Eötvös Loránd Tudományegyetem Bölcsészettudományi Kar

DOKTORI DISSZERTÁCIÓ

KAPCSÁNDI KATALIN

METAMORPHOSES MYTHORUM: DIE (VER)WANDLUNG DER MYTHEN MYTHOLOGISCHE ELEMENTE BEI FRIEDRICH DÜRRENMATT

METAMORPHOSES MYTHORUM: MÍTOSZOK (ÁT)VÁLTOZÁSAI MITOLÓGIAI ELEMEK FRIEDRICH DÜRRENMATTNÁL

ELTE BTK Irodalomtudományi Doktori Iskola Germanisztikai Irodalomtudományi Doktori Program

Témavezető: Dr. Orosz Magdolna egyetemi tanár

Budapest

2005 1. Einleitung...... 6

1.1. Problematisierung und Zielsetzung...... 6 1.2. Textauswahl...... 11 1.3. Stand der literaturwissenschaftlichen Forschung...... 12

2. Problematisierung des Begriffs Mythos: Geschichte und Theorie...... 15

2.1. Der Mythos...... 15 2.2. Die Funktion des Mythos...... 18 2.3. Eigenschaften und Wiederkehr des Mythos...... 20 2.4. Ent- und/oder Remythologisierung, Mythen in der Kunst...... 21 2.5. Neue Anregungen für die Mythosinterpretation im 20. Jahrhundert...... 23 2.6. Literarische Mythosbearbeitungen...... 32 2.6.1. Der Mythos in der Literatur der Postmoderne...... 32 2.6.2. Ein "Einzelgänger"(?) aus der Schweiz...... 35 2.7. Fazit...... 35

3. Friedrich Dürrenmatt: Von Gedanken zu den Schriften − Verwirklichung der Stoffe...... 37

3.1. Das Schweizerische Literaturarchiv: Arbeit mit den Manuskripten Dürrenmatts...... 37 3.1.1. Der literarische Nachlaß...... 37 3.1.2. Die verschiedenen Manuskriptformen ...... 39 3.1.3. Dürrenmatts Arbeitsweise seit den 70er Jahren...... 40 3.1.4. Probleme bei der textgenetischen Untersuchung der Manuskripte Dürrenmatts...... 41 3.2. Die Verwandlung der Stoffe...... 42 3.2.1. Der Begriff des Stoffes...... 42 3.2.2. Dramaturgie vom Stoffe her...... 42 3.3. Dürrenmatts Bildbegriff...... 48 3.4. Mythen - Dürrenmatts Mythosbegriff(e)...... 51 3.4.1. Der Gebrauch des Mythosbegriffs von Friedrich Dürrenmatt...... 53 3.4.2. Mythen in der Kunst...... 54 3.4.3. Das Verhältnis der Tragödie und Komödie zu den Mythen...... 55 3.4.4. Der Mythos des Staates...... 56 3.4.4.1. Der Mythos der Staaten...... 58 3.4.4.2. Die Schweiz als Mythos...... 59 3.4.5. Die Wissenschaft als Mythos...... 63 3.4.6. Die Mythen von Dürrenmatt - Dürrenmatt als Mythos...... 65 3.5. "Das Ursprüngliche war immer das Zeichnen"...... 66 3.6. Sprache...... 68 3.7. Schreiben...... 69 3.8. Bilder in der Schrift...... 74 3.9. Möglichkeiten der neuen Medien...... 81 3.9.1. Exemplarische Beispiele für Medienwechsel...... 83 3.9.2. Der Herkules-Stoff...... 87 3.9.3. Fazit...... 99

4.Dürrenmatts Mythosbearbeitungen - Werkanalysen...... 101

4.1. Dürrenmatts "Abschied vom Theater": Das Sterben der Pythia...... 103

2 4.1.1. Methodische Überlegungen...... 103 4.1.2. Kleine Entstehungsgeschichte...... 107 4.1.3. Der Stoff Delphi und Pythia: Historische Überlieferung...... 108 4.1.3.1. Die Orakelstätte...... 108 4.1.3.2. Die historische Pythia...... 110 4.1.3.3. Die Bedeutung und Schicksal Delphis...... 111 4.1.4. Ödipus: die antike Folie...... 112 4.1.5. Verschiedene Annäherungsweisen des Ödipus-Stoffes im 20. Jahrhundert...... 113 4.1.5.1. Freuds Ödipus...... 113 4.1.5.2.2. Die Proppschen Funktionen in dem Ödipus-Mythos nach Norbert Bischof...... 115 4.1.5.2.4.1. Der Ödipus-Mythos nach Lévi-Strauss...... 118 4.1.6. Ödipus-Gestalten bei Dürrenmatt...... 119 4.1.6.1. Interpretationsmöglichkeiten der Ödipus-Gestalt...... 121 4.1.6.1.1. Der heutige Physiker als Ödipus...... 121 4.1.6.1.2. Der Autor selbst als Ödipus...... 122 4.1.6.1.3. Die Menschheit als moderner Ödipus...... 122 4.1.7. Pythia-Gestalten bei Dürrenmatt...... 122 4.1.8. Dürrenmatts Ödipus-Bearbeitung: Änderungen an dem antiken Stoff...... 124 4.1.8.1. Dürrenmattsche Grundbegriffe in Dem Sterben der Pythia...... 124 4.1.8.1.1. Schicksal – Zufall...... 124 4.1.8.1.2. Tragödie und Komödie...... 125 4.1.9. Folie - Novum: ein Vergleich der Prätexte mit der Dürrenmattschen Variante...... 126 4.1.9.1. Orakel...... 127 4.1.9.2. Struktur (mit der Hilfe der Mythosinterpretation von Lévi-Strauss)...... 128 4.1.9.3. Wahrheit ...... 131 4.1.10."Flucht in die Akteure"...... 132 4.1.10.1. Die Hauptpersonen der Erzählung: die Pythia und der "Seher"...... 132 4.1.10.1.1.Isotopien im Textabschnitt...... 132 4.1.10.1.2. Pannychis und Tiresias laut Dürrenmatt ...... 135 4.1.10.2. Der Dürrenmattsche Ödipus...... 140 4.1.10.3. Jokaste – die Inzestthematik...... 140 4.1.11. Fazit...... 141 4.2. Die ungeschriebene Komödie – die geschriebene Erzählung: Die Verwandlung des Sokrates- Stoffes...... 143 4.2.1. Kleine Entstehungsgeschichte...... 143 4.2.2. Das Drama...... 144 4.2.2.1. Der historische Sokrates...... 147 4.2.2.2. Das Sokrates-Bild von Kierkagaard und seine Wirkung auf Dürrenmatt...... 151 4.2.2.3. Der Tod des Sokrates als Komödie...... 156 4.2.2.3. Der neue Prätext: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde von Karl R. Popper...... 162 4.2.3. Verwirklichung des Stoffes: Der Tod des Sokrates als Erzählung...... 166 4.2.3.1. Der Rahmen: Das Haus in den Stoffen ...... 166 4.2.3.2. Die Erzählung Der Tod des Sokrates...... 168 4.2.4. Fazit: Der Tod der Komödie, die Geburt der Erzählung...... 176 4.3. DAS Weltbild von Dürrenmatt: Die Entwicklung des Labyrinth-Motivs...... 177 4.3.1. Die Genese und die Quellen des Motivs...... 177 4.3.2. Bedeutugsebenen des Symbols Labyrinth...... 179 4.3.3. Versuche, das Labyrinth zu überwinden - Das dramatische Werk von Dürrenmatt...... 181 4.3.4. Ein Schlüssel für die Deutung: Dramaturgie eines Labyrinths...... 187 4.3.5. Das Labyrinth in der Prosa von Dürrenmatt ...... 190 4.3.6.Der Ausweg (?) aus dem Labyrinth: der tanzende Minotaurus...... 197 4.3.6.1. Minotaurus. Deutungsmöglichkeiten in der Antike...... 199 4.3.6.2. "Die Herrin des Labyrinthes"...... 202 4.3.6.3. Theseus...... 203 4.3.6.4. Die Transformation des Stoffes in Dürrenmatts Werk – intertextuelle Bezüge...... 205 4.3.6.5. Das Labyrinth der Ballade...... 208 4.3.6.6. Der Tanz...... 209 4.3.6.7. Das Spiegellabyrinth. – Entwicklungsprozeß des Minotaurus...... 212 4.3.6.8.Dualismus der Ballade...... 217

3 4.3.6.8. Der Tod – Ausweg oder schlimmstmögliche Wendung?...... 221 4.3.6.9. Das Labyrinth der Sprache...... 224 4.3.7. Das Labyrinth auf den Bildern...... 227 4.3.8. Fazit...... 229 4.4. Spiel mit den Möglichkeiten: der Midas-Stoff (1970 – 1983/84 – 1990)...... 231 4.4.1. Die Werkgenese...... 231 4.4.2. Folie - Novum (?): Der antike Mythos - die Dürrenmattsche Story...... 233 4.4.3. Das Treatment und das Drehbuch...... 234 4.4.3. Die Farben als Symbole...... 240 4.4.4. Namen als intertextuelle Hinweise...... 242 4.4.5. Die Ballade – ein Zwischenstadium...... 244 4.4.6. Midas oder Die schwarze Leinwand...... 247 4.4.7. Schwarz auf der Leinwand: Friedrich Dürrenmatts "Schwarze Bilder"...... 253 4.4.8. Fazit...... 254

5. Zusammenfassung – Ergebnisse der Arbeit...... 256

6. Anhang...... 260

6.1. Isotopie-Analyse ...... 260 6.2. Manuskripten im Schweizerischen Literaturarchiv...... 266

7. Literaturverzeichnis...... 279

4

1. Einleitung "Kerr: Welche Fassung veröffentlichst Du? Dürrenmatt: Die neue, die dritte. Eigentlich ist das die vierte, denn die erste hab ich auch schon geändert. Kerr: Also kommt die zweite, unsere erste, eigentlich die dritte, gar nicht heraus? Dürrenmatt: Die kommt dann nach meinem Tod noch heraus, für die Germanisten."1

1.1. Problematisierung und Zielsetzung 2

"Das Interesse am Mythos begleitet die moderne, auf wissenschaftlich-technische Rationalität begründete Gesellschaft, wie ein Schatten. Seit etwa 200 Jahren ist der Mythos Gegenstand von religionswissenschaftlicher Forschung, kunsttheoretischer Erwägungen, psychologischen und soziologischen Untersuchungen. Dieses breit ausgefächerte Interesse hat ein Motiv in dem Verlangen, den geschichtlichen Boden zu erblicken, von dem aus die Rationalität sich historisch abgestoßen hat."3 Zwar scheint der Begriff des Mythos allgemein verständlich zu sein, bei der näheren Untersuchung ergeben sich zahlreiche Probleme einer Begriffsbestimmung. Zuerst mußte deshalb die Mythosdefinition problematisiert werden. Es wurde festgestellt, daß die Begriffe Mythos-Mythologie-Mythisieren-Mystifizieren-Märchen-Sage-Legende oft miteinander verwechselt bzw. vermischt werden. Das Problem wird auch dadurch erschwert, daß sich verschiedene Disziplinen (Altertumswissenschaft, Theologie, Ethnologie, Kulturanthropologie, Literaturwissenschaft usw.) mit den Mythen beschäftigen, sie immer einen neuen Aspekt erhellen, aber nicht zu einem Gesamtbild führen. In dieser Arbeit wird es nicht bestrebt, eine neue, allgemeingültige Definition zu geben, da ich bezweifle, daß es eine solche gibt, aber in Anlehnung an die Minimaldefinition von Christoph Jamme ausgehend wurde versucht zu bestimmen, welche Eigenschaften die Verwandlungsfähigkeit des Mythos möglich machen. Ein besonderes Augenmerk galt den Theorien (psychoanalytische, strukturalistische Forschung), die den Umgang des schweizerischen Schriftstellers mit dem Mythos beeinflußt haben. 1 Dürrenmatt, Friedrich - Kerr, Charlotte: Rollenspiele. Zürich: Diogenes, 1986, S. 62f. 2 Da diese Dissertation auf einer mehrjährigen Arbeit fundiert ist, so daß einzelne Teile vor Jahren geschrieben wurden, sowie die Zitate aus den verschiedenen Archivmaterial und aus der Sekundärliteratur, der Werkausgabe usw. mit der alten Rechtschreibung geschrieben wurden, verwendet diese Arbeit einheitlich die alte Schreibweise. 3 Georg Scherer, in Symbol-Mythos-Sprache. Ein Forschungsgespräch. Hrsg. von G. Larcher. Annweiler, 1988, S. 19. Die verschiedenen Forschungen führen immer mehr zur Konklusion, daß die Überlebensfähigkeit des Mythos in der Kunst (Literatur) sich nicht an der Tradierung bestimmter mythischer Inhalte ablesen lasse, sondern der Mythos sei in der Moderne Form, Zeichen, "ästhetische Struktur" geworden.4 Als Forschungsdesiderat wurde von Christoph Jamme erwähnt, daß man diesen Ansatz nicht in Einzelanalysen verifiziert hat.5 Diese Arbeit versucht einen Teil dieser Riesenarbeit zu bewältigen, gleichzeitig ein anderes Desiderat zu füllen. Trotz der zahlreichen Studien, die sich mit Friedrich Dürrenmatt beschäftigen, gibt es keines, das die Mythen bei Dürrenmatt behandeln würde. Das Hauptanliegen der vorliegenden Arbeit war deshalb

- die Arbeitsweise des schweizerischen Schriftstellers darzustellen bzw. zu erklären,

- die Frage zu beantworten, warum die Mythen in seinem literarischen und malerischen Œuvre eine zentrale Position einnehmen.

Zuerst mußte ich den zu untersuchenden Korpus festlegen, und da begegnet man gleich dem Problem: welche Fassung des Werkes als Grundlage der Interpretation genommen werden soll, denn Dürrenmatt hat seine Werke immer wieder umgeschrieben, und es gibt keine textvergleichende, die diversen Fassungen der Stücke aufschlüsselnde Ausgabe der Werke Dürrenmatts. Zu Dürrenmatts nunmehr abgeschlossenem Gesamtwerk liegen drei Werkausgaben vor. Im Jahre 1980 erschien die vom Diogenes Verlag besorgte Werkausgabe in dreißig Bänden. Erhältlich sind ebenfalls die von Franz Josef Görtz betreuten Gesammelten Werke in sieben Bänden (1989), die jedoch in keiner Weise über den Befund der Werkausgabe hinausführen. Bei der Werkausgabe muß man sich fragen, welche Editionskriterien bei der Erstellung befolgt wurden. Die Stücke erschienen nämlich in "Neufassungen" bzw. "Endfassungen", die aufs Jahr 1980 datiert sind. Dürrenmatt gab folgende Anmerkung zur Textherstellung: "Es ging mir, im Gegensatz zu den verschiedenen Fassungen für die Werkausgabe nicht darum, die theatergerechten, das heißt die gestrichenen Fassungen herauszugeben, sondern

4 Ausgangspunkt dieser Theorie bildet das Werk von Clemens Lugowski: Die Form der Individualität im Roman. /M., 1932; siehe noch: M. Martinez (Hrsg.): Formaler Mythos. Beiträge zu einer Theorie ästhetischer Formen. Paderborn, München, Wien, Zürich: Schöningh, 1996 5 Jamme, Christoph: "Gott an hat ein Gewand". Grenzen und Perspektiven philosophischer Mythos- Theorien der Gegenwart. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999, S. XII. die literarisch gültigen. […] gebe ich im Folgenden - die ersten Stücke tastete ich nicht an - die dichterische Fassung wieder, eine Zusammenfassung verschiedener Versionen."6 Von einigen Anhängen abgesehen, bietet diese Werkausgabe keinerlei Aufschluß über die Genese dieser "dichterischen" Version. Die zu Dürrenmatts 60. Geburtstag erschienene Ausgabe wurde durch die seit 1981 bis zu dem Tod des Autors 1990 in Buchform herausgegebenen Werke aus dem Nachlaß ergänzt. Diese Werkausgabe in siebenunddreißig Bänden (Zürich: Diogenes, 1998) wurde jeweils mit einem Nachweis zur Publikations- und Ausführungsgeschichte sowie zur Textgrundlage versehen. Wer aber einen philologischen Befund der verschiedenen Fassungen mehrfach bearbeiteter Stücke zu bekommen versucht, ist nach wie vor auf verstreute Einzel- und Sammelausgaben und den langwierigen Zeilenvergleich angewiesen. Seitdem der Nachlaß des Autors im Schweizerischen Literaturarchiv (SLA) in Bern verfügbar ist, wurde klar, daß eine alle Fassungen umrahmende kritische Ausgabe nicht möglich ist. Der Nachlaß bildet aber die Grundlage für eine "längst fällige Quellenforschung"7 und für textgenetische Forschungen.8 Die Grundlage für die vorliegende Arbeit bilden vor allem die Werkausgabe in siebenunddreißig Bänden (1998) und das Archivmaterial. Da dieses Archivmaterial wegen seines Umfangs besondere Kenntnisse verlangt, damit man mit den Manuskripten arbeiten kann und sich nicht in dem Labyrinth der Papiere verliert9, wird in meiner Arbeit ein Kapitel diesem Archivmaterial gewidmet, umso mehr, daß dadurch auch die Arbeitsweise von Dürrenmatt verständlicher wird, womit sich das nächste Kapitel dieser Dissertation befasst. Während der Untersuchungen wurde es immer deutlicher, daß für Dürrenmatt den Ausgangspunkt beim Schaffen seiner Werke die "Stoffe" lieferten. Die "Stoffe" bedeuten für Dürrenmatt solche "Wirklichkeitselemente", die er aufgreift und verarbeitet. Wie die Psychoanalyse behauptet, sind diese Elemente verwandelte Erlebnisse, die meist der Kindheit entstammen, lange in Vergessenheit geraten sind und verwandelt wieder zum Vorschein kommen, und nach einer Gestalt suchen. Sie haben immer Bildcharakter, und Dürrenmatt versucht, sich von diesem Bildergeström zu befreien, indem er sie

6 "Allgemeine Anmerkung zu der Endfassung 1980 meiner Komödien." 7 Knapp, Gerhard P.: Friedrich Dürrenmatt. Stuttgart: Metzler, 1993, S. 183. 8 In dem letzten Jahrzehnt entstanden unter der Leitung von Professor Peter Rusterholz mehrere textgenetische Untersuchungen, so z.B. zum Mitmacher-Komplex und zu den Stoffen. 9 Auch hier möchte ich mich bei den Mitarbeitern des SLA, vor allem Rudolf Probst für die immense Hilfe und freundliche Unterstützung bedanken. zeichnet/malt bzw. niederschreibt. Bei einem Schriftsteller, der mit "mehrdeutigen Bildern" spielt, der darauf beharrt, daß das wichtigste "zwischen den Zeilen" stehe, aktualisiert sich die Frage nach der Beschaffenheit dieses Schreibprinzips, nach der spezifischen Art der Dürrenmattschen Formgebung und ihrer Funktion als Vermittlung zwischen Schreiben/Malen und Erfahren, zwischen einer Bild- und einer Sachhälfte. Bei dieser grundsätzlich dialektisch geprägten Formgebung erprobt Dürrenmatt mehrere (logische) Möglichkeiten, und spielt mit den Begriffen Objektivität, Subjektivität, Wahrheit, Wirklichkeit, Möglichkeit. Das Zusammenspiel dieser Elemente kann aber nicht nur innerhalb eines einzigen Werkes erfolgen, sondern es entstehen Motivverflechtungen innerhalb des ganzen schriftstellerischen Œuvres, bzw. sie weisen auch auf andere literarische, philosophische, psychologische, naturwissenschaftliche Werke und Modelle hin. Diese Bezüge – die aufzudecken von Gerhard P. Knapp wiederum als eine Aufgabe der Forschung bezeichnet wurde10 – können mit der Hilfe der intertextuellen Methode11 untersucht werden. Im Rahmen der allgemeinen Mythostheorie wurde festgestellt, daß die für Dürrenmatt aus seiner Kindheit bekannten Mythen gerade solche Eigenschaften aufweisen, die bei der Bearbeitung des Stoffes bestimmend sind. Zuerst wird dargestellt, was Dürrenmatt unter Mythos versteht bzw. welche Begriffe er noch statt Mythen oft als Synonyme verwendet. Nach dieser allgemeinen Darstellung kommen wir zu den exemplarischen Auslegungen: wie bearbeitet der Autor die einzelnen mythischen Elemente. Den Hauptteil der Dissertation bildet die Analyse der Einzeltexte bzw. Stoffe. Bei der Analyse hatte ich mir zum Ziel gesetzt, zu zeigen,

- warum gerade die Mythen bei Dürrenmatt eine zentrale Rolle spielen,

10 Knapp 1993, S. 186. 11 Zu der Frage der Intertextualität siehe: Bachtin, Michael: Die Ästhetik des Wortes. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979; Broich, Ulrich; Pfister, Manfred (Hrsg.): Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Tübingen: Niemeyer, 1985; Genette, Gérard: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Frankfurt/M, New York, : Campus Verlag & Editions de la Maison des Sciences de l ´Homme, 1989; Holthuis, Susanne: Intertextualität. Aspekte einer rezeptionsorientierten Konzeption. (Stauffenburg Colloquium, Bd. 28) Tübingen: Stauffenburg Verlag, 1993; Kabdebó, Lóránt; Kulcsár Szabó, Ernő; Kulcsár-Szabó, Zoltán; Menyhért, Anna (Hrsg.): A fordítás és intertextualitás alakzatai. : Anonymus, 1998; Kristeva, Julia: Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman. In: Orosz, Magdolna; Zalán, Péter (Hrsg.): Grundlagen der Literaturwissenschaft. Reader I. Allgemeine Fragen - Richtungen. (ELTE-Chrestomatie 8.) Budapest, 1999, S. 125-148.; Lachmann, Renate: Dialogizität. München: Fink, 1982; Lachmann, Renate: Gedächtnis und Literatur. Intertextualität in der russischen Moderne. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1990; Orosz, Magdolna: Intertextualität in der Textanalyse. Wien: ÖGS/ISSS, 1997; Rößler, Elke: Intertextualität und Rezeption. Linguistische Untersuchungen zur Rolle von Text-Text-Kontakten im Textverstehen aktueller Zeitungstexte. (Sprache. System und Tätigkeit, Bd. 31) Frankfurt/M. u.a.: Lang, 1999; Stocker, Peter: Theorie der intertextuellen Lektüre. Modelle und Fallstudien. Paderborn u.a.: Schöningh, 1998 - welche Mythen bearbeitet werden,

- welche antiken Prätexte Dürrenmatt dabei benutzt,

- welches Motiv wann und wie literarisch bzw. malerisch erscheint

- aus welchen literarischen, philosophischen, psychologischen, naturwissenschaftlichen Texten und aus welchen Denkmodellen der "Gordische Knoten" der Motivverflechtungen entstand, umso mehr, da die Werke von Dürrenmatt nach 1973 die Rezipienten vor große Herausforderungen stellen, oft sogar überbelasten, was zum Unverständnis dieser Werke führte,

- wie sich Dürrenmatt mit Hilfe der mythischen Motive, der mythologischen Folie mit grundlegenden gesellschaftlichen Diskursen auseinandersetzt,

- daß meines Erachten nach die Analyse der Einzelwerke mit werkimmanenter Methode nicht ausreichend ist, man soll eher die Verwandlung und Verwirklichung der Stoffe verfolgen.

Zum Erreichen dieser Zielsetzungen wurde da nicht bestrebt, all die ausgewählten Werke mit einer einzigen Methode zu analysieren, aber im Vordergrund standen die textgenetische Methode, um den langen Formgebungsprozeß und die Verwandlung der einzelnen Stoffe und die intertextuelle Methode, um die fremdreferierenden und selbstreferierenden intertextuellen Bezugnahmen aufzudecken.12 Außer diesen zwei Methoden müssen noch die psychoanalytische und die strukturalistischen Methoden, vor allem im Falle des Ödipus-Stoffes näher unter die Lupe genommen werden. Da Dürrenmatt nicht nur die Mythen gut kannte, sondern auch Latein und Altgriechisch konnte, ermöglichen bei der Anspielung auf antike Prätexte die Latein- und Griechischkenntnisse der Verfasserin dieser Arbeit diese Bezüge aufzudecken. Wegen dem Reichtum des Gesamtwerks bedeutete es eine besondere Schwierigkeit, die einzelnen zu analysierenden Texte auszuwählen, damit sich vor dem Leser das Bild eines unbekannten Dürrenmatts entfaltet.

12 Die Begriffe verwende ich im Sinne von Magdolna Orosz: Intertextualität in der Textanalyse. Wien: ÖGS/ISSS, 1997. Es ist nicht möglich, bei allen Methoden auch eine theoretische Fundierung zu geben, da es den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Die Bibliographie kann hier Hinweise geben. 1.2. Textauswahl

Da das ganze schriftstellerische und malerische Œuvre Friedrich Dürrenmatts voll von mythischen Elementen ist, mußte ich den zu untersuchenden Korpus gründlich auswählen. Bei der Untersuchung des Begriffsgebrauch des Mythos bei Dürrenmatt wurde die ganze Werkausgabe, die Interviews (vor allem die Gespräche) und das Archivmaterial zur Grundlage genommen. Bei der Auswahl der einzelnen Werke/Stoffe wurden folgende Kriterien berücksichtigt: das mythische Element soll klar zum Ausdruck kommen, es soll einen Medium-/Gattungswechsel repräsentieren (vor allem sowohl als literarisches Werk als auch als Zeichnung/Gemälde existieren) und vor allem solche Werke wurden untersucht, die noch nicht publiziert oder aber nur wenig bekannt sind. So wurde als Beispiel für den Medienwechsel Herkules und der Stall von Augias ausgewählt. Das zweite hier behandelte Werk ist Das Sterben der Pythia aus dem Jahre 1976, weil das Mitmacher-Komplex eine Trennlinie im Dürrenmattschen Œuvre bildet: von den Dramen wechselt Dürrenmatt immer mehr zur Prosa. Da diese Erzählung eine Ödipus-Bearbeitung ist, ermöglicht sie interessante Vergleiche mit anderen Bearbeitungen. Es wird untersucht, wie Freud, Lévi-Strauss und Norbert Bischof (Vladimir Propp) den Ödipus-Mythos verstanden haben, und wie ihre Denkmodelle auf Dürrenmatt gewirkt haben, wie diese Methoden (und noch die Isotopieanalyse von Greimas) bei der Interpretation der Erzählung verwendet werden können. Nach dem Tod seiner ersten Frau Lotti, lernt Dürrenmatt Charlotte Kerr kennen, und sein Schaffen bekommt neue Impulse. So plant er Den Tod des Sokrates (1983/84), eine Komödie, die als Drama nie verwirklicht wurde, aber als Erzählung erscheint sie in Dürrenmatts Spätwerk, in den Stoffen. Aufgrund der mündlichen Erzählung des Stoffes im Film Porträt eines Planeten, des Typoskripts von Charlotte Kerr und der niedergeschriebenen zwei Szenen kann die geplante Komödie analysiert werden und die Akzentverschiebung zwischen der Komödie und der Erzählung im Lichte der intertextuellen Bezüge festgestellt werden. 1985 entsteht die Minotaurus-Ballade, als Ergebnis der langen Entwicklung des Labyrinth-Motivs, dieses Weltbildes, Weltgleichnisses. Kurz wird auch der Weg von den ersten Versuchen bis zur Ballade dargestellt, die einzelnen Werke werden da nicht detaillierter analysiert, nur als Beispiele stehen sie da, wie, in welcher Form, in welcher Gattung dieses Motiv auftaucht – überraschenderweise auch in solchen Werken, wo es auf den ersten Blick nicht so eindeutig ist. Der Midas, der hier als letzter untersucht wird, ist das letzte von dem Autor noch autorisierte Werk. Es wurde zuerst als Film geplant, schließlich wurde daraus ein Film zum Lesen. Die ca. vierzehn Fassungen des Midas ermöglichen interessante Vergleiche.

1.3. Stand der literaturwissenschaftlichen Forschung 13

Das umfangreiche Œuvre Friedrich Dürrenmatts wurde bereits unter den verschiedensten Aspekten beleuchtet. Es fehlt hier der Raum, auf Detailergebnisse der Forschung Bezug zu nehmen, es werden nur solche Arbeiten erwähnt, die sich konkret mit dem Thema Mythos oder mit den da analysierten Werken befassen. Eine umfassende Untersuchung über den Themenkomplex "Mythologische Elemente" bei Friedrich Dürrenmatt sowie über seine Arbeitsweise gibt es jedoch, soweit mir bekannt ist, derzeit nicht. Es gibt zahlreiche Gesamtdarstellungen über den schweizerischen Autor, da aber der Autor schon seit den 60er Jahren im Fokus des literaturwissenschaftlichen Interesses stand, entstanden diese Werke (lange) vor dem Tod des Autors und nur wenige wurden aktualisiert und auf das gesamte Œuvre ausgedehnt, außerdem vernachlässigen sie meist die hier behandelten Werke. Im Thema Mythologie soll man vor allem Martina Steinbergers Dissertation: Das Antike-Bild Friedrich Dürrenmatts (Salzburg, 1991) erwähnen, die nach einer allgemeinen Darstellung des antiken Bildungsguts in dem umfangreichen Gesamtwerk Dürrenmatts strebt. Dabei werden natürlich auch von mythischen Elementen (so Herkules, Minotaurus, Atlas, Sisyphos, Theseus) geschrieben, wobei der Akzent auf Mythologisierungs- und Entmythologisierungsprozesse gelegt wird. Diese Dissertation versucht aber manchmal zu viel zu behandeln, wobei die Untersuchung zu schematisch (Darstellungsweise - Interpretationsmöglichkeiten) wird. Ein großer Vorteil des Werkes ist, daß die Autorin noch eine persönliche Unterredung mit dem Autor haben konnte - andererseits bedeutet das auch, das sie noch nicht das abgeschlossene Gesamtwerk des Autors gekannt hat. Eine originelle Interpretation von Dürrenmatts Werk leistet Véronique Brandner in der Arbeit Der andere Dürrenmatt. Auf der Brücke zwischen zwei Welten (Frankfurt/M., u.a.: Lang 1993), in welcher sie auf der Suche nach Mythen und Symbolen ist. 13 Hier werden die Werke, die sich mit theoretischen Fragen beschäftigen, nicht dargestellt, sie sind an den entsprechenden Stellen in den Anmerkungen und in der Bibliographie zu finden. Sie versucht aber weder Dürrenmatts Mythosbegriff zu bestimmen, noch beschäftigt sie sich mit den "eindeutigen" mythischen Elementen. Sie ist auf der Jagd nach verschlüsselten Motiven, so vergleicht sie zum Beispiel Traps in der Panne mit Hephaistos. Im Jahre 2000 ist das Buch: Die Verwandlung der Stoffe als Stoff der Verwandlung. Friedrich Dürrenmatts Spätwerk von Peter Rusterholz und Irmgard Wirtz herausgegeben worden (Berlin: Erich Schmidt). Das Buch liefert wichtige Beiträge zu den "Stoffen" von Dürrenmatt (so unter anderem zu Dürrenmatts naturwissenschaftlichem Interesse), läßt aber die Verwandlung des noch nicht geschriebenen Stoffes zum geschriebenen, das heißt den Formgebungsprozeß und die Arbeitsmethode des Schriftstellers/Malers außer Acht. Der Herkules-Stoff ist in den letzten Jahren eher ein vernachlässigtes Werk von Dürrenmatt, außerdem wird entweder nur das Hörspiel oder nur die Komödie behandelt, eine vergleichende Analyse, die die verschiedenen Fassungen in die Untersuchung miteinbeziehen würde, gibt es nicht. In den letzten Jahren entstehen vor allem durch die Anregung von Herrn Professor Rusterholz zahlreiche Lizentiats- und Doktorarbeiten über Dürrenmatt, von diesen können aber nur zwei mit einschlägigem Thema erwähnt werden. René Maier hat die Erzählung Der Tod des Sokrates aus textsemiotischer Hinsicht untersucht, aber seine sonst sehr wertvolle Untersuchung dehnt sich nicht auf das Dramenfragment aus. Eine Ergänzung zu seinem Werk könnte Irmgard Wirtz´ Studie: Dürrenmatts ungeschriebenes Drama `Der Tod des Sokrates´oder Die Geburt des Lebens-`Stoffe´ aus dem Sterben der Komödie. (In: Quarto (1996) H.7., S. 80-91.) bilden, die einen guten Ansatz zu weiteren, umfangreicheren Studien gibt. Die andere Lizentiatsarbeit von Simone Müller gibt eine ausführliche Textanalyse der Erzählung Das Sterben der Pythia (Blind sein wie Ödipus. Annäherung an eine komplexe Textwirklichkeit). Außer dieser Arbeit gibt es nur kürzere Studien zu dieser Erzählung, man soll an Heinz Schmitz´ (Oedipus bei Dürrenmatt. Zur Erzählung >Das Sterben der Pythia<. In: Gymnasium (Heidelberg) 93, 1985, S. 199-208.) und Anton Krättlis ("Wie soll man es spielen? Mit Humor!" Friedrich Dürrenmatts Selbstkommentar "Der Mitmacher - ein Komplex". In: H. L. Arnold (Hrsg.): Text und Kritik. Nr. 56 (1977), S. 49-57.) Schrift denken. Das Thema des Labyrinths hat eine größere Literatur, aber der ganze Entwicklungsprozeß des Stoffes wurde noch nie behandelt. Hier sollen vor allem Martin Burkard: Dürrenmatt und das Absurde. Gestalt und Wandlung des Labyrinthischen in seinem Werk. (Bern, Berlin, Frankfurt u.a.: Lang, 1991) und Otto Keller: Kritik des aberländischen Denkens in Stoffe I: Der Winterkrieg in Tibet. Das Labyrinth: Weltgleichnis oder Epos einer neuen Aufklärung. (Bern u.a.: Lang, 1999) unter den neuesten Ausgaben erwähnt werden. Von den zahlreichen kleineren mehr oder weniger brauchbaren Studien geben die Anmerkungen und das Literaturverzeichnis Auskunft. Zu Midas existiert derzeit nur eine kurze Studie von Stefan Banz: »Ich mag heute keine Gespenster sehen«. Friedrich Dürrenmatts »Midas oder die Schwarze Leinwand«. (In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 3. Auflage, Neufassung, 2003, S. 216-221.), die vor allem die aktualpolitischen Bezüge des Werkes betont. Über die neueste Sekundärliteratur kann man sich zum Beispiel aus Daniel Keels Buch Über Friedrich Dürrenmatt orientieren (6. verb. und erw. Ausgabe, Zürich: Diogenes 1998, S. 467-562.), außerdem wird die "Bibliographie der wissenschaftlichen Sekundärliteratur zum Werk von Friedrich Dürrenmatt ab 1987" auf der Internetseite "www.snl.ch" immer aktualisiert. 2. Problematisierung des Begriffs Mythos: Geschichte und Theorie

"Coming from the myth, returning to myth." (H. Broch14)

2.1. Der Mythos

Lajos Hatvany hat in seinem Werk Wissenschaft des Nichtwissenswerten (1908) die These aufgestellt: "Das Altertum ist keine Triebkraft mehr für den Denker und den Künstler, überhaupt für keinen, der wirkt, der schafft".15 Trotz der Meinungen wie die von Hatvany scheinen die Mythen in unserer Zeit wieder ihre Renaissance zu leben, und zahlreich sind die Publikationen, die sich mit den Mythen fremder (und eigener) Kulturen befassen. Die Beschäftigung mit dem Mythos ist ebenso anregend wie schwierig. Die Schwierigkeit läßt sich allein schon damit erklären, daß es keine allgemein verbindliche Definition dessen gibt, was unter Mythos zu verstehen ist. Der griechische Begriff Mythologie kann noch ziemlich leicht bestimmt werden: er geht ursprünglich auf µυθους λεγειν (Mythen erzählen) zurück. Im deutschen Sprachgebrauch wird der Begriff seit Creuzer in doppeltem Sinne verwendet: einerseits als primärer Mythos, als "die Gesamtheit der Mythen einer Kultur"16, andererseits als Auffassung und Lehre von diesem Mythos, als dessen "wissenschaftliche Erforschung"17. Das Adjektiv "mythologisch" wird entsprechend für die Perspektive oder das Verfahren der Wissenschaft der Mythen gebraucht, oft aber auch für den Gegenstand dieser Disziplin.18 Mit "mythisch" könnte eine bestimmte Perzeptionsweise von Wirklichkeit gekennzeichnet werden, die zugleich Ausdrucksweise ist.19

14 The tyle of the mythical age, in: Hermann Broch: Dichter und Essays, Bd.1, 1955, 249. 15 Hatvany, Lajos: Wissenschaft des Nichtwissenswerten, Zürich: Zeitler, 1908, XXI, S. 91. 16 Platon versteht die µυθολογια als Erzählung von Geschichten, Kirk aber hält diesen modernen Ausdruck für ambivalent, denn es suggeriert eine Wissenschaft, ein System, obwohl die Mythen bei den meisten Völkern kein System bilden und z.B. auch das System der griechischen Mythen relativ spät, durch die Tätigkeit der Dichter, Philologen und Wissenschaftler entstand. Kirk, Geoffrey Stephen: Griechische Mythen. Ihre Bedeutung und Funktion. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1987, S.24. 17 Lorenz, Otto: Kleines Lexikon literarischer Grundbegriffe; München: Fink, UTB, 1992, 77f.; Horstmann, Axel: Der Mythosbegriff von frühen Christentum bis zur Gegenwart. In: Archiv für Begriffsgeschichte 23 (1979), S. 7-55. u. 197-245. 18 Jamme 1999, S. 24. 19 Jamme 1999, S. 24. Mythos ist aber "ein vielverwendetes und vielmißbrauchtes Wort"20 und der Begriff gehört "zum Unbestimmtesten, was in der philosophischen Terminologie je Verwendung gefunden hat".21 Das Wort µυθος hat schon in der Antike einen Bedeutungswechsel durchlaufen. "Mythos" stammt nicht aus der Altagssprache, sondern ist ein Kunstwort des attischen Epos, dessen Etymologie unsicher ist. Die älteste Bedeutung in der griechischen Sprache war "Wort", "Rede"22. Die Griechen aber unterschieden sehr viele Bedeutungen und Funktionen des "Wortes". Bei Homer finden wir µυθος im Gegensatz zu εργον, also wird hier die Geschicktheit in Wort und Tat voneinander unterschieden. Der andere Begriff neben µυθος ist schon früh das Wort λογος23. Da bedeutete µυθος noch das "wahre Wort", das von göttlichen Dingen berichtete, also keine Begründung, kein Beweisen beanspruchte. In späteren Zeiten, so ungefähr in der "griechischen Aufklärung", dem Hellenismus, wurde dieses "wahre Wort" wegen seiner Wunderbarkeit schon unglaubhaft. So gewöhnte man sich daran, das Fabelhafte, das Märchenhafte mythisch zu nennen. Der Begriff bekam eine negative Konnotation: er steht in Verbindung mit Worten des Lügens und Täuschens für die unwahre Geschichte.24 In Deutschland wurde das Wort "Mythos" zu Beginn des 16. Jahrhunderts übernommen als "Fabel, erfundene Geschichte", dann taucht das Wort erst 200 Jahre später auf, in der Bedeutung "Erzählung von Göttern".25 Der Göttinger Philologe Heyne benutzte den Begriff als eine "durch Mangel an Wissen, Ausdrucksvermögen und Bewußtsein gekennzeichnete Vorstufe menschlichen Weltverständnisses", was bis zum 20. Jahrhundert wirksam blieb. Nach R.M. Berndt und C.H. Berndt26 existieren zwei "moderne (umgangssprachliche) Verwendungen" des Mythos: einerseits ist es eine Erzählung, eine Geschichte oder eine Liederreihe, die mit religiöser Bedeutung

20 Klaus Heinrich, zitiert durch Weimann, Robert: Literaturgeschichte und Mythologie, Weimar-Leipzig: Aufbau Verlag, 1972, S.365. 21 Poser, Hans: Mythologie als Logomythie. In: Marquard, Odo (Hrsg.): Einheit und Vielheit. XIV. Deutscher Kongreß für Philosophie, Gießen 21-26. September 1987. Hamburg, 1989, S. 307. 22 Kerényi, ΜΥΤΗΟΣ in verbaler Form, in: Kerényi: Griechische Grundbegriffe, Fragen und Antworten aus der heutigen Situation, Zürich: Rhein, 1964, S. 59-68.; Walter F. Otto, Mythos und Welt, Stuttgart: Klett, 1962, S. 237. 23 So bedeutet bei Protagoras der µυθος Erzählen ohne Beweisen, λογος aber Erzählen mit Begründungen, Argumentationen und Beweisen. 24 Vgl.: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 6, Darmstadt, 1984, S. 282.; Otto, Walter F.: Gesetz, Urbild und Mythos. Frankfurt a. M.: Klostermann 1951; S. 66. 25 Betz, W.: Zur Wortgeschichte von >Mythos<. In: Moser, H.; Rupp, H.; Steger, H.(Hrsg.): Deutsche Sprache: Geschichte und Gegenwart. Festschrift für F. Maurer. Bern/München, 1978, S. 21-31.; Jamme 1999, S. 23. 26 Berndt, Ronald Murray; Berndt, Catherine H.: The World of the first Australians, London, 1964, S.199. verkoppelt ist, andererseits kann es ein unwahrer Glaube bzw. unwahre Geschichte sein27. Der Ausdruck erhielt aber einen viel negativeren Beigeschmack: er steht "für massenpsychologisch wirksame Vorstellungen ebenso wie für Märchen und Fabeln und für verpflichtende Vorstellungen."28 Nach dieser etymologischen Einleitung sollte man sich nicht wundern, daß es eigentlich so viele (bestrittene) Definitionen wie Autoren gibt. Wenn man versucht, als Arbeitsgrundlage eine Minimaldefinition zu geben, so wäre der Mythos nach Cristoph Jamme "als mündlicher Kommentar einer Kulthandlung zu bestimmen"29 Diese Definiton hat den Vorteil, z.B. die Problematik zu umgehen, ob die Mythen nur die Göttergeschichten umfassen, oder auch die Heroengeschichten dazugezählt werden.30 Er hat eine Erzählstruktur, bestimmte wiederholbare und immer wiederkehrende Ereignisse werden erzählt, die "außerhalb von Raum und Zeit liegen, und an bestimmten Knotenpunkten der menschlichen Existenz ansetzen".31 Mythen treten mit Riten

27 Die Autoren akzeptieren nur die erste Anwendung, aber demgegenüber muß man einwenden, daß nicht einmal die triviale Verwendung auf eine sakrale Geschichte begrenzt ist. Siehe dazu: Kirk, S.50. 28 Jamme 1999, S. 23.; vgl. Adorno, Theodor W., Horkheimer, Max: Dialektik der Aufklärung. Amsterdam: Querido, 1947 29 Jamme 1999, S. 21.; Es gibt natürlich sehr viele und verschiedene Definitionsversuche, als Vergleichsgrundlage sollen hier einige stehen: Der Literatur Brockhaus (Hrsg. und bearbeitet v. Werner Habicht u. Wolf-Dieter Lange), Bd 2., Mannheim: Brockhaus, 1988, S. 668.: Mythos: (gr. Wort, Rede, Erzählung, Fabel) in der Frühzeit der Völker Erzählung vom Wirken der Götter, Dämonen, Helden als sinnenhafte Verdichtung menschlicher Urerlebnisse und religiöse Weltdeutung."; dass.: Meyers kleines Lexikon, Literatur, Hrsg. W.D.Lange, Mannheim u.a.: Biographisches Institut des Meyers Lexikons 1986; ähnliche Bestimmung in Wilpert, Gero von: Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart: Kröner, 7. Aufl., 1989, S.600.; Lorenz, Otto: Kleines Lexikon literarischer Grundbegriffe; München: Fink, UTB, 1992, 77f.: Mythos (gr. Wort, Fabel): Narratives Modell der Welterklärung, das zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft (oder Teilgesellschaft) aufgrund nicht-rationalisierbarer Evidenzen einen fraglos gültigen Zusammenhang stiftet. 30 Jan de Vries macht die kategorische Aussage: "Mythen sind Geschichten von Göttern", so ist die Wissenschaft der Mythologie "ein Teil der Religionswissenschaft" (Forschungsgeschichte der Mythologie, München: Alber, 1961, S.IX.). Nach Schelling und Georg Creuzer (Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen. Leipzig u.a.: Leske, 1810-23) war die ganze Mythologie Theorie und Geschichte im Zusammenhang mit den Göttern. Auch Northrop Frye (Fables of Identity, New York: Atheneum, 1963) bestimmt die Mythen als solche Geschichten, in denen einige Hauptrollen von Göttern gespielt werden. E.W. Counts (Culture in History, New York: S. Diamond, 1960, S. 955.) Meinung nach gibt es nur einen einzigen gemeinsamen Punkt in den Ansichten der Mythosforscher, nämlich der Mythos sei eine Form der Literatur, die von Göttern und Halbgöttern handelt. Besonders die Forscher der Antike (die Klassiker-Philologen) dehnen die Mythos-Bestimmung auch auf die Heroen aus, das ist aber einfach damit zu erklären, daß gerade in den griechischen Mythen die Heroen (z.B. Herkules) eine bedeutende Rolle spielen. Kerényi nennt nur die Göttergeschichten Mythen und behauptet: "Die Heldensage schließt sich infolgedessen der eigentlichen Mythologie an, wie eine Pseudo-Geschichte einer Pseudo-Vorgeschichte." Man muß also von einem Mythos in engerem und von einem in weiterem Sinne sprechen. Auch Walter F. Otto behauptet, daß man die "staunenerregenden Geschichten von Helden oder überhaupt großen Menschen" besser "Sagen" oder "Legenden" bezeichnen muß. Die nächste Frage ist dann, wie man die Legenden, die Sagen und die Märchen voneinander unterscheiden kann. Zu dem Thema siehe z.B. Kirk, S.58ff. 31 Jamme 1999, S. 21.; Sallust behauptete, der Mythos spreche von dem, "was nie geschah, und immer ist" (ταυτα δε εγενετο µεν ουδεποτε, εστι δε αει). Sallust: περι θεων και κοσµου IV, 9.; Eliade, Mircea: Kosmos und Geschichte: Der Mythos der ewigen Wiederkehr. Frankfurt a. M.: Insel 1984. gekoppelt auf, sie sind der kognitive Teil zur kultischen Praxis. Die Bestimmung beschränkt die Mythen nur auf diejenigen, die zu den Kulten gehören32, und auch die Frage des Zusammenhanges zwischen Mythos und Religion wird nicht erwähnt33. Da aber auch diese Bestimmung allzu sehr an der antiken griechischen Kultur orientiert, außerdem all seine Elemente problematisiert werden können, versucht die aktuelle philosophische Mythostheorie der Frage nach dem Wesen des Mythos auszuweichen und statt einer verbindlichen Definition sich auf die Beschreibung seiner Eigenschaften und Funktionen zu beschränken.

2.2. Die Funktion des Mythos

"Es gibt keinen einzigen Typ, zu dem alle Mythen eingereiht werden könnten […], und eine einheitliche Theorie von der Funktion des Mythos zu bilden wäre eine totale

32 W.F. Otto, 1962, S. 260.:"Also: der Kult ist ebendasselbe wie der Mythos. So sind sie eines." Auch Fontenrose behauptet (Python. A study of Delphic myth and its origins. Berkeley (u.a.): Univ. of California Press, 1959, S. 434.), wenn die Mythen nicht mit Riten verkoppelt erscheinen, ist es richtiger, sie als Legenden oder Volksmärchen, anstatt als Mythen zu betrachten. Die regelmäßig wiederholte kultische Handlung ist ja nichts anderes als die Handlung der göttlichen Wesen in Menschengestalt. Dieser versimpelte Standpunkt – nach der übersteigerten Variante stammen alle Mythen aus Riten und sie erklären deren Ursachen oder einzelne Motive – wurde z.B. von der sog. Cambridger Schule (J.E. Harrison, F.M.Cornford, A.B.Cook, G.Murray), bzw. von der ritualistischen Schule der 20er-40er Jahre (S.H.Hook, T.H.Gaster, E.O.James; Lord Raglan, S.Hymen, Frazer: The Golden Bough) vertreten. Es gibt zwar wirklich viele Mythen, besonders aus dem Nahen Osten, die sich tatsächlich einzelnen Riten anschließen, trotzdem ist es sehr schwer zu sagen, ob der Mythos oder der Ritus früher existiert habe. Robert de Lange (Myth, Ritual and Kingship; Oxford: S.H.Hooke, 1958, S. 131.) hat außerdem festgestellt, daß es in einigen Fällen auch die Existenz solcher Mythen vorgezeigt werden kann, die sich überhaupt keinen rituellen Ereignissen anschließen. Zwischen diesen zwei extremen Fällen können vielerlei Zwischenfälle beobachtet werden. Nach E.R. Leach (Political Systems of Highland Burma, London: Cambridge Mass, 1954, S.13-14.; Vickery, John B. (Hrsg.): Myth and Literature, Nebraska: Lincoln, 1966) hängt der Mythos und der Ritus aufs engste zusammen, nur der erstere ist eine Behauptung in Worten und der letztere eine in Taten. Das ist eigentlich die Vorstellung von Clyde Kluckhohn (Myths and rituals: a general theory, In: Harvard Theological Review, XXXV, 1942, S. 45- 79.), der die Abstammung der Mythen aus den Riten ablehnt, der Mythos ist nämlich ein System der mündlichen Symbole: λεγοµενον und der Ritus ist ein System der dinglichen und Handlungssymbole: δροµενον. Dabei haben Mythos und Ritus eine gemeinsame psychologische Basis: sie suchen Antworten für die Individuen einer Gesellschaft. 33 L. Rademacher (Mythos und Sage bei den Griechen, Baden bei Wien, Leipzig: Rohrer, 1938, S. 43.) erwähnt, daß in der Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts die Mythologie eigentlich nur ein Deckname für die griechische Religion war. W.K.C. Guthrie (The Cambridge Ancient Historie/II, 2., ed. by J.B. Bury, S.A. Cook, F.E. Adcock; Cambridge: University Press, Revised ed., 1961) schreibt in dem Artikel "Griechische Religion und Mythologie", daß die Mythologie (bzw. deren früheste Periode) eine Erscheinungsform der Religion sei. Cassirer nennt den Mythos von Anfang an eine potentielle Religion (An Essay on man. An introduction to a philosophy of human culture. 4.Aufl. New Haven: Yale University Press, 1947, S. 87.). Auch nach Angelo Brelich (Gli Eroi Greci, Roma, 1958, 23) kann die Mythologie auf keine außerreligiösen Elemente zurückgeführt werden. Aber sehr viele Mythen stehen mit den äußeren Erscheinungsformen der Religion (Beten, Versöhnen) in keiner Beziehung. Die Erforschung der Mythen – als eventueller Aspekt der Religion – wird dadurch erschwert, daß die Mythen in relativ später Form: z.B. durch die Dichtung vermittelt erscheinen. Zeitverschwendung", behauptet Kirk.34 Laut Gulian gibt es vier Funktionen des Mythos35:

- die magisch-religiöse: der Mythos vermittelt heilige Wahrheiten, bestimmt die Werte der Gesellschaft

- die als Kristallisationspunkt ethischer und juridischer Normen - hier müßte man vielleicht eher von historisch-sozialen Funktionen sprechen: der Mythos entscheidet über Schuld und Unschuld, macht verschiedene Regeln bekannt, erzählt von den Ursprüngen gegenwärtiger Ordnung im Bereich der Natur und der Gesellschaft. Dazu gehören die kosmogonischen (von dem Ursprung der Welt), die eschatologischen (vom Ende der Welt), die anthropogonischen (vom Menschen) und die aitologischen Mythen (Kultaitien, Tieraitien, Naturaitien, die über den Ursprung der Formen des natürlichen und sozialen Lebens sprechen)36.

- als eine der Formen archaischen Denkens: hier müßte man von dem Problem der Logik und Rationalität/Irrationalität der mythischen Denkweise sprechen, unter anderem von der These von Lévy-Bruhl von der "mentalité primitive".37

- und als Form oder Gattung der primitiven Literatur, also seine ästhetische Funktion, wobei heutzutage gerade dieser Aspekt in der Rezeption und Kritik des Mythos aktuell ist.38 Wichtiger als die Funktion des Mythos in den archaischen Gesellschaften ist die Frage, welche Eigenschaften des Mythos ihn dazu befähigen, daß er während der Geschichte immer wieder auftaucht, und zwar in verwandelter Form.

34 Kirk, S.285. 35 Gulian, C. I.: Mythos und Kultur. Zur Entwicklungsgeschichte des Denkens. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1981, S. 18, 26ff., 56ff., 73ff., 87ff. 36 Meyers Kleines Lexikon, S.291.; Kerényi, Was ist die Mythologie, S.12; Literatur Brockhaus, 667f.; W.F. Otto, Der Mythos, S.240. 37 Deshalb ist es so schwer, die Mythologie, das System und Funktionieren der Mythen zu begreifen, denn der Mensch der modernen Zeit betrachtet die Mythen als Funktionen, sie sollen etwas bedeuten; er kann nicht mit dem Bewußtsein der damaligen Leute denken. Lévy-Bruhl und Ernst Cassierer bezeichneten das als "prälogische Denkweise", "mentalité primitive". Diese Denkweise, ihre Vorstellungen galten als logisch, aber "im Sinne einer anderen Logik, als die unsere Logik". Kluckhohn, S. 235. In der Forschung wird aber immer mehr betont, daß die archaische Denkweise auch als rational und logisch betrachtet werden kann. Siehe z.B. die Ansichten von Kurt Hübner, Hans Blumenberg. 38 Jamme 1999, S. 25; Bohrer, Karl Heinz: Mythos und Moderne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1983 2.3. Eigenschaften und Wiederkehr des Mythos

Karl Kerényi meinte, daß es nicht einfach den Mythos gibt, sondern auch eine "eigentümliche Materie" (µυθολογιαι / µυθολογεµατα) von Göttern und göttlichen Wesen, Heroenkämpfen und Unterweltsfahrten…" und die "µυθολογια ist die Bewegung dieser Materie", also "etwas Lebendiges; etwas Festes und zugleich Bewegliches, ja bis zu jener Grenze Verwandlungsfähiges"39. Dieser lebendige Charakter bestimmt auch das Verhältnis zwischen Mythologie (Vergangenheit) und Leben (Gegenwart). Aus der Vergangenheit kann vieles aufgenommen werden und in der Gegenwart wiederholen sich diese Sachen. Die Mythen sind also "wieder da".40 Hans Blumenberg versucht dem Wesen des Mythos über eine Auflistung von Stilmerkmalen der mythischen Erzählungen näherzukommen, und dazu zählen bei ihm auch die "Inkonsistenz", die "Wiederholung", die "Umständlichkeit" und die "ikonische Konstanz".41 Diese Eigenschaften, vor allem aber die Wiederholungsstruktur sichert die geschlossen-bedeutsame Figuration der Mythologie.42 Die Strukturalisten tragen diesem Problem durch die These bei, daß die Mythen überall nach einem Grundmuster aufgebaut sind, das im Detail aber sehr komplex ist. Sie (z.B. Lévi-Strauss) heben die Eigenheit der mythischen Geschichten hervor, daß sie in allen, auch sehr verschiedenen Kulturen mit einer vergleichsweise kleinen Anzahl immer gleicher Elemente operieren, die unendlich variiert werden.43 Diese unterschiedlich kombinierbaren mythologischen Elemente werden vom mythischen Erzähler, wie Lévi-Strauss ihn nennt, dem "mythischen Bastler" benutzt, der die immer veränderbaren Mythen aufbaut. Daher kommt das Prozeßhafte, die unentwegte Veränderung und Unabgeschlossenheit des Mythos, worauf schon Schelling und Schlegel hingewiesen haben. "Der Mythos konstituiert sich immer wieder neu in seiner momentanen Re-präsentation."44 Eine weitere Eigenschaft des Mythos, warum er so verwandlungsfähig ist, ist sein symbolhafter Charakter. Die Lebenswelt des Menschen ist in Symbolen aufgebaut, wobei unter "Symbol" ein kulturgebundenes Wahrnehmungs- und

39 Kerényi, Was ist die Mythologie?, Europäische Revue, 1939, Sonderabzug, S.6. 40 Kerényi, Was ist die Mythologie?, S.9. 41 Blumenberg, H.: Wirklichkeitsbegriff. In: Fuhrmann, Manfred (Hrsg.): Terror und Spiel. Probleme der Mythosrezeption. München: Fink 1971; S. 21, 32, 43ff., 50f.; ders: Arbeit am Mythos. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1979, S. 46, 70, 145, 159. 42 Jamme 1999, S. 28. 43 Blumenberg nennt das ikonische Konstanz. Arbeit am Mythos, S. 165. 44 Jamme 1999, S. 30. Klassifikationssystem zu verstehen ist, das vorsprachlich ist, und – anders als das Wort – an dem, was es bedeutet, partizipiert. "So lassen die Gestalten der natürlichen Umwelt und des eigenen Körpers, die dem Menschen universal als Bedeutungsträger zur Verfügung stehen, eine erstaunliche Vielfalt von Sinngebungen zu."45 Symbole haben die Kraft, die Kategorien der Gesellschaft auf eine strukturierte Weise darzustellen. Die Mythen können auch als eine symbolhafte Auffassung und Darstellung der Welt, der Verarbeitung der Wirklichkeit und der Erfahrung aufgefaßt werden. Laut Lévi-Strauss, Ernst Cassirer und der Warburg-Schule ist der Mythos eine symbolische Form der Weltgestaltung, neben der wissenschaftlichen Erkenntnis. Diese Symbolisierung hat ihren Ursprung in einer ganz spezifischen Wirklichkeitsauffassung, wonach es keine einheitliche Wirklichkeit, sondern viele Wirklichkeiten, eine Pluralität von Welten gibt, die jeweils symbolisch konstituiert werden, z.B. mittels der Sprache. Da sich die Symbolisierung historisch wandelt, wandelt sich auch der Mythos. Den Symbolen kommt in allen Gesellschaften eine entscheidende Bedeutung zu, so weisen auch die mythischen Bilder nicht nur in eine archaische Vergangenheit zurück, sondern werden zu Chiffren moderner Erfahrungen. Es wurden solche Eigenschaften des Mythos aufgezählt, die das Auftauchen der Mythen in der Gesellschaft begründen. So sind wir zu dem nächsten aktuellen Diskussionspunkt angelangt, ob in der Moderne eine Ent- oder Re-Mythisierung abspielt, oder welche von beiden nötig wäre.

2.4. Ent- und/oder Remythologisierung, Mythen in der Kunst

Für Lévi-Strauss gibt es keine Mythen mehr, weil wir uns einmal der Schrift bedienen46 und mit den Einzelwissenschaften auch der Anspruch auf eine gesamtheitliche Erklärung der Welt verlorengegangen ist. Die anderen Stimmen, die vor einer Remythologisierung warnen47, weisen darauf hin, daß die Mythen politisch gefährlich 45 Jamme 1999, S. 168. 46 Für die Bedeutung der Schrift in der Bedeutungswandel der Mythologie: Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München: C.H. Beck, 1992; ders.: Religion und kulturelles Gedächtnis. München: Beck, 2000; zu der Bedeutung der Mnemotechnik im Zusammenhang mit dem Mythos siehe auch Greif, Stefan: Der Mythos – Das wilde Denken und die Vernunft. In: Kreuzer, Helmut (Hrsg.): Pluralismus und Postmodernismus. Zur Literatur- und Kulturgeschichte in Deutschland 1980-1995. 4. erweiterte und aktualisierte Auflage. Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang 1996. S. 157-177., insbes. S. 168ff.; Laut Christoph Jamme verwandelt sich das Mythische erst durch die Schrift zum Mythos. Jamme 1999, S. 188-199. 47 Z.B.: Adorno, Theodor W., Horkheimer, Max: Dialektik der Aufklärung. Amsterdam: Querido, 1947 sind/sein können. Habermas wandte sich zwar gegen eine Apologie des Mythos, äußerte aber die Hoffnung, daß die luzidesten Momente des Mythos restauriert werden können, ohne erneut dem mythischen Bann zu verfallen. Kolakowsky behauptet, daß unser höchst ernüchtertes, versachlichtes, rationales Leben von mythischen Strukturen beherrscht sei, die nur einen anderen Namen erhielten. Laut Eliade ist das Vorhandensein mythischer Elemente im Denken der Moderne kein Zufall, denn ohne Mythos bleibe das menschliche Bedürfnis nach Sinn und Bedeutung unbefriedigt. Der archaische Mythos läßt sich zwar nicht wiederbeleben oder restituieren, und was unwiederbringlich verlorengegangen zu sein scheint, ist die soziale Funktion des Mythos, er kann nicht mehr Ausdruck des kollektiven Selbstverständnisses einer Gesellschaft sein.48 An die Stelle der "Arbeit des Mythos" trat aber die "Arbeit am Mythos"49, das heißt, der Kunst kommt zu, den Mythos und die mythischen Stukturen wachzuhalten. Die Mythen, wie wir sie aus der Antike kennen, sind schon Ergebnisse künstlerischer Gestaltung und nicht mehr Ausdruck von Unter- und Unbewußtem oder eine Art "primitive Wissenschaft". Die Mythen kamen dann als Objekte der menschlichen Phantasie nicht zur Ruhe, sondern sie wurden die Jahrhunderte hindurch literarisch und bildkünstlerisch immer neu gestaltet. Laut H.H. Holz50 gibt es zwei gegensätzliche Modelle der künstlerischen Mythenaneignung: 1. Rückgriff auf die historisch fixierten Gestalten des Mythos, die Verarbeitung von Motiven aus griechischer, römischer und biblischer Mythologie; 2. Bei Mythen, "deren historischer Kontext uns fremd oder gar verloren gegangen ist […] bleiben dann nur noch semantische Keime übrig […], denen das Fruchtfleisch der Fabel fehlt". Das mythische Material dient dann in diesem Falle als Spielzeug. In jedem Fall ist das Mittel der Aneignung des Mythos die Metamorphose, also der Mythos wird nicht nacherzählt, sondern die in ihm liegenden Erfahrungen und Kräfte werden freigesetzt. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der Mythos in der Moderne immer mehr eine Form, eine ästhetische Struktur geworden ist. Die mythischen Inhalte verlieren ihre ursprüngliche einheitsstiftende soziale Funktion, aber die Übersetzung des Mythos

48 Gadamer behauptet, daß mit dem Ende der christlich-humanistischen Tradition im 20. Jahrhundert sei "der allen gemeinsame Mythos" verlorengegangen. H.G. Gadamer: Ende der Kunst? Von Hegels Lehre vom Vergangenheitscharakter der Kunst bis zur Antikunst von heute. In: Ende der Kunst - Zukunft der Kunst. Hrsg. v. d. Bayerischen Akademie der Schönen Künste. München, 1985, S. 16-33; S. 19. 49 Blumenbergs Begriffsprägung 50 Holz, H.H.: Mirós Welt mythischer Zeichen. In: Joan Miró. Katalog der Ausstellung im Kunsthaus Zürich und in der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf. Bern, 1986, S. 70-90.; S. 78. (bzw. der mythischen Elemente) in die Kunst bleibt virulent, mythische Erfahrungen werden in bislang unbekannter Form angedeutet und aktualisiert. Es gibt zwar gängige Mythenstoffe, aber der Umgang moderner Künstler mit Mythischem ist immer ein individueller Prozeß, dem semiotischen Pluralismus, dem kreativ-eklektischen Umgang mit alten Mythologemen kommt eine immer größere Bedeutung zu. In der Postmoderne kann aber auch beobachtet werden, daß nicht nur die Mythen selbst bearbeitet werden, sondern auch die theoretischen Werke, der wissenschaftliche, philosophische Umgang mit den Mythen. Deshalb ist es von grundlegender Bedeutung, die wichtigsten Ansätze der Mythostheorien im 20. Jahrhundert kennenzulernen, dann werden einige literarische Beispiele der Mythosrezeption und -adaptation vorgeführt, bevor wir uns dem Hauptthema, der Mythosauffassung und -bearbeitung von Friedrich Dürrenmatt zuwenden.

2.5. Neue Anregungen für die Mythosinterpretation im 20. Jahrhundert

In dem zwanzigsten Jahrhundert hat die Mythologieforschung von verschiedensten Richtungen neue Impulse erhalten. In diesen für die Literaturwissenschaft folgenreichsten Theorien können vier repräsentative Linien unterschieden werden: die symbolische, die ritualistische, die psychologische und die strukturale. Diese vier Richtungen können noch mit der emotionalen (Blumenberg) und der rationalen/kognitiven (Hübner) ergänzt werden. Da die ersten zwei Richtungen in den vorangehenden Kapiteln schon erörtert wurden, wird hier die Betonung auf die letzteren gelegt. Wichtige Anregungen bekam die Mythostheorie von der modernen Tiefenpsychologie, wie sie vor allem durch die Schulen und Lehren Sigmund Freuds und C.G. Jungs entwickelt worden ist.51 Freud hat durch seine Traumdeutung zum Verständnis der symbolischen Sprache des Mythos beigetragen. Es war mehr ein indirekter als direkter Beitrag zur Mythologie, weil Freud dazu neigte, im Mythos – genau wie im Traum – lediglich den Ausdruck

51 Als Vorläufer dieser Richtung müssen Schubert, Gotthilf Heinrich von: Symbolik des Traumes, Bamberg: Kunz 1814 und ders: Geschichte der Seele, Stuttgart u.a.: Cotta, 1830 bzw. Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele, Pforzheim: Flammer und Hoffmann, 1846 erwähnt werden. irrationaler, antisozialer Impulse und nicht die Weisheit vergangener Zeiten zu sehen, die in Symbolen, also in einer besonderen Sprache, ausgedrückt ist. Während bei Freud die Auffassung der Psychoanalyse zur Deutung kultischer Handlungen herangezogen werden, werden bei Jung die Gesichtspunkte der Mythologie für das Verständnis der Tiefenpsychologie bemüht. In beiden Auffassungen spielt die Ähnlichkeit der Mythen mit den Träumen eine wichtige Rolle, welche Ähnlichkeit z.B. darin zu entdecken ist, daß sich in Mythen die "normalen" Assotiationen und Beziehungen auflösen und sich neu strukturieren.52 Auch einige australische Stämme nennen die "mythische Zeit" Traumzeit, also die Mythen werden im Gegensatz zu den individuellen Träumen als die kollektiven Träume des Stammes betrachtet.53 Im Gegensatz zu Freud postuliert Jung von vornherein eine "archaisch- mythologische Denkweise des Unbewußten". Diese entstammt nicht persönlicher Erfahrung, sondern ist kollektiv erworben und vererbt worden. Dieses "kollektive Unbewußte" ist "in allen Menschen sich selbst identisch und bildet damit eine in jedermann vorhandene, allgemein seelische Grundlage überpersönlicher Natur".54 Es besteht aus altersher vorhandenen Bildern und aus Archetypen. Diese Archetypen sind also solche allgemeinen Symbole, die in Mythen und Träumen ständig zurückkehren. "Allen liegen in letzter Linie archetypische Urformen zugrunde, deren Anschaulichkeit in einer Zeit entstanden ist, wo das Bewußtsein noch nicht dachte, sondern wahrnahm."55 Auch daß sie keiner bewußten Bearbeitung unterworfen sind, macht sie mit den Mythen verwandt. Aber dabei "handelt es sich nie (oder wenigstens sehr selten) um geformte Mythen, sondern vielmehr um Mythenbestandteile".56 Zwar werden diese Archetypen immer wieder einer Kritik unterworfen57, eine Beachtung verdient es schon an und für sich, daß sie auf die Literatur große Wirkung ausübten. Hier müssen vor allem Karl Kerényi (zwar nicht Literat, sondern Altphilologe) und Thomas Mann erwähnt werden, wobei sich letzterer als "ein leidenschaftlicher Freund (der) Combination" von Psychologie und Mythologie bezeichnete.

52 Darüber: Rank, Otto: Der Mythus von der Geburt des Helden, Leipzig u.a.: Franz Deuticke, 1909 53 Auch Karl Abracham bezeichnet die Mythen als Reste der infantilen Psyche der Menschheit und die Träume als die Mythen des Individuums; engl. Ausg.: Clinical Papers and essays on psycho-analysis. London: The Hogarth Press, 1955, S. 72.; ähnlich: Harrison, Jean: Epilegomena to the Study of Greek Religion, Cambridge: Univ. Press, 1921 54 Jung, Carl Gustav: Von den Wurzeln des Bewußtseins. Studien über den Archetypus. Zürich: Rascher, 1954, S.4. 55 Jung 1945, S.45. 56 z.B. Vater-, Mutter-Archetypus, der weise Alte, Muttererde usw.; Jung-Kerényi: Einführung in das Wesen der Mythologie, Amsterdam u.a.: Pantheon, 1941, S. 109 u. 112; Kirk, S. 303ff. 57 z.B. Kirk 304, Weimann 404ff. Die strukturalistische Mythenforschung ist in ihrem Anwendungsbereich nicht auf die anthropologische Mythentheorie beschränkt geblieben, sondern ihre Methodik ist darüber hinaus auch für die Interpretation literarischer Texte fruchtbar gemacht worden.58 Der entscheidende Impuls, den die Untersuchungen Propps der internationalen Märchen- und Mythosforschung gaben, war einer der neuen methodologischen Vorgehensweisen. Propp geht von der Bedeutung aus, daß es eine "ausgesprochen geringe Zahl von Funktionen gegenüber einer Vielzahl von Gestalten"59 gebe, so konzipierte er eine "Analyse des Märchens auf der Basis der Funktionen der handelnden Personen".60 Von den insgesamt 31 Funktionen formieren sich Gruppen zu bestimmten "Handlungskreisen", die für bestimmte Handlungsträger spezifisch sind. Das Märchen kennt demnach sieben handelnde Personen und drei Möglichkeiten für das Verteilungsprinzip der Handlungskreise auf Märchengestalten.61 Die Bewertung der Aktionen einer Märchenfigur für die Gesamtkomposition des Märchens erfolgt nach dem "Resultat der Handlungen: Identische Handlungen können als Funktionen stets nach ihren Folgen bestimmt werden".62 Durch die Aufdeckung struktureller Invarianten gelangt Propp schließlich zu einem Funktionsmodell des Märchens, unter das alle analysierten Texte subsumierbar sind, und das in einer Strukturformel dargestellt wird, die das Paradigma des (russischen) Zaubermärchens wiedergibt. Alle anderen analysierten Texte sind Modifikationen dieser Strukturformel, die durch Variation der veränderlichen Größen und durch Kombinationen oder Auslassung der feststehenden Größen ihr spezifisches Gepräge finden. Diese einzelnen Ausdrucksformen werden dann im Proppschen Funktionsmodell als Arten und Abarten im Verhältnis zur Kategorie der Gattung betrachtet, was aber unter anderem von Lévi-Strauss kritisiert wurde.63

58 Siehe: Lévi-Strauss Baudelaire-Analyse; dazu: Roman Jakobson, Claude Lévi-Strauss. "Les Chats" von Charles Baudelaire (1962), in: Heinz Blumenthal (Hrsg.), Strukturalismus in der Literaturwissenschaft. Köln: Kiepenheur&Witsch 1972, S. 184-201.; Nieden, Birgit zur: Mythos und Literaturkritik. Zur literaturwissenschaftlichen Mythosdeutung der Moderne. Münster, New York: Waxmann, 1993, S. 132- 146. 59 V. Propp: Morphologie des Märchens; hrsg. von Karl Eimermacher, München: Hauser 1972 (zuerst russ. 1928; ung.: A mese morfológiája, Budapest: Osiris, 1995) S. 26. 60 Propp, S. 26. 61 Propp, S. 80f. 62 Propp, S. 67. 63 Lévi-Strauss erblickt darin die Hereinnahme semantischer Kategorien in eine als syntaktisch deklarierte Methode. Lévi-Strauss, Claude: Die Struktur und die Form. Reflexionen über ein Werk von Wladimir Propp (1960) in: ders.: Strukturale Anthropologie II. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1967 S.135-168. Ende der 50er Jahre entwarf Roland Barthes vor dem Hintergrund semiologischer Untersuchungen seine Mythostheorie. Er hat moderne Ersatz- oder Trivialmythen – die sogenannte "Mythen des Alltags" untersucht. Laut Barthes ist der Mythos eine Aussage, ein Mitteilungssystem, eine Botschaft, der keine inhaltlichen Grenzen kennt, das heißt: alles kann Mythos werden. Da jeder Gegenstand von einer stummen Existenz zu einem besprochenen, für die Aneignung durch die Gesellschaft offenen Zustand übergehen kann, wird der Mythos nicht durch das Objekt seiner Botschaft definiert, sondern durch die Art und Weise, wie er diese ausdrückt. Der Mythos ist für Barthes ein "sekundäres semiologisches System", das den "Sinn" eines "Zeichens" des primären Systems (der Sprache) als "Form" ausnutzt, und indem der Sinn durch den Mythos zur Form wird, verliert er seine ursprünglichen Zusammenhänge, er leert sich und verlangt nach einer sie ausfüllenden Bedeutung. Der Sinn wird aber nicht aufgehoben, nur verdrängt und was sich in den Begriff einnistet, ist bei den meisten Menschen ein konfuses, aus unbestimmten, unbegrenzten Assoziationen gebildetes Wissen, das je nach Bildung und soziokulturellem Umfeld des Rezipienten sehr rudimentär und modellhaft sein kann. Der mythische Begriff ist deshalb angepaßt und einfach und hat eine Tendenz, ist deshalb für rhetorische Strategien sehr brauchbar. So ist die semiotische Analyse des Mythos bei Barthes in einen ausdrücklich politischen Kontext gestellt. Seiner Meinung nach sei "die beste Waffe gegen Mythos", diesen selbst durch eine dritte semiologische Kette zu "mythifizieren", einen "künstlichen Mythos" zu schaffen. In den "kleinen Mythen" des Alltags sah er Versteinerungen des geschichtlichen Prozesses und Verfestigungen der bürgerlichen Ideologie, aber die Mythen, beziehungsweise die mythischen Begriffe bilden sich und können leicht verschwinden, die Geschichte kann sie leicht vernichten. In Frankreich meldete sich auch eine andere neue Auffassung vom Mythos zu Wort, die eine noch nicht ausformulierte Konzeption schaffen konnte. Aus der ethnologischen Mythenforschung ausgehend rechnete Claude Lévi-Strauss mit allen früheren Erklärungen ab. "From a theoretical point of view the situation remains very much the same as it was fifty years ago, namely a picture of chaos. Myths are still widely interpreted in conflincting ways: collective dreams, the outcome of a kind of aesthetic play, the foundation of ritual… Mythological figures are considered as personified abstractions, divinized heroes or decayed gods. Whatever the hypothesis, the choice amounts to reducing mythology either to an idle play or to a coarse kind of speculation."64 "Die einzige wichtige Idee, die auf diesem Gebiet (d.h. Mythosforschung) seit Freud erschien, enthält seine Theorie, auch wenn in sehr komplizierter und unkontrollierter Form", schreibt Kirk über ihn.65 Bei Lévi-Strauss erscheint der Mythos als ein Zeichensystem, das – wie ein sprachliches oder musikalisches Gebilde – aus konstitutiven Einheiten besteht und erst aus dem systematischen Beziehungszusammenhang dieser Einheiten erschlossen werden kann. Entscheidend für die Entwicklung seiner spezifischen Methode wurde die Begegnung mit Roman Jakobson, der dem Ethnologen die Linguistik eröffnete. Der Mythos und die Sprache hängen aufs engste zusammen, "Raprocher le mythe du langage ne résout peu: le mythe fait partie intégrate de la langue; c’est par le parole qu’on le connaît, il relève du discours".66 Den zwei komplementären Aspekten langue und parole entsprechen jeweils die Dimensionen der "umkehrbaren Zeit" (revertible time) und der "nicht-umkehrbaren" (non-revertible). Der Mythos vereint beide Dimensionen der Sprache. Er verweist einerseits auf (vergangene) Ereignisse in der Zeit ("vor der Erschaffung der Welt", "in ganz frühen Zeiten"), andererseits bezieht er sich auf Ereignisse, deren Struktur ("pattern") als überzeitlich gültig angegeben werden. Außer der synchro-diachronischen Struktur hat der Mythos mit der Sprache gemeinsam, daß er auch aus kleineren Elementen aufgebaut wird, wie die Sprache aus Phonemen, Morphemen usw. eine Bedeutungsfunktion erlangen erst die Beziehungsbündel der Einheiten. Der Sinn eines Mythos sei somit nach der Art einer Orchesterpartitur zu lesen, welche diachronisch gemäß der einen Achse, also Seite nach Seite von links nach rechts, zugleich aber auch synchronisch, gemäß der anderen Achse, von oben nach unten, aufgenommen werden muß.67 Die solcherart erfaßte Struktureinheit ist das "Mythem" (mythème). Diese Mytheme schreibt Lévi-Strauss auf Karten auf, welche, mit Nummern versehen, die Handlung des Mythos wiedergeben. In der zweiten Phase der Analyse klassifiziert er die gewonnenen Einheiten, faßt sie zu Themenbündeln zusammen, in denen der zeitliche Ablauf und der überzeitliche Zusammenhang der Themen verschränkt bleiben. Aus dem inneren Zusammenhang der thematischen Gruppierung erhellt dann Lévi-Strauss die Struktur des Mythos, indem er die logischen

64 C. Lévi-Strauss: The Structural Study of Myth, In: Journal of American Folklore, Bd. 68 (1955), S. 428. 65 Kirk, S.3.; vgl.: Norbert W. Bolz: odds and ends. Vom Menschen zum Mythos: "Mythen sind zergliederte, wohlstrukturierte Gesamtheiten...", in: Mythos und Moderne, S. 471-492., S. 471. 66 Lévi-Strauss, Anthropologie structurale, dt: Strukturale Anthropologie. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1967- 75; S. 230. 67 Wie eine musikalische Partitur, siehe Strukturale Anthropologie, S. 142. Beziehungen zwischen den gewonnenen Themengruppen darstellt, und so den Mythos, seinen Sinn deutet. Das Modell des "bricolage" impliziert eine neue Kombination der in den Mythen vorfindlichen alten Elemente, und kehrt das Verhältnis von Struktur und Manifestation. Mit diesem Umgang mit den Mythen betrachtet er alle vorhandenen Varianten, auch die literarische und wissenschaftliche Bearbeitungen (so z.B. Freuds Ödipus) gleichrangig.68 Grundsätzlich problematisch ist bei seiner Methode, ob das aus der Phonologie abgeleitete Modell für die Mythenanalyse überhaupt brauchbar ist. Unter Annahme vielfältiger Kritik hat Lévi-Strauss sein Modell in "La pensée sauvage" modifiziert: es soll nicht mehr von der Tiefenstruktur ausgegangen werden, sondern von der Oberflächenstruktur. Trotz aller Kritik übte aber der französische Ethnologe eine große Wirkung aus. Greimas faßt die mythische Erzählung als eine schematische Aneinanderreihung strukturell feststehender Erzähleinheiten auf: "1. Leistungs-Syntagmen (Proben); 2. Vertrags-Syntagmen (Festsetzungen von Verträgen, Kontraktbrüche); 3. Trennungs- Syntagmen (Aufbruch und Rückkehr). Die Definition von narrativen Elementen hängt also nicht von der Kenntnis des Kontexts ab…"69 Aus dieser Feststellung ergibt sich das Ziel, mit der strukturalen Mythenanalyse ein "mythologisches Wörterbuch" erstellen zu können, das summarisch sämtliche "Befähigungen" und "Funktionen" der mythologischen Gestalten erfassen soll. Das Ergebnis der Studie von Greimas ist die Feststellung, daß die eigentlichen Erzählinhalte "nur narrative Manifestationen von strukturellen Transformationen sind".70 An die Untersuchungen zur strukturalen Mythosforschung hat sich eine interdisziplinäre, kontrovers geführte Diskussion angeschlossen. Während Nur Yaman71 oder Helga Gallas72 die strukturalistische Richtung positiv einschätzen, beklagt die 68 So bedeutet die Frage der echten bzw. ursprünglichen Variante kein Problem für ihn., in Strukturale Anthropologie, 146f. 69 Greimas, Algirdas Julien: Zur Interpretationstheorie der mythischen Erzählung (1970); in: Helga Gallas (Hrsg.), Strukturalismus als interpretatives Verfahren (collection alternative 2). Darmstadt/Neuwied: Luchterhand 1972. S. 105-162., S. 112. 70 Greimas, S.142.; Im weiteren Teil meiner Studie verwende ich nicht die mythostheoretischen Ansichten von Greimas, sondern seine Forschungsergebnisse von Isotopien. 71 Nur Yaman: "Das Rohe : das Gekochte : : Natur : Kultur". Beobachtungen zu Le Cru et le Cult. In: Leach, Edmund (Hrsg.): Mythos und Totemismus. Beiträge zur Kritik der strukturalen Analyse. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1973 (zuerst London 1967), S.109-131. 72 Gallas, Helga: Der Blick aus der Ferne. Die mythische Ordnung der Welt und der Strukturalismus. In: Peter Kemper (Hrsg.): Macht des Mythos – Ohnmacht der Vernunft? Frankfurt am Main: Fischer 1989, S. S. 267-288; dies.: Strukturalismus als interpretatives Verfahren, in.: dies. (Hrsg.): Strukturalismus als interpretatives Verfahren, a.a.O., S. IX-XXXI. Kulturanthropologin Mary Douglas die Verarmung mythologischer Themen, den in der Methode begründeten "Reduktionismus".73 Ada Neschke-Hentschke behauptet, daß etwa die Analyse des Ödipus-Mythos einerseits Elemente bezieht, die ihm gar nicht zugehören, andere wiederum, die ihm spezifisch eigen sind, unberücksichtigt läßt. Wegen dieser Konzentration auf Mytheme und der Vernachlässigung der konkreten Erzählfolge hält Neschke-Hentschke die Anwendbarkeit der strukturalen Methode auf "Erzähltexte" für undurchfürbar, da gerade "das Phänomen der Erzählsequenz eliminiert" werde.74 Hans Blumenberg hat den Strukturalisten ihre "Geschichtslosigkeit" vorgeworfen.75 Hartwig Frankenberg hat in Auseinandersetzung mit Lévi-Strauss den "Mythos als eine narrative Kategorie von Texten" in den unterschiedlichsten Mediatisierungen untersucht, etwa in Comics, Boulvard-Zeitungen, Heldensagen oder Märchen, und seine Ergebnisse lassen sich in zwei gegensätzlichen Phänomenen zusammenfassen. Das erste Prinzip, "die rigide Merkmalskombination der Figuren" entspricht der "Sehnsucht des Menschen nach einer konstanten Identität", das andere, "die Entwicklung und Variabilität der Identität" befriedigt "die Sehnsucht der Menschen nach Veränderung und Entwicklung seiner Identität".76 Horst Rogmann hat die von Lévi-Strauss und Greimas an mythischen Erzählungen und die von Propp an Märchen aufgewiesenen Erzählstrukturen auf literarische Texte angewandt und in den Texten von M. A. Asturias entdeckt.77 Hier wird die mythische Dimension des Textes auf die schablonenhafte Ausführung der Strukturformel von der Vermittlung der Gegensätze reduziert und implizit angenommen, daß Mythos und Moderne sich gegenseitig ausschließen.78

73 Douglas, Mary: Die Bedeutung des Mythos. Mit besonderer Berücksichtigung von ,La geste d’Asdiwal’, in Edmund Leach (Hrsg.): Mythos und Totemismus, a.a.O., S. 82-108, S. 99. Auch: Plumpes, Gerhard: Das Interesse am Mythos. Zur gegenwärtigen Konjunktur eines Begriffs, in: Archiv für Begriffsgeschichte XX, 1976, S. 236-253. 74 Neschke-Hentschke, Ada: Griechischer Mythos und strukturale Anthropologie. Kritische Bemerkungen zu Claude Lévi-Strauss’ Methode der Mythendeutung. In: Poetica 10, 1978, S. 135-153, S. 148f. 75 Hans Blumenberg: Arbeit am Mythos, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990 (5. Aufl.), S. 300f. auch: Mary Douglas: Die Bedeutung des Mythos, a.a.O. S. 106.; Christoph Jamme: "Gott an hat ein Gewand". Grenzen und Perspektiven philosophischer Mythos-Theorien der Gegenwart., S. 109.; Auch Kurt Hübner hat bemerkt: "Im Strukturalismus gibt es zu viel Syntax und zu wenig Semantik". Die Wahrheit des Mythos. München: Beck 1985, S. 89. 76 Frankenberg, Hartwig: Mythos als eine narrative Kategorie von Texten, in: Textsorten und literarische Gattungen. Dokumentation des Germanistentages in Hamburg von 1-4. April 1979, hrsg. v. Vorstand der Vereinigung der deutschen Hochschulgermanisten. Berlin: Schmidt 1983, S. 250- 261, S. 260f. 77 Rogmann, Horst: Narrative Strukturen und "magischer Realismus" in den ersten Romanen von Miguel Angel Asturias (Hispanische Studien 7). Frankfurt am Main/Bern/Las Vegas: Lang 1978, S. 148-155. 78 ebda. S.213. zu dem Thema siehe noch Birgit zur Nieden: Mythos und Literaturkritik. Zur literaturwissenschaftlichen Mythosdeutung der Moderne, Münster/New York: Wachsmann, 1993 Als 1973 Blumenbergs Aufsatz "Wirklichkeitsbegriff und Wirkungspotenzial des Mythos" erschien, kam die Beschäftigung mit dem Mythos zu einem Wendepunkt, wo der Mythos nicht mehr als "irrational, vorlogisch, exotisch oder grausam" betrachtet wird. In seinem Aufsatz sowie in seinem Buch Arbeit am Mythos (1979) bestimmt er den Mythos als ein sekundäres System, das der Bewältigung bestimmter Lebens- situationen und Ängste dient. Die Überlebens- und Daseinsangst des Menschen wird mittels mythischer Erzählungen bewältigt; der Mythos will uns die gefürchteten höheren Mächte vom Leibe halten. Dadurch gewinnt er eine erste Distanz und ist so anfängliche Rationalität. So richtig erklärt der Mythos eigentlich nichts, er liefert aber Bilder, die mit Schönheit und Überzeugungskraft die Zuhörer fesseln, und damit auch jedes Nachfragen neutralisieren. Bei der Übersetzung der Erfahrungen unterliegen diese mythischen Verfahren innerhalb der schriftlos-oralen Vorgeschichte einer intensiven Erprobung aller Gehalte auf Sicherheit der Wirkung; innerhalb dieser Selektionsprozesse wird der Mythos "optimiert".79 Die Mythen haben eine immanente Logik, sind offen und tolerant, sind auf Variation ihrer Grundthemen hin angelegt, und auch die Wiederholung als Moment des Wiedererkennens ist typisch für sie. Die Arbeit des Mythos sieht Blumenberg also in einer nie abgeschlossenen, ästhetisierenden Arbeit am Mythos realisiert. Der Logik der Typisierung und Kategorisierung in Mythos ist auch Kurt Hübner nachgegangen. In seinem 1985 erschienenen Buch Die Wahrheit des Mythos radikalisiert er die These von der Rationalität des Mythos und stellt mythische und wissenschaftliche Weltsicht als abgegrenzte, in sich geschlossene Denksysteme gleichwertig nebeneinander, wobei keiner beanspruchen kann, das Erklärungsmodell von der Wirklichkeit aufzustellen. Was beide Modelle entschieden voneinander trenne, sei ihre Beziehung zur Realität. Die uns geläufige Unterscheidung von Subjekt und Objekt, ferner die Wahrheit wissenschaftlicher Aussagen lehne der Mythos entschieden ab. Für die Wirklichkeit im Mythos ist nichts kausal oder unmöglich: "Die Wirklichkeit selbst ist mythisch voller Widersprüche. […] womit freilich nicht das Unmögliche gemeint ist, daß ein einzelner Mythos in sich widersprüchlich ist, sondern nur dies, daß er einander widersprechende Varianten aufweist. Der Mythos besitzt eine starke Sensibilität für lebendige, durch keine Gedanken zu erschöpfende Fülle der Welt."80

79 Arbeit am Mythos, S. 182f. 80 Hübner, S. 279. An eine Wiederkehr des Mythos glaubt Hübner nicht, "weil wir nicht in eine Welt zurückschlüpfen können, der unsere Erfahrungen vollständig unbekannt waren".81 Mythen lassen sich nicht machen, aber der Mythos als Rahmen und Kontext lebt noch.82 In den 90er Jahren arbeitet Christoph Jamme an einer philosophischen Mythostheorie, "die den Ergebnissen der modernen - insbesonders ethnologischen - Forschung gerecht" werden soll.83 Dabei geht es ihm weniger um den Mythos als Denk- und Erfahrungssystem, als um den Mythos als symbolisch-strukturierendes System. Sein Ziel ist es, dieses mythische System für eine neue Theorie der Rationalität fruchtbar zu machen. Man könnte die Aufzählung der Mythostheorien noch lange fortsetzen (zum Beispiel Manfred Frank, Odo Marquard, Heinrich Poser usw.), aber im Rahmen dieser Arbeit können nur solche Theorien Platz finden, die solche Eigenschaften der Mythen hervorheben, die auch erklären, warum der Mythos für Dürrenmatts Arbeitsweise geeignete Eigenschaften aufweist, oder auf die Mythosauffassung bzw. -bearbeitung des schweizerischen Autors irgendwelchen Einfluß ausgeübt haben. Lévi-Strauss und Jean-Pierre Vernant haben geschrieben: "Schluß mit dem Mythos also, wenn man darunter eine bestimmte Kategorie sakraler Erzählungen versteht".84 Das Mythische soll befreit werden, auch von der Kunst und der Wissenschaft, die die Systemelemente des Witzes, der Ironie und des Spiels vorgeschriebene Lesarten haben sollen.85 Bardrillard (Agonie des Realen, 1978; Fatale Strategien, 1985) behauptet, daß uns auf dem Weg der Suche nach Innerlichkeit und Geheimnis nur noch eine "überlegene Ironie" helfen könne, um der Sinnlosigkeit der Simulation unserer hyperrealen Wirklichkeit standhalten zu können. Auch Lyotard (Heidnische Unterweisungen, 1978) behauptet, daß man in unserer Zeit nicht kulturpessimistisch und zweckrational sein soll, dafür aber mythisch- unortodox. Alles soll wie eine Erzählung behandelt werden, man muß nur "die Macht zum Spielen, Hören und Erzählen wollen." 86 Die Namen und die Worte für unsere

81 Hübner, S. 409. 82 Hübner, S. 410. 83 Jamme, S. 18. 84 Lévi-Strauss, Claude; Vernant, Jean-Pierre: Mythos ohne Illusion, S. 10. 85 Greif, S. 163., Hervorhebung von K.K. 86 Heidnische Unterweisungen, S. 65.; Hervorhebung von K.K. Wirklichkeit müssen nicht mehr als wahr empfunden werden, vielmehr als "zufällige Spielprodukte."87 Zusammenfassend kann man sagen, daß mit der Kritik an Wissenschaft und Moderne eine Hochschätzung des mythischen Denkens und die Wiederentdeckung des Mythos einhergeht "als ein großes Erzählsystem, als einen ästhetischen und Wirklichkeit vielfältig erfassenden Rahmen, dem eine antirationale, anti-utopistische, undogmatische und spielerisch-erzählende Grundhaltung eigen sein soll".88 Die Mythen erlauben spielerische Varianten, wenngleich der Kern dieser Geschichten immer wiederholt wird, deshalb können sie immer wieder als Stoff der Literatur erscheinen.

2.6. Literarische Mythosbearbeitungen

2.6.1. Der Mythos in der Literatur der Postmoderne

Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhunderts und dessen faschistische Instrumentalisierung hatten alle Arbeiten mit dem Mythos prinzipiell fragwürdig gemacht. Es herrscht sogar eine Ansicht, nach dem der Mythos einen geraden Weg in den Faschismus vorbereitete, und deshalb verkündete man einen "Mythosverbot". Diese Meinung vertritten Adorno und Horkheimer mit ihrem Werk Dialektik der Aufklärung. Gleichzeitig konnten aber schon Versuche beobachtet werden, aus dem Mythos Ausgangswege, Wege zur Bewältigung der Gegenwart zu entwickeln. Thomas Mann sah in der Verbindung von Psychologie und Mythologie ein Mittel, mit dessen Hilfe man fähig sei, "den Mythos den faschistischen Dunkelmännern aus den Händen zu nehmen und ihn ins Humane ’umzufunktionieren’". "Diese Verbindung repräsentiert mir geradezu die Welt der Zukunft".89 Im Mythos fand Thomas Mann eine "höhere Wahrheit", die "das Typische, Immer-Menschliche, Immer-Wiederkehrende, Zeitlose" ist. Denn "das Typische ist ja das Mythische schon, insofern es Ur-Norm und Ur-Form des Lebens ist, zeitloses Schema und von je gegebene Formel, in die das Leben eingeht, indem es aus dem Unbewußten seine Züge reproduziert".90 Diese zwei Mythosauffassungen bestimmten

87 Greif, S. 165.; Hervorhebung von K.K. 88 Greif, S. 158. 89 Kerényi, Karl: Romandichtung und Mythologie. Ein Briefwechsel mit Thomas Mann, Zürich: Rhein, 1945, S.82 90 Mann, Thomas: Gesammelte Werke, 2.Aufl., Berlin und Weimar, 1956, Bd.12, S.449. grundsätzlich die "Arbeit am Mythos" in der Literatur nach dem zweiten Weltkrieg, auch die Literatur der Postmoderne. Mit der Verwandlungsfähigkeit, der Polysemie und der Unausschöpfbarkeit der Mythen kann die weitere Beliebtheit in der Postmoderne erklärt werden. So setzt z.B. Odo Marquard "dem Monomythos – etwa der Aufklärung – ein Plädoyer für aufgeklärte Polymythie" entgegen.91 In der gegenwärtigen Verwissenschaftlichung erscheint der polymorphe Mythos als Kompensat oder Alternative: "Der Wunsch, durch den wissenschaftlichen Diskurs zerstörte sinnstiftende Lebensmodelle zu erneuern, führt zur Prosperität des Mythos in der Gegenwart - und vor allem Dingen in der gegenwärtigen Literatur".92 In der Literaturszene wird vermehrt auf traditionelle Mythen zurückgegriffen, bekannte Mythologeme werden variiert, aktualisiert und neu interpretiert. Viele dieser Werke versuchen mit der Hilfe des Mythos aus "fernen, letzten Welten" erzählend auf eine apokalyptische Utopie anzuspielen, die unseren Zeitalter als eine letzte Welt erscheinen läßt. Man soll hier vor allem an den Roman von Christoph Ransmayr denken (Die letzte Welt), aber auch an die Arbeiten von Gert Heidenreich, Sten Nadolny und Horst Stern. Der Mythos bietet auch für das Theater eine Erneuerung. Botho Strauß, Tankred Dorst (Herr Paul, 1994), Christoph Hein (Ritter der Tafelrunde, 1989) versuchen "das Daseinsbewältigungspotential der Mythen jenseits des mythisch-religiösen Bewußtseins fruchtbar zu machen".93 Bei dieser Strategie der "Aneignung des Mythos jenseits des Mythos"94 soll man zum Beispiel an Strauß´ Die Fremdenführerin (1986) oder Der Kongreß. Die Kette der Demütigungen (1987) denken. Die einzelnen Texte können mythische Stoffe, mythisch-religiöse Vorstellungen, aber auch Mythostheorien bearbeiten, und diese "Arbeit am Mythos" kann z. B. sozial-, utopie-, zivilisationskritisch oder feministisch ausgerichtet sein, sie kann unter anderem durch psychoanalytische, anthropologische, ethnologische, theologische oder postmoderne Ansätze geprägt sein.

