Plenarprotokoll 16/139

Deutscher

Stenografischer Bericht

139. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2008

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- (SPD) ...... 14619 D neten Dr. Peter Struck ...... 14597 A (Hamm) Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- (CDU/CSU) ...... 14620 C nung ...... 14597 B Gudrun Kopp (FDP) ...... 14621 A Absetzung des Tagesordnungspunktes 11 . . . 14597 D

Tagesordnungspunkt 6: Tagesordnungspunkt 3: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bundesregierung eingebrachten Ent- Jahreswirtschaftsbericht 2008 der Bundes- wurfs eines Achten Gesetzes zur Än- regierung – Kurs halten derung des Steuerberatungsgesetzes (Drucksache 16/7845) ...... 14598 A (Drucksachen 16/7077, 16/7485, 16/7867) ...... 14621 C , Bundesminister BMWi ...... 14598 B – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- Rainer Brüderle (FDP) ...... 14600 D nes … Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes Ernst Hinsken (CDU/CSU) ...... 14602 C (Drucksachen 16/7250, 16/7867) . . . . 14621 C Ludwig Stiegler (SPD) ...... 14603 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- (DIE LINKE) ...... 14605 D nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Christine Scheel, Kerstin (BÜNDNIS 90/ Andreae, Dr. , weiterer DIE GRÜNEN) ...... 14608 D Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Steuerberatung Dr. (CDU/CSU) ...... 14611 D zukunftsfähig machen (FDP) ...... 14614 A (Drucksachen 16/1886, 16/7867) ...... 14621 C Jörg-Otto Spiller (SPD) ...... 14615 A Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin BMF ...... 14621 D Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU) ...... 14616 A Dr. Volker Wissing (FDP) ...... 14622 C (FDP) ...... 14616 C (CDU/CSU) ...... 14623 D Gudrun Kopp (FDP) ...... 14619 A Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 14625 C II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2008

Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ kehrsrechtlicher, verkehrsrechtlicher DIE GRÜNEN) ...... 14626 C und anderer Vorschriften mit Bezug zum Seerecht Lydia Westrich (SPD) ...... 14627 B (Drucksachen 16/7415, 16/7843) ...... 14629 C

c) Zweite und dritte Beratung des von der Tagesordnungspunkt 24: Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung a) Erste Beratung des von den Fraktionen der des Betriebsprämiendurchführungsge- CDU/CSU und der SPD eingebrachten setzes Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung (Drucksachen 16/7685, 16/7846) ...... 14630 A des InVeKoS-Daten-Gesetzes und des Direktzahlungen-Verpflichtungengeset- d) Beschlussempfehlung und Bericht des zes Ausschusses für Kultur und Medien zu (Drucksache 16/7827) ...... 14628 D dem Antrag der Abgeordneten Grietje Bettin, Ekin Deligöz, , weite- b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: rer Abgeordneter und der Fraktion Bericht der Bundesregierung über die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den kos- Maßnahmen zur Förderung der tenfreien Empfang von Rundfunk via Kulturarbeit gemäß § 96 Bundesver- Satellit sicherstellen triebenengesetz in den Jahren 2003 und (Drucksachen 16/3545, 16/7346) ...... 14630 B 2004 (Drucksache 15/5952) ...... 14628 D e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: schaft und Verbraucherschutz zu dem An- Straßenbaubericht 2006 trag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP (Drucksache 16/3984) ...... 14629 A und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Erhal- tung der Weinbaukultur durch ver- nünftige Reform der EU-Weinmarkt- Zusatztagesordnungspunkt 2: ordnung (Drucksachen 16/6959, 16/7568) ...... 14630 C a) Antrag der Abgeordneten , , Patrick Meinhardt, weite- f) Beschlussempfehlung des Rechtsaus- rer Abgeordneter und der Fraktion der schusses: Übersicht 9 über die dem FDP: Universitäre Exzellenz sichern – Deutschen Bundestag zugeleiteten Exklusivität des Promotionsrechts wah- Streitsachen vor dem Bundesverfas- ren sungsgericht (Drucksache 16/7842) ...... 14629 A (Drucksache 16/7770) ...... 14630 C b) Antrag der Abgeordneten Grietje Bettin, g) Beschlussempfehlung und Bericht des Dr. Harald Terpe, Ekin Deligöz, weiterer Ausschusses für Bildung, Forschung und Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Technikfolgenabschätzung zu dem An- NIS 90/DIE GRÜNEN: Medienabhän- trag der Abgeordneten Cornelia Pieper, gigkeit bekämpfen – Medienkompetenz Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer stärken Abgeordneter und der Fraktion der FDP: (Drucksache 16/7836) ...... 14629 A Das Internationale Polarjahr 2007/2008 und Konsequenzen für eine deutsche Beteiligung Tagesordnungspunkt 25: (Drucksachen 16/4454, 16/7854) ...... 14630 D a) Zweite und dritte Beratung des von der h)–o) Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- Grundstoffüberwachungsrechts schusses: Sammelübersichten 337, 338, (Drucksachen 16/7414, 16/7828) ...... 14629 B 339, 340, 341, 342, 343 und 344 zu Peti- tionen b) Zweite und dritte Beratung des von der (Drucksachen 16/7755, 16/7756, 16/7757, Bundesregierung eingebrachten Entwurfs 16/7758, 16/7759, 16/7760, 16/7761, eines Gesetzes zur Änderung seever- 16/7762) ...... 14631 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2008 III

Zusatztagesordnungspunkt 3: Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) ...... 14659 C Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Aufgaben von Bundeswehr- (CDU/CSU) ...... 14660 C kampftruppen als Quick Reaction Forces (SPD) ...... in Afghanistan 14662 A Oskar Lafontaine (DIE LINKE) ...... 14631 D Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Tagesordnungspunkt 7: (CDU/CSU) ...... 14633 B a) – Zweite und dritte Beratung des von Birgit Homburger (FDP) ...... 14634 C den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines (SPD) ...... 14635 D Gesetzes zur Änderung des Wahl- und Abgeordnetenrechts (BÜNDNIS 90/ (Drucksachen 16/7461, 16/7814) . . . . 14663 A DIE GRÜNEN) ...... 14636 D (CDU/CSU) ...... 14638 A – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- Dr. (DIE LINKE) ...... 14639 D nes Gesetzes zur Änderung des Bun- deswahlgesetzes (SPD) ...... 14641 A (Drucksachen 16/1036, 16/7814) . . . . 14663 A

Gert Winkelmeier (fraktionslos) ...... 14642 B b) Zweite und dritte Beratung des von den Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär Fraktionen der CDU/CSU und der SPD BMVg ...... 14642 D eingebrachten Entwurfs eines Achtzehn- ten Gesetzes zur Änderung des Bundes- Detlef Dzembritzki (SPD) ...... 14644 C wahlgesetzes (Drucksachen 16/7462, 16/7815) ...... 14663 A Hans Raidel (CDU/CSU) ...... 14645 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des In- (Wiesloch) (SPD) ...... 14646 C nenausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr. Gesine Lötzsch, , , weiterer Abgeordneter und Tagesordnungspunkt 5: der Fraktion DIE LINKE: Wahlmani- pulationen wirksam verhindern Antrag der Abgeordneten Diana Golze, Klaus (Drucksachen 16/5810, 16/7816) ...... 14663 B Ernst, Dr. , weiterer Abgeord- (Altötting) neter und der Fraktion DIE LINKE: Kinder- (CDU/CSU) ...... 14663 C armut bekämpfen – Kinderzuschlag aus- bauen Gisela Piltz (FDP) ...... 14665 B (Drucksache 16/6430) ...... 14647 B (SPD) ...... 14666 C Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) ...... 14647 C (DIE LINKE) ...... 14667 B Ingrid Fischbach (CDU/CSU) ...... 14649 C Stephan Mayer (Altötting) Jörn Wunderlich (DIE LINKE) ...... 14650 B (CDU/CSU) ...... 14668 A Ina Lenke (FDP) ...... 14651 D Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 14668 C Wolfgang Spanier (SPD) ...... 14652 D (SPD) ...... 14669 C Ina Lenke (FDP) ...... 14654 C Wolfgang Spanier (SPD) ...... 14654 D Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 9: DIE GRÜNEN) ...... 14655 A Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Elisabeth Winkelmeier-Becker desregierung eingebrachten Entwurfs eines (CDU/CSU) ...... 14657 A Vierten Gesetzes zur Änderung des Fahr- lehrergesetzes Miriam Gruß (FDP) ...... 14658 C (Drucksachen 16/7080, 16/7417, 16/7819) . . 14671 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2008 14663

