Italien greift an

Nur aus solchen Leuten kann man gute Stalinisten Die Engländer besetzen Griechenland und sind nun machen, die bedingungslos gehorchen. Broz geht als nach ihrem Rückzug von Dünkirchen erstmals wieder Stalins Beauftragter wieder nach Jugoslawien zurück, auf dem europäischen Festland. Italien erleidet wie um entgegen dem in Wien sitzenden Zentralkomitee zuvor in Frankreich und in Nordafrika auch in Grie- die Partei in Stalins Sinn umzuorganisieren. Später chenland eine Niederlage. Die griechische Armee hält leitet Tito die Anwerbung und den Transport jugoslawi- nicht nur den italienischen Angriff auf, sondern drängt scher Freiwilliger für die im spanischen Bürgerkrieg die Italiener sogar bis tief nach Albanien hinein wieder kämpfenden Internationalen Brigaden. zurück. 1937 ist es soweit. Tito wird, obwohl noch nicht einmal Hitler sieht sich nun dazu gezwungen, auf dem Balkan drei Jahre Parteifunktionär, alleiniger Chef der Kom- einzugreifen. Noch versucht er es mit diplomatischen munistischen Partei Jugoslawiens. In Moskau nähern Mitteln. Bulgarien tritt dem Dreimächtepakt Japan- sich die «Säuberungen» ihrem Abschluss. Die Führer Italien-Deutschland bei, eine deutsche Militärmission der polnischen Partei hat Stalin schon ermorden lassen, wird dort stationiert. Ebenso geschieht es in Rumänien. zahlreiche Führer der anderen Parteien, darunter der Es scheint, als sei Griechenland damit isoliert und ein deutschen, sind gefolgt. Nun kommen die Jugoslawen eng begrenzter Feldzug dort möglich, um die Englän- dran. der wieder vom Kontinent zu vertreiben. Das scheint Tito ist Stalins Helfershelfer. Stalin scheint diesen um so sicherer, als am 25. März 1941 auch die jugo- Genossen richtig eingeschätzt zu haben, Tito ist ein slawische Regierung des Prinzregenten Paul in Wien Erzstalinist geworden. Nachdem alle führenden jugo- ihren Beitritt zum Dreimächtepakt unterzeichnet. slawischen Funktionäre, deren Stalin habhaft werden Doch als die jugoslawische Regierung nach Belgrad zu- kann, ausgerottet sind, soll die jugoslawische Partei rückkehren will, hat dort ein Putsch stattgefunden. Die ebenso wie die polnische durch die Komintern auf- Putschregierung unter dem Luftwaffengeneral Simovic gelöst werden. Aber da legt sich Stalin selbst ins Mit- hat den 17jährigen König Peter II. auf den Thron ge- tel. Bei den Jugoslawen ist das nicht nötig. Anders als hoben und den Beitritt zum Dreimächtepakt für un- in Polen hat man hier einen willfährigen Funktionär, gültig erklärt. In Belgrad finden Massendemonstra- diesen Broz alias Tito. Zur Belohnung für die Stalin tionen statt – für England, gegen Deutschland. Un- geleisteten Dienste wird Josip Broz-Tto zum General- mittelbar darauf schliesst die Sowjetregierung mit den sekretär, zum Führer der KP Jugoslawiens. jugoslawischen Putschisten einen Freundschafts- und Erst viel später wird Stalin merken, dass dieser Ent- Beistandspakt ab, der sich eindeutig gegen Deutschland schluss falsch war. Broz ist doch keiner der stur gehor- richtet. chenden Funktionärstypen wie etwa Ernst Thälmann Daraufhin beginnt am 6. April 1941 der gemeinsame in Deutschland oder Maurice Thorez in Frankreich. deutsch-ungarisch-italienische Angriff auf dem Balkan. Aber das weiss Josip Broz jetzt selbst noch nicht. Er Schon eine Woche nach Beginn des Feldzuges ist Bel- wird erst dann über sich selbst hinauswachsen, wenn grad, die Hauptstadt Jugoslawiens, in deutscher Hand. das Schicksal ihn dazu herausfordert. Diese Zeit kommt Der jugoslawische Staat, die jugoslawische Armee be- 1941. finden sich in voller Auflösung. Der Krieg hat zum Balkan übergegriffen. Mussolini Dazu tragen vor allem die vielen innenpolitischen Ge- hat von Albanien aus, das Italien 1939 besetzt hat, gensätze in Jugoslawien bei, die auch das Heer demo- Griechenland angegriffen, weil sich die Engländer dort ralisieren. Fast die Hälfte aller Einberufenen leistet festgesetzt haben. Hitler erfährt von diesem Plan sei- dem Gestellungsbefehl gar nicht erst Folge. Die Kroa- nes italienischen Freundes, als er eben in Frankreich ten denken erst recht nicht daran, für die verhasste mit dem französischen Staatschef Marschall Pétain serbische Zentralregierung zu den Waffen zu greifen. über ein Bündnis verhandelt. Sofort fährt er mit dem Die zahlreichen Volksdeutschen haben auch kein In- Führer-Sonderzug nach Florenz, um dem Duce diese teresse, gegen ihre eigenen Landsleute zu kämpfen. Idee auszureden, da sie zu einer Kriegsausweitung füh- Am 11. April schon, zwei Tage vor der Eroberung ren muss, die ihm keineswegs gelegen kommt. Belgrads, erklärt der kroatische Teilstaat Jugoslawiens Am 28. Oktober 1940 trifft Hitler in Florenz ein, aber seine Unabhängigkeit. Der Führer der «Ustascha»- es ist schon zu spät. Mussolini teilt Hitler freudestrah- Bewegung, der «Poglavnik» Dr. Ante Pavelic, über- lend mit, dass seine Truppen «siegreich» in Griechen- nimmt in der Hauptstadt Kroatiens, Agram, die Re- land einmarschieren. Trotz Hitlers Bemühungen, den gierung. Pavelic bittet die italienische und deutsche Krieg vom Balkan fernzuhalten, weil er im Süden Regierung um Schutz für den neuen unabhängigen Ruhe braucht, wenn er die Sowjetunion angreifen will, Staat. ist ihm der Duce zuvorgekommen. Putschgeneral Simovic tritt am 14. April zurück, seine

303 Widerstand auf dem Balkan

Regierung und König Peter flüchten nach England, Macht ist. Zum anderen ist Widerstand gegen Fremde und am 18. April kapitulieren die letzten jugoslawi- eine uralte Tradition der Serben. Noch aus der Zeit schen Streitkräfte vor den Deutschen. Damit scheint der türkischen Fremdherrschaft gibt es die Organisation der Krieg in Jugoslawien zu Ende. Und doch beginnt der Öetniki, eine Art Heimwehr. er erst jetzt, nach der Kapitulation. Er beginnt bereits In der Öetnik-Bewegung sind die Bauern zusammen- drei Wochen später. gefasst, die ihre Dörfer und deren Umgebung vertei- Der ebenso wie die Tschechoslowakei nach dem Ersten digen. Während der Fremdherrschaft – auch während Weltkrieg neu geschaffene Staat Jugoslawien ist zer- der deutsch-österreichischen Besetzung im Ersten Welt- brochen. krieg – kämpfen die Öetniki illegal. Von 1918 bis Slowenien – das nördlichste Land, das früher zu jetzt eben sind sie legal aufgetreten als eine Art Österreich gehörte – wird aufgeteilt. Nordslowenien Bauern-Miliz des jugoslawischen Staates. Ihre Waffen wird unter deutsche Verwaltung gestellt, ähnlich wie sind auch nach der jugoslawischen Kapitulation noch im Westen das Elsass wird es jedoch zunächst nicht in ihrem Besitz, denn die Niederlage war so schnell Deutschland eingegliedert. Der südliche Teil Slowe- da, dass die Öetniki gar nicht zum Kämpfen kamen. niens mit der Hauptstadt Laibach (Ljubljana) wird Mihajlovics Aufstand beginnt am 10. Mai in den einschliesslich grosser Teile der dalmatinischen Adria- Waldbergen der Ravna Gora. In raschem Zugreifen Küste von den Italienern besetzt und gehört formell ist ein weites Gebiet durch seine Resttruppen und zum neuen Staat Kroatien. durch die vorbereiteten örtlichen Aufstände der Öet- Bosnien und die Herzegowina werden ebenfalls zum niki von den wenigen deutschen Sicherungstruppen grössten Teil zu Kroatien geschlagen, das damit ein befreit. Nur in den Städten können sich die Deutschen grösseres Gebiet umfasst als jemals zuvor in seiner Ge- halten, aber auch nicht in allen: Sabac wird von den schichte. Öetniki erobert, die Stadt Kraljevo im Flusstal des Montenegro wird ohne Staatszugehörigkeit in Anleh- Ibar belagert. Hier, bei der Belagerung von Kraljevo, nung an Albanien italienisches Besatzungsgebiet. entsteht Ende 1941 auch die kommunistische Partisa- Mazedonien wird an Bulgarien zurückgegeben, zu dem nenbewegung. es vor 1918 gehört hat. Auf Beschluss der Siegermächte Zunächst ist von den Kommunisten nichts zu spüren. des Ersten Weltkrieges ist Mazedonien damals dreige- Seit Broz-Tito 1937 die Führung der Partei übernom- teilt worden – ein Stück ist bei Bulgarien verblieben, men hat, ist ein Aufschwung eingetreten. Die Mit- ein Drittel erhielt Jugoslawien, das letzte Drittel Grie- gliederzahl ist bis 1941 von 5’000 auf 12’000 gestiegen, chenland. Jetzt ist ganz Mazedonien wieder bulgarisch. für eine illegale Partei in einem Land wie Jugoslawien eine beträchtliche Zahl. Im Gegensatz zu seinen Vor- So gibt es auf dem Gebiet des bisherigen Jugoslawiens gängern leitet Tito die Partei nicht vom Ausland her, nunmehr zwei Staaten, die formell unabhängig sind: sondern im Land selbst. Seine Zentrale befindet sich das stark erweiterte Kroatien unter Führung der wechselnd in Agram oder in Belgrad. katholisch-faschistischen Organisation der Ustaschi mit Noch immer ist Tito fanatischer Stalinist. Doch ebenso dem «Poglavnik» Dr. Pavelic an der Spitze, und ist er noch immer nur ein glänzender Organisator, kein schliesslich Serbien in den alten Grenzen von 1918, an wirklicher Politiker. Und die steigenden Mitgliedszah- der Spitze als Ministerpräsident der frühere Kriegs- len machen seine Partei noch längst nicht zu einem minister Nedic. schlagkräftigen Instrument. Es fällt Tito schwer, eine Und hier in Serbien bricht am 10. Mai bereits der einheitliche «Parteilinie» durchzusetzen. Krieg wieder aus, der schon zu Ende schien. Eine An- Im Oktober 1940 hat die illegale 5. Parteikonferenz zahl von serbischen Angehörigen der bisherigen jugo- stattgefunden. Aus der dort veröffentlichten Resolu- slawischen Armee hat sich vor der Kapitulation unter tion gehen die Zwistigkeiten innerhalb der Partei klar Führung des Obersten Draza Mihajlovic in die unzu- hervor – und Stalins Linie der Freundschaft mit Hitler. gänglichen Berge Zentralserbiens zurückgezogen. Die Soldaten Mihajlovics organisieren die Bauern der serbi- Da wird die Ansicht von Genossen kritisiert, die eng- schen Dörfer zum Widerstand. landfreundlich sind, und Tito wendet sich gegen «die Das ist nicht allzu schwer. Einmal gibt es in Serbien Verherrlichung der sogenannten westlichen Demokra- kaum deutsche Besatzungstruppen – Hitler braucht tien». Dadurch würden «die Massen zu dem Glauben die Wehrmacht für den bevorstehenden Angriff auf die verführt, dass diese Länder wirklich für Freiheit und Sowjetunion und hält eine starke Besetzung in dem Demokratie kämpfen wollen». eben erst geschlagenen Land ohnehin nicht für nötig, Der kroatische Parteibezirk wird kritisiert, weil hier zumal die deutschfreundliche Regierung Nedic an der die Unabhängigkeitsbestrebungen Kroatiens unter-

304 B ffl

Territoriale Aufgliederung Jugoslawiens 19411945 durch die Sieger des Balkanfeldzuges. Widerstand auf dem Balkan stützt wurden. Kommunistische Funktionäre haben gar die selbst am aktivsten in den Reihen der Armee ge- Verbindung mit dem zu dieser Zeit noch in Italien le- gen die Deutschen kämpfen. benden «Poglavnik», der faschistischen Ustascha-Be- Tito selbst schwimmt im wahrsten Sinn des Wortes mal wegung, aufgenommen. in der einen, mal in der anderen Strömung. Er be- Den Montenegrinern wird vorgeworfen, dass sie die kommt seine Anweisungen von Moskau über den so- Demobilisierung der jugoslawischen Armee gefordert wjetischen Botschafter in Belgrad. Und so folgt Tito haben. In den Orten Öetinje, Niksic, Kolasin und an- wie bisher getreu den Befehlen Stalins, mögen sie auch deren haben die Kommunisten sogar Kundgebungen noch so widerspruchsvoll sein. organisiert, bei denen Hochrufe auf Mussolini und Hit- Unmittelbar nach dem deutsch-italienisch-ungarischen ler ausgebracht wurden. Angriff fordert er zur Verteidigung Jugoslawiens auf Das ist Tito zuviel. Stalins Politik besteht zwar im – denn die Sowjetunion hat eben den Freundschafts- Augenblick darin, Deutschland gegen England zu und Beistandspakt mit der Putschregierung geschlos- unterstützen, aber es ist unmöglich, das derart offen zu- sen. Kurz darauf bekommt Stalin Bedenken, er könnte zugeben. Hitler damit doch zu stark provoziert haben. Stalin Diese Differenzen sind auch noch vorhanden, als der weist die diplomatische Vertretung der eben erst an- jugoslawische Staat zusammenbricht. Hier sind es erkannten und durch Vertrag befreundeten jugoslawi- Kommunisten, die am eifrigsten die jugoslawischen schen Regierung aus der Sowjetunion, um Hitler wie- Soldaten auffordern, die Waffen wegzuwerfen und der zu beschwichtigen. nicht weiter zu kämpfen, dort sind es Kommunisten, Tito macht diese Wendung prompt mit. Hat er eben

Die Karte zeigt, wie im Verlauf des Krieges Tito die Lage in Jugoslawien ständig zu seinen Gunsten verändern konnte.

306 300 Jungkommunisten noch gefordert, die Regierung Simovic zu verteidigen, An allen Strassenecken hängen die deutschen Wehr- so erklärt ein Manifest der Partei vom 30. April, die machtsberichte, die den stürmischen Vormarsch in die Regierung Simovic sei nichts als ein Haufen von Agen- Sowjetunion schildern. An einigen besonders verkehrs- ten des britischen Imperialismus und müsse von der reichen Plätzen sind riesige Landkarten der Sowjet- Verachtung des Volkes getroffen werden. union aufgestellt worden. Darauf sind die deutschen Erst am 22. Juni 1941 klärt sich die Situation. An die- Durchbrüche durch die sowjetische Front eingezeichnet. sem Tag beginnt das «Unternehmen Barbarossa», der Zugleich bringen die jugoslawischen Zeitungen grosse Krieg gegen die Sowjetunion. Das sozialistische Vater- Berichte über die Siege der deutschen Wehrmacht und land ist in Gefahr, das «Vaterland der Werktätigen geben bei besonderen Siegesmeldungen sogar Extra- aller Welt». Jetzt gibt es keine Zweifel mehr, die alte blätter heraus. Losung vom Ende der zwanziger Jahre gilt wieder: Die Belgrader Jungkommunisten unternehmen etwas Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft! Das heisst dagegen. In Dreiergruppen aufgeteilt, gehen sie schlag- heute: bedingungsloser Kampf gegen die deutsche und artig zur gleichen Zeit an etwa hundert Zeitungs- italienische Besatzungsmacht. kioske und Schautafeln. Jeweils einer packt einen Stoss Aber wie? Tito weiss es noch nicht. Erstmals, seitdem Zeitungen, der zweite giesst Benzin darüber – oder er Kommunist ist, kann er nicht mehr stur nach in über das Holzgerüst der Schautafel –, und der dritte Moskau gegebenen Befehlen handeln. Die Verbindung zündet ein Streichholz an. Das geht so schnell, dass von zur sowjetischen Partei, zur Kommunistischen Inter- den 300 Jungkommunisten – meist Studenten der nationale, zu Stalin ist abgerissen. Tito muss erstmals Belgrader Universität – nur drei gefasst werden kön- nicht nur in organisatorischen Fragen, sondern in Fragen nen. Die drei werden nach einer kurzen Standgerichts- der grossen Politik selbst entscheiden, aus eigener Über- verhandlung zum Tode verurteilt und am nächsten Tag legung und Initiative heraus handeln. erschossen. Und bald zeigt sich, dass dieser Mann, der nun schon Darauf wird die gleiche Aktion sofort noch einmal an der Schwelle zum sechsten Lebensjahrzehnt steht, unternommen. Die Kommunisten rechnen damit, dass ein ganz anderer ist, als Stalin geglaubt hat. die Deutschen oder die jugoslawische Polizei nicht an- Noch ist er einigermassen hilflos. Denn die Partei nehmen, dass nach der bekanntgegebenen Hinrichtung stützt sich – ausser in Montenegro – fast ausschliess- noch einmal jemand etwas Derartiges wagen würde. lich auf die Städte, auf Arbeiter, Studenten und Aka- Diese Überlegung erweist sich als richtig. Die Aktion, demiker. Unter den Bauern gibt es wie überall in Eu- mit noch mehr Teilnehmern und Einsatzpunkten, wird ropa – in Asien ist das naturgemäss anders – kaum ein voller Erfolg, und keiner der Täter wird erwischt. Anhänger des Kommunismus, der den Bauern doch nur Diese beiden Massenaktionen haben grosse Wirkung, das Eigentum wegnehmen und die Religion, den Glau- denn jeder Einwohner Belgrads hat entweder selbst ben an Gott, ausrotten will. Andererseits aber kann die lodernden Flammen an allen Ecken und Enden der eine Partisanenbewegung natürlich nicht in den Städ- Stadt gesehen oder zumindest die verkohlten Überreste ten, sondern nur im weiten, wilden und unwegsamen der deutschen Propaganda. Mancher Patriot wird da- Land entstehen. durch zu eigenen Taten veranlasst. Und das für die Kommunisten bitterste: Während Telefondrähte werden durchschnitten, die zu deut- sie noch treu der Stalinschen Linie der Freundschaft schen Dienststellen führen, deutsche Soldaten werden oder zumindest der Neutralität gegenüber Deutsch- nachts in dunklen Winkeln der Stadt erstochen und land gefolgt sind, hat die echte Volkserhebung gegen ihrer Waffen beraubt, eine Wehrmachtsgarage wird in die Besatzungsmacht durch Oberst Mihajlovic und die Brand gesteckt, parkenden Wehrmachtswagen werden Öetniki längst begonnen – ohne Kommunisten. Und die Reifen zerschnitten oder selbstgefertigte Brandsätze so entschliesst sich Tito nach einer Sitzung des ZK, den unter die Wagen geworfen. Kampf eben in den Städten zu beginnen, gleichzeitig Über Belgrad wird daraufhin eine nächtliche Aus- aber die besten Agitatoren und Propagandisten nach gangssperre verhängt. Jugoslawische Polizei führt im- Serbien zu schicken, um die Öetniki zu unterwandern mer wieder Haussuchungen bei verdächtigen Personen und möglichst viele Leute für eine kommunistische Par- durch, um Unangemeldete und damit als Saboteure tisanenbewegung zu gewinnen. Verdächtige zu finden. In bestimmten Stadtteilen wer- Der Widerstandskampf in den jugoslawischen Städten den auch Massenrazzien veranstaltet. besteht vor allem in Sabotageakten und Überfällen Titos Stab beschliesst daraufhin, die nächste Etappe des auf deutsche Soldaten oder jugoslawische Polizisten. Kampfes auf die eigene jugoslawische Polizei abzustel- Gleich das erste Unternehmen hat einen grossen Propa- len. Tito und seine Leute verkünden, jeder jugosla- gandaeffekt und findet in Belgrad statt. wische Polizist sei nunmehr zum Tode verurteilt. Das

307 Widerstand auf dem Balkan

«Urteil» wird mit Flugblättern und heimlich geklebten belagern nun mit dem Rest der regulären Truppen Plakaten der Bevölkerung bekanntgemacht. Jugoslawiens die Stadt Kraljevo. Die Polizisten werden auf offener Strasse beschossen, Die zersetzenden Argumente der Kommunisten fallen einige getötet, wie es die Kommunisten angekündigt deshalb auf fruchtbaren Boden: «Was wollt ihr denn haben. Doch es gibt auch unter der Bevölkerung Ver- hier, so weit von zu Hause fort?» «Dieser Oberst letzte, und die Stimmung in Belgrad kehrt sich gegen Mihajlovic hat euch zu Soldaten gemacht, was soll die Kommunisten, weshalb man von dieser Terrorme- das, ihr seid doch Öetniki! Was hat dieser Oberst euch thode bald wieder abkommt. zu befehlen!» «Für den Simovic kämpft ihr hier, der Tito selbst ist von Agram nach Belgrad umgezogen, feige nach England geflüchtet ist? Ihr vergiesst euer in den Villenvorort Dedinje. Sein Haus liegt dicht bei Blut doch nur für den schmutzigen Krieg der Englän- der Villa des deutschen Stadtkommandanten. Tito wird der, die aus Serbien eine Kolonie machen werden, wenn nicht behelligt – er hat ausgezeichnete Papiere, die sie den Krieg gewinnen!» ihn als sudetendeutschen Ingenieur ausweisen. Trotz- Viele der bäuerlichen Cetniki werden wankend. Der dem hat er sich einen Notausgang im Schlafzimmer Drang nach Hause wird immer stärker. Titos Leute hergerichtet. Der Waschtisch lässt sich zur Seite drehen, sind dabei, Mihajlovics militärische Widerstandsbe- dahinter befindet sich ein Mauerloch, durch das man wegung von innen her aufzurollen. Das hilft im unter das Hausdach kriechen kann. Ausserdem liegen Moment natürlich letzten Endes den Deutschen, aber in dem Versteck 16 Handgranaten und zwei Pistolen, darauf nehmen die Kommunisten keine Rücksicht. Be- mit denen Tito im Notfall seine «Festung» verteidigen vor sie die Partisanenbewegung unter Kontrolle brin- will. gen und später daraus ihre eigene Armee machen Hier im Vorort Dedinje findet am 27. Juni eine ZK- können, müssen sie erst einmal durch Aufspaltung der Sitzung statt. Tito wird zum «Oberkommandierenden vorhandenen Kräfte den Grundstock dafür legen. des Generalhauptquartiers der Partisanenverbände für Und dann beginnt schon die zweite Etappe der «Auf- die Nationale Befreiung» ernannt. Ein langer, klang- klärungsarbeit». Sind die bewaffneten Bauern erst da- voller Titel, hinter dem sich jedoch noch keine nennens- von überzeugt, dass sie bei diesem Oberst Mihajlovic werte Macht befindet. Darum wird auf der nächsten nichts zu suchen haben, dass sie wirklich besser zu Sitzung des Politbüros – dessen Mitglieder sind Hause bei ihren Familien wären, dann kommt das gleichzeitig das «Generalhauptquartier» – am 4. Juli Argument: «Ja, wenn man wüsste, dass man nicht für ebenfalls in Dedinje beschlossen, dass die Politbüro- die Engländer kämpft, sondern dass es den Russen mitglieder selbst ins Land hinausgehen müssen, um die nützt – das wäre vielleicht etwas anderes ...» Von Arbeit der bereits tätigen Organisatoren und Propagan- den Russen ist dabei die Rede, nicht etwa von den disten anzukurbeln und direkt zu leiten. Sowjets. Von Kommunismus oder Sozialismus wird Edvard Kardelj, heute Parlamentspräsident, geht hier nicht gesprochen. Man will die Bauern ja nicht ab- nach Slowenien, Milovan Djilas, heute seit vielen stossen, sondern gewinnen. Jahren Häftling in Titos Gefängnissen, nach Monte- Und so geht es dann weiter mit «Mütterchen Russ- negro. Svetozar Vukmanovic, heute Verteidigungs- land», dem grossen Vaterland, dem Zentrum aller minister, übernimmt Bosnien und die Herzegowina; Slawen – nicht der Arbeiter und Bauern. Die Deut- Alexander Rankovic, jahrelang Innenminister und schen wollen die Russen vernichten, weil diese der nun von Tito als Parteifeind abgesetzt, soll die Arbeit Hort des Slawentums sind. Und dann kommen die Ser- in Serbien leiten. Da Serbien ohne Zweifel das wich- ben an die Reihe. Deshalb muss man im eigenen Inte- tigste Gebiet ist, allein schon deshalb, weil hier bereits resse den Russen helfen, die Deutschen bekämpfen. eine echte, «feindliche» Widerstandsbewegung besteht, Aber eben nicht unter diesem Mihajlovic, der ein ver- begibt sich Tito selbst ebenfalls nach Serbien. dammter Agent der noch verdammteren Engländer Dort hat die Arbeit der kommunistischen Agitatoren ist. Eine eigene Partisanenbewegung müsste man ha- unter Mihajlovics Soldaten und den Öetniki, die sich ben, die nur unseren eigenen Interessen dient! Diese ihm angeschlossen haben, gute Fortschritte gemacht. Propaganda wirkt immer mehr. Einige der Akademiker und Studenten sind zu Führern Mihajlovic ist kein Politiker. Er ist nichts als ein und Unterführern der Öetniki avanciert. patriotischer Offizier, der den Kampf gegen den mili- Auch die Propaganda macht sich allmählich bemerk- tärischen Feind noch nicht aufgeben und sein Land bar. Die Öetniki sind erstmals in ihrer jahrhunderte- wieder befreien will. Aber er merkt, dass irgend etwas langen Geschichte nicht mehr unmittelbar zum Schutz vorgeht, und er erfährt schliesslich auch, wer hinter oder zur Befreiung ihrer Heimatdörfer eingesetzt. Sie dieser für ihn abträglichen Propaganda steckt. sind mit Mihajlovic durch ganz Serbien gezogen und Inzwischen gibt es nämlich einige echte kommunisti-

308 Tito contra Mihajlovic sche Partisaneneinheiten – aus abtrünnigen Öetniki, die habe Mihajlovic den gemeinsamen Kampf gegen die allerdings selbst zumeist nicht wissen, dass ihre neuen faschistischen Okkupanten angeboten, aber er hat abge- Führer Kommunisten sind, und aus Bergbewohnern lehnt, dieser Vaterlandsverräter!» Montenegros. Montenegro ist das einzige ländliche Ge- Bei den nächsten beiden Besprechungen fordert Tito biet, in dem die Kommunisten eine grosse Zahl von «unerbittlichen Kampf gegen die faschistische Fünfte Anhängern haben. In Montenegro gibt es keine Bauern Kolonne und ihre erbarmungslose Vernichtung». Da- im echten Sinn des Wortes. Die montenegrinische Be- mit sind alle Angehörigen der Verwaltung gemeint, völkerung ist die ärmste ganz Europas, und für sie gilt alle, die nicht wie die Kommunisten denken, denn der das Wort, das Marx und Engels am Schluss des «Kom- Begriff «Fünfte Kolonne» ist so nichtssagend, dass man munistischen Manifests» den Proletariern zurufen – sie ihn auslegen kann, wie es im Augenblick gerade oppor- hätten in einer kommunistischen Revolution nichts zu tun ist. verlieren als ihre Ketten, aber eine Welt zu gewinnen. In all diesen Forderungen ist Tto noch immer der alte Stalinist. «Sturz der bürgerlichen Ordnung, Zer- Mihajlovic fordert den Führer dieser fremden Ein- schlagung des bürgerlichen Staatsapparates» sind in heiten, die so zersetzend wirken, zu einer Unterredung seiner Forderung nach Beseitigung der bisherigen Ver- auf. Tito fühlt sich noch nicht sehr mächtig und hofft, waltung enthalten. Es geht also nicht nur um die Be- in Verhandlungen etwas für sich zu erreichen. Deshalb freiung Jugoslawiens von der deutschen und italieni- erscheint er in Mihajlovics Hauptquartier. schen Besatzung – Mihajlovics und der Öetniki ein- Er ist dem königlichen Oberst ein Unbekannter, dieser ziges Ziel –, sondern um die Durchführung der proleta- unpolitische Offizier hat bis dahin noch nicht einmal rischen Revolution, genau wie Stalin es gelehrt hat. den Namen des jugoslawischen KP-Chefs gehört. Tito spielt von vornherein eine Rolle, die ihn als viel stärker Und die Forderung nach «Vernichtung der Fünften erscheinen lässt. Er spricht von seinen Partisaneneinhei- Kolonne» bedeutet Terror, getreu nach dem in Deutsch- ten, als wären diese schon eine starke Armee. land geprägten Motto: «Und willst du nicht mein Er sagt Mihajlovic auf dessen Vorhaltungen eine Zu- Bruder sein, dann schlag ich dir den Schädel ein.» Auch sammenarbeit zu. Zur Bedingung macht er, dass die der organisierte Terror ist noch reiner Stalinismus. Stäbe der beiden Widerstandsbewegungen getrennt Nur hat der bis dahin politisch unmündige Tito noch bleiben sollen. Zugleich aber schlägt er vor, dass die nicht bemerkt, dass seit einiger Zeit Stalin selbst aus Verpflegungsorganisation zusammengelegt wird. Ver- taktischen Gründen nicht mehr «Stalinist» ist. Die eine ständlich – denn die bäuerlichen Öetniki haben über- Wandlung Stalins hat Tto unabhängig in seiner Agita- all die Ernte ihrer eigenen Dörfer zur Verfügung; tion gegenüber den Öetnik-Mitgliedern schon selbst Utos Leute dagegen, die Städter und die hungerleiden- vollzogen: die Hinwendung zum Patriotismus, die Be- den Bergbewohner Montenegros, müssen betteln oder tonung des Nationalen, die Beschwörung des Slawen- aber die serbischen Bauern mit Gewalt ausrauben. tums. Dann stellt Tito noch politische Bedingungen. Sämt- Stalin aber ist schon viel weiter. Er legt jetzt angesichts liche Kreisverwaltungen müssen in den befreiten Ge- der schlimmen Kriegslage besonderen Wert darauf, sich bieten aufgelöst werden, ebenso Polizei und Gendar- den Westmächten als guter Verbündeter zu empfehlen. merie. Stattdessen sollen örtliche und zentrale Volks- Deshalb hat er angeordnet, dass keine kommunistische räte gewählt werden, wobei Tito vergisst zu sagen, wie Partei mehr revolutionäre Forderungen stellen darf, diese Wahlen vor sich gehen sollen. um die kapitalistischen Verbündeten nicht zu erschrek- Mihajlovic muss diese Forderungen ablehnen, was Tito ken. Nicht «Vernichtung der Fünften Kolonne» heisst von vornherein erwartet hat. Den Trick mit der ge- die Parole, sondern «Zusammenarbeit mit allen demo- meinsamen Verpflegungsorganisation bei weiterhin kratischen und patriotischen Kräften». getrennten Stäben durchschaut selbst der unpolitische Tto aber weiss nichts von dieser neuen Taktik, und so Mihajlovi6, und die Forderung nach einem Sturz der kommt es nach der geistigen auch zu bewaffneten Aus- geltenden Staatsordnung muss er ablehnen, weil sein einandersetzungen zwischen seinen und Mihajlovics eigener Kampf dann sinnlos wäre – er kämpft ja gerade Leuten. Der Kampf wird von Tto begonnen, der sich für die Erhaltung des bisherigen jugoslawischen Staates jetzt stark genug dazu fühlt. Ttos langjährige Arbeit gegen die Deutschen. für Stalins GPU kommt ihm zustatten. Er erfindet ein Tto aber nimmt die Gewissheit mit, dass dieser Dokument, wonach der serbische Ministerpräsident Ne- Mihajlovic ihm kaum je gefährlich werden kann, und dic und Mihajlovic ein Abkommen geschlossen dass für ihn mit dieser Unterredung – zwei weitere haben, gemeinsam über Ttos Einheiten herzufallen. Vie- folgen noch – stets das Argument zur Hand ist: «Ich le der Öetniki, die mit kommunistischen Fälschungs-

309 Widerstand auf dem Balkan tricks noch nicht in Berührung gekommen sind, glau- mutig und unerschrocken den Kampf gegen die faschi- ben den Flugblättern und der Flüsterpropaganda von stischen Okkupanten aufgenommen habe. Mihajlovics Verrat und schlagen sich auf die Seite der Um diese Zeit hat Tito wieder Funkverbindung mit Tito-Leute. Ein Augenzeuge der Ereignisse von Kral- Moskau. Er teilt mit, dass dieser Mihajlovic ein jevo, der britische Offizier Christie Lawrence, berichtet faschistischer Verräter sei, und ist höchst verwundert, darüber: als Moskau diese Version ablehnt und ihn auffordert, «Die Schlacht von Kraljevo endete unheroisch. Offener mit Mihajlovic, dem «regulären Kriegsminister und Krieg brach zwischen Partisanen und den Anhängern Oberbefehlshaber der gesetzmässigen jugoslawischen von Draza Mihajlovic aus. Die beiderseitigen Be- Regierung», zusammenzuarbeiten. Später erhält der fehlshaber erhielten Befehl, den Kampf gegen die entsetzte Tito, der Stalin nicht mehr verstehen kann, Deutschen einzustellen und gegeneinander zu kämp- aus Moskau sogar den Befehl, sich dem «Kriegsmini- fen. Aber die Einheiten waren so durcheinander- ster» zu unterstellen. gemischt, und Freundschaften und Treueverhältnisse Das aber kann Tito nicht mehr akzeptieren. Wer weiss, waren so verwickelt, dass diese Befehle keinen Ge- welche Verräter da am Werk sind, die den Genossen horsam fanden. Der Angriff auf Kraljevo endete ein- Stalin falsch unterrichten. Tito weiss ja, wieviele Ver- fach in Desorganisation. Wer gerade zufällig bei den räter es gibt, er hat sie ja selbst dutzendweise im Auf- Partisanen war, zog in die eine Richtung, die bei trag Stalins entlarvt, in Jugoslawien, in Österreich Mihajlovic in die andere. Und wer konnte, ging einfach und in Spanien. Nein, diesen Befehl befolgt er nicht. nach Hause.» Stalin wird ihm später dafür sicherlich dankbar sein. Der lachende Dritte sind in diesem Fall die in Kral- Aber Tito weiss zugleich, was mit Genossen passiert, jevo eingeschlossenen Deutschen. Tito hat sie gerettet. die entgegen den Befehlen Stalins handeln. Und Mos- Aber auch Tito ist letztlich Sieger, und der einzige Ver- kaus Arm reicht weit, bis in die serbischen Berge. So lierer bleibt Mihajlovic. Denn viele von denen, die bestätigt er den Befehl, beschliesst aber bei sich, sofort aus den Reihen der Öetniki stammen und der ge- vollendete Tatsachen zu schaffen, um später sagen zu schickten Agitation von Titos Leuten zum Opfer gefal- können, dass der Befehl der besonderen Umstände len sind, ziehen mit Tito ab. Dazu aber auch noch viele wegen trotz guten Willens nicht ausgeführt werden andere Öetniki – solche, die sich zufällig bei einer konnte. Tito-Einheit befanden oder zu einer Einheit stiessen, Tito zieht sich in Richtung auf die bosnische Grenze die schon mit kommunistischer Agitation durchtränkt zurück. Er erobert die kleine Stadt Uzice und ver- war, weit mehr aber noch jene, die nicht mehr nach kündet dort die Gründung einer «Volksrepublik» nach Hause können, weil entweder der Weg dahin mittler- dem Vorbild der Sowjets. Das Gebiet ist zu abgelegen weile durch die Deutschen versperrt ist oder weil das und zu dieser Zeit strategisch uninteressant. Deshalb ganze Dorf von der Bevölkerung verlassen worden ist. kümmern sich die Deutschen zunächst nicht darum, und Mihajlovics Verband ist nach Kraljevo stark ge- so kann Tito seine Sowjetrepublik auf das umliegende schwächt. Tito hat sein erstes Etappenziel im Kampf Gebiet ausdehnen. um die alleinige Macht in der Widerstandsbewegung Er führt sein Regime mit grausamen Terrormethoden. erreicht. Die Angehörigen der alten Verwaltung werden buch- Titos Partisanenbewegung, die spätere «Nationale stäblich ausgerottet. Massenhinrichtungen finden statt. Volksbefreiungsarmee», ist also nicht so sehr im Kampf Titos Partisanen requirieren bei der Bevölkerung, was gegen die Deutschen, sondern im Kampf gegen die erste sie nur requirieren können. Widerstandsbewegung, die Öetniki, entstanden. Der Bevölkerung, die sich hiergegen auflehnt, kommt Unmittelbar nach dem Desaster von Kraljevo versucht nun Mihajlovic zu Hilfe. Zugleich greifen reguläre die jugoslawische Exilregierung in London, Mihajlovic serbische Truppen des Ministerpräsidenten Nedic ein, wenn schon keine materielle, so doch wenigstens ideelle und schliesslich lassen sich auch die Deutschen diese Hilfe zu gewähren. König Peters Regierung befördert einmalige Chance nicht entgehen. den Obersten zum General und ernennt ihn zum jugo- Von vier Seiten – von der Bevölkerung, von Mihajlo- slawischen Kriegsminister. vics Öetniki, von den serbischen Truppen Nedics und Von diesem Moment an verstärkt sich auch die Be- von der deutschen Wehrmacht – bedroht, muss Tito richterstattung über den jugoslawischen Widerstand in seine «Volksrepublik» in überstürzter Flucht räumen. der sowjetischen Presse. Aber Stalins Redakteure Fast wäre dies das Ende Titos und seiner eben erst im schreiben nicht von Tito, nichts von «Nationaler Entstehen begriffenen «Volksbefreiungsarmee» ge- Volksbefreiungsarmee», sondern berichten nur über wesen. Mihajlovic, den grossen Helden seines Volkes, der Aber immerhin hat er auf weite Sicht einen morali-

310 Tito zieht nach Montenegro

Abb. oben: Dieser von den Partisanen hergestellte «Pas- sierschein» sollte Angehörige der Besatzungstruppen dazu ermutigen, zu ihnen überzugehen. – Abb. rechts: «Achtung Bandengebiet. Nur im Geleit fahren.» Diese Schilder, die überall dort angebracht wurden, wo die Partisanen eine Gefahr bedeuteten, zierten immer häufiger die Landschaft Jugoslawiens. schen Sieg errungen, den ihm die Deutschen durch ihr gen, diesmal unter kommunistischer Führung, um eine Eingreifen verschafft haben. Die Kommunisten können kommunistische Herrschaft zu errichten, die dann von von nun an behaupten, Nedic und Mihajlovic seien den Italienern nicht mehr gestürzt werden kann. faschistische Verräter. Haben sie nicht zusammen mit Milovan Djilas hat schon vorgearbeitet, das Mitglied den Deutschen das «befreite Gebiet», die «Volksrepub- des Politbüros, das schon im Sommer 1941 nach Mon- lik» von Uzice erobert? Durch ihre offene Zusammen- tenegro geschickt worden ist. Später ist noch Moshe arbeit haben sie sich selbst als Verräter entlarvt! Pijade in Montenegro eingetroffen, ein jüdischer Kunstmaler, zugleich zu den ältesten Parteiführern Titos geschlagene Truppe zieht nach Montenegro. Dort gehörend, der einzige «Alte», der Stalins und Titos können sich die Partisanen erholen. Nicht nur, weil Säuberung überlebt hat. Er ist Titos Duzfreund, nach- unter der armen Bevölkerung die Sympathien für die dem er mit ihm jahrelang im Zuchthaus gesessen hat. Kommunisten am grössten in ganz Jugoslawien sind, Von der Entwicklung in Montenegro schreibt Franz und auch nicht nur deshalb, weil das wildzerklüftete Borkenau, der selbst Funktionär der Komintern in Bergland die besten Möglichkeiten für Verstecke und Moskau gewesen ist, in seinem Buch «Der europäische die unbeobachtete Aufstellung einer Streitmacht bietet, Kommunismus»: sondern vor allem deshalb, weil Montenegro italieni- «Sie [die Kommunisten] förderten die italienischen sches Besatzungsgebiet ist. Die Italiener sind weit Vergeltungsmassnahmen, wo sie nur konnten, veran- weniger gefürchtet als die Deutschen, den Italienern lassten sogar die Eroberer zur Bestrafung ganz un- traut man weder Organisationstalent noch militärische beteiligter Dörfer, indem sie italienische Beutestücke Erfahrung noch Kampfesmut zu. dort zurückliessen. So brannten die Italiener tatsäch- Aber in diesem Fall ist das – wenigstens für eine kurze lich sechs Dörfer nieder, erschossen etwa hundert Ein- Zeit – ein Irrtum. Als die Einschätzung der Italiener wohner und verschleppten mehrere Hundert in die richtig gewesen ist, hat die Bevölkerung Montenegros Konzentrationslager. Das hatte vom kommunistischen einen Aufstand gewagt und tatsächlich die Italiener ver- Standpunkt den Vorteil, dass es die Moral der ,bürger- trieben. Das ist bereits im Juli 1941 gewesen. lichen' anti-italienischen ,Weissen' brach und zugleich die widerwilligen Dorfbewohner zur Flucht in die Im Oktober 1941 – eben während der Zeit, da die Berge zwang, wo nur die Kommunisten die Führung Kommunisten Montenegros mit Tito und Mihajlovic übernehmen konnten. Das war jene Methode, die die die Stadt Kraljevo belagern, haben die Italiener das Partisanen während des ganzen Bürgerkrieges immer verlorene montenegrinische Gebiet zurückerobert. Und und überall anwandten, um ihre Reihen zu stärken. jetzt kann von einer «milden» Besatzungsmacht nicht Sie erfüllte ihren Zweck ...» mehr die Rede sein. Die Italiener üben Vergeltung. Die Kommunisten unter Djilas und Pijade haben sich Doch auch das ist Tito recht. Der italienische Terror damit an die Spitze des Widerstands in Montenegro als Antwort auf den Terror der Aufständischen erzeugt gesetzt. Jetzt beginnen sie mit der Unterstützung der nur wieder neuen Terror. Tito wird ihn noch anheizen, in die Berge vertriebenen Bevölkerung, Montenegro um Montenegro noch einmal zum Aufstand zu brin- wieder zu erobern. Und zu diesem Zeitpunkt erscheint

311 Widerstand auf dem Balkan der aus Uzice vertriebene Tito mit der verbliebenen haben die Italiener nichts zu suchen. So kehrt nach Ser- Hauptmacht der Partisanen. Im Gebiet des Gebirges bien auch in Montenegro die Ruhe ein. Durmitor errichtet Tito nach der «Volksrepublik» von Tito indessen, der sich jetzt ringsum von Feinden um- Uzice seinen zweiten kommunistischen Staat. Borke- geben sieht und von der Bevölkerung nicht unterstützt, nau, der Ex-Komintern-Funktionär, schreibt über diese sondern eher verfolgt wird, fasst einen Entschluss, der zweite «Volksrepublik»: in seinen Auswirkungen das ganze Bild des Partisanen- «Jetzt verknüpfte sich der traditionelle montenegrini- krieges und der jugoslawischen Widerstandsbewegung sche Blutdurst und die Erbitterung der Bauern, die im grundlegend ändert. eisigen Gebirge hungerten, mit Pijades doktrinärem Tito hat nach der neuerlichen, besonders schrecklichen, Eifer zu einer Orgie des Blutvergiessens, wie sie selbst nahezu vernichtenden Niederlage durch die eigenen in der kommunistischen Geschichte selten war. Wer je Landsleute endlich eines gelernt: In Stalins alten Stie- [für das Königshaus] Stellung genommen hatte, wer feln kommt er nicht mehr vorwärts. Tito hat seine je offen gemässigte Anschauungen vertreten, wurde Lektion begriffen, wenn es auch lange Zeit gedauert erschossen, wenn er nicht rechtzeitig flüchten konnte. hat: Nicht mit «Kommunismus» oder «Sowjetrepublik» Das Massenmorden erstreckte sich auch auf die Reihen ist der Sieg zu erringen, nicht mit blutigem Terror, mit der Kommunisten selbst. Unterdrückung und Gewalt. Was er für den Sieg Die kahlen winterlichen Höhen waren wenig geeignet, braucht, ist die freiwillige Unterstützung der Bevölke- dem Regime ein bestimmbares politisches Gesicht zu rung, und zwar der gesamten Bevölkerung, nicht nur geben. So blieb das massenhafte Erschiessen das einzige der armen Bauern, der «Arbeiterklasse» und einiger bezeichnende Merkmal der Republik vom Durmitor. Vertreter der Intelligenz. Von dort dehnte sich der Greuel auf Teile der Herzego- Aber Tito weiss nun auch, dass er nirgends mehr hin- wina aus. Und schliesslich, am 8. Februar 1942, wurde gehen kann, wo er schon einmal war. Erst muss der Montenegro zu einer Bundesrepublik der UdSSR pro- von ihm selbst erzeugte Hass der Bevölkerung abklin- klamiert .. gen. Es gibt nur ein Gebiet, das alle Voraussetzungen Was nun geschieht, ist kein Wunder. Die Bevölkerung bietet, von hier aus den neuen, nun erkannten Weg Montenegros, die im November und Dezember noch zum Sieg zu beschreiten. Das ist das Gebiet von Nord- Tito und seine Partisanen als Befreier begrüsst hat, west-Bosnien. wendet sich von ihm ab. Vielleicht ist noch nicht ein- Hier erlaubt die Landschaft eine geheime Aufstellung mal das schauerliche Blutvergiessen durch die Kommu- von Truppenverbänden und ebenso eine entschlossene nisten das Entscheidende, Montenegros schwarze Berge Verteidigung dieses Gebietes – wenn nicht die Bevöl- haben schon viel Blut in ihrer langen Geschichte flies- kerung den Verteidigern wie bisher in den Rücken sen sehen. Aber auf jeden Fall bringt die Proklamierung fällt. Und das befürchtet Tito nicht mehr. Einmal weil Montenegros als Bestandteil der Sowjetunion die Aus- er seinen schwerwiegenden Fehler des Terrors erkannt lösung des Volksaufstandes, der sich nun gegen die hat, zum anderen deshalb, weil die Bevölkerung die- Kommunisten wendet. Die Schuld daran liegt aus- ses Gebietes mit Sicherheit auf jeden wartet und ihn schliesslich bei Tito, der sich hier noch einmal, das letz- unterstützen wird, der eine blutige Bedrückung beson- te Mal, an den Grundgedanken Stalins orientiert hat. ders grausiger Art von ihr nimmt. General Mihajlovid und die Cetniki kommen der Die Bevölkerung dieses geschlossenen Siedlungsgebie- montenegrinischen Bevölkerung zu Hilfe. Gemeinsam tes ist serbisch und gehört der christlich-orthodoxen vertreiben Serben, Montenegriner und die Italiener Kirche an, der «rechtgläubigen», pravoslawischen, die die kommunistischen Partisanen aus ihrer blutigen vor der bolschewistischen Revolution auch Russland Republik vom Durmitor. Es wird die schlimmste Nie- beherrschte. Doch liegt dieses serbische Siedlungsge- derlage, die Tito je in seiner politischen Laufbahn er- biet mitten in Kroatien. Die Kroaten aber gehören der litten hat. römisch-katholischen Kirche an. Die Italiener, Montenegriner und Serben schliessen nun Nachdem die Ustascha-Bewegung des Dr. Pavelic die ein Abkommen. Die montenegrinischen Dorfwehren Macht im neuen Staat Kroatien übernommen hat, werden zu einer Art Unterabteilung der Öetniki, wo- kommt es sofort zu Verfolgungsmassnahmen gegen die mit die Serben erstmals in der Geschichte ein Mit- serbische Bevölkerung Kroatiens. Pavelic und seine spracherecht in Montenegro erhalten. Den Italienern Ustascha-Organisation sind in den vergangenen Jah- wird zugestanden, dass sie sich in den Städten und an ren von der italienischen Regierung und vom Vatikan einigen festen Punkten ungehindert aufhalten dürfen, unterstützt worden, da die Ustaschi eine betont römisch- während das Land selbst von den Öetniki und den katholische Bewegung darstellen. Montenegrinern beherrscht wird. In den Dörfern Knapp zwei Millionen Serben leben auf kroatischem

312

LJstascha-Greuel Gebiet. Mehr als eine halbe Million von ihnen wird Als jedoch im Juni die deutschen Truppen fortzogen bis zum Kriegsende von der katholischen Ustascha . . . soll die Ustascha über Nacht aktiv geworden sein umgebracht, die weitaus meisten davon schon im ersten und einen Terror entwickelt haben, der nicht nur das halben Jahr nach der «Unabhängigkeitserklärung» des Entsetzen der hiervon betroffenen Serben, sondern katholischen Kroatien. Dass das Morden danach nach- auch das der meisten Kroaten hervorrief ... lässt, verdanken die Serben den wenigen deutschen Ein- Etwa im Juni oder Juli 1941 wurden an einem Sonn- heiten, die im unabhängigen Kroatien stationiert sind abendnachmittag unter Führung von Ustascha-Emi- – und später Tito. granten, die eigens aus Agram gekommen waren, Was im Jahre 1941 in Kroatien vor sich geht, schildern sämtliche Pravoslawen [christlich-orthodoxe] – darun- viele Berichte. Als besonders unverdächtig jeder ter die Frauen und Kinder – von der Ustascha etwaigen Übertreibung können solche gelten, die von festgenommen... In der gleichen Nacht fand eine Heydrichs SD stammen, der bekanntermassen alles Sitzung der in Glina wohnhaften Ustascha-Führer andere als eine humanitäre Organisation gewesen ist. statt, an der auch der jetzige Minister Dr. Puk teil- Heydrichs SD-Beauftragter in der Stadt Glina berich- genommen haben soll. Hierbei wurde die Ermordung tet unter anderem an seine vorgesetzte Dienststelle: der festgenommenen Pravoslawen, es waren etwa 500 «Die Ustascha verhielt sich vorerst in dem zum Teil- Personen, beschlossen . . . Die festgenommenen Pravo- kommando gehörenden Gebiet ordentlich und erhielt slawen wurden in der darauffolgenden Nacht im auch nach und nach das Vertrauen der Bevölkerung. Kihalci-Wald bei Glina ermordet und dort verscharrt.

«Kein wehrfähiger Mann verlässt den Kessel lebend», heisst es in diesem deutschen Geheimbefehl, ein weiteres Zeichen für die erbarmungslose Härte des Partisanenkrieges.

313 Widerstand auf dem Balkan

Etwa drei Tage später . . . kamen zwei Ustascha-Emi- Die Ustascha-Verbände haben ihre Greueltaten nicht granten und zwei Detektive aus Agram nach Glina nur an männlichen und wehrfähigen Pravoslawen, und nahmen dort 56 Viehhändler, die zum Ankauf sondern insbesondere auch an wehrlosen Greisen, von Vieh nach Glina gekommen waren, fest. Die Vieh- Frauen und Kindern in bestialischster Weise begangen. händler wurden sodann ebenfalls im Kihalci-Wald er- Die von den Kroaten niedergemetzelten und mit den mordet und verscharrt... sadistischsten Methoden zu Tode gequälten Pravo- Infolge dieser Greueltaten flüchteten fast alle Bauern slawen müssen schätzungsweise auf 300’000 Menschen der umliegenden Dörfer in den Wald und hielten sich beziffert werden. Auf Grund dieser Greueltaten sind dort versteckt. Die Ustascha erliess daraufhin einen zahlreiche Pravoslawen nach Restserbien geflüchtet Aufruf an diese Bauern und versprach ihnen volle und haben durch ihre Berichte die serbische Bevölke- Freiheit, falls sie bereit sind, sich römisch-katholisch rung in höchste Erregung versetzt. taufen zu lassen. Die Bauern waren hiermit zum gros- Die von den Kroaten eingeleitete zwangsweise Bekeh- sen Teil einverstanden und verliessen den Wald, um in rung der pravoslawischen Bevölkerung zum Katholi- ihre Dörfer zurückzukehren. Der Taufakt wurde dann zismus und der damit verbundene Terror . . . trägt eben- auch bald darauf vorbereitet, und die Bauern mar- falls in starkem Umfang zur Verschärfung der Lage schierten geschlossen nach Glina, um sich in der serbi- bei...» schen Kirche taufen zu lassen. Es waren in der Kirche Tito ist es, der von den Ustascha-Greueln profitiert. etwa 250 Personen erschienen, die in der Kirche von Hier in Nordwest-Bosnien hat er ein Gebiet mit einer sechs Ustascha-Angehörigen empfangen wurden. Nach Bevölkerung, die vor einem Terror zittert, der nicht dem Eintritt der Bauern wurde die Kirche geschlossen. von ihm kommt. Hier muss er als Befreier aus höchster Die Bauern mussten sich sodann mit dem Gesicht zum Not begrüsst werden, hier wird er die bisher vergebens Erdboden legen, worauf die sechs Ustascha-Angehöri- gesuchte Unterstützung der Bevölkerung erhalten, wenn gen mit bereit gehaltenen spiessartigen Stödten auf die er zugleich auf alle Sowjetisierungsmassnahmen ver- liegenden Bauern einstachen. Durch weitere erschei- zichtet. nende Ustascha-Angehörige wurden die Bauern nach- Die Rechnung Titos geht auf. Nach einem langen einander ermordet...» Marsch durch die Herzegowina und Bosnien gelangt Das ist nur der Bericht aus einem kleinen Markt- seine Hauptstreitmacht schliesslich in das Gebiet um flecken. Ähnliches aber geschieht überall dort, wo Ser- Bihac, das Tito zum Sitz seines Hauptquartiers macht. ben wohnen, die der «rechtgläubigen Kirche» ange- Auf dem Weg dahin hat Titos Truppe schwere Kämpfe hören. Hunderte von Menschen werden bei Mostar mit Deutschen, Italienern, Cetniki und Domobranen zusammengebunden und in den reissenden Fluss (der kroatischen Wehrmacht) zu bestehen. Neretva getrieben, weil sie sich geweigert haben, sich Aber nachdem Tito erst einmal in das Gebiet kommt, katholisch taufen zu lassen. Auch anderswo werden in dem sich der Ustascha-Terror austobt, ist es mit der die andersgläubigen Christen mit Draht zusammen- Feindseligkeit der Bevölkerung vorbei. Nun erhält gefesselt, erschossen und in einen Fluss geworfen. Das seine Truppe sogar Zuzug von allen Seiten. Die Ver- geschieht in den Flüssen Una und Save. folgten und Bedrängten suchen Schutz bei der einzigen Andernorts werden die Priester mit ihrer Gemeinde in bewaffneten Macht, die ihn gewähren kann. Und das den Kirchen erschossen. Viele Kirchen der Serben wer- sind jetzt nur die Partisanen. den gesprengt oder verbrannt, oft genug mit den Gläu- Tito erobert auf seinem Marsch die Städte Bradina, bigen darin. Es kommt auch zur Ausrottung ganzer Prozor und Livno, bis er schliesslich bis nach Bihac Dörfer, deren Einwohner ermordet, deren Häuser an- gelangt. Rund ein halbes Jahr hat dieser Marsch ge- schliessend verbrannt werden. dauert, bis alle Truppen in dem nun «befreiten Ge- Es ist ein Bericht des Reichssicherheitshauptamtes vom biet» wieder zusammen sind. Und die Partisanen- 27. Februar 1942 erhalten. Der Chef dieses Amtes be- armee ist auf diesem Marsch wirklich zu einer Armee richtet darin dem Reichsführer SS über die zuneh- geworden. Ende 1942 hat Tito, einschliesslich der ver- mende «Bandentätigkeit» in Jugoslawien, vor allem streut im ganzen Land operierenden kleineren Ein- in Kroatien. Dieser Chef des RSHA ist Reinhard Heyd- heiten, 130’000 Mann unter seinem Kommando. Aus rich, und in seinem Bericht an Himmler ist unter ande- der Niederlage vom Durmitor ist auf dem langen rem Folgendes zu lesen: Marsch ein Sieg geworden, und Tito wird nun sein «Als wichtigste Ursache für das Aufflammen der Ban- Leben lang nicht mehr vergessen, dass er die Achtung dentätigkeit müssen die Greueltaten bezeichnet wer- und das Vertrauen des Volkes erringen muss, wenn er den, die von den Ustascha-Verbänden im kroatischen erfolgreich bleiben will. Raum gegenüber den Pravoslawen verübt werden. Am 26. November 1942 beruft Tito in die von ihm

314 Volksfronttaktik zum Zentrum seines befreiten Gebietes gemachte alte partisanen, den Öetniki oder den Ustaschi gejagte bosnische Residenz Biha<5 eine Versammlung ein, auf Bauern gegen alle und jeden, marodierende Soldaten der sich der «Antifaschistische Rat der Nationalen der vernichteten jugoslawischen Armee gegen die dörf- Befreiung Jugoslawiens» konstituiert, mit der jugosla- liche Bevölkerung, kriminelle Banden, die sengend, wischen Abkürzung AVNOJ genannt. Natürlich sind mordend und plündernd durch das Land ziehen, um auch in dieser Organisation – die Tito als eine Art Beute zu machen – in Jugoslawien herrscht das Chaos. neues Parlament gedacht hat – die meisten Vertreter So lange, bis Tito aus seinen Erfahrungen gelernt hat Kommunisten. Aber Tito hat inzwischen den Wert der und nach und nach der anerkannte Führer des jugo- Volksfronttaktik eingesehen, so dass er auch Nicht- slawischen Volkes geworden ist. kommunisten zum AVNOJ wählen lässt, um den An- Nicht anders ist es weiter im Süden, in Griechenland, schein der Demokratie zu wahren. nur dass dem griechischen Volk keine Führergestalt wie In das von den Partisanen besetzte westbosnische Ge- Tito erwachsen wird. In Griechenland kommt es daher biet, das eine Ausdehnung von Süden nach Norden auch bis zum Ende des Krieges niemals zu einem ent- von rund 150 Kilometern und eine durch die Land- scheidenden Widerstand gegen die Besatzungsmacht. schaftsformation bedingte variable Breite von 20 bis Griechenland bleibt daher sogar bis vier Jahre nach 50 Kilometern hat, strömen die von den Katholiken Kriegsende, bis 1949, im Chaos, in einem Bürgerkrieg, grausam verfolgten rechtgläubigen Serben Kroatiens. der schon 1941 mit der Niederlage Griechenlands be- Titos Streitmacht wächst. ginnt. Bald aber kommen auch katholische Kroaten und Wie Jugoslawien ist auch Griechenland ein Königreich, suchen Schutz bei Tito. Denn inzwischen haben die wenn auch viel älter und nicht erst nach dem Ersten Öetniki unter dem von der Londoner Exilregierung Weltkrieg von den Siegermächten geschaffen. Über- ernannten Kriegsminister und General Mihajlovic zur flüssig zu erwähnen, dass Griechenland der älteste Vergeltung gegen die Greueltaten in Kroatien aus- Kulturstaat Europas ist, von dessen Geschichte in geholt. Und ihr Rachefeldzug unterscheidet sich in der der Antike noch heute Europas Kultur bestimmt wird. Grausamkeit der Methoden durchaus nicht von denen Das Griechenland des Jahres 1941 lässt von dieser der Ustaschi. einstigen Grösse nichts mehr erkennen – ein armes Ganz unversehens wird auf diese Weise der kommu- Land, von widerstreitenden Parteiinteressen völlig zer- nistische Parteichef Tito zum Retter der Bedrängten rissen. Ein Sprichwort aus diesen Tagen – das auch aller beteiligten Parteien. Er gewährt den einen wie heute noch gilt – sagt: «Drei Griechen, das sind zwei den anderen Unterschlupf in seinem Gebiet – unter sich befeindende Ministerpräsidenten und ein Oppo- einer Bedingung: dass sie alle sich seinem Kommando sitionsführer.» Das Volk ist arm und zum grössten unterstellen und seine Befehle befolgen. Es gibt nie- Teil kaum gebildet. manden unter denen, die nur durch die Flucht in Titos Die Kommunistische Partei ist zu Kriegsbeginn auch Gebiet ihr Leben retten konnten, der diese Bedingung in Griechenland illegal, hat aber einen grossen Einfluss nicht vorbehaltlos anerkennen würde. in den Gewerkschaften, vor allem in der zahlen- und Bis jetzt hat es keinen bemerkenswerten Widerstand machtmässig stärksten Gewerkschaft, der der Tabak- gegen die deutsche Besatzungsmacht in Jugoslawien arbeiter. Chef dieser Gewerkschaft ist Georgios Sian- gegeben, ausser den sporadischen Anfangsversuchen – tos, zugleich Führer der illegalen Kommunistischen die kommunistischen Sabotageakte in Belgrad und Partei, der KKE – «Kommunistikon Komma Elleni- anderen Städten im Sommer 1941 und die Erhebung kon». Als Siantos 1937 von der Regierung des des damaligen Obersten Mihajlovic in Serbien. Beides faschistischen Diktators General Metaxas verhaftet hat die zahlenmässig geringen deutschen Einheiten wird, übernimmt Nicolas Zachariades die KP-Füh- nicht sonderlich gestört, bis auf die Belagerung von rung. Nach dem deutschen Sieg ist Siantos wieder Kraljevo, bei der Tito schliesslich den Deutschen durch KKE-Chef, während Zachariades in Deutschland ge- seinen Kampf gegen die Cetniki sogar zu Hilfe gekom- fangengehalten wird und nach dem Krieg und seiner men ist. Befreiung den griechischen Bürgerkrieg zusammen mit Was sich bis Ende 1942 in Jugoslawien in Wahrheit dem «Partisanengeneral» Markos wieder ankurbelt. Zu abspielt, ist in erster Linie kein Widerstandskampf Beginn des Krieges folgt auch die KKE den stets wech- gegen die Deutschen, sondern ein blutiger, noch nie selnden Weisungen aus Moskau; zunächst deutsch- dagewesener schrecklicher Bürgerkrieg der Jugoslawen freundlich, im März 1941 für wenige Tage deutsch- untereinander. Katholische gegen orthodoxe Christen, feindlich, um dann während des Vormarsches der serbische Öetniki gegen kroatische Ustaschi, Titos Par- deutschen Wehrmacht auf dem Balkan plötzlich vom tisanen gegen alle Andersdenkenden, von den Tito- imperialistischen Krieg zu sprechen – vom griechi-

315 Widerstand auf dem Balkan schen imperialistischen Krieg, versteht sich, der im In- also schon seitdem ein politisch rechtloser Zustand teresse der britischen Imperialisten gegen das deutsche herrscht. So gibt es für Griechenland nicht einmal ein Volk geführt wird, das um seine Freiheit gegen diese einigendes Band in Gestalt einer gemeinsamen Idee, Imperialisten kämpft. eines verteidigenswerten Staatsgedankens, um den sich So unterstützen auch die griechischen Kommunisten alle politischen Gruppen wenigstens für die Zeit des den Vormarsch der deutschen Wehrmacht durch ihre Kampfes gegen einen äusseren Feind scharen könnten. Zersetzungstätigkeit, und so ändert sich das auch in Im Winterhalbjahr 1941/1942 ist Griechenland, das ja Griechenland wie in aller Welt nach dem 22. Juni 1941, bereits seit November 1940 gegen Italien Krieg führen nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion. Jetzt muss – einen sogar beinahe siegreichen –, auch wirt- sind auch für die griechischen Kommunisten nicht mehr schaftlich einem Chaos nahe. Hungersnot breitet sich die Engländer und die «herrschende Klasse Griechen- nicht nur in den Städten aus, sondern sogar in den lands» die Imperialisten, sondern die Deutschen. Dörfern, die ihre Vorräte im vergangenen Jahr an Und ebenso wie Tito geht es den griechischen Kommu- die griechische Armee abgeben mussten und deren An- nisten von vornherein in erster Linie um die Eroberung bauflächen danach durch den Krieg verwüstet worden der politischen Macht, nur dass sich unter den griechi- sind. Die umfangreichen Hilfsmassnahmen durch das schen Kommunisten niemand findet, der wie Tito in Rote Kreuz können diese Not nur lindern, keineswegs Jugoslawien erkennen lernt, dass man diese Macht aber beseitigen. nicht nur mit brutaler Gewalt, sondern vor allem mit Da wie überall in einem militärisch geschlagenen Land der freiwilligen Unterstützung des ganzen Volkes er- nach der Niederlage Waffen versteckt worden sind, obern kann. Aus eben diesem Grund wird der blutige ziehen viele der Hungernden mit diesen Waffen aus- Kampf in Griechenland nicht zu einem geschlossenen gerüstet aus den Städten in die Berge. Und da sich Volkskampf gegen die Besatzungsmacht, sondern unter den Städtern naturgemäss weit mehr Kommu- bleibt bis nach dem Zweiten Weltkrieg weit eher ein nisten als unter der ansässigen bäuerlichen Bevölkerung grausam geführter Kampf innerhalb des Volkes selbst. befinden, bildet sich in Griechenland als erste eine kom- Ebenso wie in Jugoslawien gibt es auch in Griechen- munistische Widerstandsorganisation. land zunächst eine grosse Anzahl verschiedener poli- Siantos gründet, längst vor Titos AVNOJ, die EAM, tischer Gruppen und Grüppchen, von denen nur die die Ellenikon Apalevtherikon Metopon, die «Grie- wichtigsten genannt werden können. chische Nationale Front». Das geschieht bereits im So gibt es eine breite Gruppe der gesellschaftlichen September 1941, als Tito eben erst mit seinen geringen Oberschicht, die mit den Deutschen kollaboriert. Diese kommunistischen Banden vor Kraljevo den Öetniki Gruppe setzt sich vor allem aus deutschfreundlichen des Oberst Mihajlovic die ersten Schwierigkeiten Monarchisten und Anhängern des kurz vor dem deut- macht, als Tto noch nicht einmal die erste seiner beiden schen Angriff verstorbenen Diktators General Metaxas kommunistischen Terror-Republiken gegründet hat. zusammen. Doch bei beiden Gruppen gibt es einen ähnlichen und Siantos tut jetzt das, worauf der Stalinist Tito erst jeweils gleichgrossen Teil, der zu den erbittertsten später durch eigene bittere Erfahrung kommt. Er ver- Gegnern Deutschlands gehört. Das sind die Monar- steckt die Partei völlig hinter der angeblich überpar- chisten, die zu König Georg II. halten, der sich unter teilichen EAM und gründet am 10. April 1942 – dem Schutz der Briten zunächst nach Kreta und dann eben wird Titos blutige Durmitor-Republik von nach London begeben hat und auf alliierter Seite steht. Italienern, Öetniki und der montenegrinischen Bevöl- Bei den Metaxas-Anhängern – die ohnehin in Mon- kerung zusammengeschlagen – die militärische Orga- archisten und Republikaner zerfallen – ist es ähn- nisation der EAM, die ELAS (Ellenikon Laikon Apele- lich. Auch von ihnen halten viele die deutsche Beset- vtherikon Straton, die «Befreiungsarmee der Griechi- zung für schlechter als die britische, vor allem weil die schen Nationalen Front»). Antimonarchisten unter ihnen dem König nicht zu- Bis dahin kann Siantos noch als Vorbild Titos gelten, trauen, dass er angesichts seiner deutschen Vorfahren dessen Gegner in der Komintern er übrigens ebenso wirklich ein echter griechischer Patriot ist. wie sein Vorgänger und Nachfolger Zachariades ist. Ähnliche Gruppierungen und Untergruppierungen Siantos hat die taktische Wandlung der Stalinschen spalten das gesamte politische Leben Griechenlands, Politik schon vor Tito begriffen, die Taktik der Zusam- weit mehr als in jedem anderen Land Europas. Begün- menarbeit mit den westlichen Demokratien, die Taktik stigt wird diese Zersplitterung dadurch, dass seit der der «Nationalen Front», die selbst Walter Ulbricht noch Regierungsübernahme durch General Metaxas 1937 die heute als Aushängeschild seiner DDR benutzt. griechische Verfassung ausser Kraft gesetzt worden ist,

316 König Georg muss fliehen

Die EAM unter Führung von Siantos kommt gar nicht erst auf solche Ideen wie die Gründung von sozialisti- schen Republiken oder gar die Proklamierung von griechischen Gebieten zu Teilen der Sowjetunion, mit denen Tito sich anfangs bei der eigenen Bevölkerung so unbeliebt gemacht hat. Schutz des griechischen Volkes vor Hunger, Not und Seuchen; Schaffung einer starken Widerstandsarmee; danach Kampf gegen die deutsche, italienische und bulgarische Besetzung; Kampf gegen die Kollabora- teure, die mit einer der Besatzungsmächte Zusammen- arbeiten; nach dem Sieg Bildung einer provisorischen demokratischen Regierung aus den Reihen der Wider- standsbewegung; Einführung aller demokratischen Freiheiten und Wahl einer verfassungsgebenden Ver- sammlung. In Wahrheit geht es natürlich auch hier um die Erobe- rung der Alleinherrschaft durch die Kommunisten.

Abb. oben: Ein Stempel, der von griechischen «Widerstandskämpfern hergestellt wurde, zeigt, wie der grosse Zeiger einer Uhr – ein Schwert – unweigerlich Hitler enthaupten und damit die Hakenkreuzherrschaft in Griechenland beenden wird. – Abb. unten: Ein griechischer Holzschnitt stellt eine Vergeltungsaktion der Besatzungstruppen dar. Die Bewohner eines Dorfes werden zusammengetrieben, Geiseln herausgesucht und anschliessend erschossen. 317 Widerstand auf dem Balkan

Die Kundgebung gegen die Zivilmobilisierung am 24. Februar 1943

Die blutigen Kundgebungen gegen die Besatzungsmächte, gen aus und bereiteten offizielle Interventionen bei Minister- mit dem Zweck der Verhinderung der Zivilmobilisierung in präsident Logothetopoulos vor, während das Volk spontan Griechenland, müssen als eines der hervorragendsten Ereig- und offen die deutsche Provokation anprangerte. nisse des griechischen Widerstandskampfes betrachtet wer- Als die Gefahr auftauchte, trafen sich sofort die Führer der den; sie nahmen die Form einer revolutionären Erhebung an EAM und der EDES und beschlossen, ihre Aktion für die und führten schliesslich zur Aufhebung der Mobilisierungsan- Erstellung eines Aktionsplanes und einer Bewegung des ordnung, die unter «persönlicher Garantie» Hitlers erfolgte. Volkes zu koordinieren, mit dem Ziel, um jeden Preis den Plan der zivilen Mobilisierung abzuwehren. Die Entschlos- Hunderte griechische Tote und Verletzte waren die Opfer senheit und die Zusammenarbeit dieser beiden Organisa- eines sechzehn Tage dauernden Kampfes, durch den auch dem tionen war tadellos. Sie befanden sich in ständiger Alarm- Feind empssndliche Verluste beigebracht wurden. bereitschaft, gaben Proklamationen heraus, bereiteten Ver- Die Verwirrung des Feindes war so gross, dass er seine stecke und die eventuelle Flucht ihrer von Verhaftung durch Patrouillen verzehnfachte, die Ausgangszeiten für Zivil- die Besatzungstruppen bedrohten Kader vor. personen verringerte und seinen Soldaten den Befehl gab, Am Abend des 2. Februar sandten die Deutschen dem Amts- innerhalb der Siedlungen nur in Gruppen zu gehen; die für blatt der griechischen Regierung den Text des zu druckenden Offiziere und Soldaten reservierten Heime und Klubs wur- Dekrets der Zivilmobilisierung. den früher geschlossen, aus Furcht vor Sabotageakten und Die sofort benachrichtigten Widerstandsorganisationen be- Angriffen bewaffneter Patrioten. Die deutsche und italieni- schlossen für den nächsten Tag, mit massiven Volksdemon- sche Niederlage im Kampf mit der nichtbewaffneten griechi- strationen in Athen und im Piräus zu beginnen. schen Bevölkerung hatte für den Feind ernsthafte Folgen: Mit der Losung «Nieder mit der Zivilmobilisierung» strömte Es wurde für die Achse unmöglich, die 80’000 griechischen das Volk wie ein Sturzbach in die Strassen, und vor den Arbeiter zu mobilisieren, die es ihr ermöglicht hätten, eine Augen der verblüfften Deutschen und Italiener wurden an entsprechende Anzahl deutscher Arbeiter unter die Fahnen den zentralen Punkten der Hauptstadt Versammlungen ab- zu rufen, um die kampffähigen Männer zu ersetzen, die in gehalten. Delegationen aller Städte begaben sich zu den zu- Besatzungseinheiten immobilisiert waren und die sie daher ständigen Regierungsmitgliedern, die trotz der schon erfolg- nicht an die Front schicken konnte; noch besser: ihre Nieder- ten Kundmachung des Dekrets leugneten, dass die Mobil- lage zwang die Deutschen und Italiener, ihre Okkupations- machung unmittelbar bevorstand. Die Besatzungsbehörden streitkräfte in Griechenland fühlbar zu verstärken. Das versetzten ihre Truppen in Alarmzustand und Patrouillen, Ausmass der feindlichen Niederlage und der Vorteil, den die aus je einem mit automatischen Waffen und Handgrana- die Alliierten daraus zogen, liegen daher auf der Hand. ten ausgerüsteten halben Zug bestanden, durchstreiften die Am Morgen des 20. Februar 1943 erfuhren die Griechen aus ganze Stadt. Der Tag verlief ohne Zwischenfall; ab Abend einer Radiosendung der offiziellen deutschen Nachrichten- hörten alle, die es konnten (die Besatzungsbehörden hatten agentur, dass Hitler, der den Mut, den die Griechen auf alle Radioapparate versiegelt) die Sendungen von London dem Schlachtfeld bewiesen hatten, kannte und schätzte, ihre und Kairo, in denen das Volk zum Widerstand gegen den Hilfe bei der Verwirklichung seiner Pläne und bei der Errich- deutschen Beschluss auf gerufen wurde. tung der «neuen Welt», die er schaffen wollte, wünschte, und Im Laufe der gemeinsamen Beratung am Nachmittag des dass er ihre konkrete und aktive Unterstützung verlangte. 23. Februar setzten die Widerstandsorganisationen den fol- genden 24. Februar als den Tag fest, an dem die Kund- Die Nachricht brachte die Staatsbeamten, die Arbeiter, die In- gebungen gegen die Mobilisierung beginnen sollten. Am tellektuellen, das Volk und die Führungen der Widerstandsor- Abend wurden Aufrufe gedruckt und Gruppen von Ver- ganisationen in starke Erregung, denn man kannte die teilern überschwemmten die Stadt damit, während gleich- «Grossmut» Hitlers. Das ganze Volk befand sich im Alarmzu- zeitig Kuriere den Kadern und Mitgliedern der Organisation stand. Anordnungen und Instruktionen übermittelten. Im Folgenden Am nächsten Morgen, den 21. Februar, veröffentlichte die einer dieser Aufrufe: deutsche Zeitung für Griechenland, «Deutsche Nachrichten», den Aufruf Hitlers und fügte in seinem Kommentar hinzu, EDES Gewerkschaften dass man einen Ausdruck finden müsste, um die Teilnahme AUFRUF FÜR EINE NATIONALE ERHEBUNG der Griechen an dem unternommenen Werk zu bezeichnen; und sie verwendete ganz unschuldig den Ausdruck «Zivil- Griechen! mobilisierung». Die Unterdrücker der Achse versuchen, ein neues Verbrechen Unverzüglich bereitete sich das Volk darauf vor, zu reagie- an uns zu begehen; sie bereiten die Zivilmobilmachung von ren. Die intellektuellen und beruflichen Vereinigungen, die 80’000 Männern vor. Das bedeutet, dass die Elite des helle- Gewerkschaften, die Vertreter der öffentlichen Angestellten, nischen Volkes gewaltsam den nazi-faschistischen Kräften alle, Arbeiter und Angestellte, beschlossen, mit allen Mitteln eingegliedert werden soll, um gegen Griechenland, seine zu antworten. Verbündeten und die grossen Ideale zu kämpfen, für die Die Universitäten, die grossen Schulen, gaben ihre Weisun- unser Land in den Bergen Albaniens sein Blut vergossen

318 Maschinengewehre sind pos- tiert hat, als es gegen die Kräfte der Gewalt und des Obskuran- menschliche Masse, diese unbewaffnete Masse, auszuschwär- tismus kämpfte. men; Tausende Demonstranten bewegen sich auf den alten Griechen! Königspalast zu, Tausende zum Konkordiaplatz, Tausende Unser nationales Gewissen ruft uns alle zur unbedingten all- in andere Hauptstrassen, zum Verfassungsplatz, die mutige gemeinen Erhebung gegen die Achse, zu einer Erhebung, mit Menge begibt sich zum Grabmal des unbekannten Soldaten; der das griechische Volk den frechen Besetzern die Lehre er- sie zerreisst die deutschen und italienischen Ketten und teilen wird, die sie verdienen. singt, auf den Knien, mit Andacht die Nationalhymne. Der Griechen! Feind ist verwirrt. Das Volk erweist seinen Helden Ehre; Ein einziger Schrei aus unzähligen Mündern muss Athen und und dann stürmt es zu den Regierungsgebäuden; mit Stei- Piräus beherrschen und aufrühren: «Nieder mit der Verskla- nen, mit Orangen zerschlägt es die Fenster; es droht und vung!», «Nieder mit der Mobilisierung! Mit unserer Mobilisie- klagt an; es wird versucht, Kisten mit Material in Brand rung!» zu setzen, eine Gruppe von Männern dringt in den alten Volk von Athen und vom Piräus! Königspalast ein, in dem sich die Regierungsstellen befin- Du bist, einmal mehr, auf gerufen, morgen auf einen nationa- den und zerbricht alles, was sie findet; die Männer verbrei- len Appell zu antworten. Die Kräfte der EDES werden an dei- ten eine Panik unter den Beamten und ziehen sich dann ner Seite sein. zurück. Alle gemeinsam, werden wir die grosse Schlacht für den Sieg Der Feind schiesst einige Maschinengewehrgarben in die liefern. Luft, während Motorradfahrer und Panzer in Aktion tre- Es lebe Griechenland und sein heldenhaftes Volk! ten, um die Patrioten zu zerstreuen, die sich jedoch später 24. Februar 1943 Gewerkschaftskommission wieder auf dem Konkordiaplatz sammeln, zu dem nun EDES die Menge zurückströmt, mit den Rufen: «Nieder mit der Zivilmobilisierung!», «Es lebe Griechenland und seine Ver- Die EAM hat sicher ebenfalls noch andere Aufrufe und bündeten!», «Tod dem Hitler und dem feigen Mussolini!», Flugblätter verteilt, doch haben wir davon keine Texte. «Hinaus mit den Bulgaren aus Griechenland!» Am Morgen des 24. Februar standen einander die Besat- Zehn Uhr: Der Schrei «Zünden wir das Arbeitsministerium zungsarmee und das Volk von Angesicht zu Angesicht ge- an», ertönt in der Menge, die sich daraufhin über die Pa- genüber. Die zahlreichen feindlichen Patrouillen waren bis tissiastrasse und über die Querstrassen Tossitsia und Boul- an die Zähne bewaffnet; während der Nacht waren an den bouninas zum Arbeitsministerium begibt, das gewöhnlich Fenstern der requirierten Gebäude der Avenue der Univer- von einem ständigen Polizeikordon bewacht wird. Heute sität, der Strasse des Stadions und des Platzes der Verfas- jedoch wurden dort zwei Kompanien italienischer Gendar- sung sowie des Konkordiaplatzes Maschinengewehre postiert men, verstärkt durch eine Halbkompanie mit automati- worden; dreifache Ketten von Wachtposten beschützten die schen Waffen und leichten Panzern ausgerüsteter Soldaten Umgebung der Gebäude, in denen sich militärische Dienst- postiert. In Voraussicht der Tatsache, dass das Arbeits- stellen befanden; Mobilgruppen versahen den Nachrichten- ministerium, das für die Zivilmobilisierung zuständig und dienst. verantwortlich war, das Ziel sein würde, das die Menge Das Volk jedoch, das Volk hatte nur eine Waffe: seinen un- zu erreichen suchte, hatte der Feind vorsorglich die grie- beugsamen Willen, den Hitler-Plan zu Fall zu bringen. Es chischen Wachen abgezogen. verstand genau, was die Zivilmobilisierung bedeutete und Die Italiener haben die Strassenecken besetzt und ihre welche Folgen ihre eventuelle Durchführung für den Kampf Maschinengewehre so auf gestellt, dass keine Zivilperson der Alliierten haben würde. sich dem Ministerium nähern kann; die Schüsse werden Acht Uhr: Dichte Gruppen von Männern und Frauen aller zahlreicher, die Rohre der Maschinengewehre senken sich: Altersgruppen beginnen sich an verschiedenen Punkten der der Feind schiesst auf die Menge; die ersten Toten und Ver- Stadt zu konzentrieren. Zu Fuss, in den Strassenbahnen, wundeten fallen, bewaffnete Demonstranten schiessen zu- manche in Holzgasautos, strömen sie aus den Vorstadtbe- rück; mehrere italienische Soldaten werden verwundet. zirken Athens, aus den nahen Vierteln und sogar aus Nun stürmt die Menge wie ein wütendes Tier vorwärts; Colonski (dem aristokratischen Viertel der Vorkriegszeit) in sie wirft Steine und Orangen, neue Opfer fallen; die die Hauptstadt, um dem nationalen Aufruf zu gehorchen. Schmerzensschreie werden vom griechischen Kriegsruf über- Die gesamte Bevölkerung der Hauptstadt befindet sich auf tönt: «Aera, a, a!» Angreifer und Angegriffene befinden dem Kriegsfuss; die jungen Männer und die jungen Mädchen, sich im Körpergemenge, und eine Gruppe dringt ins Mi- die Greise und die Erwachsenen, die Kinder, sie alle bilden nisterium ein, wo ein Kugelwechsel mit den an den Fen- einen einzigen Körper, eine einzige Seele, sie bilden eine stern postierten Italienern stattfindet. Die Einrichtung wird kompakte menschliche Masse im Zentrum der Stadt. zerbrochen und verwüstet, die Archive werden geleert, man Neun Uhr: Das Herz der Stadt, die so viele freudige und häuft Papier und Holz zu Haufen, die dann angezündet traurige Ereignisse erlebt hat, schlägt in patriotischer Begei- werden, dann zieht man wieder ab. Kein Beamter befand sterung. Die Nationalhymne und das Kriegslied von Rigas sich in dem Gebäude, alle waren mit dem kämpfenden Venestinlys, die von der Menge gesungen werden, bringen Volk. Das Feuer breitet sich schnell aus und ergreift die die durch Hunger geschwächten Griechen zum Weinen und zwei ersten Stockwerke des Ministeriums. Die Italiener, die lassen sie vor Rührung erschauern; und dann beginnt diese sich in die obersten Stockwerke und auf die Dachterrasse

319

Widerstand auf dem Balkan geflüchtet haben, werfen ihre Waffen fort und bitten fle- zurückzukehren; es ist kurz nach Mittag. Auf dem Kampf- hentlich, dass man sie rette; die Flammen und der Rauch platz liegen zwei tote Griechen, durch Säbelhiebe getötet; stacheln die Menge an, die sich unermüdlich den Italienern fünf andere wurden zu den nächsten Rettungsstellen ge- entgegenwirfl. Wieder gibt es Tote, und das Rote Kreuz bracht. Die Anzahl der Verwundeten beträgt 59. Dreissig entsendet sofort alle zu seiner Verfügung stehenden Wagen, sind im Spital «Evanguelismos» untergebracht, zehn im um die Verwundeten in die Spitäler «Evanguelismos» und «Neas Ionias». Die 19 anderen konnten nach erster Hilfe- «Neas Ionias» zu transportieren, die an diesem Tag Dienst leistung wieder in ihre Wohnungen zurückkehren oder be- haben. Die griechischen Feuerwehrleute, die gerufen wur- finden sich in verschiedenen Kliniken der Stadt. Noch am den, um das Feuer zu löschen, greifen so spät und so lang- selben Abend wurden die Verwundeten auf Anordnung der sam wie möglich ein; sofort wie sie die Menge bemerkt Widerstandsorganisationen aus den Spitälern in Privat- haben, sind sie stehengeblieben, unter dem Vorwand, dass kliniken überführt, damit sie nicht von den Besatzungs- sie nicht weiterfahren können; bedrängt von den Italienern, truppen als Verantwortliche der Revolte verhaftet würden. die in der Zwischenzeit Verstärkung bekommen haben, Auch die Italiener zählen zahlreiche Tote und Verwundete. verzögern sie so lange wie möglich die Löschung des Feuers In seiner Sendung für Griechenland beglückwünscht an und haben nur aktiv eingegriffen, als das nahegelegene Ge- diesem Abend Radio Kairo das griechische Volk für seinen bäude des Wirtschaflsministeriums in Gefahr geriet. Sieg über die Truppen der Achse. Nachdem sie das Ziel erreicht haben, beginnen die Griechen sich langsam, sehr langsam, zu zerstreuen und nach Hause (Aus: Der Widerstandskämpfer, 1958, Heft 5)

Zunächst wird in mazedonischen Gebieten und im un- die Besatzungsmächte. Nun, Ende 1942, möchte das wegsamen Pindus-Gebirge die Macht der EAM auf- britische Oberkommando eine direkte Zusammenarbeit gebaut. Gegen die Besatzungsmacht wird nur im bul- mit den Partisanenstreitkräften in die Wege leiten. garischen Gebiet Mazedoniens gekämpft, weil man die Bulgaren für schwächer hält und sich dort Waffen be- Bei El Alamein, nur 100 Kilometer von der ägypti- sorgen muss. Aber auch dieser Kampf wird nur mit schen Hauptstadt Kairo entfernt, steht Rommels Deut- halber Kraft geführt. sches Afrikakorps und bedroht die britische Herrschaft Die Deutschen werden weitgehend in Ruhe gelassen. in Nordafrika und im Mittelmeerraum. Der Suez- Die Wehrmacht beschränkt sich darauf, die wichtigsten Kanal, die Lebensader des britischen Weltreiches, ist Städte zu besetzen sowie die Bahnlinien und Strassen bedroht. Die Nachschublinien des Deutschen Afrika- nach Norden freizuhalten. Schliesslich sind die EAM korps aber laufen zu einem grossen Teil über Griechen- und ihre Armee EL AS in erster Linie nicht zum Kampf land und Kreta. Sie gilt es zu unterbrechen. gegen die Deutschen, sondern für den Bürgerkrieg Die erste britische Militärmission unter dem Oberst- gegen die politischen Gegner im eigenen Volk ge- leutnant Myers springt mit dem Fallschirm über Grie- schaffen worden. Für diesen Kampf muss man sich chenland ab und nimmt Verbindung mit ELAS und stark machen und nicht schon die Kräfte im Kampf EDES auf. Notgedrungen muss selbst die ELAS – die gegen die Deutschen verzetteln. von Ares geführt wird, über dessen unvorstellbare Neben der ELAS existiert als zweite wichtige Orga- Greueltaten die britischen Militärs entsetzt nach Kairo nisation die EDES (Ellenikon Demokratikon Ethni- und London berichten – nun Widerstandsarbeit lei- kon Straton), die «Griechische Demokratische Volks- sten. Denn die Briten versprechen Waffen, Munition armee», die von dem Obersten Napoleon Zervas und Verpflegung – aber natürlich nur, wenn gegen die geführt wird. ELAS sowie EDES kontrollieren weite Deutschen gekämpft wird. Gebiete Griechenlands und haben ihre eigene Zivil- Unmittelbar vor dem Beginn der britischen Gegen- verwaltung. EDES ist schliesslich die einzige nicht- offensive vor El Alamein sprengen britische Kom- kommunistische Widerstandsgruppe, die den Vernich- mandotrupps mit Unterstützung griechischer Partisa- tungskampf der Kommunisten bis zum Kriegsende nen von der EDES des Oberst Zervas den Haupt- überlebt. Weder ELAS noch EDES stehen in Verbin- viadukt der Eisenbahnlinie vor Athen. Zur gleichen dung zur Exilregierung in London, die später nach Zeit unternehmen andere Partisanentrupps Sabotage- Kairo übersiedelt. akte gegen deutsche und italienische Schiffe im Hafen Es ist die britische Regierung, die sich an ELAS und von Athen, im Piräus. ELAS- und EDES-Leute spren- EDES um Hilfe wendet. Man hat in London viel von gen gemeinsam die Gorgopotamo-Brücke. den Partisanenkämpfen in Griechenland vernommen Daraufhin erhalten die griechischen Partisanen Waffen und hat geglaubt, es handle sich um Kämpfe gegen aus England. In grosser Zahl erscheinen britische Flug-

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Jugoslawien

Der Widerstand in Jugoslawien wurde im Wesentlichen von zwei Partisanenführern organisiert. Von dem Generalsekretär der kommunistischen Partei Jugoslawiens, Josip Broz Tito (oben links: mit dem fünf zackigen Stern, demZeichen der «Natio- nalen Freiheitsbewegung»), und dem jugoslawischen General Draza Mihajlovic (oben rechts), der als einziger höherer Offizier die Kapitulation seines Landes nicht akzeptierte und entschlossen war, den Widerstand fortzusetzen. Er liess sich nach der Kapitulation einen Bart wachsen und schwor, sich erst nach der völligen Befreiung seiner Heimat wieder zu rasieren. – Die Taktik und die politische Zielsetzung für ein befreites Jugoslawien des Kommunisten Tito und des Monarchisten Mihajlovic waren so unterschiedlich, dass es nicht gelang, eine Einheitsfront gegen die deutschen und italienischen Okkupanten herbei- zuführen. Seinen «Cetniks» (traditionelle Bezeichnung für serbische Freischärler, von ceta = Bande, Schar, Kompanie) ge- genüber motivierte Mihajlovic die Ablehnung des Angebots Titos zur Zusammenarbeit: «Mit den kommunistischen Parti- sanen kann es keine Zusammenarbeit geben, weil sie gegen die Dynastie und für die sozialistische Revolution kämpfen, was niemals unser Ziel sein kann.» Statt einer Zusammenarbeit kommt es zu erbitterten Kämpfen der rivalisierenden Wider- standsgruppen, die bis zum Ende des Krieges andauern. Nach der militärischen Niederlage Jugoslawiens am 17. April 1941 gehen König Peter und die Regierung nach London und bilden hier eine Exilregierung. Der jugoslawische Staat, der erst 1918 aus zahlreichen Volksgruppen gebildet worden ist, wird aufgelöst und von deutschen und italienischen Truppen besetzt. Im deutschen Militärverwaltungsgebiet Serbien wird am 30. August 1941 unter dem früheren Kriegsminister General Milan Nedic eine serbische Regierung gebildet, die jedoch keine grosse Autorität zu erreichen vermag. Die von ihm auf gestellte «serbische Staatsgarde» kann den Partisanen nicht wirkungsvoll entgegentreten. An die Spitze von Kroatien setzt sich der nationalistische Kroatenführer Dr. Ante Pavelic (rechte Seite, oben links) und bildet hier eine von den Deutschen unterstützte faschistische Regierung. Seine Diktatur stützt sich einmal auf die «Domobran», die reguläre Armee, und zum anderen auf die «Ustascha», eine Art SS-Formation. Mit ihr betreibt er eine radikale und blutige Kroatisierungspolitik, von der insbesondere die katholischen Serben auf seinem Gebiet betroffen werden. Dieser ungeheure Terror der Ustascha der serbischen Bevölkerung gegenüber trägt mit dazu bei, die Partisanenverbände zu verstärken. «Diese Menschen, die in ungezählten Fällen selbst Zeuge der bestialischen Hinmor- dung ihrer Angehörigen waren, hatten nichts mehr zu verlieren, konnten, da die Abschiebung auch ohne jede Anmeldung erfolgte, nicht aufgefangen und untergebracht werden und gesellten sich darum in die Wälder und Gebirge . . . Nach hier vorliegenden Meldungen sind allein in Kroatien rund 200’000 Serben ermordet worden», heisst es in einem Bericht des Ge- sandten Benzler vom 27. August 1941.

Linke Seite oben links: Ein Angehöriger des Ustascha-Sicherheitsdienstes mit einem gefangengenommenen serbischen Widerstandskämpfer. – Linke Seite oben rechts: Hinrichtung des jugoslawischen Partisanenkommandeurs Stevan Fili- povic, der noch unter dem Galgen den Sieg seiner Heimat beschwört. Oben rechts: Ein deutscher Stosstrupp konnte bis zu den Bunkern jugoslawischer Partisanen vordringen. Die sechs schwarzen Flecken zeigen gesprengte Partisanenbunker. Die Detonationen der Sprengstoffe haben den Schnee schwarz gefärbt. – Bild unten: Die Tätigkeit der Partisanen nahm ein so starkes Ausmass an, dass man selbst auf den Einsatz von Panzern nicht verzichten konnte.

Bild oben: Nur als schwarzer Strich zu erkennen, zieht eine lange Kolonne Tito-Partisanen durch die verschneite Bergwelt. – Bild unten: «Wieder ist es unseren Truppen gelungen, nach hartem Kampf eine der bolschewistischen Banden, die das kroatische Gebirgsland terrorisieren, unschädlich zu machen.» Für die deutsche Propaganda handelt es sich bei den Partisanen um Banden und bei ihrem Verhalten den Okkupanten gegenüber um Terror. Dieser Terror, der von jugoslawischer Sicht aus als patriotische Tat betrachtet wird, muss von den betroffenen Deutschen jedoch bekämpft werden. Hier entschliesst man sich zum Gegenterror. «Durch den Befehl des Generals Böhme, laut welchem für jeden erschossenen Soldaten 100 und für je- den verwundeten Soldaten 50 Serben exekutiert werden, [ist] eine allgemeine klare Linie geschaffen worden», erklärte der Chef der Sicherheitspolizei und des SD am 21. Oktober 1941. – Rechte Seite unten: Ein Beispiel für die zahlreichen grausamen

Geiselerschiessungen durch ein SS-Kommando. Der Abschreckungseffekt dieser Massenerschiessungen blieb jedoch aus. Der deutsche Gesandte in Belgrad berichtete, «ein Teil der männlichen Bevölkerung [sei] aus Angst vor neuen deutschen Repres- salien in die Berge» geflüchtet, was natürlich eine Verstärkung der Partisanen bedeutete. Oben rechts: Von Deutschen erbeutetes englisches Material für Sabotageakte: M aschinenpistolen, Trommelrevolver und Kisten mit Munition und Sprengstoff. – Oben links: Auf ihrer Flucht haben serbische Partisanen hinter sich eine Brücke in die Luft gesprengt. Eine deutsche Sicherheitsgruppe setzt mit dem Schlauchboot über den Fluss, um den Pionieren ein ungestörtes Arbeiten beim Bau eines Notüberganges zu gewährleisten.

Linke Seite, oben links: «Nur geübte Kletterer können den Anforderungen gerecht werden, die eine tagelange Verfol- gung bolschewistischer Banden in schwierigstem Berggelände stellt.» – Linke Seite, oben rechts: Partisanenkampf in Bosnien: «Auch in den Gebirgen des Balkans gibt es für die Kradschützen aussergewöhnliche Schwierigkeiten zu über- winden, wenn Schnee und Schlamm die steilen Gebirgswege unzugänglich machen.» Das schwierige Gelände, eine un- zugängliche Gebirgslandschaft, ist der Hauptverbündete der jugoslawischen Partisanen. Hauptsächlich wegen die- ser Beschaffenheit des Landes können sie immer grösser werdende «befreite Gebiete» unter ihre Kontrolle brin- gen. – Bild links unten: Ein einheimischer Öetnik,der mit den Deutschen kollaboriert, zeigt den muselmanischen Reitern die Richtung an, in der sich die Partisanen zurückgezogen haben. – Im Februar 1943 hatte Himmler sich dazu entschlossen, eine muselmanische Bosniaken-Division im Rahmen der SS anzuwerben, um sie im Kampf gegen die Partisanen einzusetzen. Die Imame, die mohammedanischen Feldgeistlichen, haben «die Kräfte der Religion für die Erziehung der Divisionsangehörigen zu guten SS-Männern wachzurufen und zu entfalten», hiess es in der Dienstanweisung für Imame vom 15. März 1944. – Bild oben: Jugoslawische Tito-Partisanen beim Appell nach der Befreiung der Stadt Jajce. – Über das geschickte Verhalten der kommunistischen Partisanen heisst es im Lagebericht des Befehlshabers der deutschen Truppen in Kroatien vom 22. Dezember 1942: «Die politischen Parolen [der Tito-Führung] erstrebten bei klugem Verzicht auf das Herausstellen weltrevolutionärer Pläne die Zusammenfassung aller Bürger des Landes gegen Üetniks, üstaschen und Okkupatoren. Die humane Behandlung gefangener kroatischer Landwehrmänner hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Ganz allgemein herrscht das Bemühen vor, die Aufstandsbewegung durch Disziplinierung und fürsorgliche Verwaltungsmassnahmen für die Machtübernahme gesellschaftsfähig zu machen.» Oben links: General Arso Jovanovic war bis 1946 Chef des Generalstabes der Nationalen Befreiungsarmee. Als Haupt- mann der Königlich Jugoslawischen Armee hatte er sich nach der Kapitulation den Tito-Partisanen angeschlossen und war sofort von Tito als Stabschef in sein Hauptquartier übernommen worden. Damit sollten andere Offiziere der Armee für den Übertritt zu den Partisanen gewonnen werden. Nach dem Bruch Titos mit Moskau stellte er sich Moskau zur Verfügung und wurde bei dem Versuch, die jugoslawisch-rumänische Grenze zu überschreiten, von einer Grenzpatrouille erschossen. – Bild unten: Bosnische Frauen tragen verwundete Partisanen aus dem Kampfgebiet. Die Verwundeten und Kranken stellten ein grosses Problem für die Partisanenkriegführung dar. Einmal fehlte es an medizinischen Hilfsmitteln – so mussten bei- spielsweise Amputationen ohne Narkose und mit einer gewöhnlichen Holzsäge vorgenommen werden –, und zum anderen mussten die Verwundeten auf den langen und harten Gewaltmärschen über das unwegsame Berggelände mitgeführt werden. – Oben rechts: Jugoslawische Artillerie im Einsatz bei der dritten deutschen Offensive, mit der die Partisanenarmee zerschlagen werden sollte. Während die Jügoslawen die Tapferkeit der deutschen Soldaten anerkannten, geschah das gleiche auch von deutscher Seite. Nach dem Scheitern der fünften deutschen Offensive stellte der Befehlshaber der deutschen Truppen in Kroatien fest, der Verlauf der Kämpfe habe bewiesen, «dass die unter dem Oberbefehl Titos zusammengefassten kommu- nistischen Streitkräfte straff organisiert sind, geschickt geführt werden und über eine erstaunliche Kampfmoral verfügen». Es sei ihnen wiederholt gelungen, «die Unterlegenheit an schweren Waffen auszugleichen und unter Ausnützung des Nebels, der Dämmerung und des Regens zum Nahkampf Mann gegen Mann zu kommen. Dabei haben sie sich als fanatische, äusserst genügsame, mit dem schwierigen Gelände wohl vertraute und zähe Kämpfer erwiesen.» Bild oben: Hoch über den deutschen Kolonnen kreist ein Begleitflugzeug, das eventuelle Partisanenüberfälle beizeiten aus- findig machen kann. Durch Funk werden die Soldaten verständigt, wenn der Feind durch einen Feuerüberfall den Trans- portzug zu stören versucht. «Der treue fliegende Wächter aber stösst herunter und greift mit seinen Bordwaffen in den Kampf ein.» Die Taktik der Partisanen bestand darin, den Feind ständig zu beunruhigen, grossen Gefechten aber aus dem Wege zu gehen, um nicht unnötig Menschen und Material gegen die besser ausgerüsteten Feinde einzubüssen. – Bild unten: Panzer müssen die Verfolgung so lange aufgeben, bis die von den Partisanen gesprengten Strassen wieder befahrbar sind.

Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges und der N achkriegsentwicklung gelang es Josip Broz Tito, zu einem der erfolgreichsten und bekanntesten Partisanenführer zu werden. Anfangs noch kaum bekannt und weder von den Russen noch von den Eng- ländern unterstützt, gelang es ihm, die Mehrheit des Volkes für sich zu gewinnen und seinen monarchistischen Gegenspieler Mihajlovic auf allen Gebieten völlig auszuspielen. Der von London aus unterstützte Mihajlovic, der anfangs auch von Stalin anerkannt wurde, da dieser sein gutes Verhältnis zu den Westmächten nicht belasten wollte, hatte den militärischen und politischen Erfolgen Titos nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen und wurde schliesslich von London zusammen mit dem jugoslawischen König und seiner monarchistischen Regierung zugunsten Titos fallengelassen. Churchill, der von der Todfeind- schaft zwischen Tito und Mihajlovic genauestens unterrichtet war, entschied sich aus realpolitischen Gründen dafür, Mihaj- lovic zu opfern. In seinen Memoiren schreibt er darüber: « . . . Den Stein des Anstosses bildete vor allem die tragische Gestalt Michailovics. Da wir gezwungen waren, mit den Partisanen [Tito] zusammenzuarbeiten, mussten wir folgerichtig den König dazu bewegen, Michailovic als seinen Kriegsminister zu entlassen [Mihajlovic war im Januar 1942 von der Exilregierung zum Kriegsminister ernannt worden, was seine Autorität vorübergehend gestärkt hattej. Anfang Dezember [1943J ent- zogen wir dem General unsere offizielle Unterstützung und riefen die in seiner Einflusssphäre befindlichen britischen Mis- sionen ab ..Im März 1946 wurde Mihajlovic, der auf seine Weise versucht hatte, für die Freiheit Jugoslawiens einzu- treten, von Tito-Leuten gefangengenommen und nach einem Prozess wegen Kollaboration und seines Kampfes gegen die Kommunisten zum Tode verurteilt. Tito jedoch gelang es, sich sowohl gegen die Westmächte als auch gegen die Sowjetunion zu behaupten. Er riskierte den Bruch mit Stalin und konnte sich bis heute als Führer eines nationalen Kommunismus eigener Prägung in Jugoslawien behaupten. Bild links: Churchill und Tito im August 1944 bei einem Geheimtreffen in Neapel. – Bild oben: Die Jugoslawin Stana Tomaschewitsch inmitten der von ihr geführten Partisanengruppe. – Bei einer Gesamteinwohnerzahl von 17 Millionen sind in Jugoslawien während des Krieges 1,7 Millionen Menschen umgekommen, d.h. jeder zehnte Einwohner musste sein Leben lassen. Griechenland

Als es den Italienern nicht gelingt, ihren Feldzug gegen Griechenland siegreich zu beenden, und die Errichtung einer alliierten Balkanfront droht, überschreiten am 6. April 1940 deutsche Truppen die griechische Grenze. Trotz tapferer Gegenwehr muss das griechische Heer am 21. April kapitu- lieren. Der griechische König Georg II. (oben links) verlässt sein Land und bildet in London eine Exilregierung. Der kommunistisch geführten Widerstandsbewegung EAM (Na- tionale Befreiungsfront) und ihren Kampfverbänden ELAS (Griechische Volksbefreiungsarmee) gelingt es, fast alle rivalisierenden Widerstandsgruppen zu vernichten oder ein- zugliedern. Nur die antikommunistische, aber ebenfalls nicht monarchistische Widerstandsbewegung EDES (Grie- chisch-Demokratische National-Armee) unter ihrem Führer General Zervas kann sich als eigenständige Kraft behaup- ten. – Unten links: Der Oberbefehlshaber der ELAS, General Stefanos Sarafis. – Unten rechts: Sein Adjutant und Vertrauter, Leutnant Kostoulas Zeseviester, der auch an der erfolgreichen Sprengung der Gorgopotamos-Eisen- bahnbrücke mitgewirkt hat. Bei der Zerstörung dieser wich- tigen Eisenbahnbrücke in der Nacht des 25. November 1942 haben die sich häufig bekämpfenden Widerstandsorganisa- tionen ELAS und EDES zusammengearbeitet. – Bild rechts: Eine Eisenbahnbrücke ist von griechischen Partisanen in die Luft gesprengt worden.

Bild oben: Das wenige Vieh, das die Partisanen vor dem Zugriff der Deutschen ret- ten konnten, wird von ihnen zum Transport ihrer Waffen verwendet. – Bild Mitte: Zahlreiche kleine Gruppen, bestehend aus britischen und griechischen Soldaten, hiel- ten durch ihre Überfälle die deutschen Truppen in Alarm- bereitschaft. – Bild unten: Ein griechischer Priester un- terbricht seinen Ritt und spricht mit zwei Partisanen, deren Gruppe er als Seelsor- ger zugeteilt worden ist. Ihrer Taktik entsprechend, möglichst alle Widerstands- kräfte für sich zu gewinnen, liessen die Kommunisten in Griechenland die Kirche völlig unbehelligt.

Bild oben: Frisch gewon- nene Widerstandskämpfer werden mit einem Last- wagen, der von den Deut- schen erbeutet werden konnte, zu einer von den Partisanen beherrschten Ortschaft gebracht. – Mit der deutschen Besetzung und der alliierten Blockade brach eine furchtbare Hun- gersnot über Griechenland herein. Hunderttausende mussten vor Hunger sterben und an Krankheiten, die durch die Unterernährung verursacht wurden (Mitte). Durch ein Übereinkommen zwischen den Deutschen und den Alliierten konnte das Internationale Rote Kreuz durch Nährungsein- fuhr dazu beitragen, die Not der Bevölkerung zu lindern. – Bild unten: Griechische Frauen bringen Waffen und Verpflegung für die Parti- sanen zu deren Unterkünf- ten in die Berge.

Oben links: Ein Munitionslager der Partisanen ist in einer versteckten und unzugänglichen Schlucht entdeckt worden und wird von einem deutschen Sprengkommando in die Luft gejagt. Nach Angaben von Sarafis wurden den ELAS-Verbänden von den Alliierten lediglich 10 Granatwerfer, 30 Maschinengewehre, 100 Maschinenpistolen, 300 automatische Gewehre, 3’000 Gewehre und nur wenig Munition geliefert, so dass die Bewaffnung von ELAS hauptsächlich aus Beständen der alten griechischen Armee und aus Beutewaffen bestand. – Oben rechts: Deutsche Truppen in schwierigem Gelände bei der Ver- folgung von Partisanen. – Bild unten: Aris und Thoma, zwei Partisanenführer der 7. ELAS-Division. Rechte Seite, oben links: Ausbildung von Partisanen an einem Granatwerfer. – Oben rechts: «Überall lauert Gefahr.» Mit vorgehaltenem Gewehr durchsuchen Marinesoldaten ein Dorf, in dem sich Partisanen verborgen halten. – Rechte Seite, Bild unten: Eine deutsche Kampfgruppe hat griechische Partisanen in einem Dorf zum Kampf gestellt. Nach heftiger Gegenwehr sind fast alle Partisanen, darunter auch ihr englischer Berater, gefallen. Die leidgeprüften Dorfbewohner müssen mitansehen, wie zahlreiche Gebäude in Flammen auf gehen.

In kaum einem anderen Land nahmen die Engländer einen so starken Einfluss auf die Widerstandsbewegung wie in Grie- chenland. Die «Special Operations Executive» (SOE) unterstützte von Kairo aus den griechischen Widerstand (in erster Linie die antikommunistischen EDES-Kräfle) mit Waffen, Munition und Geld, mit dem die notwendige Nahrung besorgt werden konnte. SOE-Kairo trat mit den Einzelnen Widerstandsgruppen durch eigene Verbindungsoffiziere in Berührung, die hier die britischen Interessen vertreten sollten. Nach C. M. Woodhouse (oben rechts), Befehlshaber der Alliierten Militär- mission in Griechenland, wäre Griechenland noch vor der Befreiung von den Kommunisten erobert worden, hätte es hier keine britischen Verbindungsstäbe gegeben. – Oben links: Partisanenbekämpfung auf Kreta. «Tagelang geht es bergauf und

bergab durch sonnendurchglühte Felsenwüste, immer hinter einem unsichtbaren Gegner her.» – Linke Seite, Bild unten: Schwere Pak bei der Bekämpfung von Partisanen im griechischen Raum. Oben links: Partisanenführer Pantelis Laskos, einer der ersten Führer einer ELAS-Division. – Oben rechts: Der Arzt Apostolos Kounoupis, Feldarzt der 13. ELAS-Division, mit einem verwundeten Soldaten und zwei Krankenschwestern, die sich ebenfalls den Partisanen zur Verfügung gestellt haben. – Bild unten: Männer und Frauen marschieren gemein- sam in einer Partisaneneinheit. Nach kommunistischen Angaben soll die Stärke von ELAS im Jahre 1944 75’000 und bei Beendigung des Krieges 140’000 Mann ausgemacht haben.

Nach eigenen Angaben wollen die ELAS-Verbände insgesamt 19 355 Feinde (Soldaten der Besatzungstruppen und Kollabora- teure) getötet, 85 Lokomotiven und 957 Waggons zerstört und 1‘007 Kraftwagen sowie 30 Brücken gesprengt haben. – Bild oben: Als Geiseln gefangengenommenen griechischen Bürgern werden die Augen verbunden, bevor sie als Vergeltung für einen Partisanenüberfall erschossen werden. Allein in der Zone von Athen sollen mehr als 3’000 Griechen wegen ihrer Wider- standstätigkeit oder bei Vergeltungsmassnahmen hingerichtet worden sein. – Bild unten: Deutsche Pioniere entfernen von den Eisenbahnschienen auf der wichtigen Nachschublinie zwischen Skoplje und Saloniki eine Sprengladung, die von griechi- schen Partisanen angebracht worden ist.

Während Churchill in Ju- goslawien keine Möglich- keiten sah, nach der Be- freiung die Machtergreifung der Kommunisten unter Tito zu verhindern, war England entschlossen, dem Machtanspruch der Kommu- nisten in Griechenland ent- gegenzutreten. Schon im Herbst 1943 schickten die Vertreter des alliierten Hauptquartiers Nahost ein Telegramm an General Zer- vas, in dem ihm die Unter- stützung der Westmächte zugesagt wurde: «Nach Ihrem Bericht Nr. 21/312 an das Hauptquartier Nah- ost teilen wir Ihnen mit, dass es dem Kampf der nationalen Gruppen EDES zustimmt und die Organi- sation EAM-ELAS ausser Gesetz stellt.» Als nach dem Abzug der deutschen Trup- pen die kommunistische Machtübernahme drohte, kam es zum Bürgerkrieg und zum Kampf mit briti- schen Truppen unter Gene- ral Scobie. Die ELAS-Ver- bände müssen kapitulieren, die Regierung aber kann sich weiterhin nur mit briti- scher Hilfe behaupten. 1946 beginnt der Bürgerkrieg aufs Neue, der erst im Win- ter 1949/30 durch die mit amerikanischer Hilfe neu aufgestellte griechische Armee beendet werden kann. – Bild oben (von links nach rechts): General Sarafis (EL AS), General Scobie und General Zervas (EDES) auf einer Konfe- renz in Athen, bei der über die Entwaffnung der Parti- sanenverbände verhandelt wurde. – Bild Mitte: Briti- sche Soldaten erwarten den Angriff von ELAS-Partisa- nen in Athen. – Bild unten: Das Hauptquartier der EAM in Athen konnte erst besetzt werden, nachdem ein britischer Panzer den Eingang eingedrückt hatte.

Italien

Nachdem die alliierten Streitkräfte am 10. Juli 1943 auf Sizilien gelandet sind, bricht das faschistische System 14 Tage später, ohne Widerstand zu leisten, in sich zusammen. Am 24. Juli tritt der «Grosse Fäschistische Rat» (Bild oben: bei einer Sitzung im April 1943, in der Mitte Mussolini) zusammen. Mit 19 gegen 7 Stimmen wird der Entschluss gefasst, den König zu bitten, den Oberbefehl über das Heer, den bisher Mussolini innegehabt hat, zu übernehmen. Mussolini begibt sich dar- aufhin zum König und wird, nachdem er seinen Rücktritt erklärt hat, verhaftet. Marschall Badoglio (Rechte Seite, oben rechts) bildet am 26. Juli ein neues Kabinett ohne faschistische Mitglieder, schliesst mit den Alliierten einen Waffenstillstand und erklärt am 11. Oktober, dass sich Italien im Kriegszustand mit Deutschland befinde. Schon vorher haben deutsche Trup-

pen italienische Soldaten entwaffnet, wobei es vereinzelt zu starkem Widerstand gekommen ist. Am 12. September wird Mussolini durch eine kühne Operation deutscher Fallschirmjäger unter Führung vonOttoSkorzeny aus einem Wintersporthotel auf dem- Gran Sasso, dem höchsten Berg in den Apenninen, befreit. Am 75. September tritt Mussolini an die Spitze einer Gegenregierung der «Sozialen Italienischen Republik» und unterstützt die deutschen Aktionen gegen die Alliierten, gegen die Badoglio- Kräfle und insbesondere gegen die italienischen Partisanen, die immer mehr zum bewaffneten Kampf übergehen. Ehemalige Faschistenführer, die am 24. Juli im Grossen Rat gegen Mussolini gestimmt haben, werden zum Tode verurteilt und erschos- sen, darunter der ehemalige Aussenminister und Schwiegersohn Mussolinis, Graf Ciano (oben Mitte), und einer der ältesten Kampfgefährten Mussolinis, Marschall de Bono (oben links), der schon beim Marsch auf Rom am 28. Oktober 1922, mit dem die faschistische Herrschaft in Italien begründet wurde, dabei war. – Bild unten (von links nach rechts): Auf Feld- stühlen festgebunden: Gottardi, Pareschi, Ciano und de Bono, wenige Sekunden vor dem Feuerbefehl. – Unten links: Das Exekutionskommando der faschistischen «Schwarzen Brigade». Bereits am 3. August 1943 nehmen die Vertreter der sechs politischen Parteien (Aktionisten, Kommunisten, Demokraten der Arbeit, Christlich-Soziale, Liberale und Sozialisten) trotz des Verbots der Badoglio-Regierung ihre Tätigkeit wieder auf. Am 9. September 1943 bilden sie das «Zentralkomitee für die Befreiung» CLN (Comitato Liberazione Nazionale) und am 9. Juni 1944 das «Freiwillige Freiheitskorps» CVL (Corpo Volontari Libertà) als zentrales Oberkommando aller bewaffneten Partisanengruppen. Im März 1945 bestand das Korps in 43 Zonen aus 104 Divisionen und 52 autonomen Brigaden, sowie Formationen in den Städten und auf dem Lande. In den Städten wurden die GAP (Gruppen der Patriotischen Aktion) und auf dem Lande die SAP (Scharen der Patriotischen Aktion) gebildet. – Oben links: Deutsche Fallschirmjäger nehmen einen Badoglio-Soldaten gefangen, der gemeinsam mit den Partisanen gegen die Okkupanten gekämpft hat. – Oben rechts: Italienische Widerstandskämpfer in Rom entwaffnen deutsche Soldaten. – Bild unten: In Genua ergeben sich 10’000 Deut-

sche den italienischen Partisanen.

Oben rechts: August 1944. Garibaldi-Partisanen beim Strassenkampf in Florenz. Giuseppe Garibaldi war der bedeutendste Führer und Volksheld im Kampf für die Unabhängigkeit Italiens im 19. Jahrhundert. Nach ihm nannten sich die «Garibaldi-Sturmbrigaden», die unter kommunistischer Führung eine bedeutende Kraft der italienischen Partisanenbewegung darstellten. – Oben links: Ein italienischer Widerstandskämpfer, der zum Zei- chen seiner Zugehörigkeit zu den Kommunisten einen fünfzackigen Stern an der Mütze trägt. – Bild unten: Panzerzüge im Kampf gegen die Partisanen. «Im Schutze des Zuges bringen die zur Säuberung des Gebietes ein- gesetzten Mannschaften die MG's in Stellung.»

Bild unten: Ein Bild aus der italienischen Stadt Pistoia im September 1944. Auch Frauen haben sich als bewaffnete Kräfte den Partisanen angeschlossen, um aktiv am Kampf gegen die letzten faschistischen Widerstandsnester teilzunehmen. – Oben links: Die Partisanin Ancilla Merighetto aus Belluno, 19 Jahre alt, wurde bei einer deutschen Säuberungsaktion ge- fangengenommen und erschossen, als sie sich weigerte, die Zufluchtsorte ihrer Kameraden bekanntzugeben. – Oben Mitte: Die Partisanin Anna Picari aus Mailand kämpfte an der Seite ihres Mannes in der Brigade «Fanfulla». Als ihre Einheit um- zingelt wurde und den Kampf aufgeben musste, wurde sie mit ihren Kameraden gefangengenommen und erschossen. – Oben rechts: Die Partisanin Alice Noli aus Genua gehörte einer kommunistischen Brigade an und fiel am 8. August 1944 im Kampf mit faschistischen Milizsoldaten.

«Der allgemeine Volksaufstand, der durch die Offensive der Westmächte ausgelöst wurde», schreibt Tippelskirch, «richtete sich vornehmlich gegen alle grösseren und kleineren Parteihäupter, nur in geringerem Masse gegen die ausweichende deutsche Truppe, da von den obersten deutschen Stellen vorbeugende Vereinbarungen mit dem italienischen ,Befreiungsausschuss‘ ab- geschlossen worden waren, die vielfach, wenn auch durchaus nicht überall, durch örtliche Abmachungen ergänzt wurden, und Ausschreitungen teilweise verhinderten.» Bild unten: Schwer bewaffnete faschistische «Schwarzhemden», die vornehmlich gegen die Partisanen eingesetzt wurden, bei einer kurzen Rast in den Bergen um Turin. In dieser Gegend wurden die Partisanen zunächst von General Operti finanziert, dem es gelungen war, den grössten Teil der Kasse der Vierten Armee in Sicherheit zu bringen. Als General Operti darauf bestand, dass sich die Einzelnen Partisanengruppen Offizieren der Armee zu unterstellen hätten, die Kommunisten diese Forderung jedoch ablehnten, stellte er die Finanzierung wieder ein. Daraufhin gingen die Partisanen – wie überall in Ita- lien – dazu über, sich durch Requisition und Steuern, die sie den Bauern auferlegten, die nötigen Mittel zu beschaffen. Hier- bei auftretender Widerstand wurde von den Partisanen, unter denen es auch zahlreiche kriminelle Elemente gab, mit rück- sichtsloser Härte gebrochen. – Bilder oben: Der Gemeindepfarrer Don Aldemiro Corsi von Grassano (links) und der Ge- meindepfarrer Don Luigi Manfredi von Budrio (rechts) wurden von Kommunisten ermordet. – Oben Mitte: Der 14 jährige Seminarist Rolando Rivi wurde von einer Gruppe kommunistischer Partisanen entführt und zwei Tage später grundlos erschossen. Seine Mörder wurden in einem Prozess nach dem Kriege zu 23 Jahren Gefängnis verurteilt.

Bild unten: Am 1. Mai 1945 marschieren die Führer der italienischen Partisanen an der Spitze ihrer Einheiten durch die Strassen von Mailand. – Von links: Ferruccio Parri (Aktionspartei), der wenige Tage später Regierungschef wurde, General Raffaele Cadorna, Kommandant des «Freiwilligen Freiheitskorps» (CVL), dem schliesslich alle bewaffneten Gruppen unter- standen, Luigi Longo (Kommunistische Partei) und Enrico Mattei (Christlich-Demokratische Partei). Nachdem sich der deutsche Konsul in Florenz, Gerhard Wolf, nachdrücklichst darum bemüht hatte,Florenz zur offenen Stadt zu erklären, konnte dieses Kunst- und Kulturzentrum fast unzerstört von alliierten Truppen besetzt werden. Wolf, der auch zahlreiche Verfolgte, Juden und Emigranten vor dem Zugriff der SS und des SD retten konnte, wurde im Jahre 1955 feier- lich mit dem Ehrenbürgerrecht der Stadt Florenz ausgezeichnet. – Bild rechts: Im befreiten Florenz – September 1944 – ziehen jubelnde Partisanen durch die Strassen ihrer Heimatstadt. In ihrer Mitte führen sie eine ältere Frau, die barfuss gehen muss, der man die Haare geschnitten hat und der man im Gesicht die erlittenen Schläge ansieht. Nach einem unbarm- herzigen und blutigen Bürgerkrieg blieben die italienischen Faschisten – ob Mann oder Frau – von der Rache der Parti- sanen nicht verschont.

Oben links: Der Handwagen, in dem die italienischen Widerstandskämpfer Carla Capponi und Rosario Bentivegna – als Strassenkehrer getarnt – Sprengstoff verborgen hatten, den sie am 23. März in der Via Rasella in Rom zur Explosion brachten, als ein mit deutschen Polizeikräflen besetzter Lastwagen an ihnen vorüberfuhr. Bei diesem Attentat, das auf Befehl des Kommunisten Giorgio Amendola ausgeführt wurde, kamen 32 deutsche SS-Männer ums Leben. Als Repressa- lie wurden 333 Italiener erschossen. Eine versteckte Kampfführung aus dem Hinterhalt, Geiselerschiessungen und Re- pressalien, grausame Übergriffe auf beiden Seiten, Terror und Gegenterror führten zu einem Partisanenkrieg, in dem es keine Gnade gab. – Oben rechts: Ein von faschistischen Matrosen gehenkter Partisan, der nach einem Feuerüberfall seiner Gruppe nicht mehr entssiehen konnte. – Bild unten: Ein von Badoglio-Soldaten entführtes Schiff wird von deut- schen Küstenbatterien unter Beschuss genommen und versenkt.

Nachdem die italienischen Par- tisanen 33 Tage lang die Ort- schaft Domodossola in Novara beherrscht hatten, kam es am 14. Oktober 1944 zu einem An- grift der faschistischen Truppen. Dieser faschistische Vorstoss, an dem sich rund 4’000 Mann be- teiligten, zwang die Partisanen, die Ortschaft zu verlassen und sich gänzlich aus dieser Gegend zurückzuziehen. – Bild rechts: Auf den Trümmern eines zer- schossenen Hauses ein Angehö- riger der «Schwarzhemden»; vor ihm die Leiche eines im Kampf gefallenen italienischen Partisanen.

Nach dem Zusammenbruch der deutschen Abwehrfront unterzeichnen Bevollmächtigte der militärischen Führung sowie des höchsten SS- und Polizeiführers in Italien, Wolff, in Caserta einen von der obersten Führung nicht genehmigten Waffenstill- stand. Generalfeldmarschall Kesselring, der bis zum März 1945 Oberbefehlshaber Südwest (Italien-Mittelmeer) gewesen ist, erklärte, dass «die ausserordentlich starken und auf der ganzen Kampffront sehr rührigen Partisanenverbände Mitveranlas- sung für die Übergabe der gesamten deutschen Streitkräfte waren». Nach Angaben des Generalkommandos des «Freiwil- ligen Freiheitskorps» (CVL) haben die italienischen Partisanen in der Zeit vom 1. Juni 1944 bis zum 30. März 1945 6449 Operationen und 5571 Sabotageakte durchgeführt, wobei insgesamt 16 380 Deutsche und italienische Faschisten getötet und 10 536 verwundet wurden. Mussolini, der über zwei Jahrzehnte lang seine faschistische Diktatur in Italien ausüben konnte, wird am 28. April 1945 bei dem Versuch, in die Schweiz zu entfliehen, zusammen mit seiner Geliebten Claretta Petacci von Partisanen erschossen (Bild unten) und in Mailand mit dem Kopf nach unten auf gehängt und zur Schau gestellt (Bild oben).

ELAS und EDES zeuge über den Partisanengebieten und werfen Nach- deutschen Truppen in Italien, denen damit eine Anzahl schub ab. Von Nordafrika her bringen Schmuggler- von möglichen Gegnern weniger gegenübersteht. boote Waffen und Verpflegung heimlich an Land. Das Doch erringen die kommunistischen Partisanen gleich meiste davon erhält die kommunistische ELAS, weil darauf ihren grössten Erfolg. Im September 1943 sie die zahlenmässig stärkste Gruppe ist. Doch die kapituliert Italien. Die italienischen Besatzungstruppen Waffen dienen nicht zum Kampf gegen die Deutschen. in Griechenland laufen auseinander, und die ELAS Nach dem Krieg muss der britische Kriegsminister kann die Waffen einer ganzen Division mühelos er- Churchill nach der Schilderung der Partisanenaktionen beuten. Damit ist die ELAS aus einer Freischärler- zur Zeit der El-Alamein-Offensive enttäuscht feststel- truppe endgültig auch zu einer militärisch ernstzuneh- len: menden Macht geworden. Allerdings nicht für die «Das war jedoch der letzte direkte militärische Bei- Deutschen, sondern für die Alliierten und ebensosehr trag, den die griechischen Freischärler in diesem Kriege für die rechtmässige griechische Regierung in Kairo. leisteten, denn von da an wurde der Schauplatz vom Im Oktober 1943 greifen stark bewaffnete ELAS-Ver- Kampf um die politische Macht nach Kriegsende domi- bände EDES-Kräfte des Oberst Zervas an. Erst danach niert...» stellen die Briten die Waffenlieferungen an die kom- Einer der britischen Verbindungsoffiziere, Major Mac- munistischen Partisanen ein. Als die Aufforderung der Neill, der die griechischen ebenso wie die jugoslawi- Engländer und der griechischen Regierung an Siantos, schen Partisanen kennengelernt hat, berichtet über den den KP- und EAM-Chef, sowie an Ares, den Kom- weiteren «Widerstandskampf» der kommunistischen mandeur der ELAS, ungehört verhallen, nun endlich ELAS entsprechend den grossen Kriegsereignissen: gegen die Deutschen zu kämpfen, werden die bisher «Nach Tripolis und Stalingrad griffen sie Saraphis den Kommunisten zugedachten Waffen der EDES zur [Führer der republikanischen Widerstandsgruppe AAA Verfügung gestellt. in Thessalien] an; nach Tunis und Bizerta ging es gegen Die Engländer haben endgültig einsehen müssen, dass Psaros [Führer der sozialistischen Widerstandsgruppe die Kommunisten letztlich nur ihre eigene Macht- EKKA in Mazedonien] und abgelegene Einheiten der ergreifung im Sinne haben. So hofft man nun auf die EDES unter Zervas; nach Sizilien griffen sie PAO EDES. Aber auch Zervas kämpft nicht gegen die [monarchistische Widerstandsgruppe] in Mazedonien, Deutschen, denn es gibt für ihn keinen Zweifel, dass ES und EOA im Peloponnes an; und nach der Kapi- er sich und seine Truppe dann so sehr schwächen tulation Italiens begannen sie einen allgemeinen Bür- würde, dass er eine leichte Beute für die ELAS würde. gerkrieg ...» So versucht auch er, seine Kräfte für den Bürgerkrieg Statt dass die kommunistische EAM und ihre Streit- zusammenzuhalten. Die Briten akzeptieren diese Hin- macht ELAS die Besatzungsmächte angreifen, tun sie halte-Politik schliesslich. Besser kein Kampf gegen die noch etwas, was sogar auf eine indirekte Unter- deutsche Wehrmacht in Griechenland, als ein kommu- stützung der Deutschen hinausläuft. Es gibt noch ein nistisches Regime. grosses Kontingent regulärer griechischer Truppen, die Churchill schreibt nach dem Krieg zu dieser Situation 1941 zusammen mit den britischen Truppen nach Nord- Anfang 1944: afrika flüchten konnten. «. . . Inzwischen hatten die EAM und ihr militärisches Auch in dieser griechischen Armee, die in Nordafrika Organ ELAS in den Bergen Mittel- und Nordgriechen- gegen Rommel gekämpft hat und nun in Italien ein- lands einen Staat im Staate geschaffen. Im Februar gesetzt werden soll, versuchen die Kommunisten die 1944 gelang es britischen Offizieren, zwischen den Macht zu übernehmen. Wenn diese einzige vollaus- rivalisierenden militärischen Organisationen einen gerüstete und militärisch schlagkräftige Truppe in der prekären Waffenstillstand zu vermitteln. Aber schon Hand der Kommunisten ist, dann gibt es keinen Zwei- standen die Sowjetarmeen an der Grenze Rumäniens. fel daran, dass ganz Griechenland nach Kriegsende Die Wahrscheinlichkeit eines deutschen Rückzuges aus kommunistisch sein wird. dem Balkan wuchs und damit auch die Möglichkeit der Im August 1943 bricht bei den griechischen Truppen Rückkehr der königlichen Regierung mit britischer und an Bord griechischer Kriegsschiffe die kommuni- Unterstützung. stische Meuterei aus. Es ist nicht möglich – obwohl die In der Annahme, dass es im April so weit sein könnte, Meuterei schliesslich von den Engländern nieder- entschlossen sich die Führer der EAM zum Handeln. geschlagen wird –, diese Truppen und Schiffe zum Am 26. März [1944] bildeten sie in den Bergen einen Kampf gegen Deutschland einzusetzen. So wird die nationalen Befreiungsrat als politisches Organ und niedergeschlagene Meuterei kein Erfolg für die Kom- verbreiteten die Nachricht durch Funk in alle Welt. munisten, keiner für die Alliierten, sondern für die Das war eine direkte Herausforderung der Autorität

353 Widerstand auf dem Balkan der Regierung Tsuderos [die königlich-griechische Re- Innerhalb eines Jahres hat sich Josip Broz-Tito von gierung in Kairo] für die Nachkriegszeit ... Es war das einem zwar hervorragend begabten, aber einseitigen Signal für [neue] Unruhen innerhalb der in Ägypten sta- Organisator und Administrator zu einem selbständi- tionierten griechischen Truppe und des griechischen gen Politiker und Heerführer von hohen Graden entwi- Regierungsapparates im Ausland ...» ckelt. Die Kommunisten haben deshalb so leichtes Spiel Tito weiss sicher nichts davon, was kurz zuvor ein selbst in der regulären Armee und in der Exilverwal- anderer kommunistischer Führer in einer ähnlichen tung, weil auch dort völlig verschiedene und einander Lage getan und darüber geschrieben hat, wie Tito so widersprechende politische Gruppen und Grüppchen auch er unabhängig und schliesslich sogar gegen Stalin bestehen. Am 9. April 1944 schreibt Churchill dem bri- – Mao Tse-tung, der Führer der chinesischen Kom- tischen Botschafter Leeper in Kairo: munistischen Partei, der um diese Zeit schon einen «Wir stehen einzig in Beziehung mit der gesetzmässi- weit schwereren «Langen Marsch» über Tausende von gen griechischen Regierung und dem König als deren Kilometern zurückgelegt hat. Doch im Gegensatz zu Oberhaupt. Dieser ist der Verbündete Grossbritanniens Tito hat Mao während seines Marsches nach dem Nor- und darf nicht ausgeschaltet werden, nur weil ehr- den Chinas überall die Unterstützung der Bevölkerung geizige Exil-Nullen plötzlich Appetit entwickeln. gehabt, während Tito von ihr verfolgt worden ist. Aber Ebensowenig findet Griechenland seine legale Vertre- gerade aus dieser Erfahrung heraus handelt er nun so, tung in gewissen Gruppen von Freischärlern, die, von wie Mao Tse-tung im Partisanenkrieg zu handeln vor- Banditen kaum unterscheidbar, sich als Retter des Va- schreibt: terlandes aufspielen, während sie von der Bauernbevöl- «Über allem steht der politische Auftrag. Hat die kerung zehren. Partisanenbewegung kein politisches Ziel, dann wird Ich werde, falls nötig, diese Elemente und Tendenzen sie scheitern. Hat sie ein politisches Ziel, das mit den in aller Öffentlichkeit brandmarken . . . Griechen . . . politischen Zielen des Volkes unvereinbar ist, dann werden sich in der Geschichte einen schändlichen Na- wird sie ebenso scheitern. Dann wird das Volk ihr die men machen, wenn sie die Erfüllung ihrer hehren Unterstützung und aktive Zusammenarbeit versagen, Pflichten gegen das Vaterland . . . ihrer innenpoliti- die sie doch so nötig braucht.» schen Streitigkeiten wegen vernachlässigen. Mit ihrem Und der Dichter Mao gebraucht ein einprägsames Bild aufgeregten, egoistischen Gebaren riskieren sie, Grie- für das, was er meint: chenland der Möglichkeit zu berauben, seinem Willen «Das Volk ist das Wasser, und die Partisanen sind die . . . Ausdruck zu geben und den eigenen Namen für Fische darin. Fische können nur im Wasser leben, Par- alle Zeiten, so lange es eine Geschichtsschreibung ge- tisanen nur im und mit dem Volk . ..» ben wird, zu beflecken . . . Warum können die Griechen Auch sonst folgt Tito genau den Ratschlägen Mao Tse- unter solchen Umständen nicht ihren Hass gegen den tungs, obwohl er sie sicher niemals gehört hat. Aber er gemeinsamen Feind richten ...?» ist in gleicher Lage zu gleichen Überlegungen gekom- Churchills Beschwörungen nützen nichts. Der Bürger- men: krieg zwischen den Griechen geht noch jahrelang wei- Die einmal begonnene Erhebung der Massen darf nie- ter. Schliesslich kämpfen die ELAS-Verbände später, mals wieder zur Ruhe kommen, es gibt zwar Berg und nach dem Abzug der deutschen Truppen aus Griechen- Tal in der Entwicklung, Ebbe und Flut, aber niemals land, auch gegen die in Athen und anderswo ein- einen Stillstand, er würde das Ende bedeuten. Man rückenden britischen Truppen einen erbitterten Kampf. darf sich mit errungenen Siegen nicht zufrieden geben. Der blutige Bürgerkrieg nimmt erst 1949 ein Ende, Der gefährlichste Fehler ist, den Gegner zu unter- nachdem der Streit zwischen Stalin und Tito seinen schätzen. Lieber den Gegner für stärker halten als er ist. Höhepunkt erreicht hat und Griechenlands Partisanen Nur angreifen, wenn der Sieg auf jeden Fall sicher ist. von Jugoslawien nicht mehr unterstützt werden. In Jugoslawien ist die Entwicklung inzwischen ganz Wenn die Offensive einmal begonnen hat, darf sie andere Wege gegangen. Nach seinem «Langen Marsch» nicht stehenbleiben, bevor nicht der Sieg errungen ist. ist Tito nicht nur militärisch viel stärker als etwa seine Keine Möglichkeit ausser Acht lassen, den Gegner nicht Genossen Siantos und Ares in Griechenland, er hat nur zu schlagen, sondern völlig zu vernichten ... durch den kroatischen Terror und durch den Gegen- Getreu nach diesen selbst aufgestellten Maximen han- terror der Öetniki jetzt auch das Vertrauen der Bevöl- deln Titos Partisanen, zunächst aus ihrem «Befreiten kerung in seinem Gebiet, die Angst vor den blutigen Gebiet» heraus. Verfolgungen von dieser und jener Seite hat und für Ein überlegener Gegner wird auf keinen Fall ange- die Tito zum Schutzpatron wird. griffen. Tritt der überlegene Gegner selbst zum Angriff

354 Waffen, Munition und Geld

Résistance in Griechenland dungslinien ausgeführt, um den Eindruck zu erwecken, die Landungen der Alliierten seien eher in Griechenland als in Italien zu erwarten. Eine Folge davon war die Verlegung Es seien nun seine wichtigsten Abschnitte in chronologischer einer deutschen Division nach Südgriechenland, die wegen Reihenfolge kurz zusammengefasst. Abgesehen von verein- der Zerstörung einer weiteren grossen Eisenbahnbrücke zwi- zelten Vorfällen ohne grosse Bedeutung, begann die eigent- schen Athen und Saloniki später nicht mehr rechtzeitig nach liche Résistance im Spätsommer 1942. Ich hoffe keiner un- Italien zurückkehren konnte. Das war 1943 m. W. der ein- gebührlichen Vorurteile verdächtigt zu werden, wenn ich zige wesentliche Erfolg der griechischen Résistance. 1944 sage, dass das erste wirklich wichtige Datum der 1. Okto- hatten die Operationen keinen nennenswerten Umfang, ber 1942 war, als eine Gruppe von acht britischen Fall- und ich habe schon gesagt, dass ich den Bericht über sie in schirmspringern, deren stellvertretender Führer ich selbst der amtlichen britischen Kriegsgeschichte für übertrieben war, am frühen Morgen in den Bergen nahe Delphi landete; halte. Wollen wir die wahre Bedeutung dessen erkennen, allerdings hatten sich schon mehr als ein Jahr vorher ver- was während dieser zwei Jahre in der griechischen Ré- schiedene britische Offiziere, darunter auch ich, längere Zeit sistance vor sich ging, müssen wir uns vom militärischen auf griechischem Boden aufgehalten, um zu kundschaften dem politischen Bereich zuwenden. und um die vorbereitende Organisation aufzubauen. Die Die Führer der Résistance repräsentierten zwei grosse poli- Aufgabe dieser acht Fallschirmspringer, zu denen später tische Gruppen, deren Anschauungen gewiss einander wider- noch weitere vier stiessen, war, eine Guerilla-Gruppe zu sprachen, die beide aber vor allem die Politik der britischen sammeln, um eine der wichtigsten Eisenbahnbrücken der Regierung wie des griechischen Königs und seiner Exil- Linie Athen-Saloniki anzugreifen und zu zerstören; die regierung ablehnten. Die eine Gruppe hatte sich die Ab- Aktion stand im Zusammenhang mit der Offensive der lösung der griechischen Monarchie durch eine republikani- Achten Armee in Nordafrika, da man schätzte, dass zu die- sche Demokratie zum Ziel gesetzt; darin stimmten alle ser Zeit etwa 80°h> des Nachschubs für das Afrika-Korps nichtkommunistischen Führer der Résistance überein, wenn auf der Eisenbahn durch Griechenland transportiert wurde. sich auch General Zervas 1943 verpflichtete, jedes System zu Die Guerilla-Gruppen waren damals schwach und schlecht unterstützen, das von der britischen Regierung gutgeheissen ausgerüstet, aber nach vielen Schwierigkeiten war unter würde, selbst die Monarchie, obwohl er in seinem Herzen dem Kommando von General Zervas eine zum Teil aus Republikaner war. Damit rivalisierte die Politik der ande- EDES und zum Teil aus ELAS bestehende Truppe gebildet, ren Gruppe, der Kommunisten, die danach strebten, Grie- und in der Nacht des 25. November 1942 wurde die chenland in einen Sowjet-Satelliten zu verwandeln, eine Gorgopotamos-Eisenbahnbrücke erfolgreich angegriffen. Politik, die sie später bis zum bitteren Ende des Bürger- Dieses Unternehmen ist als das erste grössere Ereignis der krieges von 1947 bis 1949 fortsetzten. Diese zwei wider- griechischen Résistance anzusehen. Seine besondere Bedeu- streitenden Vorstellungen beherrschten während der Jahre tung ergibt sich aus zwei Feststellungen: erstens, es war die 1941-1944 alle politischen und militärischen Aktionen in einzige Gelegenheit, bei der die EDES und ELAS ohne Ein- Griechenland, von denen im Folgenden die wichtigsten ge- schränkungen und unter einem gemeinsamen Oberbefehl zu- nannt seien. sammenarbeiteten; und zweitens, die ELAS-Führer vermie- Zu Beginn des Jahres 1943 versuchten zahlreiche Führer, den ganz offenkundig jede Art von Zusammenarbeit mit ermuntert durch den Erfolg des Angriffs auf die Gorgopo- den Briten, bis wir uns die Mitwirkung von Zervas und sei- tamos-Eisenbahnbrücke im November des Vorjahres, an die nen Leuten gesichert hatten, worauf sie sich eilig ebenfalls Spitze aller Guerilla-Gruppen zu treten – vor allem anschlossen. Ich habe keinen Zweifel, dass sie sich haupt- Oberst Saraphis und Oberst Psaros, beide ermutigt durch sächlich deshalb beteiligten, um zu verhindern, dass Zervas britische Verbindungsoffiziere, aber erbittert bekämpft von allein die Früchte der Aktion erntete, nämlich die zu erwar- den kommunistischen Führern der ELAS. Saraphis’ Truppe tenden Materiallieferungen durch die Engländer in Form wurde im April 1943 von den ELAS angegriffen und zer- von Waffen, Munition und Geld. sprengt, Saraphis selbst gefangengenommen und der Kolla- Nur noch bei zwei anderen Gelegenheiten wurden von den boration mit den italienischen Besatzungsbehörden ange- griechischen Guerillas während der Jahre deutscher Beset- klagt. Psaros’ Truppe wurde ebenfalls angegriffen und aus- zung wirksame militärische Aktionen durchgeführt. Und einandergetrieben, aber auf Grund nachdrücklicher Inter- zwar im Sommer 1943, als die Operationen in Griechen- vention britischer Verbindungsoffiziere wurde dem Obersten land einen Teil der Ablenkungs- und Täuschungsmanöver die Wiederaufstellung seines Verbandes gestattet. Saraphis bildeten, die von den Alliierten als Verschleierung der Lan- dagegen ging nach einer kurzen Haftzeit plötzlich zu den dungen auf Sizilien und in Italien gedacht waren; und dann Kommunisten über, woraufhin nicht allein die Anklagen im frühen Herbst 1944, als sich die deutschen Streitkräfte gegen ihn fallengelassen wurden, sondern er sogar zum aus Griechenland zurückzogen. Ich bin nicht in der Lage, obersten Befehlshaber der ELAS ernannt wurde, eine Stel- den Nutzen dieser Aktionen genau abzuschätzen, aber ich lung, die allerdings nie mehr war als ein Titel. Versuche der nehme an, dass er 1943 nicht unbeträchtlich war; 1944 war ELAS, in gleicher Weise auch die Truppe von Zervas zu ver- er jedenfalls unbedeutend. Im Sommer 1943, vor den anglo- nichten, schlugen fehl. Zervas erfreute sich starker britischer amerikanischen Landungen, wurde von den griechischen Unterstützung, und im Sommer 1943 wurde es den ELAS- Guerillas ein umfassender Angriff auf alle Hauptverbin- Führern klar, dass sie ihren Frieden mit den britischen Ver-

355 Widerstand auf dem Balkan bindungsoffizieren machen mussten, die inzwischen eine sehr Mit kräftiger britischer Unterstützung überstand er den wichtige Quelle für Nachschub und Geld geworden waren. Kampf, und anfangs 1944 schlossen die ELAS erneut mit Die ELAS-Führer beendeten den Konflikt vorübergehend ihm Frieden. Der Haupteffekt dieses zweiten Bürgerkrieges durch die Unterzeichnung eines Abkommens, das sie unter war der, dass sich in der griechischen Bergbevölkerung jetzt den Befehl des britischen Hauptquartiers in Kairo stellte; ein heftiger Widerwille gegen alle Widerstandsbewegungen und sie verbürgten sich dafür, die Unabhängigkeit aller regte. Das erleichterte die Aufgabe der von den Deutschen anderen «Nationalen Bünde der griechischen Guerillas», wie gestürzten Regierung in Athen wesentlich, da sie nun in der die Guerillastreitkräfle nun genannt wurden, zu respektie- Lage war, zahlenmässig starke griechische Truppen in den ren. Das Abkommen bestand lange genug, um die von mir zur Partisanenbekämpfung bestimmten sogenannten «Sicher- beschriebenen Operationen des Jahres 1943 zu ermöglichen, heits-Bataillonen» aufzustellen. Die ELAS verschafften den welche die alliierten Landungen in Sizilien und Italien ver- Sicherheits-Bataillonen im Frühling 1944 noch eine weitere schleiern sollten. Aber diese Operationen, dazu bestimmt, Verstärkung, als sie einen letzten Versuch machten, die das deutsche Oberkommando so in die Irre zu führen, Truppen von Zervas und Psaros zu vernichten. Gegen Zer- täuschten auch viele Griechen, die nun eine Landung in vas blieben sie auch diesmal ohne Erfolg; aber es gelang Griechenland erwarteten; und als im August 1943 Musso- ihnen, Psaros zu töten und seine Truppen zu zerstreuen, lini stürzte und einen Monat später Italien kapitulierte, von denen jetzt viele die Seite wechselten und in die Sicher- machten die griechischen Kommunisten den Fehler, zu ver- heits-Bataillone eintraten. Dieser Vorfall zeigt in dramati- muten, die Befreiung Griechenlands und sogar das Ende des scher Weise, dass viele patriotische Griechen die ELAS so Krieges stünden unmittelbar bevor. sehr hassten, dass sie es vorzogen, mit den Deutschen gegen Der August 1943 war in der Geschichte des Balkans ein sie zusammenzuarbeiten. Danach scheinen die kommunisti- ausserordentlich kritischer Monat, denn gerade in dieser schen Führer erkannt zu haben, dass es ihnen nie gelingen Zeit entschloss sich die britische Regierung auch, Tito in würde, Zervas zu schlagen, und dass sie sich ausserdem da- Jugoslawien in grossem Massstab zu unterstützen. Überdies ranmachen müssten, ihr Ansehen wiederherzustellen. Sie be- erkannten die griechischen und britischen massgebenden gannen jetzt, sich in anderer und subtilerer Weise auf die Stellen im Mittleren Osten plötzlich die Stärke der links- Nachkriegssituation vorzubereiten. orientierten und der republikanischen Stimmung in Grie- Der erste Schritt dazu war, im April 1944, die Gründung chenland. Einige ELAS- und EAM-Führer kamen in jedem eines sogenannten «Politischen Komitees der nationalen Be- Monat nach Kairo, ebenso die Vertreter von anderen freiung» (PEEA) in den Bergen. In ihm waren viele ge- Résistance-Gruppen. Die Vertreter der griechischen Kom- achtete Namen vertreten, die nicht der EAM zugerechnet munisten nahmen die Gelegenheit wahr, eine ernste politi- werden konnten, besonders der des Professors Alexander sche und Verfassungskrise unter den griechischen Exilbehör- Svolos, eines hervorragenden Verfassungsrechtlers der Uni- den hervorzurufen, indem sie forderten, dass die Regierung versität Athen. Dieses «Politische Komitee» nahm nicht für durch die Aufnahme von Résistance-Vertretern erweitert sich in Anspruch, die Regierung Griechenlands zu sein, aber werde und der König sich verpflichte, nach dem Kriege in den von der EAM kontrollierten Gebieten, die minde- nicht eher nach Griechenland zurückzukehren, bis eine stens das halbe Land umfassten, benahm es sich wie eine Re- Volksabstimmung über die Zukunft der Monarchie stattge- gierung. funden habe. Die massgebenden britischen Stellen, insbe- Fast gleichzeitig brach bei den unter britischem Befehl im sondere der Aussenminister und der Premier, reagierten vol- Mittleren Osten stehenden griechischen Truppen eine Meute- ler Zorn auf diese Demarche, und die Résistance-Führer rei zur Unterstützung des Politischen Komitees aus. Die grie- wurden sehr gegen ihren Willen gezwungen, nach Griechen- chische Regierung in Kairo trat zurück; und schliesslich gab land zurückzukehren, ohne für den Augenblick etwas aus- König Georg eine unzweideutige öffentliche Erklärung ab, gerichtet zu haben. Die Folge war, dass im September 1943 dass er die Zukunft des griechischen Thrones einer freien die Kommunistenführer übereilt ihre wahren Absichten Volksabstimmung nach dem Ende des Krieges unterwerfen offenbarten, nämlich die Eroberung der politischen Macht; wolle. Es ist nicht sicher, ob die so folgenreiche Meuterei einerseits zweifellos, weil sie vor Zorn schäumten, andern- von EAM angestiflet worden war, aber jedenfalls waren die teils, weil sie das Ende der deutschen Besetzung unmittelbar Kommunisten rasch zur Stelle, Vorteile aus ihr zu ziehen. bevorstehend glaubten. Nachdem sie zuerst eine beträchtliche Jetzt begann eine zweite, umfangreiche, geheime Wanderung Menge wertvoller Waffen von den italienischen Truppen von Résistance-Führern und anderen Politikern aus Athen erhalten hatten, die nach dem Sturz Mussolinis kapituliert in den Mittleren Osten, und im Juni 1944 trat unter briti- hatten, griffen sie gleichzeitig fast alle anderen griechischen scher Leitung im Libanon eine Konferenz zusammen, um Guerilla-Gruppen in den Bergen an, um sie zu vernichten eine neue und mehr repräsentative Koalitionsregierung zu und die vollständige Kontrolle über das Land zu gewinnen. bilden. Kommunistische Vertreter nahmen an der Konferenz Die einzige Truppe, die sie verschonten, war das erst vor teil; als aber die Bedingungen, denen diese Vertreter bereits kurzem wieder aufgestellte Regiment des Obersten Psaros, zugestimmt hatten, in Griechenland bekannt wurden, ver- der ziemlich überraschend seine Sympathie für ELAS be- warf sie das Politische Komitee der nationalen Befreiung. kundete, im Kampf aber neutral blieb. Erst nach wochenlangen Verhandlungen kam schliesslich eine Alle von den ELAS angegriffenen Streitkräfte waren bald neue Koalitionsregierung zustande, die sechs Vertreter der geschlagen, ausgenommen die EDES unter General Zervas. Kommunisten, der EAM, ELAS und des Politischen Komi-

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Nach der Befreiung: Bürgerkrieg tees der nationalen Befreiung enthielt. (Das waren zu dieser keiten von britischen Truppen niedergeschlagen wurde. Die Zeit lediglich verschiedene Namen für ein und dieselbe Notwendigkeit, britische Truppen in einer Stärke von vie- Sache). Die beiden übriggebliebenen Guerilla-Armeen, len tausend Mann für diesen Zweck einzusetzen, schadete ELAS und EDES, stellten sich unter den Befehl der neuen den militärischen Operationen in Italien 1944 ebenso wie Koalitionsregierung. Sie war noch im Amt, als die deutsche den interalliierten Beziehungen, besonders denen zwischen Besatzung im September 1944 endete; und als die deutschen Engländern und Amerikanern. In diesem Fall hatte die Re- Truppen sich zurückzogen und die britischen Streitkräfte sistance eine nachteilige Wirkung auf die militärischen An- einrückten, kehrte die neue griechische Regierung unter all- strengungen. seitiger Freude nach Athen zurück. Die verfassungsmässige Regierung wurde 1945 wiederherge- Es war immer meine Ansicht, dass die griechischen Kommu- stellt, und 1946 kehrte der König von Griechenland nach nisten dieser Koalitionsregierung nur beitraten, um die einem überwältigenden Plebiszit-Erfolg zurück; aber die Regierung von innen her zu kontrollieren und auf diesem Drohung war noch nicht vorüber. 1947 stürzten die Kom- Wege die absolute Macht eventuell ohne Gewaltaktion zu munisten das Land in einen neuen Bürgerkrieg, der von gewinnen, so wie es den tschechischen Kommunisten später der griechischen Regierung wieder nur mühsam und mit in Prag gelang. Falls sie so kalkulierten, verrechneten sie massiver amerikanischer Hilfe 1949 unterdrückt werden sich aber. Sowohl ihre nichtkommunistischen Kollegen als konnte. Selbst heute ist Griechenland weit entfernt von auch die britischen Besatzungsbehörden erwiesen sich als Sicherheit und Stabilität, ebensowenig ist der Kommunismus zäher und vorsichtiger, als sie erwartet hatten, und schliess- ausgerottet. Wahrscheinlich verbindet die Griechen unter- lich wurde durch den Versuch der griechischen und britischen einander heute nur der Streit mit Grossbritannien und der Behörden, die Entwaffnung der beiden Guerilla-Armeen Türkei um Zypern, so wie die arabische Welt nur durch die ELAS und EDES durchzuführen, die Krise beschleunigt. Die Existenz Israels geeint wird. Unter der Oberfläche ist die EDES willigten in die Demobilisierung, die ELAS lehnten politische Situation Griechenlands so unsicher wie je. sie ab. Darauf folgte ein bewaffneter Aufstand der ELAS in Athen im Dezember 1944, der nur unter grossen Schwierig- (C. M. Woodhouse, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 1958, Heft 2.)

an, dann ziehen sich die Partisanen, möglichst ohne Im Spätsommer 1942 wird erstmals die Lage von Kampf, zurück. Angegriffen werden kleinere Einheiten deutscher Seite ernster beurteilt. Es besteht die Ge- des Gegners, Nachschublager, von den Cetniki ver- fahr, dass der kroatische Staat auseinanderfällt, dass lassene und wehrlose Dörfer, deutsche Verbindungs- hier ein Chaos ausbricht. Die italienischen Truppen, linien. Gekämpft wird nur, wenn der Sieg sicher ist. die die ganze dalmatinische Adriaküste und den gröss- Natürlich lassen sich diese taktischen Richtlinien nicht ten Teil Kroatiens – als «Verbündete» der Kroaten, immer verwirklichen. Vor allem dann nicht, wenn ein nicht als Besatzungsmacht – besetzt halten, scheinen starker Gegner die Partisanenstreitmacht einkreisen immer unzuverlässiger, und die Domobranen, die kroa- kann. Dann muss auch gegen den überlegenen Feind tische Armee, scheint sich gegen die Partisanen nicht gekämpft werden um die nackte Existenz. Doch tritt durchsetzen zu können. eine solche bedrohliche Situation erst ab Frühjahr 1943 So berichtet der Leiter der Auslandsorganisation der ein. NSDAP in der kroatischen Hauptstadt Agram (Zagreb) Bis dahin haben die Partisanen gegen die national- nach Berlin: serbischen Cetniki, gegen die Ustascha, gegen die «Da infolge der schwierigen Gebirgsgegend und der kroatische Armee (Domobranen – «Heimwehr» oder von der deutschen Wehrmacht nur in geringer Zahl «Landwehr»), teilweise gegen die italienische Besat- eingesetzten Abwehr eine systematische Bekämpfung zungsmacht, selten aber gegen die deutsche Wehrmacht der Aufständischen nicht möglich ist, bedrohen die gekämpft. Die deutsche Führung ist damit recht zu- Partisanen, die sich auch weiterhin aus Kommunisten frieden gewesen. Man ist froh, wenn die wenigen und den verschiedensten Aufständischen zusammenset- deutschen Einheiten im «Unabhängigen Staat Kroa- zen, immer wieder neue Gebiete. tien» in Ruhe gelassen werden. Solange die deutschen Nicht nur in Bosnien und der Herzegowina und in Nachschubwege durch Jugoslawien nach Griechenland den Küstengebieten, sondern auch in der FruSka Gora und von dort nach Nordafrika nicht angegriffen wer- [zwischen Mitrovica, Ruma, Novi Sad, Ilok, Erdevik] den, kümmern sich die Deutschen nicht um die Parti- und in den Gebirgsgegenden um Pozega sowie auf der sanen und betrachten die Kämpfe als innenpolitische Pljesevica – in der nächsten Nähe von Zagreb – sind Auseinandersetzungen, in die man sich möglichst nicht grössere Aufstandsgruppen festgestellt und ständig einmischt. Kämpfe im Gange ...