91 Abschied vom Prinzipiellen. Apologie des Zufälligen. Wien: Österreichischer Bundesverlag, 1982; S.110. 92 Bock-Lindenbeck, Nicola: Letzte Welten - Neue Mythen. Der Mythos in der deutschen Gegenwartsliteratur. Köln,Weimar, Wien: Böhlau, 1999, S. XII. 93 Tepe, Peter: "Mythologische" Streifzüge durch die deutsche Literatur der achtziger Jahre. In: Peter Tepe, Markus Küppers (Hrsg.): Düsseldorfer Mythologica 1, Essen 1993, S. 61-80.; S. 62. 94 Bock-Lindenbeck, S. XVII. Michael Köhlmeyer erzählte im Radio Österreich I. frei Geschichten aus der griechischen Mythologie, die wegen dem Publikumserfolg auch auf CD sowie in Buchform herausgegeben wurden. Solche "einfache Nacherzählungen" sind Das große Sagenbuch des klassischen Altertums, die Neue Sagen des klassischen Altertums von Amor und Psyche bis Poseidon bzw. von Eos bis Aeneas, und der Tantalos. Nicht einfach Nacherzählung ist Telemach, die die Verarbeitung von Mythen, mythisch- religiösen Vorstellungen und Mythostheorien vermischt. Mit der Hilfe der Geschichte von Telemach, dem Sohn des Odysseus setzt das Buch starke zivilisationskritische Akzente. Solche Töne sind auch in Sten Nadolnys Ein Gott der Frechheit, Ransmayrs Die letzte Welt, die Ovids Metamorphoses als Prätext wählt, und Adolf Muschgs Der rote Ritter. Eine Geschichte von Parzifal. Nadolnys Werk enthält dabei literaturtheoretische Passagen, und wie auch die anderen hier erwähnten Werke verarbeitet Mythostheorien. Während aber diese Hermes-Geschichte eine profane Grundhaltung aufweist, intendiert Die letzte Welt eindeutig eine Remythisierung, was auch für Inge Merkels Eine ganz gewöhnliche Ehe typisch ist. Dieses Werk verarbeitet das Thema, wie die Ehe des Odysseus und der Penelope aussah, wie sie die zwanzig Jahre der Trennung erlebt haben und was diese zwei schon alternden und stark veränderten Menschen miteinander anfangen können. Der Roman weist stark psychoanalytische, aber auch feministische Züge auf. Mythosbearbeitende Werke neigen oft zur psychoanalytischen (z.B. Muschgs Parzifal, Horst Sterns Klint oder Dürrenmatts Werke) oder feministischen Tendenz (z.B. Christa Wolfs Kassandra oder Dagmar Nicks Medea. Ein Monolog.). Mythisch-religiöse Vorstellungen werden in Gerd Heidenreichs Belial oder Die Stille oder in Benjamin Steins Alphabet des Juda Liva verarbeitet. Interessanterweise beschäftigen sich diese Werke oft mit theoretischen Diskursen, ist aber eher ein spielerischer oder ironischer Umgangston zu beobachten. All diese Werke vertreten sehr verschiedene Richtungen, verschiedene Arten von "Arbeit am Mythos". Eindeutig kann formuliert werden, daß die Mythosbearbeitungen auch in der Gegenwart eine Blütezeit erleben, aber auch, daß all diese Werke einen eigenen Weg einschlagen. Vor diesem literarischen Hintergrund soll endlich auf den schweizerischen Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt konzentriert werden, dessen Lebenswerk von den 40er Jahren bis 1990 durch die Mythen und die Mythosbearbeitungen bestimmt wird. 2.6.2. Ein "Einzelgänger"(?) aus der Schweiz

Es gibt aber einen Schriftsteller aus der Schweiz, dessen ganzes Lebenswerk mit mythischen Elementen durchwoben ist, sogar seine Zeichnungen: dieser Autor ist Friedrich Dürrenmatt. Bei ihm erscheinen die Mythen von seinem ersten Stück Riesenglocke/Labyrinth (1939/40)95 bis zu dem letzten (Midas, 1990). Die Mythen werden sowohl in seiner Malerei als auch in den verschiedensten Gattungen seiner schriftstellerischen Tätigkeit (Dramen, Erzählungen, Balladen) verwendet. Und diese Verwendung geschieht auf mehreren Bedeutungsebenen der Symbole: sie werden einfach als Metapher (z.B. Labyrinth für die Stadt) benutzt oder psychologisch (z.B. Labyrinth als Symbol unserer Angst und der Existenzproblematik) aber auch philosophisch-wissenschaftlich (z.B. Natur – Menschen) verwendet. Bei Dürrenmatt erscheinen ähnliche Motive und Themen wie bei seinen Zeitgenossen (z.B. Prometheus, Ödipus, Labyrinth, Babel), aber in einer völlig anderen Bearbeitungsweise. Ein bekannter antiker Stoff wird in Dürrenmatts Händen total verwandelt, und das Endergebnis ist voll mit Gedanken für den (modernen) Menschen. Vielleicht hat Dürrenmatt am besten beschrieben, was das Wort: Mythos bedeutet. "Die Mythen sind zeitlos, sie vermögen immer wieder in unsere Zeit einzubrechen oder sich aus ihr zurückzuziehen. Ob sie etwas bedeuten, liegt außerhalb ihrer Glaubwürdigkeit oder gar ihrer Existenz, es liegt daran, ob wir uns noch in ihnen wiederfinden oder nicht."96

2.7. Fazit

Hier müßte eine Art Zusammenfassung stehen, bzw. ein Bestimmungsversuch des Mythos oder Mythologie. Je mehr man sich aber mit dem Thema beschäftigt, desto mehr fühlt man, wie recht Axel Horstmann hatte: "Zu den Ergebnissen der Begriffsgeschichte Mythos/Mythologie gehört der Verlust aller Hoffnung auf allgemein

95 Dürrenmatt hat schon als Schüler ein Dramenfragment über "Teseseus" (sic!) geschrieben. FD-C-1-c-3, 1931 96 Dürrenmatt: Dramaturgie eines Rebellen: Prometheus. WA 37, 39. akzeptierte Definitionen und Theorien – selbst was die Abgrenzung von Mythos und Mythologie untereinander angeht".97 Man kann zwar eine Definition als Arbeitsgrundlage nehmen, wie im Falle dieser Arbeit die Bestimmung von Jamme, aber alle Elemente können problematisiert und für ungenügend erklärt werden. Das heuristische Problem liegt gerade darin, daß der gelebte Mythos keine Deutung benötigt (sogar keine erlaubt), wenn man den Mythos wissenschaftlich betrachtet, tötet ihn, und er kann kaum wiederbelebt werden.98 Mit Fragestellungen und Bemerkungen kann man zu weiteren Überlegungen provozieren, aber wir können kaum mehr sagen als Dürrenmatt: "Die Stoffe, die Mythen, schuf der Mensch aus sich, um sein Leben auszuhalten. Es sind Fiktionen, die er braucht" 99 Im weiteren soll statt einer Mythosbestimmung der Gebrauch des Mythosbegriffes bei Dürrenmatt untersucht werden.

97 A. Horstmann, S. 243. 98 W.F. Otto: Das Wort der Antike, Stuttgart: Klett, 1962 99 Dürrenmatt: Die Welt als Labyrinth, Friedrich Dürrenmatt: Gespräche 1961-1990 in vier Bänden. Zürich: Diogenes 1996, Bd. 3, S.129. 3. Friedrich Dürrenmatt: Von Gedanken zu den Schriften − Verwirklichung der Stoffe

3.1. Das Schweizerische Literaturarchiv: Arbeit mit den Manuskripten Dürrenmatts 100

3.1.1. Der literarische Nachlaß

Friedrich Dürrenmatt hat seinen literarischen Nachlass an die Schweizerische Eidgenossenschaft testamentiert, mit der Bedingung, daß man ein Literaturarchiv zur Behandlung dieses Materials bzw. des anderer Schriftsteller ins Leben rufen soll. So entstand das Schweizerische Literaturarchiv in Bern, das Dürrenmatts wohlgeordnetes Archiv zu seinen Werken ein halbes Jahr nach seinem Tode übernehmen konnte. Den Kern des Nachlasses bilden die große Manuskripten- und Typoskriptensammlung (rund 17 Laufmeter) und die Korrespondenz (6 Laufmeter). Hinzu kommen einzelne persönliche Dokumente und Objekte: militärische Erkennungsmarke und Dienstbüchlein, Paß, Ehrungsurkunden und vor allem Dürrenmatts Taschenagenden seit 1947, in welchen er knapp über seine schriftstellerische Arbeit, seine Lektüren, Kontakte usw. Buch führte. Eine umfangreiche Dokumentation zu seinem Leben und Werk (Fotomaterial, Sekundärliteratur, Programmhefte, Theaterplakate, Film- und Tondokumente von Aufführungen der Stücke usw.) und die persönliche Bibliothek vervollständigen den literarischen Nachlaß. Für den künstlerischen Nachlaß ist eine eigens dafür gegründete Stiftung, das Centre Dürrenmatt Neuchâtel zuständig. Die Frage ist natürlich, ob man aufgrund des Nachlasses einen "anderen, neuen" Dürrenmatt entdecken kann. Die Situation ist umso interessanter, da der schweizerische Autor spätestens seit 1956 (Der Besuch der alten Dame) nie Mühe hatte zu publizieren, was er wollte. Außerdem kann man seit der Arbeit an den Stoffen (seit Beginn der 70er Jahre) eine starke Rückwendung auf Früheres beobachten, so daß mit dem Erscheinen der Bände Labyrinth und Turmbau vieles aus der Frühzeit verarbeitet wurde. Zwar bilden die Vorfassungen und Überarbeitungen der schon publizierten Texte den Hauptteil der Manuskripte, trotzdem liegen eine Reihe von noch nicht

100 Darstellungen des Nachlasses von Friedrich Dürrenmatt: Rüedi, Peter: "Jedes Scheissblatt wird herausgegeben und bewundert": Ein Jahr nach dem Tod von Friedrich Dürrenmatt werden die Umrisse seines grossen Nachlasses sichtbar. In: Die Weltwoche (Zürich), Nr. 50, 12.12.1991, S. 57.; Weber, Ueli: Friedrich Dürrenmatts Nachlass im Schweizerischen Literaturarchiv. In: Schweizerische Landesbibliothek, 78. Jahresbericht, 1991 (Bern 1992), S. 23-30.; Weber, Ueli: Friedrich Dürrenmatts literarischer Nachlass. In: QUARTO: Zeitschrift des Schweizerischen Literaturarchivs, Nr. 1 (März 1993), S. 24-28.; Weber, Ulrich: Dürrenmatts Nachlass im Schweizerischen Literaturarchiv. In: Friedrich Dürrenmatt. Schriftsteller und Maler. Bern-Zürich 1994, S. 308-310. publizierten Texten, hauptsächlich Fragmente vor, die in vier Gruppen unterteilt werden können.101 1. Es gibt verschiedene Versuche und Bruchstücke aus der frühesten Zeit der schriftstellerischen Tätigkeit: so zum Beispiel ein zweiseitiges Dramenfragment des Sekundarschülers mit dem Titel Theseus, und das erste vorhandene literarische Werk: Die Riesenglocke oder Das Labyrinth (ca. 1939/40), eine Erlösersgeschichte in mythisierenden Sprache, Vorstufe zum Rebell102. 2. Fragmente aus späterer Zeit, die aus verschiedenen Gründen in einem frühererem Stadium ihrer Entstehung beiseite gelegt wurden. So kann man die zwei Romanfragmente Transplantationen und Der Pensionierte erwähnen, sowie die Stücke Johanna die Wahnsinnige und Der Tod des Sokrates. 3. Als ein eigenständiger Fall muß das Drama Turmbau zu Babel erwähnt werden, an dem Dürrenmatt 1948 sehr intensiv gearbeitet, in einem Verzweiflungsakt aber in der Weihnachtszeit verbrannt hat. Lange Zeit galt dieses Drama für verloren, aber ein vieraktiges Fragment konnte durch Elsi Giauque, die Hausherrin auf Festi Ligerz gerettet werden, das jetzt auch im Nachlaß vorliegt. Es muß hier auch noch Die Sekretärin, eine Friedhofskomödie aufgezählt werden, eine possenhafte Variante der Nobelpreisträgerstücke. 4. Die vierte Gruppe bilden die weitgehend vollendeten Parabeln, Essays, Gedichte und Reden, die aber zu Lebzeiten von Dürrenmatt noch nicht publiziert wurden. Der Diogenes Verlag hat seitdem aus diesem Material schon die Bände Gedankenfuge (1992) sowie Das Mögliche ist ungeheuer (1993) herausgegeben. Warum ist also der Nachlaß für die Dürrenmatt-Forschung so wichtig? Man kann nie genug betonen, daß das Schreiben für Dürrenmatt immer ein mühsamer Prozeß der Verwirklichung, der Sprachwerdung von Ideen und Bildern, also Stoffen. Dieser Kampf mit der Sprache – um die Sprache, zeigt sich auch darin, daß Dürrenmatt seine Werke immer wieder umgeschrieben hat, und dieser Schreibprozeß kann auch Jahrzehnte umfassen, wobei der gleiche Stoff in verschiedenen Gattungen verwirklicht werden kann. Der Nachlaß mit seinen unzähligen Fassungen und Entstehungsstufen ermöglicht einen Blick auf die Entwicklung dieser Arbeit, ermöglicht eine genetische Untersuchung, was umso wichtiger ist, da Dürrenmatt in seinen späteren Texten (seit dem Mitmacher-Komplex) immer stärker auf die Genese seiner "Stoffe" zurückgreift.

101 Laut Ulrich Weber: Dürrenmatts Nachlass im Schweizerischen Literaturarchiv, 1994, S. 308-310. 102 In: Labyrinth. Stoffe I-III., WA 28, 271-322. Im folgenden sollen allgemeine Charakteristika der Arbeitsweise Friedrich Dürrenmatts und der Manuskripte in seinem Nachlaß dargestellt werden.

3.1.2. Die verschiedenen Manuskriptformen

Dürrenmatt hat von Beginn seiner schriftstellerischen Tätigkeit an einen Teil seiner Manuskripte aufbewahrt, die systematische Ablageform der Manuskripte wurde aber erst von Dürrenmatts Sekretärin103 von 1976-84, von Frau Grafstein übernommen. So stammt die systematische Einteilung, aber in vielen Fällen auch die Beschriftung und Datierung von wesentlich älteren Texten erst aus dieser Zeit, so daß es in vielen Fällen Mißverständnisse und vermutlich unpräzise oder falsche Angaben von Dürrenmatt eingeschlichen sind. Die Bezeichnungen aus dem Dürrenmatt-Sekretariat wurden übernommen, werden aber – wo es nötig ist – mit korrigierenden oder präzisierenden Bemerkungen ergänzt. Die Manuskripte im weiteren Sinne des Wortes sind in fünf Bereiche aufgeteilt: den Hauptanteil machen die drei Bereiche "Manuskripte" (Urhandschrift), "Arbeitsfassungen" (handschriftlich korrigierte Typoskript, das ist die umfangreichste und freieste Gruppe) und "Reinschriften" (unveränderte End-Typoskript bzw. PC- Ausdruck) aus. Wichtige Informationen liefern die "Text- und Arbeitsbücher" und die "Notizhefte". Die Text- und Arbeitsbücher sind Leerbücher, sog. Blindbände, zum Teil mit mehr als 400 Seiten, die dem Schriftsteller vom Arche- später dem Diogenes-Verlag zur Verfügung gestellt wurden. In sie schrieb Dürrenmatt ab ca. 1970 Entwürfe bzw. erste Fassungen zu seinen Werken, Ergänzungen zu bereits vorhandenen Typoskripten. Meist wechseln sich Fragmente verschiedener Texte ab, an denen er parallel gearbeitet hat. Insgesamt gibt es 16 solche Textbücher104, 13 davon im Nachlaß, 3 im Besitz von Charlotte Kerr, der Witwe von Dürrenmatt.105 Die meisten und umfangreichsten Textbücher stammen aus den 70er Jahren, Dürrenmatt scheint nur in dieser Zeit konsequent mit diesem Typus gearbeitet zu haben, und zwar parallel mit mehreren Textbüchern.

103 Dürrenmatt hat seit 1969 mit vier Sekretärinnen zusammengearbeitet: von 1969 bis 1971 Frau Bosshard, von 1971 bis 1976 Frau Lenhartz, von 1976 bis 1984 Frau Grafstein, von 1984 bis 1990 Frau Tangelder. (Von 1956 bis 1960 arbeitete manchmal Frau Sandoz für den Schriftsteller.) 104 Mindestens zwei Textbücher aus den frühen 70er Jahren sind verschollen, wie es sich während des Mitmacher-Forschungsprojekts herausgestellt hat. Im Turmbau S. 208. berichtet Dürrenmatt von einem Blindband mit dem Anfang der Erzählung Vinter, der verlorengegangen ist. 105 Kopien davon sind im SLA vorhanden. Die Notizhefte sind Notizblöcke, -hefte, Spiralhefte und kleine Ringordner, in die Dürrenmatt – wie in die Blindbände – handschriftliche Fassungen und Fragmente seiner Texte schrieb. Die Notizhefte sind eigentlich die Vorgänger der Textbücher. Insgesamt gibt es im ursprünglichen Nachlaß 26 Notizhefte, aber insbesonders in der Frühzeit hat Dürrenmatt solche Ringordner mit Manuskripten verschenkt.106 In der Tat entspricht die Anordnung von Manuskripten zu einem Text in der Ablage in den seltesten Fällen einem realen Arbeitsprozeß. Die Abteilungen überlagern sich mannigfaltig. Die Ordnung innerhalb der einzelnen Abteilungen ist systematisch- chronologisch: Dramatik – Prosa – Theoretisches/Essayistisches, innerhalb deren die Reihenfolgen chronologisch verläuft, wobei Textzeugen sich auf ein Werk beziehend direkt folgen. Eine eigene, geschlossene Abteilung bilden die Druckvorlagen bzw. der Umbruch für die Werkausgabe von 1980.

3.1.3. Dürrenmatts Arbeitsweise seit den 70er Jahren

Seit seinem Herzinfarkt von 1969, in dessen Folge der Arzt ihm das Tippen mit der Schreibmaschine verboten hat, hat Dürrenmatt bis zu seinem Tod mit einer Sekretärin gearbeitet. Während dieser Zeit entstand eine Kontinuität disziplinierter Arbeitsprozesse. Als Vorstufe zur eigentlichen schriftstellerischen Arbeit muß das mündliche Erzählen eines Stoffes in verschiedenen Varianten vorausgesetzt werden. Schriftliche Konzepte für die Verfassung eines Werkes gibt es bei Dürrenmatt praktisch nie. Die ersten schriftlichen Textzeugen sind bereits ausformulierte Fassungen eines Textanfangs. Er schrieb einen solchen Anfang in einem Schwung nieder, bis der Schreibfluß ins Stocken gerät. Darauf läßt er diesen ersten Schub von der Sekretärin abtippen. Bevor dann Dürrenmatt weiterschrieb, las er das ins Reine Getippte durch und überarbeitet es, meist in Form von handschriftlichen Änderungen im Typoskript, oder bei größeren Änderungen oder Umstellungen in Collage-Technik, durch Ausschneiden und neu Zusammenkleben von Textpassagen, die dann durch handschriftliche Ergänzungen verbunden werden.107 Anschließend führt Dürrenmatt den Text in handschriftlicher Fassung weiter. Dieser Prozeß wiederholt sich mehrmals, bis 106 Solche Notizbücher (oder Fotokopien) wurden dem SLA z.B. aus dem Nachlaß von Kurt Horwitz oder dem von Peter Lotar geschenkt. Dürrenmatt den Anfangsteil stehen läßt, und sich bis zur ersten Formulierung des Schlusses durcharbeitet. Die Arbeit findet nur selten Abschluß mit der ersten Publikation eines Textes bzw. der Aufführung eines Stücks, meist führt Dürrenmatt die Arbeit unter Berücksichtigung der öffentlichen Rezeption weiter, so daß oft mehrere verschiedene Varianten eines Werkes existieren108, was die Frage nach der "authentischen" Variante aufwirft, also muß es immer gesagt werden, welche Variante eines Werks die Grundlage der jeweiligen Analyse bildet.

3.1.4. Probleme bei der textgenetischen Untersuchung der Manuskripte Dürrenmatts

Eine methodisch gesicherte Auseinandersetzung mit den Manuskripten setzt die systematische Analyse des Materials und die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte voraus, da ergeben sich aber verschiedene Probleme. Schon der Umfang der Manuskripte und die Komplexität der Arbeitsprozesse ermöglichen eine vollständige Detailbearbeitung nur in den wenigsten Fällen.109 Da Dürrenmatt und die Sekretärinnen mit losen Einzelblättern gearbeitet haben, die in den Überarbeitungsprozessen weiter benutzt wurden, ist die Stellung der einzelnen Blätter nicht immer gesichert. Die Problematik erweitert sich auch auf die Datierung. "Eine adäquate genetische Interpretation ist also nur möglich, wenn wir jeweils die einzelnen Textschichten, die Kombination von überarbeitetem Typoskript und Manuskriptergänzung (bzw. die jeweilige Reinschift des Ganzen), als Einheit rekonstruieren."110 In dieser Arbeit konnte nicht zum Ziel gesetzt werden, alle Einzelheiten der Genese der hier behandelten Texte zu bearbeiten, aber neben anderen Methoden werden auch die Ergebnisse der textgenetischen Untersuchung miteinbezogen.

107 Dazu: Maria Becker: Begegnungen, Erinnerungen. In: Friedrich Dürrenmatt – Schriftsteller und Maler, S. 156-158. 108 Man soll z.B. an Romulus denken. 109 Siehe dazu die Erfahrungen des Mitmacher-Forschungsprojektes sowie den Schlussbericht an den Schweizerischen Nationalfonds zum Stoffe-Projekt. www.snl.ch 110 Arbeitsberichte des Schweizerischen Literaturarchivs, Nr. 2., S. 14. 3.2. Die Verwandlung der Stoffe

3.2.1. Der Begriff des Stoffes

"Stoffe liegen auf der Straße", behauptet der oft Doppelbegabung111 genannte schweizerische Maler und Schriftsteller, in dessen Tätigkeit diese "Stoffe", "diese verwandelten Eindrücke" eine zentrale Rolle spielen, so daß er von einer "Dramaturgie vom Stoffe her" redet.112 Hier soll diese Dramaturgie behandelt werden, die Entstehung und die subjektive Aneignung von Stoffen und deren komplexe Transformation ins Medium Zeichnung/Malerei bzw. Schrift, wobei hier der Schwerpunkt auf der Komplementarität der Darstellungsformen liegt. Die zentrale These dieser Arbeit liegt in dem Punkt, daß man im Falle Dürrenmatt nicht aus der Interpretation einzelner Werke ausgehen darf, sondern aus der Behandlung einzelner Stoffe und der inter- und intratextuellen Bezüge der einzelnen Stoffe. Hier soll dargestellt werden, was der Begriff "Stoff" für Dürrenmatt bedeutet, welche große Rolle der Bildcharakter der Stoffe spielt, bzw. wie einzelne Stoffe malerisch oder schriftstellerisch bearbeitet werden.

3.2.2. Dramaturgie vom Stoffe her

Den Ausgangspunkt der schöpferischen Gestaltung bilden für Dürrenmatt die Stoffe. Im Jahre 1981 erschien bei dem Diogenes Verlag der Band Stoffe I-III, in dem der Autor schreibt:

"Wenn ich trotzdem über mich schreibe, so nicht über die Geschichte meines Lebens, sondern über die Geschichte meiner Stoffe; denn in meinen Stoffen drückt sich, da ich Schriftsteller bin, mein Denken aus, auch wenn ich natürlich nicht nur in Stoffen denke. Aber die Stoffe sind die Resultate meines Denkens, die Spiegel, in denen, je nach ihrem Schliff, mein Denken und damit auch mein Leben reflektiert werden. Doch gehören zu diesen Stoffen nicht nur die Stoffe, die ich geschrieben, sondern auch jene, die ich nicht geschrieben habe. Indem ich vor allem diese skizziere, taste ich mich in der Entwicklung meines Denkens zurück wie einer Spur, der ich folge, und was ich aufscheuche, ist mein Leben."113

111 Siehe Gasser, Manuel: Eine Doppelbegabung. In: Keel, Daniel (Hrsg.): Über Friedrich Dürrenmatt. Sechste, verb. und erw. Auflage, Zürich: Diogenes, 1998, S. 365-381. 112 WA 30, 256ff. 113 Dürrenmatt: Labyrinth. Stoffe I-III, Zürich: Diogenes, 1981, S. 11 Unter ’Stoffen’ versteht man gemeinhin aus historisch konkretem ’Material’ vorgegebene Wirklichkeitselemente, die der Autor aufgreift und gestaltet. In vielen Fällen gehen sie auf eine mündlich oder literarisch überlieferte Quelle zurück, die vom Dichter um des zugrundeliegenden Motivs willen aufgegriffen wird.114 Dürrenmatt führt seine Stoffe, diese "verwandelten Eindrücke"115 grundsätzlich auf zwei Ursprünge zurück: sie können gefundene116 oder erfundene Objekte117, also (auch Lektüre-) Erlebnisse118, oder gedankliche Erfindungen sein: "Es ist gleichgültig, ob man einen Stoff erfindet oder einen fremden Stoff bearbeitet, weil man doch etwas Eigenes daraus macht."119. Zwar findet Dürrenmatt die Methode der Psychoanalyse oft allzu vereinfachend, behauptet er, daß vor allem die Erlebnisse der Kindheit und der Jugend prägend sind 120, denn "solche Eindrücke formen uns, was später kommt, trifft schon mit Vorgeformten zusammen, wird schon nach einem Schema verarbeitet, zu Vorhandenem einverleibt, und die Erzählungen, denen man als Kind lauschte, sind bedeutender als die Einflüsse der Literatur".121 Er hat sogar eine Motivkarte vom Dorf Konolfingen, in dem er geboren war, gemacht (siehe Abb. 1). "Stoffe liegen auf der Straße", aber "der Schriftsteller wählt seine Gegenstände, über die er schreiben will, nicht aus, er wird vielmehr von den Gegenständen gepackt, zum Schreiben gezwungen."122 Man befinde sich in einem "beständigen Kampfe" mit dem Stoff, denn "jeder Stoff besitzt sein immanentes Eigenleben, seine eigene, hartnäckige

114 Probst, Rudolf: Forschung im Literaturarchiv. Untersuchungen der Textgenese von Friedrich Dürrenmatts "Stoffen". In: Sichtungen. Archiv – Bibliothek – Literaturwissenschaft. Internationales Jahrbuch des Österreichischen Literaturarchivs, 2. Jahrg., Wien: Turia+Kant, 1999, 155-164.; Rusterholz, Peter, Wirtz, Irmgard (Hrsg.): Die Verwandlung der "Stoffe" als Stoff der Verwandlung. Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2000.; Schlußbericht an den Nationalfonds zum Schweizerischen Stoffe- Projekt. d-Stoffe Schlußbericht im Internet: www.snl.ch (letzte Aktualisierung Aug. 2001) 115 WA 32, 13 116 Vgl. Gespräche 3, 212; 4, 71; 4, 159. 117 WA 30, 104, Vgl. Gespräche 2, 59; Geschichte als Stoff: WA 2, 148. 118 Dürrenmatt schätzt bei diesen Erlebnissen die Leseerlebnisse nicht so hoch: "Den größten Einfluß nimmt ja nicht die Literatur, sondern das Leben selbst. Die Auseinandersetzungen mit dem Leben, die Probleme, die kommen, die Beobachtungen, das beeinflußt. Aus Literatur entsteht keine Literatur." (Gespräche 1, 215) Besonders aber in der späteren Schaffensphase spielen die aus der Philosophie und Naturwissenschaften stammenden Kenntnisse eine immer größere Rolle, aber auch die literarischen Bearbeitungen machen den größten Teil der literarischen Tätigkeit von Dürrenmatt aus (König Johann, Titus Andronicus usw.) Im Zusammenhang mit König Johann sagt Dürrenmatt: "Das gibt die Erleichterung, daß man einen Stoff schon vorfindet". (Gespräche 1, 310) 119 Gespräche 1, 329 120 Gespräche 3, 57f., vgl. WA 32, 13; Gespräche 2, 114; 2, 219 121 WA 32, 13 122 Gespräche 2, 287, vgl. WA 15, 141: " >Die Frist<, das Theaterstück als Stoff überfiel mich gewaltsam […]" Gesetzlichkeit"123, er ist "Gegner" und "nie fair". Der Stoff ist "listig, oft nicht aus seiner Festung zu locken und wendet die geheimsten, niederträchtigsten Fallen an".124

Abb. 1: Plan von Konolfingen mit eingetragenen literarischen Motiven. Um 1960. Die Stoffe sind aber gleichzeitig Ursprung und Produkt der künstlerischen Tätigkeit von Dürrenmatt und der Begriff bezeichnet verschiedene Entwicklungsstufen: "so ist ein Stoff etwas anderes als Idee oder als eben geschriebenes Stück oder als

123 WA 30, 90 124 WA 30, 55 Theateraufführung". Als ungeformter liegt der ’Ur’-Stoff im Vorsprachlichen, sie sind "Urmodelle"125, "ein urmenschliches Motiv"126, "archetypische Ureinfälle, Urvisionen"127. Für diese Phase ist folgendes charakteristisch: "Ich bin auch oft sehr lange stumm. Ich bin sprachlos über das, was ich erlebt habe".128 Dürrenmatt hebt bei dieser Phase die subjektive Durchdringung des erlebten Stoffes hervor, die sich aus der Transformation des erinnerten Stoffes durch die Phantasie ergibt: "Alles, was ich erlebe, was mir vorkommt, sinkt wie in ein Dunkel zurück und kommt dann verwandelt, als eine ganz fremde Gestalt wieder, in der ich mich erst später wiedererkenne"129 Dieser Verwandlung liegt immer ein "Einfall"130 zugrunde, die die Erlebnisse des Autors zu seinem eigenen Stoff machen, und bei dieser Transformation und Gestaltung spielen die Erinnerung, die Assoziationen und die Logik eine wichtige Rolle.

"Der Mensch denkt nicht nur >rational<, er assoziiert auch, bildet Analogien und erinnert sich. Stellt das rationale Denken das Objektive dar, so sind die Assoziationen, Analogien und die Erinnerung das Subjektive: sie sind auch die Grundelemente der Phantasie. Nicht daß diese ohne die Ratio auskäme: Im rationalen Phantasieren, beim Schreiben eines Dramas etwa, komponiert die Logik gleichsam die Handlung, formt den Stoff, den die Phantasie liefert, die ihn wiederum aus der Erinnerung schöpft oder aus der Überlieferung gleichwie, die Phantasie formt den Urstoff, ihr Material um, die Ratio formt weiter; Ratio, Assoziation, Analogie, Erinnerung arbeiten zusammen."131

Bei dem Komponieren der Handlung, bei der Formung ist man aber schon wieder vom Stoffe, von seinem Eigenleben begrenzt. Man ist nur beim ersten Schritt dieses

125 Gespräche 3,13 126 Gespräche 3,30 127 Gespräche 3,182 128 Gespräche 2,155 129 Gespräche 2, 154; vgl. Gespräche 2, 312; WA 18, 253f.; WA 18, 230; WA 14, 98; WA 36, 125. 130 Siehe Gespräche 1, 117; 2, 139; 182f.; WA 5, 138 (Randnotiz Einfälle); WA 32, 212; WA 36, 77f.; 131 WA 35, 176f., vgl. Dramaturgie der Phantasie, Gespräche 3, 183f. Gedankenspiels frei, dann wird die innere Logik der Geschichte maßgebend – wie im Schachspiel:

"Erst durch das Arbeiten lernt man den Stoff kennen. Zuerst ist man frei im Gestalten des Stoffs. Dann aber beginnt der Stoff selbst zu diktieren. Die Wendung zu den Notwendigkeiten, die im Stoff selbst liegen, das ist der schönste Augenblick."132

"Mein Schreiben ist das absolute Diktat eines Stoffes, das heißt: Ich habe mich dem Stoff zu unterwerfen, habe ihn in seiner letzten Konsequenz zu verfolgen."133

Wie es aber auch beim Schachspiel134 nicht nur eine einzige Eröffnung möglich ist, so kann die Phantasie weiterarbeiten und durch diese Spiele kommen immer neue Eigenwelten135 zustande, die einer inneren Logik gehorchen und "in sich" stimmen. Dabei versucht Dürrenmatt keine Lösung zu finden, sondern den stärksten Ausdruck einer menschlichen Situation.136

"Für mich ist ein Stoff ein Urmodell, und wenn ich einen Stoff bearbeite, heißt das, daß ich eine Konzeption, eine Konstellation weiterdenke – ich arbeite und denke an meinen Stoffen so weiter, wie die Physiker am Atommodell weiterdenken; so ein Stoff kann zuerst ein ganz einfaches Modell sein, dann wird das Modell komplizierter, es verändert sich auch in der Aussage, im ganzen Bereich seiner Aussagemöglichkeit, seiner Ausdrucksmöglichkeit, und das ist das Entscheidende: Ganz bestimmte Konstellationen lassen mich einfach nicht los."137

So sind wir zu dem wichtigsten Punkt der Dürrenmattschen Arbeitsweise gekommen: da er immer nach der aussagekräftigsten Formulierung, nach einem neuen Gleichnis sucht, wobei diese Formgebungen nur ein Einzelfall der unendlichen Möglichkeiten sind, schreibt er bestimmte Werke immer wieder um138, manche andere Ideen, Visionen, Stoffe läßt er aber fallen oder sie bleiben fragmentarisch.139

132 Gespräche 1, 87 133 Gespräche 1, 137; Dürrenmatt äußert sich noch so zu diesem Thema: "Den Stoffen ist man ausgeliefert. Ein Stoff kann sehr böse werden, dann wird er eben böse. Er kann staatsgefährlich werden, dann wird er eben staatsgefährlich. Der Stoff ist die Macht, die diktiert, und die Kunst ist ein anarchischer, elementer Vorgang, dem ich mich auszusetzen habe. […] Ich bin im Moment des Schreibens kein Moralist, ich gebe mich dem Stoff hin." (Gespräche 1, 144) 134 WA 11, 201; WA 33, 92; WA 14, 189; zu diesem Thema siehe: Irmscher, Hans Dietrich: Das Schachspiel als Metapher. Bemerkungen zum komödiantischen Denken Friedrich Dürrenmatts. In: Irmscher, Hans Dietrich, Keller, Werner (Hrsg.): Drama und Theater im 20. Jahrhundert. Festschrift für Walter Hinck. Göttingen, 1983, S. 334ff. 135 Gespräche 1, 115; WA 10, 135. 136 Gespräche 2, 270 137 Gespräche 3, 13f. 138 Zu der konkreten Schreib- und Arbeitsweise: siehe unten. 139 "Vieles von mir beruht so auf Erlebnissen. Ständig fange ich, aus Erlebnissen heraus, etwas an, was ich dann später nicht fertigmache. Ich habe wahnsinnig viele Fragmente." (Gespräche 2, 226) "Bei mir gibt es ja neben den fertig gewordenen Werken ganze Haufen von Fragmenten. Zur Hauptsache bestehe ich nur aus Fragmenten." (Gespräche 2, 230) Dürrenmatt gehört also nicht zu den Autoren, die ein bestimmtes Konzept konsequent bis zur autorisierten Fassung entwickeln und dann einen neuen Text beginnen.140 Er hat die früheren Texte immer wieder neu bearbeitet, alte Stoffe werden mit neuen in Verbindung gebracht, so erscheinen sie in immer neuen Konstellationen. Besonders im Spätwerk entwickelte sich das Umschreiben zum produktiven Neuschreiben. Diese Metamorphose der Stoffe droht mit einer Auflösung des Werkbegriffs, man muß sich ständig die Frage stellen: auf welche Texte/Textvarianten/ Fassungen bezieht sich die Forschung. Der schweizerische Autor überschreitet die Grenzen zwischen Malerei und Prosa bzw. zwischen den Gattungen Prosa und Drama. Es sollen deshalb die einzelnen Stoffkomplexe untersucht werden, vor allem die inter- und intratextuellen Relationen innerhalb der einzelnen Stoffe. Der Ausgangspunkt und die Begründung dieser Forschungsmethode liege in dem bildlichen Denken Dürrenmatts: die Stoffe erscheinen in Bildern.

"Was ist ein Stoff? Ein Stoff ist die verkürzte, die übertriebene Vorführung, Demonstration der Wirklichkeit, die nicht ein Bild erträgt, sondern in unendlich vielen Bildern zu beschreiben ist."141

Aus diesem Zudrängen der Bilder ergibt sich eine fast unerträgliche Spannungssituation für Dürrenmatt, und er versucht sich von den Bildern zu befreien, indem er sie in dieser Phase zu rekonstruieren, zu skizzieren, zu formen versucht.142 Auszugehen ist also immer von einer subjektiven Aneignung, von komplexen Transformationen und Sinnveränderungen von begrifflicher in bildliche Sprache bzw. in "materialisierte" Bilder. Bevor man auf diese Transformationen näher eingeht, soll der Bildbegriff von Dürrenmatt detaillierter untersucht und dargestellt werden.

140 Rusterholz, Peter: Werkgenese – Auflösung oder Illumination der Texte? In: Rusterholz, Peter, Wirtz, Irmgard (Hrsg.): Verwandlung der "Stoffe" als Stoff der Verwandlung. Berlin: Erich Schmidt 2000, S. 13- 22. 141 Gespräche 1, 328 142 WA 28, 13., Gespräche 2,123; 2, 230 3.3. Dürrenmatts Bildbegriff

Die Stoffe sind immer bildhaften Charakters: "das Ursprüngliche ist stets das Bild, die Situation – die Welt".143 Auch in den theoretischen Ausführungen Dürrenmatts über die Literatur und über seine eigene Arbeit nimmt der Begriff "Bild" eine zentrale Stellung ein, der mehrere Bedeutungen haben kann.144 Unter Bild versteht der Autor tatsächlich existierende Bilder (z. B. Foto, Film, Fernsehen, Astronomie), sprachliche Bilder (Metapher, Gleichnis, Parabel), vor allem aber "Anschauung", "bildhafte Vorstellung". "Bild" kann so mit der Bedeutung "jemand/etwas sieht so aus" erscheinen, z.B. Bärlach ist in dem Richter und sein Henker "ein unerschütterliches Bild der Ruhe"145. Außer dieser Vorstellungsbilder kommt die Wendung "im Bilde sein" meist ironisiert vor, z. B. in dem Wortspiel "So leicht bilden wir uns heute ein, im Bilde zu sein".146 Der Ausdruck "im Bilde sein" weist schon auf Dürrenmatts Popper und Vaihinger147 befruchteten erkenntnistheoretischen Überlegungen: auf den Grundgedanken des Autors über das Verhältnis von Anschauung und Wissen/Verstehen.148 Dieser enge Zusammenhang zwischen Bild – Denken/Erkenntnis wurzelt aber in Dürrenmatts eigener Vorstellungskraft: "[…] wer denkt, formt die Wirklichkeit zum Bild, er macht sich von der Wirklichkeit ein Bild, ein denkerisches Bild."149 Wie es bei den Stoffen schon geklärt wurde, finden auch die "denkerischen Bilder" von der Welt ihren Ursprung in den Kindheitserlebnissen; diese Bilder können aber durch die späteren Erfahrungen zerstört werden: "Ich war im Bilde, weil ich mir ein Bild machen konnte. Die Stadt Bern, in die ich kam, zerstörte dieses Bild".150 Von da an ist das zentrale Anliegen Dürrenmatts, "die Welt […] zu einem Bild (zu) formen".151 Die heutige Welt hat aber ein Janus-Gesicht: auf der einen Seite werden wir von einer Unmenge von Bildern über die Massenmedien überströmt, die aber den Verlust 143 WA 32, 216. 144 Dazu siehe: Alami, Marita: Die Bildlichkeit bei Friedrich Dürrenmatt: computerunterstützte Analyse und Interpretation mythologischer und psychologischer Bezüge. Köln, Weimar, Wien: Böhlau 1994. 145 WA 20, 109. 146 WA 28, 61. 147 vgl. WA 33, 127. 148 Verstehen heißt "sich ein Bild machen", aber man kann sich nur sein Bild von der Welt machen. Vgl. WA 20, 82. 149 Gespräche 2, 33. 150 WA 34, 174 151 WA 28, 64f. des Weltbildes doch nicht ersetzen können, "[…] so schwelgt man heute in Bildern, wobei sich der Zuschauer in einer idealen Position befindet: er ist dem Film, durch die Eindringlichkeit der Bilderfolgen, ausgeliefert, wie man sonst nur der Wirklichkeit ausgeliefert ist, ohne jedoch die Unannehmlichkeiten zu spüren, die die Wirklichkeit mit sich bringt".152 Auf der anderen Seite tendiert die Naturwissenschaft (vor allem die Mathematik, aber auch die Astronomie und die Physik)153 immer mehr zu einem abstrakten, nicht bildlichen, sondern begrifflichen Denken.

"Der Urzustand der Welt stellte sich wieder her, von dem wir uns kein Bild machen können, weil er bildlos wäre, reine vergangenheitslose Gegenwart […], die Welt als mathematischer Punkt".154 "Das abstrakte Denken, die jetzige Bildlosigkeit der Welt, die von Abstraktheiten regiert wird, ist nicht mehr umzugehen."155

In dieser bildlosen Welt bzw. bloß passiv aufzunehmenden Bildergeströme bleibt einem nur ein einziger Weg: "Du mußt dir selber ein Bild zu schaffen suchen, du mußt aus dir heraus die Welt zu verstehen versuchen".156 Deshalb formuliert Dürrenmatt die Aufgabe des Schriftstellers folgendermaßen:

"Der Schriftsteller gebe es auf, die Welt retten zu wollen. Er wage es wieder, die Welt zu formen, aus ihrer Bildlosigkeit ein Bild zu machen."157

"Die Welt zu einem Bild formen"158, bzw. dieser bildlosen Welt ein "Weltbild"159 entgegenzusetzen ist das zentrale Anliegen Dürrenmatts. Diese zu findenden Bilder sind aber gegenüber der Wissenschaft nie eindeutig: "Die Wissenschaft interpretiert, die Kunst stellt dar, die Wissenschaft zielt auf das Eindeutige, die Kunst auf das Mehrdeutige, die erstere auf den Begriff, die letztere auf das Bild, die eine auf die Idee, die andere auf die Vision."160 Diese Mehrdeutigkeit der Bilder läßt sich nach Dürrenmatt am besten in Form von Gleichnissen ausdrücken, die "die Wirklichkeit durchschaubar machen".161 Ein

152 WA 32, 134; Vgl. Gespräche 3, 203: "Der Mensch hat kein Bild mehr von dieser Welt. – Vor lauter Bildern." 153 siehe z. B. der Besuch in CERN (WA 34, 143ff.) oder Mount Palomar (WA 36, 91ff.) 154 WA 28, 54 155 WA 32, 67; zum Thema Bildverlust – Bildergeströme siehe WA 32, 61ff., bes. 64; WA 35, 108; Gespräche 2, 317. 156 WA 18, 160 157 WA 32, 67 158 Gespräche 2, 33 159 Gespräche 1, 86 160 WA 36, 94 161 WA 32, 131 Gleichnis ist nämlich "keine Analogie, wohl aber ein Abkürzungsverfahren, um möglichst verständlich über sehr schwierige Angelegenheiten zu sprechen".162 Diese Gleichnisse müssen im Gegensatz zu Allegorien163 prinzipiell mehrdeutig sein (wie die Welt), und sie sind "immer wieder neu zu erdenken, zu erfinden":

"Wie jeder Denkende ist der Schriftsteller von der Wirklichkeit herausgefordert, aber seine Antwort auf diese Wirklichkeit besteht im Humor, ihr nichts als immer neue Gleichnisse und Bilderfolgen entgegenzusetzen. Das ist scheinbar wenig. Aber diese zusammenflunkerten Geschichten, so erstunken und erlogen sie sind, wirken oft mächtiger als manche Wirklichkeit. Sie machen die Wirklichkeit durchschaubar."164

Das Finden und Erfinden immer neuer Gleichnisse hat einerseits Spielcharakter165, andererseits ist es für den Autor sehr quälend, das passende Weltgleichnis/die passenden Weltgleichnisse zu finden. Neben diesen Weltgleichnissen – die als literarisch-künstlerische Konkretisierung philosophisch-erkenntnistheoretisch ableitbaren Bildbegriffe zu betrachten sind – arbeitet Dürrenmatt mit "Modellen", die eher seinem naturwissentschaftlichen Interesse entsprungen sind. Ein künstlerisches Modell kann durch seine Logik charakterisiert werden, es soll aber nicht "an sich", sondern "in sich" stimmen.166 Auch bei den Modellen dominiert der Anspruch, mit dieser wissenschaftlichen Denktechnik die Welt zu erkennen und verstehbar zu machen, indem auch sie "künstliche Gegenwirklichkeiten"167 schaffen. Eine weitere dominante Eigenschaft des Modells ist die Variabilität: Dürrenmatt arbeitet an einem Motiv, wie die Physiker etwa an dem "Atommodell" immer wieder gearbeitet haben und entwirft "Denkmodelle"168, er "revidiert" seine Modelle – und er spielt sie durch: "Es verlockt mich, noch einmal das alte Spiel, bewußter jetzt durchzuspielen".169 Diese Gedankenspiele oder Gedankenexperimente170 stellen die Welt auf eigene Art dar, ohne direkte Aussagen, bildlich, als Ergebnis des Zusammenspiels von Denken und Einbildungskraft.

162 WA 33, 161 163 WA 9, 161 164 WA32, 130f.; auch Gespräche 2, 311 165 WA 14, 100: "Produktivität setzt Naivität voraus. […] Für den aber, dem das Allgemeine nicht mehr erleuchtet oder nicht mehr allgemein ausdrückbar ist (als subjektiver Glaube), wird die Naivität eine Fiktion, mit deren Hlife er produziert: seine Naivität wird nur im Spiel hergestellt, stellt Spiele her. Oder Gleichnisse." 166 WA 35, 171; vgl. WA 33, 162. 167 vgl. Gegenwelt, Weltgleichnis 168 WA 34, 158; dazu siehe WA 34, 149; Gespräche 1, 108; 4, 160f. 169 WA 10, 137 170 WA 33, 91; 163 Der Bildlosigkeit der Welt sollen also "(Welt)bilder", "(Welt)gleichnisse" und "(Welt)modelle" entgegengesetzt werden. Für diese Funktion sind die seit der Jugendzeit bekannten Stoffe, die Mythen am geeignetsten, im Zusammenhang derer Dürrenmatt seit 1977 sehr oft auch den jungschen psychoanalytischen Begriff des "Urbildes" verwendet: "alle Strukturen gehen auf Urstrukturen, alle Motive auf Urmotive, alle Bilder auf Urbilder zurück. […] Urstrukturen, Urmotive und Urbilder sind allen gemeinsam."171 Als solche Urbilder, die die Menschen seit jeher begleiten und daher schon in alten Mythen zu finden sind, nennt Dürrenmatt das Labyrinth172, Prometheus und Atlas. Besonders das Bild des Labyrinths hat für den Autor als geeignetes Weltbild bewiesen, das der labyrinthischen Welt entgegengehalten werden konnte und dessen (quälendes) Motiv seine ganze künstlerische (schriftstellerische und malerische) Tätigkeit begleitet und geprägt hat:

"Was heute gilt, galt damals: Dramaturgie des Labyrinths, Minotaurus. Indem ich die Welt, in die ich mich ausgesetzt sehe, als Labyrinth darstelle, versuche ich, Distanz zu ihr zu gewinnen, von ihr zurückzutreten, sie ins Auge zu fassen, wie ein Dompteur ein wildes Tier. Die Welt, wie ich sie erlebe, konfrontiere ich mit einer Gegenwelt, die ich erdenke. Nun sind die Bilder, zu denen man greift, nicht zufällig, auch sie sind schon etwas Vorhandenes, jedes Gedachte ist schon einmal gedacht, jedes Gleichnis schon einmal angewandt worden. In der Phantasie gibt es nichts Neues, alle Strukturen gehen auf Urstrukturen, alle Motive auf Urmotive, alle Bilder auf Urbilder zurück."173

Es soll im folgenden untersucht werden, warum sich die Mythen für Dürrenmatt als Stoffe als besonders geeignet erwiesen.174

3.4. Mythen - Dürrenmatts Mythosbegriff(e)

"Was ist eigentlich ein Mythos?" – stellt Dürrenmatt die Frage – "Ein Mythos ist für mich ein Archetypus, eine Urerscheinung, eine Urkonstellation, in die der Mensch immer wieder gerät. Es ist das immer wiederholbare innerhalb des Menschlichen."175 Die mythologischen Stoffe, diese durch vorsprachliche Visionen angeregten Einfälle setzen sich aus mehreren Erfahrungsschichten zusammen. Zu den Mythoserzählungen des Vaters (er erzählte die griechischen Sagen, seine

171 WA 28, 69f. 172 WA 28, 69 173 WA 28, 69 174 Zu dem Thema Bilder in literarischen Werken siehe noch das Kapitel 3.8. Bilder in der Schrift 175 Gespräche 3, 31 Lieblingsgestalt war Theseus) bzw. der Mutter (sie erzählte die Bibel) kommen die Mythen als eigene Welterfahrung: "Das Labyrinth wurde Wirklichkeit"176. Mit dem eigenen Labyrinth-, also Gefängnis-Erlebnissen (Schule, Stadt Bern, die Schweiz in dem zweiten Weltkrieg) verkoppeln sich die Mythen als "fremde Welterfahrung". Mit der Hilfe der Philosophie (Platon, Kierkegaard) bzw. der Psychologie (Labyrinth als Symbol der Angst, des Todes) entstehen Welterklärungsparadigmen für Dürrenmatt. Man muß sich aber die Frage stellen, warum die Mythen für Dürrenmatt so geeignet waren, seine "Weltbilder" zu schaffen. "Woher ich vorliterarisch und später auch literarisch das Motiv des Labyrinthes kannte, läßt sich nachweisen; warum ich es anwandte, um die Welt nachzugestalten, die ich vorfand, ist nicht selbstverständlich"177. Die Antwort liegt einerseits in der Tatsache, daß – wie Michael Hochgesang betont – "anschauliches Denken und Mythos wesentlich zueinander gehören"178. Angesichts des Vorstoßes auf eine Wirklichkeit, die jenseits der Sprache liegt und insofern sprachlich gar nicht abbildbar ist, angesichts einer bildlos gewordenen Welt versucht Dürrenmatt als Dichter nicht die Welt abzubilden, sondern neu zu schöpfen, Eigenwelten aufzusuchen. Diese Arbeit am Stoff, der Überführung des Erdachten in eine Form, ein Werk bedeutet für Dürrenmatt eine weitere Schwierigkeit. Die Mythen als bildhafter Welterfahrungsmodus sind aber für Dürrenmatt als "Doppelbegabung"179 besonders geeignet – egal, ob er seine Gedanken als Bild oder als Dichtung verwirklicht. Zweitens tauchen die Mythen als polyvalente Gleichnisse auf, deren Mehrdeutigkeit für Dürrenmatt wiederum einen Reiz bedeuten. Mit all den Einfällen und Bildern, die auf ihn eindringen, spielt Dürrenmatt ein variationsreiches Spiel, denkt sich Möglichkeiten aus, und – wie er mit seinem Schachgleichnis erörtert180 – überlegt er Schritt für Schritt, welche Konsequenzen die von ihm vollzogenen Veränderungen zur Folge haben. "Du bist frei in der Wahl der Stoffe, aber du bist dann nicht mehr frei, wenn du einmal einen Stoff gewählt hast und zu schreiben beginnst. Dann beginnt der

176 WA 28, 45 177 WA 28, 71 178 Hochgesang, Michael: Mythos und Logik im 20. Jahrhundert. Eine Auseinandersetzung mit der neuen Literaturwissenschaft, Literatur, Kunst und Philosophie. München: C.H. Beck 1965, S. 8; vgl. Jamme, 1999, S. 66 u.a., Picht, Georg: Kunst und Mythos. Stuttgart, Klett, 2. Aufl., 1987; Greif., S. 159. 179 Gasser 1998 180 Gespräche 2, 135. Stoff dich mehr und mehr zu beherrschen."181 Eine ganz kleine Veränderung am Kern der Geschichte ergibt einen völlig neuen Stoff.182 Die Mythen sind für diese Denkspiele sehr gut geeignet, denn sie verfügen über eine immanente, eigenartige Logik. Dürrenmatt versucht seine erdachten Bilder in logische Strukturen zu überführen: "Da sich die Mythen widersprechen, gebe ich eine logischere Variante, wobei ich aber freilich zugeben muß, daß das Logische mit dem Vernünftigen nicht immer übereinstimmt, eigentlich selten".183 Manchmal teilt Dürrenmatt die alten Mythen wie die Strukturalisten (z.B. Lévi- Strauss) in kleinere Elemente, in "Bausteine" auf - wie z.B. den Ödipus-Stoff im Sterben der Pythia, und so baut er mit einer kindlichen Freude aus den Mythologemen seinen "logischen" Mythos auf. Die Eigenschaften der "Stoffe" und der Mythen decken sich in großem Maße, so waren für Dürrenmatt die seit seiner Kindheit vertrauten Mythen wegen ihrer Bildhaftigkeit, Mehrdeutigkeit, Spielmöglichkeiten sowie ihrer eigenartigen Logik sehr geeignet dazu, sie als Stoffe auf menschliche Grundsituationen anzuwenden und durch seine Gegenwelten die Rezipienten seiner Werke zum Denken zu veranlassen.

3.4.1. Der Gebrauch des Mythosbegriffs von Friedrich Dürrenmatt

Der "umgangssprachlichen Verwendung" des Begriffes entsprechend nennt Dürrenmatt nicht nur die Götter- und Heroengeschichten, die antiken griechischen und römischen bzw. biblischen Erzählungen Mythen, sondern die Begriffe "Mythos" und "Mythisches" verwischend verwendet er dieses Wort auch im Zusammenhang mit bestimmten realen Personen, literarischen Figuren, der Wissenschaft, Geschichte und Politik.184 Nicht nur bei der Verwendung des Wortes Mythos, sondern auch bei der Benutzung der Begriffe Mythos-Legende-Sage-Mysterium ist ein Durcheinander zu sehen. Von Ödipus spricht Dürrenmatt in demselben Satz als "Legende oder Mythos"185, aber in einem anderen Werk steht schon "Ödipussage".186 In anderen Fällen, zum Beispiel in seinen Interviews versucht er aber genau zu bestimmen, was er unter Mythos versteht.

181 Gespräche 3, 32.; vgl. Kerényi: Griechische Mythologie, S. 12. 182 Gespräche 3, 48. 183 WA 37, 11 184 Vgl. Barthes: Mythologies. 185 WA 31, 153. 186 WA 33, 176. Grundsätzlich können drei große Kategorien voneinander unterschieden werden: 1. Mythen in den Künsten (in der Literatur und Malerei) 2. Politische Mythen (der Mythos des Staates, der Partei, Ideologien) 3. Mythos der Wissenschaft (vor allem der Naturwissenschaft: Astronomie, Mathematik und Physik). Es gibt natürlich Überlappungen, so zum Beispiel im Falle des Mythos der Personen, wo Dürrenmatt von politischen Persönlichkeiten (z.B. Hitler, Marx), Schriftstellern (z.B. Strindberg) oder als literarische Figuren (z.B. Hamlet) als Mythos spricht. Weiterhin sollen die einzelnen Kategorien detailliert behandelt werden.

3.4.2. Mythen in der Kunst

In diesem Kapitel kann man nicht auf die mythischen Elemente in dem Dürrenmattschen Œuvre eingehen, da sowohl seine literarische als auch seine malerische Tätigkeit auf sie aufgebaut ist. Diese Elemente (vor allem das Motiv des Labyrinths) bilden für Dürrenmatt dasjenige "Gegenbild", diejenige "Gegenwelt", die er der Wirklichkeit, das heißt der von ihm erlebten Welt gegenüberstellen kann. An dieser Stelle wird untersucht, was Dürrenmatt als Mythos (Mystherium, Sage, Legende) bezeichnet, bzw. welche Rolle diese Mythen in seinem Tragödie- und Komödiebegriff spielen. Dürrenmatt spricht als Mythos von Strindbergs Werken187 oder auch von Max Frischs Graf Öderland188, aber im Zusammenhang mit dem Hamlet behauptet er auch von Shakespeare, er habe keine Geschichten, sondern Mythen bearbeitet. Laut Dürrenmatt konnte der englische Schriftsteller nur deshalb solche Dramen schreiben, da er die Vergangenheit als Mythen auffaßt. So verarbeitet er z.B. die Geschichte von Julius Caesar aufgrund Plutarchos´ biographischer Erzählungen und nicht nach den historischen Tatsachen.189 Schillers Wilhelm Tell190, Strindbergs Figuren191, Albert Steffens Werke192 faßt er als Mythosschaffungen auf, wie auch Paul Floras Zeichnungen193. Rolf Hochhuth behandelt in seinem "unbeholfenen, doch

187 WA 31, 84. 188 WA 31, 41. 189 WA 11, 215; 30, 67f. 190 WA 30, 119; 31, 67f.; 34, 128. 191 WA 31, 84. 192 WA 31, 13. 193 WA 36, 119. hochexplosiven Stellvertreter den letzten Mythos, den es noch gibt, den unfehlbaren Papst".194 Künstler können aber nicht nur Mythen schaffen, sondern sie auch vernichten, wie es Markus Imhof mit seinem Film "Das Boot ist voll" getan hat.195 Gemeinsam für den Gebrauch dieser Mythosbegriffe ist, daß Dürrenmatt das Wort Mythos im Sinne Mythisieren, Mystifizieren, also "in übernatürliche Höhe heben" benutzt. In seinen Abhandlungen über die Tragödie und Komödie ist sein Begriffsgebrauch viel konkreter, er behandelt vor allem die Beziehung dieser zwei Gattungen zu den antiken (griechischen) Mythen.

3.4.3. Das Verhältnis der Tragödie und Komödie zu den Mythen

Die griechischen Tragödie ahmt nicht Menschen nach, nur Handlungen und Mythen.196 Die Handlung muß eine Vorgeschichte haben, die die Bühnenhandlung, die in der Regel kürzer als das geschilderte Geschehen ist, möglich macht: "Ödipus muß zuerst seinen Vater getötet und seine Mutter geheiratet haben, Handlungen, die eine gewisse Zeit benötigen, bevor das Theaterstück des Sophokles einsetzen kann".197 Da die griechische Tragödie an der Einheit von Aristoteles festhält, konzentriert die Bühnenhandlung das Geschehen: "um so wichtiger wird daher die Vorgeschichte, hält man an der Einheit des Aristoteles fest". Wenn aber die Handlung einer Vorgeschichte erfunden ist, so gilt die Regel: "je erfundener oder je unbekannter dem Publikum ein Stoff ist, umso sorgfältiger seine Exposition sein muß, die Entwicklung seiner Vorgeschichte. So lebt die griechische Tragödie von der Möglichkeit, die Vorgeschichte nicht erfinden zu müssen: die Zuschauer kannten die Mythen, von denen das Theater handelte, und weil diese Mythen allgemein waren, etwas Vorhandenes, etwas Religiöses, […] war man nicht so sehr auf den Stoff neugierig, sondern auf die Behandlung des Stoffs".198 Deshalb ist die Tragödie die strengste künstlerische Gattung, die eine gestaltete Welt voraussetzt. Dagegen schafft die Komödie Distanz zwischen Publikum und Werk, und versucht eine "ungestaltete, chaotische, im Werden, im Umsturz begriffene Welt"199 darzustellen - wie die unsrige. So lebt die Komödie nicht

194 WA 30, 119f.k 195 Vorwort zu Markus Imhoofs Film >Das Boot ist voll<, 1982. In: WA 36, 161-163. 196 Gespräche I, 179. 197 WA 30, 34f. 198 WA 30, 36. 199 WA 30, 60f. vom Mythos, sondern vom Einfall: ihre "Stoffe" sind erfundene Handlungen, die sich nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart abspielen.200 Da die Tragödie "Schuld, Not, Maß, Übersicht, Verantwortung" voraussetzt, ist sie in unserem Zeitalter nicht mehr möglich: uns bleibt nur noch das Tragische und nicht mehr die reine Tragödie. Das Tragische kann man aber nur aus der Komödie heraus erzielen, "hervorbringen als einen schrecklichen Moment, als einen sich öffnenden Abgrund".201 Auch unsere Beziehung zu den Mythen hat sich verändert, "da wir nicht mehr erleben, sondern begutachten, erforschen, sie eben als Mythen erkennen und damit vernichten, Mumien geworden sind, die, mit Philosophie und Theologie behängt, nur allzu oft Lebendiges ersetzen".202 Wie Karl Kerényi, ist auch Dürrenmatt der Ansicht, daß die moderne Literatur die Mythen wieder zum "Stoff" machen kann - mit der Hilfe des Einfalls, der Ironie und der Parodie.203 Dementsprechend kann Dürrenmatt die Mythen, die wegen dem schon erwähnten bildhaften, polysemantischen, spielerischen Charakter und ihrer immanenter Logik für sein Schaffen geeignetes Material bildeten, zum Schaffen seiner "Gegenwelten", seine Weltbilder verwenden.

3.4.4. Der Mythos des Staates

Dürrenmatt schreibt in mehreren seiner Werke allgemein vom Mythos des Staates.204 Seiner Meinung nach ist der heutige Staat unübersichtlich, anonym, bürokratisch geworden, so macht die Politik aus ihm für die kritiklos denkenden Menschen ein mythologisches Gebilde, "einen mythologischen Popanz"205. Heutzutage existieren nämlich solche Staatsorganisationen, "von denen die Behauptung, sie seien Vaterländer, nur noch mit Vorsicht aufzunehmen ist. Ebenso bemüht sich die heutige Politik oft, Ideen aufrechtzuerhalten, die der staatlichen Wirklichkeit nicht mehr entsprechen:

200 WA 30, 61. 201 WA 30, 63. 202 WA 30, 68. 203 Vgl. damit die Ansichten von Bardrillard und Lyotard. Kap. 2.5. Neue Anregungen für die Mythosinterpretation im 20. Jahrhundert 204 Z.B. WA 34, 40. 205 WA 34, 38. Daher das allgemeine Gefühl, einem boshaften, unpersönlichen, abstrakten Staatsungeheuer gegenüberzustehen."206 Unter solchen Umständen hat der Schriftsteller die Aufgabe, den Staat so zu nehmen und darzustellen, wie er ist: "eine technische Notwendigkeit und nicht ein menschenfressender Mythos". Der Staat sollte nämlich eine der Menschheit dienende Institution sein, die ins Leben gerufen worden war, um das Zusammenleben der Menschen zu erleichtern. "Ein Staat, der nur noch Staat ist und sich nicht mehr mit Mythischem und Mystischem herauszureden vermag, hat die Aufgabe, ein möglichst gutes Hilfsmittel für das Zusammenleben der Menschen zu sein, […] wird der Staat nur noch Staat, ist er nur noch eine Funktion, liegt sein Sinn nicht mehr in ihm selbst, sondern in seinem Funktionieren. Die Haltung ihm gegenüber kann nur noch eine kritische sein, ein ständiges Überwachen, ob der Staat denn auch gut funktioniere: die Herrschenden müssen die Überwachten sein, nicht die Beherrschten."207 Dürrenmatt lehnt also nicht nur die mythisierte Staatsidee ab, sondern Karl R. Poppers Platon-Kritik und seinen Gedanken über die Gesellschaftsplanung folgend bestimmt auch die Aufgabe der einzelnen Menschen: mittels des Denkens und der Kritik soll man die Fehler beseitigen, mit kleinen Schritten, kleinen Veränderungen soll man sich der Demokratisierung, der Verbesserung des Staates nähern. "Stellen wir aber unsere Politik unter die so verstandene Vernunft, unter eine Vernunft, die es wagt, die Fehler auszumerzen, die sie beging, die Fehler, die zu weltanschaulichem Fanatismus, religiösen Intoleranz, Rassendiskriminierung, sozialer Unterdrückung und politischer Unduldsamkeit führten, verwandeln sich auch unsere Staaten aus den mythischen Gebilden, die sie immer mehr werden, in die Institutionen, die sie sein sollten, aber in immer verbesserungsfähigere, die sie nur sein können, wenn sie stets kritisierbar, überprüfbar und veränderbar sind, damit sie Gebilde werden, denen gegenüber wir tolerant sein dürfen - im aktiven Sinn freilich -, damit wir sie dulden können."208 Dieser Schritt fällt uns aber meistens schwer, denn so muß man aus der Welt der Legenden und Mythen, aus der sicheren Unbeweglichkeit in die Unsicherheit hinaustreten. Wenn Dürrenmatt vom Staat im allgemeinen spricht, übernimmt er den Staatsbegriff, Platons utopische Planung und seinen Staatsplan, wie es in Poppers Werk zu finden ist: unter dem Staatsmythos versteht er die Undurchsichtigkeit und vor allem die Unbeweglichkeit, die Bekämpfung aller Veränderungen, wogegen er die Kritik, die

206 WA 32, 64. 207 WA 30, 145. 208 WA 33, 146f. "Sozialtechnik der kleinen Schritte"209 stellt. Wie es das Zeitalter der Aufklärung getan hat, muß man den Staat entmythisieren, "aus etwas Gottgewolltem eine menschliche Institution" machen, damit er ein den Menschen dienendes, (gut) funktionierendes Institut wird. Was für Probleme die Mythisierung des Staates verbirgt, und wie diese Mythen konkret erscheinen, wird von Dürrenmatt hauptsächlich an Beispiel von vier Staaten: dem Hitlerdeutschland, dem sowjetischen Parteistaat, Israel und der Schweiz behandelt.

3.4.4.1. Der Mythos der Staaten

Rosenbergs Der Mythus des 20. Jahrhunderts ruft im Zusammenhang mit dem Nazi- Deutschland immer auch die Mythen in Erinnerung, so daß der Begriff Mythos für viele mit dem des Dritten Reiches identisch wurde. Diese Ansicht wurde durch das Werk von Adorno und Horkheimer: Die Dialektik der Aufklärung verstärkt, der die Mythen als vernichtende Kraft verurteilt und Mythosverbot verkündet.210 Dürrenmatt nennt diesen faschistischen Mythos "die Mythologie der Ratten"211, "mythisch-völkischen Dampf"212, in dessen Hintergrund immer "die Mythologie von einem versunkenen Imperium" steht213, die ins Dunkel der Geschichte zurückgewichen ist, doch immer noch die Phantasie des Volkes anregt. Man zeigt Hitler, diesen "mythischen Oberpförster" teuflisch, denn laut des schweizerischen Schriftstellers hofft die menschliche Natur, das Blutbad sei wenigstens von einer mythischen Größe angerichtet, und sie seien nicht von einem Durchschnittsmenschen zugrunde gerichtet.214 Der Begriff des Volkes wurde nicht nur im Dritten Reich mythisiert, auch die Marxisten haben im Namen eines ideologisierten Volkes ihre Revolution ausgerufen, in diesem Fall hat sich die Partei mit dem Volk identifiziert – und wie es in der Sowjetunion zu sehen war – hat sie den Mythos in den Dienst ihrer eigenen Ideologie gestellt: "Aber das Volk, das der Marxist meint und in dessen Namen er die Revolution ausruft, ist nicht das Volk in seiner Gesamtheit, sondern nur der Teil, der die Revolution will, die Partei eigentlich, die sich nur Volk nennt, um den Anschein zu erwecken, sie sei identisch mit dem

209 Popper, S. 189. 210 Jamme 1999, S. 111-116. 211 WA 35, 44. 212 WA 14, 318. 213 WA 35, 92. 214 WA 35, 92. Volk. Das Volk wird dadurch auf eine mysteriöse Weise der Träger der Partei, die die Revolution trägt, der Träger des Trägers, das Volk wird zum Volk im Volk, wird zum Sammelbegriff jener, die an den Marxismus glauben."215 In diesen zwei Fällen erscheint die zerstörerische Seite des (Staats)Mythos in dem Dürrenmattschen Begriffsgebrauch, im Falle von Israel kann ein weiterer Aspekt beobachtet werden. In den Zusammenhänge. Essay über Israel. spricht Dürrenmatt von den Kibbuzim als Mythen, als Relikten, die "ins Unwirkliche rücken", und in denen "eine Politik, die einst stimmte, zu Ende gespult hat".216 In einem Vergleich der Schweiz mit Israel spricht Dürrenmatt von seiner Befürchtung, auch dieser Staat ist ein Relikt, ein Fossil, das seine Rolle, seine Bedeutung für die Gegenwart verloren hat.

3.4.4.2. Die Schweiz als Mythos

Unter den Staatsmythen spielt die Schweiz verständlicherweise eine besondere Rolle in den Dürrenmattschen Schriften: "Der Schweizer hängt an einer ganzen Reihe nationaler Mythen".217 Diese fassen solche Stereotypien in sich wie Käse, Schokolade, Uhren, Wilhelm Tell, Pestalozzi und das Bankgeheimnis218, aber Dürrenmatt denkt vor allem an die schweizerische Geschichte, zum Beispiel als er aus Israel nach Hause fliegt: "Und plötzlich, nun schon längst über der Schweiz, […] befürchte ich: daß es mir in der Schweiz ähnlich ergehen werde wie in jenem Kibbuz, daß ich dem Unwirklichen entgegenfliege, dem zum Mythos, zum Relikt Gewordenen, in welchem sich eine Politik, die einst stimmte, zu Ende gespult hat, und die Aufgaben, die sich ihr nun stellen, nicht mehr zu lösen vermag, weil diese Aufgaben nicht mehr in ihrem Bereich liegen, außerhalb ihres Blickfeldes angesiedelt sind".219 Und "die Schweiz, die nicht mehr imstande ist, sich einen neuen Sinn zu geben, löst sich auf, weil ihre alte Aufgabe in einem veränderten Europa weitgehend ihren Sinn verloren hat."220 Dürrenmatt denkt in seinen Schriften sowohl ernst als auch ironisch darüber nach, wie die schweizerische Geschichte zu den starren und toten Mythen geführt hat, so z.B. im Roman Justiz rennt er mit kräftigen und grotesken Zügen durch die Geschichte von zwanzig Generationen. Der ironische und groteske Ton ist auch in Herkules und der Stall des Augias stark präsent, aber den Höhepunkt dieser Darstellungen bildet Das

215 WA 35, 99. 216 WA 35, 142. 217 Gespräche I, 288. 218 WA 29, 81. 219 WA 35, 143. 220 WA 34, 76. gemästete Kreuz, wo die Schweiz und ihre Geschichte mit einer Fußballmanschaft F. C. Helvetia verglichen wird.221 Dürrenmatts Humor nimmt oft groteske Züge an, um Zusammenhänge zu beleuchten, Mythisierungen/Mystifizierungen zu enthüllen oder paradoxe Züge hervorzuheben. Als Schriftsteller blieb er ständig kritischer Beobachter der ihn umgebenden Welt. In den Artikeln und Gesprächen kommt immer seine enge Beziehung zur Heimat zum Vorschein, was aber gleichzeitig Verantwortung und Kritik ihr gegenüber bedeutete. Er kritisierte, daß die Schweizer als "Wesen vor der Sintflut" an ihren Heldenmythen hängen: sie leiten ihre Abstammung von Helden ab, ihre Gedankenwelt ist heldisch, martialisch, sie sprechen ständig von der ruhmvollen Vergangenheit, von den Schlachten bei Sempach und Morgarten222, aber verdrängen aus ihrem Bewußtsein, daß die neuzeitliche Schweiz eigentlich Ergebnis zweier Niederlagen ist (der bei Marignano und der von Napoleon) und sie feiern nur die Siege ihrer Ur-Ahnen. Auch die Festreden am Nationalfeiertag am 1. August lassen diesen Mythos hochleben, obwohl "das ganze Mittelalter hindurch waren wir so etwas wie die SS- Truppe in Europa. Was haben wir denn gemacht in Frankreich? Wir, die Schweizer, haben hauptsächlich Hugenotten verfolgt. Wir waren Söldner, der Krieg war unser Exportartikel."223 Die Verkörperung, das Symbol dieses falschen Mythos ist das Löwendenkmal in Luzern. Das zum Heldenmythos gewordene falsche Selbstbewußtsein der offiziellen Schweiz mündet in den Mythos ihrer Rolle im Zweiten Weltkrieg und der Armee, was im Mittelpunkt der Dürrenmattschen Kritik steht. Nach dem sogenannten "Reduit National"-Plan von General Guisan hätte sich die Armee die bürgerlichen Einwohner und das Land selbst dem Hitler-Deutschland ausgeliefert in die Alpen zurückgezogen weiter gekämpft. Für die Nazis aber lohnte sich eine weiter existierende und sie wirtschaftlich bedienende Schweiz viel besser, so haben sie die Schweiz nicht angegriffen.224 Für Dürrenmatt blieb dieses existenzielle Erlebnis weiterhin bestimmend und sein Weltbild, das Labyrinth erhielt einen neuen Inhalt:

221 In: WA 29, 76-84.; siehe dazu: Kohler, Georg: Worin besteht das ethische Minimum kleinstaatlicher Realpolitik. [Kurz-Kommentar zu Das gemästete Kreuz] In: Scheitert die Schweiz? Eine szenische Befragung von Georg Kohler. [Buch zur Veranstaltungsreihe im Zürcher Schauspielhaus], S. 154-155. Zürich: Selbstverlag, 1998 222 WA 20, 53; 34, 115. 223 Gespräche, 2, 284. 224 WA 34, 130. "[…] der Krieg brach aus, rückte näher und schloß das Land ein, mit dem paradoxen Ergebnis, daß die Schweiz außerhalb der Katastrophe blieb; es war nicht auszumachen, ob sie ein Gefängnis war, eine belagerte Festung oder eine Produktionsstätte für Hitler; ob sie verschont wurde, weil sie mutig war oder feige oder beides zusammen, oder gar, ob sie einfach von der Weltgeschichte vergessen worden war […]".225 Dürrenmatt störten nicht so sehr die grotesken Züge des Verschontseins, denn seiner Meinung nach hatte "die Schweiz politisch nur eine Aufgabe zu lösen, die alle andern politischen Aufgaben nebensächlich machte, die sich damals noch stellten: Den Krieg vermittels ihrer Politik zu vermeiden, und sie vermied ihn vermittels ihrer Politik. Eine andere Frage ist natürlich, wie sie ihn vermied. Unsere Politik war so, wie wir selber waren, so wie unsere Politik jetzt ist, wie wir selber sind. […] So zogen wir uns denn schweizerisch aus einer unmenschlichen Lage. Nicht unklug, mit hohem moralischem Anspruch und mit moralisch oft bedenklicher Praxis. Neutralität ist eine politische Taktik, keine Moral. Neutralität ist die Kunst, sich möglichst nützlich und möglichst ungefährlich zu verhalten."226 Das Problem fängt dort an, daß die Schweiz statt zu Emigranten aufnehmendem, demokratischstem Staat zu werden, seine Vergangenheit zu verschönern und in mythische Höhe zu heben anfängt. "Doch ist es falsch, unsere bewältigte Vergangenheit nun ins Teuflische umzudichten; daß sie menschlich war, genügt."227 Die Ideologie der geistigen Landesverteidigung" führt zur Ideologie, daß das Land ohne die schweizerische Armee den zweiten Weltkrieg nicht überlebt hätte, und so wird die allgemeine Wehrpflicht auch nach dem Krieg aufrechterhalten228, und der Armee wird immer größere Bedeutung beigemessen: "Was ich der Armee vorwerfe, ist ihre Nibelungenstrategie, wonach der Untergang der Schweizer Armee quasi der Untergang der Schweiz ist. Das ist natürlich Blödsinn. Wir haben eine andere, eine weniger luxuriöse Armee auszubilden, aber eine Armee, die eben im Widerstand steht. Wir haben einen Mythos der Armee".229 Dürrenmatt verglich die bewaffnete Schweiz mit ihrer geistigen Landesverteidigung mit einem Lamm im Wolfspelz, das ständig wieder schreien muß, "Ich bin ein Schaf, ich bin kein Wolf, ich bin für den Frieden!", damit es nicht von den Jägern als Wolf abgeschossen wird.230 Die letzte große Kritik seiner Heimat gegenüber übte Dürrenmatt im Jahr 1990 mit dem Titel Die Schweiz - Ein Gefängnis. Rede an V. Havel, in dem er die Schweiz

225 WA 28, 64. 226 WA 34, 62f. 227 WA 36, 163. 228 Auch Dürrenmatts Sohn, Peter kam wegen Dienstverweigerung ins Gefängnis. 229 Gespräche 2, 283. 230 Gespräche, 1, 262. mit einem Gefängnis vergleicht, in dem allgemeine Wärterpflicht ist, und alle sind gleichzeitig Wärter und Gefangener: "Jeder Gefangener beweist, indem er sein eigener Wärter ist, seine Freiheit. Der Schweizer hat damit den dialektischen Vorteil, daß er gleichzeitig frei, Gefangener und Wärter ist. Das Gefängnis braucht keine Mauern, weil seine Gefangenen Wärter sind und sich selber bewachen, und weil die Wärter freie Menschen sind, machen sie auch unter sich und mit der ganzen Welt Geschäfte […]."231 Durch die viele Kritiken schimmert aber ständig die Vaterlandsliebe und sein Wille zu ihrer Verbesserung, so zum Beispiel im Schweizerpsalm I.: "O Schweiz! Don Quijote der Völker! Warum muß ich dich lieben!" "Nicht das liebe ich, was Du bist, nicht das, was Du warst, Aber Deine Möglichkeit liebe ich, die Gnade, die immer hell über dir schwebt, Das Abenteuer, heute Dir anzugehören […]"232 Die Schweiz hat endlich zu begreifen, daß sie nicht mehr das Land Wilhelm Tells ist, sondern "eine Schweiz der Mirage-, der Bührle und der Florida-Affären, eine Schweiz, die nicht einmal das Frauenstimmrecht zu verwirklichen vermochte233, eine Schweiz, die durch ihre Demokratie der Demokratie im Wege steht, weil auch die Demokratie, wie die Kultur, kein Besitz ist, sondern eine Aufgabe darstellt, die täglich in mühseliger Kleinarbeit erfüllt werden muß".234 Wie Dürrenmatt im Herkules und der Stall des Augias geschrieben hat: man muß vor allem den Mist aus den Herzen und Köpfen säubern, und ihn in fruchtbare Erde verwandeln – dazu muß man aber zuerst sich selbst verändern. Zu dieser Veränderung würde die Kleinstaatlichkeit der Schweiz eine gute Chance235 bieten, daß mehrere Nationen nebeneinander leben, was aber zum Miteinanderleben werden müßte, dann würde die Schweiz für das heutige Europa ein Beispiel geben. "Die Schweiz ist ein Staatenbund und vor allem ein Kunststaat. Und wenn man das einmal begriffen hat, muß man sagen, ist die Schweiz etwas sehr Modernes und könnte etwas sehr Modernes sein. Wenn Sie zum Beispiel die heutige Europafrage nehmen: Europa kann ja nicht zu einer Nation gemacht werden, es müßte also irgendwie zu einer Art Schweiz gemacht werden."236

231 WA 36, 181. 232 In: Friedrich Dürrenmatt: Meine Schweiz. Ein Lesebuch. Zürich: Diogenes, 1998, S. 51-52. 233 Es wurde 1974 eingeführt. 234 WA 34, 56. 235 Gespräche 1, 263f. 236 Gespräche 2, 279. 3.4.5. Die Wissenschaft als Mythos

Die Wissenschaft und vor allem die Naturwissenschaft spielt eine große Rolle in den Werken von Dürrenmatt, vor allem in seinem Alterswerk237. Schon seit seiner Kindheit faszinierten ihn die Sterne, später während seiner Vorbereitung auf das Abitur hat er die Physik liebgewonnen, und mehrmals hat er sich geäußert, es wäre gut gewesen, statt antiker Sprachen Mathematik gelernt zu haben. Dürrenmatt behauptet, daß die moderne Wissenschaft die Natur von ihren Mythen befreit hat - gleichzeitig hat sie aber neue Mythen geschaffen, worunter er vor allem die Mystifizierung der Naturwissenschaft versteht, das heißt, daß ein Alltagsmensch die ihn umgebende Welt immer weniger versteht. Man benutzt zum Beispiel den elektrischen Strom im Alltagsleben, trotzdem können nur wenige erklären, was beim Aufschalten einer Glühbirne geschieht. Bei seinen Besuchen in Mount Palomar bzw. in dem CERN in Genf wird es ihm klar, daß die Beobachtung, die "traditionellen Versuche" in der modernen Wissenschaft immer kleinere Rolle spielen, und ihre Rolle wird in der Astronomie sowie in der Physik von Computern und theoretischen Konstruktionen übernommen. In Dürrenmatts literarischen Werken ist zum Beispiel die Figur des Physikers ein zurückkehrendes Motiv, hier soll man nicht nur an Möbius in den Physikern, sondern auch an den Engel in Ein Engel kommt nach Babylon denken. In beiden Fällen geht es um die Schönheit der Physik, des wissenschaftlichen Systems, aber auch um ihre vernichtende Seite: "Unsere Wissenschaft ist schrecklich geworden, unsere Forschung gefährlich, unsere Erkenntnis tödlich."238 Dürrenmatt hat sich mit dem Urknall, dem schwarzen Loch, dem Untergang der Planeten beschäftigt, so kann man in dem Porträt eines Planeten die letzten Momente

237 Bellwinkel, Hans Wolfgang: Dürrenmatt und die Naturwissenschaften. In: Gesnerus: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften. Vol. 52 (1995), S. 209-246.; Emter, Elisabeth: Friedrich Dürrenmatt: Dramaturgie des Unwahrscheinlichen. In: ders.: Literatur und Quantentheorie: Die Rezeption der modernen Physik in Schriften zur Literatur und Philosophie deutschsprachiger Autoren (1925-1970). Berlin, New York: de Gruyter, 1995, S. 218-270.; dies.: Geschichte der Stoffe als Geschichte des Denkens. Dürrenmatts Gedankenexperiment Die Brücke im Kontext der modernen Physik. In: Peter Rusterholz, Irmgard Wirtz (Hrsg.): Die Verwandlung der Stoffe als Stoff der Verwandlung. Friedrich Dürrenmatts Spätwerk. Berlin: Erich Schmidt, 2000, S.77-90.; Wünsche, Thomas: "Versuch zu einem Grundriß" – Friedrich Dürrenmatt als Erkenntnistheoretiker. Diss. Hannover, 1996 238 WA 7, 74. sehen, bevor die Sonne zur Supernova wird, und am Ende der Dichterdämmerung verschlingt ein schwarzes Loch alles. Dürrenmatts erkenntnistheoretisches Denken wurde vor allem durch Platon, Kant, Kierkegaard, Vaihinger, Einstein, Heisenberg (bzw. Eddington) und Popper beeinflußt. Dabei müssen vor allem Einsteins Relativitätstheorie sowie die Heisenbergsche Quantummechanik erwähnt werden, die der menschlichen Denkweise einen völlig neuen Weg gezeigt haben. Die Relativitätstheorie hat Dürrenmatt gelehrt, daß wir uns auf der Erde im Meer der Vergangenheit dahintreiben, und durch Teleskop können wir nur "Reliquien" sehen, die Fossilierung der vergangenen Realitäten. Die Sterne, die uns umgeben, sind Vergangenheit, der Andromeda-Nebel ist z. B. 2,5 Millionen Lichtjahre entfernt, also in unerreichbarer Ferne, und wenn ein "Beobachter" von seinem Planeten auf die Erde blickte, "glotzten ihm die Dinosaurier entgegen".239 Diese Gedanken haben Dürrenmatt mit seinen seltsamen Gedankengängen sehr angezogen. Über Einstein hat er im Jahre 1979 an der Zürcher Technischen Hochschule einen Vortrag gehalten, in dem er vor allem über Leibnitz´ Wirkung auf die Gedanken von Einstein gesprochen hat. Während dieser Vorlesung erwähnt der Autor zwei Punkte, die zum Verstehen seiner Werke unbedingt notwendig sind: daß man die Vergangenheit zum Wahrnehmen der Gegenwart braucht, bzw. Einsteins Mythos. Einerseits kennen alle die Binsenwahrheit "alles ist relativ", andererseits wird Einsteins Gestalt mythisiert, indem man sagt, diesen großen Physiker können nur Genies verstehen, da er mit der Entdeckung der vierten Dimension, der Zeit, eine neue Wissenschaft hinter dem Vorhandenen gegründet hat, und der Irrationalität eine neue Schleuse geöffnet hat. "Den Mythos Einstein machte den Denker Einstein zu einem Übermenschen, dem ein übermenschliches Denken zugeschrieben werde, an welches das gewöhnliche menschliche Denken nicht heranreicht." Aber zu Einstein führt kein anderer Weg als der des Denkens, so Dürrenmatt. "Es gibt keinen >populären< Einstein, die Legende Einstein löst sich ins Nichts auf."240 Die andere Theorie, die Dürrenmatts Denken grundlegend beeinflußt hat, war Heisenbergs Quantummechanik.241 Auf die Quantummechanik stützend bildet der

239 WA 36, 122. 240 WA 33, 183. 241 Dürrenmatt erwähnt in seinen Werken Heisenbergs Namen nicht, nur den von Eddington, aber die intertextuellen Bezüge zeugen eindeutig von der Wirkung der Heisenbergschen Quantummechanik. Man kann zwar nicht entscheiden, welches Werk dieses Nobelpreisträgers Dürrenmatt konkret gelesen hat, aber die Wirkung des Wissenschaftlers läßt sich nachweisen. Siehe: Wünsche, Thomas: "Versuch zu Schriftsteller seinen Kausalitäts-, Zufalls- und Wahrscheinlichkeitsbegriff. Einer seiner populären Kriminalromane, Das Versprechen handelt von dem Spiel der logischen Wahrscheinlichkeit und des sich in der Wirklichkeit ereignenden, alle Überlegungen durchkreuzenden Zufalls. Wenn alle Faktoren bekannt wären, was theoretisch nicht ausgeschlossen ist, könnte alles im voraus berechnet werden. Da aber der Mensch nicht über genügende Kenntnisse verfügt, kann er nur in Wahrscheinlichkeiten denken.242 Dürrenmatt demonstriert am Beispiel eines erlittenen Autounfalls, daß was an jenem Morgen noch völlig unwahrscheinlich erschien, dem Zeitpunkt des Unfalls nähernd immer wahrscheinlicher, sogar notwendiger wird. Sein Roman Justiz baut sich auf dem Gedankenspiel, was wäre geschehen, wenn… - also wenn eine andere Person die Mordtat begangen hätte, und mit diesem Gedankenspiel kann eine viel wahrscheinlichere Geschichte aufgebaut werden, als was in der "Wirklichkeit" passierte. Der Quantummechanik entstammt die Erzählung Überlegungen zum Gesetz der großen Zahl sowie die mehrmals (z.B. im Winterkrieg in Tibet) erwähnte Loschmidtsche Konstant, und das Spiel mit dem Ursache-Folge-Zusammenhang in der Erzählung Die Brücke.243 In seinen letzten Jahren interessierte sich Dürrenmatt immer mehr für die Biologie, genauer gesagt für die Gehirnforschung, wovon die Erzählung Das Hirn zeugt. Im Zusammenhang mit den Naturwissenschaften können also zwei Komponenten des Mythosbegriffs beobachtet werden: das Wort bedeutet hier die Mythisierung von Personen (z.B. Einstein) sowie die Mythisierung der Wissenschaft selbst, die für den Verstand eines Alltagsmenschen unverständlich und unbegreiflich ist.

3.4.6. Die Mythen von Dürrenmatt - Dürrenmatt als Mythos

Kurz wurde dargestellt, daß vor allem die Mythen in den Künsten (Literatur und bildende Künste), der Politik (Staat, Partei) und den Wissenschaften (Mathematik,

einem Grundriß" - Friedrich Dürrenmatt als Erkenntnistheoretiker. Diss. Hannover, 1996 242 Gespräche 4, 140-188. 243 Probst, Rudolf: Glauben und Wissen. Philosophische Aspekte in Dürrenmatts "Stoffen". Lizentiatsarbeit (Uni Bern, Prof. Rusterholz), Nov. 1994 Physik, Astronomie) Dürrenmatt beschäftigt haben. Während Dürrenmatt in seinen literarischen Werken die ihn wegen ihrer Bildlichkeit faszinierenden Mythen auf ihre "Bausteine" abbaut, und daraus seine individuellen, über eigene Logik verfügbaren Mythen aufbaut, die immer seltsame Gedankenspiele sind, hebt er im Zusammenhang mit den Mythen in der Politik und Wissenschaft hervor, daß sie von der Wirklichkeit entfernt, versteinert und unverständlich sind. Ohne die Mythen, ohne seine Mythen ist aber das Œuvre des schon selbst Mythos gewordenen Dürrenmatt unverständlich. Es ist immer interessant zu beobachten, ob die einzelnen Motive, Interpretationsmöglichkeiten in schriflicher oder bildlicher Form – eventuell mit mehreren Jahren oder Jahrzehnten Verschiebung in beiden Formen – erscheinen.244 Es soll im folgenden untersucht werden, welche Schwierigkeiten die Medien Sprache/Schreiben/Schrift bzw. Zeichnungen/Malerei für Dürrenmatt bereiteten.

3.5. "Das Ursprüngliche war immer das Zeichnen"245

Friedrich Dürrenmatt zeichnete schon sehr früh: "Ich habe in meiner Jugend mehr gezeichnet als gelesen".246 Schon damals war das Zeichnen für ihn "eine Abwehr", eine "Verdrängung des Nicht-Verstandenen". Er konnte das, was ihn bedrängte, bildlich, aber nicht sprachlich darstellen, so versuchte er in Form von Bildergeschichten "erzählen", was ihn beschäftigte, und er wollte immer Maler werden. Diese Bilder, ihr Zudrängen bedeutete aber auch eine Gefahr – wie wir es schon bei den Stoffen und Bildbegriff sehen konnten –, so wollte Dürrenmatt sie weghaben. "Und die Bilder gingen nicht weg, sie kamen immer wieder, und so kam ich eigentlich zum Schreiben, und dann fast als Befreiung zum Drama".247 Daß dieses Bewältigen der visionären Bilder nicht in Form der Malerei als Berufsmaler geschah, hängt auch damit zusammen, daß in der damaligen Schweiz die expressionistische Sichtweise nicht üblich war, sowie Dürrenmatt hätte auch "Apfel- Zeichnen" lernen müssen, wozu er keine Lust verspürte.248 Das Ergebnis: auf Umwegen

244 Violand-Hobi, Heidi E.: Friedrich Dürrenmatt´s Minotaurus Images. In: Source. (1992) Nr. 3-4. S. 70- 80. 245 Gespräche 2, 119 246 Gespräche 2, 118 247 Gespräche 2, 123; vgl. Gespräche 2, 246 248 Gespräche 1, 35; vgl. WA 28, 34f. der Beruf des Schriftstellers. Das Zeichnen und Malen ist aber immer geblieben, als etwas, was ein viel unmittelbares Verhältnis zum "Bild" bzw. zur Materie hat:

"Es gibt auch Momente der großen Leidenschaft beim Schreiben, Momente, in denen ich entwerfe. Wenn ich jetzt daran denke, was ich als Stück machen möchte, dann packt mich eine große Leidenschaft. Aber die unmittelbare Leidenschaft, ein blankes Papier oder einen Karton vor sich zu haben und nun etwas Technisches ausführen zu müssen, das gibt es, glaube ich, im Schreiben gar nicht. Es ist eine Leidenschaft, die auch in etwas Technischem besteht, in einem technischen Bewältigen. Das Schreiben hingegen ist etwas viel Abstrakteres. Ich habe viel darunter gelitten, daß ich beim Schreiben nicht dieses unmittelbare Verhältnis zur Materie habe wie beim Zeichnen."249

"Ich zeichne eine Nacht hindurch, zwei, ohne zu ermüden. Nie könnte ich das beim Schreiben. Das Bild entsteht unmittelbar vor mir, manchmal hefte ich es an die Wand, trete zurück, betrachte es von weitem, lege es auf den Schreibtisch, nehme eine Rasierklinge, schleife das Bild ab, hefte es wieder an die Wand, das Bild ist besser, doch nicht mehr so intensiv, ich lege es aufs neue auf den Schreibtisch – eigentlich wollte ich die Nacht schreiben –, arbeite mit dem Pinsel, dann mit der Feder, korrigiere mit der Rasierklinge, schabe von neuem, ziehe mit der Feder eine Linie nach, hefte das Bild an die Wand, trete zurück, das Hin und Her dauert bis in den Morgen. Überzeugt, die Federzeichnung sei jetzt in Ordnung, trotte ich müde den Garten hinab zum Wohnhaus […]. Doch schon vor dem Mittagessen arbeite ich an der Zeichnung weiter, obgleich ich doch zu schreiben hätte, aber ich habe der Versuchung nicht widerstehen können, die Zeichnung zu betrachten, nur noch ein Detail ist zu ändern, beim Zeichnen ändere ich ein zweites, ein drittes, rahme die Zeichnung ein, überzeugt, nun sei sie fertig, hänge sie an die Wand, jetzt erst sehe ich den entscheidenden Fehler."250

Auch die Zeichnungen sind einem ständigen Umarbeitungsprozeß unterworfen251 und die Technik wird durch die Schreibarbeit bestimmt: ständig steht ein Papier auf dem Schreibtisch, und bei den Federzeichnungen, bei der Schabtechnik kann Dürrenmatt zwischen Zeichnen und Schreiben hin und her wechseln, während das Malen ihn aus der Arbeit herausreißt.252 Oft entstehen die Zeichnungen parallel zu der schriftstellerischen Arbeit (z. B. "Bühnenbilder"), in anderem Falle – so z. B. beim Labyrinth-Motiv – kann man den Kampf mit dem Stoff beobachten: was schriftstellerisch zum Ausdruck gebracht wurde,

249 Gespräche 2, 138f. 250 WA 28, 35f. 251 WA 28, 37; dazu siehe: Liechti, Hans: Von einem Zäzisviler an einen Konolfinger. Erinnerungen an meinen Freund Fritz. In: Friedrich Dürrenmatt: Bilder und Zeichnungen. Fondation Saner Studen, 1996, S. 9-27. 252 Gespräche 2, 309 kommt malerisch erst später zur Gestaltung und Verwirklichung – und umgekehrt.253 So bedeuten Malen und Schreiben eine Einheit, eine Ergänzung in Dürrenmatts Tätigkeit, und die Metamorphosen sind gleichzeitig Indikatoren der künstlerischen und weltanschaulichen Entwicklung von Dürrenmatt.