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit (Beifall bei der CDU/CSU) (C) einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei- sung so beschlossen. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c auf: Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kollegen! Sehr verehrte Kolleginnen! Das Wahl- und a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- Abgeordnetenrecht steht zugegebenermaßen auf der po- nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten litischen Agenda nicht immer ganz oben, aber alle politi- Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des schen Parteien sollten gut daran tun, sich intensiv mit Wahl- und Abgeordnetenrechts dem Wahl- und Abgeordnetenrecht zu beschäftigen; – Drucksache 16/7461 – (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat GRÜNEN]: Hätte ich gern gemacht!) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur denn Wahlen sind neben Abstimmungen nach unserem Änderung des Bundeswahlgesetzes Grundgesetz die Form, in der das Volk die Staatsgewalt – Drucksache 16/1036 – ausübt. Die Volkssouveränität ist die Materie, die für un- sere demokratische Gesellschaftsordnung grundlegend Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- ist. Das Wahl- und Abgeordnetenrecht dient meines Er- schusses (4. Ausschuss) achtens auch dazu, der offenbar zunehmenden Politik- – Drucksache 16/7814 – und Politikerverdrossenheit entgegenzuwirken. Ein gu- tes Wahl- und Abgeordnetenrecht kann meines Erach- Berichterstattung: tens auch dazu beitragen, die Partizipation der Bevölke- Abgeordnete Stephan Mayer (Altötting) rung am politischen Geschehen und damit letztendlich Klaus Uwe Benneter an Wahlen zu erhöhen. Gisela Piltz Petra Pau Es trifft nicht zu – dies wurde teilweise kolportiert –, Silke Stokar von Neuforn dass wir nichts am Wahlrecht ändern. Ganz im Gegen- teil: Das Wahl- und Abgeordnetenrecht wird einfacher, b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- unbürokratischer und bürgerfreundlicher. nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Achtzehnten Gesetzes zur Än- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) derung des Bundeswahlgesetzes Ich möchte die wichtigsten Aspekte der Novellierung des Wahl- und Abgeordnetenrechts darstellen. (B) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- (D) schusses (4. Ausschuss) Wir ändern das Berechnungsverfahren für die Vertei- – Drucksache 16/7815 – lung der Wahlkreise auf die Länder sowie für die Vertei- lung der Sitze auf die Landeslisten. Von dem bisherigen Berichterstattung: Berechnungsverfahren nach Hare/Niemeyer wird zum Abgeordnete Stephan Mayer (Altötting) Verfahren nach Sainte Laguë/Schepers übergegangen. Gabriele Fograscher Ein Vorteil des neuen Berechnungsverfahrens – es wird Dr. beispielsweise schon bei den Bürgerschaftswahlen in Petra Pau Bremen und Hamburg angewandt, aber auch bei den Silke Stokar von Neuforn Landtagswahlen in Baden-Württemberg – ist, dass es c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- nicht zu paradoxen Ergebnissen kommen kann – das ist richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu zugegebenermaßen sehr selten der Fall –, wie das bei dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gesine dem Berechnungsverfahren nach Hare/Niemeyer mög- Lötzsch, Petra Pau, Ulla Jelpke, weiterer Abge- lich ist. Dies wäre der Fall, wenn Parteien, die mehr ordneter und der Fraktion DIE LINKE Stimmen bekommen, einen Rückgang der Mandate zu verzeichnen haben. Ein weiterer Vorteil des Berech- Wahlmanipulationen wirksam verhindern nungsverfahrens nach Sainte Laguë/Schepers ist, dass die Wahlkreiskontinuität erhöht wird. Das heißt, dass es – Drucksachen 16/5810, 16/7816 – weniger Hin und Her bei der Berechnung der Wahlkreise Berichterstattung: gibt, die auf die einzelnen 16 Bundesländer verteilt sind. Abgeordnete Stephan Mayer (Altötting) ( [CDU/CSU]: Das wäre jetzt Klaus Uwe Benneter ganz schön!) Gisela Piltz Jan Korte Des Weiteren führen wir nunmehr das aktive Wahl- Silke Stokar von Neuforn recht für alle im Ausland lebenden Deutschen ein. Das mag auf den ersten Blick vielleicht etwas verwundern. Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattie- Bisher war es so, dass nur die im Ausland lebenden ren. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Deutschen, die sich in Mitgliedsländern des Europarates Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Red- aufhielten, ein unbefristetes aktives Wahlrecht hatten. ner dem Kollegen Stephan Mayer für die CDU/CSU- Das ist aber anachronistisch, weil es mittlerweile im Fraktion das Wort. Zeitalter des Internets und der modernen Kommunika- 14664 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2008

