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Wolfgang Püschl

Physik des Segelns Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/ffirst.3d from 13.04.2012 15:36:05 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Für Elisabeth Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/ffirst.3d from 13.04.2012 15:36:05 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Wolfgang Püschl

Physik des Segelns

Wie Segeln wirklich funktioniert Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/ffirst.3d from 13.04.2012 15:36:05 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Autor 1. Auflage 2012 Alle Bücher von Wiley-VCH werden sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autoren, Prof. Dr. Wolfgang Püschl Herausgeber und Verlag in keinem Fall, ein- Universität Wien schließlich des vorliegenden Werkes, für die Fakultät für Physik Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Strudlhofgasse 4 Ratschlägen sowie für eventuelle Druckfehler irgendeine Haftung 1090 Wien Bibliografische Information Österreich der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

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Vorwort

“After all, the art of handling is finer, perhaps, than the art of handling men.” Joseph Conrad, The Mirror of the Sea.

Segeln bezaubert durch seine wunderbare Ästhetik: Ein schlankes Boot gleitet, von einem Windhauch vielleicht nur angetrieben, der seine aus- gebreiteten Schwingen sanft umströmt, über die glatte Wasserfläche und zeichnet darauf sein vollendetes, ewig gleiches Linienmuster. Eine kraft- volle Hochseeyacht erkämpft sich durch grün schimmernde Wellenberge ihren Weg nach Luv und wirft nonchalant Gischtfahnen beiseite. Die Kunst des Segelns – und es handelt sich um eine hohe Kunst – ist in Jahr- hunderten gewachsen und überliefert und kann in Regeln gelehrt und gelernt werden, so wie die Kunst alten Handwerks vom Meister auf den Schüler übertragen wird. Warum also Physik und höhere Mathematik? Dazu muss man sich zunächst vor Augen halten, dass ein gelernter Physiker gar nicht anders kann, als die naturwissenschaftliche Methode als das schärfste Messer der Analyse anzuwenden, wenn es ihm wirklich darum zu tun ist, ein Phänomen zu verstehen. Er gleicht darin einem Kind, das lesen gelernt hat. Es muss fortan einen Sinn herauslesen, wann immer eine Buchstabenkette auftaucht. Ebenso erging es dem Autor, der den Segelsport schon als Kind geliebt hat. Die Obsession, das Segeln vom Standpunkt des Physikers aus zu verstehen, gesellte sich nach einschlägi- gem Hochschulstudium ganz von selbst hinzu. Also nur intellektuelle Spielerei, in geheimnisvollen Zeichen notiert und nur einem kleinen Kreis von Eingeweihten zugänglich? Dieser Standpunkt wird eindrucksvoll wi- derlegt durch die breite Anwendung physikalisch-mathematischer Metho- den auf das Problem des Segelns und die daraus gewonnene unerhörte Steigerung der Effizienz, durch die sich die moderne Segelyacht von ihrem Vorgänger, dem Lastensegler früherer Tage, unterscheidet. Man mag dies als Ironie der Geschichte sehen oder aber auch unter dem Aspekt großer wirtschaftlicher Bedeutung, die der Sektor Freizeitsegeln heute tatsächlich hat.

V Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/fpref.3d from 13.04.2012 15:36:11 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Dieses Buch wendet sich an den Physiker oder Physikstudenten, der selbst segelt oder sich zumindest für dieses Phänomen interessiert, auch deswegen, weil es eine Fülle von Anwendungen von Prinzipien der klassi- schen Physik enthält. Aber auch der naturwissenschaftlich interessierte Segler sollte von dem vorliegenden Werk profitieren können. Abschnitte mit etwas aufwendigerem mathematischem Formalismus kann er gefahr- los überblättern. Die wirklich wichtigen Grundaussagen sind am Ende jedes Kapitels zusammengefasst und genügen in diesem Fall. Ich habe mich bemüht, dem Buch eine sichtbare logische Grundstruktur zu geben, indem zuerst elementare Grundprinzipien eingeführt werden und dann in immer komplexeren Zusammenhängen erscheinen, zum Beispiel vom Zweidimensionalen zum Dreidimensionalen, vom gleichförmigen zum zeitlich veränderlichen Ablauf, vom Einfachen zum Zusammengesetzten, von der einzelnen Eigenschaft zum Gesamtverhalten des Systems „Segel- “. Das Buch ist also, mit einem modernen Ausdruck, strikt „bottom- up“ organisiert. Wenn zwischen den Diagrammen und Formeln auch die Faszination hervorblitzt, die mich all die Jahre beseelt hat, betrachte ich meine Mission als erfüllt. Dem ambitionierten, kritischen Leser wünsche ich herzlich „Mast- und Schotbruch“. Mondsee, August 2011

VI Vorwort Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/ftoc.3d from 13.04.2012 15:36:17 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Inhaltsverzeichnis

Vorwort V

Liste der verwendeten Symbole XI

1 Historische und gegenwärtige Bedeutung, Leistungsvergleiche 1 1.1 Höchstgeschwindigkeit 8 1.2 Etmale auf See 10 1.3 Reisezeit auf Langstrecken 10 1.4 Luvgeschwindigkeit 11 1.5 Segler des Tierreiches 12

2 Die Segelyacht im gleichförmigen Fahrtzustand 15 2.1 Kräftegleichgewicht 15 2.2 Momentengleichgewicht 21 2.2.1 Achse 1 21 2.2.2 Achse 2 25 2.2.3 Achse 3 30

3 Grundlagen der Strömungslehre 35 3.1 Dynamik einer idealen (reibungsfreien) Flüssigkeit 37 3.2 Die Eigenschaften von Wirbeln 40 3.3 Bernoulli-Theorem 44 3.4 Die ebene Potenzialströmung 45 3.5 Dynamik von Fluiden mit innerer Reibung 48 3.6 Dissipation von Wirbeln 50 3.7 Ableitung der Reynoldszahl 50 3.8 Der Strömungswiderstand von Körpern 52

4 Die Theorie des Tragflügels (Profileigenschaften) 63 4.1 Irrlehren der Auftriebsentstehung 63

VII Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/ftoc.3d from 13.04.2012 15:36:18 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

4.2 Wie entsteht der Auftrieb wirklich? 65 4.3 Druckverteilung am Tragflügel 73 4.4 Ablösungsverhalten und Wirbelbildung an Tragflügelprofilen 75 4.5 Gewölbte Platte verglichen mit dickem Flügelprofil 80 4.6 Die gegenseitige Beeinflussung von Profilen 81

5 Der dreidimensionale Tragflügel 89 5.1 Randwirbel und induzierter Widerstand 89 5.2 Elliptische Auftriebsverteilung 96 5.3 Wechselwirkung mit der Wasseroberfläche 100 5.4 Verwindung (Twist) 102 5.5 Flügelform 104 5.6 Pfeilung 105 5.7 Auftriebsverhalten von Tragflügeln mit niedrigem Seiten- verhältnis 107

6 Der Bootskörper: Wellenerzeugung und Widerstands- komponenten, Skalierung 113 6.1 Wasserwellen (Schwerewellen) 113 6.2 Tiefenabhängigkeit der Wellenamplituden 114 6.3 Ableitung der Dispersionsrelation 117 6.4 Tiefwasserwellen 119 6.5 Seichtwasserwellen 121 6.6 Das Wellensystem eines fahrenden Schiffes 122 6.7 Wie viel PS hat eine Segelyacht? 129 6.8 Skalierungsgesetze 131 6.8.1 Hochrechnung von Modellversuchen auf wirkliche Größe 131 6.8.2 Segeltragvermögen und Skalierung der Segelfläche 134 6.9 Kenngrößen für das Wellenwiderstandsverhalten 138 6.9.1 Breite / Tiefgang-Verhältnis 138 6.9.2 Volumetrischer Koeffizient 138 6.9.3 Prismatischer Koeffizient (Schärfegrad) 142 6.9.4 Die Wellenformtheorie 142 6.10 Der Gleitzustand 143

7 Optimale Geschwindigkeit auf verschiedenen Kursen 149 7.1 Segel- und Rumpf-Polardiagramme 149 7.2 Rechnerische Bestimmung der Fahrtgeschwindigkeit 155 7.3 Geschwindigkeits-Polardiagramm und Wahl des Kurses 157 7.4 Segeln in einem variablen Windfeld 162

VIII Inhaltsverzeichnis Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/ftoc.3d from 13.04.2012 15:36:18 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

8 Zeitabhängiges Verhalten 169 8.1 Schwingungsbewegungen des Bootskörpers 172 8.1.1 Vertikale Tauchschwingungen 173 8.1.2 Drehschwingungen: Stampfen, Rollen 176 8.1.3 Rollen vor dem Wind (engl. downwind rolling) 180 8.1.4 Gier-Instabilität 185 8.2 Auftriebs-Hysterese 186 8.3 Reiten auf der Welle (surfen) 189 8.4 Gefährdung durch Brecher 193

9 Mechanische Belastung und Materialien 199 9.1 Kräfte in der Takelage – Dimensionierung von Stehendem Gut und Mast 199 9.2 Kräfte auf den Rumpf 209 9.3 Baumaterialien des Rumpfes 212 9.4 Materialien für Segel 216

A1 Glossar der Seemannssprache 221

A2 Beaufort-Skala 229

A3 Metazentrum eines Baumstammes 233

A4 Dimensionsanalyse 237

A5 Ableitung der Kutta-Joukowski-Gleichung 239

A6 Verfahren nach Prohaska 243

A7 Impulsübertrag, Kraft, Leistung, Kinetische Energie 245

A8 Elliptische Auftriebsverteilung und Berechnung des induzierten Widerstandes 249

A9 Linienriss einer Rennjolle 253

Literatur 257

Stichwortverzeichnis 259

Inhaltsverzeichnis IX Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/flast.3d from 13.04.2012 15:36:37 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Liste der verwendeten Symbole

Alle fettgedruckten Symbole sind Vektoren, kursiv gedruckte Symbole bezeichnen skalare Variable. Die Geschwindigkeiten mit „v“ werden auf- recht geschrieben, um Verwechslung mit der kinematischen Zähigkeit n zu vermeiden. Aufrecht gedruckte Großbuchstaben bezeichnen Punkte (Orte). Nur vorübergehend verwendete Rechenhilfsvariable sind nicht erklärt.

A Referenzfläche (für Widerstand und Auftrieb); Wellenampli- tude a Anstellwinkel des Segels

aeff Effektiver Anstellwinkel ai Induzierter Anstellwinkel AW Fläche der Schwimmwasserlinie B Auftriebsschwerpunkt b Schiffsbreite; allg. Exponent; Spannweite (eines Doppelflügels) b Abdriftwinkel (= Anstellwinkel des Unterwasserschiffs); redu- zierte Dämpfungskonstante

B0 Auftriebsschwerpunkt in aufrechter Schwimmlage Bft Windstärke nach Beaufort c Sehnenlänge des Profils

C1,C2,C3 Druckkräfte im Rigg cD Widerstandsbeiwert (Profil) CD Widerstandsbeiwert (Flügel) CDi Beiwert des Induzierten Widerstandes (Flügel) CDW Beiwert des Wellenwiderstandes CF Koeffizient des Reibungswiderstandes eines Schiffes CL Lateralschwerpunkt cL Auftriebsbeiwert (Profil) CL Auftriebsbeiwert (Flügel) CP Prismatischer Koeffizient CRes Koeffizient des Restwiderstandes eines Schiffes CS Segelschwerpunkt CS Proportionalitätsfaktor für Segelflächenskalierung

XI Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/flast.3d from 13.04.2012 15:36:37 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

CT Koeffizient des Gesamtwiderstandes eines Schiffes CV Volumetrischer Koeffizient D Richtmoment (Direktionsmoment); Widerstand (skalar) D Laplace-Operator (D ¼ q2=qx2 þ q2=qy2 þ q2=qz2); Wasserver- drängung (in N) ∂A Berandung einer Fläche A d Segel-Einstellwinkel

dik Kronecker-Delta (= 1, wenn i = k und 0 sonst) D1,D2,D3 Zugkräfte im Stehenden Gut DA Aerodynamischer Widerstand D xB Verlagerung des Auftriebsschwerpunktes df Flächenelement

DH Hydrodynamischer Widerstand DW Wellenwiderstand (skalar) EA Aerodynamischer Gleitwinkel EH Hydrodynamischer Gleitwinkel E Elastizitätsmodul Z Dynamische Zähigkeit; normierte Flügelspannweite F Allgemein: Kraft f Analytische Funktion; Frequenz F Kraft (auch im Komplexen)

FK Knickkraft FA Aerodynamische Vortriebskraft FB Auftriebskraft FG Gewicht FG,W Gewicht der mitgeschleppten Wassermenge fR Reduzierte Frequenz Fr Froude-Zahl g, g Gravitationsbeschleunigung g Winkel zwischen Scheinbarem Wind und Kurs des Schiffs; Dämpfungskonstante; Korrekturfaktor für Reibungswiderstand

gW Winkel zwischen Wahrem Wind und Kurs des Schiffs G Gewichtsschwerpunkt GM Metazentrische Höhe GML Longitudinale Metazentrische Höhe G Zirkulation pffiffiffiffiffiffiffi i Imaginäre Einheit, i ¼ 1

I, Ix,Iy Flächenträgheitsmomente k Federkonstante (harmon. Oszillator); Wellenvektor (Betrag) kn Knoten (1,852 km/h) L Charakteristische Länge; Wasserlinienlänge; Auftrieb (Skalar) l Länge (allgemein)

XII Liste der verwendeten Symbole Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/flast.3d from 13.04.2012 15:36:38 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

LA Aerodynamischer Auftrieb L Seitenverhältnis eines Flügels l Wellenlänge

LH Hydrodynamischer Auftrieb LH* Gesamter hydrodynamischer Auftrieb (LH ist die Horizontal- komponente davon).

LH,R Hydrodynamischer Auftrieb, Anteil des Ruderblatts LH,S Hydrodynamischer Auftrieb, Anteil des Schwertes M Metazentrum m Masse M Biegemoment

Ma Aufrichtendes Drehmoment mW Mitgeschleppte Wassermasse ∇ Nabla-Operator (Gradient, r¼ðq=qx, q=qy, q=qzÞ ; Verdrängtes Volumen n Kinematische Zähigkeit V Kreisfrequenz der Störfunktion V Wirbelstärke o Frequenz

o0 Eigenfrequenz eines (harmonischen) Oszillators p Druck f * Krängungswinkel; Realteil einer analytischen Funktion f Dimensionslose Geschwindigkeit c Imaginärteil einer analytischen Funktion

cx, cz Auslenkungen der Wasserteilchen aus der Ruhelage (Orbitalbe- wegung von Wellen) R Radius (geometrisch)

RA Aerodynamische Gesamtkraft Re Reynoldszahl

RG Trägheitsradius RGW Trägheitsradius der mitgeschleppten Wassermenge RH Hydrodynamische Gesamtkraft r Dichte; lokaler Krümmungsradius S Segelfläche s Spannweite (eines Flügels); Knicklänge

SA Aerodynamische Seitenkraft SA* Aerodynamische Seitenkraft normal zum Mast (SA ist die Hori- zontalkomponente davon).

SH Hauptspantfläche (eingetaucht) sik Spannungstensor St Strouhal-Zahl STZ Segeltragezahl

Liste der verwendeten Symbole XIII Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/flast.3d from 13.04.2012 15:36:38 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

t Profiltiefe; Zeit T Tiefgang Y Trägheitsmoment (eines Schiffes)

TR Tiefgang des Rumpfes u Geschwindigkeit (Strömung)

u0 Geschwindigkeit (einer Anströmung) v Geschwindigkeit des Scheinbaren Windes; Strömungs- geschwindigkeit

v0 Geschwindigkeit (einer Anströmung) vG Gruppengeschwindigkeit vH Horizontale Geschwindigkeit (Flugzeug) VMG Velocity Made Good = Zielgeschwindigkeit, im engeren Sinn Luvgeschwindigkeit

vP Phasengeschwindigkeit vR Rumpfgeschwindigkeit vS Schiffs-(Boots-)Geschwindigkeit vSi Sinkgeschwindigkeit (Flugzeug) vW Geschwindigkeit des Wahren Windes w Abwind x Ortsvektor W Widerstandsmoment ~ x Dimensionslose Raumkoordinate

xa Aufrichtender Hebelarm z Komplexe Zahl; Ortskoordinate z Integrationsvariable

XIV Liste der verwendeten Symbole Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c01.3d from 13.04.2012 15:36:58 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

1 Historische und gegenwärtige Bedeutung, Leistungsvergleiche

Die Verwendung von Windkraft zum Antrieb von Wasserfahrzeugen geht bis weit in prähistorische Zeiten zurück1). Wir wissen nicht, wann zum ersten Mal ein früher Mensch eine geflochtene Matte oder eine Tierhaut auf seinem Floß gesetzt hat, um es von einer günstigen Brise antreiben zu lassen. Die älteste bekannte Darstellung eines Segels findet sich jedenfalls auf einer Totenurne aus Luxor (Ägypten), die aus dem 5. Jahrtausend v. Chr. stammt. Gesichert sind weiters Hilfsbesegelungen in Ägypten seit etwa 4000/3000 v. Chr. Seegehende Segelschiffe besaßen die Phönizier etwa ab dem 2. Jahrtausend v. Chr. Sie sollen angeblich unter Pharao Necho II etwa 600 v. Chr. damit bereits Afrika umsegelt haben. Bekannt sind die Leistun- gen der Wikinger, die um etwa 1000 n. Chr. Nordamerika erreicht haben, das sie wegen des dort vorkommenden wilden Weins „Vinland“ nannten. Während ihre Drachenboote (Langschiffe, Abb. 1.1) und die etwas rund- licher gebauten Handelsschiffe (Knarr) mit rechteckigen Rahsegeln aus- gerüstet waren, verfügt die Dau (oder Dhau) des arabischen Kulturkreises

Abb. 1.1 Langschiff der Wikinger (Wikimedia Commons, Ningyou).

1) Zur Geschichte des Schiffs mit naturgemäß starkem Bezug auf das Segelschiff siehe z. B. History of the (Woodman, 2002).

Physik des Segelns: Wie Segeln wirklich funktioniert, 1. Auflage. Wolfgang Püschl. 1 © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2012 by Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c01.3d from 13.04.2012 15:36:59 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 1.2 Verschiedene Arten von Schratsegeln (fore-and-aft sails): a) Lateinersegel, b) Sprietsegel, c) Gaffelsegel, d) Luggersegel, e) Bermudasegel (Hochtakelung).).

über ein dreieckiges Lateinersegel2), das schließlich für den Mittelmeer- raum charakteristisch wurde und daher seinen Namen hat. Mit diesen Schiffen wurde bereits um die Zeitenwende unter Ausnützung des Mon- sun-Windsystems der Indische Ozean befahren. Somit entwickelten sich schon früh zwei grundsätzlich verschiedene Typen von Segeln, die quer zum Schiff stehenden Rahsegel (engl. square sail), die größere Vortriebskraft vor dem Wind brachten, und die mehr in Längsrichtung orientierten Schratsegel (engl. fore-and-aft sail) wie Lateiner-, Spriet-, Gaffel- und Luggerse- gel, mit denen ein Aufkreuzen gegen den Wind vorteilhafter war (Abb. 1.2). Zu dieser Kategorie gehört auch die bei modernen Segelyachten übliche Hochtakelung (sog. Bermudasegel). Unabhängig davon entstand in China ab etwa 700 n. Chr. der Typ der Dschunke (Abb. 1.3), der über eine hervorragend bedienbare Amwindbesege- lung (Schratsegel!) verfügt, die den Lattensegeln moderner Yachten nicht unähnlich ist. Diese Fahrzeuge erreichten beträchtliche Größe und trugen mehrere Masten, lange bevor dies in Europa der Fall war. Die Seemacht- ambitionen Chinas, verkörpert durch den Admiral und Eunuchen Zheng He unter der Ming-Dynastie mit Reisen hunderter Schiffe (1405–1433) bis ins Rote Meer, fanden später durch politische Selbstbeschränkung ein jähes Ende. Nicht zu vergessen sind auch die Leistungen der seefahrenden Völker, die in einem über Jahrtausende erstreckten Prozess die gesamte Inselwelt des Pazifiks besiedelten (Austronesische Wanderung, ausgehend von Südchina 3500 v. Chr. bis etwa 1000 n. Chr. – Besiedelung Neuseelands). Sie bedienten sich Auslegerkanus mit hervorragenden Segeleigenschaften, wie sie heute noch von den Einwohnern Polynesiens benützt werden.

2) Oft in der Variante des Dau- oder Settee-Segels, bei dem ein Stück des vorderen Ecks abgeschnitten ist.

2 1 Historische und gegenwärtige Bedeutung, Leistungsvergleiche Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c01.3d from 13.04.2012 15:37:03 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 1.3 Das Dschunkenrigg – eine effektive Amwindbesegelung. (Wikimedia Com- mons, Pearson Scott Forsman).

Im europäischen Raum tritt die Bedeutung des Hochseesegelschiffes mit den Koggen der Hanse (13. bis 15. Jahrhundert) in den Vordergrund, wobei das in der Mittschiffsebene angebrachte und um eine feste Achse drehbar gelagerte Steuerruder eine bedeutende Verbesserung der Manövrierfähig- keit darstellte. Ältere Schiffstypen wurden nämlich mit einem oder mehre- ren seitlich angebrachten Rudern gesteuert3). Mit dem Zeitalter der Ent- deckungsreisen, das mit dem 15./16. Jahrhundert einsetzte, und an dessen Anfang noch vergleichsweise kleine Schiffe standen, wie etwa die Karavel- len der Portugiesen, mit denen Kolumbus nach Amerika segelte und Vasco da Gama den Seeweg nach Indien entdeckte, kamen allmählich größere Schiffe auf, die immer kompliziertere Takelagen mit einer wachsenden Anzahl von Rahsegeln übereinander (Mars, Bram, Royal etc.) an mehreren Masten trugen. Allen Schiffsfreunden wohlvertraut sind Begriffe wie Ga- leone, Karacke, Fleute, schließlich die Ostindienfahrer (Abb. 1.4), Postschiffe („packets“) und Klipper des 18. und 19. Jahrhunderts, die den ausgereiften Typ des großen, seegehenden Schiffes mit drei rahgetakelten Masten (Voll-

3) Bei den Schiffen der Wikinger war die- mit seinem Rücken zur linken Schiffs- ses stets an der in Fahrtrichtung gese- seite. Darum heißt bis heute die rechte hen rechten Schiffsseite angebracht. Schiffsseite Steuerbord und die linke Der Steuermann ging seiner Tätigkeit Backbord. zum Ruder gewandt nach und zeigte

1 Historische und gegenwärtige Bedeutung, Leistungsvergleiche 3 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c01.3d from 13.04.2012 15:37:10 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 1.4 Ostindienfahrer, Nachbau der „Batavia“ (holländisch, 17. Jahrhundert) (Wiki- media Commons, ADZee).

