholt ermordet nach dem 15. Dezember 1941 im Ghetto Riga4327

Manfred Zytnik wurde am 5. September 1932 in Bocholt, Königstraße 9, geboren. Sein Vater, der Schneidermeister Max Zytnik (* 21. März 1894, Warschau/Polen4328) starb am 27. Juni 1933 in Bocholt4329. Seine Mutter war  Rahel Blumenthal (verw. Zytnik, geb. Roth, * 17. Februar 1901, Schrimm/Regierungsbezirk Posen – ermordet nach dem 1. Oktober 1944, Konzentrationslager Stutthof4330).

Manfred Zytnik hatte eine jüngere Schwester:  Edith (* 11. Oktober 1933, Bocholt – ermordet nach dem 15. Dezember 1941, Ghetto Riga4331).

Manfred Zytnik und seine Schwester wuchsen bei ihrer im selben Haus wohnenden Großmutter  Marianne Roth (geb. Dienstag, * 7. Juni 1868, Schrimm/Regierungsbezirk Posen – ermordet nach dem 23. September Grabstein für Max 1942, Vernichtungslager Treblinka4332) auf. Zytnik (hier Zitnik geschrieben) auf dem Vom 13. Juli bis 17. Oktober 1937 befand sich Manfred Zytnik im Kinderheim der heutigen jüdischen israelitischen Gemeinde Köln in der Lützowstraße 35 – 374333. Friedhof in Bocholt. (Stadt Bocholt, Foto: Bruno Wansing) Mutter und Kinder wurden in der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 von ihrem Nachbarn August Vallée, der Gardeoffizier gewesen war, vor den am Haus stehenden Nazis geschützt. Diese wollten ihre Wohnung in der Königstraße 9 zerstören.

„Dann hat sich noch der lange [August] Vallée – Königstraße (Gardeverein) – fabelhaft benommen, indem er sich schützend vor die Wohnung der armen [Frau] Roth-Zitnik [sic] gestellt und die Banditen nicht herauf gelassen hat. [...]“ (Levy Nußbaum 4334)

Manfred Zytnik wurde am 10. November 1940 erneut in das Kinderheim mit jüdischer Privatschule in Köln, Lützowstraße 35-37, abgemeldet4335. Seine Schwester  Edith war bereits am 26. Mai 1940 in das jüdische Provinzial-Waisenhaus für Westfalen und Rheinland in Paderborn gekommen4336.

4327 Es gibt unterschiedliche Berichte über die Ermordung von im Rigaer Ghetto lebenden Kindern. Edith Marx er- innert sich in ihrem Erlebnisbericht Wir fühlten uns wie Schlachtvieh, S. 470, daran, dass viele Kinder bei der Auflösung des Ghettos am 2. November 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden. Die neueren Verzeichnisse der Ermordeten (z. B. Buch der Erinnerung) geben Riga als Ermordungsort an. 4328 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4329 Ebd. 4330 Vgl. Biogramm S. 160. 4331 Vgl. Biogramm S. 443. 4332 Vgl. Biogramm S. 354. 4333 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4334 Ebd., 61 K 251 – ohne Aktentitel -, Levy Nußbaum an einen Verwandten in den USA, 15. Mai 1939. 4335 Ebd., http://www.gbg-koeln.de/denkmal/jg10/luetzowstr.htm. 4336 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

BUCH DER ERINNERUNG | 445 Am 5. Dezember 1941 kehrten Manfred aus Köln und seine Schwester  Edith Zytnik aus Paderborn „zur Mutter Frau Adolf Blumenthal“ 4337 nach Bocholt zurück, da sie mit ihr und ihrem Stiefvater  Adolf Blumenthal deportiert werden sollten. Mutter und Stiefvater wohnten inzwischen im sog. Judenhaus Bahnhofstraße 16.4338

Am 10. Dezember 1941 wurde Manfred Zytnik auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei mit insgesamt 24 weiteren Bocholtern jüdischen Glaubens, darunter seine Schwester  Edith, Mutter  Rahel und Stiefvater  Adolf Blumenthal, nach Münster gebracht. Von dort wurden sie am 13. Dezember 1941 in das Ghetto Riga deportiert4339.

In die Einwohnermeldekarteikarte von Manfred Zytnik wurde zunächst eingetragen: „10.12.41 n[ach]. Riga/Lettland.“ 4340 Die Schwärzung des Verzugsvermerks, die die Staats polizeileitstelle Münster am 18. Juli 1942 angeordnet hatte4341, unterblieb bei Manfred Zytnik4342.

Über Manfred Zytnik gibt es nach seiner Ankunft in Riga am 15. Dezember 1941 keine individuellen Nachrichten zu seiner Ermordung4343.

Die Namen von Manfred und  Edith Zytnik sowie ihrer Mutter  Rahel Blumenthal, ihres Stiefvaters  Adolf Blumenthal und ihrer Großmutter  Marianne Roth sind auf der Gedenktafel in der Gedenkstätte für die ehemalige Bocholter Synagoge verzeichnet.

Vor dem Haus Königstraße 9 liegen Stolpersteine, die an Manfred Zytnik und seine Familie erinnern4344.

4337 Ebd. 4338 Ebd. 4339 Vgl. S. 110. 4340 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4341 Nacke, S. 170. 4342 StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962. 4343 BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. 997681. 4344 Vgl. S. 459 ff.

446 | BUCH DER ERINNERUNG Stätten der Ermordung

Auschwitz

Das Konzentrationslager Auschwitz I wurde 1940 als größtes deutsches Vernichtungs- lager in Ostpolen in der Nähe von Krakau (heute: Kraków) gebaut. Auschwitz-Birkenau, oder auch KZ Auschwitz II genannt, wurde 1941 als Arbeits- und als Vernichtungslager errichtet. Das Lager hatte später insgesamt sechs Gaskammern und vier Krematorien. Unter unvorstellbar grausamen Bedingungen wurden hier viele hunderttausende Häftlinge – die nicht sofort nach ihrer Ankunft vergast worden waren – gefangen gehalten und durch Zwangsarbeit, Erfrieren, Verhungernlassen, medizinische Experimente, unbehandelte Krankheiten, Exekutionen und durch Gase getötet. Im Frühjahr 1942 begannen die Massendeportationen von Juden mit Transporten aus Polen, Frankreich, der Slowakei und Deutschland bis zu deren Höhepunkt im Jahre 1944 mit 600.000 Menschen jüdischen Glaubens, von denen 500.000 direkt in den Gas- kammern ermordet wurden. Das letzte Krematorium sprengten die Nazis kurz vor der Befreiung des Lagers durch die anrückenden sowjetischen Truppen im Januar 1945. Das Lager wurde am 27. Januar 1945 befreit. In den Jahren 1940–1945 wurden in Auschwitz mindestens 1,1 Millionen Menschen jüdischen Glaubens ermordet4345.

Belzec Im Vernichtungslager Belzec in Bełżec nahe Lublin/Polen trafen bereits im Mai 1940 Sinti ein, die aus der Tschechoslowakei, Polen und Deutschland dorthin deportiert wor- den waren. Am 1. November 1941 begann der Bau eines Lagers, das eine fest installierte Gas kammer erhielt. Innerhalb der nächsten vier Wochen wurden 75.000 Juden umgebracht. Bis An- fang Januar 1943 wurden in Belzec 434.508 Menschen getötet. Am 11. Dezember 1942 traf der letzte Transport mit Opfern ein. Seit November 1942 wurden Leichen massenhaft exhumiert und auf riesigen Rosten aus Eisenbahnschienen verbrannt. Im Frühjahr 1943 wurden alle Spuren beseitigt4346.

Bergen-Belsen Das KZ Bergen-Belsen war ein nationalsozialistisches Konzentrationslager bei Bergen in der Nähe von Celle (Provinz Hannover, heute: Niedersachsen). Das ursprüngliche Kriegsgefangenenlager wurde seit Juni 1943 als Aufenthaltslager für jüdische Austausch- gefangene bezeichnet, bis es ab Dezember 1944 als Konzentrationslager Bergen-Belsen geführt wurde. Seit Ende 1944 trafen zahlreiche „Evakuierungstransporte“ vor allem mit Häftlingen aus vielen Konzentrations- und Außenlagern in Bergen-Belsen ein. In der Folge starben mehr als 50.000 kranke, erschöpfte und verhungernde Menschen. Britische Soldaten, die am 12. April 1945 ins Lager kamen, fanden zahlreiche un- bestattete Leichen und zum Skelett abgemagerte, todkranke Menschen4347.

4345 Nach: http://de.wikipedia.org/wiki/Vernichtungslager_Auschwitz. 4346 Nach: http://de.wikipedia.org/wiki/Vernichtungslager_Belzec. 4347 Nach: http://de.wikipedia.org/wiki/Bergen-Belsen.

BUCH DER ERINNERUNG | 447 Brandenburg

Bereits im Januar 1940 wurde in der Heilanstalt Brandenburg die Tötung von Men- schen durch Kohlenstoffmonoxid erprobt. Ab Februar 1940 war die Heilanstalt eine „Euthanasie“-Anstalt, in der bis zum Oktober 1940 insgesamt 8989 psychisch kranke und geistig behinderte Menschen ermordet wurden4348.

Buchenwald

Am 15. Juli 1937 wurde auf dem Ettersberg bei Weimar das Konzentrationslager Buchenwald eingerichtet. Die ersten Gefangenen des KZs Buchenwald waren politische Gegner des NS-Regimes. Nach der Pogromnacht am 9./10. November 1938 brachte die SS nahezu 10.000 Juden in das Lager. Hatten die Häftlinge bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs vorwiegend im Lageraufbau und im lagereigenen Steinbruch gearbeitet, so veränderte sich ihre Tätigkeit ab 1942 grundlegend. Die Gefangenen wurden über 130 Außenkommandos zugewiesen. Um die Produktion von Waffen voranzutreiben, ließ die SS ab April 1944 Menschen jüdischen Glaubens sowie Sinti und Roma aus dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau nach Buchenwald transportieren. Nach Auflösung der Lager in den baltischen Staaten, z. B. des Konzentrationslagers Kaiserwald, kamen im August 1944 Tausende der Häftlinge über das KZ Stutthof nach Buchenwald. Das Konzentrationslager war zu Jahresbeginn 1945 mit über 100.000 Häftlingen das größte noch bestehende KZ, es hatte viele Außenlager. Am 11. April 1945 befreiten amerikanische Truppen das KZ Buchenwald. Im Konzentrationslager Buchenwald waren insgesamt über 240.000 Menschen aus allen europäischen Ländern inhaftiert, von denen 34.000 von der SS registrierte, tatsächlich jedoch mindestens 50.000 Häftlinge ermordet wurden4349.

Chelmno siehe Kulmhof

Dorohusk

Das SS-Arbeitslager Dorohusk war ein Außenlager des KZ Majdanek. Es befand sich nahe dem Ort Dorohucza, etwa fünf Kilometer nordwestlich der polnischen Ortschaft Trawniki im Landkreis Swidnicki in der Woiwodschaft Lublin. Das Lager wurde direkt am Ufer des Flusses Wieperz errichtet Es bestand zwischen dem 13. März und dem 3. November 19434350.

4348 Nach: http://de.wikipedia.org/wiki/NS-T%C3%B6tungsanstalt_Brandenburg. 4349 Nach: http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/holocaust/buchenwald/. 4350 Nach: http://www.deathcamps.org/occupation/districts/dislublinzal_de.htm.

448 | BUCH DER ERINNERUNG Izbica

Izbica ist eine Kleinstadt am Fluß Wieperz im Kreis Krasnystaw (Bezirk Lublin) im da- mals besetzten Polen. Als im März 1942 die ersten Transporte aus dem Deutschen Reich und eresienstadt eintrafen, entwickelte sich Izbica zu einem Durchgangsghetto für die Vernichtungsstät- ten Sobibor und Belzec. Die Einwohnerzahl von Izbica stieg von 6.000 auf nahezu 12.000 an. Ausgangssperren hinderten die dorthin verbrachten Menschen am Verlassen der Gemeinde Izbica, und bei den „Aussiedlungsaktionen“ umstellten Postenketten den Ort. Am 8. Juni 1942 begann die Deportation von zahlreichen „nicht arbeitsfähigen“ deutschen Juden aus Izbica in das etwa 50 km entfernt gelegene Vernichtungslager Belzec4351.

Kaiserwald

Im Rigaer Villenvorort Mežaparks (Kaiserwald) entstand im Sommer 1943 das umzäunte KZ Riga-Kaiserwald, in dem acht Baracken für jüdische Häftlinge vorgesehen waren. Die ersten vierhundert Juden wurden im Juli 1943 aus dem Ghetto Riga dorthin geschafft. Weitreichende Planungen, das Konzentrationslager auszubauen und ein zweites zu errichten, wurden nicht mehr verwirklicht. Kinder und Kranke wurden im November 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Ab August 1944 wurden die in Kaiserwald Gefangenen auf dem Seewege in die Konzentrationslager Stutthof (für Frauen) bzw. Buchenwald (für Männer) deportiert4352.

Kaunas/Kowno

1941 eroberte die deutsche Wehrmacht Litauen, auch Kaunas, und blieb bis 1944 als Besatzungsmacht. In dieser Zeit wurde die jüdische Bevölkerung in das neugeschaffene Ghetto Slobodka auf der anderen Seite der Neris (heute: Stadtteil Vilijampole) gepfercht und sukzessive in dem nahe gelegenen Fort IX ermordet oder in andere Konzentrations- lager deportiert4353.

Krasnystaw

Krasnystaw ist eine polnische Stadt im Bezirk Lublin. Von 1940 bis 1942 befand sich dort ein Ghetto für etwa 4.000 Menschen jüdischen Glaubens. Bei der Auflösung des Ghettos Krasnystaw wurden die Gefangenen weiter in das Ghetto Izbica verschleppt4354.

4351 Nach: http://de.wikipedia.org/wiki/Vernichtungslager_Belzec. 4352 Nach: http://de.wikipedia.org/wiki/Ghetto_Riga. 4353 Ebd. 4354 Nach: http://de.wikipedia.org/wiki/krasnystaw.

BUCH DER ERINNERUNG | 449 Kulmhof

Das Vernichtungslager Kulmhof, auch als Vernichtungslager Chelmno bekannt, befand sich in Chełmno nad Nerem (auf Deutsch: Kulmhof an der Nehr), nordwestlich von Lodz im besetzten Polen. Das Vernichtungslager wurde hauptsächlich zwischen Dezember 1941 und März 1943 als Vernichtungsstätte benutzt, danach geräumt und nochmals im Sommer 1944 zur Ermordung von Juden des so genannten Ghettos Litzmannstadt verwendet4355.

Lodz

Das Ghetto Lodz im besetzten Polen war eines der größten Ghettos. Es diente als Zwischenstation für Menschen jüdischen Glaubens vor ihrer Deportation in die Ver- nichtungslager Kulmhof (Chelmno), Auschwitz, Majdanek, Treblinka und Sobibor. Am 10. Dezember 1939 wurde das Ghetto in der Stadt Lodz errichtet. Im Februar 1940 wurden die besonders rückständigen Stadtteile per Dekret zum Ghetto erklärt. Bis zum 30. April 1940 wurden zu den bereits ansässigen 60.000 Juden weitere 100.000 Juden unter Zwang einquartiert. Am 19. Januar 1945 befreite die sowjetische Armee das Ghetto4356.

Lublin siehe Majdanek

Majdanek

Das Konzentrationslager Majdanek (oder KZ Lublin, Majdanek ist ein Vorort von Lublin) war das erste deutsche Konzentrationslager im besetzten Polen. Majdanek wurde zeitweise auch als Vernichtungs-/Todeslager genutzt. Von Juli 1942 bis zum Jahresende wurden überwiegend Juden und Polen als Opfer der Aussiedlungspolitik und von Vergeltungsaktionen eingeliefert. 1943 war Majdanek Konzentrations- und Arbeitslager für polnische politische Häftlinge und Juden sowie Sammelstelle für die deportierte Landbevölkerung aus Polen und der UdSSR. Im Jahre 1943 fanden in Majdanek die größten Vernichtungsaktionen statt. So wurden am 3./4. November 1943 bei der so genannten Aktion Erntefest über 9.000 Juden aus Lublin und dem Zwangsarbeiterlager Lipowastraße nach Majdanek verschleppt und er- schossen. Majdanek wurde am 23. Juli 1944 befreit. Neue Forschungsergebnisse geben die Gesamtzahl derjenigen, die in Majdanek ums Leben kamen, mit 78.000, darunter 59.000 Juden, an4357.

Maly Trostinec

Im Vernichtungslager Maly Trostinec, südöstlich von Minsk/Weißrussland, wurden zwischen 1942 und 1944 etwa 40.000 bis 60.000 Menschen jüdischen Glaubens ermor- det.

4355 Nach: http://de.wikipedia.org/wiki/Vernichtungslager_Kulmhof. 4356 Nach: http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/holocaust/lodz/index.html. 4357 Nach: http://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Majdanek.

450 | BUCH DER ERINNERUNG Ende Juli 1942 wurden etwa 10.000 Gefangene in Maly Trostinec ermordet. Bei einem weiteren Massaker wurden am 14. September 1943 viele erschossen oder in Gaswagen erstickt. Sowjetische Truppen nahmen Ende Juni 1944 Maly Trostinec ein und befreiten die we- nigen Überlebenden4358.

Minsk

Von den Einwohnern der Hauptstadt Weißrusslands war im Sommer 1941 ein Drittel jüdischen Glaubens. Nach der Eroberung durch die Deutschen am 28. Juni 1941 wurde in Minsk ein Ghetto errichtet, in dem bis zu 100.000 Personen interniert wurden. Durch mehrere große Mordaktionen wurden bis zur Befreiung am 3. Juli 1944 nahezu alle Ge- fangenen ermordet. Zwischen November 1941 und Oktober 1942 wurden insgesamt 35.442 Menschen jüdischen Glaubens aus Deutschland und dem Protektorat Böhmen und Mähren nach Minsk deportiert. Die meisten wurden mit dem Zug direkt nach Maly Trostinec gebracht und dort ermordet. Die Befreiung von Minsk überlebten lediglich zehn deutsche Juden4359.

Piaski

Von den 3.974 Einwohnern waren im Jahre 1921 2.674 jüdischen Glaubens, 1939 lebten 4.165 Juden in Piaski/Polen. Im jüdischen „Schtetl“ von Piaski wurde 1940 ein Ghetto eingerichtet, in das mehrere tausend Juden aus dem Lubliner Ghetto sowie aus dem Deutschen Reich transportiert wurden und aus dem regelmäßige Transporte in das Vernichtungslager Belzec erfolgten. 1942 wurden die Überlebenden aus Piaski in das Vernichtungslager Sobibor deportiert4360.

Riga

Riga, die Hauptstadt von Lettland, wurde im Juni 1940 von der Sowjetunion annektiert, am 1. Juli 1941 von den Deutschen besetzt. Mitte August 1941 wurde das Ghetto in der Moskauvorstadt, einem Stadtteil von Riga, eingerichtet, es hatte ca. 30.000 Einwohner. Die zwangsarbeitenden Juden wurden in einem separaten „kleinen Ghetto“ festgehalten. In Riga waren bereits im Sommer 1941 etwa 30.000 lettische Juden durch SS-Ein- satzgruppen erschossen worden. Am 30. November und am 8./9. Dezember 1941 wurde das „große Ghetto“ umstellt. Die lettischen Bewohner wurden in den Wald von Rumbula verschleppt, wo sie erschossen wurden. In das „große Ghetto“ wurden nun aus Deutschland deportierte Juden aufgenommen. Der erste Transport aus Berlin erreichte Riga am 1. Dezember 1941, am 15. Dezember 1941 kamen die ersten 25 Bocholter jü- dischen Glaubens mit einem Transport aus Münster an. Dabei kam es bereits zu Er- schießungen im unweit gelegenen Hochwald von Bikernieki.

4358 Enzyklopädie des Holocaust : die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden / Hrsg. von Eberhard Jäckel ... [Hauptherausgeber: Israel Gutman]. – Berlin 1993.- Bd. II, S. 950 ff. 4359 Gottwald, Alfred, Schulle, Diana: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich von 1941–1945, Wiesbaden 2007, S. 235. 4360 Nach: http://de.wikipedia.org/wiki/Piaski.2.

BUCH DER ERINNERUNG | 451 Im Ghetto wurden Juden durch Zwangsarbeit und schlechte Ernährung, einen mörderischen Lageralltag sowie die Willkür der SS-Wachmannschaften umgebracht. Viele Männer aus dem Münster-Transport kamen unmittelbar nach ihrer Ankunft im Ghetto in das Außenlager Salaspils, wo die meisten von ihnen durch harte Zwangsarbeit und drakonische Strafen ermordet wurden. Als das Ghetto Riga am 2. November 1943 endgültig aufgelöst worden war, wurden fast alle Verschleppten in das KZ Kaiserwald bei Riga deportiert. Insgesamt wurden etwa 25.000 deutsche Juden nach Riga und Kaiserwald deportiert, nur etwa 150 der Verschleppten überlebten4361.

Sobibor

Das Vernichtungslager Sobibor lag in der Nähe von Włodawa im südöstlichen Polen. Das Lager wurde Anfang 1942, während der deutschen Besetzung Polens, errichtet und diente neben den Lagern Belzec und Treblinka als Vernichtungslager im Rahmen der „Aktion Reinhardt“, der planmäßigen Ermordung der Juden des Generalgouverne- ments. Im Vernichtungslager Sobibor wurden nach Schätzungen bis zu 250.000 Juden in Gaskammern ermordet. Am 14. Oktober 1943 kam es in Sobibor zu einem Aufstand mit anschließender Massenflucht. Das Lager wurde dem Erdboden gleichgemacht. Danach blieben ein unverdächtig aussehender Bauernhof und ein speziell aufgeforsteter Jungwald auf dem ehemaligen Gelände des Vernichtungslagers zurück4362.

