Thema. | Donnerstag, 25. August 2016 | Seite 3

Am besten, man bleibt sich selber treu. Als Kommunikationsberater sagt Patrick Rohr seinen Kunden, wie sie sich vor dem Publikum präsentieren und reden sollen. «Der Schweizer liebt das Understatement» Auch die Linke solle mehr Mut zu einfachen Botschaften haben, sagt Patrick Rohr – ein Gespräch über Rhetorik

Von Alessandra Paone und Martin Furrer ber bleiben. Wir aber beschneiden oft ist. Ich habe sowieso nicht den Ein- tisch, Leuenberger im Filigranen, Blo- Ziegler. Ich vermute, dass es mit der (Text), Jérôme Depierre (Fotos) unser eigenes Wesen, wenn wir auf- druck, dass sich einer der heute cher eher im Groben. Einfachheit der Botschaften zu tun treten. Mir fällt in meinen Kursen auf, amtierenden Bundesräte bei öffentli- Bei Christoph Blocher fällt auf: Überträgt hat. Ein Thema in seiner ganzen Kom- BaZ: Ihr Buch «Reden wie ein Profi» ist dass Leute sich häufig oft nur schon chen Auftritten verstellt. Ich man seine Dialekt-Sätze ins Deutsche, plexität zu vermitteln, ist rhetorisch ein Bestseller, das Thema interessiert physisch zurücknehmen: Sie ziehen wünschte mir aber etwa bei einem führen die Sätze oft ins Ungefähre. Man nicht attraktiv. Ich wünsche Links- offenbar. Wie erklären Sie sich das? die Schultern ein, dämpfen die Johann Schneider-Ammann, dass er fragt sich: Macht er das politisch bewusst, Grün mehr Mut zu einfachen Bot- Patrick Rohr: Hierzulande wurden Stimme, lassen die Hände hängen, ein paar wenige Dinge ändern würde. um gewisse Sachen offen zu lassen? schaften. Cédric Wermuth und Bas- die Rhetorik und die Kunst des Auf- um ja nicht den Eindruck zu erwe- Da sind wir jetzt aber gespannt. Mir fällt das bei Politikern oft auf: tien Girod können es. tritts in der Ausbildung lange ver- cken, sie seien laut oder prahlerisch. Wenn er bei Pflichtreden mit etwas Wenn man transkribiert, was sie im Neben der Rhetorik spielt die Erschei- nachlässigt. Ich zum Beispiel lernte in Wer sind diese Leute, die Rat suchen? mehr Mimik und mehr Enthusiasmus Dialekt gesagt haben, weiss man nung auch eine Rolle. Als vermeldet der Schule nicht, mich zu präsentie- Es sind breiteste Bevölkerungsschich- auftreten würde, könnte er nur nicht, was sie gesagt haben. Blochers wurde, Patrizia Laeri könnte Moderatin ren. Wenn die Leute dann ins ten. Kürzlich kam eine ältere Dame zu gewinnen. Die berühmte Ansprache Sätze enden tatsächlich oft im Nir- bei «10 vor 10» werden, warf man dem Geschäftsleben kommen, merken sie, mir, die erklärte, ihre Tochter habe sie zum Tag der Kranken – da hat er mir gendwo. Trotzdem gelingt es ihm, Schweizer Fernsehen Jugendwahn vor. wie wichtig es ist, sich selber oder gebeten, an ihrer Hochzeit eine leid getan. Man spürte, dass da eine seine Botschaft rüberzubringen. Blo- Man hat die Debatte am falschen sein Produkt zu verkaufen. Es gibt Ansprache zu halten, doch sie habe grosse Distanz war zwischen dem, cher ist ein gutes Beispiel dafür, dass Objekt losgetreten. Laeri ist 38 Jahre zwar viele Rhetorik-Ratgeber auf dem Angst davor, vor vielen Leuten aufzu- man als Redner durchaus etwas alt, eine gestandene Journalistin mit Markt, aber die meisten kommen aus treten. Kunden sind aber auch Wirt- grosszügig mit sich sein kann. Viele grossem Leistungsausweis, sie steht Deutschland oder Amerika. Mein schaftsführer vom Mittel- bis Top- «Mit mehr Mimik und Leute wollen ganz genau sein und mitten im Leben. Bei ihr stimmt ein- Buch hingegen ist ein ziemlich management und Politiker, Gemeinde- Enthusiasmus könnte jeden Satz präzis ausformulieren. fach alles: die Erscheinung, die Art, schweizerisches. räte, Stadträte. Schneider-Ammann Dadurch versteifen sie sich. wie sie formuliert und moderiert. Sie Schweizerisch – was heisst das? Auch Bundesräte? Schweizer