Abb. 1.5 Teeklipper „Ariel“ und „Taeping“ bei ihrem berühmten Wettrennen im Ärmel- kanal.. (Shewan, 1927).

schiff, engl. ship schlechthin, Abb. 1.5) darstellten4). Triebfedern für die Entwicklung besonders schneller Segelschiffe waren illegaler Handel und

4) Zu verschiedenen Segelschiffstypen siehe The story of sail (Veres und Woodman, 1999) mit einer großen Fülle von Abbildungen.

4 1 Historische und gegenwärtige Bedeutung, Leistungsvergleiche Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c01.3d from 13.04.2012 15:37:14 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 1.6 In Großbritannien neu gebaute Schiffe. Tonnage in Einheiten von 1 Million Tonnen (Daten: Encyclopaedia Britannica, 1926).

seine Bekämpfung (Opium- und Sklavenfahrt), der Transport leicht ver- derblicher Luxusgüter (Tee) und der Goldrausch in Kalifornien 1848. Das Segelschiff blieb durch viele Jahrhunderte das Fernreisemittel schlechthin. Die Konkurrenz zwischen Dampfschifffahrt und Segelschiff- fahrt währte lange Zeit. Noch 1890 hatten die Segelschiffe einen Anteil von 41 % der Welttonnage, der bis 1914 auf 7,5 % und bis 1937 allmählich auf 1,5 % sank. In einer Graphik, die den Anteil von Dampf- und Segelantrieb bei Neubauten in den Jahren 1865 bis 1890 in England zeigt, ist der Übergang zum maschinellen Antrieb deutlich zu sehen (Abb. 1.6). In der Küstenfahrt sind vor allem in Ländern der Dritten Welt, jedoch bisweilen sogar in Europa, bis zum heutigen Tag vereinzelt Segelschiffe anzutreffen, die dem Transport und der Fischerei dienen („Arbeitssegler“). In jüngster Zeit sind wieder ernsthafte Bemühungen im Gange, die Windkraft für die Handelsschifffahrt zumindest als Hilfsantrieb nutzbar zu machen. Die Firma Skysails (Deutschland) bietet ein System an, bei dem von einem ausfahrbaren Mast ein Flugdrachen bis in eine Höhe von mehreren 100 m steigen gelassen wird. Der Vorteil ist dabei die höhere Windstärke in diesen Luftschichten. Zusätzlich lässt man diesen Drachen sich in Achterschleifen bewegen, wodurch eine höhere scheinbare Wind- geschwindigkeit und noch größerer Vortrieb erzielt werden. Bei guten Windverhältnissen lässt sich damit eine Antriebsleistung von bis zu 2000 kW erzeugen (Abb. 1.7, siehe auch www.skysails.info).

1 Historische und gegenwärtige Bedeutung, Leistungsvergleiche 5 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c01.3d from 13.04.2012 15:37:15 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 1.7 Drachenantrieb für Handelsschiffe der Firma Skysails (Foto © Skysails, mit freundlicher Genehmigung).

Auch auf dem Gebiet des Sports spielen Drachenantriebe (Kitesurfen) eine immer größere Rolle. Den aktuellen Geschwindigkeitsrekord unter Segel hält ein Kitesurfer (siehe Abschnitt 1.1). Rotierende Zylinder (Flettner-Rotoren) können ebenfalls die Windkraft nutzen und werden neuerdings wieder kommerziell eingesetzt (Näheres dazu in Kapitel 4). Wenn wir heute von „segeln“ sprechen, dann meinen wir fast ausschließ- lich eine sportliche Betätigung, abgesehen von einigen Segelschulschiffen, die der Ausbildung in der Kriegs- und Handelsmarine dienen, und neuer- dings auch großen Segel-Passagierschiffen („Sea Cloud“, „Royal “, „Star Clipper“ etc.). Das Segeln als Zeitvertreib kam im 18. Jahrhundert in den Niederlanden auf und wurde im England des 19. Jahrhunderts zum exquisiten Sport des Hochadels und der Industriemagnaten entwickelt (Abb. 1.8 Schoner „Susanne“). Der Begriff „Yacht“ kommt von „Jagd“ und bedeutet ein kleines, schnell segelndes Schiff. Damit verlagert sich der Schwerpunkt vom Lastentransport zum Segeln als sportlicher Wettbewerb und Freizeitvergnügen: Nicht großes Fassungsvermögen bei noch akzep- tabler Geschwindigkeit, also insgesamt große Transportleistung, sondern allein die Erzielung größtmöglicher Geschwindigkeit steht an oberster Stelle der Forderungen des (Renn-) Yachtseglers. Diese haben wiederum je nach Größe des Bootes, dem Revier mit seinen Wind- und Wetterverhält-

6 1 Historische und gegenwärtige Bedeutung, Leistungsvergleiche Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c01.3d from 13.04.2012 15:37:17 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 1.8 Schoner „Susanne“ 1910 (Foto: © Beken of Cowes).

nissen und der zu bewältigenden Distanzen eine Fülle von verschiedenen Segelyachttypen hervorgebracht (mehr dazu in Die Yacht (Sciarelli, 1973), Die Geschichte des Yachtsports (Charles, 2006), Segelsport, Segeltechnik, Segel- yachten (Baader, 1962) etc.). Während man um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Geschwindigkeit vor allem aus großen Segelflächen zu schöpfen suchte, begannen in den 1920er Jahren die Erkenntnisse der Aerodynamik und die Anfänge moderner Segeltheorie die Konstruktionen zu beeinflussen. Die Gaffeltakelage wurde von der Hochtakelung mit höherem Seitenverhältnis und besseren Kreuzeigenschaften abgelöst, und die Rümpfe wurden strömungsgünstiger und leichter. Noch immer war man hauptsächlich bemüht, die Eigenschaften des Rumpfes bei klassischer Verdrängungsfahrt zu optimieren, was zu besonders lang gestreckten Formen führte. Die damals eingeführten Klassen der Schärenkreuzer und Rennjollen (Abb. 1.9) illustrieren dieses Konzept. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts treten zuerst bei Jollen, Katamaranen und Windsurfern, schließlich aber auch bei Hochsee-Rennyachten Gleiteigenschaften in den Vordergrund. Im Verlauf der folgenden Kapitel werden wir bei allen Erörterungen immer die moderne Segelyacht vor Augen haben. Manche Sichtweisen,

1 Historische und gegenwärtige Bedeutung, Leistungsvergleiche 7 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c01.3d from 13.04.2012 15:37:18 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 1.9 Yachten aus den 1920er Jahren a) 40 m²-Schärenkreuzer (Foto: Autor), b) 20 m²-Rennjolle (Foto: Elisabeth Püschl).

die uns dabei vollkommen natürlich erscheinen, sind im Verlauf der jahr- hundertelangen Entwicklung der Segelschifffahrt durchaus nicht selbstver- ständlich gewesen, sondern haben sich erst langsam und mühsam durch- gesetzt. Dazu kommt, dass der Seefahrer stets zu einem konservativen, ja abergläubisch allem Neuen gegenüber ablehnenden Verhalten neigte, so- dass die Entwicklung sehr allmählich erfolgte. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass gerade heute, wo der Segelantrieb seine (direkte) kommerzielle Bedeutung verloren hat, die Segeltechnik ungeheure Fortschritte gemacht hat, sodass neben den Leistungen moder- ner Yachten sogar die berühmten Schnellsegler von einst verblassen. Die folgenden Leistungsvergleiche sollen dies illustrieren.

1.1 Höchstgeschwindigkeit

Ein typisches Handelsschiff vergangener Jahrhunderte erzielte im Schnitt eine Geschwindigkeit von wenigen Knoten, meistens deutlich unter 10 kn (1 Knoten = 1 Seemeile pro Stunde = 1,852 km/h). Höchstgeschwindig- keiten von etwa 10 kn konnten jedoch bereits von Hansekoggen erreicht werden, wie man bei Probefahrten mit Nachbauten feststellte. Eine Höchst- geschwindigkeit von über 10 kn ist auch für die Langschiffe der Wikinger plausibel, da bei Fahrten mit Nachbauten 14 kn erreicht wurden. Die berühmtesten Schnellsegler des 19. Jahrhunderts, die Teeklipper, konnten bis etwa 22 kn laufen (Log der „Sovereign of the Seas“), Geschwindigkeiten

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Abb. 1.10 „Hydroptère“ (Foto: Gilles Martin-Raget).

von an die 20 kn sind auch von den großen stählernen Frachtseglern der Laeisz-Reederei („Flying P-Line“) auf der Route nach Südamerika überlie- fert. Solche Geschwindigkeiten können heute jedoch von relativ kleinen Gleitjollen unter günstigsten Verhältnissen erreicht werden und von mo- dernen Einrumpf-Hochseeyachten, wie sie beim Volvo Ocean Race einge- setzt werden, über lange Strecken mühelos übertroffen werden. Was Geschwindigkeit unter Segeln auf dem Wasser betrifft, so ist die „50- Knoten-Schallmauer“ bereits gefallen. Der aktuelle Segel-Geschwindigkeits- rekord5) über eine 500 m-Strecke beträgt 55,65 kn, aufgestellt 2010 mit einem Kitesurfer von Rob Douglas vor Lüderitz (Namibia). Der Rekord über eine Seemeile wird von Alain Thébault mit dem Tragflügel- „Hydroptère“ (Abb. 1.10) mit 50,17 kn gehalten, aufgestellt im November 2009 vor Hyères (Frankreich). Der Weltrekord im Eissegeln beträgt 229 km/h entsprechend 124 kn, aufgestellt 1938 (!) von John D. Buckstaff auf dem Lake Winnebago, USA (umstritten, deutlich über 150 km/h jedenfalls gesichert). Das Landsegel- fahrzeug Ecotricity Greenbird erzielte 2009 202,9 km/h, auf dem Dry Lake Ivanpah.

5) Segel-Geschwindigkeitsrekorde werden Homepage des World Speed Re- häufig verbessert. Um auf dem Laufen- cord Concil (WSSRC): www.sailspeed- den zu bleiben, empfehlen wir die records.com

1.1 Höchstgeschwindigkeit 9 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c01.3d from 13.04.2012 15:37:21 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

1.2 Etmale auf See

Aussagekräftiger im Vergleich mit historischen Segelschiffen sind auf jeden Fall größere Distanzen, die auf See zurückgelegt werden. Bei den Teeklippern galt ein Etmal („day’s run“ = die innerhalb von 24 Stunden zurückgelegte Distanz) von 200 sm als gute Leistung. Die „Cutty Sark“ verzeichnete als größtes Etmal 363 sm, das Fünfmast-Vollschiff „Preussen“ (Laeisz) 1903 eines von 368 sm, die „Champion of the Seas“ bereits 1854 ein Etmal von 465 sm. Die augenblicklichen Rekorde für eine in 24 Stunden zurückgelegte Distanz sind 908,2 sm entsprechend 37,84 kn Durchschnitt, aufgestellt 2009 vom Trimaran Banque Populaire V (131 Fuß) gesteuert von Pascal Bidegorry, Frankreich. Die beste Leistung für eine Einrumpfyacht ist 596,6 sm entsprechend 24,85 kn Schnitt, aufgestellt 2008 von „Ericsson 4“, einer Yacht vom Typ Volvo 70 unter Torben Grael (Abb. 1.11). Wenngleich der Rekord der Ericsson 4 nicht so viel mehr erscheint als die 465 See- meilen von 1854, so ist doch zu bedenken, dass er von einem Boot mit 24 m Länge aufgestellt wurde, während die „Champion of the Seas“ 84 m lang war. (Die Rumpfgeschwindigkeit beträgt bei dieser Länge 22 kn, was die berichtete Geschwindigkeit durchaus plausibel macht – vgl. Kapitel 6).

Abb. 1.11 a) „Banque Populaire V“ (Foto: © B.STichelbaut/BPCE), b) „Ericsson 4“ (Foto: © Dave Kneale).

1.3 Reisezeit auf Langstrecken

Für ein Segelschiff war es im 19. Jahrhundert nicht ungewöhnlich, zur Überquerung des Atlantiks drei bis vier Wochen zu benötigen. Bei einer Transatlantik-Regatta im Jahre 1905 stellte der Dreimastschoner „Atlantic“ einen legendären Rekord von 12 Tagen, vier Stunden und einer Minute auf (10,02 kn Schnitt), der erst im Jahr 1980 unterboten wurde. Den aktuellen

10 1 Historische und gegenwärtige Bedeutung, Leistungsvergleiche Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c01.3d from 13.04.2012 15:37:22 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Rekord hält 2009 der Trimaran Banque Populaire V unter Pascal Bidegorry mit 3 d 15 h 25 m 48 s und einer Durchschnittsgeschwindigkeit (!) von 32,94 kn. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass der noch immer gültige Dampfer-Rekord für das „Blaue Band des Nordatlantik“, aufgestellt von der SS „United States“ (1952) 3 d 12 h 12 m beträgt, bei einer Durchschnitts- geschwindigkeit von 34,51 kn. Es handelt sich dabei um ein Schiff mit einer Länge von 301,9 m! Zur ersten Weltumsegelung benötigte Magellans Flotte noch drei Jahre (mit ein paar Zwischenstopps allerdings). In der Zeit der Klipper galt eine Reise von England nach Australien mit 62 Tagen als Rekord („Thermo- pylae“ von London nach Melbourne 1868), ein sehr guter Wert waren auch etwa 90 Tage von China nach England. Eine berühmte Reise der „Flying Cloud“ führte 1851 von New York nach San Francisco in 89 Tagen. Dieser Wert wurde erst in den 1980er Jahren unterboten. Der augenblickliche Rekord für eine Nonstop-Weltumsegelung stammt aus dem Jahr 2012: Der Trimaran „Banque Populaire V“ bewältigte die Strecke unter Loick Peyron in 45 Tagen (19,75 kn Schnitt). Dieser Rekord wurde im Rahmen der „Jules Verne Trophy“ aufgestellt, deren ursprüngliches Motto es war, die Welt in weniger als 80 Tagen zu umsegeln. Bei allen Rekorden aus der klassischen Segelschiffsära ist zu bedenken, dass auch sie für die damalige Zeit extreme Spitzenleistungen darstellen und der typische Frachtsegler wesentlich länger brauchte, wie denn auch der heutige Fahrtensegler hinter den Leistungen hochgezüchteter Ozean- Rennmaschinen weit zurückbleibt.

1.4 Luvgeschwindigkeit

Nicht nur Höchstgeschwindigkeit, sondern auch die Fähigkeit schnell gegen den Wind aufzukreuzen gilt als Kriterium für die Leistungsfähigkeit einer modernen Segelyacht. Hier sind die rahgetakelten Großsegler einer modernen Yacht stark unterlegen. Als Richtwert für die Kreuztüchtigkeit eines klassischen Rahschiffes wird ein gesteuerter Kurs von 6 Strich am Wahren Wind angegeben, das entspricht 67,5 Grad. Die reine Luvgeschwin- digkeit (Zielgeschwindigkeit nach Luv, engl. oft als velocity made good – VMG – bezeichnet, das ist die Geschwindigkeitskomponente genau in Wind- richtung) ergibt sich aus der Multiplikation der Bootsgeschwindigkeit mit dem Cosinus dieses Winkels, cos(67,5°) ≈ 0,38. Eine moderne Rennyacht geht etwa 40° an den Wahren Wind. Der entsprechende Faktor cos (40°) ≈ 0,77 ist etwa doppelt so groß, d. h. bei gleicher Geschwindigkeit kann ein modernes Fahrzeug ein Ziel in Windrichtung doppelt so schnell erreichen. Darüber hinaus ist aber auch noch der Abdriftwinkel einer

1.4 Luvgeschwindigkeit 11 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c01.3d from 13.04.2012 15:37:22 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

modernen Yacht wegen ihres strömungstechnisch ausgefeilten Kiels und Rumpfs wesentlich geringer als beim „kistenförmigen“ Großsegler, sodass sich der relative Vorteil noch vergrößert. Dazu kommt weiters, dass Groß- segler nur unter günstigen Umständen zwischen den Kreuzschlägen wen- den können und sehr oft gezwungen sind, zu halsen, womit viel Weg nach Luv verschenkt wird. Also kein Wunder, dass Großsegler oft Wochen brauchten, um Kap Hoorn gegen die dort vorherrschenden starken West- winde zu umrunden und öfters aufgaben und die Westküste Südamerikas schließlich mit einer Fahrt in östlicher Richtung an Australien vorbei ansteuerten. Einige Daten: Die 12 m-R-Yacht „Intrepid“ erreichte 1970 eine maximale Luvgeschwindigkeit von 7,5 kn bei 20 kn Wahrer Windgeschwindig- keit = 5 Bft (Marchaj, 1991). Eine 20 m²-Rennjolle erzielt bei diesen Verhältnissen etwa 5 kn Luvgeschwindigkeit, allerdings ohne Seegang (eigene Erfahrung des Autors). Während eines Trainingslaufs zum Ame- rica’s Cup 2010 hat der Katamaran „“ bei einer Windgeschwindig- keit von 8–9 kn einen Kreuzkurs mit darauffolgender Vorwindstrecke von je 20 sm mit einer durchschnittlichen Zielgeschwindigkeit von 1,9mal der Wahren Windgeschwindigkeit abgesegelt. Die bemerkenswerte Tatsache ist, dass man heute, was die VMG betrifft, sowohl schneller als der Wind gegen den Wind als auch vor dem Wind kreuzen kann. Bei solchen extremen Booten kommt der Scheinbare Wind immer spitz von vorne, auch wenn der Wahre Wind von achtern kommt (dazu mehr in den Kapiteln 2 und 7).

1.5 Segler des Tierreiches

Das Prinzip des Tragflügels hat sich die Evolution schon frühzeitig zunutze gemacht, und das klassische Beispiel sind Vögel und andere Flugtiere. Manfred Curry vergleicht in seinem klassischen Buch Die Aero- dynamik des Segels und die Kunst des Regatta-Segelns (Curry, 1925) den Vogelflügel mit einer zeitgenössischen Takelage (Abb. 1.12). Das gleiche Prinzip kommt auch im Unterwasserbereich zur Anwendung (Fische, Pinguine etc.) sowie in der Pflanzenwelt bei geflügelten Samen. Es gibt allerdings auch Tiere, die das Gesamtkonzept einer Segelyacht verkörpern, indem sie sich an der Grenzfläche der beiden Medien bewe- gen, nämlich Segelquallen wie die Portugiesische Galeere (Abb. 1.13). Sie segeln mit Hilfe ihres Rückenkamms, der aus dem Wasser ragt und jeweils nach der Leeseite hin gewölbt werden kann, während ihre Unterwasser- Anhänge die Funktion eines Schwertes oder Kiels haben. Manfred Curry beobachtet sie im Mittelmeer und schreibt über sie „So ziehen diese

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Abb. 1.12 Vergleich einer Yachttakelung mit einem Vogelflügel (Curry, 1925).

kleinen Märchensegler mit ihren bläulich schimmernden Flügeln in gro- ßen Geschwadern über die unendliche Wasserfläche: In Kielwasser, neben- einander, durcheinander, sich gegenseitig abdeckend, kreuzen die Tiere mit langen Schlägen gegen den Wind an, und wenn man ihnen mitten im Felde vom Kajak aus zuschaut, möchte man meinen, Schiedsrichter bei einer großen Jollenregatta zu sein …“

Abb. 1.13 Portugiesische Galeere (Physalia physalis, Meyers Enzyklopädisches Lexikon 1971–85).

1.5 Segler des Tierreiches 13 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c01.3d from 13.04.2012 15:37:24 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Zentrale Aussagen

Historische Entwicklung

• Die Kunst des Segelns reicht Jahrtausende zurück (belegt 5000 v. Chr.). Segelschiffe waren das Ferntransportmittel schlechthin. • Schon früh bildeten sich zwei Haupttypen von Segeln heraus: Rahsegel (quer zur Fahrtrichtung stehend) und Schratsegel (in Längsrichtung). • Ende 19. Jahrhundert: Bedeutung als Transportmittel schwindet, Yachtsport entsteht. • Steigerung der Geschwindigkeit anfangs durch große Segelfläche, später (1920er Jahre) durch schlanke Form. Leicht- und Flachbau- weise ermöglichen etwa ab 1950 das Gleiten.

Leistungsvergleiche

• Höchstgeschwindigkeit: In alten Zeiten wenige kn, Klipper bis etwa 20 kn, heute über 50 kn möglich (Kitesurfer, Tragflächenboo- te). • Etmale (Distanz in 24 Stunden): im 19. Jahrhundert 200 sm gute Leistung, Klipper bis 465 sm. Heutiger Rekord: 908 sm (Trima- ran). • Langstrecken: heute über den Atlantik in drei Tagen (früher 3–4 Wochen), nonstop um die Welt in 45 Tagen (früher viele Monate). • Luvgeschwindigkeit (VMG): heute größer als Wahre Wind- geschwindigkeit auf allen Kursen möglich. VMG mehr als 10 kn.

