LVR-Amt für Denkmalpflege imLVR-Amt Rheinland für Denkmalpflege im Rheinland

DER NIEDERRHEIN

KUNSTLANDSCHAFT

DER SPÄTGOTIK

Der Niederrhein – Kunstlandschaft der

Spätgotik EINE AUSSTELLUNG DER FOTOWERKSTATT DES LVR-AMTES FÜR DENKMALPFLEGE IM RHEINLAND ZUM 3. RHEINISCHEN TAG FÜR DENKMALPFLEGE

Eine Dokumentation zum 3. Rheinischen Tag für RDenkmalpflegeATHAUS DER STADT KALKAR in Kalkar,10. A 5.PRIL Mai - 30. 2013 JUNI 2013

Eine Kooperation mit: Mitteilungen aus dem LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland Heft 15

Eine Veröffentlichung des Landschaftsverbandes Rheinland, LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland, herausgegeben von der Landeskonservatorin Dr. Andrea Pufke Inhalt

Grußwort 7 Gerhard Fonck, Bürgermeister der Stadt Kalkar

Grußwort 11 Milena Karabaic, LVR-Dezernentin Kultur und Umwelt

Grußwort 15 Andrea Pufke, Landeskonservatorin und Leiterin des LVR-Amtes für Denkmalpflege im Rheinland

Der Niederrhein – Kunstlandschaft der Spätgotik 19 Godehard Hoffmann

St. Nicolai in Kalkar. Ein Zentrum spätmittelalterlicher Bildschnitzerkunst am Niederrhein 29 Reinhard Karrenbrock Impressum

Redaktion: Eva-Maria Beckmann Vom Baum zum Bildwerk. Bildhauerkunst am Niederrhein um 1500 45 Titelbild: Marc Peez Kalkar, St. Nicolai. Malerei des Georgsaltars, Köln oder Niederrhein, um 1484. Foto: Silvia-Margrit Wolf, LVR-ADR. Fragen zur Konservierung und Restaurierung sakraler Kunst 57 Martin Hammer © 2013 LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland

Alle Rechte vorbehalten. Die Mitteilungen des Der Meister von Elsloo: ein Künstler ohne Grenzen 67 LVR-Amtes für Denkmalpflege im Rheinland sind Teil Arnold Truyen seiner Öffentlichkeitsarbeit. Sie werden kostenlos abgegeben und sind nicht zum Verkauf bestimmt.

Layout: Der Niederrhein – Kunstlandschaft der Spätgotik 77 Stefanie Hochum, LVR-Druckerei. Eine Ausstellung der Fotowerkstatt des LVR-Amtes für Denkmalpflege im Rheinland zum 3. Rheinischen Tag für Denkmalpflege in Kalkar, 5. Mai 2013 Barrierefreistellung: Solveig Kemsies, LVR-Druckerei. Literaturverzeichnis 95 Druck: LVR-Druckerei, Ottoplatz 2, 50679 Köln Tel. 0221 809-2418

Gedruckt auf 100 % Recyclingpapier, FSC-Zertifiziert Grußwort Gerhard Fonck, Bürgermeister der Stadt Kalkar

Sehr geehrte Damen und Herren, Frau Milena Karabaic, der Landes- verehrte Gäste, konservatorin des LVR-Amtes für am heutigen Sonntag führt uns der Denkmalpflege im Rheinland, Frau 3. Rheinische Tag der Denkmalpfle- Dr. Andrea Pufke – und dem ge- ge unter dem Leitgedanken „Der samten Team, das diesen Tag mit Niederrhein – Kunstlandschaft der vorbereitet hat. Spätgotik“ zusammen und es ist mir eine Freude, Sie hier im histo- Als Vertreter der kommunalen rischen Rathaus – einem spätgo- Denkmalpfleger und Vorsitzenden tischen Bauwerk – im Ratssaal in der Regionalgruppe Rheinland/ unserer schönen Stadt Kalkar be- Ruhrgebiet der Arbeitsgemein- grüßen zu dürfen. schaft Historische Stadtkerne in Gerhard Fonck NRW, Herrn Dr. Jörg Heimeshoff, Foto: Stadt Kalkar. Gemeinsam mit dem Landschafts- Frau Inge Verweyen, Mitglied der verband Rheinland – und da in gu- Landschaftsversammlung und des ter Kooperation mit dem LVR-Amt Kulturausschusses, Herrn Pastor für Denkmalpflege im Rheinland Alois van Doornick, der in guter – haben wir diesen Tag vorberei- Zusammenarbeit als zuständiger ten dürfen und wünschen uns nun, Pfarrer von St. Nicolai den heutigen dass sich viele interessierte Gäs- Tag maßgeblich mit gestaltet, die te in unserer Stadt – genauso wie Referenten des heutigen Tages. die Bürgerinnen und Bürger – am heutigen Programm erfreuen und Meine sehr geehrten Damen sowohl aus den Vorträgen als auch und Herren, aus den Führungen in der St. Nico- als vor mehreren Monaten in ei- lai-Kirche viele Informationen und nem ersten Gespräch mit Frau Dr. neue Eindrücke auf- und mitneh- Pufke ihrerseits die Überlegung, men. den 3. Rheinischen Tag der Denk- malpflege in Kalkar auszurichten, Gestatten Sie mir, dass ich an die- uns vorgetragen wurde – ja, so darf ser Stelle einige Gäste des heu- man schon sagen – hat nicht nur tigen Denkmaltages namentlich mich das mit einem gewissen Stolz begrüße. So gilt ein besonderer erfüllt. Ist dies doch heute wirk- Willkommensgruß der Dezernen- lich auch ein Tag, an dem wir die tin für Kultur und Umwelt des Schönheit unserer Stadt darstel- Landschaftsverbandes Rheinland, len, sozusagen ein Bürgerbauwerk,

7 was über Jahrhunderte hinweg er- Flügelbild des Georgsaltar zeigt nisses von Denkmalschutz. Denn tär eine zusätzliche Belastung nach baut – und zum Teil auch wiederer- die Ankunft der heiligen Ursula in der Denkmalschutz ist – um es sich zieht. baut – wurde, präsentieren dürfen. Köln. Und am Vorabend des kirch- etwas pointiert zu sagen – ein Ge- lichen Gedenk- und Feiertages der danke, ein Anliegen des 19. Jahr- Das es aber gelingt, ist auch an Lassen Sie mich bitte aber zu- Märtyrerin, am 20. Oktober des hunderts, galt es doch nationale diesem Rathaus ablesbar. Denn es nächst unsere Stadt vorstellen, und Jahres 1230 wurde Kalkar auf einer Identitätsmuster zu schaffen. Und ist gelungen, dieses Gebäude ohne darin einige kurze Anmerkungen mit Rheinwasser umwehrten Insel auch bereits im 19. Jahrhundert Eingriffe in die Fassaden bzw. durch zur kommunalen Denkmalpflege gegründet und dann planmäßig er- wurde der kulturelle Wert und Rang Ergänzungsbauwerke barrierefrei in Kalkar und zur Bedeutung der weitert. von St. Nicolai erkannt, geschützt zu erschließen: sprich einen Auf- Denkmalpflege machen. Die Stadt und gepflegt. zug einzubauen; um nur einmal ein Kalkar ist heute – seit der kom- Die Geschichte der Stadt Kalkar Beispiel zu nennen. Dies ist selbst- munalen Neugliederung im Jahre bis zum Ende des 16. Jahrhunderts Eine Entscheidung von beträchtli- verständlich in enger Abstimmung 1969 – eine 88 qkm große Stadt mit ist eine Geschichte von wirtschaft- cher Wirkung für Kalkar und seine mit der Denkmalpflege erfolgt. 13 Stadtteilen und insgesamt gut lichem Wachstum, bürgerlicher Baukultur wurde nach Ende des Gleiches gilt für das Städtische 14.000 Einwohnern. Geprägt noch Prosperität, kaufmännischem Er- Zweiten Weltkrieges, in den ersten Museum und Archiv, unmittelbar immer von einem landwirtschaft- folg und kultureller Blüte. Das Nachkriegsjahren getroffen: das nebenan über den einst schiffbaren lichen Umfeld präsentiert sich die kulturtouristische Alleinstellungs- von einer Brandbombe getroffene, Graben gelegen. Stadt als aktives Gemeinwesen mit merkmal in der Region beruht zum zu zwei Dritteln zerstörte – aber einer guten Infrastruktur, mit ei- großen Teil auf diesem baukultu- in seiner Substanz noch erhalte- Hier haben wir die Touristikinfor- nem breiten Schulangebot, mit ei- rellen Erbe, auf der Atmosphäre ne – Rathaus wurde wieder auf- mation unserer Stadt vorsichtig im ner soliden ökonomischen Struktur des Marktes mit Gerichtslinde und gebaut. Und genau dieses Signal Foyerbereich integriert und zwei an Industrie, Handwerk und Dienst- den Treppengiebelhäusern – und hat positiv gewirkt bei vielen priva- moderne Arbeitsplätze eingerich- leistungen, als Bundeswehr- und wie die Bürgerinnen und Bürger ten Hauseigentümern und hat bis tet. Als Nebeneffekt haben wir er- NATO-Standort sowie einem her- damit umgegangen sind und um- zur Stadtkernsanierung der 1970er reicht, dass nun die touristischen vorragenden Angebot in den Berei- gehen: es erhalten, schützen, pfle- und 1980er Jahre Wirkung gezeigt. Gäste gleichzeitig in besonderem chen Freizeit, Tourismus, Gastrono- gen, mit Bedacht und Behutsam- Maße auf unser Museum und Ar- mie und nicht zuletzt seit neuestem keit neu gestalten. In Kalkar – und Und wie sieht Denkmalpflege in chiv aufmerksam werden, um nicht auch als Messestandort im „Wun- in besonderem Maße in St. Nicolai Kalkar heute aus? – Ja, es gilt wei- zu sagen, direkt hingeführt werden. derland Kalkar“ – auf dem Gelände – manifestiert sich die spätgotische ter sich diesem wunderbaren Erbe des nie ans Netz gegangenen ehe- Baukunst und sakrale Kunst. zu stellen, sprich ganz sensibel Aber auch der Prozess einer behut- maligen „Schnellen Brüters“. damit umzugehen. So weist Kalkar samen Neugestaltung des Marktes, Doch haben die damaligen Bürger heute bereits drei Denkmalberei- insbesondere einer barrierefreien Die Stadtteile – oftmals jahrhun- als Bauherren keine Denkmäler che aus: nämlich Kalkar, Grieth Zuwegung und gastronomischen dertealte Dörfer und Siedlungs- gebaut und kunsthistorisch be- und seit neuestem auch Hanselaer. Nutzung mit modernen Elementen räume oder gar wie das Beispiel deutsame Arbeiten beauftragt. Sie ist intensiv durch die Denkmalpfle- Grieth zeigt, einst selbstständige haben allerdings herausragende In diesem Zusammenhang ist ge begleitet worden: das Ergebnis Hanse-Stadt am Rhein – haben ih- Architektur geschaffen und Kunst- selbstverständlich auch noch die ist eine Aufwertung des Platzes und ren eignen Charakter bewahrt und werke gewählt und finanziert, die Bodendenkmalpflege zu nennen, eine noch höhere Aufenthaltsquali- großen Anteil an dem vielgestal- in einem anderen Verständnis von die im gesamten historischen tät. Man mag an diesen wenigen tigen Gesamtbild der Stadt. Der Kunst als unser heutiges, sich in Stadtkern gleichfalls von Bedeu- Beispielen erkennen, dass mit der historische Stadtkern Kalkar ist dem gegebenen kirchlichen Umfeld tung ist. Aber Baudenkmale bedür- Beratung durch die Denkmalpflege eine Gründungsstadt des Kölner behaupten und den Menschen als fen selbstverständlich auch einer und in enger Abstimmung mit die- Erzbischofs Heinrich von Molenark Betrachter berühren sollten. Und modernen und zeitgemäßen Funk- ser gute Ergebnisse auch für eine und dem Klever Grafen Dietrich VI. dies gelingt eindrucksvoll bis heu- tionalität; was sicherlich zugleich wirtschaftliche und zeitgemäße Das Plakat zur heutigen Veranstal- te. – Auch dank der Denkmalpflege eine besondere Herausforderung Nutzung der historischen Gebäude tung ist entsprechend gewählt; das und eines früh geübten Verständ- beinhaltet und in der Regel mone- erreicht werden kann.

8 9 Und so, meine sehr geehrten Da- Folge schnell auch zu einem Verfall men und Herren, zeigen wir unse- dieses Kulturgutes führen kann. Grußwort re Stadt Kalkar gerne an diesem 3. Rheinischen Tag für Denkmalpfle- Meine sehr geehrten Damen und Milena Karabaic, LVR-Dezernentin Kultur und Umwelt ge unter dem Leitgedanken „Der Herren, verbunden mit dem noch- Niederrhein – Kunstlandschaft der maligen Dank an alle Beteiligen bei Spätgotik“. der Vor- und sicherlich auch Nach- bereitung des heutigen Tages heiße Nicht unerwähnt lassen möchte ich ich Sie alle nochmals recht herzlich aber auch den Appell an das Land in Kalkar willkommen. Genauso Nordrhein-Westfalen – wohl wis- wünsche ich mir, dass Sie nicht nur Sehr geehrter Herr Bürgermeister Niederlanden hierher gekommen send, dass die finanziellen Mittel heute bei uns zu Gast sind, sondern Fonck, sehr geehrte Frau Dr. Pufke, sind. Das Spätmittelalter, um das überall knapp sind – dennoch aber würde mich freuen, wenn Sie auch meine sehr geehrten Damen und es heute geht, kannte die Grenze auch weiterhin Geldmittel bereitzu- zukünftig wieder einmal unsere Herren, zwischen unseren beiden Ländern stellen, damit das Kulturgut, was schöne Stadt besuchen – getreu es freut mich sehr, Sie im Namen nicht. Deshalb schlagen heutzu- über Jahrhunderte erhalten und dem Motto unserer Stadt: KALKAR – des Landschaftsverbandes Rhein- tage Veranstaltungen wie diese geschützt wurde, nun nicht ver- hier lebt der Niederrhein. land zum 3. Rheinischen Tag für Brücken zwischen den Menschen. nachlässigt wird. Denn hier ist Still- Denkmalpflege im historischen Das ist ganz im Sinne des LVR, der stand Rückgang, weil die Nichtun- Vielen Dank für Rathaus von Kalkar begrüßen zu auch mit anderen Projekten wie der terhaltung dieser Bauwerke in der Ihre Aufmerksamkeit. dürfen. Dies ist ein wunderbarer Route der Industriekultur, dem Eu- Ort, wie geschaffen für diese Ver- ropäischen Gartennetzwerk EGHN anstaltung. Wenn Sie den Flyer und den Wegen der Jakobspilger Milena Karabaic mit dem Programm genauer an- und vielen weiteren Aktivitäten das Foto: Ludger Ströter, geschaut haben, ist Ihnen vielleicht Rheinland mit Europa vernetzt. LVR-Fachbereich aufgefallen, dass das Rathaus, in Kommunikation. dem wir gerade tagen, gleich zwei- Heute ist Sonntag. Ein strahlender mal abgebildet ist: Einmal sehen Sonntag im Mai: ein idealer Zeit- wir es als Ausschnitt eines 500 punkt, sich mit etwas Schönem Jahre alten Gemäldes, einmal – zu beschäftigen. Beschäftigen wir äußerlich nur wenig verändert – in uns also mit Denkmalpflege. Denn, Rathaus der Stadt einer aktuellen Fotografie. In die- wenn wir uns an Kunstdenkmä- Kalkar. Blick über den ser unruhigen und schnelllebigen lern erfreuen wollen, dann geht Markt von Südwesten. Zeit, die ständig Neues will und in das auf Dauer nur mit den Akteu- Foto: Silvia-Margrit der nur Weniges Bestand hat, ist es ren der Denkmalpflege, mit den Wolf, LVR-ADR. wohltuend, Konstanten zu erleben – Fachleuten und Behörden, die sich in diesem Fall ein Gebäude, das um die zahlreichen Denkmäler im Generationen, Moden und Kriege Rheinland kümmern. Kunsthis- überdauert hat. Sie können stolz torikerinnen und Kunsthistoriker, sein, lieber Herr Fonck und liebe Architektinnen und Architekten, Bürgerinnen und Bürger von Kal- Vermessungsteams, Fotografin- kar, dieses Rathaus zu besitzen, es nen und Fotografen, Restaurato- mit Leben zu füllen. rinnen und Restauratoren sind im LVR-Amt für Denkmalpflege im Und deshalb möchte ich an dieser Rheinland in der Abtei Brauweiler Stelle auch die Menschen ganz beschäftigt. Sie erforschen und herzlich begrüßen, die aus den inventarisieren die Denkmäler im