Stephan Mayer (Altötting) (A) tionsmethoden meines Erachtens von überall auf der Gesetzentwurf des Bundesrates vorgeschlagenen Rege- (C) Welt gleichermaßen möglich ist, sich über das politische lungen gelöst werden. Zum einen steht im Gesetzent- Geschehen in Deutschland und über die politischen und wurf des Bundesrates, dass die Aufstellung von Ersatz- gesellschaftlichen Vorgänge zu informieren. bewerbern nur fakultativ ist, also keine Verpflichtung besteht, Ersatzbewerber aufzustellen. Zum anderen be- Ein wichtiger Punkt im Bereich der Entbürokratisie- steht theoretisch die Möglichkeit, dass auch ein Ersatz- rung ist folgender: Wir verzichten in Zukunft darauf, bewerber noch vor der Durchführung der Hauptwahl dass die Bürgerinnen und Bürger, die die Briefwahl in verstirbt. Selbst wenn die Gesetzeslage so wäre, wie sie Anspruch nehmen, die Gründe ihrer Verhinderung der Bundesratsentwurf vorsieht, wäre bei bestimmten glaubhaft machen müssen. Die Briefwahl ist ein wichti- Fallkonstellationen die Notwendigkeit einer Nachwahl ger Bestandteil der Wahlen insgesamt. Allein bei der nicht gänzlich ausgeschlossen. Bundestagswahl 2005 haben 18,7 Prozent der Wählerin- nen und Wähler nicht von der Urnenwahl, sondern von Ein weiterer Punkt: Für den Fall, der immer wieder der Briefwahl Gebrauch gemacht. Es waren immerhin einmal vorkommt, dass Stimmzettel aus einem anderen 9 Millionen Wählerinnen und Wähler, die man dazu ver- Wahlkreis in einer Wahlurne landen, ist zukünftig vorge- pflichtet hat, ihre Verhinderungsgründe am Wahltag sehen, dass zumindest die Zweitstimme gewertet wird. glaubhaft zu machen. Einmal abgesehen davon, dass das Die Erststimme kann natürlich nicht gewertet werden, eine Regelung war, die im Einzelfall ohnehin nicht über- aber die Zweitstimme soll gewertet werden, um dem prüft werden konnte, damit meines Erachtens vollkom- Wählerwillen, der ja erkennbar ist, in größtmöglicher men sinnlos war und übertriebenen und unnötigen For- Art und Weise Rechnung zu tragen. malismus darstellte, ist es wichtig, mit dem Verzicht auf die Glaubhaftmachung den Weg zur Teilnahme an der Meine sehr verehrten Damen und Herren, in politi- Briefwahl zu erleichtern und zu vereinfachen. Deswegen scher Hinsicht vielleicht der wichtigste Punkt der Novel- ist es ein wichtiger Aspekt zum Thema Entbürokratisie- lierung des Wahl- und Abgeordnetenrechts ist meines rung, wenn nunmehr auf die Glaubhaftmachung verzich- Erachtens, dass es in Zukunft nicht mehr erlaubt sein tet wird. wird, dass parteifremde Bewerber auf Listenplätzen kan- didieren. Bei der Bundestagswahl 2005 gab es diese (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Konstellation. Es besteht gerade in Zukunft die große Gefahr, dass sich verstärkt kleine und Kleinstparteien Ich komme zu einem Punkt, der dazu beitragen soll, zusammentun und in produktiver Weise zusammenarbei- dass die Wahlbeteiligung nicht, wie in der Vergangen- ten, um damit über die 5-Prozent-Sperrklausel zu kom- heit, zurückgeht, sondern vielleicht sogar wieder steigt. men. Auch in Zukunft ist die Teilnahme an der Briefwahl kos- (B) tenlos. Diese Regelung war erforderlich, nachdem das Das Verfassungsgericht hat ja ganz klar festgestellt, (D) Briefmonopol für Briefe unter 50 Gramm zum 1. Januar dass es das Monopol der Parteien ist, Kandidaten aufzu- 2008 aufgehoben wurde. Nunmehr bleibt es bei der Kos- stellen, und zwar deshalb, weil die Homogenität eines tenfreiheit der Teilnahme an der Briefwahl. Wahlvorschlages insbesondere durch das Parteipro- gramm, auf das sich die Mitglieder einer Partei verstän- Eine Regelung hat in der Vergangenheit nie Relevanz digt haben, hergestellt wird. Ich glaube, es würde zuneh- gehabt: Nach der Wahl zum Bundestagsabgeordneten mend zu Wählertäuschungen kommen, wenn wir es musste man erst eine förmliche Mandatsannahmeerklä- zulassen würden, dass weiterhin verdeckt gemeinsame rung abgeben. – Es gab keinen einzigen Fall, in dem ein Listen aufgestellt werden. Es ist deshalb in politischer Kollege oder eine Kollegin von uns das errungene Di- Hinsicht eine ganz wichtige Neuerung, dass diese ver- rektmandat nicht angenommen und diese Mandatsan- deckt gemeinsamen Listen in Zukunft nicht mehr erlaubt nahmeerklärung nicht abgegeben hat. In Zukunft ver- sind. Parteilose Bewerber dürfen natürlich auf Wahllis- zichten wir auf die Mandatsannahmeerklärung. Auch ten kandidieren; aber parteifremde Bewerber dürfen in das ist ein positiver Aspekt. Zukunft, nach der Novellierung des Wahlrechts, nicht Im Wahlgesetz soll ausdrücklich festgestellt werden, mehr kandidieren. dass eine Nachwahl – eine solche war leider Gottes im- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) mer wieder einmal notwendig – auch am Tag der Haupt- wahl stattfinden kann. Diese Praxis ist schon bisher ge- Natürlich war es, wie in jeder Legislaturperiode, auch übt worden. Jetzt schreiben wir das explizit ins unsere Aufgabe, die 299 Wahlkreise neu einzuteilen. Wahlgesetz. Dies ist nicht immer einfach. Man kann bei diesem Vor- haben nicht immer allen Wünschen und allen Vorstellun- In diesem Zusammenhang möchte ich kurz auf den gen gerecht werden. Wir haben dies meines Erachtens in Gesetzentwurf des Bundesrates eingehen, der die Mög- größtmöglicher Seriosität und Geschlossenheit ge- lichkeit vorsieht, in Zukunft fakultativ Ersatzbewerber schafft. Es war leider nicht zu verhindern – das möchte aufzustellen. Ich möchte uns ermahnen, diesen Gesetz- ich nicht verhehlen –, zwei Wahlkreise aufgrund des Be- entwurf nicht anzunehmen. Hintergrund des Entwurfs ist völkerungsrückgangs in den betreffenden Bundeslän- die Nachwahl in Dresden, die bei der Bundestags- dern zu transferieren. Es trifft dieses Mal die beiden Ost- wahl 2005 erforderlich gewesen ist. Dazu möchte ich länder Sachsen und Sachsen-Anhalt. ganz deutlich sagen: So unschön diese Nachwahl, wenn auch nicht hinsichtlich des Ergebnisses, für die Union (Zuruf von der FDP: Sachsen-Anhalt ist war, so wenig würde diese Fallkonstellation durch die im Mitte!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2008 14665