"Und darum sind Bild und Schreiben nicht dasselbe, aber sie ergänzen sich. Es gibt gewisse Dinge, die kann ich nur zeichnen, und es gibt gewisse Dinge, die kann ich nur schreiben. Aber man zeichnet und schreibt aus dem gleichen Hintergrund. Und der Hintergrund ist das Denken, das Denken über die Welt."254

3.6. Sprache

Während beim Zeichnen ein Bild "unmittelbar" in ein anderes: ein visionäres in ein materialisiertes Bild umgesetzt werden soll, geschieht das Umsetzen beim Schreiben aus den "Bildern" in ein anderes Zeichensystem: in die Sprache.255

"Ich zähle zu den Gedankenschlossern und -konstrukteuren, die Mühe haben, mit ihren Einfällen fertig zu werden, […] zu jenen Schriftstellern, die nicht von der Sprache her kommen, die sich vielmehr zur Sprache bringen müssen. Nicht weil ihre Sprache ihren Stoffen nicht gewachsen wäre: ihre Stoffe sind der Sprache nicht gewachsen, außerhalb von ihr angesiedelt, im Vorsprachlichen, noch nicht genau Gedachten, im Bildhaften, Visionären".256

Das Problem "zur Sprache bringen" muß aber weiter differenziert werden: zu welcher Sprache, denn ein deutschschweizer Schriftsteller bleibt in der Spannung dessen, der anders redet als er schreibt. Zur "Muttersprache", der Sprache des Gefühls (das Schweizerdeutsche) tritt gleichsam eine "Vatersprache", die seines Verstandes und Willens (das Deutsche).257 Dürrenmatts Mutter war sehr unglücklich darüber, dass der Sohn Bauernberndeutsch sprach, denn sie war eine "bessere Bauerntochter" und redete ein gepflegtes Berndeutsch. Der Vater kam von Herzogenbuchsee und so benutzte er gewisse Ausdrücke, die die Familie in Konolfingen nicht gebrauchte. So war also

253 siehe z. B. Violand-Hobi, Heidi E.: Friedrich Dürrenmatt´s Minotaurus Images. In: Source. (1992) Nr. 3-4. S. 70-80.; Wirtz, Irmgard: Mit Minotaurus im Labyrinth? Eine semiotische Lektüre von Friedrich Dürrenmatts Labyrinth in Text und Bild. In: Kodikas / Code. Ars Semeiotica 19 (1996) Nr. 4. S. 331-342. Konkrete Beispiele in Kap. 4.3.7. Das Labyrinth auf den Bildern 254 Gespräche 2, 258 255 "Die Sprache nun einmal mit dem Bilde verhaftet sein muß, will sie Sprache bleiben." (WA 32, 66) 256 WA 28,14 257 WA, 32, 122f., vgl. 34, 128; Unter dem Begriff "Deutsch" versteht Dürrenmatt immer das Hochdeutsch. Dürrenmatt schon als kleines Kind der Sprache und der sprachlichen Unterschiede bewußt.258 Mit der Frau und den Kindern redete er nur Berndeutsch, wenn er mit seinen Freunden – mit Frisch oder Bichsel – zusammen saß, redete Dürrenmatt Berndeutsch, Bichsel Solothurnisch (fast Berndeutsch) und Frisch Zürichdeutsch. Die Kinder antworteten aber Frisch auf Deutsch, da sie glaubten, "Zürichdeutsch sei schon Deutsch". Wenn ein Deutscher dazukam, redeten sie alle Deutsch, weil sie annahmen, daß er das Schweizerdeutsche nicht versteht. Dürrenmatt schreibt: "Auch ich muß immer wieder die Sprache, die ich rede, verlassen, um eine Sprache zu finden, die ich nicht reden kann, denn wenn ich Deutsch rede, rede ich es mit einem berndeutschen Akzent".259 Wenn Dürrenmatt sprach, sprach er ganz langsam. Wenn er Interviews gegeben hat, hat er nicht druckreif gesprochen, er war kein Rede-, sondern ein Schriftsteller.260 Beim Reden schossen die Gedanken, Erinnerungen, Einfälle spontaner und unkontrollierter und er dachte meist schneller als er, der Emmentaler, sprach.261 Und da er das Gedachte schnell herausbringen wollte, ließ er den angefangenen Satz oft fallen und begann einen neuen Satz, den er beim nächsten einschießenden Gedanken wieder fallen ließ. Oder es fiel ihm noch etwas ein, was er als Erklärung parenthetisch in den Satz einschieben wollte und so verschachtelten sich seine Gedanken zu einem fast unauflösbaren Satzgespinst, dem der Sinn nur abgelauscht werden kann.262

3.7. Schreiben

Wenn Dürrenmatt seine Stoffe, seine Gedanken nicht mündlich, sondern schriftlich in die Sprache umsetzt, muß man zuerst zwischen Schreiben und Schrift eine

258 Gespräche 2,328; WA 31, 64 259 WA 32,123 260 Gespräche 3,22 261 WA 32, 13 262 Wie Dürrenmatt beim Sprechen, beim Erzählen an seinen Stoffen arbeitete, zeigt interessante Parallele zu einem seiner literarischen Vorbilder, zu Heinrich von Kleist. Dazu siehe: Kleist, Heinrich von: Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden. (Internet-Ausgabe von Kleist-Archiv Sembdner, Heilbronn; www.kleist.org) Gespräche 2, 315. Unterscheidung machen: wie der Schweizer Schriftsteller erzählt, hatte er ein großes Problem mit der Schrift – nicht mit der Tätigkeit Schreiben. Er nennt sich ein Opfer der Hulliger-Schrift, die eine wüste Schönschrift ist, die Dürrenmatt sehr gestört hat, denn man konnte nicht so schnell schreiben wie die anderen. Aber auf die Ästhetik und Klarheit seiner Schrift hat er immer geachtet (siehe Abb. 2). Abb. 2: Manuskriptseite aus dem Fragment Der Irre, um 1945. schreiben, man muß immer das Ganze vor sich haben. Schreiben ist eine Sache der Zeit. Und die Zeit rollt eben ab. Man muß ganz langsam und vorsichtig vorgehen."269

Das Schreiben ist also ein ständiges Fortschreiten, ein Vertiefen270. Während aber Dürrenmatt nach dem richtigen Ausdruck seines bildhaften Denkens sucht, will er keine eindeutigen Aussagen äußern. Für ihn sind nur die Ideologien eindeutig, und er ist gegen das Eindeutige. So sucht er nach Gleichnissen, Metaphern: "Für mich ist immer das Zwei-, Drei-, Vierdeutige entscheidend. Eine Metapher ist nie eindeutig, im Bild treffen Sie immer das Nicht-Eindeutige." Dazu kommt die Möglichkeit des Zuschauers oder Lesers, ein Bild auf seine Art, also anders, zu verstehen. "Das ist sein Recht, das Recht des anderen, des Partners."271 Hier tritt aber die größte Gefahr des Schreibens auf: wie soll ein Autor, der eine persönliche Perspektive schafft, das alles dem Rezipienten mitteilen, das nichts von seiner Art weiß, die Welt zu sehen.272 Das führt dann zu Mißverständnissen. Der Autor kann diese Fälle der Mißverständnisse schwer im voraus bestimmen und beurteilen. Bei einer Zeichnung kann man nämlich zurücktreten, die Zeichnung betrachten und die Fehler korrigieren. Bei einem Theaterstück ist dieses "Zurücktreten" erst bei den letzten Proben möglich, Änderungen sind dann aber kaum mehr zu machen, verzweifelt korrigiert man Kleinigkeiten, die wesentlichen Fehler bleiben, obwohl man schon sieht: man setzte beim Schreiben etwas voraus, was beim Zuschauer nicht vorauszusetzen war. Bei Prosa ist das "Zurücktreten" noch schwieriger, da die Prosa den Schriftsteller mittreibt.273 So ändert Dürrenmatt immer wieder den Text und es ist "nichts Schwierigeres, als Geschriebenes zu akzeptieren, darum der Widerwille gegen das Korrigieren, das mich zwingt, immer wieder zu korrigieren, immer noch einmal, immer wieder das letzte Mal".274

269 Gespräche 2, 200; Zum Technischen, zum "Handwerk" des Schreibens siehe Charlotte Kerrs Beschreibung in WA 18, 248. Interessanterweise findet Dürrenmatt oft solche Szenen am gelungensten, die er sehr schnell geschrieben hat. Z.B. Böckmanns Tod in Frank V.; WA 6, 91-97. 270 Gespräche 2, 175 271 Gespräche 2, 318; vgl. WA 32, 141 272 Warning, Rainer (Hrsg.): Rezeptionsästhetik: Theorie und Praxis. München: W. Fink. UTB, 4. Aufl., 1993; Iser, Wolfgang : Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung. München: W. Fink. UTB, 3. Aufl., 1990; Iser, Wolfgang: Der implizite Leser. München: W. Fink. UTB, 3. Aufl., 1994; Jauß, Hans Robert: Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1982 273 WA 28, 36 274 WA 28, 37 3.8. Bilder in der Schrift

Für die Texte von Dürrenmatt ist immer eine eigenartige "Bildhaftigkeit" eigen. Hier soll man nicht nur an die bildhaften künstlerischen Mittel (Metapher, Metonymie usw.) denken275, sondern daß bildhafte Elemente des erzählerischen Diskurses als verschiedene Arten von Bildern in den Texten erscheinen. Magdolna Orosz unterscheidet drei größere Gruppen der Bildeinbettung in dem narrativen Diskurs: der literarische Text kann auf folgende drei Arten der Bilder referieren

- fiktionsexterne Bilder: es handelt sich z.B. um das Erwähnen oder Beschreiben von (bekannten) Bildern im Text;

- fiktionsinterne Bilder: hier geht es um Bilder fiktiver Künstler;

- virtuelle Bilder: diese Bilder haben keine "tatsächliche" Existenz, sie existieren nur als "virtuelle" Erscheinung innerhalb der Fiktion, z.B. Spiegelbilder oder Traumbilder.276 Bei Dürrenmatt können alle drei Arten von Bezugnahme beobachtet werden. Seine eigenen Bilder beschreibt er z.B. in der Stadt seine Mansarde:

"Mein Zimmer befand sich im Dachstuhl eines Mietshauses, das sich von den übrigen Häusern der Vorstadt nicht unterschied. […] An die Wände malte ich Bilder, die nicht sehr groß waren, doch bedeckten sie mit der Zeit die Mauern und die Decke vollständig. Auch der Kamin, der mitten durch mein Zimmer ging, war von oben bis unten mit Figuren bemalt. Ich stellte Szenen aus unsicheren Zeiten dar, besonders die großen Abenteuer der Menschheit."277

In der Brücke finden wir eine Anspielung auf Die Katastophe278 (siehe Abb. 3) und im Bühnenbild der Frist erscheinen eben die mythologischen Gestalten, die Dürrenmatt selbst gemalt hat bzw. über die er geschrieben hat:

275 zu dem Thema bildhaftes Sprechen/Schreiben: Todorov, Tzvetan: Théories du symbole. Paris: Editions du Seuil, 1977 276 Orosz, Magdolna: Identität, Differenz, Ambivalenz. Erzählstrukturen und Erzählstrategien bei E.T.A. Hoffmann. (Budapester Studien zur Literaturwissenschaft, Bd. 1.) Frankfurt/M. u.a.: Lang, 2001, S. 202f. 277 WA 19, 121f.; Vgl. WA 29, 26f.; Die Mansarde. Die Wandmalereien aus der Berner Laubeggstrasse. Hg. Vom Schweizerischen Literaturarchiv. Zürich: Diogenes, 1995 278 WA 29, 107: "F. D. 13 schließlich geht, wie er das Verbot, die Brücke zu betreten, gelesen hat, nach Hause und beginnt die Kirchfeldenbrücke, wie sie zusammenbricht, zu zeichnen, bald mit ihm in der Nacht, kurz vor vier, bald am Tage samt Straßenbahnen und Menschen, die in die Tiefe stürzen, Blatt um Blatt, und zeichnet die zusammenkrachende Kirchfeldenbrücke auch noch heute." Vgl. Die Beschreibung eigener Bilder in theoretischen Texten, z. B. Die Katastrophe in WA 28, 34. und WA 32, 209.

"An den Wänden und an den Decken (insofern sie überhaupt sichtbar sind) gewaltige Fresken von einer finsteren Wildheit: Kronos Uranus entmannend, Kronos seine Kinder fressend, Kronos seine Kinder wieder herauswürgend, Sisyphos den ungeheuren Fels wälzend, Prometheus von den Adlern zerfleischt, Prokrustes einem Gast die Beine abhackend, Pityokamptes einen

Reisenden durch niedergebogene und zurückschellende Tannen zerreißend, Medea ihre Kinder schlachtend, Ödipus sich blendend usw., alles eingedunkelt, nur noch ahnbar. Dazwischen immer wieder Heilande, Heilige und Selige, auch diese gekreuzigt, gemartert, gerädert, aufgespießt, gevierteilt, beinahe ebenso unkenntlich wie die geplagten Götter, Halbgötter und Heiden."279

Abb. 3: Die Katastrophe, 1966, Öl mit Gouache, 82×61 cm Ein fiktives Bild, ein gefälschtes Hieronymus Bosch steht im Mittelpunkt der Ereignisse in der Erzählung Das Bild des Sisyphos. Das Bild wird detailliert beschrieben: "Wir betrachteten mit großer Verwunderung das kleine Bild, das auf Holz gemalt war und die Hölle in ihren scheußlichsten und geheimsten Qualen darstellte, durch eine sonderbare Verurteilung der roten Farbe beunruhigt. Ich glaubte in ein loderndes Feuermeer zu blicken, dessen Flammen immer neue zahllose Formen bildeten, und ich kam erst nach einiger Zeit den Gesetzen auf die Spur, die dem Bilde zugrunde liegen mochten. Vor allem erschreckte mich die Tatsache, daß mein Blick, durch Vorrichtungen des rätselhaften Malers gelenkt, immer wieder zu einem nackten Menschen zurückkehrte, der, fast verborgen durch das zahllose Volk der Gefolterten, einen ungeheuren Felsen einen Hügel hinaufwälzte, der drohend ganz im Hintergrund aus einem Meer von dunkelrotem Blut ragte. Es konnte nur Sisyphos darstellen […]."280 Das Bild weist manche Ähnlichkeiten mit Dürrenmatts Gemälde Sisyphus II (Abb. 4), mit einem Gouache aus dem Jahre 1976. Dieses visionäre Bild bekam also zweimal Form: zuerst als Bild im narrativen Diskurs, dann später als Gemälde. Spiegelbilder erscheinen mehrmals in Dürrenmatts Werken281, hier soll nur auf die Ballade Minotaurus verwiesen werden, wo der Spiegel "als Gegenstand als Wahrnehmungs- und Erkenntnismittel"282 funktioniert.

279 WA 14, 15f. 280 WA 19, 46f. 281 dazu siehe Kapitel 4.3.6.7. Das Spiegellabyrinth. – Entwicklungsprozeß des Minotaurus. 282 Orosz 2001, S. 210. Abb. 4: Sisyphos II, 1976, Gouache

3.9. Möglichkeiten der neuen Medien

Mit dem Einbruch der neuen Medien öffneten sich neue Möglichkeiten für die Künstler (z.B. Film, Hörspiel, Fernsehspiel), aber gleichzeitig auch neue Schwierigkeiten, wie es die moderne Malerei und Bühnenkunst zeigt. Dürrenmatt hat öfters mit aller Ehrlichkeit darauf hingewiesen, daß ihm die Hörspielform nicht zuletzt wegen ihrer relativen Einträglichkeit willkommen war. Zu dieser Zeit waren die Hörspiele für einen noch nicht berühmten Autor bestbezahlte Arbeit: "Da muß ich dem deutschen Rundfunk sehr dankbar sein, denn der wurde so etwas wie mein Mäzen. Ich habe im ganzen zehn Rundfunkstücke geschrieben, Hörspiele […] -, und damit konnte ich mir mein Leben finanzieren".283 Wie es im Hörspiel das ganze Werk auf das Hören und auf die dadurch hervorgerufenen "Bilder" zugespitzt wird, bedeutet der Film durch seinen visuellen Charakter, seine "visuellen Bilder" eine neue Möglichkeit, hat aber eine zu große Intimität in sich.

"Der Film ist nichts anderes, als die demokratische Form des Hoftheaters. Er steigert die Intimität ins Unermeßliche, so sehr, daß er Gefahr läuft, die eigentliche, pornographische Kunst zu werden, die den Zuschauer in die Situation des Voyeurs zwingt."284

"Wenn ich den Mississippi-Stoff nun auf ein ganz anderes, sagen wir primitiveres Medium, wie es der Film ist (der noch viel unmittelbarer ist, als das Theater), hinführe, dann kommt der Stoff in seiner letzten Kraßheit, in seiner bösesten Form heraus."285

Für Dürrenmatt bedeutet zwar das Drehbuchschreiben einen Anreiz, denn da beschreibt man einzelne "Bilder", seine bildhafte Sichtweise kann zum Ausdruck kommen, diese direkte Bildlichkeit bedeutet aber auch einen Verlust der Phantasie der Zuschauer.286

"Wir könnten das nur, wenn wir die reine Wirklichkeit zeigen könnten – merkwürdigerweise können wir das viel besser im Film. Dort unterliegen wir der Täuschung, daß das, was wir sehen, die Natur sei. Die Kamera ist ein Auge, mit dem wir die Wirklichkeit vortäuschen können. Das Theater kann die Wirklichkeit nicht vortäuschen, besonders seit wir durch den Film das optische Ergänzen der Phantasie verloren haben."287

Zwar ist der Film als "eine Prothese unseres Auges"288, die neue Möglichkeiten bietet289, ist dieses Medium von wirtschaftlichen Dingen stärker abhängig und ist mit einer Team-Arbeit verbunden, womit Dürrenmatt teils schleche Erfahrungen hat.290 "Meine Erfahrungen mit dem Film sind teilweise schmerzlicher Natur. Es reden zu viele Leute in die Sache. Dauernd pressiert es. Wie das Theaterstück bekommt man den Film nie in die Hand."291 Dürrenmatt hat die Arbeit mit den verschiedenen Medien folgendermaßen verglichen:

283 Gespräche 2, 136f., vgl. Gespräche 2, 105 284 Gespräche 1, 89.; auch WA 30, 39 285 Gespräche 1, 137; Hervorhebung von K.K. 286 Vgl. WA 30, 170; WA 32, 125ff., 133ff.; Gespräche 3, 166. 287 Gespräche 1, 244 288 Vgl. Der Auftrag, WA 26 289 WA 10, 130 290 So konnte z.B. der Midas als Film nicht verwirklicht werden. 291 Gespräche 1, 91; Vgl. Gespräche 1, 210 "Das reine Wort gibt es weder im Theater noch im Rundfunk, noch im Fernsehen, weil im dramatischen Spiel nie vom Menschen abstrahiert werden kann. Es handelt sich überall um den Menschen, der redet, der durch das Spiel zum Reden gebracht wird. Sieht man im Film, wie im Fernsehen, durch ein Schlüsselloch, im Theater wie in einen Guckkasten, so lauscht man im Hörspiel an einem verschlossenen Tür ohne Schlüsselloch. Was nun besser sei, scheint mir müßig [zu fragen]. Es ist ein Streit um Methoden, in dem jeder recht hat. Im Hörspiel ist die Welt auf eine Ebene des Hörens abstrahiert, das ist seine große Möglichkeit und seine große Schwäche. Der Vorteil des Theaters gegenüber dem Hörspiel, aber auch der Vorteil des Films oder des Fernsehens liegt gerade darin, daß in ihnen die Sprache nicht als unmittelbares Medium, sondern als der eigentliche Höhepunkt erreicht wird. Das Theater hat eine viel größere Steigerung als das Hörspiel. Die Welt ist im Hörspiel auf das Hören amputiert, im Film auf das Bild hin. Bei beiden wird eine zu große Intimität erzielt. Sieht man im Film, wie sich die Leute ausziehen, so hört man im Hörspiel, wie sie miteinander flüstern."292

In den Werken werden oft die Medien selbst thematisiert, als das Motiv Journalismus, die Wiedergabe der Welt durch die Medien: so z.B. am Schluß in der Frist aber auch in der Alten Dame. "Es ist ganz unmöglich, heute etwas ohne Journalismus zu zeigen, ohne die Veränderung, die das Geschehen durch die Medien bekommt."293 Am Ende der Frist ist die Darstellung des Fernsehens doppelgesichtig: einerseits täuscht es eine Feierlichkeit vor, die das ganze Volk auf die Seite des sterbenden Diktators stellt, andererseits wird es vom Exzellenz dazu benutzt, seine Feinde zu erledigen. Die Zweischneidigkeit des Mediums läßt sich erkennen: einerseits Fälschung andererseits Entlarvung der Geschichte.294 Bei der Alten Dame kommt durch die Anwesenheit der Medien die Doppelbödigkeit der Festrede des Lehrers und der Scheinmoral der Güllener zum Ausdruck: durch die Übertragung der Medien (die jeden Schritt der alten Dame begleiten), klingt die Rede als feierliche Freudenode, für die Eingeweihten ist es das Todesurteil von Ill. Im Hörspiel Herkules und der Stall des Augias hat der Reporter eine bloß erzähltechnische Rolle: als Erzählform, als Schilderer der für die Zuschauer nicht sichtbaren Ereignisse ist diese Figur nötig. Die neuen technischen Mittel bedeuten für Dürrenmatt einen Anreiz, seine Stoffe in mehreren Medien zu versuchen und mit deren Möglichkeiten zu experimentieren, wie man es anhand der einzelnen Beispiele sowie am Herkules-Stoff verfolgen kann.

292 zitiert in Brock-Sulzer, Elisabeth: Friedrich Dürrenmatt. Stationen seines Werkes. Zürich: Diogenes, 1986, S. 234. 293 Gespräche 2, 346 294 Vgl. Die Rolle der Zeitung in dem Verdacht. WA 20. 3.9.1. Exemplarische Beispiele für Medienwechsel 295

Da Dürrenmatt in seinem ganzen Leben danach strebt, für einen Stoff die geeignetste Form sowie alle Ausdrucksmöglichkeiten eines Stoffes zu finden, könnte sein ganzes Œuvre als Beispiel für Medienwechsel aufgezählt werden. Hier können nur einige arbiträr ausgewählte Fälle dargestellt werden, wodurch es klar wird, wie abwechslungsreich die Verwirklichung der Stoffe ist, bzw. daß die traditionelle literaturhistorische Analyse der Einzelwerke von Dürrenmatt nicht befriedigend ist. Die Bearbeitung des gleichen Stoffes in verschiedenen Medien und/oder verschiedenen Gattungen müssen auch als gleichwertige künstlerische Leistungen untersucht werden, da sie Dürrenmatt vor eine genauso große schöpferische Aufgabe gestellt haben wie das Erfinden neuer Stoffe:

"Die Transposition eines Stoffes in ein anderes Medium stellt nicht so sehr ein Problem der Phantasie als eines des Denkens dar – zu dem freilich das neue Medium zwingt. Transponieren ist daher oft schwerer als Erfinden."296

Es war schon die Rede davon, daß in manchen literarischen Texten Gemälde/Zeichnungen von Dürrenmatt beschrieben werden.

Beim Porträt eines Planeten, das dem Autor als Übungsstück für Schauspieler bezeichnet wird, besteht das Bühnenexperiment darin, keine Handlung zu zeigen, nur Bilder, Porträts, aufgenommen im Lichte des plötzlichen Untergangs der Erde.297 Die Komödie Die Ehe des Herrn Mississippi (zunächst in 5 Akten, dann in 2 Teilen) entstand 1949/50 in Ligerz am Bielersee, und Dürrenmatt arbeitete am Stück noch bis zur Uraufführung am 26. März 1952 in den Münchner Kammerspielen, die den eigentlichen Durchbruch für den schweizerischen Schriftsteller in Deutschland bedeutet. Die Erfahrungen der Aufführung widerspiegeln sich schon in der im gleichen Jahr erscheinenden Erstfassung (Oprecht-Verlag, Zürich), die gemäß der einleitenden Bemerkung des Autors "im großen und ganzen" dem Text der Uraufführung folgt und "wesentliche Teile von Hans Schweikarts szenischer Einrichtung" übernimmt. Dürrenmatt selbst inszeniert das Stück 1954 in Bern – das ist seine erste Erfahrung als Regisseur. Nach all den bisherigen Bühnenerfahrungen, anläßlich einer Neuinszenierung 1957 am Zürcher Schauspielhaus entsteht "die zweite Fassung", hier

295 Das folgende Kapitel beruht auf den Nachweis-Kapiteln der Werkausgabe, 1998, sowie Übersichtstabellen des Schweizerischen Literaturarchivs. 296 WA 16, 64 297 WA 12, 197 werden vor allem der "phantastische" Anstrich der Komödie, der sprachliche Pathos und die überdeutlichen religiösen Anklänge reduziert. Für die französische Erstaufführung im Pariser Thatre de La Bruyère (1960) überarbeitet Dürrenmatt das Stück erneut, diese Theaterfassung wird 1962 in in deutscher Sprache aufgeführt, und erscheint 1964 im Oprecht-Verlag als "dritte Fassung", 1966 schon als "revidierte dritte Fassung". Inzwischen, im Jahre 1961 entsteht aus einer Notlage heraus298 ein Filmdrehbuch. Im Rahmen seiner Co-Direktion an dem Basler Theater entwirft Dürrenmatt eine vierte Fassung, die aber wegen seinem Rücktritt aus der Direktion erst 1970 in Hamburg aufgeführt wird. Anläßlich der Werkausgabe 1980 verfertigt Dürrenmatt "die literarisch gültige", "die dichterische" Fassung, in diesem konkreten Fall bedeutet es eine Synthese der 2. und 3. Fassung: "Im großen und ganzen ist der Erste Teil der zweiten und der Zweite Teil der dritten Fassung nachgebildet".

3.9.2. Der Herkules-Stoff

Die theoretischen Behauptungen der vorangehenden Kapitel sollen jetzt anhand des Herkules-Stoffes verifiziert werden. Dürrenmatt bearbeitet den Herkules-Stoff zuerst als Hörspiel für den Nordestdeutschen Rundfunk. 1957 bringt die Deutsche Grammophon Hamburg eine von Dürrenmatt besprochene Schallplatte heraus: aus technischen Gründen ist es eine Kurzfassung des Hörspiels. Nachdem es nicht selten von Laiengruppen schon gespielt wurde, entsteht 1962 die Bühnenauffassung des Herkules (UA 1963, Zürcher Schauspielhaus) und trägt den Untertitel "Eine Komödie in 15 Bildern". Noch nach der durchgefallenen Premiere überarbeitet Dürrenmatt den Text, später wird diese Überarbeitung für die Buchausgabe wieder erneuert (mit dem Untertitel "Ein Festspiel", später mit dem abschließenden Chor der Parlamentarier als "Eine Komödie"). Die meisten Sekundärwerke wählen als Interpretationsgrundlage entweder die Hörspielvariante299 oder nur das Schauspiel.300 Die beiden Werke müßten aber als

298 Dürrenmatt konnte den Justiz nicht rechtzeitig beenden, aber der Stab war schon von dem Produzenten Lazar Wechsler zusammengerufen, so hat der Autor vorgeschlagen, den Mississippi zu verfilmen. 299 Die Kritik hat das neue Stück an der Hörspielfassung gemessen, siehe Brock-Sulzer, S. 133f. 300 Martina Steinberger vertritt z.B. die fragwürdige Meinung, daß sich ihre Untersuchungen hauptsächlich auf die Komödie beziehen, "da sie als Neubearbeitung aber für die künstlerisch gültige gleichwertige Stücke behandelt werden, was auch die Meinung von Dürrenmatt unterstützt: "Ich meinte, die Umarbeitung eines Hörspiels sei, wenn nicht gerade ein Kinderspiel, so doch gegenüber einem neuen Wurf zeitsparende Sache. Ich hätte schneller ein neues Stück geschrieben".301 Der Stoff selbst war Dürrenmatt seit seiner Kindheit wohlbekannt, teils aus den Erzählungen des Vaters302, teils aus Gustav Schwabs Sagen des klassischen Altertums.303 Zwar faszinierte der Held, das Heldentum die Phantasie des kleinen Kindes, erfährt dieses Faszinosum "Held" vor allem angesichts der Weltsituation nach dem Zweiten Weltkrieg eine kritische Modifikation304: Schon in dem Essay Theaterprobleme behauptet der Autor, es kann in der "Wurstelei unseres Jahrhunderts keine tragischen Helden mehr geben". Diese Auffassung der Unmöglichkeit des persönlichen Heldentums findet auch malerisch seinen Ausdruck: auf der Zeichnung aus dem Jahr 1966 mit dem Titel Held (siehe: Abb. 5) kann man einen muskulösen, kräftigen, energiebeladenen Helden sehen – gefesselt. Die Ablehnung der Heroenverehrung (ganz besonders der Kriegshelden) drückt sich auch in der ironischen Verwendung der Titel "Held der Nation" oder "Nationalheld", man soll nur an die Darstellung von Titus Andronicus, Theoderich und Spurius Titus Mamma in dem Romulus der Große, das Lied des Frank V. von seinen Ahnen305 oder am sarkastischsten an das Hörspiel Stranitzky und der Nationalheld denken.306

Variante betrachtet werden kann". Steinberger, Martina: Das Antike-Bild Friedrich Dürrenmatts. Diss. Salzburg, 1991, S. 47. 301 Gespräche 1, 29; Vgl. Gespräche 1, 303: "Herkules und der Stall des Augias war für mich der dramaturgische Versuch, ein Stück vom Hörspiel auf die Bühne zu transportieren." 302 WA 28, 23 303 Der Name selbst war dem kleinen Dürrenmatt auch vom Sternenhimmel bekannt. 304 Zum Begriff "Held" siehe: WA 10, 130; WA 14, 165; WA 19, 173; Gespräche 1, 187, 191ff.; Gespräche 2, 39, 145f. 305 WA 6, 60ff 306 Es gibt sogar eine Abbildung der aussätzigen Zehe des Nationalhelden, in: Brock-Sulzer, E.: Friedrich Dürrenmatt. Stationen seines Werkes. Zürich: Arche, 1960; Neuaufl. Zürich: Diogenes, 1986, Tafel 21. Abb. 5: Held , 1966; Tusche, Pinsel laviert, 25,5×20,5 cm

Auch die Gestalt des Herkules wird von Dürrenmatt entheroisiert, wobei seine Verfahrensweise typisch für seinen Umgang mit den antiken Mythen ist: er teilt den antiken Stoff in seine "Bauelemente", und aus diesen Motiven hebt er manche hervor, modifiziert die Akzente, bzw. in Bezug auf den alten Stoff baut seine eigene, "logische" Geschichte auf. Wie sich Dürrenmatt in den Theaterproblemen bekennt, kann man die"vernichteten", "Mumien gewordenen" Mythen nur mit der Hilfe der Parodie zu Stoffe machen.307 307 Zu den Begriffen Parodie, Groteske, Ironie siehe: Grimm, Reinhold: Parodie und Groteske im Werk Dürrenmatts. In: Der unbequeme Dürrenmatt, Basel: Basilius Presse, 1962, (Theater unserer Zeit 4) S.71- 96.; Gallati, Ernst: >Herkules und der Stall des Augias<: Mythos, Parodie und Poesie. In: Arnold, Armin (Hrsg.): Zu Friedrich Dürrenmatt, Stuttgart: Klett, 1982 (Literaturwissenschaft-Gesellschaftswissenschaft 60.), S. 110-123.; Mitrache, Liliana: Intertextualität und Phraseologie in den drei Versionen der Panne von Friedrich Dürrenmatt: Aspekte von Groteske und Ironie. (Diss.) Uppsala, 1999; Schulte, Vera: Das Gesicht einer gesichtslosen Welt. Zu Paradoxie und Groteske in Friedrich Dürrenmatts dramatischem Werk., Frankfurt/M.: Lang, 1987 (Europäische Hochschulschriften I, 1002); Strelka, Joseph: Friedrich Dürrenmatt. Die Paradox-Groteske als Wirklichkeitsbewältigung. In: ders.: Wege und Abwege des modernen Dramas. Wien 1962, S. 114-165. Der Ausgangspunkt dieser parodistischen Herkules-Bearbeitung ist Dürrenmatts Bild-Begriff, was für ein Bild sich die Figuren der fiktiven Geschichte bzw. das heutige Publikum von Herkules gemacht haben und dem "traditionellen Helden-Bild" setzt der Autor sein eigenes gegenüber. Da ist der prägende Unterschied zwischen dem Hörspiel und dem Theaterstück: auf der Bühne sieht man eine konkrete bildliche Gestaltung, im Hörspiel entsteht dieses Bild mittels des Wortes.308 In der Bühnenadaptation arbeitet Dürrenmatt auf stark bildhafte, plakative Effekte hin, oft werden auch kabarettistische Züge als Anlehen an Stummfilm-Humor verwendet. Im Hörspiel muß Herkules durch die Worte von Polybios vorgestellt werden: er ist ein "unkomplizierter Charakter"309, "hünenhaft, robust und einfach"310, der es liebt, "sich dumm und ungebildet zu stellen, gerade weil er gebildet war"311. Auch in der Hörspielfassung ist er jähzornig, wie es die "Unfälle" von Polybios zeigen, und verfügt über eine unnatürliche Stärke. Dieses Bild wird von dem Bild seines "Berufs" überlappt, das von dem "antiken PR" geformt wird: "Propaganda ist für einen freischaffenden Nationalhelden notwendig"312. Dieses Bild ist aber wiederum nicht das eines antiken Heros: "Mich dagegen betrachtet man als einen ewig betrunkenen Kraftmeier, und dies gestützt auf die Literatur, die meine Dichter über mich herausgeben"313. Er ist gezwungen, volkstümlich zu sein, um so seine Popularität und das Einkommen durch die Herkules- Bücherei zu bewahren. Dieses Bild ist nur eine finanzielle Frage: Herkules kann sich die besten Dichter von Griechenland nicht leisten, "Da ist zum Beispiel dieser Komer (sic!), dem wir zweiundfünfzig Drachmen für sechsundzwanzig Verse zahlten.314 Zwei Drachmen mehr als ich an einem mittleren Raubritter verdiene! […] Und was beschreibt er? Wie mich der König Odysseus im Totenreich besucht. Dieser unglücklich verheiratete König von Ithaka, der von seiner Insel nie fortgekommen ist und sich seine Reisen zusammendichten läßt. Für dreitausend Drachmen. […] Ich kann mir nur Dichter für zehn Drachmen den Monat leisten".315 Aufgrund dieses "zusammengedichteten" Bildes stellt "das Volk" bestimmte Anforderungen dem Helden gegenüber: "Der Beruf eines Nationalhelden ist nun einmal

308 Das Bild gegen das Wort zu setzen beschäftigte Dürrenmatt schon in seinem zweiten Drama, dem Blinden. Brock-Sulzer, S. 232ff. 309 WA 8, 181 310 WA 8, 184 311 WA 8, 185 312 WA 8, 182 313 WA 8, 183 314 Tatsächlich gibt es 26 Verse über Herkules in Homers Odysee: V. 601-626. 315 WA 8, 182f. mit beträchtlichen Spesen verbunden. Er hat zu repräsentieren, Neugierige aus aller Welt sprechen vor, die zu bewirten sind, ein luxuriöser Lebenswandel ist Pflicht, nur das Beste ist gut genug."316 Außerdem sind die Geschichten von Frauen populär: "Herkules: Ich möchte nicht auf Einzelheiten eingehen. Doch soll ich viele Frauen und Mädchen verführt haben, erzählt man. Kambyses: Hast du denn viele verführt? H.: Schließlich bin ich ein Nationalheld." Der alternde Herkules möchte zwar nichts mehr mit Frauen zu tun haben, aber "Gerade diese Frauengeschichten, so unangenehm sie auch sind, bilden einen wichtigen Bestandteil meines Berufs – ich meine, das Volk will, daß ich Frauen- und Mädchenherzen breche – es gehört sich einfach für einen Nationalhelden."317 Im Drama hat Herkules zwar eben noch die Verpflichtungen seines "Berufs" gegenüber, da ist aber nicht mehr diese Auftragsdichtung betont: man kann ja Herkules selbst auf der Bühne sehen. Im Theaterstück wird Herkules vielmehr als ein Mann mit mehr Muskelkraft als Geisteskraft dargestellt, der gefräßig ist318, mißhandelt den Sekretär, säuft, vergewaltigt eine Hetäre im Stadtpark und demoliert Geldinstitute.319 Was interessant ist, hier kommt Dürrenmatt einigen antiken Quellen näher: so Plautus Amphitryon mit den Einzelheiten über die Geburt des Helden, Euripides’ Rasenden Herkules, Sophokles Trachinierinnen mit den Voraussetzungen für den Untergang des Helden und schließlich Senecas Herkules auf Oeta mit dem Tod und Apotheose des Heros. Vor allem Senecas Tragödie Hercules furens zeigt interessante Parallele zu Dürrenmatts Werk. Hier wird die Wahnsinnsszene dargestellt, wie Herkules seine erste Frau, Megara und ihr Kind erschlägt, im Glauben, er ziele auf Giganten320. Genau diesem Bild entsprechend ist Polybios die "gedemütigste, zusammenschlagenste Kreatur"321, der ständig geschmettert wird (bis ter rotatum misit), später Beinbruch und Schnittwunden erleidet322 (per fregit ossa), dann muß er sich einer "Schädeltrepanation" unterziehen323 (bei Seneca: coppori trunco abest caput). Bei diesen Rasereien behält

316 WA 8, 185f. 317 WA 8, 202. 318 WA 8, 77 319 WA 8, 48f. 320 Seneca: Hercules furens, V. 1005-1026 321 WA 8, 15f. 322 WA 8, 44. 323 WA 8, 83 Herkules irgendwie seine Naivität, er sagt nur: "Ich muß einfach hin und wieder rasen".324 Herkules ist im Bühnenstück mit seiner unmöglichen Lage als Nationalhelden völlig im klaren:

"Held ist nur ein Wort, das erhabene Vorstellungen erweckt, die begeistern. In Wirklichkeit bin ich aber nicht ein Wort, Iole, sondern ein Mann, der aus Zufall eine Eigenschaft bekommen hat, die andere nicht in dem Übermaß besitzen: Ich bin stärker als die andern Menschen und darum, weil ich niemand zu fürchten brauche, gehöre ich auch nicht zu den Menschen. Ich bin ein Ungeheuer wie jene Saurier, die ich in den Sümpfen ausrotte. Ihre Zeit ist um, und auch die meine. Ich gehöre einer blutigen Welt, Iole, und übe ein blutiges Handwerk. Der Tod ist mein Begleiter […] Ich bin ein Mörder, vom Ruhm der Menschen übertüncht."325

Im Theaterstück steht Herkules vor den Augen der Zuschauer, aber die konkrete, persönliche Erscheinung hat nicht nur Vorteile dem auditiven Hörspiel gegenüber, sondern bringt auch große bühnentechnische Schwierigkeiten mit. Der Autor spielt bewußt mit diesen Schwierigkeiten und Möglichkeiten der Bühne:

"Wir versuchen eine Geschichte zu erzählen, die auf dem Theater sich bis jetzt noch niemand zu erzählen getraute, liegen sich doch in ihr, wenn ich mich so ausdrücken darf, das Reinlichkeitsbestreben und das Kunstbedürfnis des Menschen in den Haaren. Wenn wir das bedenkliche Unternehmen trotzdem wagen und nun vor Ihnen eine Welt aus Unrat auf die Bühne zaubern, so nur, weil uns der Glaube beflügelt, die dramatische Kunst werde mit jeder Schwierigkeit fertig; fast mit jeder, denn an anderen Taten unseres Nationalhelden wäre sie wohl gescheitert: […] Wo nähmen wir die Schlangen, wo den Busen her?"326

Die fünfte Arbeit wird vom Autor bewußt ausgewählt, das ist der erste Schritt zum Zeigen des "anderen Herkules". Die Minderwärtigkeit der Augias-Arbeit läßt sich schon daran erkennen, daß sie bei der Aufzählung der Heldentaten von Herkules meistens fehlt327, oder wenn sie erwähnt wird, dann als "turpis".328 Gustav Schwab nennt es "eines Helden wenig würdig".329 Dürrenmatts Vorliebe für diese Arbeit läßt sich schon an einer Bemerkung von Bärlach in dem Verdacht ablesen: "So soll man denn wohl hinters Fegen und Scheuern,

324 WA 8, 50. 325 WA 8, 90f. 326 WA 8, 13f. 327 Sophokles Trachiniai, V. 1091-1200, Euripides: Herakles V. 357-427, V. 1269-1278, Seneca: Herkules Oetatus, V. 16-27. 328 Seneca: Hercules furens, V. 247: "nec ad omne clarum facinus audaces manus/stabuli fugavit turpis Augei labor" 329 Schwab, Gustav: Sagen des klassischen Altertums. Leipzig: Insel, o.J. (1909?), 182f. wenn man am Vaterland Flecken und schmutzige Stellen entdeckt, wie ja sogar auch Herkules den Stall des Augias ausmistete – diese Arbeit ist mir von seinen zehn die sympatischste".330 Der Mist bietet aber nicht nur ein ironisches Gegenbild der Schweiz, der Mist ist für die Schweizer Bauern ein Schatz, ein Stolz, ist vor dem Haus, kunstvoll abgeschnitten, gezöpfelt331– eine Möglichkeit des Neubeginns, wie es auch an der Figur des "mutigen Menschen" Augias sichtbar wird. Interessant ist es, daß Dürrenmatt selbst Mist züchten wollte332. "Der Mist ist etwas ungeheuer Reinliches, der ist gezöpfelt, sauber"333, behauptet Dürrenmatt in den Gesprächen, dennoch ist im Stück eine weitere Modernisierung des Stoffes, das aktuelle Thema des Umweltschutzes betreffend: würde die "Säuberung" Herkules gelingen, würde er das Ionische Meer verpesten.334 Der antike Stoff bietet noch eine Möglichkeit für Modernisierung: das ist eine der zehn Arbeiten, die Eurystheus nicht gelten ließ – da Herkules von Augias Lohn dafür verlangte (den Augias seinerseits verweigerte, als er erfuhr, daß die Arbeit auf Auftrag des Eurystheus geschehen sei). Diese kommerzielle Sichtweise wird in Dürrenmatts Drama zugespitzt: das Stück beginnt mit der vierten Arbeit, als sich der Erymanthische Eber als Wildsau herausstellt, und auch die früheren Arbeiten werden von Polybios vom Gesichtspunkt des geringen Gelderwerbs bewertet:

"Polybios: Die drei ersten Arbeiten, die ich vermittelt habe, brachten wenig ein. Der Nemeische Löwe, nach dessen Gewicht sich das Honorar richtete, erwies sich als ein Balkanzwergberglöwe, die Riesenschlange Hydra sackte in den lernäischen Sümpfen ab und die Keryneiische Hindin sauste auf Nimmerwiedersehen davon".335

"Herkules: Der Erymanthische Eber stürzte vor meinen Augen in den bodenlosen Abgrund. Polybios: Und damit das Honorar. Fünfzehntausend Drachmen liegen da unten."336

Herkules muß also alle, auch sehr erniedrigenden Arbeiten (Nationalzirkus Tantalos, Augias-Stall, Stymphalische Vögel) nur aus Geldmangel auf sich nehmen, auch die zehn Arbeiten sind nur die poetische Umdichtung seiner Schulden337– aber lieber Stallknecht als Zuhälter Denaieras.

330 WA 20, 183 331 Gespräche 3, 25; 181 332 Gespräche 1, 71 333 Gespräche 2, 229 334 WA 8, 50. 335 WA 8, 19. 336 WA 8, 20. 337 WA 8, 184. Bei dieser Arbeit ist noch ein reizender Punkt für den Autor, der in den semantischen Möglichkeiten des Wortes "Säuberer" liegt, daß "diese Elier den Titel >Säuberer Griechenlands< allzu wörtlich nehmen."338 bzw. daß die Mist nicht draußen, "der Schutt in Herzen" liegt, der sich nicht säubern läßt.339 Beim Hörspiel mußte der Autor eine konsequente, einsträngige Handlungsführung entwickeln (denn man kann es nur hören, also schwerer verfolgen), in der Bühnenauffassung kann er – auch als Verfremdungseffekte – mit Vorausdeutungen spielen (z.B. Herkules und Ioles Beziehung, Herkules Ende, Lichas Tod), die den Fiktionscharakter des Stückes mehr hervorheben. Es gibt aber eine Änderung des Theaterstückes, die nicht mit dem Medienwechsel erklärbar ist: die erste Fassung endet (wie das Hörspiel) positiv, mit dem mutigen Menschen Augias, mit der wirklichen Herkulesarbeit, aus Mist Erde zu machen. "In diesem Garten endet das Stück. Ich bekenne schamhaft. Es endet positiv."340 "Ein Dürrenmatt" darf aber nicht positiv enden und Dürrenmatt verändert den Ausgang: Pyleus nimmt die "Herkules-Arbeit" nicht auf sich, rennt eher ins "heldenhafte Leben" – in den sicheren Tod. Später wird noch der Chor der Alten eingesetzt, als genauere Formulierung dessen, daß der Mist eigentlich in den Köpfen steht.341

338 WA 8, 42. 339 WA 8, 117. 340 Gespräche 1, 30 341 WA 8, 117.

Abb. 6: Augias und die Elier; 1963, Federzeichnung, 20,5×29 cm

Parallel zu dem Stück kommt es auch zur malerischen Gestaltung des Herkules-Stoffes: Augias und die Elier (siehe: Abb. 6), Herkules und der Stall des Augias (1963), und nach dem Durchfallen des Stücks zeichnet der Autor eine Menge von Karikaturen mit Herkules. Hier erscheint der "Held" als ein zum "Aussterben verurteilter Ungeheuer, wie jene Saurier, die ich in den Sümpfen ausrotte"342. Herkules kämpft gegen einen Mammut343, stemmt mit Leichtigkeit Gewicht344, steht mit einer Keule da345, steckt im Klo346, aber auch die Augier sind dabei, in Elis, wo die Kühe347, der Nationalrat348 aber auch Herkules mit den kommenden Stymphalischen Vögeln349 schon im Mist versunken sind. Ein neuer Aspekt der Herkules-Figur ist sein Kampf gegen die Kritiker350 (siehe Abb. 7), der arme Kerl ist aber von einer Dürrenmatt ähnelnden Figur an ihrer Feder aufgespießt.351

342 WA 8, 90. 343 Dürrenmatt, Friedrich: Herkules und der Stall des Augias. Mit Randnotizen eines Kugelschreibers. Zürich:Arche, 1954, S. 12, 54. 344 Herkules, S. 58. 345 Herkules, S.22. 346 Herkules, S. 37. 347 Herkules, S. 14. 348 Brock-Sulzer, S. 258 349 Herkules, S. 62. 350 Brock-Sulzer, S. 136f. 351 WA 31, 130f. Diese Motive sind teils Indikator dafür, welche Motive Dürrenmatt am besten beschäftigten, teils bedeuten sie eine Weiterführung der im Stoffe versteckten Möglichkeiten.

Abb. 7: Herkules und die Kritiker

3.9.3. Fa zit

An dem Herkules-Stoff konnte man schon einige Eigenheiten des Dürrenmattschen Umgang mit dem Mythos beobachten. Da er die antiken Mythen gut kennt, wählt er aus diesen Prätexten solche Elemente aus, die seiner Absicht der Entheroisierung entsprechen. Aus den einzelnen Elementen steht ein entheroisierter "Mitmacher" vor unseren Augen, und dieses Bild entsteht im Falle des Hörspiels mittels der bildhaften Worte, im Falle des Theaterstücks können wir die Figuren mit eigenen Augen sehen. Mit der Hilfe des antiken Mythos des entheroisierten Herkules wendet sich Dürrematt gegen einen anderen, einen politischen Mythos: gegen den der Schweiz. Dürrenmatt hat mit seinem antiken Stoff sehr aktuelle Aussagen getroffen: daß man ohne Helden, ohne Mythen, der Umwelt und den Mitmenschen gegenüber verantwortungsvoll leben soll. Der Herkules-Stoff erscheint mehrmals auf Bildern, wobei folgende (nicht scharf trennbare) Kategorien zu beobachten sind:

- die Bilder sind "Illustrationen" des Stückes (Abb. 6)

- sie sind Karikaturen (zum Teil als Antwort auf die Reaktion der Kritiker) (Abb. 7)

- Gemälde, die Dürrenmatts Vorstellungen über das Stück zum Ausdruck bringen. 4. Dürrenmatts Mythosbearbeitungen - Werkanalysen

In dem bisherigen Text der Arbeit wurde behauptet, daß die Mythen in der Moderne immer mehr zur Form geworden sind, die mit neuem Inhalt gefüllt werden. Die Eigenschaften, die die (antiken) Mythen so verwandlungsfähig machen, sind gerade diejenigen, die die Dürrenmattschen Stoffe kennzeichnen. So sind die Mythen als Stoffe für Dürrenmatt als intellektuelles Spiel sehr geeignet, seine kritische Auseinandersetzung mit der Welt auszudrücken. Im Falle des Herkules-Stoffes konnte man schon sehen, wie Dürrenmatt dem wohlbekannten Heldenbild seinen entheroisierten Herkules gegenüberstellt, wobei er sich aber auch auf die benutzten antiken Prätexte stützen konnte. Der Umgang mit den Mythen wird in der Phase nach 1973 noch komplizierter: es wird nämlich nicht nur mit den antiken Prätexten als Folien gespielt, sondern das Dürrenmattsche Novum wird mit Einbeziehung von verschiedenen Mythostheorien, psychoanalytischen und strukturalistischen Methoden, mit Bezugnahmen auf philosophische und naturwissenschaftliche Weke komplizierter. Diese Bezüge aufzudecken und die Mythosbearbeitungen von Dürrenmatt darzustellen ist das Hauptanliegen der folgenden Kapitel.

4.1. Dürrenmatts "Abschied vom Theater": Das Sterben der Pythia

4.1.1. Methodische Überlegungen

Die 1976 geschriebene Erzählung bildet einen Wendepunkt in Dürrenmatts Schaffen, denn im Mitmacher-Komplex ist einerseits seine Abwendung vom Theater und Zuwendung zur Prosa. Andererseits ist in dieser Schaffensperiode von Dürrenmatt eine erhöhte Anforderung an die Rezipienten charakteristisch, das heißt: immer mehr Bezüge zu literarischen, philosophischen, wissenschaftlichen Werken müßten erkannt werden, um die Absicht des Autors richtig und möglichst vollständig zu interpretieren, so bekommen die fremdreferierenden, aber auch die selbstreferierenden intertextuellen Bezugnahmen eine größere Rolle. Abweichend von den anderen Kapiteln dieser Arbeit, wo die textgenetische Untersuchung und das Archivmaterial eine wichtige Grundlage der Analyse bilden, wird hier davon abgesehen. Dürrenmatt hat nämlich diese Erzählung relativ schnell geschrieben, und es gibt nur einige Details, die sich geringfügig von der publizierten Fassung unterscheiden. So sind nur die Umstände der Entstehung dieser Erzählung beschrieben und ist nur die Werkausgabe als Grundlage der Interpretation genommen. Die historische und literarische Grundlage muß aber auch jetzt unter die Lupe genommen werden, da Dürrenmatt auch da (wohlbekannte) antike Vorlagen verwendet, diese de- und remontiert. Gerade da, wo der Autor von einer Vorlage abweicht, gilt es zu fragen, welche Akzente er damit setzt und was sich aus den Veränderungen für neue Bedeutungen ergeben, und was diese für die Interpretation des ganzen Textes ergeben. Zunächst müssen also wiederum die historischen Grundlagen sowie die intertextuellen Bezüge zu den (antiken) Prätexten untersucht werden. Der Ödipus-Stoff wurde während der Geschichte mehrmals bearbeitet, oft mit Hilfe verschiedener (z.B. psychoanalytischer, strukturalistischer) Methoden analysiert. Um den komplexen Textaufbau der Erzählung Das Sterben der Pythia verstehen zu können, müssen diese verschiedenen Methoden in die daliegende Analyse miteinbezogen werden.

4.1.2. Kleine Entstehungsgeschichte

1973 wurde das Stück Der Mitmacher "unter unglücklichen Umständen"352 inszeniert. Hatte Dürrenmatt noch kurz nach der Uraufführung (März 1973) noch die Meinung geäußert, seine Figuren würden "die Bühne wieder möglich machen"353, so konstatiert er zwei Jahre später, schon mitten in der Arbeit am Nachwort, er sei in einer Sackgasse gelandet, "wo ich weiß: Jetzt kannst du aufhören zu schreiben, oder es geht dir eine Möglichkeit auf, wieder anders zu schreiben. So geht es jedenfalls nicht weiter".354 Die Ergebnisse dieser Grübelei sind die hundertzehn Seiten des kommentierenden und reflektierenden Nachworts zum Mitmacher und das nochmal hundert Seiten umfassende Nachwort zum Nachwort, die unter dem Begriff Mitmacher- Komplex zusammengefaßt werden. Dürrenmatt sieht die Gründe für den Mißerfolg in der Schwierigkeit, seine Ideen und Gedanken, die zur Konzeption des Theaterstücks führten, dem Publikum zu vermitteln:"Das Wesentliche, was ein Theaterstück ausmacht, kann doch nicht aufgezeichnet werden: der Text ist ein Resultat innerer

352 Der Mitmacher wurde im März 1973 am Zürcher Schauspielhaus unter der Regie von Andrzej Vajda uraufgeführt. Bereits während der Proben kam es jedoch zu Streitigkeiten zwischen dem Autor und dem Regisseur, so daß sich Vajda kurz vor der Uraufführung von der Inszenierung distanzierte und Dürrenmatt selbst die Regie übernahm. Was aber am Ende auf der Bühne gespielt wurde, entsprach weder Vajdas noch Dürrenmatts Vorstellungen, und die Uraufführung wurde zu einem katastrophalen Mißerfolg. Das war das Schicksal des Stückes auch in Bochum, wo Dürrenmatt das Stück im selben Jahr in der Absicht inszenierte, "die eigenen dramaturgischen Vorstellungen umzusetzen". Vgl. Knopf, Jan: Friedrich Dürrenmatt. 4. neubearbeitete Auflage, München: Beck, 1988, S. 154ff. Knapp 1993, S. 118ff. 353 Dürrenmatt, Friedrich: Der Mitmacher: Komödie. Basel: Reiss AG 1973 (unverkäufliches Manuskript für den Theaterbetrieb, Ex. Im Nachlaß Dürrenmatt, SLA), S. 6.; zitiert in: "Ob man sich selbst zum Stoff werden vermag" in: Quarto, 1996/97 Okt. 354 Gespräch mit Heinz Ludwig Arnold. Zürich: Verlag Die Arche 1976. S. 44.; Gespräch: 7-8. März 1975 in Neuchâtel Vorgänge, nicht mehr, der erbärmliche Klavierauszug einer Partitur."355 Im Mitmacher- Komplex stellt er diese Ideen und Gedanken dar, die – verdichtet – auch in der Komödie zum Ausdruck kommen sollten. Der Umfang des Textes zeigt aber, daß Dürrenmatt an die Aussagekraft der Komödie allzu großen Anspruch gestellt hat – die dramatische Umsetzung ist also nicht sehr gut gelungen. Die Arbeit am Nachwort entwickelte eine Eigendynamik, die ursprüngliche Intention rückte zunehmend in den Hintergrund: "Was als Kommentar gedacht war, als Ergänzung einer Partitur, als Hinweis für Schauspieler, hat sich selbständig gemacht. Nicht das Stück scheint mehr wichtig zu sein, sondern dessen Hintergrund, von dem aus das Stück möglich wurde: das Denken des Autors."356 Nach dieser Krise (1973-76) und (scheinbarer) Orientierungslosigkeit konnte sich Dürrenmatt wieder erneuern. Nachdem er mit dem Theater "enorm viel Zeit verloren hat"357, wechselte er zum Prosawerk. Diese prosaistische Wende ist schon in dem Mitmacher-Komplex zu beobachten, die teilweise aus Geschichten besteht, unter anderem aus zwei in sich geschlossenen Texten: der Novelle Smithy, dem eigentlichen "Urstoff" des Mitmachers und der Erzählung Das Sterben der Pythia, das zum ersten mal 1976 in Göttingen vorgelesen wurde.358 Diese Erzählung, eine der gelungensten Mythenparodien des schweizerischen Schriftstellers, die zwar auch noch heutzutage weitgehend unbekannt ist359, ist aus zweierlei Gründen wichtig für die Forscher: sie zeigt nicht nur den Wechsel, die in Dürrenmatt vorgehenden Prozesse, sondern auch die wichtigsten Grundbausteine der Dürrenmattschen Gedankenwelt.360

4.1.3. Der Stoff Delphi und Pythia: Historische Überlieferung

355 WA 14, 97. 356 WA 14, 225. 357 Gespräche 2., 178. 358 Gespräche 2., 178. Die Novelle und die Erzählung wurden 1998 in der Werkausgabe unabhängig von dem Mitmacher-Komplex im Band Sturz. Erzählungen WA 24. veröffentlicht. 359 In Ungarn: A színigazgató, Gondolat 1995; Arbeiten darüber: Schmitz, Heinz: Oedipus bei Dürrenmatt. In: Gymnasium: Zeitschrift für Kultur der Antike und humanistischer Bildung Bd. 92. H. 3. Juni 1985; Martina Steinberger: Dürrenmatt und die Antike; Krättli, Anton: Wie soll man es spielen? Mit Humor! In: Text+Kritik 56. München 1977 S. 71-79.; Ulrich Weber: "Ob man sich selbst zum Stoff zu werden vermag?" in: Quarto 1996/7 (Okt.), S.65-79.; Müller, Simone: Blind sein wie Ödipus: Friedrich Dürrenmatt: "Das Sterben der Pythia". Annäherung an eine komplexe Textwirklichkeit. Lizentiatsarbeit (Uni Bern, Prof. Rusterholz), März 1996 360 Z. B. das Problem Schicksal – Zufall 4.1.3.1. Die Orakelstätte

Dank den griechischen Autoren sind uns Informationen über den Alltag in Delphi, über die Priesterschaft, die Befragung und die Rituale überliefert. Man muß aber auch bemerken, daß die Pythia und ihre Funktion den Griechen so bekannt war, daß sich detailliertere Beschreibungen erübrigten, so daß für uns heutige Leser für ein umfassenderes Verständnis der Vorgänge in Delphi viele wichtige Informationen, vor allem Kenntnisse über die Pythia fehlen.361 Der Hauptgott der minoischen Kultur in Delphi war die Erdgöttin Gaia, "in the dark interval between Mycenaean und Hellenic times"362 kam Apollon als Eindringling nach Delphi, tötete die Python, die schlangengestaltige Tochter der Gaia, und nahm das Orakel auf sich. Apollon wurde wegen seinem Verhalten von Zeus neun Jahre nach Thessalien ins Exil geschickt, was in Delphi alle neun Jahre rituell wiederholt wurde.363 Zudem erhielt die Priesterin von Apollon den Namen Pythia – als Erinnerung an Python. 548 v. Chr. brannte die Tempelanlage in Delphi nieder, danach wurde das Heiligtum in vergrößerter Form wieder aufgebaut. Es gab zahlreiche Gebäude des Areals, aber hier sind nur diejenigen zu erwähnen, die für die Erzählung eine Rolle spielen. Das Tempelinnere, also die Orakelstätte selbst wurde folgendermaßen rekonstruiert: Der Befrager betrat zuerst die Vorhalle mit dem Opferaltar, kam dann ins sogenannte Megaron, in eine Art Empfangssaal, wo ein Licht ständig brannte. Von da stieg er ins Adyton hinunter, den Ort der Befragung. Da stand der Dreifuß der Pythia über einer einfachen Grube, aus der angeblich Dämpfe drangen.364 Neben dem Dreifuß befanden sich im Adyton noch ein Lorbeerbaum, der Omphalos (d.h. Nabel), eine Goldstatue Apollons sowie kleine religiöse Gegenstände wie Votivbänder. Es gab auch ein Archiv auf dem Areal, in dem die Orakel für die Gesandten der Städte aufgezeichnet wurden, damit im Falle eines Betrugversuchs die tatsächlich gegebenen Antworten nachgeschlagen werden konnten. Es ist noch das große Theater zu erwähnen, das in Dürrenmatts Erzählung Eingang findet.365

361 So ist es bis heute nicht geklärt, wie sich die Pythia in den Zustand der Trance versetzt hat. Siehe dazu: Parke, H. W. – Wormell, D. E. W.: The Delphic Oracle, 2 Bde, Oxford, 1956 362 Parke – Wormell, S. 7. 363 Siehe: Plutarchos: De defectu oraculorum 15418B; Hegyi Dolores: Polis és vallás. Bevezetés a görög vallástörténetbe. Budapest: Osiris 2002, bes. 93ff. 364 Es wurde archeologisch bewiesen, daß in Delphi keine aus der Erdspalte aufsteigenden Dämpfe gab. Siehe dazu: Hegyi, S. 121f. 365 Die übrigen Gebäude und den Grundriß des heiligen Areals siehe in Hegyi, S. 119. Auch die Organisation des Orakels veränderte sich während der Zeit. Zu Beginn verkündete Apollon durch die Pythia Orakel nur einmal pro Jahr, später einmal pro Monat. Es gab jährlich zwölf "gewöhnliche Befragungstage", die die Stadt Delphi offiziell organisierte, und an denen sie die Opfer für alle Befrager spendierte sowie die außerordentlichen Befragungstage, an denen die Pilger das Opfer selbst mitbringen mußten. Es gab aber Tage, die für Befragungen gesperrt waren. Man konnte entweder aus persönlichem Antrieb nach Delphi kommen oder als Beauftragter einer Stadt/eines Staates. Wenn man das Orakel befragen wollte, mußte man Vorschriften in festgelegter Reihenfolge befolgen, deren Einhaltung von verschiedenen Angestellten kontrolliert wurde. Neben der Pythia dienten zwei Priester, zwei Propheten (einer für innere, einer für äußere Dienste), fünf Hosoi, die das Orakel deuteten und auf die Einhaltung der Riten achteten, sowie einige weitere Orakeldiener. Der Prophet für Innere hat die Fragen, die von den Gesandten der Städte immer in schriftlicher Form mitgebracht wurden, übernommen, laut vorgelesen und auch die oft in unzusammenhängenden Sätzen gegebene Antwort der Pythia niedergeschrieben - und natürlich auch gedeutet. Die Befrager durften erst nach einem relativ langen Reinigungsprozeß das Heiligtum betreten. Nach der Reinigung an einer Quelle mußte man eine kleine Opfergabe entrichten. Dann hat man die Opferbereitschaft von Apollon geprüft, indem man eine Ziege mit kaltem Wasser bespritzte. Nur wenn die Ziege zu zittern anfing, durfte die Befragung stattfinden.366 Dann wurde ein Opfertier (meist eine Ziege) geschlachtet, und auch für Athene wurde geopfert. Erst dann durfte man das Adyton betreten. Die Bewohner von Delphi verstanden es immer, das Orakel zu ihren Gunsten zu nutzen, und schon in der Antike hatten sie den Ruf, sehr habgierig zu sein. 4.1.3.2. Die historische Pythia

Die Pythien waren meist ungebildete Frauen ärmlicher Abstammung, was Garant für ihr Gehorsam war. Sie mußten einen unbescholtenen Lebenswandel aufweisen und in die für sie gebaute Räume im Inneren des Heiligtums ziehen, und fortan jeden gesellschaftlichen Umgang vermeiden. Sie mußten außerdem verschiedene Reinheitsvorschriften einhalten, damit sie Apollon würdig seien.

366 Wenn man trotz eines schlechten Zeichens die Pythia befragte, wurden die Dämpfe angeblich gefährlich und könnten die Pythia töten. Sie wurden immer auf Lebenszeit ernannt, da aber ihre Aufgabe – besonders der tranceähnlicher Zustand während des Orakelns – so kräftezehrend war, starben sie relativ früh. Zu Zeiten des größten Ruhms von Delphi war der Andrang der Orakelbittenden so groß, daß zwei Pythien eingesetzt werden mußten, die einander ablösen konnten, sowie eine dritte, die bei Überanstrengung der beiden anderen einspringen konnte. Nur drei Pythien sind namentlich bekannt: die allererste Phemonoe, und noch Aristonice und Periallus. Diese letztere nur deshalb, da sie von einem Befrager verführt wurde. Danach wurden nur Frauen über fünfzig zu Pythien bestimmt. Die meisten Orakel wurden in Prosa formuliert, aber literarische Überlieferungen berichten, daß die früheren Pythien in Versen sprachen. Wahrscheinlich sprachen die Pythien in Prosa, was von berufsmäßigen Versemachern in edle – und zweideutige und rätselhafte – Versform umgeschrieben wurde.

4.1.3.3. Die Bedeutung und Schicksal Delphis

Aufgrund des hohen Ansehens der Orakelstätte wurden die delphischen Orakel als politisches Instrument eingesetzt: man erkundigte sich vor allen wichtigen familiären und politischen Ereignissen nach dem Willen von Apollon. So ist es nicht erstaunlich, daß es nicht an Versuchen fehlte, die Angestellten von Delphi zu beeinflussen und zu bestechen. Die Blütezeit der Orakelstätte war ungefähr zwischen Ende des 7. bis ins 3. Jahrhundert v. Chr. In dieser Zeit ging es dem Heiligtum wirtschaftlich sehr gut, danach – seit der Epoche der hellenistischen Staaten – verlor das Orakel immer mehr an Bedeutung. Nur noch private Befrager kamen, so daß Delphi immer mehr verarmte und ein allmälicher Nidergang, ein langsames Altern begann. 4.1.4. Ödipus: die antike Folie

Die älteste Erwähnung des Ödipus-Mythos stammt aus dem 8. Jahrhundert v. Chr., aus Homers Ilias, in der von einer Leichenfeier für Ödipus die Rede ist.367 Von einer "Oidipodeia", einem etwa 6600 Verse umfassenden Epos, verfaßt von Kinaithon, einem Lakedaimonier im 8. Jahrhundert (?), sind nur wenige Verse erhalten geblieben.

367 Homer, Ilias, 23, 679. Zum Mythos Ödipus siehe: Dethlefsen, Thorwald: Ödipus der Rätsellöser, München: Bertelsmann, 1990 Aus dem Gesichtspunkt der vorliegenden Arbeit sind zwei Quellen von besonderer Bedeutung. Erstens muß die sogenannte "Nekya", das 11. Buch von Homer erwähnt werden. Odysseus sucht in Hades den verstorbenen Tiresias auf, damit er ihm den Heimweg erkläre. Dazu muß Odysseus folgende Vorbereitungen treffen: "Ich aber zog das scharfe Schwert von der Hüfte und grub eine Grube, eine Elle lang hierhin und dorthin, und um sie goß ich den Weihguß für alle Toten […]. Doch als ich die Völker der Toten mit Gelübden und Gebeten angefleht, ergriff ich die Schafe und durchschnitt ihnen den Hals über die Grube, und es strömte das schwarzwolkige Blut. Da versammelten sich von unten aus dem Erebos die Seelen der dahingestorbenen Toten: […] Die kamen und gingen um die Grube, viele, der eine von hier-, der andere von dorther, mit unaussprechlichem Geschrei, und mich ergriff die blasse Furcht".368 Die Grube wird zum Treffpunkt mit dem Lebenden. Nachdem Odysseus mit dem Schatten des Tiresias gesprochen hatte, erschien auch die Mutter von Ödipus, bei Homer Epikaste genannt: "Und die Mutter des Ödipus sah ich, die schöne Epikaste, die in dem Unverstande ihres Sinnes ein ungeheuerliches Werk getan, da sie sich dem eigenen Sohn vermählte. Der hatte seinen Vater getötet und sie zur Frau genommen. Und alsbald machten es die Götter den Menschen ruchbar. Doch jener herrschte, Schmerzen leidend, nach der Götter verderblichen Ratschlüssen in der gar lieblichen Thebe weiter über die Kadmeer. Sie aber ging in das Haus des Hades, des übergewaltigen Pförtners, nachdem sie sich steil von dem hohen Dach herab eine Schlinge gebunden, von ihrem Kummer überwältigt. Ihm aber ließ sie gar viele Schmerzen zurück, soviele nur der Mutter Rachegeister vollenden mögen."369 Diese Stelle weicht von der Tragödie von Sophokles ab: Ödipus regiert weiter, unter nicht näher definierten "Schmerzen leidend", von den Erynnen gequält; von einer Selbstblendung ist hier keine Rede. Das Motiv der Toten, die sich um eine Grube versammeln, zu dem Lebenden kommen, der sie befragt und ihre Schicksalsberichte anhört, erinnert sehr stark an die Schatten in Dürrenmatts Erzählung, die Pythia und Tiresias ihre Lebensgeschichte erzählen. Auch die Pythia sitzt bei dem schweizerischen Autor über eine Erdspalte, diese sowie die Grube gewähren nach antiker Vorstellung Zugang zur Unterwelt. Dürrenmatt ließ sich in dieser Hinsicht vielleicht von Homer inspirieren. Der andere antike Prätext, der von Dürrenmatt benutzt und dem gegenüber er seine neue Mythosversion schreibt, ist Sophokles König Ödipus. Da dieses Drama auch bei den heutigen Rezipienten als wohlbekannt vorausgesetzt werden kann, wird hier darauf

368 Homer, Odyssee, 11. Gesang 369 Homer, Odyssee, 11. Gesang nicht näher eingegangen, es wird in weiterem nur auf diejenigen Gedanken hingewiesen, die bei Dürrenmatts Erzählung eine wichtige Rolle spielen.

4.1.5. Verschiedene Annäherungsweisen des Ödipus-Stoffes im 20. Jahrhundert

4.1.5.1. Freuds Ödipus

Um die Jahrhundertwende war Freud einer der wichtigsten, der eine neue Betrachtungsweise in die Mythosdeutung gebracht hat. Der Ödipus ist das hervorragende Beispiel für Freuds Methode der Mytheninterpretation und er sieht in diesem Mythos den Ausdruck der sexuellen Wünsche, aber auch die Einstellung zur Autorität. "Wenn der König Ödipus den modernen Menschen nicht minder zu erschüttern weiß als den zeitgenössischen Griechen, so kann die Lösung wohl nur darin liegen, daß die Wirkung der griechischen Tragödie nicht auf dem Gegensatz Schicksal und Menschenwillen ruht, sondern in der Besonderheit des Stoffes370 zu suchen ist, an welchem dieser Gengensatz erwiesen wird. Es muß eine Stimme in unserem Innern geben, welche die zwingende Gewalt des Schicksals im Ödipus anzuerkennen bereit ist… Sein Schicksal ergreift uns nur darum, weil es auch das unsrige hätte werden können, weil das Orakel von unserer Geburt denselben Fluch über uns verhängt hat wie über ihn. Uns allen vielleicht war es beschieden, die erste sexuelle Regung auf die Mutter, den ersten Haß und gewalttätigen Wunsch gegen den Vater zu richten; unsere Träume überzeugen uns davon. König Ödipus, der seinen Vater Laios erschlagen und seine Mutter Jokaste geheiratet hat, ist nur die Wunscherfüllung unserer Kindheit. Aber glücklicher als er, ist es uns seitdem, insofern wir nicht Psychoneurotiker geworden sind, gelungen, unsere sexuelle Regungen von unseren Müttern abzulösen, unsere Eifersucht gegen unsere Väter zu vergessen."371 Das Verständnis des Ödipuskomplexes wurde zu einem Eckpfeiler des Freudschen psychologischen Systems. Er hielt diese Auffassung für den Schlüssel der Geschichte und der Entwicklung von Religion und Moral. Er war der Überzeugung, daß eben dieser Komplex der entscheidende Mechanismus in der Entwicklung des Kindes sei, und er behauptete, der Ödipuskomplex sei die Ursache einer psychopathologischen Entwicklung und der "Kern der Neurose".

370 Hervorhebung von K.K.; Der Begriff Stoff spielt bei Dürrenmatt eine außergewöhnlich wichtige Rolle. Siehe: Dürrenmatt: Labyrinth. Stoffe I-III. Zürich: Diogenes 1992, S.12. vgl. Kap.3.2. Die Verwandlung der Stoffe 371 Freud, S.: Die Traumdeutung. Leipzig: Deuticke, 1900, S. 269f. Die Freudsche Analyse – obwohl sie in der Psychologie eine große Rolle spielt – wurde einerseits kritisiert, andererseits mit Einbeziehung des kollektiven Bewußtseins von Jung und zum Teil durch Karl Kerényi erweitert. Von den Kritikern können wir unter anderem Erich Fromms Auffassung erwähnen, nach der der Ödipus-Mythos nicht als Symbol der inzestuösen Liebe zwischen Mutter und Sohn, sondern als Rebellion des Sohns gegen die Autorität des Vaters in der patriarchalischen Familie zu verstehen ist, daß die Heirat von Ödipus und Iokaste nur ein sekundäres Element, nur eines der Symbole für den Sieg des Sohnes ist, der den Platz des Vaters mit allen seinen Privilegien einnimmt.372

4.1.5.2.2. Die Proppschen Funktionen in dem Ödipus-Mythos nach Norbert Bischof373

"In der sophokleischen Tragödie fehlt keine einzige der Proppschen Funktionen. Sie folgen auch alle in der richtigen Reihenfolge aufeinander – allerdings mit einer, wie sich zeigen wird, folgenschweren Ausnahme, die dann den gesamten Mythos pathologisch entgleiten läßt" – behauptet Norbert Bischof in seinem Werk Das Kraftfeld der Mythen.374 Die Ödipus-Erzählung hat genauso zwei polarisierte Standorte, wie die Heldenmythen: Theben und Korinth. Dieses Bezugssystem ist aber semantisch ambivalent. Hier handelt es sich nämlich nicht um Heimat und Ferne, denn Theben – "die Ferne" – ist die Geburtsstadt des Ödipus, seine Eltern, Laios und Iokaste herrschen dort. Auch im Falle des Orakels, also der Verkündung drohenden Unheils (in der Proppschen Siganatur Element A) (Die Auflösung der Zeichen und die Darstellung der Struktur ist auf der Abb. 8 zu sehen.) geht es nicht um den üblichen Anfang des Zaubermärchens. Dort ist A meistens ein Mangelzustand, ein bevorstehender Konflikt, durch das man hindurch muß, um weiter zu kommen, reifer zu werden. Das Orakel bei Ödipus fördert aber nicht den Entwicklungsgang, sondern stemmt sich dagegen.

372 Erich Fromm: Märchen, Mythen, Träume. Eine Einführung in das Verständnis einer vergessenen Sprache. Reinbek bei Hamburg: Rororo, Rowohlt, 1994, S. 130-154. 373 Die Grundlage der Analyse bildet die Variante von Sophokles. 374 Norbert Bischof: Das Kraftfeld der Mythen. Signale aus der Zeit, in der wir die Welt erschaffen haben. München, Zürich: Piper, 1996, S.650. Ödipus ist auch ein leidender Held. Die Eltern entschließen sich, ihn auszusetzen (B), aber er ist als Säugling noch nicht fähig, durch einen aktiven Entschluß (C) die Ereignisse zu beeinflussen. Von einem Hirten wird er in eine unbewirtete Berglandschaft gebracht (↑), dort aber wird er gerettet und nach Korinth gebracht. Dieser letzte Moment könnte auch als Z, also "Empfang des Zaubermittels" beurteilt werden, oder als W, wenn ein Helfer sich anbietet, dem Helden sicher an einen Bestimmungsort zu begleiten. Es fehlt aber der Kern: daß der Held auf die Probe gestellt wird und sich darin bewährt (H). Noch ein Moment muß erwähnt werden, daß man Ödipus’ Fußgelenke durchbohrt. Das rechtfertigt den Namen "Schwellfuß" etymologisch, kann aber auch als Markierung (M) bezeichnet werden. Von den genannten Abweichungen abgesehen scheint sich die Handlung aber formal recht konventionell zu entwickeln; das Eröffnungsschema entspricht dem Proppschen Normalverlauf. Es ist aber sehr interessant, daß dem strukturellen Äquivalent (ABM↑ZW) eine inhaltliche Abnormität entspricht. Ödipus wächst bei den Pflegeeltern in Korinth zunächst scheinbar ganz normal heran, das Schadenselement A wird rekapituliert. Dann ist aber der Held groß genug, sich der Herausforderung aktiv zu stellen (C). Um die Erfüllung des Orakels zu verhindern, zieht er in die Ferne. Da er aber auf der falschen Seite gestartet ist, fehlt ihm die richtige Orientierung: die "Ferne" ist seine Heimat. Auf der Wanderung gerät er in eine Schenkerszene: er hat einen Streit mit dem Wagenlenker (Sch), erschlägt den vornehmen Reisenden (H) und nimmt ihm Gürtel und Schwert ab (Z). Ödipus gelangt nach Theben (W). Dort begegnet und besiegt er die Sphinx.375

375 Auf manchen Darstellungen besiegt er die Sphinx mit einem Dolch oder einem anderen Gewähr, bei Sophokles aber löst er ein Rätsel. Die beiden Varianten "Kampf"-"Sieg" und "Problem-Lösung" sind funktionell gleichwertig. Bischof S.567. Abb. 8: Strukturanalyse der Ödipus-Tragödie nach Norbert Bischof

Nach dem Sieg wird Ödipus in der Stadt feierlich empfangen, man ahnt aber nicht, werer sei. Diese "unerkannte Ankunft" (X) spielt meistens bei den falschen Helden eine Rolle, wenn sie ungerechtfertigte Ansprüche erheben (U). Ödipus tritt also zugleich in der Funktion des falschen Helden auf. Als er seine eigene Mutter heiratet, bringt er statt des Lebenselixirs die Pest über sein Volk (L†). Er wird an der Markierung seiner Wunde erkannt (E), bzw. überführt (Ü). Die läuternde Transfiguration (T) und die Bestrafung des falschen Helden (St) fließen zur Selbstblendung zusammen. Noch zwei weitere Momente müssen interpretiert werden. Das Exil in Kolonos könnte man als einen dritten Aufbruch (ABC↑) erkennen und der Selbstmord der Iokaste ist eigentlich die Inversion des Hieros Gamos (H*†) und damit der eigentliche tragische Höhepunkt der Geschichte.376

376 zu dem Thema siehe: Bischof, S.650-663. Kritik von Propp: Bremond, Claude, Die Erzählnachricht (fr. Orig. 1964), in: Ihwe, Jens (Hrsg.): Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven. Bd. 3.: Zur linguistischen Basis der Literaturwissenschaft. II. Ffm: Athenäum, 1972, S. 177-217. 4.1.5.2.4.1. Der Ödipus-Mythos nach Lévi-Strauss

Lévi-Strauss versteht unter Mythos sowohl den (oberflächenstrukturellen) erzählten Text, als auch spezifische ’Schemata’, die diesem Text zugrundeliegen, bzw. die ’Sequenzen’ organisieren. Lévi-Strauss segmentiert nicht nur die signifikanten Oberflächenmerkmale eines Textes und deren Relationen zueinander, sondern er rekurriert auf abstrakte, dem Text zugrundeliegende Relationen. Diese abstrakten Relationssysteme, bzw. ihre Struktur bilden den einem Text zugrundeliegenden Mythos.377 Auch bei dem Ödipus-Mythos kann man verschiedene Anordnungen der Mytheme ausprobieren, bis man auf eine stößt, die die von Lévi-Strauss angegebenen Bedingungen erfüllt.378 Diese Variante kann in der folgenden Tabelle wiedergegeben werden379:

Kadmos sucht seine von Zeus entführte Schwester Europe Kadmos tötet den Drachen Die Spartoi rotten sich Gegenseitig aus Labdakos (Vater von Laios)= "hinkend"(?) Ödipus erschlägt seinen Laios (Vater von Vater Laios Ödipus)="linkisch" (?) Ödipus bringt die Sphinx um Ödipus heiratet Jokaste, Ödipus = seine Mutter "geschwollener Fuß" (?) Eteokles tötet seinen Bruder Polyneikes Antigone beerdigt Polyneikes, ihren Bruder, und übertritt das Verbot

Es gibt also vier senkrechte Spalten, die mehrere, zu demselben "Bündel" gehörende Beziehungen gruppieren. Wenn man den Mythos erzählen will, muß man es von links nach rechts, und von oben nach unten vorgehen. Wenn man aber den Mythos verstehen will, muß eine Spalte nach der anderen interpretiert werden, wobei jede Spalte als

377 Claude Lévi-Strauss: Die Geschichte von Asdiwal. In: Edmund Leach: Mythos und Totemismus. Beiträge zur Kritik der strukturalen Analyse. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1973, S. 27-81. 378 Lévi-Strauss: Die Struktur der Mythen, S. 231. 379 Lévi-Strauss: Die Struktur der Mythen, S. 235. Ganzes behandelt wird. Jede solche Spalte hat einen gemeinsamen Bezug, wie überbewertete Verwandtschaftsbeziehungen, unterbewertete oder entwertete Verwandtschaftsbeziehungen, Ungeheuer und ihre Vernichtung und schließlich die Schwierigkeit, aufrecht zu gehen. Es muß auch die Beziehung zwischen den beiden Gruppen rechts benannt werden: es ist die Autochtonie des Menschen. Die dritte Spalte bezieht sich auf die Verneinung der Autochtonie des Menschen, während die vierte deren Beständigkeit ist.380 Dieser "amerikanisch" interpretierte Ödipusmythos drückt nach Lévi-Strauss eine Aporie aus, vor der eine Gesellschaft steht, die an die Autochtonie des Menschen zu glauben vorgibt, "nämlich die Unmöglichkeit, von dieser Theorie zu der Anerkennung der Tatsache zu kommen, daß jeder von uns aus der Vereinigung eines Mannes mit einer Frau geboren wird. […] (Das Problem) kann man etwa so formulieren: wird das Selbst aus dem Selbst geboren oder aus dem Anderen? Dadurch ergibt sich eine Korrelation: die Überbewertung der Blutsverwandtschaft verhält sich zu ihrer Unterbewertung wie die Bemühung, der Autochtonie zu entgehen, zu der Unmöglichkeit, dies zu erreichen."381 Zwar gerieten die psychoanalytische und seit den 70er Jahren auch die strukturalistische Richtung in den Hintergrund, aber man muß die dargestellten Annäherungsweisen besser kennenlernen, um Dürrenmatts Ödipus-Bearbeitung und deren intertextuellen Bezüge besser verstehen zu können.

4.1.6. Ödipus-Gestalten bei Dürrenmatt

Der Mythos des Ödipus hat Friedrich Dürrenmatt bereits von Kindheit an als Erzählung des Vaters und später in Form von Sophokles’ Tragödie "König Ödipus" begleitet.382 Dürrenmatt modernisiert den Stoff, und der Vergleich mit Ödipus gibt ihm oft Gelegenheit, seine komplexen Gedankengänge anhand des mythischen Bildes zu veranschaulichen. Auch wenn der Autor selbst den Zusammenhang mit dem Schicksal des thebaischen Königs nicht ausdrücklich assekuriert, weisen bestimmte Figuren seines

380 Lévi-Strauss: Die Struktur der Mythen, S. 236f. 381 Lévi-Strauss: Die Struktur der Mythen, S. 238.; In meiner Studie möchte ich mich nicht so sehr auf diese eigenartige Sinndeutung berufen, sondern ich möchte von der Methode, ein Ganzes in seine Strukturelemente aufzulösen, Gebrauch machen. 382 Stoffe S.21f.;Gustav Schwab, S. 243-267. Werkes eine deutliche Affinität zu Ödipus auf. Kommissar Matthai (Das Versprechen), der den Eltern eines jungen Mordopfers versprochen hat, den Täter zu finden, schlüpft in die Gestalt des antiken Herrschers: "je mehr er seinen überlegenen Verstand braucht, desto sicherer führt ihn dieser Verstand zu eben dem Ende, dass er um jeden Preis zu vermeiden sucht".383 Ebenso muß Alfredo Traps, über den in der Panne Gericht gehalten wird, nach und nach erkennen, daß er selbst den Tod seines Vorgesetzten verursacht oder zumindest beschleunigt hat.384 Genauso verhält es sich mit Ill in dem Besuch der alten Dame, dessen in seiner Jugend verübte Schuld gegenüber Claire, wie im analytischen Drama des König Ödipus erst spät enthüllt wird.385 In diesem Stück ist zusätzlich noch die gesamte Bevölkerung von Güllen mit Ödipus komparabel, indem sie der unheilträchtigen Entwicklung bis zum Mord an ihrem Mitbürger Ill von Anfang an nicht entgehen kann. Richtig erkennt der humanistisch gebildete Lehrer das unausweichliche Ende: "Das Verhängnis ist bedenklich gediehen! Wie beim Ödipus: angeschwollen wie eine Kröte!"386 Im Zusammenhang mit Markus Imhofs Film Das Boot ist voll vergleicht Dürrenmatt die Flüchtlinge im Zweiten Weltkrieg mit Ödipus. Aber während Ödipus die Richtung seines Wegs selbst auswählen konnte, hatten diese Menschen keine andere Wahl als die Schweiz – das Schicksal hat sie doch erreicht.387 Diejenige Komödienfigur aber, welche von Dürrenmatt mehrmals explizit betont den Ödipus des 20. Jahrhunderts auf der Bühne verkörpert, ist der Physiker Möbius. Als genialster Vertreter seines Fachs zieht er sich in ein Irrenhaus zurück, um die Welt von seiner existenzbedrohenden Erfindung zu bewahren. Da die einzig wirklich verrückte, die Ärztin Mathilde von Zandt seine Aufzeichnungen vor der Vernichtung kopiert, steuert die Menschheit genau der Katastrophe zu, welche Möbius mit allen Mitteln

383 Spycher, Peter: Friedrich Dürrenmatt. Das erzählerische Werk, Frauenfeld/Stuttgart: Huber, 1972. S.279. 384 dazu: Spycher S.403. A.13.; Brock-Sulzer 1973. S. 270. 385 Knopf, Jan: Der Dramatiker Friedrich Dürrenmatt, Berlin: Henschel, 1987. S. 294. 386 WA. 14, S. 661; Durzak, Manfred: Die Travestie der Tragödie in Dürrenmatts Der Besuch der alten Dame und Physiker. In: Der Deutschunterricht 28 (1976) H. 6., S. 91 387 WA 36, 161-163. vermeiden wollte. Die Gemeinschaft mit Ödipus’ Schicksal beschreibt Dürrenmatt in Paragraph 9 seiner 21 Punkte zu den Physikern: "Planmäßig vorgehende Menschen wollen ein bestimmtes Ziel erreichen. Der Zufall trifft sie dann am schlimmsten, wenn sie durch ihn das Gegenteil ihres Ziels erreichen: das, was sie befürchteten, was sie zu vermeiden suchten (z.B. Ödipus)."388 "Ödipus flüchtet in die falsche Stadt, Möbius in das falsche Irrenhaus"389 Bei den Physikern ist eine Änderung des antiken Mythos zu erkennen: anstelle des Orakels ist die Wissenschaft getreten. Wenn aber Dürrenmatt Gegenwärtiges in Form der mythischen Figur Ödipus darzustellen versucht, nimmt er seinen Anschauungen über das 20. Jahrhundert entsprechend eine weitere entscheidende Änderung vor: Nicht mehr das Schicksal als Element einer geordneten Welt bestimmt den Verlauf des Geschehens, sondern der Zufall als Zeichen ihrer Unüberschaubarkeit.390 Aus dieser konsequenten Umsetzung des Ödipus-Mythos "ins Zufällige" führt der schweizerische Autor in einer seiner bestgelungenen Erzählungen, im Sterben der Pythia durch.

4.1.6.1. Interpretationsmöglichkeiten der Ödipus-Gestalt

4.1.6.1.1. Der heutige Physiker als Ödipus

Dürrenmatt mythologisiert in seinem Stück Die Physiker insofern, daß er die "menschliche Grundsituation", in welcher sich diese mit ihren Untersuchungen befinden, im Ödipus-Schicksal präfiguriert sieht. Im Wissen um die möglicherweise fatalen Resultate ihrer Forschungen können sie "die schlimmöglichste Wende" nicht verhindern. Daß "Einstein durch seinen warnenden Brief an Roosevelt den Bau der Atombombe veranlaßt hat"391, kann dabei als exemplarischer Fall gesehen werden.

388 WA S. 193 389 Dürrenmatt: Friedrich Dürrenmatt interviewt F.D. über die Physiker. In: Wiederholte Versuche die Welt auszumisten. Theater. Erzählung. Kritik. Ed. Wagenbach. Berlin 1988; Kreuzer, Franz: Die Welt als Labyrinth, Wien: Deuticke, 1982; Friedrich Dürrenmatts Ödipus heißt Möbius. In: Life Magazin. 57 (20.11.1964) Nr. 21, S.92-97. 390 Zum Thema Schicksal-Zufall siehe: Steinberger 1991, Kap. IV.3.2.1. 391 Die Welt als Labyrinth, S. 39. 4.1.6.1.2. Der Autor selbst als Ödipus

Wie die Physiker im Bewußtsein des von ihnen vorprogrammierten Verhängnisses trotzdem versuchen, diesem zu entgehen, sieht sich Friedrich Dürrenmatt als Ödipus in Bezug auf seine Zuckerkrankheit, die ja dann auch in der Tat zur Hauptsache seines Todes werden sollte: "Wem der Tes-Tape-Streifen grün wird, weiß sein Schicksal auch"392, trotzdem strebt er danach, ihm zu entfliehen.

4.1.6.1.3. Die Menschheit als moderner Ödipus

Angesichts der "Wurstelei unseres Jahrhunderts" kann auch die ganze Menschheit in Form der mythischen Figur Ödipus dargestellt werden. Das geschieht auch in dem Sterben der Pythia, wo die zwei der Erzählung zugrunde liegenden Prinzipien den Kampf darstellen, in welchem Menschen, für die die Welt eine Ordnung ist, denen gegenüberstehen, die in ihr ein Ungeheuer sehen. Auch Dürrenmatt selbst ist eigentlich zu den Letzteren zu zählen, da er davon überzeugt ist, daß sich die Menschheit im gegenwärtigen Weltchaos unausweichlich ihrer Vernichtung nähert wie Ödipus, ohne die dafür verantwortlichen Mechanismen zu durchschauen.

4.1.7. Pythia-Gestalten bei Dürrenmatt

Die Figur der Pythia kommt auch in zwei weiteren Werken von Dürrenmatt vor, aber interessanterweise sind beide Schriften unvollendet bzw. unveröffentlicht: Die Komödie Der Tod des Sokrates und das Gedicht Verdammte Pythia. In dem ersten Werk kommt die Pythia, Pätaia genannt, als Sokrates Tante vor, die "einen Witz" gemacht hat, und um ihrem Neffen zu helfen, ihn den weisesten aller Menschen genannt hat. Auch für diese Pythia ist die Ungläubigkeit charakteristisch, sie ist dessen bewußt, daß sie die Zukunft nicht voraussehen kann.393 Auch sie kann bestochen werden – für etwas Suppe gibt sie ein günstigeres Orakel. Sie ist 100 Jahre alt und "humpelt auf einen Stock gestützt". Auch dieser Witz trägt zum fatalen Ende des Orakel Bekommenden bei. Die

392 Dürrenmatt: Turmbau: Stoffe IV-IX. Zürich: Diogenes 1990, S. 33. 393 FD-A-r32 II, 1. Szene, 1. Auftritt. Tante Pythia will das Schicksal seines Neffen beeinflussen - aber in positive Richtung. Demgegenüber erreicht sie das Gegenteil: Sokrates´ Ruf als der weiseste Mensch verursacht indirekt seinen Tod. Während diese Pythia ähnliche Züge mit der in dem Sterben der Pythia aufweist, geht es in der Verdammten Pythia394 um ähnliche Motive, aber um ein anderes Thema, eigentlich um den Autor und sein Schicksal. Die Pythia erscheint da in zweielei Gestalten: als geschaffene literarische Figur des Autors, die er "in den Tartarus steigen ließ, mit Tiresias, mit der Sphinx, mit der dummen Kuh Iokaste, mit dem kastrierten Laios und dem geblendeten Ödipus", gleichzeitig "lebt sie" aber weiter, und als die orakelnde Priesterin Apolls betimmt "das Schicksal des lyrischen Ichs. "Du [Pythia] hattest mich zu dir her- gelockt, indem du mich deinen Tod zu- sammenflunkern liessest ich stellte mir selbst die Falle. Ödipus, hab ich behauptet, du sein Schicksal. hättest geweissagt, um einen ungeheuren Witz zu machen, und nur durch Zu- fall hättest du ins Schwarze getrof- fen, aber nicht nur bei ihm, bei Ödipus, der sich selber blendete sondern bei mir, dem blind ge- borenen, der nun plötzlich sieht trafst du ins Schwarze. Ist doch plötzlich sehen ebenso schlimm wie plötzlich durch eigene Hand sich blenden. Und nun sehe ich. […] Ödipus blendete sich und wurde groß, ich wurde sehend und wurde jämmerlich!" Zwar ist zwischen dem lyrischen Ich des Gedichts und dem empirischen Ich des Autors immer zu unterscheiden, ist es klar, daß das Werk die erschütternden Ereignisse von Dürrenmatt bearbeitet: den Verlust seiner Ehefrau, Lotti, das Kennenlernen der neuen Lebensgefährtin, Charlotte Kerr, die Angst, daß er auch sie verlieren kann, die Zuckerkrankheit und den sicheren Tod, die Reisen nach Griechenland, nach Venedig, nach Lima.395

394 FD-A-NH 28; 1983/84 395 siehe Dürrenmatts Lebenslauf im Registerband zur Werkausgabe Friedrich Dürrenmatt. S. 11-28. Die Fürchterlichkeit des Erkennens wird im Gedicht zum zentralen Thema: "[…]Erkenne Dich selbst, welch fürchterlicher Befehl welche perfide List. Befolgt man deinen Rat braucht man dein Orakel nicht, und befragt man dich trotzdem, weiss man wie es zu deuten ist! Das vieldeutige wird eindeutig." Beide Werke, in denen die Pythia vorkommt, sind Fragment geblieben, und damit auch nie publiziert. Sie tragen aber zu dem Verstehen der Zusammenhänge der Dürrenmattschen Werke bei.

4.1.8. Dürrenmatts Ödipus-Bearbeitung: Änderungen an dem antiken Stoff

4.1.8.1. Dürrenmattsche Grundbegriffe in Dem Sterben der Pythia

4.1.8.1.1. Schicksal – Zufall

Ausgehend von einem undurchschaubaren Vorgang, einer wilden Rauferei zweier Achtjähriger in Mannheim396, die für Dürrenmatt zum "Sinnbild von etwas Irrationalem"397 wird, kommt er zu der Frage nach dem Verhältnis von Schicksal und Zufall – eine Frage, die für sein Denken von zentraler Bedeutung ist – und zum Versuch, "den Ödipus ohne den Schicksalsbegriff zu erzählen" und dabei das Schicksal durch den Zufall zu ersetzen.398 "Ödipus fiele z.B. einer schlechtgelaunter Pythia zum Opfer."399 Interessanterweise taucht die Idee, Schicksal durch Zufall zu ersetzen, bereits bei Sophokles auf - aber eindeutig negativ besetzt. Jokaste argumentiert, als sie Ödipus von der Unzuverlässigkeit der Orakel überzeugen will: "Was soll der Mensch sich fürchten, wo über ihn die Macht des Zufalls herrscht und verlässliche Voraussicht in nichts besteht? In den Tag hineinzuleben, ist das Beste, so wie einer kann!"400 Der weitere Verlauf der Tragödie beweist Jokaste die Voraussicht der Götter und widerlegt ihre ketzerische Aussage über den Zufall. Dürrenmatts Pythia und Tiresias kommen

396 WA, 14, 267-269, 313f. 397 WA 14, 269. 398 WA 14, 271. 399 WA 14, 274. 400 Sophokles, König Ödipus, Verse 977-979. demgegenüber gerade zur Einsicht, daß der Zufall der entscheidende Faktor bei der Gestaltung der Wirklichkeit ist. Der moderne Autor verzichtet mit seiner "Flucht aus der Handlung in die Akteure" auf ein von den Göttern geordnetes Weltgefüge zugunsten der Darstellung der komplexen Vielschichtigkeit der Wirklichkeit. Es ist nun von Interesse, was der Mensch für (Über)Lebensstrategien entwickelt, um in einer nicht durchschaubaren Wirklichkeit bestehen zu können und an ihr nicht zu verzweifeln. In dieser Welt ist es aber nicht mehr möglich, die Verhältnisse in einer Tragödie darzustellen.

4.1.8.1.2. Tragödie und Komödie

Über die Unmöglichkeit, heute Tragödien zu schreiben, hat sich Dürrenmatt in seinen Schriften zum Theater401 mehrmals geäußert.402 Die Ödipus-Geschichte kann nur noch in komödiantischer Form erzählt werden, "mit lästerlichem Witz, weil der Zufall und das Komische als das, was aus dem Rahmen fällt"403 im wesentlichen zusammengehören. Ein Vergleich mit Sophokles kann die Unmöglichkeit der Tragödie nur noch verstärken. Auch bei Sophokles wird die Vernunft irregeführt: Ödipus tritt von Anfang an als der kluge Rätsellöser auf, und wenn er sich im Streit mit Tiresias ironisch als Unwissenden bezeichnet404, um seine Klugheit zu unterstreichen, so liegt die tragische Ironie gerade darin, daß er tatsächlich unwissend ist, und der Zuschauer ihm, als Wissender, überlegener ist. Letzten Endes ist hier doch ein Gott, dessen Wille hier offenbar wird: Απολλων ταδ/ ην, Απολλων, φιλοι405. Die göttliche Ordnung ist also wiederhergestellt. Mit einer Reihe von Zufällen, von "Pannen" läßt sich aber keine Tragödie bauen. Dürrenmatts Ödipus weiß auch am Schluß nicht, wer er ist; er macht sich lächerlich mit seinem Pathos und seinem Großwahn, ebenso wie Iokaste mit ihrem dauernden Gerede vom Willen der Götter, Tiresias mit seiner Logik und der Leser mit seinem angeblichen Wissen vom Gang der Ereignisse.406

401 WA 30 402 dazu: Schmitz, Heinz: Oedipus bei Dürrenmatt. Zur Erzählung >Das Sterben der Pythia<. In: Gymnasium (Heidelberg) 93, 1985, S. 199-208., A18 403 Staiger, E.: Grundbegriffe der Poetik, Zürich: Atlantis, 1961, 5. Auflage, 169ff. 404 Εγω ... ο µηδεν ειδως Οιδιπους 396f. ειδως: tudni és látni 405 Sophokles: König Ödipus, 207/22, 1329 406 Dazu: Schmitz, H., 207f. 4.1.9. Folie - Novum: ein Vergleich der Prätexte mit der Dürrenmattschen Variante

Die Ersetzung des Schicksals durch den Zufall zieht eine Menge von Änderungen nach sich. Die Geschehnisse werden mit den Augen der Apoll-Priesterin dargestellt. Anders als bei Sophokles ist es nicht Ödipus selbst, der die Enthüllung herbeiführt. Das ist schon deshalb ausgeschlossen, weil es - wie es im Verlauf der Erzählung deutlich wird - völlig unklar ist, wer eigentlich Ödipus ist. Im folgenden entwickelt aber der Autor den Stoff, wie Sophokles, analytisch. Pannychis XI. verkündet Ödipus zufällig, aus schlechter Laune und "weil es schon nach fünf war" ein unsinniges und unwahrscheinliches Orakel, welches sich ohnehin nie ereignen würde. Als die Pythia ihren nahen Tod spürt, erscheinen ihr nach der Reihe die Schatten des Laios und seines Schwiegervaters Menoikeus, des Ödipus, der Iokaste, des Tiresias und der Sphinx. Dürrenmatt spielt hier mit der griechischen Mythologie, indem er teils verschiedene Figuren kontaminiert, teils ihre Charakterisierungen übertreibt. Die durch korrumpierten Orakel immer schwieriger zu durchschauende Erzählung gipfelt in der Version der Sphinx.407 Da die Sphinx kein Doppelwesen, sondern eine Frau ist, kann sie vergewaltigt werden und einen Sohn Ödipus II haben. Tochter des Laios – der aber impotent oder homosexuell sein könnte – muß sie sein, damit das Orakel, auf ihren Sohn, seinen Enkel bezogen werden kann. Nur mit dieser Änderung wurde möglich, daß es zwei Ödipusse gibt – besser gesagt Ödipus wird der, der es werden will. Es kommen noch die Ödipusse III (Sohn des Hirten) und IV (Sohn der Königin von Korinth) in Frage.408 Die Inhalte der Orakel und das durch sie angebotene Grundgerüst der antiken Erzählung bleibt aber weitgehend erhalten.