10 11 Historische Ansicht Rede gewesen. „Qua vadis Denk- Kultur und Umwelt in diesem Zu- des Rathauses malpflege in NRW?“ fragte der Au- sammenhang spreche. Seit 2009 auf Flügel des tor in der Zeitung Politik & Kultur unterliegen auch wir einem strik- Hochaltarretabels, in ihrer jüngsten Ausgabe. Nehme ten Konsolidierungskurs inner- St. Nicolai, Kalkar ich die aktuelle Presseerklärung halb des gesamten LVR. Im Schnitt (ca. 1505–1509). Foto: des zuständigen Ministers für Bau- 1,3 Mio. € sparen wir jedes Jahr an Silvia-Margrit Wolf, en, Wohnen, Stadtentwicklung und Sachkosten im Rahmen unseres in LVR-ADR. Verkehr beim Wort und somit ernst, der Landschaftsverbandsordnung lautet die Antwort darauf schlicht: definierten kulturellen Auftrages Weiter, Denkmalpflege und -för- ein. Sie sind gut im Kopfrechnen derung gehen weiter – allerdings und haben schon die nicht zu ver- mit neuen, modernen Förderin- achtende Gesamtsumme (6,5 Mio. strumenten. D.h., Förderangebote €) parat. Dieses Ergebnis war üb- auf Grundlage von Darlehen wer- rigens noch keine einzige Schlag- den explizit genannt, aber auch zeile wert – weder im Sinne von die Klarstellung, ich zitiere: „[…], Empörung, noch als Ausdruck dass nicht alle Landeszuschüsse von Anerkennung, denn Sie wis- in Darlehen umgewandelt werden sen alle, wir sind ein Umlagever- können“. band und der kommunalen Familie Rheinland, sie beraten Denkmal- geht, außergewöhnlich und von in unserem Wirken verpflichtet. eigentümer bei Baumaßnahmen besonderer Bedeutung sind. So bil- Ich möchte für den LVR deutlich Aber ich komme zurück zu unse- und Restaurierungen und setzen den die Schnitzaltäre von St. Nicolai machen, dass wir uns – wie auch in rem eigentlichen Thema. Und wir sich für deren Erhaltung ein. Aber in Kalkar eines der umfassendsten der Debatte um das Schließen der wären nicht im Rheinland, griffe was wäre die hauptamtliche Denk- mittelalterlichen Sakralensembles Rechtslücke in der Bodendenkmal- nicht in schwierigen Lebenslagen malpflege ohne die Menschen, die in Europa. Touristen kommen mit pflege (Stichwort: Verursacherprin- die berühmte, wenn auch literari- sich ehrenamtlich engagieren! Bussen, wandernd oder mit dem zip) – auch bei der weiteren Ausge- sche „Heinesche Wendung“. Nicht Was könnte sie ausrichten, gäbe es Fahrrad nach Kalkar, um die Bild- staltung für den künftigen Weg der zum Schwarzmalen sind wir heute nicht die vielen privaten Denkmal- werke zu sehen, die vor einem hal- Gebäudedenkmalpflege aktiv und hier zusammengekommen, son- eigentümer, denen die Erhaltung ben Jahrtausend von großen Kön- mit ausgewiesenem Sachverstand dern es geht vielmehr bei den ihrer Objekte wichtig ist? Und wel- nern ihres Faches gefertigt wurden. in diesen Prozess einbringen wol- Kunstwerken aus dem Mittelalter chen Sinn hätten alle Bemühun- len. Und ich bin mir sicher, dieses in der Regel um farbig gefasste gen, fielen sie nicht auf fruchtbaren Häufig sind ihre Namen nicht über- Angebot wird nicht ungehört blei- Objekte. Damit es auch so bleibt, Boden? Denn auch Sie, meine Da- liefert, aber ihre Werke sind noch ben, auch dank der Unterstützung engagieren sich Denkmalpflegerin- men und Herren, tragen mit Ihrem für uns heute so eindrucksvoll und der Landesdirektorin. nen und Denkmalpfleger, Restau- Interesse dazu bei, dass das Rhein- faszinierend, dass die Anziehungs- ratorinnen und Restauratoren mit land, diese einzigartige Kultur- und kraft für Menschen aus ganz Euro- Das Bekenntnis zum reichen bau- exzellentem Fachverstand und gro- Denkmallandschaft, auch für unse- pa ungebrochen ist. Es ist nicht nur kulturellen Erbe dieses Landes ßer Leidenschaft. Worauf es dabei re Nachfahren anhand historischer eine wunderbare Aufgabe, Denk- seitens aller Beteiligten ist fraglos. ankommt, werden wir im Laufe der Zeugnisse erlebbar bleibt. mäler wie diese zu erhalten, sie ist Jetzt gilt es, mit Augenmaß dem Veranstaltung sicherlich erfahren. auch gesetzlich vorgeschrieben. Umgang mit diesem Erbe eine zu- Ich freue mich darauf und wünsche Die spätgotischen Bildwerke am Das aber ist ohne finanzielle Unter- kunftsfähige Grundlage zu geben. uns allen, meine Damen und Her- Niederrhein sind solche Zeugnis- stützung schwer möglich. Gerade Auch und gerade in Zeiten drama- ren, einen interessanten und denk- se. Auch, wenn vor dem Gesetz alle in den letzten Wochen ist in zahl- tischer Konsolidierungserforder- würdigen Denkmaltag. Denkmäler gleich sind, so möch- reichen Medien und sog. offenen nisse. Und Sie dürfen mir glauben, te ich doch behaupten, dass die Briefen von einem Rückzug aus ich weiß sehr genau, wovon ich Herzlichen Dank Kunstwerke, um die es uns heute dem Denkmalschutz in NRW die zumindest für das LVR-Dezernat für Ihre Aufmerksamkeit.

12 13 Grußwort Andrea Pufke, Landeskonservatorin und Leiterin des LVR-Amtes für Denkmalpflege im Rheinland

Sehr geehrte Frau Landesrätin wunderschönen historischen Rat- Karabaic, sehr geehrter Herr Bür- haus hier in Kalkar zu begehen. germeister, meine sehr geehrten Damen und Herren, Wir fühlen uns mit Ihrer großzügi- wie schön, dass wir in Kalkar sind gen und bei der Vorbereitung in je- und wie schön, dass Sie alle so dem Punkt unkomplizierten Gast- zahlreich der Einladung des LVR- freundschaft sehr geehrt. Und das Amt für Denkmalpflege im Rhein- hat in Kalkar Tradition: Zu Ostern land zu unserem Rheinischen Tag 1522 hatte ein namentlich nicht für Denkmalpflege gefolgt sind. genannter Kölner Weihbischof das Retabel des Sieben-Schmerzen- Sie kennen ja die Redeweise, dass Altar des Henrick Douwermann in Andrea Pufke alles, was zweimal stattgefunden St. Nicolai geweiht. Für dessen Be- Foto: Stephanie hat, schon Tradition ist. Insofern köstigung kam die Stadt Kalkar auf! Taubmann, LVR-ADR. nehme ich sehr gerne als nach ei- Dazu schreibt Barbara Rommé im nem guten Jahr noch relativ frische Standardwerk über den Schnitzer Landeskonservatorin diese Traditi- (1997): „Die Stadt Kalkar übernahm on der rheinischen Denkmalpflege bei herausragenden Ereignissen, auf und freue mich, dass es unse- wie dem Empfang von hochgestell- rem Amt auch in diesem Jahr ge- ten Persönlichkeiten der Kirche, lungen ist, heute bereits den dritten durch Geldgeschenke die Kosten Rheinischen Tag für Denkmalpfle- der Bewirtung.“ Und was im Mittel- ge zu veranstalten. alter galt, scheint auch heute noch in der freundlichen Stadt zu gelten. Sehr geehrter Herr Bürgermeister Fonck, Meine sehr geehrten Damen wir haben Sie nicht wirklich über- und Herren, reden müssen, sondern sind eher verraten darf ich an dieser Stelle, offene Türen eingerannt, als wir dass es mir ein persönliches Anlie- Seite gegenüber: fragten, ob wir die Stadt Kalkar als gen war, den Ort für unseren drit- Kalkar, St. Nicolai. Partner für diese Veranstaltung ten Denkmaltag am Niederrhein zu Blick nach Südost gewinnen können. Ich danke Ihnen suchen. Diese bezaubernd schöne mit Chor (Hochaltar), und Ihren Mitarbeiterinnen und Landschaft habe ich als eine der Marienaltar, Kanzel Mitarbeitern sehr herzlich für Ihre ersten Regionen im Rheinland in und Johannesaltar. spontane Zusage, den Rheinischen meinem neuen Amt bereist und ich Foto: Silvia-Margrit Tag für Denkmalpflege in Ihrem darf wohl auch verraten, dass sie Wolf, LVR-ADR.

14 15 mich seither nicht mehr loslässt. nahe gelegenen Kirche St. Nicolai rem breit gefächerten Fachwissen Aber wir müssen auch bedenken, Neben der Tatsache, dass dieser befinden, die mit ihrem bedeuten- kostenlos unterstützen. Bei den dass der schöne Glanz nicht zum Teil des Rheinlandes wegen seiner den Bestand an farbig gefassten spätgotischen Bildwerken sind vor Nulltarif zu erhalten ist. Lassen Sie landschaftlichen Reize immer eine Schnitzwerken wohl nicht zu Un- diesem Hintergrund nahezu alle mich abschließend zwei Sätze zur Reise wert ist, ist auf eigentümliche recht als Schatzkästlein des Rhein- Bereiche unseres Denkmalfach- aktuell diskutierten Kürzung der Weise nicht präsent, dass er mit ei- lands gelten darf. amtes beteiligt: Denkmalfördermittel des Landes nigen Gebieten in den benachbar- Nordrhein-Westfalen sagen: ten Niederlanden eine der bedeu- Die Ausstellung hat schon gleich Die Abteilung Inventarisation mit tenden Kunstlandschaften birgt. bei der Eröffnung deutlich ge- ihrer kunstwissenschaftlichen For- Private Denkmaleigentümer und macht, wie wichtig es ist, einen inti- schung, unterstützt durch fotogra- besonders die Kirchen erhalten mit In keinem Teil des Rheinlandes meren Blick auf die Kunstwerke zu fische Dokumentationen, manch- großem Engagement Ihre Denk- und darüber hinaus ist eine ähnlich werfen, die im Hell-Dunkel des Kir- mal aber auch durch die Analyse mäler im öffentlichen Interesse, reiche Dichte an herausragenden chenraums zwar zweifelsohne ihre des konstruktiv en Aufbaus eines und sie tun es mit z.T. sehr hohem spätgotischen Bildwerken, wie z. B. Pracht entfalten, aber für den Be- Altarschreines durch das Referat finanziellen Aufwand. Bei allem den großen Altarretabeln mit ge- trachter nicht in ihrem Szenen- und Bauforschung und nicht zuletzt – Verständnis dafür, dass auch die schnitzten und gefasstem Skulp- Detailreichtum oder ihrer z.T. aus- ganz entscheidend – durch umfang- Denkmalpflege einen Beitrag zu turenschmuck und Bildprogram- geprägten Expressivität zu sehen reiche kunsttechnologische und den Haushaltseinsparungen des men, erhalten. Begünstigt durch sind. So sind bisweilen erstaunliche restauratorische Untersuchungen Landes beitragen muss, eines wird die Lage an bedeutenden Han- Entdeckungen zu machen. und Proberestaurierungen der Re- in der Diskussion aber vergessen: delsstraßen entlang des Rheins staurierungswerkstätten. Die Landesförderung mit seit Jah- blühte die Region im 15. und 16. Ich möchte behaupten, dass alle ren sinkenden Budgets ist mehr Jahrhundert wirtschaftlich auf und Objekte dieser Kunstepoche, von Geradezu exemplarisch steht da- als nur eine anteilige finanzielle mit dem wachsenden Wohlstand denen wir heute einige vorgestellt mit Kalkar für die hervorragende Zuwendung, die ohnehin nie aus- entwickelten sich auch florierende bekommen, schön anzusehen sind. Zusammenarbeit des LVR-Amt für kömmlich war. Sie ist vor allem Künstlerwerkstätten für ein kunst- Was man ihnen nicht ansieht, ist die Denkmalpflege im Rheinland mit Wertschätzung für all die Men- sinniges Bürgertum, das diese Ob- kontinuierliche und manchmal auch der Kirchengemeinde St. Nicolai schen, die mit ihren bescheidenen jekte in Auftrag gab, z. B. in Kleve, mühsame und intensive Pflege und und der Kunstpflege des General- Mitteln beigetragen haben, die rei- und in Kalkar. Die überlie- Konservierung. Hier setzt die Arbeit vikariats des Bistums Münster. An che Denkmallandschaft des Rhein- ferten Werke prägen diesen künst- der Denkmalpflege – und hier setzt den intensiv von uns betreuten Ob- landes zu erhalten. Ich finde, daran lerischen Raum bis heute. Und so auch die Idee des Rheinischen Tags jekten können wir aufzeigen, dass darf es auch künftig nicht mangeln. haben wir uns vorgenommen, die- für Denkmalpflege an, den wir alle der Erhalt dieser Kunstdenkmäler se spätgotischen Bildwerke (neu) zwei Jahre veranstalten. nur dann erfolgreich gelingt, wenn Umso mehr freut es mich, dass der zu entdecken, in das Bewusstsein alle Partner gemeinsam daran ar- Landschaftsverband Rheinland uns und damit in das Zentrum unseres Unser Anliegen ist es, einem beiten. großzügig finanziell bei der Reali- diesjährigen Rheinischen Tags für breiten interessierten Publikum sierung dieses Denkmaltages un- Denkmalpflege zu rücken. möglichst alle Aspekte denkmal- Mein herzlicher Dank für diese terstützt hat. Mein herzlicher Dank pflegerischen Handelns an einem gute Zusammenarbeit gilt stell- gilt Ihnen Frau Karabaic, nicht nur Einen ersten Einblick in dieses bestimmten Thema vorzustellen vertretend Ihnen, Herr Pfarrer van für die finanziellen Mittel für diesen reiche Erbe haben wir vor gut 4 und dabei besonders die Arbeit des Doornick, und Ihnen, Herr Dr. Kar- Denkmaltag, sondern auch für Ihr Wochen mit einer kleinen Foto- LVR-Amt für Denkmalpflege zu er- renbrock, für das Bistum Münster. sehr offenes Ohr und Ihr Interesse ausstellung anlässlich des heuti- läutern. Wichtig ist es uns auch zu für die Anliegen der Denkmalpfle- gen Denkmaltags hier im Rathaus veranschaulichen, dass wir helfen- ge, die Sie nicht zuletzt mit Ihrer ein Geschoss über uns gewährt. der Berater vor Ort sind und wir als Anwesenheit heute hervorheben. Es sind Detailaufnahmen von Aus- amtliche Denkmalpflege Eigentü- stattungsobjekten, die sich in der mer und Verantwortliche mit unse- Sehr herzlichen Dank!

16 17 Der Niederrhein – Kunstlandschaft der Spätgotik

Godehard Hoffmann

Die Zeit der Spätgotik gehört zu Leuchtkraft der Farben genossen Seite gegenüber: den herausragenden Epochen der so hohes Ansehen, dass niederlän- 1. , europäischen Kunst. Dabei bilden dische Kunst auch in Italien Käufer Madonna des das 15. Jahrhundert zusammen fand. Mächtige Fürsten, wie der Kanzlers Rolin. mit dem ersten Drittel des 16. Herzog von Burgund, bestellten bei © Musée du Louvre. Jahrhundert stilistisch eine relativ van Eyck und anderen niederlän- einheitliche Phase. Nördlich der dischen Werkstätten Porträts oder Alpen wurden nun die Stilmerk- höfische Szenen, und sie erhielten male der Spätgotik intensiv her- von dort religiöse Bilder. Vor allem ausgearbeitet, bis sie schließlich Szenen des biblischen Heilsge- in überbordenden manieristischen schehens sowie das Leben der Hei- oder flamboyanten Formen aus- ligen sind nicht nur künstlerisch, klangen. In Italien blühte zeitgleich sondern auch inhaltlich auf ein ho- bereits die Renaissance, so dass hes Niveau geführt worden. die Eigenheiten der Spätgotik des Nordens umso deutlicher hervor- In der Spätgotik war es insbeson- treten. Dennoch standen beide dere nördlich der Alpen zu einer Kulturkreise Dank gut ausgebau- Verdichtung der religiösen Erzähl- ter Handelswege in einem engen stoffe in Bildern gekommen. Dabei Kontakt, so dass neue Technologi- nutzte die Bildkunst ihre Möglich- en, Geschäftsformen oder religiöse keiten, um Lücken im Erzählstoff – Ideen – ungeachtet unterschiedli- von denen es tatsächlich viele gibt cher Stilformen in der Kunst – aus- (beispielsweise in der Weihnachts- getauscht wurden. geschichte) – zu schließen. Was in den biblischen Texten nicht be- Die Niederlande waren seinerzeit schrieben war, wurde in Bildern das kreativste Zentrum für neue phantasievoll ergänzt, so dass be- Malerei und Skulptur nördlich der züglich der Erzählabläufe beim Be- Alpen. Die Gebrüder Jan und Hu- trachter kaum noch Fragen offen bert van Eyck entwickelten in Gent blieben. Nie wieder hat die Kunst innovative Malmethoden zu tech- des Christentums einen solch nischer Perfektion sowie nie wie- weiten Kosmos an Bilderzählun- der erreichtem Detailreichtum in gen geschaffen. Dabei wurden die der Darstellung. Die Ölmalerei, die Einzelheiten der Szenen bis hin zu Zentralperspektive und die aus tie- Mauerwerk, Kleidung und Pflanzen fen Malschichten herausgebildete sehr detailgenau dargestellt. All

18 19 das wirkt sich bis in die Gegenwart tanten Wissenslücken überspielte. Wirkungsstätten der berühmten auch in Zwolle tätig. In beiden Städ- aus – die Kunst der Spätgotik wur- Auf diese Weise wurden zentrale süddeutschen Bildschnitzer und ten hatte er angesichts größerer de zu einer „Schule des Sehens“ für theologische Inhalte in der Bild- Maler – Albrecht Dürer, Tilmann Aufträge Werkstätten gegründet, das europäische Kunstverständnis. kunst möglichst einfach und wie- Riemenschneider, Veit Stoß und wie wir anhand schriftlicher Do- dererkennbar dargestellt. Erst Matthias Grünewald – liegen recht kumente nachvollziehen können. Zu den Besonderheiten spätgoti- das späte Mittelalter entwickelte weit entfernt. Sehr viel näher sind Solch logistischer Aufwand hat sich scher Bildkunst gehört die Veror- die für diese Epoche typische, ge- die Niederlande mit ihren Kunst- offensichtlich gelohnt und war sei- tung der historischen Ereignisse schichtsbegeisterte Detailverses- zentren Brügge, Gent und Antwer- nerzeit auch nicht ungewöhnlich. in eine zeitgenössische Umgebung senheit, die in der spätgotischen pen; aber auch Mecheln, Utrecht und Kleidung. Tatsächlich wis- Kunst anschaulichen Ausdruck und andere Mittelstädte sollten Die dem Niederrhein am engsten sen wir bis heute nicht, wie Jesus fand. In gewisser Weise kündigten nicht unterschätzt werden. Da zwi- verbundene Metropole war Köln, Christus oder Maria aussahen sich hier bereits die Neuzeit und die schen beiden Regionen ein inten- damals nicht nur ein bedeutendes und wie sie gekleidet waren. Das späteren Geschichtswissenschaf- siver Handelsaustausch bestand künstlerisches Zentrum, sondern 2. Der Niederrhein Mittelalter hatte dieses Problem ten an. Die Darstellung biblischer und weithin sogar dieselbe Spra- auch eine der größten Städte des um 1547, Wester- über Jahrhunderte durch Verein- Ereignisse in zeitgenössischen In- che gesprochen wurde, gestaltete Mittelalters. Hier wirkte der als 3. Köln, Dom, manns Großer Atlas fachung und Typisierung gelöst, terieurs diente außerdem einem sich der künstlerische Austausch Stephan Lochner bekannt gewor- Marienkapelle, Altar zur Weltgeschichte. wobei Goldgrund eine überhöhte, handfesten pastoralen Zweck, denn auf einfache Weise. Er lässt sich dene Maler, der um 1445 das be- der Stadtpatrone, Braunschweig 1956, transzendente Szenerie suggerier- dadurch wurde ein hoher Grad an sogar anhand von Personen nach- rühmte „Dombild“ schuf, den Al- Mitteltafel. S. 96. te und zugleich elegant die ekla- Aktualisierung der Erzählinhalte vollziehen. So war der für den Nie- tar der Stadtpatrone im südlichen © Dombauarchiv erreicht. Auf diese Weise konnte derrhein bedeutende Bildschnitzer Chorumgang des Kölner Doms. Köln, Matz und der Betrachter sich viel leichter in Meister Arnt sowohl in Kalkar als Aufgrund seiner verkehrsgünstigen Schenk. das biblische Geschehen hineinver- setzen. Bildhintergründe zeigten scheinbar vertraute Landschaften mit Gebirgen oder ganze Städte mit Fluss, Mauern, Kirchen, Häusern, Mühlen etc. Immer wieder finden sich Versatzstücke aus bekannten Orten, die den Felsendom in Jeru- salem als Zentralbau mit Kuppel darstellen oder auch ganz konkret den unvollendeten Kölner Dom. Bis hin zur Mauerwerkstechnik sind Gebäude sehr genau wiedergege- ben, doch letztlich sehen wir über- wiegend Ideallandschaften, nur selten lässt sich ein präziser Orts- bezug Haus für Haus herstellen.