Stutthof

Aus einem kleinen Lager für ca. 3500 Häftlinge in der Nähe von Danzig/Polen wurde nach 1939 ein Lager für 57.000 Häftlinge. Anfang 1943 wurde direkt neben dem alten Lager das neue Konzentrationslager für 25.000 Häftlinge errichtet. Mitte 1944 nahmen die Häftlingszahlen sprunghaft zu. Immer mehr Gefangene wurden über die Ostsee aus Lagern evakuiert, die kurz vor der Einnahme durch die Rote Armee standen. Vor allem aus dem Baltikum, aus Kaiserwald, Kaunas und Schaulen, aber auch aus Auschwitz, kamen immer wieder Transporte an. Ende 1944 waren mindestens 70 % der Häftlinge jüdischer Religion. Am 25. Januar 1945 begann man damit, das Lager zu evakuieren; Häftlinge wurden auf Todesmärsche geschickt. Sowjetische Soldaten befreiten am 9. Mai 1945 das KZ. Etwa 110.000 Menschen waren insgesamt in Stutthof inhaftiert, hiervon kamen unge- fähr 65.000 um4363.

eresienstadt

eresienstadt (tschechisch Terezín) war ein Ghetto bei Prag in der heutigen Tsche- chischen Republik. Am 24. November 1941 wurde auf einem ehemaligen Kasernen- gelände in eresienstadt ein Ghetto eingerichtet. Es war ursprünglich das Sammel- lager für die Menschen jüdischen Glaubens aus dem Protektorat Böhmen und Mähren.

4361 Nach: http://de.wikipedia.org/wiki/Ghetto_Riga. 4362 Nach: http://de.wikipedia.org/wiki/Vernichtungslager_Sobibor. 4363 Enzyklopädie des Holocaust, Bd. II, S. 359.

452 | BUCH DER ERINNERUNG Ab 1942 wurden hier jedoch vor allem über 65jährige und sog. „privilegierte“ Juden, z. B. Prominente und im 1. Weltkrieg Ausgezeichnete, interniert. Viele der nach eresienstadt Deportierten wurden weiter in die Vernichtungslager in Polen und Weißrußland gebracht. 1942 wurde in eresienstadt ein Krematorium ge- baut, um dort die durch Hunger, Erschöpfung, Epidemien, Hinrichtungen und Folter stets steigende Zahl Ermordeter zu verbrennen. Bis Mai 1945, als die Rote Armee das Ghetto befreite, kamen etwa 141.000 Menschen nach eresienstadt, ca. 35.000 starben hier, etwa 92.000 wurden in Vernichtungslagern umgebracht. Nur 14.000 der hierhin deportierten Menschen überlebten das Ghetto4364.

Treblinka

Treblinka ist ein Dorf im Osten Polens nahe des westlichen Bug, es liegt ca. 75 km nord- östlich von Warschau. Das Vernichtungslager Treblinka wurde 1942 errichtet. Nach einem Aufstand im Lager am 2. August 1943, in dessen Verlauf immerhin fast 200 Häftlinge zumindest kurzfristig entkamen, wurden die Insassen, welche die darauf folgenden Strafmaßnahmen überlebt hatten, ins Vernichtungslager Sobibor verbracht. Die geschätzte Gesamtzahl der Opfer in den Gaskammern von Treblinka, des größten Vernichtungslagers der Nazis, dürfte 1.000.000 übertroffen haben4365.

Westerbork

Im Sommer 1939 wurde das „Zentrale Flüchtlingslager Westerbork“ unter niederlän- discher Verwaltung in der Provinz Drenthe/Niederlande gegründet. Vor allem die jü- dischen Flüchtlinge aus Deutschland sollten in einem Lager aufgefangen werden. Am 1. Juli 1942 – zwei Jahre nach der deutschen Besetzung – wurde aus dem Zentralen Flüchtlingslager Westerbork offiziell das „Polizeiliche Judendurchgangslager (Kamp) Westerbork“ unter direkter deutscher Verwaltung. Dies stand im zeitlichen Zusam- menhang mit dem Beginn der Deportationen am 15. Juni 1942 in die Vernichtungslager Auschwitz, Treblinka und Sobibor. Jeden Dienstag fuhr ein Zug aus Westerbork mit einer großen Gruppe Häftlinge in die Vernichtungslager im besetzten Polen. Insgesamt wurden von 1942 bis 1944 mehr als 107.000 Juden aus Westerbork deportiert. Nur etwa 5.000 von ihnen überlebten und konnten zurückkehren. Der letzte Zug fuhr am 3. September 1944 aus Westerbork ab. Am 12. April 1945 wurde das Lager von kanadischen Soldaten befreit4366.

Zamosc

Zamosc liegt etwa 240 km südöstlich von Warschau im Verwaltungsbezirk Lublin/ Polen. Nach dem Einmarsch der deutschen Besatzungstruppen waren bereits 8.000 Menschen aus Zamosc und Umgebung getötet worden, Zehntausende aus der Region wurden deportiert. Das Lager wurde 1943 zum Vernichtungslager, auch für Menschen jüdischen Glaubens aus Deutschland4367.

4364 Ebd., Bd. II, S. 379. 4365 Nach: http://de.wikipedia.org/wiki/Vernichtungslager_Treblinka. 4366 Nach: http://de.wikipedia.org/wiki/Vernichtungslager_Westerbork. 4367 Nach: http://www.polish-online.com/polen/staedte/zamosc-geschichte.php.

BUCH DER ERINNERUNG | 453 III. VHS-Arbeitskreis „Synagogenlandschaften“ und Koordinierungskreis „Stolpersteine“ von Reinhold Sprinz

Am 1. Dezember 1997 gründeten Jan Berkelbach, Annette Enk, Pfarrer Hans-Rudolf Gehrmann, Ferdinand Salomon van Loopik, Josef Niebur, Reinhold Sprinz (VHS- Leiter) und Pfarrer em. Johannes Tebroke (†) in der Volkshochschule Bocholt – Rhede – Isselburg einen Arbeitskreis „Synagogenlandschaften“. Der Arbeitskreis wurde in der Planungsphase der neuen Gedenkstätte für die Bocholter Synagoge von der Architektin Martina Voß-Sprinz gestalterisch und planerisch beraten. Später kamen Günter Lorch (1930 – 2008), der Sohn des ehemals letzten in Bocholt lebenden jüdischen Mitbürgers Norbert Lorch, sowie Christine Günther und Liebeth Hennig, ab 2007 Hermann Oechtering und Dr. Martin Bachmann, ab 2010 Rüdiger Beimesche hinzu. Im Arbeitskreis arbeiten Christen und Juden, Deutsche und Niederländer zusammen. Seinen Namen führt der Arbeitskreis auf eine gleichnamige Ausstellung zurück, die im Sommer 1997 im Jüdischen Museum in Hohenems (Österreich) zu sehen war. Sie zeigte die Synagogen des Bodenseeraumes in der Schweiz und die Gedenkstätten für die zerstörten Synagogen in Deutschland und Österreich.

Ziel des VHS-Arbeitskreises „Synagogenlandschaften” ist es, durch Ausstellungen, Vor- träge und Gedenkveranstaltungen auf die leider nur noch wenigen Spuren jüdischen Lebens im deutsch-niederländischen Grenzraum aufmerksam zu machen. Dabei legt er seinen Schwerpunkt in der Erinnerungsarbeit besonders auf die Verbrechen des 9. November 1938. Seine erste zentrale Aufgabe aber war die Errichtung einer neuen Gedenkstätte für die geschändete und zerstörte Bocholter Synagoge.

Die Arbeit des VHS-Arbeitskreises „Synagogenlandschaften“ wurde vom Verfasser die- ses Artikels koordiniert, Sprecher des Arbeitskreises ist Ferdinand Salomon van Loopik.

Der VHS-Arbeitskreis „Synagogenlandschaften” empfindet sich als bürgerschaftliches Engagement für das Gedenken an die den Bocholtern jüdischen Glaubens zugefügten Verbrechen verantwortlich.

So hat er am 9. November 1998 zur Kranzniederlegung am Denkmal für die zerstörte Synagoge eingeladen. Im Anschluss daran sprach Ferdinand Salomon van Loopik im Historischen Rathaus in Bocholt: „... uns sind alle Worte gegeben um des einen Wortes willen: Gedenke”.

Am 9. November 1999 sprach Rolf Abrahamson, Überlebender des Holocaust aus Marl und langjähriger Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Bochum, Herne, Recklinghausen über das ema: „Der 9. November 1938 aus jüdischer Sicht”. Dies war eine Veran- staltung der Volkshochschule mit dem VHS-Arbeitskreis „Synagogenlandschaften“ und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.

454 | BUCH DER ERINNERUNG Seit dem Jahre 2000 findet die Vorbereitung des Gedenkens in einem Vorbereitungskreis statt, dem neben Vertretern des VHS-Arbeitskreises „Synagogenlandschaften“ auch die der hiesigen Deutsch-Israelischen Gesellschaft sowie der Gesellschaft für christlich- jüdische Zusammenarbeit angehören.

Am 27. Januar 2000, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, bot der Arbeitskreis eine kommentierte Aufführung des Films „Schindlers Liste“ an. An diesem Gedenkabend nahmen ca. 40 Besucher teil.

2001 sprach am 9. November Professor Dr. Johann Baptist Metz (Münster), einer der Gründungsväter des christlich-jüdischen Dialogs in Deutschland, auf besondere Einla- dung des VHS-Arbeitskreises „Synagogenlandschaften“ in Bocholt.

Gedenkstätte für die Synagoge

Im Jahre 2005 konnte der Arbeitskreis die neue Gedenkstätte für die Synagoge der Öffentlichkeit übergeben. Hierzu hatte es jahrelange Vorarbeiten gegeben: Am 19. Mai 1999 hatten sich erste Pläne für dieses Projekt so weit verdichtet, dass ein erstes Ab- stimmungsgespräch mit Bürgermeisterin Christel Feldhaar und Stadtdirektor Klaus Ehling geführt werden konnte. Verwirrung um die Eigentumsverhältnisse am Platz vor dem Haus des Handwerks führte zu einem fast einjährigen Planungsstop und der zeit- aufwändigen Umplanung des bereits gemachten Vorschlags. Schließlich kristallisierte sich nach vielen Gesprächen mit der Stadtverwaltung und dem Erbbauberechtigten auf dem Platz die Lösung heraus, wie sie sich heute bietet.

So entschied die Stadtverordnetenversammlung am 30. Juni 2004 über den BürgerIn- nenantrag des Arbeitskreises vom 7. Mai 2003, die Gedenkstätte zu errichten. Dem Antrag wurde bei einer Stimmenthal- Dieses stilisierte tung zugestimmt. Lesepult (Bima) ist Teil der Gedenkstätte für Am Abend des 9. November 2005 die zerstörte Synagoge in Bocholt. Auf der wurde die neue Gedenkstätte für die Bima ist als ständige Synagoge der israelitischen Gemeinde Mahnung ein Fragment Bocholt der Öffentlichkeit übergeben. der Dekalogtafeln vom Eingang der Bocholter Die neue Gedenkstätte gliedert sich in Synagoge mit dem drei Teile: Gebot „… nicht morden“ Etwa an der Stelle, an der in der nachgebildet. historischen Synagoge das Vorlesepult (Stadt Bocholt, Foto: Bruno Wansing) für die ora stand, wurde ein stilisiertes Vorlesepult aus schwarzem Marmor errichtet. Es steht 2,5 m südlich vom historischen Ort in der Gebetsrichtung der Synagoge nach Jerusalem. Auf dem Vorlesepult ist das Replikat eines der beiden wiedergefundenen Fragmente der Dekalog-Tafeln eingelassen. Die bei der Renovierung 1925 über dem Portal der Synagoge angebrachten Tafeln mit den zehn Geboten in hebräischer Schrift wurden in der Pogromnacht 1938

BUCH DER ERINNERUNG | 455 von Bocholter Nazis aus ihren Halterungen gebrochen und – so ein Augenzeuge – „im Triumphzug in das nahegelegene SA-Heim gebracht”. Fragmente aus diesen Tafeln wurden 1982 von der Archäologischen Gruppe im Verein für Heimat pflege in der Nähe des ehemaligen Synagogenstandortes am heutigen Bustreff gefunden. Sie befinden sich heute im Stadtmuseum Bocholt. Auf dem größeren Fragment ist als einziges das 6. jüdische bzw. das 5. christliche Gebot vollständig zu lesen: „[Du sollst] nicht morden!“ Eine eindrucksvolle Mahnung.

Die Grünfläche unmittelbar vor dem Haus des Handwerks ist umgestaltet worden. In die Grünfläche sind zwei Platten aus schwarzem Marmor gestellt bzw. gelegt worden. Auf der stehenden sind die Namen und das Alter der 34 von Bocholt aus deportierten Juden vermerkt, die ermordet wurden. Die andere Platte gibt historische Informa- tionen zur Synagoge. Der Platz vor dem Haus des Handwerks ist neu gepflastert worden. Dabei wurden – soweit wegen des hier stehenden Verwaltungsgebäudes möglich – die Umrisse der historischen Synagoge in der Pflasterung sichtbar gemacht.

Zur Übergabe der Gedenkstätte waren Sharon Fehr, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Münster, Weihbischof Professor Dr. Franz-Peter Tebartz van Elst als Regional bischof für Borken-Steinfurt und Superintendent Joachim Anicker vom Kirchenkreis Coesfeld-Steinfurt-Borken nach Bocholt gekommen.

2001 wurde die vom Arbeitskreis konzipierte Ausstellung „Synagogen im Achterhoek und Westmünsterland” vom 22. Januar bis 17. Februar 2001 im Medienzentrum in Bocholt gezeigt. Die Ausstellung eröffneten gemeinsam die Vorsitzende der Stiftung „Vrienden van de aaltense synagoge”, Gea Verhagen, der Vorsitzende der Jüdischen Ge- meinde Münster, Sharon Fehr, sowie der Sprecher des VHS-Arbeitskreises „Synagogen- landschaften”, Ferdinand Salomon van Loopik.

Eine kleine Ausstellung vom 27. November bis 12. Dezember 2001 im Medienzentrum mit dem Titel „Auf der Flucht erschossen – Unbekannt verzogen (ausgewandert)” erinnerte an die 60. Jahrestage der ersten Deportationen vom 7. Oktober 1941 aus dem niederländischen Achterhoek in das Konzentrationslager Mauthausen und die erste Deportation von Juden aus Bocholt, Rhede und Werth in das Ghetto von Riga am 10. Dezember 1941. Dazu fand am 10. Dezember 2001 nach einer Kranzniederlegung am städtischen Mahnmal „Die Trauernde” ein VHS-Vortrag des Münsteraner Bundestagsabgeordneten Winfried Nachtwei, eines profunden Kenners der Deportationen nach Riga, unter dem Titel „Nachbarn von nebenan – verschollen in Riga“ statt.

Unter Schirmherrschaft von Bundespräsident Professor Dr. Roman Herzog und mit Koordinierung des Volksbundes deutscher Kriegsgräberfürsorge gründeten am 23. Mai 2000 dreizehn Städte das Deutsche Riga-Komitee. Im Jahre 2001 trat die Stadt Bocholt auf Initiative des VHS-Arbeitskreises „Synagogenlandschaften“ dem Riga-Komitee deutscher Städte bei. Es sollte u. a. die Finanzierung der Gedenkstätte Biķernieki bei Riga sicherstellen. Zur Übergabe der Gedenkstätte, in der auch ein Stein mit der Aufschrift „Bocholt“ steht, war 2001 Bernd Hagmayer, Erster Stadtrat in Bocholt, nach Riga gefahren.

Am 27. Januar 2002 wurde mit dem Vortrag „Martha und Bertold Löwenstein” anlässlich des Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus an die Geschichte der Familie Löwenstein erinnert und damit die Reihe „Geboren in Bocholt, ermordet in der Shoah“ begonnen.

456 | BUCH DER ERINNERUNG Mit der fiktiven Geschichte „Herr Becks, Herr Becks, wir müssen weg...” über den 1938 in Bocholt geborenen und 1941 im Ghetto Riga ermordeten Leo Landau gab Josef Niebur mit Unterstützung der Stadt Bocholt für den Arbeitskreis Unterrichtsmaterialien für die Sekundarstufe I heraus.

2003 wurde am 27. Januar im Vortrag „Sie waren Bocholter wie wir – Die jüdische Familie Seif aus der Nobelstraße” wiederum an eine Bocholter Familie erinnert, die in der Shoah fast ganz ausgerottet worden war.

Mit einem Stadtrundgang zu Stätten ehemaligen jüdischen Lebens in Bocholt beteiligte sich der VHS-Arbeitskreis „Synagogenlandschaften“ am 10. November 2003 am grenzüberschreitenden Projekt „Anne Frank – Eine Geschichte für heute”.

Im Jahre 2004 wurde in der Zeit vom 22. Januar bis 12. Februar 2004 im Medienzentrum in Bocholt die Ausstellung „Sie waren ja noch Kinder – Schicksale beiderseits der Grenze” gezeigt. Der Grund dafür war das nahezu unbekannte Schicksal der fast einhundert Kinder aus dem deutsch-niederländischen Grenzraum zwischen Anholt und Enschede, die in Konzentrationslagern und Ghettos ermordet wurden. Anhand der Geschichte von Rachel und Sini de Leeuw aus Winterswijk wurde versucht, das Leben von Kindern aus der Region zu schildern, die vor ihrer Deportation untertauchen konnten. Leo Landau aus Bocholt wurde hingegen zusammen mit seinen Eltern im Dezember 1941 in Riga ermordet.

Die Ausstellung wurde am 22. Januar 2004 durch den damaligen Bürgermeister Ehling (Bocholt) eröffnet. Dabei sprachen Sixtina Harris zur Überlebensgeschichte von Rachel und Sini de Leeuw aus Winterswijk, die bei Enschede versteckt wurden, und Bernd Hagmeyer, der die Stätten der Ermordung von Leo Landau in Riga aufgesucht hatte. Im Zusammenhang mit dieser Ausstellung fand am 27. Januar 2004 der Vortrag „Wir bleiben in Bocholt – Zum Schicksal der jüdischen Familie Lorch“ statt. Der letzte in Bocholt lebende Jude Norbert Lorch kam 1945 nach seiner Befreiung aus dem niederländischen Judendurchgangslager Westerbork nach Bocholt zurück. Er entschied sich dafür, in seiner Geburtsstadt zu bleiben, um den Nazis nicht im Nachhinein den Triumph zu geben, dass Bocholt „judenrein” sei. Bis zum Tod von Günter Lorch im Jahr 2008 lebten Nachfahren dieser alten jüdischen Familie in Bocholt.

Am 10. Dezember 2004 legten Vertreter des Arbeitskreises und der Stadt Bocholt in Erinnerung an die erste Deportation aus Bocholt 1941 Blumen vor dem städtischen Denkmal „Die Trauernde“ am Casinowall nieder.

Am 27. Januar 2005 bot der VHS-Arbeitskreis „Synagogenlandschaften“ einen Vortrag zum Leben des Jesuitenpaters und Mitglieds der Widerstandsgruppe „Kreisauer Kreis”, Pater Alfred Delp, von Karl Werner Cohnen an.

Am 26. Januar 2006, dem Vorabend zum „Tag des Gedenkens an die Opfer des National sozialismus“, wurde ein Innenstadtplatz nach Bertold Löwenstein, dem letzten Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Bocholt, benannt. Den Antrag zur Benennung hatte der VHS-Arbeitskreis „Synagogenlandschaften“ gestellt. Anschließend würdigte Karl-Heinz Janzen mit Josef Niebur für den Arbeitskreis mit dem Gedenkvortrag „Vom tödlichen Schicksal eines jüdischen Kaufmannsehepaars aus Bocholt: Martha und Bertold Löwenstein“ den Namensgeber.

BUCH DER ERINNERUNG | 457 Am 10. Dezember 2007 gab der Arbeitskreis in einem ersten Teil das „Buch der Erinnerung. Juden in Bocholt 1938 – 1945“ heraus. In diesem Buch sind Leben, Leidensweg und – soweit bekannt – der Tag der Ermordung der Bocholter jüdischen Glaubens festgehalten. Die Biogramme sind gleich aufgebaut: Sie enthalten, soweit vorhanden, ein Foto des Ermordeten. Da aus damaliger Zeit nur sehr wenige Fotos überliefert sind, wurden historische Zeitungsausschnitte zu den Menschen, sofern auch die nicht vorhanden sind, Fotos der Häuser eingefügt, in denen sie vor der 1939 erfolgten Einweisung in ein sog. Judenhaus gewohnt hatten.

An diesem Tag – genau 66 Jahre nach der ersten Deportation aus Bocholt 1941 – übergab stellvertretend für den VHS-Arbeitskreis „Synagogenlandschaften“ Benno Simoni den ersten Teil des Buches an Bocholts Bürgermeister Peter Nebelo. Simoni stammt aus Berlin und ist dort stellvertretender Vorsitzender der Synagogengemeinde Berlin – Sukkat Schalom -. Er ist der Großneffe der am 24. Januar 1942 von Bocholt nach Riga deportierten und dort ermordeten Regina Seif. Bürgermeister Nebelo reichte das Buch weiter an Werner Koop, den Regionaldirektor der Vereinigten IKK. In deren Schalterhalle im Haus des Handwerks, Europaplatz 17, liegt das „Buch der Erinnerung“ für jeden zur Ansicht aus. Auf dem Grundstück, wo heute das Haus des Handwerks steht, stand bis 1942 das Gebäude der Synagoge der israelitischen Gemeinde Bocholt.