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Widerstand auf dem Balkan Die Aufständischen machen fallweise 30-40 km vor wie auch sonst zu dieser Zeit noch kaum jemand, dass Zagreb Überfälle, die zum Teil einem ausgesprochenen es sich bei dem militärischen Führer um den ehemaligen Banditen- und Räuberwesen gleichkommen. In ande- kaiserlich-königlich österreichischen Kavallerie- ren Gegenden gehen die Aufständischen hingegen sehr Wachtmeister Josip Broz handelt, der inzwischen zu ei- geschickt vor, wie sie auch unverkennbar durchweg nem begabten Partisanen-Feldherrn geworden ist. eine gute militärische und scheinbar noch immer ein- In den nächsten Sätzen aber trifft der NS-Funktionär heitlich gelenkte Führung haben. Ihre Ausrüstung be- das Wesentliche an Broz-Titos neuer Politik: steht meistens nur aus leichten Waffen, die aus alten «In einigen Ortschaften gingen die Aufständischen, serbischen Depot-Rückständen, von übergelaufenen denen man nur Mordabsichten voraussagte, recht tak- kroatischen Soldaten und Lieferungen aus der italie- tisch vor. Sie verteilten unter der Bevölkerung be- nisch-besetzten Zone herrühren .. . schlagnahmte Lebensmittel und Kleidung, setzten ein In diesem Bericht irrt der Agramer NS-Funktionär nur Standgericht ein, sprachen nur wenige Todesurteile aus einmal, dafür aber entscheidend. Er schreibt von der und hielten anschliessend politisch-kommunistische «noch immer» einheitlich gelenkten militärischen Füh- Versammlungen ab. Die so vorgehenden Aufständi- rung und ist also zu diesem Zeitpunkt offensichtlich schen stiessen bei der grösstenteils armen Bevölkerung, der Meinung, es handle sich bei den Partisanen um die teilweise aus Analphabeten besteht, naturgemäss Verbände der regulären früheren jugoslawischen Armee auf grösstes Verständnis ...» unter ihren ausgebildeten Offizieren. Er ahnt nicht, Die deutschen Führungsstellen misstrauen immer mehr

Abb. links: Über die fünfte Offen- sive der Tito-Partisanen schreibt General von Löhr: «Die Kämpfe waren ausserordentlich schwer. Alle Kommandeure stimmten darin überein, dass ihre Truppen die er- bittertsten Gefechte des ganzen Krieges zu bestehen hatten. Ein grauenvoller Partisanenkrieg, der vor allem das zweite Bataillon der 369. Division in ganzer Schwere traf, hatte einen Durchbruch der Front zur Folge. Die feindlichen Truppen vermochten sich durch diese Lücke der Front sämtlich zu- rückzuziehen und gegen Norden zu in die Berge zu verschwinden. Die Deutschen waren zu müde und erschöpft, um etwas dagegen zu

unternehmen, und verfügten über DIE FÜNFTE OFFENSIVE GEGEN TITO (APRIL 1943-JUNI 1943) keine Reserven.» – Abb. rechts: Eine Bekanntmachung des deut- schen Oberkommandierenden in Serbien: Hunderttausend Reichs- mark in Gold erhält, wer immer den Kommunistenführer Tito, tot 358 oder lebendig, herbeischafft. Lebensmittel für die Bevölkerung den Italienern und den Ustaschi. Hier scheint sich etwas wähnt, dass diese an der Ausweitung der Aufstände zusammenzubrauen, dem man eines Tages macht- die Hauptschuld trage. Ein Heckenschützenkrieg war los gegenübersteht, wenn nicht bald eingegriffen wird. zu erwarten – die Tschetniks wurden bereits vor dem Über die Italiener heisst es in einem Bericht der deut- deutsch-jugoslawischen Konflikt dafür aufgestellt, schen Gesandtschaft in Agram vom 21. August 1942: ausgerüstet und ausgebildet. Ohne den Zuzug der von «Es steht fest, dass die serbischen Kräfte [gemeint sind der Ustascha terrorisierten Bevölkerung wäre jedoch General Mihajlovic und die Cetniki] von Italienern dieser Heckenschützenkrieg im Keime erstickt worden. bewaffnet und unterstützt werden ... Die in letzter Dass es zu ausgesprochenen Aufständen kam, ist zu ei- Zeit aus Montenegro nach Westbosnien [italienisches nem erheblichen Teil auf den Terror der Ustascha zu- Besatzungsgebiet] vorgedrungenen Partisanenbanden rückzuführen ...» sind so gut wie unbeschädigt mit guter Bewaffnung Verschiedentlich haben die schwachen deutschen und grossem Tross in das kroatische Gebiet einge- Streitkräfte in Kroatien schon gegen die Ustascha, die brochen .. doch als Verbündete gelten, Front gemacht. So greift Und über die Kroaten heisst es in einem Bericht des schon im Juni der Kommandeur der 718. deutschen SD-Chefs «Ausland» Walter Schellenberg, der zwei Infanteriedivision ein und lässt eine Kompanie der Jahre später auch als Nachfolger des Admirals Canaris Ustascha entwaffnen, «da diese Kompanie dringend die deutsche «Abwehr» übernimmt: verdächtig ist, erneut Gewalttaten an der serbischen « ... über die Ustascha ist vollkommen richtig er- Bevölkerung in der Romanija begangen zu haben».

359 Widerstand auf dem Balkan

Schliesslich muss Hitler selbst eingreifen, nachdem ihn Zunächst wird Mihajlovic gezwungen, sich in das immer mehr beunruhigende Meldungen über die sich italienische Besatzungsgebiet zurückzuziehen. Hier in verschärfende Lage in Jugoslawien, vor allem in Montenegro, wo vor einem Jahr noch Tito vom Volk Kroatien, erreicht haben. Er zitiert im September den vertrieben worden ist, und in der Herzegowina kön- kroatischen Staatschef, den «Poglavnik» Dr. Pavelic, zu nen seine Cetniki entsprechend dem vor Jahresfrist einem Besuch in das Führerhauptquartier nach Berchtes- geschlossenen Abkommen mit den Italienern auf dem gaden. Land und in den Bergen regelrechte «Selbstschutz»- Pavelic streitet die Greueltaten seiner Ustascha nicht Aufgaben übernehmen, ohne daran von den Italienern ab, behauptet aber, selbst dagegen zu sein. Ausserdem gehindert zu werden. verweist er auf Berichte, die umgekehrt von serbischen Nachdem es den deutschen Truppen gelungen ist, die Greueltaten an der katholischen Bevölkerung Kroa- Cetniki aus Serbien zu vertreiben – natürlich nur die tiens berichten. Tatsächlich hat etwa der deutsche Ge- Hauptstreitmacht, nach wie vor gibt es in fast allen sandte Kasche aus Agram nach Berlin an das Aus- serbischen Dörfern noch immer Cetniki, die ja von Haus wärtige Amt unter anderem am 25. August berichtet: aus keine umherziehende Partisanenstreitmacht, son- «Stärkere Tschetnik-Banden haben am 19. August dern eben örtlich gebundene Heimwehren sind –, be- Foca genommen. Schwache kroatische Besatzung über- ginnt der Kampf gegen Titos Partisanen. wunden. In Foca durch Tschetniks 1‘300 Personen, In der zweiten Januarhälfte 1943 kommt es zur ersten auch Frauen und Kinder, erschlagen. Nach sicheren deutschen Offensive gegen Tito, an der auch Italiener Meldungen haben Italiener Tschetniks unterstützt...» und Kroaten beteiligt sind. Hitler teilt Pavelic mit, dass die deutsche Wehrmacht Von Norden her stossen die aus volksdeutschen Jugo- gedenke, stärkere Truppeneinheiten nach Kroatien zu slawen bestehende 7. SS-Gebirgs-Division «Prinz Eu- verlegen, um aktiv in den Kampf gegen Partisanen gen» und die 714. Infanteriedivision, von Osten die 717. und Cetniki einzugreifen. Bedingung ist: eine einheit- deutsche Infanteriedivision in das Partisanengebiet vor. liche deutsche Leitung des Kampfes. Im Operations- Von Westen greift das 5. italienische Armeekorps an, gebiet muss auch die vollziehende Gewalt an den be- unterstützt von Cetniki. treffenden deutschen Truppenkommandeur übergehen. Erstmals wird der Kampf gegen die Partisanen mit Solange gekämpft wird, hat nicht nur das kroatische den Mitteln der modernen Kriegstechnik geführt. Panzer Militär, sondern auch die kroatische zivile Verwaltung und Flugzeuge greifen ein. sich den militärischen Notwendigkeiten, also der deut- Die moderne Kriegstechnik gibt schliesslich den Aus- schen Führung, unterzuordnen. schlag, dass die Partisanen – die «Nationale Volks- Die daraufhin einsetzenden deutschen militärischen befreiungsarmee», wie Tito seine Streitkräfte selbst Massnahmen in Jugoslawien laufen auf zwei Ebenen, nennt – in Einzelne Teilstreitkräfte gespalten werden gegen vier Gegner. Die erste Ebene besteht im nicht- und schwere Verluste auf der Flucht erleiden. Dennoch militärischen Kampf gegen die beiden Verbündeten aber bleibt Titos Hauptmacht erhalten, wenn auch stark Italien und Kroatien, die durch ihre Politik letztlich angeschlagen. doch zu den Gegnern gerechnet werden müssen, und Die gegen eine italienische Beteiligung an der Offen- die zweite im nun beginnenden Krieg gegen die beiden sive vorgebrachten Bedenken erweisen sich bald als offenen Gegner Tito und Mihajlovic. berechtigt. Die nach Süden in Richtung auf Montene- Der Kampf gegen Tito konzentriert sich in Kroatien, gro sich zurückkämpfenden und den deutschen Trup- wo die Partisanen dazu übergegangen sind, die von pen möglichst ausweichenden Partisanen erobern am Deutschland und von Ungarn herführenden Eisen- Fluss Neretva einen italienischen Stützpunkt nach bahnlinien nach Belgrad zu unterbrechen und zugleich dem anderen und machen dabei noch reichlich Beute dicht vor Kroatiens Hauptstadt Agram zu operieren – Panzer und schwere Artillerie. Titos offizieller und damit ernstlich das deutsche Hinterland zu bedro- Biograph Dedijer, der später allerdings auch aus hen. Jugoslawien flüchten muss, berichtet in seiner Tito- Der Kampf gegen die bärtigen Cetniki – ihr Schwur Biographie über diesen Kampfabschnitt das Folgende: ist, nicht eher wieder ein Rasiermesser anzurühren, «Tito berichtete mir über seine weiteren Operations- bis sie die Freiheit erkämpft haben – konzentriert pläne. Wir würden die Ankunft aller Verwundeten sich auf das scheinunabhängige «Militärverwaltungs- abwarten und alle Brücken über die Neretva zer- gebiet Serbien» und auf den von bulgarischen Trup- stören, damit der Feind glauben sollte, wir hätten den pen besetzten Teil Mazedoniens im Süden und Süd- Gedanken einer Flussüberquerung völlig aufgegeben. osten Jugoslawiens. Zu dieser Zeit ist Mihajlovic in sei- Dann sollten wir unsere Hauptkräfte [noch einmal] nen Gebieten weit stärker als der auch hier vorhandene nach Norden werfen, die Deutschen soweit wie mög- Anhang Titos.

360 «Na ja, die lieben Italiener!» lich zurückdrängen, um danach doch unerwartet an der schwächeren Gegner vor sich, sondern er rechnet zu Neretva durchzustossen. Recht damit, dass nun die Herzegowina und Monte- Titos Befehle wurden unverzüglich in die Tat um- negro vom Feind entblösst sind, der sich an der Neretva gesetzt. Die deutschen Divisionen im Norden waren zum Kampf gestellt hat. völlig verblüfft über unseren Gegenangriff. In diesem Die Vertreibung Titos aus seinem «Befreiten Gebiet» Kampf setzten wir die fünfzehn eroberten italieni- in Nordwest-Bosnien ist daher nur ein Scheinsieg für schen Panzer und die gesamte übrige Artillerie ein, die die deutsche Wehrmacht und ihre «Verbündeten». Denn wir bei den Kämpfen an der Neretva erbeutet hatten. Tito kann jetzt erst einmal festen Fuss fassen in den Die Deutschen mussten sich fünfzehn Kilometer zu- noch viel unwegsameren schwarzen Bergen Montene- rückziehen, und wir machten viele Gefangene, unter gros. Die Gefahr, dass ihn die Bevölkerung wieder wie anderen einen Oberstleutnant. Ich sah diesen Preussen ein Jahr zuvor angesichts der Erinnerung an die blu- in aller Ruhe vor uns stehen und hörte ihn fragen: tige Sowjetrepublik vom Durmitor jagt, besteht ,Wo haben Sie eigentlich diese ungeheuren Mengen Ge- nicht. Zunächst hat er seine treu ergebene Kernstreit- schütze her?' macht bei sich, die jeden Widerstand im Keim erstickt, ,Von Ihren Verbündeten, den Italienern, erbeutet.' zum anderen merken die Montenegriner bald selbst, Er winkte leicht mit der Hand ab. dass dies nicht mehr der Tito vom vergangenen Jahr ,Na ja, die lieben Italiener!' ist, sondern ein veränderter Mann, der dem sinnlosen Als die Deutschen so weit zurückgetrieben waren, er- Terror abgeschworen hat und sich redlich um das Ver- hielt die zweite dalmatinische Brigade den Befehl, die trauen des Volkes bemüht, ein Partisanen-Fisch, der be- Neretva zu überqueren und einen Brückenkopf am griffen hat, dass er nur im Wasser des Volkes schwim- anderen Ufer zu bilden. Fünfzehntausend Öetniki des men kann, um bei dem von Mao Tse-tung geprägten Mihajlovic befanden sich auf jener Seite des Flusses in Bild zu bleiben. den benachbarten Bergen, wohin sie von den Italienern Zugleich aber hat Josip Broz-Tlto einen grossen inter- geschickt worden waren, um die Frontlücke zu schlies- nationalen Sieg errungen, dessen Bedeutung er wohl sen. selbst in diesem Moment noch nicht einmal einzu- Die Cetniki hatten unseren Angriff nicht erwartet, schätzen weiss. Die Alliierten, weit voran der britische weil sie glaubten, dass wir uns im Norden Bahn bre- Premier Churchill, beginnen Tito zu unterstützen. Auch chen würden . . . Nach einem Kampf von nur drei hier geht die jugoslawische Entwicklung konträr der Minuten war ein Brückenkopf gebildet. Unsere Pio- in Griechenland. niere errichteten sofort eine hölzerne Brücke . . . Beim Die britische Regierung hat Militärmissionen bei den Morgengrauen hatten unsere ersten Einheiten bereits die Öetniki. Schliesslich ist deren nunmehriger Führer Höhen der gegenüberliegenden Berge bei der Verfol- Mihajlovic der Kriegsminister der in London residie- gung der geschlagenen Öetniki gewonnen . .. renden jugoslawischen Regierung des jungen Königs Sieben Tage lang setzten wir über den Fluss. Deutsche Peter. Nur Mihajlovic verdient daher die Unter- und italienische Flieger suchten uns durch heftige Bom- stützung Grossbritanniens. Über Tito gelangen nur bardements zu stören, aber es gelang uns, mit dem vage Nachrichten in die Aussenwelt. Und wenn sogar letzten verwundeten Soldaten und unserer letzten die sowjetische Presse lange Zeit nur über die Helden- Einheit schliesslich das andere Flussufer zu erreichen.» taten des Generals Mihajlovic und seiner Öetniki be- Generaloberst von Löhr, der OB der deutschen Hee- richtet, ist das für die Engländer erst recht begreiflich. resgruppe E, berichtet über diese Kampfphase: «Es Doch die deutsch-italienisch-serbische Grossoffensive gelang den Partisanen, die Neretva zu überschreiten schafft plötzlich andere Anschauungen. Bei diesem völ- und sich in das nördliche Montenegro zurückzuziehen. lig unbekannten Tito scheint es sich doch nicht um Sie durchbrachen einen Frontabschnitt, der von Ita- irgendeinen wilden Bandenhäuptling zu handeln. Und lienern und Öetniki gehalten wurde. Es gab [in der seine «Partisanen» scheinen schlagkräftige militärische letzten, entscheidenden Kampfphase] weder Gefangene Einheiten zu sein und nicht blutdürstige Verbrecher- noch Beute. Wir konnten weder verwundete noch tote banden, wie man bisher annahm. Wenn die Deutschen Partisanen entdecken, obgleich sie schwere Verluste er- mit etlichen Divisionen eine regelrechte Offensive litten haben müssen ...» durchführen müssen, wenn schliesslich dieser rätselhaf- Nahezu ungehindert stösst Tito nun durch die Herze- te Tito mit dem Kern seiner Leute sogar dieser Ein- gowina weiter bis tief nach Montenegro hinein. Sein kesselungsoffensive entkommen kann – dann muss er Entschluss, den Deutschen auszuweichen und sich im wohl mehr als nur ein unbedeutender Partisanenführer Süden auf die Italiener und Öetniki zu stürzen, ist sein. vollkommen richtig gewesen. Hier hat er nicht nur die Andererseits – die von den Briten unterstützten

361 Widerstand auf dem Balkan

Öetniki kämpfen gegen diesen Tito und helfen damit zu schicken, einzugehen. Stattdessen schickt er Anfra- doch objektiv den Deutschen. Es kommt den Englän- gen über Anfragen, erteilt Belehrungen über die – von dern nicht so sehr darauf an, von welcher politischen Tto längst verwirklichte – Notwendigkeit einer «Natio- Einstellung ihre Verbündeten sind – aber sie müssen nalen Einheitsfront», verlangt von Tito, keinesfalls ge- gegen die Achsenmächte kämpfen. Solange die grie- gen den offiziell anerkannten MihajloviC zu kämpfen. chischen Kommunisten der ELAS so getan haben, sind auch sie von England unterstützt worden, bis sich Dies aber ist Tto nun doch zuviel und er gibt vom Berg herausgestellt hat, dass sie gar nicht daran denken, sich Durmitor einen kurzen, aber unmissverständlichen mit den überlegenen Deutschen auf ernsthafte Kämpfe Funkspruch nach Moskau durch: einzulassen. Erst dann hat England die ELAS fallen- «Wenn Ihr uns schon nicht unterstützt, dann unter- gelassen, als sich herausgestellt hat, dass die Kommuni- lasst es wenigstens, uns zu behindern! Tto.» sten sich nur auf den innergriechischen Bürgerkrieg So etwas ist Stalin noch nie passiert. Noch kein Funk- vorbereiten und auf die Errichtung ihrer Alleinherr- tionär seiner, geschweige denn einer ausländischen schaft. kommunistischen Partei hat es jemals gewagt, in Dieser Tito aber kämpft gegen die Besatzungsmächte, einem solchen Ton mit dem roten Zaren zu sprechen. er könnte ein echter militärischer Verbündeter sein. Es gibt wohl keinen Zweifel, dass dieser Funkspruch Vielleicht sollte man besser ihn, statt die Öetniki, und andere ähnlich offenherziger Art, die ihm noch unterstützen, die bisher noch nicht wirksam gegen die folgen, der erste Anstoss dafür sind, dass Tto später Deutschen gehandelt haben. von Stalin als «Faschist» und «Verräter» verketzert Churchill schickt zunächst einen intimen Freund, seinen wird. Stalin ahnt wohl schon, dass er erstmals und literarischen Mitarbeiter und Helfer, Professor Deakin, einzig in seinem Leben einen Meister gefunden hat, als Major mit Flugzeug und Fallschirm in Titos Haupt- und das ausgerechnet in einem Mann, den er bis dahin quartier. Nachdem Major Deakin positive Berichte niemals ernst genommen, in dem er nur einen ganz klei- über die «Nationale Volksarmee» nach London nen, gehorsamen Funktionär gesehen hat. schickt, erscheinen nacheinander im offiziellen Auftrag Auch in Jugoslawien schafft die Kapitulation Italiens der Regierung Seiner Majestät eine Anzahl Militär- den entscheidenden Wandel wie in Griechenland, nur missionen Grossbritanniens bei Titos Partisanen. Die in genau entgegengesetztem Sinn. Tto wird «salonfä- Waffenhilfe für Tito kommt in Gang. hig», während die griechischen Kommunisten seit ihrer Es ergibt sich die merkwürdige Situation, dass aus- Meuterei in der Armee jeden Kredit im Westen verlie- gerechnet Moskau von der kommunistischen Partisa- ren. nenbewegung in Jugoslawien nicht viel wissen will. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Kapitulation Stalin ist Ttos Armee, sind seine politischen Erklärun- Italiens am 9. September 1943 greift Tto von Mon- gen noch viel zu ehrlich, zu wenig getarnt. Der so- tenegro aus die italienischen Streitkräfte an. Alle wjetische Partei- und Regierungschef fürchtet, seine italienischen Divisionen strecken sofort die Waffen; Alliierten vor den Kopf zu stossen. In Griechenland schon längst sind sie des Krieges überdrüssig. Doch hat er nichts dagegen. Die dortige Partisanenbewegung eine Anzahl von Regimentern zweier Divisionen gehen der Kommunisten hält er für stark genug, sich gegen sogar zu Tto über. Nun ist die Partisanenarmee eine die innenpolitischen Gegner durchzusetzen, während echte, schwerbewaffnete und mit modernstem Kriegs- in Jugoslawien die starken Verbände Mihajlovics die gerät ausgerüstete Armee. Zugleich aber entsteht im offizielle Unterstützung der Alliierten geniessen und Norden Jugoslawiens, im zu Kroatien gehörenden Stalin daraus schliesst, dass Tto zu schwach ist, um sich Slowenien, durch den Abzug der Italiener ein leerer innenpolitisch wirklich durchsetzen zu können. Stalin Raum. Sofort stossen Ttos Leute nach, und erstmals hat noch lange Zeit nicht erkannt, dass es genau um- machen sich auch hier unmittelbar an der deutsch- gekehrt ist und dass Tto stärker ist als seine griechi- österreichischen Grenze und an der Nordostgrenze schen Genossen Siantos und Ares. Italiens Tto-Partisanen gefährlich bemerkbar. So verstärkt Stalin sogar seine Militärmission bei Im November finden zwei wichtige Konferenzen statt, Mihajlovic, weigert sich aber, einen offiziellen Ver- die eine von internationaler Bedeutung, die andere von treter zu Tto zu schicken. Die Alliierten könnten sonst entscheidender Bedeutung für Jugoslawien. Die «Gro- denken, er habe etwas mit dieser kommunistischen ssen Drei» – Stalin, Churchill und Roosevelt – tref- Partisanenbewegung zu tun. Stalin weigert sich fen sich in der persischen Hauptstadt Teheran. Dort schliesslich sogar, auf die dringenden Funksprüche von beschliessen sie während der vom 26. November bis Ttos Hauptquartier, Waffen, Munition und Ver- zum 3. Dezember 1943 dauernden Konferenz unter pflegung sowie Instruktionsoffiziere zur Ausbildung anderem, Ttos «Nationale Volksbefreiungsarmee» als

362 Marschall von Jugoslawien alliierte Streitmacht anzuerkennen und gleichzeitig Mihajlovic? aus eben diesem Grund zum Tode verurtei- Mihajlovic? und seinen Öetniki jegliche Unterstützung len lassen. zu entziehen. Dass es nicht zu einer Zusammenarbeit oder wenigstens Zur selben Zeit veranstaltet Tito in der Stadt Jajce im einem Waffenstillstand Tito - deutsche Wehrmacht ge- Mittelpunkt Kroatiens – die er kurz zuvor zurück- kommen ist, wie zwischen Mihajlovic? und den Italie- erobert hat – eine AVNOJ-Konferenz. Auf dieser nern, lag nicht an Tito, sondern an Hitler. Tagung, die fast während der ganzen Dauer unter dem «Mit Rebellen verhandelt man nicht, man schiesst auf Bombardement und Bordwaffenbeschuss deutscher sie!» hat Hitler erklärt, als er auf solche Bündnisse noch Flugzeuge liegt, wird eine provisorische Regierung nicht angewiesen war. gebildet. Der Tag, an dem diese Regierung sich kon- 1944 ist auch Hitler, dessen Kriegspolitik Deutschland stituiert, ist der 29. November – eben ist aus Teheran schon längst der vernichtenden Niederlage zugeführt die Nachricht von der Anerkennung Titos als einem hat, gezwungen, die Gefährlichkeit Titos richtig einzu- gleichberechtigten Alliierten bekanntgeworden. Der 29. schätzen: November ist seitdem bis heute der jugoslawische Na- «Es ist ganz richtig, wenn die [Alliierten] diesen Tito tionalfeiertag. als Marschall bezeichnen: ein Mann, der mit nichts eine An eben diesem Tag wird der ehemalige k. u. k. Wacht- ganze feindliche Kriegsmacht dauernd in Atem hält meister Josip Broz unter seinem Tarnnamen Tito von und sich immer wieder erholt, verdient den Titel Mar- der eben zusammengetretenen provisorischen Regie- schall viel eher, als bei uns mancher den Titel General- rung in ihrer ersten Sitzung zum «Marschall von Jugo- oberst oder Feldmarschall.. .» slawien» ernannt. Und Tito verdient diesen Titel «Marschall von Jugo- Mihajlovic, der durchaus kein Kollaborateur gewesen slawien» wirklich zu Recht. Allmählich geht nach ist, spielt bald keine Rolle mehr. Er hat es für seine Hitler auch Stalin die Bedeutung dieses Mannes auf. Aufgabe angesehen, der rechtmässigen Regierung die Am 24. Februar 1944 kann Tito endlich einen Emp- Treue zu halten und seine Kräfte zusammenzuhalten, fang zu Ehren der soeben eingetroffenen sowjetischen um den – wie in Griechenland – drohenden Kräften des Militärmission geben, die eineinhalb Jahre später als Kommunismus im entscheidenden Kampf Halt gebieten die verschiedenen britischen Missionen eingetroffen ist. zu können. Doch der Westen hat sich gegen ihn und für Dennoch sieht Tito, der alte Kommunist, in den so- Tito entschieden. wjetischen Militärs nun bessere Freunde als in den Die bisher unter der Führung von Mihajlovic? kämp- alten englischen Kampfgefährten, und so ist es zu er- fenden Cetniki-Einheiten zerfallen nach und nach, nur klären, dass die Berichte der Sowjetoffiziere an Stalin wenige bleiben dem von allen verlassenen General und zunächst nur Positives über den jugoslawischen Mar- abgesetzten Kriegsminister treu. Und bald ist Mihaj- schall enthalten. lovic dadurch wirklich nicht viel mehr als der Chef Inzwischen sieht sich die deutsche Wehrmachtsführung einer Räuberbande. Eine wichtige Rolle im Wider- dazu gezwungen, Griechenland zu räumen. In Italien standskampf des jugoslawischen Volkes spielt er nun ist die Front am Monte Cassino aufgerissen worden, nicht mehr. 1946 wird er, ein Jahr nach Kriegsende, die Eroberung der italienischen Hauptstadt Rom ist von Titos Partisanen mit dem halbverhungerten und ver- nur noch eine Frage von Tagen, die Invasion der kommenen Rest seiner Getreuen gefangen, zum Tode Alliierten in Frankreich wird erwartet, die Rote Ar- verurteilt und hingerichtet. mee steht schon an den Karpaten – und so besteht die Zu Beginn des Jahres 1944 hat die «Nationale Volks- Gefahr, dass die deutschen Truppen in Griechenland befreiungsarmee» den grössten Teil jugoslawischen Ge- abgeschnitten werden könnten. bietes erobert, darunter auch die Inseln in der Adria Aus diesem Grund wird noch einmal zu einem grossen vor der Küste Dalmatiens. Doch sind nach wie vor die Schlag gegen Tito ausgeholt, um die Rückzugswege der wichtigsten Städte in deutscher Hand, ebenso wie die deutschen Heeresgruppe E zu säubern. Fast wird die- Nachschubstrassen und Bahnlinien. ser Schlag für Tito tödlich. Und ironischerweise beginnt Trotzdem erkennt man auch bei der deutschen Führung die deutsche Offensive gerade am 25. Mai, an Titos Ge- die tödliche Gefahr, die Jugoslawiens Befreiungsarmee burtstag. für die deutschen Truppen auf dem Balkan geworden Der deutschen Aufklärung ist es gelungen, Titos Auf- ist. 1942 hat Tito gegenüber den Deutschen das gleiche enthaltsort festzustellen. Tito hat sein Hauptquartier getan wie Mihajlovic gegenüber den Italienern – er in einer Baracke oberhalb des kleinen Städtchens Dvar hat ein zumindest zeitweiliges Bündnis gegen den in Westbosnien. Hinter der Baracke öffnet sich eine damaligen Hauptfeind, die Öetniki, angeboten. Tito Höhle, die durch den Berg hindurch zum Berghang auf spricht darüber nicht mehr gern, schliesslich hat er der gegenüberliegenden Seite führt.

363 Widerstand auf dem Balkan

Neben starken Gebirgsjägereinheiten, neben Panzern minister Churchill, der sich in der süditalienischen Ha- und Flugzeugen werden auch erstmals seit langer Zeit fenstadt Bari aufhält. Beide sind trotz der tiefgehen- wieder deutsche Fallschirmjäger im Luftlandeeinsatz den politischen Meinungsverschiedenheiten persönlich verwendet. Während die anderen Truppen die Parti- sehr voneinander angetan. Schon uvor hat Churchill sanen einkreisen und an verschiedenen Stellen durch als Ausdruck seiner Wertschätzung seinen Sohn Ran- Schwerpunktbildung zerspalten sollen, ist es die Auf- dolph als Mitglied der britischen Militärmission zu gabe der Fallschirmjäger, direkt über der – hier im Tito geschickt. Randolph Churchill hat auch den eben wahrsten Wortsinn – Höhle des Löwen abzuspringen, erfolgten plötzlichen Rückzug Titos mitgemacht. um Tito und seinen Stab gleich zu Beginn gefangenzu- Am 15. Oktober 1944 ist die Räumung Griechenlands nehmen. durch die deutschen Truppen abgeschlossen. Ein riesi- Zunächst wird Dvar bombardiert. Dann erscheinen die ger Heerwurm zieht durch Mazedonien, Montenegro, Ju-52-Transportmaschinen am Himmel. Die Fall- die Herzegowina, durch Bosnien und Slowenien nach schirmjäger springen heraus. Hinter den dreimotorigen Norden, Deutschland entgegen. Transportern hängen Segelflugzeuge, die nun aus- In Griechenland sind die deutschen Truppen von den geklinkt werden. Unmittelbar nach den Fallschirm- verschiedenerlei Partisanenverbänden kaum behelligt springern gleiten die Segler mit weiteren Mannschaften worden. Man wartet vielmehr darauf, dass auch der sowie mit schweren MG’s, mit Granatwerfern und letzte Deutsche verschwunden ist, um dann zum End- Munition zu Boden. Manches Segelflugzeug zerschellt kampf um die Macht gegeneinander anzutreten. in dem zerklüfteten Gelände. Anders ist es in Jugoslawien. Jetzt ist Titos Armee Tito ist in seiner Höhle eingeschlossen. Einige der Mit- wieder da, jetzt ist auch er selbst wieder da. Denn jetzt kämpfer Titos sind schon gefallen, Tito selbst, der hin- handelt es sich nicht um deutsche Truppen, die mit be- ter einem MG liegt, ist verwundet. Zwar erleiden die wusstem Einsatz und Ziel zu einer Offensive antreten, angreifenden deutschen Fallschirmjäger naturgemäss sondern um – wenn auch starke und zum Teil kampf- noch höhere Verluste, doch sind die Verteidiger bald erprobte – Einheiten, die wissen, dass der Krieg verloren am Ende. Die Munition hält nicht mehr lange vor. ist und die nur noch ein Ziel kennen – nach Hause zu Da entdeckt Edvard Kardelj, der heutige Parlaments- gelangen. präsident, in der Decke der Höhle einen schmalen Am 18. Oktober erobern die Rote Armee – die von Schacht, den der Regen vom Berggipfel her ausgewa- Bulgarien her in Jugoslawien eingefallen ist – und schen hat. Mit einem Seil gelingt es schliesslich, den Tito-Truppen die serbische und jugoslawische Haupt- Kamin zu erklimmen und bis zum Gipfel des Berges stadt Belgrad. Damit ist ganz Ost-Jugoslawien für die hochzuklettern. Oben kämpft die Stabswache des Partisanen gewonnen. Die Rückzugskämpfe spielen Hauptquartiers unter Führung des nun von Tito abge- sich im Westen ab, in Bosnien und vor allem längs der setzten Innenministers und Sicherheitschefs Rankovic. zerklüfteten Küste Dalmatiens. Vielfach werden deutsche Truppen abgeschnitten, ein- Schliesslich naht von ausserhalb Rettung. Eine Parti- gekesselt und aufgerieben. Oft gelingt der Durchbruch, saneneinheit erscheint im Rücken der deutschen Fall- doch nur, um gleich darauf wieder von Partisanen schirmjäger, stösst bis zum Berggipfel vor und gelangt umzingelt zu werden. Dennoch gelangt die Haupt- mit Tito auch wieder aus der deutschen Umklamme- macht der deutschen Heeresgruppe E bis nach Slowe- rung heraus. Die Deutschen erbeuten nur die nagel- nien, dicht vor die damalige deutsche Grenze nach neue Uniform des Marschalls, die der Schneider von Kärnten und der Steiermark. Dvar kurz vor dem deutschen Angriff als Geburts- Erst die deutsche Kapitulation am 8. Mai 1945 macht tagsgeschenk zu Tito in die Höhle seines Hauptquartiers den blutigen Kämpfen ein Ende. Trotz ihres verbisse- gebracht hat. nen Einsatzes haben viele der deutschen Landser ihr Trotzdem kann die deutsche Offensive einen Teilerfolg Ziel nicht erreicht – Deutschland oder wenigstens die erzielen. Die Partisanenarmee wird in viele Teile zer- Front der in Italien hochstürmenden westlichen splittert. Tito selbst kann sich nicht mehr im Land Alliierten. Sie geraten in jugoslawische Gefangenschaft. festsetzen. Ununterbrochen wird er gejagt. Schliesslich Als einziger Widerstandsbewegung in Europa ist es der gelingt es ihm, mit britischer Unterstützung auf die von Tito geeinten und geführten jugoslawischen «Na- Adria-Insel Vis zu flüchten, wo er nun sein Haupt- tionalen Volksbefreiungsfront» gelungen, ihr Land quartier einrichtet. Britische Zerstörer beschützen die selbst zu befreien und sofort danach selbst die Regie- Insel vor jedem deutschen Angriff, britische Flakbatte- rung zu übernehmen. Der Mann, der das zustande- ge- rien wehren deutsche Flugzeuge ab. bracht hat, ist der «Marschall von Jugoslawien», Josip Von Vis aus besucht Tito auch den britischen Premier- Broz-Tito.

364 Nationales Befreiungskomitee Italien

Heeres; er bringt vier Divisionen zusammen, die in Italien Deutschland ausgebildet und im Sommer 1944 in Ligu- rien eingesetzt werden. Nach den Daten aus «Letzte Briefe zum Tode Verurteil- 29. September 1943 Beginn des Aufstandes in Neapel, ter», 1939-1945: der nach viertägigen Kämpfen mit der Befreiung der Stadt endigt. März 1943 Grosse Streiks mit politischem Hinter- 11. Oktober 1943 Die Regierung erklärt, sie betrachte grund brechen in Mailand, Turin und anderen Industrie- sich im Kriegszustand mit Deutschland. England, die zentren der Lombardei und des Piemont aus. Vereinigten Staaten und die UdSSR anerkennen Italien 10. Juli 1943 Alliierte Truppen landen in Sizilien. als Mitkriegführenden. 25. Juli 1943 Mussolini wird gefangengenommen. 16. Oktober 1943 Das nationale Befreiungskomitee Viktor Emanuel III. ernennt Badoglio zum Minister- fordert für das italienische Volk das Recht zur Selbst- präsidenten und übernimmt das Oberkommando über bestimmung über seine Verfassung nach dem Kriege das Heer. Der Krieg geht weiter. Die faschistische und die Bildung einer provisorischen Regierung aus Partei und einige ihrer Einrichtungen werden aufge- Vertretern der antifaschistischen Parteien. löst. Die Zensur über die Presse bleibt bestehen und Oktober bis November 1943 In Rom und Mailand das Wiedererstehen des politischen Lebens unterbunden. treten die ersten «Gruppen der patriotischen Aktion» Neue deutsche Truppen strömen nach Italien. (Gruppi di Azione Patriottica: G.A.P.) in Tätigkeit. Sie 3. August 1943 Die Vertreter der sechs politischen sind für Sabotageakte und Handstreiche ausgebildet und Parteien (Aktionisten, Kommunisten, Demokraten haben noch vielfache andere Aufträge, u.a. Verfolgten- der Arbeit, Christlichsoziale, Liberale und Sozialisten) hilfe, Verteidigung von Anlagen usw. nehmen trotz des Verbots der Regierung ihre politische November 1943 bis Januar 1944 Deutsche Abteilun- Tätigkeit wieder auf und ersuchen Badoglio um die Be- gen führen gegen die Partisanen die ersten Säuberungs- endigung des Krieges. razzien durch. 8. September 1943 Während alliierte Truppen in Januar 1944 Das Komitee der nationalen Befreiung Salerno landen, wird der Abschluss des Waffenstill- in Mailand und das Zentralkomitee in Rom treffen standes verkündet. In wenigen Tagen sichern sich die die Vereinbarung, dass das Mailänder Komitee von Deutschen zufolge des Fehlens eines Verteidigungs- nun an den Namen «Nationales Befreiungskomitee planes, der Flucht des Königs und der Auflösung des Oberitalien» (Comitato Liberazione Nazionale Alta Ita- Heeres die Herrschaft über das ganze nicht von den lia: C.L.N.A.I.) führe und als «Ausserordentliche Regie- Alliierten besetzte italienische Territorium, mit Aus- rung für Norditalien» walte (Governo straordinario del nahme von Sardinien, von wo sie vertrieben werden. Nord). Ein grosser Teil der Kriegsmarine findet Zuflucht in Kongress der antifaschistischen Malta. Italienische Truppen im Balkan und auf den 23.–29. Januar 1944 Inseln des Mittelmeers setzen den Deutschen Wider- Parteien in Bari; sie fordern die Abdankung des Königs. stand entgegen. In verschiedenen Gegenden Italiens März 1944 Neue Streiks brechen in Norditalien und bilden sich kleine bewaffnete Widerstandsgruppen und in der Toscana aus. Von den Deutschen und den werden zu Stützpunkten für die gemeinsame politisch- Faschisten werden schwere Repressalien ergriffen. militärische Tätigkeit der Befreiungsbewegungen. März-April 1944 Ausgedehnte militärische Opera- 9. September 1943 In Rom bildet sich das Zentral- tionen gegen die Partisanen in Piemont; im Sommer komitee für die Befreiung (Comitato Liberazione Nazio- werden solche neuerdings durchgeführt, nachdem die nale: C.L.N.), aus dem später ein militärisches Kom- Partisanenbewegung in allen besetzten Gebieten Italiens mando hervorgeht. höchste Intensität erreicht hat. 10. September 1943 Die Verteidigung Roms mit mili- 19. April 1944 Ein Dekret der «Sozialen Italieni- tärischen und zivilen Kräften wird unterdrückt. In der schen Republik» verhängt die Todesstrafe für alle Hauptstadt bildet sich ein geheimes militärisches Zen- Mitglieder «bewaffneter Banden» und für Gehilfen- trum des Widerstandes, das mit dem alliierten Haupt- schaft für diese. quartier in direkter Verbindung steht. 24. April 1944 Nachdem auf Antrag des kommuni- 23. September 1943 Mussolini, am 12. September von stischen Leaders P. Togliatti eine Einigung über die den Deutschen befreit, bildet eine eigene Regierung Verfassungsfrage erzielt ist, bildet sich in Salerno die und ernennt sich zum Staatshaupt der sogenannten erste Regierung der nationalen Einigung. Sozialen Italienischen Republik (Repubblica Sociale Mai-Juni 1944 In den Westalpen treffen sich Vertre- Italiana). Sein Verteidigungsminister, Marschall Gra- ter des italienischen und französischen Widerstandes, ziani, ergreift Massnahmen zum Neuaufbau eines

365 Widerstand in Italien um den Kampf gegen die Deutschen zu koordinieren. 28. April 1945 Mussolini wird auf der Flucht von Par- Ähnliche Vereinbarungen werden im Osten mit den tisanen gefangengenommen und in Dongo (am Comer Vertretern des slowenischen Widerstandes getroffen. See) füsiliert. 4. Juni 1944 Die Alliierten ziehen nach Überwin- 2. Mai 1945 Die restlichen deutschen Kräfte in Vene- dung der Verteidigungslinie «Gustav» (16. Mai), un- tien geben den Widerstand auf. terstützt von italienischen, französischen und polni- Die ersten ausgedehnten organisierten Gewaltakte schen Truppenteilen, in Rom ein. Viktor Emanuel III. von Faschisten gegen Vertreter der Arbeiterbewegung tritt die königliche Macht an seinen Stellvertreter und ihre Gegner im Allgemeinen fallen in das Jahr Prinz Umberto ab. I. Bonomi bildet mit den Mitglie- 1920 und ereignen sich besonders in der Emilia. Von dern des Nationalen Befreiungskomitees eine neue 1920 bis 1927 – das Jahr, in dem der Faschismus die Regierung. Alleinherrschaft erringt und gewissermassen gesetz- 9. Juni 1944 Das Militärkomitee für Norditalien mässig und legal wird – werden von Agenten und (Comitato Militare Alta Italia: C.M.A.I.), das seit Kadern der Faschisten sozusagen überall Morde be- dem 8. September 1943 besteht, bildet sicht zum «Frei- gangen, sowohl an Einzelpersonen (z.B. am 24. Juni willigen Freiheitskorps» um (Corpo Volontari Liberti: 1924 am Sozialistenführer G. Matteotti) wie auch an C.V.L.), dem alle bewaffneten Gruppen unterstehen. ganzen Gruppen (so im Dezember 1922 mit dem Blut- Das oberste Kommando war schliesslich folgender- bad in Turin und im Oktober 1925 in Florenz). Die Zahl massen zusammengesetzt: Kommandant: General L. der Opfer ist schwer zu schätzen, beträgt aber mehrere Cadorna, Vizekommandanten: L. Longo (Kommu- hundert Personen. nist) und F. Parri (Aktionspartei). Im März 1945 be- Im Gegensatz zum Nationalsozialismus greift der stand das Korps in 43 Zonen aus 104 Divisionen und Faschismus, einmal zur absoluten Macht gelangt, sel- 52 autonomen Brigaden, sowie Formationen in den ten zur direkten körperlichen Unterdrückung und Städten und der Ebene. Vernichtung. In der Zeit vom Erlass der Sondergesetze Sommer 1944 In Piemont, Ligurien, in der Emilia im November 1926 bis zum Fall Mussolinis im Juli und Lombardei werden weite Gebiete durch die Parti- 1943 wurden auf Grund von Urteilen des Sonder- sanen befreit; sie setzen lokale demokratische Regie- gerichts zum Schutze des Staates im Ganzen 20 Per- rungen ein. Die Tätigkeit der «Kader der patriotischen sonen hingerichtet. Diese Zahl steht jedoch in keinem Aktion» (Squadri di Azione Patriottica: S.A.P.) nimmt Verhältnis zu den Verlusten an Menschenleben zufolge eine starke Entwicklung; ihre Aufgabe ist die zivile Mo- der schlechten Behandlung in Gefängnissen und an bilisation und die Verteidigung der Zivilbevölkerung Internierungsorten der Polizei (so im Falle des Kom- gegen Repressalien, Razzien usw. munistenführers A. Gramsci, der erst aus dem Gefäng- 22. August 1944 Nach Wochen heftiger Kämpfe, an nis in ein Spital übergeführt wurde, als sein Zustand denen Partisanen und Bürger teilnehmen, wird Florenz bereits hoffnungslos war), bei Unterdrückung von befreit. Volksaufständen, wegen der Not in der Verbannung Dezember 1944 Nachdem die alliierte Offensive an usw. Einige Auswanderer wurden in den Ländern, wo der «Gotenlinie» zum Stillstand gekommen ist, wird sie Zuflucht gesucht hatten, von faschistischen Meu- der Vorschlag zu einer Politik des Abwartens, den chelmördern umgebracht – es sei an C. Rosselli, den General Alexander unterbreitet, von den Partisanen zu- Gründer der Bewegung «Giustizia e Libertà», erin- rückgewiesen. nert, der 1937 in Frankreich mit seinem Bruder Nello ermordet wurde. 600 Gefallene sind der Beitrag an 7. Dezember 1944 Zwischen General Wilson und den Blutopfern der Antifaschisten im spanischen Bürger- Vertretern des norditalienischen Befreiungskomitees krieg. Nicht bekannt ist die Zahl der italienischen wird eine Einigung über die Vollmachten des Komitees Freiwilligen, die vor dem Waffenstillstand (1943) an erzielt. Die Regierung Bonomi tritt an das nordita- den verschiedenen Fronten auf Seiten der Alliierten lienische Befreiungskomitee die Regierungsgewalt über im Krieg gegen die Achse gefallen sind. Norditalien ab. Für die zwanzig Monate vom Waffenstillstand (8. Sep- März-April 1945 Die Alliierten überwinden den tember 1943) bis zur vollständigen Befreiung des deutschen Widerstand an mehreren Stellen des «Goten- nationalen Territoriums (erste Maitage 1945) sind zu- walls». In der zweiten Aprilhälfte zwingen die Offen- folge der Tätigkeit der Deutschen und der Faschisten sive der Partisanen und Volksaufstände die deutschen (deren Anteil nicht genau bestimmbar ist) folgende Ver- und faschistischen Kräfte zur Übergabe oder zur luste zu verzeichnen: Flucht. Das zentrale Befreiungskomitee und neben – von 336‘516 Partisanen, die in reguläre Gruppen ihm am 25. April auch das Befreiungskomitee von eingereiht waren, sind 30‘896 gefallen oder hingerich- Oberitalien übernehmen die Macht. tet worden ...

366 Weil der Krieg verloren ist

Der Sturz Mussolinis Wie Mussolini gestürzt wurde

Hitler: Sie wissen schon über die Entwicklung in Italien Be- Der 25. Juli 1943 in Rom scheid? Das entscheidende Dokument des Faschistischen Grossrates Keitel: Ich habe nur die letzten Worte eben gehört. ist jetzt in Italien veröffentlicht worden Hitler: Der Duce ist zurückgetreten. Es ist noch nicht authen- Durch einen alten italienischen Geistlichen, der für ein tisch: Badoglio hat die Regierung übernommen, der Duce ist Waisenhaus Geld brauchte, ist das Dokument über die zehn- zurückgetreten. stündige Sitzung des Faschistischen Grossrates, die am Keitel: Von sich aus, mein Führer? 25. Juli 1943 zum Sturz Mussolinis und zum Zusammen- Hitler: Wahrscheinlich auf Wunsch des Königs, durch den bruch des Faschismus geführt hat, der Öffentlichkeit be- Druck des Hofes. Ich habe gestern schon gesagt, wie der Kö- kanntgeworden. Das Dokument war bisher vom ehemaligen nig eingestellt ist. Privatsekretär Mussolinis, Nicolo De Cesare, versteckt ge- Jodl: Badoglio hat die Regierung übernommen. halten worden. Nach seinem Tode ging es aufgrund einer Hitler: Badoglio hat die Regierung übernommen, also unser testamentarischen Verfügung an den Geistlichen Cosimo grimmigster Feind. Wir müssen uns sofort klarwerden, Bolandi über. De Cesare erlaubte ihm, diesen kostbaren Be- irgendein Verfahren finden, dass wir die Leute hier zurück- sitz zu wohltätigen Zwecken zu verwenden. Monsignore bringen auf das Festland. (Gemeint von Sizilien.) Bolandi bot es der italienischen Zeitschrift Epoca an. Sie Jodl: Das Entscheidende ist die Frage, kämpfen sie oder hat das Dokument nun veröffentlicht, mit Erläuterungen kämpfen sie nicht? von Dino Grandi, dem ehemaligen Mitglied des Faschisti- Hitler: Die erklären, sie kämpfen, aber das ist Verrat! Da schen Grossrates, der zurückgezogen in Bologna lebt. müssen wir uns klar sein: das ist nackter Verrat! Ich erwarte Grandi, damals Kammerpräsident, hatte Mussolini, als die nur die Nachrichten, was der Duce sagt. Der Dings will Kriegsereignisse für Italien eine immer verhängnisvollere jetzt mit dem Duce sprechen. Hoffentlich erwischt er ihn. Wendung nahmen, diese Sitzung aufgezwungen. Gleich zu Ich möchte, dass der Duce sofort herkommt, wenn er ihn Beginn der Aussprache legte er eine Tagesordnung in erwischt, dass der Duce sofort herkommt nach Deutschland. Maschinenschrift vor. Erklärt wurde darin, die sofortige Jodl: Wenn diese Dinge zweifelhaft sind, gibt es also nur ein Wiedereinrichtung aller von der Verfassung vorgesehenen Verfahren. politischen Einrichtungen sei unerlässlich. Verlangt wurde, Hitler: Ich dachte mir schon, mein Gedanke wäre, dass die 3. die Regierung möge den König bitten, erneut den Ober- Panzergrenadierdivision sofort Rom besetzt, die ganze Regie- befehl über Heer, Marine, Luftwaffe zu übernehmen, wie rung sofort aushebt. es die Verfassung vorschrieb. Grandi hatte für dieses Doku- Jodl: Diese Truppen hier bleiben so lange da, bis das zurück ment, das jetzt gefunden wurde, unter den 27 faschistischen ist... Grossräten (Parteiführern, Ministern, Präsidenten der Indu- Hitler: Hier gibt es nur etwas, dass man versucht, die Leute strie- und Landwirtschaftsverbände, Staatssekretäre) 19 unter Zurücklassung des Materials – Material hin Material «Ja»-Stimmen gesammelt. Acht sagten nein, einer enthielt her, das spielt keine Rolle, die Menschen sind wichtiger – auf sich der Stimme. Das bedeutete das Ende Mussolinis und des deutsche Schiffe zu bringen. – Ich kriege jetzt ja noch Nach- Regimes. Die konstitutionelle Monarchie war wieder erstan- richten von Mackensen. Dann wollen wir das Weitere gleich den, die Parteien mussten wieder eingesetzt werden. Als veranlassen . .. Aber deswegen muss das hier sofort weg! König Viktor Emanuel den von der Mehrheit seiner ver- Jodl: Jawohl! ... trautesten Freunde und Mitkämpfer verlassenen «Duce» am Hitler: Das Entscheidende ist zunächst, dass wir jetzt sofort Spätnachmittag des 25. Juli 1943 verhaften liess, geschah die Alpenübergänge sichern, dass wir bereit sind, mit der dies auf Grund des Mehrheitsbeschlusses des Fäschistischen 3. italienischen Armee sofort Fühlung aufzunehmen, dass Grossrates. Mussolini hat es nie verziehen. Als ihn Skorzeny wir die französischen Übergänge sofort in die Hand kriegen. später wieder befreite, rächte er sich bitter. Kaum war in Das ist das Allerwichtigste. Zu dem Zweck müssen wir sofort Salo die neue «Soziale Republik Italiens» ausgerufen, liess Verbände herunterlaufen lassen, unter Umständen auch die er in Verona fünf der Grossräte, die sich nicht rechtzeitig 24. Panzerdivision. hatten absetzen können, den Prozess machen. Sie wurden Keitel: Das ist bei allem ja das Schlimmste, was passieren alle zum Tode verurteilt und mit Rückenschuss hingerichtet. konnte: Dass wir die Übergänge nicht haben. Unter ihnen war Ciano, der Schwiegersohn Mussolinis. Auch er hatte sein «Ja» zum Sturz des einst so Verehrten ge- geben. Soweit der historische Vorgang, der in diesen wiedergefun- denen Akten jetzt schriftlich dokumentiert ist. Nach den Erklärungen Grandis zu diesem Fund hatte sich König Vik- tor Emanuel III. zum Sturz Mussolinis entschlossen, weil er den Krieg für verloren hielt. In vertraulichen Gesprächen mit Grandi forderte er eine verfassungsmässige Legitima- tion, das heisst eine Entscheidung des Parlaments, des Mini-

(Aus der Hitler-Lagebesprechung vom 25. Juli 1943 – 21.30 Uhr) Widerstand in Italien sterrats oder des Faschistischen Grossrats. Grandi und an- ihn mit herzlichen Worten und drückte ihm zum Abschied dere Verschwörer hatten es nicht leicht. Beide Häuser konn- beide Hände. Kaum hatte der König den Rücken gedreht, ten nur vom obersten Staatschef, von Mussolini, einberufen wurden Mussolini und sein Sekretär verhaftet. Mussolini werden. Praktisch spielten sie schon längst keine Rolle mehr. brachte man in eine Carabinieri-Kaserne Roms; sein Sekre- Der Ministerrat glänzte meist durch Abwesenheit, weil tär De Cesare – mit den Dokumenten – kam in das römische Mussolini, um seine Alleinherrschaft besser ausüben zu Stadtgefängnis. können, seine Minister als Soldaten von einer Front an die Hier geschah das Unglaubliche. Die Ledermappe mit dem andere schickte, oft innerhalb von 24 Stunden. Seine Ver- Rechtsakt über den Sturz des Diktators wurde nicht unter- trauten suchte er unter mittelmässigen Heerführern. Er sucht. Mit Uhr, Schnürsenkel und Krawatte De Cesares traute niemand mehr, ausser dem König. So war es ihm un- wurde sie auf einem Regal verstaut. Nach dem Waffenstill- vorstellbar, dass gerade Viktor Emanuel ihn loswerden stand Italiens wurde De Cesare entlassen. Man händigte wollte, da dieser doch alle seine Handlungen stets bejaht ihm auch die Aktentasche aus. Das Abenteuer war noch nicht hatte. zu Ende. Nach der militärischen Besetzung Roms durch die Deutschen wurde De Cesare in ein Hotel nach Frascati ge- schickt, um stets zur Verfügung stehen zu können. Niemand kümmerte sich um die Mappe, die er immer bei sich trug. Die Aktenmappe hat niemand beachtet Nachdem Mussolini aus seiner Haft auf dem Gran Sasso von Skorzeny befreit worden war, reiste er nach München. Die Verschwörung im klassischen Renaissance-Stil hatte Die Deutschen schickten De Cesare ebenfalls dorthin, in der schon 1941 begonnen. Vom König schliesslich heimlich unter- Annahme, Mussolini könne ihn brauchen. Pflichtgetreu mel- stützt, von einer Mehrheit des Grossrats bestärkt, hatte dete sich De Cesare, der im hohen Rang eines Präfekten Grandi den Mut, Mussolini zu dieser für ihn fatalen Ein- stand, beim Duce, noch immer mit der ominösen Akten- berufung des Grossrats zu bewegen. Der Duce stand kurz tasche unter dem Arm. Er wollte sie Mussolini aushändigen. vor seinem 60. Geburtstag. Er ahnte nichts. Als die Tages- Brüsk wurde er zurückgewiesen und sofort – mit den Doku- ordnung mit 19 Unterschriften seiner Mächtigsten ihm vor- menten – nach Rom zurückbefohlen. gelegt wurde, sah er sich die Namenszüge schweigend an, Mussolini legte offenbar keinen Wert darauf, dass die für fixierte dann jeden Einzelnen und sagte schliesslich: «Damit ihn peinlichen Akten in die Hände Hitlers geraten könnten. habt ihr den Faschismus getötet.» Seine fanatischen Anhän- So fuhr De Cesare nach Italien zurück. Kein Polizist, kein ger, der Parteisekretär Scorza und der berüchtigte Farinacci, Zöllner kümmerte sich um die Aktentasche. In Rom hielt es kamen ihm zu Hilfe, indem sie zwei andere Tagesordnungen De Cesare schliesslich für richtig, auch dem Rat seiner Frau vorlegtcn, die ebenfalls aufgefunden wurden. Es war aus- folgend, sich zurückzuziehen. Die gefährliche Tasche wurde sichtslos. In der nachfolgenden Debatte blieb die Mehrheit in eine Kommode gesteckt, wo sie 23 Jahre unangetastet der 19 fest. blieb, bis sie schliesslich mit Hilfe von Monsignore Bolandi Nach Grandis gegenwärtigen Erklärungen hat Mussolini der Öffentlichkeit und den Staatsarchiven übergeben wer- sich keineswegs mit diesem momentanen Schachmatt abge- den konnte. funden. Hinter seiner Gelassenheit verbarg sich ein neues planmässiges Vorgehen. Unbemerkt entwarf Mussolini auf einem Telegrammformular, dessen Existenz jetzt zum ersten- mal bekannt wurde, eine neue Regierung, die ihm passte. General Roatta sollte Generalstabschef werden. Mussolini Das Doppelspiel des Königs Viktor Emanuel hoffte also bis zum letzten Augenblick, der König werde ihm auch nach dieser Sitzung wenigstens die Staatsführung Wie kam es, dass Grandi nach dem Sturz Mussolinis von überlassen. Für seine innere Unsicherheit war es jedoch be- der politischen Bühne verschwand? Der schlaue König hatte zeichnend, dass er in seinem eigenen Entwurf ebenfalls auf ihn ebenso getäuscht wie Mussolini. Grandis Plan, Italien die Stellung als Oberbefehlshaber der drei Wehrmachtsteile solle mit den deutschen Truppen einen Grenzzwischenfall verzichtete. Der äussere Bruch entsprach also doch einem auslösen, dem Dritten Reich dann sofort den Krieg erklären Zwiespalt in der Seele des Diktators. Auch wenn er auf die und sich mit den Alliierten verbünden, erschien in dieser von Hitler versprochenen Wunderwaffen zu hoffen schien – Direktheit dem König zu kühn, weil er mit schweren Re- sein Selbstvertrauen war durch den Vormarsch der Alliierten pressalien Hitlers rechnete, vor allem mit einer Zerstörung offenbar gebrochen worden. unersetzlicher Kunstschätze. So zog der König es vor, im Am Nachmittag nach der Sitzung des Faschistischen Gross- Grund jedoch das gleiche Spiel treibend wie Grandi, den rats fuhr Mussolini, wie gesagt, zum König, um von ihm Feldmarschall Badoglio als Nachfolger Mussolinis einzuset- die Entscheidung zu holen. Sein Sekretär De Cesare nahm zen, mit dem Befehl, zunächst einmal auf zwei Klavieren die Sitzungsdokumente in einer Aktentasche mit. Die Unter- zu spielen: Loslösung vom Faschismus, aber weitere Krieg- redung Mussolinis mit Viktor Emanuel dauerte nur zwanzig führung mit den Deutschen bis ... bis die Alliierten relativ Minuten. Der König war von Grandi indirekt über den gefahrlos für Italien die allmählich von allen Seiten be- Verlauf der Sitzung bereits informiert worden. Für ihn drohte Halbinsel besetzen konnten, um diese dann endlich hatte Mussolini jetzt keine Bedeutung mehr. Doch sprach ganz von der «Diktatur» befreien und das Herrscherhaus er mit dem praktisch Abgesetzten nicht darüber. Er entliess Savoyen als treuesten Freund des Westens retten zu können. Papst Pius XII. kannte die Pläne Grandis. Soweit es sich

368 Taktische Partisaneneinheiten um den Sturz Mussolinis handelte, stand er ihnen freundlich der ersten Berghänge überhaupt keine absolute Sicherheits- gegenüber. Churchill hat Grandis Plan (Sturz Mussolinis zone für die Befehlsstellen, Besatzungen, Depots und Ver- und sofortige Allianz mit den Alliierten) zugestimmt. Er bindungswege des Feindes mehr geben. Daher ist es not- war, Grandis jetzigen Mitteilungen zufolge, durchaus ge- wendig, dass man – während die normalen Partisanen- neigt, Italien die bedingungslose Kapitulation zu erlassen kräfte dazu verwendet werden sollen, die Stützpunkte und und unter Umständen auch über den Weiterbestand eines die von ihnen kontrollierten Gebiete besetzt zu halten und Teils des italienischen Kolonialbesitzes zu verhandeln. Der innerhalb eines bestimmten Aktionsradius zu operieren – König, der Mussolini auf den Diktator-Sessel gehoben hatte beweglichere Einheiten bildet, d.h. zuverlässige, schlag- und ihn dann von Carabinieri verhaften liess, weil er vor kräftige und leichter verlegbare taktische Einheiten, die allem sich und die Krone retten wollte, entschied anders. Er zwar an besondere Zonen gebunden sind, jedoch keine Be- wählte das Doppelspiel, das für die gesamte Geschichte des satzungsaufgaben zu erfüllen haben, sondern deren spezielle Faschismus in Italien stets charakteristisch gewesen ist. So Fähigkeit darin besteht, den Feind ausfindig machen zu kön- ging in Italien nicht nur der Faschismus, sondern auch die nen. Dazu ist Folgendes erforderlich: Monarchie zugrunde. Dem Diktator huldigte man, wenn er Erfolg hatte, man strebte seinen Sturz an, sobald der Boden 1. Die taktischen Einheiten müssen aus besonders ausge- unter seinen Füssen schwankte. wählten und für offensive Aktionen geschulten Männern Dazu gibt es einige allzu bittere Äusserungen von Grandi. und Abteilungen bestehen, die so ausgerüstet sind, dass sie Er erinnert zum Beispiel, dass heute hoch gefeierte demo- sich schnell bewegen und mit beachtlicher Stosskraft operie- kratische Männer wie Giolitti, Orlando, Salandra, Bonomi, ren können. Sie werden in einer oder mehreren Abteilungen De Gasperi, Gronchi und Benedetto Croce im Parlament mit einer Gesamtzahl von 200 bis 300 Mann aufgestellt und Mussolini nach seinem «Marsch auf Rom» das Vertrauen so gegliedert, dass Einzelne Abteilungen nötigenfalls auch gegeben haben. Die grossen Männer, die Grandi nennt, selbständig handeln können. haben aber, kaum dass sie die diktatorischen Tendenzen Mussolinis erkannt hatten, dem Volkstribunen bald den 2. Die taktischen Einheiten werden ihren Standort in Ge- Dienst versagt. Sie gingen sehr früh zu einem inneren bieten haben, die schon von anderen Abteilungen besetzt Widerstand über, der vom Volke positiv aufgenommen sind. Ihre Kommandos treffen dort mit den Gebietskom- wurde und der es Grandi und seinen Freunden überhaupt mandos Abmachungen über Verpflegung, Unterbringung erst ermöglichte, dem von Hitlers Kriegsplänen allzu usw. und überlassen ihnen auch die Regelung der Beziehun- faszinierten Duce 1943 Schach zu bieten – allzu spät. Ita- gen zu den örtlichen Behörden, zur Generalintendanz usw. lien hatte in dem Augenblick den Krieg verloren, als allzu Von diesen Gebieten aus gehen sie auf Anweisung der viele mit dem Königshaus, rund 20 Jahre bevor es zum Oberkommandos zum Einsatz. Der Übergang von einem Zweiten Weltkrieg kam, vor einem so demagogischen, so Gebiet in ein andersartiges ist in Betracht zu ziehen und theatralischen «neuen Cäsar» in die Knie gesunken waren genau zu überlegen, genauso wie der Rückzug in eine andere und weil sie dann seine Kriegsabenteuer in Spanien und in als die Ausgangszone. Die Kommandos müssen vor allem Abessinien unterstützt hatten, da diese erfolgreich verliefen. für die Erkundung des Terrains und der Lage des Feindes in breitem Umkreis sorgen, wobei sie – falls nötig – zweck- (G. R. Hocke, in: Süddeutsche Zeitung, April 1966) dienliche Verbindungen zu benachbarten Kommandostellen aufnehmen.

3. Die taktischen Einheiten, die sich in von anderen Parti- sanenkräften besetzten Gebieten aufhalten, operieren in Übereinstimmung mit ihnen, auch beim Rückzug im Falle einer allgemeinen Offensive des Gegners; sie können von Direktive des Generalkommandos des italie- den höheren Kommandostellen immer als bewegliche Reserve nischen CVL vom Juli 1944 zur Bildung takti- betrachtet und im Bedarfsfall eingesetzt werden. scher Partisaneneinheiten 4. Die Ziele, die sich die taktischen Einheiten vornehmen, müssen den Charakter offensiver Vorstösse in weitem Um- In der gegenwärtigen Situation und ihrer voraussehbaren kreis haben, die mit grosser Schnelligkeit so geführt werden, raschen Entwicklung erscheint es immer notwendiger, dass dass nach Vernichtung feindlicher Kräfte und Erbeutung von die patriotischen Kräfte ihren Offensivgeist weiter erhö- Kriegsmaterial der Rückzug auf schon vorbereitete und von hen und sich darauf vorbereiten, auf ausgedehnteren Terri- anderen Kräften besetzte Stützpunkte möglich ist. Die Ein- torien in wirklichen Kriegsunternehmungen zu operieren. heiten müssen so geschult und ausgebildet sein, dass sie auch Man muss es so machen, dass, während die Besetzung von bedeutende Sabotageakte in kürzester Zeit ausführen und Dörfern und Talern sowie die Befreiung grösserer Gebiete im- auf der Grundlage zuverlässiger und eingehender Informa- mer weitergeführt wird, ihre Besetzung und Herrichtung zur tion handeln können. Verteidigung nicht offensive Unternehmungen grösseren Ausmasses beeinträchtigen noch die Möglichkeit, den Feind auch mit verhältnismässig bedeutenden Kräften dort anzu- greifen, wo er am wenigsten darauf gefasst ist und wo ihn (Aus: Luigi Longo, Viva l’Italia Libera) unsere Schläge am empfindlichsten treffen. Es darf jenseits

369 Widerstand in Italien

Befehl des Oberbefehlshabers Südwest, Generalfeldmarschall Kesselring, vom 17. Juni 1944 zur Bekämpfung der italienischen Partisanenbewegung

O.B.Südwest (O.Qu.) und zu vernichten. Aufklärung in die Bandengruppen hin- (Kdt. H.Qu.) (III) ein (auch Ansatz von V-Männern) ist von besonderer Wich- (OT Verbi Führer [2 X J) tigkeit. (Kdt. d. techn. Truppen) 3) Die Verantwortlichkeit für die gesamte Bandenbekämp- Gen.z. Auf r.d.Eisenbahnverb, fung im ital. Raum und die grundlegende Anordnung ge- in Italien mäss obigen Bezugsbefehls bleiben nach wie vor mit folgen- den Abänderungen in Kraft: A.O.K. 10 und 14 sind in- 17.6.44 nerhalb ihrer Armeebereiche, Armeeabt. v. Zangen inner- 1) A.O.K.10 halb der Küstengebiete in einer Tiefe von 30 km verant- 2) A.O.K.14 wortlich für die gesamte Bandenbekämpfung. Die Auf- 3) Armeeabt. v. Zangen gaben des Befh. i. d. Op. Zone adriat. Küstenland für die 4) Bev.Gen.d.dt. Wehrmacht in Italien Küstenverteidigung (gemäss Führeranweisung 40) werden 5) Dt.Marinekommando Italien durch diese Regelung nicht berührt. 6) Höchst. SS-u.Pol.Führer Italien Im übrigen ital. Gebiet führt der Höchst. SS- u. Pol.Führer 7) Gen.d.Transp. Wesens Italien verantwortlich nach meinen Weisungen die Bandenbekämp- 8) Bevollmächtigter des Grossdeutschen Reiches fung durch. Einzelheiten in der territorialen Abgrenzung bei der ital. Regierung, Herrn Botschafter Rahn bei der Festlegung des 30 km breiten Streifens in den Kü- 10) Stab R.u.K. stengebieten sind zwischen dem Höchst. SS- u. Pol.Führer u. Armeeabteilung v. Zangen unmittelbar zu regeln. Bezug: FS.O.B. Südwest la Nr. 4968/44 g.Kdos.(v. 10.5.44) Armeegrenze zwischen A.O.K. 14 bzw. A.O.K. 10 zu Armee- Betr.: Neuregelung in der Bandenbekämpfung. abt. v. Zangen Quercianella (nördl. Rosignano) – Certaldo – Figline – Sansepolcro – von dort Verlauf der Strasse 73 bis 1) Die Bandenlage im ital. Raum, insbesondere in Mittelita- Fano (Strasse für A.O.K. 10). lien, hat sich in kurzer Zeit derart verschärft, dass sich eine ernste Gefahr für die kämpfende Truppe und ihre Versorgung 4) Truppen zur Bandenbekämpfung: sowie die Rüstungswirtschaft bildet. Hier sind zu unterscheiden: Der Kampf gegen die Banden muss daher mit allen zur Ver- a) Truppenteile (Polizeikräfte Regierungstruppe Böhmen fügung stehenden Mitteln und mit grösster Schärfe durch- und Mähren usw.), die ausschliesslich für den aktiven oder geführt werden. Ich werde jeden Führer decken, der in der passiven Bandenkampf eingesetzt werden. Sie unterstehen Wahl und Schärfe des Mittels bei der Bekämpfung der dem Höchst. SS- u. Pol.Führer Italien. Banden über das bei uns übliche zurückhaltende hin- b) Jagdkommandos und Bewachungskräfle: Hierzu sind von ausgeht. Auch hier gilt der Grundsatz, dass ein Fehlgreifen allen zurückgezogenen Verbänden, Stäben und Dienststel- in der Wahl der Mittel, sich durchzusetzen, immer noch len Jagdkommandos aufzustellen, zu bewaffnen und zu besser ist, als Unterlassung und Nachlässigkeit. Nur sofor- schulen, die den örtlichen Kommandobehörden, Komman- tiges schärfstes Eingreifen ist geeignet, als Straf- und Ab- danturen, Kampfkommandanten, SS-Dienststellen auf Auf- schreckungsmassnahme Ausschreitungen grösseren Umfan- forderung vorbehaltlos zur Verfügung zu stellen sind. ges von Anfang an im Keime zu ersticken. Alle im Zuge der Ausserhalb der Armeegrenzen und des 30 km breiten Küsten- Banditenbekämpfung anfallenden Zivilpersonen, die im streifens sind sie auf Antrag dem Höchst. SS- u. Pol. Führer, Rahmen von Vergeltungsmassnahmen festgenommen wer- soweit es die Lage und ihre sonstigen Aufgaben zulassen, den, sind den hierfür durch O.B. Südwest O.Qu. einzurich- weitestgehendst für die Bandenbekämpfung zur Verfügung tenden Sammellagern zum Abschub ins Reich als Arbeiter zu stellen. Die örtliche Führung der Einzelnen Banden- zuzuführen. Standorte der Sammellager werden noch be- unternehmen im Bereich des Höchst. SS- u. Pol.Führers, bei fohlen. denen auch Teile der Wehrmacht zum Einsatz kommen, ob- liegt je nach dem Kräfteverhältnis und der Beteiligungs- 2) Der Kampf gegen die Banden gliedert sich in den passiven stärke der Wehrmacht oder Polizei. Verantwortlich für die und den aktiven Kampf, wobei der Schwerpunkt auf der akti- Gesamtleitung selbst ist der Höchst. SS- u. Pol.Führer Italien. ven Kampfführung liegt. c) Jeder Ortskommandant ist für die Sicherung seines Ortes Der passive Kampf besteht in dem örtlichen Schutz wichtiger und dessen unmittelbare Umgebung ebenfalls voll verant- Kunstbauten an Eisenbahnen und Strassen, sowie lebenswich- wortlich im Hinblick auf die Bandenbekämpfung. tiger Anlagen, wie Kraftwerke, Fabriken usw. Die Mil.-Kommandanturbereiche sind in Sicherungsab- Auch der passive Kampf muss örtlich begrenzt um die zu schnitte aufzuteilen, in denen der für diese Aufgabe ge- schützenden Objekte aktiv geführt werden, d.h. zum Beispiel, wandteste Führer der Wehrmacht, SS oder Polizei einzu- dass Spähtrupps das Vorgelände einer zu schützenden Anlage teilen ist. Er bürgt voll verantwortlich für die Sicherheit in ständig überwachen. seinem Abschnitt. Ihm stehen alle Alarmeinheiten, Jagd- Der aktive Kampf in den bandenverseuchten Gebieten wird besonders dort zu führen sein, wo es gilt, den Lebensnerv der Wehrmacht zu erhalten. Die Banden sind anzugreifen

370 Bandenbekämpfungsstäbe kommandos usw. auf Anforderung bei den örtl. Führern 16) Pontedera–Volterra–Salino–Massa Martima– zur Verfügung. Schnelles Handeln verbürgt Überraschung Follonica und Erfolg. Besonders längs der Hauptnachschubstrassen 17) Empoli–Poggibonsi–Siena–Padicofani (2) sind innerhalb der Armeegebiete und des 30 km breiten 18) Empoli–Poggibonsi–Ciesa–Cecina (2, 68) Küstenstreifens durch die Armeen bzw. Armeeabteilung 19) Florenz–Impruneta–Radda–Castelnuovo–Sinalunga v. Zangen derartige Sicherungskommandanten mit festen Aufträgen einzuteilen. Innerhalb des übrigen Gebietes sind 20) Florenz–Arezzo–Perugia (69, 75) diese Sicherungskommandanten in Zusammenarbeit mit der 21) Arezzo–Siena–Monte Piscali (73) Armeeabt. v. Zangen und dem Bev. General durch den 22) Florenz–Bibbiena (70) Höchst. SS- u. Pol. Führer einzuteilen. Sie erhalten ihre Auf- 23) Forli–Meldola–Pagno–Sansepolcro–Umbertide– träge unbeschadet der Zugehörigkeit zu einem Wehrmachtteil Perugia in diesem Gebiet durch den Höchst. SS- u. Pol.-Führer. 24) Rimini–Pesaro–Ancona–Civitanova d) Die Bekämpfung von Fallschirmjägern ist ebenso wie die Strassenzüge 2. Dringlichkeit: Bandenbekämpfung zu handhaben. Schutz folgender Ver- 1) Castelnuovo–Pievopolago kehrsverbindungen steht in erster Dringlichkeit: 2) Poretta–Sembuca–Pistoia 3) Sassa Boli–Castiglione–Prato a) Bahnstrecken (südl. des Po): 4) Imola–Firenzuola–S. Piero 5) Faenza–Borgo–S. Lorenzo–Florenz 1) Alessandria–Genua–La Spezia – Livorno – Cecina 6) Santareangelo–Sansepolcro 2) Cremona–Fornovo–Borgo val di Taro–La Spezia 7) Pesaro–Urbino 3) Casalmaggiore–Parma–Fornovo 4) Ostiglia–Bologna–Pistoia 5) Florenz–Empoli–Siena–Chiusi 5) Dringlichkeit der an den Bahnstrecken zu bewachenden 6) Ferrara–Bologna–Prato–Florenz Kunstbauten und Anlagen sind zwischen den Armeen, Ar- 7) Florenz–Arezzo–Terontola–Chiusi meeabteilung v. Zangen, Höchst. SS- u. Pol.Führer einer- 8) Terontola–Perugia–Foligno seits, sowie Gen.d.Transportwesens andererseits im unmittel- baren Einvernehmen festzulegen. (Höchst. SS- u. Pol.Führer 9) Fano–Fermignano–Fabriano wird eine Aufstellung zugeleitet.) Sicherung der Kunst- 10) Ancona–Fabriano–Foligno bauten entlang der Strassenzüge innerhalb der Armee- 11) Aquata Scrivia–Tortona–Piacenza–Parma– gebiete und des Küstenstreifens übernehmen verantwortlich Modena–Bologna–Rimini–Ancona–Civitanova die Armeen bzw. Armeeabt. v. Zangen, ausserhalb der Armee- 12) Viareggio–Lucca–Pistoia–Prato–Florenz gebiete der Höchst. SS- u. Pol.Führer Italien. Hierzu hält er 13) Pisa–Empoli–Florenz enge Verbindung mit O.B. Südwest/Gen. d.Pi. 6) Wegen Sicherung von lebenswichtigen Betrieben (Elek- b) Strassenzüge: trizitätswerke, Pumpwerke, Industriewerke usw.) setzt sich Kdr.d. Techn. Truppen und Stab.R. u. K. mit Höchst. SS- u. 1) Tortona–Genua (35) Pol.Führer Italien bzw. den Armeen und Armeeabt. v. Zangen 2) Piacenza–Genua (45) unmittelbar in Verbindung. 3) Parma–Sarzana (62) 7) Zur weiteren Sicherung des Apennin sind durch die 4) Reggio–Sarzana (63) Armeen schon jetzt beginnend aufzufrischende Verbände, 5) Fivizzano–Castelnuovo–Bagni di Lucca Feldersatzeinheiten, Trosse usw. gemäss Kampfanweisung 6) Modena–Lucca (12) für «Alarich» an die Hauptpässe und entlang der Haupt- 7) Bologna–Pistoia–Florenz (64, 66) nachschubstrassen durch den Apennin zu verlegen. Mit der Zeit muss hierdurch eine durchlaufende Sicherungskette an 8) Bologna–Florenz (65) allen Verkehrsadern entstehen. 9) Forli–Florenz (67) 8) Höchst. SS- u. Pol.Führer Italien wird gebeten, bis 25. 6. 10) Forli-Meldola–Bagono–Sansepolcro–Umbertide– an O.B. Südwest eine Karte 1:500’000 mit Einzeichnungen Perugia seiner Sicherungsabschnitte, Sicherungstruppen, zuständigen 11) Cesena–Bibbiena–Arezzo (71) örtlichen Sicherungsabschnitts-Kommandeuren (Bandenbe- 12) Fano–Urbino–Arezzo (73) kämpfungsstäbe) usw. vorzulegen. 13) Fano–Foligno (3) 14) Ancona–Fabriano–Forsato (76) Kesselring 15) Ancona–Loreto–Macerata–Foligno (16, 77) O.B.Südwest la T Nr. 0402/44 g. Kdos.

371 Widerstand in Italien

335 Italiener sterben durch Genickschuss

Nach einer faschistischen Versammlung im Korporations- General Maelzer befand sich im Zustand eines Mannes, der Ministerium hörte man in grosser Nähe unmittelbar nach- jede Herrschaft über seine Nerven verloren hat. Er stand einander drei oder vier heftige Explosionen. Ich stürzte auch unter der Einwirkung des Alkohols. Er sprach von zum Ausgang, zusammen mit anderen anwesenden Per- seinen hinterhältig ermordeten Soldaten, schwor Rache zu sonen. An der Tür des Ministeriums erfuhren wir von einem nehmen und fluchte auf die Italiener, die ihm so schlecht Mann der faschistischen Miliz, der vollkommen verängstigt vergälten, was er Gutes für die Stadt getan hätte. Er ging und durcheinander war, dass man in der Via Rasella einen aufgeregt hin und her, gab Befehle und Gegenbefehle, Anschlag verübt hatte. Die allgemeine Erregung steigerte drohte den verhafteten italienischen Zivilisten mit der Faust sich noch wegen einer kleinen Schiesserei. Wie sich später und wollte sie auf der Stelle ohne Urteil erschiessen lassen. herausstellte, hatte ein Milizmann zuerst auf ein offenes Fenster des gegenüberliegenden Hotels geschossen, weil es In der Nacht zum 25. März wurde der schreckliche und nach den Sicherungsvorschriften hätte geschlossen sein müs- verhängnisvolle Entschluss gefasst, für jeden toten Deut- sen. Andere Milizsoldaten, die glaubten, dass der erste schen zehn Italiener zu erschiessen. Das bedeutete die Hin- Schuss aus dem Fenster gekommen wäre, hatten nun ihrer- richtung von nicht weniger als 330 Italienern. seits das Feuer eröffnet, um ihrem Kameraden beizusprin- Die Opfer wurden unter den politischen Häftlingen aus- gen. Die Schüsse hörten auf, nachdem Buffarini eingriff. Er gewählt. Da die auf Veranlassung der Deutschen Festge- stellte sich in die Mitte der Via Vittorio Veneto und er- nommenen nicht ausreichten, wurden 50 Häftlinge ange- mahnte die Miliz zur Ruhe. fordert, die in dem italienischen Teil des Gefängnisses wa- Die Wagen der verschiedenen Behörden und Dienststellen ren. Geschickt wurden sogar 55. Nach dem deutschen kamen nahezu gleichzeitig in der Via Rasella an, wo die Militärgesetz hätte für die Exekution der Oberbefehls- Polizei und deutsche Soldaten schon darangingen, die haber der 14. Armee, General von Mackensen, dem das Strasse abzusperren. Auch auf der Via Rasella, ungefähr Gebiet von Rom unterstand, verantwortlich sein müssen. dort, wo der Anschlag stattgefunden hatte, war eine Schie- Durch einen OKW-Befehl wurde aber die Polizei, d.h. der SD sserei im Gange, aber dieses Mal sehr heftig. Es wusste jedoch damit beauftragt. «Die Toten gehörten zur Polizei, infolgedes- niemand, wer schoss, warum geschossen wurde, auf wen und sen soll auch die Polizei die Vergeltungsmassnahmen durch- in welcher Richtung. führen.» Der Stadtkommandant General Maelzer war in Begleitung Es ist zu erwähnen, dass diese Entscheidung dem OKW von einiger Offiziere seines Gefolges schon an Ort und Stelle Mackensen selbst über Kesselring nahegelegt wurde. Mak- angekommen. Man bemerkte auch die deutsche Polizei in kensen schreckte vor der ungeheuren Verantwortung, die Uniform, die italienische Polizei und die faschistische Miliz. ihm zugefallen wäre, zurück. Kappler nahm den Befehl Die Männer dieser verschiedenen Formationen drangen in ohne Widerstand entgegen, nicht etwa weil er vom Geist der die Häuser ein und holten die Bewohner mit Kolbenstossen Rache erfüllt war – die Südtiroler Polizei war ein Hilfs- heraus. Mit erhobenen Armen wurden sie an der Stelle des korps und gehörte nicht zur SS –, auch nicht, um wilde Attentats an einer kleinen Mauer entlang auf gestellt. Diese und grausame Instinkte abzureagieren; er nahm ihn hin aus armen Teufel machten, zitternd und verstört, nicht den jenem Geist der blinden Disziplin, von dem er niemals ab- Eindruck, als ob sie das Geringste mit dem Bombenanschlag ging. Er wollte den Angehörigen der Wehrmacht zeigen, zu tun hätten. Vor den auf der Mauer aufgestellten Leuten dass man in einem totalen Krieg, wo es um das Letzte ging, stand ein vollkommen zerstörter schwerer Wagen. In ihrem sich auf keinen Fall den Befehlen der Vorgesetzten wider- Blut lagen die Leichen von etwa 30 Angehörigen der Süd- setzen durfte. tiroler Polizei, die erst vor wenigen Tagen in Rom ange- Als ich von den Vergeltungsmassnahmen, die unter völliger kommen waren. Es handelte sich in der Hauptsache um Ausschaltung der Botschaft festgesetzt wurden, Kenntnis Leute, die für den Frontdienst untauglich waren. erhielt und erfuhr, dass die Opfer an Kappler überstellt Man weiss heute, wie der Anschlag sich abspielte. Ein Mann worden waren, wollte ich einen letzten Versuch unter- in der Uniform der städtischen Strassenreinigung von Rom nehmen. Ich suchte Kappler in seiner Dienststelle auf. Es fuhr mit einem kleinen Karren umher. Seine Gefährten war schon spät, die Nacht brach herein, jene schreckliche waren am Ende der Strasse. Einer von ihnen gab das ver- Nacht, die der furchtbaren Massenhinrichtung vorausging. abredete Zeichen, als er den Lkw mit der Polizei, der jeden Kappler sass an seinem Schreibtisch. Tag ungefähr um dieselbe Stunde hier durchfuhr, heran- Ich sagte ihm: «Ich habe es wohl nicht nötig zu versichern, kommen sah. Der Mann in der Strassenfeger-Uniform dass mir der Gedanke fernliegt, den Feind zu begünstigen. machte seine Sprengladungen scharf und die Explosion der Wir sind im Krieg, und ich vergesse es nicht. Aber was Bomben trat genau in dem Augenblick ein, wo der Last- jetzt geschehen soll, geht über das hinaus, was der Ge- wagen vorbeifuhr. Der Anschlag war vollendet vorbereitet danke an das Vaterland und den Krieg rechtfertigen könn- und kaltblütig durchgeführt worden. Die Urheber konnten te. Ich habe keine Vollmachten, zu intervenieren, aber ich entkommen. Auf die Explosion waren Gewehrschüsse aus bin gekommen, um Sie zu bitten und zu beschwören, dass den benachbarten Häusern gefolgt. keine Unschuldigen hingerichtet werden. Die Verantwor-

372 Offensivaktionen tung, die Ihnen diese Vergeltungsmassnahme vor den Men- radstafetten abgefangen, die dann nicht mehr an ihren Be- schen und vor allem vor Gott auferlegt, ist ungeheuer.» stimmungsort fahren können, wichtige Dokumente erbeu- Kappler antwortete: «Alle, die zur Hinrichtung bestimmt tet, die dann in den Händen der Freiwilligen bleiben oder sind, sind schon zum Tode verurteilt oder derartig be- auch Offiziere und politische Persönlichkeiten beiseite ge- lastet, dass sie als sichere Todeskandidaten anzusehen sind. schafft. So fand auf der Autostrasse Mailand–Turin Man- Ich werde die Nacht damit zubringen, um gewissenhaft gianello den Tod, so wurden auf der Fahrstrasse Momo- jeden Einzelnen Fall zu prüfen. Es wird keine Ungerechtigkeit Cressa die Wagen des Bürgermeisters und des Polizeipräsi- vorkommen.» denten von Novara angegriffen. Um ein Beispiel zu er- Einige Tage nach diesem Gespräch, wohl dem dramatisch- wähnen wurden am 26. August, durch Garibaldiner und sten meines Lebens, sah ich Kappler wieder, als er einen Männer der «GL»-Verbände, zwei deutsche Kompanien bei kranken Hund streichelte und den Besitzer eindringlich er- Savina angegriffen; die ungefähr 250 Mann starke Ko- mahnte, ihn sofort zum Tierarzt zu bringen. Ich richtete an lonne wurde umzingelt und mit der gesamten Bewaffnung und ihn keine Frage. Derjenige unter meinen Mitarbeitern, der Ausrüstung gefangengenommen: viele Maschinengewehre, die dienstliche Verbindung mit dem SD aufrecht zu erhalten vier 81er Mörser und Maschinenpistolen wurden erbeutet. hatte, setzte mich, soweit es zu meiner Unterrichtung nötig Am 6. September setzten andere Garibaldiner 80 Feinde war, ins Bild. ausser Gefecht und erbeuteten drei Mörser mit 70 Geschos- Die Opfer waren zu den Ardeatinischen Gräben gebracht sen, Maschinengewehre, Gewehre und Munition; drei Ge- und mit einem Genickschuss getötet worden. Ich erfuhr ländewagen und elf Fahrräder wurden zerstört, militärische auch, dass die Milizsoldaten und SS-Männer, die zu der Geheimakten wurden gefunden und zehn Geiseln befreit. Exekution befohlen worden waren, sich mehr als eine Woche lang jeden Abend betranken, um das, was sie erlebt Andere Male wurden die Eisenbahnen unterbrochen, Mili- hatten, zu vergessen und nicht an die Zukunft denken zu tärzüge angegriffen, Munitionstransporte oder Transporte müssen. Einer von ihnen antwortete im Zustand der Trunken- mit Kriegsmaterial zerstört; oder dann sind die fortwäh- heit meinem Mitarbeiter auf die Frage, warum statt 330 Per- renden Angriffe auf die Besatzungen, die Wachtposten, die sonen 335 umgebracht worden waren, zynisch: «Es war ein Kasernen anzuführen, die zu den häufigen Desertionen der Irrtum. Aber da sie nun einmal da waren ...» Republikaner und der Soldaten führen. Daneben dienen Die Ardeatinischen Gräben hatte man als Ort für die Hin- die Versorgungsaktionen dazu, unsere eigenen Einheiten richtung ausgesucht, weil sie ziemlich abgelegen waren. Der auszurüsten und zu bewaffnen. Wir erinnern an die Beset- Eingang der Grotte wurde nachher mit einer starken La- zung des Distrikts Ivrea, die durch Einheiten der «Gari- dung unterminiert und in die Luft gesprengt, um so die baldi»- und der «Matteotti»-Leute durchgeführt wurden Frage des Begräbnisses zu lösen und zu verhindern, dass und die die Blockierung der Strassen der Stadt hervorrie- man die Leichen wieder auszugraben versuchte. Ausserdem fen; oder die Beseitigung der Tschechoslowakischen Besat- sollte jede Spur vernichtet werden, aus der man hätte ersehen zungen in Verbano (allein in Mergozza, was allein den können, auf welche Weise die Opfer getötet worden waren. Garibaldinern zu verdanken ist, wurden 35 Mann und zwei Offiziere erledigt), oder der Angriff auf die Kasernen (Aus: E. F. Moellhausen, Die gebrochene Achse.) von Altessano, ausgeführt durch die 47. «Garibaldi»-Bri- gade; oder die Entwaffnung der Besatzung von Fara, die durch eine List erreicht wurde und einen kühnen Hand- streich der Garibaldiner aus dem Val Sesia bildet; oder der Angriff auf die Kaserne von Novara, eine ausgezeichnet gelungene Aktion der Patrioten der «Giustizia e Libertà». Aber alles dies sind nur Beispiele; es gibt zu viele Aktionen, Die Offensivaktionen als dass alle aufgeführt werden könnten. Nicht umsonst wer- Die Einheiten des Piemont waren unter den ersten, die sich den die Berichte des Oberkommandos, obschon sie sich immer gebildet hatten und zeigen später immer jenen kämpferi- kürzer fassen, immer umfangreicher. schen Geist, der den Piemontesern eigen ist, treu ihrer mi- Das Resultat dieser Aktionen ist unter anderem auch dies, litärischen Tradition. In allen Talern mussten die patrioti- dass die Partisanen ein immer weiteres Gebiet beherr- schen Verbände wiederholte Säuberungsaktionen erleiden schen. Von ihren Ausgangspunkten in den Bergen steigen und immer wussten sie zu antworten, indem sie dem Feinde sie in die Täler hinab, besetzen Land und Städte und be- harte Schläge zufügten. Wenn sie sich zurückziehen muss- freite Zonen von beträchtlichem Ausmass, die unter dem ten, wenn der Feind der Täuschung verfiel, ihre Kräfte ge- Heere der Freiwilligen sich neu organisieren und ein neues schwächt zu haben, bildeten sich die Einheiten von Neuem, Leben beginnen. Die Befreiung von Lanzo und seiner Taler, kehrten bald wieder zur Besetzung ihrer Ausgangspunkte zu- der Langhe, des Valseserra und dem Val Sesia sind allbe- rück und nahmen ihre unermüdliche Tätigkeit wieder auf, die kannte Episoden. Im Juni wurden Serravalle und Borgo- den Nazifaschisten keine Ruhe lässt. sesia von den Garibaldinern aus Moscatella befreit; durch Es wäre zu schwierig, eine Chronik dieser Tätigkeit aufzu- das ganze Tal verkehren die Autos der Partisanen, unter stellen: wie in anderen Regionen, so greifen die Partisanen dem Jubel der Bevölkerung. Beim Divisionskommando er- auch hier unermüdlich feindliche Marschkolonnen an; oft schienen 480 Arbeiter, um in das Heer aufgenommen zu werden Geländewagen, Tanks und bewaffnete Fahrzeuge zerstört, Feinde getötet oder gefangengenommen, Motor-

373

Widerstand in Italien werden. Der Feind reagierte mit seiner gewohnten Barbarei waffen und der individuellen Bewaffnung ausgerüstet und mit dem Bombardement von Gattinara, das an einem waren. Die Einheiten von Mobaruzzo und Bruno verwik- Markttage durchgeführt wurde und der Bevölkerung 16 Tote kelten die Feinde in Einzelne Gefechte, nahmen ihnen die und viele Verletzte zu fügte. Doch das ganze Tal blieb in den Kraft des ersten Angriffs, bis zuletzt ihre Aufgabe erfül- Händen der Patrioten. lend, die Verbindungen noch lange nach der Besetzung auf- Endlich folgte auch die Befreiung des Ossolatales. Am 10. recht erhaltend und glänzende Beispiele ihrer Tapferkeit September wurde Domodossola, nach dem Fall der Besat- liefernd. Unterdessen versuchte der Feind mit verschiede- zungen, die die umgebenden Täler besetzt hatten (vom Val nen Kolonnen Nizza zu umzingeln. Das Oberkommando Formazza bis zu den Maseratälern und denjenigen von leitete, nachdem es Verstärkungen angefordert hatte, einen Creola, Varso und weiter bis zum Pie di Mulera und Vtlla- heftigen Gegenangriff ein; so entstand die Schlacht, an der dossola) endlich befreit. Und länger als einen Monat blieb die 98. Brigade sowie Einheiten aus der siebenten mit- ein kleiner Staat in diesem äussersten Zipfel Italiens, der kämpften. Sie fügten dem Feinde Verluste von 75 Toten sich von der Schweizer Grenze bis Margozzo, von Verbano und 18 Verwundeten zu und jagten ihn in die Flucht, die ihm bis zum Val Sesia erstreckt, am Leben und verband sich in nur wegen seiner Überlegenheit an schweren Waffen gelang. idealer Weise mit der Regierung des befreiten Italiens in Rom. Am 4. November versuchte der Feind wiederum, in die In den ersten Septembertagen wurden auch Valcervina, befreite Zone einzudringen, und zwar diesmal mit 18 Last- Moncalvo, Vtgnale, Ottiglia, Grana Monferrato und Scur- wagen, zwei 88er Mörsern, einem Haufen Maschinen- zolengo befreit. Für die Verteidigung der befreiten Zonen gewehre und automatischer Waffen. Die 98. Brigade «Gari- lieferte man sich oft heftige Kämpfe; die Zone um Nizza– baldi», Kräfte der 78. und eine starke Gruppe der Brigade Monferrato, die von der 98. «Garibaldi»-Brigade befreit «Asti» aus der Division Balbo setzten sich ihm entgegen. wurde, wurde durch die Patrioten in der siegreichen Überdies trat auch, unverzüglich herbeigerufen, die briti- Schlacht von Bruno verteidigt und bietet ein Beispiel, wie sche Luftwaffe mit einer stattlichen Zahl Jägern und Bom- Partisanenheer einem stark bewaffneten Gegner die bern in Aktion; die nazifaschistischen Streitkräfte wurden Stirne bieten kann. Am 20. Oktober versuchten weitere 700 gezwungen, diese Zone aufzugeben und sich mit zahlrei- Mann, Nizza mit Autokolonnen zu erreichen, die aus zwei chen Toten und Verletzten zurückzuziehen. Die Streitkräfte Panzerwagen, einem Panzerzug, 18 schweren Lastwagen, der 78. Brigade «Garibaldi» verfolgten sie auf der des- drei Motorrädern und drei Autos bestanden und mit einer organisierten Flucht. kleinen Kanone, vier Mörsern, zwei Maschinengewehren, (Am: Befreiungskrieg. Hrsg, vom Nationalen sechs leichten MGs, 18 Maschinenpistolen, 70 Handfeuer- Befreiungskomitee Oberitaliens.)

Ein Artikel im Völkischen Beobachter vom 28. Juli 1944 über die «Schwarzen Brigaden», die im «Kampf gegen das Bandentum» eingesetzt wurden. Ebenso wie ihre Gegner, die italienischen Partisanen, kämpften sie grausam, hart und unbarmherzig.

374 Widerstand im Osten

Polen muss kapitulieren – Destruktive Polenpolitik – Exilregierung in London – Die Heimatarmee ist antikommunistisch — Die Kommunisten in Polen – Unternehmen «N» – Sah aus wie ein Flugzeug – An die ins Feld ziehenden Abteilungen der Volksgarde – Bombe im Kino – Granate im Klub – Das Dorf abgebrannt und die Dorfbewohner erschossen – Atten- tat auf Heydrich – Lidice – Aufstand in der Slowakei – Die Nacht der Barrikaden – Zentraler Partisanenstab in Moskau — Genossen, Bürger, Brüder und Schwestern! – Vaterland und Bibel – Erfolg der Partisanen – Zwangsarbeit – Tod den Okkupanten – In jeder Hinsicht minderwertig – Ukrainische Befreiungsarmee – Einsatz Pripjet-Sümpfe – Banden- bekämpfung – Vernichtung einer Bande auf dem Marsch durch ein Jagdkommando – Kaminskis freiwillige Miliz – Lubliner Befreiungskomitee – Aufstand im Warschauer Ghetto – Aufstand der polnischen Heimatarmee – Gegen Russen und Deutsche – Komorowski muss kapitulieren.

Als Hitler am 1. September 1939 den Krieg gegen Polen je Ostpreussen betreten, dagegen sind die polnischen beginnt, herrscht in Warschau eine siegesbewusste Truppen in der Tucheier Heide völlig aufgerieben und Stimmung. Im Bündnis mit England und Frankreich befinden sich in deutscher Gefangenschaft. Schon am glaubt man, das für äusserst schwach gehaltene deut- 4. September ist die Verbindung zwischen Deutschland sche Heer in kurzer Zeit vernichtend schlagen zu und seiner ostpreussischen Provinz hergestellt, und be- können. Die deutsche Wehrmacht, so sagt ein Redner, reits einen Tag später, während die polnischen Zeitun- wird im Berliner Grünewald so zerschmettert werden, gen noch immer Siegesmeldungen produzieren, ist die wie das Heer des Deutschen Ritterordens 1410 bei polnische Regierung schon aus Warschau geflüchtet. Grunwald. Grunwald ist die polnische Bezeichnung für Von der rumänischen Grenze aus ruft sie das Volk zu die Schlacht bei Tannenberg. weiteren siegreichen Taten auf. Die herausgegebenen Überhebliche Politiker fordern die Abtrennung riesi- Kommuniqués sprechen noch immer von den polni- ger Gebietsteile von Deutschland. In den Zeitungen schen Erfolgen. Erst am 14. September gibt der Presse- erscheinen Landkarten, in denen die polnische Grenze chef der Regierung die Parole aus: «Rette sich wer an der Elbe liegt – Berlin ist eine polnische Stadt... Aber kann!» auch für Warschau, auch für Polen kommt die Ernüch- Aber nur die Regierung selbst kann sich retten. Für terung, sie kommt schnell – und wird schrecklich sein. das polnische Volk kommt jede Rettung zu spät. Nach- dem die polnischen Heerführer und Minister über die Noch schreiben die polnischen Zeitungen von den gro- rumänische Grenze geflüchtet sind, greifen am 17. Sep- ssen Siegen der polnischen Armee, da stehen in Wahr- tember die Sowjets ein. An diesem Tage beginnt an heit deutsche Truppen schon hundert Kilometer tief in der polnischen Ostgrenze der Angriff der Roten Armee, Polen. der vorher mit der deutschen Reichsregierung verein- Die polnischen Zeitungen und der polnische Rundfunk bart worden ist. Trotz des noch vereinzelt geleisteten berichten über den siegreichen Vormarsch der verbün- Widerstandes polnischer Truppen – so in der Haupt- deten Franzosen, die den deutschen Westwall durch- stadt Warschau, in der Festung Modlin, auf der Halb- brochen, Karlsruhe erobert haben und auf dem Vor- insel Heia – ist der Zusammenbruch Polens nur noch marsch nach Stuttgart sind. In Wahrheit aber stehen eine Frage von Tagen. die Franzosen Gewehr bei Fuss und denken nicht Der polnische Staat hat aufgehört zu existieren. Aber daran, durch eine Offensive im Westen die Polen zu ist er für immer vernichtet, oder gilt noch immer die entlasten, und die deutsche 10. Armee steht an diesem Zeile des alten polnischen Freiheitsliedes: «Noch ist Tag schon zwischen Tomaszow und Lodz, nur 60 Kilo- Polen nicht verloren!»? meter noch von Warschau entfernt. Auch der polnische Fast scheint es so, denn Hitler ist zu diesem Zeitpunkt Vormarsch in Ostpreussen geht zügig voran, melden noch keineswegs entschlossen, die Wiedererrichtung die Zeitungen. Tatsächlich hat kein polnischer Soldat des polnischen Staates zu verhindern.

375 Widerstand im Osten

Denn für Hitler ist dieser Krieg noch kein «ideologi- herstellung der Lage vor dem deutschen Angriff auf scher» Krieg, wie es später der gegen die Sowjetunion Polen, sondern erklärt eindeutig und klar, dass der Krieg von vorneherein ist. bis zum Sieg über Deutschland weitergehen werde. Für die Polen hat Hitler lange Zeit sogar so etwas wie Bewunderung übrig gehabt. Er spricht jahrelang Hitler, der einsehen muss, dass seine Diplomatie ge- auch in privaten Gesprächen von der militärischen scheitert ist, dass England nicht gewillt ist, ihm «freie und politischen Kraft Polens, bewundert den polni- Hand im Osten» zu gewähren, ändert von jetzt ab schen Nationalstolz und den jahrhundertelang in im- auch seine Polen-Politik. Von einem polnischen Staat merwährendem Kampf bewiesenen Freiheitswillen des ist seitdem nicht mehr die Rede. Versuche, mit kolla- polnischen Volkes und stellt die Polen seinem Volk in borationswilligen Polen eine von Deutschland ab- dieser Hinsicht sogar als Vorbild hin. Hitler schätzt hängige Regierung zu bilden, werden nicht unter- den Gründer der Republik Polen, den Marschall Pil- nommen. Jetzt, da Hitler glaubt, keine politischen sudski, den ehemaligen Führer der Sozialistischen Rücksichten mehr nehmen zu müssen, geht er daran, Partei Polens. Für ihn ist der Aufbau der polnischen seine «rassentheoretisch» begründete Polenpolitik zu Republik durch Pilsudski eine anerkennenswerte verwirklichen, deren Grundzüge er bereits am 17. Okto- Leistung, über die er stets nur voll Hochachtung ber 1939 dem Chef des OKW, Generalfeldmarschall spricht, und geradezu begeistert ist er über den Sieg der Keitel, gegenüber geäussert hat: jungen polnischen Nationalarmee 1920, den sie unter « ... Die Verwaltung hat nicht die Aufgabe, aus Polen Führung Pilsudskis gegen die bis nach Warschau vor- eine Musterprovinz oder einen Musterstaat nach deut- gedrungene Rote Armee Sowjetrusslands errungen hat. scher Ordnung zu schaffen oder das Land wirtschaftlich Noch in seiner Rede vom 19. September in der «be- und finanziell zu sanieren. freiten Stadt Danzig» spricht Hitler davon, dass Es muss verhindert werden, dass eine polnische Intelli- Deutschland zwar unverrückbare, aber begrenzte For- genz sich als Führerschicht aufmacht. In dem Lande derungen an Polen habe, und verbindet damit gleich- soll ein niederer Lebensstandard bleiben; wir wollen zeitig ein Friedensangebot an England und Frankreich, dort nur Arbeitskräfte schöpfen. Zur Verwaltung des das aber schon am nächsten Tag vom britischen Landes sollen auch Polen eingesetzt werden. Eine natio- Premierminister Chamberlain negativ beantwortet nale Zellenbildung darf aber nicht zugelassen werden ... wird. Chamberlain will nicht noch einmal nachgeben, diesmal bleibt er hart: England besteht auf der Wieder- Unsere Interessen bestehen in Folgendem: Es ist Vor- herstellung des alten Zustandes. sorge zu treffen, dass das Gebiet als vorgeschobenes Auch als Hitlers Verbündeter Stalin zu verstehen gibt, Glacis für uns militärische Bedeutung hat und für dass die Sowjetregierung keineswegs an der Erhaltung einen Aufmarsch benutzt werden kann. Dazu müssen eines polnischen Staates interessiert sei, versucht Hitler die Bahnen, Strassen- und Nachrichtenverbindungen noch einmal, zu einer politischen Lösung zu gelangen. für unsere Zwecke in Ordnung gehalten und ausgenutzt In seiner Rede vom 6. Oktober 1939 spricht er vor werden. dem deutschen Reichstag in Berlin, macht den West- Alle Ansätze einer Konsolidierung der Verhältnisse in mächten noch einmal ein Friedensangebot und spricht Polen müssen beseitigt werden. Die ,polnische Wirt- davon, dass in den Gebieten unter deutscher Besetzung schaft' muss zur Blüte kommen. Die Führung des Ge- eine gerechte Neuordnung nach ethnographischen bietes muss es uns ermöglichen, auch das Reichsgebiet Gesichtspunkten erfolgen solle, also Deutsche zu von Juden und Polacken zu reinigen ...» Deutschland, Polen zu Polen, und er verspricht «die Am 19. Oktober 1939 bestimmt Hitler in einem nicht Herstellung eines polnischen Staates», der allerdings veröffentlichten Erlass, dass die Militärverwaltung in die Garantie bieten muss, dass «kein neuer Brandherd den besetzten polnischen Gebieten durch eine Zivil- gegen das Deutsche Reich» und keine neue «Intrigen- verwaltung abgelöst wird. Damit ist erstmals klar zentrale» entsteht. Diese Forderung Deutschlands sei ausgedrückt, dass es keinen polnischen Staat mehr gibt, berechtigt, und deshalb gäbe es für England und der infolge der Kriegsereignisse vorläufig unter Kon- Frankreich keinen Grund, weiter gegen Deutschland trolle der militärischen Besatzungsmacht steht, wie das Krieg zu führen. Hitler verlangt Frieden, die Einstellung völkerrechtlich in einem solchen Fall üblich ist. Die der – ohnehin geringen – Kampfhandlungen im Westen. Einsetzung einer deutschen statt polnischen Zivilver- Aber Hitlers Glaubwürdigkeit ist dahin, und England ist waltung bedeutet die Vernichtung jedes staatlichen Ei- zum Kämpfen bereit. genlebens für Polen. Am 12. Oktober 1939 antwortet der britische Premier Das «Generalgouvernement» entsteht, jenes Gebiet, Chamberlain. Diesmal verlangt er nicht die Wieder- das zunächst der polnische «Reststaat» sein sollte. Im

376 Destruktive Polenpolitik

Osten ist dieses rein polnische – und jüdische – Ge- stand gegen die Deutschen zu organisieren, weil sie biet begrenzt durch die deutsch-sowjetische Demarka- «Intellektuelle» sind – Lehrer, Ärzte, Professoren, tionslinie, im Westen sollte es ursprünglich begrenzt Geistliche–, die ersten grösseren Erschiessungsaktionen sein durch die alte deutsch-polnische Grenze von 1918. der Sicherheitspolizei und des SD sowie die ersten Aber nun beschliesst Hitler, gleich «Nägel mit Köp- Transporte von Zwangsarbeitern nach Deutschland fen zu machen», er verschiebt diese Grenze noch weiter zeigen, dass nun den Polen das Schicksal eines Sklaven- nach Osten. In diesen – auch früher nie zu Deutsch- volkes bestimmt ist. land gehörenden – Gebieten sollen die Deutschen In Warschau hat schon kurz nach der Kapitulation, angesiedelt werden, die aus den unter sowjetischem am 3. Oktober 1939, eine geheimnisvolle Versamm- Einfluss stehenden Gebieten «heim ins Reich» geholt lung stattgefunden. Im Keller der Stadtsparkasse werden sollen, aus dem Baltikum, aus Wolhynien, aus haben sich einige führende polnische Offiziere und Bessarabien und anderen Ländern. Die meisten der Politiker getroffen, um eine Widerstandsbewegung ge- dort wohnenden Polen und ausnahmslos alle Juden gen die Deutschen ins Leben zu rufen. Die im Spar- sollen in das rein polnisch-jüdische «Generalgouverne- kassenkeller Versammelten sind: General Tokarzewski ment» umgesiedelt werden, das nun aus den folgenden – er wird später vom sowjetischen NKWD, der Nach- Provinzen besteht: Warschau, Radom, Lublin, Krakau folgeorganisation der GPU, verhaftet, als er im sowje- und Galizien. tisch besetzten Gebiet die Widerstandsorganisation Nachdem sich die Polen nun endgültig darüber klar- aufbauen will –, Oberst Rowecki – später Führer der Un- geworden sind, dass Hitler die Auslöschung des pol- tergrundarmee –, der polnische Reichstagspräsident nischen Staates beschlossen hat, ist jede Hoffnung auf «Sejm-Marschall» Rataj – als Vertreter der Volkspartei eine «normale» Besetzung des Landes dahin. Die be- SL –, Professor Rybarski – Vertreter der Nationalpartei ginnenden Umsiedlungsaktionen, die Verhaftung vie- SN –, der Sejm-Abgeordnete Niedzialkowski – Vertre- ler Bürger, die nur deshalb verdächtig sind, denWider- ter der SozialdemokratischenPartei, der Partei Marschall Pilsudskis, der PPS – und der Warschauer Stadtpräsi- dent Starzynski. Diese Männer gründen die Organisation SZP – Sluzba Zwyciestwu Polski, «Dienst am Siege Polens». Nur sechs Wochen später wird die Organisation schon umbenannt in ZWZ, den «Verband für den bewaff- neten Kampf», aus dem noch später die «Heimatarmee» entsteht. Führer dieser nun eindeutig auf bewaffneten Kampf ausgerichteten Organisation wird der bisherige Oberst Rowecki. Er wird zugleich zum General beför- dert. Zum General befördert? Von wem? Von der neuen polnischen Regierung, die sich zunächst im französi- schen Exil gebildet hat, in Paris. Ministerpräsident ist der General Sikorski, der schon 1929 aus Protest gegen Marschall Pilsudski und dessen Sozialdemokratische Partei aus dem Dienst der polnischen Armee ausge- schieden ist. Die Bildung einer neuen Regierung hat sich als drin- gend notwendig erwiesen. Die bisherige «Regierung der Obersten» hat durch ihre zuvor betriebene Kriegs- politik, ihre Lügen während der Kämpfe, ihr völliges Versagen in der Kriegführung und ihre überstürzte Flucht aus der Hauptstadt jegliches Vertrauen beim Volk verspielt. Wenn jemand die Namen Rydz-Smigly (Marschall und «Oberster Führer»), Beck (Oberst und Aussenminister) oder Moscicki (Staatspräsident) nennt, spucken die Polen verächtlich aus. Das ist auch die Ursache dafür, dass die Widerstands- bewegung sich zunächst nicht so recht entwickeln will. Die Karikatur aus der Schweizer Zeitschrift «Nebelspalter» aus dem Jahre 1939 zeigt den «deutsch-russischen Freund- schaftstanz» auf dem Leichnam Polens. Widerstand im Osten

Man traut den neuen Leuten nicht, von deren Existenz Das, was Hitler einst an den Polen lobte und den man sich bald hinter vorgehaltener Hand zuflüstert. Deutschen als Vorbild hinstellte, wird zur Niederlage Schliesslich wird bekannt, dass General Sosnkowski – seiner nunmehrigen Polenpolitik: Die Polen sind – mit dem deutsche Stellen Anfang Oktober noch über bedingt durch die jahrhundertelange Unterdrückung, die Bildung einer polnischen Regierung verhandeln die wiederholte, vielfache Teilung ihres Landes und wollten – zum Oberkommandierenden des ZWZ er- ihren dadurch erzwungenen unermüdlichen Kampf um nannt worden ist. Und Sosnkowski ist einer von den die nationale Einheit und Freiheit – das nationalis- «Alten», er war Generalinspekteur der Armee und ist tischste Volk Europas, noch vor den Franzosen oder somit einer der Hauptschuldigen an der schmählichen Tschechen. Niederlage. Auch er ist über Rumänien nach Frank- So ist es nicht nur durch Unterdrückungsmassnahmen reich geflüchtet und soll den ZWZ vom Exil herleiten, der Besatzungsmacht zu erklären, dass in Polen General Rowecki in Polen gilt formell als sein Vertreter. schliesslich nach und nach die aktivste und zahlenmäs- sig stärkste Widerstandsbewegung aller am Krieg betei- Das stösst zunächst viele ab, und so bilden sich überall ligten Länder entsteht. Und allmählich finden sich die im Lande Einzelne Widerstandsgruppen völlig ver- zahlreichen Widerstandsgruppen auch trotz aller frü- schiedener Anschauungen und Richtungen, ohne sich heren Vorbehalte unter der Führung des ZWZ zusam- dem ZWZ unterzuordnen. Je mehr die «Vernichtung men. Polens», die «Beseitigung seiner lebendigen Kraft» of- Im April 1940 meldet General Rowecki, der nach wie fenbar wird, desto mehr solcher Widerstandsgruppen vor in Warschau sein Hauptquartier hat, noch die entstehen. Je aktiver diese Gruppen sind, um so mehr Existenz von 50 verschiedenen Untergrundorganisa- bemühen sich SD und Sicherheitspolizei, mit brutalem tionen an die Exilregierung in Paris. Anfang 1941 Terror jeden Widerstand zu brechen. Geiseln werden sind es noch rund 30, die er nach London meldet, wo- verhaftet, exekutiert. Aber wie überall treibt auch in hin sich die polnische Regierung nach dem Zusam- Polen der Terror nur immer mehr Patrioten zum Wider- menbruch Frankreichs begeben hat. Aber der grösste stand. Teil dieser 30 Organisationen hat sich zu dieser Zeit

«Die Polizei im Fronteinsatz – eine Streife Ordnungs- und Sicherheitspolizei im Osten». Dass diese Polizei nicht nur polizeiliche, sondern auch verbrecherische Massnahmen aus- führte, dagegen protestierte Generaloberst Blaskowitz ver- gebens: «Die Einstellung der Truppe zur SS und Polizei schwankt zwischen Abscheu und Hass. Jeder Soldat fühlt sich angewidert und abgestossen durch diese Verbrechen, die in Polen von Angehörigen des Reiches und Vertretern der Staatsgewalt begangen werden. Er versteht nicht, wie der- artige Dinge, zumal sie sozusagen unter seinem Schutz geschehen, ungestraft möglich sind . . . Die Ansicht, man könne das polnische Volk mit Terror einschüchtern und am Boden halten, wird sich bestimmt als falsch erweisen. Dafür ist die Leidensfähigkeit des Volkes viel zu gross . . .» Hitler reagierte darauf mit schweren Vorwürfen gegen die «kind- liche Einstellung» der Heeresführung, die mit «Heilsarmee- Methoden» Krieg führen wolle, und der unbequeme Blasko- witz wurde im Mai 1940 als Oberbefehlshaber Ost abgesetzt. General Ulex protestierte ebenfalls: «Die sich gerade in letzter Zeit anhäufenden Gewalttaten der polizeilichen Kräfte zeigen einen ganz unbegreiflichen Mangel morali- schen und sittlichen Empfindens, so dass man geradezu von Vertierung sprechen kann.» Um diesen «unwürdigen, die Ehre des ganzen deutschen Volkes befleckenden Zustand» zu überwinden, müssten alle verantwortlichen Polizeiverbände «einschliesslich ihrer sämtlichen höheren Führer mit einem

Schlag abgelöst und aufgelöst werden».