Kunsttopographie – Der Nieder­ rhein in der Spätgotik Schon ein kurzer Blick auf eine Karte des Rheinlandes im spä- ten Mittelalter vermittelt einen Eindruck von der künstlerischen Verortung des Niederrheines. Die

20 21 Lage stand Köln wiederum in ei- chen Veränderungen und religiö- 4. Kalkar, St. Nicolai. nem engen Austausch mit den sen Reformbestrebungen ange- Foto: Silvia-Margrit Niederlanden, weshalb auch be- sichts offensichtlicher Missstände Wolf, LVR-ADR. deutende niederländische Künst- in der Kirche. Die Wirtschaft und ler Werke in diese Stadt lieferten. der Handel nahmen einen enormen Zu den berühmtesten gehört der Aufschwung. Über die Hanse sowie um 1455 entstandene „Columba- freie Unternehmer konnten weite altar“ von , Handelsverbindungen betrieben der sich seit dem 19. Jahrhundert werden. Zugleich stiegen die Al- in der Alten Pinakothek in Mün- phabetisierungsrate und damit das chen befindet. Zwischen Köln und Bildungsniveau vor allem in den den Städten des Niederrheins gab Städten ganz erheblich. Religiöse es ebenfalls wechselseitige künst- Texte wurden nun auch in volks- lerische Beziehungen. So war der sprachlichen Ausgaben herausge- in Köln tätige Maler Bartholomäus geben, so dass des Lateins nicht Bruyn bei Jan Joest in Wesel aus- kundige Laien Zugang zu religiöser gebildet worden. Literatur bekamen. Die Erfindung des Buchdrucks führte schließlich Aufgrund dieses Austausches waren zu einer bis dahin ganz unvorstell- niederländische, niederrheinische baren Verbreitung religiösen und und kölnische Stilformen bisweilen profanen Schrifttums. Die Bettel- so eng miteinander verflochten, dass orden verstärkten die Entwicklung bei einigen Werken die exakte Her- durch die Herausgabe von Büchern kunft bis heute nicht geklärt werden sowie durch Predigten und waren konnte. Schließlich gab es aufgrund auf diese Weise mit dem städti- der geographischen Nähe auch Kon- schen Bürgertum eng verbunden. takte zwischen dem Niederrhein und In Kalkar sind das beispielsweise Westfalen, wie sich anhand der Ma- die Dominikaner gewesen, deren lerfamilie Baegert nachvollziehen Kloster zwar nicht mehr besteht, lässt, die wichtige Werke beispiels- dessen Kunstwerke aber zum Teil weise für Dortmund schuf. Anderer- in St. Nicolai erhalten sind. seits lässt sich der Niederrhein deutlich von den Zentren der Bild- Diese Entwicklungen zeigten im schnitzer und Maler in Süddeutsch- Verlauf des 15. Jahrhunderts nach- land abgrenzen. Die Diskussionen haltige Auswirkungen auf die darüber, ob von ihnen überhaupt Kunst und die Ausstattung von schen Bürgertums. Auftraggeber ders anschauliches Zeugnis dieser ein Einfluss auf die niederrheini- Kirchen mit Bildwerken: Eine ent- von Kunstwerken waren nun nicht Entwicklung. sche Kunst ausgegangen war, sind scheidende Bedingung für den mehr vorzugsweise der hohe Adel noch gar nicht abgeschlossen – Erwerb von Kunstgegenständen – und Bischöfe oder Äbte, die seit Gegen die im gesamten 15. Jahr- sicher war dieser aber nicht von beispielsweise teuren Flügelaltä- Jahrhunderten den bedeutends- hundert beständig geforderte Re- grundlegender Bedeutung. ren – war eine Auftraggeberschaft, ten Teil der Kunstwerke bestellt form der Kirche erhob sich bald Wi- die einerseits in inhaltlichen Fra- hatten. Zu den Kunden zählten nun derstand seitens des hohen Klerus Kulturelle Bedingungen und gen kompetent und andererseits auch Pfarreien, Bruderschaften, und von Teilen der Politik, vor allem Reformation zahlungskräftig gewesen ist. Diese Bettelordensgemeinschaften und gegen neue Formen unabhängiger Das 15. Jahrhundert war geprägt fand sich damals in der enorm Bürger. Die reiche Ausstattung von religiöser Betätigung. Theologen von umfassenden gesellschaftli- gewachsenen Schicht des städti- St. Nicolai in Kalkar ist ein beson- diskutierten kontrovers die Frage,

22 23 5. Zeichnung: was der Laie denn lesen dürfe. Und tholischen Teil (noch heute etwa an Christina Notarius, das diskursive Gespräch über Bi- den Grenzen der Niederlande und LVR-ADR. beltexte wurde Nicht-Klerikern in Belgiens ablesbar). In den nördli- manchen Städten sogar verboten. chen, vom Calvinismus beeinfluss- Missstände in der Kirche einerseits ten Niederlanden zerschlugen die Antwerpener Retabel im Rheinland und die fortschreitende Emanzipa- Bilderstürmer einen großen Teil tion der bürgerlichen Laien in reli- der gerade erst für die Kirchen ge- Antwerpener Retabel, Kleve giösen Fragen andererseits provo- schaffenen Kunstwerke, weshalb Kranenburg teilweise ohne Flügel erhalten

zierten schließlich heftige Konflikte die Überlieferungssituation spätgo- Rekonstruktionen mit Originalteilen vor allem in den habsburgischen tischer Kunst hier vergleichsweise Appeldorn nach Kriegszerstörungen Ländern, in denen das Herrscher- schlecht ist. Der Markt für religiöse Im 19. Jahrhundert ergänzte Flügel Kunstwerke brach anschließend Xanten haus auf einer sehr konservativen bleiben unberücksichtigt Haltung beharrte; das betraf vor weitgehend zusammen. Die Situ- allem die Niederlande. Als sich die ation am Niederrhein könnte sich anstehenden Probleme nicht lösen kaum deutlicher davon unterschei- Rheinberg ließen, kam es schließlich zur Kir- den, denn hier hatte eine tolerante chenspaltung – der Reformation. Religionspolitik des Herzogs von Straelen Kleve dazu geführt, dass die Kir- Im habsburgischen Brabant spitzte chen unangetastet blieben. Der auf NIEDERLANDE WESTFALEN Kempen sich die Situation dramatisch zu. diese Weise überlieferte Reichtum Der Augustinermönch und Schüler spätgotischer Kunst gehört zu den Süchteln Martin Luthers, Jacobus Praeposi- Besonderheiten Kalkars, aber auch Elmpt- tus, war nach Antwerpen gekom- der anderen Städte des Nieder- Overhetfeld men, um dort die Reformbemü- rheins. hungen zu fördern. 1521 wurde er jedoch in Haft genommen, zugleich Der Niederrhein als Zentrum Ophoven R H E I N wurden „ketzerische“ Bücher öf- der Schnitzkunst

fentlich verbrannt. Ein Jahr später Um 1500 stieg die Nachfrage nach Titz wurde das junge Antwerpener Au- geschnitzten Kunstwerken noch Müntz Linnich Rödingen Süggerath Boslar Mersch gustinerkloster durch den Magistrat einmal erheblich an. Die süddeut- Paffendorf Barmen abgebrochen. Antwerpen brachte schen Bildschnitzer schufen zu Güsten Köln Siersdorf kurz darauf die ersten Märtyrer der dieser Zeit Werke, deren Ruhm bis Aldenhoven Reformation hervor: Am 1. Juli 1523 heute anhält. Der Marienaltar von Merzenich wurden die Antwerpener Augusti- Tilmann Riemenschneider in Creg- Langerwehe Aachen nermönche Hendrik Voes und Jan lingen oder der Englische Gruß von van der Esschen auf dem Großen Veit Stoß in der Nürnberger Lo- Markt in Brüssel verbrannt, weil sie renzkirche gehören zum Standard- Zülpich ihren reformatorischen Ideen nicht programm von Kunstreisen. Wenn Euskirchen Heimbach Bürvenich entsagen wollten. auch in geringerem Umfang, so BELGIEN waren ebenso im niederdeutschen Die Durchsetzung der Reforma- Raum Schnitzer wie beispielsweise tion ging schließlich mit Tumulten Hans Brüggemann tätig. RHEINLAND - PFALZ und zermürbenden Kriegen einher. Die Niederlande zerbrachen im 16. Im frühen 20. Jahrhundert galten Jahrhundert in einen nördlichen re- diese Werke noch als nationale formierten und einen südlichen ka- Besonderheiten deutscher Kunst.

24 25 Doch diese Interpretation bedarf Kunstmarkt und blieb im Unter- Seite gegenüber: aus heutiger Sicht kritischer Dif- schied zu Köln eine Antwort nicht 6. Kempen, ferenzierung, denn Nationen im schuldig. Vor allem in Kalkar ist zu Propsteikirche modernen Sinn gab es im späten sehen, wie lokale Kräfte der Nach- St. Mariä Geburt, Mittelalter natürlich noch nicht. frage nach holzgeschnitzten Bild- Annenaltar. Foto: werken nachkamen. Außerdem Silvia-Margrit Wolf, Im Rheinland war dagegen die im zog man Schnitzer von außen hinzu LVR-ADR. hohen Mittelalter noch sehr aktive – wie Meister Arnt – was im Mittelal- Kölner Schnitzkunst in der Spät- ter durchaus üblich war, und gab ih- gotik erlahmt. In diese Lücke stie- nen dann Bürgerrechte, so dass sie ßen wiederum Niederländer vor, als „Kalkarer“ Künstler bezeichnet allerdings nicht aus den etablier- werden konnten. Aus dem reichen ten Kunstzentren wie Brügge und Erfahrungsschatz rheinischer und Gent, sondern aus der Handels- niederländischer Kunst schöpfend, und Hafenmetropole Antwerpen. gelang es am Niederrhein in er- Hier wurde eine unüberschaubare staunlich kurzer Zeit, etwas Neues Zahl neuer Werkstätten gegründet, zu schaffen. Die Werke der nieder- die sich auf Flügelaltäre mit ge- rheinischen Bildschnitzer lassen die schnitzten und vergoldeten Figuren Beziehungen zur niederländischen im Schrein spezialisierten. Durch Kunst und auch einige andere Ein- geschickte Vermarktung gelang es flüsse durchaus erkennen, dennoch den in der Antwerpener Lukasgilde haben sie etwas Eigenständiges. organisierten Meistern, nach 1500 so viele niederrheinische Städte zu Dabei ragen Meister Arnt und Hen- beliefern, dass sich in dieser Regi- rik Douverman (seit 1515 in Kalkar on bis heute von den 200 weltweit nachweisbar) heraus. Einflussrei- erhaltenen Antwerpener Retabeln che Schnitzer wie Henrik van Holt der größte Überlieferungsbestand oder Arnt van Tricht sind ebenfalls findet – nicht weniger als 36 Stück in Kalkar tätig gewesen; und ge- stehen in Kirchen (Museumsbestän- nannt sei hier auch Dries Holthuys de nicht berücksichtigt). Aufgrund aus Kleve, seinerseits Lehrer von einer hervorragenden Quellenlage H. Douverman. Die tolerante kon- lässt sich beispielsweise beim An- fessionspolitische Situation er- nenaltar in der Propsteikirche Kem- möglichte es einigen Werkstätten pen nachvollziehen, wie ein solcher sogar, bis in die Jahrhundertmitte Auftrag durchgeführt und finanziert für Kirchen tätig zu sein, während wurde. Der Antwerpener Meister andernorts längst kein Markt mehr Adrian van Overbeck erwies sich für solche religiösen Bildwerke dabei als geschickter Leiter einer existierte. anpassungsfähigen Manu faktur, die aktuelle Wünsche der rheini- Eine national aufgeladene Kunst- schen Kunden problemlos umset- geschichte hatte nach 1900 vor zen konnte. allem Douverman als einen „deut- schen“ Künstler mit expressivem Doch der Niederrhein reagierte Duktus interpretiert, dessen Leben auf die veränderte Lage auf dem überdies mit Krisen und Exzessen

26 27 ausstaffiert worden ist. All das kön- führte schließlich dazu, dass die nen wir heute aus guten Gründen in spätgotische Kunst nicht durch St. Nicolai in Kalkar. das Reich der Fabeln verweisen – Jüngeres verdrängt worden ist. Nur ohne Abstriche an diese Kunst ma- in wenigen anderen europäischen Ein Zentrum spätmittelalterlicher chen zu müssen. Die Bildwerke Regionen ist eine solche Konzen- Douvermans und anderer zeugen tration spätgotischer Kirchenaus- bis heute von einer schöpferischen stattungen mit zugehörigem litur- Bildschnitzerkunst am Niederrhein Phase der Kunst am Niederrhein. gischen Gerät sowie Paramenten Der wirtschaftliche Niedergang in erhalten. Hinzu kommen umfang- Reinhard Karrenbrock dieser Region, der im 17. Jahrhun- reiche Archivbestände, in denen die dert begann und bis weit in das historischen Hintergründe doku- 19. Jahrhundert andauern sollte, mentiert sind. Die St. Nicolaikirche in Kalkar – die Bautätigkeit deutlich beflügelte. eine spätgotische Hallenkirche des Bereits 1443 wurde mit dem Neu- 15. Jahrhunderts – ist für ihre un- bau des Langhauses begonnen, das gemein reiche, zumeist aus spät- nun, in den aktuellen Formen der mittelalterlicher Zeit stammende damaligen Zeit und mit maßgeb- – und somit zugehörige – Ausstat- licher Unterstützung des Herzogs tung bekannt, die sich hier über von Kleve, durch Johan Wyrenberg, die Jahrhunderte hindurch bis zum den herzoglichen Baumeister, als heutigen Tage bewahrt hat – in ei- dreischiffige, spätgotische Halle ner bemerkenswerten, künstleri- errichtet wurde. 1450 konnte die schen Qualität, die durchweg einen Kirche bereits neu geweiht werden, hohen Anspruch erkennen lässt, der Einzug der Gewölbe zog sich je- und in einer überbordenden Fül- doch noch bis um 1455 hin. Weite- le, für die sich – außer vielleicht in re Bauteile – die beiden Vorhallen, Xanten – im weiten Umkreis kaum die Verlängerung der Seitenschiffe Vergleichbares findet. nach Westen und die Umfassung des Turmes – schlossen sich ge- Zu Beginn des 15. Jahrhunderts gen Ende des Jahrhunderts an, wurde die bis dahin bestehende, wobei für das Jahr 1493 die Weihe ältere Kirche – ein dreischiffiger, des südlichen Nebenchores, des spätromanischer Tuffsteinbau der Liebfrauenchores, belegt ist. Die Zeit um 1230 – ab 1409 durch die Erhöhung des Turmes und die Er- heute existente Hallenkirche er- richtung der neuen Sakristei, die setzt, deren weiter Raum suk- für 1506 bezeugt ist, schließen die zessive in mehreren Abschnitten Bautätigkeiten ab. Der Baukörper errichtet wurde. Begonnen wurde der St. Nicolaikirche war damit in mit dem Chor, der zunächst an das seinen heutigen Dimensionen voll- ältere Langhaus angefügt wurde; endet. eine Hochaltarweihe ist für das Jahr 1418 belegt, wobei die Einwöl- Von dem ursprünglichen Schmuck bung des Chores erst 1423 erfolgte. dieses Baues ist nur wenig bekannt, 1441 wurde St. Nicolai, das bis da- wobei die Ausgestaltung des 1418 hin zum Einzugsgebiet der benach- geweihten Hochaltares, der bereits barten Kirche von Altkalkar gehör- im späten 15. Jahrhundert mit ei- te, zur Pfarrkirche erhoben, was nem neuen Retabel ausgestattet

28 29 wurde, sicherlich von besonderem dessen künstlerische Herkunft bis- der seit ca. 1457 den Chor und handenen Altäre von fünfzehn auf Interesse wäre. Aus den Anfängen lang nicht geklärt ist, dürfte damit das Langhaus voneinander trenn- acht verringert, wobei hier das St. dieses Kirchbaues hat sich jedoch eines der frühesten Sakraments- te. Dieser Lettner bildete zugleich Annen-Retabel, das bereits 1802 – als zentrales Werk der Ausstat- häuser am Niederrhein sein. auch die Rückwand des mittig da- aus der nur unweit entfernt lie- 1. Kalkar, St. Nicolai, tung – das aus Baumberger Sand- vor aufgestellten, von zwei Durch- genden Kirche des aufgelösten Innenraum zum stein geschaffene, hoch aufragende Für die Gesamtdisposition der Kir- gängen eingefassten Kreuzaltares, Dominikanerklosters nach St. Ni- Chor gerichtet. Foto: Sakramentshaus bewahrt, das zur che entscheidend war jedoch der der für den Gottesdienst der Laien colai gelangt war, eingeschlossen Silvia-Margrit Wolf, Kirchweihe 1450 vollendet gewesen an der Westseite des Chores auf- bestimmt war. Eine Skulpturenfol- ist. Der ursprüngliche Annenaltar LVR-ADR. sein dürfte. Das Sakramentshaus, gestellte, raumgliedernde Lettner, ge des Salvators und der zwölf Apo- der St. Nicolaikirche, ein zwischen stel, die heute auf dem Chorgestühl 1484 und 1492 entstandener Flü- aufgestellt sind, könnte aus der gelaltar des Weseler Malers Derick abschließenden Balustrade dieses Baegert, wurde dagegen 1826 an Lettners stammen, der 1818 bei das Königliche Museum in Antwer- der durchgreifenden Umgestaltung pen verkauft, wo sich die Mitteltafel der Kirche entfernt wurde. noch heute befindet; die zugehöri- gen Flügel sind dagegen verschol- Bis zu diesem Zeitpunkt befanden len. sich in St. Nicolai noch fünfzehn Altäre, die sämtlich mit geschnitz- Eine Vorstellung von der Pracht ten oder gemalten Altaraufsätzen und dem Aufbau eines derartigen geschmückt gewesen sein dürften; Flügelaltares vermittelt jedoch zwei weitere waren bereits in der noch heute der ebenfalls gemalte, Barockzeit entfernt worden. Ur- 1458 geweihte Antoniusaltar, des- sprünglich vorhanden waren einst sen Aufsatz – inschriftlich datiert demnach insgesamt siebzehn Al- in das Jahr 1460 – zu den frühes- täre, die jedoch, mit Ausnahme ten Altären der Kirche zu rechnen des Hochaltarretabels, im Laufe ist. Auf der breitgelagerten Mittel- 2. Kalkar, St. Nicolai, der Zeit mehrfach ihre Standorte tafel des mit beweglichen Flügeln Antoniusaltar, Detail: wechselten. Zwischen 1818 und ausgestatteten Retabels ist der Tod Marientod. Foto: Viola 1826 wurde die Zahl der noch vor- Mariens zu sehen, die auf ihrem Blumrich, LVR-ADR.