Im Mai 2008 beteiligte sich der VHS-Arbeitskreis „Synagogenlandschaften“ mit der regionalbezogenen Ausstellung „Manfred und Edith Zytnik aus Bocholt ... wurden im Ghetto von Riga ermordet“ an der münsterlandweiten Ausstellung „Sonderzüge in den Tod“ im Hauptbahnhof in Münster.

Am 10. Dezember 2009 wurde der zweite Teil zum „Buch der Erinnerung. Juden in Bocholt 1937 – 1945“ bei einer Gedenkstunde in der Schalterhalle der Vereinigten IKK im Haus des Handwerks hinzugefügt.

2010 wurde die Vortragsreihe „Geboren in Bocholt, ermordet in der Shoah“ am 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, mit dem Vortrag „Wir werden in den nächsten Tagen deportiert. – Hermann Cohen wurde in dem Ghetto eresienstadt ermordet“ fortgesetzt. Dr. med. Werner Loock sprach den Text von Josef Niebur im Stadtmuseum Bocholt. „Manfred und Edith Zytnik aus Bocholt - ermordet im Ghetto Riga“ war am 10. Februar 2010 ein Vortrag über das Bocholter Geschwisterpaar Edith und Manfred Zytnik überschrieben, den Hermann Oechtering für Josef Niebur hielt.

Beide Gedenkvorträge gehörten zum Rahmenprogramm der Ausstellung „Zeichne, was du siehst – Kinderzeichnungen aus eresienstadt/Terezin“ von Helga Weissova- Hoskowa, die vom 19. Januar bis 14. Februar 2010 im Stadtmuseum Bocholt gezeigt wurde. Die Ausstellung war durch Edeltraut Messing von der Bocholter Lernwerkstatt Sekundarstufe I nach Bocholt geholt worden. 2010 fand am 10. Dezember mit einem Leistungskurs Geschichte des St.-Georg-Gym- nasiums ein Stadtrundgang zu den Stolpersteinen statt.

Am 27. Januar 2011 sprachen im Stadtmuseum Bocholt in der Reihe „Geboren in Bocholt, ermordet in der Shoah“ Josef Niebur und Hermann Oechtering unter dem ema „Concentration Camp Sobibor, Poland, Death: 16.07.1943“ zur Familie der im Vernichtungslager Sobibor ermordeten Familie Anna und Julius Löwenstein vom Hemdener Weg 11.

458 | BUCH DER ERINNERUNG Das zweite Halbjahr 2011 stand unter dem Gedanken der Erinnerung an die Deportation der ersten 25 Bocholter jüdischen Glaubens nach Riga am 10. Dezember 1941. Hierzu fand vom 3. November bis zum 15. Dezember 2011 im Medienzentrum die Fotoausstellung „Spuren in Riga – Gedenken an die dort ermordeten Juden“ statt. Zu den Fotos der Pax-Christi-Gruppe Münster wurden jene einer Reise von SchülerInnen der Hohe-Giethorst-Schule (Bocholt) im Jahre 2010 zu den Stätten der Ermordung der BocholterInnen jüdischen Glaubens gezeigt. Im Anschluss an das in Bocholt seit 1993 alljährlich stattfindende stille Gedenken an die Verbrechen der Pogromnacht an der Gedenkstätte für die Synagoge sprachen im Jahr 2011 Josef Niebur und Hermann Oechtering unter dem Titel: „In der Nacht vom 9. November 1938 wurde uns die Wohnung kaputt geschlagen“ über die Familie Hochheimer. Während Tochter Margot schon 1939 in die USA ausreisen konnte, wurden Henny, Max und Paul Hochheimer am 10. Dezember 1941 aus Bocholt nach Riga deportiert. Max und Paul Hochheimer wurden im KZ Buchenwald ermordet, allein Henny Hochheimer überlebte das Ghetto und die Konzentrationslager. Sie kehrte 1945 nach Bocholt zurück. Am 17. November 2011 fand unter dem ema „Verdeckte Spuren ent-decken“ ein Stadtgang zu Orten der Deportationen aus Bocholt statt.

Derzeit plant der VHS-Arbeitskreis „Synagogenlandschaften“, Gedenktafeln an den vier sog. Judenhäusern anbringen zu lassen, aus denen Bocholter jüdischen Glaubens 1941/42 deportiert wurden.

Koordinierungskreis „Stolpersteine“

Die Diskussionen um das Für und Wider der Erinnerungsform „Stolpersteine“ nahmen in Bocholt breiten Raum ein. Während es – vor allem um einen Kreis von Schülern und Lehrern im St.-Georg-Gymnasium mit vehementer Unterstützung von Brigitte Eckers (Vorsitzende des Schul- und Kulturausschusses der Stadtverordnetenversammlung) – einflussreiche Befürworter einer Stolpersteinverlegung in Bocholt gab, war ein Kreis u.a. um den Historiker Josef Niebur zunächst gegen diese „betretbare” Form des Gedenkens. Auch Teile der Stadtverwaltung sowie einige der in der Stadtverordnetenversammlung vertretenen Parteien hatten Vorbehalte gegen die Stolpersteine.

Im Koordinierungskreis „Stolpersteine“ engagierten sich dann Dr. Martin Bachmann, Brigitte Eckers, Benedikt Methling (bis 2008), Josef Niebur, Hermann Oechtering, Ferdinand van Loopik und Reinhold Sprinz.

Die Aktion „Stolpersteine“, die schon in vielen deutschen Städten an NS-Opfer erinnern, ist ein Projekt des Kölner Bildhauers Gunter Demnig. Er hat 1996 in Köln die ersten Stolpersteine verlegt, 10 x 10 x 10 cm große aus Beton gegossene Steine mit eingelassener Messingtafel, in die der Künstler mit Hammer und Schlagbuchstaben den Namen, das Geburtsdatum, das Sterbedatum und den Sterbeort des jeweiligen Opfers des Nationalsozialismus stanzt. Die im Gehweg vor dem letzten frei gewählten Wohnhaus bündig, d. h. ohne tatsächliche Stolperkante, eingelassenen Gedenksteine sollen an die Opfer von Holocaust und Euthanasie sowie ermordete Gegner des Nationalsozialismus erinnern.

In Bocholt wurde dann durch einen Beschluss des Ältestenrats aus dem Jahre 2005 die Auflage gemacht, dass die Eigentümer der Häuser, vor denen Stolpersteine gelegt

BUCH DER ERINNERUNG | 459 werden sollen, ihr Einverständnis zum Verlegen dieser Gedenkplatten erklären müssen. Deshalb konstituierte sich im Frühjahr 2007 bei der Volkshochschule ein Koordinie- rungskreis „Stolpersteine“, der sich unter Leitung des VHS-Leiters Reinhold Sprinz um alle im Zusammenhang mit den Stolpersteinen stehenden Fragen kümmerte.

In Bocholt wurden am 1. Februar 2007 und 28. Januar 2008 Stolpersteine für die ermordeten Juden und Opfer der NS-Herrschaft gelegt. Die abschließende Verlegung fand am 24. November 2009 statt.

Es war das erklärte Ziel des Koordinierungskreises „Stolpersteine“, besonders für die auf der Erinnerungstafel an der Gedenkstätte für die Bocholter Synagoge auf dem Platz vor dem Haus des Handwerks genannten Bocholterinnen und Bocholter Stolpersteine zu legen, die von hier am 10. Dezember 1941, 24. Januar und 27. Juli 1942 deportiert wurden und in Bocholt ihre letzte frei gewählte Wohnung hatten. Zudem wurden auch Stolpersteine für den SPD-Stadtverordneten Oswald Ludwig und für den Kaufmann Josef Fehler, die von den Nazis verfolgt und ermordet wurden, sowie die im Zuge der „Euthanasie“ ermordeten Hendrika Diesfeld und Werner Ludwig gelegt.

Nun liegen in Bocholt 44 Stolpersteine:

Vor dem Haus Adenauerallee (früher: Nordallee) 39 befindet sich ein Stolperstein zur Erinnerung an die hier von 1935 bis zu ihrem Zwangsumzug in das sog. Judenhaus Schwartzstraße 14 im Jahre 1940 wohnende  Martha Silberschmidt, geborene Lehmann (1883 – 1943, ermordet im Vernich- tungslager Treblinka 4368)

Vor den Häusern Bahnhofstraße 14 und 16 liegen Stolpersteine zur Erinnerung an die hier einst wohnenden  Anna-Maria Loewenstein, geborene Friedrichs (1898 – 1944, ermordet im Konzen- trationslager Stutthof4369)  Paul Loewenstein (1890 – 1941, ermordet im Ghetto Riga4370)  Aurelia Weyl, geborene Stern (1875 – 1942, ermordet im Ghetto eresienstadt 4371)

Vor dem Haus Bogenstraße 16 liegt ein Stolperstein zur Erinnerung an die hier einst wohnende  Hendrika Diesfeld, geborene Wicherink (1870 – 1944, ermordet in der Landes- pflegeanstalt Hadamar)

Ein Stolperstein vor Hendrika Diesfeld, 1870 in Bocholt geboren, dem Haus Bogenstraße zog mit ihrem Mann Anton in das Haus 16 erinnert daran, dass hier Hendrika Diesfeld Bogenstraße 16. Hier wuchsen ihre acht wohnte, die am 12. Kinder auf. 1933 kam sie als „schwermütig” Dezember 1944 in der in die Provinzialheilanstalt Lippstadt- „Landespflegeanstalt“ Eikelborn, von hier 1940 nach Münster- Hadamar bei Limburg Marienthal. Am 29. Juni 1943 wurde im Rahmen der sog. sie beim letzten der drei „Euthanasie”- Euthanasie in der Gas- Transporte von Münster „verlegt”. kammer umgebracht Hendrika Diesfeld kam dabei wie 128 wurde. (Bildersammlung weitere Menschen in die Landesheilanstalt Hermann Oechtering, Bocholt) 4368 Vgl. Biogramm S. 384 4369 Vgl. Biogramm S. 274 4370 Vgl. Biogramm S. 298 4371 Vgl. Biogramm S. 426

460 | BUCH DER ERINNERUNG Weilmünster in Hessen. Sie wurde am 5. Oktober 1944 von Weilmünster weiter in die Landesheilanstalt Eichberg verlegt. Von dort kam sie am 16. November 1944 in die Tötungsanstalt Hadamar, wo sie am 12. Dezember 1944 umgebracht wurde. (Josef Niebur)

Vor dem Haus Feldstraße 29 liegen Stolpersteine zur Erinnerung an die hier einst wohnenden  Oswald Ludwig (1873 – 1933, misshandelt von der SA)

Oswald Ludwig kam 1900 aus Sachsen nach Bocholt, woher seine Frau Johanna stammte. Am 1. Januar 1906 gründete er den Sozialdemokratischen Wahlverein, den Vorläufer der SPD in Bocholt, mit und wurde deren langjähriger Vorsitzender. Bei den Wahlen vom 3. März 1919 wurde er auf dem „sozialdemokratischen Wahlvorschlag” in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. In den 1920er Jahren übernahm Oswald Ludwig auf dem städtischen Lagerhof eine Schlosserwerkstatt. Schon um die Jahreswende 1931/32, als die NSDAP in Bocholt Fuß fasste, wurde Ludwig durch SA und SS bedroht. Er ließ sich deshalb durch seine älteren Söhne abends zu Parteiveranstaltungen begleiten. Am 1. April 1933 musste er, da er Kommunalarbeiter war, sein am 12. März 1933 erneut errungenes Stadtverordnetenmandat zurückgeben. Nach einem neuen Erlass Görings durften keine städtischen und staatlichen Bedienstete Stadtverordnete sein. Doch auch danach wurde Ludwig von den neuen Machthabern nicht in Ruhe gelassen, obwohl die SPD Bocholt sich am 20. April 1933 aufgelöst hatte. Ludwigs Tochter Martha Rennebaum erinnert sich: „Im Mai 1933 kamen Polizeibeamte zu uns nach Hause in die Feldstraße und verlangten von Vater die Herausgabe der SPD-Fahne. Vater holte sie und zerriß sie vor den Augen der Polizisten, um die Fahne nicht aushändigen zu müssen. Wenige Wochen später wurde er, wie ich viele Jahre später erfuhr, von SA-Leuten zusammengeschlagen. Dabei wurde er so schwer verletzt, dass er ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Uns Kindern sagte man, dass er einen Leistenbruch habe.” Am 29. Juli 1933 erlag Oswald Ludwig seinen Verletzungen. (Josef Niebur)

 Werner Ludwig (1910 – 1942, ermordet als Opfer der Euthanasie in der Landes- pflegeanstalt Eichberg)

Werner Ludwig wurde am 7. Oktober 1910 als Sohn von Johanna und Oswald Ludwig in der Feldstraße 29 in Bocholt geboren. Werner Ludwig wurde Maurer, er erlitt einen Arbeitsunfall. Am 4. August 1936 kam er in die Provinzialheilanstalt Münster (Marienthal). Beim letzten der drei „Euthanasie“-Transporte aus Münster wurde er am 31. Juli 1941 zusammen mit 79 Männern in die Landesheilanstalt Eichberg/Rheingau verlegt. Eichberg war eine sogenannte Zwischenanstalt für die Tötungsanstalt Hadamar. Aufgrund des am 24. August 1941 verfügten zwischenzeitlichen Tötungsstopps blieben die Männer des Transportes jedoch in der Heil- und Pflegeanstalt Eichberg bei Erbach. Dort starb Werner Ludwig am 7. Januar 1942 an „Siechtum bei fortschrei- tendem Lähmungsirresein”, so die offiziöse Eintragung im Standesamt Erbach. (Josef Niebur)

Bei der Verlegung dieser Stolpersteine war die SPD-Stadtverordnete Brigitte Eckers, die Enkelin von Oswald Ludwig, anwesend. Brigitte Eckers hatte die gesamte Stolper- stein-Aktion angeregt und begleitete die Aktion als Mitglied des Koordinierungskreises „Stolper steine“ engagiert.

BUCH DER ERINNERUNG | 461 Vor dem Haus Hemdener Weg 11 liegen Stolpersteine zur Erinnerung an die hier einst wohnenden  Anna Löwenstein, geborene Teutsch (1901 – 1943, ermordet im Vernichtungslager Sobibor4372)  Arnold Löwenstein (1935 – 1943, ermordet im Vernichtungslager Sobibor4373)  Franz Löwenstein (1938 – 1943, ermordet im Vernichtungslager Sobibor4374)  Fritz Löwenstein (1898 – 1944, ermordet in Warschau4375)  Julius Löwenstein (1894 – 1943, ermordet im Vernichtungslager Sobibor4376)  Wilhelmine Löwenstein, geborene Geisel (1868 – 1943, Tod in den Nieder landen4377)  Meta Weiss, geborene Löwenstein (1892 – 1943, ermordet im Vernichtungslager Auschwitz4378)

„‚Stolpersteine‘ erinnern an Familie Löwenstein Dr. John Goldsmith besuchte Bocholt Bocholt (pd). Die zweite Runde der Verlegung von ‚ Stolpersteinen‘ in der Stadt Bocholt am 28. Januar 2008 war auch Anlass für den ehemaligen Bocholter Mit- bürger jüdischen Glaubens, Dr. Henry John Goldsmith (83), vormals: Hans Goldschmidt, die Heimatstadt seiner Großmutter, Minna Löwenstein, zu besuchen. Dr. Goldsmith war bereits Anfang der 90er Jahre in Bo- cholt gewesen und hat die jetzige Reise gemeinsam mit seinem Sohn Jonathan unternommen. [...] Im Alter von 7 bis 8 Jahren lebte Dr. Goldsmith gemeinsam mit seiner Mutter Malli in den Jahren 1932- 33 in Bocholt. Nach der Ermordung seines Stiefvaters Bei der Verlegung der Dr. Alfred Meyer, eines Düsseldorfer Zahnarztes, floh seine Mutter mit ihm nach Stolpersteine vor dem ehemaligen Haus der Amsterdam. Dort besuchte er eine niederländische Schule und lernte fließend die neue Familie Julius Löwen- Sprache. Die Flucht endete schließlich im Jahr 1937 in England, da seine Mutter dort stein am Hemdener die Erlaubnis erhielt, als Zahnärztin zu praktizieren. Goldsmith studierte in England Weg 11 waren der Neffe Medizin und arbeitete sowohl in Chicago (USA) und London (Großbritannien), bis von Julius Löwenstein, er als Leiter der Universitätsklinik in Liverpool in den Ruhestand ging. [...] Auf dem Dr. John Goldsmith jüdischen Friedhof in Bocholt besuchte er das Grab seines Großvaters und unternahm (links, Liverpool/ anschließend einen Spaziergang in der niederländischen Nachbargemeinde Dinxperlo. Großbritannien), und [...]“ eine Schülergruppe des St.-Georg-Gymnasiums (Pressemitteilung der Stadt Bocholt vom 30. Januar 2008) Bocholt anwesend. (Bildersammlung Vor dem ehemaligen Standort des Hauses Hinter der Friesenstraße 9 (heute Straßen- Hermann Oechtering, fläche) liegen Stolpersteine zur Erinnerung an die hier einst wohnenden Bocholt)  Lila Landau, geborene Sternberg (1910 – nach 1941, ermordet im Ghetto Riga4379)  Ernst Landau (1909 – nach 1941, ermordet im Ghetto Riga4380)  Leo Landau (1938 – nach 1941, ermordet im Ghetto Riga4381)  Meyer Landau (1865 – 1942, ermordet im Konzentrationslager Treblinka4382)

4372 Vgl. Biogramm S. 271 4373 Vgl. Biogramm S. 276 4374 Vgl. Biogramm S. 281 4375 Vgl. Biogramm S. 282 4376 Vgl. Biogramm S. 290 4377 Vgl. Biogramm S. 303 4378 Vgl. Biogramm S. 424 4379 Vgl. Biogramm S. 249 4380 Vgl. Biogramm S. 245 4381 Vgl. Biogramm S. 247 4382 Vgl. Biogramm S. 250

462 | BUCH DER ERINNERUNG Vor dem ehemaligen Standort des Hauses Hochfeldstraße 147 liegt ein Stolperstein zur Erinnerung an den hier einst wohnenden  Otto Landau (1901 – 1943, ermordet beim Ghetto Riga4383)

Vor dem Haus Königstraße 9 liegen Stolpersteine zur Erinnerung an die hier einst wohnenden  Adolf Blumenthal (1887 – nach 1941, ermordet im Ghetto Riga4384)  Rahel Blumenthal, geborene Roth, verwitwete Zytnik (1901 – ermordet 1944 im Konzentrationslager Stutthof 4385)  Marianne Roth, geborene Dienstag (1868 – 1942, ermordet im Vernichtungslager Treblinka4386)  Edith Zytnik (1933 – nach 1941, ermordet im Ghetto Riga4387)  Manfred Zytnik (1932 – nach 1941, ermordet im Ghetto Riga4388)

Vor dem Haus Ludgerusstraße 4 liegen Stolpersteine zur Erinnerung an die hier einst wohnenden  Hermann Cohen (1887 – 1943, ermordet im Ghetto eresienstadt4389)  Max Marcus (1891 – 1943, ermordet im Ghetto Riga4390)  Amalie Markus, geborene Meyer (1884 – 1941, Rhede, Flucht in den Tod 4391)  Leopold Markus (1884 – 1943, ermordet im Ghetto Riga4392)  Emanuel Mühlfelder (1875 – 1942, ermordet im Vernichtungslager Treblinka4393)  Sophia Mühlfelder, geborene Cleffmann (1875 – 1942, ermordet im Vernichtungs lager Treblinka4394) Dieser Stolperstein Am ehemaligen Standort des Hauses Münsterstraße 4 liegt ein Stolperstein zur Erin- vor dem Haus nerung an den hier einst wohnenden Ludgerusstraße 4 G Josef Fehler (1893 – 1945, Konzentrationslager Neuengamme, Tod in der Ostsee). erinnert daran, dass Hermann Cohen hier Der überzeugte Katholik Josef Fehler (* 1893 in Glogau/Schlesien) war, nach bis zum 2. Mai 1939 wohnte. der Teilnahme am Ersten Weltkrieg und an den Befreiungskämpfen um seine (Bildersammlung oberschlesische Heimat, 1919 endgültig nach Bocholt gezogen. Fehler, der an der Hermann Oechtering, Münsterstraße 4 ein Eisenwarengeschäft betrieb, engagierte sich stark im kirchlichen Bocholt) Bereich, vor allem im Katholischen Kaufmannsverein „Westfalia“. Zunächst dem nationalsozialistischen Gedankengut nicht abgeneigt, trat er 1933 der NSDAP und der SA bei. Als er das Unrecht und die Verbrechen Hitlers sah, verließ er 1935 diese Gruppen und wandte sich entschieden gegen das Regime. Seine öffentlichen Proteste trugen ihm gesellschaft liche Ausgrenzung ein. Sein Geschäft wurde von der damaligen Stadtverwaltung, einem seiner größten Auftraggeber, boykottiert. Trotzdem setzte er seinen ganz persönlichen Widerstand fort. So kaufte seine Frau in Geschäften von Juden ein. Als sie deshalb von der Boykottwache angepöbelt wurde und Josef Fehler deshalb diesen SA-Mann zur Rede stellte, konnte man am 25. August 1935 in

4383 Vgl. Biogramm S. 252 4384 Vgl. Biogramm S. 158 4385 Vgl. Biogramm S. 160 4386 Vgl. Biogramm S. 354 4387 Vgl. Biogramm S. 443 4388 Vgl. Biogramm S. 445 4389 Vgl. Biogramm S. 168 4390 Vgl. Biogramm S. 308 4391 Vgl. Biogramm S. 312 4392 Vgl. Biogramm S. 314 4393 Vgl. Biogramm S. 330 4394 Vgl. Biogramm S. 333

BUCH DER ERINNERUNG | 463 der Nationalzeitung – Ausgabe Bocholt/Borken – lesen: „Zeitgenosse Fehler macht Fehler. Das Charakterbild eines Dunkelmannes: Beschimpft die Bewegung, zieht das Braunhemd aus, Frau darf bei Juden kaufen, Kinder dürfen nicht in die HJ – aber der Herr Papa in den KKV! – Was kommen mußte: Wegen Verächtlichmachung der Bewegung festgenommen!“ Eine Verurteilung wegen „Verächtlichmachung der Bewegung“ war die Folge. Dennoch setzte Josef Fehler seinen Widerstand fort: Er brachte die Predigten des Bischofs von Münster Clemens August Graf von Galen in Umlauf und rettete das Eigentum der jüdischen Mitbürger, die am 10. Dezember 1941 deportiert wurden, vor der sofortigen Beschlagnahme. Öffentlich prangerte Fehler die Unrechtstaten der Nazis an. Seine Frau Maria, mit der er sieben Kinder hatte, trug den Widerstand ihres Mannes mit. Am 1. Februar 1945 wurde Fehler in Bocholt letztmalig verhaftet. Der berüchtigte Sitz der (Ge-)Stapoleitstelle in der Gutenbergstraße in Münster war eine Station auf seinem Weg in das Konzentrationslager Neuengamme, wohin er am 14. März 1945 deportiert wurde. Neuengamme-Häftlinge wurden Anfang Mai 1945 auf drei Schiffe verfrachtet, die am 3. Mai 1945 in die Ostsee in See stachen. In den frühen Nachmittagsstunden flogen britische Bomber einen Angriff gegen das zusammenbrechende Deutschland. In der Neustädter Bucht griffen sie Schiffe an, die bald darauf zu versinken begannen. Zu den Toten zählte auch der Bocholter Kaufmann Josef Fehler. (Josef Niebur)

Bei der Verlegung dieses Stolpersteines waren Elisabeth Fehler, die Schwiegertochter Fehlers, und ihr Sohn Josef anwesend.