14 1 Historische und gegenwärtige Bedeutung, Leistungsvergleiche Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c02.3d from 13.04.2012 15:37:46 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

2 Die Segelyacht im gleichförmigen Fahrtzustand

2.1 Kräftegleichgewicht

Unter einem gleichförmigen Fahrtzustand verstehen wir das Dahinsegeln mit konstanter Geschwindigkeit, ohne Beschleunigung oder Verzögerung und ohne Lageveränderungen. Wegen des 1. Newton’schen Axioms (des Trägheitsprinzips) muss dann die Summe aller Kräfte, die auf das Segel- schiff ausgeübt werden, null sein. Mit dem Auge des Physikers betrachtet, handelt es sich bei einem Segelschiff um ein gekoppeltes System aus zwei tragflächenartigen Profilen. Es bewegt sich zugleich in zwei Medien, Wasser und Luft, und wird von ihnen in verschiedenen Richtungen und mit verschiedenen Geschwindigkeiten angeströmt. Aus den in Abb. 2.1 dargestellten geometrischen Verhältnissen und den Eigenschaften der angeströmten Profile ergibt sich die erstaunliche Fähigkeit eines Segel- schiffes, gegen den Wind aufzukreuzen. Entscheidend ist dabei nicht die absolute Geschwindigkeit der Medien oder des Bootes zu einem relativ zum Land ruhenden Referenzsystem, sondern die Relativbewegung von Segelschiff und Luft bzw. Wasser. Eine gute Illustration dazu liefert ein fiktiver Segelwettbewerb, der von R. Garrett (1996), erzählt wird: Zwei Segler wollen um die Wette segeln, indem sie zeitlich hintereinander 10 km einen Fluss hinunter segeln. Während dies der erste der beiden Segler tut, hat er Rückenwind, dessen Geschwindigkeit genau der Strömungs- geschwindigkeit des Flusses entspricht. Bis der zweite Segler an der Reihe ist, hat sich der Wind gelegt. Welcher der beiden kann bei optimaler Ausnützung seiner Segelkenntnisse die Strecke stromab schneller bewälti- gen? Die Antwort ergibt sich aus den Luftströmungsverhältnissen, denen der Segler ausgesetzt ist, während er sich den Fluss hinab bewegt: Während Segler 1 keinen Wind wahrnimmt, spürt Segler 2 einen Gegenwind. Diesen kann er nutzen, indem er gegen ihn aufkreuzt. Dadurch erzielt er eine zusätzliche Geschwindigkeit relativ zum strömenden Fluss mit einer Kom- ponente in Strömungsrichtung und ist folglich schneller am Ziel. Ein anderes Beispiel (ebenfalls von R. Garrett, 1996) zeigt uns, dass wir die Rolle von Luft und Wasser auch vertauschen können. Man stelle sich ein

Physik des Segelns: Wie Segeln wirklich funktioniert, 1. Auflage. Wolfgang Püschl. 15 © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2012 by Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c02.3d from 13.04.2012 15:37:46 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Luftschiff vor, das zunächst in einer Luftströmung über dem Wasser treibt, also relativ zur Luft in Ruhe ist. Sodann senkt es einen Tragflügel ins Wasser und verwendet diesen als „Wassersegel“, das in der vorbeiströmen- den Wassermasse wirksam wird. Damit kann sich das Luftschiff nun relativ zur Luftmasse bewegen. Es fährt in dieser genauso wie ein vom Wind angetriebenes Segelschiff im Wasser und kann sogar gegen die Geschwin- digkeit des „vorbeiströmenden“ Wassers aufkreuzen. In der Abb. 2.1 sind die Kräfteverhältnisse bei gleichförmigem Fahrt- zustand dargestellt. Diese Kräfte kommen durch Wechselwirkung des Bootsköpers und der Takelage mit den beiden Medien Wasser und Luft und durch besondere Phänomene (Wellen) an der Grenzfläche der beiden Medien zustande (Details in den Kapiteln 3 bis 6). Betrachten wir zunächst die Wasserkräfte: Das Boot bewegt sich mit einer Geschwindigkeit vs in einem Abdriftwinkel b zu seiner Kiellinie durch das Wasser. Im Bezugssystem des Bootes wird es von Wasser mit einer Geschwindigkeit –vs angeströmt. Dabei stellt der Abdriftwinkel b den Anstellwinkel dar, unter dem das Unterwasserschiff (insbesondere die Kiel- bzw. Schwertflosse als hydrodynamisches Profil) angeströmt wird. Er ist im normalen Fahrtzustand stets relativ klein und beträgt typischerweise 3–5°. Das Unterwasserschiff mit seinen Anhängen entwickelt in dieser Strö- mung eine gesamte hydrodynamische Kraft RH, die man in einen Auftrieb LH (engl. lift, auch hydrodynamische Seitenkraft genannt) normal zur

Abb. 2.1 Gleichgewicht der Luft- und Wasserkräfte beim gleichförmigen Segeln am Wind.

16 2 Die Segelyacht im gleichförmigen Fahrtzustand Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c02.3d from 13.04.2012 15:37:48 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Anströmungsrichtung und in einen Widerstand DH (engl. drag) in Anströ- mungsrichtung zerlegen kann. Der Auftrieb kann dabei dem Absolutbetrag nach sehr viel größer sein als der Widerstand. Das Segel wird vom Wind in einem Winkel g zur Fahrtrichtung mit einem Geschwindigkeitsvektor v (Scheinbarer Wind, engl. apparent wind) ange- strömt, der sich aus dem Wahren Wind vw (engl. true wind, Wind in Bezug

auf einen an Land ruhenden Beobachter, Winkel zur Fahrtrichtung ist gW) und dem Fahrtwind –vS zusammensetzt. Dieser Scheinbare Wind ist jedoch der für die Strömung und das Entstehen der Luftkräfte maßgebliche. In Wirklichkeit ist also der Scheinbare Wind der „wahre“. Er trifft das Segel unter dem aerodynamischen Anstellwinkel a. Als solchen bezeichnet man den Winkel zwischen der Sehne des Profils, die näherungsweise mit der Richtung des Großbaums zusammenfällt, und der Strömungsrichtung. Der Wind erzeugt eine gesamte aerodynamische Kraft RA, die wiederum in eine Auftriebskomponente LA normal zur Anströmungsrichtung und eine Wider- standskomponente DA in Anströmungsrichtung zerlegt werden kann. Alter- nativ kann RA auch in die Fahrtrichtung vS und normal dazu zerlegt werden. Man erkennt, dass in Fahrtrichtung eine positive Vortriebskomponente FA besteht. Das ist eine Konsequenz der unterschiedlichen Anströmungsrich- tungen durch das Wasser und die Luft und ermöglicht das Aufkreuzen gegen den Wind. Im gleichförmigen Fahrtzustand muss das Boot insgesamt kräftefrei sein, die Gesamtheit aller Wasserkräfte muss der Gesamtheit aller Luftkräfte das Gleichgewicht halten. Es gilt also RA = –RH und auch kom- ponentenweise SA = –LH (mit einer aerodynamischen Seitenkraft SA) und FA = –DH. Ein Segelschiff in Fahrt ist fast stets zur Seite geneigt, was Krängung (engl. heel) genannt wird. Das Segel eines gekrängten (engl. heeled) Bootes wird auf Grund seiner Lage vom Scheinbaren Wind spitzer angeströmt als das Segel eines aufrecht fahrenden Bootes. Für den Beobachter auf dem gekrängten Boot erscheint nämlich das Dreieck aus Fahrtwind, Wahrem und Scheinbarem Wind um die Fahrtrichtung als Achse und um den Krängungswinkel nach unten geklappt (Abb. 2.2). Auf die ursprünglich horizontale Ebene projiziert, die etwa dem Deck des gekrängten Bootes entspricht, schließt die Richtung des Scheinbaren (und auch des Wahren) Windes nunmehr einen spitzeren Winkel mit der Fahrtrichtung ein. Das ist neben einigen anderen Faktoren ein Grund, warum ein aufrecht segeln- des Boot höher an den Wind geht und effizienter aufkreuzen kann. Der interessierte Leser ist eingeladen, sich diese Zusammenhänge mit einem Zeichendreieck zu veranschaulichen, das von oben betrachtet und zuerst waagerecht in der Hand gehalten und dann um eine Kathete nach unten geklappt wird.

2.1 Kräftegleichgewicht 17 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c02.3d from 13.04.2012 15:37:48 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 2.2 Effekt der Krängung auf den An- Scheinbarer Wind v′ (Anströmwinkel g′) strömwinkel: Scheinbarer Wind v (Anström- beim gekrängten Boot. Analog für den winkel g) beim aufrecht segelnden Boot, Wahren Wind.

Das Verhältnis von aerodynamischem Widerstand DA zum aerodyna- L mischen Auftrieb A entspricht dem Tangens eines Winkels EA, des aerodynamischen Gleitwinkels. Der Ausdruck stammt aus der Flugzeugtech- nik, denn es ist genau der Winkel, unter dem ein Flugzeug angetrieben von seinem Gewicht zu Boden segelt (vgl. dazu Abb. 2.4 ganz unten). Ebenso entspricht das Verhältnis von hydrodynamischem Widerstand DH zum L hydrodynamischen Auftrieb H dem Tangens eines Winkels EH, des hydro- dynamischen Gleitwinkels. Wegen des Kräftegleichgewichtes bei gleichför- migem Fahrtzustand muss das Dreieck aus RA, SA, FA ähnlich zum R L D S Dreieck H, H, H sein und den Winkel EH enthalten. Da A normal auf vS steht und LA normal auf v (siehe Abb. 2.1), gilt die wichtige Beziehung

g ¼ EA þ EH: ðGleichung 2:1Þ

Während der aerodynamische Gleitwinkel auch relativ groß werden kann, wenn das Boot mit raumem bzw. achterlichem Wind segelt, ist der hydro- dynamische Gleitwinkel eines in Fahrt befindlichen Bootes immer relativ klein. Der Gleitwinkel ist immer dann klein, wenn das aero/hydrodyna- mische Profil sehr wirksam in der Erzeugung von Auftrieb ist und nur wenig Widerstand verursacht. Ein Segel wird jedoch manchmal als reiner Widerstandskörper verwendet, etwa, wenn man platt vor dem Wind segelt, und hat dann unter Umständen einen sehr großen aerodynamischen Gleitwinkel, der auch 90° erreichen kann. In der Abb. 2.3 ist das Wind- dreieck, bestehend aus Wahrem Wind, Fahrtwind und Scheinbarem Wind für verschiedene Kurse aus der Sicht des fahrenden Bootes dargestellt. Der Scheinbare Wind fällt immer spitzer ein als der Wahre Wind. Bei beson- ders großer Bootsgeschwindigkeit ist es sogar möglich, dass der Wahre Wind aus einer achterlichen Richtung kommt, der Scheinbare Wind aber von vorne (Beispiel d) in Abb. 2.3). Dies gilt für Hochleistungssegler

18 2 Die Segelyacht im gleichförmigen Fahrtzustand Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c02.3d from 13.04.2012 15:37:49 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 2.3 Winddreieck aus Wahrem Wind b) halber Wind (engl. beam reach), c) Back- vW, Bootsgeschwindigkeit vS und Scheinba- stagkurs (broad reach), d) Sonderfall für rem Wind v bei betragsmäßig gleich blei- sehr hohe Bootsgeschwindigkeit: Obwohl bendem Wahrem Wind vW und die dazu der Wahre Wind achterlich einfällt (wie in gehörende Segelstellung für verschiedene c), kommt der Scheinbare Wind aus einer Kurse: a) hart am Wind (engl. close-hauled), vorlichen Richtung

insbesondere in Gleitfahrt, und stets für Eissegler, bei denen die hohe Geschwindigkeit dazu führt, dass der Scheinbare Wind immer spitz von vorne einfällt, und deren Segel daher immer dicht genommen wird, mit Ausnahme einer anfänglichen Beschleunigungsphase. In Abb. 2.4 sind diese Verhältnisse für Eissegler dargestellt und mit der Auftriebssituation eines effizienten Segelflugzeuges verglichen. Abbildung 2.4 zeigt das Anwachsen des Scheinbaren Windes bei einem Eissegler, während er beschleunigt. Der Wahre Wind weht dabei im rechten Winkel zur Fahrtrichtung. Fahrtgeschwindigkeit und Betrag des Scheinba- ren Windes erreichen ein Mehrfaches der Wahren Windgeschwindigkeit. 2 Da die Aerodynamische Gesamtkraft RA proportional zu v ist, übt der der Scheinbare Wind auf das Segel einer Eisyacht ein Vielfaches jener aerody- namischen Kraft aus, die der Wahre Wind auf ein ruhendes Segel ausüben würde. Mit dem Beschleunigen wächst also auch die Antriebskraft! Dass der Scheinbare Wind, der für die durch das Segel erzeugte Kraft maßgeb- lich ist, dem Betrag nach mehrfach so groß wie der Wahre Wind sein kann, verletzt nicht das Prinzip der Energie-Erhaltung. Die zur Fortbewegung benötigte Energie wird nämlich einem sehr großen Luftvolumen entzogen. Das Hochleistungs-Segelboot ist damit quasi ein Windenergie-Konzentra- tor. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei einem Windrad mit Flügeln, die einen kleinen Anstiegswinkel (= Schrägstellung der Flügel relativ zur Ebene des Windrades) aufweisen. Es wird durch eine vergleichsweise

2.1 Kräftegleichgewicht 19 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c02.3d from 13.04.2012 15:37:51 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 2.4 Winddreieck bei einem Eissegler Sinkgeschwindigkeit, vH horizontale Flug- während der Beschleunigung, verglichen mit geschwindigkeit, FG Gewicht des Flug- einem Hochleistungs-Segelflugzeug, das in zeugs (nach Marchaj, 1991). der unbewegten Luft abwärts gleitet. vSi

schwache Brise in rasche Umdrehung versetzt. Bei Eisyachten kann wegen der geringen Kufenreibung der „hydrodynamische“ Widerstand DH prak- tisch vernachlässigt werden. Damit verschwindet der hydrodynamische ¼ Gleitwinkel EH, und die Beziehung Gl. (2.1) wird zu g EA. Der Kurswinkel zum Scheinbaren Wind wird dann nur durch das Verhältnis LA=DA bestimmt. Der gesamten Luftkraft RA wird durch die Seitenkraft (Zwangs- kraft) das Gleichgewicht gehalten, die von der Eisfläche über die Kufen auf den Eissegler ausgeübt wird. Ganz unten in Abb. 2.4 ist ein Hochleistungs- Segelflugzeug dargestellt. Wenn sich das Flugzeug in horizontaler Rich- tung mit vH bewegt und mit der Sinkgeschwindigkeit vSi zu Boden gleitet, ergibt sich daraus eine Anströmung v = –vH – vSi. Der Winkel g ist ebenso

wie beim Eissegler gleich dem aerodynamischen Gleitwinkel EA (von hier kommt die Bezeichnung!), denn die Gegenkraft zu RA ist in diesem Fall das Gewicht FG des Flugzeuges, und dieses wirkt senkrecht nach unten „ “ (damit wird der hydrodynamische Gleitwinkel EH = 0). EA kann bei solchen Flugzeugen sehr klein werden und beträgt typischerweise 1°, das entspricht einem Auftriebs-Widerstands-Verhältnis LA=DA 50. Es sind hauptsächlich zwei Freiheitsgrade, die der Segler bei gegebenem Wahrem Wind ausnützen kann: 1. Wahl des gesteuerten Kurses, 2. Wahl

20 2 Die Segelyacht im gleichförmigen Fahrtzustand Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c02.3d from 13.04.2012 15:37:52 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

des Anstellwinkels des Segels. Aus letzterem folgen Auftrieb und Wider- stand des Segels, daraus wieder die Vortriebs- und Seitenkraft und über die Eigenschaften des Bootskörpers Geschwindigkeit und Abdriftwinkel. Da- raus resultiert in einer selbstkonsistenten Näherung wieder der Scheinbare Wind, daraus wieder die Luftkräfte etc. Man hat dann die richtigen Werte für die Bootsgeschwindigkeit und Abdrift gewählt, wenn der soeben ge- schilderte zyklische Berechnungsvorgang immer wieder auf dieselben Werte führt. Dieser Zusammenhang wird in Kapitel 7 näher erläutert.

2.2 Momentengleichgewicht

Das Kräftegleichgewicht genügt noch nicht für einen gleichförmigen Fahrtzustand, denn das Boot soll auch keinen Drehbeschleunigungen ausgesetzt sein. Rotationen können im Prinzip um eine Achse normal zur Wasseroberfläche erfolgen (Achse 1: Eine Drehung um sie heißt gieren, engl. yaw), um die Längsschiffsachse (Achse 2: rollen, engl. roll, als periodi- sche Bewegung, sonst krängen) oder um eine quer liegende Achse (Achse 3: stampfen, engl. pitch)1).

2.2.1 Achse 1

Betrachten wir die Situation für den ersten Fall, also eine vertikale Dreh- achse, Achse 1 (Abb. 2.5). Vor allem bei raumem Kurs greift die Vortriebs- kraft FA nicht in der Mittschiffsebene an, sondern in Lee davon, was umso stärker ausgeprägt ist, wenn das Boot gekrängt segelt. Das Drehmoment aus den Kräften FA und DH möchte das Boot in den Wind drehen, macht es also luvgierig. Um es zumindest soweit zu kom- pensieren, dass man mit kleiner Ruderwirkung auskommt, werden Bese- gelung und Kielflosse von vornherein so angeordnet, dass die Querkräfte SA und LH ebenfalls etwas versetzt gegeneinander angreifen und damit ein gegenläufiges Drehmoment bilden. In Seitenprojektion muss dazu der Angriffspunkt der aerodynamischen Seitenkraft SA (der aerodynamische

Segelschwerpunkt CS) vor dem Angriffspunkt der hydrodynamischen Sei- L tenkraft H (dem hydrodynamischen Lateralschwerpunkt CL) liegen. Der Konstrukteur setzt dazu den geometrischen Segelschwerpunkt um ein

1) Diese Unterscheidung nach Richtun- nach einem bekannten Satz der klassi- gen bzw. verschiedenen Drehachsen ist schen Mechanik für den Starren Körper zweckmäßig für die Diskussion, aber durch eine resultierende Gesamtkraft im Grunde willkürlich. Alle Kräfte, die plus ein Kräftepaar ersetzt werden. am Boot angreifen, können jedenfalls

2.2 Momentengleichgewicht 21 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c02.3d from 13.04.2012 15:37:52 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 2.5 Luvgierigkeit.

gewisses Maß, das engl. „lead“ genannt wird und meistens ca. 5–10 % der Bootslänge beträgt, vor den geometrischen Schwerpunkt der Unterwasser- fläche (= Lateralschwerpunkt). In Abb. 2.6 sind die Lagen der Kraftschwer- punkte in Seitenprojektion in verschiedenen Näherungen und in tatsäch- licher Lage dargestellt. Der aerodynamische Segelschwerpunkt liegt deshalb vor dem geometrischen (im Segelriss), weil nicht jeder Teil der Fläche gleichermaßen zur Seitenkraft beiträgt. Vielmehr entwickeln die Flächen- anteile in der Nähe der Vorderkante mehr Kraft (Schraffur in Abb. 2.6, siehe dazu die Druckverteilung am Tragflügel in Kapitel 4 bzw. 5). Der geometrische Schwerpunkt des projizierten wahren Segelumrisses ist eine dazwischenliegende Annäherungsstufe. Der dynamische Lateralschwer- punkt liegt ebenfalls vor dem geometrischen Lateralschwerpunkt, weil auch unter Wasser die wirksameren Teile des Profils in der Nähe der Vorderkante liegen. Auch die Asymmetrie, die bei der Krängung des Rumpfes in der Form des Unterwasserschiffes entsteht, kann ein Giermoment hervorrufen. Man kann sich davon überzeugen, indem man in einem Ruderboot kurz zu rudern aufhört und es ein wenig nach der Seite neigt. Es wird dann vom geraden Kurs abweichen. Nach welcher Richtung, hängt von der Bootsform und vom Ausmaß der Krängung ab – es kann sich entweder eine Art „Rudereffekt“ durch die eintauchende Flanke des Bugs ergeben oder der Widerstand der stärker eingetauchten Bootsseite überwiegt. Einem luvgierigen Moment kann auf verschiedene Art entgegengewirkt werden, etwa durch Fieren des Großsegels oder Setzen eines größeren Vorsegels, bei großen Segelschiffen auch indem Segel im vorderen Teil des Schiffes gesetzt und achtern weggenommen werden, etwa durch Bergen des Besans (Segel am achteren Mast) bei einer Ketsch oder (zweimas-

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Abb. 2.6 Lage von Segelschwerpunkt CS die Flächenanteile unmittelbar hinter der und Lateralschwerpunkt CL . Prinzipskizze Vorderkante der Segel (Schraffur) die am Beispiel einer 20 m²-Rennjolle. meiste Kraft ausüben, wandert der dyna- a) Aus dem Segelriss rein geometrisch er- mische Segelschwerpunkt noch weiter D mittelt. b) Aus der tatsächlichen projizierten nach vorne. Lgeom bedeutet die kons- Segelfläche ermittelt, wenn die Segel beim truktiv beabsichtigte Vorlage (engl. lead) fahrenden Boot realistisch auswehen. c) Aus des Segelschwerpunkts gegenüber dem den tatsächlichen Kräfteverhältnissen: Da Lateralschwerpunkt.

tiges Segelschiff). Bei den historischen Galeonen führten die hohen Auf- bauten im Heckbereich zu einer unerwünschten Luvgierigkeit, die man durch eine Schar ebenso barocker Vorsegel zu bekämpfen versuchte, beispielsweise durch sog. Blinden, die unter dem Bugspriet gesetzt wur- den, ja sogar durch Segel, die an einem kleinen Mast gefahren wurden, der an der Spitze des Bugspriets stand (sog. Bovenblinde, zu sehen am Ost- indienfahrer „Batavia“ in Abb. 1.4). Die einfachste und schnellste Art der Korrektur eines luvgierigen Mo- ments, wie es etwa beim plötzlichen Einfall einer Bö durch verstärkte Krängung auftritt, ist es, Ruder zu legen (Abb. 2.7). Vorher herrscht Ungleichgewicht der Drehmomente, und die Wirkungs- linien der Resultierenden RH und RA der Kraftkomponenten (LH, DH) und (SA, FA) sind zunächst gegeneinander verschoben (Abb. 2.7a). Legt man Ruder, dann erzeugt dieses wegen des vergrößerten Anstellwinkels einen

2.2 Momentengleichgewicht 23 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c02.3d from 13.04.2012 15:37:56 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 2.7 Wiederherstellung des Momen- hergestellt. Die Blockpfeile deuten an, wie tengleichgewichts durch Ruderlegen: a) luv- sich die Größen von a) zu b) verändert gieriges Moment, b) Gleichgewicht wieder- haben.

verstärkten hydrodynamischen Auftrieb LH,R. Ein Teil der gesamten Seiten- kraft LH wird daher vom Kiel (bzw. Schwert, LH,S) auf das Ruder verlegt. Dadurch verschiebt sich die Resultierende RH so weit, dass sie wieder auf der Wirkungslinie der anderen Resultierenden liegt, und das Momenten- gleichgewicht ist wiederhergestellt (Abb. 2.7b).

Abb. 2.8 20 m²-Rennjolle, unter Spinnaker bei dieser Krängung bereits unwirksam aus dem Ruder gelaufen. Man erkennt noch geworden. Klassenmeisterschaft 2005, den Versuch abzufallen. Das Ruder ist aber Ratzeburger See. Foto: Gudrun Wigger.