30 31 Sterbebett liegend zusammen mit der Bezeichnung „Kalkarer Schule“ den Aposteln dargestellt ist. Auf zusammengefasst. Eine differen- den Flügeln sind dagegen Ereig- ziertere Betrachtung, die aufgrund nisse aus dem Leben des Hl. Anto- der umfangreichen Forschung zur nius wiedergegeben, die – ebenso niederrheinischen Spätgotik mitt- wie bei der Mitteltafel – von einem lerweile möglich ist, zeigt jedoch, strahlenden Goldgrund hinterfan- dass die Bildhauer und Maler, die gen werden. Die hell leuchtende in Kalkar tätig wurden, zumeist von Farbigkeit, die durch kraftvolle Lo- außerhalb kamen – so etwa aus kalfarben bestimmt wird, und die Emmerich, , Kleve, Köln, ungemein feine, differenzierende Marburg, Münster, Utrecht, Wesel Zeichnung, die sowohl den Figuren oder Zwolle – und nur zeitweilig wie auch den Hintergründen zu ei- in Kalkar ansässig wurden, woran gen ist, zeichnen diesen bedeuten- sich der weitausgreifende Radius den, namentlich nicht bekannten der damaligen Handelsverbindun- Maler aus, der aufgrund seiner gen deutlich ablesen lässt. Die Bild- qualitätvollen Malweise und seines schnitzkunst der St. Nicolaikirche, charakteristischen Stils als unmit- die als besonderer Glücksfall der telbarer Vorläufer Derick Baegerts Überlieferung angesehen werden angesehen werden kann. kann, spiegelt diese Verbindungen noch heute wider – eine reiche, re- Ihren weit ausstrahlenden Ruhm ligiös fundierte Überlieferung, die und ihre immense Bedeutung ver- vom Leben der Kalkarer Bürger und Stiftung des Klever Herzogs – in ausgestattet wurde. Dargestellt ist 3. Kalkar, St. Nicolai, dankt die St. Nicolaikirche jedoch ihrer Bruderschaften berichtet, die seiner Werkstatt geschaffen wurde, das Leben und das Martyrium des Grabchristus, Kopf. ihrer ungemein reichen, spätgoti- als Stifter eine Vielzahl dieser Wer- sowie zwei Engel der Stiftskirche Hl. Georg; die zentrale Szene des Foto: Silvia-Margrit schen Ausstattung, die vornehmlich ke in Auftrag gaben. in Xanten, die 1477 nachweislich Retabels zeigt den Kampf des Hl. Wolf, LVR-ADR. zwischen 1480 und 1522 geschaffen in Kalkar erworben wurden. Durch Georg gegen den Drachen, wobei wurde und die noch heute das Er- Betrachten wir die zentralen Aus- urkundliche Quellen gesichert ist hier auch die Prinzessin Aja wie- scheinungsbild der Kirche maß- stattungsstücke der St. Nicolaikir- für ihn jedoch nur die Darstellung dergegeben ist, die von dem Heili- geblich bestimmt. Verstärkt wird che nun etwas genauer. Den Aus- Christi im Grabe im Südchor der gen aus den Fängen des Drachen dieser Eindruck durch die Neuord- gangspunkt einer jeglichen Beschäf- St. Nicolaikirche, die 1487 von der befreit wird. Besonders bemer- nung der Altäre, die bei der letz- tigung mit spätmittelalterlicher Liebfrauenbruderschaft bei ihm kenswert ist der St. Georgsaltar ten Restaurierung der Kirche zwi- Bildhauerkunst am Niederrhein in Auftrag gegeben wurde – das zudem durch seine farbige Fas- schen 1993 und 2000 erfolgte. Bei bilden dabei die Arbeiten des Bild- zentrale Werk der archivalischen sung, die, wenn auch im 19. Jahr- dieser Umgestaltung wurden die schnitzers Meister Arnt, dessen Überlieferung, von dem jegliche hundert teilweise erneuert, im We- Altarretabel – nun mit kraftvollen innovative, ja stilbildende Werke Zuschreibung an diesen Bildhauer sentlichen als original anzusehen steinernen Altarmensen versehen zu den bedeutendsten Leistungen ihren Ausgang nehmen muss. ist, was in dieser Vollständigkeit – an den Pfeilern des Langhauses des späten Mittelalters zu rechnen außerordentlich selten ist. Kenn- aufgestellt, wodurch der Raumein- sind. Dem ursprünglich aus Zwol- Um 1480, also nur wenige Jahre zeichnend erscheinen dabei die druck in seiner Prächtigkeit eine le stammenden Bildschnitzer, der zuvor, hatte die St. Georgsbruder- zumeist vergoldeten, durch azu- deutliche Steigerung erfährt. ab 1460 in Kalkar ansässig war, schaft in Kalkar ein Altarretabel in ritblaue und rote Partien akzentu- sind durch Stilvergleich eine Viel- Auftrag gegeben, dessen Schrein, ierten Gewänder, von denen sich Die Fülle der zumeist geschnitz- zahl von Werken zuzuschreiben. in drei Kompartimente unterteilt, die porzellanähnlichen Inkarnate ten Altarretabel, die bereits im 19. Herausragende Fixpunkte bilden durch Meister Arnt mit kleinteilig der Figuren prägnant absetzen. Jahrhundert als Besonderheit er- dabei das Chorgestühl der Minori- gearbeiteten Reliefs und gerade- Vollendet wurde das Retabel, des- kannt wurde, wurde lange Zeit unter tenkirche in Kleve, das 1474 – als zu vollplastischen Figurengruppen sen Figurenschrein vor 1484 – dem

32 33 bei Meister Arnt in Auftrag gegeben, großen Bildfeld zusammensetzen der seit dem Pestjahr 1484 Kalkar zu können. Die Arbeit hieran ging verlassen hatte und nun wieder in offensichtlich gut voran, wie ver- Zwolle lebte. Zur Vorbereitung die- schiedenen Abschlagszahlungen ses anspruchsvollen Projektes hat- zu entnehmen ist, da traf im Ja- ten sich die Provisoren zuvor Altäre nuar 1492 in Kalkar die Nachricht in Wesel, Zutphen, Deventer und ein, dass Meister Arnt gestorben `s-Hertogenbosch angesehen und war, was einen herben Rückschlag teilweise auch zeichnen lassen, so für die Fertigstellung des Retabels dass man sich schließlich mit Meis- bedeutete. Um den Fortgang des ter Arnt in Deventer, also ungefähr Projektes nicht zu gefährden, wur- auf halbem Wege, verabredete, um den die halb fertigen Reliefs dar- mit ihm über die Fertigung des Al- aufhin umgehend aus Zwolle nach tares zu verhandeln. Kalkar geholt, wo sie im Rathaus gelagert wurden. Die Suche nach Genauere Angaben über die Han- einem neuen Bildhauer gestaltete delsvergabe oder ein Vertrag hierzu sich jedoch schwierig. Mit Meister sind nicht bekannt, man wurde sich Raebe aus Emmerich, der zunächst jedoch handelseinig, so dass die angesprochen wurde, konnte keine Provisoren beginnen konnten, die Einigung erzielt werden; mit Meis- benötigten Hölzer zu beschaffen. ter Evert van Monster, wohl Evert Das Holz für das Gehäuse kauften van Roden, der eigens von Münster sie in Amsterdam, Kampen und nach Kalkar anreiste, wurde man Nimwegen, wohl sog. Wagenschot sich ebenfalls nicht handelseinig. aus dem Baltikum, das Holz für die 1498 schließlich wurde Jan van 4. Kalkar, St. Nicolai, Wegzug Meister Arnts nach Zwolle in Kontakt standen, wie der bereits geschnitzten Reliefs, das teilwei- Halderen, ein Mitarbeiter Meis- Georgsretabel. Foto: – fertiggestellt gewesen sein dürf- genannte, zwischen 1484 und 1492, se vom Herzog geschenkt wurde, ter Arnts, der mittlerweile wohl in Silvia-Margrit Wolf, te, durch gemalte Flügel, auf deren also nahezu zeitgleich entstandene stammte aus den klevischen Wäl- Rees ansässig war, mit der Aus- LVR-ADR. Innenseiten die Legende der Hl. Ur- Annenaltar – eine Auftragsarbeit dern. Angefertigt wurde der mo- führung zweier Figurengruppen sula dargestellt ist. Auf dem rech- von der Kalkarer St. Annenbruder- numentale Schrein des Retabels für die Predella beauftragt, die er ten Flügel ist die Hl. Ursula nach schaft – zeigt, dessen Mitteltafel nach dem Entwurf von Meister Arnt auch fertigstellte. Die feinnervige ihrer Ankunft in Köln zu sehen, vor sich heute in Antwerpen befindet. von zwei Kalkarer Kistenmachern, Charakterisierung der einzelnen ihr der Hunnenkönig, der an seiner die daran im gewölbten Unterge- Figuren, die den Werken Meister aufwendigen Rüstung und an sei- An seinem ursprünglichen Auf- schoss des Rathauses arbeiteten, Arnts zu eigen ist, fehlt hier jedoch nem Szepter zu erkennen ist. Auf stellungsort hat sich dagegen das und schließlich zu Ostern 1491, – wie an der Darstellung des Ein- dem Gürtel des Königs findet sich mächtige Hochaltarretabel erhal- noch ohne die figürlichen Reliefs, zugs in Jerusalem und des Letzten die Jahreszahl 1487, die als Datie- ten, dessen geschnitzter Schrein im Chor der Kirche aufgestellt; im Abendmahles deutlich wird – ganz, rung der gemalten Flügel angese- mit seinen weit ausladenden, Sommer folgten die unbemalten weshalb von einer weiteren Beauf- hen werden kann. Wo diese Flügel gemalten Flügeln den gesam- Flügel und die Ornamente. tragung abgesehen wurde. ausgeführt wurden, ob in Köln oder ten Kirchenraum dominiert. Das am Niederrhein, konnte bislang ungemein repräsentative Werk, Währenddessen arbeitete Meister Im Herbst 1498 wurde mit Ludwig nicht endgültig geklärt werden. dessen komplizierte Entstehungs- Arnt in seiner Werkstatt in Zwol- Jupan aus Marburg schließlich ein Die Altarflügel des Georgs altares geschichte in den Quellen nahezu le an den Reliefs, deren einzelne Bildhauer gefunden, der den Altar machen jedoch deutlich, dass die lückenlos dokumentiert ist, wurde Blöcke er bereits vorbereitet und zu Ende führen sollte, was für ihn Kalkarer Bruderschaften in diesen von den Provisoren der Bruder- aufeinander abgestimmt hatte, um sicherlich nicht einfach gewesen Jahren mit verschiedenen Malern schaft Unserer Lieben Frau 1488 sie schließlich in Kalkar zu einem sein dürfte. Anders als bei Meister

34 35 Arnt, dessen spannungsreich be- ab 1505 ausgeführt wurden. Zu Seite gegenüber: wegte Figuren vielfach frei vor diesem Zweck wurden die Flügel 5. Kalkar, St. Nicolai, dem Grund agieren, schuf Jupan zunächst zum Kloster Marien- Hochaltarretabel. insgesamt sehr viel reliefhaftere vrede (nahe Dingden) gebracht, wo Foto: Silvia-Margrit Figuren, wobei es ihm gelang, die möglicherweise der Entwurf erar- Wolf, LVR-ADR. verschiedenen Bestandteile des beitet wurde. Der in Flandern und Retabels zu einem großen Ganzen Holland tätige, somit weithin be- zusammenzufügen. Zusammen mit kannte Haarlemer Maler Jan Joest seinen Gesellen arbeitete Meister übernahm dann die Ausführung; Loedwich, wie er in Kalkar genannt er konnte die Gemälde schließlich wurde, daran zwei Jahre, bis die 1509 fertigstellen. Auf den Außen- anspruchsvolle Arbeit schließlich seiten sind zudem, beginnend mit im Verlaufe des Jahres 1500 fertig- der Verkündigung, weitere Szenen gestellt werden konnte. 1506 wur- aus dem Leben Christi zu sehen. de ihm zudem auch die Fertigung eines Marienaltares übertragen, in Auf den Gemälden, die an dieser dessen Einzelszenen von Jupan – Stelle natürlich nur genannt, aber unter Verwendung grafischer Vor- nicht näher charakterisiert werden lagen – das Leben Mariens darge- können, ist – weithin bekannt – das stellt wurde. Rathaus der Stadt Kalkar abgebil- det – eine minutiös wiedergegebe- Die Passion Christi, deren zentra- ne Darstellung, die das Gebäude in le Ereignisse auf den geschnitzten der Zeit um 1500 zeigt, mitsamt den 6. Kalkar, St. Nicolai, Teilen des Hochaltares dargestellt großen Toren des Untergeschos- Jakobusaltar, sind, wird fortgeführt auf den ses, hinter denen ja, wie erwähnt, Hl. Jakobus. in rechteckige Felder unterteilten, zeitweise an der Fertigstellung des Foto: Silvia-Margrit gemalten Tafeln, die schließlich Altares gearbeitet wurde. Wolf, LVR-ADR.

36 37 7. Kalkar, St. Nicolai, Sieben-Schmerzen- Retabel, Detail. Foto: Silvia-Margrit Wolf, LVR-ADR.

In diesen Jahren wurde darüber sein werden (mit Ausnahme der vor hinaus auch an der weiteren Aus- wenigen Jahren erworbenen süd- gestaltung der St. Nicolaikirche deutschen Madonna); als Bildhau- gearbeitet, was hier nur angedeu- er wird hier zumeist Kerstken van tet werden kann. Der Jakobusaltar, Ringenberg genannt. zu dessen Ausstattung bereits 1462 eine Vikarie gestiftet wurde, erhielt Hinzuweisen ist darüber hinaus – 1503 eine weitere Dotierung, die als zentrales, raumgreifendes Werk auf die Skulpturen des Altares zu der spätgotischen Ausstattung – beziehen sein dürfte. Im Zentrum auf das Chorgestühl, das 1505, des Schreins, der anhand der er- ebenfalls von der Liebfrauenbru- haltenen Flügel erst im Jahr 2000 derschaft, bei dem Weseler Stuhl- rekonstruiert wurde, ist als zent- macher Henrik Bernts in Auftrag rale Figur der Hl. Jakobus darge- gegeben wurde. Unmittelbar nach stellt – ein ungemein markantes, Vollendung des Gestühls wurde die größtenteils noch original gefass- Weseler Bernts-Werkstatt 1508 mit tes Bildwerk, das aufgrund seiner der Anfertigung eines großen Ma- charakteristischen Formensprache rienleuchters beauftragt, der von dem Klever Bildhauer Dries Holt- Henrik Bernts begonnen, nach des- Seite gegenüber: huys zugeschrieben werden kann. sen Tod aber durch Kerstken van 8. Kalkar, St. Nicolai, Unlängst rekonstruiert wurde zu- Ringenberg fortgeführt wurde. Die Sieben-Schmerzen- dem auch der Altarschrein der Hll. komplexe Entstehungsgeschichte Retabel. Foto: Crispin und Crispinian, deren über- dieses Leuchters, der sich bis zum Silvia-Margrit Wolf, aus modisch gekleidete, feinnervi- heutigen Tage in St. Nicolai erhal- LVR-ADR. ge Skulpturen um 1510 entstanden ten hat, wurde an anderer Stelle

38 39 bereits ausführlich dargestellt; sind in einzelnen Reliefs die Sieben 9. Kalkar, St. Nicolai, 1528 wurde er durch Henrik Dou- Schmerzen Mariens dargestellt, ein Annen-Retabel. verman verändert sowie schließlich in der Zeit um 1500 außerordentlich Foto: Stephan Kube, 1540 durch Arnt van Tricht im Stil beliebter, von Flandern ausgehen- Greven. der Zeit umgestaltet. der Bildtypus, für dessen Kom- positionen von Douverman zum Der Bildhauer Henrik Douverman, Teil recht ungewöhnliche Formen der zunächst in der benachbarten gefunden wurden. Fortgeführt wird Herzogsstadt Kleve tätig gewesen der Aufbau in einem üppigen Ge- war, wurde 1515 in Kalkar ansässig, sprenge, in dem Maria als apoka- wo er – nachdem er dort zuvor 1517 lyptische Frau dargestellt ist, die auch das Bürgerrecht erhalten hat- von Kaiser Augustus und der tibur- te – 1518 mit der Anfertigung des tinischen Sybille visionär erblickt Sieben-Schmerzens-Altares beauf- wird. Die zentrale Darstellung des tragt wurde – das herausragende Schreins bildet jedoch die Wieder- Werk seines Schaffens, das den gabe des Kreuzigungsgeschehens Nachruhm Douvermans begründe- im geschweiften Auszug des mitt- te und ganz maßgeblich auch zur leren Registers, in dem, innerhalb Bekanntheit Kalkars und seiner einer stark zerklüfteten Land- reichen, mittelalterlichen Überlie- schaft, der Volkreiche Kalvarien- ferung beitrug. berg zu sehen ist. Eine Besonder- heit bildet dabei die farbig gefasste Dieses überaus virtuos gearbeite- Gruppe der drei Gekreuzigten, de- te Werk, das von Douverman noch ren hell leuchtende Inkarnate sich ohne Flügel konzipiert worden war, aus dem ansonsten holzsichtig war für die kostbare Rahmung konzipierten Retabel hell hervorhe- eines älteren, wohl aus dem 14. ben und so besonders betont wer- Jahrhundert stammenden Gna- den. Ein derartiger Höhepunkt im denbildes („Onser liewen Vrouwe künstlerischen Schaffen wurde von ter Noet“) bestimmt, das im Zent- Douverman – weder zuvor noch da- rum des Retabels seine Aufstellung nach – jemals wieder erreicht. Zwei fand. 1811 wurde dieses Gnaden- weitere Altäre, die in den nachfol- Herzog Johann und seine Mutter ebenfalls in St. Nicolai aufbewahr- bild, das mittlerweile wohl recht genden Jahrzehnten von dem Bild- Maria von Burgund gestifteten Do- ten Werken erkennen, die einen brüchig geworden war, gegen ein hauer Arnt van Tricht für die St. minikanerkloster in Kalkar gehör- außerordentlich hohen künstleri- steinernes, barockes Vesperbild Nicolaikirche geschaffen wurden, ten. Nach der Aufhebung des Klos- schen Anspruch aufzeigen. Im Zen- ausgetauscht, das wiederum 1900 der Dreifaltigkeitsaltar (1535–40) ters 1802 wurden sie von St. Nicolai trum dieser Arbeiten steht das Re- durch eine neugotische Pietà er- und der Johannesaltar (1541–43), übernommen, darunter eine Dar- tabel des St. Annen-Altares, dessen setzt wurde. markieren dann, wie an ihren Re- stellung der Hl. Maria Magdalena nahezu quadratischer Schrein in ei- naissanceformen leicht ablesbar von Henrik Douverman, die stilis- nem einzigen Bildfeld Mutter Anna Der Altaraufbau erhebt sich über erscheint, bereits eine neue Zeit. tisch an die Bildwerke des Sieben- mit Maria und dem Kind auf einer einer hohen, mit filigranem Ast- Schmerzen-Altares anschließt und breit gelagerten Bank thronend werk geschmückten Predella, in Darüber hinaus haben sich der St. ungefähr zeitgleich, um 1520/25 zeigt, begleitet vom Hl. Joseph und der eine Wurzel Jesse ihren Aus- Nicolaikirche aber auch mehrere entstanden sein dürfte. den Männern der Hl. Anna, darüber gang findet, deren kleinteilige Ran- bedeutende Bildhauerarbeiten er- Gottvater mit den musizierenden ken den gesamten Schrein rah- halten, die ursprünglich zur Aus- Die Bedeutung des Klosters lässt Engeln. Die monumentalen, beina- mend umfassen. In diesem Schrein stattung des 1455 durch den Klever sich zudem an mehreren, heute he lebensgroßen Skulpturen, deren