378 Die Heimatarmee ist antikommunistisch schon seiner Führung unterstellt, auch wenn er immer Schon 1936 hat Stalin damit begonnen, die polnischen noch nach London berichten muss: Kommunisten buchstäblich auszurotten, sie ermorden «Wir sind nicht nur den Angriffen der Gestapo und zu lassen. In Polen sind nämlich selbst die Kommuni- der NKWD, sondern auch denen unserer Landsleute sten Patrioten, Nationalisten, gar Chauvinisten. Noch ausgesetzt», und sich darüber beklagt, dass die meiste vor Preussen und Österreich ist Russland stets der Energie zur Bekämpfung der Uneinigkeit in den eige- Hauptfeind Polens gewesen, und so gibt es unter den nen Reihen aufgewendet werden muss, statt zur Be- polnischen Kommunisten eine starke Abneigung da- kämpfung der deutschen und sowjetischen Besatzungs- gegen, sich völlig willenlos jeder aus Moskau befohle- macht. nen politischen Richtungsänderung anzupassen. Sulin Am 14. Februar 1942 wird der ZWZ, um keiner der hat es leicht mit der Vernichtung der polnischen Kom- bereits bestehenden anderen grossen Organisationen munisten. Die polnische KP ist in Polen illegal, ihre des Widerstandes eine Unterordnung unter diesen führenden Funktionäre leben im Untergrund, mit ge- «Konkurrenzverband» zuzumuten, umbenannt und fälschten Papieren, unter falschem Namen. Nur die umgebildet zur AK, der Armija Krajowa, der «Hei- Komintern weiss, wo die Illegalen stecken. Und so wird matarmee». Diese Heimatarmee verfügt schliesslich im einer nach dem anderen nach Moskau zur Berichterstat- Sommer 1942 bereits über einen Mitgliederbestand tung gerufen – und ermordet. Nur wenige überleben in von rund 6’000 Offizieren, 26’000 Unteroffizieren und Stalins riesigen Konzentrationslagern. 2‘500 Einheiten zu je 50 Mann. Schon 1942 also ist die In den Jahren 1936 bis 1938 werden auf Befehl Sta- illegale polnische Heimatarmee um 50% stärker als lins Hunderttausende russische Kommunisten verhaf- die gesamte deutsche Reichswehr in den Jahren der tet, gefoltert, ermordet. Zehntausende Kommunisten Weimarer Republik. aus allen Ländern der Welt teilen ihr Schicksal – die Nur eine politische Gruppierung beteiligt sich nicht Mitkämpfer Mao Tse-tungs aus China; die Begründer am Aufbau und an den Aktionen der Heimatarmee der ungarischen Räte-Republik; die österreichischen AK – die polnischen Kommunisten. Nach dem An- Schutzbündler, die Österreich gegen den Dollfuss-Fa- griff der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion schismus verteidigt haben; spanische Kommunisten, die am 22. Juni 1941 unterstützen überall in den besetz- im Bürgerkrieg gegen Franco gekämpft haben; deutsche ten Ländern Europas die Kommunistischen Parteien Juden, die Hitler entronnen sind; Führer und Funktio- die nationalen Widerstandsbewegungen, nachdem sie näre der KPD und viele, viele andere. bis dahin auf Befehl Moskaus Hitler propagandistisch Aber nur die Funktionäre einer Partei werden fast unterstützt oder zumindest stillgehalten haben. Zugleich restlos ausgerottet, die der polnischen. Die Ermorde- versuchen sie, unter den Parolen der «Volksfront» und ten sind fast alle alte Mitkämpfer Lenins, es sind die des Patriotismus die Führung der Widerstandsbewegun- Freunde der Rosa Luxemburg, Freunde Karl Radeks. gen zu übernehmen. Kaum einer der führenden Funktionäre überlebt die sta- In Polen ist das anders. Polen ist das einzige Land linistischen Säuberungen in der Sowjetunion. Europas, in dem die Kommunistische Partei völlig Zwei der führenden Kommunisten Polens aber über- vernichtet worden ist, in dem keine Kommunistische leben durch glückliche Umstände; Wladyslaw Gomul- Partei mehr existiert, auch nicht illegal. Eine Kom- ka, Schlosser von Beruf und Gebiets-Parteisekretär munistische Partei völlig zu vernichten, ist bis dahin von Kielce, seit 1956 nach dem Arbeiteraufstand von und seitdem bis heute noch niemandem gelungen. Die Posen Generalsekretär der Kommunistischen Partei KPD etwa wirkt trotz Verbot auch heute in der Bun- Polens; und Marian Spychalski, Architekt von Beruf, desrepublik, die KPD arbeitete illegal im Dritten Reich, heute polnischer Verteidigungsminister. die Kommunisten waren tätig in allen besetzten Ländern Für Gomulka besteht das «Glück» darin, dass er wäh- und sind es heute überall in der Welt, auch dort, wo ihre rend Stalins «Säuberung» daheim in einem «faschi- Parteien verboten sind. stischen» Gefängnis sitzt und so die bolschewistische Die Vernichtung der Kommunistischen Partei haben in Mordwelle überlebt. Im Krieg wird er freigelassen, Polen nicht etwa Gestapo, Sicherheitspolizei oder SD begibt sich 1940 in das von den Sowjets besetzte Ge- fertiggebracht. Ein einziger Mann hat das geschafft. biet Ostpolens, ist entsetzt über die Sowjetisierungs- Der «Führer des Weltproletariats», der «Lenin von massnahmen und vor allem über die Zusammenarbeit heute», das «Genie des Marxismus-Leninismus», der von Stalins NKWD mit Himmlers Gestapo gegen die «Weise Vater aller Völker», der Generalsekretär der polnische Widerstandsbewegung, kehrt in das deutsch- Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolsche- besetzte «Generalgouvernement» zurück und versucht, wiki), der Genosse Yussup Ben Wissarion Dschuga- hier die wenigen übriggebliebenen Kommunisten um schwili, genannt Josef Wissarionowitsch Stalin. sich zu sammeln. Widerstand im Osten

Nationalsozialistische Polenpolitik

Ein erstes umfassenderes Programm der künftigen Polen- halb der nächsten 3 bis 4 Wochen durchgeführt sein. Sofern politik wurde in den Tagen um den 20. September ent- der Jude auf dem Land Händler ist, ist mit der Wehrmacht wickelt, als die militärischen Operationen der deutschen zu klären, wieweit diese jüdischen Händler zur Bedarfs- Wehrmacht, auch die Besetzung Ostpolens durch die Rote deckung der Truppe noch an Ort und Stelle verbleiben Armee vor dem Abschluss standen und Hitler sich mit sei- müssen. Folgende zusammenfassende Anordnung wurde er- nem Sonderzug einige Tage bei Danzig aufhielt, um mit teilt: seinen intimsten Vertrauten die weiteren Schritte in Polen zu erörtern. Neben dem Reichsführer SS Heinrich Himmler 1. Juden so schnell wie möglich in die Städte, und dem Danziger Gauleiter Albert Forster gehörte auch 2. Juden aus dem Reich nach Polen, der Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), SS- 3. Die restlichen 30‘000 Zigeuner auch nach Polen, Gruppenführer Reinhard Heydrich, zu den wenigen früh- 4. systematisch Ausschickung der Juden aus den deutschen zeitig Eingeweihten, und er hat wohl auch selbst manchen Gebieten mit Güterzügen. Einfluss auf die grundsätzliche Fixierung der dabei be- schlossenen Massnahmen und Richtlinien ausgeübt. Was Die Einsatzgruppenleiter, insbesondere Schäfer, für das In- Heydrich von den Besprechungen mit Hitler und Himmler dustriegebiet, und Damzog, für den Nordosten, haben Überle- mitbrachte, war so schwerwiegend, dass er sofort am 21. gungen anzustellen, wie man einerseits die Arbeitskraft der September in Berlin die Chefs der Amtsgruppen des RSHA primitiven Polen in den Arbeitsprozess eingliedert, anderer- und die Führer der nach Polen in Marsch gesetzten Einsatz- seits sie aber auch gleichzeitig aussiedelt. gruppen der Sicherheitspolizei und des SD in Berlin zusam- Sicher ist: Der Pole bleibt der ewige Saison- und Wander- menrief, um ihnen wenigstens «das Vordringlichste» mitzutei- arbeiter. Sein fester Wohnsitz muss in der Gegend von Krakau len: liegen ... «Die Entwicklung im ehemaligen Polen ist zunächst so ge- Die Einsatzgruppenleiter haben zu prüfen, welche Industrien dacht, dass die ehemaligen deutschen Provinzen deutsche zugrunde gehen können, bzw. ausgesiedelt werden (z.B. Kaf- Gaue werden und daneben ein Gau mit fremdsprachiger tanindustrie) .. .» Bevölkerung mit der Hauptstadt Krakau geschaffen wird... Mit Rücksicht auf das Oberkommando des Heeres, das in Dieser fremdsprachige Gau soll ausserhalb des neu zu den Tagen zuvor eine Einstellung verfahrensloser Erschies- schaffenden Ostwalls liegen. Der Ostwall umfasst alle sungen durch die SS- und Polizei-Kommandos gefordert deutschen Provinzen, und man hat praktisch als Niemands- hatte, erteilte Heydrich in der Besprechung ausserdem die land davor den fremdsprachigen Gau. Als Siedlungskom- Anweisung: «Erschiessungen sind nur noch vorzunehmen, missar für den Osten wird RFSS eingesetzt. Die Juden- wenn es sich um Notwehr handelt bzw. bei Fluchtversu- deportation in den fremdsprachigen Gau, Abschiebung chen» Gemeint war offenkundig: nur dann, wenn sich Er- über die Demarkationslinie, ist vom Führer genehmigt. schiessungen mit Notwehr oder Fluchtversuch motivieren Jedoch soll der ganze Prozess auf die Dauer eines Jahres liessen. Der Chef des RSHA fuhr bezeichnenderweise fort: verteilt werden. Die Lösung des Polen-Problems – wie alle übrigen Fälle seien an die Kriegsgerichte abzugeben schon mehrfach ausgeführt – unterschiedlich nach der Füh- und diese müssten «mit Anträgen so eingedeckt werden, rerschicht (Intelligenz der Polen) und der unteren Arbeits- dass sie der Arbeit nicht mehr Herr werden können» Er schicht des Polentums. Von dem politischen Führertum sind (Heydrich) wolle ausserdem «alle Kriegsgerichtsurteile vor- in den okkupierten Gebieten höchstens noch 39/t vorhan- gelegt haben, die nicht auf Tod lauten». den. Auch diese 3°/t müssen unschädlich gemacht werden und kommen in KZs. Die Einsatzgruppen haben Listen (Aus: Martin Broszat, Nationalsozialistische Polenpolitik 1939-1945) aufzustellen, in welchen die markanten Führer erfasst wer- den, daneben Listen der Mittelschicht: Lehrer, Geistlich- keit, Adel, Legionäre, zurückkehrende Offiziere usw. Auch Über das Unternehmen «N», an dem er massgeblich beteiligt diese sind zu verhaften und in den Restraum abzuschieben. war, schreibt der polnische Widerstandskämpfer Anthony S. Die seelsorgerische Betreuung der Polen soll durch katho- Kawczynski: lische Geistliche aus dem Westen durchgeführt werden, die «Man kam überein, dass es Aufgabe des Unternehmens ,N' aber nicht Polnisch sprechen dürfen. Die primitiven Polen sein solle, Zeitschriften, Flugblätter und andere Drucksachen sind als Wanderarbeiter in den Arbeitsprozess einzuglie- zu verfertigen, die den Anschein erwecken sollten, als wür- dern und werden aus den deutschen Gauen allmählich in den sie von Deutschen in einer deutschen .Widerstands- den fremdsprachigen Gau ausgesiedelt. Das Judentum ist bewegung' geschrieben, gedruckt und kolportiert. Alle Spar- in den Städten im Ghetto zusammenzufassen, um eine bes- ten einer möglichen politischen Opposition sollten in diesem sere Kontrollmöglichkeit und später Abschubmöglichkeit zu fingierten deutschen .Untergrund' vertreten sein . . . Die haben. Hierbei vordringlich ist, dass der Jude als Klein- erste ziemlich regelmässig erscheinende Zeitschrift war ,Der siedler vom Land verschwindet. Diese Aktion muss inner- Soldat', im Oktavformat gedruckt und gewöhnlich 2 bis 4 Seiten stark. Der Inhalt war in einem bürgerlich-liberalen

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Unternehmen «N‘

Ton gehalten. Während ,Der Soldat' verschiedene deutsche Kriegsziele, wie z.B. die Annexion grosser Teile Polens, guthiess, wurde Hitlers Kriegsführung scharf kritisiert, wurden die Verbrechen der SS angeprangert und ein Umsturz der Nazidiktatur und die Wiederherstellung parlamentarischer Sitten als eine unabänderliche Notwendigkeit hingestellt.» Was den Inhalt die- ser Zeitschriften anbelangt, so «gelang es manchmal sogar, Dinge völlig aus der Luft zu greifen, die dann überraschenderweise mindestens einen Anflug von Wahrheit zu haben schienen. Von solch einem merkwürdigen Zusammentreffen möchte ich hier kurz berichten. Nach Hitlers Angriff auf Sowjetrussland hatte ,Der Soldat' in einer Reihe von Ausgaben behauptet, dass sich eine Anzahl höherer Offiziere der Wehrmacht zusammengetan hätten, um Hitler kaltzustellen und dem Wahnsinn des Krieges ein Ende zu bereiten. Die Namen der Beteiligten könnten natürlich noch nicht bekanntgegeben werden, aber ein bekannter Feldmarschall sei der Anführer dieser Gruppe. Nun war aber in den deutschen Militär kreisen schon eine Zeitlang davon gemunkelt worden, dass sich Reichenau mit Hitler überworfen habe, und diese Gerüchte waren den Redakteuren des Unternehmens ,N' nicht entgangen. So brachte dann endlich der ,Soldat' in einer fetten Schlagzeile den Namen des Rädels- führers: Generalfeldmarschall von Reichenau. Für alle patriotischen Offiziere und Soldaten sei nun die Zeit gekommen, sich um ihn zu scharen.» Nach dem plötzlichen Ableben Reichenaus berichteten die Redakteure des Unternehmens «N» mit allen erfundenen Einzelheiten, wie Reichenau auf Befehl Hitlers von der Gestapo ermordet wurde. 381 Widerstand im Osten

Spychalski hat noch «grösseres Glück». Er gerät in die lautet das eine Argument. Dagegen wird gesagt, man Hand der Gestapo. Doch Spychalski ist als Architekt muss gerade jetzt den Deutschen schaden, wo und wie ein international bekannter Mann, der erst auf der man nur kann, weil sie nun der einzige Feind sind Pariser Weltausstellung eine Auszeichnung erhalten und nicht zu stark werden dürfen. hat. Von seiner Zugehörigkeit zu den Kommunisten Schliesslich entscheidet man sich in der nun endlich weiss die Gestapo nichts. So wird er bald freigelassen von allen akzeptierten Führung der AK dafür, das und gründet mit deutscher Unterstützung die «Gesell- Hauptgewicht auf die Verstärkung der Untergrund- schaft für polnisch-sowjetische Freundschaft». Nach armee, ihren Aufbau und ihre Schulung zu legen, um dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion verschwin- dann im entscheidenden Augenblick, beim Herannahen det er wie Gomulka im Untergrund. der alliierten Streitkräfte, möglichst stark und aktiv an So ist die Vernichtung der polnischen KP durch Stalin – der Befreiung des Vaterlandes mitzuwirken. 1938 beschliesst die Komintern die Auflösung der Neben diesem forcierten Aufbau der heimlichen Partei als «faschistische Agentenzentrale», nachdem Armee gehört die Spionage, die «leise» Widerstands- die führenden Funktionäre ohnehin nicht mehr leben – arbeit, zu den wichtigsten Aufgaben der polnischen die Ursache dafür, dass in Polen als einzigem be- Widerstandsbewegung. Im April 1941 hat der briti- setzten Land die Kommunisten zunächst keine Rolle sche Botschafter in Moskau, Sir Stafford Cripps, den in der Widerstandsbewegung spielen. Bierut, Gomulka Kreml gewarnt: Die Deutschen bereiten den Angriff und Spychalski gründen zwar später eine kommunisti- gegen die Sowjetunion vor. Der Angriff wird bald erfol- sche Untergrundorganisation, die von Spychalski ge- gen. leitet wird, aber diese AL, Armija Ludowa, die «Volks- Eine Woche vor Beginn des «Unternehmens Barba- armee», erlangt angesichts der bis dahin auf nahezu rossa» warnt Cripps noch einmal. Stalin beachtet die 400‘000 Mann angewachsenen Heimatarmee keine Warnung nicht. Hitler ist schliesslich sein Verbündeter. gleichwertige Bedeutung. Doch die Warnung hat sich als richtig erwiesen. In Selbst wenn die Kommunisten und ihre Partei nicht England ist man nicht nur durch die Mitteilungen durch Stalins «Säuberung» ausgerottet und vernichtet hoher deutscher Offiziere über vieles unterrichtet, was worden wären, hätte ein von Kommunisten geleisteter Deutschlands Führung vorhat. Man erfährt sehr viel Widerstand zumindest anfangs niemals mit der Unter- auch durch die polnische Widerstandsbewegung – so stützung durch das Volk rechnen können. Denn die die deutschen Vorbereitungen für den Krieg gegen die Russen sind in den Augen des Volkes genau solche Sowjetunion. Feinde wie die Deutschen. Und Kommunisten sind nun In Polen lauern mehr als hunderttausend wachsame einmal «Agenten der Russen», wobei es zunächst nicht Augen auf alles, was die Deutschen tun. Die Truppen- einmal eine Rolle spielt, dass die jetzigen Russen Bol- bewegungen der Wehrmacht Anfang 1941 und vor schewisten sind. allem im Juni sind nicht unbemerkt geblieben. Da Diese alte Abneigung gegen alles Russische verstärkt werden Truppentransportzüge gezählt, ihre Richtung sich noch durch die Berichte, die aus der von der Roten beobachtet, ihr Ziel festgestellt. Da lauschen aufmerk- Armee besetzten Zone kommen. Denn dort herrscht same Ohren in Warschauer Cafés auf das, was die das Chaos ebenso wie im von Deutschland annektier- deutschen Landser sich zu erzählen haben, dort merkt ten Gebiet oder im «Generalgouvernement». Hundert- sich die Köchin eines Offizierskasinos das, was sie zu- tausende werden nach Sibirien deportiert. Die Bauern fällig aufgeschnappt hat, anderswo berichten Bauern werden enteignet, und ihr Hab und Gut wird Eigen- aus den Dörfern in der Nähe der deutsch-sowjetischen tum des Sowjetstaates oder von sowjetischen Genossen- Demarkationslinie, dass jetzt Panzer in ihrem Dorf lie- schaften, die niemand haben will. gen oder dass die Deutschen Heu requiriert haben für Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion, der Artillerie-Zugpferde. in allen Ländern – auch durch die nun einsetzende Alles das wird nach London gemeldet, tausend un- Mitwirkung der Kommunisten – zu einer Verstär- sichtbare Fäden verbinden die polnische Untergrund- kung des Widerstandes führt, lässt im Gegensatz dazu bewegung mit ihrer Exilregierung in England. Von dort die Tätigkeit der Untergrundorganisationen in Polen werden alle wichtigen Nachrichten auch an die briti- erst einmal nach. Einmal ist das die Zeit, in der die schen Dienststellen weitergegeben. Organisationen noch miteinander konkurrieren, zum Aber auch aus Deutschland selbst berichten polnische anderen aber gibt es nun Überlegungen, ob der Wider- Widerstandskämpfer. Die Deutschen selbst haben sich stand gegen die Deutschen überhaupt sinnvoll ist. einen gefährlichen Feind ins Land geholt – viele Wenn man den Deutschen schadet, so nützt man den der zur Arbeit in Deutschland Dienstverpflichteten Russen, die man ebenfalls als Feinde betrachtet. So sind Angehörige der Untergrundbewegung. Polen sind

382 Sah aus wie ein Flugzeug es, die auf diese Weise vielleicht vielen tausend Eng- dauern sie schon, dass sie sich dafür gemeldet haben, ländern das Leben retten, denn ihrer Arbeit ist es zu ver- Müllkübel hin und her zu schleppen, Abfallgruben zu danken, dass Hitlers erste «Wunderwaffe», die flie- reinigen und alle mögliche andere Dreckarbeit zu ver- gende Bombe V 1, ein halbes Jahr später als vorgesehen richten. zum Einsatz gelangt. Aber als sie eines Tages eine Wagenladung voll Müll Die Geschichte ist wert, erzählt zu werden. In Peene- zur Verbrennungsanlage fahren, sagt der Lehrer plötz- münde, dem kleinen Fischerdorf auf der Ostsee-Halb- lich mit scheinbar gleichgültigem Gesicht zu seinem insel Usedom, wird unter der fachlichen Leitung von Kameraden: Generalleutnant Dr. Dornberger und Dr. Wernher von «Bleib nicht stehen, verrate dich nicht! Schau unauf- Braun die deutsche Raketenwaffe entwickelt. Jeder fällig nach links. Dort, die grosse Halle mit dem offenen kennt heute die Namen Dornberger und Braun, jeder Tor!» kennt den Namen des winzigen Fischernestes Peene- Auch der Ingenieur sieht, was der Lehrer gemeint hat. münde. Damals ist keiner dieser Namen irgendwem ein Als sie vor der Verbrennungsanlage stehen und den Begriff. Müll abladen, können sie sich ungestört unterhalten. In Peenemünde arbeiten auch Polen, zumeist Fach- Der Ingenieur schüttelt den Kopf: arbeiter aus der Hauptstadt Warschau, Maurer, Eisen- «Sah aus wie ein Flugzeug, was da in der Halle stand. flechter, Betonierer. Sie bauen unter deutscher Leitung Aber dafür war’s viel zu klein.» Betonstrassen, Stellungen für Flakgeschütze, Unter- «Eben. Vor allem hatte es keine Pilotenkabine. Wie kunftsbaracken, Montagehallen. sollte das Ding dann fliegen? Merkwürdige Geschich- Eines Tages sucht ein deutscher Feldwebel unter den te!» nicht spezialisierten Hilfsarbeitern zwei Mann für eine Noch wissen die beiden nicht, dass sie zu den ersten «Spezialaufgabe», wie er sagt. Die beiden, die sich Menschen gehören, die Hitlers «Wunderwaffe» V 1 schliesslich melden, sind nicht freiwillig hier, auch nicht gesehen haben – noch vor Hitler selbst. Aber sie wissen, von den Deutschen gezwungen worden – sie haben dass dies endlich etwas ist, was man nach Warschau be- von dem damals noch so genannten ZWZ den Befehl richten kann. Und so steht schon am gleichen Tag in erhalten, nach Deutschland zu gehen. Vor ihrer Ab- dem Brief nach Hause die Frage, wie die arme, alte reise ist ein Offizier des ZWZ zu ihnen gekommen Tante dieses Wetter vertrüge. und hat ihnen einen ebenso klaren wie umfassenden Eine Woche später kommt ein deutscher Kraftfahrer Auftrag mitgegeben: «Haltet immer und überall Eure in das polnische Lager. Er hat mit einem Omnibus Augen offen. Merkt Euch alles, was Ihr seht. Wenn Ihr neue Arbeiter gebracht – und ist ausserdem kein Deut- irgend etwas für wichtig haltet, dann schreibt einfach scher, sondern ein gut deutsch sprechender Pole, der im nächsten Brief an Eure Leute daheim: ,Ich möchte vom Stab der Untergrundarmee mit hervorragend ge- nur wissen, wie unsere alte Tante Katja dieses Wetter fälschten Papieren ausgestattet worden ist. Er überbringt erträgt.' Alles Weitere ist dann meine Sache. Ihr werdet Grüsse von Tante Katja aus Warschau. dann von mir hören.» Als Gegengruss nimmt er eine Zeichnung und techni- Nun holt der deutsche Feldwebel die beiden in das sche Angaben mit nach Warschau zurück. Wenige Tage deutsche Lager, das die Polen sonst nicht betreten später funkt einer der vielen polnischen Geheimsender dürfen. Sobald ein Bauabschnitt fertiggestellt ist, dür- die Angaben und eine Beschreibung der Zeichnung nach fen die polnischen Arbeiter ihn nicht mehr aufsuchen, London. damit sie nicht erfahren, wozu die gebauten Montage- In London macht man sich vor allem Gedanken über hallen, Rampen und alles andere dienen. das geheimnisvolle Rohr über dem Rumpf des kleinen Der Feldwebel hat geglaubt, einen grossartigen Witz Flugzeuges, das über den illegalen Sender so genau zu machen, als er von einer Spezialaufgabe für die beschrieben worden ist. Das kann nur ein Raketen- beiden sprach. Sie sollen nämlich weiter nichts tun, oder Düsenantrieb sein. Und wenn das so ist – niemand als Müllabfuhr spielen. Wozu, hat sich der Feldwebel zweifelt daran –, dann kann es sich nur um die Geheim- gedacht, muss man dazu eigene Arbeitskräfte nehmen, waffe der Deutschen handeln, von der in Deutschland das können ein paar «dumme» Polen auch tun. schon lange gemunkelt wird und die auch in einem Spi- Der Mann hat Pech, die beiden Polen sind etwas klü- onagebericht aus Oslo angekündigt worden ist. ger als er. Der eine ist Hochschullehrer, der andere Fein- mechanik-Ingenieur. Der Bericht der beiden polnischen «Hilfsarbeiter» aus Aber jetzt vergehen noch Wochen, ohne dass der Lehrer Peenemünde führt zu weiteren Nachforschungen, zu und der Ingenieur im deutschen Gelände etwas sehen, intensiven, mehrfach wiederholten britischen Aufklä- das ihnen besonders bemerkenswert erscheint. Fast be- rungsflügen über der Küste von Usedom und schliess-

383 Widerstand im Osten lich zu dem grossen Bombenangriff von nahezu tau- in den Fluss gekippt. Ein Bauer zieht mit seinem Pflug send Flugzeugen auf Peenemünde. Der Angriff kostet schnell frische Ackerfurchen, um die Schleifspuren zu die Engländer 41 schwere Bomber, so stark ist die verwischen, ein anderer treibt seine Kühe oberhalb der deutsche Luftabwehr gewesen. Aber das Ziel wird er- Versenkungsstelle am seichten Ufer entlang, um das reicht, die Versuchsanstalt Peenemünde ist schwer ge- Wasser zu trüben. troffen und nicht mehr einsatzbereit. Und unter den Kaum ist das alles geschehen, erscheint das deutsche vielen hundert Menschen, die dem Luftangriff zum Op- Bergungskommando. Ein Landwirt ist sicher nicht fer fallen, sind auch die beiden polnischen Patrioten. unter ihnen, denn der hätte sich bestimmt gefragt, wo- zu um alles in der Welt ein Bauer um diese Jahreszeit Und noch einmal greifen Polen in die Entwicklung mit dem Pflug auf seinem Feld herumwirtschaftet. Die der ersten «Wunderwaffe» ein. Die schwer zerstörte fliegende Bombe im Fluss wird nicht entdeckt. Versuchsanstalt Peenemünde wird verlegt – ausge- Die Polen stellen sich dumm. Natürlich, das komische rechnet nach Polen. Dort, in einem wenig besiedelten, Flugzeug haben sie gesehen. Da drüben ist es herunter- waldreichen Gebiet in Galizien, zwischen den Orten gekommen. Sie geraten sogar in Streit. Nein, da hin- Blizna und Pustow, wird die V 1 jetzt weiter erprobt term Wald ist es verschwunden! Nicht doch, es ist über – bis dahin können die alliierten Bomber nicht flie- den Fluss geflogen! Psiakrew! Ich hab’ doch gesehen, gen, jedenfalls dann nicht, wenn sie auch wieder nach wie... ! Hause kommen wollen. «Blödes Volk», murmelt einer der Deutschen und Auch in diesem abgelegenen Waldgebiet ist die Unter- schüttelt den Kopf über so viel ,Dummheit'. Ergebnis- grundbewegung, nun Armia Krajowa, Heimatarmee los ziehen sie ab, um ein Suchkommando zu alarmie- genannt, aktiv. Bald wissen die Engländer, wohin sich ren. Aber auch das findet die fliegende Bombe später die Deutschen mit der Wunderwaffe verzogen haben nicht – und alle Polen, die beim Verschwinden der und dass der geheimnisvolle Flugkörper dort im schar- geheimnisvollen Waffe dabei waren, schweigen, ob- fen Schuss erprobt wird. Deutsche Messstellen rings- wohl sie längst nicht alle der Heimatarmee oder einer umher beobachten und registrieren jeden Flug, um aus anderen Untergrundorganisation angehören. den gemachten Erfahrungen heraus die Konstruktion In einer dunklen Nacht wird die «Wunderwaffe» aus vor allem der Fernlenkung zu verbessern. dem Fluss gezogen und kurz danach von einem In- Aber nicht nur Deutsche beobachten die Flüge der V1. genieur der polnischen Heimatarmee in ihre Einzel- Auch die Polen registrieren aufmerksam Flugdauer, teile zerlegt. Der Ingenieur stellt einen umfassenden Richtung und Geschwindigkeit. Alles, was sie ermit- Bericht über alles zusammen, was er über die technische teln können, wird per Funk nach London weitergegeben. Beschaffenheit der fliegenden Bombe sagen kann. Die- ser Bericht wird wieder über Funk nach London durch- Bruchstücke von im Ziel zerborstenen Bomben wer- gegeben. den gesammelt, Fachleute machen sich an die Arbeit, Doch die Engländer sind nicht zufrieden mit dem um daraus technische Einzelheiten der Bombe zu re- Bericht. Das ist verständlich. Denn der polnische In- konstruieren. Aber das Material reicht nicht aus, um genieur, wenn er auch 1939 ein noch so guter Fach- entscheidende Schlüsse ziehen zu lassen. Genaue An- mann gewesen sein mag, ist nun seit Jahren von der gaben über den technischen Aufbau dieser modernen technischen Entwicklung in der Welt, vor allem der Waffe aber sind dringend nötig, wenn man in England Waffenentwicklung, abgeschnitten. Daher wollen die vorsorglich eine Abwehrwaffe bauen will. Engländer die «fliegende Bombe» am liebsten selbst Da kommt den Leuten der AK ein Zufall zu Hilfe. untersuchen. Und so kommt eines der ungewöhnlich- Eine der fliegenden Bomben stürzt über dem Ziel sten Unternehmen in der Geschichte des Zweiten Welt- nicht ab wie sonst, sondern geht über dem Boden un- krieges zustande. vermittelt in einen Gleitflug über. Dicht bei der Klein- Ein britischer Fernbomber macht sich von Süditalien, stadt Wyszkow am Bug, in der Mitte des Zielgebietes, das die Alliierten gerade besetzt haben, auf den Weg rutscht sie fauchend und holpernd über einen Acker. nach Polen, um mitten im deutschen Besatzungsgebiet, Von allen Seiten kommen Neugierige angelaufen, dar- hinter der deutschen Ostfront, zu landen. Der Auf- unter Leute der Heimatarmee. Jeden Augenblick kön- trag: Hitlers «Wunderwaffe» aus dem deutschen Herr- nen auch die deutschen Techniker eintreffen. schaftsbereich zu holen und nach England zu bringen. Einer der AK-Männer hat die richtige Idee. Alle her- Die polnische Heimatarmee hat nicht allzuweit von umstehenden Neugierigen müssen mit zupacken, und der Absturzstelle der V 1 einen deutschen Feldflug- dann wird das unheimliche Teufelsflugzeug mit verein- platz festgestellt, der wenig benutzt wird, nur ab und ten Kräften zum Ufer des nahen Bug geschleppt und zu als Ausweichhafen. Bauern transportieren die Ein-

384 Polen

In nur 18 Tagen hatten die überlegenen deutschen Truppen Polen geschlagen. Diese «Schmach» des jähen militärischen Zusammenbruchs, die Enttäuschung über das Versagen der eigenen, ins Ausland geflüchteten Regierung und das zu erwartende Los der Unterdrückung und Fremdherrschaft versetzten die Bevölkerung Polens zunächst in einen Zustand der Gleichgültigkeit und Lethargie. Erst mit den blutigen und brutalen Massnahmen der deutschen Polenpolitik erwachte der immer stärker werdende aktive und passive Wider- stand des polnischen Volkes. Bereits im Mai 1941 wurden von der Sicherheits- polizei «alle Polen zur Widerstandsbewegung im weiteren Sinne gerechnet», und der Generalgouverneur Hans Frank (rechts) sah sich gezwungen, in sein Tagebuch zu schreiben: «Es gibt keinen Polen, der wirklich zugunsten der Regierung des GG [Generalgouvernement] arbeitet.» – Abbildung unten: Mit der Proklamation des Generalgouverneurs, in der es unter anderem heisst, dass jede polnische Widersetzlichkeit mit rücksichtsloser Schärfe vernichtet werde, wurde die Souveränität Polens beseitigt. Gemeinsames Ziel der zahl- reichen und unterschiedlichen Gruppen der polnischen Untergrundbewegung es, diese verlorene Souveränität wiederzuerlangen.

Während der Oberbefehlshaber des Heeres, General- oberst von Brauchitsch, zu Beginn des Polenfeld- zuges erklärte, dass die deutsche Wehrmacht in der Zivilbevölkerung «nicht ihren Feind sehe» und alle «völkerrechtlichen Bestimmungen beachten» werde, hatten die von der nationalsozialistischen Führung geplanten und ausgeführten Massnahmen mit diesen «völkerrechtlichen Bestimmungen» nichts mehr ge- mein. Rein polnische Gebiete wurden – unter Miss- achtung des Volkstumsgedankens – für die künftige «Germanisierung» und «Eindeutschung» dem Reiche eingegliedert, die dortige Bevölkerung deportiert und insbesondere die Angehörigen der Intelligenz und die jüdischen Bewohner zu Tausenden liquidiert. Die ins Generalgouvernement deportierten Polen, die Haus, Hof, Beruf und Familienmitglieder verloren hatten, waren nur zu bereit, sich dem aktiven Wider- stand gegen die deutschen Okkupanten anzuschlie- ssen. Erfüllt von einem unversöhnlichen Hass gegen diejenigen, die ihr Volk zu Arbeitssklaven und ihr Land zu einer Kolonie degradierten, war dem polni- schen Nationalismus nun jedes Mittel recht, den Feind gnadenlos zu bekämpfen. – Vom Ausmass des polnischen Widerstandes und seiner brutalen Be- kämpfung zeugt der Ausspruch des Generalgouver- neurs Hans Frank: «Wenn ich für je sieben erschos- sene Polen ein Plakat aushängen lassen wollte, dann würden die Wälder Polens nicht ausreichen, das Papier herzustellen für solche Plakate. Ja, wir muss- ten hart durchgreifen.» – Bild unten: Rechtsanwalt Dr. Piatek wurde am 4. September 1939 in Kato- wice verhaftet und später erschossen. – Rechte Seite oben: Von der Gestapo gehenkte Polen in Michal- kowice in Schlesien. – Bild oben: Auf einem Bahn- hof in Polen wird «erbeutetes Material» verladen und nach Deutschland gebracht. – Über die Folgen der Ausbeutungspolitik schreibt Hans Frank: «Das

Lieferungssoll übersteigt die wirkliche Ernährungsbedürftigkeit des Gebietes. Wir haben den absoluten Aushunge- rungsstatus, und wer nicht direkt oder indirekt in den deutschen Arbeits- prozess eingereiht ist, steht ernährungs- mässig katastrophal da.» Die wirtschaft- liche Ausbeutung, der damit verbun- dene Hunger und die Zwangsausbeu- tung von Arbeitskräften haben die polnische Widerstandsbewegung be- trächtlich aktiviert. – Unter der na- tionalsozialistischen Polenpolitik hat- ten die Angehörigen des Klerus beson- ders stark zu leiden. Allein für die Diözese Posen gibt Martin Broszat folgende Schilderung: Unter 681 Geist- lichen (1939) ist es 22 verboten, den Pflichten eines Seelsorgers nachzukom- men, 120 befinden sich im General- gouvernement (sie wurden ausgesie- delt), 74 wurden erschossen beziehungs- weise starben in Konzentrationslagern, 12 sind verschollen und 451 befinden sich in Gefängnissen oder Konzentra- tionslagern. Insgesamt wurden 2’000 katholische Priester – das sind 20% der Gesamtzahl – Opfer der Verfol- gungs- und Ausrottungsmassnahmen. Wegen dieser furchtbaren Heimsuchung ist von besonderer Bedeutung, dass es gerade katholische Priester sind, die sich heute um eine versöhnliche Hal- tung zwischen Polen und Deutschen bemühen. – Bilder unten: Drei polni- sche Geistliche, die den Märtyrertod starben. Von links nach rechts: Der Suffragan-Bischof von Plock, Léon Wet- manski, der Franziskaner-Pater Maksymi- lian Maria Kolbe und der Suffragan-Bi- schof von Wloclawek, Michal Kozal.

Links oben: «Deutsche Kavalleristen bewachen polnische Heckenschützen, die auf frischer Tat ertappt wurden.» – Links unten: Massenhinrichtung polnischer Patrioten auf dem Marktplatz von Bydgoszcz. Symbol für diese Hinrichtungen wurde Wawer, ein Ort ostwärts von Warschau, wo im Dezember 1939 als Repressalie für die Ermordung zweier deutscher Polizisten 107 wahllos auf gegriffene Polen von den Deutschen erschossen wurden. Über die Wirkung dieser Massnahmen, mit denen man den Widerstand brechen wollte, schreibt Bor-Komo- rowski in seinem Buch «Die Untergrundarmee»: «In der ersten Zeit der Besetzung wurden für einen getöteten Deutschen zehn Polen erschossen. Im Laufe der Zeit wuchs dieser Blutpreis auf Hundert. Im Jahr 1942 nahmen Sühnehinrichtungen ein riesiges Ausmass an. Das ganzeVolk kam zur Überzeugung, dass die einzige Reaktion darauf ist, mit Terror auf den Terror zu antworten.» Bild oben: «Begrüssung in einem polnischen Ort.» Dieses und ähnliche Bilder, die die deutschen Soldaten fried- lich und einvernehmlich mit der polnischen Bevölkerung zeigen, vermittelten der deutschen Bevölkerung ein völlig falsches Bild von Hitlers Polenpolitik. Denn mit der kämpfenden Truppe kamen «gemäss Befehl des Führers» besondere polizeiliche Einsatzgruppen (Sicherheitspolizei und Ordnungspolizei) in das eroberte Gebiet, um hier ihre vernichtenden Schläge gegen das polnische und jüdische Volkstum zu führen. «Es besteht kein Zweifel, dass die polnische Bevölkerung, die alle diese Verbrechen wehrlos mit ansehen muss, jeden Aufruhr und jede Rachebewegung fanatisch unterstützen wird. Weite Kreise, die niemals an einen Aufstand gedacht haben, werden jede Möglichkeit hierzu ausnützen.» Dieser Protest des Generaloberst von Blaskowitz und andere Proteste der Wehrmacht mussten jedoch bei Hitler auf taube Ohren stossen, da er letztlich selbst der Urheber dieser Verbrechen gewesen ist. – Bild unten: Im Zuge der «Befriedung» eines Dorfes werden polnische Bauern von Angehörigen deutscher Polizeiverbände erschossen. Das Bild auf den nächsten beiden Seiten zeigt ein weiteres Mittel zur Brechung des polnischen Widerstandes, das Abbrennen Einzelner Gehöfte und ganzer Dörfer.

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Bild oben: Kommunistische Partisanen der «Volksgarde». In Wäldern und Dörfern versteckt und durch gute Kenntnisse des Geländes ausgezeichnet, konnten sie nur schwer bekämpft werden. Nach polnischen Angaben hatten sie in 10 Monaten des Jahres 1943 nachstehende Erfolge aufzuweisen: 160 grössere Kämpfe und mehr als tausend bewaffnete Aktionen, Zer- störung mehrerer Flugzeuge und Dutzender Kraftwagen. Ausserdem wurden mehr als 100 Eisenbahntransporte, 30 Bahn- höfe und Eisenbahnbrücken gesprengt und ganze Kilometer Schienenwege aufgerissen. In dieser Zeit vernichteten die Parti- sanen der Volksgarde 60 Gendarmerieposten und befreiten Hunderte von Personen aus deutschen Gefängnissen. – Rechts unten: Der Zug Jaworzno-Chrzanow wurde von Soldaten der Volksgarde zum Entgleisen gebracht. – Rechts oben: Der polnische Partisanenführer Oberst Moczar nach einer Besprechung mit den Chefs sowjetischer Partisanenabteilungen in der Nähe von Lublin. Das Bild auf den vorangehenden Seiten zeigt die Hinrichtung polnischer Patrioten in Ursynow bei Warschau im Juni 1940.

Gegenspieler der polnischen Exilregie- rung in London, die eng mit der Hei- matarmee in Polen (bis zum Frühjahr 1944 auf 350’000 Soldaten angewach- sen) zusammenarbeitete, waren die von Moskau aus gesteuerten polnischen Kommunisten. Mercelli Nowotko (oben links), der erste Sekretär der Anfang 1942 gegründeten kommunistischen PPR (Polnische Arbeiterpartei), wurde am 28. November 1942 als aktiver Widerstandskämpfer von Gestapo- agenten erschossen. Als im Frühjahr 1943 die russischen Morde an polnischen Offizieren be- kannt wurden und die polnische Exil-

regierung eine Untersuchung durch das Rote Kreuz beantragte, brach Moskau die Beziehungen zur polni- schen Exilregierung ab. – Bild unten: Ein Massengrab in Katyn, wo insge- samt 4’000 ermordete Polen gefunden wurden. Die Meldungenvon den Mor- den in Katyn, die bei den Polen der Heimatarmee die antisowjetischen Ge- fühle noch verstärkten, konnten von den Deutschen jedoch nicht mehr für ihre Zwecke ausgenützt werden. Hans Frank, der Ende Februar 1943 zugeben musste, dass sich «die Politik der Ein- schüchterung und des Terrors und vor allem auch das Bestreben, die polni- sche Intelligenz als solche auszurotten, als völlig verfehlt» erwiesen hatte, konnte eine Kursänderung in der bis- herigen Polenpolitik nicht mehr her- beiführen. Hitler und Himmler liessen ihr Terrorsystem weiter in Polen wü- ten, und der Hass der Polen über das erlittene Unrecht war so unversöhn- lich, dass eine Verständigung zwischen ihnen und den Deutschen nicht mehr möglich war. Für diejenigen Polen, die einerseits nicht mit den Deutschen Zusammen- arbeiten und andererseits auch nicht unter russischen Einfluss geraten woll- ten, wurde die Lage immer schwieri- ger. Ende Juli 1944 gab Moskau die Bildung des «Lubliner Komitees» be- kannt, aus dem sich in Konkurrenz zur Londoner Exilregierung die prokom- munistische polnische Regierung ent- wickelte. Und Ende Juli standen auch die russischen Panzer vor den Toren Warschaus. Für die nationalpolnischen Widerstandskräfte war die letzte Mög- lichkeit gekommen, ihre Hauptstadt selbst zu befreien und sich gleichzeitig gegen die Rote Armee zu behaupten. Am 1. August löste der Führer der polnischen Heimatarmee Bor-Komo- rowski (oben rechts) den Warschauer

Aufstand aus.

Bild oben: Polnische Patrioten im Kampf um die Befreiung ihrer Hauptstadt. – Bild unten: Originalunterschrift: «Auf- stand in Warschau blutig zerschlagen. Herabgestürzte Fassaden zerschossener Häuser dienen unseren kämpfenden Gre- nadieren als Deckung.»

Unter den Generalen Reinefarth und von dem Bach- Zelewski wurden die Soldaten der polnischen Hei- matarmee auf immer engere Kessel zusammen- gedrängt. Den modernen Mitteln der Kriegstechnik (Minenwerfer, Goliathe zum Sprengen ganzer Häu- serblocks, Lufttorpedos, Nebelwerfer, Panzer und Stukas) hatten die polnischen Aufständischen trotz ihrer Tapferkeit nichts Gleichwertiges entgegenzu- setzen. Da sich der Warschauer Aufstand militärisch zwar gegen die Deutschen, politisch aber gegen Mos- kau richtete, hatten die Russen kein Interesse daran, den Aufstand wirkungsvoll zu unterstützen. Die Hilfe der westlichen Alliierten war ebenfalls so man- gelhaft, dass sich der Oberkommandierende des Auf- standes zu folgender Meldung gezwungen sah: «Nach beinahe vier Wochen blutiger Kämpfe und nach Er- schöpfung aller Verteidigungsmöglichkeiten haben unsere Abteilungen in der Nacht auf den zweiten September die Ruinen der Altstadt verlassen.»

Oben links: Gefangene deutsche Soldaten nach der Überrumpelung einer deutschen Polizeistation durch die polnische Heimatarmee. – ünten links: Zwergpanzer Goliath vor dem Einsatz. – Bild oben: Durch die ständigen Bombenangriffe zum Aufenthalt in den Kellern gezwungen, durch Hunger und Verwundungen völlig zermürbt und erschöpft, von der Sinnlosigkeit eines weiteren Widerstandes überzeugt, sind die Aufständischen zur Kapitulation bereit. – Bild unten: Der tapfere Verlierer Bor-Komorowski und der Sieger von dem Bach-Zelewski reichen sich nach der polnischen Kapitulation die Hand. Hach 56 Tagen war der Warschauer Aufstand beendet. Ungefähr 10’000 Soldaten waren auf beiden Seiten gefallen. 200’000 Zivilisten wurden getötet. Das Bild auf der nächsten Seite zeigt das zerstörte Warschau, eine Folge der Anordnung Himmlers, «Warschau dem Erdboden gleichzumachen», und ein weiteres Symbol der verbrecherischen und realistisch völlig verfehlten nationalsozialistischen Polen- politik.

Der Start gelingt zelteile der fliegenden Bombe unter Stroh, Mist oder Die Motoren dröhnen mit Vollgas. Sie donnern so laut, Silofutter mit ihren Pferdefuhrwerken zu diesem Flug- dass es ein wahres Wunder ist, dass noch keine der im platz, auf dem das englische Flugzeug landen soll. Wald stationierten deutschen Einheiten aufmerksam ge- Am Nachmittag des mit den Briten vereinbarten Tages worden ist. landet ausgerechnet eine deutsche Kampffliegerstaffel Schliesslich ruckt der Bomber über die vorbereitete erstmals seit vielen Tagen auf dem Platz. Schon scheint Bahn aus Zweigen und dünnen Baumstämmen aus dem alles verloren, denn der britische Langstreckenbomber schlimmsten Morast heraus und gewinnt etwas festeren befindet sich längst im Anflug und kann nicht mehr Boden. Hastig werden die Teile der fliegenden Bombe verständigt werden. Er wird abstürzen, weil er den wieder verladen. So wenig Zeit wie zur Begrüssung weiten Weg nicht zurückfliegen kann, ohne zwischen- bleibt auch für den Abschied. zutanken. Und die «Wunderwaffe» Hitlers wird nie nach Das englische Flugzeug stuckert über die nasse Wiese, England gelangen. gewinnt schliesslich Fahrt, der scharfe Strahl des Bug- Doch kurz vor Anbruch der Dämmerung starten die scheinwerfers bohrt sich bereits in die Bäume am Rand deutschen Bomber wieder. Die im Wald zu allen Seiten der grossen Lichtung, dann zuckt er schräg nach oben, des provisorischen Flugplatzes versteckten polnischen fällt noch einmal zur Erde, um dann endgültig zum Bauern, die Mannschaften und Offiziere der Heimat- Himmel emporzuleuchten und gleich darauf zu erlö- armee markieren zur festgesetzten Zeit nach Einbruch schen. der Dunkelheit mit improvisierten Fackeln die Lande- Nur die Flammen sind noch für kurze Zeit zu sehen, bahn, als das Motorgebrumm der britischen Maschine die aus den Auspuffrohren der Flugmotoren schlagen. hörbar wird. Es gibt keine Sicherheit, dass es wirklich Dann hören die wieder alleingelassenen polnischen die Engländer sind, die da oben herankommen. Aber Patrioten nur noch das immer leiser werdende Moto- die Zeit stimmt, und so riskiert man die verräterischen rengeräusch, das sich nach Süden hin entfernt, bis es Leuchtzeichen. ganz verstummt ist. Tatsächlich klappt alles. Die britische Maschine landet. Eine bedeutsame Widerstandsaktion des Zweiten Welt- Holpernd und ächzend kommt sie auf dem weichen krieges hat ihr Ende gefunden. Die V 1 gelangt sicher Boden zu stehen. Sofort werden die Fackeln gelöscht. nach England, britische Ingenieure und Wissenschaftler In fieberhafter Eile laden alle die Einzelteile der deut- studieren die deutsche Wunderwaffe Nummer Eins in schen Flugbombe in die englische Maschine. allen Einzelheiten. Die Begrüssung ist nur kurz gewesen. Seit Jahren sehen Hat die Aufmerksamkeit, hat das Opfer der beiden die Polen keine Freunde, Verbündete. Aber Verbrüde- polnischen «Müllabfuhrleute» in Peenemünde den rungsszenen, die nur zu verständlich wären, bleiben aus. Einsatz der V 1 um ein halbes Jahr verzögert, so trägt Jetzt kommt es nur auf schnelle gemeinsame Arbeit an. die Aktion der polnischen Heimatarmee in Galizien, zusammen mit dem kühnen Einsatz der britischen Schon startet der englische Bomber wieder, nachdem Bomberbesatzung, dazu bei, dass schon längst vor dem aus den mitgebrachten Benzinfässern aufgetankt wor- Erscheinen der ersten V 1 über London wirksame Ab- den ist. Doch trotz des immer lauter werdenden wehrmassnahmen getroffen werden können. Die V 1 ist Motorengeheuls kommt die Maschine nicht vom Fleck. längst bekannt, als sie erstmals am Himmel Englands Sie ist in dem weichen Boden eingesunken, während auftaucht. Fesselballone und Jagdflieger stehen bereit, der Verladearbeiten hat ein stetiger Nieselregen die um sie abzufangen. Nur 20 Prozent aller «Fliegenden provisorische Landebahn nahezu unbrauchbar gemacht. Bomben» erreichen ihr Ziel – ein Erfolg nicht zuletzt der Bis auf einige Posten, die, mit Gewehren, Maschinen- polnischen Heimatarmee. pistolen und Handgranaten im Wald versteckt, das Ge- Grosse Partisanenaktionen der polnischen Untergrund- lände sichern, eilt alles mit Spaten und Schaufeln herbei, bewegungen gibt es noch immer nicht. Es gibt eine um die tief eingesunkenen Räder des Fahrwerks aus dem Anzahl von Einzelunternehmen. Bedrohte Menschen Morast zu befreien. werden vor Verhaftungsaktionen gewarnt, andere mit Vergebens, das Flugzeug ist zu schwer. Voller Erbitte- gefälschten Papieren gerettet: Nach wie vor spielt rung beginnt man, den Bomber wieder zu entladen. Spionage eine wichtige Rolle, kleinere deutsche Trup- Zugleich trifft die Besatzung Anstalten, ihre Maschine peneinheiten werden überfallen, Waffen erbeutet – zu zerstören. Benzin wird um das Flugzeug ausgegos- aber ansonsten wartet die Heimatarmee auf Befehl der sen, damit im Gefahrenfall alles sofort in Flammen Londoner polnischen Exilregierung ab. aufgehen kann. Alle Flugdokumente und persönlichen Im Gegensatz zur Taktik der stärker werdenden Papiere werden vernichtet. Doch, noch ist nicht alle «Volksarmee», die, wo immer es geht, den Feind durch Hoffnung aufgegeben. aktive Sabotage beunruhigen und schädigen will, be-

401

Widerstand im Osten Befehl des Oberkommandos der Volksgarde überzugehen, da es die letzten Reserven an Menschen- und Polens vom 15. Mai 1942 «an die ins Feld zie- Kriegsmaterial an die Front versetzt, um die Stunde der henden Abteilungen der Volksgarde11: unvermeidlichen Niederlage aufzuschieben. Eure Aufgabe ist es, den Partisanenkampf in das Zentrum Polens zu verlegen. Andere Abteilungen werden den Kampf in den dem Reich einverleibten Gebieten und in den übrigen Gardisten! Partisanen! Gebieten Polens aufnehmen. Als treue Söhne Polens eurer Pflicht gemäss zieht ihr heute Eure unmittelbare Kampfaufgabe ist es, Verkehrsstrassen zu ins Feld. Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, da sich die zerstören und den Nachschub von Kriegsmaterial und Sol- Kämpfe an der Ostfront verschärfen, da das Oberkom- daten an die Front zu desorganisieren; Militärobjekte jeder mando der räuberischen Hitlerarmee verzweifelte Versuche Art und für die Wehrmacht arbeitende Betriebe zu zer- unternimmt, ihre Positionen zu halten und zur Offensive stören; Polizeiabteilungen und kleinere Militäreinheiten zu vernichten; Verwaltungsorgane auseinanderzutreiben; das Fernmeldenetz zu desorganisieren und Lebensmittellager zu zerstören – den Okkupanten überhaupt auf jedem Schritt und Tritt zu schaden, sie zur ständigen Wachsamkeit zu zwingen, Unruhe zu stiften, sie zur Verdoppelung der Wachtposten und zur Abberufung immer neuer Einheiten von der Front zwecks Sicherung des Hinterlandes zu zwingen. Unsere unmittelbare Reserve und unsere Rückendeckung ist das ganze polnische Volk, ist jeder ehrliche Pole, den wir auf unserem Kampfwege treffen. Geht in Eintracht mit jedem in den Kampf, der ihn ehrlich wünscht. Ihr seid nicht die letzten. Es werden euch weitere Hunderte und Tausende folgen. Die polnischen Wälder und Felder, Strassen und Dörfer füllen sich mit Partisanenab- teilungen – mit Kämpfern um die Freiheit. Also mutig vorwärts! Der Augenblick ist nicht mehr weit, da das ganze Volk nach den Waffen greifen und zum Kampf antreten wird, um den Feind endgültig und für immer zu vernichten, um das endgültige Ziel zu erreichen – die Unab- hängigkeit. Oberkommando der Volksgarde

Granate im Club

«Unsere Einsatzgruppe bekam den Befehl, Granaten in das deutsche Lokal Café Club zu werfen. Es war Sonntag um die Mittagszeit. Am Sammelpunkt verteilte der Komman- dant die Einzelnen Funktionen unter uns, gab genaue Richt- linien zum Einsatz-Plan, der Rückzugsstrassen und umriss die Aufgaben der Sicherung (Abschirmung). Schiessen nur im äussersten Fall zum Schutze der Werfenden, lautete der Be- fehl. In der Manteltasche spüre ich den harten Druck des Stahls meiner Pistole, eine ungewohnte Sache für eine Frau. Wir sind am Ziel! Rings um uns herrscht der übliche Strassen- verkehr Warschaus. In wenigen Augenblicken wird das sonntägliche Treiben durch Detonationen zerrissen werden. Ich stehe vor dem grossen Fenster des Cafés, hinter der «Das bandenverseuchte Dorf abgebrannt und die Dorfbewoh- Scheibe schauen auf mich gedankenlos die Augen eines deut- ner erschossen» – das war der Kernsatz unzähliger Bekannt- schen Offiziers, der durch einen Strohhalm seinen Cocktail machungen und die Methode des Terrors, mit der man den schlürft. polnischen Widerstand zu brechen versuchte.

402

Tote und Verwundete Mich überkam eine Wut und zugleich eine wilde Freude. In der Hand drücke ich die Pistole, bereit zum Schuss. Kaum gelang es mir, im Laufschritt den nächsten mich sichernden Kollegen zu erreichen, ertönten starke Detona- tionen ... Wumm ... Wumm ... Stille . ! Es sah aus, als wenn das Leben auf der Strasse im Augenblick stillstehen würde. Aber schon schiesst eine Staubfontäne hoch, und klirrend fliegen die Spiegelscheiben. Unter den Passanten Verwirrung, Fragen: ,Was ist das? ... Wits ist denn passiert?' ,Razzia!'... schreie ich und laufe immer schneller. Ich ziehe mich hinter eine Mauer zurück. Der Rückzugsweg der Bom- benwerfer läuft an mir vorbei. Niemand jagt uns, niemand hält uns an. Hinter uns hört man Jammern und Schreie der Deutschen. Bei der Waffenabgabe sagt uns der Kommandant, dass er mit uns zufrieden ist, der Überfall gelang vollkommen und ohne Schuss. Meldungen über die Zahl der toten und ver- wundeten Deutschen sind noch nicht eingetroffen. Wir selbst hatten keine Verluste. Ich gehe nach Hause. Bin immer noch etwas benommen. Es war meine erste Kampfaktion. Wie durch eine dicke Mauer dringen die Unterhaltungen der Leute in der Strassenbahn. Alle erzählen vom Café Club. Der eine hatte gesehen, wie tote und verwundete Deutsche herausgetragen wurden. Ein anderer beschreibt die Panik unter den Deutschen nach dem Überfall... Der Wind vertrieb schon die Wolken und Warschau erhellte sich mit freudigem Sonnenschein.»

(«Walka Mlodych», Nr. 9, 1943, Jugendkampfbund)

«Als Vergeltungsmassnahme wurde das Dorf Laski am 4. Mai 1943 niedergebrannt und die Bevölkerung erschossen.»

Bombe im Kino Kazik weiss, dass er nicht mehr zurückkehren darf, denn jeden Augenblick muss die Explosion seines mit einer Zeit- «In der Gegend von Biala Podlaska organisiert der 19- zünderbombe und Granaten gefüllten Koffers erfolgen. Er jährige Kazik eine der ersten Partisanenabteilungen in dreht sich nicht einmal um, sondern versucht in aller Eile Polen (1940/1941). In frostigen Winternächten schraubten den Saalausgang zu erreichen. Ein deutscher Offizier ver- sie Eisenbahnschienen auseinander, sprengten Eisenbahn- trat ihm den Weg und verlangte seinen Ausweis, mehrere züge in die Luft und beschossen deutsche Militär-Autokolon- andere stellten sich hinter ihn. Kazik legitimierte' sich mit nen aus dem Hinterhalt. einer Schussserie aus seiner Pistole ... dann mit einer Hand- Kazik ist Mitglied der Spec-Gruppe, führt schwierige granate ... dann mit einer zweiten ... die Deutschen ver- Kampfeinsätze durch und nimmt an Sabotage- und Atten- folgen ihn, es wird geschossen, der verwundete Kazik tatseinsätzen teil. Freiwillig meldet er sich zum Attentat flüchtet in die kleine Kinokasse und von hier aus schiesst auf das Kino ,Apollo' (nur für Deutsche), beherrscht die er mit zwei Pistolen auf die Deutschen. Im Kino ,Apollo' deutsche Sprache und gelangt mit Leichtigkeit hinein. Es detonierten die Granaten, im Saal sind viele Tote und wurde gerade ein Zusatz film vorgeführt. Nach dem grossen Verwundete, und er schiesst ohne Pause; ein Deutscher rief ,V', das von ferne sich näherte, auf der Leinwand zu- ihm zu, er solle sich doch ergeben, er sei doch verwundet. sehends wuchs und die verhasste Stimme des Ansagers ver- Er schoss weiter und begann zu singen: ,Niemals, niemals kündete: ,Victoria ... Deutschlands Sieg – Europas Frei- werden Kommunisten Gefangene...' Getroffen von einer heit ...!' nahm Kazik in einer der ersten Reihen Platz, mörderischen Kugel in der Brust, starb er, mit diesem Lied auf den kleinen Koffer stellte er neben seinen Stuhl. Kurz nach den Lippen, am 17. Januar 1943 um 18 Uhr im Kino ,Apollo' dem Dunkelwerden im Saal verliess er seinen Platz und be- in Warschau, Ladyslaw Buczynski, Pseudonym: Kazik Dem- gab sich zum Ausgang. Schnell schritt er an den Reihen biak.» der Sitzplätze entlang und dachte, wieviel SS-Männer und Gendarmen wohl hier im Saale sein mögen?... ,Sie haben et- was vergessen!', ruft hinter ihm ein Gendarm, der neben Kazik (Material und Dokumente von sass, jetzt aufstand und ihm folgte. Kampf und Arbeit des «Jugendkampfbundes» – [Zwiazek «Walka Mlodych» ZMW] – Warszawa Januar 1943.)

403 Widerstand im Osten steht das Ziel der «Heimatarmee» immer noch darin, gebaute und jahrelang geleitete Sicherheitsdienst SD, in Ruhe und Besonnenheit alle Kräfte zu sammeln, um der Auslandsnachrichtendienst, Spionage und Spiona- erst im richtigen Augenblick, wenn die Deutschen geabwehr ausser dem noch vom Amt des Admiral durch den gesamten Krieg geschwächt sind, mit geball- Canaris durchgeführten rein militärischen Geheim- ter Kraft und dann um so erfolgreicher loszuschlagen. dienst, der erst 1944 ebenfalls vom RSHA übernommen Daher ist über die polnische Widerstandsbewegung erst wird. Genau zwei Jahre danach, am 27. September zu einem späteren Zeitpunkt wieder Besonderes zu be- 1941, wird Heydrich dazu noch «Stellvertretender richten. Inzwischen hat eine Widerstandsaktion in ei- Reichsprotektor für Böhmen und Mähren». nem anderen Land weltweites Aufsehen erregt, eine Obwohl nur stellvertretend für den Reichsprotektor, Aktion im bis dahin friedlichsten Land unter deutscher den früheren Aussenminister Freiherr von Neurath, ist Besetzung, in dem Land, das als erstes den Marschtritt es doch Heydrich, der die eigentliche Macht im Protek- deutscher Kolonnen hören musste – das tschechische torat ausübt und der mit einer gewissen taktischen Restgebiet der früheren Tschechoslowakischen Repu- Schläue darangeht, die Tschechen «im Guten» für die blik, nach dem 15. März 1939 «Reichsprotektorat Böh- deutschen Interessen zu gewinnen. men und Mähren» genannt. Auf einer Pressekonferenz spricht er mit Lob vom Zwei Tschechen töten den «Stellvertretenden Reichs- tschechischen Volk, das in der Geschichte Europas eine protektor» in Prag. Der Name des Ermordeten grosse Rolle gespielt habe, spricht von der böhmisch- ist weithin bekannt, allerdings kaum als der des mährischen Kultur, beschwört die gemeinsame deutsch- Herrschers über die Tschechen. Dieses Amt hat er erst tschechische Vergangenheit, weist darauf hin, dass die kurz zuvor angetreten. Bekannt und gefürchtet ist er Prager Burg, der Hradschin, in vergangenen Jahrhun- wegen seines anderen Amtes, das er auch als stellver- derten sowohl der Sitz der deutschen Kaiser wie der tretender «Reichsprotektor» weiter beibehält. Sein böhmischen Könige gewesen sei. Name Reinhard Heydrich, Begründer des SD, des Gleichzeitig aber gibt er bekannt, dass er die Hin- Sicherheitsdienstes der NSDAP, Chef des Reichssicher- richtung einer Anzahl von Personen angeordnet habe, heitshauptamtes, Himmlers stärkster Mann, von dem die wegen Widerstandsaktionen und Sabotageakten seit Eingeweihte flüstern, dass er stärker ist als Himmler einiger Zeit im «Pankrac», dem Prager Gefängnis, in- selbst, dass er der Mann ist, der sich bereits darauf vor- haftiert sind. bereitet, eines Tages die Nachfolge Adolf Hitlers als Auch diese Massnahme hat Heydrich psychologisch grossdeutscher «Führer» anzutreten. klug durchdacht. Es handelt sich um Menschen, die ein- Noch 1938, während der Fritsch-Krise, hat Heydrich deutig gegen geltende tschechische Gesetze verstossen befürchtet, zusammen mit Himmler der Empörung haben, und Heydrich lässt sich die juristische Begrün- der Wehrmachtführung zum Opfer zu fallen. Aber dung für diese und ähnliche Fälle vom späteren Aden- dann kam die überraschende Wiedervereinigung Öster- auer-Staatssekretär Globke liefern. reichs mit Deutschland, der Fritsch-Prozess wurde da- Dann aber geht Heydrich zu Massnahmen über, die er nach hastig und oberflächlich abgespult, Himmler und zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen Tsche- Heydrich waren endgültig gerettet und konnten ihre chen und Deutschen zu treffen gedenkt. Die Hinrichtun- Machtpositionen nicht nur halten, sondern noch weiter gen gelten Intellektuellen und Politikern, die zu den festigen und ausbauen. Kreisen der nach England emigrierten früheren Regie- Reinhard Heydrich erlangt vier Wochen nach dem Be- rung der ÖSR gehören; es sind Menschen, die entweder ginn des Krieges gegen Polen, am gleichen Tag, als im Volk kaum bekannt oder aber unbeliebt sind. Warschau kapituliert, die grösste Machtfülle, die je- Die von Heydrich angekündigten positiven Massnah- mand im Dritten Reich nur haben kann, wenn man men aber betreffen die breiten Massen des tschechi- von der rein militärischen Macht absieht. Am 27. Sep- schen Volkes, die Heydrich damit von der früheren Füh- tember 1939 wird das «Reichssicherheitshauptamt» ge- rung und einer eventuellen Widerstandsbewegung zu gründet, das RSHA. Chef dieser nahezu allmächtigen trennen versucht: Lohnerhöhungen für die Arbeiter in Einrichtung wird Heydrich. wichtigen Betrieben, Erhöhungen der Lebensmittel- Zum RSHA gehören alle Dienststellen, die sich in rationen, Anwendung aller in Deutschland eingeführ- irgendeiner Weise mit Sicherheitsfragen zu beschäfti- ten fortschrittlichen Sozialgesetze auch für tschechische gen haben. Darunter sind etwa die Gestapo, die Sicher- Arbeiter, Erhöhung der gesetzlichen Urlaubstage, Dif- heitspolizei, die gesamte «normale» Kriminalpolizei ferenzierung der Ablieferungspflicht in der Landwirt- – das Reichskriminalamt unter Arthur Nebe –, schaft – grössere Betriebe werden mehr, die zahlenmäs- Grenzpolizei und Zoll, der von Heydrich selbst auf- sig viel stärkeren kleineren Bauern weniger belastet.

404 Jan und Josef

Und Heydrich spricht auch von einer grösseren Sou- Sie haben den konkreten Auftrag, Heydrich zu ermor- veränität der tschechischen Regierung, von der Förde- den. Nur wenn ihnen das trotz aller Anstrengungen rung der tschechischen Kultur, von Volksbildung, nicht gelingen will, soll der Staatssekretär der deut- Unterricht und Erziehung der tschechischen Jugend im schen Protektoratsverwaltung, Karl Hermann Frank, das Geist der grossen Vergangenheit und der neuen Zu- Opfer sein. kunft des unter Deutschlands Führung vereinten Euro- Jan Kubis und Josef Gabcfik sind in England gründ- pas. Das Ergebnis dieser Politik ist, dass in Böhmen und lich auf ihre Aufgabe vorbereitet worden. Sie wissen, Mähren der ohnehin nur schwache Widerstand weiter- was sie zu tun haben. Und sie werden ihren Auftrag er- hin keine Fortschritte macht. Das «Protektorat» er- füllen. scheint selbst manchem «Reichsdeutschen», wie man zu Nachdem sie mit Fallschirmen auf heimatlichem Boden jener Zeit sagt, als eine sichere Insel im stürmischen gelandet sind, versuchen sie auftragsgemäss, mit der Meer des Krieges. Widerstandsbewegung Kontakt aufzunehmen. Sie glau- Um diese für den tschechischen Widerstand und die ben, dass mindestens jeder zweite Tscheche ein Wider- tschechische Exilregierung in London gefährliche «Ver- standskämpfer ist, und sie ahnen gar nicht, welche Ge- söhnungspolitik» zu durchkreuzen, beschliesst man fahr ihnen aus dieser in England eingeimpften Überzeu- hier, den Stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard gung entstehen kann. Jedem, dem sie begegnen, erzäh- Heydrich durch ein Attentat zu beseitigen. Dadurch len sie, wer sie sind, und sie sind entsetzt darüber, dass will man die Deutschen herausfordern und zu Mass- ihnen überall die Tür gewiesen wird. nahmen gegen die tschechische Bevölkerung veranlas- Doch das Glück ist mit ihnen. Die Leute schütteln sen, die das geeignetste Mittel sind, den Widerstand zu zwar über die beiden Jungen den Kopf, aber dennoch aktivieren. werden sie von niemandem verraten. Mit der Exil- Auch die britische Regierung Churchill ist damit ein- regierung in London will kaum jemand etwas zu tun verstanden, dass man die Deutschen im «Protektorat» haben, auch nicht als Denunziant. Im «Reichsprotek- dazu bringen muss, möglichst hart gegen die Tschechen torat» kennen die Menschen das Sprichwort, das da vorzugehen. Nach dem Krieg hat ein Engländer die heisst: «Was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss!» Gründe für das Attentat in genau diesem Sinn klassisch Schliesslich gelangen die beiden nach Prag und finden kurz dargelegt. nach manchem mehr als glücklichen Zufall Kontakt zu Der King’s Council – «Königliche Rat» –, Jurist, einer Widerstandsgruppe. Mit den neugewonnenen Marineoffizier Seiner Majestät und Unterhaus-Abge- Freunden gehen sie daran, das befohlene Attentat auf ordnete der sozialistischen Labour Party R. T. Paget Heydrich vorzubereiten. Es werden viele Möglichkeiten verteidigt den deutschen Generalfeldmarschall Erich erwogen, eine ganze Anzahl durchexerziert, bis zum von Manstein vor einem britischen Kriegsgericht. Paget Schluss nur eine einzige als erfolgversprechend übrig- erklärt zu den wegen der Partisanenbekämpfung in bleibt. Russland gegen Manstein erhobenen Anklagen, dass Die günstigste Gelegenheit für ein Attentat, so haben viele der Partisanenaktionen eigens zu dem Zweck Jan und Josef nach langen Versuchen festgestellt, bie- unternommen wurden, möglichst viele sowjetische Bür- tet sich, wenn Heydrich von seinem Wohnort Jung- ger deutschen Vergeltungsaktionen auszusetzen. Und fern-Breschau morgens nach Prag in sein Büro im Hrad- als ein den Engländern und damit auch dem britischen schin fährt. Im Vorort Holleschowitz muss Heydrichs Militärgericht bekanntes Beispiel führt der Labour-Ab- Wagen unmittelbar nach einem Gefälle eine extrem geordnete wörtlich an: scharfe Rechtskurve nehmen. Der Mercedes muss dabei «Die Partisanen provozierten oftmals Vergeltungs- bis auf Schrittempo herunterbremsen. massnahmen, um dadurch den Hass gegen die Besat- Nicht nur das. An dieser Stelle befindet sich auch eine zungsmacht zu schüren und dadurch wiederum mehr Strassenbahn-Haltestelle, die für die Bahnen beider Mitglieder für die Widerstandsbewegung zu gewinnen. Richtungen gilt. Hier an dieser Ecke stehen stets Men- Nicht anders haben wir [die Engländer] spekuliert, als schen, die auf ihre Tram warten. Und Heydrich ist ein wir eine Gruppe von Leuten in die Tschechoslowakei pünktlicher Mensch, der zur selben Zeit in seinem Büro hineinflogen, um Heydrich zu ermorden. Die Wider- erscheint wie die Prager in den ihren. Heydrichs Mer- standsbewegung war das direkte Ergebnis der auf Heyd- cedes kommt also genau dann an dieser Strassenecke richs Tod folgenden SS-Vergeltungsmassnahmen.» vorbei, wenn Dutzende von Menschen dort herum- Darum werden im Dezember 1941 zwei junge Tsche- stehen. Zwei Attentäter fallen in dieser Menschen- chen mit einem britischen Flugzeug nach Böhmen ge- ansammlung nicht auf. Hier können sie beliebig lange flogen und dort nächtlich mit Fallschirmen abgesetzt. warten, ohne dass sie verdächtig wirken.

405

Widerstand im Osten Mehrmals sind sie die Strecke abgegangen, haben auch Erst hinter Josef steht Jan, schon in der Strasse, die mehrmals Heydrichs Wagen beobachtet, der jeden zur Troja-Brücke über die Moldau führt. Jan hat eine Morgen zur gleichen Stunde den Berg herunterkommt, Art Handgranate, besser eine kleine Bombe mit Zeit- in der scharfen Kurve an den Strassenbahnhaltestellen zünder, bei sich. Die Bombe ist mit einem hochbrisan- fast auf Schrittempo herunterbremst und dann ein ten britischen Spezialsprengstoff gefüllt. Es ist der glei- Stück weiter unten über die Moldaubrücke in der che Sprengstoff, der ein Jahr später von dem Münchener Innenstadt verschwindet. Die Zeit, die der Wagen von Rechtsanwalt und Reserveoffizier von Schlabrendorff seinem Auftauchen an der Bergkuppe bis zu der Kurve auf dem Feldflugplatz von Smolensk an Bord von braucht, ist genau gestoppt worden. Hitlers Flugzeug geschmuggelt wird, der gleiche Am 27. Mai 1942 ist es soweit. Um halb zehn Uhr Sprengstoff, den zwei Jahre später der Oberst Graf von stehen Jan und Josef an der Strassenbahnhaltestelle auf Stauffenberg in seiner Aktentasche zur Lagebespre- der Innenseite der Kurve. Beide haben sie ihre Fahr- chung mit ins Führerhauptquartier nimmt. räder an die Mauer eines Vorgartens an der Strassen- Jan soll nur im Notfall mit seiner Spezialbombe ein- ecke gestellt. Mit den Fahrrädern wollen sie anschlie- greifen. Er glaubt kaum, dass das notwendig sein wird. ssend flüchten. Denn was sollte schiefgehen? Josef kann bei dem lang- Zwei Helfer sind noch dabei, der eine steht, für Jan samen Tempo des Wagens von Heydrich in aller Ruhe und Josef unsichtbar, hinter der Berghöhe, der zweite zielen, und er wird dabei fast auf Armlänge an den dort, wo die abschüssige Strassenecke beginnt. Der erste Wagen herankommen. Denn die inneren Strassenbahn- Helfer signalisiert dem zweiten, wenn in der Ferne schienen kommen wegen der engen Kurve direkt bis Heydrichs Wagen auftaucht, der zweite gibt dieses an die Kante des Bürgersteiges heran, die äusseren sind Signal an Josef weiter, der direkt im Scheitelpunkt der nur um diese Schienenbreite vom Bürgersteig entfernt. Kurve steht. Ein Kraftfahrer, der den Berg herunterkommt und Josef trägt eine britische Maschinenpistole bei sich. Die nach rechts abbiegt, muss direkt am Bürgersteig ent- Waffe wird verdeckt durch den Trenchcoat, den Josef langfahren, weil er ja nicht wissen kann, ob nicht aus scheinbar lässig über den rechten Arm geworfen hat. der Richtung der Troja-Brücke eine Strassenbahn ent-

Rechte Seite, rechts: «Im Namen des Deutschen Volkes» wurde der tschechische Widerstandskämpfer, der Schriftstel- ler Julius Fucik, mit zwei Mitkämpfern vom Berliner Volks- gerichtshof am 25. August 1943 zum Tode verurteilt. Im Gefängnis schrieb er seine letzten Zeilen an die Über- lebenden: «Um eines bitte ich: Ihr, die Ihr diese Zeit über- lebt, vergesst nicht. Vergesst die Guten nicht und nicht die Schlechten. Sammelt geduldig die Zeugnisse über die Gefal- lenen. Eines Tages wird das Heute Vergangenheit sein, wird man von der grossen Zeit und von den namenlosen Helden sprechen, die Geschichte gemacht haben. Ich möchte, dass man weiss: dass es keinen namenlosen Helden gegeben hat, dass es Menschen waren, die ihren Namen, ihr Gesicht, ihre Sehnsucht und ihre Hoffnungen hatten, und dass deshalb der Schmerz auch des letzten unter ihnen nicht kleiner war als der Schmerz des ersten, dessen Name erhalten bleibt. Ich möchte, dass sie Euch alle immer nahe bleiben, wie Bekannte, wie Verwandte, wie Ihr selbst.» Nach dem Attentat auf Reinhard Heydrich heisst es in dem Blitzfernschreiben (rechte Seite, links) Heinrich Himmlers an Karl Frank: «Unter den befohlenen 10’000 Geiseln sind in erster Linie die gesamte oppositionelle tschechische Intelli- genz zu verhaften – Von den Hauptgegnern aus dieser tschechischen Intelligenz sind heute nacht bereits die hundert wichtigsten zu erschiessen.» 406

Es ist genau 10.27 Uhr gegenkommt. Und doch scheint etwas schiefzugehen. Jan sieht, wie Josef hart an die Bürgersteigkante springt. Heydrich kommt nicht. Es ist bereits zehn Uhr, und Er wirft mit einer heftigen Bewegung seinen Regen- noch ist der Mercedes des «Reichsprotektors» nicht zu mantel auf die Strasse, und bringt die MP in Anschlag. sehen. Um diese Zeit betritt Heydrich sonst schon sein In diesem Moment rattert von hinten eine Strassenbahn Arbeitszimmer auf der Prager Burg. an Josef vorbei, die Bremsen quietschen, die Bahn hält Allmählich werden Jan und Josef unruhig. Bald stehen unmittelbar vor der Kurve an. Einige Leute steigen aus. sie schon eine Dreiviertelstunde an der Haltestelle. Und das könnte nicht nur einem besonders aufmerk- Da biegt der feldgraue Mercedes um die Kurve, auf samen Menschen auffallen, sondern auch einem ganz Josef und Jan zu. Das Verdeck des Kabrioletts ist zu- gewöhnlichen Fenstergucker aus einem der umliegen- rückgeschlagen, denn die Maisonne scheint warm auf den Häuser könnte auffallen, dass da seit geraumer die Goldene Stadt Prag hernieder. Heydrich sitzt vorn Zeit zwei Männer stehen, die absichtlich jede der vor- neben seinem Fahrer, Oberscharführer Klein. beikommenden Strassenbahnen vorbeilassen, ohne ein- Oberscharführer Klein tritt auf die Bremse, als er plötz- zusteigen. lich direkt in der Kurve den Mann sieht, der eine Ma- Es ist genau 10.27 Uhr. Da sieht Jan, wie sein Freund schinenpistole auf Heydrich und ihn richtet. Der Merce- Josef angespannt um die Ecke den Berg hinaufschaut. des kommt auf den gebogenen, glatten Schienen ein we- Dann dreht er sich zu Jan um, macht eine schnelle, nig ins Schlingern, doch Klein kann ihn gleich wieder winkende Kopfbewegung. Er hat das Zeichen erhalten, abfangen. dass Heydrichs Wagen sich nähert. Dass Heydrich heute Jan starrt wie gebannt auf Josef. Warum schiesst er deshalb später kommt, weil er nicht im Hradschin arbei- nicht, zum Teufel? ten, sondern nach Berlin fliegen will, ahnen die beiden «Josef! Josef!» schreit er voll Verzweiflung. nicht. Josef nestelt mit wilden Bewegungen an der Maschinen- Jan sieht, wie Josef auch den linken Arm unter den pistole herum. Mantel steckt. Jetzt entsichert er die Maschinenpistole, Doch kein Schuss löst sich. Jetzt ist Heydrichs Wagen denkt er. schon neben Jan, fährt vorbei. Jan sieht wie in einem

407 Widerstand im Osten

Der slowakische Partisanenkampf 1944/45

Das 75. Jubiläum des slowakischen Partisanenaufstandes tärische Nbtwendigkeiten entstanden, örtlich bedingte Par- wurde kürzlich in der Slowakei mit grossem Aufwand ge- tisanenaktionen waren, sondern eine von der KPT schon im feiert. Die prachtvollen militärischen und politischen Pa- Voraus sorgfältig geplante und durchgeführte kommuni- raden fanden vor allem in Banskä-Bystrica, auf dem stische Massenbewegung. Und damit verliess man entschie- Dukla-Pass und in Pressburg statt. Nicht ohne Grund: Der den den Boden der historischen Tatsachen. Wenn seinerzeit Aufstand brach seinerzeit in Banskä-Bystrica aus, dessen eine ernste Planung überhaupt vorhanden war, dann nur Umgebung während der ganzen Zeit das Zentrum des Par- beim sowjetischen Generalstab, der aber auch die besten tisanentums blieb; beim Dukla-Pass waren die Einheiten Aktionspläne den örtlichen militärischen Gegebenheiten und des «tschechischen Befreiungskorps», welches in der UdSSR Erfordernissen von Tag zu Tag anpassen musste. während des Zweiten Weltkrieges auf gestellt war, an der Tatsache ist, dass sich unter Führung guter russischer Par- Seite der Roten Armee eingesetzt. Militärisch war dies mehr tisanenoffiziere und Generalstäbler ein paar tausend Slo- eine symbolische Geste, weil das Korps sowohl seiner Zahl waken damals zu den Partisanen schlugen. Ihre Zahl war wie auch seiner Kampf tüchtigkeit nach keine grosse Bedeu- grossen Schwankungen ausgesetzt, je nach Wetter, Verpfle- tung hatte. In der Karpatho-Ukraine dagegen, die von der gung und Gefahr. In ihren Reihen gab es gewiss viele über- Sowjetunion annektiert wurde, konnten im Herbst 1959 zeugte Kommunisten, aber auch enttäuschte und erschrok- von tschechisch-slowakischer Seite keine Erinnerungsfeier- kene Nationalisten, welche die späteren politischen Ent- lichkeiten abgehalten werden. In Bratislava dagegen wur- wicklungen fürchteten oder sich während der deutschen den grössere Veranstaltungen durchgeführt, weil diese ur- Besetzung und im ungarischen Landesteil durch Kollabora- alte, ehemalige ungarische Krönungsstadt erstens immer tion kompromittiert hatten. Es waren auch viele gute Pa- die Hauptstadt der Slowakei war, zweitens zur besagten Zeit trioten und Idealisten unter den Partisanen, die ihr Leben für Sitz der sogenannten «unabhängigen Regierung» war. Dar- die Sache der unabhängigen Tschechoslowakei ohne Zögern über hinaus gab es keine Ortschaft im Land, wo nicht eine ört- hingaben. liche Feier abgehalten worden wäre. Fünfzehn Jahre nach der letzten Schlacht kann natürlich Mehr als zwanzig Sowjetgenerale bereisten mit verschie- eine Partei, die hierzu alle Macht und Propagandamittel denen Gastab Ordnungen Ende August die Slowakei. Viele besitzt, die Geschichte umgruppieren und umdeuten, wie von ihnen waren seinerzeit aktiv an den Partisanenkämp- dies ihren Interessen am besten entspricht. Da bisher über fen in der Slowakei beteiligt gewesen. In ihrer Begleitung dieses Kapitel des Zweiten Weltkrieges im Westen wenig befanden sich zahlreiche ehemalige Polit-Offiziere der Parti- publiziert worden ist, soll im Folgenden ein Bericht über saneneinheiten, die damals ebenfalls in der Slowakei einge- die militärische Seite des Aufstandes gegeben werden, der setzt waren und seither zu hohen Posten in der Sowjetarmee sich in der Hauptsache auf Unterlagen des damaligen un- aufgestiegen sind. garischen Generalstabes und des Budapester Aussenmini- Das Zentralkomitee der tschechischen KP in Prag war seit steriums stützt, die im Allgemeinen über die Verhältnisse in Anfang des Sommers 1959 bemüht, einen neuen Mythos der Slowakei besser unterrichtet gewesen sein dürften als die aufzubauen. Die politischen Grundmotive der eingeleiteten betreffenden deutschen Stellen. Umdichtung der Historie wurden bald sichtbar. Die Be- Nachdem 1943 und erst recht 1944 die Ostfront der Ach- deutung der ehemaligen slowakischen Partisanenbewegung senmächte mehrfach durchbrochen und immer weiter zu- musste zuerst enorm vergrössert und so hingestellt werden, rückgedrängt wurde, hatte die UdSSR natürlich eminente als ob das gesamte slowakische Volk daran beteiligt gewesen Interessen, in der Tschechoslowakei bzw. in der Slowakei wäre. So wurde retrospektiv der Mythos des «slowakischen Partisanenbewegungen ins Leben zu rufen. Und was im NationalaufStandes» geboren. tschechischen Land im grösseren Massstab nie gelang, war Um die Russen damit nicht vor den Kopf zu stossen, wurde im slowakischen Gebiet von einigem Erfolg gekrönt. Zu- die Rolle der sowjetischen Partisanen- und Polit-Offiziere erst wurden hier mit Fallschirmen sowjetische Partisanen- gebührend – und wahrheitsgetreu – gerühmt. Durch diese und Polit-Offiziere abgeworfen, denen es im August 1944 Umwertung wurde aber die entscheidende, tatsächliche Mit- gelang, eine Widerstandsbewegung von Banskä-Bystrica wirkung der grossen, regulären Formationen der Roten (ungarisch: Besztercebänya) aus zu starten und die Flamme Armee, die die einzigen und wirklichen Befreier der Slo- des Partisanenkampfes bald auch in anderen slowakischen wakei waren (nebst unbedeutenden bulgarischen und rumä- Gebieten zu entzünden. Mit dem Herannahen der sowje- nischen Einheiten) in den Hintergrund geschoben. Ob dem tisch-deutschen bzw. der ungarisch-sowjetischen Fronten russischen Generalstab eine solche Entstellung gefällt oder wurden immer mehr Partisanen und Kriegsmaterial mit nicht, bleibt vorläufig eine unbeantwortete, aber interessante russischen Transportflugzeugen in der Slowakei abgesetzt, und wichtige Frage. um hinter den ungarischen und deutschen Linien Unruhe In der Prager KP-Zentrale ging man noch weiter und liess zu stiften und militärische und industrielle Sabotage zu Hunderte von Berichten und Zeitungsartikeln nach Mass betreiben. Zu dieser Zeit kamen auch tschechische Parti- abfassen, um der heutigen tschechisch-slowakischen Gene- sanen; auch ehemalige ungarische Kriegsgefangene und De- ration zu beweisen, dass der «slowakische N ationalauf- serteure wurden nach einer Antifa-Ausbildung mit russi- stand» keine Kette von Zufällen, durch momentane mili- scher Ausrüstung und unter Führung von Sowjetoffizieren

408 Aufstand in der Slowakei abgeworfen. Ihre Partisanenausbildung war im Raum Kiew gelang es dagegen den Partisanen, festen Fuss zu fassen, in Schulungslagern erfolgt. und die Nordslowakei kam fast ganz unter ihre Kontrolle. Die deutsche Wehrmacht und die ungarische Armee haben Kezmarok (Kesmärk), Poprad (Popräd), Levoca (Löcse) damals ihr Informationsmaterial ununterbrochen mitein- und Spisskä Nova Ves (Iglo) blieben in deutscher Hand. ander verglichen. Es wurden Tausende von Gefangenen, Nach amtlicher deutscher Schätzung betrug zu dieser Zeit slowakischen Überläufern, tschechischen und russischen De- die Zahl der slowakischen Partisanen ungefähr 35'000 Mann. serteuren verhört, erbeutete Dokumente, geographische In den von Ungarn verwalteten frontfernen slowakischen Ge- Karten überprüft. Der Verfasser hatte als Verbindungs- bieten machte sich keine Partisanentätigkeit bemerkbar. offizier zwischen ungarischen und deutschen Stellen Ein- blick in dieses Material, das nicht zur Veröffentlichung be- Im September und bis Mitte Oktober verursachten die stimmt und daher von propagandistischen Verfälschungen Partisanen in der Slowakei und im Karpatengebiet viel frei war. (In der beigegebenen, nach authentischen ungari- Unannehmlichkeiten. Man muss jedoch zwischen den russi- schen Unterlagen gezeichneten Kartenskizze sind die mei- schen und den slowakischen Partisanen unterscheiden. Ende sten Namen in der ungarischen Form eingetragen, weshalb Oktober 1944 betrug die Zahl der im Karpatengebiet täti- sie auch im Folgenden jeweils in Klammern angegeben gen russischen Partisanen lediglich 1500. Ihre Ausrüstung werden, ohne dass damit etwas über den nationalen Cha- und Bekleidung liess sehr zu wünschen übrig, aber ihr rakter der betreffenden Gebiete gesagt sein soll.) Kampfgeist war hervorragend, östlich von Uzhorod (Ung- Die ersten deutschen Säuberungsmassnahmen setzten in der vär) kämpften etwa eintausend, östlich von Muchacevo Slowakei am 10. August 1944 ein. Die damals noch un- (Munkäcs) nur etwa fünfhundert russische Partisanen mit bedeutende Partisanenbewegung bedrohte in diesen Wo- bemerkenswertem Erfolg. In der zweiten Hälfte Oktober chen hauptsächlich die deutschen Nachschublinien. Die 1944 kämpften in der Mittelslowakei ungefähr zwanzig durch deutschen Truppen kämpften zunächst folgende Eisenbahn- Säuberungsaktionen sehr erschöpfte slowakische Partisanen- linien frei: Bratislava (Pressburg, ungarisch: Pozsony)– bataillone, welche nur dem Namen nach Bataillone waren. Trencin (Trencsen)–Zilina (Zsolna); Hloliavec (Galgoc)– Mitra (Nyitra); Kosice (Kassa)–Spisskä Nova Ve's (Iglo). Die deutschen Säuberungsaktionen in der Slowakei er- In den Tälern der Flüsse Vah (Vag) und Hron (Garam) streckten sich auch auf das Gebiet nördlich Rimavska-So-

Die slowakischen Partisanenverbände wurden durch die erfolgreichen deutschen Säuberungsaktionen Ende 1944 so er- heblich geschwächt, dass sie die Kämpfe der regulären Einheiten auf russischer und deutsch-ungarischer Seite teilweise «nur als Zuschauer» verfolgen konnten. Der russische Angriff erfuhr aber durch eigene Diversionskämpfer und die stei- gende Zahl der slowakischen Überläufer Unterstützung.

409 Widerstand im Osten bota (Rimaszombat). Wegen der Gefahr eines deutschen An der ungarischen Front griffen die Russen im Laufe der Angriffs von zwei Seiten zogen sich die Partisanen aus Wintermonate stets mit Übermacht, aber mit wechselnder dem Gebiet von Modry-Kamen (Kekkö), Nusta (Nyusta) Schwerpunktverlagerung an. An dem nordöstlichen ge- und Tomasovce (Losonctamäs) in die Ostslowakei zurück. birgigen Frontabschnitt, zwischen Kosice (Kassa) und Lu- Auch aus dem Osten hörte das Einsickern der Partisanen cenec (Losonc), konnten die Sowjets nur etwa 20 km vordrin- auf. Die drohende Gefahr eines Angriffs der slowakischen gen, und der Verlust von Kosice, Presov (Eperjes) und Barde Partisanen aus der Richtung Krupina (Korpona), Sahy jov (Bärtfa) war weniger dem Erfolg der Angreifer als der (Ipolysäg) und Väc konnte als abgewehrt angesehen werden. Zwangslage der Verteidiger zuzuschreiben. Jedoch, so nahm man bei den zuständigen Kommandos an, Am 6. Januar 1945 begann südlich der Donau aus dem würde ihre Tätigkeit im Raum Roznava (Rozsnyo)– Kosice Sammelgebiet zwischen Veszprem und Komarno (Komä- (Kassa)–Trebusa (Töketerebes) bald auf leben. So geschah es rom) ein deutsch-ungarischer Angriff in Richtung Buda- auch in den folgenden Herbstwochen. pest. Darauf antwortete die sowjetische Heeresleitung mit In den Nordkarpaten wurde der Druck der regulären so- einer schweren Entlastungsoffensive, ausgehend von den wjetischen Streitkräfte Anfang November 1944 immer Hron (Garam)-Brückenköpfen, in Richtung Nove-Zämky stärker, besonders an den Dukla-, Lupkov- und Ciroka- (Ersekujvär). Die Kämpfe im Viereck Levice (Leva)– Eszter- Pässen. Doch blieben alle Angriffe bis dahin ohne Erfolg. gom–Komarno (Komärom)–Nove-Zamky (Ersekuivar) wur- Im Raume Uzok (Uzsok) und Verecke (Verecke) folgten den mit wechselnder Stärke fortgesetzt. Die slowakischen Par- die russischen Armeeformationen eng den sich zurückzie- tisanen fungierten dabei sozusagen nur als Zuschauer, die das henden ungarischen Truppen. Das russische Oberkommando Ringen der regulären russischen, ungarischen und deutschen zog im Raume Uzhorod (Ungvär) und Cop (Csap) vom Einheiten betrachteten. Süden her viele Truppen zusammen. Wie erinnerlich, um- Auch der am 20. Dezember 1944 nordwestlich von Szekes- gingen die Russen die ganzen Karpaten und rollten die fehervär begonnene russische Angriff hatte Erfolg, doch dortige Front von rückwärts auf. Bei Nyiregyhäza, in gelang es der deutsch-ungarischen Verteidigung, ihn ab- Nordost-Ungarn, konnten zwar die ungarischen Truppen zubremsen, bevor die Russen an einen Durchbruch nach eingeschlossene russische Einheiten vernichten, doch die So- Wien denken konnten. Am 6. Januar 1945 ergriffen die wjets schickten neue Truppen. Nördlich von Debrecen grif- deutsch-ungarischen Streitkräfte südlich Komarno (Komä- fen die Russen ebenfalls heftig an, so dass der ungarische rom) sogar die Initiative und begannen einen neuen Be- Generalstab gezwungen war, die ungarische Front sowohl freiungsangriff in Richtung Budapest, doch erlitt dieses Un- in Süd-Siebenbürgen als auch in der Ostslowakei zurück- ternehmen im Vertes- und Pilis-Gebirge das gleiche Schicksal zunehmen. Hier überall, wo starke Divisionen gegen zahl- wie der oben erwähnte gegen Wien gerichtete russische An- reiche russische Divisionen im Kampf standen, bot sich keine griff. Gelegenheit für slowakische Partisanen, sich zu bewähren. Im slowakischen Raum war damals die 4. Ukrainische Front (Heeresgruppe) eingesetzt, deren Operationsgebiet Im Übrigen hatte die in der Slowakei gegen die Partisanen im Norden bis östlich Kezmarok (Kesmärk) und nördlich gerichtete deutsche Säuberungsaktion zweifellos Erfolg. Die Bardejov (Bärtfa), im Süden bis südlich Spisskä Nova Ve‘s Deutschen eroberten die kostbaren Kriegsmateriallager am (Iglo), südlich Kosice (Kassa) und nordöstlich Sätoraljauj- Hron (Garam) und den Flugplatz Tri-Duby. Die Aufstän- hely reichte. Dieser sowjetischen Heeresgruppe waren fol- dischen wichen aus und zogen sich in die Dolny-Tatra- gende grosse Formationen unterstellt: (Alacsony-Tätra)Gebirge und Slovenska-Krusni-Hori (Gö- 1. sowjetische Gardearmee, bestehend aus neun Schützen- mör-Szepesi-Erchegyseg) zurück. Von zwanzig slowaki- divisionen und zwei Kavalleriedivisionen. Charakteristisch schen Partisanenbataillonen gerieten zehn mit ihrem ge- dafür, wie abgekämpft damals diese Streitkräfte waren, ist samten Kriegsmaterial in deutsche Kriegsgefangenschaft. die Tatsache, dass die ganze Elite-Armee insgesamt nur etwa Die Stärke der übrigen Bataillone betrug noch etwa 9'000 70 brauchbare Panzer hatte. Mann, die ohne Begeisterung kämpften. Viele von ihnen de- 18. sowjetische Armee, bestehend aus 22 russischen Schüt- sertierten. zendivisionen, mit insgesamt etwa 75–80 Panzern und sehr Zugleich mit einem schwungvollen russischen Angriff im wenigen Motorfahrzeugen. Gebiet jenseits der Donau in Ungarn setzte die sowjetische Südlich schloss die 3. Ukrainische Front (Heeresgruppe) in Kriegsführung ihre Operationen aus dem Raume Sahy Ungarn an, bestehend aus der 40. Armee, 27. Armee, 53. Ar- (Ipolysäg) heraus in der damals noch ungarisch verwalte- mee und der 7. sowjetischen Gardearmee. ten Südslowakei fort. Am 29. Dezember 1944 waren die Rus- Für die deutsche politische und militärische Führung sank sen bis zum Fluss Hron (Garam) vorgedrungen und hatten die Bedeutung der Slowakei Tag für Tag; in den Plänen des entlang dem Fluss einige kleinere Brückenköpfe gebildet. Die deutschen Generalstabes spielte sie bald nur noch als Opera- deutsche Führung konnte oder wollte keinen grösseren Ge- tionsgebiet eine Rolle. genangriff durchführen. Stattdessen musste sie das genugsam Die Slowakei war nie ein nennenswerter militärischer bekannte Flickwerk fortsetzen. Faktor gewesen. Der deutschfreundlichen Pressburger Re- Die Erfolge der grossen sowjetischen Winteroffensive mach- gierung war es wegen der Unzuverlässigkeit der Bevölke- ten es unvermeidlich, dass sich die ungarisch-deutschen rung nie gelungen, die verkündete «Domobrana» (Heimat- Kräfte in der Ostslowakei weiter nach Westen zurückzogen. schutz) zu organisieren. Das nur wenige Bataillone zäh-

410 Aufruf zum Barrikadenbau lende slowakische Heer war eine Truppe, die in dem erbitter- In den ersten Tagen des April 1945 begannen die Sowjets ten Weltenringen nicht mitzählte. mit Truppenverschiebungen in nordwestlicher Richtung, ob- Die slowakische Regierung hatte auf dem Papier zehn wohl damals die Einheiten der 2. Ukrainischen Front auch Jahrgänge mobilisiert, aber das sowjetische Vordringen auf nach der Tschechoslowakei verlegt worden waren. Von der slowakischem Staatsgebiet verminderte von Tag zu Tag die 3. Ukrainischen Front, deren Truppen im nördlichen Ju- «Zahl der dienstfähigen männlichen Bevölkerung. Die kriegs- goslawien, in Westungarn und in Ost-Österreich lagen, fähigen Männer wurden in Pressburg zu Befestigungsbauten drückte das Oberkommando die 53. und 27. Sowjetarmee, herangezogen. anstatt mit diesen gegen Westen anzugreifen, gegen Nor- Die Zahl der Partisanen hingegen wuchs wieder infolge den. Im südlichen Teil muss man schon mit der deutschen der russischen Erfolge, da es für jedermann ersichtlich Frontauflösung gerechnet haben, sonst hätte man nicht so wurde, dass das Überlaufen mit immer weniger Gefahr gehandelt. Das Schicksal der Slowakei war in diesen Tagen verbunden war. Das heisst, genau genommen wuchs die Zahl ebenfalls endgültig besiegelt. Aus den slowakischen Parti- der an die russische Armee angeschlossenen slowakischen sanen, deren militärische Bedeutung, wie oben dargelegt, Soldaten, während die Zahl jener, die auch weiterhin in Par- ziemlich problematisch war, sind nun «Befreier» geworden, tisanenverbänden kämpften, auf 13’000 Mann gesunken war. die ihren Anteil an der Errichtung und Führung des neuen Staates gefordert haben. Die zahlenmässige Verteilung der Partisanen hinter der deut- schen Front in der Slowakei sah im Januar 1945 folgender- (Ladislas Hory, in: Osteuropa H. 9., 1959) massen aus (vgl. die Karte): Im Raume Zlate – Moravce (Aranyosmarot) etwa 1‘000 Mann', zwischen Kremnic (Körmöcbänya) und Banska-Stia- vnica (Selmecbänya) etwa 2‘000 Mann; zwischen Banskä-Bystrica (Besztercebänya) und Breznonad Die Nacht der Barrikaden Hron (Breznöbänya) etwa 3‘500 Mann; im Raume Ruzomberok (Rozsahegy) etwa 1‘200 Mann; östlich von Podhradim (Arvaväralja) 1‘000 Mann; Noch bei Tageslicht werden am 5. Mai in Prag die ersten nördlich Koharyhäza und in Vernar etwa 1‘500 Mann; aus- Barrikaden errichtet. An vielen Stellen sind es eigentlich serdem Gruppen von 100-200 Mann bei Jablonec (Jablänc) nur Hindernisse, die den Kämpfern Schutz vor dem Be- Miava (Miava), östlich Trencin (Trencseny), nordöstlich Zi- schuss geben sollen. Vor allem die Prager Vorstädte begin- lina (Zsolna), nördlich Malinee (Mälnapatak). Der Verlauf nen mit dem Barrikadenbau, die Bewohner jenes Teils der damaligen russischen Front ist auf der Karte eingetragen. Prags, die schwere körperliche Arbeit verrichten. Das Die slowakische Regierung in Pressburg suchte ihre mili- tschechische Volk besitzt keine so reiche Tradition an be- tärische und aussenpolitische Handlungsunfähigkeit durch waffneten Strassenkämpfen in den letzten hundert bis Säuberungsmassnahmen zu verdecken. In deren Verlauf hundertfünfzig Jahren wie manche anderen europäischen wurden die öffentlichen Beamten, die an dem Aufstand im Volker. Die letzten Barrikaden haben die Prager Strassen August des Jahres 1944 teilgenommen hatten, verfolgt. vor fast hundert Jahren gesehen, in den Revolutionsstür- Doch auch die slowakische Schattenregierung vertraute men des Jahres 1848. Der Intellekt des Volkes wird aber nicht auf die Festigung der deutschen Verteidigung der nicht nur von der eigenen Tradition, sondern auch von den Slowakei. Sie bereitete die Übersiedlung ins Reich vor. Ihre Erfahrungen anderer Völker beeinflusst. Der Kampf um innenpolitischen Schwierigkeiten versuchte sie zu bemän- die Befreiung der Stadt muss die grösste und wirksamste teln, indem sie eine ungarnfeindliche Stimmung propagier- Hilfe gegen den grausamen und starken Feind erhalten, te. Es war den Ungarn verboten, ihre geflüchteten Ange- und so erstehen in den Prager Strassen nach langen Jahr- hörigen zu unterstützen, ungarische Komponisten durften zehnten wiederum Barrikaden. öffentlich nicht gespielt werden, die Radioapparate der Un- Die revolutionären Elemente im Tschechischen National- garn wurden beschlagnahmt. Der Führer der Ungarn in der rat entfachen die Initiative der Volkskräfle und entwickeln Slowakei, Jänos Graf Eszterhäzy, dankte ab. sie weiter, sie zeigen in allgemeinen Zügen, welche Taktik Die Pressburger Regierung bemühte sich im Hintergrund, man beim Barrikadenbau anwenden muss. Die Barrikaden bei den westlichen Verbündeten die Unabhängigkeit der sollen Prag von aussen unzugänglich machen und den Feind Slowakei nach dem Kriege zu sichern. Das war ebenso eine im Innern der Stadt zusammendrängen und lokalisieren. Illusion wie die ähnlichen Bestrebungen der offiziellen Die isolierten deutschen Kräfte sollen dann so schnell wie kroatischen Regierung. Ein sprechender Beweis dafür war möglich liquidiert und Prag als Ganzes für die Verteidi- das Vorgehen der sowjetischen Behörden in dem unter gung gegen den Angriff der deutschen Einheiten, die der ihre Herrschaft geratenen slowakischen Gebiet: Die Leitung Prager Besatzung von aussen zu Hilfe kommen, vorberei- der öffentlichen Verwaltung übernahmen überall die Beauf- tet werden. Dieser Plan ist zweifellos positiv, denn nach tragten der Londoner tschechischen Exilregierung, so in Hust ihm dienen die Barrikaden dem Angriff gegen die Deut- (Huszt), Muchacevo (Munkäcs) und Uzhorod (Ungvär). schen innerhalb der Stadt, und das ist sehr wichtig. Gleich- zeitig mit dem Aufruf zum Barrikadenbau ruft der Tschechische Nationalrat in den Nachtstunden über den Prager Rundfunk zum Bau von Drahtverhauen und Hin- dernissen an den Strassen und Eisenbahnlinien in der Um-

411 Widerstand im Osten gebung Prags auf, die den Vormarsch der Deutschen auf immer mehr Menschen herbeieilten, und trotzdem herrschte die Stadt lahmlegen sollen. Das aufständische Prag wendet eine eigenartige Stille. Sie war kein Zeichen von Klein- sich an die tschechischen bewaffneten Einheiten in der Um- mut, es lag viel eher der ständige Gedanke darin, möglichst gebung mit der Forderung, augenblicklich dem Aufstand zu keine Sekunde durch überflüssiges Reden zu verlieren. Von Hilfe zu eilen und die Reihen der Aufständischen in der Zeit zu Zeit sauste es wie ein Peitschenschlag. Es waren Stadt zu verstärken. Kugeln aus dem gegenüberliegenden Haus, in dem ein Auch der Sender des Zentralrates der Revolutionären Gewerk- Deutscher verborgen war und auf uns schoss. Eigenartiger- schaftsbewegung fordert im Laufe der Nacht zur Mobilisie- weise duckten wir uns bei jedem Schuss nur ein wenig, als rung der patriotischen Kräfte auf. ob uns das hätte retten können, irgend jemand zischte einen Und das Kommando «Barto's» wird ebenfalls in den all- einsilbigen Fluch, und es wurde weitergearbeitet. So ging gemeinen Strom der Verteidigung Prags gegen den Feind es etwa drei Stunden lang, dann hörten die Peitschenschläge von aussen hineingerissen und ruft dazu auf, Strassenbahn- auf; dem Schützen war entweder die Munition ausgegan- wagen aus den Hallen zu den Stadteingängen zu entsenden, gen, oder man hatte ihn unschädlich gemacht.» um die Barrikaden zu verstärken. «Die Einwohner von Hole'sovice und Liben hatten an Die Anweisungen zum Barrikadenbau, die Aufrufe an die manchen Stellen bereits am Sonnabend Barrikaden errich- Prager Umgebung und deren Mobilisierung für den Kampf tet, andere bauten sie während der Nacht und in den gegen die vorrückenden deutschen Einheiten sind richtige Morgenstunden des Sonntags. Sie gingen mit Spitzhacken Massnahmen, die in der gegebenen Situation darauf hinaus- auf die Strasse, rissen aber die Pflastersteine auch mit blossen laufen, den Kampf der Prager Patrioten gegen die Okkupan- Händen heraus, stürzten Lastkraftwagen und Eisenbahn- ten zu verstärken. waggons um, schleppten aus den Fabriken verschiedene Es lässt sich schwer mit Worten schildern, mit welcher Be- Eisenkonstruktionen herbei, stapelten Kisten mit Schrau- geisterung die Anweisungen zum Barrikadenbau verwirk- ben, Muttern und anderem Material, rollten Pergament- licht werden. Nach Mitternacht und gegen Morgen des 6. und Rotationspapier heran, mühten sich mit Traversen und Mai sind die meisten Prager Stadtbezirke Zeugen grosser Pfosten ab. Die Eisenbahner aus Bubny versperrten die menschlicher Anstrengungen. Fast nach allem greifen die Dresdner Strasse (jetzt Argentinische Strasse) bis zum Hafen Menschen, um Schutzwälle gegen den Feind zu errichten. und Schlachthof mit Waggons. Aus all dem wurden starke Pflastersteine und Randsteine der Gehsteige werden heraus- Hindernisse gegen die deutschen Panzer aufgerichtet. Be- gerissen, Aschekästen und verschiedene Behälter, Bohlen, reits bei Sonnenaufgang war Prag abgesperrt, aus jeder klei- Balken und Säcke mit Sand und Lehm werden herbeige- nen Gasse war eine Festung des Volkes geworden, das nur schleppt, Eisen und Stücke von Maschinenanlagen, Erd- eine Losung kannte: ,Der Feind darf nicht durchkommen, es reich, Mauersteine, Schotter, Fässer, Kisten, Parkbänke, sei denn über unsere Leichen!»' Möbelstücke und anderes. Auf den Barrikaden türmen sich «Auch in Branik war das Volk der Held und das Rückgrat Hydranten, Badewannen, Schulbänke, Autos und Motor- der Aufstandstage. Das Volk baute die Barrikaden, und räder, verschiedenes Gerümpel aus Kellern und von Böden, einfache Menschen stellten sich dahinter. Die Mütter eilten Verkaufsregale, Schränke und vieles andere. Die Menschen vom Herd zum Barrikadenbau. Wer dabeigewesen ist, sah fällen Bäume, stürzen Zäune um, heben Tore und Pfeiler die Schönheit der menschlichen Seele und die Grösse dessen, aus, kippen Strassenbahnwagen, Autobusse, Lokomotiven, was in den Menschen steckt. Noch am Freitag waren es Eisenbahnwaggons, Möbel- und Kulissenwagen der Theater ganz gewöhnliche Menschen, am Sonnabend und am Sonntag um und greifen nach vielen Dingen, aus denen durch Hun- waren sie bereits ganz anders. Sie wollten alles geben, was derte Fäuste in der aufständischen Stadt Barrikaden empor- sie besassen, und es erwachte etwas in ihnen, das kämpfen wachsen. wollte und auch zu kämpfen verstand. Es war eine Kame- Das Grundmotiv dieser mächtigen Aktivität der Menschen, die radschaft, wie ich sie bei vielen früher nicht gekannt hatte. Barrikaden errichten, ist klar: Sie wollen so wirksam wie mög- Aufopfernd erwogen sie, ob der andere nicht älter sei, ob er lich ihrer geliebten Stadt im Kampf gegen den deutschen Feind nicht Frau und Kinder habe und ob sie nicht lieber selbst an zu Hilfe kommen. die gefährlichen Stellen gehen sollten.» Zum Glück haben die Erinnerungen der Menschen die «Der Berg hinter Stare Dejvice wurde zu einer geschlos- Atmosphäre dieser ruhmvollen Barrikadennacht festge- senen Gemeinschaft. Unser Apotheker kam in Offiziers- halten, und der Autor ist ihnen dankbar, dass er dem Leser mütze herbei, unser Schuster mit dem Gewehr eines deut- wenigstens durch einige Ausschnitte die Gedanken und Ge- schen Soldaten, es erschien unser klug erwägender Lehrer; fühle von Teilnehmern dieser historischen Begebenheit nahe- der Parkettleger entwickelte einen Verteidigungsplan, der bringen kann. Maler hatte Handgranaten in der Tasche. Unser Fotograf «Die erste Barrikade bauten wir beim Paradiesgarten. Die war bereit zu arbeiten und zu kämpfen, unser Milchliefe- einen rissen Pflastersteine heraus, die anderen schleppten rant brachte eine Rolle Telefondraht, die Jugend war da alles Mögliche herbei: alte Handwagen, Blechbehälter, kleine und ergraute, militärische Würdenträger mit unmilitärisch Schränke, alle möglichen Dinge, die in Tagen der Ruhe als langen Haaren. Motorräder, Autos und Lieferwagen wur- absolut unzureichend gegolten hätten, in diesen Stunden aber den beschlagnahmt... Dann begannen die Bewohner mit von Wert waren. dem Barrikadenbau. Eine Barrikade entstand bei der Gast- Wir waren recht viele, weil aus den umliegenden Häusern wirtschaft ,Na sekyrce', die zweite hinter dem Kino. Ein

412

Heydrich ist tot

Lastkraftwagen, Fässer, kleinere Wagen und ringsherum zu, und das grosse Missverhältnis in der militärischen Pflastersteine und Randsteine des Gehsteigs. Über den Technik der kämpfenden Parteien muss ausgewogen wer- Rufen des Rundfunks und dem Bau der Barrikaden ver- den. Das Lager der Aufständischen wird durch den Barrika- rann die Zeit.» Fast 1‘600 Barrikaden entstanden, und fast denbau zweifellos moralisch und politisch gefestigt, was 100’000 Menschen waren daran beteiligt. Für den Barrika- einen Erfolg des Kampfes der Aufständischen bedeutet. Es ist denbau wurden 300’000 Quadratmeter Prager Strassen- kein Zufall, dass die zum Kapitulieren neigenden Kräfte den pflaster aufgerissen, was eine 50 Kilometer lange und 6 Meter Barrikadenbau stören wollen. breite Strasse darstellt. Am Sonntagmorgen, dem 6. Mai, hat Prag ein ganz anderes Diesem Barrikadenbau kommt eine grosse moralische und Gesicht als am Tage zuvor. Etwa 1‘600 mit Kämpfern besetzte politische Bedeutung zu, er ist im gegebenen Augenblick ein Barrikaden verwandeln die Stadt in einen gewaltigen Kampf- unausweichlicher und richtiger Schritt. Die Aufständischen platz des Volkes. Die Barrikadenbesatzungen erwarten den müssen sich gegen Angriffe von aussen verteidigen, und die ersten Ansturm. Barrikadentaktik erweist sich als das Wirksamste, denn es bewegt sich eine modern ausgerüstete Armee auf die Stadt (Aus: Karel BartoSek, Der Prager Aufstand 1945)

Zeitlupenfilm, dass Heydrich bereits seine Pistolenta- Der Arzt kann nicht mehr helfen. Am Morgen des 4. sche geöffnet hat, jetzt hat er die Pistole in der Hand, Juni 1942 ist Reinhard Heydrich tot. schreit seinem Fahrer etwas zu. Staatssekretär Karl Hermann Frank, der nunmehrige Da löst sich Jans Erstarrung. Er holt die Bombe aus Alleinherrscher über das «Protektorat», verfügt streng- der Manteltasche, reisst die Zündung ab, rennt hinter ste Vergeltungsmassnahmen. Bereits festgenommene dem noch immer fahrenden Mercedes her, nimmt die Geiseln sollen erschossen werden. Alle Leute, die auch runde Bombe wie eine Kegelkugel in die rechte Hand nur entfernt mit dem Heydrich-Attentat oder mit an- und rollt sie mit aller Kraft dem Auto hinterher. deren britischen Fallschirm-Agenten in Verbindung Eben rollt der stählerne Todesball am rechten Hinter- stehen, werden samt ihren Familien hingerichtet. Die rad vorbei, da zerbirst er mit einem lauten Detona- Vergeltung für den Mord an Heydrich ist blutig, und das tionsschlag. Eine riesige Stichflamme fährt in den strah- sich anbahnende bessere Verhältnis zwischen Tsche- lend blauen Maihimmel empor, gefolgt von einer chen und Deutschen ist endgültig gestört. dunklen, sich rasch verbreiternden Rauchwolke. Zer- Eine der Vergeltungsaktionen erregt weltweites Aufse- fetztes Metall kreischt auf, Sprengstücke sirren über das hen und gilt noch heute als Symbol des Terrors gegen- Strassenpflaster, die Scheiben der Strassenbahnwagen über Unschuldigen. bersten mit klirrendem Knall, Menschen schreien er- Am frühen Morgen des 10. Juni 1942 umstellt ein schrocken auf. Bataillon der deutschen Sicherheitspolizei das Dorf Der Mercedes bäumt sich hinten auf, dann steht er. Lidice nördlich von Prag. Die männlichen Bewohner Der bereits tödlich verletzte Heydrich und Klein sprin- des Dorfes ab sechzehn Jahren, einhundertdreiund- gen heraus, beide mit Pistolen in der Hand. Schon siebzig Männer und Jungen, werden erschossen. Die pfeift ein Pistolengeschoss an Jan vorbei. Heydrich ist Frauen werden festgenommen und in die Konzentra- es, der als erster geschossen hat. Jan wendet sich zur tionslager Ravensbrück und Auschwitz gebracht, zu- Flucht und stürzt auf sein Fahrrad zu. Josef flieht zu sammen mit ihren Kindern. Das Dorf selbst wird voll- Fuss. Heydrich, der sich eben noch mit der Waffe in der kommen zerstört. Hand verteidigt hat, bricht stöhnend zusammen. Ein Die Begründung für diese grausame Massnahme lau- vorbeifahrender Bäckereilieferwagen wird gestoppt, tet, dass die Bevölkerung von Lidice die Mörder des und der «Stellvertretende Reichsprotektor» wird bäuch- «Reichsprotektors» unterstützt und später verborgen lings auf die staubige, mehlige Ladepritsche geschoben. habe, dass im Dorf ein illegales Waffenlager unterhalten Und so fährt der tödlich verwundete, vor einer halben worden sei und ein illegaler Agentensender existiert Stunde noch so mächtige Mann, auf dem Bauche lie- habe. gend, von Strassenschmutz und Mehlstaub verdreckt, Was immer an dieser Begründung erlogen oder wahr mit auf dem Rücken zerlöcherter Uniform, einsam und sein mag: Mit den Attentätern hat Lidice nichts zu allein in dem engen Käfig des Lieferwagens dem Tod tun. Jan Kubis und Josef Gabcik haben bis zu jenem entgegen ... 10. Juni nicht einmal den Namen dieses Dorfes ge- kannt, geschweige denn, dass sie sich dort verborgen hielten.

413 Widerstand im Osten

Ihr Unterschlupf und der weiterer von britischen erfahren, Krieg gegen die Sowjetunion zu führen. Flugzeugen abgesetzter Fallschirmagenten ist schon seit Denn Heydrich als Chef der Sicherheitspolizei und des Tagen in einer Prager Kirche. Der Pfarrer der SD muss mit dem Oberkommando des Heeres alle St.-Cyrillus- und Methodius-Kirche in der Resselgasse Vorbereitungen treffen, die sich aus dem erstmals an- hat die Agenten in der Krypta des Gotteshauses ver- geordneten Einsatz von Sicherheitspolizei und SD zu- steckt. Keiner der Agenten hat sich in den bisherigen sammen mit Wehrmachtseinheiten oder unmittelbar im Quartieren halten können. Die Quartiergeber sind zum Rücken der Front ergeben. Teil von den deutschen und tschechischen Sicherheits- Einige Wochen vor Beginn des «Unternehmens Bar- behörden ermittelt, zum Teil von anderen Fallschirma- barossa» erläutert Heydrich einem seiner Unterge- genten verraten worden. benen – es ist Walter Schellenberg, später Nachfolger Auch die Namen der Attentäter sind bald bekannt, des Admirals Canaris als Chef des deutschen Geheim- und es fehlte nicht viel, dann hätte die Gestapo die dienstes – die Besonderheiten des Krieges gegen die beiden schon am Abend des Massakers von Lidice Sowjetunion. festnehmen können. Jan und Josef haben im Rund- Dieser Krieg, so sagt Heydrich, ist ein ideologischer funk die Nachricht von Lidice gehört. Sie wissen, dass Krieg. Hier geht es nicht um die Bezwingung eines ihrer Tat wegen noch viele Unschuldige sterben müs- militärischen Gegners, sondern um die Vernichtung des sen, und so beschliessen sie, sich freiwillig zu stellen, Bolschewismus als völkerverderbender pseudo-religiö- um den Hinrichtungen ein Ende zu machen. ser Heilslehre. Der Priester Vladimir Petrie, der den Agenten mit «Deshalb wolle er [Hitler] auch jedes Mittel genützt Zustimmung seines Bischofs und der Kirchenältesten wissen, um den Erfolg zu gewährleisten. Er habe des- die Zuflucht in seiner Kirche verschafft hat, redet ihnen halb die Verwendung von Verbänden der Sicherheits- diesen Gedanken aus. Selbststellung wäre Selbstmord, und Ordnungspolizei in diesem entscheidenden Feld- und Selbstmord ist nach den Lehren der Kirche Tod- zug ... befohlen. Diese Einheiten sollten ,im Kampfver- sünde. Der Chef der Widerstandsgruppe, Jindra, band des Heeres' vor allem in den rückwärtigen, teil- überzeugt sie mit dem Argument, das Attentat auf weise aber auch – und dies sei erstmalig – in den Front- Heydrich sei ein grosser Sieg und die Opfer, die Un- gebieten eingesetzt werden ... schuldige dafür bringen müssen, hätte man von vorn- Im rückwärtigen Gebiet solle die Aufgabe der Polizei- herein einkalkuliert. Zum Schluss sagt er wörtlich: verbände sein, den Schutz der Truppe gegen Sabotage «London betrachtet es als Sieg, und Siege müssen im- und Spionage zu übernehmen sowie wichtige Personen mer bezahlt werden!» und Karteiunterlagen sicherzustellen. Überdies sei dar- Der Tag, an dem nicht mehr Unschuldige, sondern an gedacht, die Polizei zur Unterstützung des gesam- die Attentäter selbst «bezahlen» müssen, kommt rasch. ten Nachschubwesens, zur Sicherung der Rollbahnen, Am Abend des 17. Juni weiss die Gestapo, wo sich die der Luftlandeplätze, Unterkünfte und Munitionslager Attentäter und fünf weitere Agenten verbergen. In den heranzuziehen. ersten Morgenstunden des 18. Juni ist die Kirche am Die neuartige Form des ,Blitzkrieges' mache es not- Moldau-Ufer bereits von deutscher Sicherheitspolizei wendig, diese Verbände zu motorisieren, damit sie mit umstellt, geführt von dem tschechischen Sicherheitsof- den schnellen Truppen des Heeres Schritt halten kön- fizier Streiber. nen. Alles dies sei mit dem Führer grundsätzlich be- Nach einem erbitterten, Stunden dauernden Feuerge- sprochen, und alle Einzelheiten ... seien mit dem zu- fecht fällt ein Teil der Widerstandskämpfer unter den ständigen Generalquartiermeister des Heeres zu regeln Kugeln der Verfolger. Der Rest, der sich in die Krypta ... » der Kirche zurückgezogen hat, gibt sich, als die Der Generalquartiermeister des deutschen Heeres ist Lage völlig hoffnungslos geworden ist, selbst den Tod. General Eduard Wagner. Seit Jahren ist Wagner einer Obwohl Reinhard Heydrich nun tot ist, wirkt das, der aktivsten Verschwörer gegen Hitler unter den füh- was er begonnen hat, noch lange fort, wenn auch am renden Militärs. Am 20. Juli 1944 werden er und seine wenigsten im «Protektorat». Da ist die «Endlösung Dienststelle eine entscheidende Rolle bei der Auslösung der Judenfrage», da ist aber auch der Krieg gegen die des Staatsstreiches spielen. Sowjetunion, dieser Krieg, der sich so vollkommen Mit diesem erbitterten Feind Hitlers, Himmlers und von allen bisher geführten Feldzügen des Zweiten Welt- Heydrichs bespricht der Chef des Reichssicherheits- krieges unterscheidet. Dass dieser Krieg einen so ande- hauptamtes das, was er seinem Untergebenen Schellen- ren Charakter hat, ist nicht zuletzt auch Heydrichs Werk. berg schon mitgeteilt hat, damit dieser die Vorver- handlungen mit der Wehrmacht führt. Aber Heydrich Heydrich ist einer der ersten, die von Hitlers Absicht bespricht mit Wagner noch etwas, was selbst Schellen-

414 Genossen, Bürger, Brüder und Schwestern! berg noch nicht wissen darf. Es ist eine weitere Sonder- löserin vom Stalinschen Joch betrachtet und jubelnd be- aufgabe der «Polizeiverbände»: Die sofortige Erschie- grüsst. ssung der bolschewistischen Kommissare der Roten In propagandistischer Verzerrung hat der rote Zar Sta- Armee und die Bildung der «Einsatzgruppen» zur lin jahrelang den Volksmassen weisgemacht, die Rote Bekämpfung der Partisanen im Hinterland und gleich- Armee sei die stärkste der Welt, die moralisch beste, zeitig zur Deportation und «Liquidierung» der Juden. die am besten ausgerüstete. Und wenn je ein Feind Heydrich und Wagner unterzeichnen schliesslich einen «seine Schweineschnauze in unseren Sowjetgarten Vertrag zwischen dem «Oberbefehlshaber des Heeres» stecken» würde, sei er schon deshalb verloren, weil und dem «Reichsführer SS und Chef der Deutschen sein eigenes Volk sofort auf die Seite der Roten Armee Polizei». Offiziell wird dieser Vertrag über den Ein- übergehen würde. Es ist ganz klar, hat die bolsche- satz von Polizei und SD im bevorstehenden Krieg wistische Propaganda jahrelang verbreitet, dass etwa gegen die Sowjetunion als «Führerbefehl» bekannt die Soldaten der deutschen Wehrmacht bei einem An- mit der von Hitler selbst formulierten Überschrift: griff auf die Sowjetunion sofort die Waffen umdrehen «Einsatz von mobilen Einheiten der Sicherheitspolizei und gegen Hitler kämpfen werden, in Deutschland und des SD im Kampfverband des Heeres zur Siche- wird sofort die Revolution ausbrechen, weil kein deut- rung der rückwärtigen Gebiete unter Brechung jegli- scher Arbeiter und Bauer jemals die Hand gegen das chen Widerstandes.» geliebte «Vaterland aller Werktätigen» erheben wird. Neben diesem Wirken der Einsatzgruppen, die den rus- Und nun dreht kein deutscher Soldat das Gewehr um, sischen Widerstand beträchtlich aktivieren, ist Heyd- noch immer bleibt die so oft verkündete «proletarische rich noch massgeblich an der Planung eines unfassbaren Revolution» in Deutschland aus. Stattdessen müssen Vorhabens der nationalsozialistischen Machthaber be- die proletarischen Sowjetsoldaten zunächst fliehen, da teiligt, das ebenfalls die Widerstandskräfte nicht nur sie der deutschen Wehrmacht nichts entgegenzusetzen in Russland, sondern überall in den von Deutschland haben. besetzten Gebieten herausfordert. Am 3. Juli 1941 sind schon weit über eine Million Am 20. Januar 1942 – vier Monate, nachdem am Rotarmisten in deutscher Gefangenschaft, sind schon 27. September 1941 Heydrich zum «Stellvertretenden Tausende von sowjetischen Panzern und Flugzeugen Reichsprotektor» ernannt worden ist – findet im Ge- vernichtet, stehen die deutschen Truppen schon tief bäude der «Interpol» am Berliner Wannsee die nach in Stalins Reich. Da erst wagt der erschütterte Herr dem Tagungsort später so genannte «Wannsee-Kon- des Riesenreiches, sich vor seinem Volke hören zu las- ferenz» statt. Heydrich leitet diese Tagung, an der vier- sen, nachdem am 22. Juni nur sein Aussenminister zehn Beauftragte verschiedener Dienststellen und Mini- Molotow zum Volk gesprochen hat. Diese Rundfunk- sterien teilnehmen, vom Wirtschaftsministerium etwa, rede ist in vielen Punkten ungewöhnlich. Sie beginnt vom Aussenministerium, Innenministerium, Justizmi- bereits mit Worten, die man vom Diktator Stalin nie nisterium, dem Ministerium für die besetzten Ostge- gehört hat: biete und der «Regierung des Generalgouvernements». «Genossen, Bürger, Brüder und Schwestern!... Ich spreche zu Euch, zu meinen Freunden!» Von Heydrichs eigenen Leuten nehmen teil der Ge- Und dann spricht er zwar von der Verteidigung der stapo-Chef Müller und ein weithin unbekannter Mann «sozialistischen Errungenschaften», aber auch von der namens Adolf Eichmann. Das Thema der Konferenz: «Heiligen Erde Russlands», vom «Vaterland», von Pa- die «Endlösung der Judenfrage», die systematische triotismus und von der Liebe zur Heimat. Stalin weiss, Ausrottung der Juden im deutschen Machtbereich. dass er in weiten Teilen des Volkes zutiefst verhasst ist, Als die siegreichen deutschen Truppen nach Kriegs- und so gibt es in seiner Rede nicht den geringsten Hin- beginn am 22. Juni 1941 weit nach Russland eindrin- weis darauf, dass der Bolschewismus verteidigt werden gen können, scheint es zunächst so, als ob es hier im müsste. Es ist von Russland, von der Heimat die Rede sowjetischen Bjelorussland, in der Ukraine und im – ein Appell an alle. eigentlichen Russland selbst niemals einen Volkswider- Und dann folgt der bekannte Befehl zur Strategie der stand gegen die deutsche Wehrmacht geben wird – verbrannten Erde, der Aufruf zum totalen Krieg. von Ländern wie Lettland, Litauen, Estland, Bes- «Wann immer Einheiten der Roten Armee zum Rück- sarabien, der Bukowina und anderen ganz zu schwei- zug gezwungen sind, muss alles rollende Gut der Eisen- gen. Nicht nur, dass die Rote Armee fast überall in bahnen mitgeführt oder zerstört werden ... Nicht ein panischer Flucht davonläuft. Die deutsche Wehrmacht Kilo Korn und kein einziger Liter Treibstoff dürfen wird von Millionen und Abermillionen Menschen dem Feind in die Hände fallen. Die Bauern müssen freudig als Befreierin vom Bolschewismus und als Er- den ganzen Viehbestand mitnehmen und das Getreide

415 Widerstand im Osten den staatlichen Organen übergeben ... Alles von Wert, Die Sowjets aber ziehen vor ihrer Hauptstadt alle so Metalle, Getreide und Erdöl, muss unbedingt vernich- Kräfte zusammen und können sogar noch ihre Trup- tet werden, wenn es nicht mitgenommen werden kann pen aus dem Fernen Osten heranführen, die dort auf ...» einen japanischen Angriff gewartet haben. Stalin weiss Und zugleich folgt der erste Aufruf zum erbarmungs- inzwischen, dass die Japaner keinen Krieg gegen die losen Partisanenkrieg: Sowjets führen werden, sondern sich ausschliesslich auf «In den vom Feind besetzten Gebieten sind Partisanen- eine Auseinandersetzung mit England und den USA einheiten zu Fuss und zu Pferd sowie Gruppen von im Pazifik vorbereiten. Diversionsagenten zu schaffen, die gegen die feindli- Stalins Meisterspion Dr. Richard Sorge, Korrespon- chen Truppen zu kämpfen, überall den Guerillakrieg zu dent der «Frankfurter Zeitung» und der NS-Nachrich- entfachen, die Telefon- und Telegrafenleitungen zu tenagentur DNB in Tokio, hat diese sichere Nachricht zerstören und die Walder, Depots und so weiter in Brand beschafft, sein Funker Max Klausen – heute mit Ul- zu stecken haben. In den besetzten Gebieten sind für den brichts «Vaterländischem Verdienstorden» und der Feind unerträgliche Verhältnisse zu schaffen, und er «Verdienstmedaille der Nationalen Volksarmee der muss auf Schritt und Tritt verfolgt und vernichtet wer- Deutschen Demokratischen Republik» ausgezeichneter den!» Pensionär – funkt sie nach Moskau. Nicht überall, aber doch an vielen Orten, wird der Der deutsche Angriff vor Moskau erstickt im Schlamm, Verbrannte-Erde-Befehl Stalins befolgt. Von schon vor dann in der klirrenden Kälte und bricht schliesslich dem Krieg geplanten und aufgestellten Spezialeinhei- im Ansturm der sibirischen Garderegimenter zusam- ten, den «Zerstörungsbataillonen», werden sowjetische men. Erstmals seit 1939 sind deutsche Soldaten auf der Dörfer in Brand gesteckt, Scheunen und die riesigen Flucht, die allerdings noch einmal aufgehalten werden Getreidelager im Freien mit Benzin oder Öl überschüt- kann. Die Zeit der Blitzkriege ist für die deutsche Wehr- tet und angezündet, Elektrizitätswerke und Fabriken macht endgültig vorbei. gesprengt, Versorgungsbetriebe zerstört, Lebensmittel- Von einer Partisanenbewegung ist bis dahin nichts zu lager verbrannt oder vergiftet, Eisenbahnschienen her- merken. Es gibt nur Einzelne Aktionen von «Zerstö- ausgerissen. In den Städten, deren Einnahme durch die rerbataillonen», die sich nicht rechtzeitig absetzen deutschen Truppen unmittelbar bevorsteht, werden konnten; es gibt Gruppen von versprengten Rotarmi- Bomben und Minen mit Zeitzündern in öffentlichen sten, darunter vor allem Politkommissare, die sich zu- Gebäuden und grossen Wohnhäusern zurückgelassen. sammenfinden; es gibt einige Partisaneneinheiten, die Anderswo allerdings kommen die «Zerstörungsbatail- vorsorglich aufgestellt worden sind, noch aber ihre lone» durch den stürmischen Vormarsch der Deutschen Zeit abwarten und vorläufig untätig bleiben; es gibt gar nicht dazu, «verbrannte Erde» zurückzulassen. schliesslich Einzelgänger, vor allem Jugendliche aus 1941 ist trotz aller Beschwörungen Stalins und seiner dem Komsomol, dem kommunistischen Jugendver- Funktionäre noch nicht an einen Partisanenkrieg zu band, die auf eigene Faust Sabotageakte durchführen. denken, geschweige denn an einen echten Volkswider- Das bekannteste Beispiel aus dieser Zeit ist die Kom- stand gegen die Wehrmacht. Noch stürmt die Wehr- somolzin Soja Kosmodemjanskaja. Die 18jährige Soja macht vorwärts, und ihre langen Nachschubwege sind steckt in der Nacht vom 27. zum 28. November 1941 noch nicht in Gefahr. Dennoch tritt bereits in diesem in dem westlich von Moskau gelegenen Dorf Petrisch- Jahr eine entscheidende Wende des Krieges ein, in zwei- tschewo einen Pferdestall in Brand. Deutsche Soldaten facher Hinsicht – militärisch und politisch. durchsuchen das Dorf und finden die Attentäterin Die deutsche Wehrmachtsführung hat ursprünglich als leicht: Soja ist eine Fremde im Dorf, sie stammt aus wichtigstes strategisches Ziel die Eroberung Moskaus Moskau, und ihre Wattejacke riecht nach Petroleum. gesetzt. Die sowjetische Hauptstadt ist der wichtigste Am darauffolgenden Tag wird ihr vor einem Standge- Verkehrsknotenpunkt, ist zugleich Industriezentrum. richt der Prozess gemacht und das Urteil gefällt: Als Vor allem aber ist Moskau die Hauptstadt nicht nur Spionin und Saboteurin Tod durch den Strang. der Sowjetunion, sondern des Weltkommunismus. Die Am 29. November 1941 wird das Mädchen vor den Verteidigung dieser Stadt ist deshalb für die Sowjets versammelten Dorfbewohnern erhängt. Kurz darauf nicht nur aus strategischen Gründen, sondern noch wird Petrischtschewo von der Roten Armee zurück- mehr aus politisch-propagandistischen Gründen not- erobert. Sojas Leichnam hängt noch am Galgen, und wendig. Hier werden sie deshalb alle Kräfte zusam- da sich bei der Einheit, die Petrischtschewo erobert, menziehen, hier hat also die Wehrmacht die beste Gele- der «Prawda»-Reporter Lidin befindet, wird die Ge- genheit, mit einem Schlag die ganze militärische Macht schichte der Komsomolzin bekannt und Soja Kosmo- der Sowjets zu vernichten. demjanskaja zum Vorbild der Sowjetjugend – und

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Russland

Bereits elf Tage nach dem deutschen Einmarsch in Russland erliess Stalin seinen berühmten Befehl an das sowjetische Volk: «In vom Feind besetzten Gebieten müssen Partisaneneinheiten zu Fuss und zu Pferd und Ablenkungstrupps gebildet werden, um den Feind zu bekämpfen, überall den Partisanenkrieg zu entfachen, Brücken und Strassen zu sprengen, Telefon- und Telegra- fenleitungen zu zerstören und die Wälder, Vorratslager und Eisenbahnzüge in Brand zu stecken. In besetzten Gebieten müssen die Bedingungen für den Feind und seine Helfer unerträglich gemacht werden, sie müssen verfolgt und vernichtet werden, wo immer sie sich aufhalten, und all ihre Massnahmen müssen vereitelt werden.» Über die Erfolge der russischen Partisanen notiert Goebbels am 6. März 1942 in seinem Tagebuch: «Ein SD-Bericht orientiert mich über die Lage im besetzten Russland. Sie ist doch prekärer als man allgemein annimmt. Die Partisanengefahr erhöht sich von Woche zu Woche. Die Partisanen beherrschen ganze Gebiete im besetzten Russland und üben dort ihren Terror aus.» Bild oben: Immer häufiger sieht sich die «Verkehrspolizei» im Verlaufe des Krieges gezwungen, an den Rollbahnen grosse Warnschilder aufzustellen, um die Nachschubkolonnen vor den Partisanen zu warnen. – Bild unten: Ausrüstung, Erfah- rung, Ausbildung und Anzahl der russischen Partisanen nahm allmählich immer stärker zu und wurde zu einem ernst- haften Problem im Rücken der deutschen Ostfront.

Bild oben: Häufig wurden die einrückenden deutschen Truppen von der russischen Bevölkerung freundlich empfangen und manchmal sogar als Befreier begrüsst. «Leider», so schreibt General Heinz Guderian in seinen Memoiren, «hielt diese günstige Stimmung der Bevölkerung gegenüber den Deutschen nur solange an, wie die wohlwollende Militärverwaltung regierte. Die sogenannten Reichskommissare haben dann in kurzer Zeit verstanden, jede Sympathie für die Deutschen abzutöten und damit dem Partisanenunwesen den Boden zu bereiten». – Unten links: «Der Untermensch»; in der Broschüre des RSHA-Schulungsamtes sollte durch geschickt ausgewählte Fotos die Minderwertigkeit des russischen Men- schen «bewiesen» werden. – Unten rechts: «Die ganze Brutalität und Grausamkeit seiner Rasse sprechen aus den Zügen dieses Kommissars, der bei den Kämpfen um Moskau gefangengenommen wurde.» – Mit dieser Untermenschpropaganda, die man in den besetzten Ostgebieten ebenso brutal praktizierte, wurde die russische Bevölkerung immer stärker in die Arme der Partisanen getrieben. Dass man mit diesen Methoden nicht weiter kommt, dämmerte selbst Dr. Goebbels: «Über- haupt bin ich der Meinung, dass wir unsere Politik den Völkern im Osten gegenüber wesentlich ändern müssen. Wir könnten die Partisanengefahr um ein Erkleckliches herunterdrücken, wenn es uns gelänge, in diesen Völkerschaften wenig- stens ein gewisses Vertrauen zu erwerben.» Aber all die Bemühungen in dieser Richtung, die Russen mit Russen zu besiegen, stiessen bei den Rassenfanatikern Hitler und Himmler auf taube Ohren.

Bilder oben (von links nach rechts): Wilhelm Kube, Generalkommissar für Weissruthenien, der am 22. September 1943 von einer Mine in Stücke gerissen wurde, die ihm ein weissrussisches Dienstmädchen, das mit den Partisanen sympathi- sierte, unter sein Bett gelegt hatte; Hinrich Lohse, Reichskommissar für das Ostland; Erich Koch, Reichskommissar für die Ukraine, verantwortlich für die Ausbeutung Südrusslands. – Bild unten: Auf dem Bahnhof von Kowel werden Russen gesammelt und nach Deutschland gebracht. Um diesen «Zwangsverpflichtungen» zum «Arbeitseinsatz» in Deutschland zu entgehen, zogen es Tausende von Russen vor, sich den Partisanen anzuschliessen.

Generaloberst W. S. Popow schreibt über das Wesen der taktischen Konzeption der Partisanen: «Beweglichkeit und Geschmei- digkeit des Manövers als Folge der Kenntnis der Gegend, gute, dauernde Unterrichtung über den Gegner durch eigenen Nachrich- tendienst und durch die örtliche Bevölkerung – all dies erlaubte es den Partisanenabtei- lungen, im Voraus unfehlbar die Absichten des Feindes zu kennen und andererseits feindliche Truppen überraschend und uner- wartet auf dem Marsch an belebten Punkten anzugreifen.» – Bild oben: Partisanen in Bjelorussland verminen eine Brücke. – Bild Mitte: Ein Sachverständiger erklärt den Par- tisanen den Mechanismus einer erbeuteten Maschinenpistole. – Bild unten: Vorberei- tung einer Schienensprengung durch russi- sche Partisanen.

Oben links: General S. A. Kowpak, einer der vielen Partisanenführer, die wegen ihrer kämpferischen Verdienste von Moskau mit dem offiziellen Titel «Held der Sowjetunion» ausgezeichnet wurden. – Oben rechts: «Abwehr im Sumpf» durch landeseigene Verbände, die extra zur Partisanenbekämpfung gebildet wurden. Das schwierige Gelände ist einer der Haupt- verbündeten der Partisanen. – Bild unten: Die für Partisanen mit dem Fallschirm abgeworfene Artilleriemunition wird von militärisch ausgebildeten Frauen in Sicherheit gebracht. Bild, links: Partisanen im Kreise der Bevöl- kerung eines russischen Dorfes. – Immer wieder machte Stalin seine Partisanenführer darauf aufmerksam: «Das wichtigste ist, stärkere Bande mit der Bevölkerung zu knüpfen.» Bei diesem Bemühen unfreiwillig unterstützt von den harten und ausbeuteri- schen Massnahmen der deutschen Besatzungs- politik, schreckten die Partisanen vor keinem Mittel zurück, die russische Bevölkerung für sich zu gewinnen. «Tod allen Okkupanten, sowie all denen, die deren Befehle ausführen! Tod all denen, die den Deutschen Unterstüt- zung gewähren!» Das war die Parole, die von Dorf zu Dorf ging und der die Parti- sanen die entsprechenden Taten folgen liessen. Immer wieder drangen sie in die Dörfer ein, griffen sich die Kollaborateure heraus, er- schlugen sie, vernichteten ihre Familien, kon- fiszierten ihr Eigentum und zündeten ihre Häuser an. Selbst diejenigen Russen, die mit den Deutschen sympathisierten, konnten es daher immer weniger wagen, mit den Deut- schen zusammenzuarbeiten und die Partisanen nicht zu unterstützen. – Bild unten: Beim Herannahen deutscher Truppen haben sich die Partisanen aus einem Dorf zurückgezo- gen. Die zurückgebliebenen Dorfbewohner werden zur Personenaufnahme aufgerufen, um Spitzel und Helfer der Partisanen aus- findig zu machen. Zur Vergeltung und Ab- schreckung werden Geiseln hingerichtet und häufig ganze Dörfer in Brand gesteckt. Diese Methoden wurden seitens der Wehrmacht als verfehlt kritisiert, da sie nur zur «Verstär- kung der Banden unter gleichzeitiger Ent- völkerung und Verödung des Landes» führ- ten. Bild oben: In Minsk haben lettische SS-Verbände Partisanen neben einer Hauptstrasse aufgehängt. Auf der Tafel, die den Getöteten umgehängt wurde, ist zu lesen: «Wir sind Partisanen und haben auf deutsche Soldaten geschossen.» – Bild unten: Russische Partisanen bei einer Instruktionsstunde durch ihre politischen und militärischen Führer. Mit Fallschirmen wurden erfahrene und fanatische Kommandeure und kommunistische Funktionäre im Rücken der deutschen Front abge- setzt. Zusammen mit den Untergrundorganisationen der kommunistischen Partei, die in den besetzten Gebieten gebildet worden waren, organisierten, führten und beherrschten sie den russischen Widerstand. Nachdem eine russische Denunziantin den Deutschen verraten hatte, dass sich einige hundert Partisanen im Ort und in der nächsten Umgebung versteckt hielten, die den Auftrag hätten, die Deutschen in der Nacht zu überfallen und zu töten, wurde das Gebiet systematisch durchkämmt und die ergriffenen Partisanen erschossen. Wie es zu dieser seltenen Aufnahme kam, schildert ihr Fotograf: «Ein äusserst aufgeregter und nervöser Offizier, dessen Dienstgrad ich nicht mehr in Erinnerung habe, schrie mich während des Marsches der Delinquenten vom Dorf zur still- gelegten Sandgrube gleich beim ersten Anblick an, dass er mich zu den Partisanen stellen werde, wenn er sieht, dass ich auch nur einmal meine Kamera vors Gesicht halte, obwohl ich mich entsprechend ausgewiesen hatte. Sicher hatte er Angst, mit aufs Bild zu kommen. Ich entzog mich vorsichtshalber möglichst seinen Blicken, kam dann endlich auf den mir am

günstigsten erscheinenden Standpunkt und ersuchte einen Kameraden, mit mir zu gehen. Dann stellte ich mich hinter diesen, ersuchte ihn, seinen Arm abzuwinkeln, stellte meine Kamera mehr nach dem Gefühl als nach Berechnung ein, und gerade als diese Salve losdonnerte, drückte ich auf den Auslöser . . . Krieg ist Krieg und kein Honiglecken, aber die davonfliegen- den Gesichtsfetzen nach einem aus solcher Nähe abgegebenen Genickschuss und das noch einige Herzschläge lang aus dem Körper herausspritzende Blut zu sehen, erträgt man nicht oft. Dazu noch vereinzeltes Gurgeln und Stöhnen der Sterbenden, das Schreien und Um-das-Leben-Ringen der noch daneben wartenden Todeskandidaten in der unmittelbar den Schüssen folgenden Stille in der Sandgrube, das vergisst man zeitlebens nicht.»

Bild oben: Maschinengewehr-Ausbildung russischer Frauen. – Bild unten: Die Partisanin Soja Kosmodemjanskaja wird zur Hinrichtung geführt. In der «Sowjetischen Geschichte des Grossen Vaterländischen Krieges 1941-45» heisst es: «Die Moskauer Komsomolka Soja Kosmodemjanskaja trat im November 1941 freiwillig in eine Partisanenabteilung ein. Die tapfere und unerschrockene Partisanin war bereit, jeden ihr vom Kommando übertragenen Auftrag zu erfüllen. Ende November wurde ihr aufgegeben, ein wichtiges Objekt des Gegners zu zerstören. Soja wurde bei der Durchführung ihres Vorhabens von den Hitlersoldaten ergriffen.» Gefoltert, bereits mit der Schlinge um den Hals, forderte sie noch die Kol- chosbauern, die man, um sie abzuschrecken, zum Hinrichtungsort getrieben hatte, auf, weiter gegen die deutschen Okku- panten zu kämpfen. «Heldenmütig blickte sie dem Tode ins Auge. Ihr leuchtendes Vorbild ehrt unser Volk. Die Sowjet- regierung hat Soja Kosmodemjanskaja nach dem Tode zum ,Helden der Sowjetunion' ernannt.»

Oben links: Ein erfolgreiches und häufig angewandtes Mittel der Partisanen, dem Feind zu entkommen, war es, auf ihrer Flucht hinter sich die Wälder anzuzünden. Erst nachdem diese Brände gelöscht waren, konnte die Verfolgung weiter- gehen. – Oben rechts: «Das sind die Hütten, in denen die Banditen Unterschlupf fanden. Jede Einzelne wird sorgfältig durchsucht, aber es ist niemand mehr zu Hause!» Durch ihr gut funktionierendes Spionagesystem rechtzeitig gewarnt, konnten sich die russischen Partisanen dem deutschen Zugriff immer wieder entziehen. – Unten links: Mitten im Wald wird von einem deutschen Stosstrupp ein Munitionslager der Partisanen gefunden. Geschickt versteckt liegen die Panzergranaten in der Erde vergraben. – Unten rechts: Der Inhalt des Rucksacks einer Partisanin, die mit dem Fallschirm über ihrem Einsatzgebiet abgesprungen war: Eierhandgranaten, Dynamit, Höllenmaschine und Zündschnur.

Oben links: Partisanen-Funker bei ihrer Arbeit. – Die Entwicklung der Luftbrücke und der Funktechnik als Versor- gungs- und Verbindungsmittel war ein entscheidender Faktor für die Erfolge der russischen Partisanen. Durch die Funk- verbindung der Einzelnen Abteilungen zum Gebietsstab, zum Republikstab und später zum Zentralen Stab der sowjeti- schen Partisanenbewegung in Moskau wurde eine wirkungsvolle Leitung der Einzelnen Aktionen sichergestellt. Nach russi- schen Angaben befanden sich im Januar 1944 424 sowjetische Funkstationen im Hinterland des Gegners, die mit 1‘131 Partisanenabteilungen die Verbindung untereinander und zum Zentralen Stab herstellen konnten. 250’000 Partisanen konnten somit direkt von Moskau aus geleitet werden. Ausserdem übertrug der russische Rundfunk täglich zwei Sendungen,

am Morgen und am Abend, unter dem Titel «Partisanenlehrgang». In diesen Sendungen wurde mitgeteilt, wie man die Deutschen am besten bekämpfen könnte, und was täglich mit denjenigen geschehe, die es wagten, mit den Deutschen gegen die Partisanen zusammenzuarbeiten. – Linke Seite, oben rechts: In gut verborgenen eigenen Druckereien stellten die Parti- sanen Zeitungen, Flugblätter und Plakate her, mit denen sie gegen die Deutschen Propaganda machten. Über den Erfolg dieser Propaganda schreibt Valdis Redelis: «Die Propaganda der Partisanen erschien, trotz aller darin enthaltenen Lügen und Entstellungen, in ihrer ganz auf die Mentalität der Ukrainer eingestellten Methodik weit glaubhafter als die der Deutschen. Zuletzt stand fast das ganze Volk zu den Partisanen, sammelte für sie Waffen, Lebensmittel sowie Bekleidung und unter- stützte ihre Tätigkeit auf allen Gebieten.» – Linke Seite unten: Bevölkerung und Partisanen lesen ein von den Partisanen herausgegebenes Flugblatt. Bild unten: Eine Anzahl politischer Kommissare, unter ihnen N.S. Chruschtschew (aussen rechts). Im ukrainischen Parti- sanenbewegungsstab war Chruschtschew, Mitglied des Politbüros, Führer der Partisanenbewegung in der Ukraine. Am 12. Januar 1942 wurde ihm von seinem Gebietsführer in Tschernigow der nachstehende Erfolgsbericht gemeldet: «Nach viermonatiger Tätigkeit der Partisaneneinheit von ihr liquidiert: 468 Deutsche, 105 Polizisten, Starosten [Dorfälteste] und andere Volksschädlinge. Reiche Beute. Vernichtet: 29 Kraftfahrzeuge, darunter 2 Stabsautos mit Dokumenten, 18 Kraft- räder, 5 Vorratslager mit Kampfreserven. Erbeutet: 100 Pferde, 120 Sättel. Gesprengt: 3 Eisenbahnbrücken. Im Gebiets- komitee gedruckt und verbreitet: Flugblätter mit 31 verschiedenen Texten in Gesamtauflage von 40’000 Exemplaren.» – Die Kommissare und Politruks, die es ursprünglich nur in der Armee gab, bildeten das festeste Band zwischen der Partei und den Partisanen. Über ihre Bedeutung heisst es bei DixonlHeilbrunn: «Der revolutionäre Kampfgeist, der Wagemut und die Unerschrockenheit im Kampf, die Schläue und Rücksichtslosigkeit, die für die sowjetischen Partisanen bezeichnend waren, sie wurden von der Partei entfacht, die ihnen durch das Beispiel ungezählter politischer Kommissare einen An- schauungsunterricht in Selbstaufopferung für die Lenin-Stalinsche Ideologie gab.»

Berühmt geworden durch seine Mitwirkung an der erfolgreichen Verteidigung Moskaus, gelangte Andrej Andrejewitsch Wlassow am 12. Juli 1942 in deutsche Kriegsgefangenschaft. Nicht als deutsche Marionette, sondern als eigenständiger militärischer Führer wollte er aus übergelaufenen und gefangengenommenen russischen Soldaten eine «Befreiungsarmee» aufstellen, die an der Seite der deutschen Truppen für ein vom Bolschewismus befreites Russland kämpfen sollte. Hitler jedoch wollte von der Wlassow-Bewegung, die durch Kreise der Wehrmacht gefördert wurde, zunächst nichts wissen. «Wenn sie [die Kollaborateure] gegen die Interessen des eigenen Volkes handeln, haben sie keine Ehre; wenn sie ihrem Volke zu helfen versuchen, werden sie gefährlich.» In seinem Verhalten der Wlassow-Bewegung gegenüber kommt Hitlers Bindung an eine Ideologie zum Ausdruck, die ein positives deutsch-russisches Verhältnis grundsätzlich ausschloss. Nicht als eine gleich- berechtigte Nation wollte er ein vom Kommunismus befreites Russland behandeln, sondern als ein rassisch bedingt minder- wertiges Volk von Arbeitssklaven. Gemäss dieser moralisch abzulehnenden, wissenschaftlich unhaltbaren und realpolitisch verfehlten Prämisse war Wlassow für Himmler im Oktober 1943 noch lediglich ein «Metzgergesell» und ein «gefährlicher Bolschewist». Erst als es mit Deutschland militärisch immer mehr bergab ging, als die feindlichen Fronten sich von allen Seiten den eigenen Grenzen näherten, als V 1 und V2 versagten, griff man zur «Geheimwaffe» Wlassow. Am 14. Novem- ber 1944 wurde in Prag das «Komitee zur Befreiung der Völker Russlands» gegründet, und Himmler wünschte einen «vollen Erfolg im Interesse unserer gemeinsamen Sache». Eine gemeinsame Sache hatte es in Wirklichkeit jedoch niemals gegeben. Die Sache Wlassows, «eine nationale und soziale Revolution in Russland herbeizuführen», wurde von den Nationalsozia- listen nicht ernst genommen, und die Sache Hitlers war bereits restlos verloren. Links oben: Von den russischen Hilfswilligen (Hiwis) zeichneten sich insbesondere die moskaufeindlichen Kosaken – zu- meist im Partisanenkampf eingesetzt – als erfolgreiche «Partisanenjäger» aus. – Links unten: General Wlassow besichtigt Verbände der russischen Befreiungsarmee vor ihrem Ausmarsch an die Front. Aus Mangel an Waffen und Kleidung konnten aus den 700’000 Freiwilligen von den geplanten 25 nur noch 2 Divisionen aufgestellt werden. Bild unten: Szenenfoto aus einer Theateraufführung «Der Wolf» in einer russischen Stadt. Das Stück, das von zwei ein- heimischen Autoren verfasst worden war, rechnete mit dem «destruktiven Wesen des Partisanentums» ab. Während das Geschehen auf der Bühne damit endet, dass der hartnäckige Partisan von der Bevölkerung und dem eigenen Ordnungs- dienst überwältigt wird, verhielt es sich in der Wirklichkeit des russischen Partisanenkrieges meist umgekehrt. Kollabora- tionswillige wurden von der Bevölkerung kaum unterstützt und von den Partisanen erschossen.