Vor dem Haus Niederbruch 20 liegen Stolpersteine zur Erinnerung an die hier einst wohnenden  Simon Blumenthal (1875 – nach 1941, ermordet im Ghetto Riga4395)  Hilde Metzger (1909 – nach 1941, ermordet im Ghetto Riga4396)  Isidor Metzger (1880 – nach 1941, ermordet im Ghetto Riga4397)  Selma Metzger (1879 – nach 1941, ermordet im Ghetto Riga4398).

Vor dem ehemaligen Manufakturwaren- geschäft S. B. Löwen- stein an der Osterstraße 50 liegen heute Stolper- steine für Martha und Bertold Löwenstein, die Anfang 1942 im Ghetto Riga ermordet wurden. (Bildersammlung Hermann Oechtering, Bocholt) Vor dem Haus Osterstraße 50 liegen Stolpersteine zur Erinnerung an das hier einst wohnende Ehepaar  Bertold Löwenstein (1882 – 1942, ermordet im Ghetto Riga4399)  Martha Löwenstein, geborene Löwenstein (1896 – 1942, ermordet im Ghetto Riga4400)

4395 Vgl. Biogramm S. 163. 4396 Vgl. Biogramm S. 321. 4397 Vgl. Biogramm S. 323. 4398 Vgl. Biogramm S. 326. 4399 Vgl. Biogramm S. 277 4400 Vgl. Biogramm S. 296

464 | BUCH DER ERINNERUNG In der Nähe des ehemaligen Standortes des Hauses Ostmauer 3 befinden sich Stolper- steine zur Erinnerung an die hier einst wohnenden  Aurelia Landau, geborene Lorch (1902 – 1943, Tod in den Niederlanden4401)  Ruth Lorch (1923 – nach 1942, ermordet im Ghetto Izbica4402) Bei der Verlegung dieser Stolpersteine war Günter Lorch, der Neffe von Aurelia Landau, anwesend.

„Günter Lorch ist tot

Bocholt. Günter Lorch, der letzte bekannte in Bocholt lebende Nachfahre einer alteingessenen jüdischen Familie, ist tot. Er starb nach kurzer, schwerer Krankheit am Samstag im Bocholter Krankenhaus im Alter von 78 Jahren. Ihm war es bei seiner Geburt 1930 nicht in die Wiege gelegt worden, dass er in seiner Kinder- und Jugendzeit einem unvorstellbaren Leid ausgesetzt war. Sein Vater Norbert war Jude und führte zunächst in der Ostmauer 3 ein Wild- und Geflügelgeschäft. Doch dieses wurde 1935 von den Nazis geschlossen. Sein Vater und mit ihm auch der Sohn Günter bekamen die ganze Wucht der Verfolgung durch die Nazis zu spüren. Günter Lorch erinnerte sich: ,[... im Jahre 1935 habe ich einen schweren Nervenzusammenbruch erlitten. [... Ursache dafür war, dass mich Hitlerjungen bzw. Jungvolk an einem Baum aufhängen wollten. [...‘ Und zwei Jahre später: ,Ich wurde einmal an einen Leiterwagen gebunden durch die Stadt geschleift. Ein anderes Mal an einen Baum gebunden und mit Messern beworfen.’ Als sein Vater nach der Pogromnacht 1938 nach Aalten in die Niederlande geflohen war, hörten die Übergriffe auf Günter Lorch auf. Seine Mutter Günter Lorch, der schirmte ihn und seine jüngere Schwester von der Öffentlichkeit ab. So bekamen sie Sohn des letzten auch nicht mit, dass drei Verwandte am 10. Dezember 1941 aus Bocholt in das Ghetto bekannten in Bocholt Riga deportiert wurden. Nur eine Cousine seines Vaters, Meta Metzger, überlebte die lebenden früheren vier mörderischen Jahre im Ghetto und in den Konzentrationslagern Kaiserwald und Mitbürgers jüdischen Glaubens Norbert Stutthof. Sie kehrte 1945 nach Bocholt zurück. Auch Norbert Lorch überlebte das Lorch (1905–1980), niederländische Judendurchgangslager Westerbork. lebte bis zu seinem Tode im Jahre 2008 in Günter Lorch baute sich in den 1950er Jahren eine berufliche Existenz als Kaufmann Bocholt. auf und gründete mit seiner Frau Marlene eine Familie. In ihr wurden zwei Kinder (André Lorch, Rhein- geboren. stetten) Später kam er in Kontakt mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und dem VHS- Arbeitskreis ‚Synagogenlandschaften‘. Er ging damit zu den jüdischen Wurzeln seiner Familie. Besonders lag ihm daran, Jugendliche durch das Erzählen seiner Lebensgeschichte gegen braune Infiltration immun zu machen.

Günter Lorch hat sich mit ganzem Herzen und stetigem Einsatz im Rahmen des Arbeitskreises ‚Synagogenlandschaften‘ für die Erinnerungsarbeit in Bocholt und in der Deutsch-Israelischen Gesellschaft für den nahöstlichen Staat eingesetzt. Er wird am Mittwoch um 15 Uhr auf dem städtischen Friedhof an der Blücherstraße zur letzten Ruhe gebettet.“ (BBV, 29. November 2008)

4401 Vgl. Biogramm S. 242 4402 Vgl. Biogramm S. 267

BUCH DER ERINNERUNG | 465 Vor dem ehemaligen Standort des Hauses Nobelstraße 28 liegen Stolpersteine zur Er- innerung an das hier einst wohnende Ehepaar  Regina Seif, geborene Simoni (1876 – 1942, ermordet im Ghetto Riga4403)  Salomon Seif (1884 – 1942, ermordet im Ghetto Riga4404) Zur Verlegung dieser Stolpersteine war aus Berlin Benno Simoni, der Großneffe von Regina Seif und stellvertretende Vorsitzende der Betergemeinschaft Sukkat Shalom in Berlin, nach Bocholt gekommen.

Am Haus Schwartzstraße 14 ist ein Stolperstein gelegt worden zur Erinnerung an die hier einst wohnende  Luise Löwenstein, geborene Blüth (1861–1942, ermordet im Ghetto eresien- stadt 4405)

Am ehemaligen Standort des Hauses Weberstraße 23, an der Ecke Ostwall, sind Stolpersteine gelegt zur Erinnerung an die hier einst wohnenden  Max Hochheimer (1882 – 1944, ermordet im Konzentrationslager Buchenwald4406)  Paul Hochheimer (1922 – 1945, gestorben nach der Befreiung im Konzentrations- lager Buchenwald4407)

Seit 2009 bietet der VHS-Arbeitskreis unter unterschiedlichen Blickwinkeln und für verschiedene Altersgruppen geführte Rundgänge zu den Stolpersteinen in der Innen- stadt an.

Vor ihrem Wohnhaus Nobelstraße 28, das neben der Synagoge lag, erinnern Stolpersteine an Regina und Salomon Seif, die zwischen 1920 und 1939 hier wohnten. Sie wurden Anfang Februar 1942 im Ghetto Riga ermordet. (Bildersammlung Hermann Oechtering, Bocholt)

4403 Vgl. Biogramm S. 366. 4404 Vgl. Biogramm S. 373. 4405 Vgl. Biogramm S. 294. 4406 Vgl. Biogramm S. 233. 4407 Vgl. Biogramm S. 236.

466 | BUCH DER ERINNERUNG Anlagen

21. Oktober 1925

Verzeichnis der männlichen stimmberechtigten Juden der Synagogen- gemeinde Bocholt

Notiz: Wahlberechtigt sind die sämtlichen männlichen, volljährigen unbescholtenen und beitragenden Mitglieder der Synagogengemeinde, welche sich selbständig ernähren, mit der Entrichtung ihrer Abgaben für die Synagogengemeinde bereits begonnen haben und während der letzten drei Jahre nicht im Rückstande geblieben sind. Als selbständig sich ernährend ist jeder zu betrachten, der seit einem Jahr keine Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln empfangen hat, sofern ihm nicht das Verfügungsrecht über sein Vermögen oder dessen Verwaltung durch richterliche Erkenntnis entzogen ist.

Nr. Name Vorname Alter Wohnung Beruf 1 Braunschweig Ernst 40 Bahnhofstraße 3 Fabrikant 2 Weyl Hugo 54 Bahnhofstraße 6 Fabrikant 3 Braunschweig Siegfried 48 Bahnhofstraße 7 Fabrikant 4 Weyl Max 28 Bahnhofstraße 14 Kaufmann 5 Cohen Max 48 Bahnhofstraße 15 Fabrikant 6 Löwenstein Phillipp 71 Bahnhofstraße 16 Fabrikant 7 Löwenstein Ernst 25 Bahnhofstraße 16 Kaufmann; vor etwa 10 Jahren gestorben 8 Magnus Karl* 37 Bahnhofstraße 17 Kaufmann 10 Ostberg Louis 64 Bismarckstraße 11 Fabrikant 11 Ostberg Max 27 Bismarckstraße 11 Kaufmann 12 Stern Leo 39 Bismarckstraße 17 Fabrikant 13 Weyl Ernst 52 Bismarckstraße 22 Fabrikant 14 Triebwasser David 44 Ernststraße 8 Kaufmann 15 Weyl Karl 49 Friedenstraße 2 Fabrikant 16 Löwenstein Rudolf 34 Hemdener Weg 11 Kaufmann 17 Löwenstein Julius 31 Hemdener Weg 11 Kaufmann 18 Lopes Dias Mozes 26 Hohenzollernstraße 53 Betriebsleiter 19 Friede Richard 42 Kaiser-Wilhelm-Str. 33 Fabrikant 20 Löwenstein Samuel 68 Kirchstraße 3 Viehhändler 21 Spier Jakob 53 Kreuzstraße 34 Pferdehändler 22 Spier David 31 Kreuzstraße 34 Pferdehändler 23 Michalowitz Izek* 28 Kronenstraße 43 Weber 24 Sander Max 35 Langenbergstraße 2 Kaufmann 25 Goedhardt Jakob 47 Langenbergstraße 13 Händler 26 Goedhardt Louis 24 Langenbergstraße 13 Händler 27 Cohen Moses 72 Langenbergstraße 17 Metzger 28 Cohen Hermann 38 Langenbergstraße 17 ./. 29 ten Bosch Abraham 44 Langenbergstraße 42 Malermeister 30 Cohen Isaak 70 Langenbergstraße 52 Händler 31 Cohen Magnus 24 Langenbergstraße 52 Händler 32 Rosenberg Max 39 Münsterstraße 17 Fabrikant 33 Gompertz Gustav 69 Neustraße 11 Kaufmann 34 Mendels Paul 21 Neustraße 18 Kaufmann

* so im Original BUCH DER ERINNERUNG | 467 35 Friede Ernst 29 Neustraße 23 Kaufmann 36 Metzger Josef 48 Niederbruch 20 Agent 37 Blumenthal Simon 50 Niederbruch 20 Arbeiter 38 Cohen Moses 47 Niederbruch 21 Metzger 39 Hochheimer Alex 69 Nobelstraße 22 a Agent 40 Hochheimer Hermann 72 Nobelstraße 22 a Rentier 41 Rosenberg Hermann 68 Nobelstraße 23 Fabrikant 42 Seif Salomon 41 Nobelstraße 28 Kultusbeamter 43 Ostberg Hermann 78 Nobelstraße 38 Kaufmann 44 Ostberg Louis 28 Nobelstraße 38 Kaufmann 45 Scherbel Otto 42 Nordstraße 19 Kaufmann 46 Herzfeld Eduard 56 Nordstraße 21 Kaufmann 47 Goedhardt Louis 57 Nordstraße 26 Händler 48 Löwenthal Ernst 77 Nordstraße 36 ./. 49 Wolff Sally 52 Nordstraße 51 Kaufmann 50 Löwenstein Paul 35 Nordallee 28 Kaufmann 51 Spier Heymann 26 Nordallee 30 Fabrikant 52 Silberschmidt Isidor 50 Nordallee 39 Viehhändler 53 Sternfeld Isaak 58 Nordwall 3 Viehhändler 54 Sternfeld Julius 29 Nordwall 3 Viehhändler 55 Sternfeld Moritz 27 Nordwall 3 Viehhändler 56 Nußbaum Levi 57 Nordwall 26 Rabbiner 57 Silberschmidt Jakob 52 Osterstraße 5 Metzger 58 Spier Ernst 34 Osterstraße 8 Kaufmann 59 Landau Julius 47 Osterstraße 10 Viehhändler 60 Bach Sigmund 72 Osterstraße 29 Kaufmann 61 Bach Erich 26 Osterstraße 29 Kaufmann 62 Mühlfelder Meyer 65 Osterstraße 33 Kaufmann 63 Metzger Isidor 45 Osterstraße 49 Kaufmann 64 Löwenstein Bertold 43 Osterstraße 50 Kaufmann 65 Hochheimer Artur 42 Osterstraße 64 Dr. med. 66 Landau Salomon 74 Osterstraße 65 Händler 67 Landau Leeser 36 Osterstraße 65 Kaufmann 68 Meier Max 36 Ostwall 19 Kaufmann 69 Wolff Hermann 37 Ostwall 35 Kaufmann 70 Wolff Leo 36 Ostwall 35 Kaufmann 71 Ostberg Siegfried 29 Ostwall 70 Kaufmann 72 Silberschmidt Julius 49 Ravardistraße 11 Metzger 73 Löwenstein Adolf 61 Rebenstraße 2 Fabrikant 74 Friede Max 45 Südwall 7 Fabrikant 75 Weyl Moritz 63 Südwall 11 Fabrikant 76 Weyl Max 26 Südwall 11 Kaufmann 77 Landau Meyer 60 Schützenstraße 21 Händler 78 Landau Siegfried 25 Schützenstraße 21 Arbeiter 79 Landau Otto 24 Schützenstraße 21 Arbeiter 80 Liebreich Max 61 Westend 2 Fabrikant 81 Michalowitz Moritz 26 Hochfeldstraße 40 Arbeiter [...] 95 Stern, Dr. Max 30 Bismarckstraße [Rechtsanwalt]

468 | BUCH DER ERINNERUNG Die vorstehende Liste hat 21 Tage in der Synagoge zur Einsicht offen gelegen. Nr. 7 – Ernst Löwenstein – ist vor etwa 10 Jahren gestorben. Nr. 82 bis 94 – die in Anholt wohnenden Juden – sind hier nicht wahlberechtigt. Der Vorstand der isra. Gemeinde [...] Louis Ostberg Bocholt, 14./11. 25

[Stempelabdruck: Der Vorstand der Israelitischen Gemeinde] (Privatbesitz: Rosemary Warschawski, Baltimore/USA)

Aus einem Brief von Levy Nußbaum vom 15. Mai 1939 an einen Verwandten in den USA:

„Allerdings möchte Kurt einiges von Bokelt wissen. Das ist zwar schon lange her, aber ich kann Euch sagen, daß man dort viel schlimmer als an vielen anderen Orten gehaust hat. ‚Wehe, wenn sie losgelassen!‘ und ‚Da werden Weiber zu Hyänen!‘ Vornedran waren nämlich Frau T. [... und Frau K. Außerdem hat sich noch Dr. J. betätigt, wogegen Dr. Weglau und Dr. Roskamp (Pottmeyer) sich geweigert haben, mitzumachen. Alle Einzelheiten sind zuviele, um sie zu schildern, außerdem ist es schon so lange her. Es sind fast alle ‚drangekommen‘. So mußten Richard Friede, [seine] Frau und [beider Tochter] Ursel barfuß aus dem Bett und vor’s Haus, um da die Verwüstungen mit anzusehen. Auch bei den anderen beiden Friedes haben sie gehaust, sogar bei Quidams[4408] und ihm (83 Jahre alt!!!) mit einem Stock über den Kopf gehauen! Bei Herzens[4409] wollten sie anfangen, hörten aber auf, als beim Klirren eines Spiegels das Kind anfing zu schreien. Bei Julius und Minna Löw[enstein] waren sie auch. Natürlich wurde auch Seif nicht geschont. Sigmar mußte mit in die Rentei und sollte ihnen vorlesen, was in den orarollen steht, doch konnte er es nebbich[4410] nicht. Er ist in Holland, wie auch sonst noch viele. Julius Löw[enstein] ist mit seiner Familie noch in Bocholt, hat aber ein Permit [4411] für England. Als ‚sie‘ die Synagoge anzünden wollten, wurden sie von Hülskamp daran gehindert, da er eine Schreinerei nebenan hat. Berichten möchte ich nun nur noch von einigen anständigen Kerls [sic]. Als ‚sie‘ zu Rele Weyl wollten, stellte sich [Friedrich] Baldus (höher gewesener Offizier) mit geladener Pistole davor und sagte: ‚Ich habe 6 Schüsse, 5 für Euch, einen für mich, wenn ihr über diese Schwelle tretet‘. [... Baldus soll dann später einen Brief von der ‚Partei‘ bekommen haben, daß er sich nicht um ihre Angelegenheit zu kümmern habe. Dann hat sich noch der lange Vallée – Königstraße (Gardeverein) fabelhaft benommen, indem er sich schützend vor die Wohnung der armen [Witwe] Roth-Zitnik gestellt und die Banditen nicht heraufgelassen hat. [...“4412

4408 Gustav Gompertz schrieb unter dem Pseudonym Quidam von 1927 bis 1932 fast wöchentlich geistreiche Glossen für das Bocholter Volksblatt. 1938 wohnte er mit seiner Frau Emmi in der israelitischen Schule am Nordwall. 4409 Lehrer Alfred Herz wohnte mit Frau und Kind in der israelitischen Schule am Nordwall. 4410 jiddisch: natürlich. 4411 Einreisegenehmigung 4412 StdA B, 61 K 251 - ohne Titel -.

BUCH DER ERINNERUNG | 469 Edith Marx (geb. Wolff) überlebte die Shoah

Wir fühlten uns wie Schlachtvieh

„Wir waren bereits 1932 von Bocholt nach Dinslaken gezogen. Hier wurde meine Mut- ter am Tag der Reichstagswahl, am 6. März 1933, verhaftet. Sie kam erst 1935 aus dem Zuchthaus Hamborn wieder frei. Wir verzogen nach Dortmund. Mutter eröffnete im Haus Münsterstraße 40 eine Pension für Juden, die in diesem Stadtviertel arbeiteten, in anderen Gaststätten waren wir nicht mehr erwünscht.

Wie überall in Deutschland drangen am 9. November 1938 die Nazis in unsere Woh- nung ein, mißhandelten Mutters Gäste und zertrümmerten die Einrichtung. Mein Vater, Hermann Wolff, wurde verhaftet und kam in das KZ Sachsenhausen, von wo er später entlassen wurde. Mein eigener Mann wurde als Lette 1939 von den Nazis nach Lettland abgeschoben. Einige Wochen später wurde unsere Tochter geboren.

1940 wurden wir aus unserer Wohnung geworfen, auf die ein Nachbar schon immer scharf gewesen war. Meine Eltern, die Großmutter sowie meine Tochter und ich wurden nach Dortmund-Mengede in ein Judenhaus eingewiesen. In dem früheren Geschäfts- haus der Firma Heimberg herrschte drangvolle Enge, da hier bereits sieben Familien leben mußten.

Ab September 1941 mußten auch wir den gelben Stern tragen, der uns für alle sichtbar als Juden und mithin Ausgestoßene brandmarkte. Über den Zweck dieser Kennzeich- nung und damit unsere Zukunft machten wir uns keine Illusionen: Die Nazis machten damit sichtbar, wer nicht zu ihrer ‚Volksgemeinschaft’ gehörte und den man folglich umbringen wollte. Viele von uns wollten jedoch damals noch glauben, daß irgendwie ‚alles gut geht’. Doch diese Hoffnung trog.

Wir sollten bereits im Dezember 1941 deportiert werden und hatten dazu auch schon die Aufforderung von der Gestapo erhalten. Wie ich nach 1945 erfuhr, kamen mit die- sem Transport viele Bekannte aus Bocholt nach Riga. Manche von ihnen waren bereits ermordet worden, als wir kaum zwei Monate später dorthin kamen.