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Wird durch plötzliche starke Krängung das luvgierige Moment so stark, dass Ruder legen nicht mehr ausreicht, dann läuft das Boot aus dem Ruder,es kommt zum berüchtigten Sonnenschuss (Abb. 2.8, engl. broach-to), ein Unfall, der vor allem unter Spinnaker auftritt und zum Untergang etlicher Kielyach- ten geführt hat. Besonders leicht tritt diese Situation auf, wenn eine von achtern auflaufende See (Wellengang) zeitlich veränderliche Drehmomente ausübt und damit das Boot zusätzlich destabilisiert (siehe auch Kapitel 8).

2.2.2 Achse 2

Wir wenden uns nun den Momenten um die Längsachse zu, die eine für Segelschiffe eminent wichtige Eigenschaft bedingen, die Querstabilität. In Abb. 2.9 sind diese Momente dargestellt. Aerodynamische und hydrodyna- * * mische Seitenkraft LH und SA bilden zusammen ein Kräftepaar, dem ein krängendes Moment entspricht. Der Stern bedeutet in diesem Fall, dass nicht die auf die Wasseroberfläche projizierten Komponenten LH und SA zu nehmen sind, sondern die Gesamtkräfte, die normal auf die jeweiligen Auftrieb erzeugenden Flächen (Rumpf und Segel) wirken (siehe auch Detailansicht links unten in Abb. 2.9). Diesem krängenden Moment wirkt ein zweites Kräftepaar entgegen, das aus dem Gewicht des Bootes FG und dem Auftrieb FB besteht. Das ist deshalb möglich, weil sich der Auftriebs- schwerpunkt bei Krängung aus der Mittschiffsebene nach außen verlagert.

* Abb. 2.9 Krängende und aufrichtende Seitenkraft SA bzw. des hydrodyna- * Drehmomente. SA und LH sind die Hori- mischen Auftriebs LH . zontalkomponenten der aerodynamischen

2.2 Momentengleichgewicht 25 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c02.3d from 13.04.2012 15:38:01 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Als Metazentrum bezeichnet man den Durchstoßpunkt der Wirkungs- linie des Auftriebs mit der Mittschiffsebene2). Die Metazentrische Höhe GM ist der Abstand des Metazentrums vom Schwerpunkt der Yacht. Sie ist eine wichtige Kenngröße für die Stabilität. Aus ihr lässt sich der aufrichtende

Hebelarm xa und damit das aufrichtende Drehmoment Ma berechnen:

xa ¼ GM sin f ðGleichung 2:2aÞ

Ma ¼ xaD, ðGleichung 2:2bÞ

wobei D die Wasserverdrängung (betragsmäßig identisch mit dem Gewicht) der Yacht ist. Wenn der Verlauf der Schwimmwasserlinie aus dem Linienriss der Yacht bekannt ist, so lässt sich daraus die Metazentrische Höhe für kleine Krängungswinkel berechnen. Dazu müssen wir wissen, um wie viel sich die Lage des Auftriebsschwerpunktes auf Grund der Krängung verän- dert. Der Auftriebsschwerpunkt ist gleich dem Schwerpunkt des eingetauch- ten Bootsvolumens ∇ (Volumenverdrängung, es gilt D ¼ rgr mit der Dichte r des Wassers und der Gravitationsbeschleunigung g)3), und sein Ortsvektor wird nach folgender Formel berechnet, die der üblichen Methode zur Berechnung von Schwerpunktskoordinaten entspricht: R R xdV xdV r r x ¼ R ¼ : ðGleichung 2:3Þ B dV r r

Wird ein Teil DV dieses Volumens verschoben, dann ändert sich die Lage des Schwerpunkts entsprechend R DxdV x ¼ DV : ð : Þ D B r Gleichung 2 4

Aus Abb. 2.10 geht hervor, dass das durch Krängung verschobene Volumen für jede quer aus dem Bootskörper herausgeschnitten gedachte dünne Scheibe ein schmaler Keil ist. Dieser taucht in Luv aus dem Wasser und in Lee in das Wasser ein. Wir bezeichnen mit x die Koordinate in Quer-

2) Genauer gesagt, handelt es sich um den Schnittpunkt der Wirkungslinien des Auftriebs für zwei Krängungswinkel, die sich nur sehr wenig voneinander unter- scheiden. 3) Achtung Physiker: ∇ als verdrängtes (Kapitel 3) verwechselt werden. Ebenso Volumen entspricht hier der üblichen sollte die Wasserverdrängung D vom Bezeichnungsweise im Schiffsbau und Laplace-Operator unterschieden wer- sollte nicht mit dem Nabla-Operator den.

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Abb. 2.10 Zur Ableitung der Metazentrischen Höhe für kleine Krängungswinkel aus den Eigenschaften der Schwimmwasserlinie (siehe Text).

schiffsrichtung und mit y die Koordinate in Längsrichtung. Die Höhe des Keils kann für kleine Krängungswinkel f dargestellt werden als x f. Ein kleines Element, das aus dem Keil herausgeschnitten wird, hat eine auf die Querschiffsebene projizierte Fläche von dA = x f dx. Jedes dieser Elemente wird um 2x von der einen Seite des Schiffs zur anderen verlagert (Distanz Dx in Gl. 2.4). Sie befinden sich von der Mittschiffsebene bis zur größten Breite b(y) bei der Längenkoordinate y. Durch Integration dieser Beiträge über einen Keil und dann über alle keilförmigen Scheiben, die hinter- einander in Längsrichtung des Schiffes angeordnet sind, ergibt sich dann für die Verlagerung des Auftriebsschwerpunktes von seiner aufrechten

Lage B0 zur gekrängten Lage B:

RL bRðyÞ dy dx x f 2x RR 2 f ¼ jjx ¼ 0 0 ¼ 2 dxdy x f ¼ Iy B0B D B r r r , ðGleichung 2:5Þ

wobei die Integration über die gesamte Fläche der aufrechten Schwimm-

wasserline geht und Iy deren sogenanntes Flächenträgheitsmoment um die Längsachse darstellt. Wir können uns dazu vorstellen, in der Schwimm- wasserlinie eine sehr dünne Scheibe aus dem (voll gedachten) Bootsrumpf herauszuschneiden. Lassen wir diese dann um die Längsachse des Bootes

rotieren, dann ist Iy r dz das Trägheitsmoment, wenn dz die Dicke der Scheibe und r die Dichte des Materials ist. Für den Abstand des Metazen- trums vom aufrechten Auftriebsschwerpunkt gilt dann für kleine Winkel f

2.2 Momentengleichgewicht 27 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c02.3d from 13.04.2012 15:38:02 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

B B B B I B M ¼ 0 0 ¼ y : ðGleichung 2:6Þ 0 tan f f r

Für die Metazentrische Höhe müssen wir nur noch den Abstand des

Gewichtsschwerpunkts G vom aufrechten Auftriebsschwerpunkt B0 addie- ren (wenn er unter B0 liegt) bzw. subtrahieren (wenn er über B0 liegt).

GM ¼ B0M B0G ðGleichung 2:7Þ

Aus Gln. (2.6) und (2.7) ergibt sich auch die interessante Tatsache, dass die Metazentrische Höhe im Grenzfall kleiner Krängungswinkel nicht gegen null, sondern gegen einen konstanten Wert geht. Diesen meint man meistens, wenn man in legerem Sprachgebrauch von der Metazentrischen Höhe spricht. Für größere Krängungswinkel kann sich das Metazentrum von seiner ursprünglichen Lage (Anfangsmetazentrum) verlagern. Aus Gl. (2.5) ist auch unmittelbar der große Einfluss der Schiffsbreite auf die Anfangsstabilität zu ersehen. Ein bei gleicher Länge und gleichem Tiefgang doppelt so breites Schiff weist die vierfache Metazentrische Höhe und das achtfache aufrichtende Drehmoment auf! Sind zwei Schiffe geometrisch ähnlich, aber verschieden groß, dann führen sowohl die Ähnlichkeits- gesetze als auch Gln. (2.5) und (2.6) auf die Erkenntnis, dass der aufrich- tende Hebelarm proportional zur Länge L, die Wasserverdrängung propor- tional zu L3 und das aufrichtende Drehmoment proportional zu L4 ist. Dies bedeutet, dass mit der Größe eines Schiffes seine Querstabilität sehr stark anwächst. Das hat wichtige Konsequenzen für das Segeltragvermögen (Kapitel 6). Es ist eine reizvolle Übungsrechnung, die Metazentrische Höhe für einen homogenen, schwimmenden Zylinder zu berechnen, der ja indifferente Stabilität aufweist, sowie für runde und rechteckige Boots- querschnitte. Siehe dazu den Anhang A3. Die Bestimmung von GM für große Krängungswinkel ist im Allgemeinen schwierig, da die Schwimmlage des Schiffes im gekrängten Zustand nicht bekannt ist. Insbesondere stellt sich die Verlagerung schmaler „Wasserkeile“ nicht mehr so symmetrisch dar, wie es in Abb. 2.10 dargestellt ist. Mit zunehmender Krängung kann sich GM vergrößern (was charakteristisch für Kielyachten mit tief reichendem, schwerem Ballastkiel ist) oder verklei- nern (typisch für flache Jollen oder Katamarane). Als „Metazentroid“ wurde von einer Schule von Yachtkonstrukteuren (Turner, 1940er Jahre), die dies für eine besonders günstige Eigenschaft hielten, ein Bootskörper bezeichnet, dessen Metazentrum auch bei größeren Krängungen konstant bleibt.

Der aufrichtende Hebelarm xa ist über Gl. (2.2a) mit der Metazentrischen Höhe verknüpft und stellt eine wichtige Kenngröße für die Stabilität dar. In

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Abb. 2.11 Aufrichtende Hebelarme ver- bei D markiert den Punkt, wo bei weiter schiedener Segelyachten. Daten von Jolle fortschreitender Krängung der Kajütauf- und Katamaran nach Baader (1962), Daten bau eintaucht. Die gestrichelten Verläufe der Kielyachten YD-40 und Contessa 32 gelten für ausreitende/im Trapez stehende nach Larsson und Eliasson (2010). Die Delle Besatzung.

Abb. 2.11 ist er als Funktion des Krängungswinkels für verschiedene Segelyachten aufgetragen. Bei Jolle und Katamaran wächst der aufrichtende Hebelarm bei fort- schreitender Krängung vor allem dadurch an, dass sich der Auftriebs- schwerpunkt durch die flache Bootsform nach Lee verschiebt, was als Formstabilität bezeichnet wird. Typisch für formstabile Boote ist, dass in aufrechter Schwimmlage sich der Gewichtsschwerpunkt oberhalb des Auf- triebsschwerpunktes befindet. Die Gewichtsverlagerung der Besatzung (ausreiten, Trapez) trägt erheblich zur Stabilität bei (gestrichelte Verläufe). Beim Katamaran wird mit zunehmender Krängung der Auftriebsschwer- punkt ziemlich rasch in den Leeschwimmer verlegt. Der aufrichtende Hebelarm zeigt daher ein scharfes Maximum, wenn der Luvschwimmer aus dem Wasser taucht, und wächst dann nicht weiter an, weil sich der Auftriebsschwerpunkt innerhalb des schmalen Leeschwimmers kaum mehr verändert. Bei etwa 55° schwindet bei Katamaran und Jolle die Stabilität, und die Boote kentern. Im Gegensatz dazu haben die dargestell- ten seegehenden Kielyachten noch bei sehr großen Krängungswinkeln einen positiven aufrichtenden Hebelarm, im Falle der Contessa 32, eines

2.2 Momentengleichgewicht 29 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c02.3d from 13.04.2012 15:38:05 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Langkielers mit v-förmiger, tiefreichender Spantform, fast bis 180°. Diese Yacht entspricht damit nahezu der idealen Sicherheitsvorstellung für einen Seekreuzer, sich aus jedem Krängungswinkel wieder aufrichten zu können. Die YD-40 hingegen hat einen flachen Rumpf mit angesetzter Kielflosse und hat ab etwa 130° negative aufrichtende Hebelarme und damit eine stabile Schwimmlage in gekentertem Zustand. Bei Kielyachten trägt durch den tief liegenden Ballastkiel die Verlagerung des Gewichtsschwerpunktes entscheidend zum Entstehen des aufrichtenden Hebelarms bei. Man spricht in diesem Fall von Gewichtsstabilität. Der Gewichtsschwerpunkt liegt relativ tief und unterhalb des Auftriebsschwerpunktes in aufrechter Schwimmlage. Interessanterweise sind die aufrichtenden Hebelarme für die Kielyachten nicht größer als für die kleinen Gleitboote, und sogar bei großen Handels-Seglern mit mehreren tausend Tonnen Wasserverdrän- gung liegen sie bei 1 m oder darunter. Diese Schiffe beziehen ihre Stabilität aus ihrer großen Wasserverdrängung, und wir werden sehen (Kapitel 8), dass es gute Gründe gibt, sie nicht durch Erhöhung des Hebelarmes noch viel größer zu machen (vgl. auch den Abschnitt über das Segeltragver- mögen in Kapitel 6). Es sollte bei Betrachtungen über die Stabilität von Schiffen allerdings nicht vergessen werden, dass sie in der Praxis nicht rein statischer Natur ist. Im Ernstfall wird eine kritische Stabilitätsgrenze aus einer Rollbewe- gung heraus überschritten. Welche Periode diese Bewegung hat und wie sie unter Umständen aufgeschaukelt werden kann, ist in Kapitel 8 behan- delt. Welchen Widerstand ein Schiff dem Kentern insgesamt entgegensetzt, sagt die sog. „dynamische Stabilität“, das ist die Gesamtenergie, die man aufwenden muss, bis es den Kenterpunkt erreicht hat, wenn der aufrich- tende Hebelarm durch null geht und negativ wird. Man erhält diese Kenn- größe, indem man die Hebelarmkurven (Abb. 2.11) über den Krängungs- winkel bis zu diesem Punkt integriert (im Bogenmaß!) und mit der D Wasserverdrängung FB (= ) multipliziert.

2.2.3 Achse 3

Schließlich wollen wir das Momentengleichgewicht um die dritte verblei- bende Achse, die Querschiffsachse, betrachten (Abb. 2.12). Da die Vortriebskraft FA (Luft) in beträchtlicher Höhe über der Wider- standskraft DH (Wasser) angreift, ist das Drehmoment in diesem Fall besonders groß. Indem das Schiff vorne tiefer eintaucht, kann aber relativ leicht über die Schiffslänge ein ebenso großes Gegenmoment erzeugt werden. Dieses Momentengleichgewicht kann insbesondere bei Mehr- rumpfbooten prekär werden, weil sie infolge der scharfen Rümpfe im Vorschiff wenig Auftriebsreserve haben (Abb. 2.13). Es gilt dann, diesem

30 2 Die Segelyacht im gleichförmigen Fahrtzustand Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c02.3d from 13.04.2012 15:38:05 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 2.12 Momentengleichgewicht um Quer- schiffsachse. Prinzipskizze unter Verwendung ei- ner Grafik von M. Barbetorte (Wikimedia Com- mons), die einen Tornado-Katamaran darstellt.

Fall durch entsprechende Verlagerung des Mannschaftsgewichts zuvor- zukommen, oder, bei größeren Booten, Druck aus den Segeln zu nehmen bzw. die Segelfläche zu verkleinern. Die Längsstabilität kann im Übrigen völlig analog zur Querstabilität behandelt werden. Weil das Boot über keine Symmetrieebene in Quer- richtung verfügt, muss man allerdings auf die exakte Definition des Metazentrums zurückgreifen. Es handelt sich um den Schnittpunkt der Wirkungslinien des Auftriebs für zwei eng benachbarte Krängungswinkel. So wird ein longitudinales Metazentrum definiert und die longitudinale Metazentrische Höhe analog zu den Gln. (2.5) bis (2.7) berechnet, wobei nunmehr das Flächenträgheitsmoment der Wasserlinienfläche um eine Querschiffsachse als Drehachse eingeht. Das longitudinale Metazentrum (Längenmetazentrum) befindet sich typischerweise in mehreren Metern Höhe, während die transversale Metazentrische Höhe in Regel unter 1 m beträgt. Obwohl wir die Drehmomente und ihre Wirkungen nach drei Haupt- achsen getrennt besprochen haben, sind sie in Wirklichkeit aufs Engste miteinander verknüpft. So entsteht etwa bei einer Yacht, die im Achter- schiff wesentlich flachere Spantformen aufweist als im Vorschiff, bei Krängung (Achse 2) dort zusätzlicher Auftrieb, weil ein Teil des Rumpfes ins Wasser eintaucht, der sonst oberhalb der Wasserlinie liegt. Dies führt zu einer Vertrimmung in Längsrichtung (Achse 3), d. h., die Yacht taucht mit dem Bug tiefer ein. Dadurch wandern Lateralschwerpunkt und Segel- schwerpunkt nach vorne, was üblicherweise insgesamt zu einem luvgieri-

2.2 Momentengleichgewicht 31 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c02.3d from 13.04.2012 15:38:06 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 2.13 Problem der Längsstabilität bei extrem schlanken Rümpfen von Mehrrumpf- booten: Kritischer Fahrtzustand des Sodebo (Foto: Ivan Zedda).

gen Moment (Achse 1) führt. Der Effekt ist besonders ausgeprägt bei modernen Hochsee-Rennyachten, die zur Verbesserung der Gleiteigen- schaften im Heckbereich flach gebaut sind.

Zentrale Aussagen

• Segelschiff, physikalisch betrachtet: Ein System, bestehend aus zwei miteinander verbundenen Tragflächen, die von zwei Medien (Wasser und Luft) aus verschiedenen Richtungen und mit ver- schiedenen Geschwindigkeiten angeströmt werden. Es kommt auf die Relativbewegung der beiden Medien an. • Im gleichförmigen Fahrtzustand (geradeaus mit konstanter Ge- schwindigkeit) muss die Summe aller Kräfte ebenso wie die Summe aller Drehmomente auf das Boot null sein. • Gleichgewicht der Kräfte: Anstellwinkel der Unterwassertragfläche (Kielflosse) ist der Ab- driftwinkel. Diese erzeugt Auftrieb (Seitenkraft) und Widerstand. Das Segel wird durch den Scheinbaren Wind (Luftströmung im Bezugssystem des bewegten Bootes) angeströmt. Die entstehende

32 2 Die Segelyacht im gleichförmigen Fahrtzustand Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c02.3d from 13.04.2012 15:38:08 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Luftkraft kann in Bezug auf die Anströmung wieder in Auftrieb und Widerstand zerlegt werden. Alternativ dazu kann sie wie die Unterwasserkräfte in Fahrtrichtung und normal dazu zerlegt werden. Die Komponente in Fahrtrichtung ist nach vorn gerichtet und dient dem Antrieb des Bootes. • Aus dem Winddreieck, der Vektoraddition von Wahrem Wind und Fahrtwind zum Scheinbarem Wind, ergibt sich: Hochleis- tungssegler segeln zum Großteil mit dem eigenen Fahrtwind. Das widerspricht nicht dem Energieerhaltungssatz, denn es wird nur Windenergie „konzentriert“. • Gleichgewicht der Drehmomente. Das Boot kann sich um drei Hauptachsen drehen: 1) Normal auf die Wasseroberfläche (Bewegung: gieren). Ein luvgieriges Moment entsteht, weil die Antriebskraft (Segel) außerhalb der Mittschiffsebene angreift. Konstruktives Gegen- mittel: Segelschwerpunkt, von der Seite gesehen, eilt dem Lateralschwerpunkt (Unterwasser) voraus („lead“). 2) Längsachse (Bewegung: krängen bzw. rollen). Unter Winddruck nimmt das Boot nach Drehung um diese Achse einen Nei- gungswinkel ein (Krängung). Querstabilität: aufrichtendes Drehmoment durch Bootsgewicht und Auftrieb. Dessen Schwerpunkt wandert bei Krängung nach Lee. Verlängerung nach oben bis Mittschiffsebene → Metazentrum. Lage des Me- tazentrums bestimmt aufrichtenden Hebelarm. Berechnung der Metazentrischen Höhe aus dem Flächenträgheitsmoment der Schwimmwasserlinie. 3) Querachse (Bewegung: stampfen). Behandlung der Stabilität analog zur Querstabilität → longitudinales Metazentrum.

2.2 Momentengleichgewicht 33 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c03.3d from 13.04.2012 15:38:45 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

3 Grundlagen der Strömungslehre

Im vorangegangenen Kapitel haben wir die Existenz von Widerstands- und Auftriebskräften beim angeströmten Segel bzw. Unterwasserschiff als ge- geben hingenommen. Nun wollen wir die Grundlagen für das physika- lische Verständnis dafür legen, wie diese Kräfte zustande kommen. In der Strömungslehre wird das Fluid (Flüssigkeit oder Gas) als Kon- tinuum angesehen, dessen Zustand bei konstanter Temperatur durch ein Strömungsfeld v(x,t), ein Druckfeld p(x,t) sowie ein Dichtefeld r(x,t) vollständig beschrieben wird. Druck und Dichte sind allerdings nicht unabhängig voneinander, sondern über die Zustandsgleichung des Mediums miteinan- der verknüpft, wobei im Allgemeinen auch noch die Temperatur variabel ist. Für sehr viele Anwendungen, vor allem Hydrodynamik sowie Aerody- namik von Luftströmungen weit unter der Schallgeschwindigkeit, kann das Fluid als inkompressibel und daher die Dichte als konstant angesehen werden. Während die sehr geringe Kompressibilität des Wassers eine wohlbekannte Eigenschaft ist, lässt sich diese Annahme für den uns interessierenden Geschwindigkeitsbereich auch im Fall der Luft begrün- den: Für Dichteänderungen in Gasen aufgrund von adiabatischen1) Druck- schwankungen entlang der Stromlinien schreiben wir qr Dr ¼ D ð : Þ q p, Gleichung 3 1 p S

wobei der Index S für adiabatisch (isentropisch) steht. Unter Verwendung des Bernoulli-Theorems Gl. (3.27) können wir Dp durch rDv2/2 ausdrü- cken. Berücksichtigen wir weiters, dass sich die Schallgeschwindigkeit in Gasen durch

1) Das sind solche, die so schnell erfolgen, dass keine Zeit bleibt, Wärme mit benach- barten Volumenelementen auszutauschen.