Ein russischer Partisan wird aus einem Bahnwärterhaus herausgeholt. Zwei seiner Kameraden sind schon durch Handgranaten getötet worden. – Die Partisanen wussten, dass sie aus dem Hinterhalt kämpften und dass sie bei der Gefangennahme mit dem Tode zu rechnen hatten. Wer einmal Partisan war, konnte nicht mehr zurück. Seine Verpflichtungsformel schloss üblicherweise mit den Worten: «Sollte ich jedoch aus Schwäche, Feigheit oder bösem Willen diesen Eid nicht halten und Verrat an den Interessen des Volkes üben, dann will ich eines verfluchten Todes von den Händen meiner Kameraden sterben. Unter diesen Bedingungen unterschreibe ich.» Von dem rie- sigen Umfang der russischen Partisanenbewegung überrascht und wenig vorbereitet, hiess es in Hitlers Barba- rossa-Befehl zur Partisanenbekämpfung: «Freischärler sind durch die Truppe im Kampf schonungslos zu erledi- gen.» «Tod schreckt uns nicht», war die berühmte Antwort der Sowjet-Partisanen, die den Beweis nicht schuldig blieben. Vaterland und Bibel heute der Jugend der «DDR» – gemacht. Stalin ver- es zu liquidieren gilt, nicht nur politisch, sondern, wenn leiht ihr postum Titel und Orden «Held der Sowjet- es nützlich erscheint, auch physisch, individuell. union», eine militärische Auszeichnung, die etwa dem Dazu kommt der Gedanke, der die britische Regierung deutschen Ritterkreuz entspricht, allerdings auch in und die Exiltschechen in London zu dem Plan der Er- Einzelfällen für zivile Heldentaten verliehen wird – mordung Heydrichs veranlasst: Die Deutschen sollen 1936 etwa dem deutsch-russischen Polarforscher möglichst scharfe Vergeltungsmassnahmen gegen die Schmidt, später den ersten sowjetischen Raumfahrern. Bevölkerung treffen, dadurch Hassgefühle hervorrufen Solche Sabotagefälle ereignen sich etliche. In der Stadt und damit letztlich selbst einen echten Volkswider- Simferopol auf der Krim zum Beispiel haben «Zer- stand hervorrufen und die staatliche Partisanenbewe- störungstrupps» Minen in öffentliche Gebäude gelegt. gung stärken. Der deutsche Stadtkommandant erlässt einen Befehl, Während im Februar 1941 in Moskau der «Zentrale wonach die Bevölkerung solche minenverseuchte Ge- Partisanenstab» seine Arbeit zur Koordinierung des bäude zu melden habe. Er lässt 100 prominente So- Einsatzes aller Partisaneneinheiten und deren Zusam- wjetbürger als Geiseln festnehmen und droht ihre Er- menarbeit mit dem Oberkommando der Roten Armee schiessung für den Fall an, dass von der Bevölkerung aufnimmt, beginnt Stalins psychologische Kriegfüh- oder Partisanen Gebäude gesprengt werden. rung. Mit der Propaganda für das «Vaterland der Tatsächlich werden in einem Gebäude, in dem sich so- Werktätigen», für die «proletarische Revolution», für eben ein deutscher Stab einrichtet, durch Fernzündung den «Klassenkampf» ist das Sowjetvolk nicht mehr zu Minen zur Explosion gebracht. Es gibt Tote und Ver- begeistern, auch nicht mit der «Verteidigung der sozia- wundete. Der deutsche Stadtkommandant lässt darauf- listischen Errungenschaften». hin 50 der Geiseln erschiessen. Die «sozialistischen Errungenschaften» gibt es ja, aber Ebenfalls auf der Krim kommt es zum ersten Zusam- sie kommen fast nur der städtischen Bevölkerung, der menwirken von Partisanen mit der Roten Armee. Am «Arbeiterklasse» zugute – Sozialversicherung, Schul- 5. Januar 1942 landen rund 500 sowjetische Marine- bildung, Krankenfürsorge und anderes. Die nach der infanteristen bei der Hafenstadt Eupatoria. Zur glei- leninistischen Lehre rückständige Bauernschaft ist nicht chen Zeit sind alle zurückgelassenen «Zerstörungs- gleichberechtigt, sondern stellt ein reaktionäres Über- bataillone» und Partisaneneinheiten über Funk in die bleibsel aus der Feudalzeit dar. Und für den Bauern Stadt gerufen worden, wo sie einen Aufstand entfes- bedeuten «sozialistische Errungenschaften» zunächst, seln. Auch die Kommunisten der Stadt beteiligen sich dass ihm sein Eigentum gestohlen wurde, dass bei der daran. Verteidigung dieses Eigentums, im Widerstand gegen Die überraschte schwache deutsche Besatzung der Stadt die Zwangskollektivierung, Millionen Bauern ermor- wird von den Zivilisten rasch überwältigt, die deut- det wurden oder Hungers starben. Gerade die Bauern schen Verwundeten in einem Lazarett sämtlich ermor- aber machen den grössten Teil der Bevölkerung aus, det. Von den herbeieilenden Entsatztruppen – ein und nicht in der Stadt, sondern im weiten Land muss Infanterieregiment, eine Aufklärungs- und eine Pio- die Partisanenbewegung gross werden und aktiv. In nierabteilung – wird Eupatoria schliesslich zurück- den Städten kann man Sabotage verüben, aber nicht erobert, nachdem ein rumänisches Artillerie-Regiment, militärische Einsätze durchführen. das die Stadt verteidigen sollte, in panischer Angst Und so entdeckt Stalin zunächst den lieben Gott wie- geflüchtet war. Fast 1‘300 Zivilisten werden während der. Die kommunistische «Gottlosenbewegung» wird der Kämpfe oder danach erschossen, weil sie sich mit aufgelöst, die in Millionenauflage erscheinende Zeitung der Waffe in der Hand an den Kämpfen beteiligt «Der Gottlose» verboten. Die marxistische Parole haben. «Religion ist Opium für das Volk» wird schleunigst Eine Woche später geschieht ähnliches in der Stadt von den Wänden gewaschen. Zu Ostern 1942 sind Feodosia und anderswo. Die Grausamkeit des später erstmals unter Stalins Herrschaft die russischen Kirchen so grosse Ausmasse annehmenden Partisanenkrieges wieder voller Gläubiger, in den Moskauer Kirchen zeichnet sich hier schon ab. singen kommunistische Volkschöre alte Kirchenlieder. Vieles davon ist ganz bewusste Politik. Nicht ohne Der Staatsdruckerei wird das Imprimatur für den Grund hat die Sowjetunion in den zwanziger Jahren Druck der rechtgläubigen Bibel erteilt. Der ehrwür- schon ihren Austritt aus der Genfer Konvention dige von Moskau, lange Jahre in Stalins erklärt, der 1907 die zaristische russische Regierung Kerkern, wird freigelassen und preist Stalin, den Ret- beigetreten war. Nach der sowjetischen Doktrin ist ein ter des Vaterlandes. Gegner im Krieg nicht ein militärischer, sondern vor Vaterland – das ist das nächste Geschenk, das Stalin allem ein politischer Gegner, ein «Klassenfeind», den seinem Volk macht. Mütterchen Russland, das heilige,

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Widerstand im Osten

Erfolg der Partisanen westlich von Staryje Dorogy; Gebiet südlich von Glusk; Gebiet östlich von Potschep; Gebiet nördlich von Bobruisk; Gebiet nördlich der Bahnlinie Klinzy–Unetscha; Abschnitt Aber die Partisanen erzielten grosse Erfolge. Bereits um die Klinzy; Abschnitt nördlich und südwestlich von Smolensk; Mitte des Jahres 1942 beherrschten sie weite Räume hinter Gebiet um Tscherwen und Beresino; Gebiet nordöstlich von der deutschen Front. Nach einem Bericht des Chefs der Polozk, einschliesslich der Bahnlinie Polozk–Newel, und Feldpolizei beim OHK vom 31. Juli 1942 waren Ende Gebiete nordwestlich und süd-südöstlich von Polozk; Juni des Jahres die folgenden Gebiete durch Partisanen Gebiete um Logi, nordwestlich von Orscha; sie beherrschen besonders gefährdet: das ganze Gebiet zwischen den Strassen Minsk–Moskau und Orscha–Witebsk bis Sonno; Gebiet östlich von Witebsk; Im Norden: Gebiet südlich von Orscha; Alle Wege in den Abschnitten Sumpfgebiet südöstlich von Dno; östlicher Teil des Gebiets Gorki–Dropin; Gebiet um Schurwatschi, südlich von Mo- Kudowa; Gebiet südlich von Opotschka; Gebiete beiderseits gilew; Gebiet um Lopel; Gebiet südöstlich von Ljuban. der Strassen Krasnoy–Sebesch und Opotschka bis Nowor- shew; Gebiete südlich und westlich von Puschkinskije Gory; Im Süden: Waldgebiet östlich von Gdow, besonders östlich der Pijussa Hier ist die Gefahr nicht so gross wie im Norden und Zen- und südlich und nördlich von Gdow; Waldgebiet östlich von trum, aber in den folgenden Gebieten wurden ebenfalls Pleskau; Waldgebiet südlich der Strasse von Maramorka Partisanen angetroffen: nach Okonewo. Gebiet südlich von Charkow; Gebiet bei Polowa; Gebiet um Nowgorod-Sowerskij; es wird von Partisanen völlig be- Im «Zentrum: herrscht; Südlicher Teil der Krim. Gebiet westlich von Wjasma; Gebiet nördlich von Gluscha, (Aus: Dixon/Heilbrunn, Partisanen) besonders südlich von Nbwije-Tarrassowitschi; Gebiet nord-

Abb. oben: Der Organisationsplan der sowjetischen Partisanenbewegung. – Abb. rechts: Ein russisches Flugblatt: Im Hintergrund die Tiroler Bauern im Aufstand gegen Napoleon, im Vordergrund ein russischer Partisan. «Als Patrioten kämpfen die Sowjetfreischärler für die gleiche Sache, für die seinerzeit die Tiroler Partisanen zu Sense und Stutzen grif- fen: Für die Ehre und die Freiheit der Heimat!» 434

Zwangsarbeit nommen werden müssen, insbesondere aus dem Reichskom- Brief Sauckels an Rosenberg vom 3. Oktober missariat Ukraine müssen daher 1942 über die Verschärfung der «Anwerbung 225’000 Arbeitskräfte bis zum 31. Dezember 1942, weitere von Ostarbeitern» 225’000 Arbeitskräfte bis zum 1. Mai 1943 gestellt werden. Ich bitte Sie, den Reichskommissar Gaulei- An den Herrn Reichsminister ter Parteigenossen Koch sofort von der neuen Lage und dem für die besetzten Ostgebiete neuen Auftrag zu unterrichten und ihn insbesondere zu ver- z. Hd. des Herrn Gauleiter Meyer anlassen, dass er die Durchführung dieses neuen Auftrages Berlin W 35 persönlich in jeder Hinsicht unterstützt. Ich beabsichtige, Parteigenossen Koch in Kürze aufzusuchen Lieber Parteigenosse Meyer! und wäre dankbar, wenn er mir mitteilen lassen würde, wo Der Führer hat neue dringlichste Programme für die und wann ich ihn zu einer persönlichen Besprechung treffen Rüstung gestellt, die den beschleunigten Einsatz von 2 Mil- kann. lionen weiterer fremdländischer Arbeitskräfte erforderlich Ich bitte aber schon jetzt, die Werbung sofort mit allem machen. Der Führer hat mir daher in Durchführung seines Nachdruck und unter Einsatz aller Kräfte, insbesondere Erlasses vom 21. März 1942 für meine weiteren Aufgaben auch der Fachkräfte der Arbeitsämter, aufzunehmen. Alle neue Vollmachten erteilt und mich insbesondere ermächtigt, Anweisungen, die die Anwerbung von Ostarbeitern vor- nach meinem Ermessen alle Massnahmen im Reich, dem übergehend einschränkten, gelten als aufgehoben. Die Protektorat, dem Generalgouvernement und in den besetz- Reichswerbung muss für die nächsten Monate im Vorder- ten Gebieten zu treffen, die den geordneten Arbeitseinsatz gründe aller Massnahmen stehen. Der vorliegende Eigenbe- für die deutsche Rüstungswirtschaft unter allen Umständen darf kann nur bei schärfster Prüfung Berücksichtigung finden. gewährleisten. Die erforderlichen zusätzlichen Arbeitskräfte werden in (Nürnberger Prozess, Dokument 017 – PS) grösstem Umfange aus den neu besetzten Ostgebieten ent-

435 Widerstand im Osten erhebt sich aus dem Grab, und es vermählt sich mit Dörfer und flüstern von der Greueltat der Deutschen. dem genialen, nun auch göttlichen Josef Wissariono- Die Partisanen sind nicht nur hart gegenüber deut- witsch, dem Väterchen Stalin. schen Soldaten, Verwundeten oder gar Gefangenen, Die «zaristischen Henkersknechte», die «imperialisti- sie sind es nicht nur gegenüber der Bevölkerung, sie schen Eroberer», die «feudalistische Generalsclique» sind es auch in ihren eigenen Reihen. erhalten weisse Westen. Suworow und Kutusow, Admi- General Linstow, einer der führenden Partisanen- ral Nachimov – sie alle sind plötzlich zu wahren Volks- kommandeure und «Held der Sowjetunion», unter helden avanciert. Die Auszeichnungen, die der Zar, der dem Partisanennamen «Batja» bekannt, berichtet in Mörder des russischen Volkes, der verkommene Ver- seinem Buch «Die unsichtbare Front» über die Auf- brecher, einst im Ersten Weltkrieg seinen Soldaten nahme neuer Partisanen. Versprengte Rotarmisten verlieh, kommen wieder zu Ehren, und bald sieht man oder entflohene Kriegsgefangene werden erst einmal mehr Georgskreuze als Rotbannerorden auf den Uni- erbarmungslos verprügelt, weil sie naturgemäss keine formen. Die «Internationale», die sowjetische Hymne, Waffen bei sich haben. Also sind sie Feiglinge – die wird nur noch bei Parteiveranstaltungen gesungen. Versprengten, weil sie auf der Flucht vor den Deut- Nicht Bolschewismus, nicht Partei, nicht Sozialismus! schen ihre Waffen weggeworfen haben, die entflohenen Vaterland, Mütterchen Russland heisst die Parole, und Kriegsgefangenen, weil sie überhaupt in Gefangen- so darf in der neuen Hymne nichts von Kommunismus schaft gewesen sind, statt «bis zum letzten Blutstrop- und ähnlichem vorkommen. Russland und sein Be- fen» zu kämpfen. schützer Stalin, sonst nichts. Und wie die ersten Zeilen Befehle eines anderen Partisanenkommandeurs zeigen der neuen Hymne sehen auch die anderen aus: «Mit die gleiche Auffassung. Die von Regimentskomman- Russland, dem grossen, auf ewig verbündet steh’n deur Sergej Wladimirowitsch Grischin in den Wäldern machtvoll die Völker der Sowjetunion, von Stalin, dem Bjelorusslands gegebenen Befehle spiegeln sich im Weisen, zusammengeschmiedet...» Kriegstagebuch seiner Einheit wider: Später gibt es gar die alten zaristischen Epauletten «Während des Kampfes wurden neun russische Polizi- wieder, gross und goldglitzernd auf den Schultern der sten erschlagen, neun gefangengenommen und acht da- Offiziere. Garde-Regimenter werden ernannt. Die von erschlagen; ein Deserteur blieb am Leben ... Auf Macht der Polit-Kommissare wird beschnitten, jeden- dem Kampffeld stellte sich ein Deutscher tot. Partisan falls in Befehlen, wenn auch die Wirklichkeit anders Skworzew brachte ihn durch einen Dolchstich wieder aussieht. Auf jeden Fall kommt diese Einstellung der zum Leben und sorgte dann durch einen weiteren russischen Volksseele mehr entgegen als die Appella- Dolchstich dafür, dass er nicht mehr aufstand.» tion an sozialistische Prinzipien. Und hieraus ist die Behandlung der eigenen Leute zu Kein Zweifel – alle diese Massnahmen stärken in ho- erkennen, wobei interessant ist, dass der «Polk»-Kom- hem Masse die Kampfmoral der Soldaten und Offi- mandeur Grischin von Chruschtschow selbst in seiner ziere der Roten Armee, die moralische Festigkeit des Dienststellung bestätigt wurde: Hinterlandes, den Mut der Bevölkerung. Aber kaum «Der Gruppenführer Batscharew ist zu erschiessen, weil etwas davon dringt in die von der deutschen Wehr- er aus eigenem Antrieb seine Stellung verlassen hat. macht besetzten Gebiete. Von einer Widerstandsbewe- gung ist noch immer nicht viel zu spüren. Im Laufe des Die [Partisanen-jSpionin Andrejenkowa ist zu erschies- Jahres 1942 ändert sich das allmählich. Es gibt viele sen, weil sie wiederholt Aufklärungsbefehle nicht Gründe dafür. durchgeführt hat. Zunächst ist hier der Terror zu nennen, der von den Zugführer Lukjanow hat Schnaps erpresst und mit Sowjets selbst ausgeübt wird. Die durch den Zustrom seinem Zug gezecht. Er ist zu erschiessen.» von versprengten Rotarmisten – die meisten sind Auch Frauen sind Mitglieder der Partisaneneinheiten. kommunistische Funktionäre – oder geflohenen Kriegs- Sie kämpfen fanatisch und werden auch von den eige- gefangenen zahlenmässig angewachsenen Partisanen- nen Leuten durchaus nicht bevorzugt behandelt, wenn gruppen überfallen selbst Dörfer. auch mancher Partisan zuweilen nicht den Mitkämp- Die von der Bevölkerung gewählten Bürgermeister, fer, sondern eben die Frau in ihnen sieht. Wie das für Gemeindebeamten, Polizisten werden ermordet, mit die Frauen ausgehen kann, zeigt Grischins Befehl vom ihnen jeweils die ganze Familie. Und auch folgende 11. Mai 1943: Methode wird angewendet: Weigert sich ein Dorf, die «Wiederholte Ausschweifungen mit Frauen [des Par- Partisanen zu unterstützen, wird das ganze Dorf ab- tisanen-Polks] haben in sieben Fällen Schwangerschaf- gebrannt, die Einwohner ermordet. Und dann schlei- ten hervorgerufen. Diese Frauen sind eine Belastung für chen die Agenten der Partisanen durch die anderen den Polk. Sie sind zu erschiessen!»

436 In jeder Hinsicht minderwertig

Neben Frauen sind es auch Kinder, die in der Partisa- ben, ihn hat der Grössenwahn gepackt und die Ras- nenbewegung mitwirken. Meist arbeiten sie als Spione, sentheorie seines Führers, die da besagt, Slawen seien da kaum jemand auf Kinder als Partisanen achtet. So- minderwertigere Menschen als Germanen. Und die wjetische Berichte nach dem Krieg verschweigen das Germanen, das sind natürlich vorweg die Deutschen. durchaus nicht, sondern verkünden das, wie etwa Nobel- Koch denkt ebensowenig wie die anderen beiden über preisträger Michail Scholochow, mit grossem Stolz. Das die besetzten sowjetischen Gebiete regierenden Reichs- liest sich zum Beispiel so: kommissare daran, die Erwartungen zu erfüllen, die «Was die Kinder anbetrifft, so hat selbst der schärfste von der Bevölkerung in die Deutschen gesetzt werden. Kritiker des Sowjetregimes immer zugeben müssen, Sicher – die Religionsfreiheit bleibt im Gegensatz zur dass die Sowjetunion in der Kinderwohlfahrt das fort- bolschewistischen Herrschaft nach wie vor gewähr- schrittlichste Land der Welt ist. Es ist daher nicht ver- leistet, die Kirchen bleiben geöffnet, kein Priester wunderlich, dass sowjetische Kinder sich spontan am mehr wird wie unter Stalin verfolgt – das grosse Plus, Kampf beteiligten, um sich ihre Lebensweise zu erhal- von dem die Deutschen bis zum militärischen Ende ten, der sie so viel zu verdanken haben ... « zehren können. Dabei wird nur vergessen, dass die Sowjetunion das Aber die Hoffnung auf einen eigenen ukrainischen einzige Land der Welt war, das für Kinder ab zwölf Staat ist bald entschwunden. Was Stalin in höchster Jahren die Todesstrafe gesetzlich vorsieht, selbst bei Not propagiert – den Gedanken des Vaterlandes, den einem kleinen Delikt wie Diebstahl, und dass die bol- Patriotismus, das wird von Koch und seinesgleichen schewistische Herrschaft erst die «Brespisornys», die nicht anerkannt, weil es nicht gewollt wird. Hunderttausende heimatloser und verwahrloster, ver- Einen ukrainischen Staat, erklärt Koch, wird es nicht hungerter Kinder hervorgebracht hat, die gezwungen geben. «Die Ukraine», erklärt er, «ist nur dazu da, sind, zu stehlen, zu plündern oder gar zu morden, für die Bedürfnisse Deutschlands zu sorgen.» Und «es wenn sie leben wollen. Und vergessen wird, dass selbst muss das Allerletzte aus der Bevölkerung herausgeholt ein bolschewistisch erzogenes Kind keine selbständige werden ... Die Haltung der Deutschen in der Ukraine politische Entscheidung treffen kann, und schon gar wird von der Tatsache diktiert, dass wir es mit einem keine, bei der es unmittelbar um das eigene Leben geht. in jeder Hinsicht minderwertigen Volk zu tun haben!» Trotz Scholochow und der anderen, die über diese Die sowjetischen Kolchosen werden nicht aufgelöst, «Kinderhelden» berichten, ist klar, dass hier nichts wie das die Bauern erhofft haben. Die deutsche Zivil- als kindliche Abenteuerlust von den Partisanen ausge- verwaltung ist der Meinung, dass das straff organi- nützt wird. Und aus dem Leid der Opfer wird gleich- sierte sowjetische System der erbarmungslosen Aus- zeitig Propaganda gemacht: Seht, die deutschen Bar- beutung wie nach Mass auf die Bedürfnisse Deutsch- baren kämpfen sogar gegen Kinder. Darum tötet die lands zugeschnitten ist. Deutschland steht im Kampf Deutschen, erschlagt sie! auf Leben und Tod, und da kommt es zunächst nur auf Der Terror hat begonnen. Stalin hat richtig kalkuliert: die möglichst umfassende Ausbeutung aller Hilfsquel- Terror ist wie eine Schraube ohne Ende. Von Windung len an, auf das Schicksal und die Wünsche der Bauern zu Windung geht es höher, Terror und Gegenterror Bjelorusslands – auch Weissruthenien genannt –, der werden immer stärker, wenn man die tödliche Schrau- Ukraine und Russlands kann man da keine Rücksicht be erst einmal in Bewegung gesetzt hat. Und das ist Sta- nehmen. lin geglückt. Schliesslich kommt auch der Gauleiter Sauckel Stalin Stalin hat bald Helfershelfer, an die er sicher nicht noch zu Hilfe. Sauckel – von Dr. Goebbels in seinem gedacht hat. Sie heissen Koch, Lohse und Kube. Sie nach dem Krieg aufgefundenen Tagebuch «der Fadeste sind die von Hitler eingesetzten Chefs der Zivilver- unter den Faden» genannt – ist von Hitler zum waltung der eroberten «Ostgebiete». Der beste Ver- «Reichskommissar für den Arbeitseinsatz» ernannt wor- bündete Stalins unter ihnen ist ohne Zweifel Erich den. Deutschlands Industrie braucht Arbeiter, und so be- Koch, der ostpreussische Gauleiter der NSDAP, der ginnt Sauckel auch aus den besetzten Gebieten der Sow- nun auch noch «Reichskommissar für die Ukraine» ist. jetunion Arbeiter nach Deutschland zu schaffen. Einst im Jahre 1925 hat Koch noch mit Goebbels der «sozialistischen» Richtung in der NSDAP angehört Die Aktion beruht zunächst nur auf Freiwilligen, aber und hat gemeinsam mit Goebbels gefordert, «den klei- die Anzahl derer, die sich freiwillig zur Arbeit nach nen Bourgeois Hitler» als Parteifeind aus der NSDAP Deutschland melden, genügt den immer mehr steigen- auszuschliessen. Jetzt ist Koch Herrscher des Riesen- den Anforderungen nicht. Und so geht man dazu über, gebietes zwischen Ostsee und Schwarzem Meer. Von Arbeiter und Arbeiterinnen mit Gewalt zur Arbeit dem «Sozialisten» Koch ist nichts mehr übriggeblie- nach Deutschland abzutransportieren.

437

Widerstand im Osten

Mancherorts flüchten die Menschen, vor allem die getroffen, dort wo die Wehrmacht wegen der Front- Jugendlichen, wenn eine «Sauckel-Aktion» bevorsteht. nähe noch selbst zu bestimmen hat und nicht eine von Sie flüchten in die Walder, zu den Partisanen. Und je Deutschland aus eingesetzte Zivilverwaltung. Das mehr Koch seine Ausbeutungsmassnahmen, je mehr drastischste und letzten Endes tragischste Beispiel da- Sauckel sein Programm der «Arbeitskräftebeschaf- für ist die Befriedung des gesamten Gebietes südlich fung» ankurbelt, desto mehr Zuwachs bekommt die Par- von Brjansk. Dieses wald- und sumpfreiche Gebiet ist tisanenbewegung. eine geradezu ideale Operationszone für Partisanen. Daneben gibt es aber auch Massnahmen von deutscher Und trotzdem gelingt es den Deutschen, diese Gebiete Seite gegen das, was die Koch und Sauckel tun. Sie wer- partisanenfrei zu machen, ohne selbst etwa in verlust- den ausser von verständnisvolleren kleinen Funktionä- reichen Kämpfen eigene Truppen einzusetzen und zu ren der Zivilverwaltung vor allem von der Wehrmacht opfern.

Partisanen 3. Durchführung pro-sowjetkommunistischer Agitation und Propaganda in vom Feind besetztem Gebiet mittels inter- Die Untergrundbewegung der sowjetkommunistischen Partei ner öffentlicher Reden sowie Flugblätter. ist der Vorläufer, ist die Mutter der Partisanenbewegung. 6. Psychologischer oder mit Waffengewalt durchgeführter Überall da, wo eine Untergrundbewegung spürbar wird Schutz der Sowjetbürger gegenüber von der Besatzungs- (auch heute in der Bundesrepublik), muss eines Tages mit macht durchgeführter Requisitionen. dem Auftreten von Partisanen gerechnet werden. 7. Liquidierung der Besatzungspolizei, Angestellten und der Eine neuzeitliche Untergrund- und Partisanenbewegung hat mit der Besatzungsmacht zusammenarbeitenden Kollabo- folgende Zielsetzung rateure. 8. Einfiltrieren von Saboteuren in das Eisenbahn-, Post-, a) Untergrundbewegung: Flugplatzpersonal usw. 1. Durchführung agitatorischer Arbeit unter der Bevölke- 9. Herstellung von ununterbrochenen Verbindungen zur rung und ihre Mobilisierung im Kampf gegen den Feind. Front und zum Partisanenbewegungsstab. Mittel: Getarnte Zeitungen, Flugblätter usw. 10. Aufstellung von Druckmaschinen zum Druck von Zei- 2. Organisierung von Sabotage, Spionage, Nachrichten- tungen und Flugblättern (falls die Untergrundbewegung dienst, Propaganda und Agitation. dazu nicht in der Lage ist oder die Verbindungen zu ihr 3. Zersetzungsarbeit innerhalb der feindlichen Truppen, unterbrochen sind). Hervorrufen von Unruhen bei der Mobilmachung. Mittel: Zusammenfassend: die sowjetkommunistische Unter- Getarnte Zeitungen, Flugblätter. grund- und Partisanenbewegung hat die Aufgabe, 4. Anlegen von Vorratslagern für Partisanen (Verpflegung, durch ihr Vorhandensein und ihre Aktivität eine mög- Bekleidung und Bewaffnung) und ihre Versorgung. lichst grosse Zahl von Kräften des Feindes in seinem 5. Infiltrationsarbeit bei der feindlichen Armee, anderen Hinterland zu binden, wichtigen Dienststellen sowie politischen Parteien. Hass zu säen unter der Bevölkerung, 6. Organisierung geheimer Druckereien für die Herstellung die Moral der feindlichen Kräfte zu untergraben, von Propagandamaterial (Flugblätter, Zeitungen usw.). Menschen- und Materialtransporte des Feindes nach der 7. Schulung geeigneter Kader für Agitation, Propaganda, Front möglichst weitgehend zu unterbinden Nachrichtendienst usw. und bei ihren Angriffsaktionen immer die verwundbars- 8. Herstellung einer ununterbrochenen Verbindung mit der ten Stellen zu treffen. Front sowie mit dem Partisanenbewegungsstab. Die Folge davon ist, dass der Feind starke eigene Kräfte 9. Ausnutzung aller gegebenen psychischen und physischen im Hinterland belassen muss, um die Bewegung zu be- Möglichkeiten zur Untergrabung der Moral des Gegners. kämpfen und ihre Aktionen zu verhindern. Diese Kräfte fehlen an der Front. b) Partisanenbewegung: In Verfolgung ihrer Pläne greifen die Partisanen gleich- 1. Zerstörung von Verbindungswegen jeder Art, von Brük- zeitig an vielen Stellen, wenn auch oft nur in kleinen ken, Flugplätzen und Eisenbahneinrichtungen. Gruppen an, zersplittern die feindlichen Abwehrkräfte 2. Vernichtung von feindlichen kriegswichtigen Objekten und verursachen dadurch Unruhe im gegnerischen La- und Menschenmaterial. ger. Ihre Aufgabe ist es nicht, Stellungskrieg zu führen o- 3. Aufklärung, Beobachtung, Sabotage und Nachrichten- der Entscheidungsschlachten zu schlagen. Sie sind ledig- dienst. lich dazu da, Kräfte zu binden und im Hinterland Unruhe 4. Durchschleusen von Spionen und Saboteuren durch die zu stiften. Front und andere gefährliche Punkte. (Aus: Valdis Redelis, Partisanenkrieg.)

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Tod den Okkupanten

Abb. links: Ein Aufruf an die russischen Partisanen: «Genossen Partisanen und Partisaninnen! Verfolgt den auf dem Rück- zug befindlichen Feind. Begleitet ihn, Tag und Nacht, auf allen Wegen und Strassen. Schlagt die faschistisch-deutschen Unmen- schen immer und überall!» – Abb. rechts: Die Rückseite dieses Flugblattes: «Liebe Brüder und Schwestern aus den von den Deutschen okkupierten Gebieten! Das faschistische Deutschland verliert Blut. Seine menschlichen Reserven vermindern sich. Der Zusammenbruch der hitlerischen Räuber ist unvermeidlich. Erheben Sie sich, um diesen Zusammenbruch zu beschleunigen, vernichten Sie diese mit allen Mitteln! Tod den deutschen Okkupanten!» – Abb. unten: Aus den Richtlinien des OKW für die Bandenbekämpfung vom 6. Mai 1944. – Links: Vernichtung einer Bande auf dem Marsch durch ein Jagdkommando. «Das Jagdkommando kämpft wie folgt: Es marschiert meist nachts und bezieht am Tage ein verstecktes Lager. Marsch und Rast sind zu sichern. Ist der Einsatzraum erreicht, beginnt die Aufklärung. Aus den Bandenspuren wird die Tätigkeit der Banditen festgestellt. Mit der Bevölkerung ist keinesfalls Verbindung aufzunehmen, um einem Verrat vorzubeugen. Bei Jagd- kommandos hat sich die Anwendung von Lauer-Spähtrupps immer wieder bewährt. Sie belauern an für den Feuerüberfall günstiger Stelle die Annäherungs- und Bandenpfade. Gute Tarnung, festes Zusammenhalten der Kräfte und vor allem viel Geduld sind die Voraussetzungen zum Erfolg. Nach Vernichtung des Feindes sind Papiere und Karten zu bergen, Waffen und Munition unbrauchbar zu machen. Das Aufnehmen der Beute hat unter Feuerschutz zu erfolgen. Dies ist ganz besonders wichtig, weil die Banditen oft nur örtlich ausweichen und dann ihrerseits einen Feuerüberfall versuchen. Den Kampf mit stark überlegenen Banden vermeidet das Jagdkommando.» – Rechts: Ausräumung eines Kessels durch Verengung der Einschlies- sungslinie.

439 Widerstand im Osten

Urheber des schliesslich erfolgreichen Planes sind zwei nächst radikaler Sozialist und beteiligt sich in Peters- Offiziere der Heeresgruppe Mitte. Der eine ist General burg, dem heutigen Leningrad, an der bolschewisti- der Panzertruppen Rudolf Schmidt, Befehlshaber der schen Revolution. Später wird er von der sowjetischen 2. Panzerarmee; der andere ist der junge Oberstleut- Geheimpolizei NKWD in ein sibirisches KZ gesperrt nant Klaus Schenk Graf von Stauffenberg, Offizier im und danach zur Zwangsansiedlung in den Sumpf- Generalstab des Heeres, zur Heeresgruppe Mitte abge- wäldern südlich Brjansk verurteilt. In dieser Zeit ist ordnet. Stauffenberg ist einer der Befürworter von «lan- er zum Russen, aber auch zum Faschisten geworden. deseigenen Verbänden», von bjelorussischen, ukraini- Kaminski ist von General Schmidt im Einverständnis schen, russischen, kosakischen und anderen Truppen, mit Stauffenberg ermächtigt, völlig selbständig zu han- die als gleichberechtigte Verbündete an der Seite der deln und für das ihm übertragene Gebiet eine russische deutschen Wehrmacht gegen ihre bolschewistischen Provinzregierung aufzustellen, auf eigene Verantwor- Unterdrücker kämpfen. Daher unterstützt der General- tung Distrikts- und Ortsbeamte zu ernennen oder von stabsoffizier Stauffenberg die ROA, die «Russische Be- der Bevölkerung wählen zu lassen, die Wirtschaft des freiungsarmee» unter dem ehemaligen Sowjetgeneral Gebietes zu organisieren, auch – und das ist das Wlassow, unterstützt weitgehend die Selbständigkeits- Wichtigste – aus eigener Kraft mit Hilfe der Bevöl- bestrebungen russischer Politiker, weil er weiss, dass kerung dieses Gebiet selbst mit Waffengewalt gegen nur echte Freiwilligkeit aus eigenem Interesse opfer- bolschewistische Übergriffe zu verteidigen. Bürger- willige Kämpfer und wahre Verbündete hervorbringt. meister werden gewählt, die Kollektivwirtschaften Und daher unterstützt er auch das Experiment, das aufgehoben, Vieh- und Futterbestände sowie die Fel- General Schmidt im rückwärtigen Gebiet seiner Front der werden wieder den Bauern als Eigentum übergeben. unternimmt, um der Partisanenbewegung jede Lebens- Auch die Bildung einer «Volksmiliz» wird zu einem möglichkeit zu nehmen. Tragisch ist dieses Beispiel Erfolg für die deutsche Besatzungspolitik. zum Ende deshalb, weil ausgerechnet das von Stauffen- Ab sofort stossen in Kaminskis Gebiet die Partisanen berg – dem Hitlerattentäter vom 20. Juli 1944 – oder «Banditen», wie sie deutscherseits offiziell ge- unterstützte Experiment zweieinhalb Jahre später, nannt werden, auf erbitterten Widerstand. Was die nachdem Stauffenberg schon im Hof des ehemaligen Partisanen hier beschlagnahmen wollen, ist ja nicht Kriegsministeriums in der Berliner Bendlerstrasse unter mehr ein anonymes «Kollektiveigentum» der «sozialis- den Kugeln des Exekutionskommandos gefallen ist, tischen Gesellschaft», sondern persönliches Eigentum mit zu den schlimmsten auf deutscher Seite begangenen jedes Bauern. Kriegsverbrechen führt. Kaminskis freiwillige Miliz sammelt von der Roten Im März 1942 kommt in der kleinen Stadt Lokot süd- Armee zurückgelassene Waffen, und schliesslich ist lich von Brjansk eine Kolonne von Pferdeschlitten an. seine Truppe eine recht beachtliche Macht in diesem Die Reisenden sind alles Russen. Der Chef der Gesell- Gebiet, der keine Partisanen mehr etwas anhaben kön- schaft legt dem deutschen Ortskommandanten ein nen. Sechs Bataillone von jeweils 500 bis 600 Mann, Schreiben des Generals der Panzertruppen Schmidt dazu eine Panzerabteilung mit zwölf Panzern, eine Ar- vor, das die allumfassende Überschrift trägt: «An alle, tillerieabteilung mit zwanzig Geschützen. die es angeht!» Das Beispiel Kaminskis, der sogar kleinere Offensiven Jede in Schmidts Befehlsbereich befindliche deutsche gegen die Partisanen führt, ist jedoch nicht typisch. Einheit wird darin aufgefordert, dem Überbringer des Denn im Wesentlichen wird die deutsche Besatzungs- Befehls jede nur irgend mögliche Unterstützung zu ge- politik durch die Lehre von den minderwertigen Sla- währen. wen, vom Gedanken der rücksichtslosen wirtschaft- In seinem Befehl ernennt Schmidt den Überbringer des lichen Ausnutzung der besetzten Gebiete und von Befehls zum Gouverneur des gesamten Gebietes süd- Sauckels Rekrutierungskommandos bestimmt. Dadurch lich von Brjansk, einschliesslich der Städte Nawljam, und durch die Gnadenlosigkeit des Partisanenkrieges Lokot, Dimitrowsk, Dmitrijew und Sewsk. Kaminski mit Überfällen und Repressalien werden immer mehr heisst der Überbringer dieses Befehls, Mieczyslaw Ka- Menschen dazu gebracht, in die Wälder zu gehen, sich minski. Er ist 1896 in Posen geboren und seiner Natio- den Partisanen anzuschliessen, auch wenn sie bisher nalität nach Pole. nicht unbedingt deutschfeindlich gewesen sind. Doch Kaminski ist wie viele spätere Faschisten – etwa Dennoch treten die Partisanen erst dann spürbar in der italienische Duce Mussolini, der polnische Staats- Erscheinung, als feststeht, dass Deutschland den Krieg gründer Marschall Pilsudski, der Reichskommissar nicht mehr gewinnen kann. Den ersten echten Auf- Koch oder Volksgerichtshof-Präsident Freisler – zu- schwung nimmt die Partisanenbewegung im Frühjahr 1943 nach Stalingrad, den zweiten nach dem Scheitern

440 Ukrainische Befreiungsarmee des «Unternehmens Zitadelle» im Juli des gleichen Aktionen gegen die Beschlagnahme von Getreide durch Jahres, der letzten deutschen Grossoffensive im Osten, die Deutschen zu organisieren, den Transport von Ge- mit der Hitler noch einmal versucht, das Schicksal zu treide und anderen Wirtschaftsgütern nach Deutschland zwingen. Und dass diese Offensive scheitert, ist nicht zu verhindern; zuletzt den Agenten und Spionen der Partisanen zu Kampagnen gegen die Werbung für die Arbeit in verdanken, denn die Führung der Roten Armee ist in Deutschland durchzuführen und vor allem die Zwangs- allen Einzelheiten über die bevorstehende deutsche Of- rekrutierung von Arbeitern zu verhindern; fensive unterrichtet. Und das ist der Hauptgrund dafür, ein enges Netz von Widerstandskräften überall im dass sie scheitert. deutschen Vcrwaltungsbereich zu knüpfen, um deut- Es ist klar, dass sich die sowjetische Partisanenbewe- sche Massnahmen sowohl zu erkunden als auch durch gung angesichts deutscher Niederlagen verstärkt. Ge- Sabotage oder bewaffnete Aktionen zu sabotieren; rade bisher deutschfreundliche Kreise wissen, dass sie Schulen sollen eingerichtet werden, die für den Augen- bald ein Alibi brauchen, wenn die Sowjets wieder die blick militärische, für die Zukunft politische Führer her- Macht übernehmen. Und so sind alle, die befürchten anbilden. müssen, als Kollaborateure oder Verräter ihr Leben zu Die UPA erreicht in überraschend kurzer Zeit eine verlieren, nun die Eifrigsten, wenn es gilt, Sabotage- Stärke von über 200’000 Mann. Schon im Frühjahr akte zu verüben, tagsüber freundlich als Polizist oder 1943 greift sie aktiv ein. Der erste Grosseinsatz gilt Beamter mit den Deutschen zu reden, denen man nachts den deutschen Nachschublinien. Transportzüge entglei- nach dem Leben trachtet. sen nach Schienensprengungen, ukrainische Eisenbah- Aus diesen und viel mehr Gründen ist die sowjetische ner stellen Munitionszüge auf Abstellgleise, Kohlen Partisanenbewegung bis zum Schluss keine echte «Wi- werden mit Sprengstoff gefüllt und Lokomotiven flie- derstandsbewegung des Volkes. Sie ist entweder eine gen in die Luft, die wenigen Strassen in dem unerschlos- reine Zweigstelle der Roten Armee, vom Staat und der senen, primitiven Land werden vermint, deutsche Armeeführung direkt organisiert – die Sowjetunion Nachschubeinheiten angegriffen und vernichtet. Mit ist ja in diesem Krieg das einzige nur teilbesetzte Land, Überfällen auf Konzentrationslager und Kriegsgefan- in dem die reguläre Regierung noch funktioniert – oder genenlager bei Kremenez, Dubno, Luck, Kiewerzy und unter Druck zustandegekommen. Kowel werden eine grosse Anzahl von Gefangenen be- Eine echte Widerstandsbewegung auf sowjetischem freit, die sich sofort der Widerstandsbewegung an- Gebiet entsteht dagegen in der Ukraine. Dieser wirk- schliessen. lich aus dem Willen des Volkes geborene Widerstand Es kommt schon 1943 zu einer Reihe von militärischen gilt sowohl der deutschen Besatzungsmacht als auch der Grosseinsätzen. Immer mehr deutsche Truppen müs- vom ukrainischen Volk empfundenen Gefahr der Wie- sen im Hinterland zur Bekämpfung der ukrainischen derherstellung der Sowjetmacht. Befreiungsarmee eingesetzt werden und fallen damit Am 14. Oktober 1942 wird eine zentrale Leitung der für die Front aus. Die Bevölkerung der Ukraine unter- bisher zersplitterten Partisanen- und anderen Wider- stützt die UPA weitgehend. Anders als die Sowjet- standsgruppen gebildet. Zu diesem Zeitpunkt haben partisanen kann die ukrainische Widerstandsbewegung sich die Führer der ukrainischen Unabhängigkeitsbe- darauf verzichten, mit den Mitteln des Terrors die Be- wegung endgültig zu der Überzeugung durchgerungen, völkerung für sich zu gewinnen. dass die Befreiung der Ukraine, die Errichtung eines 1943 werden nicht nur rückwärtige deutsche Einheiten, unabhängigen ukrainischen Nationalstaates an der sondern bereits eine ganze Anzahl von Frontdivisionen Seite Deutschlands, eine Illusion ist. Die noch 1941 in Kämpfe mit der UPA verwickelt. Im Mai 1944 wird oft sogar als Befreier vom Bolschewismus und von der im «Tschorny Lis», dem «Schwarzwald» im Gebiet russischen Unterdrückung jubelnd begrüssten Deut- von Stanislaw, eine deutsche Division nahezu aufge- schen behandeln die Ukraine nicht anders als das übrige rieben und zum Rückzug gezwungen. Im Juli schlagen Russland – als wirtschaftliches Ausbeutungsobjekt. starke Einheiten der UPA den Angriff gegen ihre Stellungen um und auf dem Lopata-Berg ab, auf dem Die 1941 vorhandene Zuneigung zu den deutschen Be- sich auch das ukrainische Armee-Hauptquartier be- freiern schlägt immer mehr in Hass um. Die zentrale findet. Unmittelbar darauf entwickelt sich zwischen Leitung der Widerstandsbewegung nennt ihre durch Skolje und Bolejiw eine heftige Schlacht, in der die den Zusammenschluss der Einzelgruppen entstandene Ukrainer den angreifenden deutschen und ungarischen Organisation UPA: Ukrainska Powstantscha Armia – Divisionen schwere Verluste zufügen. Ukrainische Befreiungsarmee. Der UPA werden ganz Schliesslich versucht die deutsche militärische Führung konkrete Aufgaben gestellt: einen Waffenstillstand mit der UPA zu schliessen, weil

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Widerstand im Osten man von der richtigen Voraussetzung ausgeht, dass die In der Wohnung des Sattlermeisters Blicharski in UPA ebenso antisowjetisch wie antideutsch ist. Doch Warschau, Twardastrasse 22, wird an diesem Abend ein solches Angebot wird von den ukrainischen Gueril- nicht der Abschied vom alten Jahr gefeiert, sondern las abgelehnt. Nach allem, was vorgefallen ist, ziehen über den Abschied von einer falschen Politik gespro- es die Partisanen vor, allein den hoffnungslosen Kampf chen. Die Anwesenden sind fast alles ehemalige Kom- gegen die Rote Armee aufzunehmen. munisten, diejenigen, die Stalins Säuberungswelle Ähnlich entwickelt sich die Lage auch in Polen. Doch überlebt haben. anders als die ukrainische Befreiungsarmee hat sich die Mit einigen Sozialisten und kommunistenfreundlichen noch stärkere Heimatarmee der Polen, die Armija Bürgern wird in Blicharskis Wohnung ein «National- Krajowa, nicht auf militärische Kämpfe mit der deut- rat» gegründet, der Vorläufer einer kommunistischen schen Wehrmacht eingelassen. Die Polen wollen ihre Regierung Polens. Es zeigt sich bald, dass dieses Her- Untergrundstreitkräfte intakt halten, bis sie zu Schlä- vortreten aus der Tarnung zu früh geschieht. Denn gen ausholen können, die vernichtend sind. Und vor schliesslich gibt es eine rechtmässige polnische Regie- allem – die militärische Kraft soll bewahrt werden, um rung in London, die sogar eine etliche Hunderttausend den neuen polnischen Staat nach der Befreiung von der Mann starke Armee im Lande hat. Der Schluss liegt deutschen Besatzung von den Sowjets unabhängig zu für jeden nahe, dass es sich trotz einiger «bürgerlicher» machen. Namen im «Nationalrat» um den ersten Schritt zu Wie notwendig vor allem die letztere Aufgabe ist, einer kommunistischen Regierung handelt. zeigt sich schon Ende 1943, genauer gesagt, am Silve- Die Londoner polnische Regierung und die Führung sterabend. der Armija Krajowa entschliessen sich, bei der ersten

Gesamtergebnis:

Abb. oben: Aus dem Bericht der 1. SS-Infanterie-Brigade über das Gesamtergebnis des Unternehmens «Nürnberg» (Vernichtung der Feindbanden im Waldgebiet nördlich Postawy) vom 22.–26. November 1942. – Abb. rechts: Aus dem Tagesbericht des SS-Kavallerie-Regiments 2 über den «Einsatz Pripjet-Sümpfe» vom 12. August 1942. In pedantischer Genauigkeit wurden hier Massnahmen und Ergebnisse der «Sicherungs-, Säuberungs- und sog. Befriedungsaktionen» in den Gebieten hinter der Front für immer festgehalten. 442

Einsatz Pripjet-Sümpfe

443 Widerstand im Osten

Gelegenheit die AK aus der Verborgenheit herauszu- polnischen Staat nicht, dann wird die Heimatarmee führen, um gegenüber den eigenen Kommunisten und gegen die Sowjets kämpfen, bis Polen von der Sowjet- den immer näherrückenden Sowjets von vornherein zu herrschaft befreit ist. betonen, wer zur Herrschaft in Polen befugt ist. Da diese zweite Möglichkeit recht nahe liegt, wird schon Ministerpräsident der polnischen Regierung ist seit bei der Ausarbeitung der «Burza»-Pläne darauf ge- dem Sommer 1943 der Führer der Bauernpartei, achtet, dass keineswegs alle Untergrundstreitkräfte Stanislaw Mikolajczik. Der bisherige Ministerpräsi- und politischen oder verwaltungstechnischen Organe dent und Oberkommandierende der Streitkräfte, Ge- sich sofort den Russen zu erkennen geben. Offenheit neral Sikorski, ist bei einem Flugzeugunglück ums gegenüber den Sowjets zunächst nur in dem Mass, das Leben gekommen, das jedoch von vielen für ein so- notwendig ist, die Eigenstaatlichkeit zu beweisen. wjetisches Attentat gehalten wird. Oberkommandie- Am 21. April 1943 hat die Sowjetunion die diploma- render ist jetzt General Sosnkowski; die Heimatarmee tischen Beziehungen zur polnischen Regierung abge- wird nun von General Tadeusz Komorowski geleitet, brochen. Den Vorwand gibt der sowjetische Massen- der den Decknamen «Bor» führt. Sein Vorgänger und mord an Tausenden polnischen Offizieren im Wald Chef, General Rowecki, ist im Juli 1943 von einem von Katyn her. Dort sind Anfang April in Massen- sowjetischen Agenten ermittelt und an den deutschen gräbern die Leichen von 4504 polnischen Offizieren SD denunziert worden. Er befindet sich im KZ Buchen- gefunden worden, die nach dem deutsch-sowjetischen wald und wird Anfang August 1944 auf Befehl Himm- Polenfeldzug in sowjetische Gefangenschaft geraten lers erschossen. und im März oder April 1940 auf Befehl Stalins durch Die Strategie der Heimatarmee, die nun nach dem Be- Genickschüsse ermordet worden sind. kanntwerden der kommunistischen Herrschaftspläne Die Sowjetregierung hat das Verbrechen abgeleugnet, ausgearbeitet wird, erhält den Namen «Burza» – die polnische Regierung dagegen hat sich an das Inter- Gewittersturm. Sobald die Rote Armee im Verlauf nationale Rote Kreuz mit der Bitte um Untersuchung ihres Vordringens nach Westen die ehemalige polnische gewandt. Die deutsche Regierung stimmt der neutralen Grenze überschreitet, soll die Armija Krajowa im Untersuchung der Massengräber sofort zu (sie kommt Rücken der deutschen Front einen Aufstand entfachen. dann auch zustande und ergibt einwandfrei die so- Dieser Aufstand soll auf keinen Fall das ganze Land wjetische Schuld), die Sowjetregierung dagegen be- ergreifen, sondern soll abschnittsweise ausbrechen, je trachtet eine solche Untersuchung als Beleidigung und nachdem, wie sich die Lage an der Front entwickelt. hat damit den längst ersehnten Vorwand für den Bruch Das erste Aufstandsgebiet liegt ostwärts der Linie von mit den Londoner Polen. Wilna im Norden bis Lemberg im Süden, das Gebiet 1942 ist in der Sowjetunion eine polnische Armee eines zweiten Aufstandes soll am Bug bei Brest-Litowsk unter General Anders aufgestellt worden, die sich je- liegen und bis zum Fluss San im Süden reichen. doch weigert, auf sowjetischer Seite zu kämpfen. Über Danach kommt das dritte und wichtigste Aufstandsge- Persien zieht diese Armee nach Nordafrika. Dort und biet: Polens Hauptstadt Warschau und seine Umgebung. später in Italien kämpft sie auf alliierter Seite. Der Zeitpunkt – so hat noch General Rowecki for- Die Aufstellung dieser Armee ist für die Sowjets eine muliert, kurz bevor er verhaftet wurde – der einzel- Blamage gewesen. So bemüht man sich um die Auf- nen «Burza»-Aktionen «steht mit dem Einmarsch der stellung einer zweiten Armee, die sowjettreu ist, als Russen und nicht mit dem Grad der Auflösung bei Gegengewicht zu der den Sowjets wohlbekannten den Deutschen in Zusammenhang». Heimatarmee. Aber es wird nur eine Division. Die anderen ehemaligen polnischen Kriegsgefangenen sind Entscheidend ist also, gleichzeitig mit dem Rückzug entweder, wie die Offiziere von Katyn, umgebracht der Deutschen und dem Vormarsch der Russen der ein- worden, oder sie haben sich schon der Anders-Armee marschierenden Roten Armee überall bereits Reprä- angeschlossen. Oberst Berlinger wird Kommandeur sentanten des unabhängigen polnischen Staates gegen- dieser Division, die zur Tarnung den Namen des überzustellen. Wenn die Sowjets kommen, so müssen polnischen Freiheitshelden Tadeusz Kosciuszko erhält, eine polnische Verwaltung, polnische Polizei, polni- der 1794 die Aufständischen im Kampf gegen Russ- sches Militär bereits vorhanden sein. land führte. Was dann geschieht, wird man sehen. Respektiert die Am 22. Juni 1944 schlägt für die polnische Heimat- Rote Armee den unabhängigen polnischen Staat, dann armee die grosse Stunde. Auf den Tag genau drei Jahre wird die Heimatarmee an der Seite der Sowjets als nach dem Beginn des deutschen Angriffs auf die So- verbündete Streitmacht der Alliierten gegen die Deut- wjetunion eröffnet die Rote Armee ihre grosse Som- schen weiterkämpfen. Respektiert die Sowjetunion den meroffensive. Von Pleskau am Peipussee im Norden

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.Bandenbekämpfung'

Abb. oben: Kampfanweisung für die Bandenbekämpfung im Osten vom 11. Nov. 1942. In einer «Geheimen Kom- mandosache» vom 16. Dez. 1942 heisst es: «...Mit soldati- scher Ritterlichkeit oder mit den Vereinbarungen der Gen- fer Konvention hat dieser Kampf nichts mehr zu tun. Wenn dieser Kampf gegen die Banden sowohl im Osten wie auf dem Balkan nicht mit den allerbrutalsten Mitteln geführt wird, so reichen in absehbarer Zeit die verfügbaren Kräfte nicht mehr aus, um dieser Pest Herr zu werden. Die Truppe ist daher berechtigt und verpflichtet, in diesem Kampf ohne Einschränkung auch gegen Frauen und Kinder jedes Mit- tel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg führt.» – Abb. rechts: Die Massnahmen gegen Saboteure (1944).

Völkerrecht 1. Sie müssen ein bestimmtes, aus der Ferne (Gewehrschuss- weite) erkennbares Abzeichen tragen. 2. Sie müssen ihre Waffen offen führen. I. Grundlegung. Der Partisanenkrieg verstösst nicht gegen 3. Sie müssen die Gesetze und Gebräuche des Kriegs beach- die Grundsätze der Haager Landkriegsordnung. Wenn je- ten. doch eine Partisanenbewegung gewisse Regeln der Land- kriegsordnung nicht beachtet, so geniessen die Partisanen Erfüllen Partisanen diese vier Bedingungen, so sind sie ihren Schutz nicht. Partisanen sind daher entweder recht- rechtmässige Kriegsteilnehmer. In diesem Fall werden sie wie mässige oder rechtswidrige Kriegsteilnehmer; im zweiten Angehörige der regulären Truppe behandelt und geniessen, Fall werden sie in der Gesetzessprache als «Francs-tireurs» wenn gefangengenommen, die Rechtsstellung von Kriegsge- – Freischärler – bezeichnet. Die betreffenden Regeln sind in fangenen. Artikel 1 der Landkriegsordnung festgelegt,der bestimmt, dass Was nun die sowjetischen Partisanen betrifft, so brauchen die Kriegsgesetze, Kriegsrechte und Kriegs pflichten nicht wir nicht zu erörtern, ob sie die Regeln 1 und 4 erfüllten, da nur auf reguläre Truppen, sondern auch auf Miliz und Frei- sie weder ein bestimmtes erkennbares Abzeichen trugen, willigenkorps anzuwenden sind, wenn sie die folgenden noch ihre Waffen offen führten. Die sowjetischen Partisanen Bedingungen erfüllen: verzichteten bewusst auf den Schutz der Landkriegsordnung: indem sie den Anspruch auf Sicherheit nach Gefangennahme 1. Sie müssen organisiert sein, d.h. unter dem Befehl einer preisgaben, erhöhten sie den Widerstandswillen im Kampf. Person stehen, die für die ihr Untergebenen verantwortlich ist. (Aus: Dixon/Heilbrunn.)

445 Widerstand im Osten bis Bobruisk treten die Sowjets nach einem bisher noch Es kommt zu erbitterten Strassenkämpfen gegen die nie erlebten Artilleriefeuer zum Angriff an. deutsche Besatzung der Stadt. Die Polen bleiben Am nächsten Tag beginnt südwestlich davon die zweite schliesslich Sieger und erklären das Gebiet von Wilna Offensive, von Kowel bis zum Ostrand der Karpaten. zum befreiten polnischen Staatsgebiet, unmittelbar be- Beide Offensiven gelten der Zerschlagung der deut- vor nun auch die Rote Armee in Wilna einrückt. schen Heeresgruppe Mitte. Das Ziel ist die Weichsel, Der Sowjetmarschall Tschernjakowski, Oberbefehls- bis dahin sollen die zerschlagenen deutschen Verbände haber der hier kämpfenden «3. Bjelorussischen Front», zurückgetrieben werden. Im Verband der Roten Armee vereinbart mit dem Befehlshaber der polnischen kämpft auch die «Kosciuszko-Division», die man eben Heimatarmee dieses Gebietes, General Krzyzanowski, noch zur «1. Polnischen Volksbefreiungsarmee» ge- dass die Heimatarmee an der Seite der Roten Armee macht hat, obwohl sie stärkemässig längst keine die Deutschen weiterverfolgen soll. Es wird vereinbart, Armee ist. Aber wenn der Westen eine Heimatarmee die Heimatarmee im Gebiet von Wilna zu einer Divi- in Polen hat, dann braucht Stalin ebenfalls eine polni- sion umzubilden, die von den Sowjets auch schwere sche «Armee». Waffen erhalten soll. Die sowjetische Grossoffensive glückt bereits im ersten Am 16. Juli wird der polnische Befehlshaber zu einer Anlauf. Der Stab der deutschen Heeresgruppe hat die Besprechung über die Einzelheiten der Aufstellung sei- Offensive im Süden erwartet und dort alle Reserven ner Division in das sowjetische Fronthauptquartier in hingeworfen. Am 22. Juni werden diese Reserven Wilna gebeten. Dort wird er mitsamt seinem Stab ver- eiligst auf den Marsch nach Norden gebracht – und haftet, später erschossen. Die sowjetischen «Verbin- da beginnt der zweite Teil der Offensive im Süden. dungsoffiziere», die bereits der polnischen Division zu- Hinter der deutschen Front herrscht dadurch von vorn- geteilt sind, um bei der Aufstellung zu helfen, ver- herein Verwirrung. anlassen die polnischen Offiziere zum Besuch von Die Verwirrung steigert sich noch, als die militärischen «Besprechungen», die für alle so enden wie für ihren Partisanenverbände der Sowjets hinter der Front Befehlshaber Krzyzanowski – und wie Jahre zuvor durch Brückensprengungen, Angriffe auf Truppentrans- für die polnischen Offiziere in den Massengräbern von porte, Verminung der Rollbahnen die deutschen Ver- Katyn. bindungslinien durchschneiden. Erstmals kämpfen hier Die Einheiten der Heimatarmee von Wilna sind über Sowjetpartisanen zusammen mit Einheiten der polni- den schändlichen Verrat der Sowjets empört und neh- schen Heimatarmee, auch wenn sie oft nichts vonein- men den Kampf gegen die Rote Armee auf, nachdem ander wissen. 30 sowjetische Schlachtflieger mit Bordkanonen und Aber der erste «Gewittersturm», der von den Polen Bomben den Aufstellungsraum der Polen angegriffen für diesen Zeitpunkt geplant war, bricht nicht aus. Die haben. Der Kampf dauert bis zum 27. August 1944. erste «Burza»-Aktion kommt nicht zustande. Der Erst an diesem Tage gelingt es der Roten Armee, den Grund dafür ist so einfach, dass bei der Ausarbeitung letzten Einheitsführer der Heimatarmee mit seinem der entsprechenden Pläne überhaupt niemand daran Stab gefangenzunehmen, nachdem die Polen fast alle gedacht hat: Die deutsche Front bricht derart schnell mehr oder minder schwer verwundet sind. Die Gefan- zusammen, dass die Deutschen schon geschlagen sind, genen einschliesslich aller Verwundeten werden von ehe General Bor-Komorowski von Warschau aus das den Sowjets sofort erschossen. Signal für «Burza» geben kann. Ähnlich ergeht es den Angehörigen der Heimatarmee Damit wird auch der Zweck des polnischen Teilauf- in den Gebieten von Lemberg, Bialystok und Lublin, standes hinfällig – die Errichtung der polnischen wo die «Burza»-Aktion verspätet angelaufen ist. Die Staatsmacht, bevor die Sowjets ein bolschewistisches sowjetische Armee-Zeitung erwähnt sogar lobend den Regime einsetzen können. Die Rote Armee überrennt Anteil der Polen an der Eroberung von Lemberg, aber das Gebiet des ersten «Gewittersturms», bevor die auch hier und in den anderen Gebieten werden die Führung der Heimatarmee überhaupt zur Besinnung Polen zu Besprechungen gebeten, bei denen sie dann kommt. Lediglich im Norden des vorgesehenen ersten verhaftet werden. Es ist die gleiche verräterische Taktik Aufstandsgebietes kommt «Burza» noch zum Anlaufen. der Bolschewisten, die viele Jahre später der ungari- sche General Maleter, der militärische Führer des Allerdings kann in der kurzen Zeit nicht mehr ein Auf- Oktoberaufstandes von 1956, und auch der ungarische stand der Bevölkerung und die Errichtung der polni- Ministerpräsident Nagy erfahren müssen. schen Staatsmacht erreicht werden. Aber die Heimatar- Am 22. Juli tritt in der polnischen Stadt Chelm ein mee versucht noch vor den Sowjets die Hauptstadt Li- «Befreiungskomitee» zusammen. Die Initiatoren dieses tauens, Wilna, zu erobern. Komitees sind die drei führenden polnischen Kommu-

446 Lubliner Befreiungskomitee nisten, die Stalins Säuberung überlebt haben: Gomulka, gangen. Die im Ghetto von Warschau zusammenge- Spychalski und Bierut. Ihr «Befreiungskomitee» soll drängten Juden haben diesen Aufstand gewagt, der sich als polnische Regierung konstituieren, und damit schliesslich von den Deutschen blutig zusammenge- alles recht demokratisch aussieht, wird die rechtmässige schlagen wurde. Jeder Warschauer kennt das Gebiet des Regierung in London aufgefordert, Mitglieder für diese ehemaligen Ghettos, eine trostlose, öde Fläche, auf der «Regierung» zu stellen. nur noch vereinzelt Trümmer stehen. Am 26. Juli tagt das Komitee in der mittlerweile von Die Juden im Warschauer Ghetto haben einen schwer- der Roten Armee eroberten Stadt Lublin, weshalb von wiegenderen Grund für einen Aufstand gehabt. Bei der hier gebildeten kommunistischen Regierung spä- ihnen ist es um das nackte Leben gegangen. Seit An- ter als «Lubliner Regierung» im Gegensatz zur «Lon- fang 1942 wollen im Ghetto die Gerüchte nicht mehr doner» gesprochen wird. Die «Lubliner Regierung» hat verstummen, nach denen eine Vernichtung aller Juden ihre Legitimation von Stalin erhalten, und sie wird geplant sei. Es wird von den Lagern Belzec, Majdanek eine Politik im Interesse der Sowjets machen. Aber und Auschwitz gesprochen. Der Judenrat, die Selbst- daran glaubt man im Westen nicht – immerhin sitzt verwaltungsbehörde des Warschauer Ghettos, hat ge- diese Regierung in Polen, die anderen «regieren» von nauere Nachrichten über die Vernichtungslager. Aber England aus. Und so ist man im Westen vielfach ge- er weiss auch von echten Umsiedlungen, von echten neigt, die «Lubliner» für die richtige polnische Regie- Arbeitseinsätzen – und so haben die Mitglieder des rung zu halten, zumindest aber erst einmal abzuwarten. Judenrates die Hoffnung, dass das Warschauer Ghetto Trotz vieler Bedenken finden sich später auch Londo- eine besondere Rolle spielt, dass es von den Vernich- ner Exilpolen, die dieser «Lubliner Regierung» bei- tungsplänen verschont bleibt. treten. Der Grund: Die Lubliner Kommunisten ver- Das Ghetto hat fast 400’000 Einwohner, soviel etwa, künden, was Stalin ihnen versprochen hat – die Aus- wie die Grossstadt Nürnberg oder wie Wiesbaden dehnung Polens bis tief nach Deutschland hinein, bis und Mainz zusammen. Die Lebensverhältnisse im zur Oder und zur Neisse. Und so wird die Geburts- Ghetto sind schlecht. Die Menschen leben auf engem stunde der kommunistischen Regierung Polens zugleich Raum zusammengedrängt, aber sie leben – und sie die Geburtsstunde der Oder-Neisse-Grenze, zum Be- wiegen sich in Sicherheit, weil die Gestapo sich kaum ginn der erbarmungslosen Austreibung von vielen Mil- um die inneren Angelegenheiten des Ghettos kümmert. lionen Deutschen aus diesem Gebiet. Es gibt Restaurants, Kinos und Theater im Warschauer In Warschau ist man über diese Entwicklung entsetzt. Ghetto – ein trauriger Abglanz der früheren, normalen Natürlich hat man nie im Ernst daran geglaubt, dass Welt. die Sowjets als Befreier Polens kommen. Formell hat Nach der Ermordung Reinhard Heydrichs durch die polnische Exilregierung schon gegen die sowjeti- tschechische Widerstandskämpfer, anlässlich seines sche Offensive Einspruch erhoben. Die Rote Armee, Staatsbegräbnisses in Berlin, wird zwischen Himmler, heisst es in diesem Protest, hat polnischen Boden betre- Eichmann und anderen Funktionären über die be- ten, ohne die polnische Regierung vorher um Erlaubnis schleunigte Vernichtung aller Juden gesprochen. zu bitten. Doch hat man in Warschau nicht angenom- Arbeitseinsätze, so wichtig sie für die Rüstungsindu- men, dass alles gleich so schlimm würde, dass die Sow- strie und die übrige Wirtschaft sind, werden nun end- jets statt eines freien nur ein kommunistisches Polen gültig nebensächlich. Jetzt wird nur noch von Ver- dulden würden. nichtung gesprochen, und zu «Ehren» Heydrichs erhält Die Installierung der kommunistischen Gegenregierung die Vernichtungsaktion den Decknamen «Aktion Rein- in Lublin führt schliesslich zu dem verhängnisvollen hard». Innerhalb von nur zehn Wochen werden aus den Entschluss, den Volksaufstand in Warschau zu wagen, Ghettos in Polen 500’000 Menschen umgebracht. um wenigstens die Hauptstadt Polens selbst zu befreien Am 22. Juli 1942 fährt der erste Transport mit 5’000 und dort mit der rechtmässigen Regierung den Sowjets Menschen nach Treblinka, wo eben die Gaskammern entgegenzutreten. und Krematorien fertiggestellt worden sind. Tag für Es hat viel Hin und Her zuvor gegeben. Manche Tag geht es nun so. Niemand im Ghetto kann mehr Zweifel sind laut geworden, ob ein Aufstand in War- daran zweifeln, dass die Transporte in den Tod führen. schau überhaupt erfolgreich sein kann. Und wenn er Aber noch gibt es «Freistellungsbescheinigungen» siegreich bleibt, ist dann dieser Sieg die Opfer wert? deutscher Behörden, noch dürfen deutsche Unterneh- Wird man dann nicht nur ein Ruinenfeld befreit mer die bei ihnen beschäftigten Juden heraussuchen. haben, eine Trümmerwüste ohne Menschen? Und so hofft mancher, dem Tod doch noch zu entgehen, Denn es hat in Warschau schon einen Volksaufstand zumal die «Freistellungen» in sehr grosser Zahl erfol- gegeben. Nur etwas mehr als ein Jahr ist seitdem ver- gen.

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Widerstand im Osten

Der jüdische Ordnungsdienst stellt zunächst die Men- bene mit dem Stempel: «SS-Polizeiführer, Aktion Rein- schen aus den Sammelunterkünften für die Transporte hard». zusammen. Sie sind die Ärmsten der Armen, die Ver- Bis zum 15. August ist bereits die Hälfte der Einwoh- zweifeltsten. Für sie scheint es, Schlimmeres könne ner des Ghettos abtransportiert in die verschiedenen nicht mehr kommen, höchstens die Erlösung aus allem Vernichtungslager – nun sind auch schon Angehörige Elend. Danach kommen die Alten und Kranken an des Judenrates und des Ordnungsdienstes dabei. Jetzt die Reihe, die Kinder des Waisenhauses. Doch bald erst werden die verschiedenen Widerstandsgruppen im muss man auch auf die Angehörigen der Inhaber von Ghetto aktiver. Freistellungsbescheinigungen zurückgreifen, um die Eine riesige Razzia findet vom 5. bis 12. September tägliche Transportquote zu erfüllen. Dabei hat der jüdi- statt. Alle noch im Ghetto lebenden Juden werden in sche Ordnungsdienst zum ersten Male Schwierigkeiten. Gruppen zusammengetrieben, ebenfalls die in den Fa- Die Frauen und Kinder der auf Arbeit befindlichen briken ausserhalb des Ghettos arbeitenden. Viele ver- Männer werden tagsüber zusammengetrieben – sie ha- suchen sich zu verstecken, aber die meisten von ihnen ben keine Bescheinigung. werden gefunden und an Ort und Stelle erschossen. Bei der Zusammenstellung der nächsten Transporte Von den 3‘800 Mann des jüdischen Ordnungsdienstes muss der Ordnungsdienst schon litauische Miliz zu wird jeder Zehnte herausgesucht. Er darf im Ghetto Hilfe holen, und schliesslich werden mit einem Schlag bleiben – die anderen 3‘400 werden mit in die Ver- alle bisher ausgestellten Freistellungsbescheinigungen nichtungslager geschickt. Die Übriggebliebenen aber für ungültig erklärt. Es gelten nur noch neu ausgege- haben auch nicht mehr lange zu leben. Mit wenigen

Aufruf der Jüdischen Kampforganisation in Warschau von Anfang Januar 1943

Bereitet euch zur Tat vor! Seid wachsam! Wir stehen auf zum Kampf! Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, das Volk wachzurütteln. Wir wollen unserem Volk die Losung zu- rufen: Erwache und kämpfe! Verliere nicht die Hoffnung auf die Möglichkeit einer Rettung! Wisse, dass die Rettung nicht darin liegt, willenlos, wie eine Herde Schafe, in den Tod zu gehen. Sie liegt im Kampf! Wer um sein Leben kämpft, hat Chancen, sich zu retten! Wer von vornherein auf die Verteidigung verzichtet, ist verlo- ren! Den erwartet nur ein schmählicher Tod in der Todesma- schine Treblinka. Erwache, Volk, und kämpfe! Raffe dich zu kühnen Taten auf! Fort mit dem uns entehrenden Sich-Aussöhnen, mit dem Gerede: Wir sind alle zum Tode verurteilt! Das ist nicht wahr! Auch uns gehört das Leben! Auch wir haben das Recht darauf! Man muss nur verstehen, darum zu Wir erheben uns im Namen des Kampfes um das Leben kämpfen! Es ist keine Kunst zu leben, wenn sie dir das der Hilflosen, denen wir Rettung bringen wollen, die wir Leben gnädigst schenken! Es ist dann eine Kunst zu leben, zur Tat wachrütteln müssen. Wir wollen kämpfen nicht nur wenn sie dir das Leben entreissen wollen! um unser eigenes Leben. Wir dürfen erst dann an unsere Rettung denken, wenn wir unsere Pflicht erfüllt haben! Erwache, Volk, und kämpfe um dein Leben! Jede Mutter Solange noch das Leben auch nur eines Juden in Gefahr ist, werde zu einer Löwin, die ihre Jungen verteidigt! Kein Vater müssen wir wachen und kämpfen! sehe mehr ruhig auf den Tod seiner Kinder! Die Schande des Unsere Losung ist: Nicht ein Jude kommt mehr in Tre- ersten Aktes unserer Vernichtung soll sich nicht mehr wieder- blinka um! Fort mit den Volksverrätern! Unerbittlicher holen! Kampf dem Okkupanten bis zum letzten Blutstropfen! Seid Fort mit der Resignation und dem Unglauben! Fort mit bereit zur Tat! Seid wachsam! unserem Sklavengeist! Der Feind soll für das Leben eines Juden mit seinem Blut bezahlen! Möge jedes Haus zu einer Festung werden! Erwache, Volk, und kämpfe!!! Im Kampf liegt deine Rettung! Wer um sein Leben kämpft, hat die Mög- (Aus: «Faschismus – Ghetto – Massenmord. Dokumentation über lichkeit, sich zu retten. Ausrottung und Widerstand der Juden in Polen während des Zweiten Weltkrieges», Hg.: Jüdisches Historisches Institut Warschau, (Ost-)- Berlin 1960, S. 495 f.)

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Aufstand im Warschauer Ghetto Ausnahmen werden sie am 21. September nach Treb- tungslager gegangen. Und vor allem – die 70'000 wis- linka gebracht. sen, dass sie keine Hoffnung mehr zu haben brauchen. Das bisherige Ghetto existiert nicht mehr. Das neue Ghetto, eigentlich schon ein KZ, ist eine kleine Ecke Von der längst bestehenden polnischen Untergrund- von rund 280 mal 950 Meter Seitenlange im Nord- armee werden Waffen besorgt und über die Kanali- osten des früheren Ghettos. Am 3. Oktober sind nur sation oder über den von Polen und Balten bewachten noch knapp 70‘000 Juden in Warschau. Noch besteht Friedhof ins Ghetto geschmuggelt. Auch verschiedene ein Judenrat, und ein neuer Ordnungsdienst hat sich ausländische Wachtruppen liefern heimlich Waffen ins ebenfalls gebildet. Er besteht zu einem Teil aus Ange- Ghetto. Die Hauptlieferanten aber sind die italieni- hörigen der Widerstandsgruppen, die nun endgültig schen Truppen, die von der Front abgezogen worden aktiv werden. Sie übernehmen getarnt die Leitung des sind und in Polen in Ruhestellung liegen. Alle Waffen Ghettos, die Mitglieder des offiziellen Judenrates neh- müssen von den Juden teuer bezahlt werden, ob sie men von ihnen Befehle entgegen. von der polnischen Heimatarmee oder von den Italie- Die Gestapo verkennt die Entwicklung im Rest- nern stammen – und sie werden bezahlt. Ghetto. Die 70’000 noch hier Lebenden sind fast aus- Die relativ wenigen «Umsiedler», die man nun noch schliesslich kräftige Männer und Frauen, die in der aus dem Ghetto herausholt, wehren sich jetzt. Im Ja- Lage sind, Waffen zu führen. Sie brauchen keine Rück- nuar 1943 gelingt es einer ganzen Kolonne, zu ent- sicht mehr auf Greise, Kinder, eigene Angehörige zu kommen. Nun erst wird der SD auf die veränderten nehmen, denn die sind längst den Weg in die Vernich- Verhältnisse im Ghetto aufmerksam.

Abb.: Linke Seite: Aufruf an die Einwohner des jüdischen Wohnbezirks in Warschau. Mit der «Ausgabe von 3 kg Brot und 1 kg Marmelade an jede sich freiwillig meldende Person» sollte die hungernde jüdische Bevölkerung dazu gebracht werden, sich freiwillig zum Abtransport zur Verfügung zu stellen. Als es keinen Zweifel mehr darüber gab, dass diese Abtransporte keine «Umsiedlungen» waren, sondern eine Einweisung in die Vernichtungslager und den sicheren Tod bedeuteten, wagte der verzweifelte Rest der jüdischen Ghettobewohner den Aufstand gegen die Mörder. – Abb. oben: Zwei Seiten aus dem soge- nannten «Stroop-Bericht», in dem alle grauenvollen Einzelheiten über die Niederwerfung des Aufstandes verzeichnet wur- den. Stroop, SS-Brigadeführer und Generalleutnant der Waffen-SS, leitete die Vernichtungsaktion im Warschauer Ghetto.

449 Widerstand im Osten

Am 19. April rollen Panzer in das kleine Ghetto-Ge- stand in Warschau kann es nur mit der schwachen Stadt- biet. Der Aufstand der Juden bricht los, der erste jüdi- besatzung zu tun haben oder mit von der Front zurück- sche Aufstand seit dem Jahre 66 nach Christi Geburt. flutenden, bereits geschlagenen und demoralisierten So bezeichnet dieser Aufstand vielleicht den entschei- Einheiten. denden Wendepunkt in der Geschichte des zweitausend Die deutsche Führung selbst befindet sich ebenfalls in Jahre lang verfolgten, alles in Demut ertragenden der Krise. Am 20. Juli hat der Generalstabsoberst Graf jüdischen Volkes. Erstmals trotzen Zehntausende von Stauffenberg das Attentat auf Hitler unternommen. Juden dem sonst stets gläubig hingenommenen Schick- In Berlin hat es eine Generalsverschwörung gegeben, sal. Deutscherseits werden nur rund 1‘200 reguläre Sol- in Paris, Prag und Wien ist sie zunächst sogar erfolg- daten gegen die Aufständischen eingesetzt, dazu die reich gewesen. Das Rachegeschrei Hitlers und Himm- ausländischen Miliz- und Polizei-Einheiten. Trotz der lers zeigt nur, wie tief diese Führungskrise geht. völlig hoffnungslosen Lage dauert der Verzweiflungs- Nein – die deutsche Herrschaft nähert sich ihrem kampf der Warschauer Juden, die von niemandem un- Ende, man braucht die schon wankenden Deutschen terstützt werden, über fünf Wochen. nur noch kräftig zu stossen, damit sie fallen. Der Ter- Die Bevölkerung Warschaus lebt ihr Leben, als ob min des Aufstandes wird für den 1. August festgelegt. nicht in einem Stadtteil Warschaus etwas Besonderes Schon stehen sowjetische Truppen südlich von War- geschähe. Zug um Zug wird das Ghetto zusammen- schau an der Weichsel, schon hört man in Warschau geschossen. Die Kanalisationsschächte werden mit Ne- selbst das Geschützfeuer von der Front, eine sowjeti- belgranaten ausgeräuchert, Wohnhäuser angezündet, sche Einheit hat bereits die auf dem Ostufer der Weich- 7’000 Gefangene erschossen, viele Tausend andere in sel gelegene Warschauer Vorstadt Praga erreicht, sich Vernichtungslager überführt. Alle anderen liegen un- aber noch einmal zurückziehen müssen. ter den Trümmern begraben oder sind in den Punkt 17.00 Uhr soll losgeschlagen werden. Eine gün- Bränden zu Asche geworden. Ende Mai ist der letzte stige Zeit, weil dann alle deutschen Dienststellen ihre organisierte Widerstand gebrochen, und auch die letz- Tätigkeit eingestellt haben. Die deutschen Zivilange- ten deutschen Juden sind deportiert worden. Sie tau- stellten sind auf dem Heimweg, auch die deutschen Sol- chen in allen Lagern auf, in Treblinka, in Auschwitz, daten haben schon Feierabend. in Bergen-Belsen, in Buchenwald, in Theresienstadt, in Aber fast wird schon zu Beginn ein entscheidender Majdanek. Fehler gemacht. Denn das wichtigste an jedem Auf- Trotz dieser bitteren und tragischen Erfahrungen der stand, wo und wann immer er gegen wen auch statt- Warschauer Juden entschliesst sich General Bor-Komo- findet, ist das Überraschungsmoment, die stärkste Waffe rowski, Befehlshaber der Heimatarmee, für den Auf- aller Aufständischen. General Komorowski selbst geht stand, obwohl Oberbefehlshaber Sosnkowski – dem am 1. August durch die Stadt und stellt erschrocken fest, auch die an der italienischen Front kämpfende Anders- dass es mehr als auffällig ist, wie viele Gruppen vor al- Armee untersteht – kurz zuvor noch abgeraten hat. lem junger Menschen den von der Heimatarmee befoh- Komorowski kann die Erlaubnis Sosnkowskis für sei- lenen Stellplätzen zustreben. Ausserdem fehlen diese nen Entschluss nicht einholen. Gerade in den kritischen Leute heute an ihren Arbeitsplätzen. Das muss den Tagen befindet sich der Oberbefehlshaber auf einer Deutschen doch auffallen! Inspektionsreise bei den polnischen Truppen in Italien. Es fällt nicht auf, denn jeder Deutsche in irgendeinem Aber Komorowski ist davon überzeugt, dass sein Ent- Betrieb oder einer Dienststelle sieht ja nur seine Um- schluss richtig ist. gebung, nicht das Gesamtbild. Die wirkliche Gefahr Scheint der Aufstand aus politischen Gründen drin- für den Aufstand kommt aus zwei ganz anderen Mo- gend notwendig, um den Sowjets Paroli zu bieten, so menten: Ungeduld und Liebe. scheint er aus verschiedenen Gründen auch alle Aus- Ungeduld jugendlicher Heisssporne unter den Kämp- sicht auf Erfolg zu haben, das Schreckensbild des ein- fern der Armija Krajowa führt zu einigen Feuerge- geebneten Ghettos hat für General Bor-Komorowski fechten schon am frühen Nachmittag, weil die betref- keine Gültigkeit. fenden Aufständischen irgendeine Gelegenheit für be- Im vergangenen Jahr waren die Deutschen unum- sonders günstig halten. schränkte Herrscher, jetzt aber werden sie von der In der Dzielastrasse wird von den sich eben sammeln- Roten Armee gejagt, ihre Fronttruppen befinden sich den Aufständischen ein deutscher Verpflegungstrans- in voller Auflösung, ganze Divisionen irren hinter port zusammengeschossen. Vor der Universität kommt der Front umher als «wandernde Kessel». Ein Auf- rein zufällig ein deutscher Panzerspähwagen vorbei, als im Hof der Universität Waffen ausgegeben werden. Die Deutschen merken gar nichts von dem, was im

450 Aufstand der polnischen Heimatarmee

Hof der Universität vor sich geht. Aber der polnische In der ersten Nacht des Aufstandes ist schon zu er- Posten am Universitätstor verliert die Nerven und be- kennen, dass die Eroberung aller wichtigen Punkte ginnt auf den Spähwagen zu schiessen. Es kommt zu fehlgeschlagen ist. Nur unwichtige und deshalb kaum einem Gefecht, das auf beiden Seiten die ersten Toten oder gar nicht verteidigte zivile Dienststellen und La- fordert. zarette mit verwundeten deutschen Soldaten werden Um 16.00 Uhr beginnt bereits im gesamten Stadtteil von den Aufständischen erobert. Zoliborz der Aufstand, um eine Stunde zu früh. Es ist Beim Sturm auf die gut befestigten deutschen Stellun- nie geklärt worden, warum das geschah. gen bleiben allein in diesen ersten Stunden des Auf- Schliesslich meldet sich am frühen Nachmittag bei der standes über 2’000 Polen im vorbereiteten Abwehr- Dienststelle des SS- und Polizeiführers Warschau, SS- feuer der Deutschen liegen. In den gleichen Stunden Brigadeführer Geibel, telefonisch ein Oberleutnant der müssen 500 Deutsche ihr Leben lassen. deutschen Luftwaffe. Er hat eine polnische Freundin. Fast scheint es, als sei schon in der Nacht vom 1. auf Sie weiss von dem Aufstand, hat aber bisher geschwie- den 2. August der Aufstand gescheitert. Die War- gen. Nun hat die Liebe zu dem deutschen Offizier über schauer Heimatarmee löst sich auf. Die von den Auf- ihre Vaterlandsliebe gesiegt. Sie hat ihren Freund drin- ständischen besetzten Stadtviertel sind durch die da- gend gebeten, sofort Warschau zu verlassen, damit ihm zwischenliegenden deutschen Stützpunkte voneinan- nichts geschieht. Denn heute um 17.00 Uhr beginnt der getrennt, deren Einnahme erstes Ziel geballter der Aufstand, den Deutschen in Warschau droht die Angriffe der Aufständischen hätte sein müssen. Abrechnung! Die in den äusseren Stadtbezirken kämpfenden Auf- Der Anruf des Oberleutnants bringt nur eine letzte ständischen ziehen sich zum grössten Teil schon in die- Bestätigung und die genaue Uhrzeit. Eine allgemeine ser Nacht aus Warschau zurück; die von Zoliborz, die Warnung ist von der Polizeidienststelle und vom deut- durch ihren vorzeitigen Angriff ein gut Teil Schuld schen Wehrmachtkommandanten, Generalleutnant Sta- am Misslingen der Überraschung haben, flüchten nach hel, bereits auf Grund der anderen Vorkommnisse hin- Nordwesten in die Puszcza Kampesino, ein Wald- ausgegangen und wird jetzt noch um die Angabe der ge- und Steppengelände, ebenso ein grosser Teil der aus nauen Uhrzeit des polnischen Generalangriffs ergänzt. Wola und Ochotka, der grösste Teil derer aus dem südlichen Bezirk Mokotow – dort sollte der Flug- So schlagen alle Angriffsversuche der Heimatarmee platz erobert werden, weil man mit Munitions- und gegen die wichtigsten deutschen Dienststellen fehl. Von Truppennachschub aus England gerechnet hat – sucht vornherein empfängt die Angreifer wütendes Abwehr- den Wald von Sekocin zu erreichen; die Aufständi- feuer der gewarnten Deutschen. Die entscheidende schen in der östlichen Vorstadt sind durch die Weichsel Waffe der Überraschung ist stumpf. völlig vom Zentrum abgeschnitten und laufen zum Ohnehin ist der Plan des Aufstandes falsch angelegt, Teil auseinander oder kämpfen erbittert weiter um weil man die Kampfkraft der Deutschen unterschätzt den Besitz der von ihnen eroberten Bahnanlagen. hat. So hat man nicht nach dem taktischen Grundsatz In Wola kämpft eine starke Gruppe um das Haupt- gehandelt, zu «klotzen», sondern es wird «gekleckert». quartier Komorowskis in der Kammler-Fabrik weiter, Der Aufstand bricht in allen Warschauer Stadtteilen und es kämpft weiter der zahlenmässig stärkste Ver- zur gleichen Zeit los, gegen viele Dutzende Dienst- band im Weichselviertel und im Stadtzentrum, die stellen, öffentliche Gebäude, Verkehrseinrichtungen, beide Verbindung miteinander haben. Ausserdem gibt Nachrichtenverbindungen. Es werden nicht alle ver- es überall versprengte Kämpfer und Einzelgruppen, fügbaren Kräfte zusammengefasst, um zunächst durch die von ihren sich aus Warschau zurückziehenden Ver- diese Überlegenheit die zur Weiterführung des Aufstan- bänden getrennt wurden und zum Teil nicht einmal et- des wichtigsten Stützpunkte in die Hand zu bekommen. was vom Rückzug wissen. So wäre am 2. August der Aufstand bereits zu Ende, Auch die Nachrichtenverbindung unter den Aufstän- wenn nicht ausgerechnet die Masse der Heimatarmee dischen klappt nicht. Wenige Tage vor dem Aufstand im Stadtzentrum die Nacht am besten überstanden ist General Komorowski mit seinem Stab umgezogen hätte. Dieser starke Verband – nahezu die Hälfte der und hat sein Hauptquartier in die «Kammler-Fabrik» Heimatarmee in Warschau – will sich ebenfalls zu- verlegt, die sich in dem vom Aufstandszentrum am rückziehen, wie es zuvor bei einem Misslingen verein- weitesten entfernten westlichen Stadtbezirk Wola be- bart worden ist. Aber das geht nicht mehr, da jetzt findet. Dabei sind ausgerechnet wichtige Teile der bei- mobile deutsche Truppen eingesetzt werden – im den Kurzwellensender im alten Hauptquartier vergessen Gegensatz zu den Besatzungen der Dienststellen und worden. Stützpunkte – und die Ausfallstrassen sperren.

451 Widerstand im Osten

Abb. links: Die Lageskizze um Warschau um den 5. August 1944. Über den «Sinn zur Führung un- seres letzten Kampfes» heisst es in einem Lagebericht der Polnischen Heimatarmee vom 14. Juli 1944: a) Vor der Welt zu dokumentieren, dass unsere Haltung gegenüber den Deutschen unbeugsam und unser Kampfwille ihnen gegenüber un- erschüttert ist, b) den Sowjets den bösen Trumpf zu entreissen, uns in die Reihe heimlicher Verbündeter oder nur gegenüber den Deutschen Neutraler einzugliedern, c) jenen Teil der Bevölkerung un- ter unsere Führung zu bekom- men, der die Vergeltung an den Deutschen ersehnt, aber nicht zur Heimatarmee gehört, um sie auf den Weg eines Strebens nach Un- abhängigkeit zu führen und sie von den sowjetischen Einflüssen zu be- freien.

So sind die Aufständischen der Innenstadt gezwungen, Stahel bringt in einer Meldung an das Führerhaupt- weiterzukämpfen, und es tritt die Situation ein, dass quartier ein plastisches Bild dazu. In seiner Meldung der Warschauer Aufstand zwar schon nach einem Tag heisst es: eine unverkennbare Niederlage ist, dass aber erst Tage «Der deutsche Angriff ist wie ein schweres Schiff, das danach die Wochen dauernden, blutigen und erbitter- mühelos durch die Wogen [des Aufstandes] hindurch- ten Kämpfe beginnen. fährt. Doch die Wogen schlagen hinter dem Schiff Drei Tage lang, am 2., 3. und 4. August, werden die wieder zusammen ...» Aufständischen von der Besatzung der Stadt bekämpft, Dieses Bild ändert sich erst nach dem 5. August. Auf die unter dem Kommando des Generalleutnants Stahcl polnischer Seite verfügt man an diesem Tage erstmals steht, der Warschau zur Festung machen sollte gegen über schwere Panzer. Es sind «Panther», die im Kampf die heranrückende Rote Armee. Nur eine auswärtige mit der Division «Hermann Göring» erbeutet worden Einheit beteiligt sich in diesen drei Tagen an den sind. Zugleich werden panzerbrechende Waffen ein- Kämpfen – die Panzerdivision «Hermann Göring». gesetzt, die in der vergangenen Nacht von britischen Diese Elitedivision, das Paradepferd des Reichsmar- Bombern an Fallschirmen über dem Aufstandsgebiet schalls Göring, ist zufällig eben durch Warschau mar- der Warschauer Innenstadt abgeworfen worden sind. schiert, um an der Front gegen drei durchgebrochene Von deutscher Seite her ändert sich das Bild, weil sowjetische Panzerdivisionen eingesetzt zu werden. Heinrich Himmler selbst den Oberbefehl übernommen Nun wird die gut ausgerüstete Panzerdivision, die aus hat und den SS-General Erich von dem Bach-Zelewski fronterfahrenen Kampftruppen besteht, in Warschau ge- mit der Leitung der Kämpfe beauftragt. Bachs An- gen die polnischen Patrioten eingesetzt. griffsverbände werden vom Westen und Südwesten Die Division kann die wichtigsten Ausfallstrassen der Stadt aus angesetzt, mit dem Ziel, in schrittweisem sperren, das ist relativ einfach. Aber trotz aller Front- Vorgehen nach Osten das Aufstandsgebiet immer mehr erfahrung ist es für die Panzerbesatzungen und die einzuengen und die Aufständischen am Weichselufer unterstützenden Panzergrenadiere etwas völlig Unge- zusammenzudrängen. wohntes, in den Strassen einer Grossstadt zu kämpfen. Im westlichen Stadtteil Wola wird die Kampfgruppe Der Einsatz der Panzer verpufft förmlich. General des SS-Gruppenführers Reinefarth eingesetzt, des spä-

452 Komorowski kapituliert teren CDU-Parlamentariers und Bürgermeisters von wangers. Von dem Bach-Zelewski wird über das Ober- Westerland auf Sylt. Zur Kampfgruppe Reinefarth kommando der 9. Armee, zu dessen rückwärtigem Ge- gehört die SS-Brigade Dirlewanger, die vornehmlich biet Warschau gehört, über die Erschiessungen unter- aus kriminellen Häftlingen von Konzentrationslagern richtet, nachdem Wehrmachtsoffiziere das AOK ver- und Zuchthäusern zusammengesetzt ist, die sich im ständigt haben. Bach verbietet die Erschiessungen noch Fronteinsatz «bewähren» sollen. am gleichen Abend. Dennoch sind in den wenigen Im südlichen Stadtteil Ochota kämpft die RONA, Stunden dieses 5. August nahezu 15’000 Menschen die «Russkaja Oswoboditjelnaja Nationalny Armija», aus dem Stadtbezirk Wola erschossen worden. zu deutsch «Russische Nationale Befreiungsarmee». Die Nachricht davon verbreitet sich mit Windeseile Eben erst, am 31. Juli, hat Himmler diese Einheit der in ganz Warschau. Überall befürchtet man ein gleiches SS eingegliedert und ihren Führer zum «SS-Brigade- Schicksal. Die Folge davon ist, dass Tausende von general» ernannt, ein Titel, den es sonst überhaupt nicht Menschen sich den Aufständischen anschliessen und die gibt. Heimatarmee binnen weniger Tage um das Mehrfache Dieser Brigadegeneral ist Mieczyslaw Kaminski, der anwächst. früher mit den Deutschen kollaboriert und einen Teil Dazu trägt nach dem Massenmord durch Dirlewanger des deutschen Besatzungsgebietes in Russland verwal- vor allem das Verhalten von Kaminskis RONA bei, tet und von Partisanen freigehalten hat. Nun ist er deren grausame Ausschreitungen selbst von den deut- mit den deutschen Truppen zurückgegangen und hat schen Stellen nicht gebilligt werden. ein Gefolge von nahezu 30’000 Mann hinter sich her- Wegen der Mordtaten, der Plünderungen und der gezogen. 7’000 Mann davon sind Bewaffnete, die an- ständigen Befehlsverweigerungen wird Kaminski deren deren Familienangehörige oder Parteigänger Ka- schliesslich von einem Feldgericht in Lodz zum Tode minskis, die vor der Rache der Sowjets flüchten müssen. verurteilt. Er wird unter einem Vorwand nach Lodz geschickt und dort erschossen. Um seine tausende An- Kaminskis «Sturmbrigade RONA» ist jetzt ein zügel- hänger zu täuschen, wird ihnen erzählt, Kaminski loser Haufen. Ohne Bindung zur Bevölkerung, seit habe einen Unfall erlitten. Die RONA wird aufge- langem ständig auf der Flucht, ohne Hoffnung auf eine löst und in Deutschland auf die in Aufstellung begrif- Wiederkehr in die Heimat, im fremden Land angefein- fene Russische Befreiungsarmee des ehemaligen Sow- det und verachtet, sind Kaminskis Leute zu einer jetgenerals Wlassow verteilt. schwerbewaffneten Bande von Räubern und Mördern Nach dieser ersten Periode wilder Kämpfe wird der geworden. Aufstand und seine Bekämpfung nun mehr und mehr Himmler hat der Kampfgruppe Reinefarth Anwei- zu einer militärischen Angelegenheit. sung gegeben, blutige Vergeltung für die während der Die Deutschen haben die Panzer zurückgezogen, da ersten Aufstandstage an Deutschen begangenen Greuel- sich ihr Einsatz als unzweckmässig erwiesen hat. Die taten zu üben. Die Kampfgruppe des SS-Führers hält Hauptlast der Kämpfe liegt zwar wie stets auf den sich an diesen Befehl, der vor allem von der «Bewäh- Infanterie-Einheiten, doch spielen in Warschau techni- rungseinheit» Dirlewanger durchgeführt wird. sche Verbände eine besonders grosse Rolle. Während Dirlewangers Leute im Stadtteil Wola vor- Das sind Pioniertruppen mit Flammenwerfern und gehen, werden zugleich alle Einwohner der besetzten Verneblungsanlagen, Artillerie mit Granat- und Mi- Strassen aus ihren Häusern geholt, zu einem Sammel- nenwerfern, ferngelenkte Kleinpanzer «Goliath», die platz ausserhalb der Stadt getrieben und erschossen. mit Sprengstoff gefüllt sind. Gegen stark verteidigte Es sind fast alles Unschuldige, die da erschossen wer- polnische Stützpunkte müssen Sturzkampfbomber ein- den: Frauen und Kinder zumeist, die mit dem Auf- gesetzt werden. stand und der Heimatarmee nichts zu tun haben. An Am 2. September ist die Besatzung der Warschauer den Erschiessungen beteiligen sich nicht nur die Dirle- Altstadt niedergekämpft. Mehrfach schon hat sich die wanger-Leute, sondern auch die in geringer Zahl einge- Führung der Heimatarmee mit dem Gedanken an eine setzten Polizei-Einheiten, die der Kampfgruppe Kapitulation getragen. General Komorowski und sein Reinefarth unterstehen. Stab wissen inzwischen, dass es keine Erschiessungen In einem Prozess nach dem Krieg wird festgestellt, dass von gefangenen Aufständischen mehr gibt. Hitler hat Reinefarth von dem Ausmass der «Vergeltungsaktion» befohlen, die Kämpfer der Armija Krajowa nicht wie zunächst nichts gewusst hat, da er selbst sich noch nicht Partisanen oder «Banditen» zu behandeln, sondern als in Warschau befunden hat, sondern mit dem grösseren Soldaten. Teil seiner Kampfgruppe erst im Anmarsch gewesen Aber jedesmal, wenn eine Kapitulation unvermeidbar ist. Der Massenmord kommt auf das Konto Dirle- scheint, gibt es ein Ereignis, das den Aufständischen

453 Widerstand im Osten wieder Hoffnung macht, doch noch zu siegen. Das ist Erst am 25. September beginnen wieder Verhandlun- einmal der Vorstoss einer Einheit der sowjetpolnischen gen, diesmal mit Teilgruppen der Heimatarmee. Die Armee Berlingers bis zum Weichselufer. Polen der Aufständischen im Stadtteil Zoliborz strecken die Heimatarmee und Sowjetpolen reichen sich die Hand. Waffen und begeben sich am 28. September in Gefan- Aber gleich darauf wird diese Verbindung von deut- genschaft. Am 3. Oktober schliesslich kapituliert Gene- schen Truppen wieder zerschlagen. ral Komorowski für die gesamte Heimatarmee. Ein andermal fliegt ein grösserer Verband britischer Die Verhandlungen führt zum Teil Bach-Zelewski Versorgungsflugzeuge Warschau an und wirft Waffen, selbst mit dem polnischen General. Sie sind alte Be- Munition, Verpflegung und Medikamente ab. Schon kannte aus glücklicheren Tagen, da sie beide als Tur- ist wieder einmal Hoffnung da. Doch die nächsten nierreiter um sportliche Lorbeeren gegeneinander britischen Flugzeuge werfen ihre Lasten auf deutsches kämpften. Bach macht dem Polen sogar den Vorschlag, Gebiet, und schliesslich werden die meisten britischen die Heimatarmee unangetastet zu lassen, wenn diese als Flugzeuge von der deutschen Flak und von deutschen Verbündete Deutschlands gegen die Rote Armee wei- Jägern abgeschossen. terkämpfen werde. Die letzte Hoffnung gilt schliesslich denen, gegen die Aber Graf Komorowski lehnt dieses Angebot ab, ob- man den Aufstand eigentlich gedacht hat – den So- wohl sich die deutsche Politik gegenüber Polen auch wjets. Wenn die Rote Armee nur endlich weiter vor- sonst zu wandeln beginnt. Der polnischen Zivilver- dringen würde, wenn sie über die Ostvorstadt Praga waltung sind in der letzten Zeit mehr Rechte als bis- nach Warschau hineinstossen würde, dann wäre die her eingeräumt worden, man versucht die Polen als eingeschlossene Heimatarmee befreit. Gleichberechtigte zu behandeln, hat polnische Schulen Aber die Rote Armee hat nach der stürmischen Offen- wiedereröffnet. Aber das alles kommt viel zu spät. sive über viele hundert Kilometer ihre Kraft erschöpft Jetzt, nach fast fünf Jahren Unterdrückung, nach einem und ist zum Stehen gekommen. Für eine Eroberung fürchterlichen Vernichtungskampf gegen das polnische Warschaus reichen ihre Kräfte nicht mehr aus. War- Volkstum, sind die Polen nicht mehr zu Freunden zu schau ist nie das Ziel der Offensive gewesen, und Stalin machen. denkt gar nicht daran, den polnischen Aufständischen General Graf Komorowski geht mit seinen Kämpfern zu helfen, selbst wenn er es könnte. Erst müssen die in Gefangenschaft. Warschau wird entsprechend dem Nachschublinien der Roten Armee in Ordnung gebracht Zerstörungsbefehl Himmlers dem Erdboden gleichge- werden, bevor man an eine neue Offensive denken kann. macht. Für eine kurze Zeit nach dem Krieg wird Ge- Der Raum, den die Heimatarmee verteidigt, wird neral Komorowski Oberbefehlshaber der polnischen immer kleiner. Mehrfach hat Bach-Zelewski den Polen Armee der Londoner Exilregierung. Dann aber muss er schon Parlamentäre geschickt. Die Lage der Bevölke- erleben, wie es den polnischen Kommunisten gelingt, rung wird immer schwieriger. Die Wasserversorgung ganz Polen unter kommunistische Kontrolle zu brin- im Gebiet der Aufständischen ist unterbrochen, und gen. Trotz der zahlenmässig so starken Heimatarmee, der Mangel an Lebensmitteln führt zu Hunger, Schwä- die antideutsch und antirussisch eingestellt ist, trägt che und Verzweiflung. die kleinere kommunistische «Volksarmee» den poli- So kommt es am 10. September zu Verhandlungen. tischen Sieg davon. Wie in Rumänien, Bulgarien, Un- Doch am 11. September beginnen die Sowjets einen garn und der Tschechoslowakei führt auch in Polen Vorstoss, am gleichen Tage erhält General Komorowski der Vormarsch der Sowjets zu einer neuen Abhängig- über Funk die Zusage der USA, Versorgungsflüge der keit, der von Moskau, und zu einer kommunistischen amerikanischen Luftwaffe würden sofort in grossem Regierungsform. Masse einsetzen. Komorowski bricht die Verhandlun- gen daraufhin wieder ab.

454 Widerstand im Krieg

Memorandum des Bischofs von Chichester vom Juni 1942 – Der deutsche Widerstand und die Alliierten – Gnadentod – Die Ermittlungen des Pastors Braune – Die Proteste des Bischofs Graf von Galen – Die Euthanasie-Aktion wird ein- gestellt – «Der alte Gewerkschaftsklüngel» – Die Rote Kapelle – Politisches Testament des Kommunisten Anton Saefkow vom September 1944 – Günther Hübener – Die «Weisse Rose» – Manifest der Münchener Studenten – Abschiedsbrief von Willi Graf – Erfahrungen im Krieg – Die Opposition findet sich zusammen – Zukunftspläne – Risse im Wider- stand – Über die historische Stichhaltigkeit der «Verschwörer» von Wolfgang Graetz – Goerdeler bei Kluge – Zwei Kognakflaschen im Flugzeug – Beppo Roemer – Canaris und Oster – Der Solf-Kreis – Katholische und evangelische Moraltheologen – Der Krieg ist verloren – Stauffenberg greift ein – Rommels Ultimatum – Humanitäre Sabotage – Rommel schwer verwundet – Die vorgesehene Regierung – Himmler soll dabeisein – «Walküre» wird gestoppt – Bedin- gungen Stauffenbergs, mit dem Feind zu verhandeln – Zwei Fernschreiben aus der Bendlerstrasse – Die Gruppen «Maier- Messner» und «Caldonazzi» – Stauffenberg verlässt den Lageraum – Die Sprengladung explodiert – Der Führer lebt — Stauffenberg erreicht das Flugzeug – Beck in der Bendlerstrasse – «Walküre» muss sofort beginnen – Fromm telefo- niert mit Keitel – Olrichts Stimme zittert – Fromm wird verhaftet – Kluge zögert – Der 20. Juli in Wien – Die Gruppe «05» — Der Leutnant Dr. Hagen – Major Remer telefoniert mit Hitler – Generaloberst Beck ist noch zuversichtlich – Remer: Direkter Befehl des Führers – Der 20. Juli in Paris – Es ist alles verloren – Die ersten Opfer – Beck begeht Selbstmord — Stauffenberg wird erschossen – Kluges Selbstmord – Rommel wird zum Selbstmord gezwungen – Die Prozesse vor dem Volksgerichtshof – Die Vollstreckung der Mordurteile – Der Krieg geht weiter – Speer protestiert – Der Zusammen- bruch des Wiener Aufstandsplanes – KZ Buchenwald befreit sich – «Verräter» Himmler – «Freiheitsaktion Bayern» – Aktion «Nein» – Hitlers Tod – Letzte Opfer und Kapitulation.

Die sowjetische Offensive, die zum ersten und zugleich In dieser Situation erleben die Landser an der Front letzten Male von Partisaneneinheiten in Regiments- und die Menschen in der Heimat den Tag, der zum und sogar Divisionsstärke unmittelbar militärisch un- Symbol des deutschen Widerstandes gegen Hitler ge- terstützt wird, ist nicht mehr aufzuhalten. worden ist, den 20. Juli 1944. Die bjelorussische Hauptstadt Minsk wird von der Aus Millionen Lautsprechern dringt Hitlers unver- Roten Armee erobert, bald darauf zieht sich die deut- kennbare Stimme: «Wenn ich heute zu Ihnen spreche, sche 3. Panzerarmee aus Wilna, der Hauptstadt der dann geschieht das. . ., damit Sie meine Stimme hören schon 1940 von den Sowjets annektierten Republik und wissen, dass ich selbst unverletzt und gesund bin, Litauen, zurück. damit Sie aber auch das Nähere erfahren über ein Ver- An den Fronten im Süden und Westen sieht es für die brechen, das in der deutschen Geschichte seinesglei- deutsche Wehrmacht ebenso bedrohlich aus. Rom ist in chen sucht.. alliierter Hand, an der Invasionsfront in der Norman- Das «ungeheuere Verbrechen», das Attentat auf den die sind die Städte Caen und St. Lo gefallen, die Führer, das von vielen Deutschen als Verrat an Alliierten stehen unmittelbar vor dem Durchbruch in Deutschland empfunden wird, ist in Wirklichkeit jedoch die Weiten Frankreichs. Auch die Hafenfestung Cher- der letzte Versuch der deutschen Opposition, das bourg ist bereits von den Amerikanern erobert worden. eigene Vaterland zu retten. Denn mit dem Scheitern Im Osten beginnen soeben nach der vernichtenden so- des Attentats auf Hitler und der nachfolgenden Auf- wjetischen Offensive gegen die deutsche Heeresgruppe deckung der gesamten Verschwörung durch die Ge- Mitte auch die Grossangriffe gegen die Heeresgruppen stapo sind nicht nur die Vertreter der militärischen Nord und Nordukraine. Ganze Armeekorps werden Opposition ausgeschaltet, sondern jeglicher Opposition von den ungestüm nach Westen vorstossenden Sowjet- überhaupt, soweit sie eine ernsthafte Gefahr für Hitler armeen überrannt, eingeschlossen. Hunderttausende und sein Regime darstellt. Und das gerade in dem deutscher Soldaten versuchen, sich in «wandernden Augenblick, da sich alle Kreise eines wie auch immer Kesseln» nach Westen durchzuschlagen, um wieder gearteten Widerstands in Deutschland gefunden haben Anschluss an die deutsche Front zu finden. Die Frage ist – einschliesslich der Kommunisten. nur: Gibt es überhaupt noch eine deutsche Front? Evangelische Christen, Katholiken, führende Vertreter

455 Widerstand im Krieg des Adels, konservative Deutschnationale, Generale Und schliesslich ist noch das gewesen, was der Abwehr- und Marschälle, Gewerkschaftsfunktionäre und Sozial- oberst Hans Oster im Alleingang nicht nur geplant, demokraten haben sich 1943 und 1944 im Widerstand sondern getan hat: die Mitteilungen an neutrale Staaten gegen Hitler endlich zusammengeschlossen, haben das und an die Kriegsgegner, wann die deutsche Offensive Gemeinsame über das Trennende gestellt. Und kurz beginnt. Auch das ist schliesslich fast nutzlos; man vor dem Attentat auf Hitler, dem der Staatsstreich glaubt dem Oberst Oster im Ausland bald nicht mehr, zum Sturz der nationalsozialistischen Herrschaft folgen weil die von ihm gemeldeten Angriffstermine nie sollte, haben Vertreter der illegalen Kommunistischen stimmen – denn Hitler verschiebt die Offensive immer Partei Deutschlands die Verbindung mit der Führung wieder. Als Oster endlich am 9. Mai 1940 den Beginn der «bürgerlichen» und sozialdemokratischen Oppo- des deutschen Angriffs im Westen für den nächsten sition aufgenommen, in der Erkenntnis, dass es eine Morgen ankündigt, hält man diese Meldung von vorn- «proletarische Revolution» nicht geben wird, dass Hit- herein für falsch – obwohl sie gerade diesmal stimmt. ler nur durch die vorhandene bewaffnete Macht, die So gibt es ab nun – während die Wehrmacht in Nor- Wehrmacht, gestürzt werden kann. Will man danach, wegen, Holland, Belgien, Frankreich und später in in einem neuen Deutschland, noch mitreden, dann wird Jugoslawien und Griechenland einen Feldzug nach dem es höchste Zeit, sich an diese Opposition wenigstens anderen siegreich beendet – für lange Zeit wieder nur noch anzuhängen. Widerstandsaktionen Einzelner, wie schon in den Jah- Der Weg zum Zusammenschluss dieser nach ihrer Her- ren zuvor, wenn auch manche solcher Unternehmungen kunft und ihrem Wollen so verschiedenen Kräfte ist aus dem lose organisierten Kreis der Verschwörer in lang gewesen und beschwerlich. Viele Opfer säumen der Führungsschicht kommen; so etwa die kaum be- diesen Weg. kannte Geschichte vom Wirken des Hitler-Sekretärs Die ersten Aktionen, die jener in der Fritsch-Krise Fritz Wiedemann, des ehemaligen Kompanieführers Anfang 1938 entstandene Kreis ziviler und militäri- des Gefreiten Hitler, in den USA. Wiedemann ist wäh- scher Verschwörer um Generaloberst Beck und Dr. rend der Sudetenkrise im Sommer 1938 bereits auf Ver- Goerdeler versucht hat, liegen nun schon längere Zeit mittlung der Prinzessin Hohenlohe-Waldenburg-Schil- zurück. lingsfürst und mit Hitlers Einverständnis in London Da ist der Plan des Generalobersten von Hammer- gewesen, um dort mit dem britischen Politiker Lord stein-Equord gewesen. Hammerstein-Equord hat noch Halifax über die Beilegung deutsch-englischer Streit- im Januar 1933, unmittelbar vor Hitlers Berufung zum fragen zu verhandeln. Regierungschef, im Einvernehmen mit dem damaligen Am 4. März 1939 trifft Wiedemann an Bord des Reichskanzler General von Schleicher, durch einen H AP AG-Dampfers «Hamburg» in New York ein. Staatsstreich Hitlers Kanzlerschaft verhindern wollen. Hitler hat ihn zum deutschen Generalkonsul in San Damals ist er – als Vorgänger Fritschs – «Chef der Hee- Franzisko ernannt. Vom ersten Tag seiner Anwesen- resleitung», also Oberbefehlshaber des Heeres gewesen. heit steht Wiedemann unter strengster Aufsicht des Später von Hitler in den Ruhestand versetzt, wurde er FBI. Wiedemann ist immerhin jahrelang einer der nach Ausbruch des Krieges im September 1939 zum engsten Vertrauten Hitlers gewesen, und so befürchtet Oberbefehlshaber einer Armee an der Westfront zu- man in Amerika von ihm das Schlimmste. Keiner ahnt, rückberufen. dass Wiedemann bereits Kontakt zur innerdeutschen Das ist ihm der Anlass für seinen Plan gewesen: Hitler Opposition gefunden hat. ist von ihm gebeten worden, seine Armee und den Kaum hat sich der neue Generalkonsul in der Stadt Westwall zu inspizieren. Bei dieser Gelegenheit hat am Pazifik eingerichtet, erscheint auch die Prinzessin Hammerstein-Equord Hitler verhaften wollen. Über- Stefanie zu Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst, raschend wird dieser Besuch Hitlers aber wieder ab- einst als schlichte Steffi Richter in Österreichs Haupt- gesagt, und Generaloberst von Hammerstein-Equord stadt Wien geboren. Wie FBI-Agenten feststellen, trifft wird danach endgültig in den Ruhestand versetzt. sie sich mit Wiedemann und ist schliesslich Dauergast Die nächsten Aktionen sind die unter der Bezeichnung bei der Familie des Generalkonsuls. «Verschwörung von Zossen» bekanntgewordenen, die Wie während der Sudetenkrise in London, so nimmt Hitler davon abhalten sollen, im Herbst 1939 eine die Prinzessin hier in Amerika Verbindung mit briti- Offensive an der Westfront zu beginnen. Diese Periode schen Stellen auf. endet mit dem Nervenzusammenbruch des Heeres- Auf persönliche Anweisung Präsident Roosevelts, der Oberbefehlshabers Generaloberst von Brauchitsch, der schon längst damit rechnet, in den Krieg gegen sich Hitler gegenüber mit seinen Argumenten nicht Deutschland eintreten zu müssen, verstärkt das FBI die durchsetzen kann. Bewachung des deutschen Generalkonsuls und der

456 Beachten Sie die Politik Englands

Prinzessin. Roosevelt befürchtet, dass es zu Friedensge- Wiedemann müssen im Lauf der Zeit auch andere sprächen zwischen Deutschen und Engländern kommen machen, die im Auftrag oder im Interesse der deutschen könne, zumal dem FBI bekannt ist, dass sowohl Wiede- Wiederstandsbewegung Verbindung zu den Kriegsgeg- mann als auch die Prinzessin grossen Anteil am Zu- nern aufzunehmen versuchen. Obwohl sich darunter standekommen des Münchener Abkommens gehabt ha- viele befinden, denen die Geschichte des britischen ben. Weltreiches und der britischen Politik ausgezeichnet be- Tatsächlich nimmt der Generalkonsul Verbindung mit kannt ist, begehen sie den Fehler, die britischen Interes- Vertretern des britischen Geheimdienstes in den USA sen zu verkennen, die Churchill bereits vor dem Krieg auf, während Prinzessin Stefanie über ihre gesell- in einer Unterhausrede deutlich zu erkennen gegeben schaftlichen Beziehungen einen Kontakt mit führenden hat: britischen Politikern herzustellen versucht. « ... Bitte beachten Sie, dass die Politik Englands Schliesslich kommt es im «Mark Hopkins Hotel» auf keinerlei Rücksicht darauf nimmt, welche Nation ge- Zimmer 1026 zu einem ersten Zusammentreffen der rade die Herrschaft über Europa erstrebt. Es kommt Prinzessin mit einem prominenten britischen Bankier nicht darauf an, ob es Spanien, die französische Monar- und Politiker, dessen Name von allen Beteiligten bis chie, das Deutsche Reich oder das Hitler-Regime ist; heute verschwiegen wird. Auch Winston Churchill es hat nichts zu tun mit Herrschern oder Nationen: nennt in seinen Memoiren den Namen nicht. Das FBI Das Prinzip betrifft ausschliesslich die Frage, wer der allerdings kennt ihn – FBI hört mit. stärkste und möglicherweise herrschende Tyrann ist. Schliesslich nimmt Wiedemann an den Gesprächen teil. Deshalb wollen wir uns nicht scheuen, als pro-franzö- Der Engländer will Näheres über die deutsche Opposi- sisch oder antideutsch angeklagt zu werden. Es ist ein tion gegen Hitler und deren Pläne wissen. Wiedemann Gesetz der öffentlichen Politik, dem wir folgen, und erklärt, dass er nicht im Namen der Opposition, son- nicht ein blosser Notbehelf, der durch zufällige Um- dern nur in seinem eigenen sprechen könne. Wichtig stände, Neigung und Abneigungen oder durch ein an- sei, dass die Engländer klar ihr Verhalten im Fall eines deres Gefühl bestimmt wird ...» Staatsstreiches in Deutschland zu erkennen gäben. So führen alle Versuche der Opposition gegen Hitler, in Friedensverhandlungen hat die britische Regierung bis- heimlichen Verhandlungen mit den Kriegsgegnern her stets abgelehnt, auch die Friedensvorschläge des Klarheit darüber zu gewinnen, ob nach einem Sturz Schwedenkönigs und des Papstes sind zurückgewiesen Hitlers ein günstiger Frieden zu erreichen wäre, zu worden. Würde die britische Regierung mit einer deut- keinem Erfolg. Mit der späteren Verkündigung des schen Regierung verhandeln, die zuvor Hitler und den alliierten Kriegszieles: «Bedingungslose Kapitulation Nationalsozialismus beseitigt habe? Etwa nach der Deutschlands» wird die Verhandlungssituation aus- Wiedererrichtung der Monarchie in Deutschland, ein sichtslos. Dennoch werden bis zuletzt solche Versuche Ziel, das viele der Verschwörer anstrebten? unternommen. Fast zwei Wochen dauern die vom FBI verfolgten Wie man zu jener Zeit in der Öffentlichkeit der alliier- Gespräche, dann fliegt der englische Politiker nach ten Länder zur deutschen Opposition steht, zeigt die Washington und begibt sich, wie FBI sofort feststellt, Reaktion von Presse und Rundfunk in jenen Ländern in die britische Botschaft. Schliesslich werden noch an- nach dem Attentat vom 20. Juli 1944. Der Krieg hat dere Fäden geknüpft, die fast zu einem Kontakt zwi- schon zu lange gedauert, die gegenseitige, vom Hass schen dem deutschen und dem britischen Botschafter in und Vernichtungswillen geprägte Propaganda zu viele den USA führen. Doch Präsident Roosevelt hat be- in ihren Bann geschlagen. Der deutsche Diplomat Dr. reits über das State Department die Berichte der FBI- Fritz Hesse schreibt dazu in seinem Buch «Spiel um Agenten an das britische Aussenministerium weiterge- Deutschland»: geben und persönlich den britischen Premierminister «Klar und eindeutig waren die englische und ameri- Churchill informiert. So kann Winston Churchill spä- kanische Stellungnahme zu dem Ereignis. Mit einer ter in seinen Memoiren schreiben, er sei beunruhigt Schärfe wurde von ihnen der ,Militär-Putsch' abge- gewesen über die vom Vatikan, von Schweden und in lehnt, wie man sich das nicht deutlicher denken konnte: Amerika unternommenen Friedensbemühungen. Er Die preussischen Junker hätten also geputscht, ausge- habe sofort energische Massnahmen dagegen getroffen. rechnet die Militärclique, zu deren Vernichtung die Dem britischen Botschafter in Washington hat er unmit- Angelsachsen ausgezogen wären! Natürlich viel zu telbar nach der Benachrichtigung durch Roosevelt tele- spät..., weil sie sich den Folgen der Niederlage ent- grafiert, unter gar keinen Umständen auf deutsche An- ziehen wollten. Nun, so musste es ihnen denn gesagt näherungsversuche einzugehen. werden: Mit diesen Leuten würden Churchill und Ähnliche, wenn auch nicht so extreme Erfahrungen wie Roosevelt nie Frieden geschlossen haben! Auch gegen

457 Widerstand im Krieg

Memorandum Handlungsweise der Opposition des Bischofs von Chichester vom Juni 1942 über ein Gespräch Die Opposition weiss um die drohende Auflehnung gegen mit Pastor Schönfeld und Dietrich Bonhoeffer Hitler innerhalb der Nazi-Partei durch Himmler und seine Genossen; aber während ein erfolgreicher Staatsstreich Ende Mai 1942 kamen zwei deutsche Pastoren (Dr. Schön- Himmlers der Opposition von Nutzen sein könnte, ist feld und Pastor Bonhoeffer) von Berlin nach Stockholm, doch die völlige Vernichtung Hitlers und Himmlers und um dort den Bischof von Chichester zu treffen. Sie trafen des gesamten Regimes unerlässlich. Der Plan der Opposition unabhängig voneinander ein, und einer von ihnen blieb besteht in einer Säuberungsaktion, die in der Heimat und nur 48 Stunden (D. Bonhoeffer). Der Bischof sprach mit in den besetzten Ländern so gleichzeitig wie nur möglich ihnen sowohl einzeln wie auch zusammen an vier verschie- ausgeführt werden müsste. Danach würde eine neue Re- denen Tagen. Beide Männer sind dem Bischof wohlbekannt. gierung aufgestellt werden. Einer von ihnen lebt in der Schweiz, stattet Deutschland aber beständig Besuche ab. Der andere wohnt in Berlin und ist einer der Führer der Bekennenden Kirche; er hat von Anfragen der Opposition der Gestapo Rede- und Predigtverbot. Ihre Absicht war: an die Regierungen der Alliierten

A. Auskunft über eine starke, organisierte Widerstandsbe- Nachdem nun die Handlungsweise und die Pläne der Op- wegung innerhalb Deutschlands zu geben, welche Pläne position dargelegt sind, ergibt sich die Frage, welche Un- zur Vernichtung des ganzen Hitler-Regimes (einschliesslich terstützung ihren Führern gegeben werden kann, um das Himmlers, Görings, Goebbels’ und der Hauptführer der Verfahren in Gang zu bringen und allen damit verbunde- Gestapo, der SS und der SA) und zur Errichtung einer nen Gefahren zu begegnen. Als Beispiele für eine Förde- neuen deutschen Regierung aufgestellt hat, bestehend aus: rung werden Anfragen wie folgt gestellt: 1. Vertretern stark anti-nationalsozialistischer Kräfte in 1. Würden die alliierten Regierungen bereit sein, mit einer der Armee und der zentralen Staatsverwaltung. neuen deutschen Regierung, die nach den Richtlinien von 2. Ehemaligen Gewerkschaftsführern. Abschnitt I, A zusammengestellt ist, auf Treu und Glauben 3. Vertretern der protestantischen und katholischen Kirchen; (bona fide) für einen Frieden zu verhandeln, wie er in Ab- sie verpflichten sich zu folgender Politik: schnitt I, B beschrieben ist? a) Verzicht auf Angriff. (Die Antwort darauf könnte einem Vertreter der Oppo- b) Unverzügliche Aufhebung der Nürnberger Gesetze sition privat durch ein neutrales Land zugestellt werden.) und Zusammenarbeit zur internationalen Lösung des 2. Könnten die Alliierten jetzt der Welt öffentlich und jüdischen Problems. mit den deutlichsten Worten bekanntgeben, dass, falls Hit- c) Allmählicher Rückzug der deutschen Streitkräfte aus ler und das ganze Regime gestürzt wären, sie bereit sein besetzten und überfallenen Ländern. würden, mit einer neuen deutschen Regierung im Hinblick d) Zurückziehung der Unterstützung für Japan und auf eine Friedensregelung von der Art, wie in Abschnitt I, Unterstützung der Alliierten, um den Krieg im Fer- B beschrieben, zu verhandeln, welche sich von jeglicher nen Osten zu beenden. Aggression lossagte und zu einer Handlungsweise ver- e) Zusammenarbeit mit den Alliierten, um die zerstör- pflichtete, wie sie in Abschnitt 1, A beschrieben ist? ten oder vom Krieg beschädigten Gebiete wieder aufzubauen. Verbindungswege B. Zu fragen, ob die Alliierten unter der Voraussetzung, dass das ganze Hitlerregime vernichtet worden ist, bereit Es wurden Abmachungen getroffen, durch die jede Re- sein würden, mit einer solchen neuen deutschen Regierung aktion einflussreicher britischer Stellen, von der der Bischof über eine Friedensregelung zu verhandeln, die folgendes von Chichester erfahren sollte, durch einen neutralen Weg vorsehen würde: mitgeteilt werden könnte. Der britische Gesandte in Stock- 1. Die Errichtung eines Systems von Gesetz und sozialer holm wurde ebenfalls über den Inhalt der Gespräche voll Gerechtigkeit in Deutschland, verbunden mit einer weitge- unterrichtet. Auf seinen Rat hin liess der Bischof von Chi- henden Aufgabenverteilung an die einzelnen Länder. chester die beiden deutschen Pastoren wissen, dass notwen- 2. Die Schaffung gegenseitiger wirtschaftlicher Abhängigkeit digerweise nicht nur die amerikanischen und russischen und zwischen den verschiedenen Nationen Europas, was so- anderen alliierten Regierungen davon ebenfalls betroffen wohl in sich selbst gerechtfertigt wie gleichzeitig die wirk- sein würden, sondern dass das Foreign Office auch der An- samste Garantie gegen Militarismus wäre. sicht sein könnte, dass die Lage viel zu ungewiss sei, um 3. Die Errichtung einer repräsentativen Föderation freier irgendeinen Meinungsaustausch zu rechtfertigen. Wenn es Nationen oder Staaten, die eine freie polnische und eine jedoch andererseits für wünschenswert gehalten würde, wei- freie tschechische Nation einschlössen. tere Aufklärung zu erhalten, könnte in Stockholm ein ver- 4. Die Errichtung einer europäischen Armee zur Kontrolle trauliches Treffen zwischen einem deutschen Vertreter und Europas, unter zentraler Leitung, an der die deutsche Ar- einem Vertreter des Foreign Office oder irgendeiner anderen mee teilnehmen könnte. geeigneten Person zustande gebracht werden.

458 Kein Verständnis im Ausland

Gepräge der Opposition sie wäre der Kampf bis zur Vernichtung weitergegan- gen, da es den preussischen Militarismus und die Jun- Die Opposition war schon seit einiger Zeit in der Ent- kerklasse, die beide am Krieg schuldig seien (!), aus- wicklung begriffen und bestand bereits vor dem Kriege. zurotten gelte. Das deutsche Volk würde sich einer Der Krieg gibt ihr nun eine Gelegenheit, die nur darauf Täuschung hingegeben haben, wenn es diesen Leuten wartet, ergriffen zu werden. Die Opposition kristallisierte sich im Herbst 1941 und hätte im Dezember 1941 eine seine Führung anvertraut hätte. Für diese Leute hätte Gelegenheit ergreifen können, als viele Offiziere sich wei- es erst recht nur eine Bedingung gegeben: Bedingungs- gerten, in Russland weiterzukämpfen. Aber niemand über- lose Kapitulation!...» nahm die Führung. Hitlers letzte Rede, in der er ganz Churchill selbst ist es, der nach dem Krieg nachträg- offen den Anspruch erhob, über allem Gesetz zu stehen, lich diese Einstellung selbstkritisch verurteilt, als er zeigte dem deutschen Volk immer deutlicher die völlige Ge- drastisch formuliert: «Ich fürchte, wir haben das falsche setzlosigkeit des Regimes. Die Opposition setzt volles Ver- Schwein geschlachtet.» Aber diese Erkenntnis kommt trauen in die Stärke der deutschen Armee und ist bereit, ihm erst, als er gezwungen ist, auch das Wort vom den Krieg bis zum bitteren Ende weiterzukämpfen, falls «Eisernen Vorhang» zu prägen, den die Sowjets quer die Alliierten sich weigern sollten, mit der neuen Regierung eines von Hitler befreiten Deutschland zu unterhandeln, durch Europa gezogen haben. nach dem Umsturz des gesamten Hitlerregimes; aber sie Jedenfalls haben Bemühungen der Opposition um Ver- glaubt auch, dass die Fortsetzung des Krieges in dem ständnis im Ausland keinen Erfolg. Der Bekenntnis- augenblicklichen oder noch grösserem Massstab unter der- pfarrer Dietrich Bonhoeffer spricht in Schweden mit artigen Umständen noch weitere Millionen zur Vernich- dem englischen Bischof Dr. Bell, der auch der britischen tung verurteilen würde, besonders in den besetzten Län- Regierung über diese Gespräche berichtet; der Münch- dern. Sie glaubt auch, dass ein Kampf bis zur Entscheidung ner Rechtsanwalt Dr. Müller verhandelt über für Europa selbstmörderisch wäre. Daraus entspringt ihr den Vatikan mit dem Ausland; der Reichsgerichtsrat Wunsch, zuerst Hitler und sein Regime zu vernichten und Dr. von Dohnanyi sowie der frühere Gestapo-Beamte dann eine Friedensregelung zu erreichen. und Regierungsrat im Reichsinnenministerium Dr. Gi- sevius in der Schweiz. Alle Genannten und noch weit mehr Oppositionelle sind seit Anfang des Krieges von Admiral Canaris und dem Chef seiner «Zentralabteilung», Oberst Oster, als Der deutsche Widerstand und die Alliierten Offiziere oder Beauftragte in die «Abwehr», den deut- schen militärischen Geheimdienst eingebaut worden, «Am 2. August 1944, kurz nach Graf Stauffenbergs ge- scheitertem Attentat auf Hitler, hat Winston Churchill im vom evangelischen Bekenntnispfarrer bis zum ehema- englischen Unterhaus die Ereignisse des 20. Juli verächtlich ligen Gestapomann. Eine bessere Tarnung, eine bessere als willkommene Ausrottungskämpfe unter den Würden- Hilfe für die illegale Arbeit ist kaum denkbar. trägern des Dritten Reiches abgetan. Diese Worte, mit denen Aber alle diese Anstrengungen sind so erfolglos, wie sich der damalige britische Premier wider bessere Kenntnis die des Generalkonsuls Wiedemann und der Prinzessin eine terminologische Ungenauigkeit' gestattete, um eine Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst in Amerika, andere Formulierung von ihm zu zitieren, diese Worte be- wie die des deutschen Diplomaten von Trott zu Solz zeichnen wohl den tiefsten Punkt in den stets von Unheil in Amerika und England und wie die all der anderen überschatteten Beziehungen zwischen der deutschen Oppo- Verschwörer, die von den Kriegsgegnern wenigstens sition gegen Hitler und den Alliierten. Tragische Missver- ständnisse hatten schon vor dem Kriege die ersten Kontakte die Zusage erbitten: dass man das deutsche Volk nicht auf bloss flüchtige Berührungen ohne politische Effektivität mit Hitler gleichsetzt, dass die Kriegsgegner mit einer reduziert und im Verein mit weiteren Irrtümern und Ver- deutschen Regierung, die Hitler gestürzt hat, wenigstens säumnissen auch unmittelbar nach Kriegsausbruch festere verhandeln werden. Bindungen und ein gemeinsames Vorgehen immer wieder Vergebens. Die britische und amerikanische Regierung verhindert. Anders wäre es doch nicht möglich gewesen, dass wollen nicht nur Hitler, sondern auch Deutschland zu der deutsche Widerstand und die Westmächte, geistig eng Boden zwingen. verwandt und zu politischer Bundesgenossenschaft anschei- Daran kann auch der Widerstand des deutschen Volkes nend prädestiniert, sich im Laufe des Krieges mehr und nichts ändern, der schon viele Tausend Opfer gebracht mehr voneinander entfernten, bis schliesslich an ein politi- sches Bündnis quer durch die Fronten nicht länger gedacht hat, als die britische und französische Regierung noch werden konnte, da zumindest die eine Seite nicht allein glaubten, Hitler beschwichtigen zu können. kein Gefühl für die Verwandtschaft mehr zeigte und jede Aus einem Bericht der Gestapo-Leitstellen Berlin im Zusammenarbeit ablehnte, sondern jetzt sogar die Existenz Jahre 1940 geht hervor, dass allein in der deutschen eines möglichen Partners bestritt.» Hauptstadt in einem Monat wegen «kommunistischer (Helmut Krausnick in: Vollmadit des Gewissens, Bd. 1.)