Stephan Mayer (Altötting) (A) Das ist bedauerlich; ich möchte das hier in aller Deut- bringung eines solchen Gesetzentwurfs normalerweise (C) lichkeit festhalten. Um aber bei der Bundestagswahl Berichterstattergespräche geführt. Das hat es diesmal 2009 wirklich mit Sicherheit verfassungsgemäße Wah- nicht gegeben. Wir stellen fest, dass das eine weitere len durchführen zu können, war es, um dem Grundsatz Perpetuierung des Zustands der „groben Koalition“ ist. der Wahlgleichheit Genüge zu tun, erforderlich, zwei Sie sind sich selbst genug, Koalition und Opposition in Wahlkreise zu verschieben, und zwar einen Wahlkreis einem. Da muss man nicht mehr mit der wahren Opposi- von Sachsen nach Baden-Württemberg und einen ande- tion sprechen. Wir bedauern das sehr. ren Wahlkreis von Sachsen-Anhalt nach Niedersachsen. Wir werden insoweit den Vorgaben des Wahlgesetzes (Beifall der Abg. Ina Lenke [FDP]) und auch des Bundesverfassungsgerichtes gerecht. Eines ist klar: Das Wahlrecht für den Bundestag geht uns Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, alle an, die wir hier sitzen, und nicht nur Sie in der Mitte wir bieten mit diesem Vorschlag, den wir zur Novellie- des Hauses. – Das ist aber auch alles an Mitte. rung des Wahl- und Abgeordnetenrechts unterbreiten, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten insgesamt eine ausgewogene, eine sachgerechte und eine des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der vernünftige Grundlage für die Durchführung der Bun- LINKEN) destagswahl 2009 an. Wir legen Hand ans Wahlrecht. Wir tun etwas. Es könnte natürlich immer noch mehr ge- Den meisten Punkten, die Sie geändert haben – das macht werden, aber dazu bedarf es einer Verständigung. haben wir im Ausschuss schon besprochen –, können Das wird jetzt nicht die letzte Novellierung des Wahl- wir zustimmen. So haben wir seit langem gefordert, das und Abgeordnetenrechts sein. Es wird mit Sicherheit Berechnungsverfahren, um Wählerstimmen in Abgeord- auch in der nächsten Legislaturperiode wieder einer No- netenmandate umzurechnen, zu ändern. Ungereimthei- vellierung bedürfen. Ich glaube aber, wir können mit ten, die bei anderen Berechnungsmethoden auftreten Stolz feststellen: Nach dieser Novellierung haben wir ein können, werden mit dem Verfahren Sainte Laguë/ außerordentlich modernes, sachgerechtes und praktika- Schepers vermieden. Zudem wird mit diesem Verfahren bles Abgeordneten- und Wahlrecht. die Gleichheit des Erfolgswertes der Stimmen optimiert. Herzlichen Dank. Auch dem Vorschlag, den im Ausland lebenden Deut- schen ein zeitlich unbefristetes Wahlrecht einzuräumen, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) können wir folgen. Ich glaube, das ist in Zeiten, in denen man sich über das Internet immer gut darüber informie- Vizepräsidentin Petra Pau: ren kann, was zu Hause los ist, eigentlich eine Selbstver- (B) Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz für die FDP- ständlichkeit. Es ist übrigens auch ein Beitrag zur Ent- (D) Fraktion. bürokratisierung. Einen Beitrag zum Bürokratieabbau stellt ebenfalls Gisela Piltz (FDP): – das haben auch Sie, Herr Mayer, gesagt – der Vor- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- schlag zur Briefwahl dar. Die Briefwahl erfreut sich ei- gen! Es ist zu begrüßen, dass die Koalitionsfraktionen ner steigenden Beliebtheit. Das können wir alle verste- uns heute einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, um eine hen: Wenn man nicht genau weiß, ob man am Wahltag Anpassung der Wahlkreise vorzunehmen. Das ist not- zu Hause sein wird oder nicht, dann möchte man seine wendig, damit wir den Grundsatz der Gleichheit der Stimme abgeben können. Ich denke, es ist nachvollzieh- Wahl in unserem Land auch wirklich realisieren können. bar und sicher sehr richtig, dass wir jetzt dafür sorgen, Jeder Wahlkreis repräsentiert circa 250 000 Wähler. Man dass den Bürgern Briefwahl möglich ist, ohne dass sie muss feststellen: Durch die Ost-West-Abwanderung ist lügen müssen – so muss man es einmal nennen – und die Anzahl der Menschen in einzelnen Wahlkreisen, vor ohne dass die Verwaltung gehalten ist, Nachprüfungen allem in Sachsen und Sachsen-Anhalt, so weit gesunken, vorzunehmen. dass eine Anpassung dringend notwendig ist. Auch das, was Sie zu den Briefumschlägen, mit de- Eines bedauern wir als FDP-Fraktion besonders: Es nen die Stimmzettel verpackt werden, vorgeschlagen ha- ist uns immer noch nicht gelungen, mindestens zwei ben, ist klug. Ich weiß, wovon ich rede: Ich habe früher Wahlkreise, nämlich Krefeld und Rotenburg-Verden, so in einem Amt für Wahlen und Statistik gearbeitet. Ich zurechtzuschneiden, dass es dem Willen der Bürger ent- kann Ihnen sagen: Es ist nicht selbstverständlich, dass spricht und mehr oder weniger den Stadtkreis abbildet. diese Umschläge in der richtigen Reihenfolge eingetütet Manchmal ist das nicht so einfach möglich. werden. Auch da leisten wir unseren Beitrag dazu, dass jede Stimme beim Auszählen gewertet wird. So viel zu (Beifall bei der FDP) Ihrem Gesetzentwurf. Auch wenn die Zeit drängt, weil die Wahlvorbereitun- Dem Gesetzentwurf der Bundesregierung können wir gen für die Bundestagswahl ab März beginnen und damit hingegen nicht folgen. Dieser Entwurf sieht zwar die fa- eine intensive Phase des Wahlkampfs vor uns liegt, soll- kultative Benennung eines Ersatzkandidaten für einen ten wir uns in diesem Parlament immer noch auf einen Wahlkreisbewerber vor. respektvollen Umgang verständigen. In Angelegenhei- ten, die das Parlament selbst betreffen – dazu gehören (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Dem Gesetz- natürlich Wahlangelegenheiten –, werden vor der Ein- entwurf des Bundesrats!) 14666 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2008

Gisela Piltz (A) – Des Bundesrats natürlich. Entschuldigung, ich habe Klaus Uwe Benneter (SPD): (C) mich versprochen. So nah wollte ich Ihnen jetzt nicht Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle- treten, dass ich Ihnen das unterstelle. ginnen und Kollegen! Kollege Mayer hat zwar die meis- ten Punkte, auf die ich hinweisen wollte, schon ange- (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Die Bundes- sprochen; lassen Sie mich aber trotzdem ganz kurz auf regierung macht keine anderen Entwürfe, als ein paar Aspekte eingehen. wir sie wollen! – Heiterkeit) Frau Piltz, Frau Stokar von Neuforn, entschuldigen – Ach, Herr Benneter, morgen führen wir doch eine sehr Sie, dass wir Sie nicht einbezogen haben. Ich bitte um spannende Debatte zur Bundespolizei. Diese Woche Nachsicht. wäre ich, ehrlich gesagt, nicht so vorlaut. Aber bitte! (Gisela Piltz [FDP]: Wenn Sie jetzt noch auf (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Ausnahmen die Knie gehen, dann werde ich es mir überle- bestätigen die Regel!) gen! – [BÜNDNIS 90/DIE Wir können dem Gesetzentwurf des Bundesrats nicht GRÜNEN]: Das ist der Zustand der Großen zustimmen; denn danach wären die für einen ausgefalle- Koalition!) nen Wahlkreiskandidaten abgegebenen Stimmen ungül- Wir haben viele Gespräche führen müssen und sind des- tig. Ich glaube, es ist klar: Das ist nicht der richtige Weg. halb aus Zeitnot nicht dazu gekommen. Frau Piltz, ich Wir als FDP-Bundestagsfraktion hätten uns eine Ände- habe Ihren Worten entnommen, dass wir in ideeller Hin- rung in diesem Fall sehr gewünscht. Das, was wir in die- sicht all das berücksichtigt haben, was Sie sich wün- ser Legislaturperiode erleben mussten – Kollegen waren schen. So habe ich Sie verstanden. faktisch im Bundestag und fielen durch eine Nachwahl wieder heraus –, war nämlich sicherlich keine Stern- (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE stunde für dieses Haus. GRÜNEN]: Das ist die tollste Entschuldigung, die ich hier je gehört habe!) Dem Antrag der Linken, den wir hier mit beraten, werden wir nicht zustimmen. Es ist keine Frage, dass Bewerber, die einer anderen Partei angehören als der, man sich damit beschäftigen muss, inwieweit Wahl- auf deren Landesliste sie stehen, werden in Zukunft zur maschinen unseren Anforderungen technisch entspre- Wahl nicht mehr zugelassen. Bei der letzten Bundestags- chen. Im Prinzip tun sie das aus unserer Sicht im Mo- wahl haben WASG und PDS gemeinsame Kandidaten ment noch nicht, weil man nicht überprüfen kann, ob aufgestellt. eine Stimme tatsächlich so abgegeben worden ist, wie (Jan Korte [DIE LINKE]: Nicht gemeinsam!) sie gezählt wurde. Dabei haben wir es in den letzten Jah- (B) ren mit vielen Problemen zu tun gehabt. Wären wir aller- Die Landeswahlausschüsse mussten darüber entschei- (D) dings technikfeindlich – Sie schlagen vor, ein für alle den, hatten aber keine gesetzliche Grundlage dafür. Sie Mal festzulegen, dass wir das nicht machen –, verschlös- haben das oftmals mit Bauchschmerzen zugelassen, ob- sen wir, glaube ich, unsere Augen vor dem, was möglich wohl unser Gesetz Listenverbindungen nicht vorsieht. ist. In anderen Ländern wird uns das vorgemacht, zum Beispiel mit Onlinewahlen. Wenn wir die Leute auf (Jan Korte [DIE LINKE]: Die gab es ja nicht!) Dauer zur Abstimmung bewegen wollen, müssen wir Wir haben Parteien, weil sich viele Menschen auf ge- neue Möglichkeiten in Erwägung ziehen. Wir lehnen Ih- meinsame Ziele und gemeinsame Ideen verständigt ha- ren Antrag ab, weil wir der Ansicht sind, dass man das ben. Bei einer Wahlentscheidung geht es um Klarheit für auf Dauer nicht ablehnen kann. Wir sehen aber das Pro- die Wählerinnen und Wähler. Sie müssen wissen, für blem. wen sie sich entscheiden können. Deswegen muss jede Ich komme damit zum Schluss. Wir würden uns in Partei mit einer eigenen Liste antreten. Auf diese Art diesem Hause gerne mit anderen Möglichkeiten der Or- und Weise soll verhindert werden, dass sie die Zielset- ganisation von Wahlen und Partizipation beschäftigen. zung, keine Splitterparteien im Parlament zu haben, Dazu liegen drei Gesetzentwürfe vor. Wir würden uns umgehen können. Zu diesem Zweck haben wir die Fünf- freuen, wenn Sie uns bei dem einen oder anderen Ge- prozentklausel, die Grundmandatsklausel sowie die Un- setzentwurf unterstützen würden. Ob Menschen zur terschriftsquoren für Wahlkreisbewerber und für Par- Wahl gehen, hängt nach unserer Ansicht nämlich nicht teien, die sich bisher in keinem Parlament bewährt nur davon ab, dass sie ihre Stimme per Briefwahl abge- haben. All das sind Kriterien, die helfen, den Parlamen- ben können. Sie müssen auch das Gefühl haben, sich tarismus vernünftig zu organisieren. Deshalb haben wir wirklich einbringen zu können. solche Verbindungen für die Zukunft ausgeschlossen. Die neue Regelung wird für alle Parteien gelten, auch für Herzlichen Dank. die inhaltlich und personell zerstrittenen Parteien am äu- ßersten rechten Rand. Auf diese Art und Weise können (Beifall bei der FDP) sie sich auch in Zukunft nicht gegenseitig ins Parlament helfen. Ich denke, das ist ein großer Vorteil. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Klaus Uwe Benneter von Lassen Sie mich noch einen Wermutstropfen anbrin- der SPD-Fraktion. gen: Auch wenn das Wahlrecht durch dieses Gesetz hin- sichtlich der Berechnungsmethoden besser und für die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bürger in der Anwendung unbürokratischer, klarer und Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2008 14667