Physik des Segelns: Wie Segeln wirklich funktioniert, 1. Auflage. Wolfgang Püschl. 35 © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2012 by Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c03.3d from 13.04.2012 15:38:45 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi q ¼ p ð : Þ c qr , Gleichung 3 2 S

ausdrücken lässt, können wir schließlich schreiben

Dr Dv2 <<1: ðGleichung 3:3Þ r 2c2

Die uns interessierenden Strömungsgeschwindigkeiten betragen in der Regel nur einige Meter pro Sekunde, die Schallgeschwindigkeit in Luft beträgt jedenfalls mehr als 300 ms−1, also können in diesem Fall nach Gl. (3.3) Dichteänderungen vernachlässigt werden. Da nach den Adiabaten- gleichungen auch die Temperaturänderung mit der Volumen- bzw. Dich- teänderung verknüpft ist, können wir praktisch auch von konstanter Tem- peratur ausgehen. Ein wichtiges Hilfsmittel zur Veranschaulichung des Strömungsfeldes ist das Konzept der Stromlinie. Es handelt sich dabei um Kurven, deren Tangentialvektor stets die Richtung der lokalen Strömungsgeschwindigkeit v(x,t) hat. Daraus ergibt sich unmittelbar, dass Stromlinien einander nicht schneiden können und durch jeden Punkt des Strömungsfeldes nur eine Stromlinie gehen kann (Einen Ausnahmefall stellen Punkte dar, wo sich die Strömung teilt oder wieder vereinigt). Die Stromlinien sind in parameter- freier Darstellung durch

dx dy dz ¼ ¼ ðGleichung 3:4Þ vx vy vz

definiert (wobei dx, dy, dz die Tangentialrichtung der Stromlinie festlegen

und vx,vy,vz die Komponenten des Geschwindigkeitsfeldes bedeuten). Anders als in der Elastizitätstheorie eines Festkörpers, bei der die Verschiebungen von Punkten des Kontinuums in Abhängigkeit von ihrer ursprünglichen Lage betrachtet werden (Lagrange’sche Koordinaten), be- handelt die Strömungslehre das Geschwindigkeitsfeld an vorgegebenen Punkten des Raumes (Euler’sche Koordinaten). Das Konzept kann man sich als ortsfestes virtuelles Volumen vorstellen, etwa wie einen würfelförmi- gen Drahtrahmen, in den die Flüssigkeit hinein und auch wieder heraus strömt, und man untersucht, wie die Strömungsgeschwindigkeit dort aussieht. Trotzdem werden wir gelegentlich von Flüssigkeitsteilchen oder Flüssigkeitselementen sprechen, deren Bewegung wir entlang ihrer Bahn verfolgen. Damit sind allerdings nicht einzelne Atome oder Moleküle der betrachteten Substanz gemeint, sondern mikroskopisch kleine, aber den-

36 3 Grundlagen der Strömungslehre Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c03.3d from 13.04.2012 15:38:45 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

noch viele solche Teilchen umfassende, mit der Strömung bewegte Volumenelemente.

Die in einem ortsfesten Volumen V0 enthaltene Masse m ändert sich durch den Flüssigkeitsstrom in und aus diesem Volumen: Z Z Z qm q q ¼ r dV ¼ r dV ¼ rv df qt qt qt |{z} V0 V0 qV0 Stromdichte Z vektor 0 ¼ðGauß scher IntegralsatzÞ¼ divðrvÞdV, 2)

V0 ðGleichung 3:5Þ

woraus die Kontinuitätsbedingung qr þ divðÞ¼r v 0 ðGleichung 3:6Þ qt

folgt, die für inkompressible Medien (r = const.) die einfache Form

div v ¼ 0 ðGleichung 3:7Þ

annimmt. Das Strömungsfeld eines inkompressiblen Fluids ist also quellen- frei.

3.1 Dynamik einer idealen (reibungsfreien) Flüssigkeit

Wir wollen nun die Gesetze ermitteln, nach denen sich das Strömungs- feld im Lauf der Zeit ändern kann. Die Kräfte, die auf ein kleines Flüssig- keitsvolumen von seiner Umgebung ausgeübt werden, können mit Hilfe 3) s s eines Spannungstensors (mit Komponenten iK) beschrieben werden. Dieser ist so definiert, dass X dFi ¼ sikdfk ðGleichung 3:8Þ k

die i-te Komponente der Kraft ist, die auf ein differenzielles Flächenele-

ment wirkt, dessen Flächennormalvektor die Komponenten dfk hat. Schreibt man den Spannungstensor als Matrix, so stellen die Elemente in

∂ 2) V0 in die Oberfläche des Volumens V0. 3) Schon der Name Tensor weist auf Spannung hin – von lat. tendere = spannen.

3.1 Dynamik einer idealen (reibungsfreien) Flüssigkeit 37 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c03.3d from 13.04.2012 15:38:46 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

der Diagonale die Druckkräfte normal zur Oberfläche dar. Die Elemente außerhalb der Diagonale beziehen sich auf parallel zur Oberfläche wir- kende Scherungskräfte. Die Kraft auf ein Volumen DV, soweit sie von der benachbarten Flüssig- keit übertragen wird, beträgt allgemein Z Z q 0 4) DFi ¼ sikdfk ¼ðGauß scher IntegralsatzÞ¼ ðÞsik dV . q xk qðÞDV DV ðGleichung 3:9Þ

Liegt wie im Fall einer idealen Flüssigkeit nur hydrostatischer Druck vor, dann wirkt er mit dem gleichen Betrag in allen Richtungen normal zur Oberfläche. Der Spannungstensor nimmt dann die Form einer Diagonal- matrix an, also

sik ¼pdik, ðdik ¼ 1, wenn i ¼ k, dik ¼ 0 sonst:Þ: ðGleichung 3:10Þ

Beziehen wir noch das Schwerefeld der Erde mit ein, das direkt auf jedes Molekül über sein Gewicht wirkt, ergibt sich für die Kraft auf ein differen- zielles Volumenelement q q dFi ¼ sik þ r gi dV ¼ p þ r gi dV qxk qxi ¼ðÞþ r : ð : Þ grad p g idV Gleichung 3 11

Daraus erhalten wir gemäß dem 2. Newton’schen Axiom die Beschleuni- gung eines Flüssigkeitselements

dv r ¼grad ðÞp þ r gz , ðGleichung 3:12Þ dt

wobei wir auch das Schwerefeld als Gradienten eines Gravitationspotenzi-

als geschrieben haben, mit der vertikalen Koordinate x3 = z. Gleichung (3.12) entspricht noch nicht der von uns angestrebten Betrachtungsweise der Strömungslehre, nämlich die zeitliche Veränderung des Geschwindig- keitsfeldes an einem festgehaltenen Ort zu betrachten (Euler’sche Koor- dinaten). Die hier vorkommende Zeitableitung bezieht sich hingegen auf

4) Es gilt die Einstein’sche Summenkonventi- summieren ist. Die Divergenzbildung on, wonach über doppelt vorkommende erfolgt wie bei einem Vektorfeld und Indizes stets über alle Koordinaten zu läuft hier nur über den zweiten Index.

38 3 Grundlagen der Strömungslehre Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c03.3d from 13.04.2012 15:38:46 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

ein mit der Strömung mitgeführtes Flüssigkeitselement. Man bezeichnet sie daher auch als substanzielle Zeitableitung. Sie enthält neben einer expliziten Zeitabhängigkeit noch eine implizite, die daher kommt, dass das Flüssigkeitselement den Ort wechselt und an eine andere Stelle kommt, an der ein anderer Wert der Geschwindigkeit herrscht:

ð Þ ð Þ q q q q dv x,t ¼ dv x1,x2,x3,t ¼ v þ v dx1 þ v dx2 þ v dx3 dt dt qt qx1 dt qx2 dt qx3 dt qv qv ¼ þ ðÞv grad v ¼ þ ðÞv r v: qt qt ðGleichung 3:13Þ

Hier haben wir uns daran erinnert, dass dxi/dt =vi und die Geschwindig- keit dann vor die räumliche Ableitung geschrieben. Zusammen mit (3.12) erhalten wir schließlich

qv 1 þ ðÞv r v ¼ grad ðÞp þ r gz : ðGleichung 3:14Þ qt r

Diese Gleichung für die Dynamik von Flüssigkeiten wurde bereits 1755 von Leonhard Euler aufgestellt. Für manche Probleme erweist es sich als vorteilhaft, Gl. (3.14) mit Hilfe der Vektor-Identität v2 ðÞv r v ¼ grad v rot v ðGleichung 3:15Þ 2

weiter umzuformen, womit wir erhalten: qv v2 1 þ grad v rot v ¼ grad ðÞp þ r gz : qt 2 r ðGleichung 3:16Þ

Die Gleichungen (3.14) bzw. (3.16) enthalten Terme, die quadratisch in v sind, was die vorteilhaften Lösungsmethoden für lineare Differenzialglei- chungen ausscheidet, die auf dem Superpositionsprinzip5) beruhen, und ein Hinweis auf die zu erwartende Komplexität der Lösungen ist. Wendet man auf die gesamte Gleichung den Vektor-Differenzialoperator „Rotation“ an, dann werden die Gradiententerme wegen rotðgrad::Þ¼0 eliminiert, und man erhält eine Gleichung nur für das Strömungsfeld v.

5) Für homogene lineare Differenzialgleichungen gilt: Falls zwei Funktionen Lösun- gen der Differenzialgleichung sind, ist ihre Linearkombination auch Lösung.

3.1 Dynamik einer idealen (reibungsfreien) Flüssigkeit 39 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c03.3d from 13.04.2012 15:38:46 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

q ðÞ¼rot v rotðÞ v rot v : ðGleichung 3:17Þ qt

Zur Lösung dieser Differenzialgleichung für das Strömungsfeld muss man noch entsprechende Randbedingungen hinzufügen. In einer idealen Flüs- sigkeit lautet die Randbedingung an der Oberfläche eines umströmten Körpers, dass die Strömung diesen nicht durchdringen kann, d. h., es

muss die Normalkomponente von v verschwinden: vn = 0. An der Grenze zwischen zwei sich nicht mischenden Flüssigkeiten (z. B. Luft und Wasser) müssen die Drücke und die Normalkomponenten der Geschwindigkeit gleich sein.

3.2 Die Eigenschaften von Wirbeln

Bezeichnen wir die Größe O =½rot v als Wirbelvektor6), dann lässt sich Gl. (3.17) in folgender Form schreiben

qO ¼ rotðÞ v O : ðGleichung 3:18Þ qt

Daraus folgt unmittelbar, dass eine ideale Flüssigkeit, die wirbelfrei ist (O = 0), stets wirbelfrei bleibt. Analog zu den Stromlinien können wir im Strömungsfeld der Flüssigkeit Kurven bilden, deren Tangentenrichtung an jedem Ort mit der augenblicklichen Richtung des Wirbelvektors O zusam- menfällt, die Wirbellinien. Wegen des allgemeinen Satzes div (rot v)=0 haben die Wirbellinien keine Quellen, sie können also nicht im Inneren der Flüssigkeit entstehen oder enden. Dort, wo sich zwei Wirbellinien vereinigen, muss die gesamte Wirbelstärke erhalten bleiben7). Wir definieren als Zirkulation G das Linienintegral über das Geschwin- digkeitsfeld längs einer geschlossenen Kurve C:

6) Der Faktor ½ wird nach üblicher Kon- rotierenden Starren Körper für das Ge- vention deswegen eingeführt, weil für schwindigkeitsfeld giltjj rotv ¼ 2o. einen mit der Winkelgeschwindigkeit o 7) Diese beiden Aussagen gehören zu den Helmholtz’schen Wirbelsätzen; nach Her- mann Helmholtz (1821–1894).

40 3 Grundlagen der Strömungslehre Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c03.3d from 16.04.2012 17:41:40 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

I Z Z 0 G¼ v ds ¼ rotv df ¼ðStokes scher IntegralsatzÞ¼ O df.8)

C¼qA A A ðGleichung 3:19Þ Der Thomson’sche Satz9) von der Erhaltung der Zirkulation besagt nun, dass diese Größe erhalten bleibt, wenn sich die gesamte geschlossene Kurve mit der Flüssigkeit mitbewegt I dG d ¼ v ds ¼ 0: ðGleichung 3:20Þ dt dt

Zum Beweis ziehen wir die Differenziation nach der Zeit unter das Integralzeichen I I I I I d dv d dv v ds ¼ ds þ v ðÞ¼ds ds þ v dv: dt dt dt dt ðGleichung 3:21Þ

Den ersten Beitrag formen wir mit Hilfe von Gleichung (3.12) um. Der zweite Beitrag ist nichts anderes als d(v2/2): I I I dG d 1 v2 ¼ v ds ¼ gradðp þ r gzÞds þ d : dt dt r 2 ðGleichung 3:22Þ

Somit bekommen wir ein geschlossenes Kurvenintegral über einen Gra- dienten und ein Integral über ein vollständiges Differenzial mit gleichem

8) Bei Anwendung dieser Beziehung ist um den in Abb. 3.1 dargestellten Wir- jedoch Vorsicht geboten. Der Stokes’- belkern anwenden, wenn sich der Inte- sche Integralsatz gilt nur unter der Vo- grationspfad außerhalb des Wirbel- raussetzung, dass das von der geschlos- kerns befindet. Hingegen ist er im senen Kurve berandete Gebiet einfach Inneren eines starr rotierenden Wirbel- zusammenhängend ist. Betrachtet man kerns anwendbar, sodass die Zirkula- etwa ein Hindernis, das umströmt wird, tion gleich der Rotation (doppelte Wir- dann ist es durchaus möglich, dass in belstärke) mal der Querschnittsfläche jedem Punkt der Strömung die Rotation des Wirbelkerns ist. Je kleiner die verschwindet und entlang einer um das Querschnittsfläche, desto größer muss Hindernis geführten Kurve eine end- die Wirbelstärke werden, das ist gleich- liche Zirkulation auftritt. Insbesondere bedeutend mit der Aussage der Gln. lässt sich der Stokes’sche Integralsatz (3.23) und (3.24). nicht für ein Zirkulationsintegral rund 9) In der angelsächsischen Literatur auch Kelvin’scher Satz genannt. Beide Bezeich- nungen nach Sir William Thomson Lord Kelvin of Largs (1824–1907).

3.2 Die Eigenschaften von Wirbeln 41 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c03.3d from 13.04.2012 15:38:47 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Anfangs- und Endwert, die nach allgemeinen Sätzen der Vektoranalysis beide verschwinden müssen, woraus die Behauptung folgt. Bei Auftreten von wirbelbehafteten Strömungen ist zu unterscheiden zwischen Gebieten, die bloß die Eigenschaft haben, dass rot v ≠ 0, was schon für eine geradlinige Strömung der Fall ist, bei der zwischen benach- barten Schichten ein Geschwindigkeitsgradient herrscht, und Wirbeln im engeren Sinn mit ausgeprägter Gestalt. Zu letzteren gehören Wirbelröhren, die aus den immer gleichen Flüssigkeitsteilchen bestehen, also mit der Flüssigkeit mitschwimmen. Es handelt sich um schlauchartige Gebilde, die von Wirbellinien begrenzt sind, und deren Durchmesser so klein ist, dass |rot v| über die Querschnittsfläche konstant ist. Wenn wir uns die „Anato- mie“ eines (in z-Richtung unendlich ausgedehnt gedachten) Wirbels anse- hen, so stellen wir fest, dass in der Mitte ein starr rotierender Wirbelkern vorhanden ist, die Wirbelröhre, und im Außenfeld die Geschwindigkeit dann ∝ 1/r abfällt (Abb. 3.1). Im Wirbelkern ist rot v ¼ const: 6¼ 0, außerhalb aber rot v ¼ 0, wie aus dem mit 1/r abfallenden Geschwindigkeitsfeld folgt. Da die Zirkulation in einem mit der Flüssigkeit mitbewegten Volumenbereich erhalten bleibt, gibt es Bereiche, in denen die Zirkulation (und damit die Rotation) einen konstanten Wert ungleich null besitzt, und andere, in denen sie null ist und bleibt. Daher besteht der Wirbelkern aus immer den gleichen Flüssigkeits- teilchen. In idealen Flüssigkeiten sind solche Wirbelröhren beständig und können weder aus dem Nichts entstehen noch vergehen. Weiters gilt: Die Zirkulation rund um die Röhre muss entlang ihres Verlaufes konstant sein.

Abb. 3.1 Geschwindigkeitsfeld um einen Wirbel, in der Mitte starr rotierender Wirbel- kern.

42 3 Grundlagen der Strömungslehre Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c03.3d from 16.04.2012 17:41:42 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 3.2 Wirbelröhre mit Integrationsweg, um die Konstanz der Zirkulation um den Wirbel zu zeigen.

Wir zeigen dies, indem wir an der Oberfläche einer Wirbelröhre (Abb. 3.2) ein Linienintegral über das Geschwindigkeitsfeld v entlang der dar-

gestellten Kurve durchführen, die aus den Abschnitten C1 und C2, welche die Röhre in entgegengesetztem Umlaufsinn fast ganz umfassen, und den

Abschnitten C3 und C4 besteht, die annähernd parallel zur Achse des Wirbelfadens an der Oberfläche entlang laufen und ebenfalls in entgegen-

gesetztem Sinn durchlaufen werden, C = C1 +C2 +C3 +C4. Dieser Integrationsweg umfasst die Wirbelröhre nicht. Die von ihr eingeschlos- sene Fläche ähnelt einer Manschette, welche die Röhre nicht ganz um- schließt, und ist insbesondere einfach zusammenhängend. Damit dürfen wir den Stokes’schen Integralsatz anwenden: I Z v ds ¼ rot v df ¼ 0: ðGleichung 3:23Þ

C¼qF F

Das Integral ist null, weil die Oberfläche von Wirbellinien gebildet wird, also parallel zu rot v liegt. Daher muss df ⊥ rot v, und der Integrand verschwindet überall. Andererseits ist klar, dass die beiden parallel verlau- fenden Wegabschnitte, die man beliebig nahe bringen kann, einander aufheben. Daher muss die Summe der beiden gegenläufigen Integrale, welche die Wirbelröhre umfassen, null sein oder I I I v ds ¼ v ds ¼ v ds: ðGleichung 3:24Þ

0 C1 C2 C2

Die Kurven C1 und C2' werden im gleichen Sinn durchlaufen. Daher ist die Zirkulation G, an verschiedenen Stellen der Wirbelröhre genommen, gleich. Je geringer der Querschnitt, umso größer muss die Strömungs- geschwindigkeit um den Wirbel herum sein. Ein besonders eindrucksvolles

3.2 Die Eigenschaften von Wirbeln 43 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c03.3d from 13.04.2012 15:38:49 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Beispiel ist ein Tornado, bei dem aus einer relativ langsamen Drehbewe- gung der darüberliegenden Wolke im stark verengten Schlauch eine sehr hohe Windgeschwindigkeit wird. Zusammenfassend führen wir die Helmholtz’schen Wirbelsätze an:

1) Wirbel können ohne innere Reibung weder entstehen noch vergehen. 2) Wirbellinien können nicht innerhalb des Flüssigkeitsvolumens enden. Sie enden entweder an der Oberfläche oder sind in sich geschlossen (Wirbelring). 3) Die Zirkulation um eine Wirbelröhre ist an jeder Stelle gleich groß.

3.3 Bernoulli-Theorem

Wir betrachten jetzt eine stationäre Strömung, das heißt

qv ¼ 0, ðGleichung 3:25Þ qt

bringen alle Terme in Gl. (3.16) auf die linke Seite und berechnen das Linienintegral dieses Ausdrucks über ein Stück einer Stromlinie. Da v × rot v normal auf v steht, verschwindet dieser Teil des Linienintegrals. Die explizite Zeitableitung verschwindet wegen der Voraussetzung (3.25) eben- falls. Alle anderen Terme können wir als Gradienten schreiben. Damit haben wir

ZB v2 1 1 grad þ p þ r gz v dt ¼ 0: ðGleichung 3:26Þ 2 r r A

Da das Linienintegral über einen Gradiententerm das Potenzial als Stamm- funktion hat, von dem der Gradient genommen wurde, ist der Ausdruck in der runden Klammer entlang der Stromlinie konstant, und nach Multi- plikation mit der Dichte erhalten wir

r v2 þ p þ r gz¼ const: ðGleichung 3:27Þ 2

(Bernoulli-Theorem).10)

10) Nach Daniel Bernoulli (1700–1782), dessen Hauptwerk Hydrodynamica 1738 erschien.

44 3 Grundlagen der Strömungslehre Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c03.3d from 13.04.2012 15:38:49 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 3.3 Prandtl’sches Staurohr Der linke Flüssigkeit (Staupunkt S). Die Differenz Schenkel ist mit der strömenden Flüssigkeit der Flüssigkeitsstände links und rechts verbunden, der rechte mit der ruhenden entspricht der Druckdifferenz Dp = r v²/2.

Diese Gleichung enthält den für die Berechnung der Luft- und Wasser- kräfte, die auf ein Segelschiff wirken, wichtigen Zusammenhang zwischen Binnendruck und Strömungsgeschwindigkeit. Auch wird sie uns für die Berechnung der Eigenschaften von Schwerewellen von Nutzen sein. Neh- men wir zunächst an, die Strömung verläuft in einer waagerechten Ebene (z = const.). Dort, wo sie auf einen Körper trifft und die Geschwindigkeit auf null herunter gebremst wird (Staupunkt), erscheint der Druck in der Flüssigkeit um den Betrag r v2=2 erhöht. Misst man diesen Staudruck an einem sogenannten Prandtl’schen Staurohr (Abb. 3.3), dann kann man damit die Strömungsgeschwindigkeit bestimmen.