407 Dürrenmatt verwendet oft die Vervielfachung einer mythischen Figur. Siehe: Nachgedanken, S. 467. ; zum Sphinx: Das ist auch ein sprechender Name: σφιγγω: mit Umarmen erwürgen; dazu: J.B. Hoffmann: Etymologisches Wörterbuch des Griechischen. München: Oldenburg, 1950, S. 415. 408 WA 14, 310f. 4.1.9.1. Orakel

Die Orakel sind in unserer Geschichte aus vielerlei Hinsicht wichtig. Zuerst bildeten sie das größte zu lösende Problem, vor dem der Autor stand: "Macht uns doch schon die Übersetzung des Ödipus ins >Zufällige< Mühe. Was uns stört, ist das Orakel, eine Instanz, die fähig ist vorauszusagen. Eine voraussagbare Handlung läßt den Zufall nicht zu, Ödipus, als Fabel, scheint untrennbar mit der Idee des Schicksals verbunden zu sein. […] Der einzige Ausweg, der uns offenbar übrigbleibt, Ödipus dem Schicksal zu entreißen, stellt daher nur die Flucht in die Akteure dar."409 Diese Flucht in die Akteure ist umso augenfälliger, denn an den überlieferten Orakeln selbst wird nichts geändert.410 Orakel I und IV sind von Tiresias klug und in bester Absicht gefälscht, Orakel III von der Pythia in übler Laune dahingeflunkert, Orakel II von Laios in böser Absicht bestellt.411 Wie es sich in der parodistischen Erzählung herausstellt, sind die Orakel – abgesehen von dem zweiten, mit dem die Pythia den Ödipus zu ärgern und aus seiner Leichtgläubigkeit zu heilen beabsichtigte – einfach finanzielle Fragen: wenn man Geld hat, kann man Orakel bestellen und durch sie die Ereignisse lenken (?). Die orakelbestimmenden Faktoren sind also Geld und Politik, worin sich antikes Denken als besonders modern erweist. Der finanzielle Erfolg der Weissagungsstätte muß gewährleistet sein, wenn nötig, auch durch Korruption, und politische Überlegungen bewegen den Seher Tiresias412 zum "vernünftigen Spruch" bezüglich der Rache an König Laios’ Mörder. Diese Korruption wird am zynischsten im Falle des zweiten Orakels dargestellt: "[…] Laios schickte seinen Sekretär nach Delphi mit … zehn Goldmünzen: für zehn Talente tat der Oberpriester alles, elf Talente hätte er schon ins Hauptbuch eintragen müssen".413

409 WA 14, 273. 410 Auch Orakel II gehört ja, von Dürrenmatt aus gesehen, zur Überlieferung. In der antiken Tradition (Eur. Phoen. 834ff., Paus. 9, 25, 1) ist dieses Orakel mit Menoikeus, Sohn des Kleon, und mit dem Sieg über die Sieben verbunden. Die Verschiebung geht auf Ranke-Graves II.9. zurück. Griechische Mythologie, Reinbek: Rowohlt 1960. Siehe noch: Stoffe I-III, S. 81. 411 Orakel II ist für die Geschichte nicht wesentlich. 412 Art. Μαντικη in: RE Bd. XIV.1. 1928, Sp. 1260-67. Bei Tiresias spielt Dürrenmatt mit dessen "Blindheit". Dazu: Schwab, S. 157.; 250f. "Tiresias, der an Einsicht und Blick ins Verborgene fast dem wahrsagenden Apollo gleich kam."; Die Pythia "orakelt blind drauflos" und man glaubte ihr "ebenso blind". Tiresias ist nicht blind, sondern stellt sich nur so. "Die Menschen wünschen nun einmal blinde Seher". (S. 337f.) 413 WA 14, 286. Da das Orakel nicht mehr den Göttern gehört, taucht hier auch die Frage des Handelns, das Thema des Mitmachens auf: soll man die Möglichkeit der Orakel ausnützen und in die Welt eingreifen oder nicht, was eigentlich auch das Ziel des Schreibens der Pythia als Teil des Nachwort des Nachworts des Mitmachers war.

4.1.9.2. Struktur (mit der Hilfe der Mythosinterpretation von Lévi-Strauss)

Wie wir es schon erwähnt haben, beruht die ganz eigenartige Dürrenmattsche Arbeitsweise darauf, daß er wohlbekannte Stoffe auswählt, auf Bestandteile zerlegt und aus diesen Elementen eine neue "logischere" Variante aufbaut. Auch im Falle der Ödipus-Geschichte haben wir es mit verschiedenen "konstanten Einheiten" zu tun; solche sind die meisten Figuren der Erzählung: Ödipus, Kreon, Laios, Iokaste, Tiresias, der Wagenlenker und die Sphinx. Die Orakel lenken die Ereignisse, die Pest tötet die Menschen, die Sphinx gibt Rätsel auf, Ödipus muß eine Untersuchung durchführen, um die Mörder des Laios zu finden, und als diese Untersuchung die Wahrheit zum Tageslicht bringt, erhängt sich Iokaste und Ödipus blendet sich. Aus diesen wohlbekannten "Mythemen" entsteht aber eine völlig neue Geschichte. Der ziemlich einfache Plot414 wird nicht chronologisch erzählt, sondern der Leser muß es – mit den Augen der sterbenden Pythia sehend – aus den Erinnerungen der beteiligten Personen zusammensetzen. Dabei muß der Leser sehr gut aufpassen, denn in den langen zusammengesetzten Sätzen werden mehrere narrativische Perspektiven verwendet und der Autor greift immer wieder zum Mittel der logischen Verschiebung. Mit der Hilfe der Methode von Lévi-Strauss läßt sich die Struktur der Erzählung folgendermaßen dargestellt werden:

414 Die Begriffe Plot, Story, Diskurs werden im Sinne von Chatman benutzt. Chatman, Seymour: Story and Diskourse. Narrative Structure in Fiction and Film. Ithaka/London, 6. Aufl. 1993; siehe noch: Müller, Simone: Blind sein wie Ödipus, S. 5-27. I. II. III. IV. V. Menoikeus: Drachenmann - Heirat von Jokaste Laios: Tiresias: Jokaste: Sphinx: und Laios - sein Sohn: Kreon - Kreon: - Ziel: keine - Sieben gegen (fürchterliche fürchterliche Spartanische Theben Treue) Treue, politischer Blutsuppe Dilettantismus (Kreon: nicht an die Macht) - Tiresias: - Orakel 2 Orakel 1 - Geburt von Ödipus -Laios: - Laios: kastriert - Laios: kastriert homosexuell (Beischlaf mit Jokaste im Suff?)

Ödipus: - wurde ausgesetzt, durchbohrene Beine (Ödipus = Schwellfuß)

- Orakel 3 Ödipus 2 - tötet seinen - Vater: - Vater: Vater, Laios Gardeoffizier (von Wagenlenker (von Ödipus getötet Ödipus getötet)

- Beischlaf mit - Mutter: Jokaste - Mutter: Jokaste - Mutter: die Mutter, Jokaste Sphinx

- Sphinx: - Sphinx: von den Ungeheuer, stürzte Löwen sich vom Berge zerschmettert

- Orakel 4 - Prozeß

- Jokaste: erhängt - Jokaste wird von sich einem eifersüchtigen Gardeoffizier erhängt - Ödipus blendet sich - Ödipus 3 (Sohn des Hirten) (?) - Ödipus 4 (Sohn der Königin von Korinth) (?)

Die erste Variante der Geschichte (Story 1) setzt sich aus der Erzählung der ersten drei Schatten (Menoikeus, Laios, Ödipus) zusammen. Was danach geschieht, ist eigentlich nur die Verunsicherung des Lesers. Dies erfolgt nicht nur dadurch, daß einzelne Momente anders erzählt werden (Story 2), sondern auch durch die unterschiedliche Charakterisierung der Personen. So erscheint Laios zuerst als "eine hochmütige Gestalt, königlich aber gelangweilt, blond, gepflegt und müde"415, der auch aufgeklärt das politische Mittel der Orakel verwenden kann416. Die Sphinx stellt ihn aber schon als "heimtückischer" und vor allem "abergläubischer Tyrann" dar.417 Auch die Frage seines Vaterseins bleibt unklar. Während er seine homosexuellen Neigungen eingesteht, schließt er die Möglichkeit eines Beischlafs mit Iokaste im Suff nicht aus.418 Aus den Worten der Sphinx stellt es sich dann heraus, daß er zwar die Frauen nicht verachtete, schlief sogar mit Pelops’ Frau Hippodameia zusammen und so hat er eine Tochter, die Sphinx, was aber schlimme Folgen hatte: Pelops entmannte Laios.419 Dabei ist eigentlich "egal", ob "Laios schwul oder kastriert war"420, der Vater von Ödipus konnte er sowieso nicht sein, aber zu den Lügen und dem Unsicherheitsgefühl des Lesers trägt er bei. Laios ähnlich wird auch Ödipus zweimal charakterisiert. Zuerst erscheint er als eine bewußt handelnde Person: er wußte, daß er nicht der Sohn des korinthischen Königs war, wollte mit dem Orakelflehen nur Apoll hervorlocken, wußte, als er "einen alten, hitzigen, eitlen Mann tötete", daß er sein Vater sein soll, genauso war er beim Besteigen seiner Mutter seiner Tat völlig bewußt.421 Schließlich, als er sich blendete, tat er es aus der "erhabensten Freiheit, jene zu hassen, die uns hervorgebracht haben".422 Iokaste begründet diese letzte Tat von Ödipus als die größte Liebe: "Ödipus blendete sich, weil er sie mehr liebte als sein Leben", er war übrigens "treuherzig, offen und naiv"423. Iokastes Erzählung macht einem schon manche Momente fragwürdig: so die männlichen Fähigkeiten von Laios, sie habe nicht Selbstmord begangen, der Vater von Ödipus war nicht Laios, sondern ihrer Version nach ein Gardeoffizier – ebenso von Ödipus getötet und den Geiern424 ausgesetzt.

415 WA 14, 286. 416 WA 14, 287. 417 WA 14, 303. 418 WA 14, 288. 419 WA 14, 298. 420 WA 14, 300. 421 WA 14, 291. 422 Hervorhebung von K.K. Dieser Satz und besonders das Wort "hassen" zeigt eindeutig die Freudsche Wirkung. 423 WA 14, 294. 424 Von Dürrenmatt beliebte und als Todessymbol oft verwendete Vögel; siehe: Bilder und Zeichnungen, Christian Strich (Hrsg.), Zürich: Diogenes, 1978; Dürrenmatt, F.: Minotaurus. Zürich: Diogenes, 1992 Die Sphinx erzählt schon eine völlig andere Geschichte: von ihr erfahren wir Laios’ Vergangenheit, daß es zwei Ödipusse gegeben hat und der Vater der – von Ödipus getötete – Wagenlenker Polyphontes war. Endlich glaubt der Leser, alle Teile einer Geschichte in der Hand zu haben, aber erst jetzt kommt dieses komponierte Chaos auf den Höhepunkt und man ist nicht klüger als am Anfang der Geschichte, nur verworrener.

4.1.9.3. Wahrheit

Die Problematik des Wahrheitsbegriffes wird aus mehreren Komponenten zusammengesetzt. Zwischen den Figuren besteht ein Kommunikationsmangel, und das Verschweigen der Wahrheit trug dem Ausgang der Ereignisse bei. Ödipus und die Sphinx verraten einander nicht, wer sie sind, Iokaste sagte Ödipus nicht, daß sie "wisse", er sei ihr Sohn, Ödipus der Pythia nicht, daß er "weiß", er sei nicht der Sohn des korinthischen Ehepaars oder daß die Sphinx kein Ungeheuer war, Iokaste verriet Tiresias nicht, Ödipus sei der Mörder von Laios, die Sphinx dem Tiresias nicht, wer sie sei. "Er sagte mir nicht die Wahrheit und du sagtest mir nicht die Wahrheit."425 Das Groteske an diesem Verschweigen ist, daß es sich herausstellt, selbst die Figuren kennen die "Wahrheit" nicht. Zum Beispiel ist Iokaste sehr stolz darauf, mit ihrem Sohn geschlafen zu haben: "Daß er mich liebte, ohne zu wissen, daß ich seine Mutter war, ist mein Triumph; daß das Unnatürlichste zum Natürlichsten wurde, macht das Glück, daß die Götter mir bestimmten"426. Aber wußte Ödipus nicht, daß er seine eigene Mutter bestieg, besser formuliert, bestieg er in Iokaste seine eigene Mutter? "Nur dank der Sphinx kennen wir die Wahrheit", sagt die Pythia, und mit ihr meint es auch der Leser. Gleich darauf wird aber dieses Gefühl von Tiresias ignoriert: "Ich weiß nicht. […] die Sphinx ist eine Priesterin des Hermes, des Gottes der Diebe und der Betrüger".427 Der Mythos selbst entsteht in der Wiederholung als bewußtes "Flunkern" nicht nur der Figuren, sondern auch des Erzählers. Die ganze Geschichte bestätigt nur Tiresias’ Schlußfolgerung: "Die Wahrheit ist nur insofern, als wir sie in Ruhe lassen".428

425 WA 14, 306. 426 WA 14, 293. 427 WA 14, 293. 428 WA 14, 311. 4.1.10."Flucht in die Akteure"

4.1.10.1. Die Hauptpersonen der Erzählung: die Pythia und der "Seher"

4.1.10.1.1.Isotopien im Textabschnitt

Bei der Erhellung der Tiefenstruktur des Textes kann uns die Methode der Isotopieanalyse von Greimas behilflich sein.429 Die Isotopie des Orakels erstreckt sich auf den ganzen untersuchten Textabschnitt. Wie schon erwähnt wurde, haben die vier Orakel eine grundlegende Funktion in dem Ablauf der Ereignisse. Aus den erwähnten vier erschienen zwei

Prophezeihungen in den ersten fünf Seiten. Diese Isotopie wird von anderen Isotopienreihen begleitet, wobei wir ebenso von sich aus über den ganzen Abschnitt ausdehnenden kontextuellen Semen/Sememen sprechen können. Das wichtigste unter denen ist +glauben, denn so können die Figuren der Erzählung in zwei Gruppen geteilt werden. Zu der Gruppe +glauben (Leichtgläubigkeit – Heiligtum – glauben – Gläubige – unbedingterer Glaube – erflehen) gehören die Aristokraten, die anhand des Aspekts männlich-weiblich weitergegliedert werden können: zu den ersteren gehören Ödipus (jung – Mann – Aristokrat – +glauben – Hybris – Korinth/Theben – Tod – ermorden – Gefühl schlecht – Sexualität) und der Vater (→ Laios), zu der weiblichen Gruppe gehört die Mutter (→ Iokaste). Die männliche und weibliche Seite zieht die Isotopie Sexualität mit sich. Das ist eine untergeordnete Isotopie der dominanten Isotopie Orakel, denn die Frage von Ödipus, ob "seine Eltern seine Eltern seien" gehört zu dem Problemkreis des sexuellen Verkehrs in aristokratischen Kreisen (Ehe – inzestbeladen – treiben) und die Antwort der Pythia bezieht sich auf einen sexuellen Kontakt mit seiner Mutter ("seiner eigenen Mutter beischlafen"). Im Zusammenhang mit den Eltern steht die Isotopie Tod. Der Tod kann entweder +natürlich (sterben) oder –natürlich (ermorden) sein. Sowohl der Vater als auch die Mutter werden ermordet, zwei andere Gestalten der Erzählung sterben (Pythia,

429 Die Analyse eines Textabschnitts siehe in Anhang; Greimas, A.J.: Strukturale Semantik, Vieweg, Braunschweig, 1971; Grosse, E.U.: Zur Neuorientierung der Semantik bei Greimas. Grundgedanken, Probleme und Vorschläge. Zeitschrift für Romanische Philologie 87 (1971) 359-393.; Keller, Otto – Hafner, Heinz: Arbeitsbuch zur Textanalyse, Fink, München, 2. Auflage, 1990; Lorenz, Otto: Kleines Lexikon literarischer Grundbegriffe, W.Fink, München, 1992; Schulte-Sasse, J. – Weiner, R.: Einführung in die Literaturwissenschaft, München: Fink, 1991 Tiresias). Die allmähliche Erhellung der chaotischen Ereignisse erfolgt sogar während des Sterbens der Pythia. Es verleiht dem Werk eine interessante Bedeutungsebene, daß gerade diejenigen Personen natürlichen Todes sterben, die zu der Isotopie –glauben gehören. Die mit dem Sem –glauben bezeichneten Personen sind wie die Aristokraten (+glauben) weiblich (Pythia) oder männlich (Tiresias und der Priester Merops XXVII.). Zwischen Merops und Tiresias bedeutet die Isotopie Geld, Geschäft eine engere Beziehung. Diese Isotopie ist bei Tiresias durch die Isotopien Politik, Korruption gesteigert. Die Isotopie Geld spielt auch im Verhältnis der Pythia und des Priesters eine Rolle (beide: Delphoi – Apoll – Orakel – -glauben): die prophezeihende alte Priesterin ist arm, wie es auch die Isotopien dürr – feucht – zugig – schäbig – schlecht abgedichtete Kalksteinhöhle – Felsspalte – Hütte – Brei), demgegenüber ist der Priester stinkreich (Geld – Geschäft – Heidengeld – verdienen – wirtschaftlich) und auch die Isotopien außen – Gebäude: prächtig – reinster frühdorischer Stil – kolossale Neubauten – riesiger Apollotempel – Musenhalle – Schlangensäule – verschiedene Banken – Theater). Die Pythia ist auch durch die Isotopie Laune/Gefühl (schlecht) charakterisiert, was wiederum eine untergeordnete Isotopie zu der des Orakels bildet (verärgert – ärgern – Unbehagen – scherzhaft – verspotten – gleichgültig – beunruhigen – verhaßt – unwillig – brummend – knurrend – aufzuregen). Die Pythia und Tiresias sterben gleichzeitig; die Pythia und der Schatten von Tiresias hören sogar zusammen die "Beichte" der Abgeschiedenen. Sie waren, die ohne an die Orakel zu glauben, in die Gestaltung der Ereignisse hineingriffen und sie beeinflußten. Dieser Eingriff bzw. dessen unterschiedlicher Charakter ist durch die Isotopie Vernunft hervorgehoben. Bei der Pythia spielt das Sem -Vernunft eine Rolle, statt Vernunft steht hier die Isotopie Laune (–Vernunft: dumm – Unsinniges – Unwahrscheinliches – Dämpfen – geistesschwach – blind – toll – brummend – knurrend – Wunder – ohne Bedeutung). Die Isotopien Dampf – dunkel verstärken die der Vernunft (Licht, hell). In Tiresias Handeln ist die Vernunft die regierende Kraft, aber bei ihm erscheint nicht nur das rekurriernde Sem +Vernunft (Zweck – wollen – lernen – vernünftig), sondern auf das Endergebnis seiner Bestrebungen vordeutend auch die Isotopienreihe Unsinn (Blinde – senil). Wer also zielgerichtet handelt, bei dem werden die Orakel nicht eintreffen, die hingeworfene Antwort der Pythia erweist sich aber als Volltreffer. Manche Isotopien werden erst durch das kulturelle Hintergrundwissen klar. So muß man den Begriff υβρις kennen, um die richtige Bedeutung der Sememe blasiert – räkelnd verstehen zu können. Genauso ist auch die Bedeutung des Wortes Οιδιπους (Ödipus) wichtig, das bildet eine weitere Isotopienreihe gehen – hinken – angehupelt. Schließlich können wir die Isotopien in Dürrenmatts Erzählung folgendermaßen darstellen:

Abb. 9: Der Tod der Pythia, Titelblatt, ca. 1980, schwarzer Kugelschreiber, 29,6×21 cm

4.1.10.1.2. Pannychis und Tiresias laut Dürrenmatt

Die zwei Hauptgestalten der Erzählung – wie es sich auch aus der Isotopieanalyse herausstellt – sind Pannychis und Tiresias. Beide wollen wissen – und erfahren, womit sie nicht gerechnet haben. Der Name Pannychis430 ist bei keiner Pythia bekannt, das ist die Bezeichnung einer kultischen Feier mit freudig ausgelassenem Charakter, welche die ganze Nacht hindurch dauert, da es reichlich Gelegenheit für Ausschreitungen geboten hat, wird es häufig als Komödientitel benutzt. In Dürrenmatts Erzählung kommt der Name aus einem antiken Prätext: den Hetärengespräche von Lukian. 431 Das Wort selbst bedeutet "nächtliche Feier, nächtlicher Ritus", was gut zu den Ereignissen der Sterbenacht von Pannychis paßt. Ihr Bewegungsraum ist sehr klein, es genügt ihr, auf ihrem Dreifuß über dem Dampf zu sitzen und in Ruhe gelassen werden. Sie geht höchstens noch in ihre Hütte oder sonnt sich vor dem Seitenportal des Heiligtums. Nur zweimal entfernt sie sich vom Heiligtum, einmal weil sie in Merops´ Büro gehen muß, das andere Mal weil sie ins Archiv gehen will. Dann bleiben diese minimalen Ortsveränderungen aus, die Raumperspektive wird auf das Heiligtum, konkreter auf ihren Dreifuß eingeengt bis auch schließlich auch der Schauplatz verschwindet: "Die Pythia antwortete nicht mehr, und auf einmal war sie nicht mehr da, und auch Tiresias war verschwunden, und mit ihm der bleierne Morgen, lastend über Delphi, das auch versunken war."432 In diesem Bereich lebt diese "lange, dürre", "steinalte", unter Rheumatismus leidende Priesterin, die bei Dürrenmatt von der heiligen Priesterin zur müden Beamtin wird. Ihre Absicht ist es nicht, den Willen der Götter kundzutun, sondern die Gläubigen zu verspotten. Es wirkt komisch, daß sich gerade die Priesterin mit der gesellschaftlichen Norm – dem Glauben an die Götter und Orakel – gar nicht identifizieren will, sondern sie ärgert sich über die Leichtgläubigkeit der Menschen. In dem antiken Delphi gab es komplizierte Vorschriften, wie man zur Pythia gelassen wurde, Dürrenmatt aber vereinfacht die historischen Fakten, er säkularisiert und entmythisiert sie. So kann jeder zu dieser lebensmüden Beamtin (eine Pensionierung wäre schon längt fällig), die ihren Arbeitstag absitzt und auf den "Ladenschluß" um fünf wartet, und orakelt, weil dies von ihr erwartet wird. Sie sitzt auf ihrem Dreifuß von Dämpfen umhüllt. Beide Motive kommen aus den antiken Quellen, bei Dürrenmatt werden sie aber säkularisiert: der Dreifuß ist nur ein Gebrauchsgegenstand und die Dämpfe tragen zum physischen Wohlbefinden der

430 Siehe: Ziehen, L.- Hanslik, R.: Art. Παννυχις in: RE Bd. XVIII 3, 1949.Kerényi, Karl: Die Pythia, in: ders.: Humanistische Seelenforschung. München/Wien: Langen Müller 1966. 431 Auch die Namen der beiden anderen Pythien: Glykera und Krobyle sind von Lukian. Γλυκερα heißt süß, und Krobyle ist eine Frau, die ihre Tochter Korinne zur Hetäre erzieht. Der Name Krobyle ist auch aus einem für Dürrenmatt wichtigen Prätext bekannt: so heißt die Frau des Eseltreibers in Wielands Abderiten, 4. Buch, 3. Kapitel. 432 WA 14, S. 313. Priesterin bei und lindern den Rheumatismus der Pythia.433 Auch die Pythia selbst hat keinen Bezug zu den Göttern: anstatt auf Trance und göttliche Inspiration verläßt sie sich auf ihre Phantasie, um mit ihren phantastischen Orakeln die Gläubigen von ihrem Glauben abzubringen. Sie muß aber enttäuscht werden, denn was nur in ihrer Phantasie entstand, ist zur Realität geworden. Bei Sophokles muß Ödipus den Weg der Erkenntnis gehen, bei Dürrenmatt ist es die Pythia (und Tiresias). Bei Sophokles erweist sich der Blinde Tiresias als der Sehende, das heißt auch der Wissende, und der sehende Ödipus als der Blinde, also der Unwissende. Diese Tatsache drückt sich in dem Akt der Selbstblendung aus. Auch bei Dürrenmatt spielt das Motiv des Sehens als Symbol der Selbst- und Welterkenntnis eine wichtige Rolle - aber bei Pannychis. Die Priesterin sitzt in der Sonne, und schließt die Augen, "um die delphische Kitschlandschaft nicht mehr zu sehen", als Ödipus zum zweiten Mal bei ihr auftaucht. Bevor sie weiß, wer er ist oder die Augen öffnen würde, "fühlte sie plötzlich, daß etwas vor ihr stand, […] das sie herausforderte, das sie anging". Schon mit geöffneten Augen nimmt sie Ödipus als "eine ungeheure Gestalt" wahr, und erst als sie sich wieder ans Sehen gewöhnt hat und "schärfer hinblickte", schrumpfen Ödipus und Antigone "auf Menschenmaß zusammen"434. Während Sophokles´ Ödipus bis zur gänzlichen Enthüllung nicht versteht, daß er nach sich selber forscht, fühlt die Pythia sofort, daß die folgenden Ereignisse sie, aber auch die Menschheit ("Menschenmaß") betreffen. Ödipus wollte die Erkenntnis mit seinem Verstand erzwingen, die Pythia fühlt zuerst nur intuitiv, sie verfügt über kein gesichertes Wissen. Erst nachdem Ödipus ihr seine Geschichte erzählt hatte und sie "die Augen weit geöffnet"435 hat, kommt ihr Verlangen nach kognitivem Verstehen: "alles konnte nicht Zufall sein, fuhr es ihr durch den Kopf". Sie beschließt, die Sache zu erforschen, da "humpelte" sie auf dem Weg zum Archiv "wie Ödipus". Die hinkende Pythia erinnert sowohl physisch an Sophokles´ Ödipus, aber auch darin, daß sie mit Vernunft zur Erkenntnis gelangen will: sie forscht und findet das gesuchte Orakel im Archiv. Über das Ergebnis ihrer Forschung sagt sie: "blind sein wie Ödipus war das beste".436 Mit der Erkenntnis, mit dem Wissen steht

433 Diese Säkularisierung und Modernisierung des Motivs der Dämpfe wird noch klarer im Textbuch 6 (S. 210) zum Ausdruck gebracht, wo der Ausdruck "Sauna" benutzt wird: "sie war nur noch froh, wenn sie auf ihrem Dreifuß sitzen konnte: moderner ausgedrückt, die Sauna war ihr einziges Vergnügen". Zu der leitmotivischen Funktion der Dämpfe siehe Müller, Simone: Blind sein wie Ödipus., S. 39. 434 WA 14, 280. 435 WA 14, 281. 436 WA 14, 282. wiederum der Zustand der physischen Blindheit, aber die Priesterin blendet sich nicht, sie schließt nur die Augen. Auf dem Weg zurück zum Heiligtum fühlt sie, daß ihr Sterben beginnt. "Sie schmiß den Stock an die halbfertige Schlangensäule, […] und humpelte nicht mehr"437. Die Ähnlichkeit mit Ödipus findet hier ein Ende. Die Erkenntnisse der beiden Figuren unterscheiden sich grundlegend voneinander: Sophokles´ Ödipus erkennt, daß die menschliche Vernunft Grenzen hat und die Weisheit der Götter der menschlichen Erkenntnisfähigkeit immer überlegen ist. Die Pythia soll aber erkennen, daß die Wirklichkeit auch durch Zufall entstehen kann. Sie begreift, daß ihr phantastisches Orakel eingetroffen ist – was sie weder beabsichtigt noch für möglich gehalten hat. Sie hat die Wirklichkeit beeinflußt, wo sie nicht wollte – wo sie aber es gewollt hätte, ist sie gescheitert: das Glauben an das Orakel, also das Aberglauben zu erschüttern vermochte sie nicht, sie erreichte sogar nur noch unbedingteren Glauben. Während die Pythia ihre Erkenntnisse vor allem intuitiv, aber auch mit Verstand erlangt, will Tiresias nur mit Hilfe der Vernunft vorgehen und die Wirklichkeit mit strategischen Überlegungen beeinflussen. "Ich Tor. Ich setzte mit meiner Vernunft eine Kette von Ursache und Wirkungen frei, die das Gegenteil von dem bewirkte, was ich beabsichtigte"438. Sophokles´ Tiresias ist nur physisch blind: er ist kein Sehender, aber ein Seher. Bei Dürrenmatt spielt er nur seine Blindheit, er will zwar ein Seher, ein Wissender sein, in der Wirklichkeit weiß er ebensowenig wie Pannychis, und erreicht gerade das Gegenteil seiner Absichten. Sophokles´ Ödipus lernte die Welt als eine von Göttern gelenkte zu akzeptieren, wo der Mensch die ganze Wahrheit nicht erfahren darf und soll, sonst wendet sich die Erkenntnis gegen ihn selbst, der der Hybris schuldig ist. Bei Dürrenmatt verstehen die Pythia und Tiresias, daß sie Teil einer komplexen, undurchschaubaren Wirklichkeit sind, die man nicht erkennen kann: sie versuchen die Wahrheit zu erfahren, müssen aber erkennen, daß es die Wahrheit nur unter der Bedingung gibt, daß man sie in Ruhe läßt439, sie zu erkennen ist aber unmöglich. "Vergiß die alten Geschichten, Pannychis, sie sind unwichtig, wir sind in all dem wüsten Durcheinander die Hauptpersonen. Wir befanden uns beide derselben ungeheuerlichen Wirklichkeit gegenüber, die ebenso undurchschaubar ist wie der Mensch, der sie herbeiführt."440

437 WA 14, 284. 438 WA 14, 312. 439 WA 14, 311. 440 WA 14, 311. Beide haben nur die Orakel als Mittel in der Hand441, beide versuchen diese zu benutzen – mit unterschiedlichem Erfolg. Beide wollen nicht mehr "mitmachen", sondern an der Geschichte mitwirken. Tiresias will die "Blutsuppe" und den spartaischen Staat verhindern, die Pythia will Ödipus den Aberglauben und die Leichtgläubigkeit abgewöhnen. Beide haben ihr Ziel verfehlt – auch weil die anderen Beteiligten geschwindelt und sie betrogen haben. "Wir beide hofften, mit unseren Orakeln einen zaghaften Anschein von Ordnung, die zarte Ahnung einer Gesetzmäßigkeit in die trübe, geile und oft blutige Flut der Ereignisse zu bringen, […] Du orakelst mit Phantasie, mit Übermut, ja mit einer geradezu respektlosen Frechheit, kurz: mit lästerlichem Witz. Ich ließ mit kühler Überlegung orakeln, mit unbestechlicher Logik, auch kurz: mit Vernunft. Zugegeben, dein Orakel war ein Volltreffer."442 Wahrscheinlichkeit und Unwahrscheinlichkeit, Vernunft und Phantasie: am Ende stehen nicht mehr einfach der Seher und die Pythia sich gegenüber, sondern zwei Symbole: Vertreter von zwei gegensätzlichen Lebensgefühlen. "So wie ich, der die Welt seiner Vernunft unterwerfen wollte, in dieser feuchten Höhle mit dir konfrontiert bin, die du die Welt mit deiner Phantasie zu bezwingen versuchtest, so werden auf ewige Zeiten jene, für welche die Welt eine Ordnung, solchen gegenüberstehen, für welche die Welt ein Ungeheuer ist. Die einen werden die Welt für kritisierbar halten, die anderen nehmen sie hin. Die einen werden die Welt für so veränderbar halten, wie man einem Stein mit einem Meißel eine bestimmte Form zu geben vermag, die anderen werden zu bedenken geben, daß sich die Welt samt ihrer Undurchschaubarkeit verändere, wie ein Ungeheuer, das immer neue Fratzen annimmt, und daß die Welt nur insoweit zu kritisieren sei, wie die hauchdünne Schicht des menschlichen Verstandes einen Einfluß auf die übermächtigen tektonischen Kräfte der menschlichen Instinkte besitzt. Die einen werden die anderen Pessimisten schelten, die anderen jene Utopisten schmähen. Die einen werden behaupten, die Geschichte verlaufe nach bestimmten Gesetzen, die anderen werden sagen, diese Gesetze existieren nur in der menschlichen Vorstellung. Der Kampf zwischen uns beiden, Pannychis, wird auf allen Gebieten

entbrennen […]."443 Dürrenmatt kehrt damit zu dem Problem des Mitmachens zurück, das zwar nicht gelöst wird, aber soviel kann der Leser sehen, daß der Autor zu den Pessimisten gezählt werden soll, der aber mit seinen Schriften immer wieder mitzugestalten und zu wirken versucht.

441 Die Pythia macht eigentlich ihre Prophezeihungen auf Bestellungen – ein einziges ausgenommen: das dem Ödipus zuerst gegebenen. 442 WA 14, 311. 443 WA 14, 313. 4.1.10.2. Der Dürrenmattsche Ödipus

Dürrenmatts Ödipus ist auf die Vermittlung des Sehers, Tiresias, nicht angewiesen, er glaubt an Apoll, und sucht direkten Kontakt zu ihm. Er ist aber nicht nach Delphi gekommen, um die Wahrheit zu erfahren, sondern er will Apoll "aus seinem göttlichen Versteck"444 hervorlocken, also seine eigene Interpretation der Welt, der Wirklichkeit aufzuzwingen. Er glaubt die Götter überlisten zu können, indem er sich nicht gegen sein Schicksal auflehnt, sondern gerade danach sucht. Er begibt sich nicht nach Theben, weil er vor seinen Eltern flieht, sondern weil er sie sucht: da er seine "wirklichen Eltern" "mehr als etwas anderes" haßte, die ihn "den wilden Tieren vorwerfen" wollten445. Das Orakel ist ihm nicht Fluch, sondern Erlösung, da er sich gegen die gehaßten Personen wenden kann. "Er wählte sich sein Schicksal selber aus"446, damit aber büßt er auch einen Teil seiner Tragik ein, man kann kein Mitleid mit ihm haben. Die Abstammung von Ödipus ist aber nicht so, wie er es zu glauben meint: er ist wahrscheinlich kein Königssohn, nur der eines Wagenlenkers (oder Gardeoffiziers). Die unsichere Abstammung ist eigentlich schon bei Sophokles angelegt – als Jokastes Versuch, Ödipus von weiteren Nachforschungen abzuhalten: "Hab keine Angst! Denn du – und trät ich auch von der dritten Mutter her dreifach als Sklav zutag – wirst niemals als gering erscheinen!"447 Ödipus spricht das bei Sophokles im Hohn, er erwägt diese Möglichkeit überhaupt nicht. Bei Dürrenmatt denkt Ödipus auch nicht an eine solche Möglichkeit, aber bei dieser modernen Mythosbearbeitung ist es nicht einfach eine Möglichkeit, sondern die wahrscheinlichere Variante. Sicher kann man aber nichts behaupten, denn bei Dürrenmatt kann nicht einmal gesagt werden, wer Ödipus ist.

4.1.10.3. Jokaste – die Inzestthematik

Bei Dürrenmatt können zwei Frauen als die Mutter von Ödipus in Frage kommen: die Sphinx oder Jokaste. Die Sphinx kommentiert ihre Beziehung zu ihrem Sohn so: "Dann wurde ich die Geliebte meines Sohnes. Man kann über seine glücklichen Tage nicht viel sagen […]".448

444 WA 14, 289. 445 WA 14, 290. 446 WA 14, 310. 447 Sophokles, König Ödipus, Vers 1062-1063. 448 WA 14, 307. Auch Jokaste ist glücklich, sie glaubte "vor Entsetzen ohnmächtig zu werden", wurde aber "ohnmächtig vor Lust, nie war sie gewaltiger, als wenn ich mich ihm hingab"449. Sie betrachtet es als Privileg, "als einzige der sterblichen Weiber nicht einem fremden, sondern dem von mir geborenen Manne untertan" zu werden, also "mir selbst"450. Was also bei Sophokles Ursache des Unglücks, bei Dürrenmatt Quelle des Glücks wird. Jokaste bezeichnet als ihren Triumph, daß ihr Sohn "mich liebte, ohne zu wissen, daß ich seine Mutter war"451. In Dürrenmatts Variante wußte aber Ödipus, daß sie seine Mutter ist - und beide irren sich, die Wahrheit kennen nicht einmal die Leser der Erzählung.

4.1.11. Fazit

"…und schon schreibt in Athen ein unbekannter Dichter eine Ödipustragödie. Doch Athen ist Provinz und Sophokles wird vergessen werden, aber Ödipus wird weiterleben, als ein Stoff, der uns Rätsel aufgibt".452 Im Falle der Ödipus-Bearbeitung von Dürrenmatt kann man gut sehen, daß der Mythos nur eine Form, ein Gerüst geblieben ist, was von dem modernen Autor mit neuem Inhalt

449 WA 14, 293. 450 WA 14, 293. 451 WA 14, 293. 452 WA 14, 312f. gefüllt wird. Dabei wird (hauptsächlich) das Drama von Sophokles als Folie genommen, und das Dürrenmattsche Novum wird in Anlehnung an die verschiedenen Mythostheorien hervorgebracht. Wie Norbert Bischof behauptete: im Ödipus-Mythos fehlt keine der Proppschen Märchenfunktionen – mit einem grundlegenden Unterschied, daß Ödipus nicht aus der Heimat in die Ferne auszieht, sondern in seiner Unwissenheit gerade umgekehrt in seine Heimat zurückkehrt. Bei Dürrenmatt entsteht hier das Novum: Ödipus handelt bewußt, er will gerade seine "Heimat" finden und an seinen Eltern Rache üben. So bekommt die Inzestthematik und das freudsche Modell eine neue Bedeutung: die Figuren der Erzählung scheinen in dem Kindheitsstadium des Ödipus-Komplexes geblieben zu sein. Was bei Sophokles der Auslöser der Tragik war, wurde der Beischlaf mit der Mutter für Ödipus Gestus der Rache, für Jokaste/die Sphinx Gestus der Wonne. Laios Tod, das Sterben des Vaters/Ehemannes läßt alle Beteiligten der Geschichte kühl. Der Aufbau des Dürrenmattschen Mythos erfolgt nach dem Prinzip der "bricolage" von Lévi-Strauss. Der alte Mythos wurde demontiert und die einzelnen Mytheme wurden nach dem Perspektivenwechsel statt Ödipus die Pythia als zentrale Figur remontiert. Dürrenmatt hat einen neuen Mythos konstruiert, indem er das Lebensgefühl der modernen Menschheit zum Ausdruck bringt: man ist dem Zufall ausgeliefert, durch den die unwahrscheinliche Möglichkeit Wirklichkeit werden kann. Man kann sich nicht auf seine Vernunft verlassen, und die Wahrheit läßt sich nur begrenzt kennenlernen. Zu dem Sterben der Pythia wurde nur eine Illustration, eine Federzeichnung angefertigt, die auf den ersten Blick eher einer Kritzelei ähnelt. Bei näherem Betrachten zeichnen sich die kleinen Gestalten der Pythia und des Tiresias heraus, das ganze Bild wird aber von dem Menschengestalt nehmenden Dampf, von dem blinden, mit weit geöffnetem Mund schreienden Ödipus beherrscht (Abb. 9).453 Während z.B. Blumenbergs Meinung nach die Mythen entstanden, um die Ängste der Menschen abzubauen, entstehen Ängste bei Dürrenmatts Mythos. Er bekämpft die "bequemen" Alltagsmythen und läßt einen mit der Unsicherheit und Unerkennbarkeit der Welt konfrontieren, wodurch er den Titel "unbequemer Dürrenmatt" mit recht verdient.

453 Die Struktur der Zeichnung und dieser Kopf haben einen ähnlichen Aufbau wie das Gemälde Sisyphos I., 1946. In: Dürrenmatt: Bilder und Zeichnungen, Zürich: Diogenes, 1978. Dieser Bezug auf das Gemälde hebt den gemeinsamen Zug von Sisyphos und Ödipus, die Strafe, hervor, daß beide Gestalten eins mit der Strafe werden. 4.2. Die ungeschriebene Komödie – die geschriebene Erzählung: Die Verwandlung des Sokrates-Stoffes

4.2.1. Kleine Entstehungsgeschichte

"Im Kopf habe ich vielleicht noch ein Theaterstück, das ich danach [nach Achterloo] gerne schreiben würde" – sagt Friedrich Dürrenmatt in einem Interview mit Peter Rüedi im Jahre 1983.454 In mehreren Interviews spricht er noch von diesem "unvollendeten Lieblingsstück"455, dessen Plan "schon sehr konkret ist"456, aber das hat "vielleicht Achterloo gefressen", wie Charlotte Kerr formuliert457, und als Komödie wurde es nie verwirklicht. So entsteht eine ironische Wiederholung des antiken Vorbilds: wie Sokrates keine schriftlichen Aufzeichnungen hinterlassen hat, so daß jegliche Beschreibung seines Wirkens aus zweiter Hand stammt, so kann auch Dürrenmatts Sokrates-Komödie nur aufgrund mündlicher Erzählung beziehungsweise aus Charlotte Kerrs Typoskript kennengelernt werden.458 Wie bei den meisten Stoffen von Dürrenmatt, kann auch im Falle des Sokrates- Stoffes eine langwierige Aneignung beobachtet werden, die durch folgende Textzeugen dokumentiert werden kann: Dürrenmatts Agenda verzeichnet die Grundidee und die Ausarbeitung der ersten Szenen Ende 1973.459 Diese Phase fällt mit den Arbeiten an dem Mitmacher-Komplex zusammen, als er die Gestalt Cops als "ironischen Held" interpretiert und als Vergleichsfigur für Cop und als Modell des "ironischen Helden" Sokrates miteinbezieht. In diese Arbeitsphase fällt auch eine erneuerte Lektüre von Sören Kierkegaards Werken460, unter anderem auch Über den Begriff der Ironie im Sommer 1973, die er dann später im Komödienprojekt Der Tod des Sokrates verarbeitet hat. Kierkegaards sowie Platons Werke waren für Dürrenmatt schon aus seiner Studienzeit wohl bekannt, sein Interesse für Platon und die Sokrates-Gestalt erfuhr eine grundlegende Veränderung durch Karl Poppers Kritik in der Offenen Gesellschaft und seine Feinde, dessen Werk im Jahre 1957 in deutscher Übersetzung erschienen ist.

454 Gespräche 3, 194. 455 Gespräche 3, 178. 456 Gespräche 3, 179. 457 WA 18, 208. 458 Man kann die Komödie aufgrund dieser in anderen Medien existierenden Versionen rekonstruieren und interpretieren. 459 Wirtz, Irmgard: Dürrenmatts ungeschriebenes Drama Der Tod des Sokrates. In: Quarto (1996) H.7., S. 80-91., S. 80 460 Dürrenmatts Agenda Mai-August 1973, siehe auch Quarto S. 69. Dürrenmatt könnte es aber wahrscheinlich erst in den 70er Jahren gelesen haben, darauf kann aus verschiedenen Hinweisen aus den 70er Jahren gefolgert werden 461. Das durchdachte Konzept für eine Sokrates-Komödie trägt Dürrenmatt seit 1983-84 mit sich, denn er erwähnt den Stoff als neuen Lieblingsstoff in den Interviews462, bzw. er legt die geplante Komödie in Charlotte Kerrs Film Porträt eines Planeten dar. Durch die Bekanntschaft von Charlotte Kerr neue Impulse bekommend bereitet er das neue Stück vor, er hat aber davon bloß zwei Szenen ausgeschrieben.463 Die weiteren Pläne sind nur aus zweiter Hand überliefert. Ein Typoskript Charlotte Kerrs von 28 Seiten skizziert den ausgereiften Plot der Komödie464. Dieses noch nicht geschriebene Lieblingsstück blieb nach dem Mißerfolg von Achterloo eine bloße Kopfgeburt. Erst später findet der Stoff als zentrales poetologisches Bekenntnis Eingang in Dürrenmatts späte Prosa, den Turmbau (1990). Eine weitere Anregung könnte Dürrenmatt noch erhalten haben, die aber nicht konkret belegbar ist, nur angenommen werden kann. Im Jahre 1970 ist ein illustriertes Sokrates-Buch bei Dürrenmatts Verlag, bei Arche Zürich erschienen: Wilhelm Wolfgang Schütz: Der Fall Sokrates. Eine Anklage. Mit Illustrationen von Hans Erni. Da Dürrenmatt für Bilder-Bücher immer eine Vorliebe hatte, kann vermutet werden, daß er sich für dieses antiken Stoff bearbeitende Buch interessiert und das Buch gekannt hätte. Dafür sprechen auch die von dem Buch behandelten Themen, die auch Dürrenmatt sehr interessiert haben: Zufall (S. 52), Mitmachen (S. 58), Gerechtigkeit (S. 77), Wahrheit (S. 82), Staat und Gott (S. 86), aber auch das Schachspiel kommt als "königliche Kunst" vor (S. 41).

4.2.2. Das Drama465

Die Handlung des Dramas kann aus zwei Quellen "rekonstruiert" werden, die des Sokrates würdig mündlich bzw. zweiter Hand überliefert wurden. Nach vierzehn Tagen intensiver Arbeit wurden am 8. Mai 1984 die Dreharbeiten am Porträt eines Planeten beendet. In diesem Film erzählt Dürrenmatt über das neueste

461 Z.B. Über Toleranz, WA 33, 127. 462 Gespräche 3, 177ff, 194. 463 FD- m3 III, 5 S. hs. 464 FD-r32 II, 25. 07. 1984 465 Es wird ausführlicher zitiert, da das Material nur im Schweizerischen Literaturarchiv zugänglich und nicht publiziert ist. geplante Theaterstück, das zum Teil während der vorangegangenen Griechenland-Reise gewachsen ist. Der Sokrates-Teil des Filmes wurde in Emmental, hinter dem Haus in Schernelz gedreht, da "der Platz etwas von einer Bühne, von einem Amphitheater, dem hellgrauen Stein hat", und so kann Dürrenmatt auf Griechenland assoziieren.466 Dürrenmatt erzählt zögernd über das neue Stück, zwar habe er schon begonnen, es zu schreiben, die drei Akte seien schon in seinem Kopf konzipiert, aber noch nicht geformt, denn er forme immer nur im Schreiben. "Ich möchte das Stück im heutigen Athen haben, weil ich diese Antike auf der Bühne eigentlich nicht mehr ertrage. Das ist schon die Schwierigkeit beim Romulus, Herkules, gut, dort kann man es verfremden, aber ich finde es spannender, Sokrates heute zu haben. Die Figur gleich, Sokrates gleich, Dionys gleich, in Syrakus. Den Beginn vom Stück, den weiß ich schon genau, ich weiß eigentlich jeden Akt genau."467 Beim Drehen spielt Dürrenmatt richtig, er tastet nach seiner Jackentasche, zieht einen Text heraus, entfaltet ihn und liest. So spielt er Sokrates, der alle Texte von Platon auswendig lernen muß. "Diese Szenen, wo Dürrenmatt Sokrates, Aristophanes und Platon spielt, dreht man ohne zu unterbrechen. Zwei Akte Sokrates waren zu Mittag schon fertig."468 Den weiteren Akt hat man in Ligerz, im Textilhäuschen aufgenommen, wo aber Dürrenmatt leicht angesäuselt schwankend erschien. Er erzählt die Geschichte noch einmal – wieder mit einer leichten Variation, da er nie die gleiche Geschichte zweimal erzählen kann. Jetzt wurden die drei Akte durchgedreht469, so sitzt Charlotte Kerr (schon als die Ehefrau von Dürrenmatt) im September 1984 vor den zwei Versionen Sokrates. Die erste Version ist perfekt in Erzählung und Dekoration, aber es fehlt der dritte Akt, die zweite Version ist zwar komplett, aber sichtbar und hörbar beschwipst, das paßt zwar gut zu Dürrenmatts Sokrates-Gestalt, aber weder vom Bild noch vom Ton her ließen sich die zwei Versionen kombinieren. Dürrenmatt hat die Lösung gefunden: man legt das Bild von Lulu, seinem Kakadu ein, wie sie durch eine griechisch-ähnliche Maske nach dem Gesicht des Autors sucht (siehe: Abb. 10). Dazu wird der Ton vom dritten Akt Sokrates, der beschwipste verwendet, so geben Bild und Ton eine gespenstische, surreale Wirkung. Es wird noch Lulus Klappern dazugemischt, so

466 Charlotte Kerr: Die Frau im roten Mantel, München, Zürich: Piper, 1992, S. 75. 467 Film Porträt eines Planeten; Kerr 1992, S. 76. 468 Kerr 1992, S. 77. 469 Kerr 1992, S. 81. realisiert man die veränderte Tonqualität gegenüber der ersten Aufnahme nicht. So entstand der Film.470

Abb. 10: Dürrenmatt mit dem Kakadu Lulu im Film Portrait eines Planeten. 1984

In diesem Plan weicht der Beginn von den späteren Versionen noch ab. Sokrates tritt vor das Publikum und schaut die Athener, also das Publikum an. Zwei Polizisten sind neben ihm, die ihn verhaftet haben, und sagt: "Ihr Athener, ihr geht jetzt euren Geschäften nach, und ich gehe hin, um zu sterben. Wer von uns das bessere Geschäft hat, das weiß nur … der Gott." Mit diesem Text aus Phaidon fängt die Komödie an, erst später kommen wir in die Hinterstube von Xanthippe, die in der Gesellschaft der Pythia (Sokrates´ Tante) und Aristophanes durchs Fernsehen oder Radio die Verteidigungsrede von Sokrates hört. Die Charaktere und die Schauplätze der weiteren Akte (Gefängnis bzw. Oper in Syrakus) sind schon mit der späteren ausführlicheren Inhaltsangabe identisch. Am Ende des Erzählens vergleicht noch Dürrenmatt Sokrates mit einer großen Komödienfigur wie Don Quijote, was ein Rückschluß auf die Gedankengänge von 1976 über Sokrates als ironischen Helden im Rahmen des Mitmacher-Komplexes bedeutet. Ebenso aus dem Jahre 1984, aber auf 25.07. datiert verfügen wir über die Inhaltsangabe "nach Stichworten von Friedrich Dürrenmatt, geschrieben von Charlotte Kerr".471 In diesem Plan wird die Zeitlosigkeit des Stückes betont: Der Tod des Sokrates laut geschichtlicher Überlieferung im Jahre 399 v. Chr., spielt heute. Oder morgen. Die Komödie wird schon in vier Akte eingeteilt, und die ganze Geschichte fängt schon in dem Antiquariat von Xanthippe an:

470 Kerr 1992, S. 90-95. 471 FD-A-r32 II, 25.7.84 I. Akt: Das Antiquariat von Xanthippe II. Akt: Das `Gefängnis für Politische´ in Athen III. Akt: Syrakus. Der Prunksaal im Palast des Dionys. IV. Akt: Die Oper von Palermo. Dem Film gegenüber können schon die handelnden Personen detaillierter beschrieben werden, und auch die Besetzungsvorschläge zeigen, wie sehr der Plan in Dürrenmatt ausgereift war. Dürrenmatts dramatische Sokrates-Bearbeitung basiert auf zwei Einfällen: den Kern bildet "das Sokratische Problem"472, genauer das Verhältnis zwischen Platon und Sokrates, andererseits bildet die Idee des zwei-(bzw. drei-)maligen Todes des Sokrates die dramaturgische Klammer der Komödie. Die Bearbeitungsweise bietet ein burleskes Spiel mit antiken Figuren, Kulissen und Mythen, übt gleichzeitig Kritik an geschichtlicher Überlieferung und setzt sich mit antiken Texten auseinander. Wenn der Plan mit der Hilfe der intertextuellen Methode untersucht wird, ergibt sich wiederum das Ergebnis: Dürrenmatt setzt die alten "Bausteine" neu zusammen, was Garant für den komischen Effekt und die groteske Wirkung ist. Damit man die antiken Prätexte mit Dürrenmatts Bearbeitung besser vergleichen kann, soll zuerst die historische Person Sokrates näher kennengelernt werden.

4.2.2.1. Der historische Sokrates

Von sicheren Angaben über Sokrates wurden nur noch einige überliefert.473 Sein Vater, Sophronikos war Bildhauer und seine Mutter, Phainarete Hebamme.474 Daß er zunächst den Beruf seines Vaters ausgeübt hat, und daß eine Grazie in einer am Eingang der Akropolis aufgestellten Gruppe sein Werk wäre475, ist nicht sicher. Eine handwerkliche Betätigung ist wenigstens mit dem jungen Sokrates gut vereinbar, der ältere scheint ja durch die zunehmende, mit der Kriegszeit zusammenhängende Vernachlässigung jeder

472 Das ist seit Schleiermacher ein virulentes Problem, wie man die Sokratische Philosophie aus den Platonischen Schriften ermitteln kann. 473 Zu Sokrates: Wilhelm Kroll, Karl Mittelhaus (Hrsg.): Paulys Realenzyklopädie der Antike, II. Reihe, 3.Bd., Stuttgart: Metzler, 1929, S. 811-890.; Böhme, Gernd: Der Typ Sokrates. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1992, Taylor, Christopher C. W.: Sokrates (übersetzt v. Katja Vogt) Freiburg, Basel, Wien: Herder, 1999, Romano Guardini: Der Tod des Sokrates. Hamburg, 1966, Kerényi, Károly: Az örök Antigoné. Budapest: Paidion 2003. 474 Diog. Laert. II 18, Plat. Theait. 149a ff. 475 Diog. Laert. II 19, Paus. I 22, 8, IX 35,7. Erwerbstätigkeit in die "unendliche Armut" geraten zu sein.476 Für früheres bürgerliches Einkommen spricht sein Militärdienst als Hoplite477 Er hat an drei Feldzügen teilgenommen478, wo er sich durch große Tapferkeit ausgezeichnet haben soll; so soll er Alkibiades bei Potidaia gerettet haben479, und hat großmütig auf den Siegespreis verzichtet, der Alkibiades zugeteilt wird480. Anschließend hatte er vermutlich mehrere politische Ämter inne, von seinem politischen Auftreten wissen wir sicher nur das, was unter anderem die Apologie von Platon erzählt: er leistete Widerstand gegen die Ungerechtigkeit des Demos beim Arginusenprozeß481 und unter der Herrschaft der Dreißig, sowie er weigerte sich an der ungerechten Verhaftung des Leons aus Salamis teilzunehmen. Später hat er alle politischen Aufgaben bzw. bürgerliche Erwerbstätigkeiten aufgegeben und wandte sich dem Lehren und der Philosophie zu. Daß diese neue Wandlung durch die Befragung des delphischen Orakels durch Chairephon482, einen der ältesten Freunde des Sokrates hervorgerufen wäre, wird bei Platon483 und Xenophon484 berichtet, demnach wäre Sokrates der weiseste aller Menschen. Sokrates lehrte dann auf den öffentlichen Plätzen Athens und unterwies vor allem Knaben, indem er Lehrdialoge führte und durch seine Methode der Mäeutik485 die Menschen zur Wahrheit führen wollte. Dahinter stand die Auffassung, daß jeder Mensch aufgrund seiner Vernunft die Wahrheit in sich trage, diese jedoch erst durch ein gezieltes Frage- und Antwortspiel "geboren" werden müsse. Die Aufschrift von Delphi: Γνοθι σεαυτον = "Erkenne dich selbst" war eine seiner Lebenswahrheiten. Sein Schüler, Platon, schilderte ihn in seinen Dialogen als einen Menschen, der sein wahres Gesicht hinter dem Bekenntnis zur eigenen Unwissenheit verbarg ("Ich weiß, daß ich nichts weiß"), dessen Scharfsinn ihn jedoch befähigte, die Argumentation seines Gegners zu durchschauen und zu untermauern. Das wurde ihm aber zum Verhängnis, als er 399 v. Chr. von Meletos, Anytos und Lykon wegen ασεβεια (=

476 Plat. Apol. 23b, Aristophanes´ Komödie 477 Wilamowitz-Möllendorf: Die griechische und lateinische Literatur. Leipzig, 1924, I 96. 478 Potidaia: 432-430 v. Chr.: Plat. Symp. 219e, Charm. 153a; Delion: 424 v. Chr.: Plat. Symp. 220e, Lach. 181a; Amphipolis: 422 v. Chr. Diog. Laert. II 22/23. 479 Plat. Symp. 220d. 480 Eine zu bezweifelnde Variante dieser Rettung ist bei Diog. Laert. II 22 zu lesen, wo Sokrates den vom Pferde gefallenen Xenophon rettet. Eine ironische Bearbeitung von Sokrates Kriegsteilnahme ist Bertolt Brechts Der verwundete Sokrates. 481 Plat. Apol. 32b. 482 Kratinos frg. 202K, Eupolis frg. 165 K 483 Plat. Apol. 21a. 484 Xenoph. Apol. 14. 485 griechisch: Hebammenkunst Gotteslästerung) und Verführung der Jugend angeklagt wurde. Diese Anklage will Favorinus noch im Staatsarchiv zu Athen gesehen haben.486 Der Wortlaut stimmt im wesentlichen mit dem in Xenophons Memorabilien (I.1) Mitgeteilten überein. Mit Stimmenmehrheit487 wurde er für schuldig befunden. Nach damaligem Brauch durfte Sokrates eine Strafe für sich selbst vorschlagen, verhöhnte jedoch die Richter, indem er eine Belohnung forderte und einen Auftrag auf Speisung im Prytaneion gestellt hat.488 Schließlich starb er durch Trinken des Schierlingsbechers. Er hätte sein Leben retten können, wenn er bereit gewesen wäre, die Anklage als berechtigt anzuerkennen oder Athen zu verlassen, wie sein Freund Kriton ihm dies nahelegte, er tat dies aber nicht. Die Verhandlung und der Tod des Sokrates sind in Platons Apologie, Kriton und Phaidon beschrieben. Höchst unsicher ist alles, was über die Ehe des Sokrates erzählt wird. Neben der bekannten Xanthippe soll er nach Diogenes Laertius (II 26.) auch eine andere Frau, Myrto gehabt haben. Daß Aristophanes’ Komödie keinen Anlaß genommen hat, die ehelichen Verhältnisse des Sokrates irgendwie zu berühren, zeigt, daß in dieser Ehe vom damaligen Standpunkte nichts Besonderes gesehen wurde. Das Bild des zänkischen, lästigen Wesens der Xanthippe geht auf Antisthenes bei Xenophon zurück, wonach Xanthippe die Unerträgliche sei.489 In der römischen Literatur findet sich schon eine Fülle von Anekdoten über Xanthippe, die als häßliche, nicht gesellschaftsfähige Megäre dargestellt wird, die Sokrates verfolgt und ihn bloßzustellen versucht.490 Aus der Schilderung Platons (Phaidon, Apologie) könnte man aus unserem Standpunkte aus folgern, daß Xanthippe eine zärtliche, aber von ihrem Mann unfreundlich und gefühllos behandelte Frau ist.491 Sokrates hat spät die Xanthippe geheiratet, und ihr Name, "blondes Pferd" (durchaus mit erotischer Anspielung) war ein ausgesprochen aristokratischer Name. Ihre Mitgift muß beträchtlich gewesen sein, denn sie wird dem Ehemann das Philosophieren ohne die Mühe einer Arbeit ermöglichen. Sokrates änderte seinen Lebenswandel nach der Heirat keineswegs. Unterhalt und Beistand für die Familie kümmerte ihn wenig und auch auf die Klagen der mit drohendem sozialem Abstieg

486 Diog. Laert, II 40. 487 Vor seiner Rede mit 281, danach ca. 361 von 500 Stimmen. 488 Plat. Apol. 36d. 489 Xenoph. Symp. II 10: γυναικι των ουσων, οιµαι δε και των γεγενηµενων και των εσοµενων ξαλεπωιατη. 490 Es gibt noch ein Studentenlied um 1900: "Xanthippe war ein böses Weib, haut Sokrates zum Zeitvertreib…" 491 Es wäre aber falsch, eine geistige, gefühlsmäßige Gemeinschaft in die attische Ehe hineinzutragen. konfrontierten Xanthippe achtet er nicht. Aus dieser Ehe (bzw. auch aus der mit Myrto) stammen drei Söhne: Lampokres, Sophronikos und Menexenos, von denen die beiden jüngeren beim Sterben des Vaters unter zehn Jahre waren, und auch von seinem ältesten Kind wird nur gesagt: µειρακιον ηδη, also noch jung war492. Xanthippe erkannte mit wachsender Angst, daß sich ihr Mann in tödlicher Gefahr befindet. Sie versuchte auch die Flucht ihres Mannes vorzubereiten, aber Sokrates weigerte sich: Unrecht leiden ist besser als Unrecht tun. Die letzte Nacht verbrachte das Paar gemeinsam in der Gefängniszelle, doch seine letzten Stunden verbringt Sokrates im Kreis seiner Schüler, und die wehklagende Xanthippe hat er nach Hause geschickt.493 Sind schon diese ganz äußerlichen Daten des Lebens des Sokrates von einem Gewebe von Anekdoten und Deutungen aus alter und neuer Zeit verdeckt, so ist die Überlieferung über seine Lehren ganz unsicher.494 Da Sokrates selbst seine Gespräche nicht niederschrieb, geben ausschließlich die Schriften seiner Schüler, darunter Antisthenes, Euklid von Megara, Aristipos, Phaidon von Elis und vor allem Platon und Xenophon Auskunft über seine Persönlichkeit und Denkweise. Zu dem Sokrates-Bild soll auch noch die im Jahre 423 v. Chr. aufgeführte Komödie von Aristophanes Die Wolken stark beigetragen haben. Deutschland beschäftigt vor allem seit Schleiermacher das sogenannte Sokratische Problem, das eng mit der Platonischen Frage zusammenhängt, also inwieweit kann Platons Sokrates-Gestalt authentisch betrachtet werden oder aber nur ein Sprachrohr Platons sei. Dieses Verhältnis war ein Reiz auch für Dürrenmatt. Von keines Philosophen Äußerem wird so viel wie von dem des Sokrates gesprochen; auch darin spricht sich seine Lehre aus: sie war das Leben des individuellen Menschen, zu dessen Eidos der Leib notwendig gehört. Sokrates wird bei Platon495 mit einem Silen verglichen, im xenophantischen Symposion496 vergleicht Sokrates sich selbst mit dem Silen. Als charakteristische Eigenschaften werden die stumpfe Nase, der

492 Plat. Apol. 34d. 493 Weithmann, Michael: Xanthippe und Sokrates. Eros, Ehe, Sex und gender im antiken Athen. München: Deutscher Taschenbuchverlag 2003 494 So zum Beispiel der berühmte Satz von Sokrates "Ich weiß, daß ich nichts weiß" ist ein falsches Zitat: das richtige, ganze Zitat lautet so: "Ich scheine also um dieses wenige doch weiser zu sein als er (ein Ankläger) […] daß ich, was ich nicht weiß, auch nicht glaube zu wissen". (οτι α µε οιδα ουδε οιοµαι ειδεναι) 495 Plat. Symp. 215a ff. 496 Xen. Symp. V 7. große Mund mit wulstigen Lippen, die hervorquellenden runden Augen497 und das fette Leib498 erwähnt.499 Von seinen inneren Eigenschaften werden noch seine Lebensfreude und vor allem seine Trinkfestigkeit erwähnt, so Alkibiades im Symposium: "Und auch wenn hoch gelebt wurde, verstand er allein zu genießen, auch sonst, zumal aber im Trinken, wiewohl er es immer nicht wollte; wenn er einmal dazu gezwungen wurde, übertraf er alle, und, was das Wunderbarste ist, niemals hat irgend jemand den Sokrates trunken gesehen."500 Diese Eigenschaften könnten auf Dürrenmatt eine große Wirkung ausgeübt haben, da er selbst über nicht so vorteilhaftes Äußeres verfügte, sowie eine Vorliebe für den guten Wein hatte. Sokrates´ Charakterzüge, sowie daß jegliche Beschreibung seines Wirkens aus zweiter Hand stammt, bietet einen hervorragenden Stoff für die Phantasie des schweizerischen Schriftstellers, der sich als Philosophiestudent schon viel mit dem griechischen Philosophen – vor allem durch die Lupe von Platons Schriften – beschäftigen mußte. Dieses Sokrates-Bild von Platon wurde dann zuerst durch Dürrenmatts Kierkegaard-Lektüre modifiziert.

4.2.2.2. Das Sokrates-Bild von Kierkagaard und seine Wirkung auf Dürrenmatt

Im Mitmacher-Komplex501 zieht Dürrenmatt als Vergleichsfigur für Cop und als Modell des ironischen Helden Sokrates, der wie Cop bewußt in den Tod geht und für eine Position radikaler Vereinzelung und Subjektivität steht. Während aber Sokrates in ironischem Hinterfragen das vermeintliche Wissen und die sittlichen Begriffe der Athener erschüttert, steht Cop für die Gerechtigkeit, die von der Gesellschaft nicht akzeptiert wird. Cop sei also "nicht im `intellektuellen´ (wie Sokrates), sondern im ethischen Sinne ein ironischer Held"502

497 Dazu: Plat. Theait. 143e., Menon 80a.; Xen. Symp. V. 5.6. 498 Xen. Symp. II 19. 499 Eine größere Anzahl von plastischen Darstellungen des Sokrates ist uns erhalten, man muß aber betonen, daß damals die Bildnisse keine Porträts waren, sondern vor allem einen Typ, im Falle des Sokrates den des Philosophen darstellen. Bei diesen Darstellungen wird auch der Silencharakter betont. Vgl.: Kekulé von Stradonitz: Die Bildnisse des Sokrates. Abhandlung der königlichen preußischen Akademie der Wissenschaften 1908, 37. 500 Plat. Symp. 220a. 501 WA 14, 174. 502 WA 14, 265. Auch im Programmheft zu Dürrenmatts eigener Inszenierung des Mitmachers in Mannheim (Premiere am 31. Okt. 1973) steht, daß Cop kein tragischer Held sein kann, "nur noch ein ironischer Held wie Sokrates und wie die Helden an sich heute". Die Auffassung des Sokrates als Ironiker, als ironischer Held geht auf Dürrenmatts Kierkegaard-Lektüre zurück, und die Eintragungen des Schriftstellers in seiner Agenda (Mai – August 1973) belegen, daß er im Zusammenhang mit der damaligen Arbeit am Kapitel über das Philosophie-Studium für Stoffe. Zur Geschichte meiner Schriftstellerei, eine ganze Reihe von Werken Sören Kierkegaards wiedergelesen hat.503 Diese philosophischen Schriften helfen nach der Krise und (scheinbarer) Orientierungslosigkeit im Schreiben nach dem Mißerfolg der Komödie Der Mitmacher, und bahnen den Weg zum Mitmacher-Komplex, zu den Stoffen, aber prägen eindeutig auch den Plan der neuen Komödie Der Tod des Sokrates. Dürrenmatt liest zu dieser Zeit Kierkegaards Dissertation aus dem Jahre 1841: Über den Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates, die Sokrates- Darstellung in den Philosophischen Brosamen (1844) bzw. die Anschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den Philosophischen Brosamen (1846)504. Laut Ulrich Weber505 kann man drei Phasen in Dürrenmatts Aneignung des Kierkegaardschen Ironiekonzepts unterscheiden: 1. Es geht ihm um den "dramatischen" Aspekt der radikalen Spaltung von Individuum und korrupter Allgemeinheit, die eine tragische Dialektik, ein sinnvolles Selbstopfer verhindert.506 2. Dürrenmatt interessiert sich für die Reflexion des Kommunikations- und Verstehensproblems.507 Die Außenperspektive wird auf den ironischen Helden geführt, dadurch verbindet sich das Problem des ironischen Helden mit dem dramaturgischen Gestaltungsproblem: die radikale Innerlichkeit führt das Drama an die Grenze der Möglichkeit figuraler Darstellung. 3. In der dritten Phase folgt die implizite Übertragung des Konzepts des "ironischen Helden" auf den Ich-Erzähler und die Stilisierung des Textes zum existentiellen

503 Zwischen Mai und August 1973 finden sich Einträge zur Lektüre von Der Begriff der Angst, Die Krankheit zum Tode, Furcht und Zittern, Die Wiederholung und Philosophische Brocken. Siehe Quarto S. 78, Anm. 8. 504 Dürrenmatt benutzt die Ausgabe Kierkegaard: Philosophische Brosamen und Unwissenschaftliche Nachschrift. Hrsg. Von Hermann Diem und Walter Reist. Köln und Olten: Jakob Hegner, 1959 505 Quarto 71f. 506 Passage aus dem Mannheimer Programmheft 507 Siehe Differenz zwischen der Charakteristik Cops in der ersten Fassung, Anfang 1974 und der zweiten Fassung von 1975. Denkprozeß des Ironikers. Die Schwierigkeit der dramaturgischen Gestaltung des ironischen Helden ist auch die des Autors, seine eigene Innerlichkeit auszudrücken.508 Cops Fall kommentierend, stellt der Autor den bewußten Tod bzw. den Selbstmord in der politisch hoffnungslosen Situation als Ausdruck einer letztmöglichen, ironischen Freiheit dar: "Sind jedoch die politischen Umstände humaner, so äußert sich die individuelle Freiheit undramatischer, ja unmerklich, als Freiheit etwa, sich zurückzuziehen, als Freiheit des Schweigens, des Untertauchens, des Nicht-mehr-Mitmachens. Allgemein: Wer verliert, gewinnt seine Freiheit."509 Diese Gedanken führen schon eindeutig zu dem Plan der Sokrates-Komödie, mit der sich Dürrenmatt zwar erst 1984 wieder beschäftigt, aber der existentielle Grundgedanke ist schon eindeutig anhand des Mitmacher-Komplexes zu beobachten. Es soll aber Kierkegaards Schrift Über den Begriff der Ironie näher untersucht werden, da sich eindeutige intertextuelle Bezüge zu der Sokrates-Komödie führen. Am Anfang stellt Kierkegaard folgende Thesen auf, die aus der Sicht des Komödie-Projektes grundlegend sind: "V. Die von Plato dargebotene Apologie des Sokrates ist entweder unecht oder von Anfang bis zu Ende im ironischen Sinne auszulegen.510 VI. Nicht allein, daß Sokrates sich der Ironie bedient hat: er ist vielmehr der Ironie dermaßen hingegeben gewesen, daß er selber ihr Opfer ward. VII. Aristophanes ist bei der Schilderung des Sokrates der Wahrheit am nächsten gekommen. VIII. Die Ironie als die unendliche und absolute Negativität ist die leichteste und unscheinbarste Bezeichnung der Subjektivität."511 Schon die Grundthesen zeigen, wie sehr sich Dürrenmatt an Kierkegaard gerichtet hat. Kierkegaards Werk ist aus zweierlei Hinsicht wichtig: erstens enthält es längere Zitate aus den antiken Prätexten (Folien für Dürrenmatt), zweitens bekommt Dürrenmatt durch Kierkegaards Kommentare ein Novum, das er weiter verwenden bzw. weiter bearbeiten kann. So sagt zum Beispiel Kierkegaard512, daß Plato mittels einer dichterischen Tätigkeit "seinen Sokrates" erschafft: "das Ganze, dafür Plato dem Sokrates zu danken hätte,

508 Nachwort zum Mitmacher, zweite Fassung, 1975, SLA, FD-A-a 29 V, S. 2. 509 WA 14, 210. 510 Hervorhebung von K.K. 511 Kierkegaard: Über den Begriff der Ironie . Mit ständiger Rücksicht auf Sokrates. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1976, S. 9. 512 Kierkegaard, 1976, S. 19. wäre alsdann der Name Sokrates"513, Plato hat Sokrates "dichterisch erschaffen"514. Gerade das ist der Grundeinfall von Dürrenmatt, daß es einen "Sokrates des Sokrates" und einen "des Plato" existiert. Sokrates ist auch bei Kierkegaard ein Individuum, das sich "ständig bei den niedersten Lebensverhältnissen, bei Essen und Trinken verweilte"515, der niemals berauscht gesehen wird, sogar für ihn unmöglich war, es je zu werden516. Das Dasein selbst war ihm stets nur Bild und "alles paßte gleich gut, weil alles Bild und nichts als Bild war"517. Mit Alkibiades hebt an Sokrates das an Silen Erinnernde hervor518, denn dieses äußerlich silenenhaftige Weisheit und Besonnenheit verbirgt, sogar sein eigentliches Element, die Rede, die Zwiegespräche den Silenen ähnlich sei519. Was aber als intertextueller Bezug in die Komödie übernommen wird, sind Platons Texte im Zusammenhang mit Sokrates´ Verurteilung und Sterben, auf die sich der erste Akt der Komödie aufgebaut wird, nämlich Apologie, Kriton und Phaidon. Vom Prozeß und der Verteidigung hebt Kierkegaard hervor, daß Sokrates erklärt, er wolle sich nicht verteidigen "etwa z.B. in dem Sinne des göttlichen Schweigens Christi seinen Anklägern gegenüber"520, auch später521 betont er: "Wir dürfen sagen, entweder es ist das Wort, das da das Individuum erschafft, oder das Schweigen, das es gebiert und nährt."522 In der gesamten Apologie in ihrer Ganzheit sieht Kierkegaard nur eine ironische Konzeption und betont, daß die Forschung in der Apologie ein verläßliches Bild des wirklichen Sokrates erblickt.523 Die Ironie erkennt er darin, daß Sokrates ironisch allzusehr gleichgültig ist, um sich mit den Athener im Ernste einzulassen524, daß er seine Verteidigung in Form von Fragen und Antwort führt, er macht darauf selber aufmerksam: "εαν εν τω ειωθοτι τροπω τους λογους ποιωµαι"525. Noch unverkennbarer ist die Ironie in der Stelle der Plat. Apol. 21b – 23c, wo Sokrates die Wahrhaftigkeit jenes Orakelspruches, der ihn für den weisesten erklärt

513 Kierkegaard, 1976, S. 124. 514 Kierkegaard, 1976, S. 128. 515 Kierkegaard, 1976, S. 21 ** 516 Plat. Symp. 220a, zitiert in Kierkegaard, 1976, S. 29. 517 Kierkegaard, 1976, S. 21 ** 518 Plat. Symp. 216d – 217a. 519 Plat. Symp. 221d. 520 Xen. Mem. IV 8,8; Kierkegaard, 1976, S. 29. 521 Kierkegaard, 1976, S. 34. 522 Hervorhebung von K.K.; vgl. auch Kierkegaard, 1976, S. 163, 210. 523 Kierkegaard, 1976, S. 86. 524 Kierkegaard, 1976, S. 98* 525 Plat. Apol. 27ab.: "Wenn ich auf meine gewohnte Weise die Sache führte". habe, darzustellen sucht, das Prahlerische liegt schon in der Ausführlichkeit, wie Sokrates davon redet. Ebenso erklärt Sokrates, er sei ein berühmter und ausgezeichneter Mann526 und seine Bestimmung sei eine göttliche527, er sei sogar der größte Wohltäter der Stadt528, deshalb möge man ihm im Prytaneum Lebensunterhalt gewähren.529 Er warnt sogar die Athener davor, ihn zu verurteilen, nicht um seinetwillen, sondern um ihrer selbst willen: "µη τι εξαµαρτητε περι την τοι θεου δοσιν υµιν εµου καταψη φισαµενου".530 Von Kierkegaard wird noch eine Anekdote zitiert, laut dessen Sokrates von Lysias eine Verteidigungsrede erhielt und zwar durchlas, aber erklärte, er sehe keinen Anlaß, von ihr Gebrauch zu machen, obwohl es ganz gewiß eine ausgezeichnete Rede sei. 531 Sokrates´ Tod war selbstverschuldet, behauptet Kierkegaard532, zitiert sogar Hegel533 und sein Tod war nicht tragisch, denn für einen tragischen Helden hat der Tod Gültigkeit534: "Jedoch, es ist nun Zeit, daß wir gehen, ich, um zu sterben, und ihr, um zu leben. Wer aber von uns beiden zu dem besseren Geschäft hingehe, das ist allen verborgen außer nur Gott."535 Bevor wir uns konkret ansehen, wie der schweizerische Schriftsteller diese Kierkegaard-Stellen übernimmt und bearbeitet, muß man sich Kierkegaards Einstellung zu der anderen antiken Quelle, nämlich Aristophanes betrachten: "Plato und Aristophanes haben nun das miteinander gemein, daß ihre Darstellung idealisch ist, jedoch so, daß die eine die Umkehrung der andern ist. Plato hat die tragische Idealität, Aristophanes die komische".536 Der verbreiteten Auffassung, Aristophanes bezichtige Sokrates in den Wolken der Sophisterei und habe der Anklage im Prozeß gegen Sokrates wichtige Argumente geliefert, hält Kierkegaard entgegen, Aristophanes habe den "wirklichen Sokrates" auf die Bühne gebracht.537 Kierkegaard erwähnt, daß es in der Antike berichtet wurde, die Aufführung der Wolken sei mit der Anwesenheit des Sokrates selbst beehrt, welcher sich zum

526 Plat. Apol. 20cd, 23ab, 34e. 527 Plat. Apol. 31a. 528 Plat. Apol. 30a, 30e, 36d. 529 Kierkegaard, 1976, S. 42, 96, 196. 530 "Damit ihr nicht gegen des Gottes Gabe an euch etwas sündigt durch meine Verurteilung". Plat. Apol. 30d. 531 Diog. Laert. II. 40. 532 Kierkegaard, 1976, S.194. 533 Hegel, Geschichte der Philosophie, Werke, Jubiläumsausgabe, XVIII, S. 113ff. 534 Kierkegaard, 1976, S. 267. 535 Plat. Apol. 42a. 536 Kierkegaard, 1976, S. 131. 537 Kierkegaard, 1976, S. 133. Vergnügen des Publikums während der Vorstellung erhob, damit sich die im Theater versammelte Menge von der Ähnlichkeit überzeugen konnte.538 Der dänische Philosoph betont aber, daß Sokrates von Aristophanes als Persönlichkeit, Individuum verstanden wurde. Zu dieser (komischen) Persönlichkeit gehörte laut Aristophanes der Genuß, seine göttliche Faulheit, seine Beschwatzung, daß er sich wie die Wolken verhält. Kierkegaard deutet das Symbol der Wolken als Sinnbild der Sokratischen Ironie, der sich ins Nichts auflösenden beweglichen Form, die das Wesen des Sokrates ausmache. Laut der Komödie nimmt Sokrates für seinen Unterricht nicht nur Geld entgegen, sondern zum Beispiel auch einen Sack voll Mehl von Strepsiades, aber bei ihm kommt noch ein bei Dürrenmatt wieder auftauchendes Element vor: Als man im Phrontisterion kein Abendessen hatte, "In der Ringschule streut er Asche auf den Tisch, dann nahm er ein Bratspießer und verbog´s, als Zirkel darauf", "Und hurtig hatt´ er das Oberkleid dort wegstipitzt".539 Es gibt noch eine Erzählung bei Kierkegaard, die später bei Dürrenmatt eine wichtige Rolle spielt: Plato habe Dionysios dem Älteren die Wolken übersandt, um ihm dabei zu verstehen zu geben, er könne aus diesem Stück den athenischen Staat kennenlernen.540 Hier können die antiken bzw. modernen (Kierkegaard) Prätexte gefunden werden, die Dürrenmatt bei der Komödie benutzte/benutzen wollte, und zusammenfassend könnte man sagen, Platon sieht in Sokrates einen tragischen, Aristophanes einen komischen, Kierkegaard einen ironischen Helden, aus dem Dürrenmatt einen grotesken macht.

4.2.2.3. Der Tod des Sokrates als Komödie

Wenn man Dürrenmatts Sokrates-Gestalt mit den antiken Prätexten und Kierkegaards Interpretierung vergleicht, kommt man auf die Einsicht, daß fast alle Elemente irgendwie schon da vorkommen. Das Novum des Dürrenmattschen Textes besteht wiederum in dem Zusammenstellen dieser Elemente, bzw. basiert auf zweierlei

538 Kierkegaard, 1976, S. 131. 539 Zitiert in Kierkegaard, 1976, S. 146 * 540 Kierkegaard, 1976, S. 159. Einfällen: auf der Idee des zweifachen Todes von Sokrates sowie dem Verhältnis Platon-Sokrates, also der Neuinterpretierung des sogenannten Sokratischen Problems. Da "Die Komödie" nur noch als Plan existiert, gibt es Dürrenmatt die Möglichkeit, die Personen sowie die Vorgeschichte detaillierter darzustellen. Dieser Teil (Seiten a-c, 1- 10) steht einer Prosa – der späteren Erzählung – näher, aber in diesem Fall ist noch Sokrates, sein zweifacher Tod und seine Beziehung zu den anderen Aktoren des Stückes im Mittelpunkt: "Die Handlung ergibt sich aus den Beziehungen und Interessen der so unterschiedlichen Charaktere. Sie beginnt mit dem Tod des Sokrates in Athen und endet mit dem Tod des Sokrates in Syrakus. Wie ein Mensch zweimal sterben kann, wird diese Geschichte, dieses Stück erzählen".541 Die Beschreibung der handelnden Personen beginnt mit Sokrates: "Verkrachter Bildhauer, volkstümlicher Philosoph, großer Geschichtenerzähler, fröhlicher Trinker. Der Staat interessiert ihn nur insofern, als er ihn in Ruhe läßt, also gar nicht. Sokrates ist apolitisch, seine Philosophie ist `das Individuum´. Sokrates ist außerordentlich populär."542 Erst dann kommt die Charakterisierung von Platon. In der Erzählung in den Stoffen ist diese Reihenfolge umgekehrt, das zeigt auch die Akzentverschiebung der Aussage, wie Platon und seine Ideologie immer mehr in den Vordergrund tritt und den Stoff bestimmt. "Neffe des Kritias, einer der Tyrannen von Athen, einem Patakos vergleichbar, aus erster adliger Familie, reich, intellektuell, ein brillianter Formulierer, ist besessen von der Idee des idealen Staates. Er will diesen Staat verwirklichen, aber es fehlt ihm an Popularität, so benutzt er den populären Sokrates als Ideenträger. Sokrates bringt Platons Texte, auswendig gelernt, unters Volk, da er an keinen Staat glaubt, ist es ihm gleichgültig, welchen er propagiert. Er ist Pragmatiker, und der `Ideale Staat´des Plato bringt ihm Geld."543 An einer späteren Stelle wird Platos Politikergesicht schon stärker betont – es ist aber fraglich, inwieweit diese Gedanken von Popper auf der Bühne hätten durchgesetzt werden können. "Seine große Leidenschaft war, Politiker zu werden, Politik wissenschaftlich zu begründen. Der erste und radikalste Ideologe der Weltgeschichte entwarf in seinem `IDEALEN STAAT´ (eine Art kommunistisches Manifest) eine Staatsvision marxistischer Prägung. Aber wie sie durchführen? PLATO war unpopulär, ja verhaßt, man haßte den Clan, aus dem er stammte, man haßte seine Anhängerschaft, den schönen Alkibiades, der sein Schüler war. Onkel Kritias allein hatte 15000 Athener hinrichten lassen, mehr Tote, als der ganze Peloponnesische Krieg gefordert

541 FD-A-r32 II, S. c. 542 FD-A-r32 II, S. a. 543 FD-A-r32 II, S. a. hatte. Die Erinnerung war zu frisch, das vergossene Blut der Bürger verschmierte die Vision vom idealen Staat. Plato war zu klug, es nicht zu wissen, und zu ideologisch aufzugeben. Ideologen sind selbstprogrammierte Menschheitsbeglücker, ihr kategorischer Imperativ zwingt sie, dem moralischen Gesetz in sich zu folgen und alle Menschen unter dem gestirnten Himmel zu Bürgern zu zwingen, weshalb der Brudermord nie endet."544 Die Figurenkonstellation ist noch komplizierter als später in den Stoffen: die Sokrates ebenbürtige Figur ist Xanthippe. Sie ist das erhaltende Prinzip, sorgt für ihren Mann und ihre Familie, sieht die folgenden Ereignisse im voraus, in ihrer Suppenküche treffen sich die anderen Aktore, die das Sokratesbild geprägt und sein Schicksal verursacht haben. Da ist die Rollenverteilung ganz symmetrisch: Männer stehen Frauen gegenüber: Sokrates Xanthippe Sohn, Pheidippides Tochter Platon Pythia, Tante Aristophanes Diotima, Salondame (ihre Rolle im Stück ist nicht geklärt, kommt in der dritten Szene vor) Dazu kommen zwei Männer in Syrakus: Dionys Damokles Die da vorkommenden Personen geben immer einen weiteren Aspekt des Sokrates- Bildes, die die Rolle und Person des Sokrates bestimmen: die orakelnde Tante, die den Neffen den weisesten Mann erklärt, Platon, der seine fiktiven Texte in den Mund des Sokrates legt, Aristophanes, der mit den Wolken die komische, ironische Seite darzustellen versuchte, der aber Argumente für den Prozeß gegen Sokrates geliefert hat. Dionys ist ebenso ein Tyrann, wie es Platon sein wollte, und ein vitaler, lebensfroher, das Leben genießender trinklustiger Mensch wie Sokrates. Während sich aber Sokrates gar nicht für die Macht interessiert, herrscht er mit uneingeschränkter Willkür über seine Untertanen – wofür Damokles das beste Beispiel sei. Alle Aktore geben also eine weitere Farbe der Sokratischen Palette – die Dominanz von Platon ist noch nicht so eindeutig wie in den Stoffen. Die Rolle des historischen Platons ist aber auch durch die antiken Folien (Symposion, Apologia, Phaidon, Kriton) prägend. Die Dominanz der antiken Prätexte ist in der Komödie besonders deutlich. Dürrenmatt hat sein Werk aus antiken Texten komponiert, indem er die Schriften von Platon und Aristophanes aufs engste miteinander verwoben hat. Schlüsselsatz für den intertextuellen Hinweis im Prolog wäre der Schluß der Platonischen Apologie des Sokrates, wo Sokrates die Athener mahnt, sie gehen ihren Geschäften nach und er gehe

544 FD-A-r32 II, S. 4f. sterben, wer aber das bessere Geschäft545 macht, wissen nur die Götter. Von dem Plan dieses Prologs wissen wir nur aus dem Film, das Drama fängt gleich in der Suppenküche der Xanthippe an. Sokrates´ Apologia wird via Fernseher ins Hinterzimmer von Xanthippes Antiquariat ausgestrahlt. Das medial vermitteltes Endgericht wird aber im zweiten Akt als publizistische Ente entlarvt. Dem erhabenen Stil der Apologia steht die Plauderei der Anwesenden in der Suppenküche gegenüber. Der schnelle Wechsel zwischen den Räumen, Milieus und Codes, vom Areopag ins Antiquariat von Xanthippe, vom Gericht zu der sozial ausgegrenzten Gesellschaft, vom gelehrten Disput zum Klatsch, überspringt leicht Bereiche, die in den antiken Prätexten noch sauber getrennt waren: in Platons Apologia bzw. Aristophanes´ Wolken. Die Fallhöhe wird aber kaum bemerkt, da die Prätexte so stark integriert werden. »Im Antiquariat von Xanthippe hocken sie gebannt vor dem Fernseher: Pythia, die Seherin, die murmelt wie die Quelle von Delphi "das geht nicht gut aus, das geht nicht gut aus…", Aristophanes schweigend, Plato, erregt, elektrisiert, Sokrates´ Sohn, gelangweilt, Popcorn kauend, mit der Tüte knisternd, von Xanthippe, die wie ein Tiger im Käfig hin und hergeht, im Vorbeigehen mit einer Maulschelle bedacht und seiner Knistertüte beraubt wird. Der gelangweilte Jüngling greift nach dem Fernsehschalter. Aus dem Fernsehapparat die Stimme des Sokrates, der sich vor dem Volksgerichthof verteidigt gegen den Vorwurf, die Jugend verdorben zu haben mit seinen Lehren. Er spricht geschliffen, geistvoll. Jetzt erscheint er im Bild, ein großer Mime, der mit großer Geste und der Apologie des Platon um sein Leben kämpft. Plato ist entzückt, "er ist fabelhaft, er redet sich um seinen Kopf". Xanthippe ist wütend, "der eitle Idiot, er redet sich um seinen Kopf", Pythia orakelt, "das geht nicht gut aus, das geht nicht gut aus", Aristophanes allein schweigt.«546 Für die familiären Verhältnisse sowie den Gesprächsstil im ersten Akt sind Die Wolken der zugrundeliegende Prätext. So heißt z. B. bei Aristophanes der Sohn des dummen Bauern, der in das Phrontisterion geschickt wurde, Pheidippides – bei Dürrenmatt wird er zum leiblichen Sohn des Sokrates. Der geschichtliche Sokrates hatte drei Söhne, der in der Komödie hat einen Sohn und eine Tochter. Bei Dürrenmatt ist diese Familienkonstellation geläufig – man soll zum Beispiel an Ill in dem Besuch der alten

545 Irmgard Wirtz schreibt eine Bedeutung der Wortwahl "Geschäft" statt Schicksal oder Los zu und als andere Übersetzungsmöglichkeit zitiert sie Manfred Fuhrmanns Übersetzung (Stuttgart, 1986). Man muß aber anmerken, daß das griechische Wort πραγµα ein polysemantisches Wort sei, eigentlich die Bedeutung "Sache", auch "Geschäft" habe, also ist die Übersetzung nicht so überraschend. Andererseits benutze Dürrenmatt dieses Wort nicht nur wegen ihrer "modernen Wirkung", sondern einfach weil in Hirschs Kierkegaard-Übersetzung – aber auch in Schleiermachers Übersetzung von Platon, die hier benutzt wurde, dieser Terminus steht. Kierkegaard, 1976, S. 90.; Vgl. auch: Kierkegaard, 1976, S.189: "wie ich rede und mein Geschäft verrichte"… (Apol. 33a.) und S. 163: "Aber Sokrates, was ist denn also dein Geschäft" (Apol. 20c.), Wirtz, Irmgard: Dürrenmatts ungeschriebenes Drama Der Tod des Sokrates. In: Quarto, S. 80-91, hier S.83. 546 FD-A- r32 II, S.10f. Dame, oder an Frank V denken – und auch in diesen Werken ist Gefühllosigkeit dem Vater gegenüber typisch. Außer diesen inneren intertextuellen Bezügen ist aber der zu Aristophanes sehr stark. Beide Pheidippides haben nur Rennsport im Kopf: was in dem antiken Athen der Pferderennsport ausmachte, bedeutet den modernen Jugendlichen die Motorräder. Dürrenmatt betont also, daß die Erziehungsprobleme die gleichen geblieben sind. Auch mit der Tochter – "Vaters Augenlicht und Mutters Hoffnung fürs Alter" – gibt es Probleme. Sie ist Hetäre – was aber von den Eltern gewollt und unterstützt ist, denn das brächte finanzielle Sicherheit für die Familie.547 Statt zu kassieren, finanziert sie aber ihre große Liebe: "einen esoterischen langhaarigen Jüngling, der von der idealen Gesellschaft träumt. Wenn sie nicht gerade `anschafft´, träumt sie mit ihm, gemeinsam löffeln sie Xanthippes Suppe".548 Die ersten beiden Szenen in der Suppenküche sind die einzigen, die Dürrenmatt schriftlich ausgearbeitet hat. Da verhandeln Xanthippe, die Pythia und Aristophanes in absentia über Sokrates, und indem sie sich gegenseitig beschuldigen und rechtfertigen, legen sie Rechenschaft über ihre Mitschuld an seinem bevorstehenden Tod ab. Die Pythia ist da Sokrates´ orakelnde Tante, die wie Dürrenmatts frühere Pythia-Figur "einen Witz gemacht hat" und "Sokrates machte ernst"549. Sie orakelt zwar um ihrem Neffen zu helfen, aber glaubt selbst an Orakeln nicht, was sie schon beim Betreten der Suppenküche mit ihrer ersten Frage verrät: "Ist er freigesprochen?" Nachdem sie etwas Suppe bekommt, wiederholt sie den Satz, diesmal aber nicht als Frage, sondern als Aussage: "Er wird freigesprochen werden". Es ist, als ob sie schon mit einer Suppe bestochen werden könnte… Sie schiebt die Schuld für Sokrates´ Schicksal auf Aristophanes und dessen Darstellung in den Wolken. Aristophanes läßt aber den Vorwurf nicht gelten, da seine Stücke nicht mehr gespielt werden. "Alle überlieferten Rollenbilder werden bei Dürrenmatt konterkariert: Die Seherin weiß nichts über die Wirkungsmacht ihrer Sprüche, der Dichter hat zur Rezeption seiner Stücke ohnehin nichts zu sagen und recht behält am Ende allein die historisch diskreditierte Xanthippe".550 Die ersten beiden Akte adaptieren Platon: während die erste Sterbeszene im Fernseher Apologie parodiert, so refiguriert der zweite Akt im "Gefängnis für

547 Das ist wiederum ein intertextueller Bezug einerseits zu Franks Tochter, aber auch zu den Hetärengesprächen von Lukian. Daß dieser letzte Text von Dürrenmatt wohlbekannt ist, zeigen die Namen der Pythien in dem Sterben der Pythia. 548 FD-A-r32 II, S.1. 549 FD-A-r32 II, S.2. 550 Wirtz (Quarto), S. 86. Politische" den Kriton. Diese Szenen sind nur in der Inhaltsangabe beschrieben. Sokrates weigert sich, wiederum Texte zu erlernen, er ist des Lebens müde. Die antiken Texte wurden von Dürrenmatt demontiert: wie Sokrates im Gefängnis sitzt, wie er von seiner Frau und seinem Sohn besucht wird, auch Phaidon wird vorgetragen – aber von Aristophanes, der statt Sokrates stirbt; auch die Einladung von Dionys ist gekommen – aber nicht für Platon, sondern für Sokrates, der für den Verfasser der Politeia geglaubt wird. Dürrenmatt remontiert diese Elemente, während er auch mit Gags für die komische Wirkung sorgt. Er stellt zum Beispiel dar, wie Sokrates mit Selbstporträts – die später auch gefälscht werden können – für die Zukunft seiner Familie sorgt. Der mittlere Akt bringt die Peripetie und damit den Wendepunkt des Dramas: im Unterschied zu den antiken Prätexten ergreift Sokrates den Fluchtweg. Er flieht auch vor Platons Texten, indem er sich dagegen sträubt, sterbend den Phaidon zu rezitieren. Auch das Drama selbst löst sich von den Platonischen und Aristophanischen Prätexten. Im dritten Akt verwendet Dürrenmatt einen dritten, noch ironischeren Prätext: Wielands Geschichte des Agathon (1766), genauer das neunte und zehnte Kapitel. Bei Wieland erhofft sich der Erzähler von Agathon, daß er "dasjenige zu Stande bringen könnte, was Plato vergebens unternommen hatte"551. Agathon reist nach Syrakus, dort gewinnt er mit Citharspiel die Gunst des Tyrannen, und versucht ihn davon zu überzeugen, warum die Monarchie die beste Staatsform sei, scheitert aber an höfischen Intrigen, als er in Syrakus diese zu verwirklichen versucht. Dürrenmatts Sokrates wird auf den Vorschlag von Damokles nach Syrakus eingeladen. Der arme Kerl mit dem berüchtigten Schwert versucht seinen Herrn immer "bei guter Laune zu halten und deshalb hat ihm die Idee mit dem großen Herrscher eines idealen Staats in den Kopf gesetzt. Daß dieser Herrscher tugendhaft und enthaltsam sein muß, hat er Dionys nicht erzählt".552 Dionys, dieser "lebensfrohe Maffia-Boß von subtiler Boshaftigkeit und vitaler Unbildung" möchte gerne als großer Herrscher in die Geschichte eingehen. Deshalb lädt er Sokrates ein, denn "so wie Plato sich den populären Sokrates als Ideenträger ausleiht", so auch Dionys die "Sokratische" Philosophie, als eine Ideologie, die seine Tyrannis legitimiert.553 Zwar versucht Sokrates im Gegensatz zu Agathon bei Dionys nichts zu erreichen, aber es kommt auch hier zu einem Wettbewerb. Es ist aber kein Citharspiel oder rhetorischer Streit, sondern ein Trinkerwettstreit: "der Konflikt wird also im Bereich der vitalen Triebhaftigkeit ausgetragen und in genau dieser Sphäre scheitern die

551 Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Erste Fassung. Frankfurt, Leipzig 1766, S. 445. 552 FD-A-r32 II, b. 553 FD-A-r32 II, b. Helden Wielands mit ihren philosophischen Disputen und staatstheoretischen Konzepten".554 Man kann eine für Dürrenmatt typische bühnenwirksame Trinkorgie sehen555, die gleichzeitig eine Illustration tyrannischer Willkür ist: Sokrates gewinnt, aber ein echter Tyrann greift im Falle einer Niederlage zur nackten Gewalt – so muß Sokrates zum zweiten Mal sterben.