459 Widerstand im Krieg und marxistischer Umtriebe» – unter «marxistisch» und nach dem stürmischen Vormarsch in die Weiten verstehen die Gestapo-Beamten, von denen selbst viele Russlands hinein, erfolgt die erste wirksame Wider- der sozialdemokratischen preussischen Polizei entstam- standsaktion, wenn auch von ganz anderer Seite als der men, die Sozialdemokratie – 47 Menschen verhaftet der früheren Generalsfronde. worden sind. 13 verschiedene Flugschriften und 436 Die Geschichte beginnt mit einem Schreiben Hitlers Flugblätter sind in diesem Monat erfasst worden. Vier vom Oktober 1939, das als «Geheime Reichssache» Wochen später meldet die Berliner Gestapo 44 Verhaf- gilt. Dieses Schriftstück, das von der Kanzlei des tete und einen weiteren Monat darauf weitere 11 fest- Führers auf den 1. September zurückdatiert wird, lautet: genommene Staatsfeinde. Die seit der Fritsch-Krise 1938 halbwegs formierte Verschwörer-Gruppe, die DER FÜHRER dank der in ihren Händen befindlichen Macht allein Reichsleiter Bouhler in der Lage ist, ernsthaft etwas gegen Hitler zu unter- und nehmen, zerfällt zunächst wieder. Die Führer dieser Dr. med. Brandt Gruppe – der «Militär» Generaloberst Beck und der sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse «Zivilist» Dr. Goerdeler – haben durch die Folge namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, aller Ereignisse immer wieder «Unrecht» bekommen, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken während ihrem Gegenspieler Hitler immer wieder das bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes Glück zur Seite stand. Selbst viele, die zeitweise gegen der Gnadentod gewährt werden kann. Hitler waren, stehen jetzt wieder hinter ihm. ADOLF HITLER Und das gilt zu Beginn des Krieges vor allem für die Inhaber der realen Macht, für die führenden deutschen Bouhler ist Leiter der «Kanzlei des Führers der Generale. NSDAP», einer Art Privatkanzlei Hitlers, die unabhän- Sie haben in den dramatischen Tagen vor dem Krieg gig ist von der eigentlichen Parteikanzlei und Reichs- gegen Polen der Prophezeiung der Hitlergegner ge- kanzlei. glaubt, dass mit dem Angriff auf Polen sofort ein Dr. med. Brandt ist seit 1933 Begleitarzt Hitlers. Hit- Zweifrontenkrieg auch gegen die Westmächte Frank- ler hat in diesem Jahr bei der Deutschen Schwimm- reich und England losbrechen würde. Doch bis auf den Meisterschaft in Breslau den neuen Deutschen Meistern französischen Überfall und Vormarsch wenige Kilo- den Siegeslorbeer überreicht. Unter den siegreichen meter in den Wasgenwald hinein geschieht nichts. Hit- Mädchen ist auch die Verlobte des jungen Mediziners ler behält auch diesmal ebenso recht wie nach der Ver- Brandt gewesen. Als die frischgebackenen Deutschen kündung der «Wiederherstellung der deutschen Wehr- Schwimm-Meister und -Meisterinnen vom Reichskanz- hoheit» im März 1935, wie nach dem Einmarsch der ler Hitler zu einer Siegesfeier gebeten werden, erscheint deutschen Wehrmacht in das deutsche Rheinland im auch der Siegerinnen-Verlobte Dr. Brandt. Ausgerech- März 1936, wie nach dem überraschenden «Blumen- net da erleidet der Adjutant Hitlers, Wilhelm Brückner, krieg» im März 1938, der zur Wiedervereinigung mit einen Autounfall und trägt einen Schädelbruch davon; Österreich geführt hat, wie in der darauffolgenden Hitlers Schwester kommt bei diesem Unfall zu Scha- herbstlichen Sudetenkrise, als Hitler durch Chamber- den, die beiden anderen Insassen des Wagens werden lain gerettet worden ist, wie schliesslich mit der «Er- lebensgefährlich verletzt. Der Arzt, der sofort zur richtung des Reichsprotektorats Böhmen und Mähren» Stelle ist und Erste Hilfe leistet, ist der zufällig an- im März 1939. wesende Bräutigam der neuen Deutschen Schwimm- Immer wieder ist es Hitler gewesen, der gegenüber den Meisterin, der Arzt Dr. Brandt. Beck und Goerdeler recht behalten hat, recht, im Daraufhin macht Hitler dem jungen Mediziner das machtpolitischen Sinn. Nun ist auch Norwegen trotz Angebot, als persönlicher Arzt bei ihm zu bleiben. Und aller britischen und französischen Unterstützung in damit beginnt die Karriere des Mediziners Brandt, die, deutscher Hand, schliesslich ist sogar Frankreich völlig fast auf den Tag genau 13 Jahre später, 1946, mit einer besiegt, und Hitler befördert seine Gegner unter den schwarzen Binde um die Augen und einem Strick um Militärs als siegreiche Feldherren zu Generalfeldmar- den Hals auf der Todesklappe im alliierten Kriegsver- schällen: von Brauchitsch, von Kluge, von Witzleben, brechergefängnis von Landsberg enden wird. von Rundstedt; Franz Halder, Becks Nachfolger als Brandt ist einer der Hauptverantwortlichen für die Generalstabschef, wird Generaloberst. Tötung von ungefähr 100’000 Menschen, die der so- Aber schon ein Jahr nach dem grossen Sieg über Frank- genannten «Euthanasie-Aktion» zum Opfer fallen, die reich, ein halbes Jahr nach dem Sieg über die Balkan- mit dem oben erwähnten Schriftstück des Führers ein- staaten, nach Rommels ersten Siegen in Nordafrika

460 «Gnadentod'' geleitet wird, auch wenn das aus dessen Wortlaut nicht realisieren, ist einmal der Ausbruch des Krieges, wie direkt ersichtlich ist. Brandt nach dem Kriege zu verstehen gibt: Ursache für diese Euthanasie-Aktion, in der das «Ich muss annehmen, dass der Führer der Meinung «lebensunwerte Leben» vernichtet werden soll, ist der war, dass ein solches Problem im Kriege zunächst Wille der nationalsozialistischen Führung, ein bestim- glatter und leichter durchzuführen ist, dass offenbar mendes Merkmal ihrer Weltanschauung in die Tat Widerstände, die von kirchlicher Seite zu erwarten umzusetzen. Was mit den Gesetzen «Zur Verhütung waren, in dem allgemeinen Kriegsgeschehen nicht diese erbkranken Nachwuchses», «Zum Schutze des deut- Rolle spielen würden wie sonst.» schen Blutes und der deutschen Ehre», «Zum Schutze Ein weiterer Anlass ist der Fall «Kind Knauer», wie er der Erbgesundheit des deutschen Volkes» eingeleitet von der Abteilung «Angelegenheiten der Reichsmini- wird, erfährt in der geheimgehaltenen Euthanasie-Ak- sterien und ,Gnadentod'» der Kanzlei des Führers be- tion seine Fortsetzung, eine logische Konsequenz der zeichnet wird. «Der Vater dieses Knauer-Kindes», so nationalsozialistischen Weltanschauung, die den Men- schreibt Bert Honolka, «hatte sich an Hitler gewandt, schen nur unter rassischen und biologistischen, nicht um mit höchster Genehmigung das Leben dieses aber unter sittlichen, humanen und christlichen Ge- erbarmungswürdigen Wesens von Ärzten verkürzen sichtspunkten betrachten will. Hitler, der «die soge- lassen zu dürfen. Nach Feststellungen, die Hitlers Dr. nannte Humanität als Ausdruck einer Mischung von Brandt traf, handelte es sich um ein Kind, ,das blind Dummheit, Feigheit und eingebildetem Besserwissen» geboren war, idiotisch schien und dem ausserdem ein bezeichnet, schreibt in seinem Buch «Mein Kampf»: Bein und ein Teil eines Armes fehlten'. Das Kind lag «Ein stärkeres Geschlecht wird die Schwachen ver- in der Leipziger Universitätskinderklinik, deren dama- jagen, da der Drang zum Leben in seiner letzten Form liger Leiter der Professor Dr. Werner Catel war. Das alle lächerlichen Fesseln einer sogenannten Humanität arme Menschlein wurde eingeschläfert. der Einzelnen immer wieder zerbrechen wird, um an Über den Fall Knauer hätte sich wahrscheinlich auch seine Stelle die Humanität der Natur treten zu lassen, vom Standpunkt der klassischen Euthanasie aus dis- die die Schwäche vernichtet, um der Stärke den Platz kutieren lassen. Das Infernalische der NS-Methodik zu schenken.» bestand nun darin, dass der – unter gewissen Voraus- Dieser primitiv aufgefasste Sozialdarwinismus, der setzungen – plausible Fall Knauer dazu herhalten Gesetzmässigkeiten aus der Tierwelt und der Tier- musste, die Ungeheuerlichkeiten der späteren Massen- zucht auf die menschliche Gesellschaft übertragen will, Euthanasie zu erklären und zu rechtfertigen. In Ver- hat daher auch keinen Platz für das «christlich-kirch- bindung mit dem Fall Knauer wurden nämlich kurze liche Mitleid», das jedem menschlichen Lebewesen, ob Zeit später der Reichsleiter Bouhler und der Professor gesund, krank oder unheilbar krank, ein Lebensrecht Brandt von Hitler ermächtigt, in ähnlichen Fällen ana- zugesteht. Alfred Rosenberg, Chefideologe des Natio- log zu handeln. Es blieb nicht bei ähnlichen Fällen ...» nalsozialismus, schreibt in seinem Buch «Der Mythus des 20. Jahrhunderts»: «Aus dem Zwangsglaubenssatz Zunächst werden entsprechend Hitlers Anweisung die der schrankenlosen Liebe und Gleichheit alles Mensch- Ärzte «namentlich bestimmt», die «bei kritischster Be- lichen vor Gott einerseits, der Lehre vom demokrati- urteilung» den «nach menschlichem Ermessen unheil- schen, rasselosen und von keinem national verwurzel- bar Kranken» den «Gnadentod gewähren» dürfen. Die- ten Ehrgedanken getragenen ,Menschenrecht' anderer- sem Gremium gehören an: seits hat sich die europäische Gesellschaft geradezu als Professor Dr. Werner Catel, der Chef der Leipziger Hüterin des Minderwertigen, Kranken, Verkrüppelten, Universitätskinderklinik und zugleich Ordinarius für Verbrecherischen und Verfaulten ,entwickelt'. Psychiatrie und Neurologie an der Leipziger Univer- Die ,Liebe' plus Humanität ist zu einer alle Lebens- sität; Professor Dr. Hans Heinze, Direktor der Landes- gebiete und Lebensformen eines Volkes und Staates heilanstalt Brandenburg; zersetzenden Lehre geworden und hat sich dadurch ge- Kinderarzt Dr. Ernst Wentzler, Hannoversch-Münden; gen die sich ... rächende Natur empört...» Dr. med. Helmut Unger, Berlin, und als Vertreter der Für den Euthanasie-Praktiker handelt es sich bei der Bürokratie der Ministerialdirigent Dr. Herbert Linden, Tötung missgestalteter und geisteskranker Kinder und Leiter des «Sachgebiets Heil- und Pflegeanstalten» in Erwachsener um die Beseitigung «einer Belastung un- der Abteilung IV des Reichsinnenministeriums. seres Volkskörpers», um «ernährungspolitische Ge- Schliesslich wird dieses Gremium noch erweitert, um sichtspunkte» und «im Übrigen aber auch um rassen- nicht nur kranken Kindern, sondern auch Erwachsenen pflegerische Massnahmen». Anlass dafür, die Beseitigung der «nutzlosen Esser» zu

461 Widerstand im Krieg den «Gnadentod gewähren» zu können. Nun gehören zu wieder, in keiner der bekannten Anstalten ist sein Name diesem Gremium auch als der eines neueingewiesenen Patienten registriert. Dr. Bender, Direktor der Heilanstalt Buch bei Berlin; Einer der ersten, die misstrauisch werden und der Professor Dr. Max de Crinis, Ordinarius für Psychia- plötzlich in die Höhe schnellenden Zahl von Todes- trie und Neurologie an der Berliner Universität; fällen in Heilanstalten nachspüren, ist Pastor Braune, Professor Dr. Berthold Kihn, Ordinarius für Neurolo- Vizepräsident des Zentralausschusses für Innere Mis- gie und Psychiatrie an der Universität Jena; sion der Evangelischen Kirche Deutschlands. Ihm un- Dr. Pfannmüller, Direktor der bayerischen Heilanstalt terstehen die von der Inneren Mission betreuten Pflege- Eglfing-Haar; anstalten, so die berühmten Bodelschwinghschen An- Professor Dr. Carl Schneider, Ordinarius für Neurolo- stalten in Bethel. gie und Psychiatrie an der Universität Würzburg; Sind ihm schon die anscheinend völlig unmotivierten Professor Dr. Paul Nitsche, Direktor der Heil- und Gründungen dieser neuen Organisationen aufgefallen, Pflegeanstalt Sonnenstein bei Pirna in Sachsen; so wird er noch mehr stutzig, als die «Fragebogen- und schliesslich als Nachfolger Schneiders an der Würz- Aktion» anläuft. Die Fragebogen kommen nämlich burger Universität der Professor Dr. Werner Heyde nicht den üblichen Dienstweg über Kreisgesundheits- – jener Mann aus diesem Gremium, der nach dem amt und Amtsarzt, sondern direkt vom Reichsinnen- Krieg am bekanntesten wird, weil er sich, obwohl we- ministerium. Den letzten Anstoss für eigene Nachfor- gen Mordes gesucht, mit Unterstützung hoher Juristen schungen gibt ihm die Verlegung einiger junger weib- und Regierungsbeamter der Bundesrepublik jahrelang licher Patienten aus der Missionsanstalt «Gottesschutz» unter falschem Namen verbergen kann. in Erkner bei Berlin. Braune protestiert gegen diese Die bürokratische Lawine beginnt zu rollen. Frage- Verlegung und wird daraufhin vom Innenministerium bogen werden an die Heilanstalten versandt, in denen drohend gerügt, er habe sich nicht einzumischen, sein genaue Angaben über jeden einzelnen Kranken ver- Protest sei staatsgefährdend. Nun lässt der mutige langt werden. Das schliesslich aus 37 Ärzten bestehende Pastor Braune erst recht nicht locker. Er leistet eine Gremium von Gutachtern und Obergutachtern erhält regelrechte kriminalistische Forschungsarbeit, die sich den harmlosen Namen «Reichsarbeitsgemeinschaft allerdings vor allem auf die ihm unterstellten Missions- Heil- und Pflegeanstalten», bestimmte Anstalten wer- anstalten bezieht. den für die Aufnahme der zum «Gnadentod» vorgese- Er setzt sich mit den Angehörigen verstorbener An- henen Kranken ausgewählt, zum Transport der Kranken staltspatienten in Verbindung und zieht aus dem, was er wird eigens eine «Gemeinnützige Krankentransport da erfährt, die richtigen Schlüsse. GmbH» gegründet, dazu noch eine «Gemeinnützige Da ist etwa der Patient Heimer aus der Heil- und Stiftung für Anstaltspflege», die unter anderem die Pflegeanstalt Bedburg-Hau im Rheinland. Er ist Direk- Gehälter für die beteiligten Ärzte, Krankenwagenfah- tor des Remagener Kraftwerkes gewesen und leidet seit rer, Büroangestellten und das Pflegepersonal zahlt. einiger Zeit unter Depressionen. Seine Familie besucht Aus all diesen Tarnmassnahmen ist schon zu entneh- ihn ständig. Eines Tages ist der Patient nicht mehr in men, dass hier eine heimliche, gesetzwidrige Aktion der Anstalt, ohne dass die Familie benachrichtigt wor- vorbereitet wird, dass es keinesfalls nur darum gehen den wäre. Angeblich ist Patient Heimer in die Anstalt kann, unglücklichen, schwerstleidenden Kranken eine Grafeneck verlegt worden. Sterbehilfe zu gewähren, wie das aus dem vielzitierten Die Familie fragt dort an, erhält aber keine Antwort. «Führerbefehl «entnommen werden könnte. Erst vier Wochen später kommt eine Mitteilung, der Und so ist es auch: Trotz aller Tarnung dringen schon Patient Heimer sei kurz nach der Einlieferung in Gra- 1940 Gerüchte an die Öffentlichkeit, dass an einigen feneck infolge Kreislaufschwäche verstorben, die Lei- Heil- und Pflegeanstalten etwas «nicht stimmen» kann. che sei sofort eingeäschert worden. Angehörige von verstorbenen Patienten erhalten Toten- Kreislaufschwäche? Heimer war organisch völlig ge- scheine, auf denen etwa als Todesursache ein Blind- sund. Sofort eingeäschert? Warum? Kein Zweifel, dass darmdurchbruch angegeben ist – der Verstorbene aber hier etwas vertuscht werden soll. hat schon seit seiner Kindheit keinen Blinddarm mehr. Bald stösst Braune auf etwas, das ihm Gewissheit ver- Da erhält die Familie eines Verstorbenen die Urne mit schafft. Heimer ist am 10.4.1940 verstorben, die den sterblichen Überresten – und wenige Tage später schliesslich an die Familie übersandte Urne trägt die noch eine zweite. Da besucht eine Mutter ihren Sohn, Nummer A 498. In einem anderen Fall, dem Pastor dessen Leiden sich stark verbessert hat und der entlas- Braune nachspürt, ist der Patient – ebenfalls in sen werden soll. Der Patient ist, so sagt man der Mutter, Grafeneck – am 12.5.1940 verstorben. Auch er wird «verlegt» worden. Die Mutter findet ihren Sohn nicht sofort eingeäschert und die Urne den Angehörigen

462 Pastor Braune

übersandt. Diese Urne trägt die Registriernummer A Der tapfere Pastor Braune sucht den Reichsminister 1092. für Kirchenfragen Kerrl auf. Er begibt sich zu Pastor Der Pastor kennt Grafeneck. Die Anstalt hat rund von Bodelschwingh, dem ersten Reichsbischof, und 100 Betten für die Patienten. Zwischen dem Tod des spricht noch mit dem berühmtesten und prominente- Patienten Heimer und dem des zweiten, dessen Schick- sten Arzt des Dritten Reiches, mit Professor Sauer- sal Braune nachgespürt hat, liegen genau 33 Tage – bruch. Es gelingt ihm sogar, alle Besuchten, einschliess- vom 10. April bis zum 12. Mai. Der Unterschied der lich des NS-Kirchenministers Kerrl, zu einer gemein- Registriernummern beider Urnen beträgt 594 – es sind samen Aktion zu bewegen. also in Grafeneck in dieser Zeitspanne 594 Patienten Kerrl, Bodelschwingh, Sauerbruch und Braune gehen verstorben. gemeinsam zum Reichsjustizminister Gürtner. Der Jus- Das ist unter normalen Umständen völlig unmöglich: tizminister kann sich der Überzeugungskraft des vorge- Pro Tag 18 Todesfälle in einer Anstalt, die nur 100 Pati- tragenen Beweismaterials nicht verschliessen und ist, enten aufnehmen kann, das hiesse, dass alle fünf bis wie Pastor Braune nach dem Krieg aussagt, «ehrlich dar- sechs Tage die gesamte Belegschaft gestorben wäre. über entsetzt». Gürtner verspricht, Abhilfe zu schaffen und sich der Sache anzunehmen. Schliesslich stellt Pastor Braune nach Untersuchung vie- Zunächst aber ändert sich nichts. Noch immer fahren ler weiterer Fälle fest, dass verlegte Patienten stets in die Omnibusse der «Gemeinnützigen Krankentrans- ganz bestimmten Anstalten auftauchen, und dass ge- portgesellschaft» von Anstalt zu Anstalt, noch immer rade diese Anstalten ebensolche hohe Todesraten haben sucht das Ärztegremium nach in den Heilanstalten wie Grafeneck. Es gibt keinen Zweifel: Diese Anstalten ausgefüllten Fragebogen Kranke aus, denen der sind von vornherein zur Tötung der dorthin verlegten «Gnadentod» gewährt werden soll, neue Ärztekom- Kranken bestimmt. missionen werden gebildet, die selbst die Anstalten be- Pastor Braune unternimmt mit dem von ihm so sorg- suchen, um die Patienten auszuwählen, weil sich unter fältig gesammelten und ausgewerteten Material seiner den Anstaltsärzten ebenfalls herumgesprochen hat, was Detektivarbeit einen Vorstoss nach dem anderen. Er mit «verlegten Patienten» geschieht, und sie deshalb fährt nach Berlin und lässt sich in der Reickskanzlei Fragebogen zugunsten der Kranken falsch ausfüllen. melden. Ministerialdirektor Kritzinger, zu dem er Gleichzeitig wird der Widerstand gegen die «Eutha- schliesslich gelangt, ist ahnungslos. Er verspricht dem nasie-Aktion» immer stärker. Auch die Bevölkerung in Pastor, sich um die Angelegenheit zu kümmern. der Umgebung der Heilanstalten spürt, was hinter den Braune kennt seinen nun bei der «Abwehr» unterge- Mauern vorgeht. Und bald sind es auch NS-Funktionäre, schlüpften Amtsbruder Bonhoeffer und weiss von dem die in Berlin gegen das protestieren, was sie von der Be- Reichsgerichtsrat Dr. von Dohnanyi, der Hitlergegner völkerung erfahren. ist und nun ebenfalls in der «Abwehr» arbeitet. So Da ist etwa der NSDAP-Kreisleiter von Ansbach, der meldet sich Pastor Braune in dem geheimnisumwitter- in einem Protestschreiben auf Widersprüchlichkeiten ten Gebäude des deutschen Geheimdienstes am Berliner bei der Angabe von Todesursachen hinweist. Auch hier Tirpitz-Ufer. Dohnanyi empfängt ihn und ist entsetzt gibt es die Todesursache «Blinddarmentzündung» bei über das, was ihm Braune erzählt und an Hand der einem Patienten, der schon seit Jahren keinen Blind- mitgebrachten Unterlagen auch beweisen kann. Der darm mehr hat. Dann schreibt der Kreisleiter weiter: frühere Reichsgerichtsrat ist nicht nur lange Zeit, so «Eine andere Todesursache war Rückenmarksleiden. noch während der Fritsch-Krise und der versuchten Aber die Familienangehörigen hatten den körperlich Ausschaltung Himmlers und Heydrichs, der persönliche völlig Gesunden acht Tage vorher besucht. Referent des Reichsjustizministers Dr. Franz Gürtner ge- Eine Frau erhielt eine Todesanzeige, während die Frau wesen, er hat selbstverständlich auch jetzt noch gute Be- heute noch in der Anstalt lebt und sich bester Gesund- ziehungen zum Justizministerium. heit erfreut.» Dohnanyi sorgt dafür, dass Braune in kurzer Zeit noch Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Sachsen mehr Material erhält – eben vom Justizministerium. schickt, da örtlich für das im Land Württemberg ver- Denn dort ist mittlerweile auch einiges von merkwür- mutete Verbrechen nicht zuständig, eine Alarmmeldung digen Vorgängen im Zusammenhang mit Heilanstalten nach Berlin, dazu eine Aufstellung von Todesanzeigen bekannt geworden. So gibt es bereits einige Straf- aus den «Leipziger Neuesten Nachrichten». Diese zahl- anzeigen von Angehörigen so plötzlich «Verstorbener», reichen Anzeigen haben alle fast den gleichen Wortlaut: die von Staatsanwaltschaften, die nicht recht wissen, «Wir erhielten nach bereits erfolgter Einäsche- wie sie sich verhalten sollen, an das Justizministerium rung aus Grafeneck in Württemberg die traurige Nach- weitergeleitet worden sind. richt von dem plötzlichen Tode unseres...»

463 Widerstand im Krieg

Noch verdächtiger, weil deutlicher, sind einige Anzei- Nach der Ankunft solcher Wagen beobachten dann die gen wie: « ... nach langer Ungewissheit..oder gar: » ... Hadamarer Bürger den aus dem Schlot aufsteigenden wie bereits erwartet, erhielten wir aus Grafeneck in Rauch und sind von dem ständigen Gedanken an die Württemberg .. armen Opfer erschüttert...» Bitte, fragen die sächsischen Staatsanwälte, was ist los In München protestiert der katholische Erzbischof dort in Grafeneck, da stimmt doch etwas nicht? Faulhaber in einem Schreiben an Reichsjustizminister Was in Grafeneck geschieht, steht in dem Protestschrei- Gürtner. Er protestiert auf der Grundlage der katho- ben, das der württembergische Landesbischof Wurm an lischen Theologie und stellt «die Unvereinbarkeit der das Reichsinnenministerium nach Berlin schickt, wenn Euthanasie mit dem christlichen Sittengesetz» fest. er auch noch nicht weiss, dass die Kranken durch Gas Aber all diese Proteste und noch viele mehr, die hier umgebracht werden: nicht aufgeführt werden können, sind schriftliche Pro- «Die Krankentransporte ..die Autobusse mit den un- teste. Sie durchlaufen Dienstwege, liegen in Aktenord- durchsichtigen Fenstern ..der aus dem Krematorium nern fest, nur wenig davon hat durchschlagende Wir- aufsteigende Rauch, der auch auf grössere Entfernungen kung. wahrgenommen werden kann – dies alles erregt die Ge- Der Bischof von Münster, Clemens August Graf von müter um so mehr, als niemand Zutritt zu dem Schloss Galen, gibt einen wesentlichen Anstoss zur Einstellung bekommt.. der «Euthanasie-Aktion», indem er nicht mit einem Bischof Wurm schreibt weiter, «dass schon mehrere Brief, sondern in aller Öffentlichkeit protestiert, von der hundert Anstaltspfleglinge allein aus Württemberg ... Kanzel der St.-Lamberti-Kirche zu Münster hinunter zu auf diese Weise ... den Tod gefunden haben» und dass seinen Gläubigen: «darunter auch Kriegsverletzte des Weltkrieges» ge- «... Deutsche Männer und Frauen! wesen seien. Und er stellt die Frage: «Weiss der Führer Noch hat Gesetzeskraft der Paragraph 211 des Reichs- von dieser Sache? Hat er sie gebilligt?» strafgesetzbuches, der bestimmt: Die gleiche Frage bewegt eine hohe Funktionärin der ,Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird, wenn er NSDAP, die württembergische «Frauenschafts»-Führe- die Tötung mit Überlegung ausgeführt hat, wegen Mor- rin Else von Löwis, die an den Obersten Parteirichter des mit dem Tode bestraft‘. Buch – den Schwiegervater des Reichsleiters Martin Wohl um diejenigen, die jene armen, kranken Men- Bormann – schreibt: schen, Angehörige unserer Familien vorsätzlich töten, « ... ob die für diese Sache Verantwortlichen sich gar vor dieser gesetzlichen Bestrafung zu bewahren, wer- nicht bewusst sind, welches Mass von Vertrauen sie den die zur Tötung bestimmten Kranken aus der Hei- dadurch zerstört haben? ... Wohin wird dieser Weg uns mat abtransportiert in eine entfernte Anstalt. Als Todes- führen, und wo wird die Grenze gezogen? ... ursache wird dann irgendeine Krankheit angegeben ... Jetzt klammern sich die Menschen noch an die Hoff- nung, dass der Führer um diese Dinge nicht weiss ... Es Das Reichsstrafgesetzbuch bestimmt aber in Paragraph muss doch einen Weg geben, auf dem die Stimme des 139: Volkes seinen Führer erreicht!» ,Wer von dem Vorhaben eines Verbrechens wider das Parteirichter Buch schickt diesen Brief an den Reichs- Leben .. . glaubhafte Kenntnis erhält und es unterlässt, führer SS Heinrich Himmler weiter. Und tatsächlich der Behörde oder dem Bedrohten hiervon rechtzeitig sorgt Himmler – weder Arzt noch von Hitler «unter Anzeige zu machen, wird ... bestraft/ Verantwortung beauftragt» noch sonst sachlich irgend- Als ich von dem Vorhaben erfuhr, Kranke aus Marien- wie zuständig (er ist noch längst nicht Reichsinnen- tal abzutransportieren, um sie zu töten, habe ich am minister, sondern nach wie vor SS-Chef und Polizei- 28. Juli bei der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Chef) – dafür, dass die Anstalt Grafeneck aufgelöst in Münster und bei dem Polizeipräsidenten in Münster wird. Anzeige erstattet durch eingeschriebenen Brief mit fol- Aber die «Euthanasie-Aktion» geht weiter, auch die gendem Wortlaut: von Grafeneck. Denn das dortige Anstaltspersonal, ,Nach mir zugegangenen Nachrichten soll im Lauf die- eingespielt auf die Tötung von Kranken, übernimmt ser Woche (man spricht vom 31. Juli) eine grosse An- die Heilanstalt Hadamar bei Limburg an der Lahn. zahl Pfleglinge der Provinzialheilanstalt bei Mariental Auch hier spricht sich herum, was dort geschieht. Nach in Münster als sogenannte ,unproduktive Volksgenos- seinem evangelischen Amtskollegen in Württemberg ist sen' nach der Heilanstalt Eichberg übergeführt werden, es nun der katholische Bischof von Limburg, der pro- um dann alsbald ... vorsätzlich getötet zu werden. testiert: «öfter in der Woche kommen Omnibusse mit Da ein derartiges Vorgehen ... als Mord nach Para- einer grösseren Anzahl der Opfer in Hadamar an ... graph 211 des Reichsstrafgesetzbuches mit dem Tode

464 Tschechoslowakei Nachdem England und Frankreich sich nicht dazu bereit finden konnten, die Tschechoslowakei entsprechend ihren Garantie- versprechungen militärisch zu verteidigen, gaben sie auf der Münchener Konferenz den Forderungen Hitlers nach, womit sie das Schicksal einer freien Tschechoslowakei besiegelten. Der um jeden Preis zum Widerstand entschlossene Staatspräsident Benesch musste kapitulieren. Zunächst besetzte Hitler die ihm zugestandenen deutsch-besiedelten Gebiete. Dann ging er dar- an, seinen «unabänderlichen» Entschluss zu realisieren, die Resttschechei zu «zerschlagen». Als Hebel diente ihm hierbei das Streben slowakischer Extremisten, die Slowakei vollständig aus dem tschechoslowakischen Staatsverband herauszulösen, ein Unterfangen, das von deutscher Seite natürlich entsprechend gefördert wurde. Als die Spannungen zwischen Tschechen und Slowaken so weit gediehen waren, dass sich die tschechische Regierung veranlasst sah, die slowakische Regierung unter Tiso aufzulösen, beorderte Hitler den abgesetzten slowakischen Ministerpräsidenten Tiso nach Berlin und übergab ihm dort eine bereits in slowakischer Sprache abgefasste «Unabhängigkeitserklärung» der Slowakei. Danach lud Hitler den tschechoslowa- kischen Staatspräsidenten Hacha, den Nachfolger Beneschs, ebenfalls ein, nach Berlin zu kommen. «Kurz nach ! Uhr nachts», berichtet Chefdolmetscher Schmidt, «wurden Dr. Hacha und Chvalkovsky von Hitler in der Reichskanzlei empfangen . . . Sie waren von Prag noch in der Hoffnung abgefahren, sie würden mit Hitler verhandeln können . . . ,Der Einmarsch der deutschen Truppen ist unabwendbar', sagte Hitler. ,Wenn Sie Blutvergiessen verhindern wollen, dann telegraphieren Sie am besten sofort nach Prag und geben Weisung an Ihren Kriegsminister, dass kein Widerstand von tschechischen Truppen geleistet wird!' ...» Ohne Hoffnung auf Hilfe von aussen, wissend um die eigene militärische Unterlegenheit, musste Hacha den Forderungen Hitlers nachgeben. – Bild unten: Beim Einmarsch deutscher Truppen in Prag, die nicht als Befreier, sondern als Unter- drücker kommen, wird kein Jubel laut. Im Gegenteil: Wut, Hass und Verzweiflung spiegeln sich auf den Gesichtern der Bevölkerung. – Bild oben (von rechts nach links): Staatspräsident Dr. Tiso, Ministerpräsident Dr. Tuka und Minister Medritzky auf der Ehrentribüne anlässlich der Feierlichkeiten zum zweijährigen Bestehen der «selbständigen Slowakei». Bild oben: Reinhard Heydrich, SS-Obergruppen- führer und General der Polizei, Stellvertretender Reichsprotektor von Böhmen und Mähren und Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RS HA ), ei- ner der mächtigsten und gefürchtetsten NS-Funktio- näre, starb am 4. Juni 1942 an den Folgen eines Attentats vom 27. Mai 1942. Attentäter waren die beiden tschechischen Widerstandskämpfer Jan Kabis (oben links) und Josef Gabchik (oben rechts), die in England ausgebildet wurden und am 29. Dezem- ber 1941 mit dem Auftrag, Heydrich zu ermorden, durch Fallschirmabsprung in die Tschechoslowakei gelangten. Nach den Recherchen von Alan Burgess sollte mit diesem Attentat die erfolgreiche Politik Heydrichs, die Tschechen kollaborationswillig zu

machen, durchkreuzt werden. Durch diese Ermordung Heydrichs würde das Reich «solch einen Schlag ins Gesicht erhalten, dass die Kollaboration unmöglich und jede Versöhnung schwierig würde». – Linke Seite unten: So hatten sie sich aufgestellt: Oben an der Strasse stand Josef Valchik, der mit einem Spiegel Heydrichs Ankunft signalisierte. An der Kurve musste der Wagen Heydrichs (ein offener Mercedes) stark abbremsen. Hier standen Josef Gabchik mit einer Maschinenpistole im An- schlag und einige Schritte weiter Jan Kubis mit einer Handgranate. – Linke Seite Mitte: Heydrichs Mercedes nach dem Attentat. – Oben rechts: Jindra, ein Führer der Prager Widerstandsbewegung, die über alle Einzelheiten des Attentats unter- richtet war und mithalf, es zu verwirklichen. Er wurde zum Tode verurteilt, kam aber durch die Verzögerung der Hinrich- tung mit dem Leben davon. Die Attentäter, die zunächst flüchten konnten, wurden später von zwei tschechischen Mitver- schwörern, Curda (oben Mitte) und Gerik (oben links), für eine Belohnung von je 500’000 RM an die Gestapo verraten. Zusammen mit fünf weiteren Widerstandskämpfern wurden sie in ihrem Versteck, einer Kirche, von der SS auf gespürt, wo sie sich zunächst verteidigten. Als sie keinen Ausweg mehr sahen, nahmen sie sich selbst das Leben. Des Weiteren wurden Hun- derte von Widerstandskämpfern von der Gestapo verhaftet. Als Vergeltung für das Attentat auf Heydrich wurde auf Befehl seines Staatssekretärs Karl Hermann Frank das Dorf Lidice am 24. Juni 1942 dem Erdboden gleichgemacht. Der nach dieser Aktion verfasste Gestapo-Bericht meldete: «199 männliche Einwohner über 15 Jahre wurden an Ort und Stelle erschossen, 184 Frauen in das KZ Ravensbrück . . . überführt.» – Bild unten: Die Leichen der in Lidice hingerichteten Männer. Bild links: Julius Fucik, kommunistischer Journalist, un- erschrockener illegaler Kämpfer in der Okkupation, Mit- glied des illegalen Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, bemühte sich insbesondere darum, Angehörige der Intelligenz für die Widerstandsbe- wegung zu gewinnen. Am 25. August 1943 wurde er wegen «Vorbereitung zum Hochverrat» zum Tode verurteilt. – Unten links: Jozka Jaburkovä-Paleckovä, langjährige Schriflleiterin der kommunistischen Frauenzeitschrift «Rozsevacka», wurde gleich in den ersten Tagen der deut- schen Besetzung im Jahre 1939 von der Gestapo verhaftet und anschliessend im Konzentrationslager Ravensbrück zu Tode gefoltert. – Unten rechts: Marie Kuderikaovä, ein 22jähriges Mädchen, das wegen seiner illegalen Arbeit in einer kommunistischen Widerstandsorganisation im Jahre 1943 nach fast zweijähriger Kerkerhaft, ein halbes Jahr nach der Verkündung des Todesurteils, in Breslau hinge- richtet wurde. In ihrer Todeszelle schrieb die junge Gym- nasiastin «Bruchstücke des Lebens und Denkens», ein Do- kument über das Denken und die Empfindungen junger tschechischer Patrioten.

Nachdem es zunächst schwer war, die tschechoslowakische Bevölkerung für den aktiven Widerstand zu gewinnen, ist es den Kommunisten zusammen mit anderen Antifaschisten und mit Hilfe von sowjetischen Organisatoren ge- lungen, «auch auf diesem Territorium Partisaneneinheiten aufzustellen, die allmählich immer grösseres Gewicht im nationalen Befreiungskampf gewan- nen . . . Die illegale kommunistische Bewegung arbeitete zielbewusst darauf hin, möglichst breite Schichten des Vol- kes in den aktiven antifaschistischen Kampf einzubeziehen, dem antifaschi- stischen Widerstand eine feste und einheitliche Organisation mit einem einheitlichen Zentrum zu geben, damit die Arbeiterklasse bei der Endabrech- nung mit den Okkupanten die ent- scheidende Rolle übernehmen konnte.» Das bedeutete aber gleichzeitig, sich eine günstige Ausgangsposition zu ver- schaffen, um nach dieser Endabrech- nung die ganze Staatsmacht zu okkupie- ren, um dann die eigene, die kommunis- tische Diktatur zu errichten. Und es darf deshalb «nicht verwundern, dass sie [die kommunistische Widerstandsbe- wegung] ihre erste Stütze in der So- wjetunion erblickte». Diese Zielsetzung wurde natürlich von den bürgerlichen Widerstandskräften, die mit der Lon- doner Exilregierung sympathisierten, nicht geteilt: «Die Londoner Fall- schirmspringer hatten nicht die Auf- gabe, bei der Organisation der Parti- sanenabteilungen und der kommuni- stisch gelenkten N ationalausschüsse zu helfen. Ihnen oblag es vor allem, den Nachrichtendienst zu organisieren und solche illegalen militärischen Einheiten aufzubauen, die im geeigneten Augen- blick vom Westen her Waffen und das Signal zum Losschlagen erhalten soll- ten.» (Karel Bartovsek.) Bild oben: Tschechische Widerstands- kämpfer geben Leuchtzeichen für eng- lische Flugzeuge, die Waffen abwer- fen. – Bild unten: Russen, die mit Fallschirmen hinter dem deutschen Frontgebiet in der Tschechoslowakei abgesprungen sind, um hier die Partisa- nenbewegung zu organisieren und anzu- führen.

Während die bürgerlichen Widerstandsgruppen nach dem Grundsatz handelten «abwarten, bis der richtige Zeitpunkt kommt», bis dahin aber Ruhe und Ordnung bewahren, um nutzlose Opfer zu vermeiden, entsprach es der Taktik der Kom- munisten, die deutschen Okkupanten durch Einzelaktionen zu schädigen, wo es nur ging, einzelne Partisanengruppen zu bilden und alles für den bewaffneten Aufstand vorzubereiten. Erster Höhepunkt dieser Taktik war der slowakische Volks- au fstand, der am 29. August 1944 begann und sich sowohl gegen die deutschen Okkupanten als auch gegen die slowa- kische Regierung Tiso wandte. Erst durch ein verstärktes militärisches Eingreifen deutscher Stellen konnte dieser Auf- stand niedergeschlagen werden. Die beiden Bilder dieser Seite zeigen tschechische Dokumentaraufnahmen vom slowa- kischen Nationalaufstand.

Unten rechts: «Die letzte Barrikade fliegt in die Luft. Die Verfolger nähern sich dem Ziel, stehen vor einer stark ausge- bauten Strassensperre. Unter ungeheurem Getöse reisst die Sprengung sie auseinander. Der Weg ist frei! In schnellem, unerbittlichem Zugriff wird die Masse der Bandengruppen auf engstem Raum zusammengetrieben und vernichtet.» Nach kommunistischen Angaben wurden allein im Oktober 1944 auf slowakischem Territorium mehr als 9’000 faschistische Soldaten und Offiziere getötet, 26 Militärzüge in die Luft gesprengt, 20 Lokomotiven, 209 Waggons, 18 Panzer, 11 Pan- zerwagen und 207 Kraftwagen zerstört, sowie 8 Strassen- und 13 Eisenbahnbrücken gesprengt. Ausserdem wurden die Stäbe zweier feindlicher Divisionen zerschlagen. – Unten links: Ein Werbeplakat der tschechischen Partisanenbewegung. – Bild oben: Dichte Wälder und unwegsames Berggelände boten den Partisanen immer wieder Schutz vor dem Zugriff ihrer Verfolger.

Von der nationalsozialistischen Gewalt- herrschaft in Deutschland und in Europa wurde die jüdische Bevölkerung am här- testen getroffen. Dabei wurden die Juden Polens die ersten blutigen Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungs- politik. – Rechts unten: In einem von der Sicherheitspolizei inszenierten Po- grom werden Hunderte von Juden durch freigelassene Zuchthäusler mit Eisenrohren erschlagen. – LJm ihrem grausigen Schicksal zu entgehen und um ihre Mörder zu bekämpfen, bildeten zahlreiche Juden eigene Partisanengrup- pen. Die Mehrheit jedoch ging nicht in den Dntergrund oder in die Wälder, sondern gab sich ihrem Schicksal eher fatalistisch hin. – Rechte Seite, oben links: Ingenieur Mosze Gildemann, jüdi- scher Partisanenkommandeur in Wolhy- nien. – Oben Mitte: Hersz Glik, Mit- glied der vereinigten Partisanenaktion im Wilnaer Ghetto, Autor der jüdischen Partisanenhymne «Sog nischt keinmol as du geist dem letzn Weg», ist 1944 in einem KZ in Estland umgekommen. – Oben rechts: Ein jüdischer Partisan aus den Wäldern des Bezirks Bialystok. – Links oben: Ein jüdischer Partisanen- trupp aus dem Kreis Wlodawa im Di- strikt Lublin. – Links Mitte: Eine jüdi- sche Partisanengruppe in der Umgebung von Wilna. – Links unten: Unter die- sem Brunnen im Bialystoker Ghetto be- fand sich der Bunker der jüdischen Widerstandsbewegung. Nach seiner Ent- deckung kam es zum ungleichen Kampf mit den SS-Einheiten, wobei die 70 Ver- teidiger des Bunkers den Tod fanden.

Juden

Von den deutschen Militärs, die versuchten, den Juden zu helfen, ist der Fall des Feldwebels Anton Schmid (linke Seite oben) am berühmtesten geworden. Immer wieder warnte er Juden vor bevorstehenden Aktionen, gewährte ihnen Schutz und Nahrung in seinen Werkstätten und hat somit vielen von ihnen das Leben gerettet. Wegen dieser Hilfe wurde er am 13. April 1942 von einem deutschen Exekutionskommando im Ghetto von Wilna hingerichtet. Der Führer der jüdischen Widerstandsbewegung preist sein Andenken: «Möge Anton Schmid, ein deutscher Feldwebel aus Wien, für immer unver- gessen bleiben . . . Er war einer der Grossen unter den Völkern, der sein Leben zur Rettung Hunderter von Juden aus dem Wilnaer Ghetto eingesetzt hat.. .»

Über die von Hitler befohlene systematische Ausrottung aller Juden, derer er habhaft werden konnte, äusserte sich Heydrich am 20. Januar 1942 bei einer Konferenz in Wannsee am offensten: «Im Zuge dieser Endlösung der europäischen Judenfrage kommen rund 11 Millionen Juden in Betracht . . . Im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung wird Europa von Westen nach Osten durchgekämmt . . Überall in Hitlers Machtbereich wurden die Juden auf gespürt, mit einem gelben Stern gekennzeichnet und gezwungen, ihre Heimat zu verlassen (Bild rechts). Überall in Europa gab es mitfühlende Men- schen, die sich unter Opfern und Lebensgefahr dafür einsetzten, einzelne Juden vor Deportation, Arbeits- und Vernichtungs- lager zu bewahren, indem sie sie bei sich verborgen hielten. – Oben links: Das Ehepaar Emil und Martha Adami versteckte in seiner Laube ein jüdisches Geschwisterpaar und dessen Mutter. «Schlimm war die Angst vor der Gestapo und vor dem Klatsch der Nachbarn . . . Aber noch schlimmer machte sich der EIunger bemerkbar. Die Ärmsten hatten keine Lebensmittel- karten. So mussten wir die Marken eben ,.schwarz1 besorgen.» 300 Mark opferten die Adamis jeden Monat, damit ihre Schützlinge satt wurden. – Oben rechts: Marie Brehme hatte in den letzten Kriegsjahren sechs jüdische Mitbürger und drei holländische Fremdarbeiter in ihrer Wohnung versteckt. Wochenlang hielt sich ein jüdisches Ehepaar in ihrem kleinen Häus- chen auf. «Eines Tages ging die Frau weg und kam nicht wieder. Der verzweifelte Mann stellte sich freiwillig der Gestapo. Ich habe die beiden nie wieder gesehen. Sicher sind sie tot.» Eine andere dreiköpfige jüdische Familie versteckte Frau Brehm dann auf ihrem Balkon. «Den Mann haben sie erwischt. Aber die Frau kam durch . . .» – Unten links: Das Ehepaar Max und Klara Köhler hat während des Krieges sieben Juden bei sich versteckt. Unter falschem Namen wurden von Max Köhler in seiner Apparatebau-Werkstatt vier Verwandte und Bekannte seines jüdischen Hausarztes beschäftigt. In einem dem Haus- obmann unbekannten Keller übernachteten die vier, zusammen mit drei weiteren verfolgten Leidensgenossen, die überall als «Italiener» vorgestellt wurden. Alle sieben haben das Dritte Reich überlebt. – Unten rechts: Als «unbesungene Helden» ehrte der Berliner Senat am 1. Februar 1961 den früheren Hochseekapitän Gustav Pietsch und seine Ehefrau Gertrud durch Überreichung eines Diploms. Mit dieser Ehrung wurde den Helfern zahlreicher Juden die verdiente Anerkennung zuteil. Der 67jährige und seine Lebensgefährtin haben in den dreissiger Jahren etwa 400 jungen Leuten das Leben gerettet. Als Aus- bilder in einer Danziger Seefahrtsschule war es ihm gelungen, durch Bestechung und Ablenkung der Hafenwachen seine Schützlinge auf Schiffe aus aller Welt, die gerade im Danziger Hafen lagen, zu schmuggeln und ihnen somit die Flucht ins Ausland zu ermöglichen. Mehrmals war Pietsch wegen seiner Menschlichkeit von den Nationalsozialisten misshandelt und verhaftet worden. 1938 sah er sich dann selbst gezwungen, mit seiner Familie ins Ausland zu fliehen.

Um die jüdische Bevölkerung zu erfassen, wurden häufig jüdische Organisationen geschaffen und mit dieser Auf gäbe betraut. «Dieses Verfahren hatten Heydrich und Eichmann klug berechnet; es war der furchtbarste Schlag, der die jüdischen Minder- heiten traf, dass man ihren Leitern ohne deren Vorwissen die administrative Vorbereitung und Durchführung der Selbstver- nichtung übertrug» (H. G. Adler). Als es immer offensichtlicher wurde, welches Schicksal die deportierten Juden erwartete, war es zu spät, die jüdischen Erfassungsorganisationen in Organisationen des Widerstandes zu verwandeln. Der Rabbiner Leo Baeck (oben links), Präsident der «Reichsvereinigung der Juden in Deutschland», schildert seine tragische Situation: «Später, als die Frage entstand, ob jüdische Ordonnanzen Juden für die Deportierung aussuchen sollten, habe ich die Ansicht vertreten, dass es besser wäre, wenn sie es tun, da sie wenigstens sanfter mit ihnen umgehen und ihnen eher helfen würden als die Gestapo und ihnen ihr Los leichter machen würden. Es war kaum in unserer Macht, dem Auftrag wirksamen Wider- stand zu leisten.» Von den zahlreichen Rettungsversuchen ist die Geschichte von Brand (oben rechts) besonders bekannt geworden. Als Mitglied der Leitung des illegalen Widerstandes in Budapest, «Wadra Ezra we Hazalah», zu deutsch «Rat für Hilfe und Rettung», machte ihm Adolf Eichmann am 5. Mai 1944 folgenden Vorschlag: «Ich bin bereit, Ihnen eine Million Juden zu verkaufen. Wen wollen Sie retten, Kinder, Frauen, alte Leute, wen? Sprechen Sie. Fahren Sie in die Schweiz, in die Türkei, nach Spanien, wohin immer Sie wollen. Aber bringen Sie mir Waren! Ich will Lastkraftwagen. Ich verkaufe Ihnen eine Mil- lion Juden für 10’000 Lastkraftwagen.» Brand, der tatsächlich ins Ausland reiste und mit alliierten und jüdischen Stellen ver-

handelte, schreibt über sein Resultat: «Ich klagte an, ich forderte. Man reagierte nicht darauf. Ich hatte es mit einem un- persönlichem Kollektiv zu tun.» Die Alliierten konnten und wollten auf diesen Vorschlag nicht eingehen. Unten links: Kurt Gerstein, ein überzeugter Christ, 1936 wegen Verteilens religiöser Flugblätter von der Gestapo verhaftet und aus der NSDAP ausgeschlossen, trat 1941 der SS bei, um sich mit eigenen Augen von den Verbrechen zu überzeugen, die hier geschahen. Als er damit beauftragt wurde, «Zyklon B» (unten rechts) für die Vernichtungslager zu organisieren, liess er die Giftsendungen fehlleiten oder erklärte sie für «zerstört und unbrauchbar». Nachdem er selbst Zeuge einer fürchterlichen Massenvergasung geworden war, ging es ihm darum, möglichst viele Menschen zu Mitwissern zu machen und sie gegen das Unrecht zu mobilisieren. Auch in der ausweglosen Situation der Konzentrationslager kam es zu aktivem Widerstand der Häftlinge. «Durch einen geschickten Schlag bemächtigten sich die Juden in Treblinka einer Anzahl von Waffen und steckten am 2. August 1943 das Lager in Brand. 25 SS-Männer und 60 ukrainische Helfer wurden getötet. Flugzeuge griffen ein, die meisten Juden fielen, aber eine Anzahl hat sich gerettet. Nach einem erfolgreichen Aufstand am 14.Oktober 1943, den der russische Kriegsgefangene Offizier Petschorski führte, wurde das Vernichtungslager Sobibor abgebrochen. Selbst in Auschwitz (Bild unten) kam es mehrmals zu Aufstandshandlungen, einmal wurde sogar vom jüdischen ,Sonderkommando‘ eine Gaskammer gesprengt» (H. G. Adler). – Abbildungen oben: Illegale Waffen, ein illegales Radiogerät und der Keller, in dem für die Waffenherstellung experimentiert wurde, im Konzentrationslager Buchenwald. Todesblock Birkenau | SS-Wache SS-Wache X j | Krematorium I Krematorium Höhepunkt des jüdischen Widerstandes war der Aufstand im Warschauer Ghetto, der am 18. April 1943 begann und bis tum 16. Mai 1943 trotz verzweifelter und tapferer Gegenwehr der jüdischen Ghettokämpfer von Ange- hörigen der Waffen-SS unter Führung des SS-Generals Jürgen Stroop (Bild unten) blutig niedergeschlagen wurde. In einem Flugblatt der jüdischen Widerstandsbewegung heisst es: «An Dich. Ganze Scharen, Tausende sollen sich erheben. Vereinigen wir uns zu einer Armee! Wer Du auch bist, und wie Du auch denkst – wenn Du eine stolze Seele hast . . . dann komme zu uns. Schulter an Schulter stell Dich zum Kampf um das Leben der rat- losen, zum Tode verurteilten Massen.» In der Tagesmeldung des SS-Generals Stroop vom 24. April 1943 heisst es u.a.: «Um 18.13 Uhr trat die Durchsuchungskampftruppe nach Abriegeln in die Gebäude ein und stellte die Anwesenheit einer grossen Anzahl von Juden fest. Da diese Juden zum grossen Teil Widerstand leisteten, gab ich den Befehl zum Ausbrennen. Erst nachdem der Strassenzug und zu beiden Seiten sämtliche Höfe in hellen Flammen standen, kamen die Juden zum Teil brennend aus den Häuserblocks hervor bzw. versuchten sich durch einen Sprung aus den Fenstern und Baikonen auf die Strasse, auf die sie vorher Betten, Decken und sonstige Teile geworfen hatten, zu retten (Bild rechts). Immer wieder konnte man beobachten, dass trotz der grossen Feuersnot Juden und Banditen es vorzogen, lieber wieder ins Feuer zurückzugehen, als in unsere Hände zu fal- len.» – Bild oben: Gefangengenommene Ghettokämpfer werden zur Hinrichtung geführt.

«16. Mai 1943. Das ehemalige jüdische Wohnviertel Warschau besteht nicht mehr. Mit der Sprengung der Warschauer Synagoge wurde die Grossaktion um 20.15 Uhr beendet . . . Gesamtzahl der erfassten und nachweislich vernichteten Juden beträgt insgesamt 56‘065.» Mit dieser Tagesmeldung des Stroop-Berichtes ist der Aufstand im Warschauer Ghetto beendet. Jüdische Menschen, die sonst eher dazu neigten, sich ihrem Schicksal fatalistisch zu ergeben, haben es vorge- zogen, in einer aussichtslosen Situation kämpfend unterzugehen, anstatt sich in den Konzentrationslagern wehrlos ver- nichten zu lassen. «Der alte Gewerkstfoaflsklüngel* zu bestrafen ist, erstatte ich gemäss § 139 des RStGB zer, Zehntausende abgeschossener oder am Boden zer- pflichtgemäss Anzeige und bitte, die bedrohten Volks- störter sowjetischer Flugzeuge. Generaloberst Halder, genossen unverzüglich durch Vorgehen gegen die den der Generalstabschef, der noch zwei Jahre zuvor drin- Abtransport und die Ermordung beabsichtigenden Stel- gend Hitlers Beseitigung durch ein als Unfall getarntes len zu schützen und mir von dem Veranlassten Nach- Attentat gefordert hat, schreibt um diese Zeit in sein richt zu geben.» Tagebuch, dass der Krieg gegen Russland bald beendet Nachricht über ein Einschreiten der Staatsanwaltschaft sein werde, eigentlich schon beendet sei. Auch für ihn und der Polizei ist mir bisher nicht zugegangen .. ist Hitler nun eine Zeitlang der Sieger, dem es sich zu Einen weiteren Anstoss zur Einstellung der «Euthana- beugen gilt. sie-Aktion» gibt – hervorgerufen durch die Predigt Vom Militär ist auch jetzt noch keine Wiederaufnahme des Bischofs Graf von Galen, die endlich das nötige früherer oppositioneller Aktionen zu erwarten. Und wie Aufsehen erregt – Deutschlands bekanntester und ver- steht es um die Arbeiterbewegung, um Gewerkschaften, ehrtcster Kriegsheld jener Tage, ein gläubiger Katho- Sozialdemokraten und Kommunisten? lik – der Oberst, Kommodore des Jagdgeschwaders 51 Emil Henk, einer der sozialdemokratischen Überleben- und «General der Jagdflieger» Werner Mölders. den des 20. Juli, schreibt über diese Periode der deut- Mölders ist das Idol der Jugend, der erfolgreichste schen militärischen Siege: Jagdflieger aller am Kriege beteiligten Länder. Am 16. «Was bei Kriegsbeginn [an Organisation] noch vor- Juli 1941 verleiht ihm Hitler die eigens seinetwegen ge- handen war, war politisch völlig bedeutungslos und schaffene bis dahin höchste Kriegsauszeichnung, die kam für einen ernsthaften Kampf gegen Hitler nicht «Brillanten» zu dem Eichenlaub mit Schwertern zum mehr in Frage. Der erste Mann, der mit Kriegsbeginn Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes. eine neue und unaufdeckbare Geheimorganisation zur Während des darauffolgenden Urlaubs erfährt Oberst aktiven Beseitigung Hitlers wieder aufbaute, war der Mölders von Massnahmen, die angeblich von der Ge- frühere Vorsitzende der deutschen Gewerkschaften [und stapo gegen den Bischof von Münster ergriffen werden hessische Innenminister] Wilhelm Leuschner. sollen. Berichte besagen, Mölders selbst habe der Pre- Er hatte nach seiner Entlassung aus dem Konzentra- digt Galens in der St.-Lamberti-Kirche beigewohnt. tionslager eine kleine Fabrik gegründet und als Mitar- Werner Mölders protestiert auf dem vorgeschriebenen beiter ausschliesslich Gewerkschaftler und Sozialisten Dienstweg gegen die ihm bekanntgewordenen Mass- eingestellt... nahmen gegen Geisteskranke und gegen die vermute- Von hier aus gingen . . . Reisende und Leuschner selbst ten Repressalien, die gegen Bischof Galen ergriffen in alle deutschen Städte und suchten dort ihre alten werden sollen. Als dieser Protest den Oberbefehlshaber zuverlässigen Gesinnungsgenossen auf. Man suchte und der Luftwaffe, Reichsmarschall Hermann Göring, er- man fand Vertrauensmänner, und sie wurden die Stütz- reicht, erfährt Göring zugleich, dass wegen eben dieses punkte und Keimzellen grösserer Geheimgruppen . . . Protestschreibens disziplinarische Massnahmen gegen Diese Organisation der Gewerkschaften . . . war . . . den Nationalhelden ergriffen werden sollen. Göring pro- überall in Deutschland und für die Gestapo unauffind- testiert nun seinerseits bei Hitler. bar. Sie war klein und gleichsam eine Insel, eine Gegen- All diese Proteste führen dazu, dass Hitler sich ge- welt innerhalb des Dritten Reiches. Aber sie hatte keine zwungen sieht, die Euthanasie-Aktion wieder einzu- Chance, von sich aus Hitler zu stürzen ... stellen. Jetzt, in der Phase des Krieges, kann er sich Neben dieser vorwiegend gewerkschaftlichen Organi- aus machtpolitischen Gründen eine Unruhe im Volk, sation gab es eine kleinere Widerstandsgruppe um den hervorgerufen durch die beiden immer noch mächtigen früheren sozialistischen Abgeordneten Dr. Mierendorff. Kirchen, einfach nicht leisten. Sie stützte sich ausschliesslich auf zuverlässige Gesin- Dieser von vielen Menschen getragene Widerstand hat nungsgenossen und war, im Gegensatz zu der Gewerk- also Erfolg. Die Tötung «unheilbar Kranker», die «Be- schaftsorganisation, zunächst nicht systematisch organi- seitigung unwerten Lebens» wird nicht ganz eingestellt, siert . . . Die eine Gruppe war stark in ihrer Organisation, aber die schreckenerregenden Massentötungen Kranker die andere in ihrer politisch-geistigen Willensbildung.» haben aufgehört. Das geschieht zu einer Zeit, als die deutsche Wehrmacht Die Gestapo später will die Situation natürlich etwas an- noch immer von Sieg zu Sieg eilt, als Erfolge errungen ders sehen: In den «Kaltenbrunner-Berichten» nach dem werden, die niemand zuvor je für möglich gehalten 20. Juli heisst es zum gleichen Thema: hätte. Millionen sowjetischer Gefangener, Vormarsch «. . . die Vernehmung . . . zeigt, wie sich der alte Ge- über Hunderte von Kilometern, erbeutete schwere werkschaftsklüngel nach der Entlassung aus dem Kon- Waffen zu Zehntausenden, Tausende vernichteter Pan- zentrationslager wieder zusammengefunden hat und

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Widerstand im Krieg

Abb. links: Ein alliiertes Flugblatt mit dem Bild von Clemens August Graf von Galen und Auszügen aus seinen Predigten, in denen er mutig die Verbrechen des National- sozialismus, insbesondere dessen Euthanasie-Aktion an- prangerte und verurteilte. – Abb. oben: Die Abschieds- grüsse von Meta und Joachim Gottschalk. Beide begingen Selbstmord, weil Gottschalk sich von seiner jüdischen Frau nicht trennen wollte.

Bischof Wurm protestiert Aus dem Brief des württembergischen Landes- Entweder erkennt auch der NS-Staat die Grenzen an, die bischofs D. Theophil Wurm an den Reichsminister ihm von Gott gesetzt sind, oder er begünstigt einen Sitten- des Innern Dr. Frick vom 19.7.1940 verfall, der auch den Verfall des Staates nach sich ziehen Sehr geehrter Herr Reichsminister! müsste ... Seit einigen Monaten werden auf Anordnung des Reichs- Heil Hitler verteidigungsrates geisteskranke, schwachsinnige oder epi- leptische Pfleglinge staatlicher und privater Heilanstalten in eine andere Anstalt verbracht. . . Aus dem Brief des württembergisehen Landes- Alle Konfessionen sind darin einig, dass der Mensch oder bischofs D. Theophil Wurm an den Chef der das Volk die ihm durch das Vorhandensein pflegebedürftiger Reichskanzlei vom 20.12.1943 Menschen auf erlegte Last als von Gott auf er legt zu tragen Nicht aus irgendwelchen philosemitischen Neigungen, son- hat und nicht durch Tötung dieser Menschen beseitigen darf. dern lediglich aus religiösen und ethischen Empfindungen Ich kann nur mit Grausen daran denken, dass so, wie be- heraus muss ich in Übereinstimmung mit dem Urteil aller gonnen wurde, fortgefahren wird. Der etwaige Nutzen die- positiv christlichen Volkskreise in Deutschland erklären, dass ser Massregeln wird je länger je mehr aufgewogen werden wir Christen diese Vernichtungspolitik gegen das Judentum durch den Schaden, den sie stiften werden. Wenn die Jugend als ein schweres und für das deutsche Volk verhängnisvolles sieht, dass dem Staat das Leben nicht mehr heilig ist, welche Unrecht empfinden. Das Töten ohne Kriegsnotwendigkeit Folgerungen wird sie daraus für das Privatleben ziehen? und ohne Urteilsspruch widerspricht auch dann dem Gebot Kann nicht jedes Roheitsverbrechen damit begründet wer- Gottes, wenn es von der Obrigkeit angeordnet wird, und den, dass die Beseitigung für den Betreffenden von Nutzen wie jedes bewusste Übertreten von Gottes Geboten rächt war? Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr ... sich auch dieses früher oder später.

482 Die Rote Kapelle unter Fortführung der altbekannten politischen Debat- schen Agenten geben von selbst gleich auf; die einen ten durch dick und dünn zusammenhielt. So haben sich aus Angst, die anderen vor Enttäuschung. Enttäuscht beispielsweise Mierendorff und Leuschner jahrelang sind viele darüber, dass das Bild von Deutschland, das über das Prinzip gestritten, nach dem die neue Ge- man ihnen während der Ausbildung und noch vor der werkschaft aufgebaut werden sollte. Mierendorff war Verabschiedung in Moskau gemalt hatte, nicht das Ge- für Betriebsgewerkschaften, Leuschner für Berufswerk- ringste mit der Wirklichkeit zu tun hat. schaften. Die Deutschen leben selbst noch im dritten und vierten Haubach [Weltkriegsoffizier, später SPD-Journalist Kriegsjahr materiell besser als die Deutschen des Jah- und Pressereferent des Berliner Polizeipräsidiums] und res 32/33, als die Illegalen das Land verlassen haben Leuschner haben sich von Zeit zu Zeit heftig in die – und weit besser, als die Bürger der Sowjetunion. Es Haare bekommen, ebenso Leuschner und Leber [Welt- gibt wohl «Meckerer und Miesmacher», wie die Nazis kriegsoffizier, SPD-Journalist]. Letztlich hat aber der dazu sagen, aber es gibt keine massenhafte Empörung Kitt der jahrzehntelangen Gewerkschaftsarbeit immer als Voraussetzung der nun schon seit vielen Jahren er- wieder gehalten. Man spielte im neugefundenen Beruf warteten «proletarischen Revolution». geschäftlich zusammen. Die Familien verkehrten mit- Und so tauchen etliche der Agenten von vornherein einander. Man war bei Begräbnissen dabei, wenn einer mit ihren gut gefälschten Papieren und ihrem vielen der alten Funktionäre gestorben war. Man kümmerte Geld unter, um erst nach dem Krieg wieder aufzutau- sich um die Hinterbliebenen, nahm an der Hochzeit der chen – in den westlichen Besatzungszonen natürlich, Kinder teil...» um der Rache der Partei für diesen Verrat zu entgehen. Sieht man von den negativen Formulierungen des Nur eine kommunistische Widerstandsaktion erreicht Gestapo-Berichts ab, so lässt sich aus beiden Berichten grössere Ausmasse und Wirkung. Von vielen allerdings die damalige gewerkschaftliche und sozialdemokrati- wird sie nicht als «Widerstand» gewertet, sondern als sche Aktivität deutlich erkennen. Und die Kommunis- schlichte ausländische Agententätigkeit, als Spionage, ten? Auf sie trifft keines der beiden Bilder zu – ausser, als krimineller Landesverrat. Das ist der Fall «Rote Ka- dass es auch hier natürlich mancherorts den alten, pelle». freundschaftlichen Zusammenhalt gibt, und dass es, wie Den Kern der Gruppe bilden Regierungsbeamte, bei den Gewerkschaftlern, Sozialdemokraten, bei unor- Schriftsteller, Professoren, alle bürgerlicher oder sogar ganisierten Jugendlichen und Einzelgängern, hier und adliger Herkunft. «Klassenbewusste Proletarier» gehö- da einen gibt, der selbstgeschriebene Flugblätter gegen ren diesem inneren Kreis nicht an. Hitler und gegen den Krieg an Häuserwände klebt oder Die Führer sind der Oberleutnant Schulze-Boysen im nachts mit Kreide Mauern beschriftet. Luftfahrtministerium und der Oberregierungsrat Dr. Aber die KPD leistet echte illegale Arbeit, allerdings Arvid Harnack im Reichswirtschaftsministerium. Die fast ausschliesslich von aussen her, im Auftrag und mit Hauptaufgabe dieser Gruppe besteht in reiner Spio- Unterstützung der Sowjetunion. nagetätigkeit. Kurz vor Beginn des Krieges gegen die Da sind die Sabotageakte des späteren Chefs des Sowjetunion hat der Handelsattache der Sowjetbotschaft Ulbrichtschen Staatssicherheitsdienstes, Ernst Woll- in Berlin das erste Funkgerät geliefert, weitere folgen weber, und seines Nachfolgers Erich Mielke, der noch kurz darauf. heute die «Gestapo» der SED leitet. In schwedischen Die Spionagemeldungen werden entweder nachts zu Häfen verüben ihre Sabotagetrupps Anschläge auf deut- vereinbarten Zeiten, auf vereinbarter Welle und mit sche und neutrale Schiffe, die Erz oder andere wichtige Code direkt nach Moskau gegeben oder über einen in Güter nach Deutschland bringen sollen. Brüssel stationierten Zwischensender. Sowjetische Flugzeuge bringen emigrierte Kommuni- Die Meldungen betreffen militärische, wirtschaftliche sten zurück, die mit Fallschirmen über Deutschland ab- und politische Vorgänge in Deutschland und an den springen und hier nach uraltem Adressenmaterial aus Fronten, die den Beteiligten durch ihre dienstlichen Ob- alten Kommunisten illegale Gruppen bilden oder Sabo- liegenheiten bekannt werden. tage treiben sollen. Diese Aktionen sind ein Schlag ins Genaue Daten der deutschen Flugzeugproduktion, Wasser, es wird überhaupt nichts daraus. aufgegliedert nach «Plan», nach Erfüllung, in wel- Entweder stimmen die angegebenen Anschriften längst chen Zeiträumen, nach Typen und nach geplanten Ein- nicht mehr, oder die alten Parteigenossen weisen den satzräumen, werden nach Moskau durchgegeben. Eben- Re-Emigranten die Tur, zeigen sie gar bei der Gestapo so wird über deutsche Angriffsvorbereitungen an der an, verhalten sich zumindest gleichgültig und wollen Ostfront berichtet, die leicht aus der den Beteiligten ihre «Ruhe haben». bekannten Zusammenstellung etwa von Eisenbahn- Einige der durch die Luft heimgekehrten kommunisti- waggons für Truppenverladungen und anderen Fakten

483 Widerstand im Krieg

befugnisse erhalten. Ein Regieren des Volkes ist nur dann gewährleistet, wenn die Arbeiterklasse ihre Machtorgane bewusst beauftragt, mitzuregieren. Nur das ist der Weg zur Demokratisierung! Wenn das Volk regieren will, dann muss das Volk auch bewaffnet sein! Organisiert, ob erlaubt oder verboten, organisiert eine betriebliche Miliz, schützt und be- waffnet die Vertreter eurer selbstgewählten Organe! Demo- kratisierung, aber keine demokratische Illusion!

Punkt 3: Duldet nur eine Gewerkschaftsbewegung! Schafft einheit- liche Klassengewerkschaften mit revolutionärer Gewerk- schaftspolitik und Wahl aller Funktionäre durch die Mit- gliedschaft. Kämpft immer für internationale Gewerkschafts- einheit. Ergänzung: Alle Hindernisse müssen niedergerissen werden. Beweglichkeit und Nachsicht werden hier viel hel- fen! Aber immer muss vor Augen stehen das verpflichtende Ziel der revolutionären Gewerkschaftspolitik: Hindringen zum Aufbau von Industrieverbänden! Prinzip: Ein Betrieb – ein Verband!

Punkt 4: Sorgt für breiteste Demokratisierung. Baut das neue Deutschland auf der Grundlage der Volksausschüsse auf! Ergänzung: Nie wieder Weimarer Demokratie ... Macht- verlagerung nach unten! Das alles trifft noch nicht des Nagels Kopf, zeigt aber doch, worauf es ankommt. Das Volk muss selbst regieren, die selbstgewählten Körperschaf- ten (Volksausschüsse) dürfen nicht nur beratende, beschlie- ssende, sondern müssen immer ausübende Funktionen haben und sind jederzeit ihrer Wählerschaft verantwortlich. Deutschlands kommender Zusammenbruch ist nicht Deutsch- lands Untergang! Deutschlands Wiederaufbau kann nur das Abb. oben: Mittels einer Schablone, die der Kommunist unabhängige demokratische Deutschland bringen! Doch die- ses Deutschland muss ein Deutschland der breitesten, natio- Alfred Frank angefertigt hatte, wurde dieser Totenkopf an nalen, antifaschistischen Einheitsfront sein! Das Deutsch- öffentlichen Gebäuden Leipzigs angebracht. – Abb. rechts: land der Volksausschüsse! Eine Titelseite der kommunistischen illegalen Zeitschrift «Widerstand gegen Krieg und Naziherrschaft». Punkt 5: Dem Proletariat als aufsteigende herrschende Klasse gehört Politisches Testament des Kommunisten die Zukunft! Baut eure Macht Stufe um Stufe auf und gebt Anton Saefkow vom September 1944 sie nie wieder frei. Ergänzung: Wir Kommunisten sind ohne jede Tarnung offen und ehrlich in der nationalen antifaschi- stischen Einheitsfront. Wenn wir um der Einheit willen be- Punkt 1: wusst manche Forderungen zurückstellen, so weiss doch je- Rottet den Faschismus aus mit Stumpf und Stiel! Hier er- der, dass wir unser Fernziel nicht aufgeben! Erst die Herr- übrigt sich jede Ergänzung, nur ein Hinweis: Betriebe schaft der Arbeiterklasse wird alle Widersprüche, alle nationalsozialistischer Unternehmer oder Kriegsverbrecher, sozialen und nationalen Probleme lösen. Ihr Berliner insbesondere Werke der Schwer- und Schlüsselindustrie, Arbeiter sollt hieraus die Lehren ziehen: Im neuen Deutsch- sind sofort zu enteignen, zu nationalisieren. Alle Produkte land gilt es, Stufe um Stufe die Machtposition der Arbeiter- unter Kontrolle der Machtorgane der Arbeiterklasse. Die klasse auszubauen und zu befestigen. Im neuen Deutsch- Verantwortlichen für Faschismus und Krieg sind mit allem land wird und muss die Arbeiterklasse die Einheitsfront Vermögen zur Wiedergutmachung heranzuziehen! erkämpfen und damit dem Sozialismus ein Stück näher Punkt 2: kommen. Wenn sich das Proletariat als herrschende Klasse Wählt in allen Betrieben nicht Interessenvertretungen, son- konstituiert hat, ist alles nur noch eine Frage des Tempos dern eure Machtorgane, gebt diesen betrieblichen, bewaff- der Entwicklung. Auf alle Fälle packt zu, ihr seid auf dem neten Schutz. Ergänzung: Die selbstgewählten Vertrauens- richtigen Wege. leute in den Abteilungen, die Betriebsräte und Obleute dür- (Aus: G. Nitzsdie «Die Saefkow--Bästlein-Gruppe».) fen nicht nur Interessenvertretungen sein. Sie müssen Macht- organe werden, die Machtbeschlüsse fassen und Macht

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Für unser freies Vaterland

485 Widerstand im Krieg zu eruieren sind. Ebenso wird der – übrigens gerade ein solches Attentat als dafür: Wegen dieser Ausstel- von Oberstleutnant Graf Stauffenberg geförderte – Ein- lung lohnt es nicht, Menschenleben einzusetzen, denn satz «landeseigener», also russischer Verbände gegen im Fall einer Festnahme und Verurteilung, das wissen die Sowjets mitgeteilt. alle, ist mit einem Todesurteil zu rechnen – und diese Einige der aus der Sowjetunion mit Fallschirm über Gefahr sollte man nur für wichtige Dinge auf sich Deutschland abgesprungenen ehemaligen kommunisti- nehmen. Ausserdem ist gerade eine jüdische Gruppe schen Emigranten sind für die Ergänzung der «Roten völlig ungeeignet. Bei einer eventuellen Entdeckung Kapelle» bestimmt und bringen neue Funkgeräte und spielt man damit der Nazipropaganda erst recht in anderes Material. Es sind die einzigen sowjetischen die Hände, die dann sagen kann: Seht ihr, Leute, die Fallschirmagenten, die ihre Arbeit wirklich aufneh- Juden! Judentum und Bolschewismus sind sich einig men und «bei der Stange bleiben» – bis sie zusammen darin, Deutschland zu vernichten! mit den anderen der Gruppe von der Gestapo gefasst Nach nächtelangen Debatten werden schliesslich die werden. Gegner des Attentats auf die Ausstellung aus der Schulze-Boysen ist ein Grossneffe des von Hitler wegen Gruppe «Baum» – so nennt sie sich nach ihrem Führer seiner englandfeindlichen Flottenpolitik kritisierten Herbert Baum – ausgeschlossen. Die anderen machen kaiserlichen Grossadmirals Tirpitz. Noch weit mehr als sich an die Vorbereitung des Attentats. Arvid Harnack ist er der Initiator aller Unternehmun- Und wirklich brennt kurz darauf ein Teil der Aus- gen. Er organisiert auch den «äusseren Kreis», der sich stellung nieder. Zwei Tage später bereits werden die nicht mit Spionage beschäftigt. Beteiligten verhaftet – einer von denen, die am eifrig- Schulze-Boysen begleitet in Offiziersuniform und mit sten für das Attentat und für den Ausschluss der Nein- gezogener Pistole auch illegale Flugblatt-Klebegrup- Sager aus der Gruppe gewesen sind, war Gestapo- pen. Er organisiert lose «Zellen», in denen bolschewi- Spitzel. stische Schulung betrieben wird, illegale Zeitungen und Der Prozess findet schon bald darauf statt. Er endet, Flugschriften werden hier verfasst, gedruckt und auch wie nicht anders zu erwarten, mit einer Anzahl von heimlich verteilt. Todesurteilen. Die zum Tode Verurteilten sind: Herbert Eine der aufsehenerregendsten Aktionen wird von Baum, 28 Jahre; Marianne Baum, 30 Jahre; Sala Schulze-Boysen mit der Dienstpistole beschützt: Flug- Kochmann, 30 Jahre; Gerd Meyer, 22 Jahre; Heinz blätter gegen die im Frühsommer in Berlin stattfindende Joachim, 21 Jahre; Susanne Wesse, 29 Jahre; Irene Ausstellung «Das Sowjet-Paradies» werden an Berliner Walter, 22 Jahre; Hanni Meyer, 22 Jahre; Marianne Hauswände und Mauern geklebt. Die Flugblätter hat Joachim, 21 Jahre; Heinz Rotholz, 21 Jahre; Heinz Schulze-Boysen selbst verfasst, die Überschrift lautet: Birnbaum, 23 Jahre; Hella Hirsch, 22 Jahre; Felix «Das Nazi-Paradies». Heymann, 26 Jahre; Martin Kochmann, 30 Jahre. Sie Schon bald danach fliegt die «Rote Kapelle» auf. Der alle werden von August 1942 bis zum September 1943 rege Funkverkehr ist längst entdeckt, und nach einer hingerichtet. Unvorsichtigkeit der Brüsseler Zwischenstelle rollen Gerade in dieser Zeit finden sich viele Jugendliche im Kriminalpolizei und Gestapo nach und nach die ganze Widerstand zusammen, wenn auch dieser Widerstand Organisation auf. oft nur darin besteht, den seit Jahren schon zur gesetz- Fast gleichzeitig wird eine andere, rein politische lichen Verpflichtung gewordenen Dienst in der Hitler- Widerstandsgruppe zerschlagen. Die Ursache ist ein jugend und im BDM zu umgehen oder zu sabotieren. Unternehmen, das sich ebenfalls gegen die Berliner Es sind nicht nur Mitglieder der SAJ, der «Sozialisti- Ausstellung «Das Sowjet-Paradies» richtet. Doch dies- schen Arbeiterjugend», oder des KJVD, des «Kommu- mal handelt es sich nicht um einen Spionagering, des- nistischen Jugendverbandes», die sich nun wieder sen Leiter andere auch dazu veranlassen, illegal Pro- zusammenfinden, oder Anhänger der verschiedenen paganda zu treiben, sondern es sind junge Menschen, Richtungen früherer bürgerlicher oder nationaler Ju- die von sich aus beschlossen haben, etwas gegen Hitler gendverbände, sondern auch Gruppen, die in der HJ und seine Herrschaft zu unternehmen. selbst entstehen. Diese Gruppe besteht nur aus Juden. Nach einer Einen wirksamen, messbaren Widerstand gegen das Besichtigung der Ausstellung «Das Sowjet-Paradies» Dritte Reich können diese Jugendlichen nicht leisten, kommen einige Mitglieder der Gruppe auf den Gedan- aber das, was sie tun, scheint den Machthabern doch ken, ein Attentat gegen die Ausstellung zu unterneh- so gefährlich, dass eine grosse Zahl von Prozessen ge- men, am besten eine Brandstiftung. gen diese jungen Menschen geführt wird – und dass Der Gedanke wird heftig diskutiert, durchaus nicht alle viele dieser Prozesse mit Todesurteilen und schliesslich sind dafür. Und wirklich sprechen mehr Gründe gegen Hinrichtungen enden. Diese Gruppen oder auch einzel-

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Hitlers Schuld

Abb. rechts: Im Namen des deutschen Volkes wird Helmuth Günther Hübener zum Tode verurteilt. Über seine Tätigkeit heisst es in der Urteilsbegründung: «Im März 1941 brachte der Bruder des Angeklagten Hübener aus Frankreich ein Rundfunkgerät mit und stellte es bei den Grosseltern auf, wo H. sich, da seine Eltern berufstätig waren, aufhielt. Der Angeklagte liess das Gerät reparieren und als er es einspielte, stiess er auf den sogenannten Deutschen Nach- richtendienst aus London. Er hörte die Sendung ab, fand an ihr Gefallen und unterlag ihrer Wirkung derart, dass er sie von nun an vier- bis fünfmal in der Woche um 10 Uhr abends, wenn die Grosseltern schliefen, anhörte. Den Inhalt erzählte er bei Gesprächen über Tagesfragen anderen Lehr- lingen und Bekannten weiter. Seit Sommer 1941 verarbei- tete H. den Inhalt der abgehörten englischen Sendungen zu Flugzetteln und Flugblättern . . . H. stellte insgesamt etwa 60 Flugzettel her . . . Zur Anfertigung der Reinschriften und Durchschläge benutzte H. in der Regel eine Schreibmaschine . . . Das letzte Flugblatt ,Wer hetzt wen?' war bei der Fest- nahme des H. noch in der Schreibmaschine eingespannt..

nen, die auf sich allein gestellt etwas gegen das Dritte reif und gebildet, überdurchschnittlich intelligent, be- Reich zu unternehmen versuchen oder zumindest passiv sonders zuverlässig. sind und andere zur Passivität anhalten, sind so zahl- Was hat dieser Junge, dem jeder eine steile Laufbahn reich, dass es unmöglich ist, sie anzuführen. Daher müs- und viel Erfolg im Leben voraussagte, getan, dass er mit sen zwei Beispiele genügen, ein weithin unbekanntes erst siebzehn Jahren unter dem Beil des Henkers sterben und eines, das in aller Welt vom Widerstandswillen jun- muss? ger Deutscher gezeugt hat. Helmuth hat seit Anfang 1941 die Nachrichten, die er Am 27. Oktober 1942 wird im Zuchthaus Hamburg- heimlich im britischen Rundfunk gehört hat, an Fuhlsbüttel – das in unseren Tagen durch die «Glocke» Freunde und Bekannte weitererzählt. Schliesslich hat er genannte «Beruhigungszelle» und die Misshandlung Flugblätter verfasst, auf der Schreibmaschine im Büro von Häftlingen Tagesgespräch wurde – der 17jährige der Glaubensgemeinschaft, der er angehört – es sind Verwaltungslehrling Helmuth Hübener mit dem Fall- die Mormonen, die «Kirche Christi der Heiligen der beil hingerichtet. Letzten Tage» –, die Texte geschrieben. Die Flugblät- Helmuth Hübener ist bis 1939 wie fast alle seines ter verteilt er zusammen mit drei Freunden, die ebenso Alters «Pimpf» gewesen, Mitglied des «Deutschen wie er «Hitlerjungen» sind, in Hamburg. Die Blätter Jungvolks», danach hat er wie all die anderen seinen werden in U-Bahn-Zügen hinterlegt und in Gaststät- Dienst in der Hitlerjugend getan. Im Prozess stellen ten, sie werden an Häuserwände geklebt und an Stras- ihm Kameraden und Vorgesetzte das Zeugnis aus: «Ein senbahnwagen. guter, zuverlässiger Kamerad.» «Hitlers Schuld» lauten die Überschriften, oder «Hitler Die Vorgesetzten der Hamburger Stadtverwaltung, bei ist Deutschlands Untergang». Nach dem Beginn des der er bis zu seiner Verhaftung im Sommer 1942 als Krieges gegen die Sowjetunion begnügt Helmuth Hü- Lehrling für die mittlere Verwaltungslaufbahn ange- bener sich nicht mehr damit, nur die Nachrichten aus- stellt war, loben ihn sogar ausserordentlich – hervor- ländischer Rundfunksendungen wiederzugeben, son- ragend begabt, sagen sie, weit über sein Alter hinaus dern er versucht die Bevölkerung durch eigene Texte

487 Widerstand im Krieg davon zu überzeugen, dass Hitlers Politik und Krieg- punkte dafür –, dass die Urheber in der Münchener führung zum Untergang Deutschlands führen müssen. Universität zu finden sind, Studenten oder Dozenten. In dem Urteil gegen Hübener heisst es: Der Münchener Gauleiter Paul Giesler beruft deshalb . dass bei ihm ein besonders schwerer Fall der Ver- eine Versammlung im Auditorium Maximum der breitung ausländischer Rundfunksendungen gegeben Münchener Universität an der Ludwigstrasse ein, nur ist. Er ist in der auffallenden Gehässigkeit des Inhalts wenige hundert Meter von der Feldherrnhalle ent- der Flugblätter und insbesondere darin begründet, dass fernt, die wegen der 16 am 9. November 1923 von der Hübener sie in einem Arbeiterviertel einer Stadt ver- bayerischen Landespolizei erschossenen Mitkämpfer breitet hat, in der zufolge der schweren Luftangriffe, Hitlers inzwischen von den Nazis zum Nationalheilig- denen diese ausgesetzt ist, die Gefahr einer zersetzen- tum gemacht worden ist. den Wirkung besonders gross ist, zumal nach den Be- Paul Giesler versucht die Studenten bei dem zu packen, kundungen des Kriminalbeamten M. auch heute noch was er selbst unter «Ehre» versteht. Eben erst ist nicht davon gesprochen werden kann, dass der Marxis- Stalingrad gefallen, Gieslers Versammlung findet am mus in Hamburg völlig ausgerottet ist. Der Gefährlich- 16. Februar 1943 statt. Und so macht Giesler darauf keit seiner Propaganda und der Gründe hierfür war aufmerksam, indem er Stalingrad ausdrücklich er- sich der Angeklagte bewusst...» wähnt, dass das ganze deutsche Volk in diesem Kampf Das Lob, das die Kameraden der Hitlerjugend und auf Leben und Tod Opfer bringen müsse, jetzt erst seine Vorgesetzten von der Hamburger Stadtverwal- recht, nachdem im Kampf um die berühmte Stadt an tung Helmuth Hübener vor Gericht zuteil werden der Wolga eine ganze Armee deutscher Soldaten ihr lassen, rettet ihn nicht. Ganz im Gegenteil – es ist die Leben für die Freiheit des deutschen Volkes geopfert Begründung für das Todesurteil: habe. «Hübener, der von dem Zeugen ... als ausgezeichne- Ganz besonders gelte das für die Studenten, die, be- ter und verlässlicher Mitarbeiter bezeichnet wurde, hat schützt von den an der Front kämpfenden Soldaten, in der Hauptverhandlung eine weit über dem Durch- bezahlt von den Steuergeldern deutscher Arbeiter, schnitt von Jungen seines Alters stehende Intelligenz dennoch hier in Ruhe und Sicherheit studieren könn- gezeigt... ten. Wenn die Studenten, so droht er schliesslich, nicht Das gleiche Bild gibt der Inhalt der Flugschriften . . . einsehen wollten, dass sie ihr Studium nicht für ihre Auch hier würde niemand . . . vermuten, dass sie von Privatinteressen betrieben, sondern letzten Endes für einem erst 16- und 17jährigen Jungen verfasst worden ihr Volk, dessen Soldaten an der Front ihr Leben und sind. Auch die Überprüfung seines allgemeinen Wis- dessen Arbeiter in der Heimat ihre ganze Schaffens- sens, seiner politischen Kenntnisse und seiner Urteils- kraft für sie hingäben – dann würde er dafür sorgen, fähigkeit sowie sein Auftreten vor Gericht. . . ergaben dass solche uneinsichtigen Schmarotzer am Volkskör- das Bild eines geistig längst der Jugendlichkeit ent- per endlich einmal selber etwas für die Volksgemein- wachsenen frühreifen jungen Mannes. Dafür, dass dem- schaft tun müssten, statt sie nur für egoistische Interes- gegenüber seine sittliche Reife zurückgeblieben wäre, sen auszunutzen. haben sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben ... Giesler erhält keinen Beifall für das, was er da sagt. Damit war der Angeklagte wie ein Erwachsener zu Niemand trampelt oder klopft mit den Bleistiften, die bestrafen.» Studenten scharren missbilligend mit den Füssen oder Das weltweit bekanntgewordene Beispiel vom Wider- murren hörbar. Als der Gauleiter sich in seiner An- stand der deutschen Jugend ist das der Geschwister sprache direkt an die Studentinnen wendet und ihnen Sophie und Christoph Scholl aus München. Beide ge- den Vorschlag macht, anstatt zu studieren, dem Volk hören der aus Studenten, Künstlern, Gelehrten und ein Kind zu schenken, gipfelt seine das Individuum Geistlichen gebildeten losen Widerstandsorganisation total verleugnende Rede in den Worten: «Na, und «Weisse Rose» an. wenn einige Mädels nicht hübsch genug sind, einen Die Zentren der «Weissen Rose» sind in Hamburg und Freund zu finden, dann werde ich gern jeder einen von in München. Die Münchener sind besonders aktiv, sie meinen Adjutanten zuweisen . . . und ich kann ihr ein bringen es sogar fertig, die erste offene Massendemon- erfreuliches Erlebnis versprechen!» stration gegen das Dritte Reich durchzuführen, ohne Die Studenten aber haben für diesen «Humor» keiner- dass man zunächst wagt, etwas gegen die Teilnehmer lei Verständnis. Sie betrachten den «WHtz» des Hitler- zu unternehmen. schen Statthalters schlichtweg als Beleidigung ihrer Der Gestapo sind die Flugblätter, die stets mit «Die Kommilitoninnen. Sie protestieren lärmend und wer- Weisse Rose» unterzeichnet sind, längst ein Dorn im fen schliesslich den Gauleiter Giesler und seine Leib- Auge. Man vermutet auch – es gibt genug Anhalts- garde mit Gewalt aus der Universität hinaus. Am

488 Die «Weisse Rose»

Nachmittag des gleichen 16. Februars noch veranstalten erleichtert und befreit schlafen konnte, den leeren Kof- sie in den Strassen der «Hauptstadt der Bewegung» fer harmlos über sich im Gepäcknetz . .. Kundgebungen gegen den Gauleiter der NSDAP und An einem sonnigen Donnerstag . . . war die Arbeit so gegen das Dritte Reich selbst – die ersten offenen Kund- weit gediehen, dass Hans und Sophie, ehe sie zur Uni- gebungen gegen Hitler und seine Partei seit 10 Jahren. versität gingen, noch einen Koffer mit Flugblättern Die Studenten tun jetzt das, was 1933 von der Führung füllen konnten. Sie waren beide vergnügt . . ., als sie sich der politischen Kräfte versäumt worden ist. ... auf den Weg zur Universität machten ... Das geschieht an einem Dienstag, genau zwei Wochen Kaum hatten die Geschwister die Wohnung verlassen, nachdem sich in Stalingrad der letzte der beiden ein- klingelte ein Freund an ihrer Tur, der ihnen eine drin- geschlossenen deutschen Kessel, der «Südkessel», unter gende Warnung überbringen sollte. Da er aber nirgends Führung des Generalfeldmarschalls Paulus den Trup- erfahren konnte, wohin die beiden gegangen waren, pen der Roten Armee ergeben hat. wartete er. Von dieser Botschaft hing alles ab. Am Donnerstag, den 18. Februar 1943, einem sonni- Mittlerweile hatten die beiden die Universität erreicht. gen Tag, der fast schon einem Frühlingstag im Mai Und da in wenigen Minuten die Hörsäle sich öffnen gleicht, werden die Geschwister Hans und Sophie sollten, legten sie rasch entschlossen die Flugblätter in Scholl verhaftet. Er Medizinstudent, sie Studentin der den Gängen aus und leerten den Rest ihres Koffers Biologie und Philosophie. vom obersten Stock in die Eingangshalle der Universi- Wie es dazu gekommen ist, schildert die Schwester der tät hinab. Erleichtert wollten sie die Universität ver- beiden: lassen. Aber zwei Augen waren ihnen zuvorgekom- «... Die Erlebnisse an der Front und in den Lazaretten men. Die Augen waren vom Herzen ihres Besitzers ge- hatten Hans und seine Freunde reifer . . . gemacht. Sie löst und zu automatischen Linsen der Diktatur gewor- hatten ihnen . . . die Notwendigkeit gezeigt, diesem den. Sie gehörten dem Hausmeister, der die Geschwi- Staat mit seinem furchtbaren Vernichtungswahn ent- ster durch einen unglücklichen Zufall entdeckt hatte gegenzutreten. Die Freunde hatten gesehen, wie dort und sofort alle Türen der Universität schliessen liess . .. draussen das Leben in unerhörtem Ausmass aufs Spiel Die rasch alarmierte Gestapo brachte meine Geschwi- gesetzt und verschwendet wurde. Wenn schon das Le- ster in ihr Gefängnis, das berüchtigte ,Wittelsbacher ben riskiert werden sollte, warum dann nicht gegen Palais‘. Und nun begannen die Verhöre ...» diese Ungerechtigkeit... Zwei Tage später bereits beginnt der Prozess gegen die In der Nähe der Wohnung meiner Geschwister gab Geschwister Scholl in München, der so ernst genommen es ein kleines Hinterhaus mit einem grossen Atelier. wird, dass er nicht nur so schnell nach der Tat durch- Ein Künstler, der dem Freundeskreis sehr nahestand, geführt wird, sondern dass auch der Präsident des hatte es ihnen zur Verfügung gestellt, als er selbst zur «Volksgerichtshofes» selbst, der frühere sowjetrussi- Front musste .. .Hier trafen sie sich nun oft ... manchmal sche Kommissar Dr. Roland Freisler, nach München kamen sie bei Nacht zusammen und arbeiteten Stunden kommt, um diesen so eilig einberufenen Prozess zu um Stunden ... am Vervielfältigungsapparat... leiten. Am 22. Februar 1943 ist die Verhandlung schon zu Ende, die Angeklagten sind zum Tode verurteilt und Eine weitere wichtige Arbeit neben der Herstellung werden am Nachmittag des gleichen Tages bereits hin- [der Schriften] war ihre Verbreitung ... gerichtet. Fünf Tage später wird Professor Kurt Huber An welchen Plätzen und Orten musste man sie nieder- verhaftet, Philosophie-Dozent an der Münchener Uni- legen, damit möglichst viele Augen sie entdeckten, ohne versität und Leiter der «Weissen Rose». jedoch eine Spur zu den Urhebern zu finden? Sie pack- Am 19. April 1943 wird ihm und 13 weiteren Ange- ten sie in Koffer und fuhren mit ihrer gefährlichen Ware klagten der Prozess gemacht – abermals geleitet vom selbst in die grossen Städte Süddeutschlands . . ., Präsidenten des Volksgerichtshofes, Freisler. Professor nach Frankfurt, Stuttgart, Wien, Freiburg, Saarbrücken, Huber und die beiden Kommilitonen der Geschwister Mannheim, Karlsruhe. Scholl, Alexander Schmorell und Wilhelm Graf, wer- Sie mussten ihr Gepäck irgendwo an einem unauffälli- den zum Tode, die anderen Angeklagten zu Freiheits- gen Ort im Zug abstellen und sich selbst ans andere strafen verurteilt, ein Angeklagter freigesprochen. Ende des Wagens . . . Und in den Städten, in denen sie Huber und Schmorell werden am 13. Juli hingerich- oft in der Nacht ankamen und in Fliegeralarme hin- tet. Doch damit ist die Widerstandsgruppe der eingerieten, mussten sie versuchen, ihren Auftrag ge- «Weissen Rose» noch nicht vernichtet. In Hamburg ist schickt und lohnend zu erledigen. Welch ein Sieg, wenn die Arbeit eher noch aktiver geworden. Unter anderem man eine solche Reise glücklich bestanden und im Zug wird eine Sammlung für die Witwe des hingerichteten

489

Widerstand im Krieg Professors Huber durchgeführt. Der Chemiestudent Dr. Georg Groscurth schon 1942 die illegale Organi- Hans Karl Leipelt bringt das Geld nach München. sation «Europäische Union» aufgebaut. Schliesslich werden aber auch in Hamburg 30 Men- Im Gegensatz zu den meisten anderen illegalen Grup- schen festgenommen, die der «Weissen Rose» angehö- pen geht es dieser nicht darum, Propaganda unter der ren oder ihren Mitgliedern nahestehen. Leipelt wird Bevölkerung zu treiben. Havemann und sein Freund zum Tode verurteilt, seine Verlobte, ebenfalls Chemie- glauben, dass die Verbreitung illegaler Flugblätter nicht studentin, erhält acht Jahre Zuchthaus. Die Ermittlun- sinnvoll ist, weil solche Propaganda die Menschen gen gegen die anderen der Hamburger Gruppe dauern nur unnötigerweise in Gefahr bringe. Die «Europäische so lange, dass der Prozess gegen sie erst für den 19. Ap- Union» stellt Kontakte zu ausländischen Arbeitern in ril 1945 anberaumt wird – da marschieren schon briti- Deutschland her, um für die Zeit nach dem Krieg eine sche Truppen auf Hamburg zu, der Prozess findet nicht europäische Zusammenarbeit gleichberechtigter Völker mehr statt, die meisten der Häftlinge können befreit vorzubereiten. werden und überleben so das Ende des Dritten Reiches. Allerdings beschränkt sich Havemanns Organisation In Berlin hat ein heute prominenter Wissenschaftler keineswegs auf diese Arbeit für kommende Zeiten, ähnliches Glück, der von Ulbricht verfolgte Natur- sondern ist auch jetzt schon aktiv: Briefe der auslän- wissenschaftler und Philosoph Professor Dr. Robert dischen Arbeiter werden in die Heimat vermittelt, Havemann. Er hat zusammen mit dem Berliner Arzt durch sie wird Kontakt zu ausländischen Widerstands -

Abb. oben: Das Manifest der Münchener Studenten, eine Protestschrift der Münchener Widerstandsgruppe «Weisse Rose», als englisches Flugblatt. «Wir sehen nicht ein, warum die Vernünftigen und Anständigen in Deutschland nicht zu Worte kommen sollen. Deswegen werfen die Flieger der RAF zugleich mit ihren Bomben dieses Flugblatt ab, für das sechs junge Deutsche gestorben sind . . .» – Abb. rechts: Der Abschiedsbrief von Willi Graf, der zum inneren Kreis der «Weissen Rose» gehörte und am 12. Oktober 1943 hingerichtet wurde. 490

Abschiedsbrief

491 Widerstand im Krieg gruppen in den von der Wehrmacht besetzten Ländern kundungen der Verurteilten] holen ... all die lügneri- hergestellt, die Leitung der «Europäischen Union» schen Grundsätze der ,Menschenrechte' der Weimarer wird zur Informationszentrale, über die Nachrichten Verfassung wieder hervor und verzichten auch nicht hin und her gehen, die zugleich für die Unterstützung darauf, hervorzuheben, dass man auf die gewaltigen von Angehörigen ausländischer Arbeiter und umgekehrt Massen ausländischer Arbeiter in Deutschland rechne... für die Unterstützung der Arbeiter durch die Angehöri- Alle Angeklagten haben durch ihr Verhalten gezeigt, gen im Ausland sorgt. Eine besondere Rolle spielen da- dass sie nicht gebildet sind. Zur Bildung gehört näm- bei die Franzosen. lich nicht nur Wissen und fachliches Können. Voraus- Insgesamt sind durch Betriebs- und Ortskomitees, setzung und Grundlage wahrer Bildung jedes Menschen durch andere illegale Gruppen und Zellen mehrere ist seine Treue in der Volksgemeinschaft zu Führer und tausend Menschen von der «Europäischen Union» er- Reich ...» fasst. Die Arbeit dieser Organisation ist lange Zeit er- Mit fast wörtlich der gleichen Begründung, die hier folgreich, eben weil sie nicht nur «Widerstandsarbeit» Freisler gebraucht, wird der Kommunist Havemann im eigentlichen Sinn leistet, sondern zugleich damit 22 Jahre später von dem Präsidenten der «Deutschen eine echte humanitäre Aufgabe erfüllt. So werden auch Akademie der Wissenschaften» als Mitglied dieser ehr- entflohene Gefangene versorgt, ebenso viele verfolgte würdigen, schon 1‘700 gegründeten weltberühmten In- Juden. Falsche Ausweise für die Verfolgten werden stitution entgegen deren Satzungen ausgeschlossen. beschafft, verstechte Quartiere besorgt und schliesslich Auch hier heisst es, Havemann sei nicht wirklich gebil- sogar in einer geheimen Druckerei das Wichtigste her- det, da zur Bildung nicht nur Wissen und fachliches gestellt, was es zu jener Zeit – besonders für Illegale Können gehörten, sondern Treue zu – nein, nicht Führer – gegeben hat: Lebensmittelkarten, ohne die ein Ver- und Reich – dem Staat der Werktätigen, zur SED-Füh- folgter noch mehr als durch fehlende Ausweise ent- rung. weder seinen Häschern oder aber dem Hungertod ausge- Der Präsident der einst Humboldtschen und nun liefert ist. Ulbrichtschen Akademie, Professor Dr. phil. Werner Die Geschwister Scholl, Professor Huber, die beiden Hartke, ist Nazi-Funktionär gewesen – der Präsident anderen Münchener Studenten sind schon hingerichtet, des NS-Volksgerichtshofes dagegen alter Bolschewik. eben hat die Gestapo die Flamburger Organisation der Der entscheidende Unterschied für den Verurteilten «Weissen Rose» zerschlagen, da ereilt auch die Führung Havemann freilich besteht darin, dass Hitlers Bolsche- der «Europäischen Union» das Geschieh. Im September wik Freisler ihn zum Tode, Ulbrichts Nazi Hartke ihn 1943 werden Dr. Groscurth, Professor Dr. Havemann nur zum Ausschluss aus der Akademie verurteilt. und die beiden anderen Leiter ihrer Organisation, Her- Dennoch wird auch aus der Vollstreckung des Freisler- bert Richter und Paul Rentsch, verhaftet; dazu eine Urteils vom Frühjahr 1944 nichts. Die Mitangeklagten ganze Anzahl von führenden Mitarbeitern, so der Dr. Groscurth, Paul Rentsch und Herbert Richter wer- russische Arzt Dr. Schadkiewicz und viele Franzosen. den am 8. Mai 1944, genau ein Jahr vor der deutschen Es ist wieder Freisler, der den Prozess führt, diesmal Kapitulation, im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet. in Berlin. In dem von ihm unterzeichneten Urteil, das für Havemann überlebt, weil er in seiner Zelle mit wich- Havemann, Groscurth, Rentsch und Richter die Todes- tigen wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt wird, de- strafe ausspricht, heisst es: ren Abschluss er so lange hinauszögern kann, bis dar- «Wie schamlos die Gesinnung der Angeklagten ist, er- über der Krieg zum Abschluss gekommen ist. gibt sich daraus, dass sie geradezu systematisch illegal So wie die Aktivität dieser Widerstandsgruppen seit lebende Juden unterstützten, ja sogar mästeten [!]. dem Jahresbeginn 1943 bis zu ihrer Zerschlagung stetig Aber nicht nur das – sie verschafften ihnen sogar falsche gewachsen ist, so nehmen auch die Widerstandsaktionen Ausweise, die sie vor der Polizei tarnen sollten, als wä- der vielen Tausend Unbekannten zu – seit Stalingrad ren sie nicht Juden, sondern Deutsche ... ist klargeworden, dass der Krieg nicht mehr gewonnen Ihre Flugblätter saugen Honig aus dem Verrat an werden kann, dass die Weiterführung des Krieges durch Mussolini [am 25. Juli 1943 ist der «Duce» im Auf- Hitler den Untergang Deutschlands bedeuten muss. trag des italienischen Königs verhaftet worden, Italien Das führt nun auch die halbzerfallene, sich selbst in Dis- hat kapituliert und steht kurz vor der Kriegserklärung kussionen zermürbende Opposition der früheren Jahre, an den bisherigen deutschen Verbündeten] ... Phrasen- die Opposition führender Zivilisten und Militärs, wieder geschwollen [wird] betont, dass die ,Europäische zur Tat, zu den Versuchen einer Tat zunächst. Union' zusammen mit der SPD, der SAP und der KPD kämpft, dass sie aber auch die Vertreter bürger- Inzwischen ist eine neue Gruppe von Menschen zu die- licher politischer Richtung nicht verschmäht. [Die Be- ser Opposition gestossen, eine Gruppe, die den meisten

492 Erfahrungen im Krieg

Anteil daran hat, dass der Widerstand in den Führungs- Die deutsche Wehrmacht hat die erste Niederlage in kreisen endlich zur Tat wird. Es sind die jungen Front- diesem Krieg erlitten – den Rückzug in den schnee- offiziere, die bei Kriegsausbruch noch in weit unter- bedeckten, frostklirrenden Ebenen vor der russischen geordneten Dienststellungen wirkten, die im Verlauf Hauptstadt Moskau. Zugleich sind die Vereinigten Staa- des Krieges in die Stabsarbeit hineingewachsen sind ten in den Krieg eingetreten, die Auseinandersetzung ist und nun zum Teil ebenfalls Schlüsselstellungen im mili- endgültig zum Weltkrieg geworden. tärischen Apparat innehaben. Ulrich von Hassell, der frühere Botschafter in Rom und Viele von ihnen haben als junge Leutnants oder Haupt- neben Carl Goerdeler der führende Kopf der Zivilisten leute einst den Machtantritt Hitlers begrüsst, haben mit unter den Verschwörern, schreibt schon am 21. Dezem- dem Nationalsozialismus sympathisiert. Dann haben ber 1941 in sein Tagebuch, nun müsse «gehandelt wer- ihre Erfahrungen und Erlebnisse im Kriege sie den wah- den, und zwar bald». Auch Hassell ist der vielen Dis- ren Charakter der nationalsozialistischen Herrschaft er- kussionen der vergangenen Jahre müde, «das Handeln kennen lassen. ist aber jetzt die Hauptsache», notiert er noch einmal. Hitlers Masslosigkeit, die um sich greifende Gesetz- Die Situation scheint angesichts des Kriegseintritts der losigkeit, die vor allem im Osten an den Juden und USA und vor allem angesichts der deutschen Nieder- den slawischen Völkern begangenen Verbrechen, deren lage vor Moskau psychologisch besonders günstig zu Zeugen sie zum Teil geworden sind, haben ihnen die sein. Ist Hitler erst einmal gestürzt, dann kann man Augen geöffnet. ihn für diese Niederlage verantwortlich machen und Noch ordnen sie sich zunächst den ranghöheren alten nachträglich die Zustimmung der Wehrmacht und des Militärs in der Organisation der Opposition unter, wie ganzen Volkes zu dem durchgeführten Staatsstreich sie das als disziplinierte Soldaten gewöhnt sind – und erhalten. weil sie einsehen, dass gerade in allen Aktionen zum Aber es gibt noch andere Überlegungen, die von Has- Sturz des Tyrannen Unterordnung für ein geschlosse- sell und andere dazu veranlassen, gerade jetzt zum nes, planmässiges und wirkungsvolles Handeln beson- Handeln zu drängen. Die eine Überlegung ist per- ders wichtig ist. soneller Natur: Hitler hat eine Anzahl der wichtigsten Und noch über eine weitere Gruppe der Opposition militärischen Verschwörer aus ihren einflussreichen muss gesprochen werden, über den «Kreisauer Kreis». Funktionen entfernt, sie besitzen keine militärische Diese Gruppe trägt ihren Namen nach dem Gut Kreis- Macht mehr, die doch für den geplanten Umsturz so ent- au in Schlesien, das dem Grafen Helmuth James von scheidend wichtig ist. Moltke gehört. Moltke und sein Besitz sind das Generalfeldmarschall von Brauchitsch ist zurückgetre- Zentrum dieser Gruppe. Hier wird jedoch keine Ver- ten. Hitler macht den bisherigen Oberbefehlshaber des schwörung zum Sturz Hitlers vorbereitet, hier wird Heeres für die Moskauer Niederlage verantwortlich – vor allem diskutiert. Es wird darüber gesprochen, wie und sich selbst unmittelbar auch noch zum Heeresober- das Deutschland nach Hitler aussehen soll, kühne, uto- befehlshaber, der damit nun endgültig tun und lassen pische Pläne von einer Bruderschaft Gleichgesinnter in kann, was er will. aller Welt werden erwogen. Generalfeldmarschall von Witzleben kommandiert Und doch stimmt nicht ganz, was Graf Moltke später noch die Besatzungstruppen in Frankreich, aber auch er kurz vor seiner Hinrichtung sagt: «Wir werden ge- wird im Frühjahr 1942 von Hitler entlassen. hängt, weil wir gedacht haben.» Denn die Diskussionen, Generaloberst Hoepner, der schon 1938 mit seinen Ratschläge und Gedanken des «Kreisauer Kreises» Panzertruppen von Thüringen aus nach Berlin mar- wirken weit in die gesamte Opposition hinein. Nicht schieren und putschen wollte, wird von Hitler wegen einer der führenden Verschwörer, dem der «Kreisauer «Feigheit vor dem Feind» zum einfachen Soldaten Kreis» und die dort besprochenen Ideen nicht bekannt degradiert und aus der Wehrmacht ausgestossen. wären, kaum einer, der nicht in Beziehungen zu Moltke Hoepner ist einer Denunziation des Generalfeldmar- und seinen Freunden stünde, der nicht selbst an dem schalls von Kluge zum Opfer gefallen, der Hitler post- teilhätte, was in Kreisau beraten wird. Mancher erhält wendend eine böse Bemerkung hinterbracht hat, die durch Moltkes Kreis entscheidende Anregungen für das Hoepner über seinen Obersten Befehlshaber gemacht eigene Denken, das schliesslich zu Entscheidungen und hat. Taten führt. Kluge selbst, schon längst von der Verschwörung wis- Den ersten Aufschwung nimmt die Opposition der Füh- send, von ihr angezogen und wieder abgestossen, ist so rungskreise nach all den militärischen Siegen Deutsch- wankelmütig wie vor ihm Brauchitsch und General- lands, als jede Aktion gegen den «grossen Feldherrn» stabschef Halder. Verlassen können sich die Verschwö- Hitler aussichtslos schien, im Winter 1941/42. rer auf den «klugen Hans», wie Kameraden ihn schon

493 Widerstand im Krieg in der Kadettenzeit genannt haben, auf keinen Fall. front soll er «im Interesse der Rüstung» Einsatz und Auch andere oppositionelle Frontgenerale werden ab- Verwendung von elektrischen Ausrüstungsgegenstän- gesetzt, so General Graf von Sponeck, der später auf den in der Waffentechnik überprüfen, die damit an der der Festung Germersheim erschossen wird. Front gemachten Erfahrungen auswerten und so zu Auch deshalb muss möglichst bald etwas geschehen, einer Verbesserung der deutschen Waffen beitragen. denn ohne die militärische Opposition, ohne Truppen Oberst Oster von der Abwehr besorgt die notwendigen also, kann kein Staatsstreich gelingen. Wer weiss, wen Papiere. Hitler noch absetzt. In Wirklichkeit geht es natürlich um etwas ganz an- Entscheidender aber für den Zwang zum Handeln ist deres. Goerdeler besucht den Generalfeldmarschall eine politische Überlegung: Noch hat die deutsche Hans-Günther von Kluge in dessen Hauptquartier in Wehrmacht ihre Kraft längst nicht verloren, noch be- Smolensk. Kluge ist zu dieser Zeit Oberbefehlshaber findet sich fast ganz Europa in deutscher Hand. Die der deutschen Heeresgruppe Mitte. Goerdeler wird von Verschwörer brauchen diese von der Wehrmacht errun- ihm empfangen. genen Erfolge als Faustpfand gegenüber den Alliierten, Bei den nun folgenden Gesprächen sind Kluges Stabs- wenn sie nach dem Staatsstreich mit den Kriegsgegnern chef, General Henning von Tresckow und der Ober- Friedensverhandlungen führen wollen. Je mehr die neue leutnant des Stabes, Fabian von Schlabrendorff, an- Regierung in der Hand hat, um so besser werden die Be- wesend. Die beiden gehören schon längst der Oppo- dingungen sein, die man für Deutschland aushandeln sition an und haben alles versucht, um den Marschall kann. endgültig auf ihre Seite zu bringen. Kluge hat sich Die Vorstellungen der Verschwörer laufen darauf hin- nicht abgeneigt gezeigt, viele der Tresckowschen Argu- aus, dass Deutschland auf jeden Fall Grossmacht blei- mente haben ihn überzeugt, aber er schwankt dennoch ben und in der Führung Europas eine entscheidende immer wieder hin und her. Rolle spielen müsse. Die Grenzen Deutschlands sollen Dr. Goerdeler gelingt es, in mehreren Gesprächen dem die von 1914 sein, also unter Einschluss der polnischen Marschall die Zusicherung abzuringen, dass dieser sich Gebiete, die selbst Hitler 1939 offiziell nicht zu for- in der entscheidenden Stunde auf die Seite der Ver- dern wagte. Dazu sollen Österreich und das Sudeten- schwörer stellen wolle. Goerdeler ist begeistert – mit land entsprechend dem «Anschluss» vom März 1938 der militärischen Macht Kluges hinter sich, einer gan- und entsprechend dem Münchener Abkommen vom zen, der stärksten deutschen Heeresgruppe; im Westen September 1938 bei Deutschland verbleiben. die Militärbefehlshaber von Belgien und Frankreich: Des Weiteren wird die Abtretung des deutschsprachi- Nun muss der Staatsstreich endlich gelingen! gen Südtirols verlangt und die Rückgabe der deutschen Goerdeler weiss noch nicht, was viele andere schon Kolonien oder eine entsprechende Entschädigung durch längst wissen – dass Kluge ein schwankendes Rohr im gleichwertige andere koloniale Gebiete. Winde ist. Kaum hat Goerdeler ihn verlassen, denkt Von Goerdeler und Hassell immer wieder vorange- Kluge schon wieder anders. Noch bevor Goerdeler trieben, werden neue Verbindungen geknüpft, neue selbst wieder in Deutschland ist, hat der Marschall ihm Männer für die Verschwörung gewonnen. Unmittelbar schon einen Brief vorausgeschickt. vor Witzlebens Ablösung ist Hassell unter dem Vor- Bernd Gisevius schreibt darüber: «Während sich unser wand einer Vortragsreise in Frankreich gewesen, um ziviler Geschäftsreisender auf Trittbrettern, in Güter- konkrete Massnahmen für den Staatsstreich zu be- wagen oder überfüllten Abteilen langsam zur Hei- sprechen. Das wird zwar durch Witzlebens Ausscheiden mat zurückschlug, entsandte Kluge sein Kurierflugzeug aus seiner militärischen Machtposition bald gegen- mit einem vertraulichen Brief an Beck, in dem er sich standslos, aber bei der gleichen Gelegenheit hat Hassell über den ,überfallartigen‘Besuch Goerdelers beschwe- den Militärbefehlshaber von Belgien und Nordfrank- rte und ,etwaigen Missverständnissen' vorbeugte.» reich, General Falkenhausen, für die Verschwörung Die Enttäuschung Goerdelers ist gross. Kluge ist gewinnen können. Bald kommt auch General Heinrich schliesslich der entscheidende Mann nach Witzlebens von Stülpnagel dazu, der ebenfalls eine Schlüsselposi- Entlassung, der einzige, der Truppen zur Verfügung hat tion innehat – er ist der Militärbefehlshaber von Frank- – die beiden Militärbefehlshaber im Westen, Falken- reich und nimmt damit Witzlebens Stelle ein. hausen und Stülpnagel, sind mehr oder weniger nur die Dr. Goerdeler bringt es trotz aller Schwierigkeiten Chefs der Besatzungsbürokratie, die regulären Trup- fertig, an die Ostfront zu reisen. Er ist seit einiger Zeit penverbände im Westen werden nicht von ihnen kom- «Beauftragter» der Bosch-Werke. Der berühmte Indu- mandiert. In Deutschland selbst haben die Verschwörer strielle Robert Bosch ist selbst Nazi-Gegner und hat um diese Zeit überhaupt keinen Einfluss auf die Trup- Goerdeler diese Tarnstellung verschafft. An der Ost- penführung.

494 Zukunftspläne

So kommt es, dass trotz aller Erkenntnis über die Not- mehr noch – Mitwirkung des ganzen Volkes kann wendigkeit des Handelns noch einmal eine Periode man nichts Neues aufbauen, meinen sie. Nur mit dem schier endloser Diskussionen unter den verschiedenen in freier Abstimmung bekundeten Vertrauen des Volkes Kreisen der Opposition anbricht. kann sich die Putschregierung oder eine nachfolgende Da wird über die Zusammensetzung der neuen Regie- Übergangsregierung der Welt und vor allem den Kriegs- rung gesprochen, über eine neue Verfassung, über den gegnern als demokratisch, als berufene Vertretung des Charakter des neuen Staates. Soll man erst eine Militär- deutschen Volkes präsentieren. diktatur errichten – schliesslich befindet sich Deutsch- Es kommt zu keiner Einigung, und so bleibt als vor- land auch nach einem Sturz Hitlers noch immer im läufiges Ergebnis aller Auseinandersetzungen über die Krieg und muss sich verteidigen – oder sofort Wahlen, zukünftige deutsche Politik und Regierungsform der zumindest eine Volksabstimmung durchführen, ob die Kompromiss, unmittelbar nach Hitlers Sturz erst ein- Bevölkerung nachträglich mit dem Staatsstreich ein- mal eine autoritäre Regierung unter einem «Reichs- verstanden ist und die neue Regierung und ihre vor- verweser» als vorläufigem Staatsoberhaupt einzusetzen. gesehene Politik billigt? Aber dazu muss man erst ein- Aber nun kann man sich wenigstens über die Person mal wissen, wie eine solche neue Regierung und deren dieses «Reichsverwesers» einigen. Kein Hohenzoller neue Politik beschaffen sein soll. wird es sein, sondern Generaloberst Beck, der frühere Schliesslich schält sich als Kerngedanke aller Über- Generalstabschef. Er übernimmt schon jetzt, von allen legungen heraus, dass man zunächst einen «Reichsver- darin anerkannt, die oberste Führung der sich immer weser» als Staatsoberhaupt einsetzen will, eine Zwi- mehr formierenden Opposition. Zwar hat auch er schenlösung für die Übergangszeit, in der mit den ebenso wenig wie nun der Marschall von Witzleben Alliierten über den Friedensschluss verhandelt werden noch ein militärisches Kommando inne, aber viele der soll. Danach soll die Monarchie wieder eingeführt wer- Truppenkommandeure, alle Generalstabsoffiziere, die den. Der «Reichsverweser» sollte daher am besten be- nunmehrigen Generalfeldmarschälle, die fast alle ir- reits ein Angehöriger des bisherigen deutschen Kaiser- gendwann einmal seine Untergebenen oder Kamera- hauses sein, ein Hohenzoller. den gewesen sind, kennen und achten ihn. Viele be- Über die Person dieses Mannes gibt es viel Streit – das trachten ihn als ihren Lehrer, dem sie viel zu verdanken deutsche Sprichwort illustrierend, das bei überflüssi- haben. Beck wird manchen Zweifler von der Notwen- gem Streit vom «Streit um des Kaisers Bart» spricht. digkeit der Beseitigung Hitlers überzeugen können. Vor Dr. Hjalmar Schacht, schon längst einer der aktiven allem aber ist Beck, der «Gelehrte», derjenige unter den unter den Verschwörern, möchte einen Sohn des Kron- hohen Militärs, der auch das Vertrauen der Zivilisten prinzen auf dem Kaiserthron sehen, andere den Kron- unter den Führern der Verschwörung geniesst. prinzen Friedrich-Wilhelm selbst. Dr. Goerdeler wie- Dennoch ist manchem die Zustimmung zur Führerrolle derum möchte den Kaisersohn Oskar, den Bruder des Becks nicht gerade leicht gefallen. Zwar zweifelt nie- Kronprinzen, zum Herrscher machen. Am meisten mand an seinem Wissen, an dem Vertrauen, das er bei fällt schliesslich der Name des heutigen Chefs des Hau- vielen hohen Militärs geniesst, erst recht zweifelt nie- ses Hohenzollern, des Kaiserenkels Louis Ferdinand. mand an der Lauterkeit seines Charakters. Aber an Nur zwei Hohenzollern-Namen bleiben ganz aus der seiner Fähigkeit, tatkräftig zu führen, an seinem Willen Diskussion, die der Prinzen August-Wilhelm, genannt zur Entschlossenheit, zum Handeln gibt es begründete «Auwi», und Eitel-Friedrich, genannt Eitelfritz. Die Zweifel. Ulrich von Hassell schreibt um diese Zeit in beiden sind schon zur Zeit der Republik begeisterte sein Tagebuch: Anhänger Hitlers gewesen und seit vielen Jahren hohe «Bei Geibel [damit ist Beck gemeint, für den Fall einer SA- und SS-Führer. Entdeckung verwendet Hassell in seinem Tagebuch Die inzwischen zu den oppositionellen Führungskrei- Decknamen] liegt die Schwierigkeit darin, dass er zu sen gestossenen Sozialisten und Gewerkschaftler sind sehr ein Mann des Studierzimmers ist. We G. [der mit diesen Diskussionen und ihren Ergebnissen natur- preussische Finanzminister Popitz, der den Kronprin- gemäss gar nicht einverstanden. Sie halten es für not- zen zum Kaiser machen möchte] sagt: Viel Taktik, we- wendig, nach Hitlers Sturz einen demokratischen Staat nig Wille...» aufzubauen, statt politisch ins vorige Jahrhundert zu- Es zeigt sich später, dass die Skeptiker gegenüber der rückzukehren. Sie fordern eine Volksabstimmung so- Wahl Becks zum Führer des Widerstandes rechtbehal- fort nach dem Staatsstreich, mit der das deutsche Volk ten werden. Dennoch bringt zunächst die allgemeine selbst über die zukünftige Regierungsform und eine Hochachtung, die dem Generalobersten in führenden neue Verfassung entscheiden soll. Ohne Zustimmung, Wehrmachtskreisen ebenso wie bei einer grossen An-

495 Widerstand im Krieg

Risse im Widerstand Neue Dokumente wecken Zweifel am Zusammenhalt der Opposition gegen Hitler

Im Herbst 1944 stand Hermann Maass vor dem Volks- ches einzusetzen. Diese Pläne sind schnell gegenstandslos gerichtshof in Berlin. Er gehörte zu den jüngeren Soziali- geworden, da der Kronprinz seinem Sohne die Teilnahme sten und zu den Führern der Verschwörung gegen Hitler. an der Verschwörung verbot. Aber es ist ganz sicher, dass, Die Pläne zur Ermordung Hitlers hatte er nicht gebilligt; wenn schon die Sozialisten sich mit der Wiedererrichtung der zu Stauffenberg hatte er gesagt: «Herr Graf, man löst eine Monarchie einverstanden erklärten, diese Staatsform die weltgeschichtliche Krise nicht durch einen Revolverschuss.» einer demokratischen Monarchie nach englischem Muster Aber an den Plänen zum Sturze Hitlers hatte er sich tat- mit einer parlamentarisch verantwortlichen Regierung und kräftig beteiligt. Bei der Verhandlung machte seine Persön- allgemeinem Wahlrecht sein sollte. Einer Monarchie, die lichkeit einen tiefen Eindruck. In seinem Schlusswort ver- über einem ständisch gegliederten Staat mit kompliziertem suchte er, der Todgeweihte, die Erhebung gegen Hitler sittlich Wahlrecht errichtet werden sollte, hätten sie nie zugestimmt. zu rechtfertigen; schroff schnitt Freisler ihm das Wort ab. Nach aller menschlichen und politischen Erfahrung ist es schwer denkbar, dass den Sozialisten während der vorbe- Aber Maass hatte vorher auf eine Frage eine wichtige Aus- reitenden Besprechungen nicht der klaffende Unterschied kunft gegeben; er und seine Freunde hätten, so sagte er, klargeworden wäre, der ihre Staatsauffassungen von den die Zusammenarbeit mit den Generalen und den konserva- Goerdelers und Becks trennte. Es ist deshalb doch wohl tiven Elementen nur als vorübergehend angesehen. Mit nicht so ausgeschlossen, wie Jakob Kaiser es sehen wollte, ihnen zusammen hätten sie Hitler stürzen, aber einige Zeit dass sie von vornherein daran gedacht hätten, nach dem danach allein die Regierung übernehmen wollen. Nach Siege der Erhebung mit den konservativen Elementen zu Maass’ Aussage hätten jedoch die Sozialisten den kommen- brechen. Aber vielleicht haben sie auch ihre Bedenken un- den Bruch mit den bürgerlich-konservativen Elementen von terdrückt, den Blick nur auf das nächste Ziel, den Erfolg Beginn an ins Auge gefasst. der Verschwörung, gerichtet und den Staatsaufbau kommen- den Gesprächen überlassen? Vielleicht war Maass auch unter Der Wahrheitsgehalt dieser Aussage ist nach dem Kriege ihnen nur eine Ausnahme, der die Dinge zu Ende dachte? angezweifelt worden. Einer der wenigen Überlebenden der Verschwörung, Jakob Kaiser, hat gemeint, das Gefühl des Das mag so sein; aber gleichviel, nach der Lektüre der Zusammenhalts unter den Führern der Erhebung sei so Denkschriften kann kein Zweifel mehr darüber bestehen, stark gewesen, dass er die Absicht eines Bruches für ganz dass, beabsichtigt oder nicht, die Wege der Verschwörer sich ausgeschlossen halte. Aber Kaiser war zwar eine bedeuten- nach dem Siege getrennt hätten. In den ersten Monaten de politische Persönlichkeit, seiner Natur lag indes das wäre eine Militärdiktatur notwendig gewesen, schon wegen Einigende stärker als das Trennende. Von da aus mussten der mit Sicherheit zu erwartenden Versuche der SS, das ihm Erwägungen, wie sie Maass andeutete, von Vornherein Geschehene rückgängig zu machen. Vielleicht hätte die Re- als ruchlos und als undenkbar erscheinen. gierung BeckIGoerdeler auch noch die Friedensverhandlun- gen geführt. Aber dann wäre es zu einem Streit der Ver- Letzte Klarheit in diesem verwickelten Streit der Meinun- schwörer untereinander gekommen, dessen Bitterkeit wohl gen wird sich kaum noch gewinnen lassen. Aber man durch die Erinnerung an gemeinsame Gefahren und Kämpfe kommt der damaligen Wirklichkeit näher, wenn man das gemildert, aber nie ganz ausgemerzt worden wäre. Buch liest, das zwei Entwürfe Goerdelers und Becks für den künftigen Staatsaufbau enthält. Auch wer das Buch [Beck und Goerdeler, Gemeinschaftsdokumentation 1941- Unsere Bewunderung und unsere Verehrung für die Männer 1944] noch nicht kennt, kann sich aus den Zitaten ein Bild des 20. Juli werden darum nicht geringer. Sie haben für das von dem Staatsideal machen, wie es Beck und Goerdeler Vaterland und die Menschlichkeit ihr Leben gewagt, und vorschwebte. Es entstammte wehmütiger Erinnerung an die meisten haben es geopfert. Aber sie waren politische vergangene, in das Gold der Sehnsucht getauchte Zeiten, Menschen mit tief eingewurzelten Überzeugungen, und da- nicht dem kühnen und kühlen Blick in eine verwandelte so- für wären sie auch nach dem Siege eingetreten. Dazu hätten ziale Welt. Unmöglich sich vorzustellen, dass Julius Leber, auch Streit untereinander gehört, Wahlkämpfe, Vorwürfe Theodor Haubach, Wilhelm Leuschner, Hermann Maass da- gegeneinander. Bündnisse werden immer nur auf Zeit ge- mit einverstanden gewesen wären. schlossen. Ist das Ziel erreicht, so zerfallen sie wieder. Zum Begriff des grossen Politikers aber gehört es, dass er bereit Von der Lektüre dieses Buches fällt auch ein Licht auf die ist, für seine politischen Ideale auch gegen seine Freunde Tatsache, dass eine Zeitlang einige sozialistische Führer des zu streiten. Aufstands sich damit einverstanden erklärt hatten, den Prinzen Louis Ferdinand als Herrscher des Deutschen Rei- (Paul Sethe, in: Die Zeit vom 10. Juni 1966)

496 Tröpfe und Dilettanten?

Der 20. Juli – Dichtung und Wahrheit – Über die historische Stichhaltigkeit der «Verschwörer» von Wolfgang Graetz

Zwei Vorwürfe ziehen sich wie rote Fäden durch Wolfgang jugendlicher Torheit, in Sebsttäuschung oder Untertänigkeit Graetzens Dramatisierungsversuch: 1. Seine «Verschwörer» – der Naziideologie verfallen und hatten dem Totalitaris- sind viel zu sehr im Ungeist des Nazismus befangen, als mus treu gedient. Aber kann man im Ernst einer Wider- dass sie sich beherzigt, ja bedenkenlos zur Tat entschliessen standsbewegung, die sich 1938, angesichts des drohenden könnten; sie sind – mit einem Wort – keine Demokraten Krieges, formiert, generell vorwerfen, die Militärs hätten und verfügen darum nicht über die angeblich einzig brauch- sich erst dann gerührt, als der Krieg verloren war? Man bare Alternative, von der aus der Absprung möglich ge- darf den Verschwörern ihre Unzulänglichkeiten nicht vor- wesen wäre. 2. Sie machen – in militärischem Ordnungs- rechnen, ohne zugleich der Befreiung aus ihrer Verstrickung, denken befangene Generalstäbler, keine handlungsfähigen die die meisten schliesslich mit dem Tode besiegelten, nur um Revolutionäre – nahezu alles falsch, was am 20. Juli falsch zu so grössere Achtung zu zollen – nicht wie Wolfgang machen war; sie planen und befehlen einen Umsturz, aber sie Graetz, der die Verstrickung für das Wesentliche hält, für vollziehen ihn nicht. eine Schuld, die den 20. Juli seines Wertes und Sinnes be- Nicht, dass solche Vorwürfe zum erstenmal erhoben würden. raubt. Kein Argument, kein Detail, das Graetz selber entdeckt «Man wird uns den Aufstand gegen Hitler nur gutschrei- hätte. Sein Zutun beschränkt sich darauf, das Missverständ- ben, wenn er sich wirklich gegen Hitler richtet.. . Hundert nis (oder auch: historische Unverständnis) in die Potenz zu Prozent Gegnerschaft zu dem System, das man stürzen will, erheben. Gewiss, die Männer des 20. Juli waren keine meine ich. Und hier findet man keine fünfzig . .. Sie haben waschechten Demokraten, wie er sie sich offenbar wünscht. alle schon viel zuviel und viel zu lange mitgemacht und Sie waren zusammengewürfelt aus vielerlei Schichten und kommen von sich selber nicht mehr los ... Das ist es ja: Die Ständen, Bekenntnissen und Geistesrichtungen: darunter übernehmen den Schwindel... Von denen, die gegen Hitler konservativ eingestellte Militärs, ein Leben lang in selbst- sind, sind noch lange nicht alle gegen sein System ... Ich losem (wenn nicht gar blindem) Gehorsam erzogen und habe auf einmal gemerkt, dass wieder dieselben alten Spie- nun dazu gezwungen, mit all ihren Bedingtheiten, ihren sser drankommen werden, die uns den ganzen Schwindel traditionellen Loyalitätsbegriffen, ihrer Standesehre, ihren eingebrockt haben! Diese schöngeistigen Kreditschwindler, Lebensprinzipien, aufzuräumen; desgleichen Beamte und die ihre linken Dinger immer mit weissen Glacehandschuhen Diplomaten; darunter auch ein paar Demokraten – dane- drehen wollen ... Das ist wirklich die ulkigste Revolution, ben Nichtdemokraten (weniger aus Prinzip als auf Grund die mir je vorgekommen ist... Die Herren gehen an ihrem ihrer Weimarer Erfahrung); darunter Christen und Nicht- eigenen Dreck zugrunde.» christen, Aktivisten und Theoretiker, überzeugte Republi- Hat Graetz, der solche dummdreisten Urteile wahllos übers kaner und heimliche Monarchisten, Nationalisten und Anti- Stück verteilt, denn nicht gemerkt, auf welches Niveau er nazis, Aristokraten und Proletarier, Realisten und Phantas- sich begibt? Es ist, was er als seine Tendenz deklariert, der- ten. Wen wundert das, was ist daran neu – und was bedenk- selbe Jargon, den (nur mit anderem Vorzeichen) Freisler lich? gebrauchte; es ist, zur Hauptsache, derselbe Vorwurf eines Entscheidend war doch der gemeinsame Nenner, der die vie- «dilettantischen politischen Programms», den Kaltenbrun- lerlei politisch oder historisch bedingten Gegensätze zu einem ners Gestapo in ihren Berichten an Bormann erhebt. Widerstand verband. In den Worten der für den 20. Juli vor- «Die haben gar nicht damit gerechnet, dass es mal ernst bereiteten Regierungserklärung: wird... spielen bloss, die Leute! Am Sandkasten.» In der «Erste Aufgabe ist die Wiederherstellung der vollkommenen Tat, wie bei Graetz die Personen in der Bendlerstrasse ge- Majestät des Rechts.. . Die Sicherheit der Person und des zeichnet sind: Tröpfe, Dilettanten, lächerliche Wichte, die da Eigentums werden wieder gegen Willkür geschützt sein ... kopflos und ziellos durcheinanderrennen – das konnte nur Wir wollen die Grundlage der Sittlichkeit wiederherstellen, schiefgehen. «Was die nicht exerziert haben, kriegen sie ein- und zwar auf allen Gebieten des privaten wie öffentlichen fach nicht hin.» Da wird nicht – was Graetz offenbar für Lebens ... Der Lüge sagen wir den Kampf an ... Die zerbro- die einzig approbierte Form der Revolution hält – geschos- chene Freiheit des Geistes, des Gewissens, des Glaubens und sen, nicht «umgelegt», keine «Strolche an die Wand ge- der Meinung wird wiederhergestellt.» stellt», kein Stosstrupp ausgeschickt, «der den Gestapo- In solchen Proklamationen ist die einzig wahre Alternative Müller aus seinem Bau holt!» Es fehlt an Opfern, die an- gegen das Naziregime manifestiert. Was besagt es dagegen, geblich «vollendete Tatsachen» schaffen könnten: «Die ob die Umsturz- und Verfassungspläne im Einzelnen eher scheuen schon vor den drei Dutzend Leichen zurück, die konservativ oder liberal, realistisch oder utopisch, rück- man braucht, um die Revolution überhaupt auszulösen ...» ständig oder fortschrittlich gewesen sind? Mit dem hier be- Noch mehr womöglich wurmt es den Graetz, dass die Revo- schworenen Rechtsstaat war der denkbar grösste Gegensatz lution nicht auf die Strasse getragen, kein Volksaufstand zum Hitlersystem proklamiert: mehr als ein politisches Be- inszeniert wird; und vollends muss (in seinen Augen) die kenntnis. Gewiss war der Weg nicht leicht; nicht wenige Verschwörer disqualifizieren, dass man sich eine Sprachrege- unter den Verschwörern waren selber ursprünglich – in lung ausgedacht hat, statt einfach die Wahrheit hinauszu-

497

Widerstand im Krieg zahl von höheren Frontoffizieren entgegengebracht der neuen Regierung stellen und sie unterstützen wird – wird, der Opposition manche Zustimmung. Freilich ist wenn Hitlers Herrschaft erst einmal beseitigt ist. manche solche Zustimmungserklärung von der Art des Schliesslich sind es die erst vor kurzem zur Verschwö- Marschalls Kluge und früher des Marschalls Brau- rung gestossenen Offiziere der jüngeren Generation, chitsch – das Einverständnis mit den Absichten der Ver- die zur Tat treiben und etwas unternehmen. Im Laufe schwörer ist nur platonisch. Immerhin ist keiner der an- der Jahre 1942 und 1943 wird eine Anzahl von Atten- gesprochenen Marschälle und Truppenkommandeure taten auf Hitler geplant und auch vorbereitet. bereit, die Verschwörer zu verraten, wie es formell ihre Bei einem Frontbesuch im Jahre 1942 soll Hitler fest- Pflicht wäre, und so bleibt doch die Hoffnung, dass genommen, von einem schon vorbereiteten Standge- mancher dieser Wehrmachtsführer nach einem erfolg- richt zum Tode verurteilt und sofort erschossen werden. reichen Umsturz sich mit seinen Truppen auf die Seite Festnahme und Erschiessung sollen durch die «Feuer-

posaunen. Die Taktik der ersten Proklamationen, die ver- Dass in einem solchen Pamphlet, das nicht verstehen, son- künden sollten, dass Hitler tot und eine Clique von Partei- dern schmähen will, die historischen Fakten nach Gutdün- führern der Front in den Rücken gefallen sei, wird unbe- ken gehandhabt werden, überrascht nicht. Kaum ein Absatz, kümmert mit einer Phrase abgetan: «Wenn man die Leute der nicht zurechtgerückt werden müsste. Statt eines de- hart genug vor den Kopf stösst, fallen sie auf jeden Fall taillierten Quellenstudiums scheint sich Graetz vor allem erst mal um – entweder nach dieser Seite oder nach jener» auf die problematische Selbstdarstellung von Gisevius ver- Angesichts solcher Besserwisserei lässt sich nur staunen über lassen zu haben. Siehe die Memoiren («Bis zum bitteren die historische Ahnungslosigkeit eines Autors, der zwar vie- Ende»), wo die Ressentiments des «Zivilisten» gegen die lerlei, was seinen Vorurteilen entsprach, zusammengelesen, «Grafenclique» um Stauffenberg nicht wenig zu Buche aber nichts von alledem, was sich am 20. Juli 1944 begab, schlagen. Siehe vor allem die Rolle, die Gisevius auf der begriffen hat. Mit vollem Bewusstsein haben die Verschwörer Bühne spielt. Er ist es, der als Zensor durch die Szenen keinen Volksaufstand geplant, der nur zu sinnlosem Blut- schreitet und den Hauptteil der giftigen Urteile verteilt: vergiessen geführt hätte, sondern eine systematische «Palast- böse Worte, die sich Hans-Bernd Gisevius wohl kaum in revolution», die den Befehlsapparat zu usurpieren und mit den Mund legen liesse, würden sie nicht seiner Auffassung Hilfe des totalitären Systems den Umsturz zu bewerkstel- entsprechen. Hat er nicht, wie er selber verlautbarte, den ligen suchte. Nicht aus treudeutscher Ordnungsliebe Autor Graetz – wenigstens zeitweise – beraten und dafür ge- («stumpfsinnigem Gehorsam», wie es bei Graetz heisst), sorgt, dass sein Persönlichkeitsbild richtig dar gestellt sondern aus realistischer Einschätzung der Verhältnisse, die würde? nur einer Revolution von oben Aussicht auf Erfolg liessen. Wie dem auch sei, ob von Graetz oder Gisevius, das in Die Taktik der ersten Stunde (Hitler tot usw.) war eine den «Verschwörern» veranstaltete Scherbengericht beweist Lüge – gewiss. Eine bezeichnende Lüge, nicht für die Ver- am Ende nur, wie schwer es fällt, auch nach Dutzenden von schwörer, sondern für die Situation von 1944: Hatte sich Forschungen und Veröffentlichungen über den 20. Juli, die nicht das deutsche Volk angesichts der drohenden Kata- eigentliche Problematik und Tragik verständlich zu machen. strophe in einem Masse mit dem Naziregime und seiner Es ging nicht darum, einfach ein Attentat zu inszenieren – Führung identifiziert, dass es, wenn überhaupt, nur noch vielleicht wäre dies leichter und besser gelungen. Es ging durch Lügen wieder zur Vernunft zu bringen gewesen wäre? vielmehr darum, einen Umsturz vorzubereiten, der in eine Das Schicksal hat uns die Probe aufs Exempel erspart: Ob neue Zukunft führte. Darum das unsägliche Ringen über nicht ein gelungener Aufstand als zweite «Dolchstosslegende» die Art des Vorgehens, die endlosen Auseinandersetzungen in die Geschichte eingegangen wäre. Einwandfrei dagegen über die politischen Prinzipien und Programme. Darum auch hat der Ablauf des 20. Juli bewiesen, dass zur Befreiung aus das verzweifelte Werben um die Alliierten, die dem deut- dem allgemeinen Loyalitätskomplex das Gelingen des Atten- schen Volk die Chance gewähren sollten, Hitlers verbrecheri- tats erste Voraussetzung gewesen wäre. Dass es also schlich- schen Krieg zu einem glimpflichen Ende zu führen. Am ter Unsinn ist, was bei Graetz behauptet wird: «Ach, Ihre Ende allerdings leitete sie nur noch die Hoffnung, durch die Bombe! Die ist ganz unwichtig! Die stört geradezu ... Das Tat Beispiel zu geben, dass es das andere Deutschland noch hätte sich hinterher noch bereinigen lassen» gab; die Forderung des Gewissens, ungeachtet des prakti- Es gelang ja nicht einmal, die spärlichen Berliner Truppen- schen Erfolgs vor Gott und der Geschichte Zeugnis abzu- verbände im Sinne der Bendlerstrasse in Marsch zu setzen, legen. «Glauben Sie nicht», heisst es dazu bei Graetz, «dass wieviel weniger die Truppenkommandeure an der Front unser Dabeisein an sich, unsere Entscheidung selbst einen oder die Generalkommandos im Heimatkriegsgebiet, die Sinn hat?» Die Antwort: «Wüsste nicht, welchen» sich entweder glatt weigerten oder zuerst Bestätigung aus dem «Führerhauptquartier» verlangten. (Albert Wucher, in: Süddeutsche Zeitung vom 30. Oktober 1965.)

498 2 Kognakflaschen wehr» der Heeresgruppe Mitte erfolgen, das Kavallerie- kommt die Routinemeldung, dass alle Maschinen gut Regiment des Oberstleutnants Freiherr von Böselager. gelandet sind. Der Zünder hat versagt, wie Schlabren- dorff später feststellen muss, als er eilends losfliegt, Doch es kommt nicht dazu, weil Marschall Kluge da- um dem Oberst Brandt das gefährliche Paket unter gegen ist. Ohne sein Einverständnis aber ist es unmög- einem Vorwand wieder abzunehmen. lich, das Kavallerie-Regiment unbemerkt aus der Front Zwei der Zivilisten wollen inzwischen mehr tun, als zu lösen. Eine solche Truppenbewegung hat viel zu viel nur diskutieren – der Diplomat Mumm von Schwar- Mitwisser in allen möglichen Stäben. zenstein und der Grosskaufmann Nikolaus von Halem. Am 13. März 1943 macht Hitler einen Frontbesuch bei Sie versuchen, selbst ein Attentat auf Hitler zu organi- der Heeresgruppe Mitte. Kluges Stabschef Tresckow sieren. Dazu bedienen sie sich des alten Landsknechtes schickt Hitler eine Kraftwagenkolonne zum Feldflug- Dr. Josef Roemer, genannt «Beppo». platz. Die begleitenden Offiziere sollen Hitler unter- Roemer, kaiserlicher Hauptmann, ist Freikorpskämpfer wegs auf der Fahrt vom Flugplatz zum Hauptquartier gewesen, Führer des bayerischen «Bundes Oberland», der Heeresgruppe festnehmen und zu einem streng ge- begeisterter Anhänger Hitlers, später jedoch des SA- heimgehaltenen Versteck entführen. Aber Hitler hat Stabschefs Röhm. Auch ihm ist Hitler 1933 nicht «re- dem Flugzeug bereits seine eigene Wagenkolonne mit volutionär» genug gewesen. Als Anhänger Röhms hat Mannschaften des «Führerbegleitkommandos» voraus- er 1933 kurze Zeit in einem KZ verbracht und ist seit- geschickt. Die Kraftfahrzeuge der Heeresgruppe wer- dem ein Gegner Hitlers. den nicht benötigt – der Entführungsplan fällt ins Was- Aber «Beppo» Roemer kommt mit seinen Attentats- ser. vorbereitungen nicht voran, und als von Halem ihm Tresckow, Schlabrendorff und die anderen versuchen es deshalb Vorwürfe macht, läuft der wilde Landsknecht gleich darauf noch einmal – bei Hitlers Rückflug. Die schnurstracks zur Gestapo und zeigt sich selbst an – «Abwehr», die technische und organisatorische Zent- um «dem gottverdammten Reaktionärsgesindel eins rale der Verschwörung, hat schon längst Sprengstoff all auszuwischen», wie er zur Begründung angibt. Noch denen zur Verfügung gestellt, die Gelegenheit haben mehr als Hitler hasst er jetzt «die feige Blase», die könnten, ein Attentat auf Hitler durchzuführen. stets nur im Hintergrund drängt, selbst aber nichts tut. Beim Abschiedsessen für Hitler bittet Tresckow den Und nun ihm noch Vorwürfe machen? Nicht mit Beppo Stabschef der Operationsabteilung im Führerhaupt- Roemer! quartier, Oberst Brandt, ein Paket mit zwei Kognak- Ob Roemer sich mit seiner Selbstanzeige mildernde flaschen mitzunehmen und dem General Stieff als Ge- Umstände versprochen oder ob er in seiner wirren Wut schenk zu übergeben. Brandt ist gern bereit dazu. überhaupt nicht mehr gedacht hat, weiss niemand. Je- Später auf dem Flugplatz – Hitler hat die Maschine denfalls wird er ebenso wie Mumm von Schwarzenstein schon betreten, ebenso wie die anderen Fluggäste, dar- und Nikolaus von Halem zum Tode verurteilt und hin- unter zwei Landser, die nach Ostpreussen auf Urlaub gerichtet. fahren und die Hitler deshalb eingeladen hat, gleich Damit ist der Gestapo ohne eigenes Verdienst der erste mit ihm zu fliegen – überreicht Oberleutnant von Einbruch in die Reihen der Verschwörer gelungen. Schlabrendorff dem Oberst Brandt das Geschenkpäck- Unruhe macht sich bei den Führern der Opposition chen mit den Kognakflaschen für General Stieff. breit. Wird die Gestapo gleich noch einmal Zuschlägen, Unmittelbar zuvor hat Schlabrendorff sich noch ein- werden Schwarzenstein und Halem in scharfen Ver- mal an der Verpackungsschnur des Pakets zu schaffen hören schweigen können? Denn sie kennen ja die gemacht – er hat damit den britischen Zeitzünder in Namen aller führenden Verschwörer. Sie brauchen nur Gang gesetzt, denn die beiden Kognakflaschen sind in einen weiteren Namen zu nennen, und schon besteht Wirklichkeit Sprengladungen, die nach einer halben die Gefahr, dass die Gestapo davon ausgehend den Stunde explodieren und Hitlers Flugzeug in der Luft Faden in die Hand bekommt, an dem nach und nach zerreissen sollen. das ganze Knäuel der Verschwörung aufgewickelt wer- Kaum hat sich das Flugzeug in die Luft erhoben, wer- den kann. den die Verschwörer in Berlin telefonisch unterrichtet, Aber nichts Derartiges geschieht. Die Gestapo hat im dass die «Initialzündung» für den Putsch unmittelbar Fall Schwarzenstein-Roemer-Halem Scheuklappen vor bevorsteht. Dann wartet alles gespannt auf die Funk- den Augen, sie sieht und untersucht nur das vorbereitete meldung der beiden Begleitjäger. In wenigen Minuten Attentat. Dass es sich um eine weitverzweigte Ver- müssten sie berichten, dass die Führermaschine explo- schwörung handelt, die weit grössere Pläne als nur die diert und abgestürzt ist. Durchführung eines Attentates hat, wird nicht entdeckt. Aber eine solche Meldung bleibt aus. Stattdessen

499 Widerstand im Krieg

Eine Gelegenheit zum Attentat scheint sich zu bieten, Pläne für die Attentate, für den Staatsstreich general- als anlässlich des alljährlichen Heldengedenktages am stabsmässig ausgearbeitet. 21. März 1943 im Berliner Zeughaus Beutewaffen vor- Am 5. April 1943 betritt der Oberstkriegsrichter Dr. geführt werden sollen. Hitler wird die Gedenkrede Roeder das geheimnisumwitterte Gebäude der Ab- halten und anschliessend die Ausstellung der Beute- wehr am Tirpitzufer in Berlin, unweit der Bendler- waffen besichtigen. Göring und Himmler werden da- strasse, wo sich früher das Reichskriegsministerium und bei sein – eine grossartige Gelegenheit, diese beiden nun die Dienststelle des Befehlshabers des Ersatzheeres gleich mit zu erledigen. befindet. Dr. Roeder trägt die Uniform eines Luft- Oberst von Gersdorff, wie Tresckow und Schlabren- waffengenerals, die ihm als Oberstkriegsgerichtsrat zu- dorff auch er von Marschall Kluges Heeresgruppe steht. Er hat im vergangenen Jahr die Untersuchungen Mitte, will selbst sein eigenes Leben opfern, um Hitler gegen die «Rote Kapelle» geleitet. Die Zerschlagung umzubringen. Gersdorff will zwei der britischen dieser Organisation ist zu einem grossen Teil sein Werk Spezialbomben, mit denen auch Reinhard Heydrich in gewesen. Trotzdem ahnt er nicht, dass ihm heute ein Prag ermordet worden ist, in seine Manteltaschen stek- unendlich grösserer Erfolg bevorstehen könnte – wenn ken. Dann will er die Zeitzündung in Gang setzen und er seine Untersuchung auf den richtigen Weg leitet. sich in unmittelbarer Nähe Hitlers und seiner Um- Der Grund für Roeders Besuch ist die vor kurzem gebung aufhalten, bis die Sprengladungen detonieren. erfolgte Verhaftung eines Abwehr-Agenten an der Unmittelbar bevor es soweit ist, erzählt Hitlers Chef- Schweizer Grenze. Der Mann ist trotz seiner ausge- adjutant Schmundt Gersdorff, dass für den Rundgang zeichneten Papiere von einem zunächst übereifrigen Hitlers nur acht bis zehn Minuten Zeit vorgesehen Beamten festgenommen worden, der dazu eigentlich seien. Doch die Mindestzeit, auf die die Zünder einzu- gar kein Recht gehabt hätte – noch ist die «Abwehr» stellen sind, beträgt zehn Minuten. So kann auch Gers- für Kriminalpolizei oder Gestapo tabu. Aber da man dorff das Attentat nicht ausführen. den Mann nun einmal hat, wird er untersucht, entschul- Nur vierzehn Tage danach wird ein schwerer, fast töd- digen kann man sich hinterher beim Admiral Canaris licher Schlag gegen die Verschwörer geführt. Nicht viel immer noch. hätte gefehlt, und alle Anstrengungen der Verschwörer Es stellt sich schnell heraus, dass der Mann ein Devisen- wären zu Ende, und sie selbst sämtlich in der Hand schmuggler ist. Das Geld ist für jüdische Flüchtlinge in der Gestapo. Dieser Schlag gilt nur einem der Ver- der Schweiz bestimmt, jedoch hat dieser keineswegs zu- schwörer, aber der ist Mitarbeiter in der Zentrale der verlässige Abwehrmann auch Privatgeschäfte mit dem «Abwehr», des deutschen militärischen Geheimdiens- ihm anvertrauten Geld gemacht. tes, und deshalb ist er fast tödlich für die gesamte Oppo- Natürlich kann keine Rede mehr davon sein, dass man sition. diesen Mann wieder freilässt. Aber die «Abwehr» ist Die «Abwehr» ist schliesslich das organisatorische Zen- eine Dienststelle der Wehrmacht, und so wird der trum des Widerstandes, der Leiter ihrer Zentralabtei- ganze Fall schon im Anfangsstadium der Entwicklung lung und Stellvertreter des Chefs Admiral Canaris, von der Gestapo zuständigkeitshalber an das für die der nunmehrige Generalmajor Oster, ist gewissermas- Wehrmacht zuständige Reichskriegsgericht übergeben. sen der Prokurist der Opposition, der eigentliche Leiter Dr. Roeder hat selbst den Fall übernommen, denn er aller Massnahmen unter dem geistigen Oberhaupt Beck. sagt sich mit Recht, dass der kleine, unbedeutende Ab- wehragent die Devisen nicht aus der eigenen Tasche Die Tatsache, dass fast alle führenden Offiziere aus- genommen, sondern von seiner Dienststelle erhalten gerechnet des Geheimdienstes – der Spionage und Ge- hat, dass also etwas mehr als ein einfacher Devisen- genspionage – zum Widerstand gehören, ist für die schmuggel hinter der Geschichte stecken könnte. Verschwörung wichtiger als alles andere. Die «Ab- Der Verhaftete gesteht auch sofort alles, was er weiss. wehr» besorgt Sprengstoff für die Attentate, sie stellt Das ist zum grossen Glück für die Verschwörer nicht echte und gefälschte Papiere für die Verschwörer aus, viel, aber es genügt Dr. Roeder, zu erfahren, dass eine sie organisiert die Auslandsreisen, auf denen die Ver- ganze Anzahl von Juden als angebliche «Abwehrbeauf- schwörer mit den Kriegsgegnern in Verbindung treten, tragte» ins Ausland geschleust worden sind – darun- von hier erfahren die Verschwörer die geheimsten ter ein 70jähriger Blinder –, dass diese Leute von der Nachrichten, die selbst der deutschen Führung unbe- Abwehr mit Geld unterstützt werden. Gerüchteweise kannt bleiben, von hier laufen die geheimen Verbin- hat der Verhaftete vernommen, dass die «Abwehr» Be- dungen zum Vatikan, zur britischen Regierung, zum ziehungen zum feindlichen Ausland hat. Der Manr., amerikanischen Präsidenten Roosevelt, hier werden der diese Beziehungen anknüpft und der ihm auch die ungestört und von niemandem auch nur vermutet, die Devisen zur Verfügung gestellt hat, ist der gleiche.