3.4 Die ebene Potenzialströmung

Eine besondere Bedeutung in der Geschichte der Hydrodynamik hat die Behandlung einer zweidimensionalen, rotationsfreien Strömung in einer idealen, inkompressiblen Flüssigkeit. Wir nehmen an, dass die Strömung vor Einführung des Körpers bzw. in unendlich großer Entfernung keine Wirbel aufweist. In der idealen Flüssigkeit können dann nach Helmholtz auch keine Wirbel entstehen. Wenn rot v ¼ 0, dann kann man die Strö- mung als Gradienten eines Potenzials F ansetzen. Da die Divergenz in einer inkompressiblen Strömung ebenfalls verschwinden muss, gilt

div v ¼ divðÞ¼gradF DF ¼ 0: ðGleichung 3:28Þ

3.4 Die ebene Potenzialströmung 45 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c03.3d from 13.04.2012 15:38:50 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Das Problem der Strömung lässt sich demnach lösen, wenn man eine Funktion F finden kann, welche die Potenzialgleichung DF ¼ 0 und gleichzeitig die Randbedingungen erfüllt. Das Problem der Strömungs- berechnung ist in diesem Fall völlig analog zur Berechnung des Potenzials in der Elektrostatik. Diese Analogie kann man auch zur experimentellen Ermittlung von Stromlinien mithilfe eines elektrolytischen Troges verwen- den (siehe Kapitel 4, Abb. 4.5). Wie sich zeigt, wird die Potenzialgleichung (3.28) von Realteil f und Imaginärteil c von analytischen11) komplexwerti- gen Funktionen erfüllt:

f ðzÞ¼fðx þ iyÞþicðx þ iyÞ: ðGleichung 3:29Þ

Dies lässt sich leicht aus den für solche Funktionen geltenden Cauchy- Riemann’schen Differenzialgleichungen

qf qc qf qc ¼ , ¼ ðGleichung 3:30Þ qx qy qy qx

ableiten. Ferner folgt aus ihnen, dass r’ rc ¼ 0 und daher das Ge- schwindigkeitsfeld v ¼r’ parallel zu den Linien c ¼ const: liegt. Die Äquipotenziallinien von c stellen daher die Stromlinien für das Strö- mungsfeld v ¼r’ dar. Als Beispiel ist in Abb. 3.4a die Umströmung eines Zylinders mit Radius 1 dargestellt. Die entsprechende analytische Funktion ist

f(z)=z +1/z =(x + iy)+1/(x + iy). (Gleichung 3.31)

In Abb. 3.4b ist dieselbe Situation in bestmöglicher Annäherung experi- mentell dargestellt. Eine solche glatte Umströmung tritt bei sehr niedriger Strömungsgeschwindigkeit in genügend zähen Medien oder ganz zu Be- ginn der Bewegung auf, wenn sich noch keine Wirbel gebildet haben. Die Verwendung von analytischen Funktionen hat den Vorteil, die ganze Palette der Möglichkeiten der komplexen Funktionentheorie verwenden zu können. Es ist dann sinnvoll, statt im realen zweidimensionalen Raum die Rechnung gleich in der komplexen Zahlenebene durchzuführen. Man erhält dann als komplexwertige Ableitung einer analytischen Potenzial- funktion eine ebenfalls analytische komplexwertige Geschwindigkeitsfunk- tion: w = df / dz12), und die Zirkulation kann als komplexes geschlossenes

11) Analytische oder holomorphe Funktionen sind im Komplexen differenzierbar. 12) Zu beachten ist zwar, dass dann grale, z. B. für die Zirkulation G, das – Re w =vx, jedoch Im w = vy. Es gilt aber Gleiche wie im reellen Fall, was diese – wdz=(vx ivy)(dx+idy)=vxdx+vydy=v·ds. Berechnungsmethode sehr praktisch Damit ergeben komplexe Kurveninte- macht.

46 3 Grundlagen der Strömungslehre Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c03.3d from 13.04.2012 15:38:51 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 3.4 Potenzialströmung in einer idealen rv2/2 gegen den Winkel. Der gestrichelte Flüssigkeit. a) Zylinderumströmung mit Ge- Kreis hat den Staudruck als Radius, ent- 2 schwindigkeitspotenzial nach Gl. (3.31), spricht also rv0 /2. Wo er sich mit der b) experimentell (L. Prandtl) für kleine Strö- Kurve schneidet, ist v = v0, daher herrscht mungsgeschwindigkeit (laminare Strö- dort der gleiche Druck wie in unendlicher mung) oder Anfangsphase der Strömung, Entfernung vom Körper. Wo die Kurve in- c) Polardiagramm der Druckverteilung nach nerhalb des Kreises verläuft, ist der Druck dem Bernoulli-Theorem. Aufgetragen ist erhöht, außerhalb verringert.

Kurvenintegral über diese Geschwindigkeitsfunktion geschrieben werden. Aus der Theorie komplexer Funktionen weiß man aber, dass das Ergebnis eines solchen Kurvenintegrals mit Hilfe des Residuensatzes leicht ausgewer- tet werden kann, denn es gilt

G ¼ 2pia1, ðGleichung 3:32Þ

– −1 wobei a−1 der Koeffizient des Terms der Ordnung (z z0) in der Laurent- Reihenentwicklung der Funktion w = df/dz ist. Will man also ein Strö- mungsfeld mit einer Zirkulation G beschreiben, dann muss man die Potenzialfunktion so wählen, dass sie einen logarithmischen Term mit dem Koeffizienten G/(2pi) hat. Die Geschwindigkeitsfunktion w hat denn – −1 13) eine Singularität der Ordnung (z z0) mit dem passenden Vorfaktor .

13) Siehe auch Ableitung der Kutta-Jou- profil abbildet (Joukowski-Transformati- kowski-Gleichung in Anhang A5. Das on). Eine detaillierte Behandlung dieser Strömungsbild um ein Tragflächen- Methoden sprengt den Rahmen dieser profil kann dargestellt werden, indem Darstellung. Der interessierte Leser sei man es um ein exzentrisch angeord- dazu auf die angegebene Literatur aus netes Zylinderprofil beschreibt und der Hydrodynamik verwiesen, z. B. dieses mit Hilfe einer geeigneten kon- Fuchs und Hopf (1922) oder Hughes formen Abbildung auf das Tragflächen- und Brighton (1967).

3.4 Die ebene Potenzialströmung 47 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c03.3d from 13.04.2012 15:38:52 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Ein Beispiel stellt die Abb. 4.3 dar, die das Strömungsfeld um einen Zylinder gemäß Gl. (3.31) mit einem solchen zusätzlichen Term zeigt. Es entspricht einem rotierenden Zylinder (Flettner-Rotor).

3.5 Dynamik von Fluiden mit innerer Reibung

Durch molekulare Wechselwirkungen werden zwischen benachbarten Strömungsschichten, die sich verschieden schnell bewegen, Scherkräfte übertragen. Im Gegensatz zu reinen Druckkräften geschieht dies nicht- reversibel, also unter Dissipation von Energie. Die innere Reibung wird normal zur Richtung des Geschwindigkeitsgradienten, also parallel zu den verschieden schnell bewegten Flüssigkeitsschichten übertragen. Aus Sym- metrieüberlegungen (bei starrer Rotation wird keine innere Reibung wirk- sam) lässt sich zeigen, dass der Spannungstensor bei inkompressiblen Fluiden folgende symmetrisierte Gestalt haben muss: ÀÁ qvi qv s ¼ d þ Z þ k ¼ d þ Z þ 14) ik p ik p ik vi,k vk, i . qxk qxi ðGleichung 3:33Þ

(Wenn das Fluid kompressibel ist, tritt noch ein weiterer Reibungskoeffi- zient hinzu). Der Koeffizient Z wird dynamische Zähigkeit genannt und hat im SI-System die Einheit [Pa s] = [kg m−1 s−1] (ältere Einheit 1 Poise = 0,1 kg m−1 s−1). Formal kann dieser Koeffizient als die Kraft angesehen werden, welche tangential pro Flächeneinheit von einer Flüssig- keitsschicht auf eine parallel dazu bewegte übertragen wird, wenn der Geschwindigkeitsunterschied 1 ms−1 bei einer Distanz der Flüssigkeits- schichten von 1 m beträgt. Die Kraftübertragung folgt gemäß Gl. (3.9) wieder aus der Divergenz des Spannungstensors,

X q ÀÁ s ¼ s ¼ þ Z þ : ð : Þ ik ik,k p, i vi, kk vk, ik Gleichung 3 34 qx k k ¼ ¼ Da für inkompressible Fluide div v vk, k 0, verschwindet auch der Gradient dieses Ausdrucks und, da es auf die Reihenfolge der Differentia-

tion in diesem Fall nicht ankommt (vk,ik =vk,ki), auch der zweite Term in der Klammer in (3.34). Wir erhalten somit in Analogie zu den Gleichungen (3.14) und (3.16), ohne Schwerkraftterm,

14) Die Schreibweise ,k bedeutet Differenziation nach der k-ten Koordinate, ,ik heißt dann Differenziation zuerst nach der i-ten und dann nach der k-ten Koordinate.

48 3 Grundlagen der Strömungslehre Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c03.3d from 13.04.2012 15:38:53 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

qv 1 Z þ ðÞv:r v ¼ grad p þ D v ðGleichung 3:35Þ qt r r

bzw. nach Anwendung der Beziehung (3.15) qv v2 1 Z þ grad v rot v ¼ grad p þ D v, qt 2 r r ðGleichung 3:36Þ

die sogenannten Navier-Stokes-Gleichungen15). Die Zähigkeit kommt hier dividiert durch die Dichte vor. Da der Reibungskoeffizient nur in dieser normierten Form für die Lösungen der Navier-Stokes-Gleichungen maß- geblich ist, also den inneren Bewegungszustand des Fluids bestimmt, bezeichnet man Z / r = v als kinematische Zähigkeit. Ihre SI-Einheit ist [m²s−1] (ältere Einheit 1 Stokes = 10−4 m2s−1). In Tabelle 3.1 sind für verschiedene Flüssigkeiten sowie für Luft bei 20 °C dynamische und kinematische Zähigkeiten angegeben. Anzumerken ist, dass Zähigkeits- werte stark temperaturabhängig sind und bei Flüssigkeiten generell mit der Temperatur abnehmen und bei Gasen zunehmen. Für die Praxis ist auch bedeutsam, dass die Zähigkeit des Meerwassers vom Salzgehalt abhängt. Bemerkenswert ist hier, dass Luft bei 20 °C eine etwa 14-mal höhere kinematische Zähigkeit als Wasser besitzt, also das im Sinne des Strö- mungsbildes wesentlich zähere Medium ist. Quecksilber besitzt wegen seiner hohen Dichte eine sehr kleine kinematische Zähigkeit.

Tabelle 3.1 Dynamische und kinematische Zähigkeiten verschiedener Medien (20 °C, wenn nicht anders angegeben, bei 1 bar).

Z [Pa s] v[10−6 m2s−1] Wasser 0,0018 0°C 0,0013 10 °C 0,0010 20 °C 1,008 0,0008 30 °C Luft 1,8·10−5 14,6 Äthanol 0,0012 1,5 Glyzerin 1,52 1200 Quecksilber 0,00156 0,12

15) Nach Claude Marie Louis Henri Navier (1785–1836) und Sir George Gabriel Stokes (1819–1903).

3.5 Dynamik von Fluiden mit innerer Reibung 49 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c03.3d from 13.04.2012 15:38:54 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Wiederum lassen sich Gradiententerme durch Rotationsbildung aus (3.36) eliminieren, und in Erweiterung zu Gl. (3.17) haben wir jetzt

q ðÞ¼rot v rotðÞþ v rot v nDrot v: ðGleichung 3:37Þ qt

3.6 Dissipation von Wirbeln

Gleichung (3.37) stellt eine Entwicklungsgleichung für die Wirbelstärke O ¼ 1=2 rot v dar. Da auch in Medien mit innerer Reibung die Divergenz- freiheit der Wirbelstärke div(rot v) = 0 gilt, stellt sich die Frage, wie in einem solchen Medium ein Wirbel aufgelöst (dissipiert) wird. Betrachten wir dazu einen klassischen Wirbel mit zylindersymmetrischer Konfigura- tion (Abb. 3.1). Gleichung (3.37) kann auch als

q ðÞ¼Ω rotðÞþ v Ω nDΩ ðGleichung 3:38Þ qt

geschrieben werden. Da das Geschwindigkeitsfeld in einem solchen Wirbel stets tangentiale Richtung hat, ist v×O radial nach außen gerichtet und daher ein reines Quellenfeld, dessen Rotation verschwindet. Der erste Term auf der rechten Seite in Gl. (3.38) ist daher null. Es verbleibt die Entwick- lungsgleichung q ðÞ¼Ω nDΩ: ðGleichung 3:39Þ qt

Diese hat aber die Form einer Diffusions- oder Wärmeleitungsgleichung. Wir können dies so interpretieren, dass die Wirbelstärke radial nach außen diffundiert wie etwa Wärme von einem heißen Draht. Der Wirbel im unendlich ausgedehnten Medium wird also dadurch dissipiert, dass sich die Wirbelstärke auf ein immer größeres Gebiet verteilt (zumindest bei Vorliegen idealer Zylindersymmetrie).

3.7 Ableitung der Reynoldszahl

Zur Lösung eines Strömungsproblems Gl. (3.37) benötigen wir wie bei den Euler’schen Gleichungen die Randbedingungen. Eine Flüssigkeit mit innerer Reibung haftet auf Grund molekularer Wechselwirkungskräfte an der Oberfläche eines umströmten Körpers, sodass dort das Verschwinden

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der Normalkomponente nicht genügt, sondern die Geschwindigkeit iden- tisch null sein muss. Eine Lösung von Gl. (3.37) mit diesen Randbedingun- gen ist wegen des nichtlinearen Charakters im Allgemeinen nur numerisch zu bewerkstelligen. Man kann sich aber das Skalierungsverhalten zunutze machen, etwa für den Vergleich mit Modellversuchen. Wir wollen dazu eine Skalenrelation ableiten. Zu diesem Zweck schreiben wir Geschwindig- keit und Länge in dimensionsloser Form, indem wir sie auf eine charakte- ristische Geschwindigkeit u und eine charakteristische Länge L beziehen:

~ v ¼ uf * ðGleichung 3:40Þ x ¼ Lx

~ ~ wobei u und L nun dimensionsbehaftete Skalare, f und x dimensionslose Vektoren sind. Die Operation rot beinhaltet einmalige, die Operation D zweimalige Differenziation nach den Ortskoordinaten. Verwenden wir statt ~ x die dimensionslose Koordinate x und statt v die dimensionslose Ge- ~ schwindigkeit f, dann wird vom ursprünglichen Ausdruck für jede Ablei- tung ein Faktor 1/L, und für jedes Vorkommen von v ein Faktor u abge- spalten. In den neuen Koordinaten lautet Gl. (3.37) für eine stationäre Lösung (qv=qt ¼ 0) nunmehr  u2 ~ ~ u ~ 0 ¼ rotx f rotx f þ nDx rotx f ðGleichung 3:41Þ L2 L3

oder  uL * ~ * 0 ¼ rotx f rotx f þ Dx rotx f, ðGleichung 3:42Þ |{z}n Re

wobei wir durch den Index x angedeutet haben, dass alle Ortsdifferenzia- tionen jetzt nach der neuen, dimensionslosen Ortskoordinate erfolgen. Gleichung (3.42) hat folgende Bedeutung: In dimensionslosen Koordinaten sieht die stationäre Lösung für das Geschwindigkeitsfeld gleich aus, wenn uL die Konstante Re = v (Reynoldszahl, eingeführt von Osborne Reynolds, 1883) den gleichen Wert hat. Voraussetzung ist natürlich, dass auch die Randbedingungen in den dimensionslosen Koordinaten gleich aussehen. Wenn man ähnliche Körper unter der gleichen Reynoldszahl anströmt, dann sieht das Strömungsbild gleich aus. Möchte man also die Strömung an einem Tragflügelmodell im Maßstab 1:100 studieren, dann ist eine charakteristische Länge (z. B. die Sehnenlänge des Profils) 0,01-mal so groß wie das Original. Verwendet man zum Testen das gleiche Fluid, dann

3.7 Ableitung der Reynoldszahl 51 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c03.3d from 13.04.2012 15:38:54 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

muss die Geschwindigkeit 100-mal so groß sein wie im Original, um gleiche Strömungsverhältnisse zu erzielen. Testet man das gleiche Flugmo- dell statt in Luft in Wasser, muss es nur etwa 7-mal so schnell bewegt werden (vgl. die n-Werte in Tabelle 3.1). Die Reynoldszahl gibt das Verhältnis der Trägheitskräfte in einer Strö- mung (~ ru2) zu den Reibungskräften (~ Zu/L) an. Bei einer bestimmten Reynoldszahl, die je nach Geometrie experimentell ermittelt werden muss, ändert sich der Strömungscharakter drastisch. Bei kleinen Reynoldszahlen ist die Strömung laminar (schlicht), wobei die Stromlinien glatt neben einander liegen, bei großen Reynoldszahlen ist die Strömung turbulent mit ständiger Wirbelbildung. Turbulenz ist ein Beispiel für deterministi- sches Chaos und tritt wegen des nichtlinearen Charakters der hydrodyna- mischen Gleichungen auf. Der Übergang zur Turbulenz kann leicht am Rauch einer Zigarette beobachtet werden, der nach einer bestimmten Länge des Aufsteigens von laminar auf turbulent umschlägt. Diese kriti- sche Reynoldszahl beträgt für eine Strömung durch ein Rohr etwa 1500– 2000, für angeströmte Profile (Segel, Rumpf) etwa 5·105–106. Diese unter- schiedlichen Reynoldszahlen für das Auftreten der Turbulenz sind nicht verwunderlich, da es sich um ganz verschiedene Strömungssituationen handelt und die charakteristische Länge im einen Fall der Innenradius des Rohres, im anderen Fall die Sehnenlänge des aerodynamischen Profils ist. Typische Reynoldszahlen sind 1000 für eine Honigbiene, 3400 für das Blut, das durch die menschliche Aorta strömt, und 2·109 für eine Boeing 747. Wenn wir typische Verhältnisse betrachten, mit denen wir beim Segeln konfrontiert sind, dann würde einer mittleren Windstärke von 3 Bft (siehe Anhang A2, Windstärken nach Beaufort) oder etwa 5 ms−1 (10 kn) Wind- geschwindigkeit und einer Profil-Sehnenlänge des Segels von 3 m eine Re =106 entsprechen. Im Unterwasserbereich hätte man bei einer Boots- geschwindigkeit von 3 ms−1 (6 kn) und einer Rumpflänge von 6 m eine Reynoldszahl von Re = 1,8·107. Man hat es beim Segeln daher fast immer (auch) mit turbulenter Strömung zu tun. Mit sehr kleinen Reynoldszahlen sind hingegen mikroskopische Tierchen konfrontiert, sie leben in einer besonders „zähen“ Welt, für die sie spezielle Fortbewegungsmechanismen entwickelt haben16).

3.8 Der Strömungswiderstand von Körpern

Aus dem Ansatz Gl. (3.31) und Abb. 3.4c geht hervor, dass die Druck- verteilung um einen von einer idealen Flüssigkeit umströmten Zylinder

16) Vergleiche dazu: Life at low Reynolds number (Purcell, 1977).

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(Potenzialströmung) symmetrisch ist, es wird also auf den Körper keinerlei Kraft ausgeübt. Es lässt sich sogar zeigen, dass die Resultierende der Druckkräfte auf jeden Körper, der von einer ebenen Potenzialströmung umflossen wird, null ist17). Er erfährt also weder Auftrieb noch Widerstand. Das ist gleichbedeutend mit der Aussage, dass in einer Flüssigkeit ohne innere Reibung kein Impuls auf den umströmten Körper übertragen wird. In einem Kaffee ohne innere Reibung könnten wir zwar umrühren, aber die Bewegung würde sich nicht auf die Flüssigkeit übertragen, und die Zuckerkristalle würden sich nicht vom Boden erheben. Dieser Befund steht im Gegensatz zur Erfahrung. In Wirklichkeit gibt es in jedem (von uns betrachteten) Fluid innere Reibung. Eine Schicht haftet unmittelbar am umströmten Körper, und es bildet sich eine Grenzschicht (Prandtl’sche Grenzschicht18)) mit einem starken Geschwindigkeitsgradienten normal dazu aus. Durch die innere Reibung in dieser Schicht werden Tangen- tialkräfte auf die Körperoberfläche übertragen, deren Summe nicht ver- schwindet. Dieser Anteil wird oft als Reibungswiderstand bezeichnet. Die Scherkräfte verändern auch die Geschwindigkeits- und damit die Druck- verteilung, also die Kräfte normal auf die Körperoberfläche, sodass es auch hier eine nicht verschwindende Resultierende gibt, den reibungsbedingten Druckwiderstand. Ist die Reynoldszahl klein, dann ist die Umströmung schlicht = laminar. Das bedeutet, dass die Stromlinien glatt verlaufen wie in Abb. 3.4. In einer aufwändigen Rechnung (für die auf die einschlägige Literatur der Hydrodynamik verwiesen wird z. B. Joos (1964)) kann aus einer angenäherten Lösung der Gleichung (3.35) bzw. (3.36) die berühmte Stokes’sche Widerstandsformel für eine laminar umströmte kleine Kugel vom Radius r abgeleitet werden:

D ¼ 6pZr v0, ðGleichung 3:43Þ

wobei v0 die Geschwindigkeit der Anströmung (in großer Entfernung von der Kugel) ist. Gleichung (3.43) ist charakteristisch für die Abhängigkeit des Widerstandes, der bei laminarer Strömung proportional zu Geschwin- digkeit und linearer Abmessung des Körpers ist. In Abb. 3.5 ist die reale (turbulente) Umströmung eines Zylinders als Gegensatz zur Abb. 3.4 dargestellt: Die Strömung und damit die Druckverteilung ist asymmetrisch, und die Grenzschicht löst sich hinter dem Körper unter Wirbelbildung bei

17) Sogenanntes d’Alembert’sches Parado- strömung um einen Körper mit sich xon. Man beweist das Verschwinden führt, konstant ist (siehe z. B. Hydrody- der Kräfte, indem man zeigt, dass der namik (Landau und Lifschitz, 1991). Impuls, den die stationäre Potenzial- 18) Nach dem Pionier der Strömungsforschung, Ludwig Prandtl (1875–1953).