4.2.2.3. Der neue Prätext: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde von Karl R. Popper

Die Bearbeitung des Sokrates-Stoffes zeigt vor allem die Gedankengänge von Karl R. Popper556 und seine Auffassung über Platon, die er in seinem Werk Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Band 1. Der Zauber Platons erörtert. Der Plan dieses Buches entstand am 13. März 1938, als Popper von Hitlers Einmarsch in Österreich hörte, und schrieb das Buch über die offene Gesellschaft in Neuseeland, in den Jahren 1938-42. Vor dem geschichtlichen Hintergrund Nazismus und Kommunismus, Hitler und Stalin ging Popper "auf der Spurensuche in der Geschichte; von Hitler zurück zu Platon: dem ersten großen politischen Ideologen, der in Klassen und Rassen dachte und Konzentrationslager vorschlug".557 Popper wurde für diese Auffassung öfters getadelt, aber wie er formuliert: "ich glaube noch immer an die Notwendigkeit, Platon aufs schärfste zu kritisieren, und gerade deshalb, weil die allgemeine Verehrung des >göttlichen Philosophen< eine wirklich ernsthafte Grundlage in seiner überwältigenden geistigen Leistung besitzt".558 "Ich bewundere vieles an Platon, besonders jene Teile seines Werkes, die meiner Meinung nach unter dem Einfluß des Sokrates verfaßt wurden; aber ich halte es nicht für meine Aufgabe, den zahlreichen Werken, die seinem Genius den schuldigen Tribut zollen, ein weiteres hinzuzufügen. Ich sehe meine Aufgabe vielmehr darin, jene Elemente seiner Philosophie zu zerstören, die meiner Ansicht nach Unheil anrichten. Die totalitäre Tendenz in Platons politischer Philosophie ist es, die ich zu analysieren und zu kritisieren versuchen werde."559

554 Wirtz (Quarto) S. 84. 555 Vgl. Die Wiedertäufer: WA 10, 88f.; Die Panne. WA 94ff. 556 Kiesewetter, Hubert: Karl Popper – Leben und Werk. Eichstätt 2001 557 Popper, Karl R.: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Vorwort zur 7. deutschen Auflage. Tübingen: Mohr, 1992; S. IX.; Das Werk, das nach 1945 weltweite Resonanz erfuhr, in 23 Sprachen übersetzt wurde und Popper zu dem bedeutendsten politischen Philosophen des 20. Jahrhunderts machte, konnte über drei Jahre lang weder in den USA noch in England veröffentlicht werden. Siehe: Karl R. Popper: Ausgangspunkte. Meine intellektuelle Entwicklung. (1979). 4. Aufl. Hamburg, 1987. 558 Popper, 1992, S. XVIIf. 559 Karl R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Bd. 1. Der Zauber Platons. 8. Auflage. Tübingen: Mohr Siebeck, 2003, S.42. Popper findet es wichtig, so ein Buch zu schreiben, denn "es erhebt sich die Frage, wieviel Schaden seine [Platons] giftgefüllten Schriften wohl angerichtet haben mögen, wenn sie, unwidersprochen, geringeren Geistern vorgelegt wurden […]"560. Platon verwendet nämlich eine Hochflut von erhabenen Gedanken, Bildern und Worten, die die Lückenhaftigkeit seiner Argumentation bzw. das völlige Fehlen rationaler Argumente verhüllen. So ist zum Beispiel Platons "weitschweifige Vorrede" des Staates ein genialer Versuch, ein "Schauspiel", "ein hochdramatischer Dialog" zu sein, der die Bestimmung hat, die Fähigkeit der Leser zu kritischer Betrachtung einzuschläfern.561 Deshalb ist es so schwer, Platon zu kritisieren, denn "angesichts aller Ausführungen über das Gute, über die Gerechtigkeit und über die anderen hier erwähnten Ideen […] bedarf meine These der Verteidigung, daß seine [Platons] politischen Forderungen rein totalitär und antihumanitär sind"562. Platon wußte sehr gut, was er tut und glaubte ehrlich daran, daß die Gleichheit etwas Schlechtes ist, die Gefahren in sich verbirgt, aber er wagte nicht, "seinem Feind offen ins Angesicht zu schauen"563. Zwar hatte Platon noch einige ehrlich humanitäre Gefühle vor dem Schreiben seiner Politeia, als er noch unter dem Einfluß von Sokrates stand, aber "Niemals war es einem Menschen ernster mit seiner Feindschaft gegen das Individuum. Und dieser Haß ist tief in dem fundamentalen Dualismus der Platonischen Philosophie verwurzelt; Platon haßte das Individuum und seine Freiheit ebensosehr wie die wechselnden besonderen Erfahrungen und die Vielfalt der veränderlichen Welt wahrnehmbarer Dinge. Auf dem Gebiet der Politik ist das Individuum für Platon der Böse selbst".564 Platon hatte nur eine maßgebende Größe anerkannt: das Interesse des Staates, und die Tugend heißt für ihn: den eigenen Platz beizubehalten.565 Er argumentiert mit geschickter Methode – und erreicht einen verblüffenden Erfolg, ist aber unehrlich. In seiner Lehre spielen Totalitarismus und Rassismus eine wichtige Rolle, seine Ideen werden von utilitarischen und totalitären Prinzipien beherrscht.566 Im Kapitel Die offene Gesellschaft und ihre Feinde sagt Popper zusammenfassend von Platon, daß er ein totalitärer Parteipolitiker war, dem "bei seinen unmittelbaren praktischen Unternehmungen der Erfolg versagt blieb, dessen

560 Popper, 2003, S. 52. 561 Popper, 2003, S. 118. 562 Popper, 2003, S. 107. 563 Popper, 2003, S. 112. 564 Popper, 2003, S. 124f. 565 Popper, 2003, S. 129. 566 Siehe dazu: Popper, 2003, S. 167, 177, 202. Propaganda dafür, die ihm verhaßte Zivilisation zum Stillstand zu bringen, ja sogar zu vernichten, auf die Dauer leider nur zu erfolgreich war".567 Platons Romantizismus mag sein himmlisches Staatswesen suchen – aber "sogar mit der besten Absicht, den Himmel auf Erden einzurichten, vermag er diese Welt nur in eine Hölle zu verwandeln – eine jener Höllen, die Menschen nur für ihre Mitmenschen bereiten"568. Der Platonische Politiker komponiert Staaten – um ihrer Schönheit willen. Aber Popper glaubt nicht, daß man Menschenleben als Mittel verwenden darf, um das Ausdrucksbedürfnis eines Künstlers zu befriedigen, wie Platon das mit Sokrates gemacht hat. Diesem totalitären Ideologen und seiner Staatsauffassung wird die Gestalt des Sokrates gegenübergestellt, vor allem sein moralischer Intellektualismus. Darunter versteht Popper: a.) seine Identifikation von Tugend und Weisheit, seine Theorie, daß niemand gegen sein besseres Wissen handle und daß alle moralischen Irrtümer einem Mangel an Wissen zuzuschreiben seien; b.) seine Theorie, daß sich die moralische Vortrefflichkeit lehren läßt (seine Methode beschreibt er als eine Form der Geburtshilfe). Zu dem wahren Wissen gehören aber die Selbstkritik, daß man seine eigenen Unzulänglichkeiten erkennt, bzw. daß man sich von den Vorurteilen befreit. Sokrates hat immer betont, er ist nicht weise, er ist nicht im Besitz der Wahrheit – er sucht, forscht nach der Wahrheit, die er liebt. Wenn er je gesagt hat, die Staatsmänner sollten Philosophen sein, dann nur im Sinne Forscher der Wahrheit, die der Schranken der eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten bewußt sind. Von Platon wurde aber diese Doktrin verändert, denn sein königlicher Philosoph ist kein bescheidener Forscher mehr, sondern eitler Besitzer der Wahrheit, göttlich, allwissend, allkönnend.569 Sokrates ist ein Anhänger der Gleichheit vor dem Gesetz und Individualist – "vielleicht der größte Apostel einer individualistischen Ethik, der je gelebt hat"570. Sokrates sollte den größten Beitrag zu dem Glauben an die offene Gesellschaft leisten, er starb sogar für ihn. Popper glaubt nicht, daß Sokrates zu sterben wünschte, sondern "er kämpfte einfach für das, was er für richtig hielt, für sein Lebenswerk".571 Sein Tod "ist der letzte Beweis seiner Aufrichtigkeit. Sein Mut, seine Einfachheit, seine 567 Popper 2003, S. 203. 568 Popper, 2003, S. 200. 569 Popper 2003, S. 158. 570 Popper 2003, S. 154. 571 Popper 2003, S. 230. Bescheidenheit, seine Selbstironie und sein Humor verließen ihn nie".572 Er zeigt, daß ein Mensch auch für die Freiheit des kritischen Denkens und für seine Selbstachtung sterben kann. Platon war nach Popper Sokrates´ genialster Schüler, aber auch der treuloseste, der seinen Meister verriet. Er "tat sein möglichstes, um Sokrates in seinen großartigen Versuch zu verwickeln, eine Theorie der entarteten Gesellschaft zu konstruieren; und er war erfolgreich, denn Sokrates war tot".573 "Ich kann nicht an der Tatsache des Verrats Platons zweifeln, noch daran, daß seine Verwendung von Sokrates als Hauptsprecher des Staat ein erfolgreicher Versuch war, ihn für diesen Verrat mitverantwortlich zu machen".574

"Platon wurde damit unbewußt der Pionier der vielen Propagandisten, die, oft in gutem Glauben, die Technik entwickelten, moralische und humanitäre Gefühle für unmoralische und unmenschliche Zwecke zu verwenden. Und er hatte damit die überraschende Wirkung, daß er sogar große humanitäre Denker von der Unmoral und Selbstsucht ihres Glaubens überzeugte. Und ich zweifle nicht, daß es ihm gelang, sich selbst völlig zu überzeugen."575

Diese Gedanken von Popper erscheinen zwar in Spuren schon in der Komödie von Dürrenmatt, aber in ihrer vollständigen Gestalt kommen sie erst in der Erzählung zum Vorschein. Ihnen ist es zu verdanken, wie der alte Stoff umgestaltet wird und einen ganz neuen, politischen Akzent bekommt.

572 Popper 2003, S. 231. 573 Popper 2003, S. 231. 574 Popper 2003, S. 232. 575 Popper 2003, S. 236f. 4.2.3. Verwirklichung des Stoffes: Der Tod des Sokrates als Erzählung

4.2.3.1. Der Rahmen: Das Haus in den Stoffen

"Mein Philosophiestudium wurde zur Brutstätte meiner Schriftstellerei, und als ich es aufgab, gab ich es nicht auf." (WA 29,131)

"Aus dem Wallis zurück, belegte ich auf der Universität Bern Philosophie als Hauptfach, Psychologie als obligatorisches Nebenfach und als freies Nebenfach Nationalökonomie, aus Verlegenheit, nachdem ich mich in verschiedenen Nebenfächern herumgetrieben hatte."576 – so fängt das Kapitel Das Haus an, in dessen Rahmen die Erzählung Der Tod des Sokrates eingesetzt wurde. Die Stoffe sind die Antwort auf die Frage nach Dürrenmatts Subjektverständnis, nach seiner Sache und seinem Glauben und widerspiegeln seine subjektive Auseinandersetzung mit der begrifflich und gesellschaftlich objektivierter Realität. Man kommt nicht umhin, Den Tod des Sokrates im Zusammenhang mit dem ganzen Textkomplex Das Haus zu betrachten, das sich aus autobiographischen Bekenntnissen, der Poetik der Dürrenmattschen Schriftstellerei und philosophischem Traktat zusammengesetzt wird. Die Analyse des Textkomplexes bzw. der einzelnen Textsegmente führt zu Homologiebeziehungen über den ganzen Text.577 Der einleitende Text fängt mit einem komischen Vorfall auf dem Weg zur Universität an, woraus die Schlußfolgerung gezogen wird: "lächerliche Vorfälle bestimmen das Leben oft mehr als scheinbar wichtigere, ja tragischere".578 Wie bei der geplanten Komödie gezeigt wurde, folgte Dürrenmatt Kierkegaards These, daß der Komödienschreiber Aristophanes Sokrates´ wahres Gesicht gezeigt habe, und so wollte der schweizerische Schriftsteller die ironische-komische Seite des Sokrates darstellen. Der weitere Gedankengang im Haus führt aber in eine andere Richtung. Aus der "These", es gibt keine Zufälle nur Vorfälle, kommt Dürrenmatt zu dem Philosophiestudium bei Richard Herbertz. Interessanterweise nicht das Studium, sondern Herbertz´ Persönlichkeit führt zu Sokrates-Gestalt. Daß der Professor eine Störung der Gleichgewichtsorgane hatte, so daß er sich beschwipst wie nüchtern, nüchtern wie beschwipst bewegen konnte, führt schon zum Thema /Trinken/, /Rausch/,

576 WA 29, 116. 577 Dazu siehe Maier, René: Friedrich Dürrenmatt: Stoffe. Der Tod des Sokrates. Eine textsemiotische Betrachtung. (Lizentiatsarbeit, Zürich), 1993; Keller, Otto; Hafner, Heinz: Arbeitsbuch zur Textanalyse. Semiotische Strukturen, Modelle, Interpretationen. München: Fink, 1995 578 WA 29, 116. was im Tod des Sokrates eine existentielle Bedeutung für Sokrates hat und ein zentraler Gestus ist, sowie es auf eine Homologiebeziehung zwischen dem leiblichen Herbertz und dem parodierten Sokrates hin weist. Ein weiterer Vorfall mit dem Professor ist seine Teilnahme an der Zusammenkunft einer deutschen Studentenverbindung in Luzern, was in Dürrenmatt "reichsdeutsche Stimmung" hervorruft. Das führt schon zum weiteren Thema, wie das philosophische Interesse des Studenten Dürrenmatt vor dem Hintergrund des europäischen Faschismus zum moralischen Problem angesichts totalitärer Herrschaft wurde. Zunächst werden die Namen Platon bzw. Popper nicht erwähnt, sondern nur das Problem, das Denken in den Griff zu bekommen (wie die Werkzeuge beim Zeichnen und beim Schreiben die Sprache). So wird Kant thematisiert, wie er Wissen und Glauben voneinander trennt. Kants Kritik der reinen Vernunft wurde wichtig für Dürrenmatt − obwohl sie eine Philosophie des Scheiterns darstellt. "Alle Fragen nach dem Ding an sich sind unbeantwortbar. Es führt grundsätzlich kein Ausweg aus dem Bereich des Wißbaren in einen Bereich, von dem aus das Wißbare zu überschauen, in ein System zu bringen wäre. Kant mauerte den Ausgang des Labyrinths zu, es gibt nur noch den >Sprung über die Mauer<, den Glauben, das Paradox Kierkegaards."579 Wieder kommen wir zu Kierkegaard, zum Thema Wissen und Glauben, und so zu einer richtigen Homologiebeziehung zwischen Dürrenmatt und Sokrates, also, daß das erkenntnistheoretische Verhältnis Dürrenmatts zum philosophischen Diskurs /Wissen/ und dem religiösen Diskurs /Glauben/ dem Verhältnis von Sokrates zu diesen beiden Diskursen entspricht. Der schweizerische Autor rannte aus der Philosophie hinaus, hinein in seinen Glauben, aber, was das Entscheidende ist, er rannte in einen subjektiven Glauben, der die Sache jedes Einzelnen ist. Trotzdem soll nach der objektiven Wirklichkeit gefragt werden, soweit diese Wirklichkeit erkennbar ist, wie das Sokrates getan hat: "Der Mensch sei kein Gott, die Welt zu verstehen, der Mensch wisse bloß, daß er nichts wisse, was er unter dieser tristen Vorbedingung trotzdem unternehmen könne, nämlich richtig zu leben, sei seine Angelegenheit, stelle seine eigentliche Philosophie dar."580 Schließlich gelangen wir durch das zentrale Motiv Labyrinth und die Erzählung Die Stadt (Thema der Rebellion) zu der wichtigsten Grundlage der Sokrates-Erzählung: zu Platons Werk Politeia, die aber durch Poppers Lektüre581 nicht mehr als die schöne

579 WA 29, 123f. 580 WA 29, 230.; Maier, S.25. 581 Der Name des Philosophen wird hier zwar nicht erwähnt, aber der intertextuelle Bezug ist eindeutig. Ideenlehre dargestellt wird, sondern als Ideologie mit Dantes Hölle in Parallele gesetzt wird: "Platons Politeia ist Dantes >Hölle<: wird über die Schönheit der Terzinen vergessen, was Dante schildert und woran er glaubt, so deckt die Erhabenheit der Ideenlehre zu, was Platon verwirklichen möchte, eine Gedankenkonstruktion wird bewundert, statt eine politische Ideologie in Frage gestellt. Auch war ich allzusehr mit der Erkenntnistheorie beschäftigt, mit der Frage, was wir wissen können; der Weltkrieg […] stellte für mich nicht ein politisch- ideologisches, sondern ein existentiell-künstlerisches Problem dar".582

4.2.3.2. Die Erzählung Der Tod des Sokrates

Die Erzählung setzt mit Platons Vorhaben ein, "eine Welt zu verändern, die er verachtete". Die Ausgangssituation ist also der privaten der Komödie gegenüber (die Reaktion der Angehörigen auf die Apologie) eine politische. In kurzgerafften Sätzen wird der Leser zuerst mit Platons Charakterisierung konfrontiert, die Prädikatsqualifikationen erhalten. Platon ist "introvertiert", "intellektuell", "unpopulär", "politisch chancenlos", "eminent kurzsichtig", "hochtrabend", "steif", noch dazu "Aristokrat" und "verwandt mit spartafreundlichen Diktatoren".583 Erst dann kommt Sokrates´ Beschreibung, denn Platon übt die Rolle des Destinateurs, des Auftraggebers aus, der sich selber zum Helden machen will, indem er die Welt zu verändern versucht. Zu Platons Charakterzügen kommt sein weltverneinendes, dysphorisches Verhalten: "Er haßte die Athener mit ihrer Demokratie, und besonders haßte er Sokrates. Aus Eifersucht"584. Mit diesem Gestus des Hassens ergibt sich die polemische Achse in dieser Parodie: der Destinateur-Held Platon steht den Subjekten und Objekten seines Hasses gegenüber: Platon vs. die Welt Platon vs. die Athener und ihre Demokratie Platon vs. Sokrates. Nach dieser einleitenden Charakterisierung von Platon wird Sokrates vorgestellt: er ist "dick", "häßlich", aber "populär" und "ein stadtbekanntes Original".585 Während Platon eine geistige, introvertierte Welt vertritt, bevorzugt der extrovertierte Sokrates den

582 WA 29, 129f. 583 WA 29, 144. 584 WA 29, 144. 585 WA 29, 144. menschlichen Kontakt und Kommunikation; Platon gegenüber ist er euphorisch: "stadtbekannt" in Athen und "sehr beliebt". Schon am Anfang der Erzählung werden zwei zentrale Gesten von Sokrates dargestellt: erstens seine Vorliebe, jedermann in "aberwitzige, manchmal höchst unsinnige Gespräche" zu verwickeln. Sein Ziel ist es also nicht, einen zweckgerichteten Diskurs zu führen wie Platon es macht, sondern er kümmert sich nicht um Politik, behauptet, er "wisse nichts und weist jedem nach, daß dieser auch nichts wisse". Da er in Mode gekommen ist und auch in den besten Familien verkehren kann, bekommt sein zweiter Gestus eine zentrale Rolle: er ist "ungeheuer trinkfest" – so kann er in den Symposien "Gegenstände mitlaufen lassen"586. Diese Eigenschaften könnten in Dürrenmatts Darstellung für Novum gehalten werden, diese entstammen jedoch den antiken Folien, nur die Zusammensetzung ist neu. E. Heitsch587 hat nachgewiesen, daß die ersten Texte von Platon, die noch von Sokrates haben gelesen werden können – also dem wahren Sokrates eher entsprechen – (Ion und Kleiner Hippias) noch keine zielgerichteten Dialoge sind, sondern "Wortgefechte", wo Sokrates alles daran setzt, die Partner von einer Verlegenheit in die andere zu treiben. Im Kleinen Hippias führt er seinem berühmten Satz "Unrecht tun ist schlimmer als Unrecht leiden" gegenüber die Argumentation zwangsläufig zu der Schlußfolgerung: "der wahre Gute der sei, der Unrecht vorsätzlich tut". Nachdem er die Verwirrung zielstrebig erzeugt hatte, flüchtet er in ironische Bescheidenheit.588 In der biographischen Einführung wurde schon erwähnt, daß Sokrates´ Trinkfestigkeit in den antiken Quellen oft betont wurde. Es kann noch das Moment des Stehlens bei Dürrenmatt für Novum gehalten werden, Dürrenmatt übernimmt aber diese Eigenschaft den Wolken des Aristophanes, wo er aus dem Opfertier ein Stück Fleisch stiehlt. Platon und Sokrates können also folgendermaßen einander gegenübergestellt werden: Platon vs. Sokrates /geistig/ /körperlich/ /Kultur/ /Natur/

586 WA 29, 145. 587 Heitsch, Ernst: Hat Sokrates Dialoge Platons noch lesen können? In: Gymnasium. 110 (2003), S. 109- 119. 588 Heitsch, S. 114f.; Auch Platon selbst unterscheidet im Theatet 167d-168c zwei mögliche Diskussionsarten: αγωνιζεσθαι = Wortgefächt, Späße treiben und dem Gegner Fallen stellen, ihn irreführen; διαλαγεσθαι = sachliche Erörterung, dialektisches Gespräch, wo man dem Partner hilft und den Partner wieder aufhilft. Heitsch S. 111. Diese erste Diskussionsart ist typisch für den Dürrenmattschen Sokrates. /introvertiert/ /er selber sein/ /intellektuell/ /original/ /trinkfest/ Als dritte Figur der Erzählung wird Xanthippe eingeführt, die "große", "stattliche" Frau des Sokrates, stets "praktisch" und "großzügig". Aktantiell ist ihre Funktion die Helferin von Sokrates und ihr Gestus ist "dem Mann zur Seite stehen": sie verkauft die von Sokrates gestohlenen Gegenstände in ihrem Antiquariat, wo sie hinten in der Küche lebt. Auch ihre Tätigkeit verbirgt aber eine Doppelzügigkeit: sie unterhält Sokrates mit ihrem Antiquariatsgeschäft, wo sie die von ihrem Mann gestohlenen Gegenstände verkauft, aber sie gibt gleichzeitig Platon Anlaß, Sokrates zu erpressen. Von dieser Erpressung kommt aber ein interessantes Segment, wo über Literatur, bzw. über das Thema Schriftlichkeit und Mündlichkeit gesprochen wird.589 Platon will die Dinge niederschreiben und als Zeugnis festhalten, so schreibt er seine Tragödien, Gedichte und Dialoge. Sokrates spottet aber über die schriftstellerische Tätigkeit Platons: "Gespräche seien zum Vergeuden und nicht zum Aufschreiben da"590. Der Gestus des Drohens verhilft Platon zu seiner Destinateurposition, von der aus er Sokrates für seine Ideen funktionalisiert. Sokrates ist zwar mißtrauisch, aber seine Gleichgültigkeit überwiegt. Hier kann man die größte Veränderung im Vergleich zu der Komödie finden. Hier wie dort verkauft Sokrates seine Popularität an Platon, aber in der Erzählung nur im Folge des Drohens. Hier muß er weiterhin nichts machen, während in der Komödie muß er Platons Texte auswendig lernen und vortragen. Die gleichgültige Haltung bestimmt in beiden Fällen Sokrates´ Gestus, aber solange es ihm in der Komödie egal ist, welchen Staat er propagiert, da er an keinen glaubt591, ist er dort ein richtiger "Ideenträger". In der Erzählung ersetzt nur Platon in seinen Dialogen seinen Namen durch den des Sokrates, und läßt sie dann herausgeben. Sokrates muß weiterhin nichts machen. In dem Erzählfluß (es gibt keine Absätze, keine Untergliederungen) kommt ein kurzes Gespräch zwischen Xanthippe und einem neu eingeführten Aktor, Aristophanes, wo Xanthippe anhand einer Paraphrase des Symposions ihre Befürchtungen ausspricht bzw. Platons Gestus betont: "Er sei ein Weltverbesserer, und Weltverbesserer seien gefährlich"592.

589 WA 29, 144f. 590 WA 29, 146. 591 FD-A- r32 II –a– 592 WA 29, 147. Dieses kurze Gespräch führt zu einer Paraphrase der Politeia und der Darstellung Platons, die ihn als Ideologen bloßstellt, den die Ideen (d.h. seine Ideologie) und nicht die Menschen interessieren. "Die Welt mußte verändert werden. Er mußte einen Staat gründen, der jeder Veränderung trotzte. Die Veränderung war das Schlimmste, jede Veränderung entfernte sich von der Idee. Die Idee allein war unveränderlich. Der Staat muß die Idee der Gerechtigkeit verwirklichen, um unveränderlich zu sein. Der Staat ist aus Menschen zusammengesetzt. Der Staat muß der gerechten Seele entsprechen. Die Seele ist gerecht, wenn die Vernunft den Mut aufbringt, den Trieb zu beherrschen. Auf den Staat übertragen: Die Philosophen als die Vernünftigen müssen herrschen, und das Volk als das Triebhafte hat zu gehorchen. Aber zwischen den Herrschenden und den Beherrschten muß es noch die Muthaften geben, die Wächter, die dafür sorgen, daß die Beherrschten gehorchen. Wenn ein Staat so funktioniert, entspricht er der Idee der Gerechtigkeit und ist unveränderbar. Der Staat ist nicht für den einzelnen da, sondern der einzelne für den Staat. Privateigentum ist untersagt, Frauen und Kinder sind unter Freunden gemeinsam […]"593 Dürrenmatts Platon-Paraphrase erscheint eindeutig als die Platon-Rezeption, wie sie Karl R. Popper unter dem Eindruck des Faschismus und Stalinismus vorgenommen hat. Vor allem der Aspekt der Unveränderlichkeit trägt die Poppersche Interpretation.594 Während die Komödie ein Drama der Existenz ist, wird in den Stoffen schon das politisch-ideologische Problem betont.595 Platon will stur seine Politeia und sein Staatskonzept unbedingt durchsetzen, damit wird er zum richtigen Verkörperer eines Ideologen. Jetzt kommt es zu einem Novum im Vergleich zu der antiken Folie: laut der geschichtlichen Überlieferung wurde Sokrates wegen Asebie und der Verführung der Jugend angeklagt. Zwar sind die Ankläger Anytos (Politiker), Meletos (Philosoph) und Lykos (Literaturkritiker) und die Anklage Verführung der Jugend auch da, aber eigentlich kommt es zu diesem Prozeß, da vor allem der Literaturkritiker beweisen will, nicht Sokrates, sondern Platon sei der Verfasser der im Theater vorgetragenen Werke.596 So kommt Platons Rücksichtslosigkeit stärker zum Vorschein, die nach der Verurteilung von Sokrates noch verstärkt wird. In den Stoffen wird Sokrates erst nach dem Urteil Platons Sprachrohr, indem er Platons Verfasserschaft nicht verrät und die Verteidigungsreden lernen muß. Hier macht Dürrenmatt von der bei Kierkegaard zitierten Anekdote Gebrauch: Sokrates bekomme von einem Bekannten eine Verteidigungsrede.597 Die Komödie setzte an dieser Stelle an:

593 WA 29, 147. 594 Popper 2003, S. 27. 595 WA 29, 129f. 596 WA 29, 148f. 597 Kierkegaard 1976, S. 42* mit der Fernsehübertragung der Apologie. In den Stoffen überbringt Platon der alles vorausahnenden Xanthippe den Schuldspruch mit einem zynischen Kommentar, schuldig sei Sokrates, der den Text verwechselt hat: "Sokrates habe den Text verwechselt, antwortete Platon kühl, den Vorschlag auf eine ehrenvolle öffentliche Speisung im Prytaneion hätte er nach dem Freispruch, nicht nach dem Schuldspruch machen sollen, das Gericht sei sich verhöhnt vorgekommen, es hätte darauf nur das Todesurteil fällen können, um seine Würde zu bewahren. Überhaupt habe sich Sokrates nicht an den Text gehalten. Statt den Athenern die Politeia zu erklären, habe er sich nicht entblödet, dem Gericht aufzutischen, er sei vom Orakel in Delphi als der Weiseste der Menschen bezeichnet worden. Dabei wisse jeder, daß die Pythia seine Tante sei, Sokrates habe sich das Todesurteil selber zuzuschreiben."598 Gerade in diesem Textsegment der Apologie besteht laut Kierkegaard die Sokratessche Ironie, die Platon als Ideologe nicht versteht. Auch den Verweis von Sokrates auf das Orakel von Delphi bezeichnet Platon als eine Textabweichung, was wiederum ein starker intertextueller Bezug auf Kierkegaard ist. Der nächste Handlungsabschnitt entspricht dem zweiten Akt der Komödie, doch enthält Aristophanes ein Gewicht, das ihm in der Komödie nicht zukommt. Er will aus Freundschaft und weil er sowieso aus der Mode gekommen ist, ungeeignet für Welttheater, die Rolle des Sokrates übernehmen und sich aufopfern.599 Bei den Klagen des Aristophanes muß man bemerken, daß der antike Komödienschreiber eigentlich als Dürrenmatts Sprachrohr funktioniert – über diese Klagen und Probleme spricht auch Dürrenmatt in den Interviews, warum er auf die Gattung Drama verzichtet und sein Wechsel zur Prosa erklärt.600 In diesem Segment äußert sich Platons Zynismus und Ideologie verstärkt: er ist überzeugt davon, daß seine Texte in die Weltliteratur aufgenommen werden, also wird der wegen seiner Texte sterbende Sokrates unsterblich durch seine Texte. Seine Ideologie bewertet also den Text höher als das Leben der (anderen) Menschen. Die Wirkung der Texte soll zu einer Mythisierung des Autors führen. Der Zusammenhang der Mythisierung und Tot-Sein wurde von Dürrenmatt schon in den Theaterproblemen601 ausgeführt und auch Aristophanes´ Haltung zeigt diese Auffassung. Der antike Komödiendichter hat nämlich eine ähnliche Haltung zum Leben wie Sokrates, also Sein heißt für ihn, körperlich zu existieren. Wenn er aber als Künstler

598 WA 29, 149. 599 WA 29, 151. 600 Siehe z. B. das Gespräch mit Heinz Ludwig Arnold 1981, in: Gespräche 3, 11-80. 601 WA 30, 67f. nicht mehr existieren kann, weil er bereits zum Mythos und zum Objekt der Literaturgeschichte geworden ist (das heißt schon tot sei), ist er bereit (auch körperlich) zu sterben, damit der noch nicht zum Mythos gewordene Sokrates – also der "Sokrates des Sokrates" und nicht der Sokrates des Platons weiterlebe.602 Es ist ein interessanter Gegensatz, daß bis Platon und Aristophanes gegensätzliche Ansichten vertreten: Platons Ziel: Aristophanes´Ziel: /in die Weltliteratur eingehen/ vs. /ein Objekt der Literaturgeschichte sein sei unnütz/ bzw. Aristophanes Platons Text kritisch beurteilt: er sei artifiziell, künstlich, unnatürlich603, läßt er sich wie Sokrates in Platons Strategie ohne Widerstand einspannen – denn wie es sich herausstellt, kommt auch die Idee des Rollentausches von Platon.604 Platon kann so weiterhin die Rolle des Destinateurs einnehmen und die narrativen Programme seiner beiden instrumentalisierten Helden bestimmen.605 Als Regisseur und Darsteller initiiert Aristophanes die folgenden Handlungsschritte: sein Sterben in der Maske des Sokrates, was er "poetischen Realismus" nennt, was für die Regie zutreffend und zugleich zynisch ist. So treffen sich die verschiedenen Wirklichkeitsebenen der durch Platons Strategie ausgelösten Diskurse zum ersten Mal auf der gleichen Bühne und zeigen, wie Realität durch poetischen Realismus zugleich wahrhaft gemacht und durch Täuschung überwunden werden kann, so daß das /Scheinende/ von den Zuschauern als das /Seiende/ empfunden wird. Nach der Paraphrase des Phaidons kommt es zu dem Segment in Syrakus, das dem dritten Akt der Komödie entspricht. In der Erzählung wird nicht näher begründet, wieso die Einladung des Tyranns von Syrakus nach Athen gekommen ist. Dürrenmatt hält sich auch hier insoweit an Platons Biographie, indem der Philosoph den Tyrannen zu einem idealen Herrscher erziehen will (von ihm mathematische Kenntnisse und Tugendhaftigkeit verlangt606). Er führt also sein narratives Programm unerschütterlich weiter – trotz seines Mißerfolges in Athen. Dionys braucht aber "Sokrates" nur propagandistisch607. Er verkörpert überhaupt nicht den tugendhaften Philosophen von

602 WA 29, 152. 603 WA 29, 151. 604 WA 29, 151. 605 WA 29, 151f. 606 WA 29, 153. 607 WA 29, 152f. Platon, er ist gerade der triebhafte Herrscher, der über ein tugendhaftes Volk mit Gewalt herrscht. Dionys vertauscht also die Hierarchie des Gestus /Tugend/ vs. /Trieb/ der Aktoren in der Staatskonzeption, hier herrscht Trieb über die Tugend. Er hat alle Voraussetzungen zur Durchsetzung der Macht, ist "schlau", hat eine "große Söldnerarmee", "hetzt die Bürger aufeinander". Platon wird jetzt von seiner Destinateurposition enthoben und zur Geisel degradiert, so entsteht eine neue polemische Achse: Platon vs. Dionysos; daß die Gegensätzlichkeit der beiden Konzeptionen von Herrschen sich in der Praxis komplementär ergänzt, wird erst in den Stoffen deutlich, denn der Gestus der beiden auf das gleiche Ziel ausgerichtet wird: /Macht aufbauen/ bzw. /Macht ausüben/. Der unberechenbare Genußmensch, der sogar die Gefühle seines Volkes vollständig beherrscht und die Menschen vollständig der Individualität entzieht608, findet Gefallen am Genußmenschen und Individualisten Sokrates. In der Komödie wird es in einem Trinkwettstreit veranschaulicht, was in der Erzählung zunächst argumentativ artikuliert wird: "Ob denn Dionys wisse, was herrschen sei, wollte etwa Sokrates wissen". Sokrates versucht Dionys in einen mäutischen Dialog zu verwickeln, doch das Gespräch führt in die Tautologie: "Herrschen sei Menschenkenntnis, war die Antwort. Was dann aber Menschenkenntnis sei, war die Gegenfrage. Menschenkenntnis sei eben Menschenkenntnis , antwortete Dionys, das könne einer nicht lernen, das könne einer, oder einer könne es nicht."609 Wie Sokrates im Gefängnis "tot ist tot" mit dem Identitätssatz (A=A) aus der aristotelischen Logik argumentiert, verwendet jetzt Dionys diese Formel: Menschenkenntnis = Menschenkenntnis. Die Sokratische These, einer weiß erst, was er kann, wenn er es sagen kann – entspricht nur der Sokratischen Logik, nicht der dionysischen, die sich über jegliche Konventionen hinwegsetzt und seine totale Subjektivität über alles stellt. Während sowohl Sokrates als auch Dionys gesetzlos leben, schafft Sokrates keine Gesetze und verkörpert das individuelle Sein – Dionys verhängt aber Gesetze über die anderen, und verkörpert die individuelle Macht. Für seinen Bereich, Sokrates auf dem Feld des Wissens und Dionys auf dem der Herrschaft, behält ein jeder von ihnen Recht. Dionys herrscht ohne Wissen und Sokrates weiß ohne Herrschaft auszuüben. Der Gegensatz zwischen Wissen und Herrschaft läßt sich nicht überbrücken.

608 siehe die Szene mit dem Lachen, WA 29, 153. 609 WA 29, 153. In diese Pattsituation mündet der politische Diskurs in den Stoffen – und so greift Sokrates stumm zum Schierlingsbecher, wie in der Komödie. Wie die ganze Erzählung durch Gegensätze durchwoben ist, bekommt das Trinken im letzten Teil auch eine zweite Seite: es ist "existenzerhaltend" in dem Sinne, daß es Sokrates in Athen ermöglichte, Gegenstände aus reichen Häusern mitlaufen zu lassen und damit seine Existenz zu erhalten, andererseits ist es "existenzvernichtend", denn in Syrakus kann er ihm sein Todesurteil verdanken. Sokrates stirbt zum zweiten Mal, jetzt im Amphitheater von Syrakus – als er selber. Durch die Wiederholung und die Paradigmatisierung des öffentlichen pathetischen Todes desselben Aktors wird die Szene verfremdet. Die zwei Hinrichtungen geben auch in der Erzählung der Handlung einen Rahmen: bei Aristophanes war sein Sterben Parodie des tragischen Helden, Sokrates stirbt aber nicht als Held, denn sein Schicksal ist nicht zwingend, er scheint sogar seinen Tod zu provozieren, obwohl der Komödie gegenüber hier von keinem Wettbewerb die Rede ist, ist also sein Tod nicht so gewählt und gewollt. Die Groteske des Todesurteils macht dann jede Tragik unmöglich. Die Handlung endet jetzt nicht mit dem wortlosen Sterben des Sokrates, sondern in einem grandiosen Aufschwung mit dem Epilog der Xanthippe. Sie tritt aus ihrer unterdrückten Geschlechterrolle heraus, und wo es ihr zu schweigen und Sokrates zu reden hätte, tritt sie als "ideale Rednerin" auf und hält eine Attacke auf das Patriarchat, von dem sie aber die via contemplativa positiv abhebt. Sie stellt die Frauen den Männern gegenüber: ♀ ♂ /Leben schaffen/ /Leben zerstören/ /Leben erhalten/ /Leben schinden/ /Weiber bleiben/ "Sie sind keine Männer mehr, sie spielen nur Männer."610 "Sokrates dagegen spielte nicht Sokrates, er blieb, was er seit Anbeginn war, Sokrates." "Sokrates starb als Sokrates."611 Sie faßt die Charakterzüge, die Grundgesten von Sokrates zusammen: "Er wußte, daß er nichts wußte, und darum fragte er jeden, was er wisse", "Er war überzeugt, Unrecht zu erleiden sei besser, als Unrecht zu tun". Außer diesen auch heute allgemein bekannten Prinzipien charakterisieren ihn noch das "Nichts tun", der

610 WA 29, 155. 611 WA 29, 155. Sexualtrieb, Eß- und Trinklust, bzw. die Befriedigung dieser Triebe war ihm Inbegriff des Seins. Diesem Sokrates steht das Bild von Sokrates nach Platon gegenüber, denn Platon glaubt, daß er weiß, und beschreibt "einen Sokrates, der nicht wußte, daß er nichts wußte".612 Diese emanzipierte, von Dürrenmatt "rehabilitierte", dem Mann überlegene Frau, die das erhaltende Prinzip verkörpert und als Pragmatikerin auftritt, wertet zwar Sokrates um, aber eine derartige ungebrochene Umwertung der Figur ins Positive verstärkt nur das Groteske und die Tragikomödie der ganzen Erzählung.613

4.2.4. Fazit: Der Tod der Komödie, die Geburt der Erzählung

Die Komödie bleibt als Fragment unvollendet, aber es ist ein notwendiges Durchgangsstadium für den Vollzug dieses Stoffes in der späten Prosa. Die Erzählung ist viel verknappter als das Drama, es kommen weniger Figuren vor (die Kinder, Diotima, die Pythia, Damokles werden nur erwähnt), denn nicht mehr die Beziehungen der Aktoren zu Sokrates und ihre Sokrates-Bild bestimmende Rolle ist wichtig, sondern es kommt zu einer deutlichen Akzentverschiebung in der Aussage. Nicht mehr das Sterben, der Tod des Sokrates, also eine persönliche, private, familiäre Situation ist wichtig, sondern eine politische. Die Beziehung Platon-Sokrates tritt in den Vordergrund, wie ein Ideologe das Leben anderer Personen, hier das des Individualisten Sokrates zerstören kann. Mit dieser Akzentverschiebung spielen andere Prätexte eine Rolle, nicht so sehr die Kierkegaardsche Folie wird für den Stoff prägend, sondern die Poppersche. Auch hier wird der Dürrenmattsche Text aus paraphrasierten antiken Texten zusammengesetzt, die von ihm hervorgehobenen Charakterzüge des Philosophen sind schon bei den antiken Autoren zu finden, oder aber sind bei den neuzeitlichen Prätexten, bei Wieland, Kierkegaard oder Popper zu finden – nur die Remontage dieser Elemente machen aus dem Stoff etwas ganz Neues, eine typisch Dürrenmattsche "Mythos"-Bearbeitung, wo aus dem Mythos-Sokrates der Mensch Sokrates gestaltet wird.

612 WA 29, 156. 613 vgl. B. Brechts Kalendergeschichte Der verwundete Sokrates. 4.3. DAS Weltbild von Dürrenmatt: Die Entwicklung des Labyrinth-Motivs

4.3.1. Die Genese und die Quellen des Motivs

"Die Geschichte meiner Schriftstellerei ist die Geschichte meiner Stoffe, Stoffe jedoch sind verwandelte Eindrücke. Man schreibt als ganzer Mann, nicht als Literat oder gar Grammatiker, alles hängt zusammen, weil alles in Beziehung gebracht wird, alles kann so wichtig werden, bestimmend, meistens nachträglich, unvermutet."614 Wenn wir die Entstehung des Hauptmotivs von Labyrinth rekonstruieren möchten, müssen wir zur Dürrenmatts Kindheit, zu den Dorferlebnissen in Konolfingen zurückkehren. Geheimnisvoll waren für das Kind die dunklen Gänge im Heu, das die Bauern in ihren Tenns aufgeschichtet haben und wo er mit seinen Mitspielern stundenlang gekrochen ist.615 Außerdem gab es in dem Dorf, am Bahnhof eine Unterführung, die wie "eine dunkle Höhle" aussah.616 Diese konkreten Erlebnisse konnte der kleine Dürrenmatt mit den Mythenerzählungen des Vaters assoziieren. Obwohl Dürrenmatt Pfarrersohn war, hat ihm sein Vater die klassischen griechischen Mythen erzählt617, von denen er am liebsten die Abenteuer "des königlichen Theseus" geschildert hat.618 Von dem Dorfarzt hat er später auch ein Buch über Rubens bekommen, in dem ihn zwei Bilder faszinierten: das eine hat die Amazonenschlacht und Theseus dargestellt, auf dem anderen, der "Löwenjagd" sind zwei Bestien, die über die Menschen herfallen619. Er hat auch eine von Grims illustrierte Michelangelo-Biographie in der Hand gehabt, in der auch der Höllenfürst Minos von Schlangen umwickelt zu sehen war.620 "Dann begann die Welt der Sagen zu versinken" und mit der Pubertät rückten andere Heroen ins Feld; unter diesen Lesestoffen war auch "Die Reise zum Mittelpunkt

614 Dürrenmatt: Die Geschichte meiner Stoffe. In: Keel, Daniel (Hrsg.): Herkules und Atlas. Lobreden und andere Versuche über Friedrich Dürrenmatt zum siebzigsten Geburtstag. Zürich: Diogenes, 1990, S.21. 615 WA 28, 20. 616 WA 28, 18. 617 WA 28, 23f.; Die Welt als Labyrinth, S.14f. 618 Für Dürrenmatt ist der Begriff "schildern" sehr wichtig. z.B. Von seinem Vater sagt er, daß er nicht einfach erzählt, sondern schildert. Als etwas höchst Positives erwähnt er das bei seiner Mutter und seinem Geographielehrer. Stoffe, S.25. Er schreibt auch, daß die Griechen in Gestalten dachten. Das hatte eine große Wirkung auf Dürrenmatt, und fand Niederschlag in seinem Werk. Siehe: Sisyphos, Atlas, Ödipus, Prometheus, Tantalus, Herkules usw., Stoffe, S.23., Die Welt als Labyrinth, S.17,21. 619 WA 28, 33.; Das Motiv der Tiere hat Dürrenmatt auch malerisch beschäftigt: z.B.: Die beiden Tiere, 1975; Tier, 1975; Weltstier, 1975 620 WA 28, 34. der Erde" von Jules Verne, dieses Sinken "in ein unermeßliches Höhlensystem hinab", wie einmal Herkules in den Hades stieg.621 1935 bekam sein Vater eine neue Stelle in Bern. Die Familie zog in eine Stadt, wo man sich immer in Lauben, in Gängen bewegt, aber nicht im Freien. "Aus dem Übersichtlichen, aus den vertrauten Schleichwegen in den Kornfeldern, Tennen und Wäldern, verirrte ich mich ins Unübersichtliche, aus dem es keinen Weg nach außen mehr gab. Das Labyrinth wurde Wirklichkeit."622 Zu dieser ersten Vorahnung des Labyrinths kam auch die des Minotaurus: ein Schäferhund fiel den kleinen Dürrenmatt unerwartet an und die Menschen sahen einfach zu, wie er mit dem Hund kämpfte.623 Zu diesem Motiv kam auch ein weiteres Element: das Bild eines Gefängnisses. Dürrenmatt hat zuerst die Schule als Gefängnis empfunden, dann wurde das ganze Bern damit verglichen und während des Krieges wurde dieser Horizont auf die "verkapselte" Schweiz ausgedehnt.624 Zu den vorliterarischen Erlebnissen kamen auch die literarischen und philosophischen Studien, wobei vor allem Platons Staat: das Höhlengleichnis, Kierkegaard, Kant und Kafka hervorzuheben sind.625 Zu dieser Zeit kann auch eine Bewußtwerdung dieser Einflüsse und Vorstellungen beobachtet werden. In La Plaine bei Genf mußte Dürrenmatt im Kompaniebüro arbeiten. Für ihn war die paradoxe Lage der Schweiz unerträglich, so versuchte er sich "in die Wirklichkeit, von der er und sein Land ausgeschlossen waren, durch eine erfundene Wirklichkeit zu integrieren [...], indem er nach einem Weltgleichnis suchte."626 So fand Dürrenmatt seinen "Weltstoff", der ihn sein ganzes Leben lang nicht mehr verließ. "Der Stoff drängte mir nach und nach auf [...]. [Aber]

621 WA 28, 40. 622 WA 28, 45.; Die Welt als Labyrinth, S.30.; Die Beschreibung der Stadt Bern in den Stoffen mit den Lauben, Arkaden usw. fast unverändert auch in der Erzählung "Die Stadt" wiedererscheint. WA, 28, 49.,WA 18, 120. darüber: Spycher, 1972, 84f. 623 WA 28, 47.; Die Welt als Labyrinth, S.31. 624 WA 28, 39; 52; 64f.; Jakolsky, Helmut: Das Labyrinth: Symbol für Angst, Wiedergeburt und Befreiung. Stuttgart: Kreuz-Verlag, 1994 [v.a. Kapitel 11: »Gefängnis« zum Labyrinth bei Dürrenmatt.] 625 1941: Studium in Zürich. Dürrenmatt behauptet, Kafka sei für ihn nicht so wichtig gewesen, er hat Kafka erst nach dem Weltkrieg gelesen. Außerdem waren für ihn die vorliterarischen Erlebnisse viel wichtiger. Die Welt als Labyrinth, S.32f.; WA 28, 70f. Demgegenüber siehe: Tantow, Lutz: Franz Kafka und Friedrich Dürrenmatt. Eine Dramaturgie der Konfrontation. (Saarbrücker Beiträge zur Literaturwissenschaft), St. Ingbert: Röhrig, 1988 626 Also die Frage, ob die Schweiz, die außerhalb der Katastrophe lag, ein Gefängnis war, eine belagerte Festung oder eine Produktionsstätte für Hitler. Dürrenmatt: Zwei Miniaturen, WA 28, 65.; Die Welt als Labyrinth, S.20. ich war noch nicht fähig, sie niederzuschreiben. Meine Versuche mißlangen immer wieder und wurden abgebrochen. Nur noch der Stoff ist mir geblieben."627

4.3.2. Bedeutugsebenen des Symbols Labyrinth

"Woher ich vorliterarisch und später literarisch das Motiv des Labyrinths kannte, läßt sich nachweisen; warum ich es anwandte, um die Welt nachzugestalten, die ich vorfand, ist nicht selbstverständlich."628 Das Labyrinth ist ein mehrdeutiges Gleichnis. In der Antike bedeutete das Labyrinth in erster Linie ein kompliziertes Bauwesen.629 Für Dürrenmatt war es ein Erlebnis der Stadt Bern. Also, das Labyrinth ist die Stadt, eine Metapher für die Urbanisierung und ihrer Probleme. Der zweite Erklärungsversuch ist ein psychologischer: das Labyrinth ist danach einfach als Symbol unserer Angst oder als Rahmen für das Existenzproblem zu verstehen und der Minotaurus ist der Urheber der darin sitzenden Angst. Wenn man sich nämlich im Labyrinth befindet, braucht man eigentlich keinen Minotaurus, um Angst zu haben. Die Angst ist schon der Minotaurus.630 Hier taucht die in den Stoffen schon aufgeworfene Frage auf, ob der Minotaurus überhaupt existierte, besser formuliert, ob diejenigen, die ins Labyrinth als Opfer reingeschickt wurden, wirklich von diesem Ungeheuer getötet wurden.631 Der Unmöglichkeit, aus dem Labyrinth zu entweichen, entspricht nämlich die Unmöglichkeit, in sein Inneres zu gelangen: "Minotarus konnte weder fliehen noch gefunden werden, auch von seinen Opfern nicht".632 Das ist aber nicht so wichtig. Wichtig ist, daß man weiß, daß man sterben muß. Hier spielt die Verkörperung des Todes eine große Rolle. Man weiß nie, wann man vor ihm steht. Er kann ganz nahe sein, aber auch ganz fern, man weiß es nicht. Es ist ja nicht so, daß man den Weg zum Minotaurus sucht, sondern man weiß, wenn man ins Labyrinth gerät, begegnet man ihm einmal. Und wenn man ihm nicht begegnet, irrt man herum, bis man stirbt.633 Es ist eigentlich fast gleichgültig, ob es den Minotaurus

627 WA 28, 67. 628 WA 28, 71. 629 Themen und Motive in der Literatur, Labyrinth 1.Bedeutung, S.237. 630 Die Welt als Labyrinth, S.31. 631 WA 28, 80. 632 Die Welt als Labyrinth, S.32. 633 WA 28, 80. gibt oder nicht - der Tod ist sicher. Der Minotaurus ist also das Symbol unserer Angst und des Todes (Abb. 11).

Abb. 11: Labyrinth II: Der verängstigte Minotaurus, 1974, Federzeichnung, 25,5×36 cm

Drittens müssen wir die wissenschaftliche, philosophische Deutung des Labyrinths erwähnen. Dieser Schritt war der bedeutendste in Dürrenmatts Gedankenentwicklung. Demnach ist das Labyrinth nicht etwas Naturgewachsenes, sondern ein Kunstwerk, ein menschliches Abbild von etwas. Als Dädalus ein Gefängnis für den Stiermenschen bauen mußte, hat er sich überlegt: Der Minotaurus ist "nicht ein Mensch mit dem Kopf eines Stiers, sondern ein Stier mit dem Leib eines Menschen – ein wesentlicher Unterschied –, demnach durchaus kein Intellektueller, im Gegenteil, aber dafür von einer offenbar unbeschreiblichen Wildheit und Kraft, der keine Tür eines Gefängnisses widerstanden hätte."634 Dädalus hat also einen Bau "voll gewundener Krümmungen, welche Augen und Füßen verwirrten"635 gebaut, was durch seine Kompliziertheit nicht einfach unentrinnbar war. Dieses Labyrinth war ein Abbild der Welt, deren Erscheinungen in falscher Übersetzung – der Minotaurus ist ja ein ganz "primitives" Wesen – als nicht wirklich erkennbar auf uns zukommen. Das ist es, worauf auch schon

634 WA 28, 74f. 635 WA 28, 75. Platon deutet: wir sitzen in einer Höhle und sehen nur die Schatten der wahren Welt an der Felswand. Das Labyrinth existiert nicht nur als eine architektorische Struktur: auch wir selbst bauen eins um uns herum auf – die Welt unserer Gedanken, Vorstellungen, Paradigmen. Das ist wohl die wichtigste Deutungsmöglichkeit des Minotaurus-Mythos: Die Welt als Labyrinth.636

4.3.3. Versuche, das Labyrinth zu überwinden - Das dramatische Werk von Dürrenmatt

"So war es bei den Griechen, ihnen war der Raum und so Staat, Religion und Kunst eines, als Dimensionen des Raums. Alles war bedeutend, weil es im Raum bestimmt war. Jetzt ist alles anders. Wir sind von Unraum, von Unwesentlichem Bedeutungslosem umgeben [...] Raum schaffen ist Schicksal, denn sonst werden wir uns selber morden, denn alles wendet sich dann nach innen und zerstört [...] Und dies war dann Erkenntnis. Daß Leben ohne Raum in nichts endet."637 – Das schreibt Dürrenmatt in seinem ersten Stück, in der 1943 vollendeten, aber erst in der Werkausgabe publizierten Komödie638. Die hier angeschlagenen Probleme, wie man sich Raum und Freiheit schaffen kann, d.h. wie man das Labyrinth überwinden kann und wie man seine eigene Identität in der Welt finden kann – diese Probleme begleiten das ganze dramatische Werk Dürrenmatts. Die Komödie ist eigentlich ein Versuch, die Erfahrung der Welt als Labyrinth, die Zerstörung des in religiöser Umgebung vermittelten Glaubens und den grundsätzlichen Zweifel an einem Sinn in Form zu bringen. Im Gegensatz zu dem Titel ist dieses expressionistische Stück das Ur-Drama des Menschen, der umstellt von Bedrängungen überallhin flieht, in den Tod, in den Suff, in das Verbrechen, in die Macht, und der dem Ende doch nicht entkommt. Adam, der Mensch wandert durch die Welt, die von Verwundeten, Bettlern, Krüppeln und Huren bevölkert ist. Adam ist

636 Gustav Schwab, S.75. 637 Man könnte auch formulieren: ohne Mythos, denn die Eigenschaft der Mythen ist, daß sie räumlich immer gebunden, verankert sind, während die Zeit keine Rolle spielt. 638 zitiert in Arnold, Heinz-Ludwig: Querfahrt mit Dürrenmatt. Göttingen: Wallstein 1990, S. 78.;Eine überarbeitete Neufassung wurde 1951 in Ligerz niedergeschrieben und bleibt fast 30 Jahre Schubladenstück, bis sie 1980 in der "Werkausgabe" unter dem Titel "Untergang und neues Leben" veröffentlicht wurde. Soldat: das ist sehr typisch für Dürrenmatt, dieser Beruf ist prototypisch für den Menschen - als Tötender und Getöteter zugleich, als Wesen im Labyrinth. Dieser Soldat wird geführt und begleitet von dem Besoffenen, der auf orakelhafte Weise Bescheid weiß um diese Welt: "Adam: Warum leben wir? Besoffener: Du weiß es nicht und ich weiß es nicht. Wir sind eingeschlossen in einer Hölle von Fragen, die keiner beantworten kann, und unsere Strafe ist "Warum" zu schreien, und unser Sein Sünde und Gnade zugleich. Laß uns eilen. Adam: Wohin führst du mich? Besoffener: Geradewegs ins Nichts. Komm."639 In diesem ersten Stück kann der Mensch dem Labyrinth nicht entfliehen. Am Ende explodiert die Welt, erst so kann das Labyrinth mit dem Menschen und dem Minotaurus untergehen. "Gott, erbarme dich unser. Der Boden beginnt zu zittern. Dann zerreißt die Explosion alles. Ende."640 Auch in diesem ersten Stück sind schon Themen und Motive angeschlagen, die sich durch das gesamte Werk Dürrenmatts ziehen. In jeweils anderen Konstellationen versucht er die Spielmöglichkeiten des Menschen darzustellen. Die Grundkonstellation der Dramen ändert sich kaum: alle Erfahrungen von der Welt bestätigen jenes Empfinden, für das Dürrenmatt die Formel "labyrinthisch" gefunden hat. So Adam in dem ersten Stück, der Herzog in Blinden, Knipperdollinck in Es steht geschrieben, Möbius in den Physikern , Ill in der Alten Dame, Mississipi, Saint-Caude und Überlohe in der Ehe des Herrn Mississippi und schließlich Doc, Bill, Cop im Mitmacher – sie alle sind Abbilder des Menschen im Labyrinth, in dem der Minotaurus rast.641 Die erste neue und vorläufige Position, die aus dem Nihilismus herausführt, gewinnt Dürrenmatt in seinem zweiten Stück Es steht geschrieben (1946).642 In diesem

639 Eine umgearbeitete Fassung in: WA 1, 289f.: hier: Gespräch zwischen dem Fremden und dem Betrunkenen. 640 Über die Komödie: Knapp: Dürrenmatt, S.29f.; Arnold: Theater als Abbild der labyrinthischen Welt, Versuch über den Dramatiker Dürrenmatt. In: ders. (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51., 1976, S.80f. 641 Die Welt als Labyrinth, S. 17-26. 642 Allemann, Beda: Friedrich Dürrenmatt >Es steht geschrieben<. In: Benno von Wiese (Hrsg.): Das deutsche Drama vom Barock bis zur Gegenwart. Interpretationen. Bd. 2. Düsseldorf: Pädagogischer Verlag Schwann Bagel, 1958, S. 415-432.; Biedermann, Marianne: Vom Drama zur Komödie. Ein Vergleich des Dramas >Es steht geschrieben< mit der Komödie >Die Wiedertäufer<. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 1980, S. 73-85; Böth, Wolfgang: Vom religiösen Drama zur politischen Komödie. Friedrich Dürrenmatts >Die Wiedertäufer< und >Es steht geschrieben<. Ein Vergleich. Frankfurt/M., Bern u.a.: Lang, 1979 Drama ist für die zu Gott drängende zentrale Figur Knipperdollinck die Gnade Gottes die letzte Hoffnung, das Elend der Welt zu bestehen. Der reichste Mann Münsters verzichtet auf Hab und Gut und Weib und Kind nach dem Bibelwort - denn es steht geschrieben: eher komme ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in den Himmel.643 So spielt er mit Inbrust den Lazarus, den ärmsten der Menschen, demütig sich zu Gott drängend. Er ist zwar in das Labyrinth geworfen, aber er hat noch eine letzte Hoffnung, aus der Welt herauszukommen, erlöst zu werden: es gibt noch einen metaphysischen Schimmer.644 Zwanzig Jahre später, in der Neubearbeitung des Stücks, das sachlich Die Wiedertäufer (1967) heißt, bleibt diese Hoffnung auf eine jenseitige Gnade nicht mehr unbefragt.645 Hauptperson ist nun schon der arbeitslose Komödiant Bockelson, der an nichts glaubt, auch an die Wiedertäuferei nicht, der einzig den Theatereffekt liebt, die von religiösen Schauern heimgesuchte Wiedertäuferstadt ist seine Bühne. Selbst den ehemals reichsten Mann der Stadt, Knipperdollinck, den jetzt jenseitssüchtigen Asketen nehmen Bockelson und sein Autor nicht mehr ernst. "Knipperdollinck: Donnere, Allmächtiger, donnere, zerschmettere mich ob meiner Sünden. Bockelson: Großartig. Wirkt echt verzweifelt. Gratuliere:"646 Im früheren Drama war Gott noch eine jenseits geglaubte, das Leben wenigstens noch ins Jenseits rettende, eine Gnade aussäende Macht, im Wiedertäufer wird er als von Menschen mißbrauchte, zur Ideologie degradierte Größe angesehen. "Diese unmenschliche Welt muß menschlicher werden. Aber wie? Aber wie?"647, endet das Stück mit den Worten des Bischofs. Es bleibt nicht die Gnade, nicht mehr Gott als Hoffnung, als Trost. An die Stelle des Glaubens tritt nun die Ideologie, der der neue Gläubige blindlings zu folgen hat.648 In diese Richtung zeigt auch Der Blinde, aus dem Jahre 1948: hier hat Dürrenmatt vorgeführt, welchem Spiel der auf den Glauben Angewiesene ausgeliefert ist. In diesem Drama stellt Dürrenmatt am hervorragendsten dar, daß das Labyrinth uns

643 WA 1, 24. 644 Goertz, S.25f.; Brock–Sulzer, S.20–31.; Allemann, Beda, 1958, S.415–432. 645 Böth, Wolfgang: Vom religiösen Drama zur politischen Komödie. F. Dürrenmatts Wiedertäufer und Es steht geschrieben. Ein Vergleich. Frankfurt/M.-Bern, 1978.; Biedermann, Marianne: Vom Drama zur Komödie. Ein Vergleich des Dramas Es steht geschrieben mit der Komödie Die Wiedertäufer in: text + kritik H.50/51, 1976, S.73-85. 646 WA 10, 114f. 647 WA 10, 134. 648 Goertz, S.92f.; Knapp, 104f.; Die Welt als Labyrinth, S.18.;Vgl. auch: Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. nicht als tatsächliches Gebäudekomplex umgibt, sondern es sind eigentlich unsere Vorstellungen von der Welt, die uns betäuschen und aus denen wir uns nicht befreien können. Die Welt ist zerstört, kaputt, ändert sich während der Aufführung überhaupt nicht. Der blinde Herzog aber – ausgeliefert seinen Führern – wird aus seinem schönen, intakten, reichen und mächtigen Reich "nach einem langen Weg" in die öde "Wirklichkeit", in sein zerstörtes Land hineingesetzt. Der blinde Herzog in seine Dunkelheit eingeschlossen "ist ja auch der Mensch in seinem Labyrinth. Es hat mich aber immer auch die Idee fasziniert, daß der Blinde in einer gespenstischen Wahrheit lebt und auch in einer gespenstischen Wirklichkeit, denn daß wir in einem hellen Universum leben, daß wir Licht sehen, das ist ja eine Fähigkeit unseres Gehirns. In Wirklichkeit sind das ja elektromagnetische Wellen."649 Es hängt von unserer subjektiver Wahrnehmung ab, wofür wir die Erscheinungen der Welt halten. Nach der Bezweiflung Gottes Gnade und dann des Glaubens und der Wahrnehmung wird uns im Meteor von 1966 der Erzzweifler Schwitter vorgeführt.650 Hier wird demonstriert, daß auch der mit Blindheit geschlagen ist, der den Zweifel zur Doktrin macht. Dürrenmatt exponiert ihn durch den Zufall: er läßt auf der Bühne ein Wunder geschehen, das Wunder der Auferstehung Schwitters. Schwitter als Zweifler kann aber das Wunder nicht als Wunder erkennen, er denkt außerhalb solcher Möglichkeiten. So verzweifelt er schließlich am "Wunder" – ohne daß dadurch seine Ideologie des Zweifels angerührt wäre: "Auferstanden! Ich! Von den Toten! So ein Witz!"651 "Ich bin berufen zum Sterben, allein der Tod ist ewig. Das Leben ist eine Schindluderei der Natur sondergleichen, eine obszöne Verwirrung des Kohlenstoffs, eine bösartige Wucherung der Erdoberfläche, ein unheilbarer Schorf. Aus Totem zusammengesetzt, zerfallen wir zu Totem. Zerreißt mich, ihr Himmelstrommler! Zerstampft mich, ihr Handorgelbrüder!...Seid gnädig, ihr Christen!...Schlagt mich mit euren Gitarren und Posaunen tot!...Wann krepiere ich endlich!"652

649 Die Welt als Labyrinth, S.23. 650 Dick, Ernst S.: Dürrenmatts Dramaturgie des Einfalls. "Der Besuch der alten Dame" und "Der Meteor". In: Herbert Mainusch (Hrsg.): Europäische Komödie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1990, S. 389-435.; Keller, Otto: Die totalisierte Figur. Friedrich Dürrenmatts >Meteor< als Dokument eines neuen Denkens. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H.50/51. (2. Aufl., 1980), S. 43-56.; Kieser, Rolf: In eigener Sache. Friedrich Dürrenmatt und sein >Meteor<. In: Arnold, Armin (Hrsg.): Zu Friedrich Dürrenmatt. (Literaturwissenschaft- Gesellschaftswissenschaft 60.), Stuttgart: Klett, 1982, S. 124-135.; Knapp, Gerhard P.: Spektakulärer Totalbankrott des Einzelkämpfers: Friedrich Dürrenmatts Komödie `Der Meteor´. In: Freund, Winfried (Hrsg.): Deutsche Komödien. München:Fink, 1988, S. 267-281.; Spycher, Peter: Friedrich Dürrenmatts >Meteor<. Analyse und Dokumentation. In: Knapp, Gerhard P. (Hrsg.): Friedrich Dürrenmatt. Heidelberg: Stiehm, 1976, S. 145-187. 651 WA 9, 23f. 652 WA 9, 94f. Auch jetzt: nicht Fragezeichen, sondern Ausrufezeichen. Schwitter bleibt weiter im Gefängnis seiner Ideologie - er kann das Labyrinth nicht überwinden.653 "Glauben kann durch nichts bewiesen, Glauben kann durch nichts objektiviert werden, Glauben ist rein subjektiv."654 In zwei Dramen erscheint auch der tötende Minotaurus: in der Gestalt Claire Zachanassians in dem Besuch der alten Dame (1956) und als Mathilde von Zahnd in den Physikern (1962). In dieser letzteren "Komödie" erscheint das Labyrinth in einer wichtigen und zwar in einer ganz simplen Form: als Irrenhaus. Außerdem wird hier noch ein antiker Stoff ins Drama miteinbezogen: der Ödipus-Mythos. An die Stelle des Orakels tritt aber die Wissenschaft, die gerade "dadurch Wissenschaft ist, daß sie etwas voraussagen kann."655 Die Wissenschaft unserer Zeit hat schon ein solches Stadium erreicht, daß sie einerseits neue Mythen kreieren kann656, andererseits aber auch unsere Welt vernichten kann. Aus diesem letzten Grunde entzieht sich der Wissenschaftler Johann Wilhelm Möbius dem Zwang der Gesellschaft, die seine Erfindung, die Weltformel und die Gravitationsbombe ausbeuten will, in die Freiheit des Irreseins und ins Irrenhaus, das unter der Leitung des Fräulein Doktor Zahnd steht. Um der Entdeckung zu entgehen erdrosselt er sogar die Krankenschwester Monika, die er liebt. Aber der Zufall will es, daß Mathilde von Zahnd selbst irre ist – die einzige Irre unter all denen, die ihr Irresein nur vorgeben, um dahinter Zuflucht in einer geglaubten Freiheit zu finden.657 Das planmäßige Handeln von Möbius erweist sich als Fehlschluß, der von der Wirklichkeit längst überrollt ist. Der Freiraum des Individuums wird systematisch als Illusion denunziert. Die Physiker spielen aber auch aus einem anderen Gesichtspunkt eine wichtige Rolle: hier wird nämlich auch die Frage der Wissenschaft als Paradigma angesprochen. Bei dieser Frage stehen die zwei Hauptpersonen des Dramas in dem Vordergrund: Einstein658 und Möbius. Der reale Einstein hat uns durch die Aufhebung von Raum und Zeit einen Teil des Welt-Labyrinths verständlich gemacht, hat uns aber in ein noch schwierigeres Labyrinth höherer Ordnung hineingeführt. Der Möbius-Streifen wird verkehrt zusammengeklebt und so stimmen auf ihm die Dimensionen nicht mehr. Die

653 Arnold, S.77f.; Knapp, S.99f.; Goertz, S.87f.; Die Welt als Labyrinth, S.25. 654 Gespräch mit Heinz Ludwig Arnold, S.39f. 655 Die Welt als Labyrinth, S.28. 656 ebda, Science-fiction im CERN-Beschleuniger, S.27f.; vgl. Kap. 3.4.5. Die Wissenschaft als Mythos. 657 Goertz, S. 80f.; Knapp, S. 92f.; Brock-Sulzer, S. 113-131. 658 Zu Einstein: Dürrenmatts Anmerkungen zu »Albert Einstein«, Vorlesung an der Eidgenössischen Technischen Hochschule, Zürich, in: Philosophie und Naturwissenschaft, WA 33, 150-185. Möbius-Fläche überträgt das Phänomen in die nächste Dimension. "Auch das Labyrinth wird ein Möbius-Labyrinth - es ist verwunden, die Dimensionen werden ineinander verschoben, und das Labyrinth wird durch die Wissenschaft noch labyrinthischer." Die Überwindung des derzeitigen Wissenschaftsparadigmas führt also zu einem neuen Paradigma659. Außerdem "ist unsere Wissenschaft schrecklich geworden, unsere Forschung gefährlich, unsere Erkenntnis tödlich. Es gibt für uns Physiker, nur noch die Kapitulation vor der Wirklichkeit[...]. Wir müssen unser Wissen zurücknehmen..."660 Aber " was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden".661 Auch in dem Drama Der Mitmacher finden wir einen heruntergekommenen Wissenschaftler, einen Biochemiker Doc, der seine Erfindungen dazu benutzt, Tote ohne Überreste zu beseitigen. In diesem riesigen Weltgeschäft gibt es nicht einmal die Illusion der Freiheit. Hier bleibt nicht anderes übrig als mitzumachen. Das Paradox dieses Stückes ist, das alle mitmachen, ohne eine individuelle, menschliche Beziehung zueinander zu haben. Die Freiheit zum gegenseitigen Erkennen ist nicht mehr vorhanden, da ist kein Bewegungsraum für die Vereinzelten in dieser chaotischen Welt. Das erscheint auch darin, daß der andere verleugnet wird: Doc, um sich selbst scheinbar zu retten, verleugnet er den Sohn Bill und die Geliebte Ann. Die Raum- und Entwicklungslosigkeit wird auch in der Spielform sichtbar. Das Stück endet, wie es beginnt: Doc, der sich mühsam "emporgearbeitet" hat, sinkt zusammengeschlagen wieder nieder. Er muß sicht selbst verleugnen und scheitert daran – sein Leben wird in diesem Keller, fünf Stockwerke unter der Erde, in seinem eigenen Labyrinth enden – raumlos, ohne Freiheit, lebendig vergraben. Cop dagegen stirbt freiwillig, erkennend, daß der Tod die letzte Möglichkeit ist, der Mitmacherei ein Ende zu setzen, sich von dem Labyrinth zu befreien.662 Am Anfang Dürrenmatts dramatischer Tätigkeit fanden wir eine Komödie ohne Perspektive, die Welt – mit dem Labyrinth zusammen – explodierte. Und dreißig Jahre

659 Als ein möglicher Ausweg erwähnt Dürrenmatt die Kreativität und die Naivität. Die Welt als Labyrinth, S.46f. 660 WA 7, 74. 661 WA 7, 85. 662 Arnold: Querfahrt, S.96f.; Goertz, S.109f.; Krättli: Wie soll man es spielen? Mit Humor!; F.Dürrenmatts Selbstkommentar Der Mitmacher - ein Komplex: in: text+kritik, H.56, 1977, 49-57.; Rühle, Günther: Ein schwerer Fall: Dürrenmatts Komödie Der Mitmacher, Uraufführung in Zürich, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.3.1973.; Knapp, S.118f.; Usmiani, Renate: Die späten Stücke >Porträt eines Planeten<, >Der Mitmacher<, >Die Frist<. In: Arnold, Armin (Hrsg.): Zu Friedrich Dürrenmatt. (Literaturwissenschaft-Gesellschaftswissenschaft 60.), Stuttgart: Klett, 1982, S. 136-139.; Weber, Ulrich: `Ob man sich selbst ein Stoff zu werden vermag?´: Kierkegaard und die Entwicklung des subjektiven Schreibens im`Mitmacher´-Komplex. In: Quarto (1996) H.7., S. 65-79.; Probst, Rudolf: Die Komödie `Der Mitmacher´: Abschied vom Drama? In: Quarto (1996) H.7., S.39-58. später finden wir wieder ein Stück, eine "Komödie", die ihre schlimmstmögliche Wendung nimmt, und deren hoffnungslosen Welt der Minotaurus kläglich in seinem Gefängnis krepiert. "Und dies war dann Erkenntnis: Das Leben ohne Raum in nichts endet".663 Zusammenfassend können wir also sagen, daß in dem Dramawerk Dürrenmatt die Labyrinth-Problematik nicht "lösen" konnte, so sollen wir uns jetzt sein Prosawerk anschauen, in dem er sich vor allem mit dem Problem der Identifikation beschäftigt hat.

4.3.4. Ein Schlüssel für die Deutung: Dramaturgie eines Labyrinths

Bevor wir uns der Problematik der Prosa zuwenden, müssen wir uns zuerst mit Dürrenmatts Essay, mit der 1972 geschriebenen und zuerst 1977 unter dem Titel Dramaturgie eines Labyrinths ausgegebenen Schrift beschäftigen.664 Sie erschien dann mit kleineren Veränderungen auch als Vorwort des Winterkriegs in Stoffe I-III. Weil die Erzählungen von Dürrenmatt eigentlich "Paraphrasen" und Rollenverteilungen, Identifikationen zum These des Mythos sind, müssen wir uns Dürrenmatts Überlegungen zu dem alten griechischen Stoff genau ansehen.665 Dürrenmatt denkt auch in diesem Fall "logisch" über das Labyrinth und den Minotaurus nach .666 Das Labyrinth wurde von Dädalus, "dem Leonardo der Mythologie"667 für den Minotaurus gebaut, für das Ungeheuer oben Stier unten Mensch, der auf seltsamer Weise in die Königsfamilie von Minos hineingeboren ist. Die Mutter dieses Wesens ist "Pasiphae, die Schwester des Augias und der Kirke [...] eine Göttin allerersten Ranges, Tochter des Okeanos und seiner Gattin Thetys". Sein Vater "dagegen war nicht so vornehm, ein dem Poseidon geweihtes Opferstier, dem mehr entstiegen, zoologisch gesehen offensichtlich ein Wiederkäuer, noch genauer, ein Vorweltstier (bos primigenius), den Minos in seine eigene Horde aufgenommen hatte".668

663 Vorwort zur Komödie; siehe Anm. 638 664 Keller, Otto: Die Erlösertat des Theseus im Labyrinth und die Zusätze Friedrich Dürrenmatts zur antiken Sage: zu Friedrich Dürrenmatts `Dramaturgie des Labyrinths´. In: Quarto (1996) H.7., S. 103- 110. 665 Dürrenmatt hat sich auch "wissenschaftlich" mit der griechischen Mythologie beschäftigt. In der Dramaturgie eines Labyrinths erwähnt er Ranke-Greaves und Hungers Lexikon der griechischen und römischen Mythologie (WA 28, 73), außerdem die Mythensammlung von Gustav Schwab (S.75) und Die Kreter von Euripides (S.84). 666 vgl. Dramaturgie eines Rebellen: Prometheus, S.7. 667 WA 28, 73. 668 WA 28, 72.; Die Welt als Labyrinth, S.29f. Gleich führt aber Dürrenmatt seine Gedanken weiter: der Vater von Minos war Zeus, der " sich Minos Mutter Europa ebenfalls in der Gestalt eines Stiers genähert hat", also, es kann vorkommen, daß Zeus damals auch den Chromosomen nach in einen Stier verwandelt hat, und eingentlich ist es dann ein Zufall, daß Minos in menschlicher Gestalt zur Welt kam, denn mit ebensoviel Recht könnte er auch selbst ein "Minotaurus" sein. Und so könnte es auch sein, daß Minos im geheimen der eigentliche Vater des Minotaurus war - "was den Mendelschen Gesetzen nicht widersprechen würde".669 Der Minotaurus von Dürrenmatt weicht dann auch in Betracht seiner Eigenschaften von unseren allgemeinen Vorstellungen von ihm ab. Weil dieses Wesen den Kopf eines Stiers besaß, kann es angenommen werden, daß es kein Raubtiergebiss, sondern das eines Wiederkäuers hatte und vegetarisch und ganz friedlich in seinem Labyrinth lebte. Dieses Labyrinth ist auch etwas anderes, als das wir früher gedacht haben. Damit der Minotaurus "äsen, zur Tränke gehen und in den Bäumen herumklettern konnte", war sein Gefängnis ein weiter Park mit Baumgruppen und einem Teich als Innenhof und erst aus der Umschließung dieser Grünfläche mit mehreren ineinander geschachtelten Gebäudekomplexen – "glatt und hoch, mit Fensterluken erst ganz oben, damit der Minotaurus nicht an den Mauern hinaufklettern konnte", – entsteht das Labyrinth.670 Diese Vorstellung ist etwas völlig Ungewöhnliches - auch Dürrenmatt hat es zugegeben, au-erdem widerspricht den Erzählungen von den sieben Jünglingen und sieben Jungfrauen aus Athen, die alle neun Jahre dem Minotaurus als Opfer gegeben wurden, und die von dem Ungeheuer zerfleischt und aufgefressen wurden. Dürrenmatt kann aber diese zwei grundsätzlich verschiedenen Bilder miteinander vereinbaren. Aus dem äsenden, gutmütigen, aber mit ungestümer Kraft versehenen Minotaurus kommt "seine unbewußte halbgöttliche Stierhaftigkeit", seine "göttergleiche Raserei" nur angesichts seiner Opfer vor. Denn dann fühlt er instinktiv, "daß er etwas Einzigartiges war, weder ganz Tier noch ganz Mensch, auch nicht ganz Gott, und das er als dieser Einzigartige für ein Unrecht büßen mußte, welches er nicht begangen hatte".671 Minotaurus verfügt zwar nur über das Gehirn eines Stiers, aber unbewußt "wollte" er ein Mensch werden – darum tötete und verschlang er immer wieder sieben Jünglinge und sieben Jungfrauen. Und Minos Gerechtigkeit seinem Stiefsohn gegenüber bestand

669 WA 28, 73. 670 WA 28, 74f. 671 WA 28, 77f. eben darin, "daß er ihm alle neun Jahre diesen unbewußten Willen erweckte und die dumpfe Erkenntnis, etwas Einzigartiges zu sein. Es war die Gerechtigkeit und die Liebe eines Totenrichters".672 Nach Dürrenmatts Interpretation war also die Tat von Minos ein Ergebnis seiner Gerechtigkeit. Seinem besten Willen nach hat er das Labyrinth eingerichtet: "Die Liebe des Minos Minotaurus gegenüber wird dann darin bestanden haben, daß er mit dem Labyrinth für den absolut Einzelnen, welcher der Minotaurus durch seine Ungestalt nun einmal war, ein einmaliges Universum schuf, eine absolut vereinzelte Welt, eine Ungestalt wie Minotaurus selbst, in der sich Minotaurus wie ein Gott wunschlos glücklich hätte fühlen können". Da aber Minotaurus - wie die Götter - nicht fühlen kann, schickt Minos ihm diese Opfer. So kann dieses bewußtlose Ungeheuer im Vergleich zu der Unglücklichkeit, die ihm das Begegnen mit den menschlichen Wesen bedeutet, seine Glücklichkeit und seinen "ungeheueren ewig gefüllten Futtertrog" friedlich genießen.673 Der bisherige Gedankengang hat gezeigt, daß diese Paradoxie des alten Mythos: Inzest, Perversion, die Ungestalt des Wesens und die Frage, ein "schuldig Unschuldiger" zu sein, den Autor sehr beschäftigt hat. Aber wir wissen noch immer nicht, warum gerade dieser Stoff "one of those major obsessions that have dominated (his) imagination for over forty years war".674 Was Dürrenmatt wirklich angezogen hat, war die Möglichkeit einer metaphorischen Interpretation – die schon behandelten Bedeutungsebenen des Labyrinths. Der Minotaurus selbst ist dann für Dürrenmatt in den 70er Jahren nicht der allerwichtigste – das ist eben das Labyrinth. "Das Labyrinth ist mehr als ein Gefängnis - es ist eine Unbegreiflichkeit -, es hält uns allein durch diese seine Eigenschaft gefangen und wird darum auch als seine letzte Paradoxie davon unabhängig, ob der Minotaurus existiere oder nicht; ein Gefängnis, das deshalb keine verschlossenen Türen braucht, die unzähligen Tore des Labyrinths stehen offen, ein jeder kann sich darin verirren."675 Es dauerte mehrere Jahre bis Dürrenmatt nach seinen Kant- und Kierkegaard-Lektüren auf diese Stufe seiner Folgerungen gelangte und in all diesen Jahren beschäftigten ihn

672 WA 28, 78.; Mit dem Problem Tier-Mensch-Gott beschäftigt sich Dürrenmatt in "Prometheus" und in Stoffen, S.81f. 673 WA 28, 79. 674 Donald, Sydney G.: "Of mazes, men and minotaurs: Friedrich Dürrenmatt and the myth of the labyrinth". In: Modern German studies. 1986/87, H. 14, S. 187-231., S.188. 675 WA 28, 81; Das Thema, daß das Labyrinth einen auch ohne geschlossene Türen gefangenhält, wurde schon in den Erzählungen Die Stadt und Aus den Papieren eines Wärters bearbeitet. zwei große Probleme im Zusammenhang mit der alten Geschichte: eine entsprechende neuzeitliche Form für den antiken Stoff zu finden und andererseits das Problem der Identifikation mit den Figuren der Erzählung. Dieses letztere Problem konnte Dürrenmatt 1977 noch nicht lösen, so hat er alle Möglichkeiten durchprobiert. "Indem ich jedoch ein Labyrinth entwarf, identifizierte ich mich unbewußt mit dem Minotaurus, als Protest gegen meine Geburt, denn die Welt... war mein Labyrinth, der Ausdruck einer rätselhaften mythischen Welt, die ich nicht verstand. Mehr noch. Ich identifizierte mich auch mit jeden, die in das Labyrinth verbannt und vom Minotaurus zerfleischt wurden, [...] und schließlich identifizierte ich mich mit Theseus selbst, der den Minotaurus tötete."676 Später kommt noch die Gestalt von Dädalus hinzu, "denn jeder Versuch, die Welt, in der man lebt, in den Griff zu bekommen, sie zu gestalten, stellt einen Versuch dar, eine Gegenwelt zu erschaffen, in der sich die Welt, die man gestalten will, verfängt wie der Minotaurus im Labyrinth."677 So hat sich der Autor mit allen möglichen Rollen identifiziert, aber die "Schlußpointe" dieses Stadiums ist die Gleichsetzung der Figur des Theseus mit dem Minotaurus.678 Dürrenmatt erreicht diesen Entwicklungsgrad zur Zeit des Erscheinens der Stoffe (1981) und des Gesprächs mit Franz Kreuzer (1982). Diesen Interpretationen mußte Dürrenmatt eine entsprechende Form finden und zu diesem Versuch bot die Prosa eine gute Möglichkeit – wie es Donald betont679 – durch die Rolle eines Narrators und die erste Person Singular-Erzählform. Das Ringen des Schriftstellers mit den Assoziationen werden wir anhand eines einzigen Grundstoffs untersuchen, der aber in einer langen Zeitspanne (1947-81) in drei unterschiedlichen Erzählungen: Die Stadt, Aus den Papieren eines Wärters und Winterkrieg in Tibet erscheint.