Klaus Uwe Benneter (A) zielgenauer wird, ist es uns nicht gelungen, uns auf eine inwieweit das berücksichtigt wurde. Das erschließt sich (C) gemeinsame Regelung für die Nachfolge bei Überhang- aus Ihrer Vorlage überhaupt nicht. Deswegen hätten wir mandaten zu verständigen. Ich halte es weiterhin für ein es sinnvoll gefunden, wenn hier alle eingebunden wor- Unding, dass Mandate während der Legislaturperiode den wären. Mir haben Kollegen aus allen Fraktionen, die ersatzlos wegfallen können, weil Abgeordnete aus Bun- dem Bundestag schon mehrere Jahre oder sogar Jahr- desländern, die Überhangmandate hatten, sterben, zehnte angehören, gesagt, dass das früher möglich gewe- schwer erkranken oder aus sonstigen Gründen auf ihr sen ist. Mandat verzichten müssen und aus dem Parlament aus- scheiden müssen. Die Bürger der betroffenen Wahlkreise Trotzdem stehen in dem Gesetzentwurf einige sinn- wünschen sich eine Nachfolgeregelung. In diesem Fall volle Sachen; das ist völlig unbestritten. Ich möchte nur verlieren sie nämlich eine wichtige Stimme für ihre Re- an zwei Punkten deutlich machen, warum es politisch gion im Deutschen Bundestag. Ich denke, auch das sollte ein Problem ist, dass über den Gesetzentwurf nicht dis- man berücksichtigen. kutiert wurde. Der erste Punkt ist, dass Ostdeutschland zwei Wahlkreise in Sachsen und Sachsen-Anhalt ver- Mir geht es vor allem darum, dass eine der wichtigs- liert. Das ist nicht nur ein arithmetisches Problem, das ten Funktionen des Wahlrechts sichergestellt wird: Das man mit der Notwendigkeit der Reform erklären könnte. am Stichtag festgestellte Wahlergebnis muss eine stabile Vielmehr ist es auch ein politisches Problem. Das hätten Grundlage für eine während der ganzen Legislatur- wir doch gemeinsam diskutieren müssen. periode stabile Regierung bilden. Das ist bisher nicht im- mer gewährleistet. Insoweit bleibt dieses Problem für die (Beifall bei der LINKEN) nächste Wahlperiode auf der Tagesordnung. Kollege Die Folge ist, dass die Regionen in diesem Land, die Mayer hat schon darauf hingewiesen, dass auch in der die größten strukturellen und sozialen Probleme haben, nächsten Wahlperiode wieder über eine weitere Verfei- dadurch an Repräsentanz verlieren. Das hätte man zum nerung des Wahlrechts nachzudenken sein wird. Anlass nehmen können, über folgende Fragen zu disku- Ich komme noch zum Antrag der PDS-Fraktion. Wir tieren: Wie können wir die weitere Abwanderung auf- sollen auf ein Verbot von Wahlcomputern und der Inter- halten? Wie können wir jungen Menschen im Osten netwahl hinwirken. Die Internetwahl gibt es bei uns gar Perspektiven geben? Wie können wir endlich zu gleich- nicht. Deshalb ist sie nicht verboten. Aus diesem Grunde wertigen Lebensverhältnissen in Ost und West kommen? braucht man sich dazu nicht zu äußern. Die Möglichkeit (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE des Einsatzes von Wahlgeräten steht in Deutschland seit GRÜNEN]: Das ist keine Frage des Wahl- 1975 – das sind nun schon mehr als 30 Jahre – im Wahl- rechts!) gesetz. Wir haben bisher nicht einen einzigen ernst zu (B) nehmenden Hinweis darauf, dass es beim bisherigen Genau das interessiert die Menschen. Ich finde, das ist (D) Einsatz von Wahlgeräten – sie sind tatsächlich schon nur bedingt witzig. Diese wichtigen Fragen hätte man umfassend eingesetzt worden – zu Wahlmanipulationen diskutieren können, um so mit den Menschen aus Ost- gekommen ist. deutschland ins Gespräch zu kommen. Im Übrigen ist beim Bundesverfassungsgericht in Sa- Der zweite Punkt, der angesprochen worden ist und chen Wahlcomputer eine – zugegeben gut begründete – bei dem es einen Dissens gibt, ist die Regelung der Wahlprüfung anhängig. Falls sich nach einer Entschei- Wahllisten. Es geht darum, dass Parteimitglieder nicht dung Handlungsbedarf ergeben sollte, können wir diese für eine andere Partei kandidieren dürfen. Wir als Linke Frage ganz in Ruhe angehen. Jetzt werden wir erst ein- haben mit genau dieser Regelung sehr gute Erfahrungen mal den Antrag der PDS ablehnen. gemacht, was auch unsere Debatten sehr bereichert hat. Deswegen finde ich diese Regelung nicht sehr sinnig. Danke. Vielmehr empfinde ich sie als einen Eingriff in die Auto- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nomie der Parteien. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Jan Korte für die Fraktion Kollege Benneter, das Problem der Rechtsextremen Die Linke. ist bei allen Debatten, die wir führen, zuallererst eine Sa- che der politischen zivilgesellschaftlichen Auseinander- (Beifall bei der LINKEN) setzung. Das werden wir mit einem solchen Gesetzent- wurf nicht lösen können. So viel dazu. Jan Korte (DIE LINKE): Abschließend komme ich zu unserem Antrag „Wahl- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! manipulationen wirksam verhindern“. Es ist eben nicht Zum Verfahren ist hier schon etwas gesagt worden. so, dass es mit dem Einsatz von Wahlcomputern keine Auch wir finden es äußerst bedenklich, dass man bei ei- Erfahrungen gibt. Im Gegenteil: Es gibt damit sehr ner solchen Frage nicht die Oppositionsfraktionen ein- schlechte Erfahrungen. Diese wurden in den Niederlan- bindet. Es sollte beispielsweise darauf Rücksicht genom- den gemacht; die niederländische Regierung hat die men werden, dass in Sachsen-Anhalt, Herr Bergner, Wahlgeräte daher aus dem Verkehr gezogen. gerade eine Kreisgebietsreform durchgeführt wurde. Für die Abgeordneten aus Sachsen-Anhalt, die nicht der Warum ist das auch grundsätzlich ein Problem? Das SPD oder der CDU angehören, ist nicht nachvollziehbar, Verfahren der Wahl, vom Aufstellen der Urne über das 14668 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2008