Mitte Januar 1942 bekamen wir die Aufforderung: ‚Zwecks Aussiedlung und Kultivierung des deutschen Ostens haben Sie sich am 20. Januar 1942, morgens um 8 Uhr im großen Saal der Börse in Dortmund einzufinden.’ Als Anhang war eine Liste von Gegenständen beigefügt, die wir mitnehmen mußten: Handwerkszeug: Hacken, Schaufeln, einen Todt- Ofen und ich weiß nicht, was sonst noch alles. Auch die mitzunehmenden Lebensmittel hat man uns genau vorgeschrieben. Für den, der kein Geld hatte, diese Gegenstände zu kaufen, mußte die Jüdische Gemeinde einspringen und Entsprechendes kaufen. Daneben durfte man zwanzig Kilo persönliches Gepäck mitnehmen.

Da ich Krankenschwester war, durfte ich noch einmal zehn Kilogramm Spezialgepäck mitnehmen. Von unserem Gepäck hatten wir jedoch nichts. Der Waggon, in dem es lagerte, wurde in Königsberg abgehängt. So hatten wir nur das, was wir auf dem Leibe trugen oder in den Taschen bei uns hatten.

Meine Tochter und ich wurden zusammen mit meinen Eltern und meiner Schwester Juliane deportiert. Unsere Großmutter, die Mutter meines Vaters, hatte fast dreißig Jahre bei uns gelebt. Jetzt mußten wir sie zurücklassen, weil – und damit wurde die

470 | BUCH DER ERINNERUNG Tarnung, daß wir ‚den Osten kultivieren’, also arbeiten sollten, komplett gemacht – nur arbeitsfähige Menschen deportiert werden sollten. Sie wurde 1942 zusammen mit einem ehemaligen Arzt, der bei uns gewohnt hatte, nach eresienstadt deportiert und dort ermordet.

Im großen Saal der Börse, wo 1400 Deportierte auf engem Raum eingepfercht waren, lagen wir nun vier Tage auf der Erde. Die mitgenommenen Decken benutzten wir, damit meine Tochter – so gut es ging – warm und weich lag. Wir durften uns nicht unter- halten. Wenn die SS nur meinte, es wäre gesprochen worden, prügelte sie auf uns ein. Plötzlich wurden drei Personen herausgerufen. Wir kannten sie: Sie hatten wegen der großen psychischen Belastung hysterisch zu schreien begonnen. Nun wurden sie in den Hof der Börse geführt und dort erschossen. Wir machten uns jetzt keine Illusionen mehr über das Schicksal, das uns erwartete. So war es geradezu eine Entlastung, als es dann am Abend des 26. Januar 1942 hieß, daß wir am nächsten Morgen deportiert werden. Doch wußten wir nicht, wohin.

Am frühen Morgen des 27. Januar 1942, einem kalten Wintertag, wurden wir zum Dortmunder Güterbahnhof gebracht. Es waren alte Güterwaggons, in die wir hineingetrieben wurden. Wir sollten die festgefrorenen Toiletten säubern. Doch das ging nicht.

Wir wußten, daß es Konzentrationslager gab und Menschen dort Zwangsarbeit verrichten mußten, seitdem Vater 1938 im KZ Sachsenhausen gewesen war. Doch hatte er uns nicht erzählt, wie schrecklich es dort zuging, so sehr wir auch versuchten, in ihn zu dringen. Sie sind mit der Maßgabe entlassen worden, daß sie sofort wieder ins KZ kämen, wenn sie etwas erzählten. Jetzt im Zug erzählte er, wie es ihm dort ergangen war.

Unterwegs bekamen wir so gut wie nichts zu essen. Auch der Durst quälte uns sehr, doch erst am zweiten Tag hielt der Zug und wir durften in Töpfen und Eimern Schnee holen, um ihn dann als Wasser zu trinken. Auch durften wir uns im Schnee notdürftig waschen. Doch auch dies wurde von der Gestapo genutzt, um uns zu demütigen. So mußten wir, umringt von den Wachmannschaften, unsere Notdurft verrichten. Für uns Frauen war dies besonders schlimm. In einer solchen Situation, wenn man nackt ist, hat man keine Widerstandskraft, kann sich nicht wehren. Es gehörte zum Prinzip der Bewacher, uns den Mut zu nehmen. Wir fühlten uns wie Schlachtvieh.

Nach drei Tagen endete die Fahrt am 31. Januar 1942 am Güterbahnhof Skirotava. Erst dort wußten wir, daß man uns nach Riga deportiert hatte. Wir wurden von SS-Männern aus dem Zug geprügelt. Auf dem Bahndamm rief man einige Namen, offenbar hatte man bereits eine Liste mit unseren Personalien nach dort übermittelt. Die Aufgerufenen wurden unter der Be- schuldigung, z. B. früher ein Wirtschaftsvergehen begangen zu haben, vor unseren Au- gen erschossen. Diese Erschießungen wurden zumeist von der schwarzen SS durchge- führt, unterstützt von lettischer und litauischer SS, die oliv-grüne Uniformen trugen. Beim Einmarsch in die baltischen Staaten waren die Nazis in die Zuchthäuser gegangen und hatten gesagt: ‚Wer zur SS kommt, wird entlassen. Die anderen bleiben in Haft.’ Ihrer Herkunft als Kriminelle entsprechend war die Mentalität der baltischen SS-Män- ner. Bei denen konnte man z. B. für eine Flasche Schnaps fünf Morde bestellen, das war ihnen völlig gleichgültig.

Am Bahndamm standen zwanzig bis dreißig Schlitten, die aus flachen Holzgestellen bestanden, unter denen Kufen angebracht waren. Die SS-Männer befahlen: ‚Wer alt

BUCH DER ERINNERUNG | 471 ist und schlecht laufen kann und Kinder können mit den Schlitten ins Ghetto fahren.’ Einige ältere Leute haben sich gemeldet, daß sie schlecht laufen konnten, und Kinder stiegen auf die Schlitten. Auch drei behinderte Kinder, die in unserem Transport waren, wurden uns weggenommen. Einen Moment hatte ich an so etwas wie Menschlichkeit bei der SS geglaubt, doch dann sagte ich in böser Vorahnung: ‚Meine Tochter geb ich nicht her!’ Vater nahm sie auf die Schultern.

Die Menschen, die mit den Schlitten weggefahren sind, sahen wir nie wieder. Nur ihre Kleider kamen nach einigen Wochen blutgetränkt ins Ghetto zurück, einige wiesen Ein- schüsse auf. Da wußten wir, was wir längst befürchtet hatten, nämlich daß sie ermordet worden waren.

Riga war ein Ghetto mit vielen Außenlagern und Kasernierungen, daneben bestand später das Konzentrationslager Kaiserwald mit seinen Außenlagern. Wir kamen ins Ghetto in Riga, das sich in dem Stadtteil Moskauvorstadt befand. Auf der einen Seite des Ghettos waren wir deutsche Juden, im anderen Teil noch einige Letten, die das Massaker Ende November überlebt hatten. Die Straßen im Ghetto wurden von der SS nach dem Herkunftsort des Transports benannt. So gab es eine Bielefelder Straße, eine Kölner Straße und auch eine Dortmunder Straße. In diese wurden wir von der SS mit Peitschen getrieben. In den Häusern herrschte drangvolle Enge. In den Wohnungen sah es aus, als hätten dort Vandalen gehaust. Zerbrochenes Porzellan, zertrümmerte Möbel, zerrissene Kleidungsstücke, Schuhe, abgeschlagener Putz und zertrümmerter Hausrat bedeckten überall den Fußboden. Toiletten und Wasserleitungen waren herausgeris- sen. In einigen Wohnungen stand das inzwischen verschimmelte Mittagessen noch auf den Tischen. Die Menschen, die vorher hier gewohnt hatten, mußten also aus heiterem Himmel abgeholt worden sein. Und dann befahl uns die Gestapo, die Wohnungen in kürzester Zeit zu säubern. Da das nicht klappte, weil Wasser und Putzmaterial fehlte, wurden viele geschlagen.

In den ersten vierzehn Tagen in Riga bekamen wir so gut wie keine Verpflegung. Wir suchten aus den Abfällen gefrorene Kartoffelschalen und Gemüseabfälle und reinigten und kochten sie. In verlassenen Wohnungen fanden wir unter den Trümmern manchmal noch Mehl- und Grützereste. Aus Kartoffelschalen und Mehl backten wir so etwas wie Kartoffelpuffer. Das, was wir dann bekamen, kann ebenfalls nicht als Verpflegung bezeichnet werden: Wir bekamen täglich nur 200 Gramm fast verschimmeltes Brot, das war alles. Später kamen noch Fisch- und Gemüseabfälle hinzu. Doch die stanken schon, so daß man sich davor ekelte. 200 Gramm altes Brot war für uns zu wenig, denn wir mußten vom Morgengrauen bis zum Einbruch der Nacht hart arbeiten. Riga war ein Ghetto, in dem wir durch Zwangsarbeit umgebracht werden sollten.

Zur Arbeit waren wir in verschiedene Kommandos der SS, der Wehrmacht, der Reichs- bahn eingeteilt, aber auch verschiedene Firmen unterhielten hier Betriebsstätten. Wir waren ja billige Arbeitskräfte, und das, was für uns bezahlt wurde, kassierte obendrein noch die SS ein.

Weil wir Erwachsenen während des ganzen Tages arbeiten mußten, waren die Kinder während dieser Zeit auf sich allein gestellt. Dadurch kam es zu gefährlichen Situationen. Meine Tochter z. B. fand ein Loch im Zaun, lief auf der anderen Seite des Ghettos am Zaun entlang und dann durch die lettischen Wachposten hindurch in das Wachhäuschen der SS. Das war sehr gefährlich, da wir uns noch nicht einmal dem Zaun nähern durften; schon viele waren erschossen worden, weil sie angeblich zu nahe an den Zaun gekommen waren. Als ich abends von der Arbeit kam, sagte Mutter, daß meine

472 | BUCH DER ERINNERUNG Tochter mit drei Eiern im Röckchen zurückgekommen war. Sie hätte nicht von ihr erfahren können, woher sie diese bekommen hätte. Als ich meine Tochter fragte, sagte sie mir: ‚Die hat mir der Schießerposten gegeben!’. Ich war entsetzt. Und dann erzählte sie mir, wie sie dem Posten gesagt habe: ‚Ich habe Hunger.’ Der habe ihr gesagt, daß sie drei Eier bekomme, wenn sie vor ihm tanze. Und so kam sie mit diesen drei Eiern nach Hause. Ich sagte ihr, daß sie nicht mehr zu dem Posten gehen dürfe.

Nach einiger Zeit kam meine Tochter mit einer Tasche zurück in die Wohnung. Ich dachte, daß darin Butterbrote wären, und fragte sie, wovon sie die hätte. Da sagte sie mir: ‚Vom Onkel Stanke’[4413]. Standtke war der Verpflegungschef im Ghetto. Ich sagte ihr, daß sie deswegen von den anderen Kindern verprügelt werden könnte. Sie öffnete die Tasche, in der sie eine Katze hatte. Ich fragte sie: ‚Woher hast Du die Katze?’ Ich sagte ihr: ‚Was hast Du gemacht, weißt Du, was das bedeuten kann?’ Darauf sagte sie: ‚Die Katze hat mich lieb und der Stanke tut mir nichts! Ich habe nur die Tasche aufgemacht und dann ist die Katze reingelauft.’ Ich sagte ihr: ‚Sofort bringst Du die Katze zurück!’ Doch die Kinder verstanden die Situation und die Gefährlichkeit nicht, in der wir waren. Mutter richtete deswegen später im Ghetto einen Kindergarten ein.

Im Februar/März 1942 wurden hunderte von älteren oder bereits erkrankten Men- schen in der Berliner Straße erschossen oder in den Bikernieker Wald gebracht und dort ermordet. Zusammen mit anderen Krankenschwestern mußte ich in den verlas- senen Häusern nach Leichen und Kennkarten suchen. Wir fanden Leichen, die bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt waren, fast allen waren die Ringfinger abgerissen, vielen waren die Zähne herausgebrochen. Als im Frühjahr der Schnee wegtaute, fanden wir viele abgerissene Finger mit starken Hautabschürfungen.

Ab März 1942 wurden Transporte vor allem aus alten Menschen zusammengestellt. Sie waren ahnungslos, weil es hieß: ‚Die Menschen werden zu leichten Arbeiten in die Fisch- fabriken nach Dünamünde gebracht.’ Dies geschah mit Schlägen und Püffen. Uns war da schon klar, daß sie nicht zur leichten Arbeit weggebracht, sondern ermordet werden sollten. Nach wenigen Tagen kam die Kleidung unbeschädigt zurück. Wir wußten aber nicht, wie sie ermordet worden waren. Später erfuhr ich von deutschen Soldaten, die in Riga einige Tage Zwischenurlaub machten und in unbeobachteten Momenten mit uns sprachen, daß es in Dünamünde keine Fischfabriken gab. Da war nur öder Strand. Die alten Menschen waren bereits während der Fahrt ermordet worden. Meine Schwester, die viele dieser Menschen gepflegt hatte, wollte mit einem dieser Transporte fahren. Denn sie sagte: ‚Ich habe die Menschen gepflegt und jetzt fahre ich auch mit den alten Menschen, um sie zu betreuen.’ Auf diese Weise wurden etwa 5.000 Menschen umge- bracht.

Neben der Arbeit mußte ich Dienst im Krankenhaus tun. Das Krankenhaus lag am Stacheldraht, der uns vom lettischen Ghetto trennte. Plötzlich rief jemand von der anderen Seite des Zaunes meinen Namen. Da die Posten in diesem Augenblick schossen, flüchtete ich in den nächsten Hauseingang und konnte deshalb nicht sehen, wer gerufen hatte. Am nächsten Tag fragte mich unser Arzt, der im lettischen Ghetto wohnte: ‚Bist Du Edith Sziminski?’ Und dann erzählte er mir, daß mein Mann dort lebte. In der nächsten Zeit kam er häufiger heimlich auf unsere Seite, um uns zu besuchen. Ich weiß nicht, wie er es immer schaffte, durch den stark bewachten Zaun zu kommen, der die beiden Teile des Ghettos trennte. Trotz der überall zu lesenden

4413 Kriegsverwaltungsrat Standtke war „Arbeitsbeamter“ in der Militärverwaltung in Riga (vgl. Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, durchgesehene und erweiterte deutsche Ausgabe, Frankfurt am Main 1990, S. 377).

BUCH DER ERINNERUNG | 473 Warnung ‚Geschlechtsverkehr wird mit dem Tode bestraft!’ schliefen wir miteinander und ich wurde schwanger. Doch mein zweites Kind wurde – wie alle im Ghetto gezeug- ten Kinder – abgetrieben. Ich war damals bereits im 6. Monat. Die Abtreibung führte der Chefarzt Dr. Aufrecht durch, der ein schlechter Arzt war. Manchmal war er schlim- mer als die SS. Seine Frau kleidete sich nur in Leder und hatte ihre Haare blondiert, ‚aufgenordet’, wie wir damals sagten. Den Arzt, seine Frau und seine Liebsten haben die Frauen später nach der Befreiung des Außenlagers Lauenburg bei Danzig umgebracht. Aufrecht schickte mich zur Strafe ‚nur’ zum Torfstechen, wo ich bis zu den Hüften im Wasser stehen mußte. Todkrank wurde ich ins Lager zurückgebracht, wo ich nach dreimonatigem Krankenlager überlebte. Durch die unsachgemäße Abtreibung konnte ich danach keine Kinder mehr bekommen. Doch wie mir ging es vielen Frauen, die im Ghetto schwanger wurden. Den meisten erging es noch schlimmer wie mir, denn sie wurden nach der Abtreibung ermordet.

Im Frühsommer 1943 kam das Gerücht auf, daß das Ghetto aufgelöst wurde und wir ins Konzentrationslager Kaiserwald kommen sollten. Uns stockte der Atem. Jeden, der ver- schickt werden sollte, erfaßte wahnsinnige Angst. Aus Kaiserwald waren nur mensch- liche Wracks zurückgekehrt, zerrüttet an Leib und Seele.

Kaiserwald, ein Riga vorgelagerter Villenvorort, war vor der Besetzung als ‚Riviera des Nordens’ bekannt. Hier hatten früher die Boote der reichen Rigaer gelegen. Daß Kaiser- wald ein KZ war, merkten wir daran, daß wir Einheitskleidung erhielten, soweit die uns gegebenen Lumpen diese Bezeichnung verdienten. Wir sollten Häftlingsnummern am Unterarm eintätowiert bekommen, wie das in Konzentrationslagern üblich war. Etwa 150 Häftlinge aus unserem Transport haben noch diese Nummer bekommen, dann ging die Tinte aus. So sind Mutter und ich untätowiert durchgekommen.

Die meisten Häftlinge lebten nicht im eigentlichen KZ, sondern in sogenannten Kasernierungen, wo wir Zwangsarbeit leisten mußten. Kasernierungen gab es bei Reichsbahn-, Wehrmachts- und Polizeidienststellen; so u. a. beim Heeres-Kraftfahrpark und beim Armeebekleidungamt. Auch bedienten sich mehrere deutsche Firmen un- serer Zwangs-Arbeitskraft, so war hier ein sehr großes Zweigwerk der AEG.

Überhaupt änderte sich für uns in Kaiserwald einiges grundlegend: Die Lebensverhält- nisse in Riga waren zwar auch unzureichend gewesen und wir hatten dort sehr viel unter der Willkür der SS gelitten. Doch war Kaiserwald noch eine Steigerung, weil alles darauf angelegt war, unsere Arbeitskraft auszubeuten und uns dadurch zu vernichten. Strikte Disziplin in den unsinnigsten Dingen, Kälte, Hunger und die Überfüllung des Lagers verschärften unser Leben. Außerdem waren wir nach Frauen und Männern getrennt.

In Kaiserwald hatte nicht die SS das Sagen, sondern die von ihnen eingesetzten Kapos. Zum Lagerältesten machten sie einen wegen Doppelmord verurteilten Mörder, den man mit seinem ganzen Sadismus auf uns losließ. Über dem Lagertor hätte der Satz stehen müssen: ‚Wer hier hineinkommt, der lasse alle Hoffnung fahren.’ Gleich bei unserer Ankunft merkten wir das, als man uns von den Autos herunterprügelte. Wahllos schlug man, wo man uns erwischen konnte: auf den Kopf, ins Gesicht und auf den Rücken. Doch das war nur ein Vorgeschmack dessen, was uns erwarten sollte. Dreimal wurden wir an diesem ersten Abend von einer Ecke des Lagers zur anderen zum Zählappell getrieben und dann für die Nacht in eine Baracke eingesperrt. Todesarten wie Erschießen und Erhängen waren in Kaiserwald an der Tagesordnung, das Totschlagen auch. Doch die SS- Sadisten trieben ihre Perversität noch weiter. Sie ertränkten Häftlinge in der Latrine. Dies war eine der schrecklichsten Quälereien, die nur als Ausgeburt einer Höllenphantasie

474 | BUCH DER ERINNERUNG bezeichnet werden kann. Sie wurden ausgeführt von Schwerverbrechern und Zuhältern, die man aus deutschen und lettischen Zuchthäusern eigens nur dafür freigelassen hatte.

Am 2. November 1943 fand wieder eine sogenannte ‚Aktion’ statt. ‚Aktionen’ hatten nie etwas Positives zu bedeuten. Diesmal betraf sie unsere Kinder. Angeblich sollten die Kinder bis zu zwölf Jahren in ein Kinderheim nach Deutschland gebracht werden. Auch einige alte Menschen sollten mitfahren. Ich mußte an diesem Tag auch meine Tochter zum Zug bringen und war entsetzt, daß sie bei bitterer Kälte in offene Waggons ver- laden wurde. Am Zug sah ich sie zum letzten Male.

Nach dem Krieg erfuhren wir, daß man einen Teil des Transportes so lange auf abgelegenen Bahnstrecken hin und her rangieren ließ, bis alle Kinder tot waren. Der Waggon mit meiner Tochter fuhr nach Auschwitz. Eine Bekannte, die Auschwitz überlebte, mußte die Kinder vor den Gaskammern ausziehen. Sie erzählte, daß sie meine Tochter gesehen hat. Sie hätte zu den anderen Kindern gesagt: ‚Was heult ihr denn? Ihr braucht nicht heulen, der Krause holt uns raus.’ Krause war einer der Kommandanten von Riga. Er war zwar sonst ein großer Sadist, hatte aber für manche Kinder – so auch für meine Tochter – etwas übrig. Als meine Tochter in der Gaskammer ermordet wurde, war sie 5 Jahre alt.

Wenn wir im Lager einmal besonders viel Prügel bekamen, sagten wir: ‚Gott sei Dank!’ Denn dann war an der Front sicher irgendwo wieder eine Schlappe. Und so haben wir aus jeder Lage das Beste gemacht.

Im Sommer 1944 wurden die SS und ihre Kapos wieder sehr unruhig: Das KZ Kaiserwald wurde zweimal bombardiert. Außerdem stand die Rote Armee bereits an der lettischen Grenze. Unsere Hoffnung, daß wir von ihr bald befreit wurden, trog. Nach dem zweiten Luftangriff wurde das KZ im Juli 1944 aufgelöst. In den letzten Tagen von Kaiserwald spielten sich unbeschreibliche Szenen ab. Tausende Arbeitsunfähiger – Kranke, Schwache und Kinder – wurden ermordet.