4.3.5. Das Labyrinth in der Prosa von Dürrenmatt

"Der Winterkrieg in Tibet ist ein Stoff ohne Handlung , eigentlich ein endloser Alptraum, den ich zwei Jahre später in den Erzählungen Die Stadt und Die Falle weiterträumte, ohne mich von ihm befreien zu können. 1951 versuchte ich, den Winterkrieg doch zu schreiben, das Unternehmen blieb ein Fragment [...] Dieses Weltlabyrinth ist geblieben, es hat nicht nur den Zweiten Weltkrieg überlebt, es ist noch

676 WA 28, 81. 677 WA 28, 81.; Die Gestalt des Dädalus ist auch deshalb für Dürrenmatt interessant, daß er, der Aufbauer des Labyrinths selbst ein Gefangener von Minos auf der Insel Krete war. 678 WA 28, 85f. 679 Donald, S.201. labyrinthischer geworden; [...] ist denn auch an meiner ursprünglicher Konzeption nur der Untertitel zu ändern, statt Aus den Papieren eines Wärters nun Der Winterkrieg in Tibet, und das, weil ich jetzt den sehe, den ich vorher nicht sah, den Erzähler."680 Auch dieses Zitat verrät uns die großen Schwierigkeiten Dürrenmatts mit diesem Stoff, die Welt durch dieses Gleichnis aufzufassen, und auch die Schwierigkeiten des Forschers, aus dem "Durcheinander" der Ideen des Autors einen Entwicklungsweg darzustellen, zwar ist dabei der Spiegel der Dramaturgie eines Labyrinths eine große Hilfe. Die Erzählung Die Stadt ist die am frühesten (1947/52) publizierte Bearbeitung der Labyrinth-Thematik.681 Dieses "fragmentarische" Werk enthält viele biographische Elemente, z.B. auch der Autor dieser "Handschrift" ist ein Schriftsteller und Maler, er wohnt in einer Mansarde, die er selbst dekoriert hat, was der Dürrenmattschen Mansarde und Dekoration ähnelt, er ist Philosophiestudent, und beschäftigt sich mit Platon. Der Ich-Erzähler schildert die Stadt, ihre Menschenmassen, ihre gesellschaftliche Struktur: Verwaltung, Arbeitsheere, Gefangene, Wärter. Im ersten Teil empört er sich über die Stadt, aber eigentlich hat er Angst davor: vor der Äußere der Stadt, vor deren Geschlossenheit und vor deren Fähigkeit, das Leben seiner Bürger zu kontrollieren. Er nimmt sogar an einem Aufstand gegen die unsichtbare Verwaltung teil, aber dieser Aufstand löst sich auf als wäre nichts geschehen. In zweiten Teil tritt er dann in die Dienste der Stadt. Er wird Wärter in einem unterirdischen Gefängnis. Er wird mit einer Uniform versehen, aber Wärter und Gefangene tragen die gleiche Uniform. Als Beobachtungsposten wird ihm eine Nische zugewiesen. Dort hockt er in seiner Zelle und versucht zu erraten, worin eigentlich seine Aufgabe bestehe. In dem Lichtschimmer kann er nur einige Schatten sehen, daraus versucht er auf die Stellung und Verteilung der Gefangenen zu folgern. Zuerst freut er sich über seine Macht über die anderen: "Es erfaßte mich eine wilde Freude, die einem jähen Gefühl unermeßlicher Macht entsprang, die mich zum Gott der Kreaturen machte, die vor mir in ihren Nischen zitterten. Mich überkam die Lust, durch den Korridor zu schreiten, damit alle mich sähen, und ewig so zu schreiten, [...] an

680 WA 28, 69. 681 Graeser-Isele, Eva-Maria: Mythologische Orte als Lebensmuster? Der Weg von Dürrenmatts Erzählung `Die Stadt´ (1946) zur Ballade `Minotaurus´ (1985). In: Gymnasium: Zeitschrift für Kultur der Antike und humanistische Bildung. Bd. 94/1987, H.6, S. 539-552; Grossen, Gaby: Sprach- und Denkstrukturen von Kierkegaard, Platon und Kant in Friedrich Dürrenmatt: "Die Stadt". Lizentiatsarbeit (Uni Bern, Prof. Rusterholz), 1997 jenen vorbei, die in ihren Nischen kauerten682, wie gefangene Tiere, eingesperrt in ihre Käfige. O, ich wollte sie zähmen!"683 Aber dann denkt er über seine Position nach und schon kommen die Zweifel: ist er nicht selbst ein Gefangener? In dessen Bewußtsein könnte er aber nicht leben, so denkt er lieber über eine andere Verteilung der Gefangenen bzw. eine andere Ordnung des Gefängnisses nach. Diese Erzählung ist neben Kafka viel stärker von Platons Höhlengleichnis beeinflußt.684 Aber wenn wir Platons Erkenntnisstadien zur Grundlage unserer Interpretation nehmen, bleiben bestimmte Fragen unbeantwortet. Ist er ein Wärter oder ein Gefangener? Wenn er Wärter ist, ist er der einzige oder gibt es auch andere? Wenn ja, wo steht er dann in der Hierarchie der Wärter? Existieren die Gefangenen, die er seiner Meinung nach bewacht, in der Wirklichkeit oder ist er der einzige Bewohner dieses unterirdischen Gefängnisses? Diese Erzählung gibt keine Antwort, aber aus Dürrenmatts Labyrinth-Interpretation können wir diese Fragestellungen untersuchen. Die drei alten Frauen – eigentlich die mythologischen Parzen –, die ihn geworben haben, haben ihm gesagt, sein Dienst sei völlig freiwillig, er kann in die Stadt zurückkehren wann er nur will. Selbst nach seiner Beobachtung scheint es ihm so, daß die Eingangstüre nicht verschlossen sind.685 Trotzdem, auch nach seinen Zweifeln, bleibt er auf seiner Stelle: das Labyrinth braucht keine verschlossenen Türe, um uns gefangenhalten zu können. In diesem Werk werden also die später noch oft bearbeiteten Motive ineinandergeschoben: die Welt ist einerseits wie ein Gefängnis, andererseits ist sie wie ein Labyrinth.686 Der Leser dieser Erzählung kann auch an Dürrenmatts Identifikationsversuche mit den Figuren des Labyrinth-Mythos denken. Der Narrator geht freiwillig in die unterirdischen Gänge687, wie Theseus, tastet an der Wand herum, wie die Opfer des Minotaurus und vielleicht ist er ein Gefangener wie Minotaurus. Donalds Ansicht nach erscheint auch der allwissende Dädalus, in der Rolle der Verwaltung, denn sie war verantwortlich für den Aufbau des Gefängnisses und nur sie kann die Wahrheit von ihm

682 Hervorhebung von K.K., das Wort verweist auf Minotaurus. 683 WA 18, 137. 684 Platon: Der Staat, VII.Buch. Auch dieser Erzähler sieht zuerst nur die Schatten der Wirklichkeit, aber er gelang doch auf die Stufe des Denkens. Vor der vollen Wahrheit, "vor der Sonne" erschrickt er, und kehrt in seine dunkle Zelle zurück. dazu: Goertz, S.44.; Donald, S.206f.; zu Kafka: Tantow: Kafka und Dürrenmatt. 685 WA 18, 134f. 686 Die Beschreibung des Gefängnisses ist ganz ähnlich zu der von G. Schwab. 687 Es ist interessant, daß Dürrenmatts "konkrete" Labyrinthe, Gefängnisse immer unter der Erde sind. z.B. Die Stadt, Aus den Papieren eines Wärters, Winterkrieg in Tibet, aber auch Der Mitmacher. wissen.688 Dürrenmatt selbst äußerte sich in dem Gespräch mit Kreuzer so: "Ich habe den Stoff (d.h. Labyrinth) zum ersten Mal in der Novelle Die Stadt behandelt - aber es war eben nur ein Teil, es fehlte das, was der eigentlich Sinn des Labyrinths war: das war, das ist ja der Minotaurus."689 Es sprechen doch einige Argumente dafür, daß wir diesem Wärter für einen Theseus = Minotaurus halten. Von den Gefangenen sagt unser "Held", daß sie in ihren Nischen kauerten. Er selbst kauert genauso in seiner Zelle, auch darin unterscheidet er sich nicht von den übrigen Eingeschlossenen. Dieses Verb kauern ist aber bei Dürrenmatt ein "Epiteton" von Minotaurus.690 Außerdem ißt der "Wärter" sein Fleisch wie "die gefangenen Tiere". Es gibt viele Ähnlichkeiten mit dem Minotaurus. Vielleicht finden wir hier schon das später verstärkte Motiv, der mutige Theseus wagt ins Labyrinth hinein, wo er sich in einen kauernden Minotaurus "verwandelt". Dieser Stoff der Stadt wurde in der späteren Erzählung Aus den Papieren eines Wärters bearbeitet – interessanterweise in dem Jahre 1952, in dem Die Stadt. Prosa I- IV mit der Originalversion erschien. Dürrenmatt nennt diese neue Schrift ein Zwischendokument691, nicht nur in dem Sinne, daß sie größtenteils die Elemente der Stadt bearbeitet und weiterführt, und gleichzeitig auch die Gedanken des Winterkriegs vorbereitet, sondern auch weil wir in einem Absatz dieser Erzählung eine Zusammenfassung der Auswegsuche der späteren Dramatik finden: "Ich fand jene, die sich in die Wissenschaft flüchteten, ich war in ihren verstaubten Laboratorien und in ihren Lesesälen, ich sah, wie sie einem Phantom nachjagten, um nicht die Wirklichkeit dieser Welt zu schmecken. Ich besuchte die Ateliers der Künstler und wandte mich mit Abscheu von ihnen ... Die Dichter und Musiker glichen Gespenstern aus längst untergegangenen Zeiten. Ich betrat die zerfallenen Kathedralen und hörte den Geistlichen zu, die sich vor halbgefüllten Bänken bemühten, in den leeren Raum dieser Welt das Licht ihrer Religion zu gießen [...]".692 Dieses Werk, das schon wieder ein Fragment ist, besteht aus zwei Kapiteln. Der erste, viel längere Teil folgt größtenteils dem Gedanken der Stadt. Dieser Narrator ist aber ein Veteran, der Abenteuer sucht und der sich schließlich so nach Mord sehnt, daß er sich entschließt, einen Beamten der Verwaltung zu erschießen. Er findet aber einen Zettel auf seinem Tisch, daß er gerade bei diesem Verwalter erscheinen soll. Dieser Beamte bietet ihm nach unterschiedlichen Arbeitsmöglichkeiten Macht an. In der Stadt empfindet nur der "Wärter" eine zeitlang "ein Gefühl unermeßlicher Macht", in der 688 Donald, S.208. 689 Die Welt als Labyrinth, S.21. 690 vgl. die Ballade Minotaurus. 691 WA 18, 197f. 692 WA 18, S.158f. neuen Bearbeitung wird schon explizit ausgesagt, daß die Verwaltung Macht anbietet, sogar die ganze Gesellschaft aus Machtlosen, d.h. Gefangenen und aus Mächtigen, d.h. Wärtern besteht.693 Ein anderer Aspekt, der hier noch verstärkt wird, ist der der Freiheit bzw. der Charakter des Labyrinths. Hier versichern nicht die drei Alten den neuen Wärter, daß er "den Dienst jederzeit einstellen kann", sondern der ernste, glaubwürdige Beamte sagt: "Freiwillig treten Sie ein, freiwillig können Sie wieder austreten. Die Türe ist offen."694 Der zweite Teil ist ganz kurz, insgesamt acht Seiten, aber hier finden wir die wichtigsten vorbereitenden Elemente des Winterkriegs. Der "Wärter" bekommt schon Waffen und er ist nicht mehr in einer Zelle "verschlossen", sondern mit seinem Begleiter steigt er in ein unterirdisches Höhlensystem, wo er seinem alten Kommandanten begegnet. Die Frage, ob man Wärter oder Gefangener ist, ist viel zugespitzter, trotzdem wirkungsloser aufgeworfen: in der Mitte der Höhle hängt ein nackter Mann, der sich eingebildet hat, er sei ein Gefangener. Diese Erzählung bereitet uns schon auf die Sichtweise, mit der wir uns im Winterkrieg treffen. Dürrenmatt hat hier vor allem den Gedanken von dem unsichtbaren Feind entwickelt; man kann nicht mehr wissen, wo der Minotaurus auf einen lauert. Der wesentlichste Schritt in dieser Labyrinth-Thematik ist Der Winterkrieg in Tibet in Stoffen I-III.695 In dieser Endzeitvision ("Stoff ohne Geschichte") folgt ein Söldner, der schon den Dritten Weltkrieg mitgemacht und überlebt hat696, seinem alten Kommandanten in die Gebirgswelt des Tibet. Sie leben/vegetieren in einem System von Stollen und Gängen, deren Grundriß sie nicht kennen, in einem Labyrinth also. Als ein "Weltgleichnis" hat Dürrenmatt den Winterkrieg entworfen. Und gewiß gibt es in dieser Parabel Bilder von großer Eindringlichkeit, zumal in den Gestalten des Söldners und des Jonathans, die ihrer wesentlichen Gliedmaßen beraubt sind und deren Armprothese

693 WA 18, 182. 694 WA 18, 184. 695 Keller, Otto: Kritik des aberländischen Denkens in Stoffe I: Der Winterkrieg in Tibet. Das Labyrinth: Weltgleichnis oder Epos einer neuen Aufklärung. Bern u.a.: Lang, 1999; Rausch, Jens: Darstellung des Unfassbaren. Friedrich Dürrenmatts Weltgleichnis Der Winterkrieg in Tibet. Tübingen, Mai 1999 [Unpubl. Facharbeit bei J. Brummack]; Shafi, Monika: Der Blick zurück in die Zukunft. Eine vergleichende Analyse von Friedrich Dürrenmatts "Der Winterkrieg in Tibet" und Christa Wolfs "Kassandra". In: Gerhard P. Knapp, Gerd Labroisse (Hrsg.): Wandlungen des Literaturbegriffs in den deutschsprachigen Ländern seit 1945. (Amsterdamer Beiträge zur Germanistik 27.), Amsterdam: Rodopi, 1988 696 Dieser Teil der Erzählung ist schon 1980 gesondert veröffentlicht worden. in Maschinenpistole übergeht – Sinnbilder des brutalen, zum Kriegswerkzeug mechanisierten Menschen. Doch ist es in diese Geschichte schon zu vieles hineinverschlüsselt. Man konnte schon von der Stadt bis zum Winterkrieg einen allmählichen Perspektivenwechsel beobachten: der Narrator ist nicht ein aus Zivilmenschen gewordener Wärter wie in der Stadt, oder ein ehemaliger Soldat, der als Wärter in den Dienst der Verwaltung tritt (Aus den Papieren eines Wärters): hier war und wird "Hänschen", wie ihn sein Kommandant nennt, immer ein Soldat. Für ihn ist der Krieg "eine andere Möglichkeit [...] diese Welt zu ertragen".697 Dieser Söldner ist ein Theseus, der freiwillig in das Labyrinth geht, um den Minotaurus : den Feind zu töten. Es ist seine Pflicht; er fragt nicht, wer dieser Feind ist. "Glaubst du an Gott?" "Nein." – sagte ich. "Glaubst du an eine unsterbliche Seele?"[...]"Nein" - sagte ich. "Ist auch nicht Vorschrift" – meinte er [...]"Glaubst du an einen Feind?" – "Ja" – sagte ich. "Siehst du", sagte er, "das ist Vorschrift."698 "Die Frage nach dem Feind darf ein Söldner nicht aufkommen lassen, aus dem einfachen Grund, weil sie ihn umbringt. Stellt er den Feind in Frage - und sei es auch nur im Unbewußten –, kann er nicht mehr kämpfen."699 Bei "Hänschen" ist das nicht einfach ein Glaube an den Feind - bei ihm ist es ein so großes Pflichtbewußtsein, daß er diejenigen tötet, die nicht mehr daran glauben können. Er ermordet vier Menschen: zuerst den Soldaten in der Höhle, der sich eingebildet hat, es gibt keine Feinde, dann seinen Kommandanten, der zwar den eben genannten Soldaten gefoltert hat, aber später selber die Existenz des Feindes einen Stumpfsinn nennt; erst danach erzählt der Narrator – in die Felswand kritzelnd – seine Tat noch vor dem Winterkrieg: die Ermordung von Edinger, den wir als eine Reinkarnation des Beamten aus den "Papieren" betrachten können und der für den Neubau und den Frieden ist; in einer für Dürrenmatt typischen grotesken Szene tötet er später jemanden in der Ausstellungshalle von dem Winterkrieg, also einen Vertreter der neuen Zivilisation auf der Erde.700 Aber diese vier Mordtaten bedeuten für den Erzähler eigentlich immer ein neues Entwicklungsstadium. "Plötzlich begriff ich, was mir fehlte, seit ich Edinger getötet habe. >Der Feind<, sagte ich langsam. >Ich habe keinen Feind

697 WA 18, 169. 698 WA 28, 89. 699 WA 28, 95f.; Diese Frage nach dem Feind wäre aber auch deshalb berechtigt, denn Freund und Feind die gleichen Uniformen tragen. Das ist ein Motiv, das auch in der Stadt vorkommt. 700 Es ist schon wieder eine kleine Veränderung im Vergleich zu den früheren Erzählungen, die natürlich der Perspektivenänderung Wärter-Gefangener> Freund-Feind entspricht. Stoffe, S.96f. mehr.< Ich war plötzlich unsäglich müde und ohne Hoffnung." Auf der Erdoberfläche hat er keinen Feind mehr, aber es gibt noch eine einzige "Hoffnung": der Winterkrieg in Tibet. Aber auch hier muß er über die Existenz des Feindes nachdenken – aber erst danach, nachdem er schon völlig alleine in den Stollen kriecht und den Minotaurus, d.h. den Feind nicht findet. Bei diesem Gedankengang macht er den Entwicklungsweg nach Platon durch. Es ist ein ziemlich absurder Einfall von Dürrenmatt, daß der Narrator Philosophiestudent war, sogar mit Platon: Der Staat, VII. Buch als Hauptfach. So kann er sich selber nach dem Höhlengleichnis beurteilen. "Aber dann, [...] ,frage ich mich, ob ich wohl von mir und von anderen je etwas anderes zu sehen bekomme, als die Schatten, die das Feuer auf die Höhlenwand wirft, die meinem Gesicht gegenüberliegt, und ob ich wohl nichts anderes als die Schatten jener Gestalten für wahr halte. Ja, und wenn eine Stimme von irgendwoher mir zuriefe, diese Schatten [...] seien meine Feinde, ob ich da nicht auf die Schatten auf der Wand der Höhle vor mir schießen und auf diese Weise, weil die Kugeln von der Wand zurückprallten, [...] jene töten würde, die wie ich an Schenkeln und Hals gefesselt wären."701 Er lebte also auf der niedrigsten Erkenntnisstufe und hat die anderen nur darum getötet, weil sie an diesen Schatten als Feinde nicht mehr geglaubt haben. Aber nachdem er sein Zweifel hatte aufkommen lassen und darüber nachgedacht hatte, kann er die Frage nicht mehr zurückdrängen: "wer ist der Feind? Die Frage vermag mich nicht mehr zu lähmen, und auch die Antwort nicht. Ich habe nichts mehr zu verlieren [...]. Ich habe das Rätsel des Winterkriegs gelöst." 702 Nach dieser Frage und Antwort könnte er schon aus der Höhle rauskommen und ins Feuer, ins Licht sehen. "Wenn ich aber entfesselt und genötigt würde, plötzlich aufzustehen, den Kopf zu drehen, herumzugehen, in das Licht zu sehen, und wenn ich dabei Schmerzen empfände und wegen des grellen Lichts nicht jene Menschen anschauen könnte, deren Schatten ich vorher zu sehen pflegte, Menschen in der gleichen Lage wie ich, wäre ich da nicht der Meinung, die vorher geschauten Schattengestalten hätten mehr Realität als die, welche ich jetzt gezeigt bekomme? [...]. und ich bleibe dabei, diese seien wirklich deutlicher als die, welche ich gezeigt bekommen habe, denn diese seien meine Feinde? und würde ich nicht wieder zu schießen beginnen, um sie wieder zu töten und mich von ihnen immer wieder töten lassen?" Das alles steht in Form von Fragen. Wenn er eine endgültige Antwort geben könnte, wenn er endlich einsehen könnte, es gibt überhaupt keinen Feind mehr, kein Krieg hat einen Sinn mehr, würde er sich aus dem Labyrinth befreien: in erster Linie bedeutet das nicht das Höhlensystem, sondern das Labyrinth seiner Gedankenwelt. Wenn er wirklich

701 WA 28, 155f. 702 WA 28, 155. zugeben könnte, es gibt überhaupt keinen Feind – wäre er frei und würde die Sonne von Platon erblicken. Aber "hinter dem raffiniertesten Schleier der Wahrheit " findet er nur soviel: "das Ziel des Menschen ist, sich Feind zu sein – der Mensch und sein Schatten sind eins."703 Am Ariadnefaden seines Denkens beginnt er nach dem Minotaurus zu suchen, zuerst fragt er, wer denn Minotaurus überhaupt sei, später, ob es ihn gäbe, und endlich beginnt er zu überlegen, wenn es den Minotaurus nicht gäbe, warum sei das Labyrinth überhaupt. "Vielleicht deshalb, weil Theseus selber der Minotaurus ist und jeder Versuch, diese Welt denkend zu bewältigen [...] ein Kampf ist, den man mit sich selber führt: ich bin mein Feind, du bist der deinige."704 So, im übergrellen Licht de Erkennung rollt er sich entgegen, "beide haben wir nun je zwei Maschinenpistolen-Prothesen, in die Wand zu ritzen gibt es nichts mehr , wir richten unsere vier Maschinenpistolen auf uns und feuern gleichzeitig. "705 Der Erzähler hat also scheinbar die "Wahrheit" erkannt: der Mensch ist der Feind sich selber, homo hominis lupus, Theseus ist Minotaurus, aber er kann sich von seiner Vorstellung eines Feindes doch nicht befreien. Er kommt zwar aus der Höhle auf die Sonne, aber er ist schon blind, er kann nichts mehr sehen und er stirbt bald. Dürrenmatt faßt die Lehre so zusammen: "Auf den Winterkrieg bezogen: wir können dem Labyrinth nicht entgehen. Ein Stoff, auf den wir einmal stießen, läßt uns nie mehr los. Wir bleiben in seiner Schwerkraft gefangen."706

4.3.6.Der Ausweg (?) aus dem Labyrinth: der tanzende Minotaurus

In der im Jahre 1985 erschienenen Prosaballade Minotaurus erreichten die dramaturgischen Überlegungen des schweizerischen Autors über das Labyrinth ihren Höhepunkt. Mit diesem knapp 31 Seiten umfassenden Text, der mit neun Zeichnungen des Autors versehen ist, kehren wir zum "eigentlichen", klassischen griechischen

703 WA 28, 158. 704 WA 28, 86. 705 WA 28, 159. 706 WA 28, 170. Mythos zurück, und die Erzählung ist selber "klassisch": klar im Aufbau und durchdacht in der Gestaltung. Dürrenmatt gelingt es, die verschiedenen Mythologeme, die den Mythoskomplex um das Labyrinth und den Minotaurus behandeln und keine geschlossene Handlung besitzen707, all diese heterogene Prätexte zu einem geschlossenen narrativen Diskurs zu formen.708 Der Autor selbst faßt den Inhalt des Minotaurus im Gespräch mit Michael Haller folgendermaßen zusammen: "In dieser Ballade befindet sich der Minotaurus in einem Labyrinth, dessen Wände aus Spiegeln bestehen. Er steht seinem Spiegelbild gegenüber, und dieses spiegelt sich immer weiter. Zuerst meint er, daß er einer unter vielen sei. Er ist ungeheuer glücklich – bis er merkt, daß dieses Glück ein Traum war. Jetzt begreift der Minotarus, daß er immer nur sich selbst sieht. Er erkennt seine absolute Vereinzelung. Er ist der absolut Einzelne, ein Geschöpf wie ihn gibt es sonst nicht mehr, denn die Welt spiegelt immer nur ihn. Dann aber kommt zum ersten Mal ein Mädchen ins Labyrinth. Mit diesem Mädchen beginnt er zu spielen, dann tötet er, ohne zu wissen, daß er überhaupt töten kann. Als später die Menschen ins Labyrinth eindringen, rennt er aus Wut über das verlorene Spielzeug gegen sie an. Die Ariadne taucht auf, wenn er schläft. Sie tanzt um ihn herum und windet den Faden um seine Hörner. Am Schluß wird er von Theseus erschlagen, der sich ihm in der Maske des Minotaurus genähert hatte."709 Die Ausgeformtheit und Geschlossenheit des Werkes zeigt sich auch dadurch, daß Dürrenmatt es – trotz seiner Gewohnheit – "in einem Zug durchgeschrieben hat"710, mit relativ wenig Umarbeitungen.711 Bei der Beschäftigung mit Minotaurus stößt man aber auf viele Probleme, was vor allem mit dem von Dürrenmatt immer wieder betonten Gleichnishaftigkeit des Textes zusammenhängt. "Das Labyrinth ist ein Gleichnis und als solches mehrdeutig wie jedes Gleichnis."712 "Nicht eine Erklärung ist der Sinn eines Gleichnisses, sondern alle seine möglichen Erklärungen zusammen, wobei die Zahl dieser möglichen Erklärungen zunimmt, das Gleichnis wird immer mehrdeutiger."713

707 Paulys Real-Encyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft. Stuttgart: Metzler 1932. Sp. 1927- 1934; "Aber dieser Mythos ist erst ziemlich spät entstanden, ist eine Mischung, da sind viele Einflüsse zusammengekommen. Diese Sagen sind ja irgendwie zusammengeflickt aus verschiedenen überlieferten Bruchstücken". Gespräche 4, 178. 708 Wirtz, Irmgard: Mit Minotaurus im Labyrinth? Eine semiotische Lektüre von Friedrich Dürrenmatts Labyrinth in Text und Bild. In: Kodikas / Code. Ars Semeiotica 19 (1996) Nr. 4. S. 331-342; 334f. 709 Gespräche 4, 176f. 710 Gespräche 4, 177. 711 Ich möchte auf diese Umarbeitungen später näher eingehen, denn sie sind nicht einfach stilistische Verbesserungen, sondern belegen die semantische Entwicklung des Textprozesses. 712 Dürrenmatt, Friedrich: Labyrinth. Stoffe I-III., WA 28, 71. 713 WA 28, 83f. Um diese Mehrdeutigkeit besser verstehen und dann noch eine weitere – subjektive – Erklärung hinzufügen zu können, ist es einerseits aufschlußreich zu untersuchen, welche Elemente aus welchen antiken oder modernen Quellen übernommen, und wie sie modifiziert wurden, bzw. wo die Stellen sind, wo Dürrenmatt frei fantasiert. Andererseits könnten uns die intertextuellen Bezüge im schriftstellerischen Œuvre von Dürrenmatt zu neuen Ergebnissen bringen.

4.3.6.1. Minotaurus. Deutungsmöglichkeiten in der Antike

Der entscheidende Unterschied zwischen der Ballade und allen früheren Versionen des Mythos befindet sich in der Perspektive: Dürrenmatt versucht die Welt mit den Augen des Minotaurus zu sehen und mit dem Gehirn des "Ungeheuers" aufzufassen. "Ich habe die Ballade also ganz bewußt auf das Thema der Vereinzelung angelegt, auf den Einzelnen, der nie zu einem Gegenüber kommt."714 Die zentrale Rolle des Minotaurus ist eigentlich eine logische Folge Dürrenmatts früheren Gedankengängen: in seinen früheren Schriften hat er schon alle Möglichkeiten des Labyrinth-Stoffes ausprobiert und durchgespielt, er hat sich schon mit Theseus und Daidalos identifiziert, kommt sogar zu der überraschenden Schlußfolgerung: Theseus ist Minotaurus. Es ist aber noch verblüffender, daß die verschiedensten Interpretations- und Identifikationsmöglichkeiten schon in dem antiken Stoff verborgen sind. In der Antike war der Minotaurus zunächst nichts weiter als "Minosstier" (ταυρος Μινω) und wird erst allmählich zum wirklichen Eigennamen, zum Zwitterwesen bzw. durch die rationalisierenden Erklärungsversuche des Hellenismus sogar zu einer rein menschlichen Gestalt. Er scheint auch für die Griechen etwas Fremdartiges geblieben zu sein, denn sie sprechen von dem "sogenannten" (ο λεγοµενος/ ο καλουµενος) Minosstier715 oder Pausanias verrät ein Schwanken über die Auffassung der Gestalt des Minotaurus: "ειτε ανηρ ειτε θηριον ην οποιον κεκρατηκεν ο λογος"716. Im allgemeinen ist aber seine äußere Erscheinung ziemlich einheitlich gedacht, wobei das Tierische mehr hervorgehoben wird als das Menschliche.717

714 Gespräche 4, 177. 715 RE Minotaurus Sp. 1927 716 Paus. I. 24, 1.: "Entweder Mensch oder Stier war, wie verschieden man darüber sprach." 717 Joann. Ant. FHG IV. 539, 16; Ovid. Her. X 106; Stat. Theb. XII. 669; Eurip. Frg. 383 N = Plut. Thes XV.; Verg. Aen. VI. 25; Ovid. Met. VIII. 156.; Euseb. Chron. II. 48 SCh. Interessant sind auch die Namen bzw. die Beinamen des Minotaurus. Der Minotaurus besaß einen wirklichen Eigennamen, den Asterios718, und unter diesem Namen wurde er von seinen Anhängern als Stern verehrt.719 In späteren Erzählungen wurde aber Asterion zum rein menschlichen Sohn des Minos.720 Das ist aber wiederum der Name, unter dem Dionysos als Kind und Knabe in den Mysterien angerufen wurde. Dionysos selbst spielt eine wichtige Rolle in dem Mythenkreis, er nimmt die im Schlaf verlassene Ariadne zur Braut, bzw. in einer anderen Variante versucht er schon auf Kreta die Gunst der Königstochter zu erlangen, nämlich durch das Geschenk der goldenen Krone, deren Leuchten dem Theseus den Ausweg aus dem Labyrinth zeigte.721 In dem Mythos kommen also kosmische und zoomorphische Vorstellungen zum Ausdruck. Der Minotaurus ist Stern- oder Sonnenstier, seiner Abstammung nach der Enkel des Helios oder der Sohn des Zeus, er hat aber Beziehungen auch zu der Unterwelt. Nach manchen Vorstellungen war der Minotaurus die Gestalt des im Labyrinth eingesperrten Zeus Labrandes, das Ungeheuer wäre demnach nur eine Erscheinungsform des Kretischen Zeus. Auch Zeus hat den Beinamen Asterios722, der Minotaurus wird also mit ihm gleichgesetzt. Schon der Name weist auf Astralbeziehungen hin, und den Sonnen- und Monddienst unterstützen auch die dem Minotaurus gebrachten Menschenopfer. Für die ganze Beurteilung des Minotaurus-Mythos ist es nun sehr charakteristisch, daß die verbreitete aber als fremdartig empfundene Anschauung in der Literatur oft eine rationalistische Umdeutung erfuhr, wobei der Minotaurus beseitigt oder zum völligen Menschen wurde. Die Athener wären demnach gar nicht getötet, sondern nur in dem Labyrinth genannten Gefängnis eingesperrt.723 Und Taurus wäre ein Feldherr oder ein grausamer, besonders der athenischen Jugend gegenüber harter Mann.724 Die Athener wären Kampfpreise für die Sieger in den Leichenspiele zu Ehren des Androgeos, und bei den ersten Spielen war dieser Tauros der Sieger, der später von Theseus besiegt wurde.725

718 Apollod. III. 11., Tzetz. Lukophr. 1301. 719 Es ist aus dem Gesichtspunkt interessant, da in der Ballade die Gestirne über- und außerhalb des Labyrinths sind sowie das Göttliche verkörpern. 720 Paus. II.31.1. 721 Ps.-Epimenid. Bei Hug. Astr. II.5.= Schol. Germ. 61., Ariadne RE II, 1896, S. 807. 722 Cedren. I. 217, 17. Tzetz. Chil. I. 473ff. 723 Arist. Βοττιαιων πολιτεια, frg. 485 Rose = Plut. Thes. XVI. 724 Joann. Ant. Fr. 16. I. 390, 380; Plut. Thes. XVI. 725 FHG I, 391, 40.; Plut. Thes. XIX.; Plutarkhos erwähnt sogar eine von Theseus geprägte Münze mit einem Stier an Tauros erinnernd. Plut. Thes. XXV. Nach einer Mythosvariante wäre der Minotauros das Kind der Pasiphae und ihres Liebhabers Tauros.726 Man versucht sogar die Kuh zu erklären, Pasiphae geht zu Daidalos zur Besichtigung einer von ihm gefertigten, der lebendigen gleichenden Kuh.727 Obwohl Minos infolge seiner Krankheit weiß, daß das Kind der Pasiphae nicht von ihm stammt728, will er den Bastard doch nicht töten, sondern schickt ihn in die Berge zum Dienst bei den Hirten, wo er durch die Hand des Theseus umkommt – mit einem Schwert, das ihm Ariadne hinabschickt. Im römischen Gewande wird der Bastard Minotaurus auf dem Totenbette zum Nachfolger bestimmt, die Senatoren wollen aber von ihm nichts wissen, rufen den Theseus herbei und versprechen ihm die Ariadne als Gemahlin. Der Minotaurus flüchtet in die "Labyrinthgegend" (d. h. ins Gebirge), wird aber von Theseus entdeckt und getötet.729 Der Minotaurus wird also schon in der antiken Sage mit Göttern bzw. Heroen = Menschen gleichgesetzt, außerdem umfaßt er die obere (Sonne) und untere Welt (Zeus Labrandes), ist selber der Heilbringer, d. h. der Überwinder des Labyrinths sowie der Unheilbringer, also der Tod. Diese Identifikationsmöglichkeiten bzw. die Gegensätzlichkeit des Mythos bilden eine weitere, bis jetzt nicht analysierte Interpretationsebene der Ballade.730

726 Nach dieser Variante wäre der Daidalos der Gelegenheitsmacher, indem er sein Haus zur Verfügung stellt. Heracl. Malal. IV. 106., Cedren; Tzetz. Chil. I. 527. Serv. VI. 14. p. 7.7. 727 Exc. Vat, Tzetz.Chil. I. 531. 728 Ein ähnliches Motiv kommt bei Dürrenmatt in dem Sterben der Pythia vor. 729 Malal. IV. 107. P. 87. 730 Bauer, Wolfgang, Dümotz, Irmtraud, Golowin, Sergius: Lexikon der Symbole. Mythen, Symbole und Zeichen in Kultur, Religion, Kunst und Alltag. München: Heyne 2001.16. Auflage; S. 164-167.; Sz. A. Tokarev (Haupthrsg.): Mitológiai enciklopédia Budapest: Gondolat 1988. Bd. 1. 719f. 774ff.; Golowin, Sergius, Eliade, Mircea, Campbell, Joseph: Die großen Mythen der Menschheit. Freiburg, Basel, Wien: Herder 1998 S. 166f.; Pinsent, John: Görög mitológia. Budapest: Corvina 1995 S. 106-110.; Kirk, Geoffrey Stephen: Griechische Mythen. Ihre Bedeutung und Funktion. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1987. S. 148f.; Ranke-Graves, Robert: Griechische Mythologie, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1999; Kerényi, Karl: Die Mythologie der Griechen. Zürich: Rhein-Verlag 1951, 1958.; Picht, Georg: Kunst und Mythos. Stuttgart, Klett, 2. Aufl., 1987, S. 492ff., 505ff. 4.3.6.2. "Die Herrin des Labyrinthes"

"Ariadne bleibt ein großes Geheimnis des Textes", "sie scheint das Geheimnis des Labyrinths zu kennen", schreibt Jan Jámbor in seiner Studie.731 Dieses Geheimnis kann aber gelöst werden, wenn man die antike Tradition in Betracht zieht. Ariadne war ursprünglich eine Natur- und Vegetationsgöttin, die nicht nur auf Naxos und Kreta verehrt wurde.732 Auf einem Täfelchen aus Naxos kann die folgende Opferanweisung gelesen werden: "Der Herrin des Labyrinthes (das ist die erste, mythologisch umschreibende Erwähnung der Ariadne) Honig".733 "Honiglich" waren aber vor allem die Unterweltsgötter, d. h. Honig war wohl Opfer für die Unterweltsgöttin. Das Labyrinth, das Werk von Daidalos, konnte nur ein Abbild ihres ursprünglichen Bereiches sein: ein Abbild der Unterwelt. Ein besonderer Aspekt der Unterwelt war die zurückkehrende Spirallinie.734 Vorhomerisch wurde die Unterwelt als ein Spirallabyrinth gedacht, und die Rückkehr aus ihr als eine Gnade der Unterweltsgöttin Αριαδνη (d.h. überaus Reine) erhofft. Sie entließ aber nicht nur aus der Unterwelt, wen sie wollte, sondern kehrte auch selber zurück735, und war dann die kretische Αριδηλα, "überaus Klare", eine Mondgöttin, die enge Verwandschaft mit Aphrodite aufweist. Sie war also als vorhomerische Gestalt das göttliche Mädchen der Kreter736, doch nicht bloß der Mond am Himmel, sondern eine gnadenreiche, in das Leben zurückführende Herrin des Totenreiches. Dieser Aspekt stellt eine wichtige Interpretationsschicht für die Dürrenmattsche Ballade dar. Auf Kreta wurden der Göttin Reigentänze aufgeführt, beweist die homerische Erwähnung der Ariadne737, wonach Daidalos in Knossos für Ariadne einen χορος (Tanzplatz) anlegte (η σαησε). In Kypros wurde sie als Αριαδνη Αφροδιτη gefeiert, und die Namensversion Αριαγνη war ein Beiname von Aphrodite. Sie ist also auch eine Art Liebesgöttin, was wiederum ihr versöhnendes Verhalten dem Minotaurus gegenüber erklären kann.

731 Jámbor, Jan: Labyrinth, Spiegel, Tanz – drei zentrale Bilder in Dürrenmatts Minotaurus. In: brücken. NF. 5 (1997) S. 293-317.; S. 312. 732 Lokrisches Oinoe, Ariadne RE Sp. 807. 733 Ventris, Michael - Chadwick, John: Documents in Mycenaen Greek.Cambridge: University Press, 1956. S. 310. Nr. 6. 734 Kerényi, Karl: Die Herrin des Labyrinthes. In: Kerényi, Karl: Auf Spuren des Mythos. München, Wien: Langen Müller 1967. S. 288-270.; S. 269. 735 Wie die andere Vegetations- und Unterweltsgöttin Koré-Persephoné 736 Mädchen = κορη 737 Ilias XVIII. 591f. In Naxos (oder Dia), wo sie von Theseus verlassen wurde, wird sie in die Kulthandlungen von Dionysos mit hineinbezogen.738 Wie es aber schon erwähnt wurde, ist der Name des Minotaurus - Asterios - der Name des Dionysos selbst, unter dem er in den Mysterien angerufen wurde. Diese Tatsache könnte interpretiert werden, indem in Dionysos der Bruder der Ariadne und damit auch die verlassene Sippe wieder entsteht. Auf einem Wandgemälde in Rom begegnet z. B. der Gott Dionysos seiner Braut, aber keinem irdischen Mädchen, sondern der aufgetauchten Persephone oder Aphrodite, die ihm auf einem Felseneiland sitzend eine Schale hinreicht, die von Dionysos gefüllt wird und die Epiphanie des Weines aus seiner Hand erfolge.739 Das Schwanken der Minostochter zwischen Theseus und Dionysos, der Wechsel Freude – tiefe Trauer – Tod erklärt sich als mythengeschichtliche Verkörperung des in dem Wesen der Göttin zum Ausdruck kommenden Gegensatzes zwischen Erblühen, Reifen, Verwelken, zwischen Leben und Tod.740

4.3.6.3. Theseus

Nachdem die Figur von Theseus in den früheren Bearbeitungen des antiken Mythos bei Dürrenmatt schon eine zentrale Rolle erhielt, wird nun in der Ballade eine weitere Eigenschaft hervorgehoben. Dürrenmatt greift auf die Überlieferungen über Kulttänze zurück, nicht nur auf den γερανος in Delos, sondern auch auf die, in denen der knossische Kronprinz mit einer Stiermaske verkleidet einen Sonnentanz aufführt.741 An diesen Kontext knüpft die Theseus-Figur als tanzender Maskenträger bei Dürrenmatt an, und wird um eine Interpretationsschicht ergänzt, indem das Maskentragen als List im Kampf gegen den Minotaurus eingesetzt wird. "Und mich hat vor allem die Frage beschäftigt: Wie ist das Ende des Minotaurus gekommen? Und da sage ich, Minotaurus kann nur durch dieses große Trugbild des Minotaurus getötet werden, eben durch Theseus, der die Maske trägt und den Minotaurus täuscht."742

738 Paus. I. 22. 5, Plut. Thes. XXII, XXIII., Proklos: Khrestomathia, zitiert in Photios 989; dazu Ranke- Graves 98w, S. 505. 739 Lexikon der Symbole, 166. 740 Ariadne RE 807.; Kirk 148f. 741 RE XV/2. München 1980. Sp. 1933. 742 Gespräche 4, 178. Abb. 12: Illustration zur Ballade Minotaurus, 1985, Tusche, 40×30 cm

Wie es gezeigt wurde, können die wichtigsten Motive schon auf die antike Tradition zurückgeführt werden. Die beliebtesten Elemente tauchen aber nicht erst in dem Spätwerk Minotaurus auf, sondern können durch die intertextuellen Untersuchungen schon seit den nicht publizierten Erstlingen entdeckt werden. Zu solchen Motiven gehören auch solche, die in der Ballade als verblüffende Erneuerungen des Autors wirken, nach dem Gesamtwerk aber als wohlbekannt gelten können. Auch durch diese intertextuellen Forschungen kann gezeigt werden, daß nicht die einzelnen Komponenten neu sind, sondern ihre Anordnung. 4.3.6.4. Die Transformation des Stoffes in Dürrenmatts Werk – intertextuelle Bezüge

Die wichtigsten Motive der Ballade sind bereits in Dürrenmatts nie veröffentlichtem Prosagedicht Die Riesenglocke. Das Labyrinth (1939/40)743 angelegt. Das Kind des Gedichtes schläft zwei Jahre in einem steinernen Saal, der abseits im Schloß des Herrn von Umista ist, und erwacht nie. Dieser Zustand entspricht dem wirren Schlaf des Minotaurus. Der erste Blick des Kindes galt dem "herren zwerg", einer "missgeburt" – wie auch der Minotaurus ein Ungeheuer erblickt: sich selbst. Im ersten Werk dient der Zwerg auch als Grund des Aufwachens des Kindes, bis in der Ballade das Ende des wirren Schlafes nicht motiviert ist. Der Anblick des Zwerges hinterläßt tiefe Eindrücke im Kind: "seitdem hat niemand ihn lachen hören und sein blick wurde irr", der Minotaurus "war wie gelähmt"744, schätzt aber die Spiegelbilder nicht als Ungeheuer ein. Sowohl der Knabe als auch das Zwitterwesen haben etwas mit einem Labyrinth zu tun. Der Minotaurus muß in einem Spiegellabyrinth leben, in der Riesenglocke handelt es sich auch um ein Labyrinth, als um einen Ort des Todes, wo die Köpfe der Verstorbenen in Umista in Nischen aufgestellt und ohne Namen aufbewahrt werden.745 Man könnte also diesen unheimlichen Ort, wo der Knabe eine leere Nische – die für ihn selbst bestimmt ist – auch als der des Todes interpretieren, interessanterweise hat das Labyrinth schon jetzt einen Doppelcharakter: dieser Ort – also gleichzeitig auch der Tod – ist dem Knaben aus den Erzählungen einer Magd bekannt, so daß er "wie in vertrauten räumen sich erging". Auch in der Ballade ist das Labyrinth Tod und Leben, etwas Grauliches und Versöhnendes zugleich. Auch der Knabe lief durch das Labyrinth wie der Minotaurus: "… Es lief / den glatten Spiegel berührend, die Wand / entlang…"746

743 FD–A– m117 II 744 Dürrenmatt, Friedrich: Minotaurus. Eine Ballade. Zürich: Diogenes 1985. S. 8. 745 Minotaurus S. 9. 746 Minotaurus S. 12. In der Ballade lebt der Minotaurus in einem eigenartigen Spiegellabyrinth, und dieses Motiv kommt schon in dem Frühwerk vor: "der herr schritt durch spiegelgänge" – zwar sind hier diese zwei Motive noch nicht gekoppelt. In beiden Werken geht es um die "Entwicklung" des Protagonisten, die ähnliche Züge aufweisen – zumindest was die frühe Entwicklungsstufe des Knaben betrifft: "bisher hatte er sich den helldunklen bildern und gestalten seines innern hingegeben"747. Diese in Bildern erfahrene Wirklichkeit kann nicht in Sprache übersetzt werden: "war es ihm, als wisse er, was nie gesagt werden könne" und auch der Minotaurus kann seine Erfahrungen nicht in Sprache erfassen. Auch die frühe Erzählung Der Sohn (1943) zeigt Parallelen zu der späten Ballade. In sehr kompakter Form, in einem einzigen Satz wird vorgeführt, wie der Vater den Sohn zu dem gemacht hat, was er geworden ist. Die gewaltsame, inzestiöse Zeugung, die isolierte Erziehung, die zerstörerischen Kontakte mit der Außenwelt und das tödliche Ende des Protagonisten sind die wichtigsten Analogien.748 Interessant ist die entstandene Beziehung zwischen der eigenen Welt mit der Außenwelt: während der Sohn die eigene Welt verläßt, dringt die Außenwelt – in Gestalt des athenischen Jünglings und Theseus – in die hermetische Welt des Minotaurus. Obwohl sowohl der Sohn als auch der Minotaurus ein Blutbad anrichten, erscheinen sie als Opfer ihrer Abstammung bzw. mangelnder Sozialisation. Beide sind Täter und Opfer, auch bei den Greueltaten können sie – vor allem der Minotaurus – eine eigenartige Naivität bewahren. In beiden Fällen kann das Ende mit der Formel charakterisiert werden: was gewaltsam gezeugt wurde, muß auch gewaltsam zerstört werden.749 Das Motiv der Vater-Sohn-Konflikt erscheint auch in einer Erzählung der Stoffe, in Rebell, deren ursprüngliche gedankliche Konzipierung um 1970 entstanden sein kann.750 Auch die Kindheitswelt von A (isolierte Erziehung) sowie das fremde Land repräsentieren eine unbestimmte, unbegreifbare Welt. Der offensichtlichste intertextuelle Bezug zwischen der Erzählung und der Ballade manifestiert sich in der Gefängnisszene, wo sich A in einem Spiegelsaal wiederfindet. Die Spiegel bieten implizit die Möglichkeit, sich selbst zu erkennen. Die Entwicklung der beiden Figuren

747 Minotaurus S.4. 748 vgl. Wirtz (Kodikas) S. 331. 749 Aufgrund dieser Analogien wirft I. Wirtz die Frage auf, ob auch in der Ballade Vater und Mörder in einer Figur verdichtet sind, was auch aufgrund der Gleichsetzung Theseus-Minotaurus in der Dramaturgie des Labyrinths, Stoffe S. 86. berechtigt erscheint. Wirtz (Kodikas) S. 332. 750 Eine kurze undatierte Skizze ist im Textbuch Nr. 10. Erhalten geblieben. FD-A-TB 10, und Dürrenmatt hat mit der Manuskriptform des Textbuches erst um 1970 zu arbeiten begonnen. Dazu: Kathrin von Rohr: Rebellion im Labyrinth. Unveröff. Lizentiatsarbeit Bern 1999. in Bezug auf ihr Erkenntnisvermögen verläuft konträr. Während der Minotaurus, dem das begriffliche Instrumentarium dazu fehlt, das Bezeichnende mit dem Bezeichneten zusammenzubringen, eine Identitätsbildung durchmacht, macht A eine regressive Entwicklung durch. Er verfügt zwar am Anfang über eine Begrifflichkeit, was er aber nicht zu einem sinnvollen Ganzen zusammensetzen kann. Der Aufenthalt im Spiegelgefängnis führt allmählich zum Verfall seines Verstandes. Er läßt sich durch die multiple Spiegelung verwirren, die ihm eine Orientierung verunmöglicht. A geht zugrunde, er bleibt im Hybris stecken, eine Identitätsfindung hat nicht stattgefunden, und sein Endstadium, in dem er sich für den Anführer der Spiegelbilder hält, entspricht dem Anfangsstadium des Minotaurus. Das Spiegelmotiv751 ist von Dürrenmatt sehr beliebt und kommt in mehreren seiner Werke vor: so z. B. im Folterknecht ist der Boden ein Spiegel752, in der Wurst ist der Gerichtssaal hell, "Die Wände sind grelle Spiegel"753. Im Verdacht ist im Krankenzimmer des Kommissars eine Spiegelwand.754 Vor allem spielen aber die Spiegelwände die wichtigste Rolle im Entwicklungsprozeß des Minotaurus in der Ballade. Der Minotaurus kann am Anfang der Ballade als "glücklicher Narziß"755 interpretiert werden, eine spätere Variante der Ballade verrät aber weitere intertextuelle Bezüge zum Rebellen. Der Begriff des "Rebellen", durch das Einzigartigsein ausgelöst, dessen Abgrenzung von der Revolutionären in den Dürrenmattschem Werk eine prägnante Rolle spielt756 erhält in einer unpublizierten Fassung an Josef Svoboda aus dem Jahre 1988 eine neue Erleuchtung: "… dass sich aus dem Leib der Pasiphae ein Ungeheuer ge- zwängt hatte, der Einzige, weder ein Gott, noch ein Mensch, noch ein Tier, der rebelli- scher sein würde als Prometheus".757

751 Nach Kathrin von Rohr stammt dieser erzählerischer Einfall aus dem Jahre 1943, aber wie es schon erwähnt wurde, kommt die Spiegelwand schon in der Riesenglocke 1939/40 vor. 752 WA 1, 14 753 WA 1, 23. 754 WA 20, 209. 755 Fritsch, Gerolf: Die Welt als Labyrinth. Friedrich Dürrenmatts {Minotaurus} als Beispiel. In: Neuer Zürcher Zeitung. 31. März 1989. (Nr. 73.)S. 39f.; S. 39. 756 Vgl. Prometheus. Ein Rebell. In: WA. 37. S. 11-43. 757 FD-A-r71-II 2., 4. Blatt Durch diese intertextuellen Bezüge konnte gezeigt werden, daß der antike Mythos/die Mythosvarianten dem schweizerischen Schriftsteller wohl bekannt waren und die einzelnen Motive schon in anderen seiner Schriften vorkommen. "Ich meine, ich folge nicht so sehr dem überlieferten Mythos; ich nehme ein Motiv heraus, das mich reizt", sagte Dürrenmatt.758 Diese herausgenommenen und in neuen Kontext gesetzten Motive sind vor allem das Labyrinth, der Tanz und der Spiegel.

4.3.6.5. Das Labyrinth der Ballade

Die Dürrenmattsche Welt ist als Minotaurische Welt, als Labyrinth zu denken. "Das Labyrinth verstehe ich als Urbild für die totale Ausweglosigkeit: Alle Fluchtwege erweisen sich als Illusionen; es gibt keine Lösung, nur Irrwege".759 In den Schriften und auf den Zeichnungen von Dürrenmatt ist eine Wandlung der Labyrinthkonzeption zu beobachten. Das Labyrinth auf den Bildern war aus der Vogelperspektive ein System von Gängen, deren Anordnung dem Beobachter strukturlos erscheint. In der Ballade scheint das Labyrinth horizontal unendlich zu sein, trotzdem gibt es einen Ausweg daraus, was nicht nur Ariadne und Theseus, sondern am Anfang auch die Knechte des Minos bezeugen. Vertikal scheint das Labyrinth endlich und unendlich zu sein. Der Eindruck der Endlichkeit wird durch die Spiegelwände, der der Unendlichkeit durch die Vögel und den Himmel, durch die Sonne und den Mond erweckt. Der Gesamteindruck wäre demnach also endlich und unendlich zugleich.760 Durch den Perspektivenwechsel, auf das Zurückgeworfensein auf den Minotaurus wird aber die Perspektive von oben gleichermaßen aufgehoben, wie die Vorstellung eines Außenraumes: Der Minotaurus ist von Anfang an im Labyrinth, und im Unterschied zu den früheren Labyrinth-Versionen gibt es für den Labyrinthbewohner keinen möglichen Ein- oder Ausgang, weil er in einer Welt lebt, "außer der es für ihn keine andere Welt gab". Diese labyrinthische Welt erweckt den Eindruck der Unendlichkeit, Unüberschaubarkeit und Undurchschaubarkeit, es kennt weder ein Zentrum noch Peripherie, wie es auch durch den illustrierenden Bilderzyklus unterstützt wird. Hier

758 Gespräche 4, 178. 759 Gespräche 2, 312. 760 Dazu: Jámbor 295ff. kann man das "Ganze in Ausschnitten"761 sehen, und das provoziert natürlich auch die Frage, ob es eine Welt außerhalb des Labyrinths gäbe.762 Da das Labyrinth dezentriert ist, weiß man auch nicht, wo sich der Minotaurus befindet, sein Standort entspricht dem des Betrachters.763 Das Labyrinth erfährt auch einen Funktionswandel. In der Dramaturgie ist es noch als "doppeltes Gefängnis" konzipiert, "eines für jene, die hineingehen, um vernichtet zu werden, […] und ein Gefängnis für den Minotaurus, der nie aus ihm herausfindet."764 Der Balladenanfang deutet den Bauzweck in der doppelten Schutzfunktion: "die Menschen vor dem Wesen und das Wesen vor den Menschen zu schützen".765 Diese Perspektive wird aber allmählich auch aufgelöst: da es bei Dürrenmatt keinen Standort außerhalb des Labyrinthes gibt, tritt die Schutzfunktion in den Hintergrund. Durch die Verwendung des Spiegelmotivs wird das Labyrinth in einem anderen Sinne Bewährungsraum: der der Selbst- bzw. der Fremderkenntnis. "Das Labyrinth ist die moderne Welt, in der die Unterscheidung zwischen den Zeichen, den Spiegeln und Masken, und dem Wesen überlebensnotwendig ist. Wer diese Fähigkeit nicht besitzt, bleibt Gefangener seiner Projektionen und wird Opfer desjenigen, der die Zeichensprache beherrscht."766

4.3.6.6. Der Tanz

Auf den ersten Blick kann es verblüffend sein, daß der Minotaurus, dieses Ungeheuer als Tänzer in der Ballade erscheint (Abb. 13), aber das ist wiederum keine bloße Erfindung von Dürrenmatt. "Eigentlich müßte jede Untersuchung über das Labyrinth von dem Tanz ausgehen", schreibt Karl Kerényi.767

761 Klotz, Volker: Geschlossene und offene Form im Drama. München 1980, S. 215. 762 4. Typus des Labyrinths zur Ecos Typologie, siehe: Wirtz 337.; Eco, Umberto: Semiotik und Philosophie der Sprache. München: Fink 1985. S. 125-132. 763 Das ist auch eine Änderung im Vergleich zu der Antike, denn nach dieser Tradition befindet sich der Minotaurus in dem äußersten Winkel: "Μινωταυρον εν εσχατω µερει τοι λαβυρινθου". Apollodor. Epitome I.9. 764 Stoffe, S. 80. 765 Minotaurus, S. 7. 766 Wirtz (Kodikas), 337f. 767 Kerényi: 37-42.; Picht, S. 507ff., 520ff. Abb. 13: Illustration zur Ballade Minotaurus, 1984, Tusche, 30×40 cm

Es wurde schon im Zusammenhang mit Ariadne erwähnt, daß nach Homer das Labyrinth ursprünglich als ihr Tanzplatz angelegt wurde, bzw. daß das Labyrinth selbst auf minoische Kulttänze zurückzuführen ist. Nachdem Theseus auf Delos dem Gott geopfert hatte, tanzte er mit den geretteten Jünglingen und Jungfrauen den γερανος, also Kranichtanz genannten Reigen768, als ein µιµηµα των εν τω λαβυρινθω περιοδων και διεξοδων εν τινι ρυθµω παραλλαξεις και ανελιξεις εχοντι...769

Interessanter ist es, daß der Text gerade dort dem antiken γερανος am meisten zu entsprechen scheint, wo nicht getanzt wird, z. B. wo die Knechte von Minos "die langen Ketten bildeten, um sich nicht zu verlieren"770 bzw. "die anderen sechs Mädchen und sechs andere Jünglinge erschienen, einander die Hände reichend, so daß in den Spiegeln die Reihe der Herumirrenden nicht abzubrechen schien"771.

768 Plut. XXI. 769 Die Wege im Labyrinth nachgeahmt haben, und im Rhythmus abwechselnd reingegangen und zurückgegangen waren. Kallim. Del. 307ff. Poll. IV.101.; RE 12/320. 770 Minotaurus, S. 1. 771 Minotaurus, S. 22. Auch während den kultischen Tänzen wurden manchmal Tiermasken getragen772, damit könnte der Trug des Theseus mit der Minotaurus-Maske erklärt werden. In der Ballade scheint aber der Tanz zwei Figuren vorenthalten zu sein: dem Theseus und dem Jüngling. Bei diesem letzteren erinnert der "Tanz" eher an einen Stierkampf, während Theseus nur listig und nur zögernd ein paar Tanzschritte des Minotaurus nachahmt – sonst steht er da und wartet auf den Moment, wo er den um ihn umhertanzenden glücklichen Minotaurus erstechen kann. Der Tanz übernimmt aber im Falle des Minotaurus – losgelöst von dem antiken Vorbild – eine andere Funktion. Einerseits kann er als motorische Tätigkeit zur Herausbildung der "kognitiven Ich-Karte" führen, also unterstützt es die Entwicklung des Wesens773. Andererseits aber erfüllt der Tanz außer dieser psychologischen Funktion die der Sprache: der Minotaurus kann mit dem Tanz seine Gefühle ausdrücken. Daß der Tanz statt der Sprache sein Verständigungsmittel ist, kann mit der Szene unterstützt werden, wo der Minotaurus träumt, und dann die Verwirklichung des Traumes tanzt: "Er träumte von Sprache, er träumte von der Brüderlichkeit, er träumte von Freundschaft, träumte von Geborgenheit, er träumte von Liebe, von Nähe, von Wärme…"774 Als er später durch den Tanz um Theseus die Verwirklichung seines Traumes zum Ausdruck bringt, fehlt absichtlich so etwas wie "er tanzte den Tanz der Sprache". Der Tanz kann auch die Konflikte und Spannungen zum Ausdruck bringen, wo z. B. das Mädchen und der Minotaurus tanzen und im Tanz sich ihre sexuelle Einigung vollzieht. Durch das Tanzmotiv kann auch das Problem gelöst werden, daß der sprach- und begriffslose Minotaurus handelt, Erfahrungen sammelt und das dann auch zum Ausdruck bringt – und dabei sogar seine grausamste Tat völlig naiv begehen kann.

772 Z. B. siehe: Lukianos: Über den Tanz 49. 773 Lacan, Jacques : "Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion". In: ders. Schriften I. Paris: Quadriga (4. Aufl.) 1996, S. 61-70 774 Minotaurus, S. 41. 4.3.6.7. Das Spiegellabyrinth. – Entwicklungsprozeß des Minotaurus

Dürrenmatts Labyrinth weist ein signifikantes Merkmal auf, welches Motiv zwar in den intertextuellen Bezügen in Dürrenmatts Werk öfters vorkommt – aber nicht auf mythologische Prätexte zurückgreift: es ist ein Spiegelkabinett. Der Labyrinthcharakter wird gespiegelt, man kann die Orientierung nicht dadurch verlieren, daß man zu wenig, sondern daß man zu viel sieht. Die Spiegel können aber auch als Katalysator fungieren, und sie spielen die wichtigste Rolle in dem Entwicklungsprozeß des Minotaurus (Abb. 14).

Abb. 14: Illustration zur Ballade Minotaurus, 1984, Tusche, 30×40 cm

Wiederum muß man sich auf zwei Grundlagen berufen: auf eine philosophische bzw. auf eine psychologische. Wie Peter Rusterholz betont, kann der Text philosophisch als die Mutation des Einzigen und Einzigartigen zum Einzelnen mit Kierkegaards Kategorie des Einzelnen interpretiert werden.775 Der Einzelne im Sinne Kierkegaards wäre ein Wesen, das nicht nur dumpf fühlt und erkennt, sondern sich verwirklicht als ein Wesen, das seiner selbst bewußt wird. Zu der Erfüllung des Glücks des Einzelnen bedarf er aber auch des Anderen. Diese Bewußtwerdung und Suche nach dem Du verläuft aber wie der Entwicklungsprozeß, der von dem Psychologen Jacques Lacan in dem Spiegelstadium als Bilder der Ichfunktion beschrieben wird.776 Diesen Spiegelstadien entspricht immer ein Tanzsegment, und diese zwei Elemente unterstützen die klare Strukturierung der Ballade, indem jeweils eine neue Figur auf der Spiegelfläche erscheint.

775 Rusterholz, Peter: Metamorphosen des Minotaurus. Entmythologisierung und Remythologisierung in den späten Stoffen Dürrenmatts. In: Antiquitates Renatae. Deutsche und französische Beiträge zur Wirkung der Antike in der europäischen Literatur. Festschrift für Renate Böschenstein zum 65. Geburtstag. Hrsg.: von Verena Ehrlich-Häfeli. Würzburg: Königshausen und Neumann 1998, S. 323-331, S. 327.; Rusterholz, Peter: Theologische und philosophische Denkformen und ihre Funktion für die Interpretation und Wertung von Texten Friedrich Dürrenmatts. In: Contemplata alliis tradere: Studien zum Verhältnis von Literatur und Spiritualität. Hrsg. v. Claudia Brinker et. Al. Bern etc.: Lang 1995 S. 473-489. 776 Lacan 1996 Der Stiermensch erscheint vorerst als namenloses Wesen777, der nach einem "fast bewußt und traumlosen Schlaf" bzw. "nach einem wirren Schlaf" auf dem Boden des Labyrinths erwacht. Dieser Anfangszustand weist eine Parallele mit einer anderen Erzählung, dem Hirn auf, wo die Phylogenese als "Weiterdenken" des Hirns dargestellt wird.778 "Zuerst wird das Hirn nur fühlen, und weil es nichts außer ihm gibt, das es zu fühlen vermag, wird es nur sich fühlen […] Am Anfang wird es Angst sein, das pure Entsetzen".779 Dazu kommen die weiteren Gefühle: nach der Angst die Langeweile, die Neugier, die Freude, die Ohnmacht, was dann den Zorn, die Wut, die Trauer erzeugt. Erst "unmittelbar aus dem Zorn, aus der Wut, aus der Trauer heraus – wird das Hirn >sich< entdecken, das >ich<, das denkt".780 Dann, "nach weiteren Milliarden von Jahren […]" dämmert dem Hirn, "diesem rätselhaften >Ich< was es sucht: nicht nur etwas, das es außerhalb seiner denken kann, sondern etwas, das außerhalb seiner zu fühlen und denken vermag, ein zweites >Ich<." Der Minotaurus macht mit Hilfe der Spiegel ähnliche Stadien seiner ontogenetischen Entwicklung durch. Diese Entwicklung geht auf eine antike Labyrinth-Tradition zurück, wo das Labyrinth der Ort war, wo der Held einen Bewußtseinsprozeß durchläuft, um als anderer zu erwachen. Bei diesen Mysterien spielte auch der Spiegel eine wichtige Funktion, denn z.B. im Verlauf der Dionysos-Mysterien wurde am Ende der Einweihungsriten dem Eingeweihten ein Spiegel gegeben, in dem er den neuen Menschen erblicken konnte. Die Spiegel und die Minotauren darin deuten auf die Labyrinthinterpretation von Dürrenmatt, laut dessen das Labyrinth a priori zum Menschsein gehört: der Mensch, der die Welt denkend bewältigen möchte, stößt auf sich selber in dieser Welt, erkennt sich selber im Minotaurischen der Welt.781 Die Selbstfindung in dem Labyrinth geht zusammen mit der Wirklichkeitskonstruktion.782 Das Wesen nimmt nicht einfach die Wirklichkeit wahr, in die es versetzt ist, sondern baut sie aktiv auf. Diese selbstkonstruierte Wirklichkeit ist aber eigentlich das Labyrinth, dessen Wände seine inneren Grenzen sind, begründet in

777 VGl. Textbuchfassung, SLA. Sign. FD-A-Tb 11; S. 10 778 Jámbor, 302f. Er beruft sich auch auf eine weitere Parallele: Caspar Hauser; Peter Handkes Kaspar 779 WA 30, S.235 780 WA 29. S.237 781 "…er (der Mensch) in einer Welt lebt, die er sich selber schafft und in der er sich nicht zurechtfindet", Gespräche 3, 130. 782 Fritsch, NZZ S. 39f. der Beschaffenheit des Wahrnehmungs- und Selbstwahrnehmungsapparates. "So kann er sich subjektiv als der Urheber ’seines Labyrinths’ erscheinen, dessen Gefangener er objektiv ist".783 Die erste Entwicklungsphase ist ein Selbstfindungsprozess, indem das Labyrinth zu dem des Wesens, zu "seinem" Labyrinth, bzw. das Wesen sich zum Minotaurus entwickelt. "…Aus dem Herumrennen und dem Sich-Überschlagen, aus den Sprüngen und auf dem Auf-den-Händen-Gehen – so groß wurde sein Übermut, weil die Spiegelbilder ja gleichzeitig dasselbe taten wie es,[…] aus dieser kindlichen Freude wurde allmählich ein rhythmischer Tanz des Wesens mit seinen Spiegelbildern […] Das Wesen tanzte durch sein Labyrinth…"784 Diese ekstatische Aufnahme des Spiegelbildes entspricht der von Jacques Lacan beschriebenen ersten Phase des "Spiegelstadiums", mit der die Ich-Bildung im Alter von 6 Monaten einsetzt.: "an der das Ich (je) in einer ursprünglichen Form niederschlägt, bevor es sich objektiviert in der Dialektik der Identifikation mit dem anderen und bevor ihm die Sprache im Allgemeinen die Funktion eines Subjektes wiedergibt. […] Die totale Form des Körpers, […] ist ihm nur als gegeben, in einem Außerhalb, wo zwar diese Form eher bestimmend als bestimmt ist, wo sie ihm aber als Relief in Lebensgröße erscheint, das sie erstarren läßt, und einer Symmetrie unterworfen wird, die ihre Seiten verkehrt – und dies im Gegensatz zu der Bewegungsfülle, mit der es sie auszustatten meint".785 Der Weg zur Selbstbildung setzt sich aus mehreren Segmenten zusammen, die spiegelbildliche Selbstbegegnung wird um die Fremdbegegnung erweitert und all diese Stufen werden durch neue Figuren und Tanzsegmente klar voneinander getrennt.

1. Zuerst hat der Minotaurus instinktiv Angst, und macht mit seinen Angriffs- und Abwehrgesten seine ersten Raumerfahrungen.

2. Er meint, daß die Spiegelbilder – scheinbare "Dus" – ihm ebenbürtig sind, und hat ein Glücksgefühl, das

783 Fritsch S. 39 784 Hervorhebung von K.K. 785 Lacan: Schriften I, Ffm 1975, zitiert: Fritsch S. 39 3. sich zu Übermut entwickelt (υβρις), er fühlt sich als Führer, als Gott dieser Wesen.

4. Er begegnet dem ersten wirklichen Du, dem Mädchen (freundlich) – ab diesem Moment wird er Minotarus genannt, denn "seine Welt hat sich verdoppelt".

5. Dann kommt der Jüngling (feindliches Du) und

6. nach dem Töten der Jünglinge und Mädchen greift der Minotaurus die "feindlichen, verräterischen" Spiegelbilder an.

7. Er entdeckt nach Entsetzen und Neugier, daß die anderen Minotauren nur Spiegelbilder waren – er erkennt seine wahre Lage, was zur Depression führt. (In diesem Moment ist es auch symbolisch zu deuten, daß das Durchbrechen der Wand keine Lösung bringt, er kann sich vom Labyrinth nicht befreien.)

8. Während seines Traums kommt Ariadne und als aktive Mittäterin, als Komplizin mit dem roten Faden den Theseus zum Minotaurus läßt.

9. Schließlich erscheint das dritte Du: Theseus, der den Tod bringt. (Abb. 15)

Abb. 15: Illustration zur Ballade Minotaurus, 1984, Tusche, 30×40 cm

Das Treffen der drei "Dus" (Mädchen, Jüngling, Theseus) bringt immer neue Gefühle mit sich, die aber nicht in Sprache oder Begriffe übersetzt werden, und als totale Mißverständnisse interpretiert werden können. Die Entdeckung des Mädchens kann als "Erkenntnis im Fleisch" aufgefaßt werden, die Welt des von nun an Minotaurus genannten Wesens ist verdoppelt. Bei diesem dionysischen Tanzsegment, wo das Selbst sich zum ersten Mal am anderen erfährt zerbricht das potentielle Du wegen des Ungestümseins des Minotaurus. Dieses Mädchenopfer entspricht zwar dem ursprünglichen minoischen Mythos, wird aber nicht dem menschenfressenden Trieb, sondern der Unwissenheit des Minotaurus zugeschrieben. Bei der zweiten Begegnung könnte der Minotaurus schon seine Erfahrungen in die Tat umsetzen, aber das Verhalten des in der Maske eines Stierkämpfers auftretenden athenischen Jünglings kann er wiederum nicht richtig einstufen. Diese zweite Begegnung demonstriert wie menschenzugeneigte Lust der menschlichen List zum Opfer fällt. Den neu entstandenen negativen Gefühlen (Haß, Stolz) fallen die anderen Jünglinge und Mädchen zum Opfer, was eigentlich kein neues Segment in dem Erkenntnisprozeß des Minotaurus ist. Die dritte Begegnung wird dann durch mehrere Segmente verschoben, wodurch nur die Spannung im Leser erweckt wird. Die schon bekannten, sich wiederholenden Motive kommen wieder: die Geier, die Spiegelbilder, der Schlaf/Traum bzw. eine neue Gestalt erscheint: Ariadne. In diesem Teil findet die wichtigste Erkenntnis des Minotaurus statt: die narzistische Identifikation mit seinem Spiegelbild, was der dritten Station des Lacanschen Spiegelstadiums entspricht786. Der Minotaurus "erkennt" seine spezielle Lage, und in ihm entsteht der Wunsch nach der "intersubjektiven Symmetrie".787 Dieser Wunsch kommt erst im Traum zum Ausdruck, in Bildern, da der Minotaurus weiterhin nicht denken/sprechen kann. Schon in der Dramaturgie eines Labyrinths schreibt Dürrenmatt darüber, daß der Mionotaurus "unbewußt ein Mensch werden" wollte, aber in der früheren Version ist der Menschenfraß die Folge des Wunsches: "darum tötete und verschlang er immer wieder sieben Jünglinge und sieben Jungfrauen"788. In der Ballade wird aber durch das Verhalten des Minotaurus betont, daß Menschlichwerden vor allem Humanität bedeutet. Diese Bereitschaft zum Nächsten und Du kann dann bei der Begegnung des dritten Dus: Theseus betrachtet werden. Dieser letzte Tanz ist auf Symmetrie gerichtet, auf "Freundschaft", "Liebe", "Geborgenheit" und "Zweisamkeit", aber der Minotaurus muß ohne die Erfahrung des Anderen, des Du sterben. Die Gegensätze (List, Lüge, Trug) sind nicht mehr auflösbar, der Minotaurus kann die anderen noch immer nicht in seiner Eigenart wahrnehmen, sondern projiziert nur seine Wünsche auf die anderen. Er kann schon die Zeichen als Zeichen erkennen, aber noch immer nicht zuordnen. Der Minotaurus muß gerade an seiner Menschlichkeit sterben.

4.3.6.8.Dualismus der Ballade

Durch die ganze Ballade zieht sich ein leitmotivisch wiederholter Dualismus, der wie auf der Abbildung dargestellt werden kann (Abb. 16):

786 Lacan: Schriften, Bd. I. S. 96. 787 V. Braitenberg: Monistische Meditationen. In: Kursbuch 91/1988. Zitiert in: Fritsch, S. 40. 788 Stoffe, S.78. Vögel Sonne vs. Mond

La b yrin th

Spiegelbilder

- freiwillig + freiwillig getötet werden tötet

Abb. 16: Dualismus in der Ballade Minotaurus

In der Ballade ist das Labyrinth ein zentrales Motiv. Es teilt die Welt der Erzählung in zwei Teile: die Welt oberhalb des Labyrinths bzw. in dem Labyrinth. Der Dualismus außer- und innerhalb des Labyrinthes sowie "doppeltes Gefängnis" (schützt und einsperrt/tötet) wird - wie erwähnt – immer mehr in den Hintergrund gerückt. Oberhalb des Labyrinths sind die Vögel sowie die Himmelskörper: die Sonne und der Mond. Die Vögel sind traditionelle Symbole der Freiheit, und auch in diesem Falle kommt diese Bedeutung zum Ausdruck: sie können aus dem Labyrinth fliegen. Andererseits sind sie aber Geier (Abb. 17): "Bartgeier, Schmutzgeier, Schopfgeier,/ Königsgeier, Kappen-, Kutten-, Ohren-,/ Kahlkopf- und Rabengeier, Kondor und Urubu", die jeweils nach einer Tötungsszene erscheinen und den Leichnam auffressen, sie sind also Verkörper des Todes. Oberhalb des Labyrinths sind wiederum eine Dichotomie bildend die Sonne und der Mond. Die Sonne zeigt sich dem Minotaurus als sich drehendes und am Himmel sich hinwälzendes Rad: "…Er sah das unermeßliche, sich hinaufwälzende Rad, er hielt die Augen geschlossen, er sah es dennoch, das Rad des Fluches, der auf ihn lastete, das Rad seines Geschicks, das Rad seiner Geburt und das Rad seines Todes, das Rad, das in seinem Hirn brannte […] das Rad, das sich über ihn wälzte, das Rad, worin er gerädert war…"789 In der bei Dürrenmatt wohlbekannten Kreismetaphorik (Rad – gerädert) erscheint die frevelhafte Abstammung des Minotaurus, wird die Dichotomie schuldig-unschuldig verkörpert, und das Paradox blindes Sehen ist auch für den Erkenntnisgrad des Minotaurus charakteristisch. Im Gegensatz zu der zornigen Sonne erscheint der Kreis/Rad des "Vollmondes" eher als versöhnendes Bild. Der Minotaurus ist zwar wieder geblendet, aber in diesem Zustand erahnt er seine Einzigartigkeit, kommt zum Ichbewußtsein. Es ist charakteristisch, welche Figuren bei welchem Himmelskörper erscheinen. Bei der Sonne kommt der athenische Jüngling, der vom Minotaurus wohlwollend empfangen wird – und diese Freude und Hoffnung dann mit List und Trug bezahlt wird: der Junge versucht ihn zu töten. Beim Mond erscheinen die verräterischen Minotaurus- Spiegelbilder, die dann vom Minotaurus angegriffen werden: er führt jetzt einen Kampf gegen sie – d. h. gegen sich selbst. Jetzt fühlt er schon Haß, Furcht, Selbstbehauptung – dann Melancholie wegen seiner Vereinzelung. In diesem Zustand – während der Minotaurus träumt – kommt Ariadne (wie schon erwähnt wurde, eine Mondgöttin), zärtlich, in Form des roten Fadens, den Tod bringend. Im Zentrum der Ballade steht der Minotaurus – und seine Spiegelbilder. Der Minotaurus ist sowohl seiner Abstammung als auch seinem Aussehen nach ein Zwitterwesen. Er ist sowohl göttlich (Großvater) als auch menschlich (Mutter) wie auch

789 Minotaurus S. 22f. Das Symbol des Rades kommt bei Dürrenmatt sowohl literarisch als auch künstlerisch sehr oft vor. Vgl. Kreuzigung II. oder die Atlas-Bilder. Dürrenmatt, Friedrich: Bilder und Zeichnungen, Zürich: Diogenes 1978. tierisch (Vater) – und ist "weder Gott noch Mensch noch Tier".790 Er lebt noch, aber seine Beschreibung als "Auerochse" determiniert schon sein tödliches Ende, er ist zum Aussterben verurteilt. Was sein Aussehen betrifft, das Unerträglichste am Minotaurus ist der "Übergang dieses Bullen zum Menschen". Der Gegensatz wird auch durch die Beschreibung des Mädchens betont, wo "alles ineinanderging, ineinanderfloß".791 Das Gemischte, Nicht-Eindeutige war schon in der Antike am verwirrendsten am Minotaurus, was aus zwei Zeilen aus einem verlorenen Drama von Euripid hervorgeht: Συµµεικτον ειδος και αποφωλιον βρεφος τεγονεναι και Ταυρου µεµειχθαι και βροτου διπλη φυσει.792 Die Motive werden meist wiederholt, so kommen der Zustand Schlafen-Wachen, Illusion des Traumes - ernüchternde "Wirklichkeit", menschliche Träume – tierisches Handeln, Blendung - Sehen, Durchschaubarkeit - Undurchschaubarkeit leitmotivisch vor. Ein grundlegender Dualismus wird durch das Spiegelmotiv erreicht: man kann nicht wissen, was "Wirklichkeit" und was Spiegelbild ist. Auch der Minotaurus wird widergespiegelt, und diese Minotauren kommen zuerst freundlich, dann feindlich vor. Die Opposition ±freundlich/feindlich wird auch im Zusammenhang mit der hereinbrechenden Außenwelt wiederholt, noch dazu nochmals verdoppelt durch die Opposition maskulin/feminin. Zuerst erscheint das Mädchen (feminin, ängstlich, aber nicht feindlich), dann kommt der maskuline, feindliche Jüngling. Beide Figuren werden ins Labyrinth gezwungen, und werden Opfer des Minotaurus. Er tötet das Mädchen ungewollt – dem Jüngling hat er aber die List nach dem freundlichen Empfang mit dem Tod bezahlt. Beide Opferfiguren haben ihre entsprechenden übermächtigen Parallelen: sowohl Ariadne als auch Theseus kommen freiwillig ins Labyrinth, und bringen den Tod. Ariadnes Verhalten ist versöhnend, sie ist aber aktive Mittäterin. Theseus Wille ist von vornherein durch seine "Heldentat" gekennzeichnet. Er überlistet und tötet den arglosen, freundlichen Minotaurus.

790 Minotaurus S. 23. 791 Minotaurus S. 17. 792 "Nutzloses Wesen, halb Mensch, halb Tier". Plutark, Theseus 15 Auch diese Dichotomien erschweren die Interpretation für den Minotaurus, der sowieso monosemantisch denkt. Das führt zu Mißverständnissen – und zu seinem Tod.

Abb. 17: Illustration zur Ballade Minotaurus, 1985, Tusche, 30×40 cm

4.3.6.8. Der Tod – Ausweg oder schlimmstmögliche Wendung?

"Dann, bevor die Sonne kam, kamen die Vögel" (siehe Abb. 17), und der Schluß hinterläßt das leere Labyrinth mit dem dunklen Kadaver des Minotaurus. "Ich könnte jetzt wirklich nicht sagen, daß ich da eine Komödie oder eine Humoreske geschrieben habe. Darum nenne ich den Text eine Ballade. Das Labyrinth ist für mich eine existentielle Sache. Für mich ist es der Tod", schreibt Dürrenmatt, aber gleich fügt er hinzu: "Aber es ist ein Gleichnis – und Gleichnisse sind mehrdeutig, im Gegensatz zur physikalischen Formel, die immer eindeutig ist."793 Die Mehrdeutigkeit des Gleichnisses, die Offenheit der Ballade hat viele verschiedene Deutungen provoziert. Haller hat es als "eine dunkle, tragische Geschichte ganz ohne Humor" aufgefaßt794, die ja der schlimmstmöglichen Wendung der Dramen entspräche.795

793 Gespräche 4, 178. 794 Gespräche 4, 178. 795 Gasser Peter: Das Labyrinth der Einsamkeit. Zu Friedrich Dürrenmatts Ballade {Minotaurus}. In: Revue Neuchâteloise. 2000, S. 104-128., S.120 Die meisten Interpretationsversuche wählen die Konklusion der Dramaturgie des Labyrinths als Grundlage. Wer sich ins Labyrinth hineinbegibt, beginnt "nach dem Minotaurus zu suchen, in den verschlungenen Gängen beginnt er zu fragen, zuerst, wer denn Minotaurus überhaupt sei, später, ob es ihn überhaupt gebe, und endlich beginnt er zu überlegen – wenn er ihn immer noch nicht gefunden hat -, warum denn, wenn es den Minotaurus nicht gebe, das Labyrinth überhaupt sei: Vielleicht deshalb, weil Theseus selber der Minotaurus ist und jeder Versuch, diese Welt denkend zu bewältigen – und sei es nur mit dem Gleichnis der Schriftsteller -, ein Kampf ist, den man mit sich selber führt: ich bin mein Feind, du bist der deinige."796 Sind also "Minotaurus und Theseus nur verschiedene Masken des einen Menschenwesens, verschiedene Teile eines schreibenden, über sein Schreiben reflektierenden, zum Bewußtsein kommenden Ich"797, so müßte man sich die ethische Frage nach der Menschlichkeit des Menschen stellen. Der Heldenmensch hat sich tierisch, das Ungeheuer aber human verhalten. Oder: wie verhält man sich untereinander? Wie ist unser Verhältnis zur Natur, Kunst, Ästhetik?798 Oder scheitert der Minotaurus daran, daß ihm der Wunsch nach "intersubjektiver Symmetrie" versagt bleibt799, oder weil er ins "Spiegelstadium" zurückfällt, daß der Minotaurus "den anderen nicht in seiner Eigenart wahrnimmt, sondern seine Sehnsucht nach Wärme, Geborgenheit und Freundschaft, nach einem Du auf den anderen, was ihm zum tödlichen Verhängnis wird, weil er das Zeichen nicht als Zeichen versteht und statt dessen projiziert, was er sich zu sehen wünscht"?800 Oder weil ihm die Begriffe, die dazu notwendige Sprache fehlen?801 Oder haben wir mit einem "Wandlungs- und Individuationsmärchen" zu tun802, bei dem sich der Minotaurus sterbend vom Tiermenschen zum Menschen verwandelt und als Theseus das Labyrinth verläßt?

796 Stoffe, S. 86. 797 Rusterholz 1998, S. 330. 798 Jámbor S. 315. 799 Fritsch S. 40. 800 Wirtz, S. 336 801 Nach Monika Schmitz-Emans ist das Labyrinth Dürrenmatts, ähnlich Kafkas Erzählung Der Bau, eine "poetologische Allegorie", bei der das Labyrinth als "Metapher des Werkes", die Spiegelmaterie als "Sprache" zu verstehen sind. Schmitz-Emans, Monika: Dädalus als Minotaurus. Zu Labyrinth-Motiv und Sprachreflexion bei Kafka und Dürrenmatt. In: Zeitschrift für Germanistik. NF III, (1993) H. 3., S. 526- 544, S. 534, 538. 802 Graeser-Isele, Eva Maria: Mythologische Orte als Lebensmuster? Der Weg von Dürrenmatts Erzählung ’Die Stadt’ (1946) zur Ballade ’Minotaurus’ (1985). In. Gymnasium: Zeitschrift für Kultur der Antike und humanistische Bildung. 1987 (94) H.6. S. 539-552., S.551 Die vorherigen Interpretationsversuche unberührt gelassen, die Subjektivität und Partikularität dieses Beitrags betonend möchte diese Arbeit aufgrund Kerényis Studie eine weitere Interpretationsschicht darlegen. "Am objektivsten läßt sie sich [die mythologische Idee des Labyrinths] also doch durch eine Spirallinie ausdrücken als die Unendlichkeit der sich wiederholenden Reihenfolge Leben-Tod-Leben".803 Diese Hypothese kann auch mit einem Gespräch Dürrenmatts, ungefähr eine Woche vor seinem Tod geführt, unterstützt werden: "- Ist für Sie die Frage nach dem, was nach dem Ende Ihres Lebens kommt, gelöst? - Was für mich nicht bewältigt ist, das ist das Sterben. Aber für mich ist der Tod kein Problem mehr. - Was bedeutet es Ihnen? Das Nichts? - Vielleicht. Aber ich kann mir ebensogut vorstellen, daß man immer ist." 804

Diese Möglichkeit, in dem Tod die Wiedergeburt zu finden, könnte auch mit den antiken Mysterien begründet werden, wo der Einzuweihende ein Reifungsprozeß durchmachend als ein neues und höheres Wesen erwacht. Durch diese Erklärung könnte man den Umgang Ariadnes mit dem Minotaurus verstehen: "[…] und tanzend, fast zärtlich, wickelte sie das Ende des roten Fadens um seine Hörner […]" "Als wäre Ariadne ein Versuch der Versöhnung, ein Hinweis darauf, daß die Menschen auch anders sein können, ein Ausdruck der Ausweglosigkeit aus der entstandenen Situation. Dementsprechend wäre der Tod für den Minotaurus der einzig mögliche Ausweg", schreibt Jámbor.805 Auch bei den Mysterien ist der symbolische Tod die Voraussetzung einer Neugeburt.806 Die Überwindung des Labyrinths steht dem Menschen in Aussicht, der sich als Mensch begreift. Gerade zu dieser Meinung von Dürrenmatt kann man die pessimistische Interpretationsweise anschließen. Da der Minotaurus menschlich und der entmythologisierte und entheroisierte Theseus tierisch gehandelt hat, bleibt in einem die peinliche Frage zurück: wer ist der Mensch, welche Möglichkeiten hat er noch. Wer hat noch die Möglichkeit zur Neugeburt? Man muß sich dann mit Dürrenmatt die Frage stellen: "Ich sehe die Menschheit in einer biologisch-evolutionären Krise. Ich frage mich: Sind wir nicht Saurier, die kurz vor dem Untergang stehen?"807

803 Auch die notwendigen Sinnbilder (Vögel, Spirallinie, Sonne, Mond) sind in Minotaurus vorhanden. Kerényi, Karl: Labyrinth-Studien. Labyrinthos als Linienreflex einer mythologischen Idee. (=Alba Vigiliae. N.F. Heft X) 2., erw. A. Zürich: Rhein 1950. S. 43-50. 804 Gespräche 4, 118. 805 Jámbor, S. 304. 806 Eliade, Mircea: Das Mysterium der Wiedergeburt. Zürich, Stuttgart: Rascher 1961 807 Gespräche 4, 116.

4.3.6.9. Das Labyrinth der Sprache.

"Wenn ich, was mir hier aus Wissen und Unbewußtheit entstanden ist, für ein Labyrinth halten kann, so tritt ja nun der Leser gleichsam theseushaft daraus hervor", so Robert Walser.808 Auch der Leser von Dürrenmatts Ballade wird beim Lesen vor eine ähnliche Aufgabe gestellt, der Text selbst bildet ein Labyrinth. Schon die Wahl der Gattung ist interessant, denn die Ballade wird nach Goethe als ein Gesamtkunstwerk definiert809, und nach Wilperts Definition war sie ursprünglich ein Tanzlied.810 Der Text wird außerdem mit den Zeichnungen des Autors ergänzt, so daß in diesem Werk Bild-Wort-Klang und Bewegung eine vollkommene Einheit bilden. Die penible Achtung auf die sprachliche Gestaltung kann durch den Vergleich der Textbuchfassung811 mit dem Erstdruck 1985 gezeigt werden. Der Textbuch beginnt mit "Der Minotaurus", der Erstdruck mit "Das Wesen". Auch der Ort wird zuerst nur kurz erwähnt: "am Boden des Labyrinths", während der erste Entwurf das Labyrinth genauer beschreibt: "auf dem Boden des Labyrinths, das von Daidalos erbaut war, um die Menschen vor dem Wesen und das Wesen vor den Menschen zu schützen". Beide Fassungen beschreiben Herkunft, Zeugung und Vorgeschichte des Minotaurus: "Der Minotaurus, den die Tochter des Sonnengottes Pasiphae geboren hatte, nachdem sie von einem dem Poseidon geweihten weissen Stier bestiegen worden war…"(TB) / "Das Wesen, das die Tochter des Sonnengottes, Pasiphae, geboren hatte, nachdem sie auf ihren Wunsch hin eingeschlossen in eine künstliche Kuh von einem dem Poseidon geweihten weißen Stier bestiegen worden war,[…]"(1985). In dem Erstdruck ist das Labyrinth und seine Funktion genauer beschrieben, außerdem wird durch einen auktorialen Erzähler nicht nur das Äußere des Minotaurus und die äußeren Ereignisse, sondern auch das Innenleben des Wesens erläutert. Da im Minotaurus die Geschichte aus der Sicht des "Wesens" gesehen wird, dem die Begrifflichkeit fehlt und über keine Sprache verfügt, findet diese Entropie auch im Text Ausdruck. Der Erzähler betont mehrmals, daß der Minotaurus etwas nicht weiß, z.B. "[…] und der Minotaurus wußte weder was ein Mantel noch was ein Schwert war […]"812

808 Walser, Robert: Es war einmal. Prosa aus der Berner Zeit 1927-1928. Bd. 19. Zürich/Frankfurt: Suhrkamp 1986, S. 191-193. 809 Goethe nennt die Ballade das "Urei" aller drei Grundarten der Poesie. Siehe: Wilpert, Gero von: Sachwörterbuch der Literatur. 7. erw. Aufl. Stuttgart: Kröner 1987, S. 63ff, hier: S. 63. 810 Wilpert, Gero von: Sachwörterbuch der Literatur, S. 63ff 811 SLA. Sign. FD-A-Tb 11, S. 10. 812 Minotaurus, S. 23f. Der Erzähler bedient sich oft der Metonymie /"…griff mit der linken Hand nach der Brust, aus der es schwarz herausquoll", "etwas Pelzartiges"/ oder dem Mittel der Deskription: "Es streifte mit seinen Schwingen sein Flotzmaul und tauchte seinen nackten gelblichweißen Hals mit dem kleinen Kopf, den roten Augen und dem seltsam gebogenen mächtigen Schnabel irgendwohin neben ihm hinab."813 Anstelle der genauen Begriffe kommen in erhöhtem Maße semantisch leere Pronomina vor (z.B. es, etwas) und das Wort "vielleicht" wird öfters verwendet. "Vielleicht hatte ihn das Mädchen gar nicht geliebt, und auch die anderen Mädchen hatten die Minotauren nicht geliebt […] Vielleicht gehörten sie dem neuen Wesen […]"814 Eine Begleiterscheinung des Labyrinths ist das Chaotische. Das wird durch mehrere semantische und syntaktische Mittel erreicht. z.B. "ein/dunkles Knäuel über einem dunklen Knäuel". Das Wort Knäuel bezeichnet hier die Vögel oben, die Menschenkadaver unten und noch zu dieser Polysemie/Homonymie kommt die Bedeutung Wollknäuel Ariadnes, das wiederum ambivalent ist: es dient der Rettung des Theseus und dem Töten des Minotaurus. In einem anderen Falle führt das Indefinitpronomen es (für das Wesen bzw. das Mädchen) beinahe zu einem Subjektwechsel, man verliert beim Lesen die Eindeutigkeit der Referenz – es wird sprachlich vollkommen ausgedrückt, daß man auch Original und Spiegelbilder miteinander verwechselt. Die Syntax der Ballade ist selbst strukturelles Abbild des Labyrinths. Während Irmgard Wirtz den einzigen Satz der Erzählung des Sohns als ein monokursales Labyrinth versteht, interpretiert sie den Minotaurus als Weiterentwicklung zu einem multikursalen Labyrinth.815 Tatsächlich stellt der komplizierte Satzbau den für den Leser zu entdeckenden syntaktischen Reflex des "Labyrinths" dar. Die "Schachtelsätze"816, die von der Hypotaxe bestimmte labyrinthische Satzperiode ruft in dem Leser das Gefühl der Unüberschaubarkeit hervor. Um sich in den Sätzen nicht zu verlieren, bleibt dem Leser nichts anderes übrig, als "nach dem roten Faden" zu suchen, manchmal durch wiederholte Lektüre. Schon der erste, einführende Satz ist sehr bewußt konzipiert. In diesem Satz wird nicht nur die Abstammung des "Wesens", seine frühere und neuere Situation

813 Minotaurus, S. 22. 814 Minotaurus, S. 28. 815 Wirtz (Kodikas) S. 331-342. 816 Dürrenmatt, Friedrich: Der Rebell, in: WA 28, 271-322., S. 283. zusammengefaßt, wortwörtlich genommen zusammengedichtet, sondern neben dem Aspekt der Undurchschaubarkeit wird ein weiterer Aspekt des Labyrinths im Leser erweckt: dessen Unendlichkeit. Zum Beispiel es steht ein Doppelpunkt statt eines Punktes, der einen neuen syntaktisch-semantischen Komplex einleitet, und gibt dem Leser einen neuen Impuls, das Lesen fortzusetzen, bis er am Punkt – nach einer Seite – aufatmen darf. Der Text ist voll von ähnlichen und noch komplizierteren Satzperioden überfüllt. Die Hypotaxen tragen vor allem zum Eindruck des Chaotischen bei, wobei die Parataxen Reflex des Bildes Labyrinth werden. Auch das Spiegelmotiv wird sprachlich ausgedrückt. Besonders die Wiederholungen entsprechen dem visuellen Charakter des Spiegels und dem akustischen des Echos. Z.B. "sein Gesicht wurde freundlicher, die Gesichter seiner Spiegelbilder wurden freundlicher" (430). Manchmal entspricht dabei das Komma oder die Präposition dem Spiegel: "Unwillkürlich betastete es seinen Kopf, und wie es ihn betrachtete, betrachteten auch seine Spiegelbilder ihren Kopf", "[…] und fand sich Kopf an Kopf mit seinem Spiegelbild".817 Eine besondere Dynamik und besondere Klangwirkungen werden im folgenden Beispiel ausgedrückt, durch den finiten Gebrauch des Verbes "tanzen", Anapher, Parallele und eine Figura etymologica: "Er tanzte den Tanz der Brüderlichkeit, den Tanz der Freundschaft, den Tanz der Geborgenheit, den Tanz der Liebe, den Tanz der Nä- he, den Tanz der Wärme. Er tanzte sein Glück, er tanzte seine Zwei- samkeit, er tanzte seine Erlösung, er tanzte den Untergang des Laby- rinths, … er tanzte die Freundschaft zwischen den Minotauren, Tieren, Menschen und Göttern…"818 Es wird auch mit der Satzlänge gespielt: nach den langen Sätzen wird der Bruch in der Komposition, der neue Punkt der dramatischen Bewegung durch einen kurzen Satz angedeutet, z.B. wo der Minotaurus seine eigene Identität entdeckt: "Der Minotaurus war allein".819 Dazu gehört auch als vollkommener Schluß der kurze Endsatz: "Dann, bevor die Sonne kam, kamen die Vögel".820 Dürrenmatts Texte weisen zumeist einen strengen dramatischen Aufbau auf. Auch im Falle des Minotaurus handelt es sich um einen "mit der Präzision eines

817 Minotaurus, S. 8. 818 Minotaurus, S. 50. 819 Minotaurus, S. 34. 820 Minotaurus, S. 51. Architekten aufgebauten Text"821, was auch der Ausgeformtheit der Gedanken, der langen Entwicklung des Labyrinth-Motivs zu verdanken ist.

4.3.7. Das Labyrinth auf den Bildern

Dürrenmatt versuchte parallel zur schriftstellerischen Tätigkeit den Stoff Labyrinth auch malerisch zu bewältigen. Eine farbige Gouache aus dem Jahre 1958, Der entwürdigte Minotaurus zeigt noch eine Überwindungsmöglichkeit des Labyrinths: man muß die Naivität eines Lausbuben bewahren822, aber hier wird die Theseus-Gestalt schon entmythologisiert. Theseus bleibt kein anderer Ausweg übrig als der Sprung über die Mauer – wie Kierkegaard formulierte –, nachdem Kant den Ausgang des Labyrinths zugemauert hat. Die 1975 entstandenen Tuschzeichnungen zeigen einen Minotaurusin grobianischer Art und Weise bei der Begattung (Abb. 19). Dieses Motiv wird dann in der Ballade in der Beziehung zum Mädchen beibehalten, aber im Text erscheint der Minotaurus durch sein Unwissen und seine Naivität nicht als das "Ungeheuer" der Bilder. Die Bilder Labyrinth aus 1974 und 1979 zeigen die Wandlungen der Labyrinthkonzeptionen: das Labyrinth ist unübersichtlich geworden, Außengrenzen und Zentrum sind nicht mehr erkennbar. Das provoziert die Frage, ob es eine Welt außerhalb des Labyrinths gibt – also ob ein Entkommen aus dem Labyrinth möglich ist. Die Bilderzyklus von 1985 entsteht als Illustration zur Ballade. Hier ist zwar eine Vogelperspektive möglich823, aber nur im Symbol der Vögel, also des Todes. Das Labyrinth steht hier schon als Bewährungsraum sowohl der Selbst- als auch der Fremderkenntnis. Während bei den früheren Werken eine Divergenz zwischen der schriftstellerischen Positionen zu beobachten ist (z. B. das Labyrinth als kompliziertes Gebäude erscheint (Abb. 18) im Text früher als auf dem Bild), wird in der Ballade eine Einheit zwischen Bild und Text verwirklicht.

821 Svoboda, Josef: Dürrenmatts Minotauren. In: Friedrich Dürrenmatt: Schriftsteller und Maler. Schweizerisches Literaturarchiv, Bern, 1994 – S. 192. 822 Gespräche 3, 140. 823 Daidalos-Perspektive, wie I. Wirtz formuliert. Wirtz , S. 337. (Kodikas) Abb. 18: Labyrinth III., 1974, Federseichnung, 36×25,5 cm Abb. 19: Poseidons Stier und Pasiphae I., 1975, Tusche, Pinsel laviert, 30×40 cm

4.3.8. Fazit

Das Motiv des Labyrinths ist die Grundlage zum Verstehen des Dürrenmatschen Œuvre. In allen Gattungen, sowohl in der Literatur als auch in der Malerei versucht Dürrenmatt seinem Weltbild eine entsprechende Form zu geben. Dieser Stoff, dieses "Gegenbild" setzt sich aus mehreren Erfahrungsschichten zusammen. Mit den eigenen Kindheitserlebnissen: Labyrinth als komplizierte Bauanlage (Unterführung am Bahnhof, die Tennen), Labyrinth als Gefängnis (die Schule, Stadt Bern, die Schweiz in dem Zweiten Weltkrieg) verbinden sich die Labyrinth-Deutungen der Philosophie (Platon, Kant, Kierkegaard) und der Psychologie (Labyrinth als Symbol der Angst, des Todes). So entstehen die Welterklärungsparadigmen, die Weltbilder für Dürrenmatt. Schon unter den unpublizierten Manuskripten sind Labyrinth-Bearbeitungen zu finden, so der Schüleraufsatz Theseus, Die Riesenglocke/Das Labyrinth, Die Komödie/ Der Knopf. In den Dramen kommt das Motiv des Labyrinths in seinem Inneren mit dem Minotaurus vor, dem Symbol der Angst, der Gefahr, des Todes, der ständig auf einen lauert. Eine spezielle Darstellung des Labyrinths ist das Motiv des Irrenhauses, wo nicht nur die Kompliziertheit des Gebäudes eine Rolle spielt, sondern auch das Eingesperrtsein, wobei nicht sicher ist, wer von wem geschützt werden soll: die Ein- oder die Ausgesperrten sind die "Irren", welche von beiden bedeuten Gefahr auf die Gesellschaft. In der Prosa ist der intertextuelle Bezug auf Platons Höhlengleichnis sehr stark, und die Deutungsebenen Gefängnis, Angst werden thematisiert. Schon bei der ersten Prosabearbeitung des Labyrinth-Stoffes, in der Stadt ist der intertextuelle Bezug auf Kierkegaard vorhanden. Jeder ist sein eigener Gefangener, um zu prüfen, ob man Wärter oder Gefangener ist, wäre nur der Sprung in den Glauben da. Das Motiv in der Prosa ist immer komplizierter, vor allem, weil auch der Mythos Schweiz, Mythos Armee miteinbezogen werden. Ein Schlüsselwerk der Labyrinth-Bearbeitungen ist Die Dramaturgie eines Labyrinths, wo sich Dürrenmatt verschiedene Identifikationsmöglichkeiten mit den Figuren des Labyrinths ausprobiert. Immer mehr tritt die Vorstellung in den Vordergrund, daß der Minotaurus der Vereinzelte ist – wiederum ein Bezug auf Kierkegaard. Diese logischen Möglichkeiten werden weitergeführt, bis sie in der Ballade Minotaurus ihren Höhepunkt erreichen. Bei dieser Entwicklungslinie macht die Theseus-Gestalt die größte Veränderung durch: der Held der Kindheit wird entmythologisiert und politisiert (z.B. in den Nachgedanken824) und schließlich wird er "ein Tier", ein Vortäuscher, der den naiven Minotaurus in die Falle lockt und tötet. Das Thema erreichte in der Ballade Minotaurus seine Vollendung. Sowohl die Gattung als auch das Prosagedicht selbst scheint auf den ersten Blick etwas ganz Eigenartiges in Dürrenmatts Werk zu sein, und auf diese Neuartigkeit beruft sich die Forschung immer wieder. Bei näheren Untersuchungen stellt es sich aber heraus, daß Dürrenmatt wiederum mit den Motiven, mit den mythologischen Elementen spielt. Alle Elemente können entweder auf die Antike zurückgeführt werden oder sind durch die Intertextualität in älteren Werken des schriftstellerischen (und malerischen) Œuvre zu

824 WA 35, 180-185. entdecken. Besonders die Identifikationsmöglichkeiten der einzelnen Figuren in der Ballade: z. B. Minotaurus mit Theseus, ist nicht nur durch die Stiermaske präferiert, sondern sie sind schon in der Antike gegeben. Auch das Wissen, Macht und todbringende Zärtlichkeit der Ariadne ist als Herrin des Labyrinths ein antikes Motiv. Das Motiv des Labyrinths wurde schon im Altertum mit dem Tanz gekoppelt. Die weiteren Elemente, der Spiegel und die Gestaltung des Labyrinths ohne Außenwelt ist zwar Dürrenmatts Erfindung, sind aber keineswegs neu, sie haben viele intertextuelle Bezüge zu den älteren Werken und Gemälden des schweizerischen Schriftstellers. Alles, worüber sich Dürrenmatt Gedanken gemacht hat, hat er mit seinen philosophischen (Kierkegaard) und psychologischen (Lacan) Studien in Einklang gebracht. Durch die neuartige Verkoppelung der schon bekannten Elemente und die neue Wahl der Perspektive (der Vereinzelte – der Minotaurus) gelangen wir zu einer der mehrdeutigsten Gleichnisse von Dürrenmatt. Diese Ballade ist eine der wichtigsten Warnungen des schweizerischen Schriftstellers: die Menschen als biologische Wesen verhalten sich endlich human – oder gehen unter. Oder geht man gerade an der Menschlichkeit zugrunde? Der Tod wird in Dürrenmatts Spätwerk immer stärker thematisiert, diese Akzentverschiebung läßt sich auch in der Entstehungsgeschichte des Midas, Dürrenmatts letzten Stoffes beobachten. 4.4. Spiel mit den Möglichkeiten: der Midas-Stoff (1970 – 1983/84 – 1990)

Midas oder Die schwarze Leinwand ist der letzte Text, den Friedrich Dürrenmatt vor seinem Tod im Jahre 1990 noch persönlich autorisiert hat. Dieser Stoff beansprucht ein besonderes Augenmerk innerhalb der Mythen-Bearbeitungen aus dreierlei Hinsicht. Erstens dokumentiert Dürrenmatt in diesem Werk exemplarisch seine eigene literarische Schaffensweise, welch ein riesiger werkgenetischer Prozeß hinter der Entstehung eines Textes von Stoff-Stadium bis zur Fertigstellung liegen kann, wie viele unterschiedliche Fassungen davon existieren, was für Medienwechslungen diese Varianten durchmachen. Dürrenmatt versucht auch klarzustellen, warum seine alten Stoffe ihm keine Ruhe lassen, warum er sie nie aufgeben oder in eine endgültige Form bringen kann. Dieser Entstehungsprozeß ist für die daliegende Arbeit umso signifikanter, da sie nicht einfach die Verwandlung eines mythischen Stoffes zeigt, sondern das Auftauchen dieser Idee bezeugt und Schritt für Schritt zeigt, wie der Autor neue Elemente des Mythos einsetzt, zurücknimmt, umgestaltet. Drittens setzt sich Dürrenmatt in Midas oder Die schwarze Leinwand selbstkritisch mit seiner persönlichen Autorrolle, mit dem eigenen Künstlertum auseinander. Der Plot wird nämlich um eine zusätzliche Metaebene erweitert, wo der Autor F.D. immer wieder eingeblendet wird und in ironischen Dialogen die Umsetzung des Stoffes kommentiert und ins Geschehen eingreift. Was hier beschrieben wird, gilt für Dürrenmatts literarische Arbeiten allgemein, besonders aber für das Spätwerk.825

825 Trotz der Bedeutung dieses Werks entstand bisher noch keine umfassende Analyse. Das einzige Studium, das sich mit dem Midas beschäftigt ist von Stefan Banz: »Ich mag heute keine Gespenster sehen«. Friedrich Dürrenmatts »Midas oder Die schwarze Leinwand«. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Text+Kritik. Zeitschrift für Literatur. 50/51. Friedrich Dürrenmatt. Dritte Auflage: Neufassung Dezember 2003. S. 216-221. 4.4.1. Die Werkgenese

"[Theater] Als bildhaftes Denken – darum schreibe ich heute ganz bewußt an meinem ersten Film [Midas oder Die schwarze Leinwand], an einem Stoff, den ich von Anfang an als Film konzipiere […]," sagt Dürrenmatt in einem Interview mit Heinz Ludwig Arnold im Jahre 1981.826 Die Geschichte dieses Stoffes geht aber noch weiter in die Vergangenheit zurück. Der Stoff Midas wurde unter dem Titel Coq au win – noch ohne Bezug auf den Mythos – bereits in der ersten zusammenhängenden Niederschrift des Stoff-Projekts von 1970 skizziert. Darüber erzählt der fiktive Autor F.D. am Ende des Textes 1990 voller Selbstironie: "F.D.: Den größten Streich spielte ich mir selber. Ich habe zufällig die erste Notiz über >Midas< gefunden, geschrieben 1968. Schauspieler Z.: Vor 22 Jahren. F.D.: Vor 22 Jahren." 827 Dann liest er die erste Version des Stoffes, mit dem Titel Coq au win, die sich collageartig als Exkurs mit in den Text eingearbeitet findet.828 Die erste Niederschrift wurde 1972 zusammen mit einer Reihe von anderen Stoff-Skizzen zurückgestellt, wurde in der folgenden Zeit aus dem Stoffe-Komplex ausgeklammert und ab 1980 als selbständiger Stoff weiterbearbeitet. Laut Dürrenmatt gibt es von Midas mindestens zwölf Fassungen.829 So wurde er 1980 als Treatment für einen Film mit dem Titel Midas oder Das zweite Leben entwickelt, der Maximilian Schell für die MFG Film GmbH drehen wollte. Im Oktober des folgenden Jahres wurde Midas zu einem Drehbuch erweitert, das 1983 im Reiss Bühnenvertrieb (Basel) als unverkäufliches Typoskript erschien und an dem bis 1984 weitergearbeitet wurde. 1983 klammerte Dürrenmatt die Ballade von Midas aus dem Drehbuch aus, und konzipierte sie als selbständigen Text, der 1993 postum im Gedichtband Das Mögliche ist ungeheuer im Diogenes-Verlag erschien. Im März (?) 1984 begann der Autor Midas als Novelle zu bearbeiten, in welche die Ballade in Prosaform wieder integriert wurde, und was mit Illustrationen versehen

826 Gespräche 3, 12 827 WA 26, 186. 828 WA 26, 187f. 829 Laut Maximilian Schell höchstens neun. Maximilian Schell im Gespräch mit Hans M. Eichenlaub, >Schweizer Radio DRS< 10. 3. 1993: Die Vielzahl der Möglichkeiten, von denen nur eine zur Wirklichkeit werden kann. In: play Dürrenmatt, S. 303-305; 304. wurde. 1990 nahm Dürrenmatt den schon in Novellenfassung und in Drehbuchfassung existierenden Stoff wieder auf, die unter dem Titel Midas oder Die schwarze Leinwand zu einem "Film zum Lesen" umgearbeitet wurden. Die von Dürrenmatt noch autorisierte zwölfte Fassung (31. Juli 1990) ist dann im März 1991 im Diogenes-Verlag erschienen, und ist später auch in die Werkausgabe von 1998 eingegangen.830

4.4.2. Folie - Novum (?): Der antike Mythos - die Dürrenmattsche Story

In den bisherigen Kapiteln wurde immer der antike Prätext (die antiken Prätexte) kurz dargelegt, damit man das Novum, die Dürrenmattsche Bearbeitungen, die intertextuellen Bezüge besser verstehen kann. Auch im Falle des Midas-Stoff lohnt es sich, den Mythos nach Ranke-Graves kurz zusammenzufassen. Der Mythos besteht eigentlich aus zwei Teilen, aus dem "Geschenk" von Dionys und aus der Rache des Apolls. Als eines Tages die begleitende Schar des Dionysos von Thrakien nach Boiotien zog, blieb der frühere Lehrer des Gottes, der Satyr Silenos weit zurück. Die Diener von Midas fanden den Betrunkenen schlafend, und führten ihn vor Midas, wo er wundersame Geschichten erzählte. Midas war entzückt, und nachdem er Silenos fünf Tage bewirtschaftet hatte, ließ ihn zu Dionysos zurückbegleiten. Der Gott wollte Midas belohnen, der ohne Zögern den folgenden Wunsch hatte: "»Möge sich alles, was ich berühre, in Gold verwandeln.« Da verwandelten sich nicht nur die Steine, die Blumen und der Hausrat in Gold, sondern auch die Speisen auf der gedeckten Tafel, sobald er sie berührte, und sogar das Wasser, wenn er es trinken wollte. Midas starb langsam vor Hunger und Durst und flehte inständig, von diesem Segen befreit zu werden."831 Zwar erbarmte sich der Gott seiner, aber als er im musikalischen Wettkampf gegen Apoll entschieden hat, bekam er Eselsohren. Lange Zeit konnte er sein Geheimnis bewahre, aber nachdem sein Barbier die Schweigepflicht gebrochen hatte, trank Midas das Blut eines Stieres und starb elenden Todes.832 Bei den bisherigen Mythosbearbeitungen von Dürrenmatt konnte man immer eine Dekonstruktion, und aus den bekommenen Elementen eine Rekonstruktion des Mythos beobachten. Bei Midas ändert Dürrenmatt nichts an der überlieferten

830 WA 26, 196. siehe Tabelle von den Textzeugen von Midas. 831 Ranke-Graves, S. 255f. 832 Ovidius: Metamorphoses, 11. 85- 193. Geschichte, er übernimmt sogar das obige Zitat wortwörtlich in seinen Text.833. Jetzt ist der Mythos als Vergleichstext, als Parabel wichtig, und wie es sich aus den folgenden Kapiteln herausstellt, ist jetzt für den Autor nicht die bisherige "Arbeit am Mythos" wichtig, sondern, daß er die Rezeption des Vergleichs Midas – moderne multimilliarde Unternehmer mit der Erzählung des Mythos sichert. Die Grundsituation der Story faßt Dürrenmatt folgendermaßen zusammen: "Richard Green, einer der reichsten Männer der Welt, Chef eines internationalen Konzens, wird vor seinen Aufsichtsrat zitiert. In einer dramatischen Sitzung wird ihm eröffnet, daß der Konzern vor dem Konkurs stehe – ein Partner aber nur einsteigen würde, wenn er, Richard Green, verschwinde. Ein "zufälliger Verkehrsunfall" sei für 5 Uhr nachmittag vorbereitet."834 Die Geschehnisse auf diese Grundsituation aufbauend spielt der Autor sein "gewohntes Spiel" mit den Möglichkeiten, in die er auch den Mythos Midas einzusetzen versucht, zuerst aus dem Zweck eines Filmes.