500 Oster lässt einen Zettel verschwinden

Dr. Roeder hat einen Haftbefehl für diesen Mann in peln sich Akten, die der Oberstkriegsrichter herausge- der Tasche. Er hat ihn sofort ausgestellt, als er den sucht hat. Namen gehört hat. Er kennt diesen Mann sehr gut, er «Diese Akten hier», sagt er zu den Anwesenden, «er- hat mit ihm früher im Justizministerium zusammen- kläre ich für beschlagnahmt. Über diese Akten haben gearbeitet und weiss, dass er seit jeher ein Hitlergegner Sie daher kein Verfügungsrecht mehr, worauf ich Sie ist. Roeder ist deshalb von vornherein davon über- aufmerksam mache.» zeugt, dass hinter dieser Geschichte ein viel grösserer Automatisch wandern alle Blicke zu dem runden «Fall» steckt – ein wie grosser, das ahnt er allerdings Tisch. Dr. von Dohnanyi wird noch um eine Spur nicht. blasser. Das Papier, das dort aus der einen Akte her- Zusammen mit dem Gestapo-Beamten Sonderegger, vorsieht, das ist eine Anweisung an Pfarrer Dietrich der ihn begleitet, meldet sich der Oberstkriegsrichter Bonhoeffer für seine nächsten Gespräche im Ausland. bei Admiral Canaris. Der Chef des deutschen Nach- Unmittelbar darunter liegen sieben illegale «UK-Stel- richtendienstes ist auffallend nervös, als Dr. Roeder lungen» für Bekenntnispfarrer, die damit vom Wehr- ihm den Grund seines Besuches nennt: «Ich bedauere, dienst befreit werden sollen – unterschrieben von Gene- Ihnen mitteilen zu müssen, dass das Reichskriegsgericht ralmajor Oster. angeordnet hat, Herrn Dr. von Dohnanyi festzunehmen Dohnanyi kommt nicht an den Tisch heran, hinter ihm ...» steht der Kriminalbeamte, der ihn besonders im Auge Canaris protestiert schwach. Das ist doch unmöglich, hat. Während Dr. Roeder am Schreibtisch sitzt und der Dohnanyi? « ... ausserdem ist angeordnet, alles dort die Schubladen entleert, macht Dohnanyi mit den mögliche Beweismaterial sicherzustellen», fährt Dr. Augen verzweifelte Zeichen zu Oster, deutet immer Roeder ungerührt fort. «Wollen Sie bei der Festnahme wieder auf die aus der einen Akte herausragenden ge- zugegen sein, Herr Admiral?» heimen Unterlagen. Wohl oder übel begibt Canaris sich mit seinen beiden Endlich begreift der Abwehrgeneral. Wie zufällig Besuchern durch das Vorzimmer zunächst zu General macht er ein paar Schritte, stellt sich mit dem Rücken Oster, der der unmittelbare Dienstvorgesetzte Doh- zu dem runden Tisch, schaut scheinbar interessiert nanyis ist. Oster verhält sich kühl und selbstsicher, als auf den aktenlesenden Oberstkriegsrichter an Dohnanyis Canaris ihm sagt, weshalb der Oberstkriegsrichter und Schreibtisch, bringt hinter dem Rücken seine Hände vor- der Kriminalbeamte erschienen seien. sichtig an die Akten, ertastet das vorstehende Schrift- Oster ist nämlich ebenso wie Canaris selbst schon am stück, schiebt es ganz behutsam mit der Linken unter sei- Vortag gewarnt worden, es sei etwas gegen die «Ab- ner Jacke am Rücken empor. wehr» im Gange, höchste Vorsicht sei geboten. Die «Halt!» Warnung kam von Mitverschwörer Arthur Nebe, dem Sonderegger hat es laut gerufen. Er zeigt mit ausge- Chef der gesamten deutschen Kriminalpolizei, der natür- strecktem Arm auf den General. Der Oberstkriegs- lich über alle kriminalpolizeilichen Ermittlungsarbeiten richter hat sofort aufgesehen und eben noch bemerkt, ebenso wie über die der Gestapo zumindest in grossen wie etwas Weisses unter der eleganten, grauen Zivil- Zügen orientiert ist. jacke Osters verschwand. Canaris hat Oster gestern sofort zur Seite genommen «Ich muss Sie ersuchen, Herr General, mir den Zettel und ihm eingeschärft, augenblicklich alles, was an ir- auszuliefern, den Sie eben versteckt haben.» Oster gendwie belastendem Material vorhanden ist, aus den wird aschgrau im Gesicht. Hilfesuchend sieht er auf Diensträumen zu entfernen. Canaris, aber der kann nun wirklich nichts mehr tun. Nun gehen die vier – Oster, Canaris, Sonderegger und Oster streitet ab, etwas versteckt zu haben. Roeder als einziger Uniformierter Roeder – hinüber in wendet sich an Canaris und ersucht ihn, Oster den Be- Dohnanyis Zimmer. Sonderegger begibt sich sofort an fehl zu geben, den Zettel herauszurücken. Canaris die Rückwand des Zimmers, von wo aus er den gan- macht einen letzten Versuch, das Verhängnis abzuwen- zen Raum im Auge hat. Dohnanyi hat sich erhoben, den, und weigert sich, dem General einen solchen Be- er ist leichenblass, als Dr. Roeder ihm erklärt, er sei ver- fehl zu erteilen. haftet, sein Zimmer müsse durchsucht werden. «Ich habe nichts gesehen, und General Oster hat mein Dann ist eine Weile in dem Zimmer nichts zu hören vollstes Vertrauen!» als das Knacken von Schlössern, das Rascheln von «Dann muss ich von meinen Rechten als Unter- Akten, die Schritte des Untersuchungsrichters, die er- suchungsrichter nach der Militärstrafprozessordnung regten Atemzüge des verhafteten ehemaligen Reichs- Gebrauch machen», erklärt Roeder darauf in scharfem gerichtsrates Dr. von Dohnanyi. Ton. «Dann muss ich eine körperliche Untersuchung Auf einem runden Tisch in der Nähe des Fensters sta- vornehmen, und zwar auf der Stelle!»

501 Widerstand im Krieg

Nun zieht Oster das Schriftstück hinter seinem Rücken wird Pastor Bonhoeffer verhaftet – wegen der be- hervor und reicht es mit fahriger Geste dem Unter- schlagnahmten Akten war das zu erwarten. Als näch- suchungsrichter hin. ster folgt Dr. Joseph Müller, genannt «Ochsensepp», Roeder sieht ihn an. Auch er ist nun erregt. «Begeben der ebenfalls als Abwehrmann getarnte Vertreter der Sie sich auf Ihr Zimmer, Herr General. Verlassen Sie Opposition beim Vatikan, nach dem Krieg bayerischer dieses bitte nicht ohne meine Erlaubnis!» Justizminister. Oster geht mit müden Schritten hinaus. Er weiss, was Generalmajor Oster wird seiner Funktion enthoben, Roeder nicht einmal ahnt: Das ist das Ende nicht nur aber nicht verhaftet. Er wird zu Hausarrest in seiner für ihn selbst, sondern für alles, was er in den vergan- Leipziger Wohnung verurteilt. genen Jahren an Widerstandsarbeit geleistet, an Orga- Und das ist alles – mehr geschieht nicht! Auch den nisation aufgebaut hat. Das kann, wenn Roeder gründ- Verschwörern erscheint das unvorstellbar, aber es bleibt lich weiterforscht, das Ende der gesamten Opposition bei der Ausschaltung Osters und der Verhaftung Doh- sein. nanyis, Bonhoeffers und Müllers. Es wird darüber ge- Dr. Roeder fordert Dr. von Dohnanyi auf, den Pan- rätselt, schliesslich gibt man sich damit zufrieden und zerschrank zu öffnen. Dohnanyi erklärt zunächst, den atmet wieder auf. Schlüssel ausgerechnet heute aus Versehen daheimlas- Bis eines Tages eine Bemerkung Himmlers bekannt sen zu haben. wird, der zu einem der Verschwörer wie beiläufig ge- Roeder wendet sich an Canaris. «Dann muss ich den sagt hat, er wisse wohl, dass etwas im Gange sei, man Panzerschrank von Fachleuten oder mit Gewalt öffnen solle sich nicht täuschen. Vielleicht wartet er, Himmler, lassen.» nur ab, bis das «Geschwür» ausgereift ist. Canaris begreift sofort, was das bedeutet – eine Corona Das scheint fast eine plausible Erklärung dafür, dass von Gestapoleuten hier in den bisher für sicher gehalte- weder Reichskriegsgericht noch Gestapo die von Oster, nen Räumen der «Abwehr». Ausgeschlossen! Dohnanyi, Bonhoeffer oder Müller, von Schwarzen- stein oder Halem ausgehenden vielen Fäden weiter- Er sieht Dohnanyi mit zwingendem Blick an. Der fährt verfolgen, es zumindest so erscheinen lassen. Schliess- sich, als sei ihm etwas eingefallen, mit der Hand an lich taucht eine ganz phantastische Idee auf, geboren die Stirn, sagt: «Moment», geht zu seinem Mantel, der aus diesen merkwürdigen Umständen einer regelrech- an einer Schrankwand hängt, greift in die eine, dann ten Passivität der Gestapo. Diese verblüffende Idee in die andere Tasche. «Verzeihung – hier ist er ja», sagt lautet: Vielleicht ist auch Himmler unzufrieden, viel- er leise und reicht den Schlüssel des Panzerschranks zu leicht will Himmler selbst Hitler stürzen, vielleicht hat Roeder hin. er gar nichts gegen ein Attentat auf Hitler, um dann Der Schrank wird geöffnet. Roeder sieht die darin be- selbst an die Macht zu kommen? findlichen Akten zunächst flüchtig durch, dann be- Überhaupt – könnte man nicht Himmler gewinnen? schlagnahmt er sie alle. Nachträglich kann man es nur Seinen Ehrgeiz vor den Wagen der Opposition span- als Wunder bezeichnen, dass diese Aktenbeschlagnah- nen, ihn gegen Hitler in Stellung bringen, damit einen me nicht zu schlimmeren Folgen für die Verschwörer Keil zwischen die Nazi-Führung treiben? Himmler ist führt. Immerhin befinden sich in Dohnanyis Panzer- kein Hitler, den Himmler wird man nach erfolgtem Um- schrank trotz der ausdrücklichen Warnung von Canaris sturz allemal wieder los. eine ganze Anzahl belastender Dokumente. Da sind Der preussische Finanzminister Popitz beschliesst, Hinweise auf die geheimen Reisen von Bonhoeffer und Himmler daraufhin zu testen. Durch Vermittlung von Moltke nach Schweden und nach Rom. Da liegen Himmlers Rechtsanwalt kommt dieses Gespräch auch Blanko-Ausweise und -Pässe, ein mit «V» bezeichneter zustande. Himmlers Rechtsanwalt, das ist jener Dr. Akt weist nach, dass 15 Juden von der «Abwehr» ins Karl Langbehn, der vor Jahren Ernst Thälmann in dem Ausland geschleust worden sind. Ein maschinenge- zu erwartenden Prozess verteidigen oder ihn sogar ohne schriebenes Schriftstück lässt klar erkennen, dass ein Prozess freibekommen wollte, was durch Ulbrichts Kreis von Offizieren der Wehrmachtsführung, von Be- Intrigen scheiterte. Als Himmlers Grundstücksnachbar kenntnispfarrern und aus der Wirtschaft zu einem am Tegernsee hat er sich das Vertrauen des Reichsfüh- Staatsstreich entschlossen ist – und das Schriftstück rers SS erworben, gehört aber selbst zu den Verschwö- ist mit einem schwungvollen O abgezeichnet und von rern. der gleichen Handschrift mit dem Datum 17. März Himmler ist inzwischen als Nachfolger Dr. Fricks versehen worden. Kein Zweifel, dass es sich dabei um Reichsinnenminister geworden und hat damit seine die Handschrift General Osters handelt. persönliche Macht um vieles vergrössert. In dem Ge- Die Verschwörer halten den Atem an. Nach Dohnanyi spräch mit Minister Popitz zeigt er sich sehr verständ-

502 Solf-Kreis nisvoll. Das kann er zunächst, denn selbstverständlich und so bittet man ihn schliesslich nach der Geburtstags- spricht Popitz nicht von einer Verschwörung, gar von gesellschaft, Briefe mit in die Schweiz zu nehmen. Attentaten oder Umsturz. Popitz spricht davon, dass Dr. Reckzeh erklärt sich gern dazu bereit, und so ver- viele verantwortungsbewusste Leute sich immer mehr trauen ihm Frau Solf und das ältliche Fräulein von Sorgen machen, dass wohl auch von der Führung Feh- Thadden je ein Schreiben zur Übermittlung an Schwei- ler begangen würden, dass der Führer sicher mit der zer Freunde an. Dr. Reckzeh befördert diese Briefe militärischen Kriegsführung überlastet sei, dass sich ge- auch – aber nicht in die Schweiz, sondern zur Gestapo. wiss manches ändern müsse und ändern lasse, dass ein Der sympathische junge Schweizer Arzt ist ein Gestapo- vernünftiger Mann wie Himmler mehr Einfluss in der Agent und hat von vornherein den Auftrag gehabt, in Führung haben müsse. den «Solf-Kreis» einzudringen, zu dem vor ihrer Ver- Popitz hat später sehr wenig darüber berichtet, was haftung auch Mumm von Schwarzenstein und Nikolaus Himmler jeweils geantwortet hat. Bekannt ist, dass von Halem gehört haben. Noch unternimmt die Ge- Himmler sich «verständnisvoll» für die Sorgen und stapo nichts, denn zunächst gilt es, die Schweizer und Anregungen des preussischen Finanzministers gezeigt sonstigen Auslandsverbindungen der Solfschen Teege- hat. «Wie erst nach dem Krieg aus Gestapo-Akten her- sellschaften zu überprüfen. Im Januar 1944 ist es dann vorgegangen ist, hat sogar eine zweite Besprechung soweit. zwischen Popitz und Himmler stattgefunden. Sie wird Insgesamt werden 76 Menschen dieses Kreises der Ber- in diesen Akten jedoch lediglich erwähnt, Popitz selbst liner high society verhaftet, darunter viele Diploma- hat nie über diese zweite Unterredung mit Himmler ten. Zu den Verhafteten gehören die Gesandten von gesprochen. Scherpenberg und Kiep, der Ministerialdirektor Zar- Fest steht danach nur, dass Himmler wohl wirklich den, der frühere Berliner Bürgermeister Elsas, Hanna mehr über die bestehende Opposition weiss, als er zu Solf und Elisabeth von Thadden. erkennen gibt. Zu einer Zusammenarbeit kommt es Verhaftet wird auch Helmuth James Graf von Moltke. nicht, sie wäre ohnehin vom grössten Teil der Ver- In der Urteilsbegründung gegen den «Solf-Kreis» steht schwörer konsequent abgelehnt worden. Schliesslich ist auch der Grund für Moltkes Verhaftung: jahrelang eben dieser Himmler, nicht Hitler, ein «Nachdem ... Reckzeh wieder dienstlich in die Schweiz Hauptfeind gewesen, gegen den sich vor allem in der gefahren war, hat ein pflichtvergessener hoher Beam- Fritsch-Krise der Kampf der Opposition gerichtet hat. ter, den Kiep im Vorverfahren auch genannt hat, Kiep Und nun, nach den von Himmler befohlenen und gewarnt, wegen des Teenachmittags schwebe gegen ihn organisierten Massakern an Juden und Slawen im eine Untersuchung, er möge sich in Acht nehmen. Die- Osten, ist Himmler ohne Zweifel nach Hitler der ser pflichtvergessene Beamte hatte nämlich erfahren, Hauptfeind. Mit ihm kann man nicht paktieren, wenn dass Überwachungsmassnahmen getroffen waren. Zu- man nicht jedes Ziel der Verschwörung selbst verraten gleich hat er den Verdacht ... auf Reckzeh gelenkt.» will. Der «pflichtvergessene Beamte», von dem hier die Rede Erstaunlicherweise bleibt auch ein dritter Schlag der ist, war Graf Moltke, der Initiator des «Kreisauer Gestapo ohne schwerwiegende Folgen für die Gesamt- Kreises», der nun mit Moltkes Verhaftung auch weit- organisation der Verschwörung. Aber dieser Blitz gehend zerschlagen ist. schlägt schon dicht neben dem Zentrum ein und ver- Die Verhaftung des Gesandten Kiep schliesslich führt nichtet vor allem endgültig die so wichtige Zentrale dazu, dass ein Verdacht gegen dessen engen Freund in der «Abwehr». Vermehren entsteht. Vermehren aber ist der deutsche Am 10. September 1943 findet eine Geburtstagsfeier Abwehrbeauftragte in der Türkei. Als er von der Ver- statt, an der Mitglieder des «Solf-Kreises» teilnehmen. haftung seines Freundes Kiep und von dem gegen ihn Diese lose Verbindung von Oppositionellen hat ihren entstehenden Verdacht hört, stellt er sich dem briti- Namen von der Witwe des früheren deutschen Bot- schen Geheimdienst in der Türkei. schafters in Tokio, Hanna Solf. Bei ihren Teegesell- Die Engländer schlachten den «Verrat» des deutschen schaften trifft man sich zu oppositionellen Gesprächen, Abwehrbeauftragten natürlich propagandistisch aus, ähnlich wie die «Kreisauer» auf dem Gut des Grafen und ohne Zweifel ist der Fall des «Überläufers» Ver- Moltke. mehren für Deutschland eine verlorene psychologische Zu dieser Geburtstagsgesellschaft hat Elisabeth von Schlacht im diplomatischen Kampf um das Wohl- Thadden, die dem «Solf-Kreis» angehört, einen jungen wollen der Türkei. Schweizer Arzt gebeten, den sie vor einiger Zeit ken- Der Sündenbock für Vermehrens «Verrat» ist Admiral nengelernt hat und dem sie vertraut. Dieser Dr. Reck- Canaris. Zu viele Angehörige seiner «Abwehr» sind zeh gibt sich als erbitterter Feind des Dritten Reiches, schon als Staatsfeinde verhaftet oder wie Oster kalt-

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Widerstand im Krieg gestellt worden, als dass man den Admiral auch noch Ein Glück für die Verschwörer ist es, dass die organisa- nach diesem Fall unbehelligt liesse. torische Kraft General Osters bald ersetzt werden Die «Abwehr» wird unter der Bezeichnung «Amt Mil. kann. Der neue Organisator, noch weit dynamischer [Militär]» in Himmlers Reichssicherheitshauptamt ein- als Oster, ist der Oberst Claus Schenk Graf von Stauf- gegliedert und von nun an mit der dort seit einiger fenberg. Er ist jener junge Kavallerie-Leutnant von Zeit im Aufbau befindlichen militärischen Abteilung den «Bamberger Reitern», der am 30. Januar 1933 den von dem SS-Gruppenführer Walter Schellenberg ge- Fackelzug begeisterter Menschen zu Ehren von Hitlers leitet, der damit Nachfolger von Canaris und letzter Regierungsübernahme in Bamberg angeführt hat und deutscher Geheimdienstchef wird. damals von einer «echten Volkserhebung» gesprochen Die grossartige Unterstützung und Tarnung der Ver- hat. schwörung durch die «Abwehr» hat damit ein für alle- Nun ist der begabte Stabsoffizier längst Gegner Hit- mal ihr Ende gefunden. lers. Den letzten Anstoss für seine Beteiligung an der Dennoch gehen die Vorbereitungen zum Staatsstreich Verschwörung hat ihm seine Dienstzeit im Stab der unentwegt weiter. Eine Anzahl von Attentaten ist in Heeresgruppe Mitte an der Ostfront gegeben. Dort ist all dieser Zeit immer wieder versucht worden – er mit Tresckow zusammengekommen, der sofort die General Stieff hat wärend einer Lagebesprechung im Bedeutung Stauffenbergs erkannt hat. Führerhauptquartier eine Bombe zünden wollen, aber An der Ostfront ist Stauffenberg einer derjenigen ge- schliesslich nicht den Mut dazu gefunden; zwei junge wesen, die am schärfsten gegen die Unterdrückungs- Offiziere wollen sich ähnlich wie Oberst Gersdorff mit politik der von Hitler eingesetzten «Reichskommis- Hitler zusammen in die Luft sprengen: Hauptmann sare» Stellung genommen haben. Er hat die Meinung von dem Busche und später Oberleutnant von Kleist vertreten: Bekämpfung und Vernichtung des Bolsche- – doch beide Vorhaben werden durch alliierte Luft- wismus ja, aber nicht Bekämpfung oder gar Vernich- angriffe verhindert; ein Pistolenattentat auf Hitler tung der Völker Russlands! scheitert daran, dass der betreffende Offizier den zwin- Stauffenberg ist zu einem der Flauptorganisatoren und genden Blick Hitlers nicht erträgt und einfach die Ner- Befürworter der «landeseigenen Verbände» geworden. ven verliert. Er ist wie viele Einsichtige der Auffassung, dass man

Prof. H. I. Iwand, Professor D. C. Wolf, Oder eine andere Konsequenz: Wenn der Soldateneid dieser Moraltheologen der evangelischen Kirche: Art wesenhaft auf Hitler persönlich ausgerichtet gewesen wäre, dann wäre unser ganzes Heer an seinen Eid von dem Augenblick an nicht mehr gebunden gewesen, da man an- « ... Wenn aber schliesslich in dem Augenblick, da deutlich nehmen konnte, dass Hitler seinen eigenen Führereid ge- wurde, dass alles verloren war und das Chaos einzubrechen brochen hatte. drohte, Männer aus dem Kreise der Widerstandsbewegung Wir sehen also: Die Männer des 20. Juli konnten gar kei- sich entschlossen, unter dem formellen Bruch eidlicher Ver- nen moralisch gültigen Eid auf Hitler rein persönlich zu pflichtung, und mit Gewalt den Inhaber der Obersten Staats- ,absolutem' d.h. unbedingtem, von jeder höheren Bedingung gewalt zu beseitigen, so haben sie damit ein Zeichen auf- freien Gehorsam ablegen.» gerichtet für echte, christliche und politische Verantwortung, welches der Ansatz sein könnte zu einer Neubesinnung auf das Recht und die Grenzen der politischen Gewalt. Die Tatsache, dass ihr Unternehmen von Misserfolg begleitet war, besagt wenig gegenüber der geistigen Bedeutung ihrer Professor R. Angermair, Tat: vielleicht darf man es als eine Fügung Gottes ansehen, katholischer Moraltheoioge: dass der Misserfolg ihre Tat als ein reines Opfer erscheinen «Da es sich in unserem Fall um die moralische Beurteilung lässt, welches in den geistlichen und sittlichen Bezirken un- einer bereits geschehenen Tat handelt, so können wir sagen: seres Lebens grössere Bedeutung haben könnte, als wenn das In der Frage, bezüglich deren den Männern des 20. Juli Attentat gelungen wäre. Wir haben als Christen nicht über keine objektive und alle konkreten Umstände einschliessende den politischen Ertrag dieses Einsatzes zu befinden, wohl Entscheidung vorlag, sind sie nach ihrer ehrlichen Über- aber die Aufgabe, die sittliche Bedeutung der hier sichtbaren zeugung zu beurteilen. Wer nach einer vernünftigerweise Staatsgesinnung als Ansatzpunkt für einen echten Neubau überhaupt möglichen und persönlich ehrlichen Überzeugung unseres bis in den Grund hinein zerrütteten Staatswesens zu handelt, begeht nach der christlichen Moraltheologie niemals würdigen. Sünde ...»

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Der Krieg ist verloren

Letten, Esten, Litauern, Bjelorussen, Ukrainern, Kosa- schwörung in Berlin, Anfang Oktober – weder seinen ken und allen anderen vom Bolschewismus unterdrück- Genesungsurlaub voll ausnutzend noch etwa ganz aus ten Völkern, einschliesslich der Russen selbst, Gelegen- dem Dienst ausscheidend, wie andere, weit weniger heit zum bewaffneten Kampf gegen die Sowjetmacht schwer Verwundete, es selbstverständlich tun – nimmt geben muss. Nicht nur, um der deutschen Wehrmacht er seinen Dienst als Chef des Stabes im Allgemeinen die notwendigen Verbündeten an der Ostfront zu Heeresamt auf. Leiter dieser wichtigen Dienststelle ist schaffen, sondern aus der Erkenntnis heraus, dass der General Olbricht, wie Oster aus Leipzig stammend und Krieg gegen die Sowjetunion nicht gewonnen werden durch diesen in den Kreis der Verschwörer gebracht. kann, wenn man die unterdrückten Völker selbst unter- drückt, statt sie als Partner zu behandeln. Unmittelbar zuvor hat in der Wohnung General Ol- Anfang 1943 wird Stauffenberg aus seiner Stabsarbeit brichts eine wichtige Besprechung stattgefunden, die zur Truppe versetzt – als I a, Erster Generalstabsoffi- Dr. Goerdeler später als die Geburtsstunde des Staats- zier der 10. Panzerdivision in Nordafrika, die den streiches vom 20. Juli des nächsten Jahres bezeichnet. Rückzug des Deutschen Afrikakorps in den Brücken- Teilnehmer sind der ehemalige Generalstabschef Lud- kopf Tunis zu decken hat, der bereits von allen Seiten wig Beck als Oberhaupt der Verschwörer und zukünf- durch die weit überlegenen alliierten Streitkräfte ein- tiger «Reichsverweser»; Dr. Carl Goerdeler, der ehe- geschlossen ist. malige Leipziger Oberbürgermeister und Reichspreis- Hier wird Stauffenberg am 7. April 1943 schwer ver- kommissar Hitlers, als Führer der Zivilisten in der wundet. Er verliert ein Auge, den rechten Arm und Opposition und zukünftiger Reichskanzler; der Gast- zwei Finger der linken Hand. Im Lazarett von Kar- geber General der Infanterie Friedrich Olbricht – und thago scheint es zunächst, als sei sein Leben nicht mehr der Generalfeldmarschall Hans-Günther von Kluge, zu retten. Und doch schreibt er bereits Ende April an noch immer Oberbefehlshaber der stärksten und wich- General Olbricht in Berlin, er hoffe, in einem Vierteljahr tigsten deutschen Streitmacht, der Heeresgruppe Mitte wieder zur Verfügung zu stehen. an der Ostfront. Und Stauffenberg schafft es. Im August bereits ist er zu Kluge scheint endgültig zur Einsicht gelangt, dass unter geheimen Besprechungen mit den Führern der Ver- Führung Hitlers der Krieg nur noch verloren werden

Der militärische Sachverständige, Professor Dr. Schramm:

« ... es gab keine Möglichkeiten, die dem Krieg eine an- dere Wendung hätten geben können ...... der Ausgang des Krieges kann weder durch Sabotage noch durch Verrat erklärt werden ...... die militärische Lage war an den Fronten so bedrohlich, z.T. bereits so katastrophal, dass der Krieg am 20. Juli be- reits als endgültig verloren angesehen werden musste ...... das Heer war ausgebrannt, die Wehrwirtschaft trat in einen Schrumpfungsprozess ein, die Treibstofflage drohte die Wehrmacht schliesslich zum Stehen zu bringen; ausser- politische Möglichkeiten gab es nicht mehr, solange Hitler selbst noch führte. Wie man die Dinge auch wendet, von welcher Ebene aus, aus welchem Sektor heraus man auch den Krieg betrachten mag: der Krieg war am 20. Juli verloren. Die Schlusskata- strophe war gewiss ...»

Abb. rechts: Einweihung der Graf Stauffenberg Kaserne in einen Aufruf an die Bundeswehr, in dem es unter anderem Sigmaringen. Anlässlich der 15. Wiederkehr des 20. Juli er- heisst: «Die Tat des 20. Juli – eine Tat gegen das Unrecht liess der damals höchste deutsche Soldat, General Heusinger, und gegen die Unfreiheit – ist ein Lichtpunkt in der dun- kelsten Zeit Deutschlands»

505 Widerstand im Krieg kann. Die letzte deutsche Grossoffensive – das Unter- und Wehrmacht sich gegen die Verschwörer wenden. nehmen «Zitadelle» im Raum Kursk-Orel – ist gleich Goerdeler ist gegen ein Attentat. Man muss Hitler im Anfangsstadium gescheitert, seitdem geht es fast davon überzeugen, dass er zurücktreten muss. Er selbst unaufhaltsam zurück, von der Krim bis Smolensk. hat ja früher schon mehrfach die Erfahrung gemacht, Erstmals zeichnet sich die Gefahr ab, dass die Sowjets dass man mit Hitler sprechen kann, wenn man nur bis zur Reichsgrenze vordringen könnten. gute Argumente hat. Die Alliierten sind in Italien gelandet, Mussolini ist Kluge schüttelt über diese Naivität den Kopf. Er be- gestürzt, der neue italienische Regierungschef Badoglio steht auf dem Attentat und auf der gleichzeitigen Aus- verhandelt bereits mit den Alliierten über die italieni- schaltung Himmlers und Görings. Diese beiden wären sche Kriegserklärung an Deutschland; in der Heimat in der Lage, mit den ihnen treu ergebenen Truppen nehmen die anglo-amerikanischen Luftangriffe immer der Waffen-SS und der Luftwaffe gegen die putschende mehr zu. Wehrmacht vorzugehen – und dann wäre, von einer Kluge berichtet, dass selbst die beiden ihm unterstellten Welt von Feinden umgeben, der Bürgerkrieg da. Das höchsten Kommandeure der Waffen-SS, Sepp Dietrich aber wäre das sichere Ende Deutschlands. und Paul Hausser, «mitgehen» würden. Goerdeler gibt nach, sagt aber, dann müssten eben die Selbst bei diesen verlässlichsten Anhängern Hitlers sei militärischen Führer, die es durch Mangel an Offenheit die Ausweglosigkeit der Lage ins Bewusstsein gedrun- und Mut gegenüber Hitler erst soweit haben kommen gen. lassen, tun, was sie für richtig hielten. Die Militärs Kluge hat nur eine Sorge – selbst ein Staatsstreich seien also dann dafür verantwortlich, den richtigen hilft gar nichts, wenn die Alliierten keinen Frieden Weg zur Rettung Deutschlands zu finden. wollen und auf der bedingungslosen Kapitulation Olbricht erklärt dem Marschall, wie weit die von ihm Deutschlands bestehen. Er bittet Goerdeler, ihm dazu nach dem erzwungenen Ausscheiden Osters zum Teil seine Auffassung darzulegen. Er, Kluge, ist der Mei- neu aufgenommenen organisatorischen Vorbereitungen nung, dass es den Engländern und Amerikanern keines- für den Staatsstreich gediehen sind. Alle Pläne basie- wegs um einen Kampf gegen den «Nazismus» geht, ren aber darauf, dass sofort nach dem Attentat einer sondern ebenso wie im Ersten Weltkrieg um die Ver- der Frontbefehlshaber das Zeichen dafür gibt, sich der nichtung Deutschlands als europäische Grossmacht. neuen Regierung zu unterstellen. Dann könne das Hei- Goerdeler bestreitet das. Die Engländer und Amerika- matheer in Aktion treten, dann sei auch durch die ner würden mit einem anderen als dem Hitler-Deutsch- beiden Militärbefehlshaber Falkenhausen und Stülp- land Frieden schliessen, zumal sie wüssten, dass nagel der Staatsstreich im Westen gesichert. Marschall Deutschland der letzte Damm gegen das Vordringen des von Kluge soll sofort nach dem Staatsstreich Oberbe- Bolschewismus sei. Goerdeler berichtet über seine letz- fehlshaber der Wehrmacht werden, ihm, dem bekannten ten Gespräche im Ausland, von seinen Verhandlungen und bewährten Frontbefehlshaber, wird die Wehrmacht etwa mit dem schwedischen Bankier und Politiker Wal- gehorchen. lenberg, und stellt Kluge das Ergebnis der Verhand- Kluge erklärt sich mit allem einverstanden, verlangt lungen so dar, als besässe er Garantien dafür, dass die rascheste Vorbereitung und baldige Durchführung von Westmächte mit einer neuen deutschen Regierung Frie- Attentat und Staatsstreich und kehrt an die Front zu- den schlössen. rück. Er weist den Marschall noch darauf hin, dass er, Goer- Kurz darauf wird der Oberst Stauffenberg Olbrichts deler, ja vor allem die Engländer ganz genau kenne, Stabschef, und nur wenige Tage danach, am 12. Okto- ihre Geschichte, ihre Interessen, ihre Politik, ihre ber 1943, verunglückt der Generalfeldmarschall von Methoden; und er habe noch jetzt beste persönliche Kluge bei einer Frontfahrt schwer und fällt für lange Beziehungen zu den britischen Politikern verschiedener Zeit aus – die Verschwörer sind wieder ohne aktive Parteirichtungen. Nein, Sorgen um einen Friedens- Truppen, ohne einen Frontbefehlshaber, der wirklich schluss brauche sich Kluge nicht zu machen – nur dar- mit seinen Truppen die Macht übernehmen könnte. So um, wie man nun endlich die neue Regierung zustande- greift man wieder auf den pensionierten Marschall von brächte, mit der die Alliierten diesen Frieden schliessen Witzleben zurück, der zwar keine Truppen zur Ver- könnten. fügung hat, dem man aber doch zutraut, dass er noch Kluge gibt daraufhin seine Bedenken auf und erklärt, genügend Autorität besitzt, um andere Truppenführer dann müsse Hitler beseitigt werden. Er fordert, wie zu überzeugen. schon viele Jahre zuvor der inzwischen abgesetzte Indes bricht der neue Stabschef des Allgemeinen Generalstabschef Halder, ein Attentat, und zwar ein Heeresamtes wie ein Orkan in die ruhigen Gewässer solches, das als Unfall getarnt ist, damit nicht Volk des Verschwörerzentrums ein. So lange Jahre weiss er

506 Stauffenberg greift ein schon, dass es eine Opposition gibt, hat stets darauf ge- Deutschland – dessen Befehlshaber Generaloberst wartet, dass etwas unternommen werde, aber nichts ist Fritz Fromm ist – kann er selbst in echter oder vor- in all der Zeit geschehen, Nun gut, dann wird er jetzt geblicher Vertretung des Befehlshabers zumindest für die Zügel übernehmen, nun, da er dem Zentrum der einige entscheidende Stunden Befehle herausgeben und Verschwörung ebenso wie dem Zentrum der noch herr- das gesamte Ersatzheer, die militärische Macht inner- schenden Macht durch seine neue Aufgabe so nahe ge- halb Deutschlands, nach seinem Willen dirigieren. kommen ist. So ist der Oberst Graf von Stauffenberg binnen weni- Stauffenberg steht zunächst ganz allein. Er gehört zu ger Wochen von einem weit am Rande der Opposition keiner der vielen Gruppen und Kreise, wenn er auch stehenden unbekannten «kleinen» Offizier plötzlich den Gedanken von Graf Moltkes «Kreisauern» nahe- zum wichtigsten Mann des deutschen Widerstandes kommt. Aber er lehnt sowohl die reaktionären Gedan- geworden, ohne den jede weitere Arbeit undenkbar kengänge der Konservativen und Monarchisten ab wie scheint. den mit faschistischen Gedankengängen durchsetzten Zugleich mit der generalstabsmässigen Leitung des bürgerlichen Liberalismus Goerdelers. Und selbst von Staatsstreiches will Stauffenberg aber noch etwas an- den befreundeten Kreisauern unterscheidet ihn das, deres tun – er will auch das Attentat auf Hitler selbst was ihn zugleich von allen grundsätzlich unterscheidet: durchführen. Nach den vielen vergeblichen Versuchen Es muss gehandelt werden, nicht nur geredet und ge- traut er niemandem mehr ausser sich selbst Erfolg dabei redet. Wenn niemand handelt, dann wird er, Stauffen- zu. Eben hat General Stieff noch einmal anlässlich einer berg, eben allein handeln. Lagebesprechung ein Attentat durchführen wollen, Dieser Gedanke Stauffenbergs, allein zu handeln, ist aber er ist unverrichteter Dinge zurückgekehrt und hat nicht nur aus der Enttäuschung über das bisherige erklärt, er habe sich zu sehr beobachtet gefühlt. Scheitern aller wirksamen Aktionen geboren, sondern Stauffenberg möchte nun, um endlich die Gewissheit gerade auch aus seinem Gegensatz zu der «Revolution des Erfolges zu haben, alles allein machen. Vor allem der Greise», wie er das Bemühen der Goerdeler, Beck, kann er jetzt in seiner neuen Stellung an Hitlers Lage- Popitz oder Witzleben verächtlich nennt. besprechung im Führerhauptquartier teilnehmen und Stauffenberg ist es, der Verbindung mit den führenden hat so, als einer von wenigen überhaupt, Gelegenheit, Sozialdemokraten und Gewerkschaftlern aufnimmt, direkt an Hitler heranzukommen. mit Julius Leber, Wilhelm Leuschner und anderen. Andererseits ist es für ihn besonders schwierig, ein Währenddessen wird in der bisherigen Führung der Attentat zu unternehmen. Schliesslich hat er nur noch Opposition noch wie in seligen Weimarer Zeiten um ein Auge und ist nicht mehr in der Lage, räumlich zu die Verteilung der Ministerposten diskutiert. Dieser sehen. Vor allem aber hat er nur noch einen Arm, den vorgesehene Minister ist deutsch-national, also muss linken, und an dem auch nur noch drei Finger. Eine jener Zentrumsmann und der dritte liberal sein. Der Pistole zielsicher abzufeuern ist ihm zum Beispiel ganz Minister ist katholisch, dann muss man unbedingt einen unmöglich. Und noch wichtiger – wenn er das Atten- Staatssekretärsposten für einen evangelischen Vertreter tat selbst unternimmt, wer leitet dann den Staats- schaffen. Die Katholiken Jakob Kaiser und Joseph streich? Die anderen haben bisher alle nicht entschieden Wirmer bestehen darauf, dass der Innenminister katho- genug gehandelt. Sie könnten es, meint Stauffenberg, lisch sein muss. auch diesmal tun. Stauffenberg schaltet sich ein und fordert den Posten des Innenministers für den Sozialdemokraten Julius Dabei drängt die Kriegslage von Tag zu Tag mehr zur Leber. Gerade der Innenminister darf kein «Reaktio- Entscheidung, zur Tat. Am 6. Juni landen die Alliier- när» sein. Und Stauffenberg kann sich ein solches ulti- ten mit der grössten Flotte, die die Weltgeschichte je matives Auftreten schon bald leisten, denn er hat nun gesehen hat, an der Küste der Normandie. Die längst die gesamte organisatorische Arbeit übernommen, ohne befürchtete Invasion ist Wirklichkeit geworden. Bei ihn gibt es kein Attentat, ohne ihn keinen durchführ- dem ungleichen Kräfteverhältnis kann kein Zweifel baren Plan für den Staatsstreich, ohne ihn nicht die darüber bestehen, wie der Kampf in der Normandie funktionierende Verbindung zur Front und zu Frank- ausgehen wird. Vor allem die deutsche Luftwaffe kann reich und Belgien. dem Gegner nichts mehr entgegensetzen. Wenn die Ver- Das gilt erst recht, nachdem Stauffenberg zum Chef schwörer nicht endlich handeln, dann ist es für immer des Stabes beim Befehlshaber des Ersatzheeres ernannt zu spät. wird – nun sitzt er selbst in einer entscheidenden Stauffenberg hat die Männer in den am Tag X ent- Machtposition, in Deutschland, in Berlin, im Zentrum scheidenden Positionen zusammengebracht und alle allen Geschehens. Als Stabschef des Ersatzheeres in Pläne mit ihnen abgestimmt. Dies sind einige von ihnen:

507

Widerstand im Krieg

Generalmajor Stieff, der «jüngste und kleinste Gene- Oberst Freiherr von Roenne, Leiter der Abteilung ral der Wehrmacht», Chef der Organisationsabteilung «Fremde Heere West» im Generalstab, er ist als erster des Heeres; General Paul von Hase,Stadtkommandant über die Reaktion der Westalliierten auf den Staats- von Berlin, der für die Besetzung aller wichtigen streich und über die Truppenbewegungen des Gegners Punkte der Reichshauptstadt und für die Verhaftung an der Westfront informiert; Wehrkreisbefehlshaber in der führenden Nazis sorgen wird; General Erich Fell- Deutschland, Truppenoffiziere und Beamte verschiede- giebel, Chef des gesamten Nachrichtenwesens der ner wichtiger militärischer Dienststellen gehören dazu. deutschen Wehrmacht, er wird nach dem Attentat das Und noch einer hat sich der Verschwörung angeschlos- Führerhauptquartier von jeder Nachrichtenverbindung sen, von dem selbst der Oberst Stauffenberg noch nichts zur Aussenwelt abschneiden und für das Funktionieren ahnt – der jüngste und populärste deutsche General- der Nachrichtenwege der Verschwörer Sorge tragen; feldmarschall, den selbst der Gegner fürchtet und zu- General Eduard Wagner, Erster Generalquartiermeister gleich achtet: Erwin Rommel, der «Wüstenfuchs», wie des Heeres, in der gleichen wichtigen Funktion, die ihn seine britischen Gegner auf dem nordafrikanischen Ludendorff im Ersten Weltkrieg eingenommen hat; Kriegsschauplatz getauft haben.

Rommels Ultimatum mandie nicht, mehr zugeführt werden. Auf der Feindseite fliessen Tag für Tag neue Kräfte und Mengen an Kriegs- (Feldmarschall Rommels historisches Blitzfernschreiben am material der Front zu. Der feindliche Nachschub wird von 15. Juli 1944 von der Invasionsfront an Hitler im Wortlaut.) unserer eigenen Luftwaffe nicht gestört. Der feindliche Druck wird immer stärker. Die Lage an der Front der Normandie wird von Tag zu Unter diesen Umständen muss damit gerechnet werden, dass Tag schwieriger, sie nähert sich einer schweren Krise. es dem Feind in absehbarer Zeit – 14 Tagen bis drei Die eigenen Verluste sind bei der Härte der Kämpfe, dem Wochen – gelingt, die eigene dünne Front, vor allem bei aussergewöhnlich starken Materialeinsatz des Gegners vor der 7. Armee zu durchbrechen und in die Weite des fran- allem an Artillerie und Panzern und bei der Wirkung der zösischen Raumes zu stossen. Die Folgen werden unüberseh- den Kampfraum unumschränkt beherrschenden feindlichen bar sein. Luftwaffe derartig hoch, dass die Kampfkraft der Divisio- Die Truppe kämpft allerorts heldenmütig, jedoch der un- nen rasch absinkt. Ersatz aus der Heimat kommt nur sehr gleiche Kampf neigt dem Ende entgegen. Ich muss Sie bit- spärlich und erreicht bei der schwierigen Transportlage die ten, die Folgerungen aus dieser Lage unverzüglich zu zie- Front erst nach Wochen. Rund 97’000 Mann an Verlusten, hen. Ich fühle mich verpflichtet, als Oberbefehlshaber der darunter 2‘360 Offiziere, unter ihnen 28 Generale und 854 Heeresgruppe dies klar auszusprechen ... Kommandeure, also durchschnittlich pro Tag 2‘500 bis 3’000 Rommel, Feldmarschall Mann, stehen bis jetzt insgesamt 6’000 Mann Ersatz gegen- über. Auch die materiellen Verluste der eingesetzten Trup- pen sind ausserordentlich hoch und konnten bisher nur in geringem Umfang ersetzt werden, z.B. von rund 225 Panzern bisher nur 17. Die neuzugeführten Divisionen sind kampfungewohnt und bei der geringen Ausstattung mit Artillerie, panzerbrechen- Humanitäre Sabotage den Waffen und Panzerbekämpfungsmitteln nicht imstande, feindliche Grossangriffe nach mehrstündigem Trommelfeuer Der Vorwurf der Feindbegünstigung und des Landesver- und starken Bombenangriffen auf die Dauer erfolgreich rats erübrigte sich für die Verschwörer vollends, wenn ihre abzuwehren. Wie die Kämpfe gezeigt haben, wird bei dem Sabotage gegen Befehle des Regimes gerichtet war, die feindlichen Materialeinsatz auch die tapferste Truppe den Horizont des Freund!Feind-Verhältnisses im Krieg Stück für Stück zerschlagen. Die Nachschubverhältnisse eindeutig überstiegen und oberhalb der Nationalität die Hu- sind durch die Zerstörungen des Bahnnetzes, die starke manität verletzten. Gefährdung der Strassen und Wege bis zu 150 km hinter Das bekannteste Beispiel für die Nichtausführung eines der Front durch die feindliche Luftwaffe derart schwierig, Führerbefehls, gegen den sich das soldatische und christliche dass nur das Allernötigste herangebracht werden kann und Gewissen der Militärverschwörer empörte, war die Sabo- vor allem mit Artillerie- und Werfermunition überall äusserst tage des Kommissarbefehls. Hitler hatte 1941 angeordnet, gespart werden muss. alle in Gefangenschaft geratenen Kommissare und Politruks Neue nennenswerte Kräfte können der Front in der Nor- der Roten Armee dem SD (SS-Sicherheitsdienst) zur Liquidie- rung zu übergeben oder an Ort und Stelle zu erschiessen.

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Rommels Ultimatum

Rommel ist nicht durch die führende Gruppe der Ver- Nach Frankreich zurückgekehrt, wo Rommel die Hee- schwörer in Berlin «angeworben» worden. Niemand resgruppe B befehligt, der auch der «Atlantikwall» un- hat je mit ihm nur einmal so gesprochen, wie es so oft tersteht, fordert Rommel seinen schwäbischen Lands- mit Marschall Kluge geschehen ist. Rommels Freund mann General Dr. Hans Speidel als Stabschef an. Dr. Karl Strölin ist es, der Rommel zuerst von der Auch Speidel, der nach dem Krieg hohe Kommando- Notwendigkeit des Widerstandes und eines aktiven stellen der NATO befehligen wird, gehört zu den Handelns gegen Hitler überzeugt. Hitlergegnern, ohne direkte Beziehungen zu den füh- Strölin, selbst wie viele andere der Verschwörer einst renden Leuten in Berlin zu haben. Anhänger Hitlers und Nationalsozialist, ist der Ober- Speidel aber ist es, der schliesslich die Verbindung bürgermeister der schwäbischen Landeshauptstadt zwischen dem längst zu den Verschwörern gehörenden Stuttgart. Während eines Urlaubs von Rommel spricht Militärbefehlshaber von Frankreich, General Heinrich Strölin mit seinem Freund in dessen Haus in Herrlin- von Stülpnagel, und Rommel herstellt. Damit ist gen bei Ulm – Goerdeler, der «Chef der Zivilisten», faktisch Westeuropa für die Verschwörer sicher, selbst ist als einziger über dieses Gespräch informiert. wenn in Deutschland bei dem Staatsstreich etwas

« ... Kommissarbefehl: v. Kluge schickte Oberst v. Gersdorff mit einer Protestbot- Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare vom schaft für Brauchitsch nach Berlin zu General Müller (z.B. V. 6. Juni 1941. beim OKH, v. Brauchitsch unmittelbar unterstellt). Geheime Kommandosache! Müller: «– meint Ihr, wir schlafen: Brauchitsch ist wegen Chefsache! dieser Befehle dreimal beim Führer gewesen. Beim letzten- Nur durch Offiziere! mal hat ihm Hitler ein Tintenfass nachgeschmissen. Er geht Im Kampf gegen den Bolschewismus ist mit einem Ver- da nicht mehr hin.» halten des Feindes nach den Grundsätzen der Menschlich- Eine Welle der Empörung durchlief damals das höhere keit oder des Völkerrechts nicht zu rechnen. Insbesondere Offizierskorps. Bis dahin hatte das Heer korrekt die Gen- ist von den politischen Kommissaren aller Art als den ei- fer Konvention eingehalten. Die Judenerschiessungen der gentlichen Trägern des Widerstandes eine hasserfüllte, grau- SS-Sonderkommandos wurden innerhalb Deutschlands same und unmenschliche Behandlung unserer Gefangenen streng verheimlicht, insbesondere auch vor den Offizieren zu erwarten. des Heeres, der Luftwaffe und der Marine, die ihrerseits, Die Truppe muss sich bewusst sein: wenn Gerüchte durchdrangen, entweder nicht daran glaub- 1. In diesem Kampf ist Schonung und völkerrechtliche ten oder einfach nicht daran glauben wollten und sich hin- Rücksichtnahme diesen Elementen gegenüber falsch. Sie ter offiziellem Nicht-Wissen und korporativem Nicht-Be- sind eine Gefahr für die eigene Sicherheit und die schnelle teiligtsein verschanzten. Befriedung der eroberten Gebiete. Hingegen war der Kommissarbefehl, an das Heer erteilt, 2. Die Urheber barbarisch asiatischer Kampfmethoden sind ein erster Präzedenzfall, der auch die Armee an «Ver- die politischen Kommissare. Gegen diese muss daher sofort brechen» direkt beteiligen sollte. Ein Jahr später folgte und ohne Weiteres mit aller Schärfe vorgegangen werden. der sogenannte «Kommandobefehl» (mit der Anordnung, Sie sind daher, wenn im Kampf oder Widerstand ergriffen, alliierte Angehörige sogenannter «Kommandounterneh- grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen. Im Übrigen men» bei Gefangennahme sofort zu erschiessen) und ein gelten folgende Bestimmungen:... « «Befehl für die Bandenbekämpfung», der die Truppe be- Ausdrücklich drohte Hitler jedem Offizier mit Kriegs- rechtigen sollte, selbst Frauen und Kinder zu erschiessen, gericht, der den Kommissarbefehl nicht durchführen oder «jedes Mittel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg führt». es versäumen würde, die Truppe entsprechend zu belehren. In den Begründungen dieser Befehle berief sich Hitler auf Dennoch ist der Kommissarbefehl durch Obstruktion mili- ähnliche Methoden der slawischen, asiatischen und später tärischer Dienststellen nicht einmal überall bekannt ge- auch westalliierten Feindseite. Er verlangte rücksichtslose worden. Gegen den Befehl wurde protestiert, er wurde Härte, «Vermeidung jeder falschen Ritterlichkeit und blin- ignoriert, sabotiert, aber nicht offen verweigert, v. Tresk- den Gehorsam für seine Befehle, ganz gleich, ob man diese kow, Stabschef der Heeresgruppe Mitte, bedrängte seinen gutheisse oder nicht. Immer wieder betonte er, dass der Kampf Oberbefehlshaber v. Bock: zweier Weltanschauungen neue Begriffe der Kriegführung er- «– ich habe Gespräche mit Rundstedt und Leeb angemeldet. fordere. Ihr drei müsst heute vor Hitler stehen. Wir kündigen ihm den Hitlers Berufung auf Praktiken der Gegenseite wurde von den Gehorsam, weil er uns Verbrechen zumutet.» v. Kluge: «– Verschwörern nicht einmal in Erwägung gezogen, ihr huma- dann schmeisst er uns raus!» nitärer Widerstand war autonom. v. Tresckow: «– dann habt Ihr wenigstens einen anständigen (Aus: Dieter Ehlers, Technik und Moral einer Verschwörung) Abgang gehabt.»

509 Widerstand im Krieg

«schiefgehen» sollte, kann man die Truppen der West- schicht als Protektionskind Hitlers, als gläubiger Natio- front als Druckmittel gegen Hitler einsetzen. nalsozialist. Schliesslich ist Rommel als Verbindungs- So wird im Westen sogar unabhängig von Berlin zwei- offizier Vertreter der Hitlerjugend-Führung bei der mal versucht, den Staatsstreich in Gang zu bringen, Wehrmacht gewesen, dann Kommandeur des «Führer- allerdings nicht durch ein Attentat, sondern durch die Begleitbataillons», um dann in einer unwahrscheinlich Verhaftung Hitlers. Rommel ist ein entschiedener Geg- kurzen Karriere bis zum jüngsten Marschall nicht nur ner der Ermordung Hitlers, weil er die psychologischen Deutschlands, sondern der Welt aufzusteigen. Folgen eines Mordes befürchtet: Das Volk und die Andere aber wissen um Rommels Charakter, um seine Soldaten werden für die unausweichliche Niederlage aufrechte Haltung, um sein militärisches Können und die Verschwörer verantwortlich machen, Hitler wird um seine Einsicht in die wirkliche Lage, die ihn schon dann erst recht zum Helden der Nation, einer Dolch- längst in einen Gegensatz zu Hitler gebracht hat. Und stosslegende wird damit Tür und Tor geöffnet. Nein, sie wissen vor allem eins – dass Rommel, und nur Rom- Hitler soll sich vor einem Gericht verantworten, damit mel, auf Grund seiner Popularität auch die jüngeren, die das ganze Volk erkennt, dass es Hitler ist, der die nationalsozialistischen Frontoffiziere mitreissen kann. bevorstehende Katastrophe heraufbeschworen hat. Aber trotz zweier Besuche im Westen entgeht Hitler Ausgerechnet da wird Rommel – die Invasion ist auch diesen Anschlägen. Er wird nicht verhaftet, weil schon im Gang – schwer verwundet und fällt für beim ersten Male Rommel noch versucht, Hitler selbst lange Zeit aus. Eben hat er noch von den ihm unter- von der Notwendigkeit zu überzeugen, mit dem Krieg gebenen Frontkommandeuren – Generaloberst von zumindest im Westen Schluss zu machen, und weil er Salmuth, Oberbefehlshaber der 15. Armee; General- beim zweiten Male überraschend verschwindet, ohne oberst Dollman, Oberbefehlshaber der 7. Armee; Ge- die Besprechung zu Ende zu führen – eine verirrte V1- neral der Panzertruppen Geyr von Schweppenburg, Bombe ist in der Nähe seines Quartiers niedergegangen. Oberbefehlshaber der Panzergruppe West – die Zu- sicherung erhalten, sie würden seine Befehle auch dann Die bisherige Aktivität im Stab des Militärbefehls- befolgen, wenn sie in Widersprüchen zu Befehlen des habers verlagert sich in einer extrem kurzen Zeitspanne Führers stünden. zum Hauptquartier Marschall Rommels in La Roche- Nun ist Rommel für lange Zeit, wenn nicht für immer, Guyon. General Dr. Speidel schreibt darüber nach ausgefallen. Alle Hoffnung im Westen konzentriert sich dem Krieg: «Beinahe täglich kamen führende Persön- nun wieder auf Kluge, der ja schon viel länger als lichkeiten aus dem Reich, um sich in der Oase des Rommel Mitwisser der Verschwörung ist und mehr als Rommelschen Stabes, fern von den Fängen der Ge- einmal feste Zusagen gemacht hat. stapo, auszusprechen und Wege zu einer Rettung aus Inzwischen hat die Berliner Führungsgruppe sich nahe- der immer hoffnungsloser werdenden Lage zu suchen. zu endgültig auf die Zusammensetzung der neuen Unter ihnen waren Reichsminister Dr. Dorpmüller und Reichsregierung geeinigt. Für einige der Regierungs- der Hamburger Gauleiter Kauffmann ...» funktionen gibt es Alternativvorschläge, die bis zum Rommels Vorgesetzter, der Oberbefehlshaber West, 20. Juli, dem Tag des endlich durchgeführten Staats- Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt, ist eben streiches nicht mehr entschieden werden. Dies ist die abgelöst worden durch den von seinen Verletzungen letzte Aufstellung der Regierung, die nach der Ermor- genesenen Generalfeldmarschall Hans-Günther von dung Hitlers, nach dem Ende des Dritten Reiches, die Kluge. Nun, so meinen die Verschwörer, hat man Geschicke Deutschlands lenken soll: lauter zuverlässige Leute im Westen; neben den Mili- tärbefehlshabern Falkenhausen und Stülpnagel – dazu Reichspräsident oder Reichs Verweser: noch der längst zur Opposition gehörende Komman- Generaloberst Ludwig Beck (auch Generalfeldmar- dant von Paris, Freiherr von Boineburg-Lengsfeld – schall von Witzleben und Generalfeldmarschall Rom- und dem neugewonnenen Rommel auch den Ende 1943 mel sind dafür vorgeschlagen worden); nach vielen vorangegangenen Versuchen nun festver- pflichteten Kluge. Reichskanzler: Rommel wird in den Führungskreisen schon als neuer Dr. Carl Goerdeler (oder Dr. Julius Leber, von Stauffen- Oberbefehlshaber der Wehrmacht diskutiert. Ohne berg dazu vorgeschlagen); Zweifel ist er für die Verschwörung wichtiger als der pensionierte Marschall von Witzleben. Zwar gibt es Vizekanzler: auch gegenüber Rommel manche Bedenken. Rommel Wilhelm Leuschner (von Stauffenberg dazu vorgeschla- gilt den volksfremden Konservativen in der Führungs- gen);

510 Himmler soll dabeisein

Staatssekretär der Reichskanzlei: nicht gefährdet ist und sofort danach wieder in Berlin Peter Graf Yorck von Wartenburg (Kreisauer Kreis); ist und den Putsch leiten kann. Lediglich für die kurze Zeitspanne zwischen Attentat und Rückkehr nach Ber- Oberbefehlshaber der deutschen Wehrmacht: lin muss er anderen ganz bestimmte konkrete Aufträge Generalfeldmarschall Erwin Rommel (nach seinem geben, um während dieser für ihn zwangsläufig passi- Ausscheiden durch die schwere Verwundung ist wieder, ven Periode die ersten Massnahmen zum Staatsstreich wie schon zuvor, Generalfeldmarschall von Witzleben anlaufen zu lassen. vorgesehen, auch General Olbricht steht noch zur Am 8. Juni, zwei Tage nach dem Beginn der alliierten Wahl); Invasion an der Normandie-Küste, hat Stauffenberg in seiner neuen Eigenschaft als Stabschef des Ersatz- Innenministerium: heeres erstmals an einer Lagebesprechung im Führer- Dr. Julius Leber (von Stauffenberg vorgeschlagen); hauptquartier teilgenommen. Dabei ist er Hitler vor- gestellt worden und hat mit Befriedigung festgestellt, Justizminister: dass Hitler ihn nicht durch seine Persönlichkeit fesselt, Dr. Joseph Wirmer, katholisches Zentrum; wie das anderen potentiellen Attentätern, Politikern und selbst hervorragenden ausländischen Staatsmän- Wirtschaftsminister: nern oder berühmten Militärs ergangen ist, für die Dr. Paul Lejeune-Jung; alle stellvertretend der Oberbefehlshaber der deutschen Finanzminister: Kriegsmarine, Grossadmiral Karl Dönitz, gesagt hat: Dr. Ewald Löser; «Wenn ich beim Führer war, komme ich mir immer vor wie ein ganz kleines Würstchen!» oder wie der britische Arbeitsminister: Weltkriegspremier Lloyd George: «Ja, auch ich sage Bernhard Letterhaus; ,Heil Hitler!‘, denn das ist ein wirklich grosser Mann!» Stauffenberg empfindet angesichts Hitlers nichts Der- Kultusminister: artiges, auch keinen «bannenden Blich», der schon zwei Dr. Kurt Edler von Schuschnigg (der frühere Bundes- Attentäter so verwirrt hat, dass sie das Attentat nicht kanzler Österreichs); auch der preussische Finanzminis- mehr wagten. ter Dr. Popitz und der württembergische Staatspräsident Drei Tage später, bei der nächsten Lagebesprechung, a. D. Dr. Eugen Bolz sind dafür vorgesehen; zu der Stauffenberg zum Berghof in Berchtesgaden be- fohlen ist, bringt der Stabschef des Ersatzheeres in sei- Aussenminister: ner Aktentasche bereits eine der britischen Spreng- Botschafter a. D. Ulrich von Hassell (oder der frühere ladungen mit, die zwischen den für die Lagebespre- Moskauer Botschafter Werner Graf von der Schulen- chung vorgesehenen Dienstpapieren liegt. In Berlin burg); warten die anderen Verschwörer auf die Nachricht vom erfolgten Attentat. Verkehrsminister: Doch zur vorgesehenen Zeit kommt aus Berchtesgaden Mathäus Herrmann (oder Dr. Rabe); ein Anruf Stauffenbergs bei Olbricht in Berlin an. In vorsichtig formulierten, verschlüsselten Worten teilt Volkserziehung und Propaganda: Stauffenberg mit, dass Himmler nicht wie vorgesehen Dr. Theo Haubach. an der Lagebesprechung teilnimmt und dass er deshalb die Zeitzünderbombe in seiner Aktentasche nicht ge- Nun sind nicht nur durch Stauffenbergs Fortsetzung zündet habe. und Erweiterung der Osterschen Organisationsarbeit Himmler aber soll dabei sein. Trotz der Versuche zu die Rollen für den Staatsstreich, sondern auch für die einer Kontaktaufnahme mit Himmler durch Popitz Zeit danach verteilt. Es fehlt nur noch das Zeichen für und Langbehn gilt Himmler noch immer den Ver- den gewaltsamen Umsturz – das Attentat – die Ermor- schwörern als Staatsfeind Nummer zwei. Auf jeden dung Hitlers. Fall wäre Himmler nach Hitlers Ermordung der ge- Oberst Graf von Stauffenberg hat sich nach dem letzten, fährlichste Feind. Die Reichswehrgeneralität hat sich fehlgeschlagenen Attentat General Stieffs endgültig schon damals, im Juni 1934, entscheidend verrechnet, dazu entschlossen, beides zu tun: Hitler zu ermorden als sie Hitler zur Liquidierung der revolutionären SA- und zugleich den Staatsstreich zu leiten. Den Plan Führung drängte und glaubte, damit die «Volksarmee»- dazu, wie beides zu erledigen ist, hat er längst fertig. Konkurrenz des SA-Stabschefs Röhm und somit jede Er wird das Attentat so durchführen, dass er selbst Konkurrenz ausschalten zu können.

511 Widerstand im Krieg

In Wirklichkeit aber hat der 30. Juni 1934 nur die besprechung bei Hitler teil. Diesmal scheint der Atten- Himmler und Heydrich, die SS an Stelle der SA nach täter und Organisator des Staatsstreiches mehr Glück oben gebracht. Spätestens während der Fritsch-Krise zu haben. Heute ist der Reichsführer SS, Chef der Deut- haben das die Wehrmachtführer eingesehen; deshalb schen Polizei und Reichsinnenminister bei der Lagebe- auch die erste Formierung der Opposition, deshalb die sprechung anwesend. ersten, wenn auch missglückten, Widerstandshandlun- Oberst Stauffenberg – oder sein Adjutant, Oberleut- gen. nant Werner von Haeffen, das ist bis heute noch nicht Mittlerweile hat Himmler als vierten Wehrmachtsteil geklärt, da alle Beteiligten nicht mehr leben – ruft aus seiner «SS-Verfügungstruppe» die Waffen-SS ge- sofort General Olbricht in Berlin an und teilt mit, dass bildet, zunächst eine reine Freiwilligenformation. Jetzt, gleich das Attentat durchgeführt werde. im Jahre 1944, gibt es auch schon Zwangseinberufun- Olbricht, als Chef des Allgemeinen Heeresamtes eben- gen zur Waffen-SS, und in ihren Reihen dienen eine so wie Stauffenberg selbst Vertreter des Generalober- grosse Anzahl ausländischer Verbände, die allerdings sten Fromm, löst sofort nach diesem Anruf den Putsch noch immer vorwiegend aus freiwilligen Kämpfern be- aus. Der Staatsstreich läuft unter dem Decknamen stehen. «Walküre». Hitler selbst hat diese Operation schon vor Da gibt es die französische Freiwilligen-Division einiger Zeit mit seiner Unterschrift genehmigt. Admiral «Charlemagne» (Karl der Grosse), die belgische Canaris als Befehlshaber der «Abwehr» hat damals Brigade «Wallonie», die dänisch-norwegische Division den «Plan Walküre» vorgelegt, der alle Massnahmen «Wiking», baltische Divisionen, Ukrainer, Ruthenen, enthält, die gegen einen möglichen Aufstand der Mil- Galizier, Serben und Kroaten und sogar eine «Indische lionen Fremdarbeiter in Deutschland zu treffen wären. Legion». Natürlich ist der «Plan Walküre» von vornherein nur Im Jahre 1944 sind Himmlers Heerscharen auf nahezu als Tarnmantel für den Staatsstreich gegen die Regie- eine Million Mann angewachsen, und darunter sind rung Hitler gedacht. Denn unter dem Vorwand einer mehr als ein Viertel Ausländer, Freiwillige im «Kampf vom Führer selbst genehmigten Operation kann das um die Einheit Europas». Mit dieser Streitmacht Heimatheer – dessen Stabschef Stauffenberg ist – Himmlers müssen die Verschwörer rechnen. Man muss alle wichtigen Dienststellen besetzen, Funktionäre ver- befürchten, dass die Waffen-SS ein Attentat auf Hitler haften, Rundfunksender und Zeitungsredaktionen und einen Putsch gegen das Dritte Reich niemals hin- übernehmen – die tatsächliche Macht ausüben. Aber nehmen wird – zumindest solange nicht, wie ihr dieser 15. Juli 1944 ist trotz Stauffenbergs Anruf und Oberbefehlshaber Heinrich Himmler lebt und im- trotz der sofort daraufhin von General Olbricht in stande ist, Befehle zu geben. «Unsere Ehre heisst Berlin ausgelösten Massnahmen zur Durchführung des Treue», lautet der Wahlspruch der Waffen-SS, der auf Plans «Walküre» noch immer nicht der grosse Tag der den Koppelschlössern ihrer Uniformen eingraviert ist, Entscheidung. wie das «Gott mit uns» auf den Koppelschlössern der Eben als General der Infanterie Olbricht in Berlin Soldaten der Wehrmacht. allen Beteiligten das Signal zum Staatsstreich gibt, das Gegen wen oder für wen dieses Motto «Unsere Ehre Unternehmen «Walküre» mit den ersten dafür von heisst Treue» gilt, das ist fraglich. Diese Treue kann Stauffenberg minutiös ausgearbeiteten Befehlen in Hitler oder Himmler persönlich gelten, aber auch dem Gang gesetzt hat, kommt aus dem Führerhauptquartier deutschen Vaterland, in letzter Zeit auch Europa, des- ein zweiter Anruf. sen Einheit gegen den «asiatischen Bolschewismus» Stauffenberg wollte nach dem ersten Anruf, der in durch die Propaganda von Tag zu Tag mehr beschworen Berlin die Aktion «Walküre» für den Staatsstreich aus- wird. gelöst hat, in die Lagebesprechung zurückkehren. Er Die Meinung des Marschalls Kluge vom vergangenen wagt es kaum zu glauben: Aus dem Lageraum strömen Jahr, dass die ihm an der Ostfront unterstellten SS- gerade in diesem Augenblick die Teilnehmer heraus, die Generale Dietrich und Hausser selbst gegen falsche Lagebesprechung ist zu Ende gegangen. In eben der Massnahmen Hitlers opponieren, scheint danach zu- kurzen Zeit, die Stauffenberg für das Telefongespräch mindest zwielichtig. Jetzt sind beide SS-Generaloberst, brauchte, hat Hitler die Lagebesprechung kurzerhand und beide sind an der Westfront wieder dem Marschall abgebrochen. Es wird wohl nie mehr zu klären sein, Kluge unterstellt. Und sie denken noch immer so wie ob Hitler abermals von seinem geradezu unheimlichen vor einem Jahr im Osten. Ihre Kritik an Hitlers Füh- Instinkt für Gefahren geleitet worden ist oder was rung ist sogar noch stärker geworden. sonst die Ursache für den noch nie dagewesenen abrup- Am 15. Juli 1944 nimmt Stauffenberg wieder mit sei- ten Abbruch einer eben erst begonnenen Lagebespre- ner sprengstoffgefüllten Aktentasche an einer Lage- chung gewesen ist.

512 Deutschland 1939-1945

«Totaler Krieg – Kürzester Krieg» steht als Parole hinter dem Rednerpult des Dr. Goebbels im Berliner Sportpalast. In seiner berühmt-berüchtigten Rede vom 18. Februar 1943, einer demagogischen Meisterleistung, schrie er in die aufge- wühlte Menge: «Ich frage euch: Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt noch vorstellen?» Wahre Beifallsorgien, frenetische Zustimmung einer Massenekstase waren die Antwort. Neben der rücksichtslos ausgeübten Macht der SS war die gekonnt gehandhabte Propaganda der nationalsozialistischen Führung eine Hauptstütze des Dritten Reiches. Dank ihr glaubten viele an Hitler, an die «Gerechtigkeit» seiner Ziele und an den «aufgezwungenen Verteidigungskrieg». Viele taten begeistert ihre Pflicht, viele erfüllten sie ohne Bedenken und viele flüchteten sich in diesen Pflichtbegriff, um ihr Gewissen zu beschwichtigen. Diejenigen aber, die den Propagandanebel durchschauten, die ihr Gewissen trotz aller Gefahren für sich und ihre Ange- hörigen nicht beschwichtigen konnten, fanden ihren Weg zum Widerstand. «Ihr Weg», schreibt Hannah Vogt, «war we- sentlich dorniger als der der Widerstandskämpfer in den von Deutschland besetzten Ländern. In Holland und Belgien, in Frankreich und Jugoslawien kämpften die Anhänger der ,Résistance' gegen die fremden Unterdrücker. Die Anteilnahme ihrer Landsleute war ihnen sicher, der Wunsch nach nationaler Unabhängigkeit war ein wesentlicher Beweggrund ihres Handelns. Für die deutschen Widerstandskämpfer gab es jedoch keine solchen Hilfen. Im Gegenteil, sie wandten sich gegen eine Herrschaft, die von einem nicht unbeträchtlichen Teil ihres eigenen Volkes gewollt war und weiter unterstützt wurde. Im Kriege mussten sie vollends damit rechnen, dass ihr Tun den meisten ihrer Landsleute als Landesverrat oder als schmähliche Untreue gegenüber dem eigenen Volk erscheinen würde. Das vermehrte die Gewissensnot oft ins Uner- trägliche.» Bild links: , jüdischer Herkunft, 1922 zum Katholizismus übergetretene Schülerin von Husserl und bedeutende Philosophin, trat 1933 in das Karmelitenkloster in Köln-Lindenthal ein. Schon frühzeitig erkannte sie in Hitler das Böse und warnte vor ihm. Ständig von der Furcht beherrscht, ihre jüdische Abstammung könne die Gemeinschaft des Klosters gefährden, übersiedelte sie 1938 nach Holland. Hier wurde sie am 2. August 1942 von der SS verhaftet. Als Nummer 44 074 wurde sie am 9. August 1942 im Konzentrationslager Auschwitz vergast.– Unten links: Pastor Friedrich von Bodelschwingh weigerte sich als Leiter der Anstalten von Bethel energisch und erfolg- reich, an der Durchführung des Euthanasie-Programms mitzuwirken, und rettete dadurch seine Kranken vor der Vernichtung. – Unten rechts: Pfarrer Paul Schneider, ein kompromissloser Bekenner seines Glaubens, trat von Anfang an dem Anspruch des Nationalsozialismus konsequent ent- gegen: «Ich glaube nicht, dass unsere evangelische Kirche um eine Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Staat herumkommen wird, dass es nicht einmal geraten ist, sie noch länger aufzuschieben, bei allem schuldigen, christ- lichen Gehorsam.» Mehrmals verhaftet, wurde er 1937 aus seiner Gemeinde Dickenschied ausgewiesen. Trotz dieser Ausweisung kehrte er zurück, wurde abermals verhaftet und ins Konzentrationslager Buchenwald eingeliefert. Gequält, gefoltert, geschlagen, aber ungebrochen verkündete er auch hier noch das Evangelium. Als man ihn entlassen wollte, unter der Bedingung, nicht mehr zu predigen und nicht in seine Gemeinde zurückzukehren, verweigerte er die EDITH STEIN Unterschrift. Körperlich zuschanden gerichtet, starb er am 18. Juli 1939 den Märtyrertod.

FRIEDRICH VON BODELSCHWINGH PAUL SCHNEIDER Bild rechts: Der katholische Geistliche Hermann Wehrle. Auf die Frage, ob die Kirche den Tyrannenmord billige, gab er eine verneinende Antwort. Trotzdem wurde er verhaftet und am 14. September 1944 in Plötzensee hin- gerichtet, weil er von der an ihn gerichteten Frage keine Meldung erstattet hatte. – LJnten rechts: Der evangelische Pfarrer Karl Friedrich Stellbrink. «Er war ein ausgespro- chener Wahrheitsfanatiker, der es liebte, möglichst den Nagel auf den Kopf zu treffen und geradeheraus zu sagen, was er meinte, er war ein praktischer Mann, der überall hineinpasste und sich in alles hineinfinden konnte, nur nicht in das Dritte Reich. Deswegen mussten auch seine anfäng- lichen Versuche, sich diesem Reich anzupassen, kläglich scheitern . . . Und so mussten einmal Zeit und Stunde kom- men, in der die Agenten der Gestapo begannen, sich für ihn zu interessieren» (aus: Wo seine Zeugen starben, ist sein Reich'). Gemeinsam mit seinen katholischen Freunden, den Kaplänen Johannes Prassek, Eduard Müller und Hermann Lange (unten links als Häftling), wurde er am 24. Juni 1943 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Sie hatten von der Kanzel verkündet, dass die Bomben Gottes Gericht über Deutschland seien und sich auch durch andere Taten (z.B. die Verschickung von Rundbriefen und Predigten von Regimegegnern) als Feinde des Nationalsozialismus erwiesen. In der Haft schrieb Eduard Müller: «Wenn es uns Menschen von heute so schwerfällt, unser Leid zu tragen, unser Kreuz auf uns zu nehmen, das der Herr uns schickt, so liegt doch der Grund darin, dass uns der Sinn des Kreuzes und Leides verlorengegangen ist. ... nun nimmt uns unser Herr und Meister in seine harte Schule; jetzt lässt er uns ein klein wenig spüren, was es heisst, HERMANN WEHRLE Christus nachzufolgen!»

HERMANN LANGE KARL FRIEDRICH STELLBRINK

Bild oben: Der Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, war einer der mutigsten und erfolgreichsten Gegner des Dritten Reiches. In seinen berühmt gewordenen Predigten, die vervielfältigt von Hand zu Hand gingen, erhob er immer wieder seine Stimme gegen das Unrecht. Er lehnte die Rassenlehre entschieden ab, wandte sich gegen den Totalitätsanspruch des Dritten Reiches, protestierte gegen die Beschlagnahmung von Klöstern und insbesondere gegen das Euthanasie-Programm. «Wehe den Menschen, wehe unserem deutschen Volke, wenn das heilige Gottesgebot: ,Du sollst nicht töten1 nicht nur übertreten wird, sondern wenn diese Übertretung sogar geduldet und ungestraft ausgeübt wird.» Wegen des grossen Ansehens des Bischofs bei der Bevölkerung wagte es Hitler nicht, gegen ihn vorzugehen. Das «Eutha- nasie-Programm» und das Vorgehen gegen kirchliches und klösterliches Vermögen wurden im Sommer 1941 eingestellt. Rechts oben: Pastor Dietrich Bonhoeffer, Anhänger der «Bekennenden Kirche», war ab 1939 davon überzeugt, neben dem religiösen auch politischen Widerstand leisten zu müssen. Im Jahre 1943 versuchte er, über Kontakte mit dem anglikanischen Bischof von Chichester einen Friedensschluss zu erreichen. Bereits 1943 verhaftet, wurde seine Rolle als aktiver Widerstands- kämpfer erst im Zusammenhang mit den Verfolgungen an- lässlich des 20. Juli bekannt. Am 5. April 1945 wurde er im KZ Flossenbürg ermordet. Unten links: Der Jesuit Rupert Mayer, im Ersten Welt- krieg als erster katholischer Priester mit dem Eisernen Kreuz Erster Klasse ausgezeichnet, war schon frühzeitig Gegner des Nationalsozialismus. Bereits im Jahre 1923 erklärte er auf einer Hitler-Versammlung, «dass ein deut- scher Katholik niemals Nationalsozialist sein kann». Von dieser Überzeugung geleitet, trat er öffentlich immer wie- der für die Interessen der Kirche ein. Er war der selbstlose Bekenner seiner Ansicht, nie für einen «faulen Frieden» einzutreten: «Wenn es um Dinge geht, die Gott gebietet, müssen wir durchhalten, auch wenn es Kampf und Streit gibt. Wo die Interessen Gottes in Frage kommen, hört der Frieden auf.» Bereits mehrmals verhaftet, durchbrach er im Sommer 1937 sein staatlich angeordnetes Predigtverbot. Wiederum verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verur- teilt, musste er sich ab 1940 zwangsweise in das Kloster Ettal zurückziehen. Unten rechts: Dompropst Bernhard Lichtenberg aus Berlin unterstützte die Proteste des Kardinals Clemens von Galen gegen die Euthanasie und setzte sich insbesondere für seine jüdischen Mitbürger ein. Seine Predigt vom 29. August 1942 schloss mit den Worten: «Lasst uns beten für die Juden und die armen Gefangenen in den Konzentrationslagern, vor allem auch für meine Amtsbrüder.» Wegen Kanzel- missbrauchs wurde er 1942 zu 2 Jahren Gefängnis verur- teilt. Bei der Überführung ins Konzentrationslager Dachau starb er am 3. November 1943 auf dem Transport. DIETRICH BONHOEFFF.R

RUPERT MAYER

KURT HUBER ALEXANDER SCHMORELL

HANS SCHOLL

Die Mitglieder der Münchner Widerstandsgruppe «Weisse Rose» (Professor Dr. Kurt Huber, Alexander Schmorell, Sophie Scholl, Hans Scholl, Willi Graf und Christoph Probst) wurden im Jahre 1943 vom «Volksgerichtshof» zum Tode verurteilt und anschliessend hingerichtet. Ihr «Verbrechen» war es, die Verbrechen der nationalsozialisti- schen Gewalthaber erkannt und dagegen in Flugschriften protestiert zu haben. «Im Jahre 1943 verfassten die Ge- schwister Scholl und ihre Freunde das Flugblatt, das das letzte reguläre Blatt der ,Weissen Rose' geworden ist. Dies- mal baten sie Professor Huber nicht nur um Gedanken, sondern auch um seine Hilfe bei der Abfassung. Mögli- cherweise sind die Abschnitte über die langfristigen Ziele, die es enthält, so z.B. über die demokratischen Grund- rechte, die Wiederherstellung sozialer Gerechtigkeit, die Dezentralisierung Deutschlands in einen Bundesstaat nach dem Muster der Schweiz, sein Werk. ,Hitler kann den Krieg nicht gewinnen, nur noch verlängern', stand da zu

lesen. Das deutsche Volk ,sieht nichts und . . . hört nichts'...

SOPHIE SCHOLL CHRISTOPH PROBST

WILLI GRAF

Ein mitreissender Aufruf beschloss das Blatt: ,Der deutsche Name bleibt für immer geschändet, wenn nicht die deutsche Jugend endlich auf steht, rächt und sühnt zugleich, ihre Peiniger zerschmettert und ein neues geistiges Europa auf- richtet! Nochmals wurden Tausende von Elugblättern mit unendlicher Sorgfalt in München und anderen grossen Städten verteilt», schreibt der Engländer Terence Prittie. Professor Huber verteidigte sich und seine Schüler gegen die Anschuldigung, die Gesetze verletzt zu haben: «Rück- kehr zu klaren sittlichen Grundsätzen, zum Rechtsstaat, zu gegenseitigem Vertrauen von Mensch zu Mensch, das ist nicht illegal, sondern umgekehrt die Wiederherstellung der Legalität.» Christoph Probst, der einzige, der verheiratet war und drei kleine Kinder hinterliess, sprach über den Sinn ihres Opfers: «Wir haben durch unsere Haltung und Hingabe zu zeigen, dass es noch nicht aus ist mit der Frei- heit des Menschen. Einmal muss das Menschliche hoch em-

porgehalten werden, dann wird es eines Tages wieder zum Durchbruch kommen.»

Die Widerstandsgruppe Schulze-Boysen/Harnack, nach ihren beiden Führern so genannt und von der Abwehr als «Rote Kapelle» bezeichnet, wurde von der Gestapo als die gefährlichste aller kommunistischen Widerstandsgruppen betrachtet. «Sie war ein kleiner sowjetischer ND-Ring, der zugleich Teil eines viel grösseren und umfassenderen politi- schen ,Widerstandes' war – in Wirklichkeit eine kommunistische Organisation, deren Mitglieder zum grossen Teil nichts von der Spionage wussten, die einige unter ihnen zugunsten der Sowjetunion betrieben. Diese beiden Merkmale der Roten Kapelle waren eng miteinander verflochten, das eine Merkmal unmöglich ohne das andere. Von verschiedenen Seiten, besonders in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, ist später der Versuch gemacht worden, die Tätigkeit der Gruppe um Schulze-Boysen als reinen ,Widerstand' gegen das nationalsozialistische Regime hin- zustellen, wobei man die Spionagetätigkeit absichtlich unerwähnt liess. Diese Behauptung ist unwahr. Es trifft zu, dass die ungefähr hundert Personen, die sich um die innere Kerngruppe sammelten, nichts von den Geheimberichten wussten, die nach Moskau gingen, nichts von sowjetischen Kurieren, die mit Fallschirmen abgesetzt wurden, und nichts von den Kontakten mit Spionageapparaten in den Nachbarländern. Aber die Köpfe des Netzes dienten dem sowjetischen ND, und die Rote Kapelle gehört somit zum Spionagesystem der Sowjets in den Kriegsjahren. Andererseits hat es während der «Zeit des Nationalsozialismus und später nicht an Versuchen gefehlt, der Roten Kapelle jeden Einschlag von ‚Wider- stand' abzusprechen und sie lediglich als eine Gruppe von Spionen darzustellen. Auch diese Behauptung ist falsch. Ein ,reiner' Spionagering hätte niemals eine solch grosse Zahl von Personen umfassen können. Ohne eine gemeinsame Idee und ohne starke politische Emotionen hinter dieser Idee wären diese Männer und Frauen niemals in der Lage gewesen, sich zu einer politischen Organisation zusammenzuschliessen und eine Tätigkeit auf sich zu nehmen, die für alle die grössten Gefahren barg» ( J. Dallin, Die Sowjetspionage). Von den 75 Angeklagten dieser Gruppe wurden vom Reichskriegsgericht in Berlin zwischen Dezember 1942 und Oktober 1943 alle auf ausdrücklichen Wunsch Hitlers zum Tode verurteilt. Darunter auch Harro Schulze-Boysen (linke Seite oben: mit seinen beiden Kindern) und Arvid Har- nack (oben: zusammen mit seiner Frau Mildred Harnack, die, ebenfalls angeklagt, ihrem Manne tapfer in den Tod folgte). – Linke Seite unten: Walter Ulbricht (links) und Erich Weinert (rechts) an vorderster Front im Kampf um Sta- lingrad, wo sie deutsche Soldaten auffordern, sich von ihrer Führung loszusagen. Auf Initiative von Ulbricht und Pieck wurde am 12./13. Juli 1943 in Moskau unter dem Schriftsteller Erich Weinert als Präsidenten das «Nationalkomitee Freies Deutschland» gegründet, mit dem Ziel, durch Flugblätter und Rundfunkaufrufe die deutsche Bevölkerung und die deutschen Truppen zum Widerstand gegen Hitler und den Krieg aufzurufen.

«Von den Offizierskreisen, denen die Aufgabe der Vorbereitung des aktiven Eingreifens und seiner Ausführung zufiel, muss mit Fug und Recht an erster Stelle die Gruppe von Männern genannt werden, die um Admiral Canaris (Bild oben) versammelt waren, den Chef des militärischen Nachrichtendienstes, unter dem Namen ,die Abwehr' bekannt. Denn ohne die hier geleistete Arbeit und den Schutz, den Canaris durch viele Jahre gewähren konnte und gewährt hat, wäre es unmöglich gewesen, die Pläne vorzubereiten und geheimzuhalten ... Es hat eine Zeit gegeben, da manche Kreise der Opposition glaubten, es sei die Absicht und der Plan Canaris’, Hitler selbst zu stürzen. Doch diesen Ehrgeiz hatte er nicht, aber er hat seine Hand über seine Mitarbeiter gehalten, von denen er genau wusste, dass sie am Sturz Hitlers arbeiteten, hat sie der Gestapo gegenüber gedeckt, hat viele politische Häftlinge aus der Widerstandsbewegung gerettet und es meisterhaft verstanden, durch Unterdrückung oder Änderung wichtiger Meldungen dem ,grössten Feldherrn aller

Zeiten' ins Handwerk zu pfuschen. Canaris hasste den N ationalsozialismus leidenschaftlich, weil er jedes Unrecht und jede Roheit verabscheute. Er hat es fertigbekommen, alle seine Feinde im Sicherheitsdienst auszumanövrieren – bis auch ihn nach dem 20. Juli sein Geschick ereilte» (20. Juli 1944, Hrsg. Bundeszentrale für Heimatdienst). Gemeinsam mit Admiral Canaris in der Abwehr tätig, gehörte General Hans Oster (Bild oben) zu den aktivsten Män- nern der Umsturzbewegung. Das Bemühen, seinem engsten Mitarbeiter und Mitverschworenen Hans von Dohnanyi bei dessen Verhaftung Beistand zu leisten, musste er selbst mit dem Verlust seiner Stellung bezahlen. Anlässlich der Ereignisse des 20. Juli wurde seine bedeutende Stellung im Widerstand von der Gestapo erkannt. Am 9. April 1945 wurde er im KZ Flossenbürg ermordet.

ADAM VON TROTT ZU SOLZ FRIEDRICH WERNER GRAF VON DER SCHULENBURG

Linke Seite oben links: Legationsrat von Trott zu Solz, Mitglied des «Kreisauer Kreises», bemühte sich vor- nehmlich darum, im Ausland für die deutsche Widerstandsarbeit Verständnis und Unterstützung zu gewinnen. Sein Hauptanliegen bestand darin, wie ein ame- rikanischer Beobachter in sein Tagebuch notierte, «wie man es verhindern könne, dass ein Ausrottungskrieg, den wir [die Alliierten] gegen die Nazis führen, alle jene Kräfte, die jetzt gerade beginnen, sich zu Hitlers Sturz zusammenzuschlie- ssen, Hitler wieder in die Arme treibt». Gemeinsam mit seinem Freund Hans- Bernd von Haeften (linke Seite unten links), ebenfalls Beamter im Auswärtigen Amt und Angehöriger des «Kreisauer Kreises», wurde er im Zusammenhang mit den Geschehnissen des 20. Juli vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und im August 1944 hingerichtet. – Linke Seite oben rechts: Friedrich Werner Graf von der Schulenburg, ehemaliger Bot- schafter in Moskau, kam durch von Hassell und Goerdeler in die Kreise des deutschen Widerstandes und wurde am 10. November 1944 hingerichtet. – Linke Seite unten rechts: Peter Graf Yorck von Wartenburg, Mitbegründer des «Kreisauer Kreises», Vermittler zwischen den Wider- standsgruppen im Auswärtigen Amt und der Wehrmacht, war eines der ersten Opfer des 20. Juli 1944. Als der deutsche Botschafter in Rom, Ulrich von Hassell (rechts), öffentlich die Aussenpolitik des Dritten Reiches massiv kritisierte – sie würde mutwillig Kriegs- gefahren heraufbeschwören –, wurde er 1937 von seinem Posten abberufen. Die von Hitler weitergeführte Aussenpolitik, Innenpolitik und später seine Krieg- führung, liessen von Hassell immer stär- ker auf den gewaltsamen Umsturz des Regimes drängen. Ständig wurde er von der Sorge gequält, die einzelnen Wider- standskräfte würden erst dann zur Tat schreiten, wenn es zu spät sei. 1943 notier- te er in sein Tagebuch: «In der Woche vor Weihnachten bestand nach allen Versiche- rungen zum erstenmal die reale Aussicht, zum Ziele zu kommen. Wie oft hat man das behauptet, und mein Glaube war ge- ring genug. Aber die Behauptungen ern- ster Leute klangen so überzeugt und über- zeugend, dass ich wirklich anfing, die Sache ernst zu nehmen. Wenige Tage vor meiner Abreise kam dann der Rückschlag: ,Auf Januar vertagt', Grund: ,Weil Hitler ver- duftet war'. In den entscheidenden Tagen war Pfaff (Goerdeler) wiederholt bei mir und nach dem ,Abblasen' in begreiflicher Wut: Die Josephs (Generale) würden sich nie entschliessen, sondern es erst zur vollen Katastrophe kommen lassen.»

Oben links: Der Finanzexperte Hjalmar Schacht stellte Hitler zunächst seine Fähigkeiten zur wirtschaftlichen Gesundung und Wiederaufrüstung als Wirtschaftsminister und Reichsbankpräsident zur Verfügung. Als er Hitlers Finanz- und Rü- stungspolitik nicht mehr mitmachen wollte, ging er vorsichtig zur Opposition über und wurde dafür in den fahren 1944/45 ins K7. gesperrt. Oben Mitte: Der Stuttgarter Industrielle Robert Bosch war ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus und gab Männern des Widerstandes, insbesondere Carl Goerdeler, die äusseren Möglichkeiten zu ihrer Widerstandsarbeit. – Oben rechts: Rechtsanwalt Joseph Wirmer sollte nach Gelingen des Umsturzplanes im neuen Kabinett Goerdeler Justizminister werden. Er starb als Opfer des 20. Juli am 8. September 1944. Bild unten: Der evangelische Reichsbischof Ludwig Müller (links), der Widersacher der «Bekennenden Kirche», im Ge- spräch mit dem preussischen Finanzminister Johannes Popitz, der, 1935 von General Hans Oster ins Vertrauen gezo- gen, ab 1938 bereit war, aktiv an den Umsturzplänen mitzuarbeiten. In seiner «Mittwochgesellschaft» in Berlin liefen

viele Fäden der Opposition zusammen. Ein Annäherungs- versuch Himmlers über dessen Rechtsanwalt Langbehn, mit dem Himmler für den Fall der militärischen Niederlage sein Leben retten wollte, führte am 23. August 1943 zu einer Unterredung, die aber keine Veränderungen brachte. Im Zu- sammenhang mit dem 20. Juli zum Tode verurteilt, wurde er gemeinsam mit Carl Goerdeler am 2. Februar 1943 zum Schafott geführt.

Sein Biograph Gerhard Ritter schreibt über Carl Friedrich Goerdeler (Bild rechts), dass er «so wenig wie die meisten anderen Deutschen . . . die ganze Dämonie der national- sozialistischen Bewegung von Anfang an erfasst» habe. Nachdem er, bis 1937 Oberbürgermeister von Leipzig, die Amoral, Rechtlosigkeit, innere Unwahrhaftigkeit und Kriegsgefahr dieser Bewegung für Deutschland deutlich erkannt hatte, wurde er zum führenden Kopf des bürger- lichen Widerstandes und drängender Befürworter des Um- sturzes. In dem Entwurf einer Regierungserklärung von 1943, die nach erfolgtem Umsturz hätte verlesen werden sollen, schrieb er: «Die Reichsregierung beginnt ihr Werk damit, dass sie die Staatsgewalt unter das Gesetz der Moral und des Rechtes stellt. Sie achtet die Persönlichkeit, die Familie, die religiösen Bekenntnisse, die Berufsverbände, die örtlichen Selbstverwaltungen und freien Gewerkschaf- ten, verlangt aber, dass sich alle dem Gemeinwohl ver- pflichtet fühlen.» Als Reichskanzler vorgesehen, wurde er vom Volksgerichtshof (Bild oben) zum Tode verurteilt. Nach monatelanger Haftzeit und schweren Misshandlungen bedeutete der Tod am 2. Februar 1943 eine Erlösung für ihn.

Innerhalb der Widerstandsbewegung spielten die Sozialisten eine bedeutende Rolle. Ähnlich wie die Kommunisten waren sie als die entschiedensten Gegner Hitlers schon vor dessen Machtergreifung zum Widerstand vorherbestimmt. Bild oben: Julius Leber, «ein Mann von Härte und Willen, unbedingt im Bejahen und Verwerfen, kühn und heftig in seinen Ent- würfen, mit der bezwingenden Gabe, sich Nachfolge zu schaffen. Er hat am stärksten aus dem sozialistischen Lager her in das Geschehen des Sommers 1944 hineingewirkt. Der hassvolle Richter, vor dem er wie die anderen Männer des 20. Juli stand, hat ihn – in einem Vortrag vor einem kleinen Kreis – als die stärkste Erscheinung am politischen Firma- ment charakterisiert und ihn den deutschen Lenin' genannt» (Eberhard Zeller). Ungebrochen durch seinen Leidensweg durch Gefängnisse, Zuchthäuser und Konzentrationslager zwischen 1933 und 1937, widmete er sich weiter dem aktiven Widerstand. Ungebrochen trat er vor seine Richter und ungebrochen ging er am 5. Januar 1945 in den Tod. «Für eine so gute und gerechte Sache ist der Einsatz des eigenen Lebens der angemessene Preis. Wir haben getan, was in unserer Macht gestanden hat. Es ist nicht unser Verschulden, dass alles so und nicht anders ausgegangen ist.» Diese Worte schickte Leber als letzten Gruss an seine Freunde.

CARLO MIERENDORFF ERNST VON HARNACK ADOLF REICHWEIN Unten links: Wilhelm Leuschner, Vorsitzender der Freien Gewerkschaften Deutschlands, Reichstagsabgeordneter der SPD, Hessischer Minister des Inneren vor 1933, war mit seinem Freund Dr. Julius Leber die treibende Kraft von sozialdemo- kratischer Seite in dem Bemühen, das unheilvolle Regime des Nationalsozialismus zu beseitigen und durch eine freiheit- liche Demokratie zu ersetzen. Sein weitgespanntes Netz von sozialistischen und gewerkschaftlichen Zellen war das zahlen- mässig stärkste Element der Widerstandsbewegung. Bei Gelingen des Umsturzes als Vizekanzler vorgesehen, wurde er am 29. September 1944 hingerichtet. – Unten rechts: Theo Haubach, mehrfach wegen illegaler Betätigung ins KZ geworfen, Mitglied des «Kreisauer Kreises», arbeitete eng mit seinen politischen Freunden Mierendorff (oben links) Leuschner und Leber zusammen. Während Mierendorff am 4. Dezember 1943 bei einem Luftangriff ums Leben kam, wurde Haubach im Januar 1943 hingerichtet. – Oben rechts: Adolf Reichwein, führender Sozialist im «Kreisauer Kreis», wurde am 20. Oktober 1944 hingerichtet. – Oben Mitte: Regierungspräsident a. D. Ernst von Harnack bahnte als langjähriger Freund von Leber die Beziehungen zwischen den illegalen SPD-Kreisen, Goerdeler und den Generalen an. Seine Hinrichtung erfolgte am 3. März 1943. WILHELM LEUSCHNER THEO HAUBACH

Oben links: Helmut James Graf von Moltke, Mittelpunkt des «Kreisauer Kreises», so genannt nach dessen Gut Kreisau in Schlesien, wurde am 23. Januar 1945 hingerichtet. Gräfin Freya von Moltke schreibt: «Zunächst war es nur ein Freundes- kreis, einig in seiner Auflehnung gegen Hitler und sein Regime. Mehr und mehr aber wurde es ein Kreis von Menschen, die über die Feindschaft hinaus in die Zukunft schauten und nach neuen Wegen suchten . . . Ihre Pläne waren weder end- gültig, noch sind sie in ihrer letzten Fassung erhalten geblieben. Sie sind kein theoretisches Programm, sondern sie zeigen, wie sich Sozialisten, Katholiken, Protestanten und andere Männer ganz verschiedener geistiger Herkunft und verschiedener Standpunkte zusammengefunden hatten. Der Rahmen war weit, aber die Einigung über eine gemeinsame Grundlage gelang.» – Oben rechts: Pater Alfred Delp S. J., Angehöriger des «Kreisauer Kreises», um eine neue Sozialordnung bemüht, mit der die Gottlosigkeit der Menschen überwunden werden könne, wurde am 2. Februar 1945 hingerichtet. Bild rechts: Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg, Ver- mittler zwischen den einzelnen Widerstandsgruppen, ge- hörte zu den Tatkräftigsten des Umsturzplanes und war am Nachmittag des 20. Juli in der Bendlerstrasse dabei. Stolz erklärte er vor dem Volksgerichtshof: «Wir haben diese Tat auf uns genommen, um Deutschland vor einem namenlosen Elend zu bewahren. Ich bin mir klar, dass ich daraufhin gehenkt werde, aber ich bereue meine Tat nicht.» Am 10. August 1944 wurde er hingerichtet. – Bild unten: Eugen Gerstenmaier, Angehöriger des «Kreisauer Kreises», vor dem Volksgerichtshof, wo es ihm gelang, freigesprochen zu werden.

Generalmajor Henning von Tresckow (oben) fand schon früh den Wieg zur militärischen Opposition. Er stellte sich bedin- gungslos hinter die Umsturzpläne, förderte einzelne Attentatsversuche und wollte Hitler im Jahre 1942 bet einem Besuch der Heeresgruppe Mitte an der Ostfront durch ein Pistolenattentat beseitigen. In seinem Buch «Offiziere gegen Hitler» über- liefert Schlabrendorff die Worte Tresckows aus der Nacht vor seinem Tod: «Wenn einst Gott verheissen hat, er werde Sodom nicht verderben, wenn auch nur zehn Gerechte darin seien, so hoffe ich, dass Gott auch Deutschland um uns- retwillen nicht verderben wird. Niemand von uns kann über seinen Tod Klage führen. Wer in unseren Kreis getreten ist, hat damit das Nessushemd angezogen. Der sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist, für seine Über- zeugung sein Leben hinzugeben.» Nachdem das Attentat vom 20. Juli misslungen war, nahm sich Henning von Tresckow am 21. Juli 1944 an der Front das Leben, indem er sich mit einer Handgranate selbst in die Luft sprengte.

Bild unten: Als 10. Offizier der Wehrmacht überreicht Hitler Generalleutnant Rommel das Eichenlaub zum Ritter- kreuz des Eisernen Kreuzes. – Als Rommel nicht mehr bereit war, die sinnlose Kriegsführung Hitlers weiter zu unter- stützen, forderte er seinen Oberbefehlshaber auf, «die Folgerungen aus dieser Lage unverzüglich zu ziehen». «Ich habe ihm jetzt die letzte Chance gegeben. Wenn er keine Konsequenzen zieht, werden wir handeln.» Am 17. Juli 1944 wurde Rommel jedoch bei einem Jagdbomberangriff so schwer verwundet, dass er am 20. Juli nicht zur Verfügung stand. Noch kaum genesen, stellten ihn Hitlers Sendboten am 14. Oktober 1944 vor die Wahl: entweder Anklage gegen ihn und Sippenhaft für seine Familie – oder Selbstmord. Um seine Familie zu schützen, nahm Rommel das Gift. Um das Volk irre zu führen und um den Toten noch für seine Propaganda zu benützen, ordnete Hitler für Marschall Rommel ein Staatsbegräbnis an. – Oben Mitte: Fabian von Schlabrendorff versuchte im März 1943, Hitler in seinem Flugzeug durch ein Bombenattentat zu beseitigen. Wider Erwarten aber explodierte die Bombe nicht. – Oben links: Generalmajor Helmut Stieff war als Chef der Organisationsabteilung im Generalstab des Heeres in der Lage, den Sprengstoff für die Attentatsversuche zu besorgen. Am 8. August 1944 wurde er hingerichtet. – Oben rechts: Oberst Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff, der bereit war, sich am 21. März 1943 im Berliner Zeughaus zusammen mit Hitler in die Luft zu sprengen.

Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben (links) war schon 1938 bereit, zusammen mit Beck den Staatsstreich ge- gen Hitler zu wagen. Als Stadtkommandant von Berlin sollte er mit der Wehrmacht in einer Blitzaktion die SS aus- schalten. Nur das Einlenken der Alliierten auf der Münchner Konferenz liess den Plan scheitern. Als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe D in Frankreich wollte er Hitler bei der Frühjahrsparade 1941 in Paris gefangennehmen lassen. Die Vorbereitungen zur Festnahme waren bereits getroffen, als Hitler seinen Besuch überraschend absagte. 1942, seines Postens enthoben, stellte er sich weiterhin der Widerstands- bewegung zur Verfügung. Nach erfolgreichem Umsturz als Oberbefehlshaber der Wehrmacht vorgesehen, wurde er am 8. August 1944 gehenkt. Vor dem Volksgerichtshof (unten) wurde der 64jährige kranke Generalfeldmarschall zur be- sonderen Zielscheibe für Freislers Zynismus. Da man ihm die Hosenträger abgenommen hatte, musste er im Gerichts- saal immer krampfhaft seine Hose festhalten. Da man ihm das Gebiss abgenommen hatte, konnte er auf Freislers hohn- volle Fragen immer nur schlecht verständlich antworten. Trotz des entwürdigenden Zustandes fand er noch die mutigen Worte für seinen Peiniger: «Sie können uns dem Henker überantworten. In drei Monaten zieht das empörte und gequälte Volk Sie zur Rechenschaft.»

Generaloberst Ludwig Beck (oben), 1938 aus Protest gegen Hitlers Kriegspläne als Chef des Generalstabes des Heeres zu- rückgetreten, blieb einer der führenden Köpfe bei den Vorbereitungen für die Umsturzpläne und galt als das allgemein anerkannte Haupt der Verschwörung. Am 20. Juli 1944 stand er an ihrer Spitze bereit und beteiligte sich aktiv am Geschehen in der Bendlerstrasse. Hier in der Zentrale des Reichskriegsministeriums gab ihm sein Gegenspieler Generaloberst Fromm nach dem Scheitern des Befreiungsversuches Gelegenheit zum Selbstmord.

Bild oben (von links nach rechts): Der französische Widerstandsgeneral in Algier, Giraud, Roosevelt, de Gaulle und Church- ill im Januar 1943 auf der Konferenz von Casablanca. Roosevelt und Churchill verkündeten hier ihre Forderung nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands. – Bild unten: Generalfeldmarschall Paulus nach der Kapitulation von Stalin- grad am 31. Januar 1943 im russischen Hauptquartier.

Bild oben: «Eine VI – Kurs London.» Die gross angekündigten Wunderwaffen erlangten jedoch keine militärische Bedeu- tung mehr. – Bild unten: 6. Juni 1944. Invasion alliierter Truppen in Nordfrankreich. Amerikanische Soldaten gehen an Land. – Die militärische und politische Situation der deutschen Verschwörung wurde immer schwieriger und auswegloser. Vor allem die alliierte Forderung nach der bedingungslosen Kapitulation und ihr sonstiges wenig ermunterndes Verhalten den deutschen Oppositionskreisen gegenüber hemmte die Aktivität des deutschen Widerstandes. In seinem Gutachten über die militärische Lage am 20. Juli 1944 kommt Prof. Dr. Percy Schramm zu dem Resultat, dass «1. Mitte 1944 der Menschen- bedarf der Wehrmacht nicht mehr ausreichend gedeckt werden konnte, dass das Heer daher der Gefahr ausgesetzt war, in sich zu verbrennen; ferner, dass 2. die Wehrwirtschaft zwar noch Erstaunliches leistete, dass sie aber seit der 2. Hälfte des Jahres 1944 infolge der Bombenschäden zu schrumpfen anfing, dass schliesslich 3. die Treibstoff läge im Mai 1944 sich so entwickelte, dass die Wehrmacht eines Tages von selbst zum Stehen kommen musste. Von diesen drei Faktoren zwingt jeder Einzelne zu dem Schluss: Der Krieg war unweigerlich verloren, und zwar schon Mitte 1944.»

Anfangs ein Anhänger Hitlers und des Nationalsozialismus, kam Claus Schenk Graf von Stauffenberg (links) zu der Erkenntnis: «Wir haben uns vor Gott und unserem Ge- wissen geprüft, es muss geschehen, denn dieser Mann ist das Böse an sich.» 1943, nach seiner schweren Verwundung in Afrika, bei der er das linke Auge, die ganze rechte Hand und zwei Finger der linken verloren hatte, rückte er schnell in das Zentrum der Widerstandsbewegung vor und drängte immer entschiedener zur Tat. Einer von denen, die ihm da- mals begegneten, schilderte seinen Eindruck: «Er versah seinen vielseitigen und schwierigen Dienst, gleichzeitig aber betrieb er das ungeheure Unternehmen, das er sich vorge- setzt hatte, er tastete überall vor zu den anderen Gruppen, er bereitete die militärischen Planungen vor, er schwebte in den Gefahren und Spannungen dieses Doppellebens – und musste doch seelisch, gedanklich, praktisch alles immer wie- der von Neuem durchkämpfen.» Nach zweimaliger Ver- schiebung gelang es ihm am 20. Juli 1944, die Bombe im Führerhauptquartier einzuschmuggeln, um mit der Beseiti- gung Adolf Hitlers die erste Voraussetzung für den Um- sturzplan zu schaffen. Zweifellos wäre er auch bereit ge- wesen, sich selbst dabei zu opfern; er war jedoch für den weiteren Ablauf des Unternehmens unentbehrlich, so dass er sofort nach Berlin zurückkehrte. Dort wurde er am Abend nach dem Zusammenbruch der Aktion im Hof der Bendlerstrasse standrechtlich erschossen.

Bild unten: Das letzte im Jahre 1944 von Stauffenberg auf- genommene Foto zeigt ihn im Kreise seiner Familie. Von links nach rechts: Sohn Haimeran, Tochter Valerie, Nichte Elisabeth, Neffe Alfred und Sohn Franz Ludwig.

Bild rechts: Berthold Schenk Graf von Stauffenberg, Mitver- schworener seines Bruders Claus, wurde am 10. August 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und noch am gleichen Tage hingerichtet.

FRIEDRICH FROMM GRAF HELLDORF OTTO ERNST REM ER

Bild unten: Die Besprechungsbaracke im Führerhauptquartier nach dem Attentat vom 20. Juli 1944. Die Stelle, an der Hitler stand, ist mit dem Kreis und Pfeil gekennzeichnet. Während die Baracke stark beschädigt wurde und vier Offiziere den Tod fanden, kam Hitler mit nur leichten Verletzungen davon. Das Überleben Hitlers war die entscheidende ürsache für das Scheitern des Attentats. Trotz der verzweifelten Lage an der Front und in der Heimat war Hitlers Bannkrafl noch nicht gebrochen, und seine Befehle wurden weiterhin ausgeführt. Oben links: Generaloberst Friedrich Fromm, Befehlshaber des Ersatzheeres, wurde zunächst gefangengesetzt, dann aber von hitlertreuen Offizieren wieder befreit. Noch am gleichen Abend liess er die vier Hauptbeteiligten, Friedrich Olbricht, Albrecht Mertz von Quirnheim (rechte Seite oben Mitte), Claus Schenk Graf von Stauffenberg und dessen Adjutanten, Werner von Haeflen, standrechtlich erschiessen. Doch auch Fromm, der erst dann gegen die Verschwörer vorging, als er wusste, dass Hitler noch lebte, wurde verhaftet und hinge- richtet. – Oben Mitte: SA-Führer Graf Helldorf, Polizeipräsident von Berlin, war bereit, am Putsch mitzuwirken und wurde 1944 als Widerstandskämpfer hingerichtet. – Oben rechts: Major Remer, Kommandeur des Berliner Wachbataillons, erhielt von den Verschworenen den Auftrag, Goebbels zu verhaften. Goebbels verband Remer telefonisch mit Hitler, und dieser gab ihm den Befehl, die Revolte niederzuschlagen. Daraufhin liess Remer das Gebäude des OKW in der Bendler- strasse besetzen.

FRIEDRICH OLBRICHT

Als General Friedrich Olbricht (oben links) im März 1940 die Berufung zum Chef des Allgemeinen Heeresamtes im Oberkommando des Heeres annahm, tat er das bewusst, um die Machtmittel dieser Position zum Sturze Hitlers auszu- nützen. Am 20. Juli gab er nach der Meldung von der erfolgten Explosion im Führerhauptquartier die entsprechenden Umsturzbefehle heraus. Nach dem Scheitern äusserte er seinem Schwiegersohn gegenüber, er «werde als Soldat zu sterben wissen. Ich sterbe dann für eine gute Sache, davon bin ich felsenfest überzeugt. Sollen wir jetzt bekennen, dass wir ge- sündigt haben? Nein, wir haben das Letzte gewagt für Deutschland». – Unten rechts: Karl-Heinrich von Stülpnagel, General der Infanterie und Führer der Widerstandsbewegung in Frankreich. Gemeinsam mit seinem Mitverschworenen Cäsar von Hofacker (oben rechts) versuchte er vergebens, den Oberbefehlshaber West, Feldmarschall von Kluge, der seine Mitwirkung am Umsturz nach der Nachricht vom Überleben Hitlers wieder zurücknahm, umzustimmen. «Sie ste- hen mit Ihrem Wort und Ihrer Ehre im Feuer! Das Schicksal von Millionen Deutschen, die Ehre der Armee liegt in Ihrer Hand!» Kluge (unten links) beging Selbstmord. Stülpnagel und Hofacker wurden am 30. August 1944 hingerichtet.

GÜNTHER VON KLUGE KARL-HEINRICH VON STÜLPNAGEL

An den Widerstandskämpfern des 20. Juli nahm Hitler blutige und grausame Rache. Den Verurteilten dürfe auch nicht die «kleinste Milderung» gewährt werden. «Sie sollten hängen wie Schlachtvieh . . .» Noch in der gleichen Nacht ging Ernst Kaltenbrunner (oben rechts), Chef des «Reichssicherheitshauptamtes der SS», daran, alle Verdächtigen aufzuspü- ren und festzunehmen. Nachdem man glaubte, durch weitere qualvolle Folterungen keine Geständnisse mehr aus den Verdächtigen herauspressen zu können, kamen sie vor den Volksgerichtshof. Hier wurden sie von dessen Präsidenten Roland Freisler (oben links), einem fanatischen Anhänger der nationalsozialistischen Terrorjustiz, in einem unwürdigen Gerichtsverfahren niedergeschrien, gedemütigt und beleidigt. Dennoch fanden viele Angeklagte mutige Worte gegen ihre Peiniger. Graf Schwerin von Schwanenfeld (oben Mitte), Verbindungsmann zwischen militärischen und zivilen Wider- standsgruppen, vertrat mutig die Motive seines Handelns: Graf Schwerin: «Ich dachte an die vielen Morde.» Freisler: «Morde?» Graf Schwerin: «Die im In- und Ausland.» Freisler: «Sie sind ja ein schäbiger Lump. Zerbrechen Sie unter der Gemeinheit? Ja oder Nein, zerbrechen Sie darunter?» Graf Schwerin: «Herr Präsident.» Freisler: «Ja oder Nein, auf eine klare Antwort.» Graf Schwerin: «Nein.» Freisler wurde bei einem Luftangriff getötet, Kaltenbrunner im Nürnber- ger Prozess wegen «Verbrechens gegen die Menschlichkeit» zum Tode verurteilt. – Bild unten: General Hoepner nimmt die Beschimpfungen Freislers schweigend entgegen. – Bild rechts: Generalmajor Stieff wird zur Verhandlung geführt.

Im Zusammenhang mit dem 20. Juli spricht der offizielle Bericht der SS von 7’000 Verhaftungen. Die Zahl der Toten, die sich nicht genau ermitteln lässt, wird auf 170 geschätzt. – Bild oben: Der Hinrichtungsraum in der Strafanstalt Plötzensee, in der 89 Opfer des 20. Juli gehenkt wurden, ist heute eine Gedenkstätte des deutschen Widerstandes. Wäre das Attentat vom 20. Juli geglückt und hätten die Verschwörer einen sofortigen Frieden erreicht, so wäre dem deutschen Volk ein un- erhörter Schaden an Menschen und Sachwerten erspart geblieben. Aber auch das Misslingen des Attentats, allein der Versuch und die Motive der Widerstandskämpfer, sind ein bleibender moralischer Wert für Deutschland und ein Beweis für die Auf- richtigkeit und Selbstlosigkeit der Männer und Frauen, die bereit waren, ihrem Gewissen zu folgen und dafür Gefahr, Ver- folgung, Inhaftierung, Qualen und den Tod auf sich zu nehmen. In einer gemeinsamen Besprechung mit Stauffenberg kurz vor dem Attentat formulierte Henning von Tresckow die letzten Gründe dieser Tat: «Das Attentat auf Hitler muss erfolgen, koste es, was es wolle. Sollte es nicht gelingen, so muss trotzdem der Staatsstreich versucht werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor aller Welt und vor der Geschichte unter Einsatz ihres Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.» Bereits im Jahre 1946 wurden die Männer des 20. Juli von dem grossen Kriegsgegner Deutschlands, Winston Churchill, gewürdigt: «In Deutschland lebte eine Opposition, die durch ihre Opfer und eine entnervende internationale Politik immer schwächer wurde, aber zu dem Edelsten und Grössten gehört, was in der politischen Geschichte aller Völker je hervorgebracht wurde. Diese Männer kämpften ohne Hilfe von innen und aussen, einzig getrieben von der Unruhe des Gewissens. Solange sie lebten, waren sie für uns unsichtbar und unerkennbar, weil sie sich tarnen mussten. Aber an den Toten ist der Widerstand sichtbar geworden.» So unterschiedlich die Motive der einzelnen Widerstandskämpfer auch gewesen sein mögen, sie alle hätten sich wohl zu den Worten bekannt, mit denen Hans Scholl und Stauffenberg in den Tod gingen. Scholl rief: Es lebe die Freiheit! Und Stauffen- berg: Es lebe Deutschland! «Walküre» wird gestoppt

Oberst Graf von Stauffenberg, von dem nun nach schon nicht mehr. Jedenfalls geht die Sprengladung seinem eigenen Willen alles abhängt, das Schicksal trotz Himmlers freundlichem Bärendienst nicht los. Deutschlands und wahrscheinlich ganz Europas, behält Schliesslich gelingt es Stauffenberg, durch den zweiten auch jetzt noch die Nerven. Aber er ist unruhig wie nie Telefonanruf das bereits in Gang gesetzte Unternehmen zuvor. In Berlin ist nach seinem Anruf der «Plan Wal- «Walküre» auf halbem Weg zum Stehen zu bringen. küre» angelaufen! In Berlin laufen die ersten Mass- Am Tag danach wird die Aktion von den Verschwörern nahmen für den Staatsstreich an – und alles ist verge- als «Übung zur Herstellung der Einsatzbereitschaft des bens. Heimatheeres» hingestellt, und das wird zunächst auch Hitler lebt, Himmler lebt, das Führerhauptquartier ist geglaubt. Aber ein zweitesmal darf eine solche Panne intakt. Auch die Nachrichtenverbindungen sind nicht nicht passieren, dann glaubt niemand mehr an eine unterbrochen, denn General Fellgiebel wartet auf die «Übung», die Nichteingeweihten, ob Hitleranhänger Detonation von Stauffenbergs Sprengladung. oder nicht, würden misstrauisch werden. Beim nächsten Oberst Stauffenberg selbst wird nur von einem Ge- Mal muss vor Auslösung der Aktion die Gewissheit danken getrieben: sofort zum nächsten Telefon! Er vorhanden sein, dass das Attentat durchgeführt und muss versuchen, nochmals General Olbricht in Berlin Hitler wirklich tot ist. zu erreichen und die vorhin gemachte Mitteilung von Das «nächste Mal» – das ist am 20. Juli, diesmal nicht dem gleich erfolgenden Attentat rückgängig machen. im Berchtesgadener Berghof, sondern im eigentlichen Olbricht ist sicher jetzt dabei, alle die von Stauffenberg Führerhauptquartier «Wolfsschanze» bei Rastenburg in in aufreibender Arbeit vorbereiteten Befehle hinauszu- Ostpreussen. Weder Himmler noch Göring sind diesmal jagen. Vielleicht ist er deshalb jetzt telefonisch gar nicht bei der Lagebesprechung anwesend. Aber Stauffenberg mehr zu erreichen. Dann aber war alles umsonst, noch hat schon zuvor in Berlin den führenden Verschwörern einmal kann man «Walküre» nicht wiederholen! erklärt, dass er diesmal das Attentat auf Hitler unbe- Stauffenberg will zum Telefon und greift in der Gar- dingt durchführen werde, ganz gleich, ob Himmler oder derobe nach seinem Mantel. Da er ja nur noch einen Göring zugegen sein würden. Arm mit drei Fingern hat, muss er die Aktentasche mit Länger kann auf keinen Fall mehr gezögert werden, der Sprengladung absetzen, um nach dem Mantel grei- die am 22. Juni begonnene Grossoffensive der Sowjets fen und ihn anziehen zu können. droht die ganze Ostfront aufzulösen. Wenn jetzt Hit- Da ward ihm unversehens der Mantel bereits von ler nicht endlich beseitigt wird, ist es für immer zu spät. einem hilfsbereiten Mann zugereicht, der die Bemühun- gen des schwerverwundeten Obersten beobachtet hat: In Paris erhält am Morgen dieses sonnenstrahlenden «Bitte, Herr Oberst, wenn ich Ihnen helfen darf...?» Donnerstags der Oberquartiermeister Oberst Eberhard Dieses freundliche Angebot ist fast zuviel für die Ner- Finckh, der für die gesamte Versorgung der Norman- ven des kampferprobten Stauffenberg. Denn als er sich die-Front mit Waffen, Munition und Verpflegung ver- umsieht, ist der freundliche Helfer niemand anders als antwortlich ist, einen Anruf aus Zossen bei Berlin. Die der Reichsführer SS, Heinrich Himmler. Himmler Vermittlung sagt dem Obersten, dass er von der Dienst- nimmt die erstaunlich schwere Aktentasche des Ersatz- stelle des Generalquartiermeisters General Wagner ver- heer-Stabschefs, die Sprengladung seines eigenen At- langt werde. tentäters auf und trägt den in Akten versteckten briti- Das ist etwas ganz Gewöhnliches, denn mit dieser quasi schen Sprengstoff, der ihn in eben dieser Minute schon einzigen vorgesetzten Dienststelle telefoniert Finckh hätte in Stücke zerreissen sollen, zu Stauffenbergs meist mehrmals am Tag. Dennoch ist dieser Anruf un- Wagen. Dabei plaudert er freundlich mit dem Grafen, gewöhnlich. der sich später, als er Freunden von dieser schrecklichen Die Stimme am anderen Ende der Leitung ist dem Situation erzählt, an kein einziges Wort Himmlers Oberst unbekannt, der Anrufer meldet sich auch nicht erinnern kann. Denn ihn bewegen naturgemäss nur mit seinem Namen. Er spricht sofort los, und in dem, zwei Fragen: Wird Himmler am Gewicht der Tasche was er sagt – Oberst Finckh kann sich hinterher gar etwas merken? und: Wie erreiche ich am schnellsten nicht mehr an den Inhalt des einseitigen Telefonats General Olbricht, um ihn zur Rücknahme aller «Wal- erinnern –, kommt mehrmals das Wort «Übung» vor. küre»-Befehle zu veranlassen? Vor allem dieser letzte Als Finckh dieses Wort hört, braucht er auf das, was Gedanke fiebert in Stauffenberg. der Unbekannte sonst noch zu sagen hat, auch nicht Dass der Reichsführer SS dann die Aktentasche mit der mehr achtzugeben, er weiss, dass alle Worte ausser dem hochexplosiven Sprengladung hart auf den Boden setzt, Wort «Übung» nur unwichtige Tarnworte sind. als er mit Stauffenberg an dessen Wagen angekommen «Übung» – das heisst, heute wird der grosse Schlag ist, berührt den Grafen nach allem Vorangegangenen geführt, heute endet Hitler, endet das Dritte Reich.

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Widerstand im Krieg

12. Bedingungen Stauffenbergs mit der Feindseite zu verhandeln vom Mai 1944

Gestapobericht über angebliche Verbindungen Stauffenbergs 4. Dauernde Verteidigungsfähigkeit im Osten, Räumung al- nach England im Frühsommer 1944 ler besetzten Gebiete im Norden, Westen und Süden 5. Vermeiden jeder Besetzung Bericht vom 2.8.1944 6. Freie Regierung, selbständige selbstgewählte Verfassung 7. Vollkommene Mitwirkung bei der Durchführung der Waf- Verbindung zum Ausland fenstillstandsbedingungen, bei der Vorbereitung der Ge- staltung des Friedens Die neuere Vernehmung des Hauptmanns Kaiser gibt eine 8. Reichsgrenze von 1914 im Osten, Erhaltung Österreichs Reihe von Hinweisen, dass Stauffenberg über Mittelsmän- und der Sudeten beim Reich, Autonomie Tirols bis Bozen, ner zwei Verbindungen zur englischen Seite hatte. Den Zu- Meran sammenhängen wird im Augenblick im Einzelnen nachgegan- 9. Tatkräftiger Wiederaufbau mit Mitwirkung am Wieder- gen. Bereits am 25. Mai hat Kaiser für Stauffenberg eine Notiz aufbau Europas ausgearbeitet, worüber mit der Feindseite verhandelt werden 10. Selbstabrechnung mit Verbrechern am Volk sollte: 11. Wiedergewinnung von Ehre, Selbstachtung und Achtung. 1. Sofortiges Einstellen des Luftkrieges 2. Aufgabe der Invasionspläne (Aus: Gerhard Ritter, Carl Goerdeler und die 3. Vermeiden weiterer Blutopfer deutsche Widerstandsbewegung.)

Gegen Mittag muss es geschehen. Da findet die tägliche werden, im Gegensatz zu denen, die zum Betreten der Lagebesprechung bei Hitler im Führerhauptquartier drei äusseren Bezirke berechtigen und die jeder besitzt, statt. Oberst Stauffenberg – das und nichts anderes der regelmässig im Führerhauptquartier dienstlich zu besagt das Stichwort «Übung» – wird bei dieser Ge- tun hat. legenheit das Attentat verüben. Unmittelbar danach Stauffenberg steigt im Sperrkreis I aus, sein Adjutant läuft der Staatsstreich an, für den man sich also jetzt Haeften begleitet General Stieff noch zu dem rund schon bereithalten muss. Oberst Finckh unterrichtet die 18 Kilometer entfernten Hauptquartier des OKH Wichtigsten der in Paris Eingeweihten: «Heute ge- «Mauerwald», um dann für die Rückkehr des Wagens schieht es. Bereithalten!» zu sorgen, den Stauffenberg sofort nach dem Attentat In Berlin warten die Verschwörer ebenfalls mit grösster wieder im Führerhauptquartier vorfinden muss, wenn Spannung. In der Frühe ist Oberst Graf von Stauffen- die Flucht zum Flugplatz und von dort mit der war- berg mit dem Kurierflugzeug des Generalquartier- tenden Kuriermaschine nach Berlin gelingen soll. meisters General Eduard Wagner vom Flugplatz Stauffenberg frühstückt im Kasino des Sperrkreises I. Rangsdorf bei Berlin nach Ostpreussen abgeflogen. Bei Unter den Offizieren, mit denen er dabei zusammen- ihm befindet sich sein Adjutant, Oberleutnant Werner trifft, ist auch der Adjutant des Hauptquartier-Kom- von Haeften. Als dritter Passagier fliegt Generalmajor mandanten, der Rittmeister von Möllendorf. Helmuth Stieff, Chef der Organisationsabteilung im Gegen 11 Uhr findet eine Besprechung bei General Oberkommando des Heeres, der selbst schon zweimal Buhle statt, dem Chef des Heeresstabes im OKW, und ein Attentat auf Hitler versucht hat. anschliessend daran die Besprechung beim Chef des Auf dem Flugplatz bei Rastenburg in Ostpreussen war- OKW, Generalfeldmarschall Keitel. Das OKW-Ge- tet ein Wagen des Führerhauptquartiers. Die drei Ver- bäude, in dem beide Besprechungen stattfinden, liegt schwörer lassen sich zunächst die 14 Kilometer bis zur bereits im innersten Sperrbezirk A. «Wolfsschanze», wie das ostpreussische Hauptquartier Stauffenberg erfährt zu seinem Schrecken während der heisst, fahren. Drei Sperrkreise müssen passiert werden, Besprechung bei Keitel – die der Vorbereitung seines sie sind mit römischen Zahlen bezeichnet: III, II und I. eigenen Vortrages bei Hitler dienen soll –, dass die Der vierte Sperrkreis liegt innerhalb des Sperrkreises I, Lagebesprechung vorverlegt worden ist. Sie sollte um er trägt die Bezeichnung A. Hier wohnt Hitler, hier 13.30 Uhr stattfinden, aber der Führer hat sie vorhin befindet sich die «Lagebaracke», auch der «Nachrich- für 12.30 Uhr anberaumt, weil er sich noch auf den für tenbunker» liegt in diesem am strengsten bewachten Nachmittag angesagten Staatsbesuch vorbereiten will: Sperrbezirk. Für das Betreten dieser gesicherten Zone Mussolini kommt ins Führerhauptquartier, der von gelten Ausweise, die nur von Fall zu Fall ausgestellt seinem König vor genau einem Jahr abgesetzte und

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Erste Massnah- men

Zwei auch von Stauffenberg unterzeichnete Fernschreiben aus der Bendlerstrasse, in denen die ersten Massnahmen zur Durchführung des Putsches angeordnet wurden. – Abb. oben: Ein aus Verdunkelungspapier mit einem Reissnagel gerissener Scherenschnitt, den Ernst von Harnack in der Gefängniszelle anfertigte. «Wenn ich diese durch Leid ge- prägten Gesichter der Mitgefangenen sah», schreibt Bischof Hanns Lilje, «lauter Persönlichkeiten, die im Leben hohe Verantwortung zu tragen gewohnt waren, und dazu die vollendete Würde wahrnahm, mit der sie ihr Geschick tru- gen, dann konnte ich nie dem Eindruck wehren, hier sei eine geisterhafte Verwechslung geschehen, die Rollen seien dämo- nisch vertauscht, eigentlich müssten Gefangene und Wachter die Plätze wechseln.»

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Widerstand im Krieg Brief der Oberstaatsanwaltschaft beim Landgericht Wien durch den Generalstaatsanwalt in Wien und den Ober- reichsanwalt beim Volksgerichtshof in Berlin an den Reichs- minister der Justiz in Berlin.

Betrifft: Vollstreckung des Todesurteiles an Albin Kaiser, Johann Jandl und Karl Kilzer

Verfügung des Oberreichsanwaltes vom 23. September 1942 – 7 J 93/42. Anlagen: Die Urschrift des Erlasses des RJM vom 17. Sep- tember 1942, der Vollstreckungsauftrag des RJM vom 19. September 1942, 1 Urteilsabdruck, 6 Stüde der öffentlichen Bekanntmachung, 1 Berichtsdurchschlag für den Herrn Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof. Die Todesurteile wurden am 30. September 1942 vollstreckt, und zwar an Albin Kaiser um 18 Uhr 50', an Johann Jandl um 18 Uhr 54' und an Karl Kilzer um 18 Uhr 42'. Vom Zeitpunkt der Übergabe der Verurteilten an den Scharf- richter bis zur Vollzugsmeldung durch diesen verstrichen 8 bis 12 Sekunden. Die Vollstreckungen verliefen ohne Besonderheiten. Die Ortspolizeibehörden in Voitsberg, Tregist und Graz sind ersucht worden, die öffentliche Bekanntmachung, von der 6 Stück anliegen, öffentlich anschlagen zu lassen. Gez. I. StA. Dr. Jaager. Gesehen, Wien, am 7. Oktober 1942 Der Generalstaatsanwalt gez. Dr. Stidi Beglaubigt! Kundmachung von drei Todesurteilen gegen österreichische Metka Widerstandskämpfer. als Justizangestellter (Aus: Herbert Steiner, Zum Tode verurteilt)

Die Gruppen «Maier - Messner» und « Die GrupDie Gruppe «Maier-Messner» und «Galdonazzi»

Die Gruppe «Maier-Messner» unterschied sich in Aufbau europäischen Volker bewusst geworden und musste daher und Arbeit stark von den meisten anderen Widerstands- von den nationalistischen, überheblichen und alles Ausser- gruppen. Ihre Arbeit basierte nicht darauf, eine möglichst deutsche verächtlich machenden Thesen des Nationalsozia- grosse Zahl von österreichischen Patrioten – wenn auch in lismus vor den Kopf gestossen werden. Überzeugt von der kleinen und vorsichtig getarnten Untergruppen – für den Aufgabe des Intellektuellen und vor allem des Geistlichen, bewaffneten Aufstand zu organisieren, sondern sie ver- in schweren Zeiten seinem Volk vorzuleben und beispiel- suchte, zielbewusst und systematisch, einen relativ kleinen gebend an die Spitze zu treten, lehnte er die Aufforderung Kreis für bestimmte Sonderaufgaben heranzuziehen. Die seiner Schweizer Freunde ab, in der Schweiz zu bleiben und Männer und Frauen der Gruppe, deren Zahl nie mehr als kehrte nach Wien zurück. ein Dutzend betrug, waren sorgfältig vor allem nach ihren Gegenüber dem Primat, den die – ihm vom National- geistigen Fähigkeiten ausgesucht, um den genannten beson- sozialismus bedroht scheinenden – ethischen und weltan- deren Aufgaben voll gerecht werden zu können. schaulichen Grundgedanken der abendländischen Welt bei Der politisch-ideologisch führende Kopf war der junge Dr. Maier inne hatten, traten staatspolitische Fragen etwas katholische Geistliche und Kaplan an der Pfarre Wien- zurück. Trotzdem hatte er auch hier klar umrissene Ideen Gersthof Dr. Heinrich Maier. In ähnlicher Weise wie Ro- und Ziele. So kämpfte er bewusst mit seinen Mitarbeitern man Scholz hatte er sich in den Jahren vor Kriegsbeginn für die Wiederherstellung Österreichs, was er als eine der mehrfach in Westeuropa, vor allem in der Schweiz und in Vorbedingungen für eine zukünftige Integration Europas, Frankreich, aufgehalten und war dadurch sichtlich vor für ein Zusammenwachsen gleichberechtigter Völker in Eu- allem in seiner radikalen Ablehnung gegen jedes totalitäre ropa ansah. Diese Integration des europäischen Kontinents System ausserordentlich bestärkt worden. Zugleich war er schien ihm, der aufmerksam die geopolitischen Gedanken sich dadurch der starken inneren Zusammengehörigkeit der und Grossraumlehren Haukhofers verfolgte, dringend an-

548 «Maier–Messner» und «Caldonazzi» zustreben und unvermeidbar. Wenn er 1938 an seinen Fähigkeiten und die Arbeitsmöglichkeit des Dr. Maier er- Freund und späteren engsten Mitarbeiter in seiner Wider- zielt. Selbstverständlich waren auch dem Generaldirektor standsgruppe, Dr. K. Schaden, schrieb, dass «nur mehr Dr. Messner entsprechende Industrieinformationen erreich- folgende drei Machtzentren als möglich erscheinen: Berlin, bar. Die Verbindungen reichten zumindest zeitweise bis in New York und Moskau», so zeigte sich hier seine Einsicht die Gestapo, von wo der Bestand eventueller Verdachts- gegenüber dem naturnotwendigen Zusammenwachsen zu- momente gemelaet wurde. sammengehöriger Grossräume. Wenn er von dieser Seite Zur Verbesserung der Ndchrichtenverbindung wurde bereits dem Nationalsozialismus anfangs gewisse positive Seiten im Oktober 1943 um den Abwurf eines Funkgerätes auf zugebilligt hatte, so erkannte er sofort nach der brutalen dem Riederberg gebeten und dazu eine Planskizze an den Okkupation Österreichs, dass hier kein natürlicher Gross- amerikanischen Nachrichtendienst übermittelt. Diese Funk- raum organisch zu wachsen beginne, sondern dass eine verbindung kam jedoch nicht zustande. Die Nachrichten wur- ideologische Gruppe innerhalb des deutschen Volkes eben den dann zum Teil durch den Londoner Rundfunk mittels dieses organische Wachstum verhindere und mit der Moti- Decknamen durchgegeben. vierung «hie Herrenvolk, hie Untertanenvölker» einen der Ausser dem Nachrichtendienst konnten militärische Ver- grausamsten Unterdrückungsprozesse der neueren Geschich- setzungen mittels Injektionen, die einer der Mi Arbeiter der te durchzuführen suche. So musste ihm die Wiederbefreiung Gruppe, der Mediziner Dr. Josef Wyhnal, vornahm, und Österreichs, des ersten von Hitler überfallenen Landes, als durch Beziehungen verhindert werden.» Auftakt einer nicht aufzuhaltenden, kommenden neuen Lösung Die Tatsache der guten Bekanntschaft Dr. Maiers mit dem im gesamteuropäischen Sinne erscheinen. Generalmajor Stümpfl, in dessen Haus er ständig ein und Seit 1940 fängt Heinrich Maier an, systematisch die Mög- aus ging, ermöglichte es ihm, unzählige militärische und lichkeiten eines politischen Umsturzes zu erwägen. Zu die- rüstungstechnische Nachrichten zu erhalten, welche er teils sem Zwecke versucht er erstmals in den Monaten Mai und durch die seit 1942 bestehenden Kanäle Generaldirektor Juni 1940 in Deutschland, mit oppositionellen Gruppen – Messners, teils durch die seit 1943 bestehende Funkverbin- vor allem mit katholischen Gewerkschaflskreisen – in Ver- dung mit London weitergab. bindung zu treten. Einige Zeit später erhielt er in Wien Seit Beginn des Jahres 1943 bestand auch eine immer enger den Besuch Jakob Kaisers, mit dem er in Verbindung blieb. werdende Verbindung der Gruppe Maier-Messner zur Im Sommer 1941 und im Oktober 1942 führte er dann in Ber- Gruppe des damals 26jährigen Forstingenieurs Walter Cal- lin weitere Gespräche. donazzi. Caldonazzi führte eine etwa 200 Mitglieder umfas- Er gelangte zusammen mit dem langsam in Wien um ihn sende, vorwiegend katholisch-monarchistische Gruppe, deren herum sich bildenden Kreis zu der Erkenntnis, dass «bezüg- engerer Kreis von etwa 40 Personen mit einzelnen Mitarbei- lich der Durchführung eines aktiven Kampfes zur Beschleuni- tern der Gruppe Maier–Messner in Verbindung stand. gung des Zusammenbruches des nationalsozialistischen Sys- tems folgende Tatsachen zu erwägen wären: Über Dipl.-Ing. Hermann Klepell, einen der Angehörigen 1. Tatsache des opferreichen Scheiterns jeder innerpoliti- der Gruppe Maier-Messner, bestand Verbindung zu sozialis- schen Machtbildung, daher tischen Kreisen, während die Kommunistin Frau Pawlin das 2. militärischer Kampf nur in Anlehnung an alliierte Truppen Verbindungsglied zur KPÖ darstellte. möglich, daher Am 28. März 1944 wurden Dr. Heinrich Maier und am 3. Stärkung der alliierten Streitkräfte 29. März Generaldirektor Messner sowie in denselben a) Sabotage der Rüstung, Tagen verschiedene andere Mitglieder der Gruppe verhaftet, b) Nachrichtendienst. ohne dass bisher die genaueren Hintergründe der Verhaftung Seit 1942 wurden über Dr. Franz Josef Messner, den Ge- geklärt werden konnten. Einige Zeit vorher war die Tätigkeit neraldirektor der Semperit-Werke in Wien, via Ankara, der Gruppe Caldonazzi entdeckt und dieser mit einigen seiner sowie über internationale Firmen in der Schweiz systema- Hauptmitarbeiter verhaftet worden. tisch Verbindungen zum amerikanischen Nachrichtendienst Über den Prozess gegen die Verhafteten der Gruppen aufgenommen. Es erfolgte eine regelmässige Übermittlung Maier–Messner und Caldonazzi liegt folgende auszugsweise von Art, Ausmass und Standort der Rüstungsindustrien Abschrift aus dem Urteil des Volksgerichtshofes Berlin, 5. Se- sowie über den Stand der Entwicklungsarbeiten V2 und nat, vor, mit den Geschäftszahlen: Panzer. Es wurden diesbezügliche Fragen der Alliierten «5 H 96/44 – 5 H 100/44 beantwortet... Damit konnte eine Lenkung der alliierten 6 J 158/44 g – 6J 165/44 g Bombenangriffe auf die staatlichen Rüstungsziele und Scho- Im Namen des deutschen Volkes! In der Strafsache gegen nung der Wohnviertel erreicht werden (bis zur Verhaf- 1. den Kaplan Dr. phil. Dr. theol. Heinrich Maier aus Wien, tung Dr. Maiers und Dr. Messners im März 1944 waren die XVIII, geboren am 16. Februar 1908 in Gross-Weikers- Zerstörungen in den Wohnvierteln Wiens minimal). Eine dorf, Verbindung mit den Männern des 20. Juli in Berlin war 2. den Fabrikdirektor Dr. Theodor Legrade aus Wien XXI, vorhanden, und diese Gruppen erhielten verschiedene geboren am 1. April 1880 in Wien, grundlegende Unterstützungen. 3. den Revieroberwachtmeister der Schutzpolizei Andreas Die Unterlagen für die Nachrichten wurden auf rein ge- Hofer aus Wien XIX, geboren am 24. August 1915 in Inns- sellschafllicher Basis, vor allem durch die hervorragenden bruck,

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Widerstand im Krieg verhaftete, von deutschen Fallschirmjägern wieder be- angegangenen Besprechungen notwendigen Papiere be- freite Duce des faschistischen Italiens. finden. Stauffenbergs Schreck ist verständlich. Durch diese Marschall Keitels Adjutant, Major John von Freyend, Vorverlegung besteht die Gefahr, dass er das Attentat hilft dem Attentäter. Stauffenberg fragt ihn unmittel- wieder nicht durchführen kann. Er hat nämlich den bar nach der Besprechung mit Keitel nach einer Mög- Sprengstoff nicht bei sich. Die beiden Sprengladungen lichkeit, sich zu erfrischen und sich ein neues Hemd – die eine mit einem Zehnminutenzünder und die anzuziehen. Freyend zeigt Stauffenberg den Wasch- zweite als Reserve für unvorhergesehene Fälle mit raum und bietet dem Oberst sein eigenes Schlafzimmer einem auf dreissig Minuten eingestellten Zünder – hat zum Umkleiden an. Stauffenberg dankt für das freund- sein Adjutant Haeften in der Aktentasche. Und die be- liche Anerbieten, wäscht sich und betritt dann zu- findet sich mit Haeften und Stieff in diesem Augenblick sammen mit seinem Adjutanten von Haeften Freyends auf dem Weg zum OKH-Hauptquartier «Mauerwald». Schlafzimmer. Wenn nun Haeften nicht rechtzeitig zurückkehrt? Inzwischen ist es wenige Minuten vor 12.30 Uhr, die Schliesslich weiss er nichts von der Vorverlegung der Lagebesprechung muss jeden Augenblick beginnen. Lagebesprechung beim Führer! Keitels Adjutant ist bereits wieder in seinem Dienstzim- Aber Oberleutnant von Haeften wartet nach Beendi- mer und sieht die regelmässig und auch nach Bedarf gung der Besprechung bei Generalfeldmarschall Keitel zwischen «Wolfsschanze» und «Mauerwald» verkeh- schon in einem Wartezimmer des OKW-Bunkers auf rende Eisenbahn-Motordraisine heranrollen. Ihr ent- seinen Chef Stauffenberg. Die gefährliche Aktentasche steigt der Chef der Operationsabteilung im General- hat er bei sich, Stauffenberg kann aufatmen. Jetzt gilt stab, der Generalleutnant Adolf Heusinger, der spätere es nur noch das Problem zu lösen, wie der Sprengstoff Generalinspekteur der deutschen Bundeswehr. unbemerkt in seine eigene Aktentasche umgepackt Freyend blickt auf seine Uhr. Tatsächlich – die Lage- werden kann, in der sich bisher nur die für die vor- besprechung muss gleich beginnen. Er benachrichtigt

4. den Forstingenieur Dipl.-lng. Walter Caldonazzi aus Wien I. Die Angeklagten haben in den Alpen- und Donaugauen, XVIII, geboren am 22. Februar 1903 in Wien, vornehmlich in Wien sowie teilweise im Auslande, in den 5. den Sanitätsgefreiten, früheren Mediziner Josef Wyhnal Jahren 1942 bis 1944 durch Beteiligung an einem separati- aus Wien I, geboren am 19. Juni 1918 in Wien, stischen Zusammenschluss den Hochverrat vorbereitet und 6. den Oberschützen, früheren cand. Dipl.-lng. Hermann dadurch die Feinde unseres Reiches begünstigt. Dabei haben Klepell aus Wien XVIII, geboren am 19. Juni 1918 in Ritsch und Pausinger auch staatsfeindliche Flugblätter her- Wien, gestellt, Maier und Messner haben auch die Verbindung zum 7. den Obergefreiten, früheren Studenten Dr. phil. Wilhelm feindlichen Ausland aufgenommen und dieses auf deutsche Ritsch aus Wien VII, geboren am 15. Februar 1915 in Rüstungswerke zum Zwecke des Luftbombardements hin- Brenz (Triest), gewiesen. Der Angeklagte Wyhnal hat Angehörigen der 8. den Rechtsanwaltsanwärter Dr. Karl F. aus Wien IV, ge- Wehrmacht Mittel verschafft, oder bei ihnen angewendet, boren am 18. September 1912 in Dornbirn, um diese wenigstens zeitweise für den Kriegseinsatz un- 9. den Generaldirektor Dr. Franz Josef Messner aus Wien tauglich zu machen. Hofer hat sich zu diesem Zwecke XVIII, geboren am 8. Dezember 1896 in Brixlegg, unge- von Wyhnal zwei Einspritzungen geben lasen und zusam- klärter Staatszugehörigkeit, men mit Caldonazzi fiebererzeugende Mittel an Soldaten, die 10. den Gerichtsassessor, jetzt Unteroffizier Dr. jur. Cl. Von vor ihrer militärischen Untersuchung standen, weitergege- P. aus Wien XII, geboren am 5. Juli 1908 in Esternogat, ben. Bretagne, II. Wyhnal, Klepell, Hofer und Ritsch haben versucht, fran- sämtliche Angeklagte in Schutzhaft wegen Vorbereitung zösischen Kriegsgefangenen, beziehungsweise einem deut- zum Hochverrat, hat der Volksgerichtshof, 5. Senat, auf schen Soldaten zur Flucht über die Reichsgrenze ins Aus- Grund der Hauptverhandlung vom 27. und 28. Oktober land zu verhelfen. L. hat dem Angeklagten Maier zu dessen 1944, an welcher teilgenommen haben als Richter: hochverräterischen Umtrieben Hilfe geleistet... Senatspräsident Dr. Albrecht, Vorsitzender, III. Es werden verurteilt: die Angeklagten Maier, Hofer, Landgerichtsrat Dr. Zmeck, Caldonazzi, Wyhnal, Klepell, Ritsch, Messner und Pausinger Oberstudienrat Heinlein, zum Tode und zum Ehrenrechtsverlust auf Lebenszeit. Der An- Oberreichsleiter Mühlberger, geklagte L. zu zehn Jahren Zuchthaus und Ehrenrechtsverlust Gauhauptstellenleiter Lettner, auf die gleiche Zeitdauer ... als Vertreter des Oberreichsanwalts: Kammergerichtsrat gez. Dr. Albrecht, gez. Dr. Zmeck» Bischoff, für Recht erkannt: (Aus: Otto Molden, der Ruf des Gewissens.)