Parlamentarier lesen ihre weiss, worüber sie redet. Jana Caniga, Wir Schweizer treten anders auf als Ich habe National- und Ständeräte nur gewinnen.» Voten in der Regel ab. Warum? eine der Gründermütter von «10 vor Amerikaner oder Deutsche: weniger beraten, aber noch keine Bundesräte. Im Parlament redet man nur noch für 10», war 29 Jahre alt, als sie vor die geschliffen und rhetorisch weniger Welchen Bundesrat würden Sie sich als was er sagte, und dem, was er zeigte. das Protokoll. Die Meinungen sind Kamera trat. Damals sprach niemand sattelfest. Kunden wünschen? Wenn es ihm gelungen wäre, den gemacht, die Kommission hat bereits von Jugendwahn. Ich war 27 Jahre Wie äussert sich das konkret? Da schweigt des Sängers Höflichkeit. Inhalt mehr zu seinem eigenen Inhalt entschieden. Die meisten Auftritte alt, als ich Moderator von «Schweiz Wir sind schwerfälliger, langsamer im Welcher Bundesrat könnte rhetorisch zu machen, wäre es beim Publikum sind nur für die Galerie. aktuell» wurde. Ich finde, die Jugend- Reden, zudem stellt uns das Hoch- etwas dazulernen? besser rübergekommen. Wer seine Die deutschen Bundestagsabgeordne- wahn-Debatte ist eine Anti-Frauen- deutsche vor gewaltige Probleme. Es hat brillante Rhetoriker im Bun- Rede verinnerlicht, wirkt glaubwür- ten sprechen hingegen druckreif. Debatte – nicht Laeris Alter verunsi- Hat jemand ein Manuskript auf Hoch- desrat. kom- diger. Wenn es bei Schneider- Das stimmt. Ich habe einmal eine chert, sondern ihr gutes Aussehen. deutsch geschrieben und versucht, muniziert hervorragend. Ammann aus dem tiefsten Innern Rede von Joschka Fischer gehört. Er Aber nochmals: Stellen Sie beim SRF den Inhalt im Dialekt wiederzugeben, Das erstaunt uns. herauskommt, kann er sogar selbst- hat eine Stunde lang über die EU refe- einen Jugendwahn fest? scheitert er oft kläglich. Denn Hoch- Ich findesie wirklich gut. ironisch sein und das Publikum fes- riert – ohne Manuskript. Jeder Satz Nein. Mir fällt aber auf, dass es kaum deutsch und Dialekt sind zwei ver- Warum? seln, ich habe das schon erlebt. In die- war druckreif. Brillant. In der Schweiz Anchors mehr gibt, die am Bildschirm schiedene Sprachen. Ich habe sie verschiedentlich an ser Beziehung der brillanteste Rheto- können das nur wenige. pensioniert werden. Ich fand Charles Gibt es weitere Unterschiede? Anlässen erlebt. Sie ist gewitzt, mit riker im Bundesrat war . Er Zum Beispiel? Clerc als Tagesschaumoderator super, Der Schweizer ist im Auftreten grund- gutem Schalk, aber auch handfest, schaffte es, jedes Thema zu seinem Ich fand Christine Egerszegi immer auch Heiri Müller und Helen Issler. sätzlich bescheidener als andere. Er konkret in der Aussage. Das gefällt eigenen Anliegen zu machen, man sehr gut. Sie hat sehr präzis formu- Oder Ueli Heiniger im «Zischtigs- hat nicht das Bedürfnis, allen zu zei- mir bei ihr. Ich halte auch Doris Leut- hatte beim Zuhören den Eindruck: Es liert. Was sie sagte, war klug. Auch club», der bis 65 mit grauem Haar gen, was für ein Siebensiech er ist. Er hard für eine hervorragende Rhetori- geht um sein Leben! Mario Fehr war als Nationalrat ein moderiert hat. Das hat mir gefallen. liebt das Understatement, er nimmt kerin: Sie ist humorvoll, selbstiro- Sie outen sich im Buch als Fan von alt brillanter Formulierer. Wen gibts Solche profilierte Persönlichkeiten, sich nicht so wichtig. nisch, sie verstellt sich nicht. Bundesrat . sonst noch? die am Bildschirm in Würde altern, Allzu selbstsicheres, gar grossspuriges Zelebriert Sommaruga ihre Zerbrech- Ich bin auch Fan von Christoph Blo- Roger Köppel? gibt es immer weniger. Auftreten kommt hierzulande aber nicht lichkeit nicht etwas arg? chers Rhetorik. Ja gut, er ist einer der Unerreichten, Warum? gut an. Mir ist das noch nie aufgefallen. Wer