4.4.3. Das Treatment und das Drehbuch835

Nach den Erfahrungen mit dem Film Der Richter und sein Henker wollten Dürrenmatt und Maximilian Schell neue Wege für einen gemeinsamen Film finden. So entstand Midas oder Das zweite Leben, wovon Dürrenmatt mindestens zwölf verschiedene Drehbuchfassungen geschrieben hat. "Auf alle Fälle entsprach keines dieser Drehbücher dem, was wir wirklich wollten: […] Ich glaube, was ihn am meisten fasziniert, aber auch gestört hat, war die Vielzahl der Möglichkeiten, von denen nur eine zur Wirklichkeit werden kann. Das fing schon bei der Besetzung an: ob die Hauptrolle nun von Al Pacino oder Robert Redford gespielt wird, verändert den Film völlig. Da war Dürrenmatt der dankbarste Partner, weil er sogleich den Film wieder umschreiben wollte, seine Phantasie mit ihm durchbrannte und wir vor lauter Versionen und Phantasien nicht dazugekommen sind, den Film zu machen. Ich werde diesen Film aber irgendwann – jetzt halt leider ohne Dürrenmatts Mitarbeit – verwirklichen."836 Dieses Drehbuch ist ein ausgezeichnetes Beispiel für Dürrenmatts bildhaftes Denken. Es mußte gleichzeitig ein Anreiz und eine Schwierigkeit bedeuten, die geschaffene eigene Bildwelt in neue, andere Bewegungsabläufe eines anderen Mediums umzusetzen

833 FD-A-m108, 199-200; S. 24.; siehe S. 209 dieser Arbeit. 834 FD-Aa 30 IX: Inhaltsangabe. 835 FD-A-m108, 109, 110, a30, 31, 32, r134, 135, 136. 836 Maximilian Schell, play Dürrenmatt, S. 304. und mit den Möglichkeiten der Kamera, des Films zu verwirklichen.837 Da – wie oft bei den Theaterstücken – das materialisierte Bild etwas die Phantasie der Zuschauer in Schranken setzt, und die Vorstellungen des Autors modifiziert, versucht Dürrenmatt wie in seiner Prosa alles möglichst detailliert und veranschauungsvoll darzustellen, wie zum Beispiel in den Bildern F und G:

837 Dazu siehe: Martin Schlappner: Friedrich Dürrenmatt und die ihm fremde Bildwelt des Films. In: play Dürrenmatt S. 148 – 150, insbes. S. 150. F: Der Schwiegervater geht durch einen Kamera auf Schwiegervater und alte langen mit Stock verzierten Frau Korridor. Eine offenbar rausch- giftsüchtige Schmack überhäuft - die alte Frau tastet der Wand entlang, dick geschminkt, eine Zigarette im Mund, die ihr schon die Lippen verbrennt. Der Schwiegervater geht an ihr vorüber.

G: Sitzungssaal. Ein riesiger Tisch. Der Vorsitzende Totale auf Versammlung ist nicht zu erkennen. Nur seine Hände sind bis- weilen sichtbar, da er oben am Tisch in einem Lehnstuhl sitzt. Von der am Tisch versammelten ist der Multimilliardär Achmed Ismaeli, der Sekretär Greens Frank. Der alte Verwaltungsrat, der Rechtsanwalt Greens, McPeel Greens Leibwächter, sowie der Großverleger später wichtig. Die anderen Besitzer von Finanzimperien und Privatbanken Unpersönlich, glatt, wirken anonym, liebenswürdig, Irgendwie kleinbürgerlich, darunter eine strickende Frau, dick, mit strohblonder Perück Die Türe öffnet sich, der Schwiegervater tritt herein, setzt sich an das Ende des Tisches, öffnet die Aktentasche838

Für die daliegende Arbeit ist eine weitere Frage gewichtiger: wie beeinflußt die mythische Gestalt Midas den ganzen Stoff, wie Dürrenmatt um den Stoff ringt. Da Dürrenmatt bei dem durchfallenen Drama Der Mitmacher und bei seinem Spätwerk schon mehrmals mit der Erfahrung konfrontiert wurde, daß sein Publikum

838 FD-A-m 108, 1980/81, S.a,b. 16. 2. 1981 nicht über dieselbe Erfahrungs- und Ideenwelt, nicht über dieselben mythologischen und philosophischen Hintergrundkenntnisse verfügt, wie er selbst, ist es für den Autor immer eine Frage, in welchem Maße ein Motiv erklärt werden muß, inwieweit darf eine Idee nur als (intertextueller) Hinweis im Werk auftauchen. Dafür geben die Manuskripte m 108 – m 110 wichtige Informationen. Ein besonderes Augenmerk wird darauf gerichtet, wie die Gestalt Midas vorkommt, welche Teile des Mythos (Dionys, Apoll) erzählt werden, wie detailliert der Mythos erzählt wird und in welcher Form (ob vielleicht nur das Symbol Gold vorkommt), wer erzählt ihn, wer Green mit Midas vergleicht, ob der Midas-Mythos mit einem anderen antiken Mythos verknüpft wird. In dem ältesten Manuskript m 108 (1980/81) kommt der Mythos erst in der Mitte der Geschichte vor, als der Großverleger den unwissenden Green mit Midas vergleicht: "199. Der Großverleger: Kennen Sie den Mythos von Midas, Green? Stimme Green: Komm mir nicht mit Literatur, Samuel. GV: Manchmal ist Literatur ganz nützlich. Midas wünschte sich von Dionysos, daß sich alles, was er berühre, in Gold verwandeln möchte. Da verwandelten sich nicht nur die Steine und der Hausrat in Gold 200. Der Großverleger betrachtet seinen goldenen zwischen seine Zeigefinger geklemmten Kugelschreiber. GV: Sondern auch die Speisen auf der gedeckten Tafel, sobald er sie nur berührte, und sogar das Wasser, wenn er es trinken wollte. Midas starb langsam vor Hunger und Durst. 201. Green (Whisky trinkend): Märchen. Stimme des Großverlegers: Sie sind selber ein Mythos, Green. 202. Aber im Gegensatz zu Midas der von Dionys von seinem Fluch erlöst wurde, wird Sie kein Gott erlösen."839 Am nächsten Tag ergänzt Dürrenmatt das mit einer weiteren Erklärung: "230. GV: Sie sind ein Mythos wie Midas, Green. Alles was Sie berühren wird zu Gold, sogar die Kitschprodukte, die in Ihrer Galerie fabriziert werden, auch Ihr Tod."840

839 FD-A-m108, 25. 11. 1980, S. 24.; vgl. Anm. 831. 840 Ebda, 26. 11. 1980, S. 26. Wie es für den ganzen Film typisch ist, kommt es oft zum Bildwechsel, und bestimmte Bilder, Sätze führen leitmotivisch durch den ganzen Film, so zum Beispiel: "232. Großverleger: Die Zeit des Tycoons ist vorbei, Green, vorbei die Zeit des Midas. 238. Stimme Großverleger: Die Zeit des Tycoons ist vorbei, Green, vorbei wie die Zeit des Midas." Diese Szene mit dem Großverleger wird in den späteren Versionen variiert. In den Korrekturseiten FD-a30 III. (22. 03. 83) erzählt der Großverleger diese Geschichte noch ähnlich, in den einen Monat später entstandenen Korrekturseiten a30 IV (20.(?) 04. 83) wird schon explizit angegeben, daß es in der vierten Szene um die Ballade von Midas geht841, wo man nur noch die Stimme des Großverlegers hören kann, während er über Midas als Tycoon der griechischen Sage erzählt, den er mit den Familien der Moderne, mit Rockefeller, Morgan, Niarchos, Onassis und Hughes vergleicht, gleichzeitig sieht man aber "Bilder", was und wie in Gold verwandelt wird. Die Erzählung des Großverlegers kommt als Metaebene zu der Ebene der gesehenen Bilder, die zwei Ebenen vermischen sich aber bald, wenn man nach einer Weile das Gesicht der unbekannten Person erblickt (Green), beziehungsweise der Großverleger dem "ahnungslosen" Green erklärt, Green und Midas seien identisch: "201. Stimme Großverleger: Sie sind selber ein Märchen, Green. 202. Aber im Gegensatz zu Midas, der von Dionysos von seinem Fluch erlöst wurde, wird Sie kein Gott erlösen."842 Bei dieser Szene überlegt Dürrenmatt, in welchem Maße er den antiken, griechischen Bezug der Erzählung betonen soll. So betritt Green in einer "Illustration" der Erzählung des Großverlegers von 2. 5. 83 noch griechisch gekleidet den Raum, was schon hier für zuviel empfunden und ausgestrichen wird. Mit dem ungebildeten Green wird gleichzeitig auch der Rezipient mit den wichtigsten Elementen des Mythos bekanntgemacht843, aber Dürrenmatt verwickelt diese Variante in m 109 [III] (Nov-Dez. 1983) weiter. Als Film im Film wird Die Ballade von Midas beim Großverleger von Green III (sic!) auf Video als Interview im Fernsehen verfolgt: es ist das Nekrolog auf seinen noch nicht erfolgten Tod.

841 Hier wird die Gattungsbezeichnung zum ersten Mal erwähnt. 842 In der Variante 230: "Großverleger: Sie sind ein Mythos wie Midas Green. Alles was Sie berühren wird zu Gold, sogar die Kitschprodukte, die in Ihrer neuen Galerie fabriziert werden, auch Ihr Tod." (26. 11. 80) 843 In dieser Variante gibt es noch einen Widerspruch: erstens steht da, daß Midas vor Hunger und Durst starb – also in seinem Gold erstickt, wie später bei Dürrenmatt steht, dann spricht aber der Autor von der Erlösung des phrygischen Königs, die später auch Weg in die Fassungen findet. Wie bei den Mythen die Genealogie eine wichtige Rolle spielt, wird Green III hier schon als der Enkel des Goldschmieds Green I. dargestellt. Dieses Spiel mit der Idee der Abstammung taucht auch im m110 [III] bzw. a 31 IV auf. In dem ersteren vergleicht Ismaeli die Arbeitgeber mit Halbgöttern, und fügt hinzu, "auch Midas war ein Halbgott, der Sohn des Gordios und Kybelé, der großen Mutter, deren Wagen Löwen und Panther zogen" – was aber von Dürrenmatt als Überflüssiges ausgestrichen wurde.844 Im FD-a 31 IV will Green nichts von den Griechen wissen, und als Erklärung fügt er hinzu, wer in seiner Familie Grieche war: "198. Großverleger: Kennen Sie den Mythos von Midas, Green? 199. Green: Kommen Sie nicht mit den Griechen, Samuel. Mein Schwiegervater ist Grieche, der mir den Selbstmord empfiehlt, meine erste Frau war Grieche, mein Sohn, der mich haßt, ist Halbgrieche, und der erste Mann meiner ersten Frau war auch Grieche und der Schlimmste. 199a. GV: Mythen sind genealogisch immer kompliziert. Green: Dann lassen Sie mich damit in Ruhe."845 Im FD-A-a 30 IV (Okt. 1981) heißt im Nekrolog: "Durch seine Heirat mit der Witwe des griechischen Großreeders Alexander Polyarkos sah er sich im Stande schon 1948 sein eigenes Imperium aufzubauen", wobei der griechisch könnende Dürrenmatt mit dem Namen Polyarkos (πολυαρκης = nützlich) auf den Ursprung des Greenschen Vermögens verweist. Diese Ideen werden also von Dürrenmatt in einer Variante aufgegriffen, dann lieber fallengelassen, da er sie für irrelevant oder für die Zuschauer unverständlich hält. Eine weitere zentrale Idee im Zusammenhang mit Midas bringt ein weiteres Medium, nämlich das Theater in den Film. Greens Sohn (in diesen Varianten namens Henry) besitzt ein Theater, wo er gerade probt: entweder den Ödipus von Sophokles oder die Bearbeitung des Midas aus Ovids Metamorphosen. Diese Szene, die erst im m 109 [III] (Nov-Dez. 1983) eingesetzt wurde, ist aus mehrerer Hinsicht wichtig. Es wird nicht nur die antike Folie exakt angegeben, sondern auch Dürrenmatts Auffassung über diesen Mythos – und auch über das Theater. Die beiden Stoffe, Midas und Ödipus werden miteinander verbunden: "Henry: Sehr schön Kinder, siehst du Pa, Midas ist das dialektische Gegenstück zu Ödipus: Ist dieser der tragische ist Midas der komische Held. Man 844 FD- m 110 [III] ,S. 92., 2.2.84 845 FD- A- a 31 IV, S. 38a., Fotokopie Aug. 1981, Korrekturen Okt. 1981 hat kein Mitleid mit ihm. Darum wachsen ihm auch zum Schluss Esels- Ohren."846 oder "Warum spielen wir als Nachspiel auf den König Ödipus den König Midas? Weil auf die Tragödie das Satyrspiel folgt, auf Mitleid und Furcht das Lachen. Es kann nicht grotesk genug zu- gehen in dieser Pantomime, wir müssen Ovid wagen wie wir Sophokles gewagt haben."847 Damit wird betont, daß auch Greens Tod selbstverschuldet, komisch/grotesk sei, so daß man kein Mitleid mit ihm haben kann. Die Frage der Selbstschuld wird in den Fassungen unterzeichnet, wo beide Teile des ursprünglichen Mythos erzählt werden: der mit Dionys und dem Gold bzw. der mit Apoll und den Eselsohren. "Was hast du mit deinem Konzern, und ich, der davon profitiere, mit unserer Erde nicht alles angestellt, Pa. (Öltanker, Waffengeschäfte, Drogenverkauf usw.848) Aber vielleicht überhörten wir das alles gar nicht. Wir hörten es wohl, aber wir schlossen nicht auf uns zurück. Wir hatten Eselsohren, Vater, Eselsohren."849 Der Sohn haßt seinen Vater nicht wie Bill, der Sohn der früheren Varianten850, sondern als (Mit)Genießer seines Reichtums fühlt er sich mitschuldig851. Sein Theater wird nämlich von seinem Vater finanziert: "Stimme Green: Dein Theater verschlingt Millionen und dein Midas wird durchfallen. Henry: Sicher. Mein Theater lebt von deinem Geld, wie das Theater des Aischylos, Sophokles, Euripides und Aristophanes am Fuße der Akropolis […] vom Geld einer Stadt lebte, die andere Städte ausplünderte, um schließlich an ihrer ruchlosen Politik zugrunde zu gehen …"852 In diesen paar Sätzen widerspiegeln sich Dürrenmatts Gedanken von der Theaterführung. Zwischen September 1968 und Oktober 1969 nimmt der Autor als Co- Direktor an der Theaterarbeit im Stadttheater in Basel teil. Während dieses "Basler

846 FD- A- m 109 [III], S. 48, 30.11.1983 847 ebda, S.46. 848 vgl. auch FD- A- m 108, 20.2.81: "Die verrosteten Tanker, die von deiner Flotte verhöckerst, deine illegalen Waffenverkäufe, deine Artischocken und Bananenplantagen auf den Philippinen, während die Bauern, deren Land du gekauft hast, in den Städten verhungern. Ich bin im Bilde, Pa. Ich weiß, was in Mexico geschehen ist, in Jamaika, in der Sahelzone, die Abkommen, die du mit den Regierungen abgeschlossen hast, die ebenso gierig auf Gold sind wie du." 849 FD-A- m 109 [III], Nov-Dez 1983, S. 52-53. 850 FD-A- m 108, 20. 2. 81 851 Im Gegensatz zu FD-A-m 110 [III]. 852 FD-A-m 110 [III], S. 21. Experiments" und nach der Enttäuschung äußert sich Dürrenmatt in den Interviews öfters zu dem Thema Theater – Finanzierung des Theaters – Spielplan. "Ich kenne kein bedeutendes Theater, das ohne Subvention auskommt".853 "Mich interessiert heute das Theater als eine Chance, die wir haben. Was machen wir mit dem Geld, das uns die Stadt gibt […]."854 Nach der ungünstigen Aufgabe bei den Kritikern mißbilligt Dürrenmatt mehrmals das von der Stadt finanzierte Theater, da es das Publikum nicht mehr braucht – es bekommt das Geld sowieso: "Das Theater wird heute dermaßen finanziert, und es kann sich Sachen leisten, die sich das Theater zu der Zeit, in der ich für das Theater wichtig war, gar nicht leisten konnte. […] Das Theater ist eine Institution geworden, die für das eigentlich Künstlerische nicht etwa zuwenig Geld hat, sie hat zuviel Geld. Sie hat zuviel Geld, um noch improvisieren zu können. Das Geld hat die Phantasie am Theater kaputtgemacht. Und das Theaterpublikum ist nur noch das Publikum einer ganz bestimmten Schicht."855 Diese Bezüge zu Dürrenmatts eigenem schriftstellerischen Schaffen zeigen in die spätere Richtung des "Films zum Lesen", wo dieses Problem zum zentralen Thema des Werkes wird. Der Mythos Midas hat noch einen Teil: Midas phrygische Abstammung, die von Dürrenmatt auch aufgenommen, später aber eher fallengelassen wird. Es gibt nämlich eine später herausgestrichene Szene, wo Green und Ella einen goldenen Ring betrachten, der angeblich von Midas seiner Geliebten geschenkt wurde. Der anschließende Teil ist wie aus einem Lexikonabschnitt, wie es manchmal Dürrenmatts Arbeitsweise war856: "55. Ella: Wenn du mir schon einen phrygischen Ring schenkst: Midas war der König der Phrygier, von einem Volk in Kleinasien. Aber wahrscheinlich ist es ein lydischer Ring, wenn er recht ist, und ihr letzter König war Krösus und der war schließlich auch reich."857

4.4.3. Die Farben als Symbole

In Midas kommen zwei Farben leitmotivisch vor: gold und grün. Die erste ergibt sich als natürliche Folge des Midas-Stoffes: alles, was Midas (also Green) berührt,

853 Gespräche 1, 289. 854 Gespräche 1, 307., vgl. auch 2, 25f. 855 Gespräche 3, 16. 856 Siehe: Charlotte Kerr: Protokoll einer fiktiven Inszenierung. Z. B.: WA 18, 136 857 FD-A-m109 III, S. 55. verwandelt sich in Gold. Gold ist aber auch ein Zeichen dafür, daß Green tatsächlich als Midas zu betrachten ist: Der von Midas erzählende Großverleger hat einen goldenen Kugelschreiber858, Bob, der Sohn meint, Green werde in seinem Gold ersticken859 und die Regierungen seien ebenso gierig auf Gold wie Green und an einer anderen Stelle wünscht noch seinem Vater, er solle in Gold ersticken, das er aus der fruchtbaren Erde gemacht hat860. Am Ende dieses Drehbuchs wird um den sterbenden Green herum alles zu Gold: "168. Rotes Blutgefäß, das langsam golden wird. Auch der Plastikschlauch, der nach unten führt wird golden. 169. Ärzte, die sich um Green bemühen, der auf dem Operationstisch liegt. Ihre Gesichter, Hände und Kleider golden. Professor Keller: Hoffnungslos. 170. Green öffnet die Augen. Er allein ist noch nicht golden. 171. Die Gesichter des Schwiegervaters, Franks, Helens, die auf Green starren. Alle golden.

858 FD-A-m108, Szene 199, S. 24. 859 FD-A-m108, Szene 324, S. 38. 860 FD-A-m108, Szene 328, S. 39. Schwiegervater: Er darf nicht sterben.

Stimme des Professors: Hoffnungslos.

172. Greens Gesicht wird zu Gold. 173. Nur noch Gold. Alles wird zu Gold. Zu einer goldenen Leinwandfläche. Stimme Helene: Richard. ENDE."861 Auch die falschen Bilanzen und der Tod Greens wird zu Gold, also finanziell rentabel. Journalistisch ist er auch "eine Goldgrube".862 Als Green seinen eigenen Nekrolog im Fernseher sieht, berichtet der Sekretär darüber, daß der Goldpreis wieder steigt.863 Feddersens Zähne (der den Nekrolog schreibt) sind auch aus Gold.864 Green lebt nach Grünspan auf der goldenen Seite des Lebens, in einer goldenen Welt.865 Im Theater von Henry sind vergoldete Klappsitze866, Green und Ella betrachten einen goldenen phrygischen Ring867, Ellas Fingernägel sind golden lackiert, in der Galerie malt man mit goldenen Farben und die Bilder haben goldene Rahmen. 868 Das Mädchen auf dem Plakat (auch Ella) trägt ein goldenes Kleid869. Auch die Frau, die er berührt, wird golden – konkret oder im übertragenen Sinne: die Call-Girl, von der man glaubt, sie habe mit Green geschlafen, wird berühmt und verdient sehr viel. In einer Variante überfährt ein Lastwagen am Ende des Stückes Green, der "riesenhaft, ein Klumpen aus Gold wird". Die Abendsonne vergoldet die Hausfassaden und die Sonne am Ende der Straße, den Horizont berührend, wird eine riesige Goldkugel.870 Grün ist auf den ersten Blick nicht so eindeutig, wie Gold, aber aus Dürrenmatts Biographie ist seine Zuckerkrankheit bekannt, und in mehreren Werken und Interviews spricht er von dem Test-Tape, das grün wird. So verbindet sich für den Autor die unheilbare Zuckerkrankheit mit der Farbe grün, welcher Gedankengang auch bis zum Ende geführt wird: der Tod hat für ihn ein grünes Gesicht. "Wenn Sie mit 25 Jahren zuckerkrank werden, kaufen Sie sich erst mal ein medizinisches Buch. Dann wissen Sie, das ist unheilbar, das hat man ein Leben lang. Und dann kommen alle diese Dinge, von denen Sie gelesen haben. Wenn Sie pinkeln, wird der Teststreifen grün. Das ist der

861 FD-A-m108, S. 58. 862 FD-A-a30 IV, S. 21. oder FD-A-m109, S. 16. 863 FD-A-m109, S. 23. 864 FD-A-a30 I, S. 54. 865 FD-A-m 109 I, S. 10 – 5. 866 FD-A-m109 III, S. 45. 867 FD-A-m109 III, S. 54. 868 FD-A-a30 II, S. 30. 869 FD-A-a30 I, S. 97. 870 FD-A-a30 I, S. 97ff. grüne Tod. Sie werden immer wieder daran erinnert, daß Sie etwas haben, mit dem Sie leben müssen und das zum Tod führt."871 Das Motiv grün kommt schon in dem Namen des zum Tode verurteilten Greens vor. Der Killer, der ihn töten muß, falls Green doch keinen Selbstmord begeht, heißt Grünspan.872 Die Zuckerkrankheit und der grüne Teststreifen kommen in den früheren Fassungen bei dem zehnten Verwaltungsrat873, später bei Ismaeli vor874, das heißt, daß auch diejenigen, die Green zum Tode verurteilen, selbst schon todeskrank sind.

4.4.4. Namen als intertextuelle Hinweise

Daß die Namengebung für Dürrenmatt immer von großer Bedeutung war, wird in mehreren seiner Aussagen und Interviews thematisiert.875 Auch während der Arbeit an den verschiedenen Fassungen werden die Namen der Personen verändert, wodurch eine zusätzliche Bedeutung ins Spiel gebracht wird. Die Änderung des Namens Van der Moor auf Grünspan wurde schon erwähnt876, es gibt aber weitere Beispiele. Green als Midas besitzt einfach alles, was auch dadurch akzentuiert wird, daß seine Frau Helene heißt, die in der Antike als die schönste Frau galt, und für die bei Troja zehn Jahre lang gekämpft wurde. In manchen Fassungen bekommt auch Greens Mutter eine Rolle, die Rosa Green heißt, sehr alt und schon dem Tod nahe ist. Durch diesen Namen wird auf die Personen in Frist hingewiesen, wo die Namen der Unsterblichen alle mit Rosa beginnen (Rosa, Rosarosa, Rosabella, Rosablanca, Rosanegra, Rosalaura, Rosaflora, Rosaberta, Rosagrande). Sie verkörpern die Männer hassenden, aber sie stets hervorbringenden Opfer dieser Männerwelt und sind nicht ganz zurechnungsfähig. Auch Rosa Green ist 90, hat gerade Geburtstag (am Todestag ihres Sohnes), wohnt getrennt von der Familie, ist "steinern und königlich"877, hat den "Monstersohn", den Tycoon, den Midas Green auf die Welt gebracht, weiß von seinem bevorstehenden Tod, er läßt sie aber völlig gleichgültig, mißt nur die Sekunden der Werbungen des Green-Konzerns. 871 Gespräche 4, 189, vgl. dazu auch Gespräche 2, 93f. 872 Ein Zeichen der bewußten Einsetzung dieses Namen ist, daß der Mörder in den früheren Varianten noch den Namen Van der Moor trägt, also etwas Tödliches, was einen nach unten, in den Tod zieht. 873 FD-A-m109 I, 22.3.83; FD-A-a30 III, 22.03.80 (S. 38ff.) 874 FD-A-m108, Szene 85ff., S.10, 12.11.80 875 siehe z. B. die Dorfkarte mit Dürrenmatts literarischen Motiven. Siehe Abb. 1 876 siehe dazu auch Anm. 872 877 FD-A-a32 VI (8. 12. 83), 56. Der Sohn Bill (in früheren Varianten der todeskranke Bob, in späteren der Theatermann Henry) ist 33, fett und faul, mit einer kaum 15jährigen Göre878, haßt seinen Vater nicht mehr wie Bob, ist nur gleichgültig: "Wenn du bald verschwindest, störst du mich nicht beim Genuß deines Vermögens".879 Er reicht aber die Rechnung (bill) seinem Vater ein, indem er ihn damit konfrontiert, wie er für die Unterstützung der Herstellung einer neuen Bombe Ehrendoktor geworden ist, also daß er den Tod dafür verdient hat.880 Auch der Pfarrer Kelch hat einen sprechenden Namen881, der Green versichert, "auch die Kirche wird für seine Rettung beten" – ist aber für seinen Tod. Damit tritt er in die Reihe der Kirchlichen, wie der Pfarrer in dem Besuch der alten Dame, der Kardinal und der Erzbischof in der Frist. Der Name hat einen doppelten Bezug, wie es sich aus dem folgenden Zitat herausstellt:

"Kelch: Pfarrer Kelch von der Jakobus-Gemeinde. Man nennt mich den bitteren Kelch, weil ich so langweilig predige.

878 In der späteren Fassung ist Bill der Leibwächter von Green, und verbringt eine Nacht mit der von Green verlassenen Call-Girl, die berühmt, also "golden" wird. 879 FD-A-m 109 I, 44-53.; vgl. auch das Verhältnis des Vaters und des Sohns in Meteor und Frank V. 880 FD-A-m I, 47 – 56; 48 – 57. 881 In FD-A-a30- I. Noch Kardinal Green mustert ihn schweigend. Kelch: Aber keine Bange, Herr Green, auch dieser Kelch wird an Ihnen vorbeigehen."882 Der Name ist nicht nur ein Hinweis auf die langweiligen Predigten, sondern auch einer auf Christus und sein Gebet im Garten Getschemane883, womit ein enger intertextueller Bezug auf die Passionsgeschichte von Christus hergestellt wird. Im Werk gibt es weitere Hinweise auf die christliche Mythologie884. So wird nicht nur zwischen Christus Passionsgeschichte und Greens letzten Stunden, den Stationen seines letzten Weges hergestellt, sondern Kelch bzw. der Kardinal zitiert ständig aus Matthäus Evangelium. In FD-A-a 30 VIII kommt Dürrenmatts Gottesauffassung klar zutage: die frühere Variante, Midas wurde von Dionys erlöst, wird verändert: "…Midas wurde von einem Gott erlöst, du kannst nicht mehr erlöst werden, denn in einer Welt ohne Gott ist die Gesellschaft der Gott"885 , und am 15.2.84 fügt er noch hinzu: "Und dieser Gott kennt keine Gnade". In FD-A-m109 I (22.3.1983) vergleicht Grünspan Greens Leben, also "die schmutzige goldene Seite des Lebens" mit dem König Belsazar und seiner Geschichte 886: "Dann geht es zu wie beim König Belsazar und schrieb an weißer Wand Buchstaben von Feuer und schrieb und schwand. Und keiner vermag dann die Zeichen zu deuten. Ihr liest die Zeitungen nicht jenseits der Knastmauern, ihr überfliegt sie nur, ihr seid informiert bis über die Ohren und seid doch unwissend wie Kinder. Würdet ihr wissen wie schmutzig und wie unterhöhlt eure goldene Welt ist, ihr würdet nicht für sie sterben…" Auch aufgrund dieser herausgerissenen exemplarischen Beispiele wird klar, wie Dürrenmatt immer wieder neue Ideen hat, die aber meist nur mit einem mythologischen Hintergrundwissen verständlich sind oder man kann die Hinweise nur in Kenntnis des ganzen Dürrenmattschen Œuvre verstehen. Diese intertextuellen Bezüge belasten aber den Rezipienten sehr, deshalb sucht der Autor lange nach einer geeigneten Textstelle für sie und variiert oder läßt sie oft fallen – da er sie überflüssig oder unverständlich findet.

4.4.5. Die Ballade – ein Zwischenstadium

882 FD-A-a30 III, Szene 19, S. 63. 883 Mattheus 26, 39; Markus 14, 36; Lukas 22, 42. 884 Dürrenmatt betrachtet die Bibel als christliche Mythologie. 885 9-10.2.1984, Hervorhebung von K.K. 886 Daniel 5, 1-29. Der Stoff Midas als die spätere ausgeklammerte Ballade kommt zum ersten Mal in der Prosaform von 1983 vor887: "Er habe ihm eine Geschichte zu erzählen, sagte sein [Greens] Sohn. Er habe nicht viel Zeit, sagte Green. Die Geschichte sei wichtig, antwortete sein Sohn. Eine Geschichte worüber? fragte Green. Über Midas, über einen Studenten, der nie einen bösen Wald hätte betreten dürfen. Green hörte die Stimme seines Sohnes wie von ferne. Sie waren allein in der Bar. Der Sohn schenkte sich neuen Whisky ein. Ein volles Glas. Zehn vor 3. Noch 6 Stunden und 10 Minuten."888 Ähnlich zu der späteren Ballade beziehungsweise zu der Werkausgabe bildet die Geschichte des Studenten die erste Ebene, die von Greens Sohn in Er-Form erzählt wird. Green paßt nicht auf, er zählt nur noch die Stunden und Minuten, die er noch zu leben hat. "Was diese Geschichte solle, fragte Green. Er habe das Bedürfnis, mit ihm zu reden, antwortete sein Sohn. Das könne er nur, wenn er Geschichten erzähle. Er habe aufgehört, Theater zu spielen. Es genüge, sich vor dem Publikum auf die Bühne zu setzen und zu erzählen. […] Die Geschichte von Midas habe er für ihn erfunden.

887 Hier wird es aus der Korrekturfassung von 1990 zitiert. 888 FD-A-a33 A V., S. 4. […] Noch 5 Stunden und 30 Minuten, dachte Green und erhob sich. Es sei ein komisches Gespräch gewesen, das gebe er zu, und ihr letztes, sagte sein Sohn." Diese Kommentare von Green bzw. des Sohnes weisen schon auf die Metaebene in der Ballade/der Werkausgabe. Green wird nicht mehr ausgesprochen mit Midas identifiziert, der Sohn spielt nicht mehr Theater wie Henry der früheren Fassungen und aus den früheren Bemerkungen, Midas sei das komische Gegenteil von Ödipus, bleibt nur noch Greens Bemerkung von einem komischen Gespräch. In der ausgeklammerten Ballade in dem postum erschienenen Gedichtband Das Mögliche ist ungeheuer wird schon mit zwei Erzählebenen gespielt. Die einzelnen Geschehnisse der Erzählung, der Plot ist mit dem der Prosaform identisch, die Ballade wird aber aufgrund der Erzählebenen gegliedert: man hat mit einem Ich-Erzähler und mit "Midas" zu tun. "Auf einmal nahm ich sie [Tannzapfen] wahr Dann erst verwandelte ich mich in Midas Mich mit dem Wald identifizierend. II. Seine Füße traten wie die meinen die Tann- Zapfen vor sich hin Achtlos Und plötzlich sah er einen Tannzapfen vor sich liegen Aus Gold…"889 Die Ebene des Ich-Erzählers kommentiert die Geschichte des "Midas" – von dem nicht mehr gesagt wird, er sei ein Student – es ist immer mehr der Stoff Midas, die verschiedenen Fassungen, die den Autor nicht mehr losließen, die zu seinem Schicksal wurden: III. "Auf die Tannzapfen starrend während ich weiterschritt […] Wurde mir sein Schicksal deutlich Alle die endlosen Stunden, die ich mir abgequält hatte ihn zu beschreiben. Dieser endlose Irrgarten der Phantasie wurde transparent wurde schreibbar."890

889 Das Mögliche ist ungeheuer, S. 39f. 890 Ebda S. 41f.

Abb. 20: Illustration zur Ballade Midas: Kommissar Leiche, Männer im Wald, 1984

Anfangs sind die zwei Ebenen in den verschiedenen Strophen noch voneinander getrennt /I – Erzähler-Ich; II – Midas; III – Erzähler-Ich/, aber die Struktur wird immer komplexer: in Strophe IV werden die Kommentare des Erzähler-Ichs einfach in die Handlung eingeschoben: "[…] fielen die Bilder über mich her ließ mich Midas nicht mehr los"891, so daß man nicht mehr wissen kann, was vom Erzähler erfunden ist, was er "sah" und was mit "Midas" gesehen ist. "Der Weg im bösen Wald führte nirgendwo hin Es war, als wäre ich in sein Labyrinth geraten."892 Thematisiert wird also immer mehr dieses Labyrinth des Schreibens, des Schaffens, wie der (fiktive) Autor mit dem Stoff Midas umgeht, beziehungsweise inwieweit dieser

891 Das Mögliche ist ungeheuer, S. 43. 892 Ebda S. 60. Stoff ihn beherrscht, was zum Hauptthema des "Film zum Lesen": Midas oder Die schwarze Leinwand wird.

4.4.6. Midas oder Die schwarze Leinwand

Diese Variante ist der letzte Text, den Dürrenmatt vor seinem Tod noch persönlich autorisiert hat. Dürrenmatt bezeichnete dieses Werk als einen Film zum Lesen, also als ein Zwischenstadium zwischen Film und Literatur. Das heißt, daß das Werk einerseits Merkmale eines Drehbuchs trägt, das man verfilmen könnte, andererseits eignet sich diese Fassung nicht oder nur begrenzt dafür. Während es im Midas oder Das zweite Leben um die zentrale Figur Green und um seinen Tod geht, wird im Midas oder Die schwarze Leinwand der Schwerpunkt von dem Plot auf die Möglichkeiten und Schwierigkeiten des eigenen Künstlertums und auf die philosophischen Fragen und Begriffe Möglichkeit – Wahrheit – Wirklichkeit umgelegt. Betrachten wir zuerst nur den Plot des Textes, welche Änderungen da durchgeführt werden. Auch in dieser Fassung geht es um eine relativ einfache Geschichte: um die letzten Stunden des Richard Green, des modernen Midas. Hier werden aber die Geschehnisse aus Retroperspektive heraus dargestellt und mit Filmdokumenten auf der Leinwand festgehalten. Bereits zu Beginn befindet man sich mitten im Dürrenmattschen Labyrinth: der tote Green übernimmt im Film selbst die Rolle des Sprechers und Kommentators, der sich aus dem Totenreich direkt an das /fiktive/ Kinopublikum wendet. Man hört aber nur seine Stimme, als ob er aus dem Jenseits spräche und hier und jetzt sein gelebtes Leben sähe. Was heißen aber sehen und hören? Denn dieser Film ist zum Lesen – also sieht man die filmischen Szenen, die geschrieben sind und hört (liest), was der Autor Dürrenmatt – bzw. der fiktive Autor F.D. – der Stimme Green in den Mund gelegt hat. Von Anfang an ist man über sämtliche Parameter der Wirklichkeit verunsichert. Das Spiel mit unseren landläufigen Vorstellungen von Wirklichkeit, Wahrheit, Objektivität und Subjektivität ist ein entscheidendes Kennzeichen dieses Textes. Die filmischen Dokumente scheinen objektiv zu sein, aber wie diese Bilder ausgewählt sind – sind sie es nicht mehr.893 Außerdem gibt es oft Bildstörungen, der "Zuschauer" sitzt meistens vor einer schwarzen Leinwand und hört nur die Erzählung der Stimme Green: "Was nun mein Ende betrifft, bin ich – aber Sie wissen es, die Zeitungen waren voll davon; ich brauche simple Fakten 894 nicht zu wiederholen. Doch gibt es zwei Arten zu erzählen: eine objektive und eine subjektive, wobei die subjektive die objektive und die objektive die subjektive ist. Das scheint kompliziert. Aber ich erkläre es Ihnen – etwas dramaturgischer Unterricht tut auch einem Kinopublikum gut."895 "Dieser Film läßt sich nicht objektiv als Handlung, sondern nur subjektiv als Erlebnis darstellen."896 "Ich dachte, es sei leichter, ein Ereignis zu erzählen als eine Handlung, ja ich wagte die Behauptung, das Subjektive sei das Objektive. […] Das Subjektive erweist sich als ebenso objektiv wie das Objektive: Auch die Erinnerung arbeitet mit Fiktionen, auch für sie ist ein Ereignis ohne >als ob< nicht darstellbar."897

893 Die "Objektivität" des Medium des Filmes wurde auch in der Frist in Frage gestellt und das ist das Thema der Novelle Der Auftrag. 894 Hervorhebung von K.K. 895 WA 26, 136. 896 WA 26, 140. 897 WA 26, 153. Diese Gedanken zeugen von den Gedankengängen des Autors Dürrenmatt über die Darstellbarkeit und Umsetzbarkeit eines Stoffes.898 Schon die Handlung ist mehrfach relativisiert. Vor dem Hintergrund der korrupten Welt der Wirtschaftsbosse, der Reichen, der Multimilliardere, der Waffenhändler, Callgirls und Filmstars wird der unfreiwillige Tod des Protagonisten als etwas Unausweichliches dargestellt. Green ist aufgrund seines Fehlverhaltens für sein Umfeld untragbar geworden, deshalb muß er eliminiert werden – damit sein "Reich" weiterleben kann. Für wen genau Green untragbar geworden ist und warum, bleibt aber offen und objektiv nicht rekonstruierbar, es werden parallel mehrere Auftragsszenen nebeneinander gestellt, mögliche Wahrheiten, die aber nur subjektiv, als scheinbar wirklich angesetzt werden können.

"Stimme Green: Diese Szene ist erfunden. Ich kann nicht mit Sicherheit behaupten, daß die Montelone-Holding Grünspan geheuert hat, es könnten auch die Griechen oder die Amerikaner oder die Japaner oder – Mein Gott, ich müßte recherchieren, wollte ich der Wahrheit auf die Spur kommen. Aber alle Recherchen würden zu Vermutungen führen, zu Möglichkeiten, und unter allen Möglichkeiten…

[…] … wählte ich die möglichste, wobei vielleicht eine ganz andere stattgefunden hat, vielleicht die, die Sie jetzt sehen, aber die auch nur vielleicht. Wollte ich objektiv sein, müßte ich subjektiv werden."899 Diese Gedanken, das Spiel mit den Möglichkeiten, die Begriffe Wahrheit, Wirklichkeit haben Dürrenmatt immer gereizt, das Thema wird in verschiedenen Werken aufgegriffen, unter anderem in dem Sterben der Pythia.900 Dürrenmatts Spiel mit der Wirklichkeit, mit dem, was sich tatsächlich ereignet hat und ist, was wir uns nur vorstellen, ausdenken, verwebt sich zu einem undurchdringlichen Labyrinth: "Schauspieler Y: lacht Eine wahre Geschichte ausdenken! Schauspieler X: Eine Geschichte, die ausgedacht worden ist, kann nicht wahr sein. Lacht auch.

F.D.: Nur ausgedachte Geschichten sind durchdacht und damit wahr.

Schauspieler X: Nur ist die Wirklichkeit wahr.[…] F.D.: Die Wahrheit ist, daß die Wirklichkeit und die Wahrheit Fiktionen sind."901

898 Siehe dazu Kapitel 3.2. Die Verwandlung der Stoffe 899 WA 26, 137f. 900 Zu dem Thema siehe Dürrenmatts Äußerungen in: Gespräche 1, 103, 219, 351; 2,88; 3, 231; 4, 196f. 901 WA 26, 162. Auch für den Tod Greens werden dann zwei Alternativen mit ins Spiel gebracht902. Nicht nur die Möglichkeit der Beauftragung des Superkillers Grünspan ist möglich, sondern er bekommt vom Aufsichtsrat seiner Firma den "freundschaftlichen Vorschlag"903 unterbreitet, er solle sich vor einen Lastwagen werfen.904 Alles sei bereits vorbereitet, so daß sein Tod wie ein Unfall aussehen würde.905 Am Ende wird die Szene Greens Tod in beiden möglichen Varianten durchgespielt – aber hier übernehmen schon der Autor F.D. und der Schauspieler Z. das Wort, und erzählen das Ende der früheren Drehbuchvarianten.906 So wird die Todesszene total verfremdet und der "Zuschauer" wird verunsichert, was subjektiv erfunden und was objektiv geschehen war, was wahr und was wirklich ist – oder aber das alles der Phantasie des Autors F.D. entsprungen ist. Die Struktur des ganzen Textes ist äußerst kompliziert, vor allem dadurch, daß sie sich aus zwei Handlungsebenen zusammensetzt. Neben dem eigentlichen Plot entfaltet sich eine zusätzliche Metaebene, die sich zeitlich nach dem Tod Greens abspielt. Anfangs können diese zwei Ebenen relativ eindeutig abgesetzt werden, am Ende scheinen sie schon miteinander verschmolzen zu sein. Die übergeordnete Metaebene wird mit Seite 140 entfaltet, wo die Stimme Green, also der Sprecher die Schilderung der Ereignisse unterbricht und sich an den fiktiven Schriftsteller F.D. wendet, der jenseits der Leinwand an seinem Schreibtisch sitzt. Diese zweite, übergeordnete Handlungsebene ist stark ironisch angelegt: hier werden der Schreibprozeß, die Entstehung des Film-Drehbuchs und dessen

902 WA 26, 157. 903 WA 26, 157. 904 Das Motiv Selbstmord damit eine Gemeinde vom Mord befreit wird kommt schon in dem Besuch der alten Dame vor. 905 WA 26, 155-159. 906 WA 26, 189. "Umsetzung" kritisch reflektiert und parodiert. Die (Ohn)Macht des Drehbuchautors wird thematisiert – auch seine Probleme, die sich bei der Umsetzung seiner Gedanken ergeben. Beim ersten Mal wendet sich Green mit der Beschwerde an den Autor F.D., daß er nicht weiß, wie er aussieht: "Stimme Green: Du hast mich erfunden. F.D.: Gefunden." Bei diesem ersten Gespräch werden Objektivität und Subjektivität schon verwischt: nur wenn Green wirklich existierte und von F.D. tatsächlich gefunden wurde, läßt sich das Geschehene subjektiv als Erlebnis darstellen und nicht objektiv als Handlung. Es läge leicht an der Hand, den fiktiven Autor F.D. mit Friedrich Dürrenmatt zu identifizieren907, da auch die Bilder, die Illustrationen Friedrich Dürrenmatt zeigen908, trotzdem darf man die "zwei Personen" nicht miteinander vereinfachend verwechseln. In Person F.D. hat aber Dürrenmatt sich selbst geschrieben, möglicherweise im Bewußtsein, daß sein eigener Tod nicht mehr fern sein würde909, und hat dadurch die Frage nach dem, was wirklich existiert oder bloß geschrieben ist, um einen weiteren labyrithischen Zweig der Verunsicherung verschoben: "F.D.: […] Ich stelle mir nie jemanden vor, wenn ich eine Rolle schreibe. Stimme Green: Aber wie kannst du dann eine Rolle schreiben? F.D.: Indem ich mich in die Rolle versetze. Ich schreibe mit jeder Rolle, die ich schreibe, für mich eine Rolle. […] Stimme Green: Und in meine Rolle hast du dich auch versetzt? F.D.: Sonst könnte ich dich nicht schreiben. Stimme Green: Dann weiß ich wie ich aussehe. F.D. sitzt F.D.2 gegenüber.

907 Wie es z. B. Stefan Banz tut. Siehe: Banz, Stefan: »Ich mag heute keine Gespenster sehen«. Friedrich Dürrenmatts »Midas oder die Schwarze Leinwand«. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 3. Auflage, Neufassung, 2003, S. 216-221. 908 FD-A-m 110 [III]: Selbstporträt F.D. 1-4 "ohne Spiegel mit grober Filzstift aufs Papier wuchten", oder F.D. mit Eselsohren. 909 In Dürrenmatts letzten Gesprächen, Interviews spielt der Tod eine entscheidende Rolle. Z. B. Gespräch mit Michael Haller (in: Gespräche 4, 140-188; 187f) und mit Sven Michaelsen (in: Gespräche 4, 188- 195.). F.D.: Bist du verrückt? F.D.2 redet mit der Stimme Greens F.D.2: […] Ich nehme dich nur beim Wort – F.D.: Du willst doch nicht als Ich auf der Leinwand erscheinen? F.D.2: Du stellst dir dich ja in meiner Rolle als dich vor. F.D.: Ich stelle mir mich in deiner Rolle vor, aber ich sehe mich nicht in deiner Rolle."910

Abb. 21: Green I.-II., 1984

In einer Variante vom 10. Februar 1984 erscheint F.D. sogar in einer goldenen Maske: "F.D.2 (erschocken): Was ist das? F.D.: Midas. In der Maske bewegen sich Augen F.D.2: Wer ist das? F.D.: Eine Gestalt der Mythologie, dem alles, was er berührte, zu Gold wurde. Zuletzt er selber."911

910 WA 26, 141f. 911 FD-A-m110 III, S. 9. Im weiteren Verlauf des Stücks geht Dürrenmatt noch einen Schritt weiter: er läßt den Protagonisten zunächst durch den Schauspieler X, später durch Y und Z verkörpern. Die Stimme Green hat sich in der Person des Schauspielers Z verselbständigt, ändert eigenmächtig das Drehbuch und erfindet neue Szenen dazu: "F.D.: Kannst du mich nicht in Ruhe lassen? Schauspieler Z: Ich lebe, obwohl Sie nicht mehr an mir schreiben. F.D.: Du hast dich selbständig gemacht. Du plünderst meine alten Drehbücher. Schauspieler Z: Ich ändere sie nur etwas ab. F.D.: Ich weiß, Drehbücher sind da, um geändert zu werden. Darum schreibe ich nicht weiter. Schauspieler Z: Nur die Szene in der Untergrundbahn spielte ich nicht. F.D.: Nur weil es in der Stadt, die du dir vorstellst, keine gibt [...]"912 Zum vierten und letzten Mal wird der Autor schließlich auf Seite 183 gerufen. Nun verschwindet er jedoch nicht wieder, sondern bleibt bis zum Ende nahe am Geschehen. Plot und Metaebene lassen sich nun nicht mehr voneinander trennen. Der Dialog zwischen Schauspieler Z, der dieses Mal tatsächlich als Schauspieler Z auftritt, und dem Autor F.D. bildet den Rahmen für den Schluss der Geschichte. Sie übernehmen gemeinsam die Rolle des Sprechers, die zu Beginn des Textes die Stimme Green übernommen hat. Es entsteht der Eindruck, als stünde der Autor F.D. selbst mitten im Geschehen. In den Dialogen findet nun kein äußerlicher Bruch mehr zwischen dem außerhalb des Films stehenden Diskurs auf der Metaebene und der zum Film gehörenden Rede statt: "F.D. [...] Auf der Armbanduhr: zehn Sekunden vor acht. Die Straße. Die Sonne sinkt. Das lachende Mädchen auf dem Plakat. Der Fernlaster kommt, wächst, wird golden. Schauspieler Z: Ende. F.D.: Ende. Aber es ist noch ein anderes Ende möglich. Das wahrscheinlichere. Der Fernlaster donnert vorbei. Stoppt jäh. Green wirft den Brief ein. Der Lastwagenfahrer rennt herbei. Lastwagenfahrer: Ich habe jemand überfahren. Schauspieler Z: Ich hab nichts bemerkt."913 Beide "möglichen Ende" werden durchgespielt, es muß nicht mehr zwischen den Drehbuchvarianten gewählt werden, und als man schon wieder vor der schwarzen Leinwand sitzt, setzt noch Dürrenmatt ein kurzes Gespräch hinzu, in dem er wiederum

912 WA 26, 176f. 913 WA 26, 188f. über sich selbst und seine Arbeitsweise ironisiert, wie schwer es ihm fällt, eine Idee im Werk nicht zu verwirklichen: "Stimme Green: Das haben Sie aber schön feierlich gemacht. Stimme F.D.: Na ja, den Brahms habe ich hineingeschwindelt."914 Das Wechselspiel zwischen Geschehensebene und Plot im Text hat zwei Funktionen: Erstens, wie wir bei der Betrachtung des Plots gesehen haben, wird in diesem Text unsere Wirklichkeitswahrnehmung immer wieder kritisch hinterfragt: Dürrenmatt demonstriert den multidimensionalen und subjektiven Charakter von Wirklichkeit. So wie es keine objektive Wahrheit gibt, so sind auch der objektiven Darstellbarkeit von Wahrheit – auch und insbesondere im Medium Film – eindeutige Grenzen gesetzt. Zweitens setzt sich Dürrenmatt in Midas oder Die schwarze Leinwand selbstkritisch mit seiner persönlichen Autorrolle, mit dem eigenen Künstlertum auseinander. Dieser Text dokumentiert nicht nur seine eigene Geschichte, die Werkgenese des Midas-Textes, sondern weist über sich hinaus. Was hier beschrieben wird gilt für das literarische Arbeiten Dürrenmatts allgemein, besonders für das Spätwerk. Damit kann man diesen Text als einen poetologischen Text ersten Ranges betrachten, möglicherweise sogar als das literarische Testament Friedrich Dürrenmatts.

4.4.7. Schwarz auf der Leinwand: Friedrich Dürrenmatts "Schwarze Bilder"

Während der Arbeit am Midas entstanden nicht nur Illustrationen zu dem Werk. In den Jahren 1987-88 malte Dürrenmatt innerhalb weniger Monate sieben Gouachen, die unter dem zusammenfassenden Namen "Schwarze Bilder" bekannt sind.915 Thematisch scheinen die Bilder trotz der nur wenig auseinanderliegenden Entstehungszeit und der identischen Formate nicht so sehr zusammenzugehören. Vor allem wegen der formalen Verwandtschaft, sowie der emotionalen Stimmung untersucht man die Bilder einheitlich, auch deshalb, da die Farbe Schwarz auffällig häufig vorkommt. Diese Bilder sind subjektive Untergangsvisionen in einer finsteren Welt (Weihnachtsfest in Rom, Letzter Angriff, Todesengel), die in düsteren, grotesken, teilwesie in klassische Mythologie gekleideten Bilder erscheinen (Der singende Kopf des Orpheus treibt den Styx hinunter (Abb. 22), Prometheus, Prometheus, Menschen formend, Im Hades). Auch in stilistischer Hinsicht weisen die teilweise auf schwarzes

914 WA 26, 192. 915 Künzi, Katrin: Endspiele. Dürrenmatts späte »schwarze Bilder«. In: Friedrich Dürrenmatt: Bilder und Zeichnungen. Fondation Saner Studen, 1996, S. 25-37.; Friedrich Dürrenmatt: Schriftsteller und Maler. Hrsg. Vom Schweizerischen Literaturarchiv/Bundesamt für Kultur und Kunsthaus Zürich. (Ausstellungskatalog zu den Ausstellungen in Bern und Zürich) Bern, Zürich 1994 Papier, teilweise mit schwarzer Farbe gemalten Gouachen Gemeinsamkeiten auf, breite Pinselhiebe, eine weit getriebene Farbenökonomie zwischen den Extremen - Weiß und vor allem Schwarz - ungeglättete, die Ästhetik des Rohen bewußt zur Schau stellende Oberfläche. Wie Midas oder Die schwarze Leinwand, auch diese Schwarzen Bilder zeugen davon, wie sehr der Todesgedanke Dürrenmatt beschäftigt hat. Eine Woche vor seinem Tod hat sich der Autor in dem Interview mit Sven Michaelsen so geäußert: "Die Furcht vor dem Tod ist in die Menschen hineingeboren. Diese Furcht hat sie immer gelähmt. […] Was für mich nicht bewältigt ist, ist das Sterben. Aber für mich ist der Tod kein Problem mehr"916 Am 14. Dezember 1990 ist Dürrenmatt an einem Herzinfarkt gestorben.

916 Gespräche 4, 186.

Abb. 22: Der singende Kopf des Orpheus treibt den Styx hinunter, 1987, Gouache, 99×70 cm

4.4.8. Fazit

Auch hinter dem Midas-Stoff steht ein langwieriger Entstehungs- und Formgebungsprozeß, wobei wohl am interessantesten ist, daß da der Moment des Einfalls greifbar ist. Der ursprüngliche Stoff (Coq au win) wurde durch den Mythos verändert. Da ist nicht Dürrenmatts üblicher Umgang mit dem Mythos, was man mit dem Begriff von Lévi-Strauss, dem "bricolage" vergeichen kann. Dürrenmatt versucht diesen Mythos auf seinen älteren Stoff über einen "modernen Tycoon" zu überziehen. Dazu übernimmt er zum Beispiel eine ganze Passage aus der Griechischen Mythologie von Ranke-Graves wortwörtlich übernommen. Man kann da den Kampf sehen, wie der Mythos eingesetzt werden kann, inwieweit die Parallele zwischen dem antiken Stoff und dem modernen Zeitalter dem Rezipienten verständlich ist. Währenddessen probiert Dürrenmatt seinen Stoff, seine Visionen in mehreren Gattungen. Mit den Bildern eines Films wollte er die Bilder in seinem Kopf verwirklichen. Dazu hätte er diese Bilder mit Worten beschreiben müssen. Da Dürrenmatt das nicht immer für genügend empfand, zeichnete – skizzierte – er schnell das ihn beschäftigende Bild. Die Bilderreihen, der Gedankenfluß konnte im Rahmen einer Erzählung oder einer Ballade eher zum Ausdruck kommen, aber Dürrenmatt versuchte seine Gedanken anders zu visualisieren. Da kam er auf die Idee des "Film zum Lesen" (in diesem Ausdruck steckt auch seine Bitterkeit, daß er den Film nicht verwirklichen konnte) und der schwarzen Leinwand. Mit der Farbe schwarz wird der Todesgedanke stärker akzentuiert. Das Motiv des Todes erscheint gleichzeitig auch auf den "Schwarzen Bildern", auf sieben Gouachen. Während in der Erzählung, der Ballade und auf den Zeichnungen der Mythos Midas direkter formuliert wird, ist Midas in dem Film/Film zum Lesen nicht so stark im Vordergrund. Schon bei den anderen Stoffen konnte eine Akzentverschiebung beobachtet werden, die Gedankengänge von Dürrenmatt sind immer mehr politisch und gesellschaftskritisch bestimmt. Das ist für Midas sehr charakteristisch: rücksichtslose, alles bestimmende Multimilliardäre, die Waffen verkaufen, die Umwelt verpesten, Menschen verhungern lassen - nur um den eigenen Nutzen zu vermehren. Man muß sich die Frage stellen: wer verkörpert Richard Green heute? Wer spricht durch diese Figur? Wissen wir aber überhaupt, was heutzutage geschieht? Ist das die Wirklichkeit oder sind wir nur durch die Medien manipuliert? Sind wir alle selbst Midas, das wir wegen materieller Güter unsere Umwelt und uns selber vernichten? Dürrenmatt verweigert wieder, "das Ei der Lösung" zu legen, wir sind in das Labyrinth seiner Gedankengänge eingesponnen, vor uns ist nur die schwarze Leinwand. 5. Zusammenfassung – Ergebnisse der Arbeit

In unserem technisch-wissenschaftlichen Zeitalter, in der unpersönlichen Konsumgesellschaft wächst das Unbehagen an den angebotenen Weltbildern. Die Defizite kompensierend und vor den Folgen der vorherrschenden instrumentellen Vernunft warnend setzt die gegenwärtige Literatur wieder auf den Mythos, nicht um das mythische Denken als eigenständige Denkform gegenüber dem wissenschaftlichen Denken zu etablieren, sondern als Komplement der Vernunft. Der Mythos wurde gerade deshalb für das gegenwärtige Denken attraktiv, weil er einen anderen Typus von Vernunft repräsentiert, weil er andere Vorstellungen von der Wirklichkeit ermöglicht. Es ist natürlich nicht von einer Remythisierung die Rede, "die es sich zu bequem macht und widerstandslos Einheitsphantasien und der Sehnsucht nach dem Ursprünglichen erliegt".917 Die Symbolhaftigkeit, die unentwegte Veränderung und Unabgeschlossenheit des Mythos, seine Bildhaftigkeit, seine immanente Logik und sein Spielcharakter erklären, warum der Mythos so verwandlungsfähig ist, und immer wieder Eingang in unser Leben – auch in die Literatur findet. Die literarische Beschäftigung mit den Mythen erweitert sich auch auf eine Miteinbeziehung der Mythostheorien. Vor allem Horkheimer/Adornos Dialektik der Aufklärung und Hübners Rehabilitierung des Mythos gegenüber der Wissenschaft spielen eine große Rolle, aber Cassirers symbolische, Freuds und Jungs psychoanalytische Theorien sind ebenso zu erwähnen. Weniger geballt finden die Erkenntnisse der Strukturalisten (Propp, Barthes, Lévi-Strauss, Greimas) Eingang in die deutschsprachige Belletristik, sie haben aber den Umgang Friedrich Dürrenmatts mit dem Mythos eindeutig bestimmt. Man kann auch beobachten, daß der Mythos eine Form, eine Struktur geworden ist, die mit neuem Inhalt gefüllt wir. Diese Art und Weise der "Arbeit am Mythos" wurde am Lebenswerk von Friedrich Dürrenmatt untersucht, sowohl an seiner literarischen als auch an seiner malerischen Tätigkeit. Von Kindheit an übten die Mythen, durch die väterliche Erziehung initiiert, eine starke Anziehungskraft auf Dürrenmatt, so daß die mythischen Elemente sein ganzes

917 Jamme 1991, S. 5. Œuvre durchweben. Die Mythen geben den Hauptteil seiner "Stoffe", den Ausgangspunkt seiner künstlerischen Tätigkeit. Da Dürrenmatt für seine bildhafte Vorstellungen eine entsprechende Form sucht, können die "vorsprachlichen Visionen" in verschiedenen Medien ihren Ausdruck finden, wo sie aber keine endgültige Form bekommen, sondern immer wieder der Verwandlung unterworfen sind. Bei den Zeichnungen/Gemälden wird das imaginierte Bild unmittelbar in ein "materialisiertes Bild" umgesetzt, wobei die Verwirklichung der Vorstellungen vor allem an technischen Kenntnissen, Fähigkeiten liegt. Dürrenmatt suchte aber auch andere Wege, sich von dem Bildergeström zu befreien, wobei die Tätigkeit des Schreibens nicht nur eine Verwirklichung, sondern auch eine Distanznahme von den Bildern bedeutete. Bei den Dramen werden die Bilder auf die Bühne gesetzt, wobei die technischen Möglichkeiten der Bühne die dichterische Phantasie begrenzen. In der Prosa werden dem Erzählfluß keine Grenzen gesetzt, hier bekommt aber die Sprache eine größere Bedeutung, und gleichzeitig auch die Frage, wie und ob man die vorsprachlichen Bilder mittels der Sprache realisieren kann. Diese Probleme der Gattungen führen zu Dürrenmatts eigenartiger Arbeitsweise: zu dem ständigen Wechsel zwischen Zeichnen/Malen und Schreiben und zu dem ständigen Umschreiben seiner Werke. Philosophie und Naturwissenschaft, Mythen und Literatur, all diese verschiedenen Modelle werden miteinander verknüpft, und Dürrenmatt bewegt sich zwischen geistes- und naturwissenschaftlichen Denkformen, zwischen "fiktionalem" und "exaktem" Denken, zwischen Einfall und Wissen. Dabei läßt sich feststellen, daß der Autor durch formale Verflechtung oder durch andersartige Zusammenstellung von bereits bekannten, wiederum aufgenommenen Stoffpartikeln ganz neue Denk- und Weltbilder aufbaut, die neue Denkmöglichkeiten, eine bizarre, ans Surreale grenzende Realität ergeben, die sich aus Bruchstücken der Überlieferung zusammenstellt. Bei seiner Arbeit am Mythos kann beobachtet werden, daß Dürrenmatt die antiken Mythen sehr gut kennt, als Prätexte oft die während seiner Latein- und Griechischstudien kennengelernten Autoren nimmt, öfters aber die Mythensammlungen, wie die von Gustav Schwab und Ranke-Graves. Diese Mythen, deren Kenntnis er bei seinen Rezipienten voraussetzt, bearbeitet er wie der "mythische Bastler" von Lévi- Strauss, und aus den einzelnen "Bauklötzen" baut er seine eigenen Mythen auf. Durch das Aufdecken der intertextuellen Bezugnahmen läßt sich feststellen, daß das ursprüngliche Interesse an Mythen durch das Studium der antiken Sprachen und der antiken Philosophie erweitert wurde, wobei vor allem Platon und Aristophanes bestimmend waren. Dieses Bild wurde durch Dürrenmatts Kierkegaard-Lektüre modifiziert, und seit den 70er Jahren kann eine Akzentverschiebung beobachtet werden: Dürrenmatts jederzeit kritischer Umgang mit den Mythen wird durch Poppers Gesellschafts- und Vaihingers Erkenntniskritik angeregt stärker aktualisiert und politisiert. Dürrenmatt versucht alte, vor allem politische Mythen zu entmythisieren, deshalb entheroisiert er die antiken Helden Herkules und Theseus. Mit dem entheroisierten Herkules versucht Dürrenmatt die versteinerten Mythen der Schweiz abzubauen. Im Falle des Theseus verschiebt sich der Akzent von dem Heldendarstellung in dem Schüleraufsatz zu einem vergeßlichen Menschen (Nachgedanken) und zu einem Unmenschen in Tiermaske, der den naiven Minotaurus tötet. Die Politisierungstendenz kann am stärksten an dem Sokrates- und am Midas- Stoff beobachtet werden. Im ersten Fall versucht Dürrenmatt in Anlehnung an Popper Platon als Ideologen zu entlarven und damit die Gefährlichkeit der Ideologen und Ideologien darzustellen. Bei Midas kommen schon tagespolitische Probleme ans Tageslicht: Waffengeschäfte, Kriege, verhungernde Menschen, Umweltverschmutzung - all das nur wegen Profitorientierung der großen Konzerne und der wirtschaftlichen Mächte. Durch die naturwissenschaftliche Lektüre versteht Dürrenmatt immer mehr die in dem "Mythos" Wissenschaft verborgene Gefahr, und warnt die Menschheit, nicht in die Katastrophe, in die Vernichtung zu rennen. Das Potential des Mythos erkannt und dazu benutzt, die Menschen auf die lauernden Gefahren, auf den kommenden Tod aufmerksam zu machen, macht Dürrenmatt die versteinerten, toten Mythen mit der Hilfe der Ironie, Parodie und Groteske wieder lebendig. Diese Mythen durchziehen das ganze Lebenswerk von Dürrenmatt, alles zu einem "Gordischen Knoten" zu knüpfen. Meine Arbeit konnte nur einen Teil der mythischen Elemente untersuchen, die Forschung läßt sich noch mit der Hilfe der weiterhin bestehenden Beziehungen mit dem Schweizerischen Literaturarchiv und Professor Rusterholz fortsetzen. Ich hoffe, ich konnte auch Anregungen zur weiteren, aus einzelnen Stoffen ausgehenden intertextuellen Analysen geben. Nach der Untersuchung dieser Zusammenhänge können als Fazit Dürrenmatts Worte stehen: "es gibt keine nebensächlichen Geschichten. Alles hängt zusammen. Rüttelt man irgendwo, rüttelt man am Ganzen."918

918 WA 14, 300. 6. Anhang 6.1. Isotopie-Analyse Das Sterben der Pythia (Textabschnitt) Die delphische (Delphoi; Orakel; Apoll; Götter) Priesterin (Orakel; Frau) Pannychis XI. (Priesterin; Orakel; Frau), wie die meisten ihrer Vorgängerinnen (Priesterin; Orakel; Frau) lang und dürr (mager, arm), hatte, verärgert (Laune, schlecht) über den Unfug (Unsinn, -Vernunft; Ärgernis=schlechte Laune erregend) ihrer Orakelsprüche (Orakel) und über die Leichtgläubigkeit (Orakel, +Glauben, negativ) der Griechen, den Jüngling (jung, Mann) Ödipus angehört (hören); wieder einer (Mann, Ödipus), der danach fragte (fragen, Orakel), ob seine (Ödipus) Eltern (Familie: Vater, Mutter) seine Eltern (Familie: Vater, Mutter) seien, als wäre das in aristokratischen (Aristokrat) Kreisen so einfach unterschieden, wirklich, gab es doch Eheweiber (Familie, Frau, Mutter), die angaben, Zeus (Götter) selbst habe ihnen (Familie, Frau, Mutter) beigewohnt, und Ehemänner (Familie, Mann, Vater), die das sogar glaubten (glauben). Zwar hatte die Pythia (Orakel, Frau, Delphoi) in solchen Fällen, da die Fragenden (fragen, Orakel) ohnehin schon zweifelten (-glauben), einfach geantwortet (Orakeln): teils – teils; aber heute war ihr (Orakel, Frau) das Ganze (Orakel, fragen) zu dumm (Unsinn, -Venunft), vielleicht nur, weil es schon nach fünf (Arbeit, Zeit) war, als der bleiche (Angst, Gefühl, schlecht) Jüngling (Ödipus, Mann, jung) angehumpelt (gehen, schlecht, Ödipus) kam, eigentlich hätte sie (Pythia) das Heiligtum (Orakel, Ort, +glauben) schließen müssen (Arbeit), und so prophezeite (Orakel) sie (Pythia) ihm (Ödipus) denn, sei es, um ihn von seinem Aberglauben (Orakel, +glauben, negativ) an die Orakelkunst (Orakel ↔ Kunst; +glauben ↔ -glauben) zu heilen, sei es, weil es ihr (Pythia) in einer boshaften Laune (Laune, schlecht) gerade einfiel, den blasierten (eingebildet; "Hybris")919 Prinzen (Aristokrat, Mann, Ödipus) aus Korinth (Korinth) zu ärgern (Laune, schlecht), etwas möglichst Unsinniges (-Vernunft) und Unwahrscheinliches (-Vernunft), von dem sie (Pythia) sicher war, daß es nie eintreffen (eintreffen, geschehen) würde, denn, dachte Pannychis (Pythia), wer wäre auch imstande, seinen (Mann) eigenen Vater (Familie, Vater) zu ermorden (Tod, ermorden, Orakel) und seiner (Mann) eigenen Mutter (Familie, Mutter) beizuschlafen (Sexualität, Orakel) – die inzestbeladenen (Sexualität) Götter (Götter)- und Halbgöttergeschichten (-glauben) hielt sie (Pythia) ohnedies für Märchen (-glauben). Zwar beschlich (Laune, schlecht) sie (Pythia) ein leises Unbehagen

919 Der Begriff der υβρις ist in den griechischen Tragödien – so auch in dem König Oidipus von Sophokles wichtig. Oidipus erhält sein Schicksal, weil er herrschend hochmütig wurde bzw. in seiner Hochmütigkeit seinen Vater tötete. (Gefühl, schlecht), als der linkische (täuschen) Prinz (Aristokrat, Mann, Ödipus) aus Korinth (Korinth) auf ihr Orakel (Orakel) hin erbleichte (Angst, Gefühl, schlecht), sie (Pythia) bemerkte es, obgleich sie (Pythia) auf ihrem Dreifuß (Delphoi, Orakel) von Dämpfen (Delphoi, Orakel, dunkel, -Vernunft) umhüllt (hüllen) war – der junge Mann (jung, Mann, Ödipus) mußte wirklich außerordentlich leichtgläubig (+glauben, negativ) sein. Als er (Ödipus) sich dann behutsam (Angst) aus dem Heiligtum (Delphoi, Orakel, Gebäude) zurückgezogen und beim Oberpriester (Priester, Mann) Merops XXVII. bezahlt (Geld, Geschäft) hatte, der bei Aristokraten (Aristokrat) persönlich kassierte (Geld, Geschäft), schaute Pannychis (Pythia) Ödipus noch einen Augenblick lang nach, kopfschüttelnd (Laune, schlecht), weil der junge Mann (jung, Mann, Ödipus) nicht den Weg nach Korinth (Korinth) einschlug, wo doch seine Eltern (Familie, Vater, Mutter) wohnten; daß sie (Pythia) mit ihrem (Pythia) scherzhaften (Laune, -glauben) Orakel (Orakel) vielleicht irgendein Unheil (Geschehen, schlimm) angestiftet (Handeln, schlimm) haben könnte, verdrängte (vergessen, bewußt) sie, und indem sie dieses ungute Gefühl (Gefühl, schlecht) verdrängte (vergessen, bewußt), vergaß (vergessen) sie (Pythia) Ödipus. Alt (alt), wie sie (Pythia) war, schleppte (gehen, schwer) sie (Pythia) sich durch die endlosen Jahre (Zeit, alt), ständig im Hader (streiten) mit dem Oberpriester (Priester, Mann), der (Priester, Mann) ein Heidengeld (Geld, Geschäft) mit ihr (Pythia) verdiente (Geld, Geschäft), weil ihre (Pythia) Orakel (Orakel) immer übermütiger (Hybris) ausfielen. Sie (Pythia) glaubte nicht (-glauben) an ihre Sprüche (Orakel), vielmehr wollte sie (Pythia) mit ihrer Orakelei (Orakel) jene verspotten (Laune, schlecht), die an sie (Orakel) glaubten (+glauben), so daß sie (Pythia) bei den Gläubigen (+glauben) nur einen immer unbedingteren Glauben (+glauben) erweckte. Pannychis (Pythia) orakelte (Orakel, Handlung) und orakelte (Orakel, Handlung), an eine Pensionierung (Arbeit) war nicht zu denken. Merops XXVII. (Priester, Mann) war überzeugt, je älter (alt) und geistesschwacher (-Vernunft) eine Pythia (Pythia) sei, um so besser, und am besten eine sterbende (Tod, sterben), die prächtigsten Orakel (Orakel) habe die Vorgängerin (Priesterin, Orakel, Frau) der Pannychis (Pythia), Krobyle IV.(Pythia), sterbend (Tod, sterben) produziert (gemacht, menschlich). Pannychis (Pythia) nahm sich vor, nichts zu orakeln (Orakel, Handlung), wenn es einmal soweit (hier: geistesschwach, alt, -Vernunft) wäre, wenigstens sterben (Tod, sterben) wollte sie würdig (Würde), ohne Unsinn (Unsinn, -Vernunft) zu treiben (gemacht, negativ); daß sie (Pythia) ihn (Orakel) jetzt noch treiben (gemacht, negativ) mußte, war entwürdigend (-Würde) genug. Dazu kamen die tristen (schlecht) Arbeitsbedingungen (Arbeit, Arbeitsbedingung). Das Heiligtum (Delphoi, Orakel, Gebäude) war feucht (Arbeitsbedingung, schlecht; Gebäude, innen) und zugig (Arbeitsbedingung, schlecht; Gebäude, innen). Von außen (außen) sah es prächtig (schön; außen) aus, reinster frühdorischer Stil (schön; außen), innen (innen) war es eine schäbige (schlecht; Gebäude, innen), schlecht abgedichtete (schlecht; Gebäude, innen) Kalksteinhöhle (schlecht; Gebäude, innen). Pannychis’ (Pythia) einziger Trost (Gefühl, positiv) war, daß die Dämpfe (Delphoi, Orakel, dunkel, -Vernunft), die aus der Felsspalte (schlecht, Gebäude, innen Vernunft) unter dem Dreifuß (Delphoi, Orakel) heraufquollen (Dampf), den Rheumatismus (Gefühl, schlecht, alt) linderten, den die Zugluft (Luft) verursachte. Was in Griechenland vorging (geschehen), kümmerte sie (Pythia) längst nicht mehr; ob es in Agamemnons (Aristokrat, Mann) Ehe (Familie, Sexualität) kriselte oder nicht, war ihr (Pythia) gleichgültig (Laune); mit wem es Helena (Aristokrat, Frau) wieder trieb (Sexualität)920, egal; sie (Pythia) orakelte (Orakel, Handlung) blind (blind, -Vernunft) drauflos, und weil man es ihr (Pythia) ebenso blind (blind, -Vernunft) glaubte (-Vernunft), störte (Gefühl, schlecht) es niemanden, daß das Prophezeite (Orakel) nur selten eintraf (eintreffen) und, traf es doch einmal ein (eintreffen), auch gar nicht anders hätte eintreffen (eintreffen) können: Bei den Bärenkräften des Herkules (Aristokrat, Mann) etwa gab es für den Helden (Aristokrat, Mann), der keinen Gegner fand, weil niemand ihm gewachsen war, keinen anderen Ausweg als sich zu verbrennen (Tod, sterben), und das nur, weil ihm die Pythia (Pythia) den Floh ins Ohr gesetzt hatte, er werde nach seinem Tode (Tod) unsterblich(-Tod); ob er es dann wirklich wurde, war gänzlich unkontrollierbar. Und die Tatsache, daß Jason Medea überhaupt geheiratet (Familie, Sexualität) hatte, erklärte hinreichend, warum er seinem Leben schließlich ein Ende setzte (Tod, sterben), hatte doch, als er mit seiner Braut (Frau, Familie) in Delphi (Delphoi, Orakel) erschien, um das Orakel (Orakel) des Gottes (Gott) zu erflehen (Orakel, bitten, +glauben), die Pythia (Pythia) blitzartig instinktiv (-Vernunft) geantwortet (Orakel), er solle sich lieber in sein Schwert stürzen (Tod, sterben) als ein solches Vollweib (Frau, Sexualität) zur Frau (Frau) nehmen. Unter diesen Umständen war der Aufschwung (Geschäft, Geld) des delphischen (Delphoi) Orakels (Orakel) nicht mehr aufzuhalten, auch wirtschaftlich (Geschäft, Geld) nicht. Merops XXVII. (Priester, Mann) plante kolossale Neubauten (Gebäude, teuer, groß, schön), einen riesigen Apollotempel (Gott) (Gebäude, teuer, groß, schön), eine Musenhalle (Gebäude, teuer,

920 Hier andere Isotopie von treiben groß, schön), eine Schlangensäule (Gebäude, teuer, groß, schön), verschiedene Banken (Gebäude, teuer, groß, schön) und sogar ein Theater (Gebäude, teuer, groß, schön). Er (Priester, Mann) verkehrte (hier: mit jdm. sein)921 nur noch mit Königen (Aristokrat) und Tyrannen (Aristokrat, Hybris); daß sich nach und nach die Pannen (Fehler)922 häuften, daß der Gott (Gott) immer nachlässiger (Handeln, schlecht) zu werden schien, beunruhigte (Gefühl, schlecht) ihn (Priester, Mann) längst nicht mehr. Merops (Priester, Mann) kannte seine Griechen, je toller (-Vernunft) das Zeug (Orakel) war, das die Alte (alt, Pythia) zusammenschwafelte (sprechen, -Vernunft, Orakel), um so besser, sie (Pythia) war ohnehin nicht mehr vom Dreifuß (Delphoi, Orakel) herunterzubringen und dämmerte (dunkel, -Vernunft) in den Dämpfen (Delphoi, Orakel, dunkel, -Vernunft) vor sich hin, in ihren schwarzen (dunkel) Mantel gehüllt (hüllen). Wurde das Heiligtum (Orakel, Ort, +glauben) geschlossen (Arbeit, Zeit), saß sie (Pythia) noch eine Weile vor dem Seitenportal (Gebäude, außen), hinkte (gehen, schlecht) dann ins Innere (innen) ihrer Hütte (Gebäude, arm), kochte sich einen Brei (Essen, arm), ließ ihn stehen, schlief ein. Jede Änderung in ihrem Tagesablauf (Zeit) war ihr verhaßt (Laune, schlecht). Nur unwillig (Laune, schlecht) erschien sie (Pythia) bisweilen im Büro Merops’ XXVII. (Priester, Mann), brummend (sprechen, Laune, schlecht, -Vernunft) und knurrend (sprechen, Laune, schlecht, -Vernunft), ließ sie (Pythia) der Oberpriester (Priester, Mann) doch nur rufen, wenn für einen Klienten (Orakel, bitten) irgendein Seher (Mann, Orakel) ein von ihm formuliertes (gemacht) Orakel (Orakel) verlangte (verlangen). Pannychis (Pythia) haßte (Gefühl, schlecht) die Seher (Mann, Orakel). Wenn sie (Pythia) auch nicht an die Orakel (Orakel) glaubte (-glauben), so sah sie (Pythia) in ihnen (Orakel) doch nichts Unsauberes (-schlecht), die Orakel (Orakel) waren für sie (Pythia) ein von der Gesellschaft (Mensch) verlangter (verlangen) Blödsinn (-Vernunft); aber die von den Sehern (Mann, Orakel) formulierten (gemacht) Orakel (Orakel), die sie (Pythia) auf deren Bestellung (Geschäft) hin orakeln (Orakel, Handlung) mußte, waren etwas ganz anderes, sie (Orakel) verfolgten einen bestimmten Zweck (Zweck, +Vernunft(?)), da steckte Korruption (Korruption, Geld, Geschäft) dahinter, wenn nicht gar Politik (Politik); und daß Korruption (Korruption, Geld, Geschäft) und Politik (Politik) dahinterstecken, dachte sie (Pythia) an jenem Sommerabend (Zeit) sofort, als Merops (Priester, Mann), sich hinter seinem Schreibtisch (Möbel) räkelnd (Hybris), ihr

921 Auch dieses Wort hat ein hier nicht realisiertes Sem: Sexualität 922 Grundbegriff bei Dürrenmatt, er verwendet es immer im Zusammenhang mit dem Zufall. auf seine stinkfreundliche (Gefühl schlecht ↔ Gefühl gut) Art erklärte, der Seher (Mann, Orakel) Tiresias (Seher) habe einen Wunsch. Pannychis (Pythia) erhob sich (Bewegung, nach oben), kaum hatte sie (Pythia) Platz genommen (Bewegung, nach unten), und erklärte, sie wolle (Wille, Vernunft) mit Tiresias (Seher, Mann) nichts zu tun haben, sie (Pythia) sei zu alt (alt) und textunsicher (Text), um noch Orakel (Orakel) auswendig zu lernen (+Vernunft) und zu rezitieren (Orakel, sprechen). Adieu. Moment, sagte Merops (Priester, Mann), Pannychis (Pythia, Frau) nacheilend (gehen, schnell) und sich zwischen Tür (Gebäude) und Angel (Gebäude) stellend (Bewegung), Moment, es sei ganz unnötig, sich aufzuregen (Gefühl, schlecht), auch ihm (Priester, Mann) sei der Blinde (Tiresias, Seher, Mann, -Vernunft) unangenehm, Tiresias (Seher, Mann) sei Griechenlands größter Intrigant (Hinterlist, Wille, schlecht) und Politiker (Politik) und, bei Apoll (Gott, Delphoi), korrupt (Korruption, Geld, Geschäft) bis auf die Knochen (Körperteil), aber er (Tiresias, Seher, Mann) zahle (Geld, Geschäft) nun einmal am besten, und was er (Tiresias, Seher, Mann) verlange, sei vernünftig (+Vernunft), in Theben (Theben) sei wieder einmal die Pest (Pest) ausgebrochen. Die breche in Theben (Theben) immer wieder aus, knurrte (sprechen, Laune, schlecht, -Vernunft) Pannychis; wenn man die hygienischen (- Krankheit) Verhältnisse (Verhältnis) um die Burg Kadmeia (Gebäude, Theben) herum in Betracht ziehe, sei das auch kein Wunder (Übernatürlich, -Vernunft), die Pest (Pest) sei in Theben (Theben) sozusagen endemisch. Sicher, beschwichtigte (Gefühl) Merops XXVII. (Priester, Mann) Pannychis XI. (Pythia), Theben (Theben) sei grausig (Angst, Gefühl, schlecht), ein schmutziges (schmutzig) Nest (arm) in jeder Beziehung, nicht umsonst gehe die Sage (-glauben) um, selbst die Adler (Vogel, Zeus) des Zeus (Zeus, Gott) seien nur mühsam (mühsam) imstande, Theben (Theben) zu überfliegen (fliegen, Bewegung), mit nur einem Flügel (Vogel, Körperteil) flatternd (fliegen, mühsam), weil sie (Vogel) sich mit dem anderen (Vogel, Körperteil) die Nasenlöcher (Körperteil) zuhielten, und die Verhältnisse (Verhältnis, Sexualität) am königlichen (Aristokratie) Hof – na ja. Tiresias (Seher, Mann) schlage vor, seinem Klienten, der morgen vorsprechen werde, zu orakeln (Orakel), die Pest (Pest) verschwinde erst, wenn der Mörder (Tod, ermorden) des thebanischen (Theben) Königs (Aristokratie) Laios (Laios) entdeckt (finden) sei. Pannychis (Pythia) wunderte sich (Wunder, -glauben), das Orakel (Orakel) war banal, Tiresias (Seher, Mann) mußte senil (alt, -Vernunft) geworden sein. Nur der Form halber fragte (fragen) sie (Pythia) noch, wann der Mord (Tod, ermorden) begangen (Handlung) worden sei. Irgendwann (Zeit), vor Jahrzehnten (Zeit), ohne Bedeutung (-Vernunft), finde man den Mörder (Tod, ermorden), gut, meinte Merops (Priester, Mann), finde man ihn (Tod, ermorden) nicht, auch gut, die Pest (Pest) gehe ohnehin vorüber, und die Thebaner (Theben, Mensch) würden glauben (+glauben), die Götter (Gott) hätten, um ihnen (Theben, Mensch) zu helfen (helfen), den Mörder (Tod, ermorden) irgendwo in der Einsamkeit, wohin er sich verkrochen, zerschmettert (Tod, ermorden) und so die Gerechtigkeit (Recht) eigenhändig hergestellt. Die Pythia (Pythia), froh (Laune, gut), wieder in ihre Dämpfe (Delphoi, Orakel, dunkel, -Vernunft) zu kommen, fauchte sprechen, leise, Dampf), wie denn der Klient des Tiresias (Seher, Mann) heiße. »Kreon (Kreon)«, sagte Merops XXVII.(Priester, Mann). »Nie gehört«, sagte Pannychis (Pythia). Er (Priester, Mann) auch nicht, bestätigte Merops (Priester, Mann). »Wer ist der König (Aristokratie) von Theben (Theben)?« fragte (fragen) die Pythia (Pythia). »Ödipus (Ödipus)«, antwortete (antworten) Merops XXVII. (Priester, Mann). »Auch nie gehört«, entgegnete (antworten) Pannychis XI. (Pythia), die sich wirklich nicht mehr an Ödipus (Ödipus) erinnerte (alt, -Vernunft). 6.2. Manuskripten im Schweizerischen Literaturarchiv

7. Literaturverzeichnis

Der Mythos und die Antike Antike Autores Aristophanes: Die Wolken (Nubes). Übers. v. Otto Seel. Stuttgart: Reclam, 1963 Diogenes Laertius: Leben und Lehre der Philosophen. Übers. v. Fritz Jürß. Stuttgart: Reclam, 1998 Jakoby, F.: Die Fragmente der griechischen Historiker. (FgrHist). Berlin II A 1926; II B 1929; III B, Leiden, 1950 Lukianos: Sämtliche Werke. Übers.v. C.M. Wieland. München: Müller, 1911, Bd. 1-5. Müller, C.: Fragmenta Historicorum Graecorum. Parisiis, III, 1928; IV, 1885 Pausanias: Reisen in Griechenland: Gesamtausgabe in 3 Bänden. Übersetzt v. Ernst Meyer. 3. Vollst. Ausgabe. Zürich: Artemis, 1986-89 Platon: Sämtliche Werke. 6 Bde. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1968 Xenophon: Das Gastmahl (Symposion). Übers. v.Georg Peter Landmann. Hamburg: Rowohlt, 1957 Xenophon: Erinnerungen an Sokrates (Memorabilien). Übers. v. Peter Jaerisch. München: Heimeran, 1962