40 41 10. Kalkar, St. Nicolai, 11. Kalkar, St. Nicolai, Christus in der Rast. Kreuzigungsgruppe. Foto: Stephan Kube, Foto: Stephan Kube, Greven. Greven.

sche Untersuchung bestätigt wird, Jahrhunderts weit verbreitet; eine die unlängst an den Figuren durch- derartige Darstellung findet sich geführt wurde. vornehmlich in Klöstern, wo derar- tige Bildwerke – zumeist im Kreuz- Demselben Bildhauer zuzuschrei- gang aufgestellt – als Andachtsbil- ben ist darüber hinaus eine ähnlich der verehrt wurden, wie etwa auch großformatige Darstellung Christi, in dem ebenfalls durch Maria von der nach der Dornenkrönung er- Burgund begründeten, unweit von Komposition sich eng an einen sichtig konzipiert, so wie der Altar schöpft auf die Kreuzigung wartet, Kalkar gelegenen Kloster Marien- Stich des zunächst in Kleve, dann in sich auch heute noch darstellt. Ge- auch „Christus in der Rast“ oder baum. Im Vergleich mit verwand- Bocholt ansässigen Kupferstechers schaffen wurde das Retabel gegen „Christus auf dem kalten Stein“ ten Darstellungen zeichnet sich Israhel van Meckenem anlehnt, Ende des 15. Jahrhunderts, was genannt. Dieses Thema war ins- der Kalkarer Christus jedoch durch waren wohl von Anbeginn an holz- auch durch eine dendrochronologi- besondere gegen Ende des 15. eine ungeheure Expressivität aus,

42 43 die den gesamten Körper kenn- Bildhauerkunst – wie der Sieben- zeichnet und erfasst – bis hin zur Schmerzen-Altar Henrik Douver- Vom Baum zum Bildwerk. angespannt verkrampften Hand, mans, der sich nur wenige Meter die der Figur erst vor wenigen Jah- entfernt ebenfalls in der St. Nico- Bildhauerkunst am Niederrhein ren zurückgegeben wurde, nach- laikirche befindet. Der Bildhauer dem sie zuvor im 19. Jahrhundert dieser bedeutenden Figuren, der entfernt worden war. bislang als „Meister des Kalkarer um 1500 St. Annen-Retabels“ bezeichnet Einen weiteren bedeutsamen Hö- wird, ist bislang nicht bekannt. Marc Peez hepunkt im Werk dieses Bildhauers Stilistische Vergleiche, die enge bildet die Triumphkreuzgruppe mit Übereinstimmungen mit ähnlich Der Niederrhein zählt mit seiner schung der dortigen Kunstwerke Maria und Johannes, die ebenfalls, bedeutsamen Bildwerken in Em- Fülle an spätmittelalterlichen Al- setzte bereits im 19. Jahrhundert zumindest teilweise, nach 1802 merich erkennen lassen, lassen es tarretabeln und Einzelskulpturen, ein und dauert bis heute an, ver- aus der benachbarten Klosterkir- jedoch – wie neuere Forschungen allen voran die Ausstattungen der wiesen sei an dieser Stelle auf die che nach St. Nicolai übertragen zeigen – denkbar erscheinen, die- St. Nicolaikirche in Kalkar und des Beiträge von Godehard Hoffmann wurde. Aus der Dominikanerkirche sen Bildhauer mit dem in Emme- Xantener Doms, aber auch die der und Reinhard Karrenbrock sowie stammen jedoch nur die beiden As- rich ansässigen Bildhauer Raebe St. Peter und Paul geweihten Kir- die zusammengestellte Literatur- sistenzfiguren mitsamt ihren Kon- Lambert Luetensoen zu identifi- chen in Straelen und Kranenburg, liste im vorliegenden Band. Aber solen, der zugehörige Gekreuzigte zieren, der dort zwischen 1478 und um nur einige Beispiele zu nen- auch aus kunsttechnologischer wurde dagegen in eine Kirche in 1506 archivalisch belegt werden nen, zu den reichsten und bedeu- Sicht boten und bieten die Werke Nijmegen-Neerbosch übertragen, kann und der ja, wie bereits bei der tendsten Kunstlandschaften dieser immer wieder Anlass für die Er- wo er sich noch heute befindet. Geschichte des Hochaltares darge- Epoche in Deutschland. Das kunst- forschung von Werktechniken, pri- Die beiden Bildwerke der Mutter- stellt, in Kalkar kein Unbekannter historische Interesse an der Erfor- mär jene der spätmittelalterlichen gottes und des Jüngers Johannes, war. Darüber hinaus lassen sich deren monumentale Gestalten in verwandtschaftliche Beziehungen 1. Kalkar, St. Nicolai, ihrer Komposition und in ihrer dif- Meister Raebes zu der begüter- Johannes der ferenzierten Durchbildung an bur- ten Kalkarer Familie van de Graef Kreuzigungsgruppe. gundische Vorbilder anschließen, nachweisen – allesamt Fragen, de- Rechts ein großer Ast gehören zu den herausragenden nen an anderer Stelle ausführlich im Bereich der linken Inkunabeln der niederrheinischen nachgegangen werden sollte. Schulter. Fotos: Stephan Kube, Greven, und Marc Peez, LVR-ADR.

44 45 Bildhauer, aber auch die der Fass- Eichenholz. Dendrochronologische Holz war durch Waldordnungen Schiffbau vorbehalten, Ausnah- maler. Aufbauend auf den Untersu- Untersuchungen und die selbst bei streng geregelt, gehandelt wurde men bestätigen jedoch auch hier chungen und Beobachtungen Ernst schnitzerisch höchst anspruchsvol- es auf Holzmärkten. Aber auch der die Regel. So konnte an den bei- Willemsens, in den Jahrbüchern len Werken häufig recht schlechte gezielte Kauf bzw. Einschlag von den Meister Raebe Lambert zuge- der Rheinischen Denkmalpflege Holzqualität legen nahe, dass vor- Bäumen ohne den Umweg über schriebenen Emmericher Heiligen der 1950er bis 1970er Jahre für die nehmlich in der Region gewach- einen Holzmarkt ist überliefert, so Agnes und Katharina, präsentiert in Skulpturenforschung wegweisend senes Holz verwendet wurde (Abb. in einer Quelle zum Kalkarer Hoch- der Emmericher St. Aldegundis- publiziert, folgen die Beiträge vor 1). Baltisches „Importholz“, in der altarretabel oder einer solchen Kirche, festgestellt werden, dass allem von Christa Schulze-Senger Kunstwissenschaft als Wagenschot aus Utrecht, die den Ankauf von beide Figuren aus ein und demsel- und Michael Rief. Im vorliegenden bezeichnet und uns von den Ant- durch Windbruch geschädigtem ben Stamm, und zwar aus überei- Beitrag soll anhand von untersuch- werpener, Brüsseler und Utrechter Holz durch Adrian van Wesel be- nanderliegenden Stammabschnit- ten und gut dokumentierten Ein- Werken primär aus der 1. Hälfte des zeugt. Vor allem bei großen Werk- ten, gearbeitet wurden. zelbeispielen ein kleiner Einblick in 16. Jahrhunderts sehr geläufig, fin- blöcken, wie sie für lebensgroße die Bildhauertechniken der Zeit um det sich im hier behandelten Gebiet Skulpturen und große Altarretabel- Doch zurück zu allgemeinen As- 1500 im betreffenden Gebiet ge- deutlich seltener. Durch die inten- Reliefs benötigt wurden, finden sich pekten des Werkprozesses bei der geben werden. Ganze Altarretabel sive Nutzung des Rohstoffs Holz, nicht selten zahlreiche Äste und so- Herstellung spätmittelalterlicher müssen aufgrund der Komplexität vornehmlich für den Gebäude- und mit ungeliebte Störungen im Holz. Holzskulpturen. Nach der Holzbe- und Materialfülle jedoch ausge- Schiffbau, dürfte die Beschaffung Folglich lassen sich diese Blöcke schaffung folgte zunächst sicher spart bleiben. von großen, gerade gewachsenen dem Bereich der beginnenden Kro- üblicherweise eine Lagerung und und weitgehend astfreien Eichen- ne eines Baumes zuweisen. Mögli- Trocknung des Materials, worüber Das bevorzugte und nahezu aus- holzwerkblöcken für die Bildhauer cherweise war dieses Holz günsti- wir jedoch mangels Niederschlag nahmslos verwendete Material der der Zeit schwierig und kostspielig ger bzw. die gerade gewachsenen in den Quellen bislang wenig wis- niederrheinischen Bildhauer war gewesen sein. Die Entnahme von Stammabschnitte dem Haus- und sen. Dennoch lassen sich anhand

2. Kalkar, St. Nicolai, 3. Kalkar, St. Nicolai, Christus in der Rast. Hl. Bischof. Fotos: In der rückseitigen Viola Blumrich, Ansicht unten rechts LVR-ADR. deutlich sichtbare Rußspuren. Vorderan- sicht: Stephan Kube, Greven; Rückansicht: Michael Thuns, LVR-ADR.

46 47 von überlieferten Stiftungs-, Rech- von Trocknungsschwundrissen im 5. Beispiel einer nungs- und Fertigstellungsdaten Holz zu minimieren. Ob diese Vor- Werkbank. Zeich- von Werken Rückschlüsse auf die gehensweise gängige Praxis war, nung: Marc Peez, Lagerung des Holzes ziehen. Heu- muss jedoch offen bleiben. Dass es LVR-ADR. te gehen wir von einigen wenigen immer wieder zu teilweise starker Monaten oder Jahren Lagerung Rissbildung kam, zeigen uns heute bei „natürlicher“ Trocknung aus. die zahlreichen Ausspanungen die- Allerdings mehren sich durch die ser radial auf den Kern zulaufenden systematische Untersuchung der Spalten. Hier wurden dünne Holz- Bildwerke Beispiele für eine Be- keile eingetrieben und eingeleimt, schleunigung des Trocknungspro- um diese Fehler zumindest ansatz- zesses, nachvollziehbar an den weise zu beheben. Auch wurden Abb. unten links: Rußspuren auf den Unter- und zahlreiche Figuren rückseitig aus- 6. Ausschnitt Holz - Rückseiten der Stücke. Interes- gehöhlt, ein sicher in erster Linie Einschlägen mit dem Dechsel sehr zu sehen, hier helfen uns jedoch schnitt nach Hans sant ist in diesem Zusammenhang zur Vermeidung der Rissbildung gezielt und gekonnt rückseitig das häufig die erhaltenen Spuren auf Burgkmair, 1531, ein bislang einzigartiger Fund, der ausgeführter Arbeitsgang. überschüssige Material eher „he- den Unter- und Oberseiten der Georg Pencz. zuletzt 1999 von Guido de Werd rausgebrochen“ als gezielt redu- überkommenen Figuren und Reli- Repro aus: Tilman publiziert wurde. Ein in einer Fi- Zum Zeitpunkt des rückseitigen ziert. Ein Kraftakt, durch den wohl efs. So zeigt die um 1470 gefertigte Riemenschneider – gur der Hl. Katharina gefundener, Ausnehmens der Holzblöcke wa- jede Einspannvorrichtung einer Figur eines Bischofs im Johannes- Werke seiner Blütezeit, beschrifteter Zettel bezeugt, dass ren die im Entstehen begriffenen Werkbank großen Schaden genom- altar der Kalkarer Nicolaikirche Ausst.-Kat. Main- diese Figur „ghesaden“ (gekocht) Werke wohl bereits grob angelegt men hätte. zwei paarweise Einstiche, die von fränkisches Museum und „ghebraden“ (gebraten), also und noch nicht zwingend in einer einer Metallgabel stammen, wie Würzburg, 2004, S.162. das Holz wohl gekocht und an- Bildhauer-Werkbank oder auf ei- Der Schnitzvorgang an sich dürfte sie auch in Süddeutschland, so bei schließend über dem Feuer ge- nem Werktisch befestigt, wie das jedoch in der Werkbank bzw. auf der Ulmer Werkstatt des Niklaus trocknet wurde. Vermutlich ging es Beispiel der Figur des Johannes dem Werkbanktisch, bei großen Weckmann, festgestellt wurden. Abb. unten rechts: dem Bildhauer, der uns hier einen Evangelist aus Mehr, um 1480 ent- Figuren möglicherweise auch im Eine solche Einspannspur belegt, 7. Martin Löffelholz, seltenen Einblick in seine Arbeits- standen, deutlich zeigt. Hier wurde Kiesbett erfolgt sein. Sämtlich be- dass die Figur hängend und nicht 1505. Ms. germ. qu. abläufe gibt, darum, das Entstehen mit einigen wenigen, brachialen kannte Abbildungen aus der Zeit auf einem Tisch liegend bearbeitet 132. Staatsbibliothek um 1500 zeigen die Werkblöcke wurde und zum Bearbeiten gedreht zu Berlin – Preussi- 4. Kalkar, St. Nicolai, liegend. Nur selten ist das Fixie- werden konnte, wie wir es auf einer scher Kulturbesitz Hl. Bischof, Unter- rungssystem der teils sehr un- Darstellung von 1531 sehen (Abb. Handschriftenabtei- ansicht. Foto: Viola terschiedlichen Bänke und Tische 6). Die Metallgabel verhinderte ein lung. Blumrich, LVR-ADR.

48 49 den wesentlichen Kriterien bei der 9. Martin Löffelholz, Untersuchung und Erforschung der um 1505. Ms. germ. Bildhauertechnik des Spätmittelal- qu. 132. (vgl. Abb. 7). ters. Neben der Stilkritik und der Analyse der durch die verwendeten Schnitzeisen und -messer entstan- denen Bearbeitungsspuren sind sie ein wichtiger und sehr hilfreicher Aspekt bei der Zuordnung zu ent- sprechenden Bildhauerwerkstät- ten. So kann an den beiden Figuren des Crispinus- und Crispinianusal- tares und den beiden – wesentlich kleineren – Figuren der Hll. Cunera und Laurentius, alle vier in der Kal- karer St. Nicolai-Kirche beheima- tet, belegt werden, dass eindeutig ein und dieselbe Einspannvorrich- tung genutzt wurde. Hierdurch wird die zuvor bereits aufgrund der Stil- kritik gemachte Zuschreibung an eine Werkstatt, wohl die von Kers- Werken in der Regel zahlreiche ten van Ringenberg, nachhaltig un- Anstückungen. Ganze Arme, Hän- termauert. de oder weit aus dem Block her- ausragende Bereiche sind zumeist Während kleinere Figuren biswei- separat gearbeitet und angefügt, 8. Miniatur aus der Verdrehen bei dem Behauen und geln oder auch Schrauben gedient len aus einem einzigen Stück gear- entweder mit Metall- oder Holz- Handschrift der Schnitzen der Figur. Im Gegensatz haben. Die Interpretation ist hier beitet sind, finden wir bei größeren nägeln oder auch nur geleimt. Bei Christine de Pisan, zu dieser Einspanntechnik finden jedoch im Vergleich zu den Spuren Brügge um 1460. wir jedoch auch Belege für Fixie- auf den Unterseiten der Figuren 10. Kalkar, Christus Ms. 2361, 34 verso. rungen, die eher eine liegende Po- häufig schwieriger, zumal entspre- in der Rast, Röntgen- Universitätsbibliothek sition auf einer Art Tisch belegen. chende Löcher auch von den Fass- aufnahme des linken Erlangen-Nürnberg, Wichtig sind in diesem Zusammen- malern genutzt oder eingebracht Arms. Foto: Michael Handschriftenab- hang die Abbildung des Nürnber- worden sein können, folglich mit Thuns, LVR-ADR. teilung/Graphische ger Patriziers Martin Löffelholz von dem Schnitzvorgang gar nichts zu Sammlung. 1505 sowie die Darstellung in einer tun haben müssen. Auch hier hel- Brügger Handschrift um 1460, die fen zeitgenössische Abbildungen uns beide einen Eindruck von ent- von Bohrern bei der Analyse dieser sprechenden Werkbanktischen ge- Bohrlöcher (Abb. 9). ben (Abb. 7, 8). In jedem Fall ist die exakte Auf- In den Kopfoberseiten finden wir nahme, Dokumentation und Ver- als Pendant zu den Einstichen in messung der entsprechenden Ein- den Standflächen häufig Bohrun- spannspuren und ein Abgleich mit gen, die zur Aufnahme von Metall- zeitgenössischen Abbildungen von dornen, Dübeln, großen Metallnä- großer Wichtigkeit und gehört zu