550 Im Fiihrerhauptquartier

Marschall Keitel vom Eintreffen Heusingers und Die drei kommen zu spät. Als sie den langen Gang in schickt zugleich einen Oberfeldwebel zu seinem Schlaf- der Mitte der Lagebaracke entlanggehen, hören sie aus zimmer, um den Obersten Graf von Stauffenberg dar- dem quer am Ende der Baracke liegenden Lageraum auf aufmerksam zu machen, dass er sich beeilen müsse, gedämpft die Stimme General Heusingers, der über die die Lagebesprechung beginne gleich. Lage an der Ostfront Vortrag hält. General Buhle Der Oberfeldwebel betritt Freyends Zimmer so eilig, öffnet die Tür, nach ihm betreten Stauffenberg und wie ihm befohlen worden ist. Mit der sich nach innen Freyend den Raum. öffnenden Tur stösst er gegen Oberst Stauffenberg, der Hitler steht an dem grossen Kartentisch genau hinter eben hinter der Tür gestanden hat. Der Oberfeldwebel der Tur, mit dem Rücken zu ihr. Rechts neben ihm steht entschuldigt sich und richtet seinen Auftrag aus, dass Heusinger, der seinen Vortrag kurz unterbricht. Links höchste Eile geboten sei, wolle man den Führer nicht neben Hitler steht Marschall Keitel, neben diesem warten lassen. Generaloberst Alfred Jodl, der Chef des Wehrmacht- Bei einem kurzen Blick durch die geöffnete Tür sieht führungsstabes. der Oberfeldwebel, wie er später vor den vernehmen- Keitel sieht die Zuspätkommenden unwillig an, meldet den Kriminalbeamten aussagt, dass auf dem Bett zwei dann den Obersten Graf von Stauffenberg bei Hitler. Aktentaschen, eine Menge Papiere und ein Paket lie- Freyend hat inzwischen den unmittelbar rechts neben gen. Offensichtlich werden eben die beiden Akten- General Heusinger stehenden Admiral Voss leise gebe- taschen umgeräumt. ten, dem Oberst seinen Platz zu überlassen. Der Admi- Stauffenberg schliesst die Tur wieder hinter dem Ober- ral nickt und begibt sich auf die andere Seite des feldwebel und Oberleutnant von Haeften, der zusam- Tisches, genau Hitler gegenüber, während Stauffenberg men mit dem Oberfeldwebel den Raum verlässt, um dankend seine Aktentasche wieder an sich nimmt. den Mann mit Sicherheit fern von dem Schlafzimmer Heusinger nimmt seinen Vortrag wieder auf, während zu wissen, in dem die beiden Sprengladungen auf dem Stauffenberg nun neben ihm steht. Die Aktentasche Bett liegen. setzt der Oberst vorsichtig auf den Boden, dicht neben Inzwischen drückt der Oberst mit einer Flachzange den den einen der beiden schweren Holzsockel, die den Zünder der ersten Zeitbombe ein. Die Zange hat er Kartentisch tragen. Die Tasche steht an der Innenseite sich extra herrichten lassen, damit er in der Lage ist, des Sockels, in ihr frisst unaufhörlich die Säure an dem sie mit den drei Fingern seiner linken Hand zu be- Draht, der nur noch für kurze Zeit die Feder des dienen. Von diesem Moment an zerfrisst eine Säure all- Schlagbolzens festhalten wird. Wenn die Sprengladung mählich einen in einer Glasampulle befindlichen Draht. dann detoniert, wird sie als erstes Heusinger und Hit- Sobald der Draht reisst, schlägt eine von ihm bisher ler zerreissen, die beide am nächsten stehen. Die Wucht gespannt gehaltene Feder einen Schlagbolzen auf den der Detonation wird durch den massiven Eichensockel eigentlichen Zünder – die Sprengladung detoniert. des Tisches in ihre Richtung, nach links, am stärksten Die Dauer der Säureeinwirkung bis zum Zerreissen des wirken. Drahtes ist auf zehn Minuten berechnet. Die Zündung Aber noch steht der Attentäter selbst seiner Bombe am nun noch einmal anzuhalten ist ausgeschlossen, Stauf- nächsten, wenn er nicht mit zerrissen werden will, muss fenberg kann nun nicht mehr zurück. Die Bombe wird er schleunigst verschwinden. Leise, wie um den Vortrag in zehn Minuten in die Luft fliegen, ganz gleich, wo sie Heusingers nicht noch einmal zu stören, wendet sich sich dann befindet. der Oberst an seinen rechten Nebenmann, der an der Stauffenberg begibt sich nach draussen und trifft dort Tischecke steht, genau aussen neben dem Tischsockel. General Buhle und John von Freyend, mit denen er Dieser Nebenmann ist Oberst Heinz Brandt, Heusin- gemeinsam den Weg bis zur Lagebaracke zurücklegt. gers Stellvertreter, der gleiche Brandt, der vor einem Buhle und Freyend versuchen dem Schwerbeschädigten Jahr aus Gefälligkeit die beiden als Kognakflaschen Oberst die Aktentasche abzunehmen, aber Stauffenberg getarnten Sprengbomben im Führerflugzeug mitgenom- lehnt ab, er trägt die Tasche lieber selbst. men hat. Diesmal wird Brandt nicht davonkommen. Doch unmittelbar vor der Lagebesprechung entschliesst Stauffenberg flüstert Brandt zu, er müsse noch einmal er sich anders. Er übergibt die Tasche an Freyend und hinaus, um ein dringendes Telefongespräch entgegen- bittet diesen, da er als Adjutant Marschall Keitels die zunehmen, dessen Inhalt er für seinen Vortrag dann Möglichkeit dazu hat, die Tasche und ihn selbst mög- brauche. Brandt möge auf die Aktentasche achtgeben. lichst nahe beim Führer zu placieren. Erstens wird er Brandt, freundlich und gefällig seinem heutigen Atten- ja selbst dann Vortrag halten und dazu sowieso in der täter gegenüber wie vor einem Jahr dem Attentäter Nähe des Führers stehen müssen, und zweitens kann er Fabian von Schlabrendorff, nickt zustimmend. so besser auf der Karte verfolgen, worum es geht. Stauffenberg verlässt hinter dem Rücken Hitlers den

551 Widerstand im Krieg

Lageraum und begibt sich durch den langen Flur ins geplant, nach rechts, von Hitler weg, weil Oberst Freie – ohne die Telefonvermittlung aufzusuchen, die Brandt die Tasche an die Aussenseite des Tischsockels in einem der Barackenräume untergebracht ist. Aber gestellt hat. Dem Oberst Brandt wird von der Spreng- das fällt niemandem auf, denn schliesslich weiss nie- ladung sofort das rechte Bein abgerissen, sein Körper mand, unter welchem Vorwand Stauffenberg den Lage- ist von Holzsplittern durchsiebt. Er erliegt den schwe- raum verlassen hat. ren Verletzungen. Ausser ihm sterben General Korten, Der Oberst begibt sich hinüber zum Nachrichtenbun- Hitlers Chefadjutant General Schmundt, der Stenograf ker, der ebenfalls im innersten Sperrkreis A gelegen ist. Berger. Dort wartet der Chef des gesamten Nachrichtenwesens Alle anderen werden mehr oder weniger schwer ver- der deutschen Wehrmacht auf ihn, General Erich Fell- letzt. Gehirnerschütterungen und geplatzte Trommel- giebel, schon seit langem einer der wichtigsten Männer felle tragen alle davon, auch die sonst nur leichter Ver- der Verschwörung. Ihm fällt die Aufgabe zu, sofort letzten – mit einer Ausnahme, und das ist Marschall nach dem Attentat die Zentrale der Verschwörer in der Keitel, dem gar nichts passiert ist, weil der neben ihm Berliner Bendlerstrasse zu verständigen, dem früheren halb auf dem Tisch liegende Hitler die Detonations- Kriegsministerium und nunmehrigen Sitz des Befehls- welle von ihm abgehalten hat. habers des Ersatzheeres. Hitler selbst ist ebenfalls nur leicht verletzt: Gehirn- Inzwischen ist drinnen im Lageraum fast etwas schief erschütterung mit vorübergehender Ohnmacht, Prel- gegangen. Während Heusingers Vortrag hat Hitler eine lung des rechten Ellenbogens, Verbrennungen an den Zwischenfrage gestellt. General Buhle hat gemeint, Beinen, Hautabschürfungen, beide Trommelfelle sind diese Frage falle genau in Stauffenbergs Fach. Der geplatzt. Stabschef des Ersatzheeres könne darauf konkrete Ant- Der Krach der Detonation ist weit über die Grenzen wort geben. In diesem Moment stellt man fest, dass der Sperrkreise hinaus zu hören. In der Nähe vernimmt Stauffenberg nicht mehr anwesend ist. man unmittelbar das Schreien der Verwundeten. Die Oberst Brandt berichtet kurz von dem dringenden ersten Gestalten taumeln aus dem verwüsteten Lage- Telefonanruf, den Stauffenberg draussen in der Ver- raum, einige der Offiziere werden durch die wegen der mittlung abwarten will. Wütend begibt sich der Feld- Sommerhitze weitgeöffneten Fenster ins Freie ge- marschall Keitel selbst zur Telefonvermittlung, wäh- schleudert. rend der Luftwaffengeneral Korten inzwischen die Jeder, der sich noch aus eigener Kraft bewegen kann, neueste Luftlagemeldung bekanntgibt. In der Telefon- sucht das Freie zu gewinnen. Vielleicht gibt es noch vermittlung berichtet der diensthabende Wachtmeister eine zweite Explosion, mag jeder instinktiv befürchten. Adam dem Feldmarschall, dass der einarmige Oberst Hitler verlässt die Lagebaracke halb geschleppt, halb mit der schwarzen Augenklappe nicht bei ihm gewesen gestützt von Keitel. Über umherliegende Trümmer, sei. Keitel begibt sich in den Lageraum zurück und vorbei an Verletzten und den nun herbeieilenden Hel- schickt General Buhle hinaus, der den Obersten Stauf- fern begibt er sich in seinen Bunker. fenberg telefonisch suchen lassen soll. Keitel wendet sich wieder zurück. Er ist in einer ge- Als auch Buhle unverrichteter Dinge zurückkehrt, will radezu begeisterten Stimmung. der Oberst Brandt etwas näher an seinen Chef Heusin- «Der Führer!» ruft er. «Die Vorsehung! Unser Führer ger herantreten, um etwas auf der grossen Lagekarte lebt! Der Führer lebt! Nun erst recht vorwärts zum End- nachzusehen. Er stolpert fast über die Aktentasche sieg. Der Führer lebt!» Stauffenbergs, die ihm im Weg steht. Ärgerlich nimmt Noch ahnt niemand, was eigentlich los ist. Eine Flieger- Brandt sie auf und stellt sie an die Aussenseite des bombe aus grosser Höhe? Ist bei den kürzlich vorge- Tischsockels, wo sie ihn nicht mehr stören kann. nommenen Bauarbeiten eine Mine mit eingebaut wor- Auch Hitler sucht etwas auf der Karte. Der Punkt, den den? er sucht, befindet sich weit im Norden, am oberen Ende Derjenige, der solche Fragen am besten beantworten der Karte. Und so liegt Hitler mit dem ganzen Ober- könnte, hat kurz vor der Explosion noch einmal einen körper auf dem Tisch, sich mit den Ellenbogen auf- Schrecken hinter sich bringen müssen, den er unwis- stützend, als die Säure in der Glaskugel den Draht sentlich selbst verursacht hat. Er ist von der Adjutantur durchgenagt hat und die Schlagbolzenfeder freigibt. gefragt worden, ob er einen Kraftwagen benötige. Das ist der Sekundenbruchteil, in dem sich das Geschick Stauffenberg hat darauf dankend abgelehnt – nein, der ganzen Welt anders entscheiden kann. Die Uhren er habe bereits seinen Wagen zur Verfügung. So kommt zeigen auf 12.42 Uhr. es, dass Stauffenberg, unmittelbar bevor er aus dem Die Sprengladung in der Aktentasche explodiert. Ihre Führerhauptquartier flüchten muss, kein Fahrzeug hat. stärkste Wirkung geht, anders als von Stauffenberg Die Adjutantur hat nämlich von dem gleichen Wagen

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Der Führer lebt! gesprochen, den auch Stauffenberg meint, und so wird General Fellgiebel fragt scheinbar verwundert – er Stauffenbergs Wagen, der ja vom Hauptquartier-Kom- kann jetzt nicht mehr offen sprechen, da Sander nicht mandanten zur Verfügung gestellt worden ist, anderwei- zu den Verschwörern gehört –, was das wohl gewesen tig eingesetzt. sei, worauf Sander gleichmütig erwidert, es gingen Als Stauffenberg den lebensgefährlichen Irrtum er- öfter mal Minen in die Luft, ausgelöst durch Rehe oder kennt, muss sein Adjutant Haeften alles in Bewegung anderes Wild. setzen, um das Missverständnis aufzuklären und den Stauffenberg muss fort – aber da steht der unselige Wagen zurückzuerhalten. Das gelingt buchstäblich in Sander, der ja weiss, dass Stauffenberg eigentlich bei letzter Sekunde. der Lagebesprechung sein sollte. So sagt Stauffenberg Haeften fährt mit dem Wagen am Nachrichtenbunker wie nebenbei: «Ich gehe jetzt zurück zur ,Lage‘. Aber vor, wo Stauffenberg mit General Fellgiebel steht, da ich muss noch mal zum Kommandanten, ich nehme dröhnt die Explosion herüber. Von Stauffenbergs gleich den Wagen, damit’s schnell geht!» Standort sieht man eine Staubwolke in der Nähe der Stauffenberg und Haeften fahren los. Die erste Wache Lagebaracke aufsteigen, einige Trümmerstücke durch vom Sperrbezirk I zu II passieren sie unangefochten. die Luft wirbeln – mehr ist vom Nachrichtenbunker Stauffenbergs Ausweis genügt, noch ist kein Alarm aus nicht zu erkennen. gegeben worden. Bei der nächsten Wache ist es schon Stauffenberg fährt bei der Explosion zusammen. Major schwieriger. Der Wachoffizier dort hat aus eigener Sander von der Adjutantur steht dabei – er hat Stauf- Initiative sofort nach der Detonation eine Sperre an- fenberg eben den Wagen zurückbeschafft – und sagt geordnet. Stauffenberg versucht es mit einem Bluff. später: «Noch nie in meinem Leben habe ich einen «Sonderauftrag des Führers, ich muss dringend zum Menschen so zusammenzucken sehen!» Flugplatz, Generaloberst Fromm wartet auf mich.»

Abb. oben: Ein Flugblatt des Nationalkomitees «Freies Deutschland» gibt die Zeiten und die Wellenlänge seiner Sendungen bekannt. – Abb. rechts: Generalfeldmarschall Paulus (links), der auf Befehl Hitlers in Stalingrad «bis zur letzten Patrone» gekämpft hatte, stellte sich nach seiner Kapitulation dem «Freien Deutschland» zur Verfügung. 553 Widerstand im Krieg

Der Leutnant zögert. Daraufhin greift Stauffenberg in das dem seinen auf dem halben Wege nach Berlin ent- der Wachstube zum Telefon, spricht mit jemandem, gegenkommt, bereits die Sonderkommission der Krimi- wendet sich dann wieder an den Leutnant und sagt: nalpolizei an Bord hat, die im Führerhauptquartier «Na bitte, ich kann passieren!» den Sprengstoffanschlag untersuchen soll. Was er aber Der Leutnant kennt Stauffenberg, dessen Ausweise noch weniger ahnt: In Berlin ist bis jetzt überhaupt sind ebenfalls in Ordnung, und so hebt er den Schlag- nichts geschehen, die Verschwörer haben wieder einmal baum hoch. gezögert, etwas zu tun. Die letzte Aussenwache aber wird fast zum Verhängnis. In der Bendlerstrasse sitzt man schon seit dem Vor- Inzwischen ist Alarm gegeben worden. An der Aussen- mittag wie auf glühenden Kohlen. Die Ungewissheit ist wache Süd ist die Strasse bereits durch Spanische Reiter peinigend. Bis man von General Fellgiebel aus der versperrt, die Wachmannschaft steht mit schussbereiten «Wolfsschanze» Nachricht erhält, kann man nichts tun. Waffen an der geschlossenen Schranke. Und der Wach- Und es wird früher Nachmittag werden, bis Fellgiebel habende, Feldwebel Kolbe vom Führerbegleitbataillon, sich meldet. Von der Vorverlegung der Lagebespre- lässt sich nicht so leicht beeindrucken wie kurz zuvor chung wegen des Mussolinibesuches ahnt man in Berlin der Leutnant. nichts. Ebenso unruhig ist man im Polizeipräsidium. Im Er lässt Stauffenberg nicht ans Telefon, sondern lässt Büro des Polizeipräsidenten Graf Helldorf wartet dieser sich den Teilnehmer nennen und ruft diesen selbst an. mit Graf Bismarck, dem Regierungspräsidenten des Be- Stauffenberg nennt Rittmeister von Möllendorf, den zirks Potsdam, und mit Dr. Gisevius auf das Stichwort Adjutanten des Kommandanten, denn der weiss nicht, zum Handeln. Gisevius ist extra aus der Schweiz von ob Stauffenberg wirklich das Hauptquartier verlassen seinem Aussenposten nach Berlin gekommen, um am darf. entscheidenden Tag dabei zu sein. Möllendorf meldet sich, der Feldwebel übergibt den Zur Mittagsstunde meldet sich ein Major bei Graf Hörer Stauffenberg. Der Oberst tut ahnungslos und Helldorf. General Olbricht hat ihn geschickt. Der fragt, was denn passiert sei? Er könne doch nicht hier Major bringt eine Generalstabskarte von Berlin. Dar- hängenbleiben, sein Flugzeug warte schon auf ihn, für auf sind alle die Gebäude verzeichnet, die gleich zu 13.15 Uhr sei der Start festgelegt. Er müsse unbedingt Beginn des Staatsstreiches besetzt werden sollen. so schnell wie möglich nach Berlin. Helldorf ist erschüttert, als er diese Karte näher Da Rittmeister von Möllendorf Stauffenberg gut kennt betrachtet. Sie ist längst veraltet. Viele der darauf ver- und ausserdem in dieser Minute noch nicht weiss, wes- zeichneten Gebäude gibt es gar nicht mehr, angegebene halb der Alarm ausgelöst worden ist, erteilt er Stauf- Dienststellen sind längst verlegt worden und befinden fenberg die Erlaubnis zum Verlassen des Hauptquar- sich ganz woanders – nur nicht auf dieser Karte. tiers. Der Feldwebel Kolbe lässt sich von Stauffenberg Schliesslich gibt es noch – erst jetzt, unmittelbar bevor den Telefonhörer geben und vergewissert sich noch ein- man endlich handeln muss – Uneinigkeit darüber, wer mal, ob tatsächlich Rittmeister von Möllendorf die denn nun die NS-Dienststellen, Ministerien und andere Erlaubnis gegeben habe. Erst dann lässt er Stauffen- wichtigen Gebäude besetzen soll, die Wehrmacht oder berg und Haeften passieren, die Stacheldrahtrollen die Polizei. Helldorf verlangt plötzlich, dass die Wehr- werden ein wenig zur Seite gezogen. macht die Regierungsgebäude absperren und besetzen Stauffenberg treibt den Fahrer zu höchster Eile an. In müsse, erst dann werde die Polizei Verhaftungen vor- rasender Fahrt geht es in Richtung Rastenburg zum nehmen. Helldorf versichert dem hilflosen Major Feldflughafen. Punkt 13.15 Uhr startet die Heinkel kategorisch, dass er ausdrücklich veranlassen werde, zum Flug nach Berlin. Stauffenberg fiebert der Lan- dass seine Polizei sich ruhig verhalte, bis die Wehr- dung in Rangsdorf entgegen. Von dort wird er sofort macht ihre Aufgabe in dem geplanten Staatsstreich er- in der Bendlerstrasse anrufen, um zu erfahren, was be- füllt habe. reits unternommen worden ist, und um erste Anweisun- Auch in der Bendlerstrasse verhält man sich noch gen zu geben. «ruhig». Um die Mittagsstunde trifft der von Hitler Stauffenberg ahnt nicht, dass er ein weiteres Mal zum Soldaten degradierte Generaloberst Hoepner ein, unerhörtes Glück gehabt hat – nur eine Minute nach der den Oberbefehl über das Ersatzheer übernehmen dem Start der Heinkel ist für den Flugplatz Rasten- soll, da die Verschwörer mit dem augenblicklichen Be- burg ein allgemeines Startverbot befohlen worden. fehlshaber Fromm nicht rechnen können. Hoepner und Wäre der Fahrer nur um eine Minute langsamer gefah- Olbricht sollen sofort nach der von General Fellgiebel ren, dann sässe Stauffenberg in Rastenburg fest – bis aus dem Hauptquartier erwarteten Meldung vom Tod man ihn verhaften würde. Hitlers die ersten längst vorbereiteten Befehle ausgeben Und Stauffenberg ahnt auch nicht, dass jenes Flugzeug, und unterzeichnen.

554 Beck in der Bendlerstrasse

Danach sollen Generaloberst Beck und Generalfeld- Fellgiebel berichtet haben – was nahezu unmöglich marschall von Witzleben in die Bendlerstrasse gerufen ist, wenn man allein den sensationellen Charakter die- werden, um die Aktion vor allem durch ihre Namen ser Meldung bedenkt – oder General Thiele hat bei moralisch zu unterstützen. Anhören des Zusatzes «der Führer lebt» von sich aus Die ganze Aktion läuft unter dem Tarnnamen «Wal- auf ein Scheitern des Staatsstreiches geschlossen und küre», und ironischerweise hat Hitler selbst die Pläne sich nicht mehr beteiligen wollen. für die Aktion genehmigt und unterzeichnet. «Wal- Thiele meldet sich erst 15.15 Uhr, also zwei Stunden küre» – das ist der Aktionsplan für Gegenmassnah- nach Fellgiebels Anruf, telefonisch bei Olbricht, der men im Falle von inneren Unruhen, vor allem für den im gleichen Gebäude sitzt. Er berichtet nur kurz, dass Fall eines Aufstandes der Millionen ausländischer aus dem Führerhauptquartier ein Kommuniqué erwar- Arbeiter in Deutschland. tet werde. Auf die erregten Fragen antwortet er knapp, Alle Truppenbewegungen sind hier schon vorgezeich- er wisse selbst nichts weiter. net: Konzentrierung in den grösseren Städten und In- Wenig später meldet sich Thiele noch einmal – in der dustriezentren, Besetzung der wichtigen öffentlichen «Wolfsschanze» habe ein Attentat stattgefunden. Mehr Gebäude – um diese zu schützen, meint der Original- sagt er auch diesmal nicht. Die wichtigste Frage bleibt plan «Walküre», um sie in die Hand der Verschwörer offen: Ist Hitler nun tot oder nicht? zu bringen, meinen die wenigen dazu notwendigen Olbricht versucht selbst, das Führerhauptquartier zu Zusatzbefehle, die ebenfalls bereits ausgearbeitet wor- erreichen. Wenn Hitler tot ist und alles wie vereinbart den sind – allerdings heimlich. vor sich gegangen ist, dürfte er keine Verbindung mit Das «Unternehmen Walküre» ist schon einmal angelau- der «Wolfsschanze» bekommen, denn General Fell- fen – vor einer Woche, als Stauffenberg von Berchtes- giebel hatte den Auftrag, das Hauptquartier von den gaden aus anrief und mitteilte, er werde jetzt die Nachrichtenverbindungen nach draussen abzuschnei- Bombe zünden, und dann feststellen musste, dass den. Aber die Verbindung kommt zustande. während seiner kurzen Abwesenheit die Lagebespre- General Fellgiebel ist selbst am Apparat. Er sagt nur chung schon beendet war. Das bereits angelaufene einen Satz, der in seiner gewollten Zweideutigkeit Unternehmen konnte von General Olbricht gerade geradezu klassisch ist: noch gestoppt werden. Wer misstrauisch geworden war, «Hier ist eine tolle Schweinerei passiert – der Führer bekam zur Antwort, es habe sich nur um eine Übung lebt!» gehandelt, bei der die Einsatzbereitschaft des Ersatz- Das genügt. Mit dem Staatsstreich wird es also auch heeres überprüft werden sollte. Ein zweites Mal kann diesmal nichts, denn Voraussetzung ist nun einmal die man sich das nicht erlauben. Diesmal gehen die «Wal- Ausschaltung Hitlers, da es sonst aller Wahrscheinlich- küre»-Befehle erst hinaus, wenn Hitler mit Sicherheit keit nach zu einem blutigen Bürgerkrieg kommen wird, tot ist. den man im Interesse Deutschlands kaum verantworten Inzwischen ist auch Generaloberst Beck im Dienst- kann. gebäude des Befehlshabers des Ersatzheeres in der Dennoch nimmt die Erregung noch immer mehr zu. Bendlerstrasse eingetroffen. Er ist in Zivil, während Fremde Gesichter tauchen in den Korridoren der Bend- Generaloberst Hoepner sich umgekleidet hat und nun lerstrasse auf. Offiziere hasten hin und her, man spürt, Uniform trägt. dass dies nicht die normale Unruhe eines aktiven Es ist schon nach 13.00 Uhr, und noch ahnt keiner der Dienstbetriebes ist. Männer in Berlin, dass schon vor mehr als einer Vier- Auch im Polizeipräsidium hat man inzwischen etwas telstunde im Lageraum des Führerhauptquartiers die erfahren. Dr. Gisevius hat seinen Freund Arthur Nebe Bombe in Stauffenbergs Aktentasche detoniert ist. angerufen, den Chef des Reichskriminalamtes. Das General Fellgiebel hat sofort seinen Chef der Amts- Reichskriminalamt ist ja ein Teil des Reichssicherheits- gruppe Wehrmacht-Nachrichten-Verbindungen in der hauptamtes, zu dem wiederum als Abteilung die Ge- Bendlerstrasse angerufen, den Generalleutnant Thiele, stapo gehört. Und so weiss Nebe immer etwas eher und der ebenfalls zu den Verschwörern gehört. Aber Thiele mehr als andere davon, was bei der Nazi-Führung ist zum Mittagessen gegangen, schliesslich ist es gerade vorgeht. Auch Nebe spricht am Telefon nur verschlüs- Zeit dazu. Zwar hat Fellgiebel der Sekretärin ein- selt. In oberflächlichem Plauderton erzählt er, dass «in gesctfärft, Thiele sofort Bescheid zu geben, dass auf den Ostpreussen eine merkwürdige Sache passiert» sei. Eine Führer ein Attentat verübt worden sei, der Führer aber Sonderkommission der Kriminalpolizei fliegt dorthin, lebe. Da die Meldung nicht an die Verschwörer weiter- er selbst hat die Kommission eben zusammengestellt. gegeben worden ist, muss entweder die Sekretärin Der Chef des RSHA, Dr. Ernst Kaltenbrunner, der ihrem Chef nichts von dem Anruf des Vorgesetzten Nachfolger Heydrichs, fliegt mit.

555 Widerstand im Krieg

Gisevius wird nicht klug aus diesen Worten. Was soll schwörung auch nicht verraten, wie es auch die anderen das mit Kaltenbrunner? Will man ihn aus Berlin fort- nie getan haben. locken, ihn irgendwo festsetzen? So abwegig ist der Generaloberst Fritz Fromm befindet sich gerade in Gedanke gar nicht, denn Graf Helldorf hat eben die einer Besprechung. Von all der Aufregung in seinem führenden Vertreter der Berliner Gauleitung der Dienstgebäude hat er, im Gegensatz zu anderen Offi- NSDAP bei sich – und in einem Nebenraum warten zieren, bis jetzt noch nichts bemerkt. die Abschnittskommandeure der Berliner Polizei. Hell- Ohne Voranmeldung steht plötzlich General Olbricht dorf will die Routinebesprechung mit den Parteifunk- in der Tur. Olbricht, der Leipziger Bürosoldat, der als tionären dazu benutzen, sie alle mit einem Schlag fest- Organisator von Freunden und Feinden hoch geschätzt zunehmen, statt die Leute einzeln aus ihren Dienst- wird, doch niemals ein echter Frontsoldat war, hält sich stellen herausholen zu müssen. sonst strikt nicht nur an disziplinarische, sondern auch Auch hier heisst es warten, bis man Klarheit über das gesellschaftliche Regeln. Um so mehr ist der Befehls- hat, was nun wirklich im Führerhauptquartier ge- haber des Ersatzheeres erstaunt, dass dieser Olbricht schehen ist. Niemand kann sich entscheiden – weder jetzt, ohne Anmeldung, ohne wenigstens an die Tür zu dafür, die Massnahmen für «Walküre» endlich in Gang klopfen, unvermittelt im Zimmer steht, ziemlich erregt, zu setzen, noch dafür, den Putsch ein weiteres Mal wie es scheint. aufzugeben–, denn eines ist klar: Ein weiteres Mal Unwillkürlich erhebt sich Fromm von seinem Platz. gibt es dann kein Attentat mehr, keinen Staatsstreich. Olbricht sieht den Generalobersten an, dann den Stabs- Entweder heute – oder niemals mehr! offizier, der seinen Vortrag unterbrochen hat und Die Entscheidung fällt gegen 15.45 Uhr. Um diese Zeit ebenso verwundert dreinschaut wie der Generaloberst. landet das Flugzeug mit Stauffenberg und seinem «Darf ich Herrn Generaloberst unter vier Augen spre- Adjutanten Haeften in Berlin-Rangsdorf. Sie wollen chen?» fragt Olbricht, und der vortragende Stabsoffizier sofort mit dem vorsorglich angeforderten Wagen nach verlässt daraufhin Fromms Dienstzimmer. Berlin hinein, zur Bendlerstrasse im Bezirk Tiergarten. «Herr Generaloberst!» General Olbricht hat Haltung Aber der Wagen ist nicht da. angenommen. «Herr Generaloberst – ich melde gehor- Stauffenberg beauftragt Haeften, sofort bei der Dienst- samst: Der Führer ist einem Attentat zum Opfer ge- stelle anzurufen, wo denn der angeforderte Wagen fallen! Der Führer ist tot! Anscheinend handelt es sich bleibe. Oberst Mertz von Quirnheim meldet sich, der um einen Putsch der SS!» Nachfolger Stauffenbergs als Stabschef bei Olbricht, Fromm kommt diese Eröffnung so unerwartet, dass er ebenfalls einer der Verschwörer. Vom Wagen weiss er zunächst äusserst verwirrt ist. Der Führer tot? Unvor- nichts, aber Haeften erfährt durch ihn, dass bisher in stellbar! Berlin nichts unternommen worden ist, dass der Staats- Als Fromm sich wieder gefangen hat, ist die erste streich noch keineswegs läuft, dass noch nicht einmal Überlegung ein Zweifel. Olbrichts Meldung muss ein die Befehle für den noch legal zu vertretenden Plan Schwindel sein – sonst würde schon längst eine Nach- «Walküre» hinausgegangen sind. richt aus dem Führerhauptquartier vorliegen, Marschall Entsetzt geht Stauffenberg selbst ans Telefon und ver- Keitel hätte längst angerufen. langt erregt, endlich «Walküre» in Gang zu setzen. «Das ist doch Unfug!» sagt er spontan. «Wer hat Ihnen «Hitler ist tot!» schreit er ins Telefon. «Ich habe es doch denn das gesagt, woher wissen Sie das?» selbst gesehen! Jede weitere Verzögerung ist Selbst- «Die Nachricht kam von General Fellgiebel, der sie mord! ,Walküre‘ muss sofort beginnen, sonst war alles persönlich aus dem Führerhauptquartier an General umsonst!» Thiele übermittelt hat, Herr Generaloberst!» Nun endlich, gegen 16.00 Uhr, gehen die längst vor- «Ich bitte Sie, das ist doch unglaublich!» bereiteten Befehle für das Unternehmen «Walküre» «Dann muss ich Herrn Generaloberst mitteilen, dass ich hinaus. General Olbricht unterzeichnet die ersten Fern- selbst daraufhin mit General Fellgiebel gesprochen schreiben, mit ihm Oberst Mertz von Quirnheim – habe. Er selbst hat mir ...» beide «im Auftrag des BdE, Generaloberst Fromm». «Fellgiebel selbst?» Damit beginnt für Olbricht die gefürchtetste Aufgabe «Jawohl, Herr Generaloberst», sagt General Olbricht – den Generalobersten Fromm selbst zur Mitwirkung und nimmt gleichzeitig vorbeugend zu einer Lüge Zu- zu veranlassen. Fromm weiss längst von der Verschwö- flucht, weil er sich des Heimat-Befehlshabers noch rung, wie so viele andere führende Militärs. Aber er immer nicht sicher ist. Er sagt Fromm nicht, dass die hat ebenso wie die anderen – etwa der Marschall von ersten Befehle zur «Walküre» bereits hinausgegangen Manstein oder der Generaloberst Guderian – niemals sind, sondern sucht seinen Befehlshaber mit einem eindeutig Ja gesagt, hat aber andererseits die Ver- Vorschlag zu überrumpeln:

556 Wenn nur Stauffenberg endlich käme

«Ich muss deshalb vorschlagen, Herr Generaloberst, «Wieso – was soll denn los sein?» fragt Marschall Keitel unter diesen Umständen sofort ,Walküre’ auszulösen. zurück. «Hier ist alles in bester Ordnung!» «Aber mir ist Mit dem Tod des Führers müssen sofort alle General- eben gemeldet worden, der Führer sei einem Attentat kommandos das Stichwort für ‚innere Unruhen’ erhal- zum Opfer gefallen!» ten. Wir, die Organisation und die einzelnen Einheiten «Ach was! Das ist barer Unsinn! Es hat zwar ein des Heimatheeres, müssen sofort die vollziehende Ge- Attentat gegeben, es ist aber zum Glück fehlgeschlagen. walt übernehmen! Wer weiss, was sonst passieren Der Führer lebt und ist nur unwesentlich verletzt. Wo ist kann!» übrigens Ihr Chef des Stabes, der Oberst Graf von Stauf- Generaloberst Fromm ist schwankend geworden. Wenn fenberg?» der Führer tot ist, wenn er einem Attentat von Himm- Fromm wundert sich über diese Frage. Wo soll Stauf- lers SS zum Opfer gefallen ist – dann ist wirklich im fenberg denn sein, wenn nicht im Führerhauptquartier? Moment die einzige Macht, die für Ordnung sorgen «Der Oberst Stauffenberg? Der ist noch nicht wieder bei kann, bis sich alles geklärt hat, das seiner Befehlsgewalt mir eingetroffen.» unterstehende Heimatheer. Fromm und auch Keitel legen die Hörer auf. General Olbricht indessen wünscht sich in diesem Olbricht ist verwirrt. Hat Marschall Keitel gelogen, Augenblick den Generalobersten Beck herbei, den ver- als er sagte, Hitler lebe? Oder log Stauffenberg, als er ehrten Erzieher einer ganzen Offiziersgeneration, den vorhin aus Rangsdorf anrief? Jedenfalls wagt Olbricht designierten Reichspräsidenten, den Mann, vor dem nicht, dem Generalobersten Fromm zu sagen, dass ,Wal- auch sein ehemaliger Schüler Fromm sofort Respekt küre’ bereits ausgelöst worden ist. haben würde. Und Beck ist hier, nur ein paar Zimmer- Fromm selbst wendet sich an Olbricht. wände von der Entscheidung getrennt, die sein frühe- «Sie haben es selbst gehört – alles Unsinn. Es gibt kei- rer Untergebener Fritz Fromm jetzt treffen muss. nen Grund, ,Walküre’ in Kraft zu setzen. Ich denke, das Aber , der «Mann der Studierstube», «mehr Wille ist klar!» als Tat», hat eben erst Olbricht vorgeschickt und sich «Jawohl!» sagt Olbricht betreten und kehrt in sein Zim- strikt geweigert, selbst mit Fromm zu sprechen: «Dann mer zurück. würde das so aussehen, als ob ich Fromm als sein ehe- Was soll er nun tun? Sicher marschieren jetzt schon die maliger Vorgesetzter vergattern wollte – nein, Ol- ersten Truppen auf Berlin zu. Soll er das Unternehmen bricht, machen Sie das, auf unserer Seite stehen schliess- noch einmal, wie schon vor einer Woche, abbrechen? lich die richtigen Argumente. Wir brauchen niemanden Gegenbefehle herausgeben? Was wird sein, wenn zu zwingen!» Fromm merkt, dass «Walküre» längst läuft? Und der In diese Olbrichtsche Überlegung hinein schüttelt Befehlshaber des Ersatzheeres muss es bald merken. Fromm den Kopf: Dienstliche Rückfragen werden kommen, Fromm selbst «Wie stellen Sie sich denn das vor, Olbricht? Ich kann braucht nur auf die sich im Hause breitmachende Un- doch nicht einfach ,Walküre’ auslösen! Ich weiss doch ruhe aufmerksam zu werden, die eigene Fernschreib- nicht, ob der Führer wirklich tot ist – und selbst dann stelle im Hause kann wegen irgendeiner Detailfrage bei steht nicht fest, ob ,Walküre’überhaupt notwendig ist!» Fromm anrufen ... Fromm überlegt einen Augenblick. Dann sagt er: «Das Wenn nur Stauffenberg endlich käme! beste ist, ich rufe Keitel an!» Olbricht weiss nicht, dass er «Walküre» in diesem Das Blitzgespräch mit dem Führerhauptquartier wird Augenblick noch ohne alles Aufsehen anhalten kann. über die Vermittlung Rastenburg durchgeschaltet. Ein Die entsprechenden Befehle sind nämlich noch gar nicht paar Sekunden vergehen. Olbricht starrt wie hypnoti- herausgegangen. Olbrichts Stabschef, der Oberst Albert siert auf die Schiebetür an der linken Zimmerwand – Ritter Mertz von Quirnheim, und Stauffenbergs Or- sie führt in Stauffenbergs Arbeitszimmer. Wenn nur donnanzoffizier, Hauptmann Friedrich Karl Klausing, Stauffenberg endlich hier wäre, dann könnte der die haben die Befehle ausgefertigt, aber dann hat Klausing schwere Verantwortung wieder übernehmen. einen entscheidenden Fehler gemacht, der viel zum spä- Generaloberst Fromm gibt Olbricht ein Zeichen, den teren Scheitern des Putsches beigetragen hat. zweiten Hörer aufzunehmen. Eben meldet die Vermitt- Der diensthabende Offizier der Fernschreibzentrale, lung in der «Wolfsschanze», Generalfeldmarschall Kei- Leutnant Wolfram Röhrig, ist über den Inhalt der tes sei sprechbereit. Fernschreiben höchst erstaunt. Gestapo verhaften, Mini- «Bitte sprechen Sie.» sterien besetzen, SD-Beamte festnehmen, ein Putsch der «Hier Fromm! Herr Feldmarschall, in Berlin gehen die SS gegen den Führer, Attentat? wildesten Gerüchte um. Was ist denn im Führerhaupt- Immerhin – das hätte den Leutnant noch nicht daran quartier los?» gehindert, die Fernschreiben weiterzuleiten, auch mit

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Widerstand im Krieg

Nachdem Hitler durch die Bombe Stauffenbergs im Führerhauptquartier (Abb. oben: «Sitzverteilung», rechts unten: Lageplan) nicht getötet worden war, gelang es den Verschwörern nicht, in Berlin (rechts oben) die Macht zu übernehmen.

Das Volk war verraten Meine Herren Richter, wäre der 20. Juli gelungen, dann wäre sicherlich das Resultat auch ein harter Friede gewesen, Am 20. Juli war der Krieg endgültig verloren. Der Sachver- aber, ich glaube, wir können vermuten, die Friedensaussich- ständige Prof. Dr. Schramm hat dies bestätigt. Am 20.Juli war ten des Jahres 1944 wären günstiger gewesen als die des Jah- das deutsche Volk total verraten, verraten von seiner Regie- res 1945. rung; und ein total verratenes Volk kann nicht mehr Gegen- Auch im Jahre 1944 lag allerdings Casablanca hinter uns stand eines Landesverrats sein. und mit Casablanca die Forderung der unbedingten Kapi- Genau so wenig wie man einen toten Mann durch einen tulation; noch aber war nicht geschehen Jalta, nicht ge- Dolchstoss töten kann. Das ist noch nicht einmal ein untaug- schehen war Potsdam, noch bestand die Möglichkeit, durch licher Versuch. die Schaffung einer deutschen demokratischen Regierung die Der Krieg war schon lange vorher verloren und die Wider- Spaltung Deutschlands zu verhüten. Das war die Chance des standskämpfer haben es gewusst. Vor dem Jahre 1933 stan- 20. Juli! den auf den Plakatsäulen Deutschlands die Worte: «Hitler Es ist unmöglich, historisch zu prophezeien; aber ich kann bedeutet Krieg». Es war ein Wort, das leider wahr gewor- auf ein Beispiel verweisen, das uns zeigt, dass gelungener den ist, und jeder Krieg war ein verlorener Krieg, und jeder Widerstand zu einem besseren Frieden führen konnte; ich verlorene Krieg bedeutete die Vernichtung und Zerschmet- meine Italien. Sei dem aber wie ihm wolle. Was die Wider- terung Deutschlands. Das war der Ausgangspunkt der gesam- standskämpfer vollbracht haben, war das grösste nationale ten Konzeption Becks und Goerdelers. Aktivum, mit dem wir Deutschen am Ende des Krieges den Sie wussten, der Krieg war nicht zu gewinnen; denn Deutsch- Alliierten entgegentreten konnten; es war das einzige Akti- land stand gegen die ganze Welt. Der Krieg war verloren, vum, das wir ins Feld führen konnten, als die Kollektiv- bevor der erste Schuss gefallen war, und ihre Konzeption schuld uns ins Gesicht geschleudert wurde. Es war ein Akti- war, Deutschland das Schlimmste zu ersparen. Jeder Ver- vum, das wir dem Widerstandskampf und nur ihm verdanken. such, den Krieg zu verhüten, jeder Versuch, den Krieg ab- zukürzen, bedeutete eine Ersparnis deutscher Menschen- (Aus dem Plädoyer des Generalstaatsanwalts leben, deutscher Arme und Beine, deutscher Wohnungen, Dr. Bauer im Prozess gegen Remer.) bedeutete ein Plus deutscher Weltgeltung.

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Das Volk war verraten

Sperrkreis 1 - 2 Parkplatz v. Staufferibergs Weg zu FuB - im PKW 12,42 Uhr 3m breites t’/jm hohes Stacheldrahtgeflecht Davor: 50m breiter Minengür- tel, Ha.-Stände, MG.-Stände, Ring-Telefon-Warnanlage

Führerhauptquartier Rastenburg «Wolfsschanze» am 20. Juli 1944

559 Widerstand im Krieg der darauf verzeichneten höchsten Dringlichkeitsstufe. misstrauisch geworden, auch durch die nicht zu ver- Befehl ist Befehl, für den Inhalt ist schliesslich nicht er bergende Unruhe im Hause, durch die fremden Gesich- verantwortlich. ter und das Auftauchen von Zivilisten, fordert dann Aber etwas anderes fällt in seinen Verantwortungs- später, am frühen Abend, vom Spandauer Zeughaus bereich, und er macht sofort Hauptmann Klausing da- Waffen und Munition an. rauf aufmerksam. Doch noch ist es nicht ganz so weit. «Herr Hauptmann», sagt Leutnant Röhrig in Klausings Zunächst erst einmal trifft Oberst Claus Schenk Graf Dienstzimmer, «die letzten Fernschreiben sind wohl von Stauffenberg mit seinem Adjutanten Oberleutnant formell nicht ganz in Ordnung, wenn ich mir diesen Werner von Haeften in der Bendlerstrasse ein. Er stürzt Hinweis gestatten darf. Bei dem Inhalt müsste doch we- sofort in Olbrichts Zimmer, von Hast und Aufregung nigstens ein Geheimvermerk eingetragen sein. Diese rot im Gesicht, schwer atmend. Er macht dem Rang- Befehle sollen doch gewiss nicht über das normale und Dienstälteren, ungeachtet jeder formellen Diszi- Fernschreibernetz laufen?» plin, Vorwürfe. Warum ist «Walküre» erst jetzt an- «Um Himmelswillen», gibt Hauptmann Klausing er- geordnet worden, warum sind so viele wertvolle, viel- schrocken zu, «natürlich nicht! Das ist ein Versehen!» leicht entscheidende Stunden versäumt worden? «Dann werde ich die Fernschreiben entsprechend kenn- «Hitler ist tot!» behauptet er. «Ich habe mit eigenen zeichnen», schlägt Leutnant Röhrig vor. «Soll ich sie Augen gesehen, wie man ihn herausgetragen hat. Die unter der höchsten Geheimhaltungsstufe herausgeben? Bombe ist mit der Wirkung einer 15-Zentimeter-Gra- Als ,Chefsache'?» nate hochgegangen, da kann keiner mehr leben!» ruft Und nun macht Klausing unbeabsichtigt den grossen er erregt. Fehler: Er sagt «Ja!» Die Gegenvorstellungen – die unvollständigen Mit- Woran Klausing dabei nicht gedacht hat, ist dies: teilungen Thieles, der Satz Fellgiebels mit den Worten: Fernschreiben, Telegramme und andere Befehle mit «... der Führer lebt» und Olbrichts Erklärung, er selbst dem höchsten Geheimhaltungsvermerk «Chefsache» habe vorhin erst bei Fromm mitgehört, wie Marschall dürfen nur von wenigen, besonders verpflichteten Keitel am Telefon erklärte, der Führer lebe und sei nur Schreibkräften und Nachrichtenoffizieren bearbeitet unwesentlich verletzt – wischt er mit einer Handbewe- werden. Für die Bearbeitung und Weiterleitung von gung zur Seite. «Geheimsachen» und «Geheimen Kommandosachen» Stauffenberg geht sofort zum Telefon und verlangt gibt es eine grosse Anzahl von Mitarbeitern; von den Paris. Denn Paris ist bis jetzt überhaupt noch nicht wenigen aber, die eine «Chefsache» bearbeiten dürfen, vom durchgeführten Attentat, vom nun zu vollziehen- ist heute nur eine einzige Fernschreiberin im Dienst. den Staatsstreich verständigt worden. Im Westen aber Keiner von den Verschwörern hat eine solche büro- fällt vielleicht noch dringender als hier in Berlin die kratische Kleinigkeit zuvor berücksichtigt, auch Haupt- Entscheidung. Dort sind die Militärbefehlshaber, der mann Klausing achtet nicht darauf – und der Leut- Kommandant von Paris und vor allem der Ober- nant Röhrig sieht keinen Grund, den Hauptmann befehlshaber der gesamten Westfront, Marschall Kluge, darauf aufmerksam zu machen; schliesslich weiss der Verbündete der Verschwörer. Hier liegt die militärische doch selbst über die Behandlungen von Geheimsachen Kampfkraft des Staatsstreiches und wartet nur darauf, der verschiedenen Stufen Bescheid. So kommt es, dass eingesetzt zu werden. die brennend wichtigen Fernschreiben nur mit grosser Stauffenberg erreicht seinen Vetter, den Oberstleutnant Verzögerung hinausgehen, weil die eine von den hun- Caesar von Hofacker, der zusammen mit Oberst Finckh dert sonst zur Verfügung stehenden Fernschreiberinnen Führer der Verschwörung in Paris ist. Hofacker, «der die Arbeit allein tun muss. Stauffenberg von Paris», arbeitet im Stab des Militär- Zugleich bereitet sich schon eine andere Gefahr für die befehlshabers für Frankreich, General von Stülpnagel. Verschwörer vor. Eine der Sekretärinnen, die für Klau- Marschall Kluge hat ihn kürzlich selbst nach Berlin zu sing die Unterlagen für die herauszugebenden Fern- Generaloberst Beck geschickt, um dem Oberhaupt der schreiben getippt hat, macht eine Kaffeepause. Bei Verschwörer ausdrücklich zu versichern, er, Kluge, dieser Gelegenheit erzählt sie einem befreundeten ordne sich im Fall des Staatsstreiches sofort seinem Feldwebel, was sie da eben geschrieben hat. alten Vorgesetzten Beck unter und stehe für die gute Der Feldwebel verständigt daraufhin seinen Vor- Sache bereit. So ist Hofacker der wichtige Verbindungs- gesetzten, den Oberstleutnant Franz Herber, Ib bei mann der Berliner Putsch-Führung zur Wehrmachts- General Olbricht, von dieser merkwürdigen Sache. führung im Westen. Herber setzt sich mit einigen anderen Offizieren in Stauffenberg teilt ihm mit hastigen Worten mit, dass das Verbindung, aber keiner weiss etwas Genaues. Herber, Attentat erfolgt und Hitler tot sei.

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Zusammenbruch

Trotz der äusserst schwierigen Bedingungen gelang es auch den bedauernswerten Häftlingen der Konzentrationslager – auch hier, hinter den elektrisch geladenen Stacheldrahtzäunen und den Bewachungstürmen der SS – einen Widerstand zu organisieren. «Von der Handreichung für den Kameraden, mit dem man befreundet war, bis zur gegenseitigen Unterstützung aller nationalen Gruppen, die im Lager waren, knüpfte sich das feste Band der Solidarität. Von der Pause, die man ein- legte, wenn die SS nicht aufpasste, bis zur organisierten Sabotage ganzer Kommandos, von der Zuflüsterung von Informa- tionen über die Bildung kleiner Gruppen bis zu den Besprechungen des Internationalen Lagerkomitees und den Übungen der antifaschistischen Militärorganisationen gab es eine Fülle mannigfaltiger Widerstandsformen . . . Das Internationale Lager- komitee leitet und koordiniert den Kampf gegen SS-Terror und Kriegsproduktion, organisiert die gegenseitige Unterstützung aller Nationen. Alle Kommandos werden internationalisiert, eine internationale Militärorganisation geschaffen und Waffen besorgt. Diese Etappe (von 1942 bis April 1945) endet mit dem Kampf um die Verzögerung der Evakuierung Buchenwalds und mit der Selbstbefreiung der Häftlinge» (Buchenwald – Mahnung und Verpflichtung). – Bild oben: Nach der Befrei- ung entlud sich der Hass der jahrelang gedemütigten und gequälten Opfer gegen ihre Peiniger. An einem Betonpfosten der Stacheldrahtumzäunung wurde ein Angehöriger des SS-Bewachungspersonals gehenkt.

Zahlreiche österreichische Widerstandsgruppen, die sich nach dem «Anschluss» von 1938 gebildet hatten, verfolgten eine doppelte Zielsetzung: Zum einen wollten sie ein freies und unabhängiges Österreich und zum anderen kämpften sie gegen den Anspruch einer Staatsform und Weltanschauung, deren inhumanen und unsittlichen Kern sie erkannt hatten und ab- lehnen mussten. – Unten links: Roman Karl Scholz, Augustinerchorherr des Stiftes Klosterneuburg, war Leiter der «öster- reichischen Freiheitsbewegung», die, straff organisiert, aus Dreier- und Siebenerzellen bestand und etwa 400 Mitglieder zählte. Ihre Mitglieder, die gleichzeitig auch der Wehrmacht angehörten, sollten im Falle der Gefangennahme mit den Alliierten in Verbindung treten, um sich den österreichischen Einheiten anzuschliessen, von denen man annahm, dass sie auf alliierter Seite aufgestellt würden. Roman Karl Scholz wurde am 10. Mai 1944 im Wiener Landesgericht hingerichtet. – Unten Mitte: Hubert Ziegler, Mitglied eines Wiener Widerstandskreises, wurde damit beauftragt, eine «Österreichische Legion» in der Südsteiermark aufzubauen. Bei einem Zusammenstoss mit SS-Truppen ist er im Winter 1944 gefallen. – Unten rechts: Richard Bernaschek, einer der bedeutendsten sozialistischen Köpfe des österreichischen Widerstandes und seiner- zeit Führer des «Republikanischen Schutzbundes», ging nach dem «Anschluss» daran, ehemalige Aktivisten dieser Organisa- tion in der Widerstandsbewegung zu sammeln. Nach seiner Verhaftung und nach masslosen Quälereien durch die Gestapo, wo er keinen seiner Mitkämpfer preisgab, wurde er Ende April 1943, kurz vor dem Eintreffen der Amerikaner, im Konzentra- tionslager Mauthausen erschossen. – Oben Mitte: Rosa Hoffmann wurde wegen Vorbereitung zum Hochverrat – Aufbau einer kommunistischen Jugendorganisation – zum Tode verurteilt und am 9. März 1943 in Berlin hingerichtet. – Oben links: Robert Bernardis, Oberstleutnant im Generalstab, war Mittelsmann zwischen Stauffenberg und den österreichischen aufständischen Offizieren und wurde am 8. August 1944 in Berlin hingerichtet. – Oben rechts: Oberstleutnant Rudolf Raschke, Kommandant der Aufständischen im Gebäude des Wiener Wehrkreiskommandos am 6. April 1945, wurde zwei Tage später in Wien-Floridsdorf hingerichtet, ebenso wie sein Mitverschworener Major Biedermann (Bild auf der linken Seite). ROMAN KARL SCHOLZ HUBERT ZIEGLER RICHARD BERNASCHEK

Als Hitlers Macht zu schwinden begann und seine Niederlage offensichtlich war, brach auch sein europäisches Bündnissystem zusammen. Am 23. August 1944 erfolgte der Abfall Rumäniens, und eine neugebildete Regierung erklärte zwei Tage später Deutschland den Krieg. Am 8. September folgte die Kriegserklärung Bulgariens. In Ungarn wurde der Reichsverweser Horthy (Bild unten, 1942 bei Hitler zu Besuch), der sich im Oktober 1944 um einen Waffenstillstand mit den Alliierten bemühte, von Hitler zur Abdankung gezwungen und in Deutschland interniert. Am 20. Februar 1945 kam es dennoch zu einem Waffenstillstand und zur Kriegserklärung an Deutschland. – Bild oben: Sachadanow und Aussenminister Molotow bei der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens zwischen Finnland und der Sowjetunion am 19. September 1944 in Moskau. Damit war auch Finnland von Deutschland abgefallen. Im Gegensatz zu Rumänien, Bulgarien und Ungarn konnte es sich dem Machtbereich des russischen Kommunismus jedoch entziehen.

Kurz vor dem Einrücken der sowjetischen Streitkräfte in Prag am 9. Mai 1945 brach hier der tschechische Aufstand los. Für die Deutschen gab es nun kein Entrinnen mehr. Nicht für die Soldaten und nicht für die Zivilisten, nicht für die Frauen und auch nicht für die Kinder. Der Aufstand wurde zu einem grausamen und blutigen Rachefeldzug gegen alles, was Deutsch war. – Bild unten: Ein Polizist der Feldgendarmerie wird von tschechischen Widerstandskämpfern zur Exekution geführt. – Bild oben: Strassenkampf in Prag. Mit Gewehren, Revolvern, Äxten, Messern und Beilen begann die blutige Abrechnung mit den Deutschen.

Auch als der Krieg schon vollends sinnlos geworden war, wollte Hitler noch immer nicht aufgeben. Sein schon längst zum Starrsinn gewordener Fanatismus kannte nur das Entweder-Oder. Entweder Sieg oder totaler Untergang, ohne jegliche Rücksicht auf das leidgeprüfte deutsche Volk. – Bild unten: Zwei Männer im Schützengraben. Kinder und Grossväter im Kampf um Berlin, der von vornherein verloren war. – Bild links: In den letzten Tagen des Krieges wurden Hunderte von deutschen Soldaten, die nicht mehr «mit- machen» wollten, von den erbarmungs- los wütenden Exekutionskommandos als Vaterlandsverräter erschossen oder an La- ternenpfählen und Bäumen gehenkt. – Rechte Seite, oben links: Albert Speer, Reichsminister für Bewaffnung und Muni- tion (hier bei der Besichtigung eines er- beuteten sowjetischen Panzers vom Typ T 34), protestierte gegen Hitlers Zerstö- rungsbefehl, durch den das preisgegebene deutsche Gebiet in eine «Verkehrswüste» verwandelt werden sollte: «Die plan- mässige Zerstörung der Grundlagen unse- res Volkslebens ist ein so grosses Unrecht unserem Volk gegenüber, dass das Schick- sal es mit uns dann nicht mehr gut meinen kann. Das, was Generationen aufgebaut haben, dürfen wir nicht zerstören.» Nicht so wie Speer verhielten sich andere «Grö- ssen» des Dritten Reiches. Der Gauleiter Hanke (rechte Seite, oben rechts) beispiels- weise forderte die Bewohner Breslaus auf, ihre Stadt bis zum «äussersten» zu ver- teidigen, während er selbst sich mit dem

Flugzeug noch rechtzeitig in Sicherheit brachte.

Unten links: Als der ehemalige sozialdemokratische Bürgermeister von Penzberg, Hans Rümmer, davon hörte, dass die nationalsozialistische örtliche Parteileitung noch vor dem Einrücken der alliierten Truppen die Brücken, das Wasserwerk und das für Penzberg lebenswichtige Bergwerk zu sprengen beabsichtigte, begab er sich mit einer kleinen Gruppe Gleich- gesinnter zum Rathaus und erklärte den bislang amtierenden Bürgermeister für abgesetzt. Sein Vorhaben, aus Mitgliedern der alten Sozialdemokratie, der Bayrischen Volkspartei und der KPD einen neuen Gemeinderat zu bilden, wurde von der Mehrheit der Penzberger Bevölkerung gebilligt. Ein zu dieser Zeit gerade durch Penzberg ziehendes Werfer-Regiment aber besetzte das Rathaus und fragte bei Gauleiter Giesler an, was zu tun sei. Rümmer und sechs seiner Kameraden wurden verhaftet und anschliessend, am 28. April 1945, von einem Exekutionskommando erschossen. – Unten rechts: Um die Leiden der Bevölkerung Dresdens zu mildern, entschloss sich Dr. Rainer Fetscher, der Sowjetarmee mit einer weissen Fahne ent- gegenzufahren. Hierbei wurde er am 8. Mai 1945 von der SS erschossen. Die Bevölkerung der Stadt ehrte ihn durch die Benennung eines Platzes und einer Strasse mit seinem Namen. Gedenkfeiern, Konferenzen und Ausstellungen erinnern die Öffentlichkeit auch heute noch an die Leiden und Opfer, an die Motive und Ziele der Widerstandskämpfer während der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland und der deutschen Fremdherrschaft in zahlreichen Ländern Europas. – Bild oben: 28.10.1960. Es sei die Pflicht aller freien Völker, die Freiheit in aller Welt zu sichern, erklärte der damalige Bundeskanzler Dr. Adenauer im Plenarsaal des Bundesrates vor dem 6. Kongress des «Internationalen Verbandes demokratischer Widerstandskämpfer und Verfolgtenorganisationen». Zu dem Kongress, der unter dem Motto stand: «Freiheit – das Rückgrat Europas», waren Delegierte aus Holland, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Italien, Österreich, Dänemark und Israel nach Bonn gekommen. – Bild unten: «Aufstand des Gewissens», eine Wanderausstellung mit Fotos und Dokumenten über den deutschen Widerstand. Sophie Scholl, Henning von Tresckow, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Dietrich Bonhoeffer, der Bischof Graf von Galen und Ludwig Beck... – sie alle hatten trotz aller Verschiedenheit der Auffassungen im Einzelnen das eine gemeinsam: Sie waren bereit, gegen das Unrecht des Nationalsozialismus die Stimme zu erheben, selbst auf die Gefahr hin, dabei ihr Leben zu verlieren. Olbrichts Stimme zittert

«Der Staatsstreich ist im Gange. Hier in Berlin wird Ich kombiniere diese Überlegung mit den telefonischen soeben das Regierungsviertel besetzt!» Andeutungen Nebes. Was ist geschehen? Stimmt etwas Oberstleutnant von Hofacker atmet auf. Endlich ist nicht mit dem Attentat? Warum dieser Zeitverlust? . .. die quälende Zeit des Wartens vorbei – es kann auch Trotz der Blitzesschnelle, mit der diese Fragen und in Paris losgehen. Hofacker unterrichtet sofort seinen bestimmt noch eine Unzahl mehr in meinem Kopf her- Vorgesetzten, den General von Stülpnagel, Militärbe- umwirbeln, komme ich zu keinem Ergebnis. Das Bild fehlshaber von Frankreich. dieser beiden jungen Offiziere schlägt gewissermassen Das nächste Telefongespräch von Bedeutung führt durch. Vor die hundert Wenn und Aber schiebt sich Olbricht. Der General führt damit einen Befehl – machtvoll der Gedanke: Jetzt drückst du gleich dem wenn er auch in die äussere Form einer Bitte gekleidet Tyrannenmörder jene Hand, mit der er die historische ist – seines Untergebenen Oberst Stauffenberg aus. Bombe ausgelöst hat. Der Anruf gilt dem Berliner Polizeipräsidium, wo der Der Eindruck Stauffenbergs ist imposant. Gross und Polizeipräsident und SS-Gruppenführer Graf Helldorf schlank steht er da, in Schweiss gebadet, atemlos. Viel- jetzt von dem Attentat unterrichtet wird. Dieser begibt leicht nur, weil er nicht den Uniformrock, sondern eine sich daraufhin in das Zimmer, in dem sich die ebenfalls Litewka trägt, scheint es, er habe zehn oder zwanzig eingeweihten SS-Oberführer Graf Bismarck, Regie- Pfund abgenommen. Irgendwie ist das Massive an ihm rungspräsident von Potsdam, und Dr. Gisevius aufhal- weg, das Robuste. Er wirkt durchgeistigter, zumindest ten. erleichterter, und wenn er bald darauf durch die Räume «Meine Herren, wir fahren!» sagt er. Er hat das hasten wird, könnte man sagen, er tut es gleichsam Koppel mit Pistole umgeschnallt. «Soeben hat mich schwebend. Ein sieghaftes Lachen liegt über seinem Ge- Olbricht dienstlich in die Bendlerstrasse befohlen: Der sicht. Wer ihn sieht, muss ganz das Gefühl haben: Die- Führer sei tot, der Belagerungszustand verhängt, er habe ser Mann ist hindurch. mir im Auftrag des Generalobersten Fromm dringende Erst jetzt, als ich eine leichte Seitenwendung mache, Befehle zu übermitteln.» sehe ich Beck, der sich wohl an der Tur an dem dort Helldorf macht es ganz dienstlich und tut selbst seinen stehenden Kartentisch aufgehalten hat und nun auf vertrautesten Verschwörerfreunden gegenüber so, als uns zutritt. Die Begrüssung ist schweigsam und bewegt. wisse er von nichts. Was soll man in einem solchen Augenblick viel sagen?» Geben wir Gisevius das Wort, der eindringlicher als Dann nimmt Olbricht das Wort. Er spricht nicht von andere die Atmosphäre beschrieben hat, die zu dieser Verschwörer zu Verschwörer, sondern spielt Theater, späten Nachmittagsstunde – es ist inzwischen 17.00 Uhr wie alle an diesem Tag bisher, ausser dem Attentäter. geworden – in der Zentrale der Verschwörer in der Ber- Wie Helldorf selbst eben seinen engsten Freunden liner Bendlerstrasse herrscht: gegenüber im Polizeipräsidium Theater gespielt und ei- «Wir hasten die zwei Treppen hinauf und werden in nen vermeintlich echten Befehl Olbrichts mit dienstlich- Olbrichts Vorzimmer ohne vorherige Anmeldung sofort schneidigem Ton bekanntgegeben hat, so tut es auch Ol- zum Chef hineingeführt. bricht nun. Aber diese paar Schritte von der einen Tür zur anderen Als kenne er seinen Mitverschwörer Helldorf nicht, genügen, die Atmosphäre dieser Putschzentrale in uns eröffnet er ihm, der Führer sei einem Attentat zum aufzusaugen. Hier ist nicht nur Olbrichts, sondern auch Opfer gefallen, die Wehrmacht habe die Befehlsgewalt Stauffenbergs Büro. Hier werden... die entscheidenden übernommen, der Herr Polizeipräsident sei demzufolge Befehle geschrieben und die geheimen Telefonate abge- mit seiner Berliner Polizei ab sofort direkt der Wehr- wickelt. Wir fühlen – jetzt sind wir ,drin‘. [Olbricht] macht unterstellt und habe «die notwendigen Massnah- kommt uns entgegen ... men zu ergreifen». Bereits während wir den Raum durchschreiten, denke Gisevius schildert auch diese so bezeichnende Situation: ich die paar Sekunden, ich traue meinen Augen nicht. «Olbrichts Stimme zittert vor Erregung. Trotzdem hat Tatsächlich, diese beiden Offiziere, die seitwärts am man nicht den Eindruck von etwas Ursprünglichem. Schreibtisch stehen, sind Stauffenberg und der Ober- Hier wird nicht die grosse Wende proklamiert. Das leutnant von Haeften, sein heutiger Begleiter und Ganze wirkt so stark als Deklamation – dass ich mich Helfer. Die Frage schiesst mir durch den Kopf, wie dadurch in die Wirklichkeit zurückversetzt fühle. Die- ihre Anwesenheit hier möglich ist. Sie können doch ses Theater mitten im grossen Drama stellt einen gewis- nicht von einer Rakete von Ostpreussen hierhergeschos- sermassen wieder mit beiden Füssen auf die Erde . . . sen sein. Wenn sie aber mit dem Flugzeug kamen, dann Helldorf geht auf das Spiel ein. Er macht eine kurze, muss das Attentat vor mehreren Stunden stattgefunden militärische Verbeugung und entfernt sich zum Appell haben. seiner Offiziere.

569 Widerstand im Krieg

Aber er ist noch nicht ganz zur Tür hinaus, da durch- Der Generaloberst ist erstaunt, als er Stauffenberg vor schneidet Becks Stimme den Raum, sehr ruhig, sehr be- sich sieht. Müsste sein Stabschef nicht im Führerhaupt- stimmt, immerhin lauter als sonst: quartier sein? Richtig – Marschall Keitel hat ja vorhin ,Einen Augenblick, Olbricht. Wir müssen loyalerweise nach Stauffenberg gefragt. Was stimmt da nicht? den Polizeipräsidenten davon unterrichten, dass gewisse Fromm wird es gleich erfahren. Nachrichten aus dem Hauptquartier vorliegen, denen «Herr Generaloberst!» meldet Olbricht, «Oberst Stauf- zufolge Hitler nicht tot sein soll. Wir müssen jetzt eine fenberg kommt soeben aus dem Führerhauptquartier! klare Entscheidung fällen .. Er kann bestätigen, dass der Führer tot ist!» «Unsinn!» Olbricht erklärt, Keitel habe gelogen, als er von Hitlers sagt Fromm unwillig. «Feldmarschall Keitel hat mir leichter Verwundung gesprochen hat, Stauffenberg ver- vorhin persönlich bestätigt, dass der Führer lebt und nur sichert kategorisch, Hitler sei tot, er habe es selbst gese- leicht verletzt ist. Sie haben es doch selbst gehört, Ol- hen. bricht!» Schliesslich fasst Beck das Ergebnis der Auseinander- Stauffenberg schiebt Olbricht ein wenig zur Seite, tritt setzung zusammen: vor ihn und sieht seinen Chef fest an. «Für mich ist dieser Mann tot . . . Von dieser Linie «Herr Generaloberst – der Feldmarschall Keitel lügt, dürfen wir nicht abweichen, sonst bringen wir unsere er lügt wie immer! Ich habe selbst gesehen, wie der eigenen Reihen in Verwirrung. Ein unwiderleglicher Führer tot aus der Lagebaracke herausgetragen wurde!» Beweis, dass Hitler – und nicht etwa sein Doppel- Der Befehlshaber des Heimatheeres sieht seinen Stabs- gänger – lebt, kann vom Hauptquartier frühestens chef verblüfft an. «Der Marschall lügt wie immer» – nach Stunden geführt werden. Bis dahin muss die Ber- was sind das für ungewohnte Tone? liner Aktion abgeschlossen sein!» Da spricht Olbricht wieder: Widerspruch gegen diese Auffassung, dass auf jeden «Angesichts dieser Lage haben wir das Stichwort für Fall gehandelt werden müsse, als ob Hitler tot sei, erhebt innere Unruhen ausgegeben!» sich nicht. Helldorf fährt eilig zum Polizeipräsidium zu- Fromm ist empört. Vorhin hat er Olbricht noch aus- rück. SS-Oberführer Graf Bismarck steht noch eine drücklich gesagt, dass «Walküre» keineswegs in Frage Weile stumm und verlegen herum, bis Gisevius ihn da- kommt. Er schlägt mit der Faust auf den Tisch: rauf aufmerksam macht, dass er so schnell wie möglich «Das ist glatter Ungehorsam! Was heisst übrigens nach Potsdam müsse, um dort seine Aufgaben zu erfül- ,Wir‘? Wer ist ,Wir‘? Wer hat den Befehl gegeben?» len. Olbricht verlässt der Bekennermut. Nun steht als schwerste Aufgabe bevor, den General- «Mein Chef des Stabes hat den Befehl gegeben, der obersten Fromm, den Befehlshaber des Ersatzheeres Oberst Mertz von Quirnheim ...» der Wehrmacht in Deutschland, entweder davon zu «Dann holen Sie mir den Oberst Mertz sofort hierher!» überzeugen, dass er mitmachen muss, oder aber ihn befiehlt Fromm wütend. Erregt schreitet er auf und ab, auszuschalten. Es wird höchste Zeit dazu, denn «Wal- hin und wieder seinen Stabschef Stauffenberg musternd, küre» läuft schon längst, und die Befehle sind mit der der in ruhiger Haltung stehengeblieben ist. Dann er- Unterschrift des ahnungslosen Fromm versehen. scheint Olbricht mit dem Obersten Mertz von Quirn- Dass die Befehle noch längst nicht hinausgegangen heim. Mertz nimmt Haltung an. sind, weil Hauptmann Klausing dem Nachrichtenoffi- «Herr Generaloberst?» zier Leutnant Röhrig unüberlegt die höchste Geheimhal- «Sie haben, ohne mich überhaupt zu fragen, Befehl für tungsstufe «Chefsache» dafür bestätigt hat, ahnt kei- ,Walküre' gegeben?» fährt Fromm ihn an. ner der Verschwörer. Es kommt auch keiner auf die «Jawohl!» Idee, in der Nachrichtenstelle mal nachzusehen, wie Fromm atmet tief durch. weit die Befehle schon hinausgegangen sind. Man ver- «Sie sind verhaftet, Mertz! Das Weitere wird sich fin- lässt sich blindlings auf die militärische Routine: Die den!» Befehle sind erteilt, also werden sie auch ausgeführt. Noch scheint Fromm nicht begriffen zu haben, dass es Beck weigert sich noch einmal, mit zu Fromm zu gehen. sich hier nicht um eine blosse Disziplinlosigkeit handelt, Das könnte wie «Druck» aussehen – als ob ein solcher sondern um den Staatsstreich, von dessen Vorbereitun- Druck nicht eben notwendig wäre. Aber Beck verlässt gen er selbst seit langem weiss. sich darauf, dass Fromm schon längst von der Ver- Stauffenberg klärt ihn jetzt auf und macht dem drama- schwörung Bescheid weiss, wenn er sich auch nie zur tischen Hin und Her endlich ein Ende: aktiven Mitarbeit bereiterklärt hat. «Herr Generaloberst! Hitler ist tot! Ich selbst war es, So übernimmt Olbricht noch einmal die heikle Mission, der die Bombe während der Besprechung mit Hitler diesmal allerdings begleitet von Oberst Stauffenberg. gezündet hat!»

570 Sie müssen sich erschiessen

Die Erklärung wirkt ungeheuerlich. Sprachlos starrt «Was will er in Zossen? Hier in der Bendlerstrasse ist Fromm seinen Stabschef an, erschrocken, ungläubig. sein Platz! Holen Sie sofort den Feldmarschall hierher!» Sekundenlang herrscht eisige Stille in seinem Arbeits- zimmer. Dann hat Fromm sich wieder gefasst. Bei aller sonstigen Konzilianz – endlich befiehlt Beck Mit leiser Stimme, die in erschreckendem Gegensatz einmal. Schliesslich ist er das neue Staatsoberhaupt, und zu seiner Erregung steht, sagt er: auch ein Feldmarschall hat sich ihm unterzuordnen. «Graf Stauffenberg – Ihr Attentat ist missglückt. Sie Bald darauf führt Beck ein Telefongespräch, um einen müssen sich erschiessen!» anderen Feldmarschall zur Unterordnung zu verpflich- Stauffenberg lächelt überlegen. ten, einen Mann, der noch wichtiger als Witzleben ist «Nein, das werde ich keinesfalls tun ...» – den Oberbefehlshaber der gesamten Westfront, Gene- «Herr Generaloberst», schaltet sich Olbricht wieder ralfeldmarschall Hans-Günther von Kluge. ein, «der Augenblick zum Handeln ist gekommen. In Paris hat Oberstleutnant von Hofacker nach dem Wenn wir jetzt nicht losschlagen, wird Deutschland für Anruf seines Vetters Stauffenberg alle Verschwörer immer zugrunde gehen!» verständigt, die er erreichen konnte. Unabhängig da- Fromm sieht den Chef des Allgemeinen Heeresamtes von hat auch der Oberst Finckh, der Oberquartier- verwundert an. meister an der Westfront, noch einmal einen geheim- «Sind denn auch Sie an dieser Sache beteiligt, Ol- nisvollen Anruf von der Dienststelle des General- bricht?» quartiermeisters Wagner in Zossen bekommen: «Übung «Jawohl», erklärt Olbricht, fügt jedoch gleich erläu- ist abgelaufen. Ich wiederhole: Übung abgelaufen!» ternd hinzu: «Ick stehe aber nur am Rand des Kreises, Und so hat auch Finckh alles Notwendige in die Wege der die Macht in Deutschland übernehmen wird!» geleitet. Fromm strafft sich. Die Zentrale der Verschwörer in Paris ist das Hotel «Dann erkläre ich hiermit Sie alle drei für verhaftet!» «Majestic», der Sitz des Militärbefehlshabers von Erstaunlicherweise ist es ausgerechnet Olbricht, der Frankreich, General Heinrich von Stülpnagel. Hier jetzt kategorisch erwidert: klappt alles ganz anders und viel besser als in Berlin. «Sie können uns nickt verhaften – Sie täuschen sich Stülpnagel beordert sofort seinen Stabschef, den schwer über die wahren Machtverhältnisse! Wir verhaften Sie, herzkranken Oberst von Linstow, den Nachrichten- Herr Generaloberst!» führer von Frankreich, General Oberhäuser, den Chef Es kommt zu einem Handgemenge, in dem die Ver- der Militärverwaltung, Ministerialdirektor Dr. Michel, schwörer, unterstützt durch zwei jüngere Offiziere, die den Kommandanten von Paris, General von Boineburg- auf den entstehenden Lärm hin herbeigeeilt sind, Sieger Lengsfeld, dessen Stabschef, Oberst von Unger, und den bleiben. Kommandeur des Sicherungsregiments, Oberstleutnant Fromm wird zunächst im Nebenzimmer festgesetzt, Kräwel, zu sich. später wird ihm erlaubt, in seine Dienstwohnung zu Stülpnagel hat sich längst entschieden, und er weiss gehen, die sich im gleichen Gebäude befindet. Fromm auch, dass er sich auf seine Offiziere verlassen kann. hat zuvor sein Ehrenwort gegeben, keinen Fluchtver- So kann er die Besprechung ganz kurz halten, hier in such zu unternehmen. Paris ist alles bis aufs I-Tüpfelchen genau vorbereitet. Inzwischen ist Stauffenberg überall und nirgends. Er «In Berlin hat ein Gestapo-Putsch stattgefunden», sagt taucht in diesem Zimmer auf, in jenem. Er erteilt Be- der General. «Auf den Führer ist ein Attentat verübt fehle, telefoniert, während Beck und Gisevius ruhelos worden. Die Wehrmacht hat die vollziehende Gewalt auf und ab gehen. Beck grübelt noch immer, ob seine im Reich übernommen.» Stülpnagel macht eine kurze Entscheidung richtig gewesen ist. Schliesslich fällt ihm Pause. Die anwesenden Offiziere schweigen, keiner etwas ein. stellt eine Frage, sie wissen auch so, worum es in Wirk- «Wo ist eigentlich der Generalfeldmarschall von Witz- lichkeit geht. Dann fährt Stülpnagel fort: leben?» «Der Pariser SD ist sofort zu verhaften, auch die Die Frage ist berechtigt, denn Witzleben müsste ja alles Oberste SS-Führung ist festzunehmen. Bei Widerstand leiten, schliesslich ist er der neue Oberbefehlshaber der ist von der Schusswaffe Gebrauch zu machen!» Wehrmacht. Man ruft bei Witzleben zu Hause an, wo Der Militärbefehlshaber übergibt noch einige Karten der Marschall bleibe. Witzleben hat sein Haus verlassen und Planskizzen, auf denen alle Unterkünfte des Sicher- – in Richtung Zossen, wo sich die Zentrale des OKW heitsdienstes, der Gestapo und der SS mit der Beleg- befindet. schaftsstärke sowie Art und Stärke der Bewaffnung ein- Beck, der sonst so ruhige und besonnene Gelehrte, getragen sind. braust zornig auf. «Alles klar?» fragt Stülpnagel.

571 Widerstand im Krieg

«Jawohl!» lautet die einstimmige Antwort. Die von Marschall Kluge anberaumte Besprechung ist Die deutsche Revolution von Paris ist entfacht, eine die unmittelbare Folge des eben erst von Stülpnagel «Revolution von oben». Ihre Maschinerie ist soeben un- vermittelten Gespräches Beck-Kluge. aufhaltsam in Gang gesetzt worden. Marschall Kluge weiss bereits, dass ein Attentat auf Es ist gerade 18.00 Uhr geworden. Da erhält General Hitler stattgefunden hat, dass also das eingetreten ist, von Stülpnagel einen Anruf aus Berlin, «von Herrn was er selbst immer am entschiedensten gefordert hat Generaloberst Fromm», sagt ihm die Vermittlung. als Voraussetzung für einen Staatsstreich. Dr. Speidel Doch als Stülpnagel den Hörer des Telefons für die hat ihn davon unterrichtet, nachdem er die militärische Fernverbindung abhebt, hört er eine ihm vertraute Lagemeldung abgegeben hat: ein neuer Grossangriff Stimme. Es ist Beck, der als Generalstabschef jahrelang der Engländer bei Caen, im gleichen Raum sind bereits Stülpnagels nächster Vorgesetzter gewesen ist. vier neue Infanteriedivisionen, drei Panzerdivisionen «Sie wissen um die jüngsten Ereignisse?» fragt Beck als und zwei bis drei selbständige Panzerbrigaden fest- erstes. gestellt worden. Es steht also eine Grossoffensive der «Ja, natürlich!» Alliierten bevor. «Gut. Dann habe ich nur zu fragen, ob Sie sich mir an- Nun bekommt Marschall Kluge das über Paris laufende schliessen.» Gespräch «mit Generaloberst Fromm», wie auch ihm «Herr Generaloberst», antwortet Stülpnagel mit aller von seiner Vermittlung gesagt wird. Auch Kluge er- Entschiedenheit, «Herr Generaloberst – ich habe ja da- kennt die Stimme Becks sofort, obwohl der sich nicht rauf gewartet! ... Ich habe bereits befohlen, den gesam- mit Namen nennt. ten SD zu verhaften. Es wird nicht lange dauern, bis die Beck erklärt die Massnahmen, die in Berlin getroffen verantwortlichen SS-Führer sitzen. Die Truppen hier worden sind – dass in Wirklichkeit noch fast nichts ebenso wie ihre Führer sind zuverlässig.» getan wurde, weiss Beck selbst nicht –, dass nach über- Beck bleibt auch Stülpnagel gegenüber so ehrlich wie allhin die entsprechenden Befehle hinausgegangen noch vor einer Stunde gegenüber dem Polizeipräsiden- seien. Dann sagt er: ten Graf Helldorf. Er berichtet, dass noch nicht sicher «Kluge – geben Sie für den Westen das Signal zum sei, ob Hitler wirklich tot sei, die ganze Lage im Führer- allgemeinen Abfall, indem Sie sich offen der Berliner hauptquartier sei noch nicht so klar, wie man sich das Aktion anschliessen!» vorgestellt habe. Man müsse noch mit allerhand Kluge sagt nicht ja und nicht nein, er will Genaueres Schwierigkeiten rechnen. Und zum Schluss des Gesprä- wissen. Ausgerechnet in diesem Augenblick bringt ein ches sagt er: Ordonnanzoffizier eine Meldung. Es ist die soeben – «Was auch kommen mag, Stülpnagel: Die Würfel sind 18.28 Uhr – über alle Sender des Grossdeutschen gefallen. Es gibt für uns nur noch ein Vorwärts!» Rundfunks verbreitete erste offizielle Nachricht von «Dafür stehe ich ein!» ist Stülpnagels Antwort, an die dem Attentat im Führerhauptquartier, in der es auch er sich bis zur letzten Stunde seines Lebens gehalten hat. heisst, der Führer sei so gut wie unverletzt geblieben. Doch dann hat Beck noch eine Frage: Für Kluge ist diese Nachricht ein entscheidendes Alibi, «Was meinen Sie – was wird Kluge machen?» sich nicht festzulegen. Und das sagt er auch zu Beck. Diese Frage kann Stülpnagel nicht beantworten. «Es «Ist das letzten Endes nicht gleichgültig», fragt Beck wird das Beste sein, Herr Generaloberst, wenn Sie zurück, als Kluge ihm seine Bedenken wegen des miss- selbst mit ihm sprechen. Ich lasse das Gespräch hier bei glückten Attentats dargelegt hat, «wenn wir nur ent- mir umlegen und Sie mit Marschall Kluges Hauptquar- schlossen sind, zu handeln?» tier verbinden ...» «Ja, aber ...» Stülpnagel sorgt dafür, dass Beck mit Kluges Haupt- «Kluge, ich frage Sie hiermit ganz klar: Billigen Sie die quartier in St. Germain und von dort mit dem Ge- hiesige Aktion und unterstellen Sie sich mir?» fechtsstand in La Roche-Guyon verbunden wird, jenem Kluge zögert. Er müsse doch als verantwortlicher Ort, an dem noch vor kurzem Hitler durch Rommel Oberbefehlshaber im Westen erst einmal die wirkliche und Kluge verhaftet werden sollte. Lage kennen. Beck versucht ihn daraufhin bei der Ehre Kurz darauf kommt für Stülpnagel ein Gespräch aus zu packen: Kluges Hauptquartier an. General Dr. Speidel ist am «Kluge – damit kein Zweifel aufkommt: Ich erinnere Apparat. Sie an unsere letzten Gespräche und Abmachungen! «Der Herr Feldmarschall von Kluge bittet den Herrn Ich frage: Unterstellen Sie sich mir eindeutig?» General, mit seinem Chef des Generalstabs bis gegen Kluge ist der Hinweis auf seine gegebenen Zusagen 20.00 Uhr zum Gefechtsstand der Heeresgruppe zu hörbar unangenehm, und so sagt er nur noch: kommen. Wichtige Besprechung!» «Gewiss. Aber so wie die Lage ist, muss ich mich erst

572 Fromm wird festgesetzt mit meinen hiesigen Herren beraten. In einer halben Beck schliesslich in einem Nebenraum einsperren und Stunde rufe ich wieder an ...» von einem Posten bewachen. Dieser Anruf des Marschalls bleibt jedoch aus. Olbricht ruft den Generalinspekteur des Führungsnach- Noch aber vertraut der frühere Generalstabschef Beck, wuchses in Döberitz an, dem sämtliche Offiziers- und der nun für wenige Stunden versucht, die Aufgabe Unteroffiziersschulen in Deutschland unterstehen. Auch eines Staatsoberhauptes zu erfüllen, Kluges Wort. Er dieser Mann ist daher für den Staatsstreich besonders lässt das Gespräch über Paris gleich noch einmal weiter- wichtig. Es ist General Specht, ein alter Duzfreund von vermitteln, zum Militärbefehlshaber von Belgien und Olbricht. Als Olbricht ihn bittet, sofort in die Bendler- Nordfrankreich, General von Falkenhausen. Dieses Ge- strasse zu kommen, lehnt er zunächst ab. spräch wird durch Störungen unterbrochen. Falkenhau- «Wieso?» fragt er zurück. «Ist bei Euch was Besonderes sen nimmt tatsächlich an, Generaloberst Fromm spreche los? Brennt’s irgendwo? Erlass mir das lieber, du weisst mit ihm. Was er verstehen kann, ist nur dies: «Der Füh- doch, dass ich nicht gern in diesen Bendler-Laden rer ist tot. Alle anderen Nachrichten sind falsch!» komme!» Olbricht wird dienstlich: Falkenhausen hat selbst eben die Rundfunknachricht «Herr General – es sind Entscheidungen von grosser gehört, und so schreit er in die von Störungen überla- Tragweite gefallen. Bitte kommen Sie sofort nach Ber- gerte Leitung: lin und melden Sie sich bei Herrn Generaloberst Fromm. «Ich höre gerade etwas anderes!» Ende!» «Das stimmt nicht!» sagt der vermeintliche General- Specht kommt die Geschichte spanisch vor. Zufällig oberst Fromm, ebenfalls mit voller Lautstärke. hält sich auch der Chef des gesamten Ausbildungs- «Weiss das Kluge?» brüllt Falkenhausen zurück. wesens der Wehrmacht, General Kunze, auf dem Trup- «Ja, ich habe eben mit ihm gesprochen. Haben Sie noch penübungsplatz Döberitz bei Berlin auf. Specht bittet eine Frage?» ihn, mit nach Berlin zu kommen. Wenn Falkenhausen noch eine hätte, kann er sie nicht Die beiden Generale melden sich im Vorzimmer des mehr stellen – die Leitung ist plötzlich unterbrochen. Generalobersten Fromm. Sie werden gebeten zu war- Falkenhausen beschliesst, selbst den Marschall Kluge ten. Niemand kümmert sich um sie. Die hektische Be- anzurufen. Denn Kluge hat ihm noch vor wenigen triebsamkeit ringsum deutet darauf hin, dass wirklich Tagen, am 9. Juli, erklärt, man müsse endlich gegen etwas Besonderes geschehen sein muss. Schliesslich Hitler handeln und hat sogar Falkenhausens Beden- dauert den beiden Generalen das Warten zu lange, zu- ken abgelehnt, ob es dazu nicht schon zu spät sei. Fal- mal sie selbst durch die geschlossene Tür hören, dass in kenhausen geht es wie eben zuvor Beck. Kluge erklärt Fromms Zimmer eine lebhafte Besprechung im Gang auch ihm, er müsse sich noch genauer informieren, er ist. werde so bald wie möglich zurückrufen. Aber Kluge Specht klopft kurz an die Tur und öffnet sie, ohne ein lässt auch bei Falkenhausen nichts wieder von sich hö- «Herein» abzuwarten. Mit General Kunze zusammen ren. betritt er den Raum. Um den Schreibtisch herum ste- Indessen sind General von Stülpnagel und Oberstleut- hen einige Offiziere, die den Mann am Schreibtisch nant von Hofacker unterwegs nach Kluges Hauptquar- verdecken. General Specht erkennt seinen Freund Ol- tier, während zur gleichen Zeit in Paris die Aktion zur bricht, Olbrichts Stabschef Oberst Mertz von Quirn- Besetzung der SD- und SS-Dienststellen anläuft. heim, Fromms Stabschef Oberst Graf von Stauffenberg. In Berlin werden im Lauf des Nachmittags ausser Ge- Die anderen sind ihm unbekannt. neraloberst Fromm noch einige höhere Offiziere in der Specht meldet, um auf sich aufmerksam zu machen, Bendlerstrasse von den Verschwörern festgesetzt. Der aufs Geratewohl in den Raum hinein, dass er durch Ge- erste ist General Kortzfleisch, als Befehlshaber des Ber- neral Olbricht zu einer Besprechung mit Herrn General- liner Wehrkreises einer der wichtigsten Männer für den oberst Fromm befohlen sei. Staatsstreich. Beck hat ihn zu sich bestellt, und Kortz- Die Versammelten wenden sich zu ihm und Kunze um. fleisch ist auch gekommen, obwohl er weiss, dass Beck Nun sieht General Specht auch, wer hinter Fromms ja nicht mehr aktiv ist und rechtens nichts in der Bend- Schreibtisch sitzt. Es ist ein Zivilist in einer Lodenjacke lerstrasse zu suchen hat. mit Hirschhornknöpfen, darunter ein grünes Hemd. Beck gelingt es nicht, Kortzfleisch von der Notwendig- Der Zivilist, den weder Specht noch Kunze erkennen, keit des Staatsstreiches zu überzeugen. Im Gegenteil, erhebt sich und kommt auf die beiden Generale zu. Er der Berliner Wehrkreisbefehlshaber ist auf das höchste streckt Specht als erstem die Hand entgegen. empört über den «Verrat». «Haben Sie vergessen, dass «Ich freue mich, Sie hier zu sehen, meine Herren. Herr wir einen Eid geleistet haben?» fragt er. So lässt ihn Generaloberst Fromm ist zur Zeit leider nicht ab-

573 Widerstand im Krieg kömmlich. Ich habe seine Geschäfte übernommen und tot... Unsinn, der Marschall Keitel lügt... Jawohl, will Ihnen gleich eine allgemeine Orientierung geben, ein Gestapo-Putsch, ja, Gestapo-Attentat auf den Füh- damit wir Ihrer Mitarbeit versichert sind.» rer, die Gestapo will die Macht übernehmen, verhaften General Specht ergreift die ihm dargereichte Hand Sie sofort alle SD-Leute und die Parteibonzen ...» nicht. Hier scheint ja wirklich allerhand durcheinan- Auf jeden Gesprächspartner geht Stauffenberg indivi- derzugehen, denkt er. Ein Zivilist am Schreibtisch des duell ein. Einem alten Freund ruft er zu: «Ich selbst Befehlshabers des Heimatheeres? ,Ich habe die Ge- habe die Lagebaracke in die Luft gejagt, verdammt schäfte übernommen?’ noch mal! Ich sage dir: Hitler ist tot!», und einem Ge- «Wer sind Sie denn überhaupt? Ich kenne Sie nicht!» neral gegenüber betont er die Befehlsgewalt: «Ich muss sagt er zurückhaltend. Sie auffordern, die Befehle und Anweisungen des Herrn «Ich bin Generaloberst Hoepner!» antwortet der Zivilist Generalobersten Fromm auszuführen. Die Wehrmacht im Jagdrock, die Hand noch immer halb ausgestreckt. hat die Regierungsgewalt übernommen...» Während eines solchen Gespräches öffnet sich die Tur Dem General Specht geht ein Licht auf. Jetzt erkennt er zu Stauffenbergs Zimmer. Unangemeldet steht ein gros- Hoepner auch – und er ahnt zugleich, was hier vor sich ser, breitschultriger hoher SS-Führer in der Tur, beglei- geht. Er zögert einen Augenblick, dann sagt er in schrof- tet von einem Adjutanten und zwei Zivilisten, Kriminal- fem Ton: beamten, wie sich später herausstellt. «Ich kenne keinen Generalobersten Hoepner. Der frü- «Heil Hitler!» grüsst der Mann. «Ich suche den Oberst here Generaloberst Hoepner ist zum Soldaten degra- Graf von Stauffenberg ...» diert worden.» Die Anwesenden fahren erschrocken herum, dann blickt Hoepner lässt die ausgestreckte Hand endgültig sinken. alles auf Stauffenberg. Ist das schon das Ende? Über sein Gesicht zieht ein Schatten. Bevor er etwas Soll der Attentäter verhaftet werden? sagen kann, fährt General Specht schon fort: Stauffenberg selbst sagt ruhig und gelassen: «Was wollen Sie hier überhaupt? Sie sind doch aus der «Ja, bitte?» Wehrmacht ausgeschlossen? Was haben Sie hier zu su- «Oberführer Piffrader», stellt sich der Mann in der chen?» grauen SS-Uniform vor. «Ich komme im Auftrag des Die Stille im Raum wirkt erschreckend. Niemand Reichssicherheitshauptamtes ... Ich habe einige Fragen rührt sich. Hoepner steht wie versteinert da, bleich, die an Sie zu stellen, Herr Oberst.» Lippen fest zusammengepresst. ,Sie sind doch aus der «Wenn es sein muss – bitte.» Wehrmacht ausgeschlossen’ – dieses Wort scheint alle Stauffenberg deutet auf die Tür und begibt sich mit zu lähmen. dem SS-Führer nach draussen und dann in ein Neben- General Specht bricht das Schweigen. Er wendet sich zimmer, in dem sich zwei mit Maschinenpistolen be- zu dem Kameraden, der ihn hierher begleitet hat: waffnete junge Offiziere aufhalten. «Kommen Sie, Kunze, hier haben wir nichts verloren!» Stauffenberg ist bald wieder da. Er hat Piffrader ent- Niemand hält die beiden auf, auch Olbricht steht noch waffnen lassen und ihn samt seiner Begleitung unter wie erstarrt und lässt seinen alten Freund gehen. Kei- Bewachung in dem Nebenraum zurückgelassen. Piff- nem fällt ein, die beiden festzunehmen, damit sie nicht rader hat den Auftrag gehabt, Stauffenberg über die draussen zu einer Gefahr für den Staatsstreich werden. Ursache seines plötzlichen Aufbruches im Führerhaupt- Denn noch hat niemand etwas von dem bemerkt, was im quartier zu vernehmen. Also ist man bei der Gegen- Gebäude des BdE vor sich geht, dass hier eine Gruppe seite noch nicht sicher, dass Stauffenberg der Attentäter von Menschen am Werk ist, die Macht in Deutschland war, und noch weniger weiss man, dass es sich nicht nur an sich zu reissen. um ein Attentat, sondern um einen lange vorbereite- Schon der nächste Besucher zeigt die Ahnungslosigkeit ten Staatsstreich handelt. Das gibt den Verschwörern der Gegner. Der Mann platzt ohne Voranmeldung in neuen Mut – damit haben sie noch immer einen Zeit- das Zimmer Stauffenbergs, der eben ein Telefonge- vorsprung vor dem Gegner, den Zeitvorsprung, der spräch nach dem anderen führt, zuweilen an mehreren durch das lange Zögern bis zur Auslösung von «Wal- Apparaten gleichzeitig. küre» schon verloren schien. Stauffenberg bittet hier einen alten Kameraden mitzu- Generaloberst Hoepner hat inzwischen eine Uniform machen, befiehlt dort mit der Autorität des Stabschefs angezogen, eine Uniform mit Gold und Rot, drei gol- des BdE, beschwört und appelliert an die Einsicht des dene Sterne auf den goldgeflochtenen Schulterstücken, Gesprächspartners. die Uniform eines Generalobersten. Es ist die Uniform «Ich kann mich doch auf Sie verlassen? Natürlich, ich Becks, der nach wie vor in Zivil bleiben möchte, um als weiss es ja!... Nein, hören Sie doch – der Führer ist Staatsoberhaupt nicht den Eindruck einer reinen Mili-

574 Der Leutnant Dr. Hagen tärverschwörung zu erwecken. Ein junger Offizier hat schehen können, wenn dieser kleine NS-Funktionär Hoepner beim Anziehen der Uniform geholfen, Haupt- nicht ausgerechnet an diesem Tage nach Berlin gekom- mann Hans Fritzsche. Heute ist Dr. Fritzsche der per- men wäre, wo er das doch ohnehin nur alle vier Wo- sönliche Referent des Bundestagspräsidenten Eugen chen tut, um formellen Pflichten zu genügen. Gerstenmaier, der an diesem 20. Juli ebenfalls in der Und der Anlass von Dr. Hagens Eingreifen ist noch Bendlerstrasse ist, er hat dem vor kurzem zerschlage- seltsamer – er beruht auf nichts weiter als einer Hal- nen Kreisauer Kreis des Grafen Moltke angehört. luzination. Auf dem Weg zu seinem Vortrag will er Kurz darauf wird noch jemand durch die Verschwörer gesehen haben, wie der längst entlassene Generalfeld- verhaftet. Oberst Glaesemer, der Kommandeur der marschall von Brauchitsch in voller Uniform mit einem Panzertruppenschule Krampnitz. Seine Panzer sollen Staatskabriolett an ihm vorübergefahren ist. waffenmässig das Rückgrat des Staatsstreiches bilden. Zunächst hält Dr. Hagen vor den Offizieren und Un- Aber auch er weigert sich mitzumachen. Bevor er fest- teroffizieren des Wachbataillons – das in Wahrheit Re- genommen wird, kann er noch seinen Adjutanten an- gimentsstärke hat – von 15.00 Uhr bis 16.00 Uhr seinen weisen, den bereits auf Berlin marschierenden Panzern Vortrag zur Lage und zu «NS-Führungsfragen. in seinem Namen den Befehl zur Umkehr zu geben. Danach begibt sich Dr. Hagen auf Einladung des Zwar wird Glaesemer festgesetzt, doch seinen Adju- Kommandeurs des Wachbataillons in dessen Dienst- tanten lässt man ohne Weiteres laufen. Die Generale wohnung, um sich bei einem Umtrunk noch ein wenig Specht und Kunze haben nach dem Intermezzo auch zu unterhalten. nicht sofort die Bendlerstrasse verlassen. Ihnen ist es Hagen ist erst zehn Minuten beim Bataillonskomman- gelungen, bis in Generaloberst Fromms Dienstwoh- deur, da erscheint der Adjutant Leutnant Siebert und nung zu gelangen. Sie haben von Fromm Befehle erbe- meldet aufgeregt, dass der Befehl für innere Unruhen ten, doch keine erhalten. Fromm ist von dem Geschehen gegeben worden sei, der Befehl «Walküre». Der Ba- noch viel zu niedergedrückt gewesen. taillonskommandeur beauftragt den Adjutanten, so- Immerhin wissen Specht und Kunze endgültig Be- fort für die Alarmbereitschaft des Bataillons zu sorgen. scheid, und es gelingt ihnen später – sie haben trotz Er selbst begibt sich, wie das für den Fall «Walküre» ihres Besuches bei Fromm das Dienstgebäude unbehel- planmässig vorgesehen ist, zum Berliner Stadtkom- ligt verlassen können –, mit Marschall Keitel in der mandanten Generalleutnant von Hase, der sein unmittel- «Wolfsschanze» eine telefonische Verbindung zu be- barer Vorgesetzter ist. kommen. Nach einer reichlichen halben Stunde, gegen 16.45 Die grosse Entscheidung fällt schliesslich durch zwei Uhr, ist der Bataillonskommandeur zurück. Er ist krei- Offiziere, die nichts voneinander wissen. Der eine auf debleich. der untersten Sprosse der Rangleiter – ein Leutnant; «Ein Attentat auf den Führer!» eröffnet er seinem all- der andere auf der höchsten und letzten Sprosse mili- monatlichen Gast Dr. Hagen. «Die Regierungsgewalt tärischer Ränge – ein Marschall. Der Leutnant ist Dr. hat die Wehrmacht übernommen. Wir haben den Be- Hagen und der Marschall von Kluge. fehl, das Regierungsviertel zu zernieren!» Leutnant Dr. Hagen ist früher Mitarbeiter von Goeb- Der Bataillonskommandeur begibt sich mit dem Adju- bels im Propagandaministerium gewesen. Er ist augen- tanten und dem Gast zur bereits anberaumten Kom- blicklich für längere Zeit von seinen Pflichten als Offi- mandeursbesprechung. Während dieser Besprechung zier beurlaubt, um im Auftrag von Reichsleiter Martin bedenkt der Leutnant Dr. Hagen noch einmal, was er Bormann, dem Chef von Hitlers Parteikanzlei – die vorhin gesehen haben will. Der geschasste Marschall in «Graue Eminenz des Dritten Reiches» wird Bormann Uniform, und jetzt: «Die Wehrmacht hat die Regie- genannt –, eine NS-Literaturgeschichte zu schreiben. rungsgewalt»? Wenn das nicht irgendwie zusammen- Alle vier Wochen kommt der Leutnant von Bayreuth gehört! nach Berlin und hält vor dem Berliner Wachbataillon Zu einigen Umstehenden äussert er seinen Verdacht, «Grossdeutschland» einen politischen Propagandavor- dass es sich hier möglicherweise um einen Putsch han- trag. Damit das Kind einen Namen und der Literatur- deln könne. funktionär ein Einkommen hat, fungiert er unter der Als der Bataillonskommandeur die Besprechung been- offiziellen Bezeichnung «Verbindungsoffizier des det hat und die Kompanien auf die vorgesehenen Stra- Wachbataillons ,Grossdeutschland’ zum Reichsministe- ssenzüge in der Berliner Innenstadt aufgeteilt sind, rium für Volksaufklärung und Propaganda». Ausge- zieht der Leutnant Dr. Hagen den Kommandeur zur rechnet an diesem Donnerstag ist Dr. Hagen wieder Seite und teilt ihm seine Vermutungen mit. einmal in Berlin-Döberitz, wo das Wachbataillon sta- Schon wenig später sagen beide, der Leutnant und der tioniert ist. Es ist kaum auszudenken, was hätte ge-

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Widerstand im Krieg

Major, vor der schnell gebildeten «Sonderkommission und die Verhaftung der Naziführer vornehmen. Aber wo 20. Juli» des Reichssicherheitshauptamtes das gleiche bleibt der Major, wo bleibt das Wachbataillon? aus: Der Major ist durch des Leutnants Warnung stut- Viel hat man dem Oberst Stauffenberg nachträglich zig geworden und hat durch sein damit hervorgerufe- vorgeworfen, das meiste davon ist zu entschuldigen. nes Misstrauen schliesslich den Putsch der «kleinen Cli- Aber der eine Vorwurf, der wichtigste bleibt: Er hat bei que von Verrätern» zum Scheitern gebracht. seinen Plänen nicht an die Person des dem Dienstrang Denn dieser Major ist, ohne es zu wissen, für das Ge- nach so «kleinen» Kommandeurs des Berliner Wachba- lingen des Putsches von ausserordentlicher Bedeutung. taillons gedacht. Auf ihn, den vielfach für seine Tapferkeit an der Front «Wird denn das Wachbataillon auf unserer Seite sein?» ausgezeichneten Soldaten, haben sich die Verschwörer hat man Stauffenberg kurz vor dem entscheidenden unbedingt verlassen. Tag gefragt. «Vom Wachbataillon hängt doch alles ab?» Eben um diese Zeit wird in der Bendlerstrasse schon «Alles kampferprobte echte Frontsoldaten», hat Stauf- immer aufgeregter nach diesem Major gerufen. fenberg geantwortet. «Sie befolgen jeden Befehl. Jeder «Wo bleibt das Wachbataillon?» einzelne Kompanieführer ist Ritterkreuzträger, und der Der Major mit seinem kriegsmässig ausgerüsteten re- Major, der Bataillonskommandeur, ist sogar Eichen- gimentsstarken Bataillon soll die Ministerien umstellen laubträger!»

Szokoll: Der 20. Juli 1944 in Wien Sofortmassnahmen sind zu treffen: Alle parteipolitischen Funktionäre bis zum Kreisleiter einschliesslich sind ihres Amtes zu entheben und in Haft zu nehmen. Alle übrigen Funktionäre bleiben vorläufig im Amt und üben ihre verbrachte die letzten Tage damit, alle Vorbereitungen Tätigkeit weiter aus. Die gesamte Waffen-SS ist mit sofor- nochmals auf ihre Schlagkraft zu überprüfen. Seit Wochen, tiger Wirkung in das Heer einzugliedern. Weigern sich ja seit Monaten schon, waren wir nachts von Garnison zu einzelne Einheiten, so sind sie aufzulösen. Die Konzen- Garnison unterwegs gewesen, um uns an Ort und Stelle von trationslager sind beschleunigt zu besetzen, die Entlassung der Durchführung der unter dem Stichwort ,Walküre' ge- der politischen Häftlinge ist vorzubereiten. Sämtliche Mass- gebenen, vorbereitenden Befehle persönlich zu überzeugen. nahmen sind möglichst ohne Blutvergiessen durchzuführen. So war in aller Öffentlichkeit offiziell als .Mobilisierung Wtllkür und Racheakte dürfen nicht geduldet werden. Die des Heimatheeres gegen Unruhen und Luftlandetruppen' Bevölkerung soll sich des Abstandes zu den Methoden der Stauffenbergs genialer Plan vorbereitet worden, der Hitler bisherigen Machthaber bewusst werden. innerhalb von vier Stunden die Macht in Deutschland aus der Hand schlagen sollte. Alle, die daran massgeblich betei- Gezeichnet waren die Befehle mit: ,Der Oberbefehlshaber ligt waren, können mit souveräner Ruhe der Kritik gegen- der Wehrmacht, gez. Witzleben, Generalfeldmarschall'... über stehen, die heute diesem einmaligen Werk einer mei- In knapp einer Stunde hatte ich die gesamten Garnisonen sterhaft organisatorischen Planung entgegengebracht wird. und Standorte Wiens, Nieder- und Oberösterreichs alar- Aus innerer Überzeugung hatte ich daher Stauffenberg in Ber- miert, und schon liefen die ersten Meldungen über die lin geantwortet ,Es wird in Ordnung gehen'. befohlenen Bereitstellungen und die Besetzungen der Ge- .. . Die grossen schmiedeeisernen Tore des ehemaligen bäude des Staatsapparates ein. Die zweite der für das Ge- Kriegsministeriums am Stubenring fielen krachend ins lingen des Putsches erforderlichen vier Stunden brach her- Schloss, der Wachkommandant liess scharfe Munition und an, alles verlief programmässig. Noch schlief die viel- Handgranaten ausgeben. Vor mir lag eine Kopie des Tele- köpfige Hydra der Partei- und SS-Dienststellen ahnungslos. gramms, das vor einer halben Stunde aus der Bendlerstrasse In den Bureaus des kommandierenden Generals und des in Berlin, dem Sitz des Aufstandes, an die 17 Wehrkreise Chefs des Generalstabes begannen die Vorbereitungen für und die Oberkommandanten der Frontarmeen ausgesendet die Verhaftungen der Parteifunktionäre, die zu einer drin- worden war. Dieses und ein nachfolgendes Telegramm hatten genden Sitzung in das Generalkommando geladen worden ungefähr folgenden Wortlaut: Der Führer Adolf Hitler ist waren. Um Misstrauen zu vermeiden, wurde das grosse tot. Eine gewissenlose Clique frontfremder Parteiführer hat Tor wieder geöffnet und bald fuhr das erste der grossen versucht, der schwer ringenden Front in den Rücken zu Luxusautos der Parteiführer in den Hof, dem Gaupropa- fallen und die Macht an sich zu reissen. In dieser Stunde gandaleiter Frauenfeld entstieg. Ich gab der Wache die Wei- der höchsten Gefahr hat die Reichsregierung den Aus- sung: ,Alle Personen, die nicht Wehrmachtsuniform tragen, nahmezustand verhängt und mir den Oberbefehl über die sind am Verlassen des Gebäudes zu hindern, im Weigerungs- Wehrmacht und die vollziehende Gewalt übergeben, welche fall festzunehmen, bei Widerstand ist von der Waffe Gebrauch ich auf die territorialen Befehlshaber übertrage. Folgende zu machen.'

576 Der 20. Juli in Wien

Die Art, wie mich der junge, kriegsversehrte Wachkom- mandant darauf anblickte, war das einzige schöne Erlebnis, das mir dieser verhängnisvolle Tag bringen sollte. Als der nächste Wagen vorfuhr und Gauleiterstellvertreter Scharit- zer mit zwei Adjutanten mit Pistolen bewaffnet eintrat, FREIHEIT war die Hydra bereits im Erwachen. Der Chauffeur des Wagens weigerte sich, in den Hof einzufahren, die Ge- sichter der Eintretenden zeigten nervöse Spannung. Durch das Radio wurde die Nachricht von dem missglückten Attentat auf Hitler bekanntgegeben. Kurz darauf traf ein neues Geheimtelegramm aus Berlin ein: ,Die durch den Rundfunk verlautbarte Nachricht, dass Hitler lebt, ist un- richtig. Hitler ist dem Attentat zum Opfer gefallen. Gezeichnet Stauffenberg.' Ein Wagen nach dem anderen fuhr vor. Jetzt kamen General der Waffen-SS Querner, der Kommandeur des SS-Oberabschnittes ,Donau' und Polizeipräsident Gotzmann. Jeder der Angekommenen wurde in ein privates Zimmer geführt und bewacht. Unter Berufung auf die Berliner Zentralstellen wurden ihnen die Pistolen abgenommen. Querner und Gotzmann erklärten sich bereit, an die Seite der neuen Machthaber zu treten. Inzwischen marschierten die Einheiten. In Wr. Neustadt, St. Pölten und den anderen Orten des Wehrkreises mar- schierten die Heerestruppen und besetzten die Postämter und Bahnhöfe. Noch wussten wir nichts von Remer, noch hielten wir das Attentat für geglückt, noch wussten wir ÖSTERREICH nichts von der weiteren Tragik, dass die Telephonverbin- dung mit ,Wolfsschanze', dem Hauptquartier Hitlers in Ost- preussen, entgegen dem Plan keine einzige Minute unterbro- chen war. Ein Flugblatt der österreichischen Widerstandsorganisation Wir hielten jetzt den Vorsprung in der Einsatzbereitschaft «05», die anfangs in der Schweiz, später auch in Österreich für gross genug, um das Überraschungsmoment als ge- hergestellt und insbesondere in Wien und Innsbruck verteilt glückt ansehen zu können. Von Berlin wurde telegraphiert: wurden. ,Als politische Beauftragte für den Wehrkreis werden einge- setzt Reither, Seitz, Marogna-Redtwitz.' Ich gab den Befehl über die Auflösung der SS, ihre Ein- Keitel möglich gewesen, zur Gegenaktion so rasch auszu- gliederung in die Wehrmacht und die Übernahme der poli- holen? Noch hielt ich die Situation für nicht verloren. In die tischen Verwaltung durch die Männer des neuen, anti- allgemeine Zaghaftigkeit und Unklarheit konnte noch hinein- nazistischen Regimes für unseren Wehrkreis, den jetzigen geschlagen werden. Ich raste zu meinem Apparat und liess Landeshauptmann von Niederösterreich Reither, Altbür- mich mit Berlin verbinden. germeister Seitz und den Chef der Abwehrstelle im Wehr- ,Bitte, Oberst Stauffenberg.' ,Ja?' Der Klang seiner Stim- kreis Graf Marogna, einem Verwandten von Stauffenberg. me sagte mehr als die Befehle Keitels. ,Durch einen Anruf Als ich diesen Befehl zur Unterschrift vorlegen wollte, ging Keitels läuft die Aktion in Wien nicht mehr weiter. Esebeck ich an dem Zimmer vorbei, in welchem Scharitzer inhaftiert (der damalige General, welcher General Schubert vertrat) gewesen war. Es stand weit offen und leer. Aus dem Stabs- ist umgefallen. Aber ,Walküre' ist durchgeführt. Noch ist alles zimmer drang mir starkes Stimmengewirr entgegen. Verlegen unklar. Ich bitte um Weisungen ...' standen dort Bewacher und Bewachte einander gegenüber, Einen Moment war es still, dann hörte ich wieder seine die einen zitternd im Nacherleben der Gefahr, an der sie vo- Stimme, seine müde Stimme. Es war wohl das letzte Tele- rübergegangen, die anderen, die Offiziere, zitternd vor dem phongespräch, das er führte: ,Ihr werdet doch nicht auch Geschick, das sie erwarten sollte, beide Teile noch unfähig, schlapp machen wollen', und dann wurde das Gespräch irgend etwas zu unternehmen, irgendwie auf die plötzlich ge- unterbrochen. Als ich wieder ins Chefzimmer zurückkam, änderte Situation zu reagieren. noch schwankend, ob ich nicht trotzdem bei uns alles weiter- ,Wissen Sie schon von den Verrätern?' rief der Oberstleutnant, führen sollte, wurde einem der verhaftet gewesenen Gesta- der Scharitzer bewacht hatte. ,Keitel persönlich hat soeben pohäuptlinge gerade der Hausgebrauch des Telephons von aus dem Führerhauptquartier angerufen. Es ist alles nicht seinem ,Bewacher' schlotternd und zuvorkommend gezeigt. wahr, Hitler lebt wirklich, die in Berlin wollten einen Putsch ,Morzinplatz? Ja! Ganze Kartei auslösen! Sofort!' machenF Die Hydra war zu neuer, grauenvoller Tätigkeit erwacht. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Wieso war es Hunderte wurden noch in jener Nacht verhaftet, Hunderte und Hunderte folgten.» (Karl Szokoll, in: ‚Die Presse’ vom 31. Jan. und 7. Febr. 1948.)

577 Widerstand im Krieg

Entwicklung der Gruppe 05 Über die «Verbindungsstelle Schweiz», der wichtigsten Aus- landsstelle des österreichischen Widerstandes, schreibt der führende Widerstandskämpfer Fritz Molden: Hierüber schreibt der führende österreichische Widerstands- kämpfer Hans Becker: «Der von mir damals entworfene und später in grossen «Die ersten Monate des Jahres 1944 bedeuteten Intensivie- Zügen auch durchgeführte Plan ging von folgenden Er- rung des Ausbaues. Die fortgesetzten Sabotageakte nah- wägungen aus: Um eine Verstärkung und eine gewisse men Formen an, die auch der breiten Öffentlichkeit nicht Aktivierung der Tätigkeit der verschiedenen österreichischen mehr verschweigbar waren. Der Explosion in Enzensfeld Widerstandsgruppen innerhalb Österreichs herbeizuführen, folgten verschiedene Brückensprengungen, im Verkehrs- ist sowohl eine Zusammenfassung wenigstens der wichtig- sektor konnten Einzelbeauftragte in höherer Verwendung sten Gruppen in einer straffen Organisation, wie auch eine systematisch Transportverzögerungen erzielen, die von be- dauernd funktionierende und enge Verbindung mit den sonderer Bedeutung waren. So konnte der Abtransport des Alliierten notwendig. Um die erstrebte Tätigkeit aber Rohöls vom Zistersdorfer Revier behindert werden. Brandle- auch mit Erfolg krönen zu können, müssen unsere Wider- gungen mussten oft als Ersatz für Sprengungen durchgeführt standsgruppen vom alliierten Ausland mit materieller werden, da an Sprengstoffen fortgesetzter Mangel herrschte. (Lieferung von Waffen, Funkgeräten usw.) und psycholo- Immer wieder wirkte sich die schlechte Verbindungsmöglich- gischer (Verbesserung und Verstärkung der alliierten Pro- keit zu den Alliierten aus. Für Stromnetzstörungen und Fern- paganda für Österreich) Hilfe versorgt werden. Hierzu sprechbehinderungen gab es Spezialisten, die verschiedenen wiederum war es notwendig, das zu diesem Zeitpunkt noch sehr aktiven Gruppen angehörten. sehr geringe Vertrauen der Alliierten in die Ernsthaftigkeit Dem Ausbau der zivilen Gruppen ging die Infiltration in und Seriosität der Österreicher Widerstandsbewegung zu der Wehrmacht parallel. Im Winter 1943-1944 hatte sich heben und den zuständigen alliierten Stellen den Beweis in Wien eine Organisation konsolidiert, die die Heeres- der Existenz der österreichischen Widerstandsbewegung zu streifen Gross-Wiens, Sanitätsersatzabteilung 17, Wehr- geben. machtsstreife XVII., Landesschützenbataillon 896, Infanterie- Auf meinem Sektor konnte ich zur Erreichung der eben ange- ersatzbataillon 134, Artillerieersatzabteilung 109, Pionierer- führten Ziele Folgendes tun: satzabteilung 80 und Standortbataillon II. umfasste. Eine Fäl- 1. Schaffung eines gut funktionierenden Nachrichten- und scherwerkstätte für militärische Ausweisdokumente mit Verbindungsdienstes zwischen Österreich bzw. dem Grossbetrieb etablierte sich. Erkrankungskuren und ärztliche deutsch besetzten Norditalien einerseits und unseren, be- Falschmeldungen wurden von einer Gruppe von Militärärzten reits Kontakt mit den Alliierten habenden Meldeköpfen in durchgeführt, die im Zusammenspiel mit dem Sanitätsperso- der Schweiz andererseits. nal die Angehörigen der Widerstandsgruppen vor der Abkom- 2. Möglichst schnelle Zusammenfassung aller uns bekannten mandierung an die Front bewahrten. Deserteure erhielten fal- Widerstandsgruppen unter eine einheitliche Leitung und sche Ausweise und Reisedokumente, um verschwinden zu kön- Bildung eines politischen, aus allen im Widerstand tätigen nen. Parteien zusammengesetzten Komitees in Wien, das die Eine zweite Gruppe, die etwas später mit Zivilabteilungen geistige Führung im Widerstandskampf übernehmen unter dem Namen «österreichisches Nationalkomitee’' einen kann.. eigenen Verband bildete, führte ähnliche Aktionen innerhalb der Dienststellen des Luftgaues XVII durch. Die Österreicher, Am 18. Dezember 1944 kommt es mit der Bildung des die keine Nationalsozialisten waren, wurden den Dienststellen «Provisorischen österreichischen Nationalkomitees» (POEN) im Lande zugewiesen, die Deutschen abkommandiert ... zu dieser Zusammenfassung österreichischer Widerstands- gruppen. Nach zahlreichen Gesprächen verschiedener Wider- Die Organisation vervollständigte sich in wenigen Wochen standsführer erzielt man am 3. März 1945 folgendes Resultat: so, dass mit der gleichzeitigen Ausnützung des in Aufstellung «Die Organisation ,05’ ist die Zusammenfassung der im begriffenen Volkssturmes, der bald in höheren Kommando- Provisorischen österreichischen Nationalkomitee ,POEN‘ stellen mit Unsrigen besetzt war, die Möglichkeit eines aktiven vertretenen österreichischen Widerstandsgruppen. In der Or- Angriffes unsererseits gesichert war. ganisation ,05’ sind zusammengefasst: Nun mussten auch die Strassenaktionen in grossem Masse Die aktiven Widerstandsgruppen der österreichischen So- durchgeführt werden. Es war notwendig, ein Zeichen zu erfin- zialdemokratischen Partei. Die aktiven Widerstandsgruppen den, das kurz und einprägsam ist. Die Anfangsbuchstaben des der christlichsozialen und christlichdemokratischen Partei- Wortes Österreich ergeben 03 (e = fünfter Buchstabe des Al- richtungen. Die aktiven Widerstandsgruppen der Kommu- phabets). Eine Nacht später waren die Strassen dreier Wiener nistischen Partei in Wten. Die aktiven legitimistischen Wi- Bezirke mit dem Zeichen verschmiert. Die nächste Nacht derstandsgruppen. Die Widerstandsgruppen innerhalb der tauchte es in allen Bezirken auf und einige Tage später gab es österreichischen Polizei. Die Widerstandsgruppen der öster- bereits eine Sonderabteilung für 05 in der Gestapo-Leit- reichischen Einheiten der deutschen Wehrmacht in Öster- stelle.» reich. Der Generalstab ,05’ untersteht direkt dem Proviso- rischen österreichischen Nationalkomitee in Wien. Die Or- ganisation FFÖ (Freiheitsfront Österreich) ist im ,05’ auf- gegangen.»

578 Ist der Mann auch zuverlässig?

Stauffenberg hat damit recht, und doch hat er bei die- lons, Buck und Siebert. Der geistersehende Hagen war ser Schilderung einiges nicht bedacht. So etwa, dass die- nämlich indessen nicht müssig. ser Major das Eichenlaub zum Ritterkreuz des Eiser- Er ist bei Minister Goebbels gewesen. Im Ministerium nen Kreuzes eben erst – was in jenen Tagen schon am Wilhelmplatz, wo heute Ulbrichts Propaganda- nicht mehr selbstverständlich ist – mit anerkennen- chef Norden residiert, hat er ihn nicht angetroffen. So den Worten aus der Hand des Führers selbst empfan- ist Hagen in Goebbels’ Wohnung geeilt, die wenige gen hat, sich ihm also noch verbunden fühlen könnte. Meter vom Ministerium entfernt in der Hermann-Gö- Der Major trägt das Goldene Ehrenzeichen der Hitler- ring-Strasse liegt, die heute Stresemannstrasse heisst jugend – und bei ihm ist der fanatische Nazi Hagen. und auf deren rechter Seite Ulbricht am 13. August 1961 Dabei liegt beim Wachbataillon alles. Eben hat der das erste Stück seiner Mauer bauen liess, quer über die Major vom Stadtkommandanten Generalleutnant von Stelle, an der am 20. Juli 1944 noch Goebbels’ Haus Hase den Befehl erhalten, das Regierungsviertel zu um- steht, das heute nicht mehr existiert. stellen, niemanden herein- und herauszulassen. Auch Es ist genau 17.45 Uhr, als Goebbels Dr. Hagen emp- keinen Minister – niemanden, der nicht einen Passier- fängt. Dieser unterrichtet den Propagandaminister von schein des Stadtkommandanten oder der Dienststelle dem, was inzwischen vorgefallen ist. Das Wachbatail- des BdE in der Bendlerstrasse vorzeigen kann. lon sei alarmiert worden; der Führer soll einem Attentat Noch kann den Major das, was der Leutnant Hagen zum Opfer gefallen sein; er selbst habe den Feldmar- zu ihm sagt, nicht irritieren. Was geht es ihn an, wen schall von Brauchitsch in voller Uniform durch Berlin Hagen da in der Stadt gesehen haben will. Befehl ist fahren sehen; die Regierungsgewalt sei in die Hände Befehl. Erst ein ganz schwacher Schatten von Miss- der Wehrmacht übergegangen und das Wachbataillon trauen liegt über den Gedanken des Majors, als er sich habe den Befehl erhalten, das Regierungsviertel zu zum zweiten Befehlsempfang beim Stadtkommandan- zernieren, niemanden passieren zu lassen. ten meldet. Während Goebbels zunächst noch skeptisch ist, dringt Es hat einen Offizier gegeben, der noch wichtiger als lautes Motorengeräusch ins Zimmer. Ein Blick durchs der Kommandeur des Wachbataillons gewesen wäre, Fenster zeigt, dass tatsächlich eine Lkw-Kolonne mit der längst auf Seiten der Verschwörer stand, der Oberst schwerbewaffneten Soldaten vom Brandenburger Tor Friedrich Wilhelm Heinz. Der erklärt nach dem Kriege: kommend die Strasse herauffährt. Einer der Lastkraft- wagen hält an. Die Soldaten gehen auf der anderen «Am 20. Juli war ich, meine Gesinnung und Einsatz- Strassenseite in den Büschen und hinter den Bäumen bereitschaft kannte man, Kommandeur des Streifen- des hier beginnenden Tiergartens in Stellung. dienstes im ganzen [Berliner] Wehrkreis III. Es war «Unglaublich, unglaublich», sagt Goebbels leise. Er die entscheidende Schlüsselstellung zur Durchführung sieht den Leutnant an. «Scheint, als hätten Sie recht. eines Staatsstreiches. Aber ich wurde nicht einmal zu Auf den Führer ist übrigens wirklich ein Attentat verübt Rate gezogen. Als ich am 18. Juli in der Ahnung des- worden, aber er ist so gut wie unverletzt. Ja, was machen sen, was sich ereignen werde, General von Hase vor- wir jetzt?» schlug, mir für den Eventualfall sofort das mir noch «Den Kommandeur des Wachbataillons herholen», immer ergebene Brandenburgische Bataillon und das schlägt Hagen vor. Berliner Wachregiment zur Verfügung zu stellen, sah er «Ist der Mann auch zuverlässig?» fragt Goebbels zwei- mich fassungslos an...» felnd, wie auch die Verschwörer schon gefragt haben. Jetzt erhält der Major von General Hase den Befehl, «Unbedingt, Herr Minister, meinen Kopf dafür. Er ist das Rundfunkhaus in der Masurenallee zu besetzen, Eichenlaubträger, ein tapferer Frontoffizier!» ant- Wachen für die Bendlerstrasse zu stellen, das Gebäude wortet Hagen dem Zweifler mit fast den gleichen der Gestapo und des Reichssicherheitshauptamtes in der Worten, die auch der General von Hase und der Oberst Prinz-Albrecht-Strasse zu isolieren und das Gebäude Stauffenberg gegenüber Zweiflern an der Zuverlässig- des Reichspropagandaministeriums zu besetzen, den keit des Majors gebraucht haben – nur dass jeder die Minister Dr. Goebbels festzunehmen. entgegengesetzte Ansicht über Zuverlässigkeit vertritt. Der Major richtet in der Kommandantur am Branden- Wirklich, von diesem Major hängt das Schicksal des burger Tor, Unter den Linden 1, seine Befehlsstelle Staatsstreiches ab. In wessen Sinn wird dieser Mann ein. Dann marschieren seine Männer los zu den ange- jetzt «zuverlässig» sein? wiesenen Einsatzpunkten. Wahrend der Major noch Während Hagen zur Kommandantur fährt und mit einmal mit dem Stadtkommandanten spricht, erscheint den Leutnants Buck und Siebert flüstert, verlangt im Vorzimmer der Leutnant Dr. Hagen und spricht Goebbels per «Führungsblitz» ein Gespräch mit dem aufgeregt mit den beiden Leutnants des Wachbatail- Führerhauptquartier. Er ist der erste der Nazi-Führer,

579 Widerstand im Krieg der erfahren hat, dass es sich nicht nur um ein Attentat, «Herr Minister, ich habe meine Befehle auszuführen. sondern um einen wohlvorbereiteten Staatsstreich han- Die Meldung vom Tod des Führers ist doch offiziell. delt. Das ist fünf Stunden nach der Explosion von Stauf- Ich kann meinen Vorgesetzten schliesslich nicht den fenbergs Bombe! Befehl verweigern .. .» Im Führerhauptquartier ist man zunächst fassungslos. Goebbels hat die richtige Idee. Er greift zum Telefon. Ein Staatsstreich? Regierungsgewalt beim Heer? «Führungsblitz! Das Führerhauptquartier, schnell, so- Immerhin kommt bald darauf eine zweite derartige fort. Den Führer persönlich!» Nachricht. Die von den Verschwörern nicht festgenom- Der Major stutzt erstmals. Den Führer persönlich? Ei- menen Generale Specht und Kunze haben endlich vom nen Toten? Da hört er Goebbels schon weitersprechen: Truppenübungsplatz Döberitz aus telefonisch das Füh- «Heil, mein Führer! Bei mir ist der Kommandant des rerhauptquartier erreicht. Es gelingt ihnen, den Gene- Wachbataillons ,Grossdeutschland’. Er hat von den Put- ralfeldmarschall Keitel an den Apparat zu bekommen. schisten den Befehl, das Regierungsviertel zu zernieren Ihm berichten sie, was ihnen in der Bendlerstrasse wi- ... Jawohl, mein Führer!» derfahren ist. Goebbels reicht dem Major den Hörer hin. «Der Führer Keitel ist eben von dem Anruf des Propaganda- möchte Sie persönlich sprechen.» ministers informiert worden. Ausgezeichnet, dass die In diesem Augenblick tritt der Major Otto Ernst Remer beiden Generale jetzt anrufen, da hat er sofort zwei in die Weltgeschichte ein. Dieses Telefongespräch zuverlässige Leute bei der Hand. Er befiehlt den bei- bringt die Wende in den turbulenten Ereignissen dieses den, sofort zur SS-Leibstandarte «Adolf Hitler» nach dramatischen Tages. Berlin-Lichterfelde zu fahren und dort mit den SS- «Hier Major Remer, Kommandeur Wachbataillon Führern zusammen den Einsatz gegen die Putschisten ,Grossdeutschland‘!» vorzubereiten. «Kennen Sie mich, Major Remer? Kennen Sie meine Der Kommandeur des Wachbataillons hat General von Stimme?» tönt es Remer aus dem Hörer entgegen. Hases Zimmer wieder verlassen. Der Leutnant Bude Wer sollte diese unverkennbare Stimme nicht kennen! macht ihm Meldung von dem, was Hagen ihm eben Remer nimmt unwillkürlich Haltung an. gesagt hat. Der Major möge sofort zu Minister Goeb- «Jawoll, mein Führer!» bels kommen, der Leutnant Dr. Hagen ist bereits wieder «Major Remer: Ich spreche zu Ihnen als Oberbefehls- zum Minister gefahren. haber der Grossdeutschen Wehrmacht und als Ihr Der Major zögert. Was soll er bei Goebbels? Er ist Sol- Führer! Ich gebe Ihnen hiermit den Befehl: Unter- dat und hat die Befehle seiner militärischen Vorgesetz- drücken Sie jeden Widerstand mit erbarmungsloser ten auszuführen. Strenge! Major Remer: Sie sind mir so lange direkt «Der Führer ist gar nicht tot, Herr Major», sagt der Leut- unterstellt, bis der Reichsführer-SS Himmler in Berlin nant Buck. «Leutnant Dr. Hagen bittet Sie dringendst eintrifft! Hören Sie, Remer: Mit sofortiger Wirkung darum, erst mit dem Minister zu sprechen, bevor Sie befördere ich Sie hiermit zum Oberst! Greifen Sie weitere Massnahmen ergreifen!» rücksichtslos durch, Oberst Remer! Sie haben von mir Der Major entschliesst sich, zu Goebbels zu fahren. jegliche Vollmacht, den Putsch niederzuschlagen!» Aber er befiehlt Buck, einen Stosstrupp zusammenzu- Daraufhin begeben sich Remer und Goebbels hinunter stellen. Wenn er in zwanzig Minuten nicht von Goeb- auf die Strasse. Unten angekommen, lässt Remer die bels zurück ist, soll dieser Stosstrupp ihn aus der Goeb- Soldaten antreten: bels-Wohnung herausholen und Goebbels festnehmen. «Der Führer lebt . . gemeiner Verrat . . . Wir müssen Es ist genau 18.55 Uhr, als der Major die Wohnung des Deutschland retten!» Propagandaministers betritt. Dann spricht Goebbels, ein fast unübertroffener Mei- «Heil Hitler!» begrüsst ihn Goebbels. «Sind Sie ein ster der Demagogie. «Das Vertrauen des Führers . . . überzeugter Nationalsozialist, Herr Major?» direkt dem Führer unterstellt... der Oberst Remer ... Was soll der Offizier dem NS-Minister wohl darauf ant- Die Augen der Weltgeschichte blichen auf Sie . . . ver- worten? «Ja, selbstverständlich!» antwortlich für die Rettung Deutschlands und ganz «Dann muss ich Ihnen sagen, dass sich vor unseren Europas...» Augen ein ungeheures Verbrechen abspielt! Der Führer Goebbels reisst den rechten Arm hoch. ist nicht tot! Diese Meldung ist eine Lüge, um Verbre- «Unserem geliebten Führer Adolf Hitler ein dreifaches chern die Möglichkeit zu geben, die Regierung zu über- Sieg Heil! Sieg Heil! Sieg Heil!» nehmen!» Donnernd hallt das dreifache «Heil!» der Soldaten Goebbels sieht, dass der Major zweifelt. Der Major sagt des Wachbataillons über die Strasse. ihm das auch offen.

580 Wo bleibt Major Remer?

In dieser Minute kehrt sich die militärische Macht des der neue Innenminister Dr. Julius Leber, dort sitzt Staatsstreiches gegen seine Urheber. In dieser Minute Wilhelm Leuschner. Die beiden sollen vordringlich be- wird aus dem zu isolierenden Regierungsviertel eine freit werden. vom Wachbataillon zu beschützende Festung, aus dem Major Remer ist in diesem Augenblick noch Major. Gebäude der Verschwörer in der Bendlerstrasse statt des Eben spricht er das letzte Mal mit dem Stadtkomman- ausstrahlenden Zentrums eines Umsturzes eine bela- danten von Hase, nimmt die Befehle für die Besetzung gerte Burg. des Rundfunks, des Propagandaministeriums, der Ge- Eine halbe Stunde bevor der Major Remer mit Hitler stapo-Zentrale entgegen – und niemand ahnt etwas spricht, bringen alle Sender des Grossdeutschen Rund- von der Existenz jenes unscheinbaren Leutnants Dr. funks die Meldung vom Attentat. Mit Liszts «Les Hagen, der alle Anstrengungen zunichte machen wird, Pr&udes» wird die Sondermeldung eingeleitet. Mini- in wenigen Minuten schon. sterialrat Dr. Hans Fritzsche, der Chefkommentator Auch der Feldmarschall von Witzleben ist noch immer des Rundfunks selbst, spricht die Meldung: «Auf den nicht da. Beck lässt in Zossen anrufen. Ja, der Herr Führer wurde heute ein Sprengstoffattentat verübt. Feldmarschall sei dort gewesen, aber schon wieder weg- Aus seiner Umgebung wurden hierbei schwer verletzt: gefahren. Er ist auf dem Weg zur Bendlerstrasse. Generalleutnant Schmundt, Oberst Brandt, Mitarbei- Generaloberst Hoepner resigniert bereits. Er sitzt hin- ter Berger. Leichtere Verletzungen trugen davon: Ge- ter Fromms Schreibtisch und starrt müde vor sich hin. neraloberst Jodl, die Generale Korten, Buhle, Boden- Noch klammert er sich an die Hoffnung: Das Wach- schatz, Heusinger, Scherff, die Admirale Voss, von bataillon wird’s schon machen. Dann fällt ihm ein: Puttkamer, Kapitän zur See Assmann und Oberstleut- die Polizei! Na eben, was macht Polizeipräsident Graf nant Borgmann. Der Führer selbst hat ausser leichten Helldorf? Hat der schon Kommandos für die Verhaf- Prellungen und Verbrennungen keine Verletzungen er- tung der führenden Nazis zusammengestellt? Und der litten. Er hat unverzüglich darauf seine Arbeit wieder SS-Obergruppenführer Arthur Nebe, der Chef des aufgenommen und – wie vorgesehen– den Duce zu ei- Reichskriminalamtes und Leiter der Interpol? ner längeren Aussprache empfangen. Kurze Zeit darauf Hat er seine Kriminalbeamten alarmiert? traf der Reichsmarschall beim Führer ein. Keiner kann etwas darüber sagen, und so zieht sich In wenigen Minuten wird der Führer selbst zum Hoepner wieder hinter Fromms Schreibtisch zurück. deutschen Volk sprechen ...» Helldorf und Nebe aber warten auf Anweisungen, In der Bendlerstrasse wundert man sich. Wie ist es mög- wissen gar nicht, dass man in der Bendlerstrasse nach lich, dass Fritzsche sprechen kann? Der Rundfunk sollte ihnen ruft. Keiner denkt daran, sich mit ihnen in Ver- doch längst besetzt sein. Wenn nun wirklich gar noch bindung zu setzen. Hitler persönlich sprechen wird – unausdenkbar. Bis Generaloberst Beck, das «Staatsoberhaupt», ist noch zu- jetzt hat man doch alle Befehle unter dem Vorwand versichtlich. Er ist fest davon überzeugt, dass die von Hitlers Tod herausgegeben. Wenn Hitler im Rund- durch die Fernschreiben angekurbelte Militärmaschine funk spricht, dann glaubt kein Mensch mehr an die läuft. Auch Beck weiss nicht, mit welcher Verzögerung Version vom Gestapo-Putsch, der von der Wehrmacht die Fernschreiben wegen der falschen Entscheidung des niedergeschlagen werden muss. Hauptmanns Klausing hinausgegangen sind. Allerdings Die Verschwörer wissen nicht, dass ihnen das Schicksal sind einige der wichtigsten Befehle inzwischen tatsäch- noch einmal eine Chance gibt. Hitler spricht erst weit lich hinausgegangen, nicht zuletzt telefonisch, durch nach Mitternacht. Der Übertragungswagen muss erst Stauffenberg. aus Königsberg in die «Wolfsschanze» geholt werden. Die Panzertruppenschule Krampnitz ist mit ihren Dann fährt der Wagen wieder zurück zum Reichs- schweren und überschweren Panzern «Panther» und sender Königsberg, die Konferenzschaltung zu allen «Tiger» schon auf dem Marsch zur Berliner Innen- deutschen Sendern muss hergestellt werden – und so stadt, ebenso die Mannschaften der Heeresfeuerwer- dauert es noch Stunden, bis Hitlers Stimme überall zu ker-Schule mit Minen, Granatwerfern, Sprengmitteln, vernehmen ist. Flammenwerfern. Pioniereinheiten rücken an. Aber jetzt dringt endlich der Gedanke durch – das Noch könnte alles gutgehen, eben erst hat die Gegen- Rundfunkhaus in der Masurenallee sollte doch vom seite durch Goebbels und die Generale Specht und Wachbataillon besetzt werden? Eben. Wo zum Teufel Kunze erfahren, was in Berlin gespielt wird. Auch bleibt dieser Major Remer mit seinen Soldaten? Er soll hier wird es eine Zeitlang dauern, bis die ersten Gegen- doch auch den Schutz der Bendlerstrasse übernehmen! massnahmen ergriffen werden, noch länger als bei den Die Gestapo in der Prinz-Albrecht-Strasse muss aus- Verschwörern, die ihren Staatsstreich seit Jahren vor- gehoben werden. Und dort sitzen in den Kellerzellen bereitet haben, während die Gegenseite überrascht wor-

581 Widerstand im Krieg den ist und nun improvisieren muss – und ausserdem Dann sieht er Stauffenberg an, und die ersten Worte, weit vom Schuss im fernen Ostpreussen sitzt. die er spricht, sind kein Gruss, sondern eine Kritik, aus- Tatsächlich – so könnte es sein, wenn eben nicht der gerechnet zu Stauffenberg gesprochen, auf dem alle Leutnant Dr. Hagen dazwischengetreten wäre. So aber Last der Verantwortung gelegen hat, der nahezu allein braust in diesen Minuten der nunmehrige Oberst Ernst den gesamten Staatsstreich und das Attentat noch dazu Otto Remer auf einem Motorrad durch Berlin, der auf sich genommen hat: Mann, auf den die Verschwörer ihre ganze Hoffnung «Schöne Schweinerei, das!» gesetzt haben, auf den sie noch immer warten. Remer Dann erst meldet er sich, Hitlers Marschallstab erho- fährt den Panzertruppen entgegen, hält sie an. ben, bei Generaloberst Beck, den er als Staatsoberhaupt «Direkter Befehl des Führers!» schreit er. respektiert. Die Truppen kommen zum Stehen. Einige Panzer sind Schon ist ein Ordonnanzoffizier zur Stelle, der dem seit schon über die Ost-West-Achse – die heutige Strasse Stunden sehnlichst erwarteten Oberbefehlshaber sofort des 17. Juni, vorbei an der Stelle, wo heute im briti- einen Befehl zur Unterschrift vorlegt. schen Sektor ein sowjetischer T 34 als Denkmal der Um 19.28 Uhr geht mit seiner Unterschrift das Fern- siegreichen Roten Armee steht – bis zum Brandenbur- schreiben hinaus, das feststellt, der Führer sei tot, ihm ger Tor gerollt. sei von der Reichsregierung der Oberbefehl über die In der Heerstrasse werden die Feuerwerker auf ihrem Wehrmacht übertragen worden, der Wehrmacht wieder- Marsch gestoppt. So schwerfällig die Militärmaschine um die vollziehende Gewalt. ins Rollen gekommen ist, so plötzlich kommt sie jetzt Dieses Fernschreiben läuft als «Geheime Kommando- überall wieder zum Stehen. Gewiss, die Kommandeure sache» und gelangt als erstes – obwohl als eines der glauben dem Major nicht ganz, der da behauptet, vom letzten ausgeschrieben – in die verschiedenen Befehls- Führer selbst eben zum Oberst befördert worden zu sein, stellen, auch in Kluges Hauptquartier St. Germain. Dort alle Vollmachten des Führers zu haben. ist augenblicklich der höchste Offizier der la, Oberst Sie lassen sich zunächst nicht gegen die Bendlerstrasse Zimmermann, und der telefoniert den Inhalt von Witz- einsetzen – aber sie befolgen auch nicht mehr den lebens Fernschreiben sofort nach La Roche-Guyon. Befehl, der sie nach Berlin gebracht hat. Immerhin hat Fast schwenkt Marschall Kluge nun endgültig wieder auch der Rundfunk die Meldung gebracht, der Führer auf die Seite der Verschwörer. Denn das auf dem offi- lebe. So beschliesst man überall, das Weitere erst einmal ziellen Dienstweg einlaufende Fernschreiben scheint zu abzuwarten, ganz nach dem alten preussischen Landser- beweisen, dass seine Kameraden tatsächlich in Berlin Motto: «Die längste Zeit des Lebens – wartet der Soldat die Macht ergriffen haben. Und wenn Witzleben er- vergebens!» Sollen andere die Entscheidung fällen. klärt, Hitler sei tot, dann ist das eher zu glauben als Im Gebäude des BdE ist endlich der langgesuchte neue eine von Propagandaminister Goebbels herausgegebene Oberbefehlshaber der Wehrmacht eingetroffen. Gene- Rundfunknachricht. ralfeldmarschall Erwin von Witzleben fährt mit einem Kluge steht in diesem Augenblick unmittelbar vor dem offenen Mercedes in den Hof der Bendlerstrasse ein. Entschluss, Beck in Berlin anzurufen und ihm zu er- Die Posten präsentieren das Gewehr, sie wissen nicht, klären, dass er sich ihm unterstelle. Er bespricht bereits wer dieser Feldmarschall ist, sie wissen auch nicht, was mit seinem Stabschef, General Blumentritt, die sofort im Gebäude vor sich geht. Niemand hat sie davon durchzuführenden Massnahmen. unterrichtet. Sie wissen nur, dass niemand das Gebäude Als erstes wird der Beschuss Englands mit der V 1 verlassen darf, der nicht einen von Stabschef Oberst eingestellt, über deren Einsatz der Oberbefehlshaber Stauffenberg unterzeichneten Ausweis vorzeigen kann. West die unmittelbare Befehlsgewalt hat. Danach sind Der Marschall beachtet die Posten nicht, grüsst auch sofort Waffenstillstandsverhandlungen mit dem Geg- nicht zurück. Mit verkniffenem Gesicht steigt er aus ner aufzunehmen. Wenn der Gegner nicht will, sind dem Wagen, läuft mit steifen Schritten die Stufen in notfalls einseitig von der deutschen Wehrmacht allein dem dunklen Treppenhaus empor. Die Offiziere, die die Kampfhandlungen einzustellen. Das alles ist bereits ihm begegnen und vorschriftsmässig «Habt acht»-Stel- mit Marschall Rommel besprochen worden, der kurz lung auf dem Flur einnehmen, sieht er nicht an. Seine vor dieser entscheidenden Stunde durch seine schwere Augen sehen in irgendeine dunkle Ferne. Verwundung ausgefallen ist. In Olbrichts Zimmer erst erwidert er den Gruss der Da meldet sich noch einmal der Oberst Zimmermann dort versammelten Offiziere. Witzleben hebt kurz den aus St. Germain. Wieder ist ein Fernschreiben bei ihm Marschallstab, den er am 19. Juli 1940 nach dem Sieg eingetroffen. Diesmal allerdings nicht von Witzleben über Frankreich aus der Hand Hitlers erhalten hat. aus Berlin, sondern direkt aus dem Führerhaupt-

582 Der 20. Juli in Paris quartier, unterzeichnet von Marschall Keitel. Die Mel- lichen Winter 1941/42 vor Moskau durchgestanden hat dung besagt nur, dass der Führer lebe und ist nicht viel und jetzt Chef der Organisationsabteilung des Heeres mehr als die Rundfunkmeldung, nur dass diesmal die ist. Unterschrift Keitels daruntersteht. Stieff wird erreicht, Blumentritt spricht mit ihm, Kluge Kluge beginnt wieder zu schwanken. Denn wenn Keitel hört am zweiten Hörer still zu. Ja, Stieff weiss, was noch Befehle gibt, wenn dieses Fernschreiben aus der im Führerhauptquartier wirklich los ist. Schliesslich hat «Wolfsschanze» kommt, dann hat sich dort auch nichts er selbst seit langem zu den Verschwörern gehört – verändert. und hat sich heute nachmittag in einem Ferngespräch Kluge versucht selbst, das Führerhauptquartier zu er- mit Stauffenberg von ihnen losgesagt. Mit einem so reichen. Das schafft er auch, doch er bekommt nieman- unglücklich verlaufenen Attentat und Staatsstreich will den an den Apparat. Wie es scheint, lassen alle sich er nichts mehr zu tun haben. verleugnen. Keitel ist nicht zu sprechen. Kluge verlangt Und wieder ein solch unwägbarer Zufall – fast den General Warlimont. Der ist auch nicht zu sprechen. ununterbrochen ist Stieff heute unterwegs gewesen, Der Marschall schaut seinen Stabschef Blumentritt fra- ausgerechnet jetzt ist er telefonisch zu erreichen. gend an. Das ist weiss Gott eine merkwürdige Ge- Und Stieff denkt auch nicht daran, auszuweichen oder schichte. Also scheint doch manches im Führerhaupt- etwas Falsches zu sagen. Er berichtet genau das, was quartier nicht zu stimmen! der nun doch wieder auf die Seite der Verschwörer Kluge und Blumentritt können nicht ahnen, dass die neigende Mithörer Kluge jetzt nicht hören möchte: Tatsache, dass nicht einer der verantwortlichen Leute Der Führer lebt! im Führerhauptquartier für den Oberbefehlshaber der Hätte Stieff die Meldung Witzlebens bestätigt, hätte Westfront zu sprechen ist, eine geradezu lächerlich er nur gesagt, er wisse auch nichts Genaues, wäre er simple Ursache hat: Die Verantwortlichen sind im telefonisch nicht zu erreichen gewesen – der Marschall Moment damit beschäftigt, ihren protokollarischen Kluge hätte sich unmittelbar darauf endgültig für den Pflichten zu genügen. Der Duce mit seinem Gefolge ist Staatsstreich entschieden. bei seinem Freund Hitler zum Staatsbesuch eingetrof- Denn eben kommt General von Stülpnagel mit seiner fen, und nun bemüht sich im Augenblick alles, was Begleitung in zwei Wagen durch das grosse Portal des Rang und Namen hat, in der «Wolfsschanze» um die Schlosses La Roche-Guyon gefahren. Es ist genau italienischen Gäste. Im Übrigen – wieder eine Chance 20.30 Uhr. mehr für die Verschwörer in Berlin, wenn diese nur Marschall Kluge bittet den Militärbefehlshaber von verstünden, sie auszunutzen. Frankreich und seine drei Begleiter zu sich. Stülpnagel So versucht Kluges Stabschef Blumentritt, Auskunft gibt seinem Ordonnanzoffizier Dr. Baumgart einen von jemandem einzuholen, der es ganz bestimmt wis- Wink, im Vorzimmer zu bleiben – Dr. Baumgart ist sen muss: der Oberste SS- und Polizeiführer Frank- nicht eingeweiht. reichs, SS-Gruppenführer Karl Albrecht Oberg. Der Dann sitzen Marschall von Kluge, General Blumen- müsste doch, nachdem nun Stunden seit der ersten Mel- tritt, General von Stülpnagel, Oberstleutnant von dung vergangen sind, genaue Nachrichten oder Befehle Hofacker und der Kriegsverwaltungsrat Dr. Horst bei- haben, von Himmler oder gar von Hitler persönlich, sammen. Stülpnagel bittet den Marschall, den Oberst- wenn dieser wirklich noch am Leben sein sollte. leutnant von Hofacker eine Darstellung der Lage geben zu lassen. Kluge nickt zustimmend. Aber Oberg weiss noch viel weniger. Er kennt nur die Hofacker spricht ganz offen. Er schildert das Zustande- offizielle Rundfunkmeldung und sonst gar nichts. kommen der Opposition, die Notwendigkeit des Blumentritt schliesst daraus und aus der merkwürdigen Staatsstreiches, die er Kluge vor allem mit der kata- Tatsache, dass im Führerhauptquartier niemand zu strophalen Lage an den Fronten darlegt, er schildert sprechen war, verständlicherweise auf die Richtigkeit die Vorbereitung des Attentates, die Durchführung des Witzlebenschen Befehls, auf eine Übermacht der durch Stauffenberg und sagt schliesslich: Verschwörer. Wenn das Führerhauptquartier offen- «Herr Feldmarschall – was jetzt zur Stunde in Ber- sichtlich ganz durcheinander ist, wenn der Reichsführer lin geschieht, ist nicht einmal das Entscheidende. Wich- SS Himmler keine Verbindung zu seinen Leuten hat . . tiger sind die Entschlüsse, die hier in Frankreich gefasst .? Woher nur könnte man die Wahrheit erfahren? Dem werden. Ich appelliere an Sie im Namen der deutschen General Blumentritt fällt ein, dass man im Haupt- Zukunft, dass Sie das tun, was an Ihrer Stelle der quartier «Mauerwald» des OKH anrufen könnte. Den Feldmarschall Rommel getan hätte, den ich hier in die- General Stieff sollte man fragen, den früheren la der sem Zimmer noch am 9. Juli unter vier Augen gespro- 4. Armee, der mit Kluge und Blumentritt jenen schreck- chen habe.