Abracham, Karl: Clinical Papers and essays on psycho-analysis. London: The Hogarth Press, 1955 Adorno, Theodor W., Horkheimer, Max: Dialektik der Aufklärung. Amsterdam: Querido, 1947 Aly, W.: Mythos. In: Pauly, August; Wissowa, Georg (Hrsg.): Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. (=RE) Bd. 16/2, Sp. 1374-1411. Stuttgart: Metzler 1935 Anwander, Anton: Zum Problem des Mythos. Würzburg: Echter 1964 Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München: C.H. Beck, 1992 Assmann, Jan: Religion und kulturelles Gedächtnis. München: Beck, 2000 Balota, Nicole: Der Mythos in der Struktur des Romans. In: Synthesis 6. 1979 S. 281-297. Barner, Wilfried: Mythen-Renaissance in der Erzählprosa der Gegenwart. In: Chinesisch-deutsches Germanistenhefte. Bonn: DAAD 1989 Barthes, Roland: Mythologies, 1957, dt.: Mythen des Alltags. Frankfurt/M: Suhrkamp, 2003 Bauer, Wolfgang; Dümotz, Irmtraud; Golowin, Sergius: Lexikon der Symbole. Mythen, Symbole und Zeichen in Kultur, Religion, Kunst und Alltag. München: Wilhelm Heyne. 16. Auflage 2001 Baumann, Hermann: Schöpfung und Urzeit im Mythus der afrikanischen Völker, Berlin: D. Reimer,1936 Bell, Michael: Literature, modernism and myth: belief and responsibility in the twentieth century, Cambridge u. c.: Cambridge University Press 1997 Bernard, Jeff; Withalm, Gloria (Hrsg.): Mythen, Riten, Simulakra. Semiotische Perspektiven. Akten des 10. Internationalen Symposiums der Österreichischen Gesellschaft für Semiotik. 2 Bde. Universität für angewandte Kunst. Wien: ÖGS 2001 Berndt, Ronald Murray; Berndt, Catherine H.: The World of the first Australians, London, 1964 Bernhardt, Rüdiger: Odysseus’ Tod – Prometheus’ Leben. Antike Mythen in der Literatur der DDR, Halle-Leipzig: Mitteldeutscher Verlag 1983 Betz, Werner: "Zum Wortgeschichte Mythos". In: Moser, H.; Rupp, H; Steger, H. (Hrsg.): Deutsche Sprache: Geschichte und Gegenwart. Festschrift für F. Maurer. Bern, München 1978, S. 21-31. Bidney, David: Myth, Symbolism and Truth. In: Myth. A Symposium. Hrsg.: T.A.Sebeok, Bloomington- London: Indiana Univ. Press, 1958, S.3-24. Binder, Gerhard; Effe, Bernd (Hrsg.): Mythos. Erzählende Weltdeutung im Spannungsfeld von Ritual, Geschichte und Rationalität. Trier: Wissenschaftlicher Verlag 1990 Bischof, Norbert: Das Kraftfeld der Mythen. Signale aus der Zeit, in der wir die Welt erschaffen haben. München, Zürich: Piper 1996 Biser, Eugen: "Glaube und Mythos: Zur Aktualität eines alten Konflikts". In: Philosophisches Jahrbuch 91 (1984), S. 62-81. Blumenberg, Hans: Arbeit am Mythos. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1979 Bock-Lindenbeck, Nicola: Letzte Welten – Neue Mythen. Der Mythos in der deutschen Gegenwartsliteratur. Köln, Weimar, Wien: Böhlau 1999 Böhme, Gernd: Der Typ Sokrates. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1992 Bohrer, Karl Heinz: Mythos und Moderne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1983 Bolz, Norbert W.: odds and ends. Vom Menschen zum Mythos. in: Mythos und Moderne, S. 471-492. Brand, Gerd: Welt, Geschichte, Mythos und Politik. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1978 Brisson, Luc: Einführung in die Philosophie des Mythos. Bd. 1. Antike, Mittelalter und Renaissance. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 1996 Bürger, Christa (Hrsg.):"Zerstörung, Rettung des Mythos durch Licht". Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1986 Burkert, W.; Horstmann, A.: Mythos, Mythologie. In: Ritter, Joachim; Gründer, Karlfried (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 6. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 1984, S.281-318. Burkert, Walter: "Mythos und Mythologie". In: Propyläen Geschichte der Literatur, Bd. 1: Die Welt der Antike. Frankfurt a.M., Berlin, Wien: Ullstein 1981, S. 11-35. Campbell, Joseph: Die großen Mythen der Menschheit. Freiburg, Basel, Wien: Herder 1998 Campbell, Joseph: Mythologie des Ostens. Die Masken Gottes. Basel: Sphinx 1991 Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele, Pforzheim: Flammer und Hoffmann, 1846 Cassirer, Ernst: An Essay on man. An introduction to a philosophy of human culture. 4.Aufl. New Haven: Yale University Press, 1947 Cassirer, Ernst: Philosophie der symbolischen Formen. Bd.2.: Das mythische Denken. Berlin 1925 Cassirer, Ernst: Sprache und Mythos. In: Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs, 7. Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1983, S. 71-167. Citati, Pietro: Das Licht der Nacht. Die grossen Mythen der Welt. München: Claassen 1999 Count, Earl Wendel: Culture in History, New York: S. Diamond, 1960 Creuzer, Georg Friedrich: Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen. Leipzig u.a.: Leske, 1810-23 Der Literatur Brockhaus (Hrsg. und bearbeitet v. Werner Habicht u. Wolf-Dieter Lange), Bd 2., Mannheim: Brockhaus, 1988 Dethlefsen, Thorwald: Ödipus der Rätsellöser, München: Bertelsmann, 1990 Döbler, Hannsferdinand: Magie. Mythos. Religion. Kleine Kulturgeschichte. München: Orbis. 2000 Douglas, Mary: Die Bedeutung des Mythos. Mit besonderer Berücksichtigung von ,La geste d’Asdiwal’, in Edmund Leach (Hrsg.): Mythos und Totemismus, a.a.O., S. 82-108 Dupré, Wilhelm: Mythos. In: Krings, Hermann; Baumgartner, Hans Michael; Wild, Christoph (Hrsg.): Handbuch philosophischer Grundbegriffe. Bd. 4. München: Kösel 1973 Durzak, Manfred: Die Travestie der Tragödie in Dürrenmatts Der Besuch der alten Dame und Physiker. In: Der Deutschunterricht 28 (1976) H. 6., S. 91 Dux, Günter: Die Logik der Weltbilder. Sinnstrukturen im Wandel der Geschichte. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1990 Eco, Umberto: Semiotik und Philosophie der Sprache. München: Fink 1985 Eliade, Mircea: Das Heilige und das Profane. Frankfurt a. M.: Insel 1984 Eliade, Mircea: Das Mysterium der Wiedergeburt. Zürich, Stuttgart: Rascher 1961 Eliade, Mircea: Kosmos und Geschichte: Der Mythos der ewigen Wiederkehr. Frankfurt a. M.: Insel 1984 Eliade, Mircea: Mythen, Träume und Mysterien. Salzburg: Otto Müller 1961 Eliade, Mircea: Mythos und Wirklichkeit. Frankfurt a. M.: Insel 1988 Emrich, Wilhelm: "Symbolinterpretation und Mythenforschung." Protest und Verheißung. Frankfurt, Bonn: Athenäum 1960 Erbse, Hartmut: Zur Interpretation der >Wolken< des Aristophanes. In: Hermes. Zeitschrift für klassische Philologie. 130 (2002) 4. Quartal, H.4., S. 381-388. Fontenrose, Joseph: Python. A study of Delphic myth and its origins. Berkeley (u.a.): Univ. of California Press, 1959 Frank, Manfred: Der kommende Gott. Vorlesungen über die Neue Mythologie, I. Teil. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1982 Frank, Manfred: Gott im Exil. Vorlesungen über die Neue Mythologie, II. Teil. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988 Frankenberg, Hartwig: Mythos als eine narrative Kategorie von Texten, in: Textsorten und literarische Gattungen. Dokumentation des Germanistentages in Hamburg von 1-4. April 1979, hrsg. v. Vorstand der Vereinigung der deutschen Hochschulgermanisten. Berlin: Schmidt 1983, S. 250- 261 Franz, Marie-Louise von: Schöpfungsmythen. Bilder der schöpferischen Kräfte im Menschen. München: Kösel 1990 Frazer, James George: The Golden Bough. A Study in Magic and Religion. London: Macmillan 1925 Fromm, Erich: Märchen, Mythen, Träume. Eine Einführung in das Verständnis einer vergessenen Sprache. Reinbek bei Hamburg: Rororo, Rowohlt, 1994 Frye, Northrop: Fables of Identity, New York: Atheneum, 1963 Frye, Northrop: Myth and metaphor: selected essays, 1974-1988. Charlottesville: Univ. Pr. of Virginia 1990 Fuhrmann, Manfred (Hrsg.): Terror und Spiel. Probleme der Mythosrezeption. München: Fink 1971 Gallas, Helga: Der Blick aus der Ferne. Die mythische Ordnung der Welt und der Strukturalismus. In: Peter Kemper (Hrsg.): Macht des Mythos – Ohnmacht der Vernunft? Frankfurt am Main: Fischer 1989, S. S. 267-288. Gaster, Theodor Herzl: Thespis. Ritual,myth and drama in the ancient Near East. New York: Schumann, 1950 Geyer, Carl-Friedrich: ’Neue Mythologie’ und ’Wiederkehr von Religion’. In: Oelmüller, Willi (Hrsg.): Wiederkehr von Religion? Perspektiven, Argumente, Fragen. Paderborn u.a.: Schöningh 1984 Geyer, Carl-Friedrich: Mythos. Formen – Beispiele – Deutungen. München: C.H. Beck 1996 Gockel, Heinz: Mythos und Poesie: Zum Mythosbegriff in Auflklärung und Frühromantik. Frankfurt: Klostermann 1981 Golowin, Sergius; Eliade, Mircea; Campbell, Joseph: Die großen Mythen der Menschheit. Freiburg, Basel, Wien: Herder 1998 Gottwald, Herwig: Mythos und Mythisches in der Gegenwartsliteratur. Studien zu Christoph Ransmayr, Peter Handke, Botho Strauß, Georg Steiner, Patrick Roth und Robert Schneider. Stuttgart: Hans- Dieter Heinz, Akademischer Verlag 1996 Graevenitz, G. von: Mythos. Zur Geschichte einer Denkgewohnheit. Stuttgart: Metzler, 1987 Graf, Fritz: Griechische Mythologie. Eine Einführung. Düsseldorf, Zürich: Artemis und Winkler 1999 Graves-Ranke, Robert v.: Griechische Mythologie. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1999 Greif, Stefan: Der Mythos – Das wilde Denken und die Vernunft. In: Kreuzer, Helmut (Hrsg.): Pluralismus und Postmodernismus. Zur Literatur- und Kulturgeschichte in Deutschland 1980- 1995. 4. Erweiterte und aktualisierte Auflage. Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang 1996. S. 157-177. Grimal, Pierre (Hrsg.): Mythen der Völker. 3 Bde. Frankfurt, Hamburg: Fischer 1967 Grimmiger, Rolf; Hermann, Iris (Hrsg.): Mythos im Text. Zur Literatur des 20. Jahrhunderts. Bielefeld: Aisthesis 1998 Gulian, C. I.: Mythos und Kultur. Zur Entwicklungsgeschichte des Denkens. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1981 Guthke, Karl S.: Der Mythos der Neuzeit. Das Thema der Mehrheit der Welten in der Literatur- und Geistesgeschichte von der kopernikanischen Wende bis zur Science Fiction. Bern, München: Francke 1983 Guthke, Karl S.: Die Mythologie der entgötterten Welt: Ein literarisches Thema von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1971 Harenbergs Lexikon der Weltliteratur. Autoren, Werke, Begriffe. Dortmund: Harenberg Lexikon-Verlag, 1989, Bd.4. Harrison, Jean: Epilegomena to the Study of Greek Religion, Cambridge: Univ. Press, 1921 Hatvany, Lajos: Wissenschaft des Nichtwissenswerten, Zürich: Zeitler, 1908 Hegyi, Dolores: Polis és vallás. Bevezetés a görög vallástörténetbe. Budapest: Osiris 2002 Heim, Robert: Rationalität, Mythos, Ideologie. In: Holzhey, Helmut; Leyvraz, Jean-Pierre: Rationalitätskritik und neue Mythologien. (Studia Philosophica Vol. 42/1983) Bern, Stuttgart: Paul Haupt, 1983, S. 62-82. Heitsch, Ernst: Hat Sokrates Dialoge Platons noch lesen können? In: Gymnasium.110 (2003), S. 109-119. Helmes, Marion M.; Weiher, Gabriele Cécile (Hrsg.): Mythen in Moderne und Postmoderne: Weltdeutung und Sinnvermittlung. Berlin: Weidler 1995 Hesse, Reinhard: Gegen die Mythisierung der Rationalität. In: Holzhey, Helmut; Leyvraz, Jean-Pierre: Rationalitätskritik und neue Mythologien. (Studia Philosophica Vol. 42/1983) Bern, Stuttgart: Paul Haupt, 1983, S. 83-90. Hochgesang, Michael: Mythos und Logik im 20. Jahrhundert. Eine Auseinandersetzung mit der neuen Literaturwissenschaft, Literatur, Kunst und Philosophie. München: C.H. Beck 1965 Hoffmann, J.B.: Etymologisches Wörterbuch des Griechischen. München: Oldenburg, 1950 Holloway, John: The Concept of Myth. In: The Story of the Night. Studies in Shakespeare´s major tragedies. London: Routledge&Kegan Paul, 1961 Holzhey, Helmut; Leyvraz, Jean-Pierre: Rationalitätskritik und neue Mythologien. (Studia Philosophica Vol. 42/1983) Bern, Stuttgart: Paul Haupt, 1983 Horn, András: Mythisches Denken und Literatur. Würzburg: Königshausen und Neumann 1995 Horstmann, Axel: Der Mythosbegriff von frühen Christentum bis zur Gegenwart. In: Archiv für Begriffsgeschichte 23 (1979), S. 7-55. u. 197-245. Hübner, Kurt: Die Wahrheit des Mythos. München: C.H. Beck 1985 Jagow, Bettina von (Hrsg.): Topographie der Erinnerung. Mythos im strukturellen Wandel. Würzburg: Königshausen und Neumann 2000 Jamme, Christoph: "Gott an hat ein Gewand". Grenzen und Perspektiven philosophischer Mythos- Theorien der Gegenwart. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999 Jamme, Christoph: Einführung in die Philosophie des Mythos. Bd.2: Neuzeit und Gegenwart. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 1991 Jens, Walter: Statt einer Literaturgeschichte, Pfullingen: Neske, 5. Erw. Aufl., 1962, (1. Aufl.: 1957) Jung, Carl Gustav: Von den Wurzeln des Bewußtseins. Studien über den Archetypus. Zürich: Rascher, 1954 Jung, Carl Gustav; Kerényi, Karl: Einführung in das Wesen der Mythologie. Amsterdam u.a.: Pantheon, 1941 Kaschnitz, Marie Luise: Griechische Mythen. München: dtv, 1975 Kemper, Peter (Hrsg.): Macht des Mythos – Ohnmacht der Vernunft? Frankfurt a. M.: Fischer 1989 Kerényi, Karl: Auf Spuren des Mythos. München, Wien: Langen-Müller 1967 Kerényi, Karl: Der höhere Standpunkt. Zum Humanismus des integralen Menschen. München: Paul List, 1971 Kerényi, Karl: Die antike Religion. Eine Grundlegung. Amsterdam: Pantheon, 1940, S.39 Kerényi, Karl: Die Eröffnung des Zugangs zum Mythos: Ein Lesebuch. 3. Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1982 Kerényi, Karl: Die Geburt der Helena samt humanistischen Schriften aus den Jahren 1943-45. Zürich: Rhein, 1945 Kerényi, Karl: Die Herkunft der Dionysosreligion nach dem heutigen Stand der Forschung, Köln&Opladen: westdeutscher Verlag, 1956 Kerényi, Karl: Die Mythologie der Griechen. 2 Bde. Zürich: Rhein 1951, 1958. Kerényi, Karl: Griechische Grundbegriffe, Fragen und Antworten aus der heutigen Situation, Zürich: Rhein, 1964 Kerényi, Karl: Labyrinth-Studien. Labyrinthos als Linienreflex einer mythologischen Idee. 2. erw. Aufl. Zürich: Rhein 1950 Kerényi, Karl: Mythologie und Gnosis. Winterthur: Pantheon, 1942 Kerényi, Karl: Prometheus. Die menschliche Existenz in griechischer Deutung. Zürich: Rhein, 1946 Kerényi, Karl: Was ist die Mythologie?, Europäische Revue, 1939, Sonderabzug Kerényi, Karl: Wert und Mythos. in: ders.: Auf Spuren des Mythos, München-Wien: Langen-Müller, 1967, S. 295f. Kerényi, Karl; Mann, Thomas: Romandichtung und Mythologie. Ein Briefwechsel. Zürich: Rhein, 1945 Kerényi, Károly: Az örök Antigoné. Vallástörténeti tanulmányok. Budapest: Paidion, 2003 Kirk, Geoffrey Stephen: Griechische Mythen. Ihre Bedeutung und Funktion. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1987 Kluckhohn, Clyde: Myths and rituals: a general theory, In: Harvard Theological Review, XXXV, 1942, S. 45-79. Kohlschmidt, Werner; Mohr, Wolfgang (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literatur. Bd. 2., Berlin: Walter de Gruyter, 1965 Kolakowski, Leszek: Die Gegenwärtigkeit des Mythos. München: Piper 1973 Koopmann, Helmut (Hrsg.): Mythos und Mythologie in der Literatur des 19. Jahrhunderts. Frankfurt a. M.: Vittorio Klostermann 1979 Kramer, Samuel Noah: The Sumerians. Their history, culture and character. Chicago: Univ. of Chicago Press, 1963 Lange, Robert de: Myth, Ritual and Kingship; Oxford: S.H.Hooke, 1958 Lanwerd, Susanne: Mythos, Mutterrecht und Magie. Zur Geschichte religionswissenschaftlicher Begriffe. Berlin: Dietrich Reimer 1993 Larcher, G. (Hrsg.): Symbol-Mythos-Sprache. Ein Forschungsgespräch. Annweiler, 1988 Leach, Edmund (Hrsg.): Mythos und Totemismus. Beiträge zur Kritik der strukturalen Analyse. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1973 (zuerst London 1967) Leach, Edmund Ronald: Political Systems of Highland Burma, London: Cambridge Mass, 1954 Lévi-Strauss, Claude: Die Geschichte von Asdiwal. In: Edmund Leach: Mythos und Totemismus. Beiträge zur Kritik der strukturalen Analyse. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1973, S. 27-81. Lévi-Strauss, Claude: Die Struktur und die Form. Reflexionen über ein Werk von Wladimir Propp (1960) in: ders.: Strukturale Anthropologie II. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1967 S.135-168. Lévi-Strauss, Claude: Mythologica 4 Bde. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1976 Lévi-Strauss, Claude: Mythos und Bedeutung. Fünf Radiovorträge. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1996 Lévi-Strauss, Claude: Strukturale Anthropologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1967 Lévi-Strauss, Claude: The Structural Study of Myth, In: Journal of American Folklore, Bd. 68 (1955), S. 428. Lévi-Strauss, Claude; Vernant, Jean-Pierre u.a.: Mythos ohne Illusion. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1984 Lorenz, Otto: Kleines Lexikon literarischer Grundbegriffe; München: Fink, UTB, 1992 Loszev, Alekszej F.: Dialektika mifa. Moskau, 1994 Lücke, Hans-K. und Susanne: Antike Mythologie. Ein Handbuch. Der Mythos und seine Überlieferung in Literatur und bildender Kunst. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1999 Malinowski, Bronislav: Argonauts of the Western Pacific. An account of Native Enterprise and Adventure in the Archipelagoes of Melanesian New Guinea. London: Routledge, 1922 Martinez, Matias: Formaler Mythos. Beiträge zu einer Theorie ästhetischer Formen. Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 1996 Metzlers Literatur Lexikon, 2. überarbeitete Auflage, Stuttgart: Metzler, 1990 Meyers kleines Lexikon, Literatur, Hrsg. W.D.Lange, Mannheim u.a.: Biographisches Institut des Meyers Lexikons 1986 Mohn, Jürgen: Mythostheorien. München: Fink 1985 Mühlher, Robert: Dichtung der Krise: Mythos und Psychologie in der Dichtung des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts. Wien: Herold 1951 Neschke-Hentschke, Ada: Griechischer Mythos und strukturale Anthropologie. Kritische Bemerkungen zu Claude Lévi-Strauss’ Methode der Mythendeutung. In: Poetica 10, 1978, S. 135-153 Nestle, Wilhelm: Vom Mythos zum Logos. Die Selbstentfaltung des griechuischen Denkens von Homer bis auf die Sophistik und Sokrates. Aalen: Scientia 1996 Nieden, Birgit zur: Mythos und Literaturkritik. Zur literaturwissenschaftlichen Mythosdeutung der Moderne. Münster, New York: Waxmann, 1993 Otto, Walter F.: Das Wort der Antike, Stuttgart: Klett, 1962 Otto, Walter F.: Die Gestalt und das Sein: Gesammelte Abhandlungen über den Mythos und seine Bedeutung für die Menschheit. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1955 Otto, Walter F.: Dionysos. Mythos und Kultus. Frankfurt a. M.: Klostermann 1980 Otto, Walter F.: Gesetz, Urbild und Mythos. Frankfurt a. M.: Klostermann 1951 Otto, Walter F.: Mythos und Welt. Stuttgart: Klett 1962 Parke, H. W. – Wormell, D. E. W.: The Delphic Oracle, 2 Bde, Oxford: University Press, 1956 Paul, Gregor: Mythos, Philosophie und Rationalität. Frankfurt a. M. u.a.: Peter Lang 1988 Picht, Georg: Kunst und Mythos. Stuttgart, Klett, 2. Aufl., 1987 Plumpe, Gerhard: Das Interesse am Mythos: Zur gegenwärtigen Konjunktur eines Begriffs. In: Archiv für Begriffsgeschichte 20 (1976), S. 236-253. Poser, Hans: Mythologie als Logomythie. In: Marquard, Odo (Hrsg.): Einheit und Vielheit. XIV. Deutscher Kongreß für Philosophie, Gießen 21-26. September 1987. Hamburg, 1989 Poser, Hans (Hrsg.): Philosophie und Mythos. Ein Kolloquium. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1979 Rademacher, Ludwig: Mythos und Sage bei den Griechen, Baden bei Wien, Leipzig: Rohrer, 1938 Rank, Otto: Der Mythus von der Geburt des Helden, Leipzig u.a.: Franz Deuticke, 1909 Rogmann, Horst: Narrative Strukturen und "magischer Realismus" in den ersten Romanen von Miguel Angel Asturias (Hispanische Studien 7). Frankfurt am Main/Bern/Las Vegas: Lang 1978, S. 148- 155. Romano Guardini: Der Tod des Sokrates. Eine Interpretation der platonischen Schriften Eutryphron, Apologie, Kriton und Phaidon. Hamburg: Rowohlt, 1956 Rosenkranz-Kaiser, Jutta: Feminismus und Mythos. Tendenzen in Literatur und Theorie der achtziger Jahre. Münster, New York: Waxmann 1995 Rössner, Michael: Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies. Zum mythischen Bewußtsein in der Literatur des 20. Jahrhundert. Frankfurt a. M.: Athenäum 1988 Schlatter, Gerhard: Mythos. Streifzüge durch Tradition und Gegenwart. München: Trickster 1989 Schlesier, Renate (Hrsg.): Faszination des Mythos. Stroemfeld: Roter Stern 1985 Schmidt-Henkel, Gerhard: Mythos und Dichtung: Zur Begriffs- und Stilgeschichte der deutschen Literatur im 19. und 20. Jahrhundert. Bad Homburg u. a.: Gehlen 1967 Schrödter, Hermann (Hrsg.): Die neomythische Kehre. Aktuelle Zugänge zum Mythischen in Wissenschaft und Kunst. Würzburg: Königshausen und Neumann 1991 Schubert, Gotthilf Heinrich von: Geschichte der Seele, Stuttgart u.a.: Cotta, 1830 Schubert, Gotthilf Heinrich von: Symbolik des Traumes, Bamberg: Kunz 1814 Schwab, Gustav: Sagen des klassischen Altertums. Leipzig: Insel, o.J. (1909?) Stensius, E.: Das Mythische. In: Ritter, Joachim; Gründer, Karlfried (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 6. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 1984, S. 280. Stjeblin-Kamenskij, M. I.: Mif. Leningrad: Nauka, 1976 Stradonitz, Kekulé von: Die Bildnisse des Sokrates. Abhandlung der königlichen preußischen Akademie der Wissenschaften .Berlin1908 Szondi, Peter: "Der Mythos im modernen Drama und das Epische Theater". In: ders.: Schriften. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1977, Bd. 2., S. 198-204. Taylor, Christopher C. W.: Sokrates (übersetzt v. Katja Vogt) Freiburg, Basel, Wien: Herder, 1999 Tepe, Peter: "Mythologische" Streifzüge durch die deutsche Literatur der achtziger Jahre. In: Peter Tepe, Markus Küppers (Hrsg.): Düsseldorfer Mythologica 1, Essen 1993, S. 61-80. Tepe, Peter; Gerhardus, Christian: Literaturwissenschaftliche Mythosforschung. Düsseldorfer Projekte. Essen: Die Blaue Eule 1996 The Cambridge Ancient Historie/II, 2., ed. by J.B. Bury, S.A. Cook, F.E. Adcock; Cambridge: University Press, Revised ed., 1961 Tokarev, S. A. (Hrsg.): Mitológiai enciklopédia 2 Bde. Budapest: Gondolat 1988 Trilse, Christoph: Der Rückzug zum Mythos: Einige Betrachtungen zum spätbürgerlichen Antikebild. Weimarer Beiträge, 12 (1973), S. 129-155. Vernant, Jean-Pierre (Hrsg.): Der Mensch der griechischen Antike. Frankfurt, New York: Campus 1993 Vernant, Jean-Pierre: Mythos und Gesellschaft im alten Griechenland. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1987 Vernant, Jean-Pierre: Mythos und Religion im alten Griechenland. Frankfurt, New York: Campus 1995 Vickery, John B. (Hrsg.): Myth and Literature, Nebraska: Lincoln, 1966 Volkmann-Schluck, Karl-Heinz: Mythos und Logos. Interpretationen zu Schellings Philosophie der Mythologie. Berlin: Walter de Gruyter 1969 Vonessen, Franz: Mythos und Wahrheit. Bultmanns "Entmythologisierung" und die Philosophie der Mythologie. 2. Erweiterte Auflage Frankfurt a. M.: Vittorio Klostermann 1972 Vries, Jan de: Forschungsgeschichte der Mythologie. Freiburg, München: Karl Alber 1961 Weimann, Robert: Literaturgeschichte und Mythologie. Berlin, Weimar: Aufbau 1971 Weithmann, Michael: Xanthippe und Sokrates. Eros, Ehe, Sex und gender im antiken Athen. München: Deutscher Taschenbuchverlag 2003 Wildermuth, Armin: Rationalität und Mythos – Versuch einer Orientierung am Leitfaden des Nihilismus. In: Holzhey, Helmut; Leyvraz, Jean-Pierre: Rationalitätskritik und neue Mythologien. (Studia Philosophica Vol. 42/1983) Bern, Stuttgart: Paul Haupt, 1983, S. 14-36. Wilke, Sabine: Poetische Strukturen der Moderne. Zeitgenössische Literatur zwischen alter und neuer Mythologie. Stuttgart: Metzler 1992 Wilpert, Gero v.: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart: Kröner, 7. Aufl., 1989 Ziegler, Klaus: Mythos und Dichtung. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Berlin: de Gruyter 1965, Bd. 2., S. 569-584.

Literaturtheoretische Schriften - Intertextualit ät Bachtin, Michael: Die Ästhetik des Wortes. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979 Blumenthal, Heinz (Hrsg.): Strukturalismus in der Literaturwissenschaft. Köln: Kiepenheur&Witsch 1972 Bremond, Claude, Die Erzählnachricht (fr. Orig. 1964), in: Ihwe, Jens (Hrsg.): Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven. Bd. 3.: Zur linguistischen Basis der Literaturwissenschaft. II. Frankfurt/M.: Athenäum, 1972, S. 177-217. Brinker, Klaus: Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden. (Grundlagen der Germanistik 29) Berlin: Erich Schmidt Verlag 1988 Broich, Ulrich: Formen der Markierung von Intertextualität. In: Broich, Ulrich; Pfister, Manfred (Hrsg.): Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Tübingen: Niemeyer, 1985, S. 31-47. Broich, Ulrich: Zu den Versetzungsformen der Intertextualität. In: Broich, Ulrich; Pfister, Manfred (Hrsg.): Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Tübingen: Niemeyer, 1985, S. 135-137. Broich, Ulrich: Zur Einzeltextreferenz. In: Broich, Ulrich; Pfister, Manfred (Hrsg.): Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Tübingen: Niemeyer, 1985, S. 48-52. Broich, Ulrich; Pfister, Manfred (Hrsg.): Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Tübingen: Niemeyer, 1985 Chatman, Seymour: Story and Diskourse. Narrative Structure in Fiction and Film. Ithaka/London, 6. Aufl. 1993 Eco, Umberto: Semiotik und Philosophie der Sprache. München: Fink 1985 Genette, Gérard: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Frankfurt/M, New York, Paris: Campus Verlag & Editions de la Maison des Sciences de l´Homme, 1989 Greimas, Algirdas Julien: Strukturale Semantik. Vieweg, Braunschweig, 1971 Greimas, Algirdas Julien: Zur Interpretationstheorie der mythischen Erzählung (1970); in: Helga Gallas (Hrsg.), Strukturalismus als interpretatives Verfahren (collection alternative 2). Darmstadt/Neuwied: Luchterhand 1972. S. 105-162. Grosse, E.U.: Zur Neuorientierung der Semantik bei Greimas. Grundgedanken, Probleme und Vorschläge. In: Zeitschrift für Romanische Philologie 87 (1971) 359-393. Heidsied, Arnold:Das Groteske und das Absurde im modernen Drama. Stuttgart u.a., 1969 Holthuis, Susanne: Intertextualität. Aspekte einer rezeptionsorientierten Konzeption. (Stauffenburg Colloquium, Bd. 28) Tübingen: Stauffenburg Verlag, 1993 Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung. München: W. Fink. UTB, 3. Aufl., 1990 Iser, Wolfgang: Der implizite Leser. München: W. Fink. UTB, 3. Aufl., 1994 Japp, Uwe: Theorie der Ironie. In: Das Abendland N.F. 15, Frankfurt/M.: Klostermann, 1983 Jauß, Hans Robert: Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1982 Kabdebó, Lóránt; Kulcsár Szabó, Ernő; Kulcsár-Szabó, Zoltán; Menyhért, Anna (Hrsg.): A fordítás és intertextualitás alakzatai. Budapest: Anonymus, 1998 Kayser, Wolfgang: Das Groteske. Seine Gestaltung in der Malerei und Dichtung. Oldenburg: Stalling, 1957 Kayser, Wolfgang: Das sprachliche Kunstwerk. Eine Einführung in die Literaturwissenschaft. 7. Aufl. Bern, München: Franke, 1961 Keller, Otto – Hafner, Heinz: Arbeitsbuch zur Textanalyse, Fink, München, 2. Auflage, 1990 Klotz, Volker: Geschlossene und offene Form im Drama. München: Hanser 1980 Kristeva, Julia: Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman. In: Orosz, Magdolna; Zalán, Péter (Hrsg.): Grundlagen der Literaturwissenschaft. Reader I. Allgemeine Fragen - Richtungen. (ELTE- Chrestomatie 8.) Budapest, 1999, S. 125-148. Lachmann, Renate: Dialogizität. München: Fink, 1982 Lachmann, Renate: Gedächtnis und Literatur. Intertextualität in der russischen Moderne. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1990 Lapp, Edgar: Linguistik, Ironie. Tübingen: Narr, 1992 Orosz, Magdolna: Identität, Differenz, Ambivalenz. Erzählstrukturen und Erzählstrategien bei E.T.A. Hoffmann. (Budapester Studien zur Literaturwissenschaft, Bd. 1.) Frankfurt/M. u.a.: Lang, 2001 Orosz, Magdolna: Intertextualität in der Textanalyse. Wien: ÖGS/ISSS, 1997 Petersen, Jürgen H.: Fiktionalität und Ästhetik. Eine Philosophie der Dichtung. Berlin: Erich Schmidt, 1996 Pfister, Manfred: Konzepte der Intertextualität. In: Broich, Ulrich; Pfister, Manfred (Hrsg.): Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Tübingen: Niemeyer, 1985, S. 1- 30. Pfister, Manfred: Zur Systemreferenz. In: Broich, Ulrich; Pfister, Manfred (Hrsg.): Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Tübingen: Niemeyer, 1985, S. 52-58. Rößler, Elke: Intertextualität und Rezeption. Linguistische Untersuchungen zur Rolle von Text-Text- Kontakten im Textverstehen aktueller Zeitungstexte. (Sprache. System und Tätigkeit, Bd. 31) Frankfurt/M. u.a.: Lang, 1999 Schulte-Sasse, Jochen – Weiner, Renate: Einführung in die Literaturwissenschaft, München: Fink, 1991 Staiger, E.: Grundbegriffe der Poetik, 5. Auflage, Zürich: Atlantis, 1961 Stocker, Peter: Theorie der intertextuellen Lektüre. Modelle und Fallstudien. Paderborn u.a.: Schöningh, 1998 Todorov, Tzvetan: Théories du symbole. Paris: Editions du Seuil, 1977 Van Dijk, Teun A.: Textwissenschaft. Eine interdisziplinäre Einführung. Tübingen: Niemeyer, 1980 Warning, Rainer (Hrsg.): Rezeptionsästhetik: Theorie und Praxis. München: W. Fink. UTB, 4. Aufl., 1993

Friedrich Dürrenmatt Friedrich Dürrenmatts Werke Basri Dschamal. Entwurf einer Erzählung. In: Quarto (1996) H.7., S. 28-38. Bilder und Zeichnungen. Fondation Saner Studen, 1996 Bilder und Zeichnungen. Hrsg. Von Christian Strich. Mit einer Einleitung von Manuel Gasser und Kommentaren von Friedrich Dürrenmatt. Zürich: Diogenes, 1978 Bilder, Zeichnungen und Skizzen aus der Sammlung Hans und Käthy Liechti. Hrsg. Von Peter André Bloch. Kantonales Kulturzentrum, Palais Besenval, Solothurn, 1991 Das Dürrenmatt Lesebuch. Zürich: Diogenes, 1991 Das Mögliche ist ungeheuer. Ausgewählte Gedichte. Zürich: Diogenes, 1993 Die Heimat im Plakat. Ein Buch für Schweizer Kinder. Zürich: Diogenes 1963 Die Mansarde. Die Wandbilder aus der Berner Laubeggstraße. Zürich: Diogenes, 1995 Die Stadt. Prosa I-IV. Zürich: Arche, 1952 Die Welt als Labyrinth - Ein Gespräch mit Franz Kreuzer. Zürich: Diogenes, 1986 Dramaturgisches und Kritisches. Theater-Schriften und Reden II. Zürich, Arche, 1972 Dürrenmatt, Friedrich - Kerr, Charlotte: Rollenspiele. Zürich: Diogenes, 1986 Friedrich Dürrenmatt interviewt F.D. über die Physiker. In: Wiederholte Versuche die Welt auszumisten. Theater. Erzählung. Kritik. Ed. Wagenbach. Berlin 1988 Gedankenfuge. Zürich: Diogenes, 1992 Gesammelte Hörspiele. Zürich: Arche, 1961 Gespräche 1961-1990 in vier Bänden. Zürich: Diogenes 1996 Bd. 1: Der Klassiker auf der Bühne. Gespräche 1961-1970 Bd. 2: Die Entdeckung des Erzählens. Gespräche 1971-1980 Bd. 3: Im Bann der >Stoffe<. Gespräche 1981-1987 Bd. 4: Dramaturgie des Denkens. Gespräche 1988-1990 Herkules und der Stall des Augias. Mit Randnotizen eines Kugelschreibers. Zürich: Arche, 1954 (=Herkules-Bücherei) Neuausgabe: Zürich: Arche, 1960 (=Die kleinen Bücher der Arche 283/84) Theaterfassung mit dem Untertitel: Ein Festspiel. Mit Zeichnungen von Friedrich Dürrenmatt. Zürich: Arche, 1963 Komödien I. Zürich: Arche, 1957 Komödien II und Frühe Stücke. Zürich: Arche, 1964 Komödien III. Zürich: Arche, 1961 Max Frisch - Friedrich Dürrenmatt: Briefwechsel. Zürich: Diogenes, 1998 Meine Schweiz. Ein Lesebuch. Hrsg. Von Heinz Ludwig Arnold, Anna von Planta und Ulrich Weber. Zürich: Diogenes, 1998 Minotaurus. Eine Ballade. Zürich: Diogenes 1985 Œuvres graphiques. Catalogue du Musée d´Art et d´Histoire, Neuchâtel, 1985 Stoffe I-III. Zürich: Diogenes, 1981 (Vom Autor revidierte Neuausgabe 1990 unter dem Titel Labyrinth. Stoffe I-III.) Theater-Schriften und Reden. Hrsg. Von Elisabeth Brock-Sulzer. Zürich, Arche, 1966 Turmbau. Stoffe IV-IX. Zürich: Diogenes, 1990 Ur-Herkules. Programmheft des Schauspielhauses Zürich zur Uraufführung des Festspiels >Herkules und der Stall des Augias<, Spielzeit 1962/63

Werkausgabe in siebenunddreißig Bänden. Zürich: Diogenes, 1998 (=WA) Bd. 1: Es steht geschrieben/Der Blinde Bd. 2: Romulus der Große Bd. 3: Die Ehe des Herrn Mississippi Bd. 4: Ein Engel kommt nach Babylon Bd. 5: Der Besuch der alten Dame Bd. 6: Frank der Fünfte Bd. 7: Die Physiker Bd. 8: Herkules und der Stall des Augias/Der Prozeß um des Esels Schatten Bd. 9: Der Meteor/Dichterdämmerung Bd. 10: Die Wiedertäufer Bd. 11: König Johann/Titus Andronikus Bd. 12: Play Strindberg/Porträt eines Planeten Bd. 13: Goethes Urfaust/Büchners Woyzeck Bd. 14: Der Mitmacher – Ein Komplex Bd. 15: Die Frist Bd. 16: Die Panne Bd. 17: Nächtliches Gespräch mit einem verachteten Menschen/Stranitzky und der Nationalheld/ Das Unternehmen der Wega Bd. 18: Achterloo. Achterloo I. Rollenspiele. Achterloo IV. Bd.19: Aus den Papieren eines Wärters Bd. 20: Der Richter und sein Henker/Der Verdacht Bd. 21: Der Hund/Der Tunnel/Die Panne Bd. 22: Grieche sucht Griechin/Mister X macht Ferien/Nachrichten über den Stand des Zeitungswesens in der Steinzeit Bd. 23:Das Versprechen/Aufenthalt in einer kleinen Stadt Bd. 24: Der Sturz/Abu Chanifa und Anan ben David/Smithy/Das Sterben der Pythia Bd. 25: Justiz Bd. 26: Minotaurus/Der Auftrag/Midas Bd. 27: Durcheinandertal Bd. 28: Labyrinth. Stoffe I-III. Bd. 29: Turmbau. Stoffe IV-IX. Bd. 30: Theater. Essays, Gedichte und Reden Bd. 31: Kritik. Kritiken und Zeichnungen Bd. 32: Literatur und Kunst. Essays, Gedichte und Reden Bd. 33: Philosophie und Naturwissenschaft. Essays, Gedichte und Reden Bd. 34: Politik. Essays, Gedichte und Reden Bd. 35: Zusammenhänge/Nachgedanken Bd. 36: Versuche/Kants Hoffnung. Essays und Reden Bd. 37: Gedankenfuge/Der Pensionierte

Alami, Marita: Die Bildlichkeit bei Friedrich Dürrenmatt: computergestützte Analyse und Interpretation mythologischer und psychologischer Bezüge. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 1994 Allemann, Beda: Friedrich Dürrenmatt - Literatur und Theater. In: Söring, Jürgen und Flury, Jürg (Hrsg.): Hommage à Friedrich Dürrenmatt. Neuenburger Rundgespräch zum Gedächtnis des Dichters. Frankfurt/M. u.a.: Lang, 1991, S. 77-123. Allemann, Beda: Friedrich Dürrenmatt >Es steht geschrieben<. In: Benno von Wiese (Hrsg.): Das deutsche Drama vom Barock bis zur Gegenwart. Interpretationen. Bd. 2. Düsseldorf: Pädagogischer Verlag Schwann Bagel, 1958, S. 415-432. Améry, Jean: Friedrich Dürrenmatts politisches Engagement. Anmerkungen zum Israel-Essay >Zusammenhänge<. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H.56: Friedrich Dürrenmatt II., 1977, S. 41-48. Angermeyer, Hans Christoph: Zuschauer im Drama. Brecht, Dürrenmatt, Handke. Frankfurt/M.: Athenäum 1971 Arnold, Armin (Hrsg.): Zu Friedrich Dürrenmatt. (Literaturwissenschaft-Gesellschaftswissenschaft 60.), Stuttgart: Klett, 1982 Arnold, Armin: Die Quellen von Dürrenmatts Kriminalromanen. In: Gerhard P. Knapp; Gerd Labroisse (Hrsg.): Facetten. Studien zum 60. Geburtstag Friedrich Dürrenmatts. Bern: Lang 1981, S. 153- 174. Arnold, Armin: Friedrich Dürrenmatt. Berlin: Colloquium Verlag, 5. Erg. Neuaufl. 1984 Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 3. Auflage, Neufassung, 2003 Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 1980 Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 56., 1977 (2. erw. Aufl. 1984) Arnold, Heinz Ludwig: Die Entdeckung des Erzählens. Die Karriere des Prosa-Autors Friedrich Dürrenmatt. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 3. Auflage, Neufassung, 2003, S. 7-18. Arnold, Heinz Ludwig: Dramaturgie des Labyrinths. Zu Friedrich Dürrenmatts Gesamelten Werken. In: Neue Zürcher Zeitung, 31. Januar 1981 Arnold, Heinz Ludwig: Durcheinandertal. In: Keel, Daniel (Hrsg.): Über Friedrich Dürrenmatt; 4. erweiterte Auflage, Zürich: Diogenes, 1990, S. 358-362. Arnold, Heinz Ludwig: Dürrenmatt und die Schweiz. In: ders. (Hrsg.): Friedrich Dürrenmatt: Meine Schweiz. Zürich: Diogenes, 1998, S. 7-41. Arnold, Heinz Ludwig: Frieden und Krieg. Friedrich Dürrenmatts Passion. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 3. Auflage, Neufassung, 2003, S. 129- 150. Arnold, Heinz Ludwig: Friedrich Dürrenmatt und die Schweiz: Ein Panorama. In: Peter Rusterholz, Irmgard Wirtz (Hrsg.): Die Verwandlung der Stoffe als Stoff der Verwandlung. Friedrich Dürrenmatts Spätwerk. Berlin: Erich Schmidt, 2000, S. 23-40. Arnold, Heinz Ludwig: Maler Dürrenmatt. In: Schweizer Monatshefte. 61. Jg. H. 1. Jan. 1981, S. 41-46. Arnold, Heinz Ludwig: Querfahrt mit Dürrenmatt. Aufsätze und Vorträge. Zürich: Diogenes, 1998 Arnold, Heinz Ludwig: Theater als Abbild der labyrinthischen Welt. Versuch über den Dramatiker Dürrenmatt. In: ders. (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51., 1976, S. 19-29. Arnold, Heinz Ludwig: Weihnacht II. Zu Friedrich Dürrenmatts "Durcheinandertal". In: Schweizer Monatshefte 11 (1989), S. 935-937. Arnold, Heinz Ludwig: Zu Friedrich Dürrenmatt. Biographie. Dramaturgie. Geschichte der Dramatik und der Prosa. Analyse der Hauptwerke. Stuttgart: Reclam, 1982 Arnold, Heinz-Ludwig: Querfahrt mit Dürrenmatt. Göttingen: Wallstein 1990 Arzt, Gunther: Bemerkungen zu Friedrich Dürrenmatt: Die Panne - aus strafrechtlicher Sicht. In: Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht, Bd. 106, 1989, H. 1., S. 1-14. Auge, Bernhard: Die Welt als Chaos in Friedrich Dürrenmatts späten Prosa. Eine Untersuchung zu den labyrinthischen Weltbildern von `Justiz´, `Minotaurus´ und `Der Auftrag´. Magisterarbeit. (Johannes gutenberg-Universität, Mainz, Prof. W.Düsing), 1993 Bachmann, Dieter (Hrsg.): Friedrich Dürrenmatt (70). In: Du - Die Zeitschrift der Kultur (Zürich). H.1., 1991 Balkányi, Magdolna: >Stoffe I-III.<. In: Helikon, 30, 1984, S. 353-356. Balkányi, Magdolna: Der ironische Held - das Ende des Dramas? Tendenzen im dramatischen Schaffen Friedrich Dürrenmatts in den 70er Jahren. In: Német Filológiai Tanulmányok 14 (1980), S. 79- 99. Balkányi, Magdolna: Dürrenmatt in Ungarn. In: Text und Kontext. Nr. 11 (1983), S. 316-323. Banz, Stefan: »Ich mag heute keine Gespenster sehen«. Friedrich Dürrenmatts »Midas oder die Schwarze Leinwand«. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 3. Auflage, Neufassung, 2003, S. 216-221. Bänziger, Hans: Die Gerichte und das Gericht von Alfredo Traps in einer ländlichen Villa. In: Knapp, Gerhard P. (Hrsg.): Friedrich Dürrenmatt. Heidelberg: Stiehm, 1976, S. 218-232. Bänziger, Hans: Frisch und Dürrenmatt: Materialien und Kommentare. Tübingen: Niemeyer, 1987 Bark, Joachim: >Pilatus< und das Etikett des christlichen Dichters. In: Knapp, Gerhard P. (Hrsg.): Friedrich Dürrenmatt. Heidelberg: Stiehm, 1976, S. 53-68. Bauer, Elisabeth: Die Gerichtsthematik im Werk von Friedrich Dürrenmatt. München: tuduv- Verlagsgesellschaft, 1990 Becker, Maria: Begegnungen, Erinnerungen. In: Friedrich Dürrenmatt: Schriftsteller und Maler. Schweizerisches Literaturarchiv, Bern, 1994, S. 156-158. Bellwinkel, Hans Wolfgang: Dürrenmatt und die Naturwissenschaften. In: Gesnerus: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften. Vol. 52 (1995), S. 209-246. Benn, Gottfried: Die Ehe des Herrn Mississippi. In: Der unbequeme Dürrenmatt. (Theater unserer Zeit 4), Basel: Basilius Presse, 1962, S. 31-33. Berg, Leo Wilhelm: Die Bildlichkeit und Symbolik im Prosawerk Friedrich Dürrenmatt. Diss. University of California, Riverside, 1971 Biedermann, Marianne: Vom Drama zur Komödie. Ein Vergleich des Dramas >Es steht geschrieben< mit der Komödie >Die Wiedertäufer<. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 1980, S. 73-85 Bloch, Peter André: "Achterloo" oder: Das Endspiel des dramatischen Helden. In: Söring, Jürgen und Flury, Jürg (Hrsg.): Hommage à Friedrich Dürrenmatt. Neuenburger Rundgespräch zum Gedächtnis des Dichters. Frankfurt/M. u.a.: Lang, 1991, S. 51-75. Bloch, Peter André: Die Panne. Das Zuendedenken einer Idee. In: Keel, Daniel (Hrsg.): Über Friedrich Dürrenmatt; 4. Erweiterte Auflage, Zürich: Diogenes, 1990, S. 226-240. Bloch, Peter André: Dürrenmatt als Maler und Zeichner des Labyrinths und des Grotesken. Gespräch. In: Schweizer Monatshefte (Zürich), 1994, H.6., S.26-33. Bolliger, Luis; Buchmüller, Ernst (Hrsg.): Play Dürrenmatt: Ein Lese- und Bilderbuch. Zürich: Diogenes/ Schweizer Fernsehen DRS, 1996 Böschenstein, Bernhard: Dürrenmatts Verhältnis zu Gedichten: Erinnerungen und Deutungen. In: Henriette Herwig, Irmgard Wirtz, Stefan Bodo Würffel: Lese-Zeichen. Semiotik und Hermeneutik in Zeit und Raum. Festschrift für Peter Rusterholz zum 65. Geburtstag. Tübingen, Basel: Francke, 1999, S. 441-448. Bossard, Walter: Der Kaiser als Hühnerzüchter. Romulus der Große und die Komödie der Macht. Mit einem Quellenverweis. In: Schweizer Monatshefte 2 (1998), S. 49-53. Böth, Wolfgang: Vom religiösen Drama zur politischen Komödie. Friedrich Dürrenmatts >Die Wiedertäufer< und >Es steht geschrieben<. Ein Vergleich. Frankfurt/M., Bern u.a.: Lang, 1979 Brandner, Véronique: Der andere Dürrenmatt: auf der Brücke zwischen zwei Welten. Frankfurt/M., Berlin u.a.: Lang 1993 Brock-Sulzer, Elisabeth: Dürrenmatt und die Quellen. In: Der unbequeme Dürrenmatt. (Theater unserer Zeit 4), Basel: Basilius Presse, 1962, S. 117-136. Brock-Sulzer, Elisabeth: Friedrich Dürrenmatt. Stationen seines Werkes. Zürich: Arche, 1960; Neuaufl. Zürich: Diogenes, (1973)1986 Bühler, Pierre: Gnadenlosigkeit? Christologische Figuren in den späten Werken Dürrenmatts. In: Peter Rusterholz, Irmgard Wirtz (Hrsg.): Die Verwandlung der Stoffe als Stoff der Verwandlung. Friedrich Dürrenmatts Spätwerk. Berlin: Erich Schmidt, 2000, S.161-178. Buri, Fritz: Der >Einfall< der Gnade bei Dürrenmatt. In: Der unbequeme Dürrenmatt. (Theater unserer Zeit 4), Basel: Basilius Presse, 1962, S. 35-69. Burkard, Martin: Dürrenmatt und das Absurde. Gestalt und Wandlung des Labyrinthischen in seinem Werk. (Zürcher germanische Studien), Bern, Berlin, Frankfurt u.a.: Lang, 1991 Burkard, Philipp: Als Gott über Gott schwätzen?! Das Verhältnis des späten Dürrenmatt zur Religion, untersucht am Text Selbstgespräch. In: Henriette Herwig, Irmgard Wirtz, Stefan Bodo Würffel: Lese-Zeichen. Semiotik und Hermeneutik in Zeit und Raum. Festschrift für Peter Rusterholz zum 65. Geburtstag. Tübingen, Basel: Francke, 1999, S.449-458. Burkard, Philipp: Eine Lebensgeschichte als Geschichte von ungeschriebenen Stoffen? Friedrich Dürrenmatts paradoxes Projekt der »Stoffe« im literaturgeschichtlichen Kontext der Autobiografie. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 3. Auflage, Neufassung, 2003, S. 47-60. Burkard, Philipp: Fiktion als Erkenntnis? Dürrenmatts Darstellung seines Wegs von der Philosophie zur Literatur im Stoffkomplex Das Haus. In: Peter Rusterholz, Irmgard Wirtz (Hrsg.): Die Verwandlung der Stoffe als Stoff der Verwandlung. Friedrich Dürrenmatts Spätwerk. Berlin: Erich Schmidt, 2000, S.129-143. Busch, Eberhard: Gespannte Beziehung. Friedrich Dürrenmatt und Karl Barth. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 3. Auflage, Neufassung, 2003, S. 183- 196. Carlsson, Anni: Das tanzende Ungeheuer. In: Tagesspiegel (Berlin), 28. 7. 1985 Christ, Richard: Varianten der Menschwerdung. Friedrich Dürrenmatt: "Gedankenfuge". In: Neue Deutsche Literatur 11 (1992), S. 135-139. Chudacoff, Helga: Der letzte Akt beim Schreiben hat begonnen. Doppelbegabung als Schriftsteller und Zeichner (mit Abb.). In: Die Welt (Hamburg), 1. 12. 1976 Delbrück, Hansgerd: Antiker und moderner Helden-Mythos in Dürrenmatts `ungeschichtlicher historischer Komödie´ `Romulus der Grosse´. In: German Quarterly 66 (1993) N.3., S. 291-317. Der unbequeme Dürrenmatt. (Theater unserer Zeit 4), Basel: Basilius Presse, 1962 Dick, Ernst S.: Dürrenmatts Dramaturgie des Einfalls. "Der Besuch der alten Dame" und "Der Meteor". In: Herbert Mainusch (Hrsg.): Europäische Komödie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1990, S. 389-435. Donald, Sydney G.: "Of mazes, men and minotaurs: Friedrich Dürrenmatt and the myth of the labyrinth". In: Modern German Studies. 1986/87, H. 14, S. 187-231. Dossier Friedrich Dürrenmatt. Die Entstehung des Spätwerks. In: Quarto (1996) H.7., S. 25-119. Drotsky, Johannes Gottfried: The Atlasfigure in the Dramatic Works of Friedrich Duerrenmatt. Dissertation (in Afrikaans), Universität Pretoria, Südafrika, 1994 Durzak, Manfred: Dramaturgie des Labyrinths - Dramaturgie der Phantasie. Friedrich Dürrenmatts dramentheoretische Position. In: Arnold, Armin (Hrsg.): Zu Friedrich Dürrenmatt. (Literaturwissenschaft-Gesellschaftswissenschaft 60.), Stuttgart: Klett, 1982, S. 173-186. Durzak, Manfred: Dürrenmatt, Frisch, Weiss. Deutsches Drama der Gegenwart zwischen Kritik und Utopie. Stuttgart: Kohlhammer 1972 Duwe, Wilhelm: Friedrich Dürrenmatts Epik - Friedrich Dürrenmatts Dramatik. In: ders.: Deutsche Dichtung des 20. Jahrhunderts vom Naturalismus zum Surrealismus. Bd. 2. Zürich: Orell Füssli 1962 Emmel, Hildegard: Vom Lachen des Weisen - Friedrich Dürrenmatts Entscheidung für die Komödie. In: Angela Bader (Hrsg.): Lachspiel und Lachkultur: Beiträge zur Literatur- und Sprachgeschichte. Rolf Bauer zum 60. Geburtstag. (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 300.) S. 437-450. Emter, Elisabeth: Friedrich Dürrenmatt: Dramaturgie des Unwahrscheinlichen. In: ders.: Literatur und Quantentheorie: Die Rezeption der modernen Physik in Schriften zur Literatur und Philosophie deutschsprachiger Autoren (1925-1970). Berlin, New York: de Gruyter, 1995, S. 218-270. Emter, Elisabeth: Geschichte der Stoffe als Geschichte des Denkens. Dürrenmatts Gedankenexperiment Die Brücke im Kontext der modernen Physik. In: Peter Rusterholz, Irmgard Wirtz (Hrsg.): Die Verwandlung der Stoffe als Stoff der Verwandlung. Friedrich Dürrenmatts Spätwerk. Berlin: Erich Schmidt, 2000, S.77-90. Friedrich Dürrenmatt: Schriftsteller und Maler. Hrsg. Vom Schweizerischen Literaturarchiv/Bundesamt für Kultur und Kunsthaus Zürich. (Ausstellungskatalog zu den Ausstellungen in Bern und Zürich) Bern, Zürich 1994 Friedrich Dürrenmatts Ödipus heißt Möbius. In: Life Magazin. 57 (20.11.1964) Nr. 21, S.92-97. Fringeli, Dieter: Das Labyrinth ist kein Gleichnis. In: ders: Dichter im Einsatz. Zürich: Benziger 1991 Fritsch, Gerolf: Die Welt als Labyrinth. Friedrich Dürrenmatts >Minotaurus< als Beispiel. In: Neue Zürcher Zeitung, 31. 3. 1989 Fritsch, Gerolf: Labyrinth und Grosses Gelächter - Die Welt als "Durcheinandertal". Ein Beitrag zu Friedrich Dürrenmatts grotesker Ästhetik. In: Diskussion Deutsch. 1990, H. 12., S. 652-670. Gaiser, Konrad: Das Höhlengleichnis. Thema und Variation von Platon bis Dürrenmatt. In: Schweizer Monatshefte 65/I (1985), S. 57-63. Gallati, Ernst: >Herkules und der Stall des Augias<: Mythos, Parodie und Poesie. In: Arnold, Armin (Hrsg.): Zu Friedrich Dürrenmatt. (Literaturwissenschaft-Gesellschaftswissenschaft 60.), Stuttgart: Klett, 1982, S. 110-123. Gasser, Peter: Das Labyrinth der Einsamkeit. Zu Friedrich Dürrenmatts Ballade Minotaurus. In: Nouvelle Revue Neuchâteloise 65 (2000), S. 104-128. Gerber, Stephan: Die Welt als Labyrinth. Eine Entwicklung. Zur Prosa von Friedrich Dürrenmatt. [Unpubl. Liz.-arbeit], Bern: bei Prof. Hans Jürg Lüthi, 1988 Giroud, Françoise: »Labyrinth«. In: du. Die Zeitschrift der Kultur (Zürich). 1. 1991, S. 70-72. Gobat, Laurent, Gobat; Schlup, Michel (Hrsg.): Visites à Friedrich Dürrenmatt. Etudes et témoignages. Zu Besuch bei Friedrich Dürrenmatt. Betrachtungen und Erinnerungen. Nouvelle Revue Neuchâteloise 65 (2000) Göbel, Gunter: Annäherung an Friedrich Dürrenmatts » Stoffe I-III.«. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H.56: Friedrich Dürrenmatt II., 1977, 1984, S. 8-29. Goertz, Heinrich: Friedrich Dürrenmatt. (rororo-monographien 380.) Reinbek: Rowohlt, 1987 Graeser-Isele, Eva-Maria: Mythologische Orte als Lebensmuster? Der Weg von Dürrenmatts Erzählung `Die Stadt´ (1946) zur Ballade `Minotaurus´ (1985). In: Gymnasium: Zeitschrift für Kultur der Antike und humanistische Bildung. Bd. 94/1987, H.6, S. 539-552. Graf, Heidrun: Warum Dürrenmatt den Sokrates liebte. In: Basler Magazin (Basler Zeitung). Nr. 14., 9.4.1994, S. 8. Grimm, Christa: Gedankenexperimente: Die Brücke und Der Auftrag. In: Peter Rusterholz, Irmgard Wirtz (Hrsg.): Die Verwandlung der Stoffe als Stoff der Verwandlung. Friedrich Dürrenmatts Spätwerk. Berlin: Erich Schmidt, 2000, S.197-208. Grimm, Reinhold: Intertextualitäten: Einige Beispiele aus Dürrenmatts später Schaffenszeit. In: Peter Rusterholz, Irmgard Wirtz (Hrsg.): Die Verwandlung der Stoffe als Stoff der Verwandlung. Friedrich Dürrenmatts Spätwerk. Berlin: Erich Schmidt, 2000, S.91-106. Grimm, Reinhold: Parodie und Groteske im Werk Dürrenmatts. In: Der unbequeme Dürrenmatt. (Theater unserer Zeit 4), Basel: Basilius Presse, 1962, S.71-96. Große, Wilhelm: Friedrich Dürrenmatt. UB 15214 (Literaturwissen für Schule und Studium); Stuttgart: Reclam, 1998 Große, Wilhelm: Friedrich Dürrenmatts "Romulus der Große". Interpretation. (Oldenbourg Interpretationen 47) München: Oldenbourg, 1990 Grossen, Gaby: Sprach- und Denkstrukturen von Kierkegaard, Platon und Kant in Friedrich Dürrenmatt: "Die Stadt". Lizentiatsarbeit (Uni Bern, Prof. Rusterholz), 1997 Grossen-Dalang, Gaby: `Die Schweiz - ein Gefängnis´. Rhetorische Struktur und Analyse der gefängnis- Parabel in Friedrich Dürrenmatts Rede auf Vaclav Havel am 22. November 1990. Seminararbeit. (Uni Bern, Prof. Rusterholz), 1993 Gsteiger, Manfred: Der Weltuntergang bei Ramuz und Dürrenmatt. In: Nouvelle Revue Neuchâteloise 65 (2000), S. 129-134. Gsteiger, Manfred: Friedrich Dürrenmatt - Ein Berner bei den Welschen. In: Söring, Jürgen und Flury, Jürg (Hrsg.): Hommage à Friedrich Dürrenmatt. Neuenburger Rundgespräch zum Gedächtnis des Dichters. Frankfurt/M. u.a.: Lang, 1991, S. 9-23. Guthke, Karl S.: Friedrich Dürrenmatt: >Der Besuch der alten Dame<. In: Brauneck, Manfred (Hrsg.): Das deutsche Drama vom Expressionismus bis zur Gegenwart. Bamberg: C.C. Buchner, 3. Aufl. 1977, S. 241-249. Haberkamm, Klaus: Friedrich Dürrenmatt: Komödie als schlimmstmögliche Wendung. Bericht über einen Lektürekurs. In: Helmut Arntzen (Hrsg.): Komödien-Sprache. (Literatur als Sprache 5), Münster: Aschendorff, 1988, S. 165-169. Harweg, Roland: Formen der Einbettung von Dialogwiedergaben in Erzähltexten. In: Weigand, Edda; Hundsnurscher, Franz (Hrsg.): Dialoganalyse II: Referate der 2. Arbeitstagung, Bochum 1988. Tübingen, Niemeyer 1988, Bd. 1., S. 43-58. Helbling, Robert E.: `I Am a Camera´: Friedrich Dürrenmatt´s `Der Auftrag´. In: Seminar: A Journal of German Studies 24 (1988), Nr. 2., S. 178-181. Helbling, Robert E.: >Frank der Fünfte<. Eine kritische Bilanz der Gangsterbank nach über zwanzig Jahren. In: Arnold, Armin (Hrsg.): Zu Friedrich Dürrenmatt. (Literaturwissenschaft- Gesellschaftswissenschaft 60.), Stuttgart: Klett, 1982, S.85-96. Hess-Lüttich, Ernest W.B.: TheaterTextTheorie. Dramatische Kommunikation bei Dürrenmatt und Jelinek. In: Henriette Herwig, Irmgard Wirtz, Stefan Bodo Würffel: Lese-Zeichen. Semiotik und Hermeneutik in Zeit und Raum. Festschrift für Peter Rusterholz zum 65. Geburtstag. Tübingen, Basel: Francke, 1999, S.407-430. Heuberger, Vera: "…ob der Geist imstande sei, die Welt als Stoff zu ändern…": Untersuchungen zu Darstellungsformen und Denkstrukturen in Friedrich Dürrenmatts "Stoff IX, Das Hirn". Lizentiatsarbeit (Uni Bern, Prof. Rusterholz), Nov. 1997 Hg.: Alles zu Gold? »Midas« von Friedrich Dürrenmatt. In: Neue Zürcher Zeitung, 23. 4. 1991 Hinck, Walter: Ein Bewohner des Labyrinths. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 19. 9. 1981 Hinck, Walter: Minotaurus. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. 5. 1985 Hoffmann, Fernand: Friedrich Dürrenmatt (1921-1991) - Zweifelnd, verzwifeltes Gottsuchertum voll paradoxer Hoffnung. In: Joseph Bättig; Stephan Leimgruber (Hrsg.): Grenzfall Literatur: die Sinnfrage in der moderner Literatur der viersprachigen Schweiz. Freiburg, Schweiz: Universitätsverlag/Paulusverlag, 1993, S. 306-319. Hoffmann-Allenspach, Tobias: Theaterkritiken in der deutschsprachigen Schweiz. Das schweizerische Presseecho auf die Uraufführung von Friedrich Dürrenmatts "Romulus der Große". In: Schweizer Theaterjahrbuch 59 (1998) (Materialien des Instituts für Theaterwissenschaft, Bern, 6), S. 103-109. Huder, Walter: Friedrich Dürrenmatt oder Die Wiedergeburt der Blasphemie. In: ders.: Von Rilke bis Cocteau: 33 Texte zu Literatur und Theater im 20. Jahrhundert. Mit einem Nachwort von Werner Mittenzwei. Berlin: ed. q. 1992, S. 354-362. Irmscher, Hans Dietrich: Das Schachspiel als Metapher. Bemerkungen zum »komödiantischen Denken« Friedrich Dürrenmatts. In: ders., Werner Keller (Hrsg.): Drama und Theater im 20. Jahrhundert. Festschrift für Walter Hinck. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1983 Jakolsky, Helmut: Das Labyrinth: Symbol für Angst, Wiedergeburt und Befreiung. Stuttgart: Kreuz- Verlag, 1994 [v.a. Kapitel 11: »Gefängnis« zum Labyrinth bei Dürrenmatt.] Jambor, Ján: Labyrinth, Spiegel, Tanz - drei zentrale Bilder in Dürrenmatts Minotaurus. In: Berger, M., Krolop, K., Papsonová, M. (Hrsg.): Brücken. N.F. 5.: Germanistisches Jahrbuch Tschechien - Slowakei, Berlin, Prag, Presov: brücken-Verlag, 1997, S. 293-317. Jauslin, Christian M.: Friedrich Dürrenmatt. Zur Struktur seiner Dramen. Diss. Zürich, 1964 Jenny, Urs: Friedrich Dürrenmatt. (Friedrichs Dramatiker des Welttheaters 6.), Seelze: Velber, 1965 Jost, Dominik: Vom Gelde. >Der Besuch der alten Dame<. In: Arnold, Armin (Hrsg.): Zu Friedrich Dürrenmatt. (Literaturwissenschaft-Gesellschaftswissenschaft 60.), Stuttgart: Klett, 1982, S. 71- 84. Kaiser, Joachim: Friedrich Dürrenmatt. In: ders.: Erlebte Literatur. Vom "Doktor Faustus" zum "Fettfleck". München: Piper, 1988, S. 177-182. Karter, Egon: Hommage an Friedrich den Großen. Basel: Karter, 1991 Käser, Rudolf: »Fernsehkameras ersetzten das menschliche Auge«. Friedrich Dürrenmatts Spätwerk im Spannungsfeld von Wissenschaftsgeschichte und Medientheorie. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 3. Auflage, Neufassung, 2003, S. 167- 182. Keel, Daniel (Hrsg.): Herkules und Atlas. Lobreden und andere Versuche über Friedrich Dürrenmatt zum siebzigsten Geburtstag. Zürich: Diogenes, 1990 Keel, Daniel (Hrsg.): Über Friedrich Dürrenmatt; 4. Erweiterte Auflage, Zürich: Diogenes, 1990 Keller, Otto: Die Erlösertat des Theseus im Labyrinth und die Zusätze Friedrich Dürrenmatts zur antiken Sage: zu Friedrich Dürrenmatts `Dramaturgie des Labyrinths´. In: Quarto (1996) H.7., S. 103- 110. Keller, Otto: Die totalisierte Figur. Friedrich Dürrenmatts >Meteor< als Dokument eines neuen Denkens. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H.50/51. (2. Aufl., 1980), S. 43-56. Keller, Otto: Dürrenmatts neues Denken in den `Stoffen´. In: Bündner Zeitung, 5.10.1996 Keller, Otto: Kritik des aberländischen Denkens in Stoffe I: Der Winterkrieg in Tibet. Das Labyrinth: Weltgleichnis oder Epos einer neuen Aufklärung. Bern u.a.: Lang, 1999 Keller, Otto: Wiederholung als Äquivalenz und das Problem der Totalisierung. [Zur Dramaturgie des Labyrinths] In: Der unzitierbare Text. Ein Gespräch, initiiert von Peter V. Zima und hrsg. Von Alexander Schwarz. Bern u.a.: Lang, 1997, S. 33-40. Kerr, Charlotte: Die Frau im roten Mantel. München, Zürich: Piper, 1992 Kierkegaard, Sören: Über den Begriff der Ironie . Mit ständiger Rücksicht auf Sokrates. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1976 Kieser, Rolf: In eigener Sache. Friedrich Dürrenmatt und sein >Meteor<. In: Arnold, Armin (Hrsg.): Zu Friedrich Dürrenmatt. (Literaturwissenschaft-Gesellschaftswissenschaft 60.), Stuttgart: Klett, 1982, S. 124-135. Kiesewetter, Hubert: Karl Popper – Leben und Werk. Eichstätt, 2001 Kleist, Heinrich von: Sämtliche Werke. Brandenburger Ausgabe. Basel: Stroemfeld-Roter Stern. Ab 1992 Knapp, Gerhard P. (Hrsg.): Friedrich Dürrenmatt. Heidelberg: Stiehm, 1976 Knapp, Gerhard P.: Friedrich Dürrenmatt. Zweite, überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart, Weimar: Metzler, 1993 Knapp, Gerhard P.: Play Dürrenmatt. Ein Beitrag zur kritischen Dramaturgie der spätsechziger Jahre am Beispiel der Strindberg-Adaption. In: Gerhard P. Knapp; Gerd Labroisse (Hrsg.): Facetten. Studien zum 60. Geburtstag Friedrich Dürrenmatts. Bern: Lang 1981, S. 25-41. Knapp, Gerhard P.: Spektakulärer Totalbankrott des Einzelkämpfers: Friedrich Dürrenmatts Komödie `Der Meteor´. In: Freund, Winfried (Hrsg.): Deutsche Komödien. München:Fink, 1988, S. 267- 281. Knapp, Gerhard P.; Labroisse, Gerd (Hrsg.): Facetten. Studien zum 60. Geburtstag Friedrich Dürrenmatts. Bern: Lang 1981 Knapp, M./ Knapp, Gerhard P.: Recht - Gerechtigkeit - Politik. Zur Genese der Begriffe im Werk Friedrich Dürrenmatts. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 56., 1977, S. 23-40. Knapp, M.: Die Verjüngung der alten Dame. Zur Initialrezeption Dürrenmatts in den Vereinigten Staaten. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H.56, 1977, S. 58-66. Knopf, Jan: Das "verfluchte Altern" oder Dürrenmatt und Brecht. In: Sinn und Form. 1987, H. §, S. 635- 639. Knopf, Jan: Der Dramatiker Friedrich Dürrenmatt. Berlin: Henschel, 1987 Knopf, Jan: Friedrich Dürrenmatt. 4. neubearbeitete Auflage, München: Beck, 1988 Knopf, Jan: Friedrich Dürrenmatt: »Die Physiker«. Apokalyptisches Narrenspiel. In: Dramen des 20. Jahrhunderts. Bd. 2. Stuttgart: Reclam, 1996, S. 109-125. Knopf, Jan: Sprachmächtigkeiten. In: Gerhard P. Knapp; Gerd Labroisse (Hrsg.): Facetten. Studien zum 60. Geburtstag Friedrich Dürrenmatts. Bern: Lang 1981, S.61-81. Knopf, Jan: Theatrum mundi. Sprachkritik und Ästhetik bei Friedrich Dürrenmatt. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 1976, S. 30-40. Kohler, Georg: Worin besteht das ethische Minimum kleinstaatlicher Realpolitik. [Kurz-Kommentar zu Das gemästete Kreuz] In: Scheitert die Schweiz? Eine szenische Befragung von Georg Kohler. [Buch zur Veranstaltungsreihe im Zürcher Schauspielhaus], S. 154-155. Zürich: Selbstverlag, 1998 Krättli, Anton: »Als Dramatiker bin ich ein unvermeidliches Mißverständnis«. Dürrenmatts Abschied vom Theater. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 3. Auflage, Neufassung, 2003, S. 222-233. Krättli, Anton: Bild und Prozess: Friedrich Dürrenmatt - Schriftsteller und Maler. In: Söring, Jürgen und Flury, Jürg (Hrsg.): Hommage à Friedrich Dürrenmatt. Neuenburger Rundgespräch zum Gedächtnis des Dichters. Frankfurt/M. u.a.: Lang, 1991, S. 153-169. Krättli, Anton: Die Vision verführt zum Schreiben: im Blick auf `Turmbau, Stoffe IV-IX´. In: Schweizer Monatshefte 71 (1991), S. 35-42. Krättli, Anton: Friedrich Dürrenmatt 1921-1990. In: Lothar Gall (Hrsg.): Die großen Deutschen unserer Epoche. Berlin, Frankfurt/M: Propyläen und Ullstein, 1995, S. 607-619. Krättli, Anton: Friedrich Dürrenmatt. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Kritisches Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Bd. 3., München, 1987 Kreis, Rudolf: Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker. In: ders.: Dichtung und Umwelt. Von Gilgamesch bis zu den "Physikern"; Das Sprachkunstwerk zwischen Erde, Leib und Geist. Frankfurt/M. u.a.: Lang, 1989, S. 275-293. Künzi, Katrin: Endspiele. Dürrenmatts späte »schwarze Bilder«. In: Friedrich Dürrenmatt: Bilder und Zeichnungen. Fondation Saner Studen, 1996, S. 25-37. Kurzenberger, Hajo: Theater der Realität als Realität des Theaters. Zu Friedrich Dürrenmatts Dramenkonzeption. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51., 1976, S. 53-64. Labroisse, Gerd: Die Alibisierung des Handelns in Dürrenmatts >Der Besuch der alten Dame<. In: Gerhard P. Knapp; Gerd Labroisse (Hrsg.): Facetten. Studien zum 60. Geburtstag Friedrich Dürrenmatts. Bern: Lang 1981, S. 207-223. Lacan, Jacques : „Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion”. In: ders. Schriften I. Paris: Quadriga (4. Aufl.) 1996 Liechti, Anna: Der Blinde. Dürrenmatts Auseinandersetzung mit der Dialektischen Theologie von Karl Barth. Seminararbeit (Uni Bern, Prof. Rusterholz), 1993 Liechti, Anna: Deus absconditus: Karl Barth und Friedrich Dürrenmatt: Die Relevanz der Dialektischen Theologie für die frühe Prosa. Lizentiatsarbeit. (Uni Bern, Prof. Rusterholz), 1995 Liechti, Anna: Drei Männer vor Gericht: Dürrenmatts Auseinandersetzung mit der dialektischen Theologie. In: Quarto (1996) H.7., S. 111-118. Liechti, Hans: Meine Begegnungen mit Friedrich Dürrenmatt. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 3. Auflage, Neufassung, 2003, S. 151-160. Liechti, Hans: Von einem Zäzisviler an einen Konolfinger. Erinnerungen an meinen Freund Fritz. In: Friedrich Dürrenmatt: Bilder und Zeichnungen. Fondation Saner Studen, 1996, S. 9-27. Loetscher, Hugo: Requiem auf den Kriminalroman? In: du (Zürich), 18. Dez. 1958, S. 102. Losch, Bernhard: Friedrich Dürrenmatt - `Die Gerechtigkeit ist etwas Fürchterliches´. In: Neue Juristische Wochenschrift 1989, H. 6., S. 343-349. Lüthy, Hans A.: Zu malenden Dichtern und dichtenden Maler. In: Friedrich Dürrenmatt: Bilder und Zeichnungen. Fondation Saner Studen, 1996, S. 38-40. Madler, Herbert Peter: Wortwitz und Aphorismus im Drama Friedrich Dürrenmatts. In: Gerhard P. Knapp; Gerd Labroisse (Hrsg.): Facetten. Studien zum 60. Geburtstag Friedrich Dürrenmatts. Bern: Lang 1981, S. 117-151. Maharens, Gerwin: Friedrich Dürrenmatts >Die Ehe des Herrn Mississippi<. In: Knapp, Gerhard P. (Hrsg.): Friedrich Dürrenmatt. Heidelberg: Stiehm, 1976, S. 93-124. Maier, René: Friedrich Dürrenmatt: Stoffe. Der Tod des Sokrates. Eine textsemiotische Betrachtung. (Lizentiatsarbeit, Zürich), 1993 Maltzan, Carlota von: Bemerkungen zur Macht in Dürrenmatts "Der Besuch der alten Dame". In: `Acta Germanica´, 1988, H. 19., S. 123-135. Marsch, Edgar: Friedrich Dürrenmatts Kriminalerzählungen. In: ders.: Die Kriminalerzählung: Theorie - Geschichte - Analyse. München: Winkler 1983 (2. Ausg.), S. 249-281. Matt, Peter von: Von Bildern heimgesucht: zu Friedrich Dürrenmatt. In: ders.: Der Zwiespalt der Wortmächtigen: Essays zur Literatur. Zürich: Benziger, 1991, S. 88-94. Maurer, Karl: Von der Schwierigkeit, das Werk doch noch zu Ende zu führen: Dante, Goethe, Balzac, Dürrenmatt. In: Söring, J. (Hrsg.): Die Kunst zu enden. Frankfurt/M.: Haupt, 1990, S. 27-64. Mayer, Hans: Dürrenmatt und Brecht oder die Zurücknahme. In: Der unbequeme Dürrenmatt. (Theater unserer Zeit 4), Basel: Basilius Presse, 1962, S. 97-116. Mayer, Hans: Frisch und Dürrenmatt. Erw. u. veränderte Aufl. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1992 Meyer, Jürgen: Allegorien des Wissens: Flann o´Brians "The Third Policeman" und Friedrich Dürrenmatts "Durcheinandertal" als `ironische Kosmographien´. Diss. Freiburg i. Br., 1999 Meyer, Jürgen: Vom "Tell"-Tale zum Durcheinander-telling. Ein Versuch über Dürrenmatts letzten Roman Durcheinandertal. In: Peter Rusterholz, Irmgard Wirtz (Hrsg.): Die Verwandlung der Stoffe als Stoff der Verwandlung. Friedrich Dürrenmatts Spätwerk. Berlin: Erich Schmidt, 2000, S.107-128. Michaels, Jennifer E.: Vom >Romulus< zum >Engel<. In: Arnold, Armin (Hrsg.): Zu Friedrich Dürrenmatt. (Literaturwissenschaft-Gesellschaftswissenschaft 60.), Stuttgart: Klett, 1982, S. 54- 70. Mitrache, Liliana: Intertextualität und Phraseologie in den drei Versionen der Panne von Friedrich Dürrenmatt: Aspekte von Groteske und Ironie. (Diss.) Uppsala, 1999 Müller, Rolf: Komödie im Atomzeitalter. Gestaltung und Funktion des Komischen bei Friedrich Dürrenmatt. (Europäische Hochschulschriften 1050), Frankfurt/M.: Lang, 1988 Müller, Simone: Blind sein wie Ödipus: Friedrich Dürrenmatt: "Das Sterben der Pythia". Annäherung an eine komplexe Textwirklichkeit. Lizentiatsarbeit (Uni Bern, Prof. Rusterholz), März 1996 Müller-Farguell, Roger W.: Durch einander: Dürrenmatt und Kierkegaard. In: Schweizer Monatshefte 74 (1994), H. 6., S. 23-26. Müller-Farguell, Roger W.: Zur Dramaturgie aporetischen Denkens. Dürrenmatt und Kierkegaard. In: Romey Sabalius: Neue Perspektiven zur deutschsprachigen Literatur der Schweiz. (Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, Bd. 40.) Amsterdam: Atlanta, 1997, S. 153-165. Nagel, Bert: Friedrich Dürrenmatt und Franz Kafka. In: Modern Austrian Literature. 1987. H. 20, S. 37- 51. Naumann, Dietrich: Kriminalroman und Dichtung. In: Vogt, Jochen (Hrsg.): Der Kriminalroman II: Zur Theorie und Geschichte der Gattung. München: Fink 1971 (UTB), S. 473-483. Niederer, Ueli: Grotesken zum wahren Ende. Neuerlicher Versuch über Dürrenmatts Kriminalromane. In: die horen. 1989, H. 154., S. 61-71. Oberle, Werner: Grundsätzlliches zum Werk Friedrich Dürrenmatts. In: Der unbequeme Dürrenmatt. (Theater unserer Zeit 4), Basel: Basilius Presse, 1962, S.9-29. Obermayer, August: Dürrenmatts "Besuch der alten Dame" als theatrum mundi. In: Walter Veit (Hrsg.): Antipodische Aufklärungen. Festschrift für Leslie Bodi. Frankfurt/M.: Lang, 1987, S. 323-332. Obermayer, August: Dürrenmatts Drama Die Physiker im Spannungsfeld von Modernität und Tradition. In: Kerry Dunne, Ian R. Campbell (Hrsg.): Untravelling the Labyrinth: Decoding Taxt and Language: Festschrift for Eric Lowson Marson. Bern u.a.: Lang, 1997, S. 87-95. P. Wd.: »Das Ursprüngliche ist stets das Bild«. Ausstellung Friedrich Dürrenmatt in Neuenburg. In: Neue Zürcher Zeitung. 19. 9. 1985 Park, Jung-Nam: Die theatralische Unsterblichkeit in Friedrich Dürrenmatts späten Komödien `Der Meteor´-`Play Strindberg´-`Die Frist´. Magisterarbeit (Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.) 1995 Peters, Jürgen: Das Labyrinth als Welt. In: Frankfurter Rundschau, 1. 2. 1986 Popper, Karl R.: Ausgangspunkte. Meine intellektuelle Entwicklung. (1979). 4. Aufl. Hamburg, 1987 Popper, Karl R.: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Bd. 1. Der Zauber Platons. 8. Auflage. Tübingen: Mohr Siebeck, 2003 Poser, Therese: Friedrich Dürrenmatt. In: Geisler, Rolf (Hrsg.): Zur Interpretation des modernen Dramas. Brecht, Dürrenmatt, Frisch. Frankfurt/M.: Diesterweg, 1959, S. 67-96. Probst, Rudolf: Assoziation und Erinnerung. Zur Querfahrt-Metapher in Friedrich Dürrenmatts Stoffen. In: Henriette Herwig, Irmgard Wirtz, Stefan Bodo Würffel: Lese-Zeichen. Semiotik und Hermeneutik in Zeit und Raum. Festschrift für Peter Rusterholz zum 65. Geburtstag. Tübingen, Basel: Francke, 1999, S. 459-469. Probst, Rudolf: Autobiographische Konzepte in der Entwicklung von Friedrich Dürrenmatts Stoffen. In: Peter Rusterholz, Irmgard Wirtz (Hrsg.): Die Verwandlung der Stoffe als Stoff der Verwandlung. Friedrich Dürrenmatts Spätwerk. Berlin: Erich Schmidt, 2000, S.55-75. Probst, Rudolf: Die Komödie `Der Mitmacher´: Abschied vom Drama? In: Quarto (1996) H.7., S.39-58. Probst, Rudolf: Forschung im Literaturarchiv. Untersuchungen der Textgenese von Friedrich Dürrenmatts "Stoffen". In: Sichtungen. Archiv-Bibliothek-Literaturwissenschaft. Internationales Jahrbuch des Österreichischen Literaturarchivs. 1999 (2.Jg.). Zusammengestellt von Andreas Brandtner und Volker Kaukoreit. Wien: Turia + Kant, 1999, S. 155-164. Probst, Rudolf: Glauben und Wissen. Philosophische Aspekte in Dürrenmatts "Stoffen". Lizentiatsarbeit (Uni Bern, Prof. Rusterholz), Nov. 1994 Profitlich, Ulrich: Friedrich Dürrenmatt. In: Hartmut Steinecke (Hrsg.): Deutsche Dichter des 20. Jahrhunderts. Berlin: E. Schmidt, 1994, S. 652-663. Pulver, Elsbeth: Literaturtheorie und Politik. Zur Dramaturgie Dürrenmatts. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51., 1976, S. 41-52. Ranke, Wolfgang: [Kommentar zu] Theaterprobleme. In: Horst Turk (Hrsg.): Theater und Drama. Theoretische Konzepte von Corneill bis Dürrenmatt. Tübingen: Narr, 1992, S. 354-371. Ranke, Wolfgang: Adaptation und Intertextualität: Friedrich Dürrenmatts `König Johann´ und die Tradition der deutschen Shakespeare-Bearbeitung. In: Jahrbuch für internationale Germanistik 24 (1992) H. 1., S. 8-36. Rausch, Jens: Darstellung des Unfassbaren. Friedrich Dürrenmatts Weltgleichnis Der Winterkrieg in Tibet. Tübingen, Mai 1999 [Unpubl. Facharbeit bei J. Brummack] Reich-Ranicki, Marcel: Tohuwabohu. Dürrenmatts >Durcheinandertal<. In: Die Zeit (Hamburg), 10.10.1989 Reich-Raniczki, Marcel: Lieber, verehrter Herr Dürrenmatt. Ein Brief von 1981, kommentiert von Heinz Ludwig Arnold. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 3. Auflage, Neufassung, 2003, S. 161-166. Richter, Jochen H.: "Um ehrlich zu sein, ich habe nie viel von Kriminalromanen gehalten": über die Detektivromane von Friedrich Dürrenmatt. In: Düsing, Wolfgang (Hrsg.): Experimente mit dem Kriminalroman: ein Erzählmodell in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. (Studien zur deutschen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, 21), Frankfurt/M., Berlin u.a.: Lang, 1993, S. 141-153. Roelcke, Thorsten: Dramatische Kommunikation: Modell und Reflexion bei Dürrenmatt, Handke, Weiss. (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker; N. F. 107.), Berlin, New York: de Gruyter, 1994 Rohr, Kathrin von: Rebellion im Lab Friedrich Dürrenmattrinth. Textanalyse und -interpretation Der Rebell (Labyrinth, Stoffe I-III) von Friedrich Dürrenmatt. Lizentiatsarbeit (Uni Bern, Prof. Rusterholz), August 1999 rov.: So ein Mist! Dürrenmatts >Herkules und der Stall des Augias< im Nationalratssaal. In: Neue Zürcher Zeitung. 4. 5. 1991 Rüedi, Peter: "Über den Wäldern stehen die Sterne." Das Dorf, die Schweiz, die Welz: Friedrich Dürrenmatt und der Ort hinter dem Mond. In: Swiss, Made: Die Schweiz im Austausch mit der Welt. [Ausstellungskatalog] Darin: Manuskripte von Friedrich Dürrenmatt, Fotos, etc. Zürich: Scheidegger&Spiess, 1998, S. 187-196. Rüedi, Peter: Die Grenze, die Reise, die Heimkehr. Grundmotive im Werk Friedrich Dürrenmatts. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 3. Auflage, Neufassung, 2003, S. 98-128. Rüedi, Peter: Fast eine Freundschaft. In: ders.(Hrsg.): Max Frisch-Friedrich Dürrenmatt: Briefwechsel. Zürich: Diogenes, 1998. Rüedi, Peter: Friedrich Dürrenmatt und die Stoffe als Autobiographie des Als-Ob. In: Peter Rusterholz, Irmgard Wirtz (Hrsg.): Die Verwandlung der Stoffe als Stoff der Verwandlung. Friedrich Dürrenmatts Spätwerk. Berlin: Erich Schmidt, 2000, S.41-54. Rüedi, Peter: Weltwoche-Serie über Leben und Werk von F. Dürrenmatt. In: Weltwoche (Zürich). Nr. 51. 1990 - Nr. 11. 1991 (13 Teile). Rühle, Günther: Ein schwerer Fall: Dürrenmatts Komödie Der Mitmacher, Uraufführung in Zürich, In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.3.1973 Rusterholz, Peter: Aktualität und Geschichtlichkeit des Phantastischen am Beispiel von Friedrich Dürrenmatts Novelle "Der Auftrag". In: Wolfram Buddecke, Jörg Hienger (Hrsg.): Phantastik in Literatur und Film. (Kasseler Arbeiten zur Sprache und Literatur.) Frankfurt/M., Bern etc.: Lang, 1987, S. 163-186. Rusterholz, Peter: Differenzen der Geschlechter. Dürrenmatts »Mondfinsternis« und ihre Genese. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 3. Auflage, Neufassung, 2003, S. 61-72. Rusterholz, Peter: Durchgänge durchs Labyrinth: `Minotaurus´, `Der Auftrag´, `Durcheinandertal´. In: Quarto (1996) H.7., S. 92-103. Rusterholz, Peter: Metamorphosen des Minotaurus. Entmythologisierung und Remythologisierung in den späten Stoffen Dürrenmatts. In: Verena Ehrlich-Häfeli (Hrsg.): Antiquitates Renatae. Deutsche und französische Beiträge zur Wirkung der Antike in der europäischen Literatur. Festschrift für Renate Böschenstein zum 65. Geburtstag. Würzburg: Königshausen und Neumann, 1998, S. 323- 331. Rusterholz, Peter: Theologische und philosophische Denkformen und ihre Funktion für die Interpretation und Wertung von Texten Friedrich Dürrenmatts. In: Claudia Brinker et al. (Hrsg.): Contemplata allis tradere: Studien zum Verhältnis von Literatur und Spiritualität [Festschrift Alois Haas], Bern u. a.: Lang, 1995, S. 473-489. Rusterholz, Peter: Werkgenese: Auflösung oder Illumination des Werks? In: Peter Rusterholz, Irmgard Wirtz (Hrsg.): Die Verwandlung der Stoffe als Stoff der Verwandlung. Friedrich Dürrenmatts Spätwerk. Berlin: Erich Schmidt, 2000, S.13-22. Rusterholz, Peter; Wirtz, Irmgard (Hrsg.): Die Verwandlung der Stoffe als Stoff der Verwandlung. Friedrich Dürrenmatts Spätwerk. Berlin: Erich Schmidt, 2000 Schell, Maximilian im Gespräch mit Hans M. Eichenlaub, >Schweizer Radio DRS< 10. 3. 1993: Die Vielzahl der Möglichkeiten, von denen nur eine zur Wirklichkeit werden kann. In: play Dürrenmatt, S. 303-305; 304. Schell, Maximilian: Noch einmal Lachen lernen [zu Midas]. In: Die Welt (Hamburg), 24. 4. 1991 Schlappner, Martin: Friedrich Dürrenmatt und die ihm fremde Bildwelt des Films. In: play Dürrenmatt S. 148 – 150. Schmeling, Manfred: Der labyrinthische Diskurs. Vom Mythos zum Erzählmodell. Frankfurt/M.: Athenäum, 1987 Schmidhäuser, Eberhard: Verbrechen und Strafe: Ein Streifzug durch die Weltliteratur von Sophokles bis Dürrenmatt. München: Beck, 1995 (2. überarb. Aufl. München, Beck 1996) Schmitz, Heinz: Oedipus bei Dürrenmatt. Zur Erzählung >Das Sterben der Pythia<. In: Gymnasium (Heidelberg) 93, 1985, S. 199-208. Schmitz, Michael: Friedrich Dürrenmatts Aristophanes-Rezeption. Eine Studie zu den mutigen Menschen in den Dramen der 50er und 60er Jahre. St.Ottilien (Dissertationen, Philosophische Reihe 5), 1989 Schmitz-Emans, Monika: Dädalus als Minotaurus: zu Labyrinth-Motiv und Sprachreflexion bei Kafka und Dürrenmatt. In: Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge, 3 (1993) H. 3., S. 526-544. Schmitz-Emans, Monika: Dürrenmatts Räume. Literarische und visuelle Modelle. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 3. Auflage, Neufassung, 2003, S. 197-215. Schneider, Peter: Friedrich Dürrenmatt: Das Spiel. In: ders.: "… ein einzig Volk von Brüdern. Recht und Staat in der Literatur. Frankfurt/M.: Athenäum, 1987, S. 326-355. Schulte, Vera: Das Gesicht einer gesichtslosen Welt. Zu Paradoxie und Groteske in Friedrich Dürrenmatts dramatischem Werk. (Europäische Hochschulschriften I, 1002), Frankfurt/M.: Lang, 1987 Schuster, Ingrid: Dreimal >Die Panne<: Zufall, Schicksal oder »moralisches Resultat«? In: Arnold, Armin (Hrsg.): Zu Friedrich Dürrenmatt. (Literaturwissenschaft-Gesellschaftswissenschaft 60.), Stuttgart: Klett, 1982, S. 160-172. Schwilk, Heimo: Turmbau ins Nichts: Friedrich Dürrenmatts Alpträume. In: ders.: Wendezeit - Zeitenwende: Beiträge zur Literatur der achtziger Jahre. Bonn: Bouvier 1991, S. 114-118. Sevin; Dieter: Friedrich Dürrenmatts `Der Besuch der alten Dame´als Höhepunkt der Entwicklung eines Sujets im deutschsprachigen Drama. In: Romey Sabalius (Hrsg.): Neue Perspektiven zur deutschsprachigen Literatur der Schweiz. (Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik 40.), Amsterdam u.a.: Rodopi, 1997, S. 143-152. Shafi, Monika: Der Blick zurück in die Zukunft. Eine vergleichende Analyse von Friedrich Dürrenmatts "Der Winterkrieg in Tibet" und Christa Wolfs "Kassandra". In: Gerhard P. Knapp, Gerd Labroisse (Hrsg.): Wandlungen des Literaturbegriffs in den deutschsprachigen Ländern seit 1945. (Amsterdamer Beiträge zur Germanistik 27.), Amsterdam: Rodopi, 1988 Shoham, Chaim: >Der Besuch der alten Dame - der doppelte Besuch in Israel. Aspekte der Rezeption des Stückes. In: Gerhard P. Knapp; Gerd Labroisse (Hrsg.): Facetten. Studien zum 60. Geburtstag Friedrich Dürrenmatts. Bern: Lang 1981, S. 259-273. Sorg, Reto: Von Konolfingen nach Auschwitz. Topografie und Poetologie in den »Stoffen« Friedrich Dürrenmatts. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 3. Auflage, Neufassung, 2003, S. 36-46. Söring, Jürgen und Flury, Jürg (Hrsg.): Hommage à Friedrich Dürrenmatt. Neuenburger Rundgespräch zum Gedächtnis des Dichters. Frankfurt/M. u.a.: Lang, 1991 Söring, Jürgen: Weltgeschichte und Weltkomödie - Dürrenmatts Dramaturgie im Grundriss. In: Söring, Jürgen und Flury, Jürg (Hrsg.): Hommage à Friedrich Dürrenmatt. Neuenburger Rundgespräch zum Gedächtnis des Dichters. Frankfurt/M. u.a.: Lang, 1991, S. 25-49. Spycher, Peter: Friedrich Dürrenmatt. Das erzählerische Werk. Frauenfeld, Stuttgart: Hans Huber, 1972 Spycher, Peter: Friedrich Dürrenmatts >Meteor<. Analyse und Dokumentation. In: Knapp, Gerhard P. (Hrsg.): Friedrich Dürrenmatt. Heidelberg: Stiehm, 1976, S. 145-187. Spycher, Peter: Friedrich Dürrenmatts Israel-Essay. Religiöse Konzeption und Glaubensbekenntnis. In: Gerhard P. Knapp; Gerd Labroisse (Hrsg.): Facetten. Studien zum 60. Geburtstag Friedrich Dürrenmatts. Bern: Lang 1981, S. 243-257. Steinberger, Martina: Das Antike-Bild Friedrich Dürrenmatts. Diss. Salzburg, 1991 Stern, Martin: Lustiges Trauerspiel - tragische Komödie: Strukturen des Widersinnigen bei Hafner, Nestroy und Dürrenmatt. In: Angela Bader (Hrsg.): Lachspiel und Lachkultur: Beiträge zur Literatur- und Sprachgeschichte. Rolf Bauer zum 60. Geburtstag. (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 300.) S. 359-376. Stingelin, Martin: Allegorie der Rede. Herrscherlob als Demokratietadel in Friedrich Dürrenmatts Rede auf Václav Havel zur Verleihung des Gottlieb-Duttweiler-Preises. In: Josef Kopperschmidt, Helmut Schanze: Fest und Festrhetorik. Zur Theorie, Geschichte und Praxis der Epideiktik. München: Fink, 1999, S. 365-374. Strelka, Joseph: Friedrich Dürrenmatt. Die Paradox-Groteske als Wirklichkeitsbewältigung. In: ders.: Wege und Abwege des modernen Dramas. Wien 1962, S. 114-165. Stromsik, Jiri: Apokalypse komisch. In: Gerhard P. Knapp; Gerd Labroisse (Hrsg.): Facetten. Studien zum 60. Geburtstag Friedrich Dürrenmatts. Bern: Lang 1981, S. 41-59. Stumm, Reinhardt: Homo homini lupus - der Mensch ist des Menschen Wolf. Nachwort. In: Friedrich Dürrenmatt: Meistererzählungen. Mit einem Nachwort von Reinhardt Stumm. Zürich: Diogenes 1992 Stumm: Reinhardt: Die anderen »Stoffe«. »Justiz« - »Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters des Beobachters« - »Durcheinandertal«. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 3. Auflage, Neufassung, 2003, S. 87-97. Svoboda, Josef: Dürrenmatts Minotauren. In: Friedrich Dürrenmatt: Schriftsteller und Maler. Schweizerisches Literaturarchiv, Bern, 1994, S. 192. Tantow, Lutz: Franz Kafka und Friedrich Dürrenmatt. Eine Dramaturgie der Konfrontation. (Saarbrücker Beiträge zur Literaturwissenschaft), St. Ingbert: Röhrig, 1988 Tantow, Lutz: Friedrich Dürrenmatt und die ptolemäische Wende. In: Söring, Jürgen und Flury, Jürg (Hrsg.): Hommage à Friedrich Dürrenmatt. Neuenburger Rundgespräch zum Gedächtnis des Dichters. Frankfurt/M. u.a.: Lang, 1991, S. 125-152. Tantow, Lutz: Friedrich Dürrenmatt: Moralist und Komödiant. München: Heyne, 1992 Tantow, Lutz: Unwissend im Labyrinth. Der Mythos des Minotaurus. In: Saarbrücker Zeitung, 12.12.1985 Tiusanen, Timo: Über Dürrenmatts dramaturgische Mittel. In: Gerhard P. Knapp; Gerd Labroisse (Hrsg.): Facetten. Studien zum 60. Geburtstag Friedrich Dürrenmatts. Bern: Lang 1981, S. 103-116. Tschimmel, Ira: Kritik am Kriminalroman. In: Gerhard P. Knapp; Gerd Labroisse (Hrsg.): Facetten. Studien zum 60. Geburtstag Friedrich Dürrenmatts. Bern: Lang 1981, S. 175-190. Usmiani, Renate: Die Hörspiele Friedrich Dürrenmatts: Unerkannte Meisterwerke. In: Knapp, Gerhard P. (Hrsg.): Friedrich Dürrenmatt. Heidelberg: Stiehm, 1976, S. 125-144. Usmiani, Renate: Die späten Stücke >Porträt eines Planeten<, >Der Mitmacher<, >Die Frist<. In: Arnold, Armin (Hrsg.): Zu Friedrich Dürrenmatt. (Literaturwissenschaft-Gesellschaftswissenschaft 60.), Stuttgart: Klett, 1982, S. 136-139. Villiger Heilig, Barbara: Zauberspiele. Zwei Aufführungen in Rom [zu Josef Svobodas Bühnenfassung von »Minotaurus«]. In: Neue Zürcher Zeitung, 28.2. 1991 Violand-Hobi, Heidi E.: Friedrich Dürrenmatt´s Minotaur images. In: Source 3/4 (1992) S. 70-80. Wagener, Hans: Erläuterungen und Dokumente. Friedrich Dürrenmatt: Romulus der Große. In: Gerhard P. Knapp; Gerd Labroisse (Hrsg.): Facetten. Studien zum 60. Geburtstag Friedrich Dürrenmatts. Bern: Lang 1981 Walser, Robert: Es war einmal. Prosa aus der Berner Zeit 1927-1928. Bd. 19. Zürich/Frankfurt: Suhrkamp 1986, S. 191-193. Walter, Klaus-Peter: Friedrich Dürrenmatt: Durcheinandertal. Friedrich Dürrenmatt: Der Auftrag. In: Lexikon der Kriminalliteratur. Autoren, Werke, Aspekte. Grundwerk Juni 1993 Weber, Ueli: [Einleitung zu] Friedrich Dürrenmatt: Ein alltäglicher Mensch. In: Adrian Mettauer, Wolfgang Pross, Reto Sorg (Hrsg.): Berner Almanach. Bd. 2. Literatur., Bern: Stämpfli, 1998, S. 69-70. Weber, Ueli: Der Nachlaß Friedrich Dürrenmatts im Schweizerischen Literaturarchiv. In: Jahresbericht der Schweizerischen Landesbibliothek 78 (1991). Bern: SLB, 1992 Weber, Ueli: Friedrich Dürrenmatts literarischer Nachlaß. In: Quarto (1993) H. 1., S. 24-28. Weber, Ulrich: `Ob man sich selbst ein Stoff zu werden vermag?´: Kierkegaard und die Entwicklung des subjektiven Schreibens im`Mitmacher´-Komplex. In: Quarto (1996) H.7., S. 65-79. Weber, Ulrich: Chaos und Ordnung. Der Weg des jungen Dramatikers Friedrich Dürrenmatt. In: Nouvelle Revue Neuchâteloise 65 (2000), S.85-103. Weber, Ulrich: Elternsuche und Ideologiekritik. Die »Stoffe«-Erzählung »Der Rebell« und Dürrenmatts wiederholte Kassner-Lektüre. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 50/51. 3. Auflage, Neufassung, 2003, S. 73-86. Weber, Ulrich: Erinnerung und Variation: Die Beziehung der Stoffe zu Dürrenmatts früheren Werken. Die Mondfinsternis und Der Besuch der alten Dame. In: Peter Rusterholz, Irmgard Wirtz (Hrsg.): Die Verwandlung der Stoffe als Stoff der Verwandlung. Friedrich Dürrenmatts Spätwerk. Berlin: Erich Schmidt, 2000, S.179-195. Weber, Ulrich: Friedrich Dürrenmatt: `Mondfinsternis´und `Der Besuch der alten Dame´. In: Bernhard Fetz, Klaus Kastberger (Hrsg.): Der literarische Einfall: Über das Entstehen von Texten. Wien: Zsolay, 1998, S. 184-195. Weber, Ulrich: Friedrich Dürrenmatts Rekonstruktionen. Zum Zusammenhang von Poetik und Erkenntnistheorie in den Stoffen. In: Henriette Herwig, Irmgard Wirtz, Stefan Bodo Würffel: Lese-Zeichen. Semiotik und Hermeneutik in Zeit und Raum. Festschrift für Peter Rusterholz zum 65. Geburtstag. Tübingen, Basel: Francke, 1999, S.470-480. Wellnitz, Philipp: Dürrenmatt und das Europäische Theater. In: Schweizer Monatshefte 74 (1994), H. 6., S. 18-22. Wieckenberg, Ernst Peter: Dürrenmatts Detektivromane. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): text+kritik. Zeitschrift für Literatur. H. 56., 1977, S. 8-19. Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Erste Fassung. Frankfurt, Leipzig 1766 Wilhelm Wolfgang Schütz: Der Fall Sokrates. Eine Anklage. Mit Illustrationen von Hans Erni. Zürich: Arche, 1970 Winter, Michael: Friedrich Dürrenmatt - Positionen einer radikalen Aufklärung. In: Gerhard P. Knapp; Gerd Labroisse (Hrsg.): Facetten. Studien zum 60. Geburtstag Friedrich Dürrenmatts. Bern: Lang 1981, S. 9-39. Winter, Scarlett Christiane: Spielformen der Lebenswelt: Zur Spiel- und Rollenmotivik im Theater von Sartre, Frisch, Dürrenmatt und Genet. München: Fink, 1995 Wirsching, Johannes: `Von allen Seiten umgibst du mich…´: Eine theologische Auslegung zu Friedrich Dürrenmatt: Der Tunnel. In: ders: Glaube im Widerstreit: ausgewählte Aufsätze und Vorträge, Bd. 2, Frankfurt/M. 1993, S. 46-74. Wirtz, Irmgard: Die Verwandlungen des Engels. Von Dürrenmatts frühen Komödien zur späten Prosa Turmbau. In: Peter Rusterholz, Irmgard Wirtz (Hrsg.): Die Verwandlung der Stoffe als Stoff der Verwandlung. Friedrich Dürrenmatts Spätwerk. Berlin: Erich Schmidt, 2000, S.145-159. Wirtz, Irmgard: Dürrenmatts ungeschriebenes Drama `Der Tod des Sokrates´oder Die Geburt der Lebens- `Stoffe´ aus dem Sterben der Komödie. In: Quarto (1996) H.7., S. 80-91. Wirtz, Irmgard: Mit Minotaurus im Labyrinth? Eine semiotische Lektüre von Friedrich Dürrenmatts Labyrinth in Wort und Bild. In: Kodikas/Code. Ars semiotica 19 (1996) No. 4. S. 331-342. Wünsche, Thomas: "Versuch zu einem Grundriß" – Friedrich Dürrenmatt als Erkenntnistheoretiker. Diss. Hannover, 1996 Zingg, Martin: Wohin mit Dürrenmatt? In: Allmende 24/25 , Baden-Baden: Elster, 1989, S. 210f.