3.8 Der Strömungswiderstand von Körpern 53 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c03.3d from 13.04.2012 15:38:55 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 3.5 Strömungsverlauf um einen Zylin- diagramm der Druckverteilung (nach C. A. der in realer (zäher) Flüssigkeit: a) Ablösung Marchaj, 1991). Der gestrichelte Kreis gibt der Strömung bei P unter Wirbelbildung das Druckniveau in der ungestörten Strö- (schematisch), b) experimentelles Strö- mung (ohne Widerstandskörper bzw. in mungsbild (nach L. Prandtl, 1961), c) Polar- unendlicher Entfernung davon) an.

der Stelle P ab. Insbesondere liegt statt eines hinteren Staupunktes eine Wirbelzone19) vor. Diese übt mit der darin herrschenden größeren Strö- mungsgeschwindigkeit eine „Saugwirkung“ aus, die wesentlich zum rei- bungsbedingten Druckwiderstand beiträgt. Bei turbulenter Strömung zeigt sich folgendes allgemeine und wohl- bekannte Widerstandsgesetz, das für makroskopische, verhältnismäßig schnell bewegte Körper wie Segelboote, Autos, Flugzeuge etc. Anwendung findet (Newton’sches Widerstandsgesetz):

1 D ¼ r v2 c A, ðGleichung 3:44Þ 2 0 D

wobei cD eine empirisch ermittelte Konstante (Widerstandsbeiwert) und A die Fläche der Projektion des angeströmten Körpers normal zur Strö- mungsrichtung ist. Hier wurde der Luftwiderstand mit der englischen Bezeichnung drag abgekürzt. Im deutschen Sprachraum ist die Bezeich-

nung cW für Luftwiderstandsbeiwert, insbesondere als Qualitätsmerkmal strömungsgünstiger Autokarosserien, geläufig. Dieser Widerstand ist also r 2 dem aus der Bernoulli-Gleichung (3.27) bekannten Staudruck ½ v0 pro-

19) Wie diese im Detail aussieht, hängt von Re = 2000 gibt es turbulentes asym- der Reynoldszahl ab. Es bildet sich zu- metrisches Ablösen von Wirbeln ab- nächst ein Paar stationärer Wirbel, die wechselnden Vorzeichens. für Re = 10 bereits ausgeprägt sind. Für

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portional. Die gleiche Formel gilt auch für den Unterwasserbereich. Refe- renzfläche muss nicht immer die in Anströmungsrichtung projizierte Fläche sein. Je nach Anwendung kann sie z. B. bei Tragflächen gleich der Tragflügel-Grundfläche sein oder beim Reibungswiderstand von Schiffs- körpern gleich der benetzten, gekrümmten Oberfläche. Der Druckanteil des Widerstandsbeiwertes hängt wesentlich davon ab, wie weit die Grenzschicht der Oberfläche des Körpers folgt, bevor sie sich ablöst. Hinter den Ablösestellen werden laufend Wirbel beiderlei Vorzei- chen gebildet, die im Kielwasser des Körpers zurückbleiben (turbulentes Totwasser, Kármán’sche Wirbelstraße20)). Da die Erzeugung dieser Wirbel Rotationsenergie kostet, trägt sie erheblich zum Widerstand bei. Der sogenannte Stromlinienkörper (torpedoförmig, mit abgerundeter Spitze und schmal auslaufendem Hinterende) zeichnet sich gerade dadurch aus, dass die Ablösung spät erfolgt und die Wirbelstraße schmal ist. Je länger der Körper, desto größer wird allerdings der Reibungswiderstand. Mög- lichst kleiner Gesamtwiderstand ist daher eine Optimierungsaufgabe, de- ren Lösung von der Reynoldszahl abhängt. Bei anliegender Strömung ist der Geschwindigkeitsgradient quer zur Strömungsrichtung in der Grenzschicht besonders groß. Das Strömungs- verhalten innerhalb dieser Schicht ist zunächst laminar, schlägt aber in turbulent um, sobald sich die Querinstabilitäten bei Erreichen der kriti- schen Reynoldszahl genügend aufgeschaukelt haben. Das bedeutet aller- dings noch nicht, dass sich die Strömung vom Körper ablösen muss. Im Gegenteil: gelingt es, die Strömung bis nach dem Umschlag in turbulenten Charakter am Körper zu halten, dann kann die Ablösung noch weiter hinausgezögert werden. Grund dafür ist der stärkere Impulsübertrag zwi- schen den turbulenten Flüssigkeitsschichten, der die höhere Geschwindig- keit der äußeren Flüssigkeitsschichten nach innen überträgt und die ermüdete Grenzschicht „auffrischt“. In Abb. 3.6 ist oben der Geschwindigkeitsverlauf in Wasser für eine turbulente Grenzschicht bei einer Strömungsgeschwindigkeit von 2 ms−1 und im gleichen Maßstab für eine laminare Grenzschicht dargestellt, unten für eine turbulente Grenzschicht in Luft bei einer Strömungsgeschwindig- keit von 7 ms−1. Die dargestellte laminare Grenzschicht ist im angegebenen Geschwindigkeits- und Ortsbereich nur etwa 2 mm dick. Im laminaren – – 2 Bereich ist das Geschwindigkeitsprofil parabolisch (v ~ v0 (d y) ), im turbulenten Bereich (Re ≈ 106) kann es zunächst mit einem Potenzgesetz (v ~ y1/7), bei höheren Reynoldszahlen (Re ≈ 107) mit einem logarithmischen Verlauf wiedergegeben werden. Die laminare Grenzschicht ist viel dünner

20) Nach Theodore von Kármán (1883–1961), Pionier der Aerodynamik und Luft- fahrtforschung.

3.8 Der Strömungswiderstand von Körpern 55 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c03.3d from 13.04.2012 15:38:56 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 3.6 Schematischer Geschwindigkeits- keitsverlauf für eine laminare Grenz- verlauf in einer turbulenten Grenzschicht schicht im gleichen Maßstab aufgetragen. a) in Wasser bei 2 ms−1, Re ffi 106 und b) in x bezeichnet den Abstand von der Vorder- Luft bei 7 ms−1, Re ffi 5.105. y ist der Abstand kante des Profils, bei dem die Grenz- von der Oberfläche des Körpers. Gestrichelt schicht gemessen wurde. (nach R. Garrett, ist in (a) zum Vergleich der Geschwindig- 1996)

als die turbulente, allerdings steigt bei der turbulenten Grenzschicht die Geschwindigkeit in unmittelbarer Nähe der Körperoberfläche viel rascher an. Grund dafür ist die Impulsübertragung quer zur Strömungsrichtung, die

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sich aus der „Querdurchmischung“ im turbulenten Zustand ergibt. Außer- halb der Grenzschicht und der Wirbelstraße lässt sich der Strömungsverlauf mit guter Näherung durch eine Potenzialströmung beschreiben. Die unter „Ebene Potenzialströmung“ für eine ideale Flüssigkeit beschriebenen Me- thoden (Abschnitt 3.4) sind daher nicht nur von rein akademischem Interes- se. Sehr aufschlussreich ist der Verlauf von Reibungs- und Druckanteil des Widerstandsbeiwertes bei der Umströmung eines Kreiszylinders (Abb. 3.7). Bei schleichender (laminarer) Strömung (entspricht der experimentel- len Situation von Abb. 3.4b) ist der Reibungswiderstand relativ bedeutend, verliert aber gegenüber dem Druckwiderstand, sobald laminare Ablösung eintritt. Wie in den schematischen, eingefügten Darstellungen zu sehen, verlagern sich oberhalb der kritischen Reynoldszahl die Ablösungspunkte infolge des nunmehr turbulenten Strömungscharakters weit nach hinten, die Breite des Totwassers (Wirbelzone) verringert sich, und der Druck- widerstand sinkt drastisch. Es kann also in einem bestimmten Bereich der Reynoldszahl vorteilhaft sein, durch Einbau künstlicher Turbulenzerreger die Grenzschicht bewusst turbulent zu halten, die Ablösung zu verzögern und dadurch den Druckwiderstand klein zu halten. Im Experiment kann die Turbulenz künstlich mit einem sog. Stolperdraht ausgelöst werden. Bei Golfbällen macht man sich diesen Effekt zunutze, indem man diese mit kleinen Grübchen versieht. Während der soeben genannte Effekt auf die Verminderung des Druckwiderstands zurückzuführen ist, steigt der Rei-

Abb. 3.7 Umströmung eines Kreiszylinders kritischen Reynoldszahl (Übergang zu tur- bei verschiedenen Reynoldszahlen (nach bulenter Strömung) an, bleibt aber ins- C. A. Marchaj, 1991): Druck- und Reibungs- gesamt noch so klein, dass er in diesem anteil am Widerstandsbeiwert. Der Beiwert Diagramm nicht mehr dargestellt ist. des Reibungswiderstandes steigt bei der

3.8 Der Strömungswiderstand von Körpern 57 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c03.3d from 13.04.2012 15:39:00 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

bungswiderstand pro Flächeneinheit grundsätzlich bei Übergang zum turbulenten Bereich stark an. In Abb. 3.8 ist der Reibungswiderstandsbeiwert ebener Platten für lami- nare und turbulente Strömung als Funktion der Reynoldszahl wiederge- geben. Je nach Oberflächenrauheit zweigen die strichlierten Kurven von der Hauptkurve für turbulente Strömung ab, die den Verlauf für eine hydrodynamisch glatte Oberfläche wiedergibt. An einem Bootsrumpf findet der Übergang laminar-turbulent bei „nor- malen“ Geschwindigkeiten relativ bald statt, so bei den zitierten 6 kn (≅ 3ms−1) Geschwindigkeit 0,4 m vom Bug entfernt. Unterhalb der turbulenten Grenzschicht bildet sich eine laminare Unterschicht aus. Eine besonders glatte Gestaltung des Bootsrumpfes ist in der Nähe des Bugs und der Eintrittskante der Kielflosse (laminare Grenzschicht) sinnvoll. Dahinter darf eine Rauheit die laminare Unterschicht nicht überragen, um keinen Einfluss auf den Reibungswiderstand zu haben. Die laminare Unterschicht wird generell mit steigender Geschwindigkeit dünner. Die turbulente Grenzschicht ebenso wie die laminare Unterschicht wachsen gegen das Bootsende hin an. Welchen Einfluss eine Oberflächenrauheit auf den Reibungswiderstand hat, hängt somit empfindlich von der Bootsgeschwin- digkeit und von der Lage der Stelle entlang dem Bootsrumpf ab. Eine

Abb. 3.8 Reibungswiderstandsbeiwert an die ganze (hydrodynamisch glatte) Ober- einer ebenen Platte gegen Re. Gestrichelt: fläche laminare bzw. turbulente Strö- Verlauf für verschiedene Rauheitshöhen k, mungsverhältnisse herrschen. (nach bezogen auf Länge der Platte L. Die beiden R. Garrett, 1996) durchgezogenen Kurven gelten, wenn über

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Abb. 3.9 Zulässige Rauheitshöhe in µm Geschwindigkeiten (nach L. Larsson und vom Bug bis zum Heck für eine klassische R. E. Eliasson, 2000). Yacht mit 7,6 m Länge bei verschiedenen

Illustration dieses qualitativen Verhaltens und einen Überblick über die zulässigen Rauigkeiten bei einer traditionellen Yacht gibt Abb. 3.9. Als ungefähre Faustregel für die zulässige Rauheitshöhe kann in SI- Einheiten auch genommen werden (Schlichting, 1968):

n kzul  100 : ðGleichung 3:45Þ v0

Dabei bedeutet v0 die Strömungsgeschwindigkeit und v die kinematische Zähigkeit. Für eine Wasserströmung gilt

½ Š 0,1 : ð : Þ kzul mm 1 Gleichung 3 46 v0½ms Š

Bei 6 kn (≈ 3ms−1) Fahrt darf man sich demnach Unebenheiten von 0,03 mm (30 mm) erlauben. Ein glatter Unterwasser-Anstrich hat etwa 0,005–0,05 mm (5–50 mm) Rauheitshöhe, eine verzinkte Blechoberfläche 0,15 mm (150 mm), eine geschliffene Holzoberfläche ca. 0,5 mm, ein mittelmäßig bewachsener Kiel ca. 5 mm (5000 mm). Für Luft mit einer etwa 14mal größeren kinematischen Zähigkeit ist auch eine 14mal größere Oberflächenrauheit erlaubt. Wird die zulässige Rauheit überschritten, dann ist der Reibungswiderstandsbeiwert über einen großen Bereich von Reynoldszahlen konstant und wird eine Funktion der relativen Rauheits-

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höhe k / L (L = Bootslänge), siehe dazu die gestrichelten Linien, die in Abb. 3.8 waagerecht von der Kurve für turbulenten Verlauf weg laufen. Streng genommen gilt der in Abb. 3.8 wiedergegebene Verlauf nur für eine ebene Platte, er wird jedoch auch für gewölbte Rumpfoberflächen verwendet, wenn es gilt, den Reibungswiderstand rechnerisch zu erfassen. Das ist dann notwendig, wenn Modellversuche nicht in Reynolds’scher Ähnlichkeit durchgeführt werden können, also wenn sie z. B. in Froude’scher Ähnlich- keit (gleiches Wellenbild, siehe Kapitel 6) gemacht werden.

Zentrale Aussagen

Für kleine Geschwindigkeiten können Wasser und Luft als inkom- pressible Fluide betrachtet werden →div v ¼ 0 (quellenfreies Feld).

Ideale Flüssigkeiten

• Dynamik einer idealen Flüssigkeit (ohne innere Reibung)→ Eu- ler’sche Gleichungen der Hydrodynamik, nichtlinearer Term in- folge substanzieller Zeitableitung! • Erhaltung der Zirkulation in mitbewegter Flüssigkeit (Satz von Thomson = Kelvin). • Typischer Wirbel: Starr rotierender Kern, außerhalb fällt Ge- schwindigkeit mit 1/r ab. divðrot vÞ¼0 → Wirbellinie kann nicht im Volumen der Flüssig- keit enden (Helmholtz). Beständigkeit von Wirbeln. Zirkulation um Wirbelröhre konstant, je enger, desto schneller muss sie sich drehen. • Energieerhaltung entlang der Stromlinie bei stationärer Strö- mung: Bernoulli-Theorem. r v2=2 þ p þ r gz¼ const: Staudruck ½rv2, kann damit Geschwindigkeit messen. • Ebene Potenzialströmung einer wirbelfreien idealen Flüssigkeit: Strömungsgeschwindigkeit als Gradient eines Potenzials F mit DF ¼ 0. Realteil und Imaginärteil analytischer Funktionen sind Lösungen für F → Methoden der komplexen Funktionentheorie. • Strömungswiderstand: in idealer Flüssigkeit nicht vorhanden (d’Alembert’sches Paradoxon).

Reale Flüssigkeiten

• Reale Flüssigkeiten: Fluide mit innerer Reibung (Zähigkeit): Ein Term kommt zu den Euler-Gleichungen dazu → Navier-Stokes-

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Gleichungen. Entscheidende Eigenschaft des Fluids: kinemati- sche Zähigkeit n ¼ Z=r. Luft ist kinematisch zäher als Wasser. • Navier-Stokes-Gleichungen: Schwierig zu lösen, daher sucht man die Analogie zu Modellversuchen aus einer Skalenrelation → Strömungsbild ist gleich, wenn Reynoldszahl Re = uL/ n gleich. • Strömungswiderstand in realen Flüssigkeiten: Zwei Anteile: – Reibungswiderstand im eigentlichen Sinn über nicht-diagonale Anteile des Spannungstensors (Kräfte parallel zur Oberfläche), – zähigkeitsbedingter Druckwiderstand über Diagonalelemente des Spannungstensors (Kräfte normal auf die Oberfläche). • Widerstand D insgesamt: – laminare Strömung: Stokes D ∝ v, l; – ∝ 2 2 r 2 turbulente Strömung: Newton D v , l (D =½ v cD A) • Kármán’sche Wirbelstraße: Wirbel mit abwechselndem Vorzei- chen lösen sich ab. • Zähigkeit wirkt sich in Prandtl’scher Grenzschicht in der Nähe des Körpers aus, außerhalb entspricht der Strömungsverlauf einer Potenzialströmung. Laminare und turbulente Grenzschicht: Tur- bulente Grenzschicht ist dicker, bringt aber Strömungsgeschwin- digkeit näher an die Oberfläche, daher spätere Ermüdung und Ablösung. Kann wegen kleinerem Druckwiderstand Vorteile brin- gen (Golfball). • Einfluss der Oberflächenrauheit auf den Reibungswiderstand: Beiwert bewegt sich auf Hauptkurve, solange zulässige Rauheits- höhe nicht überschritten wird, und zweigt ab bestimmter Rey- noldszahl in einen horizontalen Verlauf ab (Abb. 3.8).

3.8 Der Strömungswiderstand von Körpern 61 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c04.3d from 13.04.2012 15:39:33 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

4 Die Theorie des Tragflügels (Profileigenschaften)

Damit es möglich ist, (hart) am Wind zu segeln, muss das Segel, das man als Tragflügel betrachten kann, eine genügend große Kraft normal zur Anströmungsrichtung entwickeln, den Auftrieb. Wie kommt es zur Ent- stehung dieser Komponente?

4.1 Irrlehren der Auftriebsentstehung

In der Geschichte der Theorie des Segelns gab es dazu verschiedene falsche oder nur teilweise zutreffende Erklärungen (Rank, 1984). Eine klassische Irrlehre, die noch lange durch viele populäre Bücher geisterte, lautet folgendermaßen: Das Segel sei als schräg in die Strömung gestelltes Brett betrachtet. Die Luftteilchen prallen wie kleine Kügelchen darauf und übertragen ihre „Kraft“ nur normal auf die Fläche, während die Kom- ponente parallel zum Segel unwirksam ist. Vom physikalischen Standpunkt könnte man dies noch eventuell so formulieren, dass die Luftteilchen einen elastischen (oder inelastischen) Stoß mit dem Segel vollführen und dabei die zweifache (einfache) Normalkomponente ihres Impulses abgeben. Die Stoßvorstellung findet sich bereits bei Pardies (1673), die Vorstellung von der Komponentenzerlegung einer Luftkraft in Bezug auf das Segel und dann noch einmal in Bezug auf die Fahrtrichtung des Bootes ebenfalls im 17. Jahrhundert bei Sir Christopher Wren (dem Architekten der St. Pauls’s Cathedral in London), der dazu einen Demonstrationsapparat gebaut hat (Abb. 4.1): Die ursprüngliche „Windkraft“ TA kann in zwei aufeinander normal stehende Komponenten zerlegt werden, von denen die eine, , „wirkungslos am Segel vorbei streicht“, die andere, RA, wirksam wird (Abb. 4.1a). Die Kraft RA wird nun weiter zerlegt (Abb. 4.1b). Eine Komponente, SA, wird durch die Abdrift verhindernde Zwangsbedingungen, in Wrens Demonstrationsapparat eine mechanische Führung, neutralisiert, die zwei- te, FA, wird schlussendlich für den Antrieb genützt. Sie ermöglicht ein Aufkreuzen gegen den Wind.

Physik des Segelns: Wie Segeln wirklich funktioniert, 1. Auflage. Wolfgang Püschl. 63 © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2012 by Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c04.3d from 13.04.2012 15:39:33 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 4.1 Christopher Wrens Demonstrati- tenzerlegung der Windkräfte. a) Zerlegung onsversuch (17. Jahrhundert, wiederge- der primären Windkraft, b) weitere Zerle- geben von L. Rank, 1984) mit Komponen- gung der wirksamen Normalkomponente.

Diese Vorstellungen, Übertragung von Impulskomponenten der Luft- teilchen bei Stoßvorgängen bzw. Komponentenzerlegung von Kräften (die der Übertragung von Impuls pro Zeiteinheit entsprechen) sind in dieser einfachen Weise jedoch nicht zutreffend. Der Mechanismus der Kraftent- stehung am Segel könnte eventuell so verlaufen, wenn sich das Boot in einem extrem verdünnten Gas (etwa unter Weltraumbedingungen) be- wegte und nur hie und da ein Gasmolekül vorbei käme. In Wirklichkeit stehen die Luftteilchen auch miteinander in ständiger Wechselwirkung, sodass sich Druck und Reibungskräfte fortpflanzen. Die Luft ist somit ein kontinuierliches Fluid, das das Segel in komplizierter Weise umströmt. Insbesondere kommt es auch darauf an, wie die Strömung im Lee des Segels verläuft. Wir werden noch sehen, dass gerade dort der Großteil des Auftriebs entsteht. Das Problem muss daher im Rahmen der Strömungs- lehre behandelt werden. Eine viel gebrauchte Erklärung der Auftriebsentstehung, die sich auf die Strömungslehre beruft, argumentiert folgendermaßen: Ein Tragflügel ist oben (in Lee) stärker gewölbt als unten (in Luv), die Flüssigkeit muss daher oben schneller strömen als unten, damit sie sich am Ende des Flügels wieder vereinigen kann. Wenngleich der Auftrieb tatsächlich dadurch entsteht, dass die Strömung an der Oberseite (Leeseite) des Tragflügels (Segels) schneller ist und daher dort nach dem Bernoulli-Theorem geringe- rer Druck herrscht, ist die Begründung falsch. Es gibt keinen Lehrsatz, der fordert, dass zwei Flüssigkeitsteilchen, die sich vor der Tragfläche neben- einander in benachbarten Stromlinien befinden, die dann auf verschiede- nen Seiten der Tragfläche verlaufen, gleichzeitig am Ende der Tragfläche ankommen. Typischerweise kommen an einer Auftrieb erzeugenden Trag- fläche Flüssigkeitsteilchen in der Strömung auf der Oberseite viel früher an

64 4 Die Theorie des Tragflügels (Profileigenschaften) Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c04.3d from 13.04.2012 15:39:34 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

der Hinterkante an. Außerdem kann dieser Ansatz nicht die Tatsache erklären, dass auch ein symmetrisches Profil Auftrieb liefert, wenn es mit einem Anstellwinkel in die Strömung gestellt wird, oder eine dünne Platte, denn hier sollten ja die Wege gleich groß sein.

4.2 Wie entsteht der Auftrieb wirklich?

Experimentell wird bei (symmetrischen und asymmetrischen) Tragflä- chenprofilen beobachtet, dass sich bei geeigneten Anstellwinkeln die Stromlinien an der Hinterkante des Profils wieder parallel zusammenfü- gen und die Strömung dort mehr oder weniger glatt abfließt, allerdings nach verschiedenen Laufzeiten entlang dem Profil (Kutta’sche Abflussbedin- gung). Zwischen den wieder zusammen geführten Stromlinien gibt es eine schmale Wirbelzone, auch turbulentes Totwasser oder Nachlauf genannt. Von einer idealen Flüssigkeit würde ein Tragflügelprofil allerdings so umströmt werden, wie es in Abb. 4.2a dargestellt ist. Fügt man aber zu dieser Strömung noch eine passende Zirkulation rund um den Tragflügel hinzu (Abb. 4.2b), dann bekommt man eine Strömung, die dem tatsächlich beobachteten Verlauf entspricht (Abb. 4.2c). Ist aus welchem Grund auch immer eine Zirkulation um die Tragfläche vorhanden, dann führt sie zu einem Auftrieb, denn die Strömungsgeschwindigkeit an der Oberseite des Profils ist erhöht (kleinerer Abstand der Stromlinien). Nach dem Bernoulli- Theorem führt dies zu einem verringerten Druck. An der Unterseite des Profils verringert sich durch die Zirkulation hingegen die Geschwindigkeit

Abb. 4.2 Umströmung eines Tragflügels einer realen Flüssigkeit, nachdem eine (hier: gewölbte Platte, entspricht einem Se- Zirkulation hinzu gekommen ist, mit der gel) a) durch eine ideale Flüssigkeit und in die Kutta’sche Abflussbedingung erfüllt

der Anfangsphase durch eine reale Flüssig- wird. SP1 und SP2 sind der vordere und keit, b) Hinzufügen einer Zirkulation c) in hintere Staupunkt.