Jan Korte (A) Einwerfen des Wahlzettels bis hin zum Auszählen, ist öf- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) fentlich. Der Bürger kann also nachvollziehen, was dort Das Wort hat die Kollegin Silke Stokar von Neuforn passiert. Das Problem ist, dass das bei einem Wahlcom- für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. puter nicht möglich ist. Nicht möglich ist es auch, Fehler auszuschließen, wie jeder an seinem PC mindestens ein- bis zweimal im Jahr feststellen kann. Auch das ist ein Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Problem. NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hätte Vizepräsidentin Petra Pau: mich gern intensiv mit den Änderungen des Bundes- Kollege Korte, gestatten Sie eine Zwischenfrage des wahlgesetzes befasst. Ich hätte mich auch gern damit be- Kollegen Mayer? fasst, ob zum Beispiel in Niedersachsen die Neuauftei- lung der Wahlkreise genau so vonstatten gehen muss. Lieber Kollege Benneter, Ihre Bitte um Entschuldigung, Jan Korte (DIE LINKE): dass der Dauerstreit der Großen Koalition nun zu einem Ja. Verlust an gewachsener parlamentarisch-politischer Kul- tur führt, kann ich nicht annehmen. Es kann nicht sein, Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): dass Sie sich so lange mit Herrn Grindel streiten Wie viele Fälle von Wahlmanipulation mit Wahlcom- putern in Deutschland sind Ihnen bekannt? (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wieso denn mit mir? Wie kommen Sie auf mich? Ich habe Jan Korte (DIE LINKE): damit überhaupt nichts zu tun!) Das Problem ist, dass Wahlmanipulation möglich ist. und uns, den Oppositionsfraktionen, dann sagen, dass Einen solchen Fall gab es gerade in Hamburg; dort hat wir aufgrund des Dauerstreits in der Großen Koalition übrigens auch die SPD nun gesagt: Die Wahlcomputer jetzt halt nicht mehr, obwohl das in den vergangenen müssen wir aus dem Verkehr ziehen. Der Chaos Compu- Jahren immer der Fall gewesen ist, ter Club hat nachgewiesen, dass eine Manipulierbarkeit jederzeit möglich ist. Wir wollen das von vornherein (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wie kommen ausschließen. Deswegen haben wir diesen Antrag ge- Sie auf mich? Ich habe damit nichts zu tun! – stellt. Er ist weit in die Zukunft schauend, aber doch Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Herr praktisch in der Tagespolitik. Es ist nun in mehreren Fäl- Grindel ist absolut friedfertig!) len nachweisbar gewesen, dass Manipulationen möglich und technisch ein Leichtes sind und vor allem dass es an der Neuaufteilung der Bundestagswahlkreise beteiligt (B) Anfälligkeiten bei Computern gibt. Das ist doch völlig werden. (D) unbestritten. Auch hier kann wohl niemand ernsthaft be- Ich erinnere mich sehr gut, dass wir unter Rot-Grün gründen, warum es bei Wahlcomputern anders sein sollte Verfahren hatten, die den ganzen Tag in Anspruch genom- als bei privaten PCs. Der Antrag blickt in die Zukunft men haben, und zwar aus guten Gründen. Ich möchte es und soll Irritationen im Vorfeld verhindern. weder der Software WEGIS überlassen, die Bundestags- Letzte Anmerkung, die ich dazu machen will. Wir wahlkreise aufzuteilen, noch ist es eine vernünftige Vor- wollen nicht irgendwann wie in Florida enden, dass wir gehensweise, wenn die Regierungsfraktionen das hinter also Wahlcomputer haben, die nicht funktionieren. Dort verschlossenen Türen selbst bestimmen, uns die Ergeb- wurde zu allem Überfluss der Falsche zum Präsidenten nisse einen Abend vor der Sitzung des Innenausschusses gewählt, weil der Computer nicht funktionierte. Das geht zukommen lassen und wir hier nur noch zustimmen kön- nicht. Ich glaube, auch hier im Hause gibt es eine Mehr- nen. Ich kann den Niedersachsen nicht erklären, warum es heit, die nicht unbedingt will, dass , wenn diese Neuaufteilung gibt. Ich hätte es gern gemacht, wenn sie real knapp verliert, wegen einer Computerpanne ich eingebunden worden wäre. noch einmal Bundeskanzlerin wird. Das wollen wir aus- schließen. Es sollte eine genaue Wahl geben. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das mache ich für Sie! Keine Sorge!) (Beifall bei der LINKEN) Deswegen fände ich es sinnig, wenn Sie diesem, wie ich Zu den anderen Punkten im Bundeswahlgesetz ist eini- finde, sehr guten Antrag zustimmen würden. ges gesagt worden. Auch wir begrüßen die Umstellung des Auszählverfahrens. Es scheint das bessere mathema- Eine letzte Anmerkung an Kollegin Piltz gerichtet: tische Verfahren zu sein. Auch wir begrüßen das unbe- Natürlich ist es so, dass wir das wieder ändern können, schränkte aktive Wahlrecht für im Ausland lebende Deut- wenn nachgewiesen ist, dass Wahlcomputer sicher sind. sche. Das wäre kein Problem. Das kann ja nicht davon abhal- ten, dem Antrag jetzt zuzustimmen. Denn klar ist: Wo Ähnlich wie die Linksfraktion, obwohl sie hier ja ei- der Fortschritt ist, ist auch immer die Linke. gentlich in klammheimliche Freude ausbrechen müsste, sind auch wir gegen die Änderung, dass es jetzt ein so (Gisela Piltz [FDP]: Das ist mir aber neu!) restriktives Verbot gibt, Mitglieder einer anderen Partei Deswegen ist das kein Hinderungsgrund. mit auf die Liste zu nehmen. Hier hätten andere Rege- lungen für Transparenz sorgen können, indem man das Schönen Dank. zum Beispiel auf dem Wahlzettel kenntlich macht. Das (Beifall bei der LINKEN) Ergebnis ist: Die Linkspartei muss sich nicht mehr mit Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2008 14669