583 Widerstand im Krieg

Sagen Sie sich los von Hitler und übernehmen Sie die «Telefonieren Sie sofort mit Paris. Dieser Befehl muss Befreiungsaktion im Westen. In Berlin ist die Staats- sofort rückgängig gemacht werden, sonst kann ich für gewalt auf Generaloberst Beck übergegangen; schaffen nichts garantieren, für gar nichts!» Sie nun an der Westfront gleichfalls vollendete Tatsa- Blumentritt erreicht tatsächlich sofort den Obersten von chen. Die Soldaten wie das Volk werden es Ihnen dan- Linstow, aber der Anruf kommt zu spät. Die Truppen in ken. Beenden Sie hier den Krieg ..., verhindern Sie da- Paris marschieren schon. mit die schrecklichste Katastrophe der deutschen Ge- Es ist 23.00 Uhr geworden, als Kluge seine Besucher schichte!» verabschiedet, nachdem man das unterbrochene Nacht- Der Feldmarschall hört schweigend zu. Dann steht mahl beendet hat, schweigend, jeder in seine Gedanken Kluge auf, wandert einmal durch sein Zimmer, wendet vertieft. sich den voller Spannung Wartenden wieder zu, bleibt «Sie müssen schleunigst nach Paris zurückfahren», sagt stehen: der Marschall bei der Verabschiedung zu Stülpnagel, «Ja, meine Herren – eben ein missglücktes Attentat!» «und die Verhafteten sofort wieder freilassen. Sie allein Das ist alles, was Generalfeldmarschall Hans-Günther tragen die Verantwortung!» von Kluge zu sagen hat. Was hätte er auf die ein- Stülpnagel und Hofacker versuchen noch ein letztes dringlichen Worte Hofackers erwidert, wenn nicht eben Mal, Kluge mitzureissen. Hofacker erinnert den Mar- das unglückliche Gespräch mit General Stieff gewesen schall unverblümt daran, dass er selbst Attentat und wäre? Staatsstreich gefordert hat. Stülpnagel ist über die abweisende Bemerkung des «Sie stehen mit Ihrem Wort und Ihrer Ehre im Feuer, Marschalls erstaunt. Schliesslich gehört Kluge schon Herr Feldmarschall!» sagt er. seit Jahren zu den Mitwissern der Verschwörung, er Kluge hebt die Schultern. selbst hat mehrfach ein Attentat gefordert – und vor «Ja», sagt er dann wegwerfend, «ja – wenn das Schwein zwei Stunden hat Stülpnagel selbst doch Generaloberst tot wäre!» Beck telefonisch mit Kluge verbunden, die beiden müs- Draussen am Wagen gibt er Stülpnagel, dem Militär- sen doch miteinander gesprochen haben, deshalb doch befehlshaber Frankreichs, zu verstehen: der Befehl, hierherzukommen? «Betrachten Sie sich als Ihres Postens enthoben!» «Herr Feldmarschall», sagt Stülpnagel ungläubig, «aber Der General antwortet nicht darauf, aber Stabschef Herr Feldmarschall – Sie wissen doch Bescheid!» Kluge Blumentritt flüstert dem Marschall etwas zu: fährt auf! «Aber Herr Feldmarschall – wir müssen ihm doch hel- «Nein! Keine Ahnung habe ich!» sagt er in scharfem fen!» Tonfall. Und so ist das letzte Wort, das Feldmarschall Hans- Dann bittet er, als sei nichts gewesen, seine Gäste zu Günther von Kluge zu General Heinrich von Stülpnagel einem Nachtmahl. Von dem, was alle bewegt, wird sagt: dann nicht mehr gesprochen. Viel später erst, die Dun- «Ziehen Sie Zivil an, verschwinden Sie irgendwohin!» kelheit ist längst hereingebrochen, bittet General von In Paris angekommen, gibt Stülpnagel nicht sofort den Stülpnagel den Marschall noch einmal um eine Unter- Befehl, die Verhafteten freizulassen, die vom Siche- redung unter vier Augen. rungsregiment besetzten wichtigen Punkte der französi- Kluge stimmt zu, widerwillig, wie es scheint. Aber er schen Hauptstadt, darunter den Radiosender und das begibt sich doch mit Stülpnagel in einen Nebenraum. Haupttelegrafenamt, wieder zu räumen. Wenig später schon steht Kluge wieder in der Tür und Paris ist völlig in der Hand der Verschwörer. Alles ist ruft seinen Stabschef Blumentritt ebenfalls in das Ne- genau nach Plan gegangen, nirgends hat es Widerstand benzimmer. Kluge hat seine bisherige Ruhe völlig ver- gegeben. Warum nur, denkt Stülpnagel, konnte das loren. nicht auch in Berlin so sein? Punkt 22.30 Uhr ist der Masslos wütend fährt er auf Blumentritt zu, während Schlag überall zur gleichen Zeit gefallen, und er hat Stülpnagel ruhig dabeisteht. überall getroffen. Weshalb das gleiche nicht auch in «Stellen Sie sich vor, Blumentritt – der gesamte SD Berlin? mit General Oberg soll verhaftet werden oder ist es Dabei weiss Stülpnagel nicht einmal, dass es anderswo schon! Das hat der Herr von Stülpnagel befohlen! Er genauso exakt «geklappt» hat wie in Paris: Auch in hat das vor seiner Abfahrt angeordnet, ohne Rück- Wien haben die Verschwörer die Macht an sich geris- frage, ohne Meldung bei seinem Oberbefehlshaber! Das sen, der ganze Südraum steht damit unter ihrer Kon- ist doch eine Eigenmächtigkeit sondergleichen!» trolle, in Prag das gleiche, in Brüssel läuft die Aktion Der Marschall läuft erregt auf und ab. Dann wendet er eben an und könnte ebenfalls zu einem Erfolg werden. sich wieder an seinen Stabschef. Sollte man nicht einfach weitermachen? Kann der aus-

584 Es ist alles verloren gelöste Schwung nicht doch noch den Marschall Kluge Höhepunkt des Optimismus bei den Verschwörern. mitreissen, ihn, wenn nicht anders, überspielen, zum Kurz nachdem der Marschall Witzleben die Putsch- Handeln zwingen? zentrale verlassen hat, ohne mehr getan zu haben, als Aber Stülpnagel muss bald einsehen, dass das nicht ausgerechnet den Mann zu kritisieren, der fast allein mehr möglich ist – vor allem, weil sich in Berlin alles versucht hat, alles zu tun, was notwendig war, trifft so ungünstig entwickelt hat. Die Einheiten der Kriegs- endlich eine Einheit des Wachbataillons in der Bend- marine in Frankreich unter Admiral Krancke sind im lerstrasse ein. Die Verschwörer atmen auf. Endlich! Begriff, gegen die Heereseinheiten eingesetzt zu wer- «Spät kommt ihr – doch ihr kommt!» den, weil Berlin es nicht verstanden hat, die Befehls- Keiner merkt, dass die Landser von «Grossdeutsch- wege zu übernehmen, den Rundfunk zu besetzen. land» in Vertretung der alten Gewalten hier erscheinen. Auch die Luftwaffeneinheiten nehmen jetzt eine dro- Niemand kümmert sich darum, wo sich die Soldaten hende Haltung ein. postieren, in wessen Auftrag sie handeln. Es ist nun Stülpnagel muss einsehen, dass es zu einem Krieg zwi- gegen 21.00 Uhr, die Stunde, zu der in Frankreich der schen den Waffengattungen der Wehrmacht kommen Marschall Kluge nach dem Vortrag Hofackers seine wird, wenn er nicht sofort alle seine Massnahmen rück- oft zugesagte Beteiligung am Staatsstreich endgültig gängig macht. Das Führerhauptquartier hat nach wie ablehnt – es sind aber auch noch eineinhalb Stunden vor die Befehlsgewalt über Luftwaffe und Marine in bis 22.30 Uhr, dem Zeitpunkt, da die Verschwörer in Paris und Frankreich, den Befehlen von Witzleben und Paris blitzschnell die Macht übernehmen. Noch scheint Beck wird nicht nachgekommen, man gehorcht unbeirrt eine Chance vorhanden, mit dem Putsch «durchzukom- den bisherigen Gewalten. men». Aber das Schlimmste: Oberst von Linstow, der schwer Da wird aus dem Führerhauptquartier gemeldet, Oberst Herzkranke, berichtet Kameraden, der Kampf in Ber- Stauffenberg sei als der Attentäter entlarvt – da meldet lin sei endgültig verloren. Eben habe Stauffenberg General Reinecke, der Chef des Allgemeinen Wehr- noch einmal angerufen. Wörtlich hat Graf Stauffenberg machtsamtes, dass die vom OKW-Chef Marschall Keitel gesagt: herausgegebenen Befehle inzwischen von allen Befehls- «Es ist alles verloren, alles aus.» Dann sind Kampf- habern bestätigt wurden, dass also von den wichtigsten geräusche im Telefon zu hören gewesen, Schüsse sind Führern der Wehrmacht kein einziger sich für die Ver- gefallen, darauf noch einmal Stauffenbergs Stimme, schwörer erklärt hat – da meldet General von Herfurth, atemlos, abgehetzt: «Hören Sie? Meine Mörder toben Stabschef des noch in der Bendlerstrasse festgehaltenen schon draussen auf den Gängen!» Dann war Stille, Berliner Wehrkreis-Befehlshabers Kortzfleisch, dem Stauffenberg oder jemand anders hat den Hörer aufge- Führerhauptquartier, dass er nun in Berlin militärisch die legt. Zügel in der Hand habe, und er meldet das über die nor- Und so muss sich General Heinrich von Stülpnagel malen Dienstverbindungen, so dass zur gleichen Zeit die schweren Herzens dazu durchringen, hier in Paris selbst Verschwörer selbst diese Meldung erhalten – da ent- mit dem Staatsstreich Schluss zu machen, um zu retten, schliesst sich der Oberstleutnant von Herber, der über was zu retten ist: Die an der Aktion beteiligten Men- die Sekretärin und deren Feldwebel-Freund wohl als ers- schen sollen möglichst nicht gefährdet werden. ter in Deutschland ausserhalb der Verschwörung schon Sie alle können sich auf ihn berufen, sie haben nur seit Stunden von einem Staatsstreich weiss, gemeinsam seine Befehle ausgeführt. Er kann und wird sich opfern, mit dem Oberstleutnant von der Heyde und einer Anzahl weil dieses Opfer wirklich einen Sinn hat. von jüngeren Offizieren, die Burg der Verschwörer von Wie Stülpnagel es sich gedacht hat, so geschieht es auch. innen her aufzurollen. Die Verhafteten werden freigelassen, man entschuldigt sich bei ihnen, alles sei ein Missverständnis gewesen. Doch die jüngeren Offiziere wollen noch nicht so recht. Die vom Sicherheitsregiment besetzte Zentrale des Sie stehen zwar zum Führer und sind gegen jeden Ver- Reichssicherheitshauptamtes in Paris wird geräumt wie rat – aber sind Generaloberst Beck, General Olbricht, alle anderen wichtigen Punkte. Den Soldaten kann man Oberst Stauffenberg, Oberst Mertz, die ihnen gut be- das Ganze als Übung hinstellen, und wenn auch mancher kannten Kameraden Klausing, Fritzsche, Haeften und das nicht glauben mag, so ist doch kaum etwas anderes all die anderen wirklich Verräter? Noch weiss man ja nachzuweisen. nicht, was wirklich los ist, vielleicht haben sie alle in In Berlin ist seit dem Eintreffen des Marschalls Witz- gutem Glauben gehandelt – man muss erst einmal mit leben in der Bendlerstrasse noch viel geschehen. Aber ihnen sprechen. Und so begibt sich eine Offiziersdelega- alles Geschehen gleitet schon abwärts, der sicheren Nie- tion zu General Olbricht. derlage entgegen. Nur einmal gibt es noch einen Inzwischen ist Dr. Gisevius beim Polizeipräsidenten in

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Widerstand im Krieg Die Prozesse vor dem Volksgerichtshof * Freislers Verhandlungsführung

Der berüchtigte Präsident des Volksgerichtshofes, Dr. Ro- Generaloberst erklären, sie könnten es besser machen als land Freisler, ein ehemaliger Kommunist und von Hitler der, der unser aller Führer ist, der die Grenzen des Reiches selber als «unser Wyschinski» bezeichnet, tat sich durch eine an die Grenzen Europas, die Sicherheit des Reiches an die besonders unsachliche Verhandlungsführung bei den vom Grenzen Europas gelegt hat. Sie bekennen sich dazu, das ge- Volksgerichtshof durchgeführten Verfahren hervor. Aus den sagt zu haben? vorliegenden Protokollen ergibt sich, dass er im Laufe der v. Witzleben: Jawohl! Verhandlung kaum einen der Angeklagten ruhig anhörte Freisler: Sie werden verstehen, dass man so etwas mit dem oder zu Ende reden liess, sondern völlig unbeherrscht mit Wort «Ehrgeizling» belegen kann. – Dazu zucken Sie die Ach- einer Lautstärke dazwischen brüllte, dass sich die Kamera- seln. Gut, das ist auch eine Antwort.. . männer der Wochenschau beschwerten, weil Freisler alle Tonaufnahmen zunichte machte. bb) Aus der Vernehmung des Grafen Yorck von Wartenburg: Einige Stichproben aus den Verhandlungsprotokollen mögen Yorck: Herr Präsident! Ich habe bereits bei meiner Verneh- dies veranschaulichen: mung angegeben, dass ich mit der Entwicklung, die die na- tionalsozialistische Weltanschauung genommen hatte – – aa) Aus der Vernehmung des Generalfeldmarschalls v. Witz- Freisler (unterbrechend): . . . nicht einverstanden war! Sie leben: ... haben, um es konkret zu sagen, ihm erklärt: In der Juden- Freisler: Sie sprachen davon, dass Sie den damaligen Ge- frage passe Ihnen die Judenausrottung nicht, die national- neraloberst Beck im Februar 1943 in der Wohnung einmal sozialistische Auffassung vom Recht hätte Ihnen nicht ge- auf gesucht hätten und dass Sie über die Lage gesprochen passt. hätten, die Sie äusserst ernst fanden, dass Sie darüber ge- Yorck: Das Wesentlichste ist, was alle diese Fragen verbindet, sprochen hätten, der Führer habe Umstellungen vorgenom- der Totalitätsanspruch des Staates gegenüber dem Staatsbür- men, und Ihnen schienen Leute, die etwas könnten, zum ger unter Ausschaltung seiner religiösen und sittlichen Ver- Schaden der Kriegführung ausgeschaltet, Heerführer kurz pflichtungen Gott gegenüber. gesagt. Haben Sie sich denn dabei auch Gedanken darüber Freisler: Sagen Sie einmal, wo hat der Nationalsozialismus gemacht, wer es besser machen könnte? die sittlichen Verpflichtungen eines Deutschen ausgeschaltet? v. Witzleben: Ja! Der Nationalsozialismus hat die sittlichen Verpflichtungen Freisler: Ja, Sie haben sich Gedanken darüber gemacht, wer eines Deutschen, des deutschen Mannes, der deutschen Frau es besser machen könnte! Wer sollte es denn besser machen unendlich gesundet und unendlich vertieft. Dass er sittliche können? Verpflichtungen ausgeschaltet hätte, habe ich noch nie ge- v. Witzleben: Alle beide! hört. Und was die Religion anlangt, so ist im Grunde der Freisler: Alle beide! Sie beide! Sie sagten also: wir könnten Nationalsozialismus sehr bescheiden. Er sagt: Bitte, mache es besser machen. Sagen Sie es doch so, dass man es hört, das doch ab, wie Du willst, nur bleibe im Jenseits mit Dei- v. Witzleben (lauter): Ja! nen Ansprüchen, Kirche; denn die Seelen sollen ja im Jen- Freisler: Da muss ich allerdings sagen: Das ist Hochmut, wie seits herumflattern; hier auf der Erde gilt unser jetziges er noch nicht dagewesen ist. Ein Feldmarschall und ein Leben. Sonst kann sie sich um die Politik kümmern. Also

Die «Verhandlungen» vor dem Volksgerichtshof wurden von dessen Präsidenten Roland Freisler so unsachlich und unwür- dig geführt, dass selbst der nationalsozialistische Reichsjustizminister Thierack dagegen protestierte.

586 Ich dachte an die vielen Morde was Sie sagen, ist mindestens sehr schief gesehen; es hat kei- Die Vollstreckung der Mordurteile nen Sinn. Yorck: Ich wollte das nur als Erklärung geben. Freisler: Was weiter die nationalsozialistische Auffassung Die Kameraleute der deutschen Wochenschau bekamen von vom Recht betrifft, so kann ich als einer, der seit vielen dem ehemaligen Reichsfilmintendanten Hans Hinkel den Jahren nun wirklich im Rechtsleben darin steht, sagen, dass Befehl, von dem Prozess des 20. Juli 1944 und den darauf unsere Auffassung vom Recht theoretisch und praktisch folgenden Hinrichtungen Filmaufnahmen herzustellen. Der ebenfalls eine ungeheure Vertiefung erfahren hat, dass das Kameramann Sasse gab über die Vollstreckung der Todes- Recht unseres Volkes eine ungeheure Gesundung und Ver- urteile im Gefängnis Plötzensee folgenden authentischen Be- stärkung erfahren hat. ... Was Sie vorgetragen haben, richt: bleibt rätselhaft. Aber Sie sagen: Ich war nicht einverstan- «Das Gebäude, das durch frühere Luftangriffe stark be- den. Nun fragte ich Sie: Wenn Ihnen (von Stauffenberg) schädigt sein musste, war wieder notdürftig hergerichtet. ein Ehrenwort abgenommen worden war und Sie so etwas Der Raum war etwa vier Meter breit und acht Meter lang. hörten, was haben Sie sich für Gedanken gemacht? Kann denn Ein schwarzer Vorhang teilte diesen Raum in zwei Hälf- so ein Ehrenwort ziehen? ten. Der Raum bekam nur durch zwei kleine Fenster etwas Yorck: Ich fühle mich dadurch gebunden, Herr Präsident. Tageslicht. Unmittelbar vor diesen beiden Fenstern befan- Freisler: Das ist allerdings ein Zeichen dafür, dass Ihre Ein- den sich an der Decke acht Haken, woran die Verurteilten stellung eine absolut anarchische ist. aufgehängt werden sollten. Weiterhin befand sich im Raum Yorck: Ich möchte es eigentlich nicht so ausdrücken. noch eine Vorrichtung zur Enthauptung. Als erster Delin- Freisler: Ich glaube aber, dass sie so deutlich und richtig be- quent wurde der ehemalige General ... von zwei Henkern zeichnet ist. Es ist nämlich anarchisch, wenn jeder durch ein durch den schwarzen Vorhang in den Raum hineingeführt. eigenes Wort sich ein eigenes Gesetz des freien Handelns in Zuvor hatte in dem Vorraum der Staatsanwalt den Ver- der Gemeinschaft schaffen kann. Das allgemeine Gesetz des urteilten nochmals das Todesurteil mit folgenden Worten Handelns in unserer Gemeinschaft ist, dass Verrat an Volk, vorgelesen: ,.. . Angeklagter, Sie sind von dem Volksge- Führer und Reich unter allen Umständen bekämpft und richtshof zum Tode durch den Strang verurteilt worden. vernichtet werden muss. Wenn Sie sich das Gesetz machen: Scharfrichter, walten Sie Ihres Amtes.1 «Wenn ich ein Ehrenwort gebe, darf ich da nicht teilneh- Der Angeklagte ging mit erhobenem Haupte, zwar von den men», so ist das ein anarchisches Prinzip, das Sie haben, Sie Henkern eines schnelleren Schrittes genötigt, zum Ende mögen es anders nennen ... des Raumes. Dort angekommen, musste er eine Kehrtwen- cc) Bei der Verhandlung des Grafen Schwerin von Schwa- dung machen und dann legte man ihm die Hanfschlinge nenfeld vor dem Volksgerichtshof im August 1944 wandte um den Hals, worauf der Angeklagte von den Henkern sich Freisler mit folgender Frage an den Grafen Schwerin: hochgehoben und die obere Schlaufe des Hanfstrickes in den Sie müssen mit dem Polenfeldzug ein besonderes Erlebnis Haken an der Decke eingehangen und der Delinquent nun mit gehabt haben. Sind Sie nicht auch gerade eingesetzt gewe- grosser Wucht fallengelassen wurde, so dass ihm die Schlinge sen in Westpreussen? sofort sehr stark den Hals zuschnürte. Meines Erachtens trat Graf Schwerin: Jawohl. der Tod sehr bald ein. Freisler: Sie haben also Ihre eigene Heimat als Soldat unse- Nachdem das erste Urteil vollstreckt war, wurde ein schma- res Führers befreien dürfen. Graf Schwerin: Herr Päsident, ler, schwarzer Vorhang vor den Erhängten gezogen, so dass was ich an politischen Erfahrungen persönlich gemacht habe, der nächstfolgende Todeskandidat den ersteren nicht ge- hat für mich mancherlei Schwierigkeiten in der Folge gehabt, wahr wurde. In kürzester Folge kam dann der zweite weil ich ja sehr lange für das Deutschtum in Polen ge- Delinquent, der ehemalige General..., der ebenfalls selbst- arbeitet habe, und aus dieser Zeit heraus ein vielfaches Hin bewusst seinen letzten Gang antrat. Nach jeweiliger Voll- und Her in der Einstellung den Polen gegenüber praktisch streckung des Urteils wurde jedesmal so ein schmaler, erlebt habe. Das ist eine ... schwarzer Vorhang vor den Erhängten vorgezogen, so dass Freisler: Jedenfalls ist das Hin und Her etwas, was Sie dem es auch dem letzten der Verurteilten nicht möglich war, die N ationalsozialismus zur Last legen können? Vorangegangenen zu sehen. Die Urteilsvollstreckung ging Graf Schwerin: Ich dachte an die vielen Morde ... in sehr rascher Folge vor sich und die Verurteilten gingen Freisler: Morde? alle ohne ein Wort der Klage, aufrecht und männlich, ihren Graf Schwerin: Die im In- und Ausland ... letzten Gang ... Freisler: Sie sind ja ein schäbiger Lump. Zerbrechen Sie unter Es wurden von den weiteren Prozessen nur noch die wich- der Gemeinheit? Ja oder nein, zerbrechen Sie darunter? tigsten aufgenommen, die wiederum von dem ehemaligen Graf Schwerin: Herr Präsident! Reichsfilmintendanten befohlen wurden. An den Aufnahmen Freisler: Ja oder nein, auf eine klare Antwort! hatten abwechselnd neun Kameraleute teilgenommen. Es Graf Schwerin: Nein. geschah deshalb, da jeder Kameramann mit Unlust diesem Freisler: Sie können auch gar nicht mehr zerbrechen, Sie sind Befehl Folge leistete. Weitere Aufnahmen von der Vollstre- ja nur noch ein Häuflein Elend, das vor sich selber keine Ach- ckung wurden abgelehnt, da ich erklärte, meinen Kameraleu- tung mehr hat. ten nicht zumuten zu können, solche Grausamkeiten noch ein- mal aufzunehmen. Dabei hatte ich die Unterstützung aller Ka- meraleute.»

587 Widerstand im Krieg dessen Befehlsbunker am Karlsplatz, zwischen dem Sie jemals schon einen solch hilflosen Haufen gese- Deutschen Schauspielhaus und dem Friedrichstadt- hen?» Palast, gelandet. Er bringt die optimistische Meldung, schüttelt den Kopf und verschwindet nach Hause. dass das Wachbataillon endlich marschiert, dass er auch Die hitlertreuen Offiziere unter Führung Herberts unterwegs Truppeneinheiten gesehen hat. und von der Heydes stehen inzwischen vor Olbricht Doch Graf Helldorf weiss es inzwischen schon besser: und verlangen Aufklärung darüber, «was hier gespielt Remer und Wachbataillon stehen auf der Gegenseite – wird». Olbricht sagt es ihnen ganz offen und hält eine es ist alles aus! Jetzt gibt’s nur eins – sich möglichst kleine Ansprache über die Notwendigkeit des Staats- unbehelligt aus der Affäre zu ziehen. Helldorf will zu streiches, durch den allein Deutschland gerettet werden Gestapo-Chef Müller (der heute angeblich Albaniens kann. Am Ende seiner Ansprache hebt Olbricht den kommunistischen Staatssicherheitsdienst leitet), ihn rechten Arm zum Hitlergruss und schliesst mit «Heil!» ganz naiv fragen, was denn eigentlich los sei, und sich Die mit Pistolen und Handgranaten bewaffneten Of- damit ein Alibi verschaffen. fiziere nehmen Olbricht fest. Der nächste ist Oberst «Jetzt kann nur Frechheit helfen», sagt er zu Gisevius, Mertz von Quirnheim, der gerade Olbrichts Zimmer «wir streiten einfach alles ab. Wir tun so, als ob nichts betreten will. Er beugt sich der Übermacht und über- gewesen wäre!» gibt seine Pistole. SS-Gruppenführer Nebe, Chef der deutschen Krimi- Auf dem Flur fallen Schüsse. Stauffenberg ist das Ziel, nalpolizei und Chef der Interpol, ist der gleichen Mei- der ebenfalls zu Olbricht wollte. Stauffenberg läuft zu- nung. Er wird in sein Amt zurückkehren und, wie er rück, ein Stockwerk höher, zu Beck, der mit Olbricht sagt, «den doofen Max spielen». Soll doch mal einer in Fromms Dienstzimmer sitzt. Er zieht eine Blutspur was nachweisen! hinter sich her. Er ist in seinen einen Arm getroffen Gisevius ist nicht damit einverstanden. Er will auf alle worden. Von Fromms Zimmer aus telefoniert er noch Fälle zur Bendlerstrasse zurückkehren und bittet Hell- einmal – es ist jenes Gespräch, von dem der Oberst dorf dafür um einen Dienstwagen. Linstow in Paris seinen Freunden erschreckt berichtet: «Mensch, sind Sie verrückt?» fragt Helldorf erschro- «Meine Mörder toben schon auf den Gängen ...» cken. «Zur Bendlerstrasse?» Generaloberst Fromm ist bereits aus seiner Dienstwoh- «Helldorf», sagt Gisevius ungeduldig, «ich frage Sie als nung im dritten Stock befreit worden und betritt sein Ehrenmann: Ist es nicht selbstverständlich, dass ich zu Zimmer mit gezückter Pistole. Beck in die Bendlerstrasse fahre?» «So meine Herren, jetzt mache ich mit Ihnen das, was Helldorf schüttelt den Kopf und verneint in bitteren Sie heute nachmittag mit mir gemacht haben! Legen Worten diese Frage. Er spricht sogar vom «Beschiss» Sie sofort die Waffen nieder!» der Generale und zeigt sich insgesamt sehr enttäuscht Alle tun es, auch Stauffenberg. Nur Beck weigert sich: über das bisherige Geschehen. «An mich, Ihren alten Vorgesetzten, werden Sie diese Ähnlich wie Helldorf denken jetzt auch andere. Da ist Forderung nicht stellen. Ich werde aus dieser verfah- der Nachrichtenoberst Hassell, der den ganzen Tag renen Situation selbst die Konsequenzen ziehen ...» schon – von Olbricht bestellt – in der Bendlerstrasse Fromm erklärt ungerührt: herumsteht und nicht eingesetzt wird, obwohl die Nach- «Bitte sehr, tun Sie das. Dann aber sofort, wenn ich bit- richtenverbindungen das Wichtigste sind, was es in un- ten darf!» serem Zeitalter bei einem Staatsstreich geben kann. Beck hebt seine Pistole, die Mündung zeigt auf Fromm. Über ihn heisst es: «Ich denke in diesem Augenblick», sagt Beck, «an die «Wäre in diesem Unternehmen auch nur die geringste Zeit von früher ...» überlegene, unbändige Kraft erkennbar gewesen, hät- Fromm unterbricht ihn barsch. te er mitgemacht, bedingungslos und mit allen Konse- «Die wollen wir jetzt nicht erörtern. Bitte handeln Sie!» quenzen. Halbheiten waren ihm jedoch zuwider. Und «Aber ich, als Ihr alter Vorgesetzter...» die Atmosphäre der Putschzentrale liess ihn leider nur Doch Fromms Ton wird nur noch um eine Nuance an allen Ecken und Enden Halbheiten erkennen, man- schärfer: gelnde straffe Führung, unklare Befehlsgebung, gerin- «Beeilen Sie sich!» gen Sinn für das Praktische, für das Zunächst-zu- Beck richtet die Pistole mit einem verzweifelten Blick Tuende, Zerfahrenheit, Hilflosigkeit, zuviele Schreib- auf seine rechte Schläfe, drückt ab. Der Schuss dröhnt tischstrategie, zuviel Umsturz per Telefon, zu wenig durch das Zimmer. Doch Generaloberst Beck wankt Umsturz durch effektive Handlungen.» nur. Oberst Hassell sagt schliesslich zu einem jungen Offi- «Ist denn das richtig losgegangen?» fragt er mit zit- zier, der am Eingang des Bendler-Blocks steht: «Haben ternder Stimme.

588 Die ersten Opfer

Fromm wendet sich an den Verschwörer Hauptmann Und Himmlers gnadenlose Gestapo «rottet aus». Fritzsche, von dem er nicht weiss, dass er Verschwörer Die siegreichen Verschwörer in Paris (und auch die in ist. Wien und Prag) kommen dabei noch relativ günstig «Helfen Sie dem alten Herrn!» sagt er. davon. Für sie opfern sich die Führer des Putsches, die Fritzsche, der heutige persönliche Referent des Bundes- auch im schärfsten Verhör nur das Notwendigste zu- tagspräsidenten Gerstenmaier, führt Beck zu einem Ses- geben. Unter Himmlers Opfern der Pariser «Revolution sel. von oben» sind Stauffenbergs Vetter Cäsar von Hof- Inzwischen ist ein Standgericht aus den von den Ver- acker und der Oberst Linstow. schwörern inhaftierten Generalen zusammengetreten. General von Stülpnagel wird zur Berichterstattung Fromm verkündet das Ergebnis: nach Berlin befohlen. Unterwegs versucht er sich zu « ... Das Standgericht hat fünf Herren zum Tode erschiessen, auf dem Schlachtfeld von Verdun, wo er im verurteilt. Den aus der Wehrmacht ausgestossenen ehe- Ersten Weltkrieg gekämpft hat. Stülpnagel schiesst sich maligen Generaloberst Hoepner, den Oberst Mertz blind, beide Augen sind verloren. Die Verwundung ist von Quirnheim, den General der Infanterie Olbricht, nahezu tödlich, doch gelingt es den Ärzten ihn so weit diesen Oberst, dessen Namen ich nicht mehr kenne [er wiederherzustellen, dass er halb gelähmt und blind meint seinen Stabschef, den Oberst Claus Graf Schenk noch vor dem Volksgerichtshof sein Urteil hören kann von Stauffenberg], und diesen Oberleutnant [Bernd von – Tod durch den Strang. Haeften].» Seine Verhandlung und die der anderen Verschwörer Hoepner ist einmal Fromms Freund gewesen. Er bit- vor dem Volksgerichtshof führt Freisler, der ehemalige tet Fromm, ihn nicht erschiessen zu lassen, er könne bolschewistische Politkommissar. Die Soldaten unter sich rechtfertigen. Fromm sieht seinen alten Freund an den Verschwörern dürften eigentlich nur vom Reichs- und stimmt schliesslich zu. Die anderen werden von kriegsgericht abgeurteilt werden. Damit alles auch Soldaten des Wachbataillons abgeführt, unter Führung «rechtsstaatlich» zugeht, werden die Soldaten deshalb des Oberleutnants, über dessen Eintreffen sich die Ver- zuvor aus der Wehrmacht ausgeschlossen. Diese Auf- schwörer noch kurz zuvor so gefreut haben. gabe besorgt ein «Ehrenhof der Grossdeutschen Wehr- Im Licht von Scheinwerfern der Wachbataillons-Fahr- macht» unter Vorsitz des Generalfeldmarschalls Gerd zeuge werden Stauffenberg, Haeften, Olbricht und von Rundstedt. Mertz an der hinteren Mauer des Hofes in der Bend- Die Zahl der vor dem Volksgerichtshof Stehenden lerstrasse erschossen. Oben in Fromms Zimmer ver- wächst ständig. Die Berliner Verschwörer haben ihren sucht Generaloberst Beck das zweite Mal, seinem Leben Gegnern die Aufgabe so leicht wie möglich gemacht. ein Ende zu setzen. Er trifft sich wieder nicht tödlich. Überall finden sich Unterlagen, Ministerlisten, Proto- Ein Feldwebel macht schliesslich mit einem gezielten kolle von Telefongesprächen. Die Gestapo braucht nur Schuss seinen Qualen ein Ende. das beschlagnahmte Papier durchzusehen und es als Fromm, der Mann, der längst in die Verschwörung Grundlage für die Verhaftungslisten zu benutzen. Selbst eingeweiht ist, triumphiert als Sieger. Doch nicht lange, Leute, die mit der Verschwörung nichts zu tun haben – denn bald erscheint eine Einheit der SS unter Führung vorgesehene Minister oder Bürgermeister, die nie etwas von Otto Skorzeny, dem Befreier Mussolinis, der jetzt davon gewusst haben, dass die Verschwörer sie für dies gegen die Verschwörer eingesetzt wird. Er verbietet und das haben wollten –, geraten so in die Untersu- sofort jede weitere Hinrichtung ohne Verhör und recht- chung. Ein anderer ebenso typischer Fall ist der des Ge- mässiges Urteil. Am nächsten Tag schon wird der Dop- neral Hans Oster, der noch immer in seinem Leipziger pelverräter Fromm selbst verhaftet. Warum hat er so Heim unter Hausarrest steht und weder von Stauffen- schnell die vier Hauptputschisten ermorden lassen, bergs Attentat noch vom Staatsstreich auch nur das Ge- Becks Selbstmord gestattet und dann auch ihn erschie- ringste weiss. Oster – und wie er auch viele andere – ssen lassen? Es kann nur einen Grund geben: Er wollte würde vermutlich heute noch leben, geschähe nicht Fol- sie schnell zum Schweigen bringen, weil er selbst etwas gendes: zu verbergen hat! Am Vormittag des 21. Juli bringt ein Telegrammbote Auch Fromm fällt der «Abrechnung» Hitlers zum der Post dem Befehlshaber des Leipziger Wehrkreises Opfer, die der «von der Vorsehung beschützte Führer» ein Telegramm. Darin liest der erstaunte General, dass in seiner mitternächtlichen Rede angekündigt hat: er seines Postens enthoben sei und General Oster sofort «. . . Nun aber werden wir so abrechnen, wie wir das seine Nachfolge antreten werde. Natürlich wird der als Nationalsozialisten gewöhnt sind . . . ein ganz kleiner völlig nichtsahnende Oster daraufhin sofort verhaftet. Klüngel verbrecherischer Elemente, die jetzt erbar- Solche Dinge geschehen noch so viele, dass sie nicht mungslos ausgerottet werden!» aufzuzählen sind. Die wichtigsten solcher Ereignisse

589

Widerstand im Krieg sind der Fund von Notizbüchern und anderen Unter- Eine Anzahl der Verschwörer gibt sich selbst den Tod. lagen Goerdelers sowie der «Aktenfund von Zossen». So der Generalmajor von Tresckow, der sich von sei- In einem Panzerschrank des OKH in Zossen hat Beck nem Gefechtsstand zur Front begibt, dort mit zwei Pis- seine jahrelang mit beamtlicher Sorgfältigkeit gesam- tolen einen Schusswechsel vortäuscht und sich dann mit melten Unterlagen eingeschlossen. Kriminalistische einer Gewehrgranate tötet. Die Häscher sollen anneh- Forschungsarbeit braucht die Gestapo kaum noch zu be- men, er sei im Kampf gefallen, damit man seine Familie treiben. In ihrer Arglosigkeit haben die Verschwörer nicht behelligt. Ähnlich stirbt der Major von Oertzen, der Gestapo bei ihren Ermittlungen wesentliche Vorar- der eine Sprengkapsel zerbeisst. Den Freitod wählen beit geleistet. auch der Oberstleutnant Gerd von Tresckow, Freiherr Die meisten der Angeklagten werden zum Tode ver- Kurt von Plettenberg, Hans Alexander von Voss, Oberst urteilt. Die ersten Todesopfer Freislers sind General- Siegfried Wagner, Oberst Freiherr von Freytag-Loring- feldmarschall von Witzleben, Generaloberst Hoepner, hoven, General Eduard Wagner, der Generalquartier- General Stieff, General von Hase und die jüngeren meister. Offiziere und Mitarbeiter Stauffenbergs, Bernardis, Zwei Marschälle sind die Prominentesten unter denen, Klausing, von Hagen und Graf Yorck von Wartenburg. die sich selbst den Tod geben, Generalfeldmarschall Die Verhandlung gegen sie beginnt am 7. August, am Hans-Günther von Kluge und Generalfeldmarschall Er- 8. August verkündet Freisler die Todesurteile. Am win Rommel. gleichen Tag noch werden die Verurteilten im Zucht- Nach dem Zusammenbruch der Normandiefront wird haus Berlin-Plötzensee gehenkt. Diese acht sind nur Kluge von Hitler abgelöst und durch den Marschall die ersten einer unendlich langen Reihe. Model ersetzt. Noch am Abend des 20. Juli hat Kluge,

Der Zusammenbruch des Wiener Aufstandsplanes März bis April 1945:

In Beratungen der Führer der zivilen und militärischen anlage der Stadt, welche schon vorher aus dem militärischen Widerstandsgruppen wurde die Gesamtsituation einer ge- Sektor soweit als möglich verbessert worden war. nauen Beobachtung unterzogen und der Plan für den Wiener Die dramatische Situation strebte ihrem Höhepunkt zu. Aufstand ausgearbeitet... Während die Russen weiter durch den Wienerwald durch- Major Szokoll schreibt in seinem «Tätigkeitsbericht über stiessen und die letzten Vorbereitungen für die Besetzung die militärischen Planungen und den Einsatz von Öster- der Stadt trafen, führte ich meine Verhandlungen mit den reichern zur Beschleunigung der Befreiung vom National- zivilen Widerstandsorganisationen. Das von mir ausgear- sozialismus» über den Stand der Vorbereitungsarbeiten in den beitete Aktionsprogramm wurde zusammen mit der öster- letzten Tagen und Stunden vor dem als Aktionstag angesetzten reichischen Widerstandsbewegung «05» endgültig festgelegt. 6. April 1945 Folgendes: Es war vorgesehen: «Inzwischen war Wien zum Festungsbereich erklärt wor- Aktionstag: 6. April 1945. den. Von mir wurde eine neue Organisation ausgearbeitet, 20 Uhr: Unruhen in den Bezirken Simmering, Meidling die sämtliche zivilen Stellen dem militärischen Festungskom- und Florisdorf, Bereitstellung von Lotsentrupps für die be- mandanten unterstellte, was eine gleichzeitige Erweiterung schleunigte Einweisung der Russen im Raum Hütteldorf. meiner Befugnisse auf den zivilen Apparat mit sich brachte, 21 Uhr: Unruhen in der inneren Stadt, Errichtung von Bar- wenn ihr auch die rein rechtliche Anerkennung durch den rikaden im Osten Wiens, zur Behinderung der dort kämpfen- Reichsstatthalter versagt blieb. Durch diese Vergrösserung den SS. meines Machtbereiches – ich war inzwischen vom Stellver- 21.30 Uhr: Bereitstellung der Greiftrupps zur Besetzung der tretenden Generalkommando, das sich nach Westen abge- öffentlichen Gebäude und zur Verhaftung der prominenten setzt hatte, auf eigene Bitte zum Festungskommandanten Nationalsozialisten. versetzt worden, wo ich den Posten eines Generalstabs- 22 Uhr: Verkehrssperre, Festnahme des Regierungspräsi- offiziers bekleidete – ergab sich eine Überwachung des denten und Festungskommandanten. Erzwingung der Unter- gesamten Bahnverkehrs, der mir die genaue Zugführungs- schrift unter den vereinbarten Kapitulationsbefehl. Einstel- position der unter den Stichworten ,Bernstein' und ,Dia- lung der Kampfhandlungen, Nachrichtensperre, Besitznahme mant' laufenden Eiltransporte der zwei SS-Divisionen der Brücken und öffentlichen Gebäude. brachte (gegen sie liess ich in weiterer Folge Zivilsabotage- 23.30 Uhr: Übergabe der Stadt an die Russen, Aufruf an die trupps zur Schienensprengung einsetzen), die Entscheidungs- Wiener Bevölkerung durch das Radio nach Besetzung der berechtigung über den Zeitpunkt der Zerstörung lebens- Sendeanlagen, Einmarsch der Russen in Wien ... wichtiger Betriebe und den Einblick tn die Versorgungs-

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Kluges Selbstmord

kaum dass ihn Stülpnagel und Hofacker verlassen ha- dass seine jahrelang gespielte Hauptrolle in der Ver- ben, ein Telegramm an Hitler geschickt: schwörung und seine ständigen Forderungen nach der Ermordung Hitlers bekanntgeworden sind. Deshalb «Der von ruchloser Mörderhand unternommene An- vergiftet sich Kluge, nachdem er zuvor noch einen Brief schlag auf Ihr Leben, mein Führer, ist dank einer an Hitler geschrieben hat, in dem er Hitler einerseits gütigen Vorsehung misslungen. Gleichzeitig im Namen bittet, mit dem Krieg Schluss zu machen und «dem der mir als Oberbefehlshaber West unterstehenden drei tapferen deutschen Volk weitere Leiden zu ersparen», Wehrmachtteile beglückwünsche ich Sie und versichere andererseits Hitler noch einmal versichert, dass er ihm Sie, mein Führer, unserer unwandelbaren Treue – was stets besonders nahegestanden und ihn immer verehrt auch kommen mag! habe. Heil mein Führer! Auch Marschall Rommel stirbt durch Gift. Ihm wird Ihr es durch eine Erpressung aufgezwungen. Nachdem Kluge schon sein Stabschef General Dr. Speidel verhaftet Generalfeldmarschall» worden ist – einen Tag nach einem Besuch bei dem schwerverwundeten Rommel –, erscheinen am 14. Ok- Auch dieses Ergebenheitstelegramm hat dem Marschall tober 1944 die Generale Burgdorff und Maisei vom nichts mehr genützt. Aus seiner Ablösung und dem Heerespersonalamt bei Rommel in Herrlingen. Sie kom- dazu übermittelten Führerbefehl, in dem es auch heisst: men im Auftrag Keitels. ... der Feldmarschall v. Kluge hat zu melden, wohin Oberstleutnant Cäsar von Hofacker, die Seele des Pa- er sich zu begeben gedenkt», schöpft er den Verdacht, riser Putsches, kann den «verschärften Vernehmungs-

Es gelang mir, ohne Verdacht zu erwecken, meine Einhei- wenigstens ein grösserer Teil seiner Ziele erreicht worden ... ten auf diesen neuen Plan umzudisponieren, sie offiziell «Wenn auch der Aufstand in Wien selbst infolge des Ver- als Brückenschutz in Erscheinung treten zu lassen, wo sie rates misslungen und in seinen Anfängen erstickt worden erst im letzten Moment durch aktiven Einsatz die Spren- war, so gelang es trotzdem, die Idee, die dem Aufstand gung der Brücken verhindern sollten. Verstärkungen aus als Ausgangsbasis zugrunde lag, zu verwirklichen: nämlich Nieder Österreich wurden herangezogen, eine Batterie aus den Kampf um Wien wesentlich abzukürzen. Dies erfolgte Wels traf leider nicht mehr rechtzeitig ein 12.» dadurch, dass die russischen obersten Kommandostellen Die oben genannten Vorbereitungen waren im Laufe des den Vorschlag Szokolls annahmen, die Haupt kraft der Donnerstag, des 5. April, im Grossen und Ganzen abgeschlos- SS-Truppen durch einen frontalen Scheinangriff vor der sen worden, so dass für Freitag, den 6. April, dem Ausbruch Stadt zu binden und mit dem Hauptkontingent ihrer Trup- des Aufstandes, dessen einzelne Abschnitte grundsätzlich ge- pen im Raum Baden-Mödling an Wien vorbei nach St. nau festgelegt waren, nichts mehr im Wege stand ... Pölten durchzustossen. Erst mit Erreichen der nördlichen Wienerwaldgrenze schwenkte dann dieser Stoss nach Osten [Nach dem Verrat des nationalsozialistischen Führungs- um und nahm über die nördlichen und westlichen Vororte offiziers Leutnant Hanslik aber wurde in der Nacht vom Wiens den Weg in die Stadt. 5. auf den 6. April der Kommandant der «Heeresstreife Dieser Plan war seinerzeit in den ersten grundlegenden Gross-Wien», der österreichische Widerstandskämpfer Ma- Besprechungen durch den Oberfeldwebel Käs im Hauptquar- jor Biedermann, verhaftet.] Trotzdem wäre das Eindringen tier Marschall Tolbuchins vorgetragen worden. der SS [in das Wehrkreiskommando und die Verhaftung Der siebenjährige Kampf um Wien, von der österreichischen des Personals von Major Szokoll] nicht gelungen, wenn Widerstandsbewegung jahrelang als erbitterter Untergrund- nicht infolge des von Major Biedermann erpressten Ge- krieg geführt, ist mit einem blutigen Inferno zu Ende ständnisses das Losungswort der Widerstandsbewegung, gegangen. Schauerlich beleuchtet von der Riesenfackel der «Radetzky», bekannt geworden wäre. brennenden Stephanskirche vollzog sich der Auszug der Es ist kein Zweifel: Wenn das SS-Kommando zehn Minu- SS und der nationalsozialistischen politischen Führer und ten später vor dem Generalkommando eingetroffen wäre, mit ihnen einer dieser Stadt zutiefst fremden Mentalität wäre die Situation trotz des verratenen Kennwortes «Ra- kalter Brutalität und Menschenverachtung. Einige Tau- detzky» eine wesentlich andere gewesen und es wäre der sende von sogenannten Volksgerichten hingerichtete, von SS wahrscheinlich nicht gelungen, in das dann bereits nach militärischen Standgerichten erschossene oder in aller Stille den neuesten Anordnungen Major Szokolls in Verteidi- ermordete Wiener säumten den blutigen Weg durch die fünf- gungszustand gesetzte Gebäude einzudringen. Es hätte so- undachtzig Monate der nationalsozialistischen Herrschaft mit der Putsch in Wien voraussichtlich einen wesentlichen in Wien, deren letzte Tage nun auch für die übrigen Teile anderen Verlauf genommen und möglicherweise wäre dann Österreichs angebrochen waren.» (Aus: Otto Molden, Der Ruf des Gewissens.)

591 Widerstand im Krieg methoden», die Qualen und Folter bedeuten, nicht Noch mehr als in den vergangenen Jahren helfen standhalten und belastet Rommel. Die beiden Generale Menschen tausendfach ihren verfolgten Mitmenschen, bringen Rommel eine Kopie von Hofackers Aussagen werden verbrecherische Befehle nicht ausgeführt oder mit der Nachricht von Keitel: Wenn Hofackers Aus- gar in das Gegenteil verkehrt – so wie etwa General sagen stimmen, dann solle Rommel selbst «die Kon- Choltitz, gegen die Zerstörungswut Hitlers, de Gaulle sequenzen ziehen», wenn nicht, käme Rommel vor das und der französischen Résistance Paris rettet –, die Zer- Volksgericht und seine Rolle würde dort aufgedeckt störung wertvoller Güter wird verhindert, immer wieder werden. werden Zeugnisse der Menschlichkeit gegen ein nun al- Generalfeldmarschall Rommel bleibt nichts anderes len sichtbar unmenschlich gewordenes System abge- übrig, als sich für den Freitod zu entscheiden. Die legt. Generale BurgdorfF und Maisei haben das Gift schon Einer von denen, die sich gegen Hitler wenden, um mitgebracht. Sie versichern Rommel, dass niemand Deutschland vor der völligen Zerstörung zu bewahren, etwas von seiner Beteiligung an der Verschwörung ist der Architekt und Rüstungsminister Albert Speer, erfahren und er selbst ein Staatsbegräbnis erhalten der heute noch im «Kriegsverbrechergefängnis» Berlin- werde. Für seine Familie werde gesorgt. Im anderen Spandau inhaftiert ist. Speer protestiert bei Hitler per- Fall werde er vom Volksgerichtshof verurteilt und ein sönlich dagegen, dass dieser in der letzten Phase des schimpfliches Ende am Galgen nehmen. Dann seien Krieges für Deutschland das befiehlt, was Stalin einst auch «Sühnemassnahmen» – und das ist ein furcht- für Russland befahl – die Strategie der verbrannten bares Druckmittel – gegen seine Familie zu erwarten. Erde. Rommel spricht noch mit seiner Frau und seinem Sohn, Hitler hört sich Speers Kritik an, er lässt ihn keines- teilt ihnen seine Entscheidung mit, verabschiedet sich. wegs verhaften, besteht aber auf der Durchführung Im Kraftwagen geht die Fahrt nach Ulm. Dann kommt seiner Befehle: Nichts von Wichtigkeit darf dem nach aus einem Ulmer Krankenhaus die Nachricht, der Feld- Deutschland vordringenden Gegner in die Hand fallen. marschall sei unterwegs an einer Hirnembolie plötzlich Brücken sind zu sprengen, Fabriken zu zerstören, Ort- verstorben – eine Folge seiner schweren Verwundung. schaften niederzubrennen, damit sich der Gegner nicht in ihnen festsetzen kann. Der Marschall erhält ein Staatsbegräbnis, wie verspro- Speer unternimmt alles, um diesen Befehl nicht wirk- chen, und wird selbst noch als Toter für Propaganda- sam werden zu lassen. Er unternimmt selbst Front- zwecke missbraucht. Die Trauerrede hält Marschall von fahrten, um die Frontkommandeure davon abzuhalten, Rundstedt, der Vorsitzende jenes «Ehrenhofes», der Zerstörungsbefehle zu befolgen. Schliesslich wendet er Rommels Kameraden dem Henker ausgeliefert hat. Vor sich am 29. März 1945, einen Monat vor Hitlers Tod, dem mit der Hakenkreuzfahne bedeckten Sarg sagt die- noch einmal schriftlich an den «Führer». Der Brief des ser gleiche Rundstedt über den Toten, den berühmtesten mutigen Mannes ist erhalten geblieben. In ihm heisst es: deutschen Heerführer des Zweiten Weltkrieges: «Sein « ... Sie hatten selbst einmal festgelegt, dass es Auf- Herz gehörte immer dem Führer.» gabe der Staatsführung ist, ein Volk bei einem verlore- So fordert Hitlers «Abrechnung» 180 bis 200 Todes- nen Krieg vor einem heroischen Ende zu bewahren. Sie opfer unter den Verschwörern. Unter den Zivilisten machten mir jedoch ... Ausführungen, aus denen, wenn sind auch Dr. Goerdeler, der nach wochenlanger Flucht ich Sie nicht missverstanden habe, klar und eindeutig festgenommen und als einer der letzten hingerichtet hervorging: Wenn der Krieg verlorengeht, wird auch wird, Ulrich von Hassell, Graf Yorck von Wartenburg, das Volk verloren sein. Dieses Schicksal sei unabwend- Dr. Julius Leber, Wilhelm Leuschner, Fritz und Werner bar. Es sei nicht notwendig, auf die Grundlagen, die Graf von der Schulenburg, der preussische Finanzmini- das Volk zu seinem primitivsten Weiterleben braucht, ster Dr. Popitz, Dr. Langbehn, der Rechtsanwalt Ernst Rücksicht zu nehmen. Im Gegenteil sei es besser, diese Thälmanns und Heinrich Himmlers, Elisabeth von Dinge selbst zu zerstören. Denn das Volk hätte sich als Thadden aus dem «Solf-Kreis» und viele andere. das schwächste erwiesen und dem stärkeren Ostvolk Mit dem 20. Juli endet die Geschichte des organisierten gehöre dann ausschliesslich die Zukunft. Was nach dem Widerstandes in Deutschland; des organisierten – denn Kampf übrigbleibt, seien ohnehin nur die Minderwer- um so näher das Ende kommt, um so mehr nehmen tigen, denn die Guten seien gefallen! einzelne Widerstandsaktionen zu, bis schliesslich zum Nach diesen Worten war ich zutiefst erschüttert. Und Schluss gar der Massenmörder Himmler sich einbildet, als ich einen Tag später den Zerstörungsbefehl und «Widerstand» leisten zu müssen, und deshalb von Hit- kurz danach den scharfen Räumungsbefehl las, sah ich ler aus seinen Ämtern entlassen und aus der Partei aus- darin den ersten Schritt zur Ausführung dieser Ab- geschlossen wird. sichten ...

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Speer protestiert

Die planmässige Zerstörung der Grundlagen unseres Am 3. April hat Himmler den sogenannten «Flaggen- Volkes ist ein so grosses Unrecht unserem Volk gegen- befehl» erlassen, in dem es heisst: über, dass es das Schicksal mit uns dann nicht mehr gut «Aus einem Haus, aus dem eine weisse Flagge er- meinen kann. Das, was Generationen aufgebaut haben, scheint, sind alle männlichen Personen zu erschiessen. dürfen wir nicht zerstören .. Es darf bei diesen Massnahmen in keinem Augenblick Während sich Speer tatkräftig den Zerstörungsbefeh- gezögert werden!» len Hitlers widersetzt und im Verein mit militärischen Auch dieser Befehl ändert nichts mehr an der sicheren Stellen manches Unheil abwenden kann, geht der nun Niederlage. Überall im Westen Deutschlands erschei- vollends sinnlos gewordene Krieg unbarmherzig weiter. nen weisse Fahnen in den Fenstern, wenn der Gegner naht. Bürgermeister in vielen Dörfern fordern die Sol- Längst schon marschiert der Feind von West und Ost daten auf, ihr Dorf nicht zu verteidigen, sondern weiter- her durch Deutschland. Unaufhaltsam nähert sich die zuziehen. In manchen Orten wird sogar bewaffneter Rote Armee der deutschen Hauptstadt Berlin, nach- Widerstand gegen Truppen geleistet, die weiterkämpfen dem am 16. April die grosse Offensive über die Oder wollen und so die Ortschaft nur in Gefahr bringen, zer- begonnen hat. Amerikaner und Russen treffen sich stört zu werden. nördlich von Torgau an der Elbe – Deutschland ist in In München wird unter Führung des Hauptmann zwei Teile geschnitten. Gerngross sogar eine Art kleiner Aufstand durchge-

Das KZ Buchenwald befreit sich

Um die illegale Aktivität durchführen und aufrechterhalten So etwas hatte sich in einem KL noch nicht ereignet. Unvor- zu können, musste ein wirksamer Häftlings-Selbstschutz ins stellbar der Gedanke, dass die SS es nicht mehr wagte, sofort Leben gerufen werden. Er diente zugleich, als die übrigen mit äusserster Gewalt vorzugehen, um die Befehle zu erzwin- Voraussetzungen im Sinne einer Vereinheitlichung und Zu- gen . .. sammenfassung der Kräfte erfüllt waren, der Vorbereitung Die entscheidende Belastungsprobe war der 5. April... auf das Lager ende. Sämtliche grösseren nationalen Gruppen SS-Sturmbannführer Dr. Ding-Schuler kam noch einmal in schufen sich Geheimorganisationen – die Tschechen, die das Lager zurück und teilte mit, dass von der Gestapo Wei- Jugoslawen, die Polen, die Russen, die Franzosen, die Bel- mar der Befehl ergangen sei..., 46 Politische am nächsten gier und die Niederländer. Ihre Bestrebungen wurden in Morgen zu evakuieren, ehe das Lager evakuiert würde… Buchenwald von den deutschen und österreichischen Kame- Im Nu war der gesamte Apparat der internen Lagerleitung raden koordiniert. Aus allen möglichen Gründen und unter alarmiert. Es wurde der Beschluss gefasst, Ernst zu machen, allen möglichen Vorwänden wurden immer neue Hilfstrup- die Auslieferung der 46 Mann zu verweigern, selbst wenn es pen des Lagerschutzes oder Einrichtungen, die im Notfall darüber zum offenen Kampf kommen sollte ... von Wert sein konnten, geschaffen: ausser beständigen Noch in der gleichen Nacht tauchten alle Bedrohten ... in Feuerwehren eine Brandwache, ein Sanitätstrupp, ein Ber- sicheren Verstecken unter. .. Der Kommandant liess nach gungstrupp und dergleichen mehr, bis zum Beispiel in dieser zweiten Weigerung des Lagers, SS-Befehle zu befol- Buchenwald weit über 1’000 Mann zur Verfügung standen, gen, den LA I rufen und verlangte, dass die Fehlenden die auf Befehle der Häftlingslagerleitung harrten und straff durch den Lagerschutz ausfindig gemacht würden. Dieser diszipliniert waren. Es ist der SS nie gelungen, dieses all- «suchte» hierauf volle acht Stunden, ohne natürlich irgend- mählich sich bildende Machtgefüge und seine wirkliche Be- einen der Untergetauchten zu finden. Nun bestand die Ge- deutung zu durchschauen ... fahr eines allgemeinen Zählappells. Die interne Leitung be- Der Besitz von Waffen schuf ein erstes Sicherheitsbewusst- schloss, auch zu ihm nicht mehr zu erscheinen, wenn er an- sein. Man brauchte wenigstens nicht kampflos zu sterben, befohlen würde. Das KL ohne Appell! Damit kam für die sich nicht einfach abschlachten zu lassen. Mit diesem ver- SS die wichtigste Kontrolle in Wegfall. Von da an ging nie- stärkten Selbstbewusstsein konnte auf die Kameraden be- mand mehr zum Tor, wenn irgend eine geschlossene ruhigend eingewirkt werden. Die ausserordentliche Schwie- Gruppe oder ein «Prominenter» des Lagers gerufen wurde rigkeit der Lage war nicht zu verkennen: der Kampf musste und Gefahr vermutet werden musste. Es war die offene Kriegs- einerseits gegen die SS, aber fast ebenso, im entscheidenden erklärung. Als die Nacht kam, wagte sich die SS nur mit Augenblick, gegen Schwache, Feige und die unvermeidliche schwerster Bewaffnung ins Lager; sie sah, dass die Politi- Panik geführt werden! ... schen entschlossen waren, zu kämpfen. Am 4. April nachmittags wurden plötzlich alle Juden des Die Verantwortlichen im Lager waren sich über die Aus- Lagers aufgerufen. Niemand erschien auf dem Appellplatz! sichten des Erfolges einer bewaffneten Auseinandersetzung

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Widerstand im Krieg führt, als sich die amerikanischen Panzer immer mehr der bayerischen Hauptstadt nähern. Die Männer dieser Aktion sind vor allem in München stationierte Soldaten und Offiziere, die Gerngross in langem Bemühen um sich geschart hat. Am 28. April werden per Funk die Alliierten von dem bevorstehenden Aufstand unterrichtet. Sie werden gleichzeitig aufgefordert, die Bombenangriffe auf die Stadt einzustellen. Als erstes wird der Münchener Sender mit Waffenge- walt besetzt. Hauptmann Gerngross ruft den Aufstand aus, gibt die zehn Programmpunkte seiner Organisation bekannt – die sich FAB nennt, «Freiheitsaktion Bay- Der Innsbrucker Widerstandsbewegung gelang es, alle wich- ern» –, gibt das Stichwort «Fasanenjagd» aus, womit tigen Punkte der Stadt noch vor dem Eintreffen der Ame- rikaner in die Hand zu bekommen. Auch das Landhaus, die Jagd auf Parteifunktionäre der NSDAP gemeint das Gauleiter Hofer kampflos verlassen hatte, war bereits ist, und ruft die Bevölkerung Münchens und Bayerns von Widerstandskämpfern besetzt, als noch einmal eine zum Kampf gegen die Nazis auf. SS-Panzerabteilung vorstiess und sich mit den Widerstands- Die um München stehende Division der Wehrmacht kämpfern ein Feuergefecht lieferte. Hier vor dem Landhaus legt daraufhin die Waffen nieder und ergibt sich fiel als eines der letzten Opfer des österreichischen Frei- kampflos den heranrückenden Amerikanern. In Mün- heitskampfes der Führer der Widerstandsgruppe Mair, Pro- chen wehen überall weisse Fahnen. Auf diese Weise fessor Dr. Franz Mair. – Abb. oben: Die am Tiroler Land- haus in Innsbruck angebrachte Tafel zur Erinnerung an die Befreiung Tirols und an den Tod Prof. Mairs. zwischen SS und Häftlingen durchaus im klaren. Der Kampf Gefahr zu bannen, dass im letzten Augenblick noch evaku- musste nach höchstens einigen Stunden zuungunsten des iert würde, beschloss man, einen Abgesandten aus dem Lagers ausgehen. Aber man rechnete mit der beinahe stünd- Lager zu schmuggeln, der für den Fall, dass die Amerikaner lich erwarteten Ankunft der Befreiungstruppen. Um die den ... Ettersberg mit dem KL umgehen würden, die alliier- ten Linien von Weimar aus erreichen, gleichzeitig aber so- fort an den Kommandanten des KL Buchenwald ein Schrei- ben richten sollte ... Am Mittwoch, 11. April, mittags befanden sich noch 21’000 Häftlinge im Lager. Die Voraussetzung für eine wirksame Aktion mit den Waffen war gegeben. Aber die SS griff nicht mehr an. Um 10.30 Uhr vormittags erklärte der erste Schutzhaftlagerführer dem LA I, dass das Lager übergeben werde. Die Erklärung besass einigen Wert, man wusste aber bereits,dass auf der anderen Seite die SS vom nahegelegenen Flugplatz «Nora» Tiefflieger zur Vernichtung des Lagers angefordert hatte. Folglich blieben alle Kräfte des Lagers in voller Alarmbereitschaft. Als etwa eineinhalb Stunden spä- ter durch die Lautsprecher bekanntgegeben wurde, dass sämtliche SS-Angehörigen sofort zu ihren Dienststellen ausserhalb des Lagers zu kommen hätten, stieg die kritische Erwartung auf das Äusserste. Kurz darauf begann die SS abzuziehen. Die Würfel waren gefallen. Zurück blieben die Posten auf den Wachttürmen, die sich beim näher- und näherkommenden Schlachtenlärm knapp vor 15 Uhr in den umliegenden Wald zurückzogen, worauf die Kameraden des Lager Schutzes, die bewaffnet in Deckung lagen, sofort den Stacheldraht durchschnitten, die Türme ihrerseits besetzten, das Tor am Lagereingang nahmen und die weisse Fahne auf Turm 1 hissten. So fanden die ersten amerikanischen Panzer, die vom Nordwesten her anrollten, das befreite Buchen- wald vor ...

(Aus: Eugen Kogon «Der SS-Staat. «Es ist soweit», eine Zeichnung des Häftlings Herbert Sand- Das System der deutschen Konzentrationslager».) berg aus dem Konzentrationslager Buchenwald.

594 «Verräter» Himmler wird München ein blutiger Kampf erspart, die Stadt allen Funktionen aus, ebenso seinen «treuesten Pala- wird ohne Blutvergiessen von den amerikanischen din», den Mann mit dem Dutzend Titeln und Ämtern, Truppen besetzt. So kommt schliesslich der Tag, an dem Reichsmarschall Hermann Göring. Denn Göring hat selbst Hitlers geradezu krankhafter Starrsinn einsieht, von seinem Zufluchtsort in den österreichischen Alpen dass alles zu Ende ist, dass das Dritte Reich aufgehört angefragt, ob der Führer ihm die Macht übertrage, da hat zu existieren. Schon stehen rings um die Reichs- er doch im eingeschlossenen Berlin an der Machtaus- kanzlei die Panzer der Roten Armee, Hitlers Staat ist übung verhindert sei. Hitler befiehlt sogar, Göring zu nur noch wenige Quadratkilometer gross, er reicht vom erschiessen. Dönhoftplatz im Osten, dem einstigen Zentrum der Tatsächlich wird Göring noch von einer SS-Einheit Berliner Konfektionsbetriebe, bis zur heutigen «Strasse verhaftet, doch bald darauf von ihm ergebenen Luft- des 17. Juni» im Westen, vom S-Bahnhof Friedrich- waftensoldaten wieder befreit – bis ihn wenig später strasse im Norden bis zum Halleschen Tor im Süden. die Amerikaner wieder festnehmen. Das ganze Gebiet hat nur zwei bis drei Kilometer Als seinen Nachfolger setzt Hitler den Oberbefehls- Durchmesser. An einigen Stellen sind die Sowjets so- haber der Kriegsmarine ein, Grossadmiral Karl Dönitz. gar bis auf wenige hundert Meter vor die Reichskanzlei Der Grossadmiral wird Staatsoberhaupt und erhält durchgebrochen. den Titel «Reichspräsident», jenen Titel, den Hitler Hitler beschliesst, seinem Leben ein Ende zu machen. selbst am 2. August 1934 nach dem Tode Hindenburgs Zuvor schliesst er noch «den Verräter» Himmler von abgeschafft hat. Regierungschef und «Reichskanzler»

Der vom Generalstab «05» hergestellte Luftlandeplan, der unter dem Deckwort «Unternehmen Freiheit» eine Landeak- tion US-amerikanischer und britischer Fallschirmjäger im Zusammenwirken mit der Tiroler Widerstandsbewegung vor- sah. Die dunkel schraffierten Flächen sind die als Luftlandedämme vorgesehenen Gebiete.

595 Widerstand im Krieg

«Freiheitsaktion Bayern» 1945 Aktion «Nein»

Aus einem Gespräch mit Hauptmann Gerngross Aus Tagebuchaufzeichnungen einer Beteiligten

... Der Aufstand in München sollte «dem anderen Deutsch- Montag, 16. April 1945 land» und der Welt zeigen, dass es vaterlandsliebende Män- «... Sie wissen, worum es geht?» Georg Schulz ... sieht ner gab, die es wagten, der Vernichtungspolitik entgegen- uns fragend an. «In drei Worten zusammengefasst: um das zutreten, um noch soviel von der Heimat zu retten, als zu ,Nein' zu Hitlers Politik. Um die wahre Antwort auf seine retten war. Der 20. Juli 1944 hatte gezeigt, dass eine ganz letzte Wahl frage! ,Billigst du, deutscher Mann, und du, Deutschland umfassende Aktion unter einer absoluten Dik- deutsche Frau, die Politik Adolf Hitlers?1 – Nein, wir bil- tatur sich nicht mehr durchführen liess. Meinen Freunden ligen sie nicht, diese Politik. Und dass wir sie nicht billigen, und mir verblieb die Möglichkeit der Vorbereitung einer wollen wir eindeutig zeigen ... Wir planen eine Aktion über Aktion im süddeutschen Raum... Ein früher gefasster ganz Berlin. Für Mittwoch nacht. Die erste dieses Umfanges Gedanke, eine Anti-Chaos-Truppe zu schaffen, um nach seit 1933. ,Nein', heisst das Losungswort. ,Nein‘, soll es von einem Zusammenbruch die letzte Substanzvernichtung zu allen Mauern den Nazis entgegenrufen. Mit Kreide oder mit verhindern, musste in der Planung umgestellt werden auf Farbe. Mit Kohle oder mit Tünche. Jeder übernimmt einen den Einsatz von Widerstandsgruppen, um das nazistische bestimmten Stadtbezirk.» ... Machtgebäude einzustürzen. Gleichzeitig mussten aber die Wir tauschen einen raschen Blick.. .. «Unsere Gruppe stellt Voraussetzungen erfüllt werden, welche die Alliierten für zwölf bis vierzehn Personen.» ... einen Waffenstillstand erwarteten. Eine solche Kapitula- Mittwoch, 18. April 1945 tion konnte nur der bis dahin politisch und militärisch ver- ... Zögernd mache ich ein paar Schritte nach rechts. Spüre antwortliche NS-Verantwortliche erklären. Es wurden daher zwischen meinen Fingern die kalte Ecke des Briefkastens. Einheiten bestimmt, um die militärischen Kommandostellen N–E–I–N male ich mit zusammengebissenen Zähnen und den Gauleiter auszuschalten und zu versuchen, dass der hastig auf den breiten Einwurfschlitz ... Immer deutlicher Reichsstatthalter in Bayern, General Ritter von Epp, die for- heben sich aus der Schwärze die breiten Flächen der Mauern male Kapitulation erklärte. und Schaufenster ab. Nein – Nein. Entweder ganze Arbeit o- Die Aktionen begannen auf das Stichwort «Fasanenjagd». der keine. Wir malen und schreiben. Auf Bordschwellen und Die von mir geführte Dolmetscherkompanie VII wurde auf- Telegrafenmaste, auf Gartentore und Litfasssäulen. Wo im- geteilt, um verschiedene wichtige Nachrichten- und Versor- mer sich ein Blickfang findet, wird ihm das Nein als farbiges gungszentren zu besetzen. Gruppen ... wurden angesetzt, Siegel aufgedrückt... um das Rathaus, den Befehlsbunker in Pullach und Ver- Ich starre auf das scheussliche Plakat. «Die Juden sind unser sorgungsanlagen zu übernehmen ..., um den Gauleiter Unglück!» Jetzt setzt Frank den Pinsel an. Dunkelrot tropft und seinen Befehlsstand auszuschalten. Zivile Einsatz- die Farbe auf das Pflaster ... N–E–I–N! In handbreiten gruppen hatten die Brücken und Fabrikanlagen vor Balken leuchtet Franks Protest von der hölzernen Anschlag- Sprengungen und Vernichtung zu schützen. Gruppen ... tafel ... sollten die Isarübergänge bis Freising sichern und den Donnerstag, 19. April 1945 Grosssender in Erding besetzen. Mit zwei anderen nahm ... Georg Schulz winkt uns in eine Ecke. «Hier sind die Flug- ich selbst den Reichsstatthalter ... gefangen. Von der ... blätter. Verteilen Sie sie nach Ihrem Gutdünken. Sie könnten Sendeanlage in Freimann und später am Morgen des 28. besser sein. Aber ohne Druckmaschine... Wir haben Nächte April von Erding aus begannen die Sendungen der FAB, daran gearbeitet.» ... um damit die ganze Bevölkerung in Bayern zur Teilnahme Berliner! Soldaten! Männer und Frauen! Ihr kennt den an der Selbstbefreiung aufzurufen und der übrigen Welt Befehl des wahnsinnigen Hitler und seines Bluthundes Aufklärung zu geben über die Vorgänge in München. Mit Himmler, jede Stadt bis zum äussersten zu verteidigen. Wer dem erzielten Erfolg, der restlosen Auflösung einer zu- heute noch die Befehle der Nazis ausführt, ist ein Idiot sammenhängenden Verteidigungsfront, beendeten wir die oder Lump. Berliner! Folgt dem Beispiel der Wiener! Durch Aktion am Nachmittag des 28. April 1945 ... Die militä- versteckten und offenen Widerstand haben die Wiener Arbei- rischen Konsequenzen der Freiheitsaktion Bayern mögen ter und Soldaten ein Blutbad in ihrer Stadt verhütet! Soll Ber- darin gesehen werden, dass die in aufgelöstem Rückzug lin das Schicksal von Aachen, Köln und Königsberg erleiden? oder sonst auf verlorenem Posten befindlichen Wehrmachts- teile nicht mehr dazu missbraucht werden konnten, eine NEIN! nutzlose Verteidigung fortzusetzen ... Als politische Kon- sequenz des Aufstandes besteht die Tatsache, dass . .. Bürger Schreibt überall Euer Nein an! Bildet Widerstandszellen in in Bayern aus dem Inneren heraus und aus eigenen Kräf- Kasernen, Betrieben, Schutzräumen! Werft alle Bilder von ten ohne jegliche Mitwirkung des Auslandes, zur Selbstbefrei- Hitler und seinen Komplizen auf die Strasse! Organisiert den ung und damit zur echten «Entnazifizierung» geschritten sind. bewaffneten Widerstand! Widerstandsgruppe Berlin (Aus: Erich Kuby ‚Das Ende des Schreckens. Dokument» des Untergangs. Januar bis Mai 1945‘.) (Aus: Ruth Andreas-Friedrich «Schauplatz Berlin. Ein Tagebuch, aufgezeichnet 1938-1945».)

596 Hitlers Tod wird der wirklich treueste Gefolgsmann Hitlers, Dr. Jo- An diesem Tag stehen die Sowjets bereits in der süd- seph Goebbels. lichen Wilhelmstrasse. Schon ist die Prinz-Albrecht- Am 30. April 1945 ist Hitlers unseliges Leben zu Ende. Strasse und mit ihr die Ruine des Himmlerschen Reichs- Unmittelbar zuvor hat er seine langjährige Freundin sicherheitshauptamtes besetzt, schon tobt der Kampf Eva Braun geheiratet, eine Angestellte seines Leibfoto- um das Luftwaffenministerium in der Leipziger Strasse, grafen Heinrich Hoffmann. Zugleich hat er noch zwei das heute als «Haus der Ministerien» Sitz von Ulbrichts Testamente verfasst, ein politisches und ein privates. Regierung ist. Die Reichskanzlei ist für die sowjetischen Im politischen Testament prophezeit er dem deutschen Angriffsspitzen nur noch ein paar Meter entfernt, bereits Volk – ganz im Gegensatz zu dem, was er in letzter an der nächsten Strassenecke, Wilhelmstrasse-Voss- Zeit zu Speer und anderen über den gerechten Unter- strasse. gang des deutschen Volkes gesagt hat – die «strahlende Da bricht im Rücken der Rotarmisten ein starker Stoss- Wiedergeburt der nationalsozialistischen Bewegung» trupp in deutschen Uniformen zwischen die graugrü- und schliesst mit der Aufforderung, die noch einmal an nen Panzer, allen voran ein Unteroffizier. Die Soldaten die Grundlage seiner «rassistischen Weltanschauung», sind nur mit Sturmgewehr, Handgranaten und Panzer- die so viel Unheil über die Menschheit gebracht hat, er- fäusten bewaffnet. Dennoch gelingt es ihnen, sieben innert: sowjetische Panzer in der Friedrichstrasse und der Wil- «Vor allem verpflichte ich die Nation und die Gefolg- helmstrasse zu vernichten. schaft zur peinlichen Einhaltung der Rassengesetze und Drei Panzer vernichtet jener Unteroffizier. Einen da- zum unbarmherzigen Widerstand gegen den Weltver- von an der Ecke Friedrichstrasse-Kochstrasse. Genau gifter aller Völker, das internationale Judentum.» dort hat 12 Jahre zuvor der arbeitslose, invalide hol- Dann zieht er sich mit seiner Frau in sein Zimmer tief ländische Maurer Marinus van der Lubbe die Berliner unten im Bunker unter dem Garten seiner Reichskanz- Arbeiter zum Widerstand gegen die Nazis aufgerufen, lei zurück. Die vor dem kleinen Raum Wartenden hö- genau dort befindet sich heute der «Checkpoint Char- ren bald einen Schuss. Nach einiger Zeit betreten sie das lie», Ulbrichts Mauerloch für Ausländer. Am 13. Au- Zimmer. gust 1961 und noch Wochen danach stehen sich hier mit Auf dem Sofa hinter dem Lisch sitzen zwei Tote. Hit- schussbereiten Kanonen sowjetische und amerikanische ler ist offensichtlich von seiner Frau erschossen wor- Panzer gegenüber. Jetzt, am 30. April 1945, sind es den, denn seine Hände liegen auf dem Tisch, die nur sowjetische Panzer, und die Soldaten mit den Ge- Pistole jedoch zu Füssen von Eva Hitler, geborene wehren, Handgranaten und Panzerfäusten sind keine Braun. Vermutlich hat Hitler infolge seiner Krankheit Amerikaner. Es sind allerdings auch keine Deutschen. – einer immer stärker werdenden Schüttellähmung – Zwar trägt jener Unteroffizier im Halsausschnitt sei- und der bei Stauffenbergs Attentat am 20. Juli erlittenen nes Waffenrocks die höchste deutsche Tapferkeitsaus- Verletzungen des rechten Arms die Pistole selbst nicht zeichnung, das Ritterkreuz, aber der Ruf, mit dem er halten können. Eva Hitler hat Gift genommen. seine Männer anfeuert, während sie die sowjetischen Das geschieht in der vierten Nachmittagsstunde des 30. Panzer und Infanteristen zurückdrängen, ist für deut- April 1945. Adolf Hitler, Führer und Reichskanzler sche Soldaten mehr als ungewöhnlich. Welcher deutsche des Grossdeutschen Reiches, Oberbefehlshaber der Soldat würde schon im schwersten Kampf rufen: «Vive Wehrmacht, Oberster Gerichtsherr, noch vor zwei Jah- la France!» ren Beherrscher Europas, ist tot. Mit dem Abgott von Das Soldbuch des Unteroffiziers ist in den Farben Millionen Verblendeten, in dem andere Millionen zu Blau-Weiss-Rot eingebunden, enthält den Vermerk Recht die leibhaftige Verkörperung des Bösen gesehen über die Verleihung der Eisernen Kreuze beider Klas- haben, ist auch sein Reich dahin, mit Hitler ist auch das sen, des Ritterkreuzes, des Verwundetenabzeichens und Dritte Reich gestorben. des Infanterie-Sturmabzeichens sowie den Namen des Aber in den wenigen nun noch folgenden Tagen der Inhabers: Eugene Vaulot. Agonie eines Staates, den die ganze Welt bekämpft Vaulot und seine Männer gehören zum Sturmbataillon hat, geschehen noch Dinge, die wie blendende Schein- der französischen Freiwilligendivision «Charlemagne werferstrahlen für Augenblicke die Abgründe erhellen, – Karl der Grosse». Das Sturmbataillon ist seit eini- in die nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa und gen Tagen der Freiwilligendivision der Waffen-SS mit ihm die Welt geraten ist. «Nordland» unterstellt. In der Division «Nordland» Zur gleichen Stunde, da im Garten der Reichskanzlei sind Freiwillige aus Lettland, Litauen, Estland, Finn- die Leichen Hitlers und seiner Frau mit Benzin übergos- land und Schweden zusammengefasst, die sich zum sen und verbrannt werden, tobt ringsum noch immer das Kampf gegen den Bolschewismus zur Verfügung ge- Höllenfeuer des Krieges. stellt haben. Hitlers letzte Schlacht, der Kampf um

597 Widerstand im Krieg

Berlin, wird kaum irgendwo von deutschen Soldaten ermorden – der Befehl dazu ist bereits gegeben –, geführt. Die letzten Verteidiger Berlins vor der anstür- oder die Gefangenen erhalten in dem kleinen Gebirgs- menden Roten Armee sind überwiegend ausländische ort ihre Freiheit wieder. Sie alle sind Widerstands- Freiwillige, die unter der irreführenden Parole «Kampf kämpfer gegen Hitler oder Angehörige der Verschwö- dem Bolschewismus» ihren von Hitler unterdrückten rer vom 20. Juli, und so kommt niemand von ihnen Völkern entfremdet worden sind, hier in Berlin an ihrer auf den Gedanken, dass es noch eine andere Möglich- Spitze, in vorderster Front, die Franzosen der Division keit für ihr Schicksal gibt, ausser Freiheit oder Tod: die «Charlemagne». jahrelange Gefangenschaft als «Kriegsverbrecher» in Wahrend diese von ihren Landsleuten verachteten alliierten Lagern und Zuchthäusern. Es ist eine recht Franzosen in Berlin zum letzten Gefecht gegen die Rote bunt zusammengewürfelte Gruppe von Menschen, die Armee antreten und die sowjetischen Panzer von den hier in Niederndorf auf die Entscheidung über ihr Toren der Reichskanzlei bis zum Belle-Alliance-Platz Schicksal warten. Da sind: zurückdrängen, der dem Andenken an den 1815 errun- der ehemalige Generalstabschef des deutschen Heeres, genen europäischen Sieg über das Frankreich Napole- Generaloberst Franz Halder; ons gewidmet ist, feiern andere französische Freiwillige der ehemalige Reichsbankpräsident und Reichswirt- in einer anderen deutschen Stadt ihren Sieg über den schaftsminister Dr. Hjalmar Schacht; Feind. General Georg Thomas, ehemals Chef des Wehrwirt- Stuttgart, die schwäbische Landeshauptstadt, ist am 20. schafts- und Rüstungsamtes im Oberkommando der April von Truppen General de Gaulles erobert worden, Wehrmacht; von denen die meisten bereits einen langen Weg zurück- General Alexander von Falkenhausen, ehemals Militär- gelegt haben. befehlshaber von Belgien und Nordfrankreich; Sie haben unter General Ledere im Kongo gekämpft, Dr. Kurt Edler von Schuschnigg, ehemals österreichi- haben den langen Marsch durch die nordafrikanischen scher Bundeskanzler, mit Frau und Kind; Wüsten und die Kämpfe gegen Rommels Afrika-Korps L6on Blum, ehemals französischer Ministerpräsident durchgestanden, haben gemeinsam mit ihren Alliierten und Vorsitzender der französischen Sozialistischen Par- ihr Vaterland befreit, sind am 25. August 1944 im tei, mit seiner Frau; Triumphmarsch in Paris eingezogen und stehen nun die beiden britischen Geheimdienstoffiziere Major Ste- endlich siegreich im Land des verhassten Feindes. vens und Captain Best, die nach dem Attentat auf Hitler Zur gleichen Stunde, als Eugene Vaulot in Berlin sei- am 8. November 1939 vom deutschen Sicherheitsdienst nen vierten Sowjetpanzer vernichtet, kleben in Stutt- aus Holland entführt worden waren; gart an den Mauern die Befehle des französischen Ge- Pastor Martin Niemöller; der Hitler-Attentäter nerals Guillaume, die der deutschen Zivilbevölkerung Oberstleutnant Fabian von Schlabrendorff; Dr. Josef gelten: Müller, Beauftragter der Hitlergegner beim Vatikan; Jede deutsche Familie hat eine weisse Fahne aus dem der Münchner Weihbischof Neuhäusler; der Indu- Fenster zu hängen, jeder hat einen kompletten Zivil- strielle Fritz Thyssen mit Frau; der Neffe des sowjeti- anzug – «einschliesslich Hut, Socken und Schuhe» – schen Aussenministers Molotow; der ehemalige Ober- an die Franzosen, Tunesier, Marokkaner und Alge- befehlshaber der griechischen Armee; der ehemalige rier abzuliefern. Ein Plakat enthält den Befehl für die ungarische Ministerpräsident; die deutschen Prinzen deutsche Bevölkerung, « ... Dienstwagen, die mit dem Philipp von Hessen und Friedrich von Preussen; der Zeichen eines Generals versehen sind, zu grüssen [Män- berühmte Clown Visentainer; die Sängerin Isa Vermeh- ner durch Hutabnahme]». ren; die Angehörigen Stauffenbergs, Goerdelers und an- Und ebenfalls zur gleichen Stunde kommt in der klei- derer Verschwörer. nen Ortschaft Niederndorf im österreichischen Puster- Die Gefangenen haben allen Grund, um ihr Leben zu tal eine Autobuskolonne an. Die Insassen der Omni- fürchten. Diejenigen unter ihnen, die aus dem Lager busse sind prominente Häftlinge aus deutschen Kon- Flossenbürg in der Oberpfalz kommen, wissen, dass zentrationslagern mit ihren Bewachern. Die meisten dort einer ihrer Mitgefangenen nach dem anderen hin- kommen aus dem Lager Flossenbürg, wohin man sie gerichtet worden ist – unmittelbar vor ihrem eigenen aus ganz Deutschland gebracht hatte. In Dachau und Abtransport, der ihnen bis jetzt das Leben bewahrt in einem kleinen Lager bei Innsbruck haben sie einmal hat. Noch am 9. April, kurz vor der Ankunft der Zwischenstation gemacht und glauben nun, dass hier Amerikaner, sind in Flossenbürg erschossen worden: in Niederndorf für sie alle Endstation ist – so oder so. Admiral Canaris, der ehemalige Chef der deutschen Abwehr, den man nach dem 20. Juli ebenfalls verhaftet Entweder wird die Bewachungsmannschaft sie noch hat;

598 Die letzten Opfe:

Generalmajor Oster, Leiter der Zentralabteilung der Ab- Darauf aber kann Dönitz, kann die deutsche Regierung wehr, einst Stauffenbergs Vorgänger als Organisator der nicht eingehen. Die Schiffe der Kriegsmarine werden Verschwörer; für den Abtransport der Hunderttausende Flüchtlinge Pfarrer Dietrich Bonhoeffer von der Bekennenden und Soldaten aus dem Osten gebraucht. Schliesslich Kirche, der viele Auslandsverbindungen für die Ver- kommt es zu einer stillschweigenden Einigung zwi- schwörer hergestellt und sich bei ausländischen Freun- schen dem deutschen Grossadmiral und dem britischen den um Verständnis für den deutschen Widerstand be- Feldmarschall. Die Kapitulationsbedingungen bleiben müht hat; – denn Montgomery muss seinen Alliierten gegen- Reichsgerichtsrat Dr. von Dohnanyi, der von Anfang über das Gesicht wahren –, aber selbstverständlich ist an zu den Verschwörern gehört hat, der die Aufklä- so eine Kapitulation eine langwierige Sache, niemand rung der Fritsch-Krise in die Wege geleitet, als Ab- kann erwarten, dass die Übergabe der deutschen Schiffe wehrbeauftragter vielen Menschen das Leben gerettet so schnell erfolgt. Die Engländer haben gar kein Perso- und auch zur Aufklärung und Beendigung der «Gna- nal für die Übernahme. dentod-Aktion» in den Heilanstalten beigetragen hat. Die Verhandlungen mit dem amerikanischen Ober- Mit ihnen sind noch viele andere in Flossenbürg kurz befehlshaber Eisenhower verlaufen ganz anders. Wäh- vor dem Ende hingerichtet worden. Durchaus möglich, rend aus allen Ostseehäfen die Schiffe mit Volldampf dass die Reihe nun an den Häftlingen in Niederndorf nach Osten laufen, Zerstörer, Torpedoboote, Räum- ist. Aber die Ungewissheit dauert nicht mehr lange. boote, Vorpostenboote, Passagierdampfer, Lazarett- Eben hat Hitlers «Privathäftling» Pfarrer Niemöller schiffe, Fischdampfer – und über ihnen auf Befehl durch herausfordernde Worte sich und seine Freunde in Montgomerys britische Flugzeuge patrouillieren –, wei- höchste Gefahr gebracht – er droht den schwerbewaff- gert sich Eisenhower zunächst, überhaupt einen Unter- neten Wachen mit Gewalt, worauf die sich natürlich da- händler zu empfangen. Er beauftragte seinen Stabschef ran machen, den längst erhaltenen Erschiessungsbefehl Smith mit den Verhandlungen und sagt selbst nach dem nun doch auszuführen – da kann General Thomas alles Krieg noch: retten. «Ich trug General Smith auf, er solle Jodl [dem deut- Aus Italien zurückmarschierende deutsche Truppen schen Unterhändler, Chef des Wehrmachtsführungs- ziehen durch Niederndorf. Dabei ein General, den stabes] sagen, ich würde den Durchgang deutscher Thomas gut kennt und der früher sein Untergebener Flüchtlinge durch unsere Linie unter Gewaltanwen- war. Der General stellt sofort eine Kompanie zur Bewa- dung verhindern, wenn sie nicht augenblicklich mit chung der Häftlinge ab – die SS-Bewacher verstreuen ihrer ... Verzögerungstaktik aufhörten ...» sich in alle Winde. Eisenhower droht sogar damit, die wenigen noch un- Am 4. Mai ist es soweit – die Amerikaner sind da, und besetzten deutschen Städte zu zerbomben, wenn sich die Stunde der Freiheit ist angebrochen. die deutschen Truppen im Osten auf den Weg zu den Am gleichen 4. Mai wird genau am anderen Ende westlichen Alliierten machten, statt sich sofort der Deutschlands noch regiert. In der Marineschule Flens- Roten Armee zu übergeben. Dönitz weiss also, dass ihm burg-Mürwik tagt unter dem Vorsitz des neuen nur noch wenige Tage bleiben, um die grosse Rettungs- «Reichspräsidenten» Grossadmiral Dönitz die deutsche aktion für die Flüchtlinge aus dem Osten durchzufüh- Reichsregierung in Permanenz. Provisorischer Regie- ren. rungschef unter dem Staatsoberhaupt Dönitz ist der Fi- Am 7. Mai ist es soweit – in Reims wird durch Ge- nanzminister Graf Schwerin-Krosigk, denn der von Hit- neraloberst Jodl vor den Vertretern der USA, Gross- ler ernannte Reichskanzler Dr. Goebbels hat seine ganze britanniens und Frankreichs die deutsche Kapitulation Familie einen Tag nach Hitlers Tod, am 1. Mai, vergiftet unterzeichnet. Die Sowjetunion hat nur einen nicht und sich dann selbst erschossen. bevollmächtigten Beobachter entsandt. Stalin und sein Die letzte deutsche Reichsregierung kann nur noch die Marschall Schukow verlangen die deutsche Kapitula- Trümmer des Reiches verwalten – aber dennoch hat tion in Berlin. ihre Arbeit einen Sinn. Es gilt, soviel Menschen wie Und so wird einen Tag darauf in Berlin-Karlshorst die möglich vor der Roten Armee zu retten. Dönitz hat Kapitulationsurkunde noch einmal unterzeichnet, dies- die Aufforderung des britischen Feldmarschalls Mont- mal deutscherseits von Generalfeldmarschall Keitel. gomery abgelehnt, in Norddeutschland, Holland und Am 9. Mai 1945, um ein Uhr früh, sollen überall die Dänemark zu kapitulieren. Dönitz will keineswegs Waffen schweigen. Der Zweite Weltkrieg ist in Europa den Krieg weiterführen, aber Montgomery hat zur zu Ende. Das Deutsche Reich hat zu bestehen aufge- Kapitulationsbedingung gemacht, dass sofort sämtliche hört. Der Nationalsozialismus ist vernichtet. Schiffe der deutschen Kriegsmarine zu übergeben sind. Überall in Europa feiern die Völker ihren Sieg, zu dem

599 Widerstand im Krieg die Patrioten ihrer Länder nicht nur als Soldaten, son- schen Widerstandskämpfer sind nicht umsonst gestor- dern im Untergrund, in der Verborgenheit der Illega- ben. Wenige Stunden, bevor er in den Tod ging, hat lität, bedroht vom Terror der Gestapo und des SD, ge- der General von Tresckow das entscheidende Wort ge- meinsam beigetragen haben. sagt, als sicher war, dass Hitler noch einmal Sieger ge- In Deutschland jubelt niemand. Aber auch das deut- blieben war an jenem 20. Juli 1944: sche Volk atmet auf. Die Schrecken des Krieges sind «Ich bin nach wie vor der felsenfesten Überzeugung, vorbei. Und auch in Deutschland wird wieder aufge- dass wir recht gehandelt haben ... Wenn ich in weni- baut werden, auch in Deutschland wird wieder neues gen Stunden vor dem Richterstuhl Gottes stehen werde, Leben aus den Ruinen blühen. Viele Städte wären um Rechenschaft abzulegen über mein Tun und Unter- jetzt nicht zerstört, Hunderttausende von Menschen lassen, so glaube ich mit gutem Gewissen das vertreten würden jetzt noch leben, unermessliches Leid, schreck- zu können, was ich im Kampf gegen Hitler getan habe. liche Not wäre dem deutschen Volk erspart geblieben, Wenn Gott einst verheissen hat, er werde Sodom nicht wenn der Krieg im Juli 1944 beendet worden wäre, verderben, wenn auch nur zehn Gerechte darin seien, wenn auch der deutsche Widerstand gegen Hitler sieg- so hoffe ich, dass Gott auch Deutschland um unseret- reich geblieben wäre. Dennoch – auch dieser Wider- willen nicht vernichten wird.» stand war nicht vergebens, dennoch – auch die deut-

600 Stichwortverzeichnis

Folgende Begriffe wurden nicht ins BBC (British Broadcasting Brauchitsch, Walter von Register aufgenommen: Boykott, Corporation) 167, 197,212, 226, 141 ff., 145, 147 ff., 151, 177 f., Deutschland, Hitler, militärische Kode- 238, 248, 253 f., 256, 263, 276, 487 182 ff., 185, 386, 460, 493, 498, 509 BBO (Bureau Bijzondere Opdrachten) 233 Braune, Pastor 462 f. worte, NSDAP und andere NS-Orga- Beck, Ludwig 87, 97, 139 f., 142, Breslau 566 nisationen, Résistance, Widerstand. – 146 f., 149 ff., 182 ff., 460, 495, 505, Brockdorff-Ahlefeld, Graf 151 Kursivangaben weisen auf Abbildun- 510, 333, 555, 557 f., 560, 569 ff., 581 Bromberg (Bydgoszcz) 388 f. gen hin. f., 584 f., 588 ff. Brossolette 282 «Bekennende Kirche» 39 f., 76 f., 123 f., Broszat, Martin 380, 387 134 Brüssel 173, 235 ff., 584 Bekenntnissynoden 129 ff. Buchenwald, KZ 75, 107, 196, 217, Aachen 100 f., 103 f., 114 f. Belgien, Besetzung 174, 234 287, 444, 450, 514, 361, 593 f. Aarhus 196 Belgrad 303, 307 f., 364 Budapest 476 Abetz, Otto 291 Bell, Bischof 458 f. Buhl, Wilhelm 196 f. Agram (Zagreb) Belzec, KZ 447 Buhle, General 546, 551 f., 558 303, 308, 313 f., 357 ff. Benesch, Eduard 179,464 Bulgarien 55, 303 f., 364 «Aktion Reinhard» 447 Bentivegna, Rosario 350 Bulgarien, Kriegserklärung 564 Albanien, Besetzung 303 f. Berg, Paal 199, 201 Bürckel, Gauleiter 275 Amsterdam 168 f., 173, 217 ff., 228 Bergen-Belsen, KZ 450 Burgdorff, General 591 f. Anders, General 444, 450 Berlin, siehe jeweiliges Stichwort Bürgerkrieg in Griechenland Angermair, R. 504 Bernardis, Robert 363, 590 315, 341, 354, 362 Antwerpen 248 Bernaschek, Richard 363 Busche, von dem 504 Ardennenoffensive 249 Bernhard, Prinz – Ares (ELAS-Kommandeur) zur Lippe-Biesterfeld 168, 173, 212 f., 227 320, 336, 353 Bertram, Adolf 78, 117, 120 ff. Armée Belge 245 ff. Best, Werner 140, 189, 194 f., 197 Armée Belge des Partisans (PA) Bialystok 472 242, 248 Bidault, Georges 283 Armée de la Libération 242, 246, 248 Biedermann, Major 362 f., 591 CAD (Comité d’Action contre la «Armée Secrète» (AS) Bierut, Boleslaw 382, 447 Déportation) 291 260, 282, 294, 296 Birkenau, KZ 477 Cadorna, Raffaele 348, 366 «Armée des Volontaires» 279 Bismarck, Graf 554, 569 f. Caldonazzi, Walter 548 ff. Armija Krajowa (AK) 379, 384, 396, Blaskowitz, Generaloberst 378, 389 Canaris, Wilhelm 398 f., 404, 442, 444, 449 ff. Blomberg, Werner von 142, 182, 459, 500 ff., 322 f., 598 Armija Ludowa (AL) 382, 394, 401 f. 62 ff., 80, 90, 136 ff., 141 ff. Capponi, Carlo 350 d’Astier, Emmanuel 278, 282 Blum, Léon 283, 598 Carré, Mathilde («die Katze») 262 Athen 318 ff., 320 (Piräus) Blumentritt, General 582 ff. Carrière, Pere 287 Attolico, Bernardo 178 Bock, Fedor von 509 Casablanca 284, 536 Auriol, Vincent 278 Bodelschwingh, Friedrich von 123, 463,314 Cassou, Jean 278 Auschwitz, KZ 250, 413, 447, 450, Böhme, General 324 De Cesare 368 477, 514 Boineburg-Lengsfeld, von 510, 571 «Cetniki» 304, 307 ff., 314 f., 321, AVNOJ (Antifaschistischer Rat der Nationa- Bolz, Eugen 511 326, 354, 357,359 ff. len Befreiung Jugoslawiens) 315, 363 Bonhoeffer, Dietrich «Ceux de la Libération» 279 152, 458, 501 f., 316 f., 599 CFLN (Comité Français de la Bonhoeffer, Karl 152 Libération Nationale) 284, 286, 295 Bach-Zelewski, General von dem de Bono, Marschall 343 Chaillet, Pere 278 398 f., 452 ff. BOPA (Borgerlige Partisaner) 191 f. Chamberlain, Neville Bachem, Karl 25 ff., 38 Borkenau, Franz 284, 311 f. 86, 152, 177 ff., 182, 376 Badoglio, Pietro 342 f., 363 Bor-Komorowski, Tadeusz «Charlemagne», Division 597 f. Baeck, Leo 476 389, 396, 399, 444, 446, 450 f., 454 Charlotte von Luxemburg 211,253 Bari 365 Bosch, Robert 494, 326 Choltitz, General von 268, 298, 592 «Barmer Theologische Erklärung» Bouhler, Reichsleiter 460 Christian X., König 133, 161, 188 125,127 ff. Bovensiepen, Otto 195 Christiansen, Friedrich 220 Barth, Karl 122 Brand, Joel 476 Christie, Lawrence 310 Barthelemy, General 237 Brandt, Heinz 499, 551 f., 558 Chruschtschew, Nikita S. 429, 436 «Bataillons de la Mort» 279 Brandt, Willy 198 f., 205, 208 ff. Churchill, Randolph 364 Baum, Herbert, Gruppe Baum 486 Churchill, Winston 99, 151, 187, 256, Baumel, Jacques 282 273, 284, 330 f., 353 f., 362, 369, Bayerische Volkspartei, Auflösung 39, 43 405, 457, 459, 336, 544 Ciano, Galeazzo Graf 178, 182, 343, 367

601 Stichwortverzeichnis

Clausen, Fritz 188 Duckwitz, Attache 194 Frenay, Henri 278 Clercq, Staf de 174, 234 Durmitor, Republik 312, 314, 362 Freyend, John von 550 f. «Cleveland» bzw. «Clarence» 240 EAM-ELAS (Griech. Nationale Freytag-Loringhoven, von 590 Cleveringa, Professor 216 Befreiungsfront) 316 ff., 320, 332, Frick, Wilhelm 482, 502 CLN (Comitato Liberazione 336, 339, 341, 353 ff., 362 Friedrich, Prinz von Preussen 598 Nazionale) 344, 365 EDES (Griechische Demokr. «Frit Danmark» 154, 192 CMAI (Comitato Militare Alta Italia) 366 Nationalarmee) 318, 320, 332, Fritsch, Werner von CNF (Comité National Français) 338, 341, 353,355 ff. 63 f., 85, 137 ff., 141, 143 f., 147 ff. 258, 273, 279 Eichmann, Adolf 415, 447, 476 Fritzsche, Hans 575, 581, 589 CNR (Conseil National de la Eisenhower, Dwight D. 249, 288 f. 599 Fromm, Friedrich Résistance) 261, 279, 283 f., 291, 298 EKKA (mazedon. Widerstandsgruppe) 353 507, 512, 535, 540, 547, Colson, Hauptmann 249 ELAS, siehe EAM-ELAS 556 f., 560, 569 ff., 581, 588 f. COMAC (Comité d’Action Militaire) 283 f. Elbsandsteingebirge («Vereinigte «Front National» 279 f., 284 «Combat» 278 Kletterabteilung») 15 f., 75 FTP (Francs-Tireurs-Partisans- «Comité National de Salut Public» 279 Elias 174 Français) 260, 280, 284, 291, 294 f. Corsi, Aldemiro 347 Elser, Georg 88, 185 f. Fucik, Julius 406 f., 468 Crinis, Max de 462 «Englandspiel» 231 ff. Cripps, Stafford 382 Enzyklika «Mit Brennender Sorge» Curda 467 116, 118 CVL (Corpo Volontari Libertà) «Epuration» in Frankreich 271 344, 348, 352, 366, 369 Ercoli-Togliatti, Palmiro 104 ff., 365 Gabcik, Josef 405 ff., 413, 466 f. Czerniawski, Roman 262 Erler, Fritz 42 Galen, Clemens August Graf «Ermächtigungsgesetz» 24, 27 ff., 32 119, 464, 481, 482, 516 «Europäische Union» 490, 492 GAP (Gruppi della Azione Patriottica) 344, «Euthanasie-Aktion» 460 ff, 481 365 Evangelische Kirche, Protestschrift 120 f. «Garibaldi-Brigaden» 373 f. de Gaulle, Charles 256, 257, 258, 263, 268 f., 271, 273, 279 f., 282 ff., 286, 295, 298 f., 536 Geiselmorde 175, 235, 250, 253, 280 f., 317, 325, 340, 350, 372 f., 389, Dachau, KZ 54, 89, 130, 288, 517 402 f., 406 f., 413, 422, 433 Dahlemer Bekenntnissynode 129 Genua 344 Daladier, Edouard 86, 178 f. Georg II., König (v. Griechenland) 316, 332, 356 f. Dänemark, Besetzung 153, 187 Falkenhausen, Alexander von Dänische Brigade 161, 194 Gerik, 467 234, 248, 494, 506, 510, 573, 598 Gerngross, Rupert 593 f., 596 Dänische Marine 188, 190 Faulhaber, von «Dansk Sämling» 192 Gersdorff, Rudolf-Christoph von 31, 78, 116 f., 119 ff., 464 500, 504, 533 Danzig 184, 279, 376 Fellgiebel, Erich 508, 545, 552 f., Darre, Walter 236 Gerstein, Kurt 476 f. 555 f., 560 Gerstenmaier, Eugen 531, 575 Dax, Michel 254 Fetscher, Rainer 567 Dedijer, Vladimir 360 Gewerkschaften 30, 42, 44 ff., 111 FFI (Forces Françaises de l’Intérieur) Geyr von Schweppenburg 510 «Défense de la France» 279 260, 277, 295 ff. Defferre, Gaston 278 Giesler, Paul 488 FFL (Forces Françaises Libres) Gildemann, Mosze 472 f. Degrelle, Léon 174, 234 f, 237 273, 286, 290 Delp, Alfred 530 Giraud, General 284, 286, 295, 536 FIL (Front de l’Independence et de Gisevius, Bernd 148 f., 152, 177 f., Den Haag 213 la Libération) 243 f. Deportation (siehe auch 184, 459, 494, 498, 554 ff., 569 ff., Filipovic, Stevan 323 585,588 Judenverfolgung) 250, 253, 382, 386 Finckh, Eberhard 545 f, 560, 571 «Dernière Colonne» 278 Glaescmer 575 Finnland, Waffenstillstand 564 Glaise von Horstenau, Edmund 146 «Deutsche Christen» 39 f., 76, 123 ff. Florenz 303, 348 f., 366 Deutschnationale Volkspartei, Glik, Hersz 472 f. Flossenbürg, KZ 516, 523, 598 Glina 313 f. Auflösung 43 Flottenabkommen, dt.-brit. 95 «De Vliegende Hollander» 230 Globke, Hans 404 Fog, Mogens 196 Goebbels, Joseph 14, 17, 20, 23 ff., Dewe, Walthere 240 «Forces Unis de la Jeunesse» 282 Dibelius, Otto 132 44 f., 51, 59 f., 64, 116 f., 177, 180, Forster, Albert 380 417 f., 513, 540, 579 ff., 597, 599 Dietrich, Sepp 506, 512 «France au Combat» 278 Dimitroff, Georgi 48 f., 51 ff., 56, 67, 106 Goerdeler, Carl Friedrich «France Combattante» 279 97, 140, 148, 182 ff., 460, 493 ff., Dirlewanger-Brigade 453 Francisten 261 Djilas, Milovan 308, 311 506, 510, 525, 527, 558, 590, 592 «Franc-Tireur» 278 Gomulka, Wladyslaw 379, 382, 447 Dohnanyi, Hans von Frank, Alfred 484 139 f., 152, 459, 463, 501 f., 599 Göring, Hermann Frank, Hans 96, 385, 387, 396 19 f., 25, 28, 51 ff., 57, 59 f., 63, Dollman 510 Frank, Karl Hermann 407, 413, 467 Domobrana 314, 322, 357, 410 94, 136 ff., 141 f., 145, 147, 481 Frankreich, Besetzung 255 f, 257 Gottardi (Mussolini-Gegner) 342 f. Dönitz, Karl 511,595,599 Frauenfeld 576 Dourlein, Pieter 230 f., 233 Gottschalk, Joachim 482 «Freiheitsaktion Bayern» 594, 596 Gotzmann 577 Dresden 16, 34 f, 567 Freiheitsrat, Dänischer 192 f., 196 f. Freisler, Roland 542, 586 f.

602 Stichwortverzeichnis de Graaf 216 Hilckeman, Anton 288 Kaiser, Jakob 496, 507 Graetz, Wolfgang 497 f. Hilfswillige (Hiwi) 430 f. Kaltenbrunner, Ernst 295, 542, 555 Graf, Wilhelm 489 ff., 518 f. Himmler, Heinrich Kaminski, Mieczyslaw 440, 453 Gramsci, A. 366 41, 56 f., 59 f., 62, 80, 88, 137, 141 f., Kardelj, Edvard 308, 364 Graziani, Rodolfo 365 144, 177, 327, 380, 418, 431, 447, Karlsbad 35 Grenier, Fernand 284 464, 502 ff., 511 f., 527, 580, 595 Katholische Jugendverbände, Verbot Griechenland, Besetzung 303, 315 f., 332 Hinkel, Hans 587 117, 129 Grischin, Sergej W. 436 Hirschfeld, Hans Max 222 Katyn 396, 444 Grohe, Gauleiter 248 Hitlerjugend-Gesetz 126 Kauffmann, Gauleiter 510 Groscurth, Georg 490, 492 Hoepner, Erich 151, 493, 542, 554 f., Kauffmann, Henrik 188 «Grosser Faschistischer Rat» 342, 367 f. 574 f., 581, 589 f. Kautsky, Karl 36 Gross-Rosen KZ 238 Hofacker, Cäsar von 541, 560, 569, Kawczynski, Anthony 380 f. «Gruppe Nola» 243 571, 573, 583 ff., 589, 591 Kazik, Dcmbiak 403 Guderian, Heinz 418 Hofer, Andreas 549 f. Keitel, Wilhelm 84, 142, 146 f., 183, Gärtner, Franz 139, 463 Hoffmann, Rosa 563 376, 546, 550 ff., 556 ff., 560, Hohenlohe-Waldenburg-Schillings- 570, 580, 583, 585, 591 f., 599 fürst, Stefanie zu 456 Kerrl (Kirchenminister, siehe auch Hohenzollern, Haus 495 f. unter Dibelius) 463 «Holger Danske» 158, 191 Kesselring, Albert 352, 370 f. Holland, Besetzung 168 Kiep 503 Horst, Kriegsverwaltungsrat 583 Kihn, Berthold 462 Haakon VII., König 163, 198 Horthy, Nikolaus 564 Kilzer, Karl 548 Hacha, Emil 465 Hübener, Helmuth 487 f. Kirchenverfolgung in Polen 387 Haeften, Werner von 512, 524, 540, Huber, Kurt 489, 518 Klausener, Erich 78, 89 546, 550 f., 553 f., 556, 560, 569, 589 Huntzinger, General 255, 257 Klausing, Friedrich Hagen 575, 579 f., 582, 590 557, 560, 570, 581, 590 Halder, Franz 87, 151 f., 177, 182, Kleist, Ewald von 151, 504 184, 460, 481, 493, 506, 598 Innitzer, Theodor 117, 121 f., 146 Klepell, Herrmann 549 f. Halem, Nikolaus von 499, 503 Innsbruck 594 Kluge, Günther von Halifax, Lord Edward 152 «Insoumis» 242 460, 493 f., 498 f., 505 f., 509 f., 512 Hambro, Charles 189 Intelligenz, Ausrottung der 541, 560, 571 ff., 575, 583 ff., 590 Hamburg 110, 487 f., 490, 492 377, 380, 386, 396 Koch, Erich 225 ff., 419, 435, 437 f. Hammerstein-Equord, Kurt von 84, 456 «Interallie» 262 Koenig, Pierre 290, 295, 297, 298 Hanke, Gauleiter 566 «Internationale» 436 Koestler, Arthur 49 f. Harnack, Arvid und Mildred 483, 486, 520 f. Italien, Kriegserklärung an Deutschland Kogon, Eugen 594 Harnack, Ernst von 529, 547 342, 365 Köhler, Max und Klara 474 Harster, Wilhelm 218 f. Iwand, H. J. 504 Kolbe, Maksymilian 387 Hase, Paul von 508, 575, 579 ff., 590 Jaburkovä-Paleckovä, Jozka 468 Komitee zur Befreiung der Völker Hassell, Ulrich von 97, 141, 152, 182, Jandl, Johann 548 Russlands 431 184, 493 ff., 511, 525 «Jeune Republique» 279 «Kommissarbefehl» 509 Haubach, Theo 483, 511, 529 Jindra 414, 467 Komsomol 416 Hausser, Paul 506, 512 Jodl, Alfred 142, 145, 551, 558, 599 Konkordat 30 ff., 78, 112, 118 Havemann, Robert 490, 492 de Jong, Louis 233 Konzentrationslager (allgemein) 21, Heiderscheid, Emil 254 Jordaan, H. J. 232 23, 41, 43, 54 f., 68 f., 99, 250, 379, 561 Heilmann, Otto 73 Joset, Camille 241 f. Kopenhagen 156, 158, 160, 192, 195 f. Heinz, Wilhelm 579 Jovanovic, Arso 328 Kordt, Botschaftsrat 152 Heinze, Hans 461 Judenverfolgung, allgemein 472 ff., 509 Korten, General 552, 558 Helldorf, Wolf Heinrich Graf Judenverfolgung in Dänemark 194 Kortzfleisch, General 573, 585 140, 152, 177, 540, 554, Judenverfolgung in Holland 216 ff., 224 ff. «Kosciuszko-Divison» 444, 446 556, 569 f., 572, 581, 588 Judenverfolgung in Luxemburg 250 Kosmodemjanskaja, Soja 416, 426 Hcndersen, Nevile 152 Judenverfolgung in Polen Koster, Dr. (Arzt) 194 Henk, Emil 481 377, 380, 386, 447, 472 ff. Kounoupis, Apostolos 339 Heraud, Paul 277 Jugendarbeit, illegale 127 ff., 131 Kowpak, S. A. 421 Herber, Franz 560 Jugoslawien, Besetzung 303, 305, 321 ff. Kozal, Michal 387 Herber, von 585, 588 KPD, (deutsche) Kommunisten 12 ff., Herfurth, General von 585 20 f., 24, 30, 36, 42 ff., 48, 53, 66, Herrmann, Mathäus 511 100, 102, 104 ff., 108 ff., 113, 483 ff. Hesse, Fritz 457 Kraft, Ole Björn 195 f. Hessen, Philipp von 598 Krausnick, Helmut 182, 459 Heusinger, Adolf 505, 550 ff., 558 Kräwel 571 Heuss, Theodor 70 Kreisauer Kreis 493, 525, 530 f. Heyde, von der (Oberst-Lt.) 585, 588 Kreta 338 Heydrich, Reinhard 56 ff., 62, 64, 88, Kroll-Oper 25, 95 137 f., 142, 144, 147, 177, 314, 380, Krzyzanowski, General 446 404 ff., 413 f., 466

Kaas, Ludwig 70 Kahr, Gustav von 89 Kairo 318, 338, 354 Kaiser, Albin 548

603 Stichwortverzeichnis

Kube, Wilhelm 419,437 Maass, Hermann 496 «Mouvement National Kubis, Jan 405 ff., 413, 466 f. Mac-Neill, Major 353 Révolutionnaire» 279 Kuderikaova, Marie 468 Maelzer, General 372 Mühsam, Ernst 76 Kuntze, General 573 ff., 580 f. Maier, Heinrich 548 ff. Müller, Eduard 515 Kutusow, General 436 Mailand 348, 365 Müller, Heinrich 88, 415, 588 Mair, Franz 594 Müller, Joseph 459, 502, 598 Maisei, General 591 f. Müller, Ludwig (Reichsbischof) 123 ff.,526 Majdanek, KZ 447, 450 München 88, 185, 488 ff., 593, 596 Laborde, Jean de 264 Manfredi, Luigi 347 Münchner Abkommen Lahousen, Oberstleutnant 182 Manstein, Erich von 147, 182, 405 86, 178 f., 181 f., 464, 494 Laibach (Ljubljana) 304 Maquisards, Maquis 243, 258, 284, Munk, Kaj 195 «Landelijke Organisatie» 226 f. 289,291 ff. Münster 464,481 Langbehn, Karl 502, 527, 592 Markos, Partisanen-General 315 Münzenberg, Willy 48 ff. Lange, Hermann 575 Marogna-Redtwitz 577 MUR (Mouvements Unis de Laskos, Pantelis 339 Marquet, Adrien 240 Résistance) 282, 291, 294 de Lattre de Tassigny, General 298 f. Marseille 264 f., 278 «Musée de l’Homme» 279 Lauwers, Hubert 232 Mattei, Enrico 348 Mussert, Anton 170, 212 f. Laval, Pierre 274 f. Mauthausen, KZ 563 Mussolini, Benito 94, 145, 178 f., Lebeau, L. 277 Mayer, Rupert 119,577 256, 303, 342 f., 352, 356, Leber, Julius Mazedonische Widerstandsgruppen 353 365 ff., 546, 550, 583 45, 483, 507, 510 f., 528 f., 581, 592 Medish Contact 224 Muus, Femming 193 Ledere, General 266, 298 f. Medritzky, Minister 465 Legion Belge 245 Meiser, Hans 77, 125 Leiden, Universität 216 f. Meisinger, Josef 143,147 Nachimow, Admiral 436 Leipart, Theodor 29, 72 Meissner, Otto 25, 27 Narvik 198 Leipelt, Hans Karl 490 Merighetto, Ancilla 346 «Nasional Sämling» 163, 198 Leipzig 14 ff., 41, 45, 48, 51, 55, 57, Mertz von Quirnheim, Albrecht «Nationale Volksbefreiungsarmee» 97, 589 540 f» 556 f., 570, 573, 588 f. in Jugoslawien 310, 360, 362 ff. Lejeune-Jung, Paul 511 Messner, Josef 548 ff. «Nationalkomitee Freies Deutschland Lemberg 446 Meulebroeck, J. F. van de 235 f. 521, 553 Leopold III., König 174, 211 Michel, Stadtkommandant 571 «Nationaler Unterstützungs-Fonds» 227 Letterhaus, Bernhard 511 Mierendorff, Carlo 481, 483, 529 Natzweiler, KZ 288 Leuschner, Wilhelm Mihajlovicf, Draza 304, 307 ff., 315, NBS (Nederlandse Binnenlandse 481, 483, 507, 510, 529, 581, 592 321, 331, 359 ff., 363 Strijdkrachten) 173, 227, 233 Lévy, J.-P. 282 Mikolajczik, Stanislaw 444 Neapel 331, 365 Ley, Robert 44, 46, 73, 96 Milices Patriotiques 248 Nebe, Arthur 88, 140, 142, 144, 152, «Libération-Sud» 278 «Milorg» (Norweg. Heimatfront) 177, 501, 555, 569,581, 588 «Libérér et Fédérer» 278 164, 205 f., 208 ff. Nedic, Milan 304, 309 ff., 322 «Libertés» 279 Minsk 423 «Neuer Vorwärts» 35 ff., 98 f. «Libre Belgique» 237, 247 «Mittwochgesellschaft» 526 f. Neurath, Constantin von 141, 178 Lichtenberg, Bernhard 517 MNB (Mouvement National Beige) 241 ff. Neuhäusler, Johannes 119, 598 Lidice 413,467 MNR (Mouvement National Nichtangriffspakt, dt.-russ. 87, 184 Lilje, Hanns 547 Royaliste) 246, 249 Niederlande siehe Holland Lillelund, Jöns 158 Mobilmachung, Vorbereitung 152, 177 «Niederländische Union» 222 f. Limburg, Bischof von 464 Moch, Jules 278 Niedzialkowski, Sejm-Abgeordneter 377 Linden, Herbert 461 Moczar, Oberst 395 Niemöller, Martin 39 f., 77, 124 f., Linstow, General von 436, 571, 584 f., 589 Model, Marschall 590 133 ff., 598 f. Linz 147 Moe, Thorvald 205 f. Nitsche, Paul 462 LKP (Landelijke Knokploegen) 227 Molden, Otto (Publ.) u. Fritz 548 ff., 578, «Noirs» 237 Lloyd George, David 97,511 591 Noli, Alice 346 Lobe, Paul 72 Mölders, Werner 481 Norwegen, Besetzung 163, 198 Löhr, Gen.-Oberst von 361 Möllendorf, von 546, 554 Norwegische Marine 202 ff. Lohse, Hinrich 419, 437 Möller, John Christmas 154, 189 «Notverordnung» 21 ff., 28 London (siehe auch BBC) 178, 401 Molotow, Wjatscheslaw 87, 184, 415, 564 Nowotko, Mercelli 396 Longo, Luigi 348, 366, 369 Moltke, Helmut James Graf NSB (Nationaal Socialistische Löser, Ewald 511 493, 502 f., 530 Beweging) 170, 212 Lovinfosse, Major 245 Montgomery, Bernard Law 231, 599 Lubbe, Marinus van der Montoire 274 11 ff., 16 ff.,48 f., 52, 55, 57, 67 Moskau 184, 416, 564 Lubliner Komitee, Regierung Moulin, Jean 282 f. 396, 447 «Mouvement National des Prisonniers Lüninck, Freiherr von 152 de Guerre et Déports» 282 Lutze, Victor 144 Luxemburg, Besetzung 250 ff. Lyon 278, 286, 291

Oberg, Karl Albrecht 583 f. Oberhäuser, General 571 OD (Orde Dienst) 227, 232 Oertzen 590

604 Stichwortverzeichnis

«O 5» (österr. Widerstandsgruppe) Peenemünde, Spionage 383 f., 401 Rex-Bewegung 174, 234, 237, 248 577 f., 590, 595 Pétain, Henri-Philippe 255 f., 257, 273 ff., Reynaud, Regierung 255 f. OKW (Oberkommando der 303 Rheinlandbesetzung 95 Wehrmacht), Einführung 141 f. Peter II., König von Jugoslawien 303 f. Ribbentrop, Joachim von 86 f., 141, Olbricht, Friedrich 505 f., 511 f., Petschorski 477 177 f., 184 540 f., 545, 554 ff., 560, 569 ff., Pfarrernotbund 40, 124 f., 134 Richter, Herbert 492 573 f., 582, 585, 588 f. Piatek, Rechtsanwalt 386 «Der Ring» 192 Olympische Spiele 1936 83, 95 Pieck, Wilhelm 12, 104, 106 f., 302, 521 Ringeling, C. 222 OMBR (Organisation Militaire Beige Piguet, Bischof 288 Rivi, Rolando 347 de la Résistance) 242 Pijadc, Moshe 311 Roeder, Oberstkriegsgerichtsrat 500 ff. «Onderduikers» 225 Planck, Erwin 182 Roemer, Josef 499 Operti, General 347 Plettenberg, Kurt von 590 Roenne, Freiherr von 508 ORA (Organisation Résistance de Plötzensee, Gefängnis 173, 515, 544, 590 Roey, Kardinal van 237 f. l’Armée) 286, 295 Polen, Angriff auf; Roger, Florimond 238 Oradour 264, 296 «Generalgouvernement» 184 f., Röhm, Ernst 56, 59 ff., 80, 89 Oranienburg, KZ 76 375 ff., 385 ff. «Röhm-Putsch» 89 ff. Oslo 162 f., 166 f» 198 f., 204, 206, 209 f. Polnischer Korridor 184 Röhrig, Wolfram 557, 560, 570 Ossietzky, Carl von 76 «Polnischer Nationalrat» 442 Rom 344, 350, 365 f., 372 f. Oster, Hans 140, 143 f., 151 f., 177 f., «Polnisches Befreiungskomitee» 446 f. Rommel, Erwin 508 ff., 533, 582 f., 590 ff. 182, 184 ff., 459, 494, 500 ff., 523, Popitz, Johannes 97, 183, 495, 502 f., Romsée, Gerard 235, 237 589, 599 511, 526 RONA (Russische Nationale Österreich, Anschluss 83, 145 ff., 494 Popow, W. S. 420 Befreiungsarmee) 453 «österreichisches Nationalkomitee» 578 Potsdam, Reichtsagseröffnung 25, 65 Roosevelt, Franklin D. 284, 362, 456 f., 536 Prag 404 ff., 411 ff., 431, 450, 465 f., Rosenberg, Alfred 116, 435, 461 565, 584 «Rote Fahne» 12 ff., 105 Prassek, Johannes 515 «Rote Kapelle» 483, 486, 520 f. Pressburg (Bratislava) 410 f. Rotfrontkämpferbund 44 Probst, Christoph 518 f. Rowecki, General 377 f., 444 Propaganda-Ministerium, Rudolf, Karl 146 Errichtung 179 Rumänien, Kriegserklärung 564 Pancke, Günther 195 Psaros, Oberst (Führer der EKKA) Rümmer, Hans 567 Papen, Franz von 63, 78 353, 355 Runciman, Lord W. 152 Papst Pius XI. 79, 118 Rundstedt, Gerd von 249, 460, 510, Papst Pius XII. (Eugenio Pacelli) 589,592 30 f., 78, 112, 117, 120 ff., 368 Russische Befreiungsarmee (ROA) Pareschi (Mussolini-Gegner) 342 f. 431, 440 Paris 97, 109, 178, 255, 262, 266 ff., Russland, Besetzung 417 272, 279, 283, 286, 298, 450, 545, Rybarski, Professor 377 569, 571, 584, 592 Rydz-Smigly, Edvard 377 Parri, Ferruccio 348, 366 «Parteiengesetz» 33, 43 Parti Communiste Français 279 f. Querner, General 577 Partisanen in Frankreich, siehe auch Quisling, Vldkun 162 f., 167, 198 ff. einzelne Organisationen 258 ff., 289 Partisanen in Griechenland 317, 320, 334 ff., 339, 353, 355 Partisanen in Italien Raad van Verzet 227 343 ff., 348 ff., 369 ff., 373 «Radio-France» 289 Partisanen in Jugoslawien 304, 306, Raeder, Erich 63, 145 Saaranschluss 94 307 ff., 314 f., 323 ff., 354, 357 ff. Rankovic, Alexander 308 Saarbrücken 82, 97 Partisanen in Polen 388 f., 402 Raschke, Rudolf 563 Sabotage in Belgien 241 ff., 247 f. Partisanen in Russland 416, 417 ff., 433 f. Rastenburg, siehe Wolfsschanze, 558 Sabotage in Dänemark 156 ff., 158, Partisanen in der Tschechoslowakei Rataj, Sejm-Präsident 377 160, 189 ff., 195 408 ff., 469 ff. Rauter, Hanns Albin 170 f., 217, 220 Sabotage in Frankreich 262 f., 275, Partisanen, allg. Organisationsplan 438 Ravensbrück, KZ 413, 467 f. 278, 286, 291, 295 f. Partisanen, völkerrechtlich 445 Redelis, Valdis 429, 438 Sabotage in Griechenland 320, 332 f., Passy 282 Reichenau, Walter von 84, 145, 148, 381 340, 355 «Patronage Championnet» 287 «Reichsbanner» 16, 21, 44 Sabotage in Holland 227 f., 230, 232 f. Paul, Prinzregent von Jugoslawien 303 Reichstagsbrand (-prozess) 11, 17 ff., Sabotage in Jugoslawien 307, 325, 329 Paulus, Friedrich 536, 553 48, 51 ff., 66 Sabotage in Luxemburg 254 Pausinger, CI. von 550 Reichwein, Adolf 529 Sabotage in Norwegen 162 ff., 166 f.,207 ff. Pavelic, Ante («Poglavnik») 303 f., Regler, Gustav 20, 49 f., 97 Sabotage in Polen 394 f., 401 306, 312, 322 f., 360 Reinecke, General 585 Sabotage in Russland 416, 417 ff., 433 PEEA (Polit. Komitee der nationalen Reinefarth, General 398, 452 f. Sachadanow 564 Befreiung) 356 Remer, Otto Ernst 540, 558, 580 ff., 588 Sachsenhausen, KZ 77, 135 Remy, Oberst 280, 284 Saefkow, Anton 484 Reniers, Urbain 249 Saliege, Erzbischof 287 f. Rentsch, Paul 492 Salmuth, von 510

605 Stichwortverzeichnis

SAP (Squadri di Azione Patriottica) 344 Sizilien, Landung der Alliierten 342, 365 Taconis, Thijs 232 Sarafis, Stefanos 332, 341, 353, 355 Skorzeny, Otto 343, 367, 589 Teheran 362 Sartre, Jean Paul 279 Smith, General 599 Teitgen, Pierre-Henri 287 Sass, Oberst 186 Sobibor, KZ 477 «Témoignage Chrétien» 276, 278 Sauckel, Fritz 225, 284, 435, 437 f. «Socialisme et Liberté» 279 Terboven, Josef 162, 165, 198 Sauerbruch, Ferdinand 463 SOE (Special Operations Executive) Thadden, Elisabeth von 503, 592 Schacht, Hjalmar 97, 140, 142, 184, 164, 189, 206 f., 230 ff., 247, 286, Thälmann, Ernst 51, 75, 106 ff. 495, 526, 598 290, 338 Theas, Bischof 288 Schaden, K. 549 Solages, Bruno de 288 Theresienstadt, KZ 194, 450 Scharitzer 577 Soldateneid 82, 92 Thiele, Gen.-Lt. 555 f., 560 Schellenberg, Walter 359, 414, 504 «Solf-Kreis» 503,592 Thierack, Otto 586 Scherpenberg, von 503 Sorge, Richard 416 Thierry d’Argenlieu 287 Schlabrendorff, Fabian von 152, 494, Sosnkowski, General 377, 444, 450 Thoma (griech. Partisanenführer) 336 499, 532 f» 598 Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) 36, 100 Thomas, Georg 183 f., 598 f. Schleicher, Kurt von 64, 89, 456 SPD, (deutsche) Sozialdemokraten Thomas Yeo siehe Yeo Schmid, Anton 472 f. 24, 28, 30, 34 ff., 41 f., 48, 97 ff., 103 f. Thorez, Maurice 288 f. Schmidt, Fritz 170 Specht, General 573 ff., 580 f. Thull, Johann 254 Schmidt, Rudolf 440 Speer, Albert 566, 592 f. Thyssen, Fritz 598 Schmit, Alfons 254 Speidel, Hans 509 f., 572, 591 Tiso, Josef 465, 470 Schmorell, Alexander 489, 518 Sponeck, Graf von 494 Tito, Josip Broz 301 ff., 306 ff., 314, Schmundt, General 552, 558 Spychalski, Marian 379, 382, 447 321, 328, 330 f., 354, 356, 358 ff. Schneider, Carl 462 SS, Symptome der 81 Torgier, Ernst 17, 48 f., 55, 60, 67 Schneider, Paul 514 Stahel, General 451 f. Togliatti, siehe Ercoli Scholl, Hans u. Sophie 488 f., 518 f. «Stahlhelm» 25, 29 Tokarzewski, General 377 Scholz, Roman 563 «Stahlpakt» 182 Tolbuchin, Marschall 591 Schönfeld, Pastor 458 Stalin, Jossif 87, 184, 279, 303, 309, 354, Tomaschewitsch, Stana 331 Schoori, KZ 217 362, 379, 382, 415 f., 433, 437, 599 Toulon 264 f. Schramm, Percy 505, 537, 558 Stalingrad 536 Toulouse 278 Schukow, Georgij 599 Starzynski, Stadtpräsident 377 Trip, Jonkherr Laman 213, 216 Schulenburg, Friedrich Werner Stauffenberg, Berthold Schenk Treblinka, KZ 449 f., 477 Graf von der 87, 184, 511, 524 f., 592 Graf von 539 Tresckow, Henning von 494, 499, 504, Schulenburg, Fritz-Dictloff Stauffenberg, Claus Schenk 509, 532, 544, 590, 600 Graf von der 152, 531, 592 Graf von 40, 97, 440, 504 ff., 511 ff., Trinit6, Philippe de la 287 Schulte, Karl Joseph 117, 121 f. 538, 540, 545 ff., 550 ff., 560, 569 ff., Trott zu Solz, Adam von 152, 459, 524 f. Schulz, Georg 596 579 ff., 588 f. Tschernjakowski, Marschall 446 Schulze-Boysen 483, 486, 520 Stein, Edith 514 Tschechischer Nationalrat 411 Schumacher, Kurt 75 Stellbrink, Karl Friedrich 515 Tschechoslowakei, «Zerschlagung»; Schuschnigg, Kurt von 145, 147, 511, 598 Stieff, Helmuth 499, 504, 507 f., 511, Protektorat 87, 148 f., 179 ff., 182 f., «Schutzhaft» 54 f. 533, 542 f., 546, 550, 583 f., 590 404 f., 464 «Schutzhaftlager» 21, 41, 43, 54 f. Stockholm 189, 207, 458 Tschetniks siehe Öetniki «Schwarze Brigaden» 342 /., 347, 351, 374 Strasser, Gregor 64, 89 Tsuderos (griech. Exilpolitiker) 354 Schwarzenstein, Mumm von 499, 503 Streiks in Dänemark 156, 160, 189, 195 f. Tuka, Ministerpräsident 465 Schwerin-Krosigk, Graf 599 Streiks in Holland 168, 172 f., 217 ff. Turin 365 Schwerin von Schwancnfeld, Graf 542, 587 Streiks in Italien 365 Scobie, General 341 Streiks in Luxemburg 250, 252 f. «Service D» 243 Streiks in Norwegen 200 «Service Mill» 240 «Stresa-Front» 94 Service NAP (Noyautage des Strölin, Karl 509 Administrations Publiques) 278, 286 Stroop, Jürgen 449, 478, 480 Seyffardt, General 223 Stülpnagel, Heinrich von 494, 506, Seyss-Inquart, Arthur 147, 170 f., 510, 541, 560, 569, 571 ff., 583 ff., 589 212, 221 f., 224 f. Stümpfle, Gen.-Major 549 Siantos, Georgios 315 ff. Stuttgart 16, 598 Ubbink 231, 233 Simon, Gustav 250 ff. Sudetenland, Einmarsch 177 ff., 182 Ukrainische Befreiungsarmee (UPA) 441 f. Simovic, General 303, 307 f. Südtirol, Anschluss 494 Ulbricht, Walter 97, 106 ff., 111, 520 f. Sippenhaft 283 Suhard, Kardinal 288 Ulcx, General 378 «Sivorg» (Norweg. Heimatfront) 164, 201 Suworow, General 436 Umberto, Prinz von Italien 366 Szokoll, Karl 576 f., 590 f. Ungar- Kriegserklärung 564 SZP (Sluzba Zwyciestwu Polski) 377 «Ustaschic 303 f., 306, 312 ff., 322, 359

Valcik, Josef 466 f. Vansittart, Robert Gilbert 152 Vatikan, siehe auch Papst 30 f., 312, 459, 502 V 1, Spionage 383 ff., 401, 537 Vermehren 503 Vichy 250, 256, 257, 273, 278, 283 Victor Emanuel III., König 365 ff.

606 Literaturnachweis

VNV (Vlaamsch National Verbond) Wels, Otto 28, 36 f.» 41 f.» 70, 72 Woodhouse, C. M. 338 234, 237 Wentzler, Ernst 461 Wurm, Theophil 77, 125, 464, 482 Volksabstimmung 1938 99 Wetmanski, Léon 387 Wyhnal, Josef 549 f. «Volkssturm» 566 Weygand, General 255 Voss, Admiral 551,558 Wiedemann, Fritz 456 f. Vukmanovic, Svetozar 308 Wien 83, 450, 548, 563, 576, 584, 590 f. Yeo Thomas («Shelley») 282 f. Wilhelmina, Königin 211 Yorck von Wartenburg, Peter Graf Wilna 446 511, 524 f., 586 f., 590, 592 Wimmer, Friedrich 212 WA (Weer-Afdeling) 217 Winkelmann, General 213, 216 «Wädra Ezra we Hazalah» 476 Wirmer, Joseph 507, 511, 526 Zachariades, Nicolas 315 Waffen-SS, Aufstellung der 149 «Witte Brigade» 242, 246 Zarden 503 Wagner, Eduard 414, 508, 545 f., 571, Witzleben, Erwin von 151, 177 f., «Zentraler Partisanenstab» (UdSSR) 590 460, 493 ff., 506, 510 f., 534, 547, 433,441 Wagner, Siegfried 590 555, 571, 576, 581 ff., 585 f., 590 Zentrum, Auflösung der -spartei Warlimont, General 558, 583 Wlassow, Andrej 430 f., 440, 453 30, 38, 43 Warschau 185, 377 f., 396 ff., 402, Wolf, D. C. 504 Zervas, Napoleon 320, 332, 341, 442, 447 ff (Ghetto), 450 ff., 478 ff. Wolf, Gerhard 348 353, 355 f. (Ghetto) Wolff, General 352 Ziegler, Hubert 563 Wehrle, Hermann 515 «Wolfsschanze» 540, 545 ff., 550 ff., Zimmermann 582 Wehrpflicht, Wiedereinführung der 94 558 f. ZWZ (Verband für den bewaffneten Weinert, Erich 520 f. Wollweber, Ernst 483 Kampf) 377 f., 383 «Weisse Rose» 488 ff., 492, 518 «Zyklon B» 476 f. Weissler, Friedrich 77

LITERATURNACHWEIS

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Literaturnachweis

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