50 51 der Analyse helfen uns Röntgen- auch Schnitzmesser und der V-för- voll das Beispiel des Annenaltars in geschnitzten Werke sind nicht sel- aufnahmen, die, wie beim mensch- mige Gaißfuß gehörten zum Stan- der Kalkarer St. Nicolaikirche. Die- ten zunächst noch Applikationen lichen Körper auch, Strukturen und dardrepertoire der Bildhauer. Wie- ses um 1500 geschaffene Werk ist angebracht worden, in erster Li- Materialien sichtbar machen. Ein derum ist eine exakte Vermessung wohl schon ursprünglich holzsich- nie im Bereich der Gewandborten. gutes Beispiel hierfür ist die Figur und Aufnahme wichtig. Nicht sel- tig konzipiert und trug jedenfalls nie Hier finden wir kleine Holzstiftchen des Christus in der Rast in St. Nico- ten finden sich in den rückseitigen eine Farbfassung. Hierdurch lässt oder auch an Stecknadeln erin- lai in Kalkar, entstanden um 1500, Aushöhlungen der Figuren charak- sich die eindrucksvolle Schnitz- nernde Nägelchen aus Metall, die bei der der linke Arm mit mehreren teristische Spuren, die von Schar- technik besonders gut ablesen. die schnitzerische Angabe der Bor- Metallnägeln fixiert wurde (Abb. ten in den Schnitzeisen herrühren. Betrachtet man die feinplastische tenbereiche häufig noch ergänzen. 10). Entsprechende Anstückungen Durch diese Scharten entsteht so- Ausarbeitung vor allem der Ge- Beispielhaft sei hier die Bischofs- wurden bei zu kleinen Werkblöcken zusagen der Fingerabdruck eines sichter, so wird der Anspruch des büste, zugeschrieben Meister Arnt, nötig, zudem sind Teilbereiche der Werkzeugs. Findet man entspre- Bildhauers und der sehr gezielte in der Kalkarer St. Nicolaikirche Blöcke nicht selten zur besseren chende Werkzeugspuren auf zwei Einsatz unterschiedlichster Werk- genannt. Dort sind die runden Bearbeitung verdeckt liegender unterschiedlichen Skulpturen, so zeuge offensichtlich (Abb. 11). Mit Knöpfchen in der blauen Hohlkehle Bereiche einfach temporär abge- lässt sich nicht nur belegen, dass feinsten Schnitzeisen und Schleif- der Mitra sowie die „Perlenreihe“ nommen und später an gleicher sie in ein und derselben Bildhau- werkzeugen wurde eine Oberfläche der Borte der Dalmatik in entspre- Stelle wieder angesetzt worden. erwerkstatt, sondern auch zeitlich erzeugt, die sehr wohl auch ohne chender Weise angelegt (Abb. 12). nah beieinander gefertigt wurden. Farbfassung auskommt. Der über- Im weiteren Fortgang der Herstel- wiegende Teil spätmittelalterlicher Es folgt in der Regel eine zumeist lung spätmittelalterlicher Figuren Für die Werktechnikanalyse auf- Figuren war jedoch ursprünglich sehr dünne Grundierung aus Krei- folgt nun die detaillierte bildhau- schlussreich sind weiterhin Berei- farbig sehr aufwändig gefasst. degrund. Bisweilen erstaunt, wie erische Ausarbeitung. Auch diese che, die nicht bis ins letzte Detail dünn diese Lagen sind, wohl um die geschah weiterhin in bzw. auf der ausgearbeitet, sondern „in Bosse“ Fassungsoberflächen schnitzerisch detailliert und qua- Werkbank, somit wohl weitgehend belassen wurden. Hiermit werden unter der Lupe si schon vollendeten Oberflächen 11. Kalkar, St. Nicolai, liegend. Bei den Werkzeugen un- Partien angesprochen, die vom Noch vor dem Auftrag der Grun- mit ihren feinen Strukturen nicht Annenaltar. Foto: terscheidet man primär zwischen Bildhauer als später nicht einseh- dierung auf die Oberflächen der zu egalisieren. Aber auch das Ge- Stephan Kube, Greven. Ball-, Flach- und Hohleisen, aber bar angesehen wurden, häufig die Rück- und Oberseiten der Köpfe 12. Kalkar, St. Nicolai, der Figuren. Hier bekommen wir Bischofsbüste, Detail. einen direkten Einblick in den Ferti- Foto: Michael Thuns, gungsprozess, der hier quasi nicht LVR-ADR. vollendet wurde. Die Werkzeug- spuren sind roh belassen und nicht weiter abgearbeitet, überschnitzt oder beschliffen. Anders bei der feinplastischen Ausgestaltung, al- len voran die Gesichter und Hän- de der Figuren sowie die in dieser Zeit zumeist schnitzerisch präzise angegebenen Schmuckborten von Gewändern. Hier finden wir zuwei- len minutiös und bis ins letzte Detail ausgearbeitete Formen. Zu was für schnitzerischen Höchstleistungen es die Bildhauer am Niederrhein um 1500 brachten, zeigt eindrucks-

52 53 genteil kann der Fall sein. Durch Poliment und Anlegemittel, wer- oder auch hohl gearbeitet, wurden 14. Kalkar, St. Nicolai, einen dickschichtigen Auftrag in den Glanz- oder Mattvergoldungen leichte Vertiefungen in die zumeist Hl. Crispinianus. bestimmten Bereichen wurden vorgegeben. Das Zusammenspiel polierte Vergoldung eingeschlagen. Punzierungen mit bisweilen Unterlagen erzeugt, in beider Vergoldungsarten wird be- Durch die veränderte Reflexion einer Hohlpunze am die dann mit Hilfe von Graviereisen sonders deutlich an der Figur des entstehen charakteristische Effek- Gewandsaum. Foto: Strukturen eingearbeitet werden schlafenden Jakobs in einem der te, die die Muster je nach Lichtein- Marc Peez, LVR-ADR. konnten, die im Holz zuvor nicht drei „besloten hofje“ des Johan- fall sichtbar werden lassen. Am angegeben waren. Eine enge Ab- nesaltars, geschaffen in wesent- häufigsten wurden am Niederrhein sprache zwischen Bildhauer und lichen Teilen von Arnt van Tricht einfache Punktpunzen verwendet, Fassmaler sind folglich hier vor- und aufgrund der schon ursprüng- es finden sich aber auch Ringpun- auszusetzen. Abgeschlossen wird lich hinter Glas gezeigten Szene zen (Abb. 14) und durch kleine Za- der Grundierungsschritt üblicher- weitgehend unberührt (Abb. 13). ckenrädchen hervorgerufene Lini- weise durch den Auftrag einer Während das Untergewand matt en, die sogenannten „Rädelungen“. dünnen Lösche aus Glutinleim. vergoldet erscheint, ist die Man- Hierdurch wird die Saugfähigkeit telborte eindeutig poliert. Neben Eine weitere auf Blattmetallauf- der Grundierung gezielt einge- solchen Matt/Glanz-Effekten bil- lagen angewandte Technik ist die stellt, was für die nachfolgenden den die Blattmetallauflagen zu- des Sgraffitos. Hier decken lasie- wurde größter Wert auf eine sehr Aufträge von großer Bedeutung ist. dem die Grundlage für weitere, rende oder auch opake Farbflächen differenzierte Bemalung der Inkar- Es schließt sich zumeist die Anla- prachtvolle Schmucktechniken. Da die Vergoldung ab, bevor in einem nate gelegt. Kleine Fältchen neben ge der Blattmetallauflagen an. Am sind zunächst die eingeschlagenen nächsten Schritt aufwändige Mus- den Augen, Lichtreflexe auf den Iri- 13. Kalkar, St. Nicolai, häufigsten sind Blattgoldauflagen, Muster zu nennen, im Fachjargon ter mit einem spitzen Werkzeug den, Bartschatten und Fingernägel 15. Kalkar, St. Nicolai, “besloten hofje“. aber auch Silber und das billigere „Punzierungen“ genannt. Mit klei- wieder aus der Farbe herausge- bilden die handelnden Personen Georgsaltar. Blaues Foto: Viola Blumrich, Zwischgold fanden Verwendung. nen Metallstiften, entweder in ei- schabt werden. Hierdurch lassen möglichst realistisch ab und zeu- Sgraffito-Muster. LVR-ADR. Mit differierenden Unterlagen, wie ner abgerundeten Spitze zulaufend sich sehr prachtvolle und beeindru- gen von hohem Anspruch und Kön- Foto: Michael Thuns, ckende Gewandflächen imitieren, nen. Beeindruckend auch die schon LVR-ADR. wie wir sie bis heute am Georgsal- tar des Meister Arnt in Kalkar be- wundern können (Abb. 15).

Der eigentliche Farbauftrag der Fassungen kann in Art, Zusam- mensetzung und Wirkung von Flä- che zu Fläche sehr unterschiedlich sein. Bewusst wurden mit variie- renden Binde- und Farbmitteln Unterschiede in Glanzgrad, Sätti- gung und Deckkraft erzielt. Azu- ritblaue Flächen sind häufig dun- kelgrau bis schwarz unterlegt und bewusst matt eingestellt, farbige Lüster über Goldflächen und vor allem die Inkarnate zeichnet hin- gegen durchweg ein hoher Eigen- glanz aus. Selbst bei kleinteiligen Figuren und Reliefs, wie wir sie beim Kalkarer Georgsaltar finden,

54 55 erwähnte Büste des Meister Arnt, dete Hintergrund der Gemälde des deren Fassung erst dem Bischof Antoniusaltares von 1461 in St. Ni- Fragen zur Konservierung und porträthafte und sehr realistische colai in Kalkar genannt. Hier finden Züge verleiht. wir die als Kreispolitur bezeichnete Restaurierung sakraler Kunst Technik, bei der mit einem vermut- Als nächsten Schritt in der Fassung lich an einer Spindel befestigten der Bildwerke finden wir weitere Drehteller flächige Kreise in eine Martin Hammer Applikationen. Kleine vergoldete polierte Vergoldung geschliffen Plättchen aus dünnem Leder oder werden (Abb. 16). In Kombination Pergament und das Zaumzeug mit den aufwändigen Punzierungs- des Pferdes am Georgsaltar sind mustern auf den Gemälderahmen Der vorliegende Beitrag soll einen Vermeidung erneuter Verschmut- zunächst separat gearbeitet und dürfte die eigentliche Malerei ur- Einblick in die Beratungstätigkeit zung durch Ruß (spezielle Kerzen) anschließend aufgeklebt oder an- sprünglich äußerst beeindruckend der Abteilung Restaurierung ge- und Wachs (geeignete Tropfscha- gefügt worden. Kleine vergoldete und prachtvoll eingefasst gewesen ben. Beim Umgang mit sakraler len) ausgeschöpft werden. Sternchen wurden entweder aus- sein. Kunst ergeben sich aus konser- geschnitten und dann appliziert vatorisch/restauratorischer Sicht Prophylaxe oder aber aufschabloniert. In den Die Erforschung der bildhaueri- spezielle Fragestellungen. Die drei Bodenstrukturen des Hintergrun- schen und vor allem der fassmale- Themenblöcke – Prophylaxe, Kon- Klimaüberwachung: des am Georgsaltars sind kleine rischen Techniken am Niederrhein servierung, Restaurierung – wer- Häufigstes Thema in der Beratung 1. Der Marienleuchter Glassplitterchen in die noch nicht steht noch immer erst am Anfang den jeweils nur beispielhaft an- zur Prophylaxe ist die Regulierung wird feierlich einge- durchgetrocknete Farbe gestreut, und bedarf dringend der intensiven gerissen, dabei soll vor allem ein des Klimas im Kirchenraum. Fal- weiht. Foto: Martin beim Johannes aus Mehr wurde und vor allem systematischen Be- Eindruck von der Bandbreite und sches Heiz- und Lüftungsverhalten Hammer, LVR-ADR. Sand in dieser Technik verwendet. schäftigung. Vielschichtigkeit dieses Themas Aber nicht nur die Bildwerke zei- vermittelt werden. gen die herausragende Qualität der So fehlen bislang umfassende Un- 16. Kalkar, St. Nicolai, Fassmalerei am Niederrhein, auch tersuchungen zu den verwende- Grundsätzlich unterscheidet sich Antoniusaltar. Foto: die Gemälde weisen entsprechend ten Farb- und Bindemitteln sowie sakrale Kunst im Bereich der Denk- Viola Blumrich, hoch entwickelte Schmuck-Techni- der Vergleich zu den Maltechniken malpflege von musealen Objek- LVR-ADR. ken auf. Als Beispiel sei der vergol- der Tafelmalerei. Das LVR-Amt für ten durch die liturgische Nutzung. Denkmalpflege im Rheinland wird Beispiel: Der eben erst restaurier- sich auch zukünftig neben der kon- te, mittelalterliche Marienleuchter servatorischen Betreuung der Er- wird von der Gemeinde feierlich – forschung der Kunstwerke widmen mit Kerzen bestückt und in dichtem und verschreiben. Weihrauchnebel – eingeweiht (Abb. 1). Die Gemeinde hat die Restaurie- rung (Maßnahmen u. a.: Abnahme von Wachsflecken und rußhaltiger Schmutzschichten) durch Spen- dengelder finanziert und möchte ihn nun auch in Funktion nehmen. Was ist schließlich ein Leuchter ohne (echte) Kerzen? Erst durch die Illumination kommt seine Wirkung schließlich voll zur Geltung. Aus restauratorischer Sicht müssen andererseits alle Möglichkeiten zur

56 57 2. Klimatisch beding- plankt (Abb. 4). Während der Bau- 4. Einhausung eines te Schäden an einem phase sollte der Zustand der Ob- Altars. Foto: Martin Barockaltar. Foto: jekte kontinuierlich durch einen Hammer, LVR-ADR. Martin Hammer, Restaurator überwacht werden. LVR-ADR. Mitunter ist es günstiger, Objekte aus der Baustellensituation her- auszunehmen. Solche Transporte sind, je nach Größe und Empfind- lichkeit der Objekte aufwändig und erfordern ebenfalls entsprechende Vorplanungen, meist kommen hier- makontrolle, die Abnahme von für nur spezialisierte Kunstspedi- Verstaubungen und die Behebung teure in Frage (Abb. 5). kleinerer Schäden, wie beispiels- weise die Festigung kleinerer Fas- Wartung: sungsblätterungen (Abb. 6, 7). Eine regelmäßige Wartung verhin- dert häufig die Entstehung von grö- Konservierung ßeren Schäden. Selbstverständlich sollten sie nicht in Eigenregie er- Konservierende Maßnahmen die- führt zu Schäden insbesondere an Lüftungsverhaltens sind aus diesen folgen, sondern von Restauratoren nen, häufig im Vorfeld weiterfüh- gefassten Objekten aus Holz, also Gründen für den Erhalt des sakra- durchgeführt werden. Wartungen render restauratorischer Maßnah- beispielsweise Altären und Skulp- len Kunstguts von besonderer Be- beinhalten hauptsächlich die Kli- men, rein der Substanzerhaltung. turen (Abb. 2). Ungeeignete Heiz- deutung. systeme bzw. falsche Regulierung 5. Aufwändiger können zu Rissbildungen und Farb- Schutz auf Baustellen: Transport eines abplatzungen führen. Nicht regel- Dass die Ausstattung einer Kirche Altarretabels. Foto: mäßig gewartete Heizungsanlagen bei baulichen Maßnahmen ange- Martin Hammer, überziehen mitunter ganze Aus- messen geschützt wird, erscheint LVR-ADR. stattungen mit einer Staub- und selbstverständlich. Häufig erfolgen Schmutzschicht. Die Bildung von entsprechende Planungen jedoch Schimmelpilz kann durch richtiges zu spät oder sind unzureichend. Heizen und Lüften meist vermieden Eine provisorische Abdeckung mit werden. Die Kontrolle des Klimas Plastikplanen schützt nicht zuver- und die Überprüfung des Heiz- und lässig vor Baustaub. Mangelnde Dampfdurchlässigkeit der Planen 3. Schäden durch hält Feuchtigkeit am Objekt und unzureichende führt in kürzester Zeit zu Schäden Schutzmaßnahmen. durch Schimmelpilz (Abb. 3). Foto: Martin Hammer, LVR-ADR. Geeignete Einhausungen können z. B. einfache Kantholzkonstruk- tionen sein, die mit dampfdurch- lässigem Vlies bespannt werden. Mechanisch gefährdete Bereiche werden zusätzlich mit Platten be-

58 59 6. Professionelle Wartung durch Restauratoren. Foto: Martin Hammer, LVR-ADR.

le für die Substanzsicherung mit Freilegung: 8. Abb. links: konservatorischen Methoden sind Eine besonders massiv eingrei- Reinigung mit gleich- die Festigung von blätternden Fas- fende restauratorische Maßnahme zeitiger Abnahme sungs- und Malschichten mit spe- ist die Abnahme nicht ursprüngli- von Schimmelpilz. Ein Fortschreiten bereits bestehen- z. B. in Verbindung mit Pilzbefall ziellen Bindemitteln oder die Neu- cher, minderqualitativer Farbfas- Foto: Martin Hammer, der Schadensprozesse soll verhin- kann sie nur mit spezieller Ausrüs- verleimung gelöster Einzelbretter sungen, Übermalungen, Anstriche LVR-ADR. dert werden. tung wie Schutzanzug, Atemschutz, eines Holztafelbildes (Abb. 10). oder Überzüge. Hierdurch soll die Spezialsauger erfolgen. Also rein ursprüngliche Qualität einer Male- 9. Abb. rechts: Schäd- Reinigung: restauratorische Arbeit (Abb. 8)! Restaurierung rei, einer Fassung oder auch eine lingsbekämpfung mit Staub und Schmutz binden Feuch- ursprüngliche Materialsichtigkeit aufwendiger Mess- tigkeit auf den Oberflächen, ent- Schädlingsbekämpfung: Allgemein formuliert umfasst der wieder sichtbar gemacht werden. und Regeltechnik. sprechende Feuchteschäden sind Um aus den diversen Verfahren Begriff Restaurierung – in Abgren- Foto: Martin Hammer, die Folge, ggf. kann sich auch das geeignete auszuwählen, ist zung zur Konservierung – alle Maß- Hierzu einige Beispiele: LVR-ADR. Schimmel bilden. Die Reinigung die eingehende (unabhängige) Be- nahmen, mit deren Hilfe die Ables- An einem Marienaltar, Anfang 20. empfindlicher Oberflächen von ratung im Vorfeld unabdingbar. Zu barkeit der künstlerischen Qualität Jahrhundert, konnte durch die Ab- Kunstobjekten erfordert viel Er- berücksichtigende Faktoren sind bzw. der Aussage eines Objektes nahme eines roten Anstriches und fahrung, je nach Verschmutzung, insbesondere Art und Umfang des wieder hergestellt werden soll. speckig glänzender Überzüge die Befalls, Empfindlichkeit der Aus- 7. „Wartung“ in stattung. Von der Behandlung mit 10. Kontrolle und Eigenregie. Bildarchiv flüssigen Insektiziden muss im All- Festigung von LVR-ADR. gemeinen abgeraten werden. Zur Hohlstellen einer Auswahl stehen Begasungsver- Malschicht. Foto: fahren mit geeigneten Gasen oder Martin Hammer, Verfahren zur feuchtegesteuerten LVR-ADR. Wärmebehandlung, immer in Zu- sammenhang mit entsprechender Mess- und Regeltechnik (Abb. 9). Nächste Doppelseite: Substanzsicherung: 11. Altar im Vorzustand Gefährdete Substanz muss gesi- und Endzustand. chert werden, bevor sie unwieder- Fotos: Martin bringlich verloren geht. Beispie- Hammer, LVR-ADR.