Wir wurden nach Libau an der Ostsee getrieben, in geschlossene Schleppkähne ver- laden, mit denen sonst Material transportiert wurde. Dieses Verladen muß man sich so vorstellen: Die SS trieb uns brüllend in den zwei bis drei Meter tiefen Laderaum. Da waren zwar Leitern, doch viele fanden die Stufen nicht und fielen kopfüber ins Schiff. Hier lagen oder standen wir dicht an dicht, und das im Sommer bei brütender Hitze. Wie genau die Außenwelt über unseren Abtransport informiert war, kann man an fol- gendem sehen: Neben dem KZ Kaiserwald war das Haupttanklager der Luftwaffe [.... Als unser Einebnungskommando, wozu auch meine Schwester gehörte, in das Schiff gestiegen war, flog das Tanklager in die Luft, weil es bombardiert wurde. Das KZ war der Schutz für das Tanklager und man bombardierte es nicht, weil man uns nicht gefährden wollte. Major Schuh hatte vorher vielen Juden aus dem Ghetto zur Flucht verholfen. Doch konnte er nur denen helfen, die lettisch oder russisch sprachen und deshalb un- tertauchen konnten.

Auf dem Schiff fand ich Mutter wieder, die ich danach nicht wieder aus den Augen ließ. Den Kapitän, der ein sehr anständiger Mensch war, bat ich, meinem Mann auszurichten, daß er Vater suchen und mit ihm zusammenbleiben soll. Er hat das auch bis zu seiner Flucht getan, denn Vater wollte nicht mit flüchten. Unterwegs war starker Seegang. So waren wir froh, als wir in einem Hafen vor Danzig ankamen. Wie uns die SS in Libau ‚entlassen’ hatte, so ‚begrüßte’ sie uns jetzt: mit Geschrei und Schlägen. In lan- gen Marschkolonnen ging es weiter in Richtung des Konzentrationslagers Stutthof. Wer nicht mitkam oder zurückblieb, wurde erschossen. Am frühen Morgen kamen wir

BUCH DER ERINNERUNG | 475 durch ein Dörfchen mit weiß gekälkten Häusern. Es war ein schöner Sonnenaufgang und es versprach, ein schöner Tag zu werden. Ich sagte zu Mutter: ‚Deutschland!’, sie erwiderte: ‚Ja, jetzt sind wir wieder zu Hause!’.

Wir marschierten bis zum Konzentrationslager Stutthof. Hier war es sehr schlimm, denn hier konnten wir zunächst nicht arbeiten, sondern mußten nur Appell stehen. Nur weil der Leiter unserer Schreibstube ein sehr anständiger Mann war, habe ich meine Mutter von einer Deportationsliste streichen lassen können.

Die Gaskammer in Stutthof arbeitete Tag und Nacht und bald gab es Berge von Schuhen von denen, die ins Gas kamen.

Hier habe ich wegen eines Zigarettenstummels eine heftige Ohrfeige erhalten, bei der ich meine Zähne einbüßte. Ich hatte einen Ring mit einem großen Stein retten und län- gere Zeit in meinem Schuh verstecken können. Diese waren jetzt zerschlissen. Den Ring hatte ich in der Backe und deshalb schlug er mir bei der Ohrfeige an beiden Seiten die Zähne heraus. Ich konnte jedoch vor dem SS-Mann die Zähne nicht ausspucken, denn dann hätte ich den Ring eingebüßt. Nachgearbeitet besitze ich den Ring noch heute.

Eines Tagen gingen SS-Männer durchs Lager und fragten, wer Deutsch in Wort und Schrift konnte. Da dachte ich mir, daß alles besser ist, als den ganzen Tag beim Appell auf dem Hof zu stehen, und meldete mich mit etwa zehn anderen Häftlingen zur Schreibstube. Der SS-Mann sagte zu uns: ‚Wenn ihr das nicht könnt, dann wißt ihr ja, was euch geschieht.’ Spontan und entrüstet sagte ich: ‚Moment mal, das werden wir doch können. Schließlich ist Deutsch unsere Muttersprache.’ Zack, bekam ich die erste Ohrfeige, denn so etwas durften wir Juden natürlich nicht sagen. In der Schreibstube mußten wir andere Häftlinge für die Transporte registrieren. Wir mußten nur die Häftlingsnummern aufschreiben, die wir auf dem Kleid und die anderen auf dem Arm eintätowiert hatten. Zu den Transporten durften wir nur Lettinnen, Ungarinnen und Polinnen eintragen. Vom Leiter der Schreibstube erfuhren wir, daß sie nach Deutschland irgendwohin zur Arbeit gebracht werden. Es bestand also die Aussicht, weiter nach Deutschland zu kommen. So fragten wir uns gegenseitig, wer den Mut hätte, mit diesem Transport zu gehen, und hielten 40 Plätze in diesem Transport frei, in die wir unsere Namen einsetzen konnten. Viele von uns hatten Bedenken mitzugehen. Schließlich fanden sich aber 45, die mitgehen wollten, unter ihnen Mutter und ich. Da wir nur als Nummern aufgerufen wurden und die SS sich unsere Gesichter nicht merkte, fiel niemand auf, daß auch wir Deutsche mit auf diesen Transport gingen. Wir kamen in Argenau bei orn oben im Weichselbogen an, einem Außenlager von Stutthof, wo wir in finnischen Pferdezelten lebten. Wir mußten Panzerfallen bauen, die nachts von den Polen wieder zugemacht wurden. Dieses Arbeitskommando stand zunächst noch unter dem Befehl von SS-Männern, die aber nach vierzehn Tagen von zwei Wehrmachts- offizieren abgelöst wurden. Diese halfen uns, wo sie nur konnten.

Als bereits Geschützdonner von der nahen Front zu hören war, versuchten die beiden Wehrmachtsoffiziere uns unmittelbar in die russischen Linien zu führen. Sie konnten jedoch nicht verhindern, daß auch bei diesem Marsch mehrere Mithäftlinge, die nicht mehr laufen konnten, von den uns noch begleitenden lettischen SS-Männern erschos- sen wurden. Unter irgendeinem Vorwand gelang es den Offizieren später, die SS weg- zuschicken. Wir gelangten dann auf einen Gutshof, wo wir auf die Russen warten sollten. Dann gingen die beiden Offiziere in einen angrenzenden Wald, wo sie sich erschossen. Durch die Unachtsamkeit der ungarischen Mitgefangenen, die sich mit ihren kahlge- schorenen Köpfen und in KZ-Kleidung an die Straße stellten, wurde eine SS-Streife auf

476 | BUCH DER ERINNERUNG uns aufmerksam und abends standen wir, statt in Freiheit zu sein, schon wieder unter Bewachung einer Einheit des Sicherheitsdienstes der SS. Sie trieb uns nach Kowno, das damals noch Krone an der Brahe hieß und in der Nähe von Bromberg lag. Dort lieferten sie uns im Gefängnis ab. Durch einen polnischen Gefängnisbeamten erfuhr ich, daß wir am nächsten Morgen in einem Wald bei Konitz erschossen werden sollten. Fieberhaft überlegten die Beamten in dieser Nacht, wie sie uns fast 1000 Frauen vor diesem Schicksal bewahren konnten. Am frühen Morgen hörten wir plötzlich schweres Artilleriefeuer, dann fielen ganz in der Nähe des Gefängnisses Bomben. Da fragten wir uns, ob die SS das Gefängnis in die Luft sprengen wollte. Um 4.30 Uhr donnerte es gegen das Gefängnistor. Draußen wurde laut und in einer für mich fremden Sprache gerufen. Unsere lettischen und pol- nischen Mitgefangenen sagten uns, daß in russischer Sprache verlangt werde, das Tor zu öffnen. Anderenfalls werde das Gefängnis unter Beschuß genommen. Es gelang nur unter Schwierigkeiten, den russischen Soldaten vor dem Tor klarzumachen, daß wir eingeschlossen waren und keinen Schlüssel für das Gefängnistor hatten. Wir liefen an den Zellen vorbei, um unsere Mitgefangenen zu beruhigen. Um 8.47 Uhr öffnete sich das Gefängnistor.

Nach über drei Jahren übelster Quälerei waren wir nun endlich frei. Die russischen Soldaten, die ins Gefängnis kamen, umarmten uns alle fest. Ich habe noch tagelang den Abdruck der Maschinenpistole gespürt, die sie um den Hals trugen. Die Russen öffneten dann alle Zellen und sagten uns: ‚Ihr seid frei, ihr könnt machen, was ihr wollt.’ Die Kranken wurden zur Behandlung ins Krankenhaus gebracht. Ich erhielt von den Soldaten den Auftrag, im Gefängnis, das nun zu einem Gefangenenlager für Deutsche wurde, eine Krankenstation einzurichten, und wurde dort Feldscher (Arzthelferin). Mutter übernahm die Militärküche und verpflegte die russischen Soldaten, deren Nachschub oft nicht klappte und für die sie dann Brot backte.

Es war für uns schwer, uns daran zu gewöhnen, daß wir frei waren. Über den Markt in Kowno liefen wir mit Armen, die wir fast bis zur Schulter in den Hosentaschen hatten. Dort waren die Lebensmittel drin und die meinten wir schützen zu müssen. Wir konnten uns nur langsam daran gewöhnen, daß wir frei waren, Sachen kaufen konnten und niemand sie uns stehlen wollte. Bei Lebensmitteln hat es noch lange gedauert, daß es in meinen Fingern juckte, sie zu klauen, wenn ich sie sah. Das war auch noch so, als wir im Januar 1946 nach Berlin kamen. Da eröffneten bereits wieder die ersten Kaufhäuser, wenn auch vorerst noch mit verbretterten Schaufenstern. Es war für mich in diesem Punkt so schwer, mich wieder an das normale Leben zu gewöhnen.

Obwohl die sowjetischen Soldaten es gerne gehabt hätten, wenn wir in Kowno geblieben wären, hatten Mutter und ich Heimweh und wollten deshalb zurück nach Deutschland. Mir hatte man kurzerhand die sowjetische Staatsbürgerschaft ‚verpaßt’, da mein ermor- deter Mann Lette gewesen war und Lettland inzwischen zur UdSSR gehörte. Ich war deshalb nicht sicher, ob man mich ausreisen ließ. Schließlich bekam ich von der vorge- setzten militärischen Behörde in Warschau die Erlaubnis, meine Mutter nach Berlin zu bringen. Ich sollte aber nach Kowno zurückkehren. Diesen ‚Marschbefehl’ habe ich heute noch. Wir erhielten noch zwei Offiziere als Begleitung, die wollten jedoch auch nicht zurückkehren, sondern weiter in die USA. Einer der Offiziere war Jude. Als wir nach Deutschland kamen, habe ich meine sowjetische Uniform ausgezogen und ver- schwinden lassen. Ebenso vernichtete ich auch alle Papiere, aus denen meine angeblich sowjetische Staatsangehörigkeit hervorging. Zum Glück hatte ich noch alte Papiere, aus denen hervorging, daß ich Edith Sziminski, geborene Wolff, aus Dortmund war.

BUCH DER ERINNERUNG | 477 Am 2. Januar 1946 kamen wir mit dem Zug in Berlin an. Zunächst waren wir im Ho- tel Adlon im sowjetischen Sektor untergebracht. Doch schon wenige Tage später ‚ver- schwanden’ wir in den britischen Sektor, wo wir den früheren Reichstagspräsidenten Paul Löbe trafen, den Mutter kannte. Wir wollten zunächst weiter nach Westdeutsch- land, vielleicht nach Dinslaken oder Bocholt. Doch blieben wir in Berlin, weil Löbe zu Mutter sagte: ‚Wir lassen dich nicht fortgehen. Leute wie dich brauchen wir hier. Wenn du sowieso wieder für die SPD aktiv werden willst, dann bleibe hier. Denn hier ist im- mer noch die SPD-Zentrale, wo alle Fäden zusammenlaufen.’ Und so sind wir in Berlin geblieben.

Erst nach und nach erfuhren wir durch die Berichte von Überlebenden aus den Konzen- trationslagern, daß Mutter und ich die beiden einzigen Menschen aus unserer Fami- lie waren, die den Holocaust überlebt hatten. Unser Kind wurde in Auschwitz vergast, mein Mann wurde bei einem Fluchtversuch aus Buchenwald erschossen. Großmutter war bereits 1942 an den Entbehrungen in eresienstadt gestorben, Käthe war 1944 auf dem Jugendhof des Konzentrationslagers Sachsenhausen erschossen worden, Juliane kam in Kowno zu Tode und mein Vater wurde am 23. April 1945 von einem Kommando aus Werwolf und SS erschossen.

Doch wir sagten: dennoch. Dennoch bleiben wir in Deutschland. Auch hieraus erwuchs Mutter und mir die Verpflichtung, Menschen von unserer Zeit in den Konzentrations- lagern zu berichten. Natürlich schildern wir da nicht die großen Scheußlichkeiten, denn ich denke mir, daß diese die normale Vorstellungkraft übersteigen. Studenten waren die ersten, die fragten und mit denen wir uns unterhalten haben. Dies war für mich eine beglückende Zeit, weil ich erfuhr, daß dort Menschen waren, die etwas anders machen wollten.“ 4414

Greta Meier (geb. Löwenstein) berichtet über ihr Leben

„Mein Name ist Greta Meier, früher Gretel Löwenstein. Ich wurde am 24. November 1924 als mittleres Kind von Martha und Berthold [sic!] Löwenstein geboren. Mein Vater war Eigentümer des Geschäftes S. B. Löwenstein in der Osterstraße 50, wo sich nachher die Firma Sinn-Leffers befand.

Meine frühen Kindheitserinnerungen an Bocholt sind sehr glückliche: Ich hatte viele Freundinnen, von denen nahezu alle nicht jüdisch waren, denn die is- raelitische Gemeinde hier war klein. Mein Vater stammte aus Bocholt, seine Familie war bereits um 1800 in die Gegend zugewandert. Zusätzlich zu seiner Tätigkeit als Ge- schäftsmann war er sehr aktiv in der israelitischen Gemeinde und unter den Kaufleuten. Daneben erinnere ich mich daran, wie sehr er als dessen Mitglied die Aktivitäten des St. Georgius-Schützenvereins im Schützenhaus genoß.

In jungen Jahren lernte ich wie die meisten Bocholter das Radfahren. Mein Bruder und ich erlernten das Schwimmen in den Tonwerken.

4414 Privatbesitz Josef Niebur. Zusammenfassende Niederschri über ein Interview mit Edith Marx (geb. Wol - geb. am 26. November 1916 in Bocholt – 1. März 2005, Dinslaken) in den Jahren 1988 bis 1994 bei Brigitte Eckers, Bocholt, unter Zuhilfenahme eines Interviews, das Maria und Dr. Hans-D. Oppel am 2. Juni 1987 mit Edith Marx führten, des Buches von Jeanette Wol „Sadismus oder Wahnsinn. Erlebnisse in einem deutschen Konzentrationslager“ (Greiz 1947) und Gunter Lange „Jeanette Wol . 1888 bis 1976. Eine Biograe“ (Bonn 1988).

478 | BUCH DER ERINNERUNG In den ersten vier Schuljahren besuchte ich die israelitische Volksschule am Nord- wall. Dann ging ich zum Lyzeum am Schleusenwall, das zunächst von Nonnen geleitet wurde. In meiner Klasse war ich das einzige jüdische Kind. Ich wurde genau so behan- delt wie jede Schülerin. Nur vom Religionsunterricht und dem Schulgebet war ich be- freit. Stattdessen nahm ich nachmittags am Religions- und Hebräischunterricht in der israelitischen Schule teil. Nach der Schule spielten wir mit unseren Freunden, entweder in unserer Wohnung, die hinter dem Geschäft lag mit einem Eingang von der Südmauer, oder bei ihnen zu Hause. Zusammen mit unseren Eltern unternahmen wir auch Ausflüge.

Mein Leben und das meiner Familie änderte sich, als Hitler 1933 zur ‚Macht‘ gekommen war. Das ging zunächst sehr langsam: Zunächst blieben nur einige Freundinnen weg, die nachmittags zum BdM ‚mussten‘, schließlich kam kaum jemand mehr von ihnen zum Spielen. Um uns wurde es einsam. Weil man uns auf der Straße Schimpfworte zurief, blieben wir schließlich zu Hause. Nachdem es uns verboten worden war, die Tonwerke zu besuchen, fuhr Vater manchmal mit uns in das Freibad nach Aalten, wo wir noch schwimmen durften.

Auch mit Vaters Geschäft wurde es immer schwieriger. Nach dem ersten Boykott am 1. April 1933 glaubte er zwar noch, das Geschäft halten zu können; das war aber ein Trugschluss. Ich erinnere mich der Zeit, als die Nazis direkt vor dem Geschäft zum Boykott aufriefen – sie trugen SA-Uniformen und Schilder mit der Aufschrift ‚Kauft nicht bei Juden. Kauft arisch!’

Im Sommer 1936 kam ein Nazi, Herr Schmidtmann aus Bremen, nach Bocholt und ‚pachtete‘ das große Gebäude an der Osterstraße. Wir mussten die Wohnung räumen und zogen zur Miete in den dritten Stock des Hauses Nordstraße 16 4415. Unser Vermieter, Herr Imping, betrieb ein Oberbekleidungsgeschäft und war ein langjähriger Freund meiner Eltern. Damals war es natürlich bereits gefährlich, an Juden eine Wohnung zu vermieten, doch er machte es. Das zu erleben, war bei der Hetze, die uns auch in Bocholt mit ganz wenigen Ausnahmen begegnete, sehr tröstlich.

Um etwa diese Zeit änderte sich auch im Lyzeum einiges. Die Nonnen wurden von den Nazis aus der Schule geworfen. Zum Schuljahresende 1936/37 übernahmen Nazis die Schulleitung und morgens hieß es ‚Heil Hitler’ statt ‚Guten Morgen’. Ich fühlte mich in der Schule nicht mehr wohl, weil mir die Schulkameradinnen auswichen. Auch auf der Straße wechselten viele die Straßenseite, einige verschwanden rasch in Hauseingängen, um uns nicht begegnen zu müssen. Wir wurden auf offener Straße als ‚Jude, Jude’ beschimpft und gingen nicht mehr als unbedingt notwendig aus der Wohnung.

Mein Vater wurde Vertreter für mehrere Firmen, um etwas für unseren Lebensunterhalt zu verdienen.

4415 In der Einwohnermeldekarte der Familie Bertold Löwenstein ist der Verzugstermin für Martha Löwenstein nach Bocholt bereits für den 14. Januar 1920 zur Nordstraße 16 vermerkt. Bertold Löwenstein blieb demnach in der Os- terstraße 50 wohnen (StdA B, verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962). Andererseits erinnert sich die Schul- freundin von Ilse Löwenstein, Maria Wolsing (Privatbesitz Josef Niebur. Niederschrift über ein Gespräch mit Maria Wolsing (geb. Brüning, 1920 – 2004), am 8. Dezember 1994), dass sie noch 1934/35 in der Löwensteinschen Wohnung an der Südmauer war. Auch der notariellen Beglaubigung der Namensunterschrift des Kaufmanns Ber- told Löwenstein […] vom 23. November 1933 über die Abtretung der verzinslichen Grundschuld über 20.000 Goldmark an Stadtsparkasse [...] ist die Adresse Osterstraße 50 zu entnehmen (Amtsgericht Bocholt, Grundbuch- amt, Grundakten […] über die Grundstücke des Kaufmanns Bertold Löwenstein zu Bocholt […], Band 134, Blatt 3392, S. 12). Es ist anzunehmen, dass das Ehepaar und seine Kinder nach der Vermietung des Geschäftes Mitte Juli 1936 in die Nordstraße 16 zogen.

BUCH DER ERINNERUNG | 479 Trotzdem dachte er nicht daran, mit uns Deutschland zu verlassen und z. B. in die USA oder anderswohin auszuwandern, wie es viele Bekannte bereits getan hatten. Trotz der sich immer weiter steigernden antisemitischen Gesetze dachte er nicht daran, Deutsch- land zu verlassen. Er blieb mit uns in seinem geliebten Bocholt, weil er meinte, hierhin zu gehören. Er hatte im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft. In einem solchen Land, so meinte er, seien wir sicher.

Dass das nicht so war, merkten wir spätestens in der Pogromnacht vom 9./10. Novem- ber 1938. Wir Kinder lagen bereits seit längerer Zeit im Bett und schliefen, als wir vom Schrei- en und Kreischen einer größeren Gruppe Menschen und dem Klirren zerberstender Glasscheiben geweckt wurden. Wir standen zitternd am Fenster und sahen die Zer- störung eines der wenigen noch existierenden jüdischen Geschäfte in Bocholt auf der gegenüberliegenden Straßenseite: des Herrenoberbekleidungsgeschäftes Herzfeld, das schon viele Jahre unter der Geschäftsführung von Moritz Stern stand und unter die- sem Namen bekannt war. Wie bei Stern war es allen jüdischen Geschäften und vielen Häusern ergangen. Auch in der Synagoge hatten die Nazis randaliert, so dass in ihr kein Gottesdienst mehr stattfinden konnte. Am anderen Morgen war im Haus uns gegenüber niemand mehr von der Familie da. Später hörten wir, dass die Sterns noch in der Nacht nach Holland geflohen waren. Ich durfte ab diesem Tag nicht mehr ins Lyzeum, ich war dort jetzt unerwünscht. Einige Tage später erhielt ich ein Abgangszeugnis mit folgender Bemerkung: ‚Sie wurde am 15. Nov. 1938 gemäß Rundverfügung des Herrn Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung v. 14. November 1938 aus der Anstalt entlassen.‘

Nach dieser Nacht versuchte nahezu jeder Jude in Deutschland – natürlich auch meine Eltern – in irgendein Land zu fliehen, das bereit war, uns aufzunehmen: die Staaten in Süd- und Nordamerika, England, China, Kuba und andere. Ein Bruder meines Vaters lebte schon einige Jahre in Paris, ein anderer Onkel emigrierte nach Bolivien, eine Cousine nach Paraguay. Die folgenden Monate sind mir nur verschwommen in Erinnerung. Mein Vater versuchte, mich zu seinem Bruder nach Paris zu schicken, doch die hierfür notwendigen Papiere wurden nicht ausgestellt. In der Zwischenzeit versuchte England, so viel jüdische Kinder unter 16 Jahren zu retten wie möglich und zwar durch Kindertransporte, die letztlich 10.000 jüdischen Kindern das Leben rettete. Meine Schwester Ilse und ich waren unter ihnen. Wir waren in der Lage, Deutschland verlassen zu können. Mein Vater setzte uns am 5. August 1939 in Emmerich in den Zug, der uns und viele jüdische Kinder zum Schiff nach Hoek van Holland brachte, mit dem wir nach England gebracht werden sollten. Wir winkten zum Abschied, in der Hoffnung, in naher Zukunft wieder mit unseren Eltern vereint zu werden. Doch es war das letzte Mal, dass wir unseren Vater sahen. Mein Bruder war bereits drei Monate zuvor nach England geflohen, wo er bei einer Londoner Firma eine Lehre begann.