Wie unterscheiden sich die beiden das schweizerische Ausnahmetalent. Möglicherweise hat man es nach dem Es gibt einen Mittelweg: Wer Wir- nahe bei ihr steht, erhält den Ein- r hetorisch? Extrem wortstark, extrem sattelfest in Abgang der älteren Garde verpasst, kung erzielen möchte, muss sich sel- druck, sie sei sehr gefestigt und kei- Für mich gibts nicht den prototypi- den Formulierungen. Was er sagt, ist Nachwuchs nachzuziehen. Dadurch nesfalls zerbrechlich. Sie denkt, bevor schen Redner. Bezeichnend für Leu- gescheit und überlegt. Er macht entstand ein Vakuum, man musste sie redet. Das mag manchmal unspon- enberger und Blocher ist, dass beide schnell einmal jemanden mundtot, auf junge Moderatoren zurückgrei- Moderator und tan wirken. Aber alles andere würde extrem echt sind; Leuenberger in sei- dreht seine Aussagen so, dass sein fen. Es ist aber so, dass bei der Ver- Bestseller-Autor ihr nicht entsprechen. Die Betroffen- ner leicht tapsigen Art, mit seinem Gegenüber nichts mehr sagen kann. mittlung von harten News der ältere, heit nehme ich ihr ab. Ihr gehen die Witz. Er kennt die Mittel der Rheto- Haben die Bürgerlichen derzeit die bes- ergraute Herr, zum Beispiel ein Erich Patrick Rohr (48), geboren in Glarus, Dinge wirklich persönlich nahe. Ich rik, er kann einen Spannungsbogen seren Redner als die Linke? Gysling, der einem die Welt erklärt, aufgewachsen und zur Schule gegan- finde auch rhetorisch aufbauen, hat grosse Selbstironie. Er Neben Köppel und Blocher fallen offenbar etwas sehr Beruhigendes gen im Wallis, stand zwischen 1992 hervorragend und nimmt sich selbst dann nicht so ernst, Lukas Reimann und Ueli Giezendan- hat. Man glaubt ihm, egal, was er und 2007 unter anderem für die sensationell, beinahe schon perfekt. wenn er einmal den Faden verliert. Er ner auf. Auch Christoph Mörgeli war sagt, der jungen hübschen Frau eher S endungen «Schweiz aktuell», «Arena» Sind den Schweizern Politiker, die sich ist sich aber auch seiner Schwächen rhetorisch brillant. Die CVP hat nicht. Das zeigen Umfragen. und «Quer» des Schweizer Fernsehens fast zu elegant, zu geschliffen ausdrü- bewusst: dieses leicht Verlegene, das soeben einen brillanten Präsidenten Und einer älteren Frau? vor der Kamera. Vor neun Jahren cken, nicht suspekt? er zelebriert. Blocher ist das pure geboren. Gerhard Pfister ist rheto- Die gibt es am Bildschirm nicht. g ründete er eine eigene Kommunika- Didier Burkhalter war 2014 als Bun- Gegenteil. Er ist zwar ein Brachialrhe- risch grossartig, in der Art, wie er den Im Ausland schon. Ist das typisch tions-Agentur in Zürich. Rohr ist Autor despräsident und als OSZE-Vorsitzen- toriker, aber auch sehr witzig, er hat Inhalt aufbereitet, aber auch wie er schweizerisch? der Bücher «Erfolgreich in den Medien» der, der im Ukraine-Konflikt vermit- auch Ironie, wenn auch oft auf Kosten ihn vermittelt. Er ist differenziert; Es ist schwierig, am Bildschirm zu und «So meistern Sie jedes Gespräch». telte, im In- und Ausland sehr popu- Dritter, was mir nicht gefällt und was was er sagt, ist gescheit und verbind- altern – für Frauen und Männer. Man Sein Werk «Reden wie ein Profi» lär. Er hat den Spagat zwischen sei- ihn von Leuenberger unterscheidet. lich. An ihm kann man sich ein Vor- hat irgendwann Runzeln, einen falti- (Beobachter-Verlag, 240 S., ca. nen Rollen als Bundesrat und Aber Blocher hat Humor, die Leute bild nehmen. Die guten Redner gab es gen Hals. Jede Person muss für sich 45 Franken) hat sich mittlerweile Vermittler auf internationalem Par- lachen und hören besser zu. Beide früher auch auf der linken Seite: Peter entscheiden, wie sie damit umgehen 20 000-mal verkauft. mfu/ale kett geschafft. Burkhalter ist, wie er sind in ihrer Körpersprache authen- Bodenmann, Werner Marti oder Jean möchte.