60 61 62 63 12. Gemälde im Vorzustand und End- zustand. Fotos: Viola Blumrich (links), Silvia-Margrit Wolf (rechts), LVR-ADR.

originale Eichenholzsichtigkeit der ren können. Bei einem gotischen Architektur und die matte Farbig- Tafelbild, Anfang 16. Jahrhundert, keit der eingestellten Skulpturen wurden mit dem Firnis weitrei- wiederhergestellt werden (Abb. 11). chende Übermalungen abgenom- men (Abb. 12). Bei Gemälden sind es häufig ver- bräunte Firnisse und Übermalun- Durch die Abnahme der qualitativ gen, die die ursprüngliche Malerei minderwertigen Überfassung aus bis zur Unkenntlichkeit verunklä- den 1950er Jahren wurde an den

13. Marienskulptur im Vorzustand; Freigelegter Zustand, während der Retusche. Fotos: Martin Hammer, LVR-ADR.

14. Seite gegenüber: Freilegung mit Löse- mitteln und mit Skal- pell. Fotos: Martin Hammer, LVR-ADR.

64 65 Skulpturen eines Marienleuchters, Retusche: Anfang 16. Jahrhundert, die auf- Im Idealfall soll nach einer Frei- Der Meister von Elsloo: wändige Gestaltung der Fassung legung das freigelegte Original in des 19. Jahrhunderts wieder frei- seinem gealterten Zustand die Ge- ein Künstler ohne Grenzen gelegt (Abb. 13). samtwirkung des Objektes domi- nieren. Je nach Restaurierungsziel Freilegungsarbeiten sind meist soll die Retusche zu einer mehr Arnold Truyen sehr arbeitsaufwändig und zeitin- oder minder vollständigen Schlie- tensiv. Überfassungen bzw. An- ßung des Gesamtbildes beitragen, striche, die mitunter in kürzester sich gleichzeitig aber hinter dem Zeit aufgebracht wurden, müssen erhaltenen Original zurückneh- 2009 wurde innerhalb eines interna- die polychrom gefassten Oberflä- zentimeter- oder auch millimeter- men. Sie muss zwischen den erhal- tionalen Triptychon-Projektes eine chen in den meisten Fällen durch weise, teils in komplizierten Ar- tenen Fassungspartien bzw. Male- groß angelegte Studie eingelei- andere Gehilfen und nicht durch beitsgängen abgetragen werden. reifragmenten vermitteln, sich in tet mit dem Ziel, das Œuvre des die Bildschnitzer selbst ausgeführt Solche Arbeiten werden mit geeig- Nahbetrachtung jedoch gleichzeitig Meisters von Elsloo eingehend zu wurden. neten Lösemitteln, oder auch mit vom Original abgrenzen (Abb. 15). untersuchen. Die Verknüpfung von dem Skalpell unter dem Mikroskop kunsthistorischen, technischen und Der Meister von Elsloo war im durchgeführt (Abb. 14). archivarischen Untersuchungen heute belgischen und niederländi- 15. Mit Strichretusche sollte zu einem besseren Verständ- schen Limburg sowie im deutschen geschlossenes Inkar- nis für den Meister von Elsloo, des- Grenzgebiet tätig. Man nimmt an, nat einer mittelalter- sen Arbeit und Werkstatt sowie den dass sich die Werkstatt des Bild- lichen Reliquien- Einfluss anderer Werkstätten füh- schnitzers im heutigen Roermond, büste. Foto: Martin ren. der ehemaligen Hauptstadt des Hammer, LVR-ADR. Oberquartiers des Herzogtums Mit Stiluntersuchungen versucht Gelre, befand. Der Name dieses man, die spezifische Handschrift anonymen Meisters wurde 1940 eines Künstlers und seiner Werk- durch Professor Timmers von einer statt zu identifizieren, indem der Skulptur der Anna Selbdritt in der Stil einzelner sowie ähnlicher Wer- St. Augustine Kirche in Elsloo her- ke miteinander verglichen wird. geleitet. Die Anna Selbdritt dient Während der Studie von 2009 wurde als Referenzarbeit für Skulpturen dabei ein besonderes Augenmerk mit ähnlichen stilistischen Merk- auf den Arbeitsprozess gerichtet, malen. Die Skulptur befand sich in auf Werkzeuge und Arbeitsgeräte der Münsterkirche in Roermond, sowie technische und stilistische bevor sie 1850 nach Elsloo ge- Merkmale, die besonders charak- bracht wurde. Im Register der Ge- teristisch sind für den Künstler und meinde Elsloo von 1880 ist am 19. seine Werkstatt. August, also 40 Jahre, nachdem die Skulptur in die Kirche gelangte, fol- Ich wurde um Mitarbeit im Hinblick gender Eintrag zu finden: „Die Re- auf die materialtechnischen Un- staurierung dieser schönen Grup- tersuchungen der Holzskulpturen pe, geschnitzt aus einem Stück in niederländischen Sammlungen Eichenholz, die Heilige Anna, Maria gebeten. Die Untersuchung der po- und das Christuskind repräsentie- lychromen Fassung kann als sepa- rend ist beendet und bezahlt durch rates Thema gesehen werden, da Frau Hees-Willems und Priester

66 67 Vater Haenen. [...] 1898 wurde dem das in der Nähe seiner Wohnstät- dings bedeutet das nicht, dass diese fundenen Dokument ist angeführt, Priester durch einen Händler ein te oder Werkstatt zu finden war, Skulpturen von ein und demselben dass das Holz in Wasser gekocht Angebot über 1000 Gulden für die gebraucht hat. Es befanden sich Holzschnitzer gemacht wurden. Ist wurde. In diesem Dokument wird Skulptur gemacht.“ zahlreiche Wälder östlich und süd- es nicht vielleicht möglich, dass in erwähnt, dass die ganze Skulptur in östlich von Roermond, der Swal- einer Stadt wie Roermond mehre- einem Braukessel gekocht und an- Verschiedene Fragestellungen im mer und Elmpter Wald sowie ein re Holzschnitzer in einem ähnli- schließend in einem Ofen getrock- Bezug auf die Fertigung von Skulp- Wald in Wassenberg und einer in chen Stil wie der Meister von Elsloo net wurde. Die Skulptur der heili- turen konnten während der ausgie- Montfort. Die Vorschriften des 15. arbeiteten? Das könnte auch die gen Katharina befindet sich heute bigen Untersuchungen formuliert Jahrhunderts für Wälder erlaub- teilweise großen, stilistischen Qua- im Museum Kurhaus in Kleve. werden: ten es einer bestimmten Anzahl litätsunterschiede erklären. Eine von Leute, Schweine in den Wald zu Anzahl von Ästen, die in mehreren Wie dem auch sei, das Holz benö- Wie begann der Bildschnitzer, nach- treiben, um sie Eicheln fressen zu Skulpturen zu finden sind, weisen tigt einen bestimmten Feuchtig- dem er einen Auftrag erhalten hat- lassen. Das bedeutet, dass sich in darauf hin, dass der Holzschnitzer keitsgehalt, um richtig bearbeitet te, eigentlich seine Arbeit? der Nähe Roermonds Eichenwäl- Astholz verwendet hat. Wenn die- werden zu können. Oft kann eine Um seine Aufträge ausführen zu der befunden haben müssen. Bis- ser Teil abgeschnitten wird, bleibt spezifische Struktur des Schnitz- können, benötigte er Holz. Die Un- her haben Untersuchungen über ein Astloch sichtbar. Die Stämme eisens, zu sehen an der hohlen tersuchungen haben ergeben, dass die Arbeit des Meisters von Elsloo waren nicht immer gerade gewach- Rückseite der Skulptur, als Indiz die meisten Skulpturen aus einem zeigen können, dass er hauptsäch- sen und in manchen Fällen wurde dafür gewertet werden, dass das Eichenstamm oder einzelnen di- lich heimisches Eichenholz für sei- die Wuchsrichtung zwangsläufig in Holz während des Schnitzens nicht cken Ästen hergestellt wurden. ne Skulpturen gebraucht hat. die Form der Skulptur integriert. ganz trocken war. Eine andere Me- thode ist, den Holzkern früh zu ent- Wo kam das Holz her? Hatte der Nutzte der Künstler ganze Bäume? Wie verwendete der Meister das fernen, so dass der Baumstamm Bildschnitzer sein eigenes Holzla- Hat er diese in kleinere Stücke zer- Holz? Musste es erst getrocknet schneller trocknen kann. Tatsäch- ger oder hat er es irgendwo anders sägt? Und hat er auch Stücke die- werden? lich ist in den meisten Fällen ein gekauft, z. B. auf dem Holzmarkt in ses Baumes an andere Holzschnit- Diese Frage ist immer schwierig zu Teil der Skulptur ausgehöhlt wor- Roermond? zer verkauft? beantworten. Bevor das Schnitzen den. Scheinbar benötigte der Holz- Aus den Archiven geht nicht her- Wie materialtechnische Untersu- beginnen konnte, mussten erst die schnitzer nur einen Teil des Hol- vor, ob es in Roermond einen Holz- chungen gezeigt haben, gebrauchte Rinde und das darunterliegende zes, um die nötige Tiefenwirkung in markt gab. Allerdings gilt es als der Meister von Elsloo manchmal Splintholz entfernt werden, da die- Figuren und Gewändern zu erzie- sicher, dass viel mit Holz gehandelt sehr dicke Stämme von spezifi- se sehr anfällig sind für Holzschäd- len. Zum Beispiel hat der Falten- wurde. Lastkahnschiffer konnten scher Form, z. B. für die Skulptu- linge und Pilzbefall. Als nächstes wurf im Kleid der Anna Selbdritt in angeheuert werden, um das Holz ren in Elsloo und Montfort. Diese wurde der Baum in Stücke gesägt Elsloo und der Skulptur in Rindern über die Maas zu transportieren. Skulpturen wurden aus jenem Teil und in einem Holzlager gelagert, eine Tiefe von ca. 10 cm, während Diese Schiffer waren hauptsächlich des Stammes gefertigt, der sich in so dass das Holz im Wind trocknen die Falten in der Montfort Skulptur in Liège und Roermond ansässig. zwei Stämme aufspaltet. konnte. Während des Trocknungs- nur 7 cm tief sind. Das ist die Länge Eine Liste, datierend vom 28. Mai prozesses entwickelten sich oft einer Streichholzschachtel! 1593, führt die Namen aller Last- Eine wichtige Frage ist, ob der Spalten und Risse im Holz. Diese kahnschiffer aus Roermond, einge- Meister von Elsloo mehrere Skulp- wurden dann später mit Eichenkei- Allerdings kennen wir auch viele teilt in 7 Gruppen zu 10 Personen, turen aus ein und demselben Baum len aufgefüllt. Das ist auch heute Elsloo Skulpturen, die nicht aus- auf. Die Schiffer arbeiteten oft mit geschnitzt hat? noch bei vielen Elsloo Skulpturen gehöhlt worden sind und in denen kleinen Booten, die Holz aus den Die dendrochronologische Unter- sichtbar. Eine weitere Möglichkeit sich noch der Holzkern befindet. Ardennen transportierten. Im 16. suchungen haben ergeben, dass ist, dass der Künstler das Holz sehr Jahrhundert bezeichnete man die- mehrere Skulpturen aus einem schnell benötigte und dass dann Der vorliegende Beitrag bespricht ses Holz als Maesholt (Maasholz). Baumstamm geschnitzt worden andere Trocknungsmethoden an- kurz die Untersuchungen, die an Es ist allerdings auch möglich, sind, so wie einige Skulpturen aus gewandt wurden. In einem in einer einigen Schlüsselfiguren der Els- dass der Meister von Elsloo Holz, Siersdorf und Neeroeteren. Aller- Skulptur der heiligen Katharina ge- loo Gruppe ausgeführt wurden,

68 69 und deren Ergebnisse. Diese Un- den Pfosten der Werkbank zu fixie- solche zu bestimmen. Man weiß 1. Elsloo, St. Augus- tersuchungen in den Niederlanden ren. Außer den runden Stiftlöchern nicht genau, wonach man sucht tine Kirche, Anna und Deutschland sind im Übrigen konnte eine andere Werkspur, ver- und was zusammengehört. Oder ist Selbdritt. noch nicht abgeschlossen. Wäh- ursacht durch die Werkbank, iden- es eine Spur, die ein einzelner Ha- Foto: Arnold Truyen, rend materialtechnischer Untersu- tifiziert werden. Diese Spuren- be ken hinterlassen hat? Ausschließ- SRAL Maastricht; chungen der Skulpturen hofft man, stehen in einigen Fällen aus zwei, lich die exakte und konsistente Bildbearb.: Viola ähnliche Schnitzspuren, z. B. von nahezu parallel verlaufenden Ein- Vermessung der Spuren an der Blumrich, LVR-ADR. beschädigten Schnitzeisen her- kerbungen. Sie scheinen durch Skulptur selbst kann die nötigen rührend, oder Spuren einer Werk- eine gabelförmige Klemme verur- Informationen liefern. Und selbst bank zu finden, um anhand dieser sacht worden zu sein, die benutzt dann noch ist es schwierig, die Aussagen machen zu können, ob wurde, um den Holzblock während richtigen Schlüsse zu ziehen. die Werke in derselben Werkstatt des Schnitzens in der Werkbank zu entstanden sind. Um eine Werk- fixieren. Untersuchung an bank rekonstruieren zu können, einigen sogenannten sind mehrere Skulpturen notwen- Es stellt sich nun die Frage, ob eine Schlüsselfiguren: dig, die stilistisch einem Schnitzer Zuschreibung auf einen bestimm- oder einer Werkstatt zugeschrie- ten Künstler oder eine Werkstatt Anna Selbdritt Elsloo ben werden können. Aber dies ist gemacht werden kann, basierend Die Skulptur wiegt 80 kg. Die Rück- nicht ausreichend für eine genaue auf den Spuren und Markierungen, seite der Figurengruppe wurde 2. Elsloo, St. Augus- Rekonstruktion. verursacht durch den Gebrauch der kaum ausgearbeitet. Das bedeutet, tine Kirche, Anna Werkbank, die auf der Skulptur zu dass dieser Teil durch den Betrach- Selbdritt, Rückseite. Während der Untersuchungen an finden sind. ter nicht zu sehen war. Offenbar hat Foto: Arnold Truyen, verschiedenen Skulpturen nieder- die Skulpturengruppe sich immer SRAL Maastricht; rheinischer Werk stätten sowie von Untersuchungen der Skulpturen in einem Altar befunden. Bildbearbeitung: Viola Werken des Holzschnitzers Hans des Maastrichter Holzschnitzers Blumrich, LVR-ADR. Multscher aus Ulm wurden eben- Jan van Steffeswert fußten auf der Die dendrochronologische Unter- falls Werkspuren an den Skulptu- stilistischen Zuschreibung. Man suchung lieferte keine Ergebnisse, ren gefunden. Allerdings waren die kennt eine Gruppe von Skulptu- da das unregelmäßige Wachstum 3. Elsloo, St. Augus- Werkspuren zu unterschiedlich, ren mit ähnlichen Merkmalen. des Baumes mindestens drei Zen- tine Kirche, Anna um zu den Werkbänken, die diese Und einen Namen, den der Künst- tren hervorgebracht hatte. Darüber Selbdritt, Unterseite. Meister benutzt haben könnten, zu ler in die Skulpturen geschnitten hinaus waren nicht genug Jahrrin- Foto: Arnold Truyen, führen. hat. Die vergleichende Studie der ge vorhanden, um exakte Messun- SRAL Maastricht; Klemmspuren bestätigte, dass die- gen durchzuführen. Bildbearb.: Viola Nur bei Niklaus Weckmann und se Skulpturen in der Werkstatt des Blumrich, LVR-ADR. Jan von Steffenswert war eine Re- Jan van Steffeswert gefertigt wor- Die Figurengruppe wurde auf tra- konstruktion der Werkbänke mög- den sind. ditionelle Weise ausgehöhlt; die lich. Die den Skulpturen durch zwei Äste des Baumes wurden von Werkzeuge zugefügten Spuren er- Wenn man aber im Vorfeld keinen der Rückseite her ausgehöhlt. Die zählen von den einzelnen Arbeits- bestimmten Meister oder eine lose Skulptur wurde aus einem einzel- schritten während des Schnitzens. Gruppe von Künstlern im Kopf hat, nen Stück Eichenholz gearbeitet. Die Löcher, die oben und unten an ist es nahezu unmöglich, eine Zu- Das Holz kommt aus dem Teil des den untersuchten Skulpturen des schreibung zu machen, die aus- Baumes, wo er sich in zwei Stäm- Meisters von Elsloo zu sehen sind, schließlich auf den an der Skulptur me aufspaltet. Wir haben Löcher an weisen darauf hin, dass Holz oder sichtbaren Werkbankspuren fußt. der Unterseite der Skulptur gefun- Metallstifte verwendet wurden, um Zu Beginn der Untersuchungen ist den, diese scheinen aber nicht mit- den Holzblock horizontal zwischen es sehr schwierig, die Spuren als einander in Verbindung zu stehen

70 71 ermöglichte es dem Holzschnitzer, 5. Rindern, Anna auch schwierig zugängliche Berei- Selbdritt (H 129,5 cm; che in der Tiefe zu bearbeiten. Das B 95,0 cm; T 42,9 cm). Kind ist aus dem Hauptblock gear- Foto: Arnold Truyen, beitet. SRAL Maastricht; Bildbearb.: Viola Anna Selbdritt Rindern Blumrich, LVR-ADR. Anders als die Skulptur aus Elsloo ist diese an der Rückseite komplett ausgehöhlt. Die zwei Zentren auf der Unterseite weisen darauf hin, dass auch diese Skulptur aus der Baumkrone gearbeitet worden ist. Diese Skulptur wurde nicht dend- rochronologisch untersucht. Hin- sichtlich der Vermessungen könn- te es allerdings durchaus möglich sein, dass diese Skulptur aus dem Holz desselben Baumes gearbeitet 6. Rindern, Anna wurde wie die Elsloo Skulptur. Hier Selbdritt, Rückseite. sind ebenfalls keine Werkbankspu- Foto: Arnold Truyen, ren an der Unterseite zu finden. Es SRAL Maastricht; sieht danach aus, dass das Kind aus Bildbearb.: Viola dem Hauptblock gearbeitet worden Blumrich, LVR-ADR. ist, und dass der linke Arm separat angebracht worden ist. Es ist na- heliegend, dass ein beschädigtes Schnitzeisen für das Aushöhlen der Rückseite benutzt wurde. Bisher konnten diese typischen Merkmale nicht an anderen Skulpturen fest- gestellt werden.

7. Rindern, Anna Selbdritt, Unterseite. Foto: Arnold Truyen, SRAL Maastricht; Bildbearb.: Viola Blumrich, LVR-ADR.

4. Beispiel für eine pas- (es könnte sein, das es sich hierbei könnte. Große Skulpturen wurden sende Astgabel als Ma- um Nagellöcher handelt). Auf An- oft mit Metallhaken an Holzbalken terial für eine Skulptur. nas Kopf befindet sich ein einziges befestigt. Beide Arme des Kindes, Foto: Arnold Truyen, rechteckiges Loch, das während ein Teil des Buches und Annas linke SRAL Maastricht. des Schnitzens entstanden sein Hand sind separat angebracht. Das

72 73 8. Montfort, Anna Anna Selbdritt Montfort Anna Selbdritt Amsterdam 11. Amsterdam, Anna Selbdritt (H 84,5 cm; Professor Timmers zweifelte zwi- Sie ist aus einem einzigen, leicht Selbdritt (H 82,5 cm; B 50,5 cm; T 26,5 cm). schen dieser Skulptur und der Els- gekrümmten Baumstamm gefer- B 48,8 cm; T 22,2 cm). Foto: Arnold Truyen, loo Skulptur, als er den Notnamen tigt. Es bestehen keine Anzeichen Foto: Arnold Truyen, SRAL Maastricht; der Meister von Elsloo vorstellte. dafür, dass der Holzschnitzer beide SRAL Maastricht; Bildbearb.: Viola Nach weiteren Untersuchungen Skulpturen unabhängig voneinan- Bildbearb.: Viola Blumrich, LVR-ADR. entschied er sich für die Anna der gefertigt hat. Blumrich, LVR-ADR. Selbdritt aus Elsloo als wichtigste Arbeit des Meisters. Die Skulptur Anders als die anderen Anna Selb- aus Montfort ist auf der Rücksei- dritt Skulpturen ist diese an der te nicht vollständig ausgehölt. Der Rückseite nicht ausgehöhlt. Der Teil, der ausgehöhlt ist, hat eine Stammkern ist auf Annas rechtem glatte Oberfläche. Das Holz ist un- und Marias linkem Arm sichtbar. regelmäßig gewachsen und an der Er befindet sich an der Untersei- linken Seite ist zu sehen, dass hier te, gerade außen an der Skulptur. ein Ast wuchs. Diese Skulptur ist Werkbankspuren sind sichtbar und bisher nicht dendrochronologisch es sind quadratische Löcher zu se- hen, die in Paare gruppiert werden 9. Montfort, Anna untersucht worden. Selbdritt, Rückseite. können. Es ist schwierig zu sagen, 12. Amsterdam, Anna welche der Löcher tatsächlich zu- Foto: Arnold Truyen, Das Lendentuch ist eine spätere Selbdritt, Rückseite. sammengehören. SRAL Maastricht; Hinzufügung aus Blei. Die Unter- Foto: Arnold Truyen, Bildbearb.: Viola seite der Skulptur ist durch Schim- SRAL Maastricht; Fazit: Blumrich, LVR-ADR. melbefall und Holzwurmschaden in Bildbearb.: Viola Nur die eine Skulptur kann mit Si- Mitleidenschaft gezogen. Und auch Blumrich, LVR-ADR. cherheit dem Meister von Elsloo hier haben wir zwei Kerne und es zugeschrieben werden. Das ist die sind keine Werkbankspuren sicht- Skulptur der Anna Selbdritt aus der bar. Saint Augustin Kirche in Elsloo.