Für meine zwölährige Schwester und mich (14 Jahre alt) begann jetzt Mitte August 1939 ein neues Leben ohne unsere Eltern. Da ein entfernter Verwandter in Cambridge lebte, kamen wir in diese Stadt, allerdings in unterschiedliche Familien. Ich lebte in einer englischen Familie, die eine drei Jahre ältere Tochter hatte und teilte dort mit einem weiteren Flüchtlingsmädchen ein Zimmer. Für mich war es nicht ein- fach, mich dem neuen Leben anzupassen. Besonders deshalb, weil ich sehr wenig Eng- lisch sprach. Ich ging nun in eine sehr gute Privatschule für Mädchen. Hier gewann ich schnell Freundinnen und sprach und dachte bald gut englisch.

480 | BUCH DER ERINNERUNG Nachdem der Krieg begonnen hatte, bekamen wir über das Rote Kreuz nur noch kurze Nachrichten von unseren Eltern. Dadurch erfuhren wir, dass unsere Eltern mit anderen Juden in ein Judenhaus in Bocholt, Bahnhofstraße 16, eingewiesen worden waren. Später zog auch unsere alte Großmutter Luise in Bocholt zu. Dies war für unsere Eltern ein wichtiger Grund, nicht an Auswanderung zu denken. Unsere Eltern versuchten uns in jeder Nachricht zu versichern, dass es ihnen gut gehen würde. Doch ‚zwischen den Zeilen’ gaben sie uns zu verstehen, dass dies nicht der Fall war. Dann, Anfang Dezember 1941, hörten die Nachrichten aus Bocholt auf und wir ahnten, dass sie deportiert wor- den waren. Nach dem Krieg fanden wir natürlich heraus, dass sie am 10. Dezember 1941 in das Ghetto nach Riga deportiert worden waren. Unsere Eltern wurden, der genaue Zeitpunkt ist uns nicht bekannt, in oder bei Riga oder auf dem Weg in ein Nachbarlager in Dünamünde ermordet. Eine der beiden Überlebenden des Riga-Transportes aus Bocholt war Henny Hochheimer, die wir einige Jahre später in den USA wiedertrafen. Sie berichtete uns, dass unsere Eltern bald nach der Ankunft in Riga ‚auf Transport gingen’ und ermordet worden waren.

Außer unseren Eltern verloren wir unsere Großmutter, mehrere Onkel und Tanten und Cousins und viele Freunde.“

BUCH DER ERINNERUNG | 481 Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Ungedruckte Quellen

Amtsgericht Bocholt, Grundbuchamt (heute: Landesarchiv Nordrhein- Westfalen – Staatsarchiv Münster –)

Grundakten über die Grundstücke – der Ehefrau Siegmund Bach, Helene, geb. Weyl zu Bocholt[,] des Großdeutschen Reiches. – (Reichsfinanzverwaltung)[,] Kaufmann Henry Moser und Andere[,] Stadtgemeinde Bocholt[,] Band -, Blatt Nr. 166 (später Nr. 814). – des Kaufmanns Adolf Elsberg, Witwe und Kinder zu Bocholt [...] Band -, Blatt 1453. – des Buchdruckers Hermann Feldhaus zu Essen, des Viehhändlers Isidor Silber- schmidt in Bocholt [...] Band -, Blatt 1561. – des Magnus Cohen [...] Band -, Blatt 2644. – des Kupferschmiedes Peter Gewaltig zu Bocholt, des Anstreichermeisters Abraham ten Bosch zu Bocholt, [...] Bocholt, Band -, Blatt 837. – der jüdischen Synagogengemeinde in Bocholt, der Stadt Bocholt, Band -, Blatt Nr. 930. – des Fabrikanten Wilhelm Korff, des Fabrikanten Alfred Kornbusch, hier, Band -, Blatt Nr. 157. – des Kaufmanns Emanuel Mühlfelder in Bocholt, des Händlers Norbert Lorch, hier, der Geschwister Günter und Regina Lorch, hier, Band 129, Blatt 3242. – Fabrikant Max Ostberg, Erna, geb. Rosenthal zu Bocholt[,] des Agenten Albert Is- rael Löwenstein zu Bocholt[,] der Ehefrau eod. Kother in Düsseldorf-Morsen- broich, Band -, Blatt 2235. – des Kaufmanns Samuel B. Löwenstein zu Bocholt, Band 82, Blatt 10. – der Ehefrau Kaufmann Max Markus, Minna geb. Proppert in Duisburg, Mainstraße 48 [...] Band 160, Blatt 4183. – des Buchhändlers Amandus Temming zu Bocholt und Kinder des Eduard Herzfeld, Kaufmann zu Bocholt [...], Blatt 147. – des Kaufmanns Aron Löwenstein zu Bocholt, der Witwe Fabrikant Aron Löwen- stein, Wilhelmine, geb. Geisel in fortgesetzter wirtschaftlicher Gütergemeinschaft mit ihren Kindern [...] Band 11. – des Kaufmanns Philipp Löwenstein, Ww. und andere, [...] Blatt 230 A. – des Kaufmanns Otto Scherbel, Bocholt [...] Band -, Blatt Nr. 1624. – des Metzgermeisters Levi Silberschmidt zu Bocholt, des Metzgermeisters Jakob Sil- berschmidt jr zu Bocholt [...], Band -, Blatt Nr. 766. – [des] Pferdehändlers Jakob Spier zu Bocholt, Band 104. – der offenen Handelsgesellschaft in Firma Stern & Löwenstein zu Bocholt, [...] Band-, Blatt 301. – des Getreidehändlers Moritz Sternfeld, Bocholt [...], Band -, Blatt Nr. 1115. – der Ww. Fabrikant Salomon Weyl, geborene Stern u. Sohn [...] Band 131, Blatt 3313. – des Kaufmanns Hermann Wolff zu Bocholt, Ostwall [...] Flur 14, Grundstücke 195/130.

482 | BUCH DER ERINNERUNG Toderklärungsakten

– Cohen, Juliane und Sally, 5 II 31-32/59. – Eheleute Berthold [sic] Löwenstein, 4 II 24-25/49. – Löwenstein, Julius und Anna, 5 II 145-148/49. – Seif, Salomon und Regina, 5 II 28-29/56. – Silberschmidt, Martha 5 – II – 34/51 -. – Speyer/Steinberg, 5 II 79-82/51.

Registerabteilung Vereinsregister Nr. 100.

Archief van de gemeente Midden-Drenthe te Beilen inv. n 3789. Register van joden die in het kamp Westerbork zijn gecremeerd, 1943-1944; archief van de gemeente Westerbork.

Bundesarchiv, Koblenz Gedenkbuch des Bundesarchivs für die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfol- gung in Deutschland (1933-1945), Koblenz 2007 – Onlineversion – (BA) abgekürzt BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Namenverzeichnis Nr. BA, Gedenkbuch, Onlineversion, Deportationschronologie - Deportation aus dem Deutschen Reich. - Deportation aus Frankreich. - Deportation aus den Niederlanden. Bestand R 58 – Gestapo – Nr. 1078.

Compact-Memory, Deutsch-jüdische Literaturgeschichte im Web Allgemeine Zeitung des Judentums. Bayerische Israelitische Gemeindezeitung. CV-Zeitung - Blätter für Deutschtum und Judentum. Organ des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens e.V. Allgemeine Zeitung des Judentums. Deutsch-Jüdische Emigrantenzeitung Aufbau. Israelitisches Familienblatt.

Centrum Judaicum Berlin Bestand 1,75A Bo 1 Bocholt.

Gemeindearchiv Heek Bestand D, Nr. 392 – Staatspolizeileitstelle Münster an Landräte und Oberbürgermeister vom 18. Novem- ber 1941. – Staatspolizeileitstelle Münster an Landräte und Oberbürgermeister […], 18. Juli 1942.

BUCH DER ERINNERUNG | 483 Gemeente Winterswijk Liste der jüdischen Einwohner.

Joods Historisch Muzeum [Amsterdam], Digitaal Monument Joodse Ge- menschap in Nederlande (JHM A, Joodsmonument) – Datenbank.

Katholisches Pfarramt Liebfrauen, Bocholt, Pfarrarchiv Chronik Hl. Kreuz.

Kreisarchiv Borken Landratsamt Borken A 13.

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen – Hauptstaatsarchiv Düsseldorf - Gestapo-Akte Nr. 62515, Krüger, Gustav. NW 60 d 1675/76, Stadt Bocholt an Regierungspräsident Münster, 29. April 1952.

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen – Staats- und Personenstandsarchiv Detmold – Bestand D 21 A Nr. 4852 – Akten des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen Ernst Diele u. a. wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord 5 Js 18/61. Bestand RSA [Reichssippenamt] I 327 – Friedhofsliste des jüdischen Friedhofs Bocholt 1822 – 1940.

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen – Staatsarchiv Münster – [LA NW – StA MS] Regierung Münster – Nr. 9567, Acta betreffend die Judenschule zu Bocholt von 1897. – Nr. 17140, Acta betreffend die Synagogengemeinden des Kreises Borken vom 2.1.1911 – 1928. – Nr. 29674, Acta generalia betreffend die Synagogengemeinden Kreis Borken, vom 1.4.1928 bis 16.6.38. – Amtsgericht Coesfeld, I Nr. 5, Schöffengericht Coesfeld, Strafsache Amtsgericht Münster gegen Martha Sara Silberschmidt wegen Vergehen ./. V. O. über Nachrich- tenverkehr. – Amtsgericht Coesfeld I Nr. 7, Schöffengericht Coesfeld, Strafsache Amtsgericht Münster gegen Salomon Israel Seif wegen Vergehen./. V. O. über Nachrichten- verkehr.

Památník Terezin (Gedenkstätte eresienstadt) Todesfallanzeige vom 15. September 1942 (Davids, Bertha Bella). Todesfallanzeige vom 7. September 1942 (Löwenstein, Luise). Todesfallanzeige vom 29. August 1942 (Aurelia Weyl).

Privatbesitz Mera-Euler Bescheinigung des Amtsgerichts Duisburg, Abt. 6 a, 20. Januar 1933. Standesamt Duisburg-Hamborn, Geburtsschein vom 31. Oktober 1933. Koninklijke nederlandsche Stoomboot-Maatschappij b. v. Amsterdam, an Erich Euler, 7. Februar 1938. Auszug aus dem Geburtsregister der Stadt Mülheim an der Ruhr vom 19. November 2009.

484 | BUCH DER ERINNERUNG Privatbesitz Josef Niebur

Else Bamberger an Edith Magnus, 25. Juli 1988 (Fotokopie aus dem Besitz Vera Hirtz). Notiz über ein Gespräch mit Raimund B. (Haltern), am 25. August 1993. Notiz über ein Gespräch mit Bernhard B. (1910 – 1983), am 16. September 1977. Niederschrift über ein Gespräch mit Inge Becks (* 1926), Bocholt, am 10. Dezember 1993, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur. Niederschrift über mündliche Mitteilungen von Manfred Dammeier (1946 – 2005), 1984 – 2005. Niederschrift über ein Gespräch mit Ernst (* 1921) und Gertrud (* 1919) Deutmeyer, Rhede, vom 9. Dezember 1989, geführt von Josef Niebur und Werner Sundermann. Niederschrift über ein Gespräch mit Herrn D., Bocholt, am 8. Juni 1993, geführt von Josef Niebur und Werner Sundermann. Notiz über ein Gespräch mit Paula-Maria Ebbert, Bocholt am 26. August 1993 in Marienbaum. Niederschrift über ein Interview mit Brigitte Eckers (* 1944), Bocholt, am 23. Februar 2003. Notiz über ein Gespräch am 21. Mai 2010 mit Wolfgang Euler (Enkel von Amalia und Leopold Euler), Cali/Kolumbien, während eines Besuches mit Nichten und Neffen in Bocholt, geführt von Josef Niebur und Hermann Oechtering. Niederschrift über ein Gespräch mit Hans Fischer (1908 – 2002), Bocholt-Holtwick, am 23. März 1995, geführt von Josef Niebur und Werner Sundermann. Protokoll über mündliche Mitteilungen von Dr. John Goldsmith, 31. Januar 2008. Auskunft von Herrn H., * 1921, Vermerk befindet sich als Depositgut im Stadtarchiv. Niederschrift über Gespräche mit Margret Hemming (* 1934) Bocholt, am 2. und 27. Dezember 1994 geführt von Werner Sundermann. Notiz über ein Gespräch mit Willy Hövener (* 1923) vom 22. November 2009, geführt von Josef Niebur. Notiz über ein Gespräch mit Wilhelm Jakob (* 1927), Bocholt, vom 18. September 1993. Niederschrift über ein Gespräch mit Elli Jansen (1913- 2004), Bocholt, am 10. August 1999 geführt von Josef Niebur und Werner Sundermann. Niederschrift über ein Interview mit Dr. Reiner Jungblut (* 1930), Haar, geführt von Josef Niebur und Werner Sundermann am 5. November 1993. Niederschrift über ein Interview mit Frau K., * 1926 (wohnte bis 1942 Rosenstiege 2), geführt am 7. Januar 1993 von Werner Sundermann und Josef Niebur. Interview be- findet sich als Depositgut im Stadtarchiv. Niederschrift über ein Gespräch mit Heinz-Otto Kartenkämper (1923 – 2010), Bocholt, geführt am 4. Dezember 1994 von Werner Sundermann. Niederschrift über ein Interview mit Ilse Lebach (geb. Löwenstein, * 1927, Bocholt) und Greta Meier (geb. Löwenstein, * 1923 Bocholt), heute in Baltimore/USA lebend, Töchter von Martha und Bertold Löwenstein, Osterstraße 50, am 6. Mai 1992 in Bo- cholt, Hotel Kupferkanne, geführt von Manfred Dammeier und Josef Niebur. Niederschrift über ein Interview mit Klara Lehmbrock (geb. Reuß, 1923 – 2010), geführt von Werner Sundermann sowie Josef Niebur am 10. August 1994 und 1. Dezember 1994. Niederschrift über ein Interview mit Dr. med. Werner Loock am 16. Mai 2000. Niederschrift über ein Interview mit Günter Lorch (1930 – 2008), Bocholt, und seiner Frau Magdalene (geb. Sackers) am 9. Februar 1995 und am 2. März 1995 geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur. Notiz über ein Gespräch mit Günter Lorch (1930 – 2008) am 26. November 1996. Niederschrift über ein Gespräch mit Doris und Max Lorch (Argentinien 1914 – 2002), während eines Besuches am 29. Juli 1991 in Bocholt.

BUCH DER ERINNERUNG | 485 Niederschrift über ein Interview mit Hubert Mispelkamp (1921 – 2011), Bocholt, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur am 28. Februar 2001. Niederschrift über ein Interview mit Klara Möllmann (1913 – 2004), geführt am 1. Sep- tember 1980. Niederschrift über Gespräche mit meiner Mutter Maria Niebur (1915 – 2004) geführt in den Jahren 1983 – 2004. Niederschrift über ein Interview mit N. N., geführt am 7. Januar 1994 von Josef Niebur und Werner Sundermann. Notiz über eine Auskunft von N. N., Bocholt, am 26. Oktober 1983. Notiz über ein Gespräch mit Kurt Nußbaum, geführt am 30. April 1985 in Bocholt. Niederschrift über ein Gespräch mit Martha Rennebaum (geb. Ludwig, 1926 – 2006), geführt am 23. Februar 2003. Niederschrift über ein Interview mit Anna Roloff (1904 – 1997), Bocholt, gemeinsam mit ihrer Tochter Maria Lüer (* 1926) und deren Mann (* 1925), Isselburg-Werth, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur am 24. Juli 1988. Notiz über ein Gespräch mit Silvia S., Bocholt, vom 25. Mai 1993. Notiz über ein Gespräch mit Klemens Schnoklake (1928 – 1996), Bocholt, vom 25. No- vember 1994. Notiz über ein Gespräch mit Ernst Schülingkamp, der bis 1961 Referent beim ehema- ligen Stadtdirektor Kaiser war, am 22. Juli 1995 auf dem Parkplatz hinter dem Ge- bäude des Arbeitsgerichts, Münsterstraße 76, Bocholt. Niederschrift über ein Interview mit Josef Schülingkamp (1903 – 1986) und seiner Frau Maria, bei Gertrud und Heino Böing, Bocholt, am 15. Mai 1985, geführt von Josef Niebur. Niederschrift über ein Gespräch mit Luzia Sundermann (geb. Branse, 1901 – 1993), Bocholt, geführt von ihrem Sohn Werner Sundermann und Josef Niebur am 2. Dezember 1987. Niederschrift über Gespräche mit Werner Sundermann (* 1926), Bocholt, von 1988 bis 2003, geführt von Josef Niebur. Niederschrift über ein Gespräch mit Hanna Vallée (1908 – 1999), geführt am 11. Mai 1993 von Josef Niebur und Werner Sundermann. Niederschrift über ein Gespräch mit Karl Walber (* 1922 – 2010), am 18. Dezember 1993, geführt von Werner Sundermann und Josef Niebur. Niederschrift über ein Gespräch mit Elli Warschawski-Nußbaum (1904 – 1997), Basel/ Schweiz, geführt am 4. September 1995 in Bocholt. Niederschrift über ein Gespräch mit Maria Wigger (* 1931, geborene Stoppe, früher wohnhaft Gasthausstraße 20, Bocholt), Rhede, geführt von Josef Niebur und Her- mann Oechtering am 29. Juli 2010. Gespräch mit Maria Willing, geb. Kartenkämper (* 1925), am 2. Dezember 1994 geführt von Werner Sundermann. Niederschrift über ein Gespräch mit Maria Wolsing (geb. Brüning, 1920 – 2004), ge- führt durch Josef Niebur und Werner Sundermann am 8. Dezember 1994. Zusammenfassende Niederschrift über Gespräche mit Edith Marx (geb. Wolff – geb. am 26. November 1916 in Bocholt), geführt in den Jahren 1988 bis 1994 bei Brigitte Eckers, Bocholt, unter Zuhilfenahme eines Interviews, das Maria und Dr. Hans-D. Oppel am 2. Juni 1987 mit Edith Marx führten, des Buches von Jeanette Wolff „Sadismus oder Wahnsinn. Erlebnisse in einem deutschen Konzentrationslager“ (Greiz 1947) und Gunter Lange „Jeanette Wolff. 1888 bis 1976. Eine Biografie“ (Bonn, 1988). Vermerk über ein am 11. Juni 1993 von Werner Sundermann mit Frau Charlotte Wohl- fahrt geführtes Telefonat.

486 | BUCH DER ERINNERUNG Kurt Nussbaum s. A. Ein Schulausflug nach Xanten, o. O., o. J. (englisch).

Interview am 12. Dezember 1991 mit Wilhelmine Süßkind (Coesfeld) in der Sendung „Lokalzeit Münsterland “ des WDR-Studios Münster (Abschrift).

Falk, Marga: „Steps in my life’s journey“, (unveröffentlichtes Manuskript).

Privatbesitz Benno Simoni Stadt Schrimm, Heiratsurkunde von Salomon Seif und Regina Simoni vom 15. Oktober 1907.

Nachlass Günter Lorch (im Besitz von Josef Niebur) Stammbaum der Familien Lorch/Metzger, aufgestellt von Rechtsanwalt und Notar Dr. Johannes Alff. Kopie im Besitz von Josef Niebur.

Schriftliche Mitteilungen Almelo/Niederlande, Gemeente, 29. September 2009. Achterhoeks Archief (Doetinchem, Niederlande), 28. Juli 2009. Australian Jewish Genealogical Society (Vic), 16. und 18. August 2012. Boeselager, Remigius v., Gütersloh, 18. August 2011. Borne/Niederlande, Gemeente, 15. Juni 2009. Bundesarchiv Berlin, 14. Januar 2009, 17. Juni 2009. Bad Laasphe, Standesamt, 22. August 2011. Bundespolizeidirektion Wien (Österreich) – Zentralamt – 17. Juni 1997. Chur/Schweiz – Einwohnerdienste –, 24. September 2012. Gelsenkirchen, Institut für Stadtgeschichte, 24. Januar 2011. Gemeente Ede (Niederlande), 28. Januar 2001. Gemeente Utrecht Dienst Burgerzaken & Gemeentebelastingen Afdeling Dienstver- lening vom 8. Juni 2009. Goldsmith, Dr. John (Liverpool/GB), 31. Mai 2008. Herinnerungscentrum kamp Westerbork, 18. August 2011. Jüdische Gemeinde Berlin, 31. Januar 2008. Knieriem, Dr. Michael, Xanten, 27. September 2011. Památník Terezin (Archiv der Gedenkstätte eresienstadt), 5. Mai 1997, 29. August 2011. Kreisarchiv Hildburghausen, 15. Dezember 2011. Schmitz, Franz, Edenkoben, 19. Januar 2011. Stadt Chur/Schweiz – Einwohnerdienste –, 24. September 2012. Stadtarchiv Bonn, 10. Juni 2009. Stadtarchiv Darmstadt, 8. Oktober 2008. Stadtarchiv Dinslaken, 14. Juni 2009, 14. Dez. 2011. Stadtarchiv Dortmund, 1. Oktober 2008. Stadtarchiv Düsseldorf, 8. September 1983, 22. September 2007, 18. September 2008. Stadtarchiv Eisenach, 14. September 2009. Stadtarchiv Kleve, 27. Januar 2011. Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr, 27. Juni 2011. Stadtarchiv Rahden, 10. November 2011. Stadtarchiv Rees, 16. Juli 2009. Stadtarchiv Stuttgart, 29. März 2011. Stadtarchiv Wesel, 1. Juli 2009. Stadtarchiv Witten, 18. Oktober 2011.