Silke Stokar von Neuforn (A) dem Wunsch der DKP, ihre Mitglieder in ihre Listen auf- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) zunehmen, auseinandersetzen. Das Wort hat die Kollegin Fograscher für die SPD- Fraktion. (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Es muss doch übersichtlich bleiben!) Gabriele Fograscher (SPD): Deshalb sage ich: Eigentlich müssten Sie eine klamm- Danke schön. – Frau Präsidentin! Verehrte Kollegin- heimliche Freude empfinden. Aus Demokratiegründen halte ich dieses Mittel für zu restriktiv. Für mich gilt hier nen und Kollegen! Ich werde mich in meinem Beitrag die Autonomie der Parteien. Mit anderen Regelungen zur Änderung des Bundeswahlgesetzes äußern. Dahinter hätten wir für Transparenz sorgen können. verbirgt sich die Neueinteilung der Bundestagswahl- kreise für die Wahl zum 17. Deutschen Bundestag. Ich komme zu meinem letzten Punkt: den Wahlcompu- tern. Ich finde es bemerkenswert, dass 45 000 Wählerinnen In jeder Wahlperiode legt die Bundeswahlkreiskommis- und Wähler beim Bundestag eine Petition eingereicht ha- sion dem Deutschen Bundestag einen Bericht über Ände- ben, in der sie ausgeführt haben, dass sie Manipulation rungen der Bevölkerungszahlen im Bundesgebiet vor. Um durch den Einsatz von Wahlcomputern befürchten und dass eine verfassungsgemäße Bundestagswahl – Stichwort sie den Bundestag auffordern, eine gesetzliche Regelung zu „Gleichheit der Stimmen“ – zu gewährleisten, müssen die schaffen, die es verhindert, dass entsprechende Modellver- Wahlkreise annähernd gleiche Einwohnerzahlen haben. fahren durchgeführt werden. Damit würde man natürlich Änderungen der Verteilung der Bundestagswahlkreise auf ein bestimmtes Interesse verfolgen; deswegen ist die FDP die Länder und die Einteilung innerhalb der Länder ergeben in dieser Frage auf einmal nicht mehr Bürgerrechtspartei, sich aufgrund von Bevölkerungswanderungen. sondern Wirtschaftspartei. Die Grundsätze, an die wir uns auch bei dieser Neu- (Gisela Piltz [FDP]: Das muss ich mir von Ih- einteilung gehalten haben, sind: Die Ländergrenzen wer- nen nicht sagen lassen! Nicht nach sieben Jah- den eingehalten. Die Zahl der Wahlkreise in den einzel- ren Rot-Grün und Ihrem Umgang mit den Bür- nen Ländern muss soweit wie möglich dem Anteil an der gerrechten in dieser Zeit, Frau Stokar!) Gesamtbevölkerung entsprechen. Der Wahlkreis muss Es gibt in Europa nur wenige Unternehmen, die die ein zusammenhängendes Gebiet umfassen. Kommunale Wahlen in Deutschland nutzen wollen, um in einem Mo- Grenzen sollten möglichst weitgehend eingehalten wer- dellversuch mit Wahlmaschinen, die überhaupt noch den. keine Marktreife haben, in die Wahlen einzugreifen. Eine Neuzuschneidung von Wahlkreisen kann durch- (Gisela Piltz [FDP]: Warum haben Sie das denn in geführt werden, wenn die Bevölkerungszahlen plus/mi- (B) Ihrer Regierungszeit nicht verhindert?) nus 15 Prozent vom Bundesdurchschnitt abweichen. Sie (D) muss durchgeführt werden, wenn die Abweichung mehr Dies ist in Hamburg nachgewiesen worden. Ich finde es als plus/minus 25 Prozent beträgt oder eine solche Ent- peinlich, dass ausgerechnet Herr Koch in Hessen Wahl- wicklung im Laufe der Legislaturperiode als sehr wahr- maschinen der Firma Nedap zulässt, die in den Nieder- scheinlich gilt. landen aufgrund ihrer Fehleranfälligkeit gerade erst aus dem Verkehr gezogen worden sind. Leider setzte sich in den vergangenen Jahren die Bevölkerungswanderung von Ost nach West fort. So ver- (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: loren Sachsen und Sachsen-Anhalt knapp 50 000 Ein- Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!) wohner. Baden-Württemberg dagegen registrierte einen Ich kann gut nachvollziehen, dass sich Herr Koch an den Zuzug von mehr als 55 000 Einwohnern. Herr Korte, na- letzten Strohhalm klammert. Er hat wohl im Hinterkopf, türlich kann eine Wahlkreisreform diese strukturellen dass ihm Wahlmaschinen vielleicht noch zu einem zwei- Probleme nicht lösen. felhaften Sieg verhelfen könnten. Aufgrund der Daten, die dem Bericht der Wahlkreis- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Der gewinnt kommission und dem Nachbericht zugrunde liegen, sind auch so! Keine Sorge! – Stephan Mayer [Alt- zwei Wahlkreistransfers nötig. Die Länder Sachsen und ötting] [CDU/CSU]: Das ist doch absoluter Sachsen-Anhalt verlieren jeweils einen Wahlkreis, Ba- Quatsch!) den-Württemberg und Niedersachsen erhalten je einen Eines ist eine Selbstverständlichkeit: Solange die zusätzlichen Wahlkreis. Bürgerinnen und Bürger berechtigte Sorgen haben, dass Sowohl beim Wegfall eines Wahlkreises als auch bei Wahlen durch den Einsatz von Wahlmaschinen manipu- der Schaffung eines zusätzlichen Wahlkreises in einem liert werden können, darf das ökonomische Interesse Bundesland sind erhebliche Eingriffe in die bestehenden hier nicht im Vordergrund stehen. Wir stehen dem Ein- Wahlkreisgrenzen unvermeidlich. Die abgebenden Län- satz technischer Verfahren bei Wahlen offen gegenüber, der Sachsen und Sachsen-Anhalt stehen vor einer Kreis- wenn sie ausgereift sind. Bundestags- und Landtagswah- gebietsreform bzw. haben diese schon durchgeführt. len sind aber ein viel zu ernster demokratischer Vorgang, Deshalb orientiert sich die Neuzuschneidung der Wahl- als dass sie zu einem Experimentierfeld für zweifelhafte kreise weitgehend an den neuen kommunalen Grenzen. Geschäftsideen gemacht werden sollten. In Baden-Württemberg gibt es im Regierungsbezirk Danke schön. Tübingen den neuen Wahlkreis Ravensburg. Deshalb (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mussten die umliegenden Wahlkreise neu zugeschnitten 14670 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2008

Gabriele Fograscher (A) werden. Drei Wahlkreise in diesem Regierungsbezirk stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf (C) bleiben unverändert. Für den Zuschnitt des Wahlkreises ist damit mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD- Biberach hätten sich meine Kollegen im Bundestag und Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der viele vor Ort eine andere Lösung vorstellen können. Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Aber in Abwägung der für die anderen Wahlkreise ge- Bündnis 90/Die Grünen angenommen. fundenen Lösungen tragen wir diesen eigenwilligen Zu- schnitt mit. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetz- entwurf des Bundesrates zur Änderung des Bundeswahl- In Niedersachsen wird der neu zu bildende Wahlkreis gesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 sei- den Landkreis Harburg umfassen. Die erheblichen Ver- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7814, den änderungen der umliegenden Wahlkreise sind Folge die- Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 16/1036 ses neu zu schaffenden Wahlkreises. abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt In Brandenburg haben wir aufgrund des enormen Be- dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der völkerungswachstums Verschiebungen zwischen dem Fall. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung Wahlkreis 61 und dem Wahlkreis 62 vornehmen müssen. einstimmig abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ge- Auch beim Wahlkreis Hamburg-Mitte hätten wir uns schäftsordnung die weitere Beratung. einen anderen Zuschnitt vorstellen können; doch darauf konnten wir uns nicht einigen. Deshalb bleibt es bei dem Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 7 b, zur Vorschlag der Wahlkreiskommission, jetzt nichts zu ver- Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU ändern. und der SPD eingebrachten Entwurf eines Achtzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes. Es ist schon heute abzusehen, dass die Bevölkerungs- entwicklung in einigen Bundesländern in der nächsten Mir liegen hierzu Erklärungen nach § 31 unserer Ge- Legislaturperiode erneut Wahlkreisanpassungen notwen- schäftsordnung des Kollegen Scheelen aus der SPD-Frak- dig machen wird. Deshalb haben wir dieses Mal nur die- tion sowie der Kollegen Fricke, Lenke und Ackermann jenigen Anpassungen vorgenommen, die unbedingt not- aus der FDP-Fraktion vor; diese nehmen wir zu Proto- wendig waren, um eine verfassungsgemäße Wahl des 17. koll.1) Deutschen Bundestages zu gewährleisten. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- Ich bedanke mich an dieser Stelle nochmals bei allen, empfehlung auf Drucksache 16/7815, den Gesetzent- die sich sehr kenntnisreich in die Diskussion eingebracht wurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf haben, und beziehe diesen Dank auch auf die Mitarbeite- Drucksache 16/7462 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, (B) rinnen und Mitarbeiter des Innenministeriums und des die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das (D) Statistischen Bundesamtes. Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung Ich bitte um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzent- angenommen. wurf. Dritte Beratung Danke sehr. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Vizepräsidentin Petra Pau: entwurf ist damit mit den Stimmen der Unionsfraktion, Ich schließe die Aussprache. der SPD-Fraktion und der Mehrheit der FDP-Fraktion gegen die Stimmen von zwei Abgeordneten der FDP- Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der tionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Ent- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. wurf eines Gesetzes zur Änderung des Wahl- und Abge- ordnetenrechts. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 Tagesordnungspunkt 7 c. Beschlussempfehlung des seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7814, Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und mit dem Titel: „Wahlmanipulationen wirksam verhin- der SPD auf Drucksache 16/7461 in der Ausschussfas- dern“. sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält lung auf Drucksache 16/7816, den Antrag der Fraktion sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung Die Linke auf Drucksache 16/5810 abzulehnen. Wer mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Die Beschlussemp- Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die fehlung ist damit mit den Stimmen der Unionsfraktion, Grünen angenommen. der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd- Dritte Beratung nis 90/Die Grünen angenommen. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer 1) Anlage 3 14734 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2008