10. Montfort, Anna 13. Amsterdam, Anna Selbdritt, Unterseite. Selbdritt, Unterseite. Foto: Arnold Truyen, Foto: Arnold Truyen, SRAL Maastricht; SRAL Maastricht; Bildbearb.: Viola Bildbearb.: Viola Blumrich, LVR-ADR. Blumrich, LVR-ADR.

74 75 Es ist außerdem klar, dass die Es ist wahrscheinlich von unter- Skulptur nicht von einem Holz- geordneter Bedeutung, ob wir Der Niederrhein – schnitzer gefertigt wurde, der in nun einen bestimmten Meister Elsloo tätig war. So lange keine als Urheber dieser Skulpturen Kunstlandschaft der Spätgotik archivarischen Quellen erschlos- identifizieren können, angesichts sen sind, die eine Verbindung zwi- des hohen künstlerischen Wer- Eine Ausstellung der Fotowerkstatt des LVR-Amtes schen der Skulptur in Elsloo und tes der Hinterlassenschaft, die ihrem Schöpfer herstellen, wird mit dem Œuvre des Meisters für Denkmalpflege im Rheinland zum 3. Rheinischen Tag die Identität dieses Meisters un- von Elsloo in Verbindung steht. für Denkmalpflege in Kalkar, 5. Mai 2013 bekannt bleiben. Leider konnten Vielleicht wäre es angemessener, nach Abschluss unserer Untersu- einen neuen kollektiven Terminus chungen keine weiteren definitiven zu finden, der diese Gruppe von Im Anhang: Bildtafeln im ganzseitigen Format, S. 84–93 Zuschreibungen auf diesen Meister Holzschnitzern bezeichnet, da der gemacht werden. Es ist nahelie- Name des Meisters von Elsloo bis- gend, dass eine Anzahl von begab- her nur eindeutig der Anna Selb- Die nach einem Brand im Jahr 1409 ten Holzschnitzern zur gleichen dritt aus Elsloo zugeordnet werden nach und nach neu errichtete Kir- Zeit in dieser Gegend tätig war. kann. che war von Anfang an eine Pfarr- kirche. Also hat nicht der Konvent eines reichen Klosters oder Stiftes den Bau mit seinem imposanten Turm errichtet, sondern die Bürger der prosperierenden Handelsstadt Kalkar. Laien haben auch entschei- dend zur Ausstattung des Gottes- hauses beigetragen und dabei in künstlerischer Hinsicht eine glück- liche Hand bewiesen. Weil St. Nico- lai in späteren Jahrhunderten nur wenig verändert oder beschädigt wurde, bildet die Kirche heute eine der bedeutendsten Schatzkammern spätgotischer Kunst im Rheinland. Altäre, Skulpturen, Epitaphien, ein Chorgestühl und dergleichen mehr bilden eines der umfassendsten mittelalterlichen Sakralensembles in Europa.

Kalkar, St. Nicolai. Teil des nördlichen Langhauses mit Haus an der Altkalkarer Str. Foto: Silvia-Margrit Wolf, LVR-ADR, 2013.

76 77 St. Nicolai, Innenansicht mit der Kalkarer Bürger im späten Mit- on des Meister Arnt und zeigt sich individuelle Züge verleiht, sowie die Mittelschiff und Chor telalter. heute zwar noch immer holzsich- kleinen Metallstifte, die als Träger Der Besucher betritt die Kirche tig, war ursprünglich jedoch sicher für die vergoldeten Perlenapplika- durch den Westturm. Der Blick Hochaltar. Meister Arnt, für eine Farbfassung konzipiert. So tionen dienen. führt durch das hohe Mittelschiff Ludwig Jupan und Jan Joest, bleibt es heute den herausragen- der Hallenkirche zum Chor mit 1488 bis ca. 1510 den Flügelmalereien des Jan Joest Die Skulpturen des Georgs­ modern verglaster Apsis. Die Sei- Das Hochaltarretabel im Chor von überlassen, das Retabel farbig zu altars, Meister Arnt, um 1484 tenschiffe enden im Osten in Ne- St. Nicolai ist in vielerlei Hinsicht schmücken. Der Georgsaltar ist einer der we- benchören. Entlang der Mittel- bedeutend und ungewöhnlich. Der nigen Flügelaltäre des Nieder- schiffpfeiler sind auf (teils neuen) gravierendste Umstand ist, dass Bischofsbüste, Meister Arnt, rheins, die noch die ursprüngliche Altarmensen eine Fülle von Altar- der zunächst von der Bruderschaft um 1480/90 Farbigkeit der Skulpturen, also retabeln aufgestellt. Dies gibt ei- Unserer Lieben Frau beauftrag- Beeindruckend an der aufgestell- die „Farbfassung“ zeigen. Neben nen recht anschaulichen Eindruck te Bildhauer Meister Arnt, der um ten Büste in der Schatzkammer der detailreichen und qualitätvol- von den liturgischen Gewohnheiten 1488 mit den Arbeiten begonnen ist der vorzüglich erhaltene rote len Bildhauerkunst sind es vor im späten Mittelalter, denn damals hatte, 1492 überraschend verstarb. Lüster der Mitra. Die aufregende allem die differenzierten Fass- wurden Gotteshäuser wesentlich Folglich musste ein anderer Bild- Wirkung wird durch einen roten und Schmucktechniken, die dem vielfältiger genutzt. Die Stifter hauer das Werk vollenden. Nach- Farblack erreicht, der die darunter Bildwerk Bedeutung weit über St. von Altären finanzierten teils über dem kurzfristig Jan van Halderen, liegende Blattmetallauflage noch Nicolai hinaus verleihen. Beispiel- Jahrzehnte Zelebranten, die für wohl in Rees ansässig, Probear- leicht durchscheinen lässt. Dieser haft sei auf das Beinkleid der Figur das eigene Seelenheil mindestens beiten abliefern durfte, entschied Farbbereich war nie übermalt und unten rechts hingewiesen. Hier ist einmal in der Woche eine Messe man sich jedoch letztlich für Lud- zeigt sich somit seit über 500 Jah- die Farbe auf die zuvor angelegte zu lesen hatten. An den Chorsei- wig Jupan. Dies ist umso erstaun- ren in dieser Intensität. Die übrigen Vergoldung aufgetragen, die dann tenwänden steht ein Chorgestühl. licher, als dieser aus Marburg an Bereiche der Farbfassung wurden durch Einritzen mit einem spitzen Dieses wurde nicht wie üblich von der Lahn nach Kalkar kam, auf bereits 1957 durch die Abnahme Gegenstand wieder als Linienmus- Mönchen oder Chorherren genutzt, Vermittlung durch den Kalkarer von späteren Übermalungen frei- ter zum Vorschein gebracht wurde. sondern von Honoratioren der Weinhändler und Goldschmied Pe- gelegt. Zwei weitere Besonderhei- Diese „Sgrafitto“ genannte Tech- Stadt. Das Chorgestühl bezeugt ter van Rijseren. Die kleinfigurige ten sind der nuanciert angegebene nik ist nur eine von zahlreichen damit das hohe Selbstbewusstsein Szenerie steht ganz in der Traditi- Bartschatten, welcher der Figur Schmucktechniken. So handelt es

1. Abb. links: 3. Abb. links: Silvia-Margrit Wolf, Michael Thuns, LVR-ADR, 2013. LVR-ADR, 1992.

2. Abb. rechts: 4. Abb. rechts: Silvia-Margrit Wolf, Michael Thuns, LVR-ADR, 2013. Silvia-Margrit Wolf, LVR-ADR, 1987 und 2013.

Kalkar, St. Nicolai, Bischofsbüste von Meister Arnt (um 1480/90) Foto: Michael Thuns, 1992

Kalkar, St. Nicolai, Georgsaltar von Meister Arnt (um 1484) Fotos: Michael Thuns 1987, Silvia-Margrit Wolf 2013 Kalkar, St. Nicolai, Blick ins Hauptschiff Foto: Silvia-Margrit Wolf, 2013 Kalkar, St. Nicolai, Hochaltar, (Altarschrein 1488 - 1500, Flügel 1505/06 - 1508/09) Fotos: Silvia-Margrit Wolf, 2013

78 79 sich bei dem Zaumzeug des Pfer- Maler der Gemäldeflügel sind nicht noch ihre ursprüngliche, delikate zeitlich noch deutlich vor dem Sie- des um appliziertes dünnes Leder überliefert. Stilistisch gehört die Farbfassung, wie sie der gängigen ben-Schmerzen-Altar. Wie auch oder Pergament. Welcher Fassma- Malerei an den Niederrhein oder Praxis der Spätgotik entspricht. Im dort war dieser Verzicht ausdrück- ler für diese grandiose Arbeit ver- nach Köln, zwei damals eng ver- Zentrum des Altarschreines steht lich gewollt. Der Bildhauer, von antwortlich zeichnete, ist wie in vie- bundene Kunstlandschaften. heute ein Vesperbild, das erst der dem auch die Figur des Christus in len anderen Fällen nicht bekannt. Bildschnitzer Ferdinand Langen- der Rast sowie die beiden lebens- Sieben­Schmerzen­Altar, berg aus Goch im Jahr 1900 schuf. großen Assistenzfiguren der Kreu- Die Malerei des Georgsaltars, Henrik Douverman, Ursprünglich hatte Douverman hier zigungsgruppe im nördlichen Sei- Köln oder Niederrhein, um 1484 1518 – ca. 1521 ein damals bereits vorhandenes, tenschiff stammen, perfektionierte Auf den Innenseiten der Flügel die- Dieser Flügelaltar wird oft als eines älteres Wallfahrtsbild integriert, die schnitzerische Ausarbeitung ses Altarretabels sind Szenen aus der typischsten Bilderwerke der das aber nicht mehr vorhanden ist. und schuf Oberflächen von hohem dem Leben der vor allem in Köln Spätgotik am Niederrhein betrach- Reiz, die einer farbigen Vollendung verehrten Hl. Ursula zu sehen. Be- tet. Die ebenso filigran geschnitzte Annenaltar, um 1490/1500 nicht mehr bedurften. Nur die Au- sonders beeindruckend ist die na- wie ausdrucksstarke Wurzel Jesse Dieses Retabel stammt ursprüng- gen sind dezent malerisch ange- türliche Wirkung der Stofflichkeit in der Predella galt vielen Kunsthis- lich aus dem Dominikanerkloster deutet. der Gewänder. Die prächtigen Bro- torikern noch vor etwa hundert Jah- in Kalkar und wurde erst 1818, in kate der Ursula und ihrer Eltern bil- ren sogar als ein exklusives Werk Folge der Säkularisation, nach St. Spätgotischer Chormantel, den hier den Höhepunkt, aber auch deutscher Kunst – wiewohl solche Nicolai überführt. Zu sehen ist im um 1540 die schlichteren Gewänder der üb- nationalen Zuordnungen nicht der Zentrum „Anna-Selbdritt“, also die Der vermutlich um 1540 gefertig- rigen Beteiligten geben einen guten historischen Realität des späten Gottesmutter Maria, deren Mutter te Chormantel zeigt in den Hin- Einblick in die Mode des ausgehen- Mittelalters entsprachen. Anders Anna und das Jesuskind. Durch die tergrundarchitekturen der Figu- den 15. Jahrhunderts. Beeindru- als der deutlich ältere Hochaltar legendären Ehemänner im Hinter- renszenen bereits Elemente der ckend ist zudem die Rüstung des war das Sieben-Schmerzen-Reta- grund wird die Szene zur „Großen Renaissance. Wir sehen die auf Hunnenkönigs. Der Legende nach bel von Henrik Douverman als Werk Heiligen Familie“ erweitert. Auch dem Rückenschild ausgeführte hatte dieser Ursula angeboten, sei- ohne Farbfassung, also holzsichtig hier fällt sogleich auf, dass das Al- Pfingstszene, Maria umgeben von ne Frau zu werden. Als Ursula dies konzipiert. Einzig die hier abgebil- tarwerk keine Farbfassung trägt. den Jüngern, über ihr der Heilige ausschlug, tötete er sie mit einem dete Kreuzigungsgruppe ist farbig Es handelt sich um das früheste Geist. Die untere Aufnahme zeigt Pfeilschuss. Entstehungsort und bemalt. Diese Skulpturen zeigen holzsichtige Werk am Niederrhein, den halbkreisförmigen, in Brust-

5. Abb. links: Michael 7. Abb. links: Michael Thuns, Silvia-Margrit Thuns, LVR-ADR, 1973. Wolf, LVR-ADR,1987, 1992 und 2013.

8. Abb. rechts: Viola 6. Abb. rechts: Michael Blumrich, LVR-ADR, Thuns, Silvia-Margrit 2007. Wolf, LVR-ADR, 1996 und 2013.

Kalkar, St. Nicolai, Annenaltar (um 1500) Foto: Michael Thuns, 1973 Kalkar, St. Nicolai, Georgsaltar, Flügel (um 1500), kölnisch (?) Fotos: Michael Thuns 1987 und 1992, Silvia-Margrit Wolf 2013 Kalkar, St. Nicolai, Sieben-Schmerzen-Altar von Henrik Douverman (geweiht 1522) Fotos: Michael Thuns 1996, Silvia-Margrit Wolf 2013 Kalkar, St. Nicolai, Chormantel (um 1530/40) Fotos: Viola Blumrich, 2007

80 81 höhe mittels zweier Stoffriegel mit werden Reliquien aufbewahrt. Es ner niederrheinischen Landschaft dem Bildhauer Henrik van Holt zu- Haken und Ösen zu schließenden diente den Gläubigen als Andachts- wie in Hanselaer. Das spätgotische geschrieben. Die zentrale Madonna Chormantel aus dunkelrotem Sei- und Meditationsbild. Der träumen- Kirchlein birgt unter anderem in ist deutlich traditioneller gearbeitet densamt liegend ausgebreitet. Der de Jakob, die Engelchen auf der seiner Apsis einen Flügelaltar aus und sicher älter. Die Bemalung der Schmuckbesatz des Mantels – auf Himmelsleiter und Gottvater kön- der ersten Hälfte des 16. Jahrhun- Flügel ist hingegen jünger und in der Vorderseite Stäbe mit jeweils nen stilistisch dem Bildhauer Arnt derts. Wie beim Sieben-Schmer- das 17. Jahrhundert einzuordnen. drei Szenen aus der Passionsge- van Tricht zugeschrieben werden. zen-Altar in St. Nicolai zeigt sich Die Bemalung der Flügel von Al- schichte Jesu – ist gestickt. Die Die detailreich ausgeführten Pflan- hier das Zusammenspiel von holz- tarretabeln geschah nicht selten lasierend verarbeiteten farbigen zen, das sehr aufwändige, florale sichtigen Bereichen und farbig be- viel später als die Ausführung der Texte: Marc Peez, Seidenfäden (man spricht auch von Schmuckelement sowie die kost- malten, „gefassten“ Figuren. Die Schnitzerei, da die finanziellen Mit- Godehard Hoffmann, Lasurstickerei) vermitteln einen bar wirkende Verpackung der Re- beiden seitlichen Skulpturen der tel oftmals begrenzt waren. Gisela Hauck, malerischen Eindruck. Erwähnens- liquien werden vermutlich seriell Hl. Barbara und Katharina sind LVR-ADR. wert ist, dass der jetzige Zustand in Frauen klöstern oder Beginen- des Gewandes nicht ursprünglich häusern entstanden sein („Klos- ist, denn Stäbe und Schild gehören terarbeiten“). Die alles einfassende nicht zusammen. Kiste aus Eichenholz stammt, wie auch der Altarschrein selbst, ver- „Besloten Hofje“ mutlich vom Kalkarer „Kisteme- im Johannesaltar, ker“ Meister Rutger. Folglich haben Arnt van Tricht, 1541–43 wir hier eine Gemeinschaftsarbeit Dieses bezaubernde, für den da- vor uns, wie sie typisch für spätgo- mals eng verbundenen niederrhei- tische Altarwerke war. nisch/niederländischen Raum typi- sche Kunstwerk findet sich in der St. Antonius in Predella, der Sockelzone des Flü- Kalkar­Hanselaer gelaltares. Im kunstvoll gestalteten Nur selten erhält der Besucher die- „Paradiesgärtchen“ mit der Figu- ses beschaulichen Ortes einen so renszene des träumenden Jakob wenig veränderten Eindruck von ei-

9. Abb. links: Viola Blumrich, LVR-ADR, 2010.

10. Abb. rechts: Michael Thuns, Andreas Liebl, LVR-ADR, 2005.

Kalkar-Hanselaer, Annexkirche, Altarretabel (frühes 16. Jh.) Foto: Michael Thuns, Andreas Liebl, 2005

Kalkar, St. Nicolai, Johannesaltar (1541-43), Besloten Hofje (Paradiesgärtchen) Fotos: Viola Blumrich, 2010

82 83 Kalkar, St. Nicolai, Hochaltar, (Altarschrein 1488 - 1500, Flügel 1505/06 - 1508/09) Fotos: Silvia-Margrit Wolf, 2013

Kalkar, St. Nicolai, Blick ins Hauptschiff Foto: Silvia-Margrit Wolf, 2013 84 85 Kalkar, St. Nicolai, Bischofsbüste von Meister Arnt (um 1480/90) Foto: Michael Thuns, 1992 Kalkar, St. Nicolai, Georgsaltar von Meister Arnt (um 1484) Fotos: Michael Thuns 1987, Silvia-Margrit Wolf 2013

86 87 Kalkar, St. Nicolai, Georgsaltar, Flügel (um 1500), kölnisch (?) Fotos: Michael Thuns 1987 und 1992, Silvia-Margrit Wolf 2013 Kalkar, St. Nicolai, Sieben-Schmerzen-Altar von Henrik Douverman (geweiht 1522) Fotos: Michael Thuns 1996, Silvia-Margrit Wolf 2013

88 89 Kalkar, St. Nicolai, Annenaltar (um 1500) Foto: Michael Thuns, 1973 Kalkar, St. Nicolai, Chormantel (um 1530/40) Fotos: Viola Blumrich, 2007 90 91 Kalkar-Hanselaer, Annexkirche, Altarretabel (frühes 16. Jh.) Foto: Michael Thuns, Andreas Liebl, 2005

Kalkar, St. Nicolai, Johannesaltar (1541-43), Besloten Hofje (Paradiesgärtchen) Fotos: Viola Blumrich, 2010

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