BUCH DER ERINNERUNG | 487 Stadtarchiv Zülpich, 9. Juli 2009. Staatsarchiv Bremen, 11. August 1983. Staatsarchiv Hamburg, 5., 14. April und 25. Oktober 2011

Privatbesitz Eduard Westerhoff †

Ballotagen neuer Mitglieder auf Generalversammlungen (Abschrift aus Protokoll- büchern des St. Georgius-Schützenvereins.)

Stadt Bocholt. Fachbereich Zentrale Verwaltung – Interne Dienste –

Ordner: Jüdische Mitbürger. Ursula Bamberger (geb. Friede), Silver Spring/USA, an Bürgermeister Bernhard Demming, 13. Mai 1988. Grete Friede, an Bürgermeisterin Christel Feldhaar, 7. August 1998. Raul Goldschmidt, Buenos Aires/Argentinien, an Stadt Bocholt, Petra Taubach, 13. Januar 2010. Trude Goldschmidt, Buenos Aires/Argentinien, an den Bürgermeister der Stadt Bocholt, 18. Mai 1987 Lotte Kleinzeller (geb. Reuter), Philadelphia/USA, an Oberbürgermeister Hochgartz, 18. Februar 1980. Marx, Edith: Wir fühlten uns wie Schlachtvieh Meier, Greta, Baltimore/USA, 31.10.1997: Können Sie mich verurteilen, weil ich nichts mehr mit Deutschland und Bocholt zu tun haben möchte? Meier, Harry, Baltimore/USA, 26.11.1997: Meine Erinnerungen an Bocholt. Alfred Nussbaum, New York/USA, an Oberstadtdirektor Werner Gillen, 12. September 1983. Max Ostberg, Groin Greek/USA, an Oberbürgermeister Hochgartz, 1. August 1979 und 6. Dezember 1980. Lotte Ostberg (geb. Hertz), New York/USA, an Bürgermeisterin Christel Feldhaar, 3. September 1979. Johanna Plaut (geb. Löwenstein) an Oberbürgermeister Hochgartz, 29. Februar 1980. Gertrud Reiner (Haifa/Israel) an Oberbürgermeister Hochgartz, 8. Oktober 1979. Gertrud Reiner (Haifa/Israel) an Bürgermeisterin und Stadtdirektor, im August 1997. Liesel Rosenberg an Bürgermeister Ehling, 22. Juli 2003. Hermann Silversmith an Oberbürgermeister Hochgartz, 15. Februar 1982. Ernst ten Bosch an Bürgermeister Demming, 8. Juli 1988. Ansprache von Annemarie Hortmann während der Gedenkfeier für die Opfer der Pogromnacht 1938 am 9. November 1988.

488 | BUCH DER ERINNERUNG Stadtarchiv Bocholt (StdA B)

Amtsbücher Nr. 3 Stadtverordnetenbeschlüsse, 9. Bd., 1890 – 1896, 26. Juni. Stadtverordnetenbeschlüsse, 10. Bd., 26. Juni – 1904, 20. Sept. 1896. Stadtverordnetenbeschlüsse, 11. Bd., 1904 – 1910. Stadtverordnetenbeschlüsse, 12. Bd., 1911 – 1915. Stadtverordnetenbeschlüsse, 13. Bd., 1916 – 1920. Stadtverordnetenbeschlüsse, 14. Bd., 1921 – 1923. Stadtverordnetenbeschlüsse, 15. Bd., 1924 – 1928.

2 Nr. 992 – Judenschaft 1816–1820. 2 Nr. 993 – Judenschaft überhaupt. 2 Nr. 994 – Synagogengemeinde 1840–1932. 2 Nr. 996 – Acta die Judenschaft betreffend 1826–1831. 2 Nr. 1001 – Cultusbedürfnisse der Gemeinde. 2 Nr. 388 – Synagogenchor. 2 Nr. 389 – Israelitischer Männerverein. 2 Nr. 1003 – Acta specialica, betreffend Jüdische Gemeinde 1864–1871. 2 Nr. 1002 – 1858 – 1859 [ Prozeß-Unterlagen zur Klärung der Besitzverhältnisse des Judenkirchhofes]. 57 K 102 – ohne Titel –. 61 K 251 – ohne Aktentitel –. Leo Nussbaum an Verwandte in den USA, 15. Mai 1939. 2 Nr. 1011 – Tumultschadenssache Triebwasser. 2 Nr. 1012 – Tumultschadenssache Salomon Seif. 2 Nr. 1013 – [1867] 245/K 259 – Register, welches die Nachrichten über die Mannspersonen enthält, welche über 12 Jahre alt sind, und in der Maire Bocholt wohnen. 3 K 435 Provinziallandtags- und Stadtverordnetenwahl am 19.11.1929.

SBOH 3 – Wiedergutmachungsakte nach dem BEG 3 – 917, Siegmar Seif. 3 – 918, Meta Metzger. 3 – 919, Selma Silberschmidt. 3 – 920, Henny Hochheimer. 3 – 934, Magnus Cohen. 3 – 937, Lorch, Siegfried. 3 – 938, Siegfried Lorch. 3 – 939, Clara Kin. 3 – 949, Hermann Silberschmidt. 3 – 954, Liebreich, gesch. Schwab, El. 3 – 965, Ruth Skurnick.

Nachlass Josef Fehler. Zeugenaussage von Angelika Löwenstein vom 3. November 1955 im Prozess Fehler und Andere gegen das Land NRW vor der 2. Entschädigungskammer des Landgerichts Münster – Aktenzeichen 9 0 (Entsch.) 66/54 -.

Verfilmte Einwohnermeldekartei 1906–1962.

BUCH DER ERINNERUNG | 489 Personenstandsregister der Stadt Bocholt 1886–1897 Stadt und Feldmark, bear beitet von Wolfgang Tembrink, Stadtarchiv Bocholt 1999 (Personenstandsregister).

Personenstandsregister 1847–1856.

Raesfeldsche Chronik.

Depositum St. Georgius-Schützenverein. 1.1. Festschriften I – St. Georgius-Schützenverein.1861. Bocholt. 1911. Schützenfest am 6., 7., 8., 13. August 1911. – 53. Schützenfest des St. Georgius-Schützenvereins 25. und 26. Juli 1920, [Bocholt, 1920] unpaginiert. – Festschrift des St. Georgius-Schützenvereins [1930], unpaginiert.

Zeitungssammlung Bocholter Volksblatt 1894–1933. Zeno-Zeitung – Volksblatt für Bocholt und den Kreis Borken – 1934 – 1938. Grenzwarte 1932–1933. Grenzwarte – Amtliches Kreisblatt für den Stadtkreis Bocholt und den Landkreis Borken –, 1933–1935.

Westfälische Nachrichten 1948.

Bocholter-Borkener Volksblatt 1953–2005.

Westfälische Rundschau – Rundschau für Bocholt und Borken – 15. Dezember 1956, Amtliche Be kanntmachung des Amtsgerichts Bocholt.

Stadtarchiv Aachen Hausbuch 3730, S. 5.

Stadtarchiv Dinslaken Sammlung Jeanette Wolff, Nr. 5. Jeanette Wolff: [fragmentarisches Manuskript] „Aus einer kleinen jüd. Gemeinde um die Jahrhundertwende“, o. O., o. J.

Stadtarchiv Düsseldorf Liste der jüdischen Mitbürger von Düsseldorf (Suchy-Liste).

Stadtarchiv Isselburg XIII/3 Acta Vorschriften wegen den Todesfällen bey den Juden.

Stadtarchiv Münster Stadtregistratur, Fach 36, Nr. 18 f. – Liste des Wiedergutmachungsamtes der Stadt Münster über die 403 Juden, die am 13. Dezember 1941 nach Riga deportiert wurden. Zeitungssammlung.

490 | BUCH DER ERINNERUNG Stadtarchiv Rhede A – 562 Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Münster, Recklinghausen, an die Herren Landräte und die Oberbürgermeister pp., 29. Juni 1935. Sterbeurkunde Amalia Markus vom 17. Dezember 1941. Mail Andreas Körner an B. Kamps (Stadtarchiv Rhede), 13. Juni 2001.

Stadtarchiv Siegen Meldekartei des Hauses Wiesenstraße 341 . Standesamt. Heiratsregister, Eintragung Nr. 44/1896, Randvermerk vom 17. März 1939 auf dem Heiratsregister. Sterberegister, Eintragung Nr. 125/1918.

Stadtmuseum Bocholt Klara Möllmann (1913 – 2006), in: Bocholter Zeitzeugen – Erinnerungen zur Geschich- te -, Video-Film, Teil 3, Bocholt 1999. Lebenslauf von Jeanette Wolff.

Standesamt Bocholt Auskünfte vom 25. Oktober 2007, 8. März und 25. Oktober 2011. Geburtsurkunde von Hildegard Lorenz.

Stadt Bocholt, Fachbereich Grün, Altablage Mappe „Jüdischer Friedhof“. Aktenvermerk vom 23. Februar 1953 von Stadtbaurat a. D. Simon, Verlegung des jü- dischen Friedhofs von der Recke zum Burloer Weg. Vermerk an – I – vom 5. August 1955. Albert Löwenstein, Bocholt, an Oberstadtdirektor Bocholt, 29. Februar 1953. Jewish Trust Corporation for Germany, Zweigbüro Ruhr Mühlheim, an Oberstadtdirek- tor Bocholt, 28. Oktober 1953.

Städtisches Marien-Gymnasium, Bocholt, Archiv Hauptbuch von Nr. 1 bis 4450 / Ostern 1928 bis Ostern 1965.

St. Georg-Gymnasium, Bocholt, Archiv Gesuch von Hermann Cohen an die Königliche Abiturienten-Prüfung-Kommission zu Bocholt vom 9. Dezember 1906 auf Zulassung zur Abiturientenprüfung. Zeugnis der Reife für Hermann Cohen, 28. Februar 1907. Zeugnis für Hochheimer, Paul, Schülerhauptverzeichnis Nr. 3443.

Vorstand der Fußprozession Bocholt-Kevelaer Protokollbuch 1853 – 1984.

Yad Vashem e Central Database of Shoah Victims’ Names – Pages of Testimony.

BUCH DER ERINNERUNG | 491 2. Gedruckte Quellen

900 Jahre Meudt 1097 – 1997. Gesamtleitung Wolf Dieter Endlein / Redaktion: Aß- mann, Endlein, Roos, Steigerwald, Wirth, Wolf. Bildband, Hachenburg 1997. Allgemeines Lexicon sämmtlicher jüdischen Gemeinden Deutschlands nebst statistischen und historischen Angaben, sowie Mittheilungen der jüdischen Hotels, öffentlichen und Privat-Restaurants zum Gebrauche für Behörden, Gemeindevorstände, Reisende, Gewerbetreibende, etc., Frankfurt, 1884. Angrick, Andrej, Klein, Peter: Die „Endlösung“ in Riga. Ausbeutung und Vernichtung 1941 – 1944. wbg, Darmstadt 2006. Aschoff, Diethard, Möllenhoff, Gisela, Ohl, Irmgard: Fünf Generationen Juden in Laer, Band 9, von Geschichte und Leben der Juden in Westfalen, Münster 2007. Aschoff, Diethard: In der Hölle des Ostens. Ein junger Münsteraner Jude berichtet von seinen Erlebnissen in lettischen Konzentrations- und Arbeitslagern 1941 – 1944, in: Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster. Neue Folge, 12. Band, Beiträge zur neueren Stadtgeschichte, Münster 1987, S. 331ff. Aschoff, Diethard: Zur Geschichte der Juden im heutigen Kreis Borken bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges, in: Heimatverein Vreden: Studien zur Geschichte der Juden im Kreis Borken, Eine Aufsatzsammlung. Beiträge des Heimatvereins Vreden zur Landes- und Volkskunde Heft 26, Vreden 1983, S. 16 – 32. Aschoff, Diethard: Zur Geschichte der Juden in Bocholt bis zum Ende des Dreißigjähri- gen Krieges, Unser Bocholt 4/1983, S. 3 – 6. Adreßbuch der Stadt und des Kreises Siegen 1919 – 1920, Siegen 1919. Bar-Levi, David: Zur Geschichte der jüdischen Volksschule in Essen. Der Lebensweg des Lehrers Max Levisohn, in: Das Münster am Hellweg, Jahrgang 31, Nr. 1087, Es- sen 1978, S. 21 – 23. Barley, Yehuda: Juden und Jüdische Gemeinden in Gütersloh 1671 – 1943, Gütersloh 1988. Beine, Manfred, Brocke, Michael, Hanschmidt, Elisabeth, Schrewe, Beate, Strehlen, Martina u. A.: Die Juden der Grafschaft Rietberg. Beiträge zur Synagogengemeinde Neuenkirchen, Stadt Rietberg – Kulturamt 1997. Brand, Mechtild: Geachtet – geächtet. Das Leben Hammer Juden in diesem Jahrhun- dert, Hamm, 1991. Bohmbach, Jürgen: Unser Grundsatz war, Israeliten nach Möglichkeit fernzuhalten. Zur Geschichte der Juden in Stade, Stade 1992. Bosch, Heinz: Illustrierte Geschichte der Stadt Geldern, Band 1, Geldern 1994. Bröker, Elisabeth: Oberbürgermeister Dr. Otto Schmitz, in: Unser Bocholt Nr. 1/1974, S. 5 – 6. Bruns, Alfred: Die Juden im Altkreis Meschede. Dokumentation 1814 – 1874. Die Schmallenberger Juden 1934 – 1943, Brilon 1987. Buch der Erinnerung. Die ins Baltikum deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden. Herausgegeben vom Volksbund deutscher Kriegs- gräberfürsorge e. V. und dem Riga-Komitee der deutschen Städte gemeinsam mit der Stiftung „Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“ und der Gedenkstätte „Haus der Wannsee-Konferenz“, 2 Bände, München 2003. Bürgerbuch der Stadt Bocholt verbunden mit Adreßbuch 1922. Zusammengestellt auf Grund von amtlichem Material der Stadt Bocholt, Bocholt 1921. Buschfort, Hermann: Zwischen Soutane und roten Fahnen. Die Geschichte der Bo- cholter SPD, Essen 1986. De Moei, J.: Joodse kinderen in het kamp Vught, Vught 1999.

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BUCH DER ERINNERUNG | 493 Gedenkstunde zur Übergabe einer Gedenktafel zur Erinnerung an die einmal in Bo- cholt bestehende Synagoge [mit Ansprachen von Bürgermeister Günter Hochgartz, Pfarrer Kurt Stappenbeck, Pfarrer Heinrich Westhoff und Landesrabbiner Emil Da- vidovic], in: Unser Bocholt 1/1981, S. 37 – 45. Gehrmann, Hans-Rudolf, Ferdinand Salomon van Loopik, Josef Niebur, Reinhold Sprinz: Es gibt Momente, bei denen es schwer fällt, zu reden – Übergabe des Den- kmals zur Erinnerung an die zerstörte Synagoge am 9. November 2005 – in: Unser Bocholt 3/2006, S. 37–45. Gottwald, Alfred, Schulle, Diana: Die ‚Judendeportationen’ aus dem Deutschen Reich von 1941-1945, Wiesbaden 2007. Handbuch der jüdischen Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege 1924/25, Hrsg. vom Deutsch-Israelitischen Gemeindebund und von der Zentralwohlfahrtsstelle der Deutschen Juden. o. O., o. J. [1924]. Herbermann, Nanda: Der gesegnete Abgrund. Schutzhäftling Nr. 6582 im Frauen- konzentrationslager Ravensbrück, Nürnberg o. J. [1946]. Hilberg, Raul: Die Vernichtung der europäischen Juden. Durchgesehene und erweiterte deutsche Ausgabe, Frankfurt am Main 1990. Hochgartz, Günter: Kontakt mit ehemaligen jüdischen Mitbürgern. Trotz allem, was geschehen ist, in: Unser Bocholt 1/1983, S. 72 f. Hoffmann, Peter: Widerstand, Staatsstreich, Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler, München ²1970. Ich hatt‘ einen Kameraden, o. O. [Bocholt], o. J. [nach 1936]. In Memorian, Sdu, Uitgeverij Koniginengracht, Den Haag 1995. ILBA Israelitische Lehrerbildungsanstalt Würzburg, 1864 – 1938, by the Alumni of 1930 – 38, by Max Ottensoser, Alex Roberg, New York 1975. International Tracing Center HQ (Hrsg.): Catalogue of camps and prisons in Germany and german-occupied territories. Sept. 1st, 1939 – May 8th, 1945. 1st Issue, Arolsen, July 1949. Jersch-Wenzel, Stefi (Hrsg.): Ehemalige preußische Provinz Schlesien. Bearb. von Clau- dia Nowak und Sabine Rüdiger-iem, München, 2005. Johannsen, Lorenz Peter: Erich Aschenheim, Albert Eckstein, Julius Weyl. Jüdische Pä- diater im Vorstand der Vereinigung Rheinisch-Westfälischer Kinderärzte. Jüdische Miniaturen, Band 104, Berlin 2010. Joodse vluchtelingen in Oostzaan/Oostzanerwerf gedurende de jaren 1933-1945, door Fajga Rozenszajn-Korn (met 2 buurkinderen), Jelle Brinkhuijsen, Pim Ligtvoet, Wi- jnand Takkenberg, April 2005. Juden in Emmerich, Bearbeitet von Prof. Dr. Michael Brocke (Köln), Dr. Cläre Pelzer (Köln), Herbert Schürmann (Emmerich), Emmerich 1993. Jüdische Nachbarn in Soest bis 1942. Ein Stadtrundgang. Zusammengestellt im Auftrag des Vereins für Geschichte und Heimatpflege Soest von Ulrike Sasse-Voswinkel und Gerhard Köhn, Soest 2001. Jüdische Geschichte in Ahaus. Materialien und Dokumente für die pädagogische Arbe- it, zusammengestellt vom VHS-Arbeitskreis Ahauser Geschichte 1933-1945, Ahaus 2003. Kaufhold, Barbara: Juden in Mülheim an der Ruhr. Hg. v. Salomon Ludwig Steinheim- Institut für deutsch-jüdische Geschichte, Duisburg. Mit einem Beitrag von Gerhard Bennertz. Essen 2004. Keufgens, Norbert: Gedenkbuch für die Opfer der Shoah aus Aachen 1933 – 1945, Aachen 2009. Kiekbusch, Klaus: Der Schriftsteller Gerson Stern, in: Jahrbuch für den Kreis Holzmin- den. Band 18, Holzminden 1999, S. 132 – 152.

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498 | BUCH DER ERINNERUNG Bildnachweis

Amtsgericht Bocholt – Grundbuchamt -: 25 u, 105, 107, 195, 230, 264, 281, 289, 299, 304, 342, 380, 397, 399, 401, 417, 426. Amtsgericht Bocholt – Registerabteilung -: 173. Bocholter-Borkener Volksblatt: 127 u.., 130, 131. Compact-Memory, Deutsch-jüdische Literaturgeschichte im Web: 43, 147, 276 281, 369. Gemeindearchiv Heek: 109. Goldshmith, Dr. John (Liverppool/Großbritannien): 282, 290, 303, 305, 424. Hines, Mike (Baltimore/USA): 277 o, 296. Hoffs, Wim (Aalten/Niederlande): 198. Lorch, André (Rheinstetten): 92, 123 m, l, 242, 46. Mera-Euler, Gerardo (Düsseldorf): 110, 312, 314. Möllenhoff, Gisela, Schlautmann-Overmeyer, Rita (Münster):430, 433. Nachtwei, Winfried (Münster): 113. Oechtering, Hermann (Bocholt): 49, 112, 134, 243, 386, 460, 462, 463, 464, 466. Orion, Yoav (Israel): 256. Smilda, H. M. (Aalten/Niederlande): 199. Stadtarchiv Ahaus: 209. Stadtarchiv Bocholt: 23, 24, 25 o, 29, 38, 42, 97, 123 u., 131, 132, 138, 157, 161, 178, 216, 277 u., 321, 330, 343, 385, 423. – Bocholter Volksblatt [1897 – 1934] 23, 34, 50, 71, 79, 175 o., 197, 204, 229, 278, 302, 319, 328, 329, 361, 393, 396, 414, 431, 443. – Grenzwarte [1932 – 1933]: 32, 68, 73; 204, 207. – Westfälische Nachrichten: 128. Stadt Bocholt, Presse- und Werbeamt: 17, 26 o. Stadt Bocholt, Foto: Bruno Wansing:21, 26 u, 106, 116, 133 u., 403, 429, 445, 455. Stadtarchiv Dinslaken: 54, 438, 441. Stadtarchiv Rhede: 313, 333, 334. Stadtarchiv Witten: 123 r., 233, 236. St.-Marien-Gymnasium, Bocholt: 421. St.-Georg-Gymnasium, Bocholt: 168. Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Sachsenhausen: 175. Vallée, Manfred (Rees): 96. Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge (Kassel): 133 o. Warschawski-Nußbaum, Rosemary (Baltimore/USA): 33, 127 o.

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