(A) Anlage 3 teiligung aller Fraktionen ins parlamentarische Verfah- (C) ren gegeben. Erklärungen nach § 31 GO Zweitens. 2002 wurde der Landkreis Rotenburg mit zur Abstimmung über den Entwurf eines Acht- dem Landkreis Verden zum Bundestagswahlkreis Roten- zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundes- burg/Verden zusammengelegt. wahlgesetzes (Tagesordnungspunkt 7b) 2009 wird der Landkreis Rotenburg wieder durch Bernd Scheelen (SPD): Der ehemalige Bundestags- Neuordnung belastet. Zudem beinhaltet der Landkreis wahlkreis Krefeld wurde vor zehn Jahren zerteilt, und Rotenburg nun zwei Bundestagswahlkreise. dabei bleibt es mit dem heutigen Beschluss. Die Ent- Dieses behindert die Identifizierung der Bürger und scheidung vom 13. Februar 1998 wird nicht revidiert. Bürgerinnen mit ihren Abgeordneten. Nach wie vor bin ich der Meinung, dass eine Groß- stadt mit 240 000 Einwohnern einen eigenständigen (FDP): Ich stimme dem durch die Bundestagswahlkreis bilden sollte. Dennoch stimme ich Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- dem heutigen Gesetzentwurf zu, weil sich zurzeit keine wurf eines Achtzehnten Gesetzes zur Änderung des Mehrheit für die Wiederherstellung des Wahlkreises Bundeswahlgesetzes, Drucksachen 16/7462, 16/7815, Krefeld findet. nicht zu. Begründung: Erstens. Das Gesetz wurde nicht, wie Otto Fricke (FDP): Durch das nun beschlossene Ge- früher üblich, nach gemeinsamen Berichterstattergesprä- setz bleibt die künstliche „bundespolitische“ Teilung der chen unter Beteiligung aller Fraktionen in das parlamen- Stadt Krefeld zementiert. tarische Verfahren gegeben. In keinem der beiden Wahlkreise haben die Wähler Zweitens. Der Wahlkreis 68, Börde-Jerichower Land, der Stadt Krefeld eine Mehrheit. Damit bleibt eine Groß- in Sachsen-Anhalt, reicht von der Landesgrenze zu Nie- stadt mit circa 240 000 Einwohnern zerschlagen und ei- dersachsen bis zur Landesgrenze Brandenburgs. Bei ei- nes wesentlichen Teils ihres bundespolitischen Einflus- ner so großen Fläche kommt es zu einer Ungleichbe- ses beraubt. Die Teilung ist politisch unverantwortlich. handlung der Kandidaten im Vergleich zu denen, die sich Für die FDP, die gegenwärtig nicht in Verdacht steht, ei- in flächenmäßig kleineren Wahlkreisen um ein Mandat nen selb^stständigen Krefelder Wahlkreis oder einen der bemühen. beiden leider auch zukünftig weiter existierenden Wahl- (B) kreise direkt zu holen, ist es deutlich erkennbar, dass (D) man damit den Bürgern einer Stadt politische Identifika- Anlage 4 tion nimmt. Denn trotz des Engagements meiner Kolle- gen, die von SPD bzw. CDU in den jeweiligen Wahlkrei- Zu Protokoll gegebene Reden sen direkt gewählt worden sind, sind diese dennoch keine Krefelder Bürger. Krefelder sind vielmehr der Kol- zur Beratung des Antrags: Trennungsüber- lege der SPD Bernd Scheelen und ich, welche über die nachtungsgeld während Auslandseinsatz wei- Landesliste eingezogen sind. terzahlen (Tagesordnungspunkt 16)

Da die Bürger in Krefeld nach dieser Entscheidung Robert Hochbaum (CDU/CSU): Der bedeutende auch weiterhin in der Regel keinen „echten“ Krefelder englische Dichter und Dramatiker William Shakespeare Kandidaten mehr mit der Erststimme wählen können, hat einmal gesagt: „Besser drei Stunden zu früh als eine wird der Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme Minute zu spät.“ marginalisiert. Die Krefelder Bürger haben nur noch ei- nen mittelbaren Einfluss per Erststimme, und dies An die Damen und Herren von der FDP gerichtet: Es könnte zu Politikverdrossenheit führen, da nun sowohl scheint mir, als wenn Sie sich diesen klugen Ausspruch für die Erst- als auch für die Zweitstimmen überwiegend bei der Formulierung Ihres Antrages zu eigen machten. die Aufstellungen der Parteien ausschlaggebend sind. Leider ist es aber nicht im positiven Sinne zu sehen. Ich gehe sicherlich mit Ihrem Ansinnen einig, muss Ihnen Ich habe den Wählern in Krefeld im Wahlkampf zu aber mitteilen, dass Sie hier eine Minute zu spät gehan- den Bundestagswahlen 2002 und 2005 versprochen, delt haben. mich für einen einheitlichen Wahlkreis Krefeld einzuset- zen; da Versprechen eingehalten werden müssen, kann Bereits am 5. September letzten Jahres, genau zwei ich dem Gesetzentwurf, den ich im Übrigen unterstütze, Monate vor Herausgabe Ihres Antrages, hat das Verteidi- nicht zustimmen, sondern enthalte mich der Stimme. gungsministerium unter Leitung von Bundesminister Jung sich dem Thema angenommen und die Weiterzah- Ina Lenke (FDP): Ich stimme dem Tagesordnungs- lung des Trennungsübernachtungsgeldes während der punkt 7, Drucksache 16/7462, dem Gesetzentwurf der Auslandsverwendung unserer Soldatinnen und Soldaten Großen Koalition nicht zu. gegenüber dem zuständigen Bundesinnenministerium gefordert. Dies befindet sich derzeit in der Prüfung, und Erstens. Das Gesetz wurde nicht, wie früher üblich, wir erwarten zeitnah ein Ergebnis, um dann in die parla- nach gemeinsamen Berichterstattergesprächen unter Be- mentarische Beratung zu gehen. Zentral ist also hier die