4.2 Wie entsteht der Auftrieb wirklich? 65 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c04.3d from 13.04.2012 15:39:35 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

(größerer Abstand der Stromlinien), und der Druck wird erhöht. An dieser Druckdifferenz hat allerdings der Unterdruck an der Tragflächenoberseite in der Regel den wesentlich größeren Anteil, wie aus der Druckverteilung am Tragflügel (Abb. 4.8) ersichtlich ist. Mit den erwähnten Methoden aus der komplexen Funktionentheorie kann man den Auftrieb berechnen, der auf Grund einer solchen Zirkulati- onsströmung entsteht (siehe Anhang A5). Das Ergebnis ist die Auftriebs- formel von Kutta-Joukowski (N. E. Joukowski, 1906).

L ¼r v G: ðGleichung 4:1Þ b 0

Das Vorzeichen hat mit Orientierungskonventionen zu tun und bedeutet, dass der Auftrieb positiv ist, also nach oben zeigt, wenn die Anströmung in positiver x-Richtung erfolgt und die Zirkulation (wie in unserer Abbildung) im Uhrzeigersinn, also in mathematisch negativer Richtung, läuft. Der Auftrieb pro Spannweite b des Tragflügels ist gleich der Dichte des G Mediums mal der Anströmgeschwindigkeit v0 mal der Zirkulation und ist ansonsten unabhängig von der Form des Profils. Wie kommt es aber überhaupt zu einer Zirkulation? Ist der angeströmte Körper ein Zylinder, dann lässt sich eine Zirkulation relativ leicht erzeugen, indem man den Zylinder rotieren lässt. Der entstehende Auftrieb normal zur Anströmungsrichtung ist als Magnus-Effekt bekannt. Bei Golf- und Tennisbällen mit „Spin“ lassen sich auf diese Weise im Ballsport Quer- kräfte erzeugen, die außer der Wechselwirkung beim Aufprall mit dem Boden auch die Luftbahn verändern (Effet). Das Stromlinienbild eines rotierenden Zylinders ist in Abb. 4.3 wiedergegeben, in Abb. 4.3a aus der

Abb. 4.3 Stromlinienbild eines rotierenden und SP2: Staupunkte. Der Auftrieb ist nach Zylinders (Flettner-Rotor) a) von der Nähe oben gerichtet (berechnete Stromlinien für gesehen, b) aus größerer Entfernung. SP1 idealisierten, laminaren Verlauf).

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Abb. 4.4 a) Mit Flettner-Rotoren ausgerüs- experimentelle Besegelung auf einer Fahr- teter Frachter „E-Ship 1“ (Foto: Wikimedia tenyacht auf dem Mondsee, Oberöster- Commons, Carschten) b) Flettner-Rotor als reich (Foto: Autor).

Nähe, in Abb. 4.3b aus größerer Entfernung1). Man erkennt die weiträu- mige Umlenkung der Luftströmung. Vor einem Körper, der mittels gebun- dener Zirkulation Auftrieb erzeugt, kommt es zu einem Aufwind (für den Segler fällt dort der Wind weniger spitz von vorne ein), dahinter zu einem Abwind (der Wind fällt spitzer von vorne ein). Mit einem rotierenden Zylinder lässt sich durchaus ein Segelschiff betreiben. Versuche dazu wurden von A. Flettner 1925/26 durchgeführt. Das mit zwei Rotoren ausgerüstete Schiff „Buckau“ überquerte damit 1925 erfolgreich den Atlantik. Zu einer weitergehenden kommerziellen Verwer- tung dieses Antriebs kam es damals jedoch nicht. Dabei weisen Flettner- Rotoren gegenüber herkömmlichen Segeln einige Vorteile auf. Einer davon ist die leichte Beherrschbarkeit der Windkraft durch Wahl einer entspre- chenden Umdrehungszahl. Weiters ist der Auftrieb proportional zur Wind- geschwindigkeit und nicht zum Quadrat der Windgeschwindigkeit wie bei normalen Segelschiffen. Dadurch werden gefährliche Windspitzen besser toleriert. Die Wirksamkeit pro Flächeneinheit ist wesentlich größer als bei einer klassischen Besegelung. In jüngster Zeit wurde das Prinzip wieder aufgenommen. Abb. 4.4 zeigt den mit vier Flettner-Rotoren ausgerüsteten Frachter „E-Ship 1“ 2010 im Hafen von Emden, sowie eine mit Flettner- Rotor ausgerüstete Segelyacht. Da die Stromlinien einer Potenzialströmung v = ∇j als Äquipotenzial- linien c = const. dargestellt werden können (siehe Kapitel 3.4, ebene

1) Dieses Bild gilt allerdings nur idealisiert für schleichende Strömung. Bei realen Verhältnissen bildet sich bei SP2 eine Wirbelstraße.

4.2 Wie entsteht der Auftrieb wirklich? 67 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c04.3d from 13.04.2012 15:39:38 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 4.5 Bestimmung der Stromlinien mit einem elektrostatischen Analogon (elektroly- tischer Trog) (R. Garrett, 1996).

Potenzialströmung), ist es möglich, sie experimentell mit einem elektrolyti- schen Trog zu ermitteln. Die Anordnung ist in der Abb. 4.5 dargstellt. Zwischen zwei Leiterplatten wird ein Potenzialunterschied gelegt, dazwi- schen befindet sich eine elektrisch leitende Flüssigkeit oder auch leitendes Kohlepapier. Die Äquipotenziallinien, die mit einem Spannungsmessgerät als Sonde ausgemessen werden können, stellen die Stromlinien dar. Ver- bindet man den Stromlinienkörper mit einem geeigneten Potenzial, dann kann man erreichen, dass die Kutta’sche Abflussbedingung erfüllt ist. Der über diese Verbindung abfließende elektrische Strom ist dann gerade der Zirkulation um das Profil proportional, die dazu dient, die Abflussbedin- gung zu erfüllen (Abb. 4.5). Grundsätzlich ist die Erklärung des Auftriebs aus der höheren Luft- geschwindigkeit an der Oberseite des Tragflügels, die sich aus der Zirkula- tion ergibt, richtig, denn die Kutta-Joukowski-Formel beschreibt genau diesen Effekt. Die Frage ist nur: Wie kommt es zur Entstehung der Zirkulation bei einem normalen Segel (gewölbte Platte) oder einem trop- fenförmigen Tragflächenprofil? Bringt man den Körper in die glatte Strö- mung ein (äquivalent dazu: setzt sich ein Körper in einem ruhenden Medium in Bewegung), dann versucht das Fluid die Hinterkante des Profils zu umströmen, das die Strömung teilt und damit eine hydrodyna- mische Trennfläche darstellt. Dabei haften in der zähen Flüssigkeit die inneren Schichten am Körper, während die äußeren ihre Bewegungsrich- tung entlang einer Bahn mit sehr kleinem Krümmungsradius ändern2). Dadurch wird ein ausgeprägter Wirbel erzeugt, der Anfahrwirbel (Abb. 4.6). Da die gesamte Zirkulation um das Gebiet erhalten bleiben muss (Thom- son-Gleichung Gl. (3.20)), wird im Gegensinn eine Zirkulation um den

2) Der Vorgang ähnelt grob dem Schleudern eines Autos, wenn man in einer engen Kurve die Handbremse zieht.

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Abb. 4.6 Entstehung der Zirkulation durch kulation um den Tragflügel. Zwischen Flü- die Bildung des Anfahrwirbels. a) zu Beginn gelende und Anfahrwirbel Straße kleinerer der Strömung: Umströmung des Endes Wirbel, welche die Feineinstellung der Zir- ähnlich wie bei einer Potenzialströmung, kulation bewirken (unter Verwendung von b) der Anfahrwirbel entsteht, c) der Anfahr- Strömungsaufnahmen von L. Prandtl, wirbel ist abgegangen, es besteht eine Zir- 1961)

Tragflügel erzeugt. Infolge von Trägheitseffekten und durch die Wirkung des vorbeiströmenden Fluids wird der Anfahrwirbel von der Strömung fortgespült, während die Zirkulation um den Tragflügel ortsfest bleibt (gebundene Zirkulation) und nach der Kutta-Joukowski-Formel Auftrieb erzeugt. Die Zirkulation wird dabei vom System durch eventuelles Abge- hen weiterer kleiner Wirbel laufend fein eingestellt, sodass die Kutta’sche Abflussbedingung stets erfüllt ist. Jede kleine Abweichung von dieser Bedingung führt sofort wieder zu einem ansatzweisen Umströmen der Tragflächenhinterkante und zur Wirbelbildung. Der gesamte Vorgang ist in der folgenden Abb. 4.6 durch Experimente illustriert. Wir sehen also, dass die „böse“ Reibung, welche einerseits den Widerstand verursacht, andererseits dadurch, dass sie die Bildung von Wirbeln veranlasst, zur

4.2 Wie entsteht der Auftrieb wirklich? 69 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c04.3d from 13.04.2012 15:39:41 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Zirkulation und damit zum „guten“ Auftrieb führt3). Wir erinnern uns daran, dass in einer idealen (reibungsfreien) Flüssigkeit bei einer rotations- freien Potenzialströmung auf einen umströmten Körper überhaupt keine Kraft ausgeübt wird, weder Widerstand noch Auftrieb. Die Stromlinienbilder in Abb. 4.6a und 4.6c sehen qualitativ verschieden aus, da in Abb. 4.6a die Kamera relativ zum bewegten Körper ruht, während sie in Abb. 4.6c relativ zur Flüssigkeit ruht. Ein Tragflügel, um den sich eine Auftrieb erzeugende Zirkulation gebildet hat, lenkt die Luftströmung weiträumig ab. Analog zur Situation des rotierenden Zylinders (Abb. 4.3) tritt vor dem Tragflügel ein Aufwind auf (engl. upwash, Ablenkung der Luftströmung nach Lee), dahinter ein Abwind (engl. downwash, Ablenkung der Luftströmung nach Luv) auf. Dieser Einfluss erstreckt sich auf ein relativ großes Gebiet rund um die umströmte Tragfläche. Die Zirkulation, die sich nach der Kutta’schen Abflussbedingung ergibt, erzeugt also eine zusätzliche Geschwindigkeitskomponente, die bewirkt, dass die Stromlinien am Profilende (Flügelhinterkante) parallel verlaufen, mit einer Wirbelfläche dazwischen. Grundsätzlich darf man sich die Zirku- lation nicht so vorstellen, dass tatsächlich die Strömung rund um das Profil läuft. Es handelt sich nur um eine zusätzliche Tendenz, welche die vor- handene, allgemeine Strömung modifiziert. Es erhebt sich nun die grund- sätzliche Frage, wie die sich einstellende Zirkulation von den Profileigen- schaften und dem Anstellwinkel abhängt. Für bestimmte, ausgesuchte Profilformen lässt sich diese Frage klären, indem man einen gegen den Ursprung verschobenen Kreis mithilfe einer konformen Abbildung (mittels einer analytischen komplexwertigen Funktion) auf das Tragflächenprofil projiziert (Joukowski-Transformation) und die Bedingung des glatten Strö- mungsabflusses an der Profilhinterkante anwendet. Ohne diese Rechnung durchführen zu wollen, für die wir auf die einschlägige Literatur verweisen (z. B. Hughes und Brighton, 1967), stellen wir hier nur fest, dass die Zirkulation bei anliegender Strömung der Profilsehnenlänge c, dem An-

3) Die Wirbelbildung an der Hinterkante hen kann, wenn man einen Körper in des Tragflügelprofils erfolgt nicht „aus eine vollkommen wirbelfreie (rot v =0) dem Nichts“, da im zähen Medium Strömung einbringt. In diesem Fall auch einer laminaren Grenzschicht eine werden aber nicht-konservative Kräfte Rotation (rot v) innewohnt. Diese wird (außer der inneren Reibung) auf die dann gewissermaßen zu einem Wirbel Flüssigkeit ausgeübt, sodass die Vo- aufgerollt, etwa wie man ein dünnes raussetzungen für die Gln. (3.36) bzw. Vlies, das an der Unterlage haftet, durch (3.37) nicht mehr gelten. Ein krasses heftiges Reiben zusammenrollt. Des- Beispiel der Erzeugung von Rotation halb wird auch Gl. (3.37) nicht verletzt, bzw. Turbulenz durch Einwirkung die ja besagt, dass die Rotation stets 0 nicht-konservativer Randbedingungen bleiben muss, wenn die Strömung völ- wäre das „Umrühren“ in einer Flüssig- lig rotationsfrei ist. Die Frage ist dann keit. nur noch, wie die Grenzschicht entste-

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a stellwinkel und der Anströmgeschwindigkeit v0 proportional ist. Tatsäch- lich ist es vernünftig, dass die Zirkulation eine monoton wachsende Funktion all dieser Einflussgrößen ist, denn sie muss ja eine Abweichung von der Kutta’schen Abflussbedingung gewissermaßen „nachkorrigieren“. Trivialerweise ist der gesamte Auftrieb der Länge des Tragflügels propor- tional. Damit ergibt sich ein prinzipieller Zusammenhang, wie er auch beim Newton’schen Widerstandsgesetz (Gl. (3.44)) zu finden ist:

1 L ¼ r v2 c A.4) ðGleichung 4:2Þ 2 0 L

Dabei kann man den Auftriebsbeiwert für symmetrische Flügelprofile mit guter Näherung durch die Beziehung  t c ¼ 2 pa 1 þ ðGleichung 4:3Þ L c

mit a im Bogenmaß angeben, wobei t die Profildicke und c die Sehnenlänge ist. Sehen wir einmal vom Einfluss der Profildicke ab, so lässt sich aus Gl. (4.3) eine einfache Faustregel ableiten, indem wir den Winkel a nicht im

Bogenmaß, sondern im Gradmaß darstellen: der Auftriebsbeiwert cL wächst pro Grad Anstellwinkel um 0,11 an. Dieser lineare Zusammenhang wird von realen Tragflächen erstaunlich genau befolgt (siehe Abb. 4.10). Die Eigen- schaften eines Tragflügels unter bestimmten Verhältnissen lassen sich somit

dimensionslos durch die beiden Koeffizienten cL (Auftriebsbeiwert) und cD (Widerstandsbeiwert) beschreiben. Was macht nun ein gutes Profil aus? Um ein möglichst wirksames Segel (eine möglichst wirksame Form der Kiel- flosse) zu besitzen, ist man an folgenden Eigenschaften interessiert: 1. Viel

Auftrieb bei gegebener Anströmungsgeschwindigkeit, also großes cL,2. hohes Verhältnis L/D = cL/cD von Auftrieb zu Widerstand, gleichbedeutend mit möglichst kleinem aerodynamischem (hydrodynamischem) Gleitwinkel, 3. Ablösen der Strömung an der Oberseite (Leeseite) erst bei möglichst großen Anstellwinkeln, was zum Teil mit der Forderung großer Auftriebs- beiwerte konform geht. Der gesamte Vorgang der Bildung eines Anfahrwirbels und des Aufbaus der Zirkulation benötigt eine gewisse Zeit. Als Regel kann gelten, dass 90 % des stationären Wertes des Auftriebs erreicht sind, wenn der Flügel sechs Flügelbreiten (Sehnenlängen des Profils) zurückgelegt hat, was nach H. Wagner Wagner-Effekt genannt wird. In Abb. 4.7 ist das Anwachsen des Auftriebs und der Zirkulation nach der Theorie von H. Wagner und des

4) Bei Auftriebskörpern ist es üblich, auf die Grundfläche und nicht auf die normal zur Anströmrichtung projizierte Fläche zu beziehen.

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Abb. 4.7 Anwachsen von Auftrieb L und RAF 30-Flügelprofil mit 7,5° Anstellwinkel Zirkulation G auf die jeweiligen Endwerte (nach C. A. Marchaj, 1991). nach Wagner. Experimentelle Daten für ein

Auftriebs nach einer Messung an einem Flügelprofil aufgetragen. Die Hälfte des Auftriebs ist sofort verfügbar, was einem anfänglichen Impuls- übertrag zuzuschreiben ist. Das zeitliche Verhalten bei der Einstellung der „richtigen“ Zirkulation nach der Kutta’schen Abflussbedingung ist nicht nur beim Anfahren von Geschwindigkeit null weg von Bedeutung, sondern nach jeder Änderung von Anstellwinkel oder Geschwindigkeit. Dann muss stets in einem nicht- stationären Übergang die Zirkulation auf den neuen stationären Wert gebracht werden, indem Wirbel des einen oder anderen Vorzeichens im Kielwasser zurückgelassen werden. Dieser Effekt muss etwa beim Ruder- legen berücksichtigt werden: Die volle Ruderwirkung setzt erst mit einem gewissen Zeitverzug ein. Dabei gilt: Je geringer die Profilsehnenlänge, desto schneller wird die neue Zirkulation eingestellt und der Auftrieb aufgebaut. Möchte man schnelles Ansprechen z. B. bei einem Ruder, dann sollte man also ein (von der Seite gesehen) schmales Profil wählen. Umgekehrt führt ein besonders schmales Kielprofil bei modernen Hoch- leistungsyachten zu einer gewissen „Nervosität“, weil sich bei Änderung der Anströmungsverhältnisse die hydrodynamische Seitenkraft sofort mit ändert. Die klassische Yacht mit langer Kielflosse zeigt sich dagegen kurs- stabil, weil die Zirkulation ein gewisses Beharrungsvermögen aufweist.

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4.3 Druckverteilung am Tragflügel

Im Folgenden wollen wir uns mit einigen Details der Strömung am Tragflügel beschäftigen, woraus dann wichtige Konsequenzen für die Leis- tungsfähigkeit eines Segelschiffes folgen. Die Abb. 4.8a zeigt die Druck- kräfte an einem typischen Tragflügelprofil als Vektoren. Durch die starke Beschleunigung entlang der Stromlinien an der Oberseite (Leeseite) ist der Unterdruck dort besonders ausgeprägt und beträgt typischerweise ein Mehrfaches des Überdrucks an der Unterseite (Luvseite), eine weithin bekannte Tatsache.5) Bei einer gewölbten Platte fällt der Unterdruck in Lee nicht so extrem aus, ist aber dennoch dem Betrag nach größer als der Überdruck in Luv. Man vergleiche die Druckkurven Abb. 4.14 für ein „realistisches“ Segel (gewölbtes Plattenprofil incl. Störung durch den Mast, an dem es befestigt ist). Setzen wir ein symmetrisches Profil voraus, dann ist bei Anstellwinkel null auch der Auftrieb null. In der Nähe der Profilhinterkante kommt es zur Ablösung von Wirbeln beiderlei Vorzeichens, die im Kielwasser eine Kármán’sche Wirbelstraße bilden und zum Widerstand beitragen (Abb. 4.9a). Erhöhen wir den Anstellwinkel a, so wird mit zunehmendem a immer mehr Zirkulation und damit Auftrieb ausgebildet. Die Druckdifferenz zwischen der Lee- und Luvseite nimmt dementsprechend zu. Sie erreicht ein Maximum bei einem bestimmten Grenzwinkel. Danach bricht der Auftrieb zusammen. Grund dafür ist, dass die Strömung nicht mehr dem Profil folgt, sondern abreißt (Abb. 4.9b). Dieser Strömungsabriss (engl. stalling) ist besonders in der Fliegerei gefürchtet, wo er zum Absturz führen kann. Die Konsequenz beim Segeln ist nur, vom Konkurrenten überholt zu werden. Bei welchem Winkel die

5) Bei Umströmung durch eine Flüssig- Wechselbelastung (Vibrationen) und keit ist der Druck allerdings durch das Erosion der Oberfläche des umström- Phänomen der Kavitation begrenzt. Es ten Körpers. Das geschilderte Phäno- handelt sich um das Entstehen von men stellt ein praktisches Problem bei Dampfblasen, sobald der Druck in der Schiffspropellern dar. Die bei der Um- Flüssigkeit unter den Gleichgewichts- strömung von Segelschiffrümpfen auf- Dampfdruck bei der herrschenden tretenden (im Ruhesystem des Wassers Temperatur absinkt. Die entstehende gemessenen!) Geschwindigkeiten sind Gasphase (Wasserdampf) kann im Ge- jedoch zu gering, um Kavitation hervor- gensatz zur Flüssigkeit relativ leicht ex- zurufen. Ein reales Problem bei Segel- pandieren, was zu einem Druckaus- yachten stellt jedoch das Ansaugen von gleich und Anstieg des Drucks führt. Es Luft von der Wasseroberfläche dar, etwa strömt Flüssigkeit nach, sodass sich der bei (Steuer-) Rudern. Diese uner- Unterdruck wieder aufbauen kann. Die wünschte Querströmung kann durch wiederholten Druckschwankungen Anbringen von hydrodynamischen Zäu- durch Bildung und Verschwinden von nen, das sind seitlich angebrachte hori- Dampfblasen führen zur mechanischen zontale Platten, verhindert werden.

4.3 Druckverteilung am Tragflügel 73 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c04.3d from 13.04.2012 15:39:43 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 4.8 Druckverteilung an einem Tragflü- gegeben. In a) sind die Druckkraftvektoren gel (schematisch). Über- und Unterdruck eingezeichnet, in b) nur die Absolut- sind in Einheiten des Staudrucks rv2/2 an- beträge angegeben.

Strömung abreißt, hängt wesentlich davon ab, wie rund die Nase des Profils ist. Bei Profilen mit schärferer Nase tritt naheliegender Weise Strömungsablösung früher auf, wie aus den experimentellen Kurven der Abb. 4.10 hervor geht. Je nach Verwendungsart wird man sich für verschiedene Profile ent- scheiden. Eine Kielflosse wird in der Regel nur unter einem kleinen Anstellwinkel von ≤ 5° angeströmt. Hier ist es wesentlich, guten Auftrieb bei möglichst kleinem Widerstand zu haben, wobei die erste Forderung bei hohen Windstärken und Bootsgeschwindigkeiten in den Vordergrund tritt.

Abb. 4.9 a) symmetrische Strömung (a = 0°), b) Abreißen der Strömung (a = 20°) (C. A. Marchaj, 1991).

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Abb. 4.10 Lineares Anwachsen des Auf- Committee on Aeronautics zusammen- triebs mit dem Anstellwinkel für verschie- gestellt wurden (nach C. A. Marchaj, dene Profile. Die Kürzel beziehen sich auf 1991). Profilfamilien, die vom National Advisory

Also ist ein schlankes Profil mit vergleichsweise kleinem Nasenradius angezeigt. Bei einem Ruder hingegen soll die Strömung auch bei etwas größeren Anstellwinkeln (Ruderausschlägen) nicht abreißen, um im Not- fall ausreichend Ruderwirkung zu haben. Dort empfiehlt sich ein etwas dickeres Profil mit größerem Nasenradius.

4.4 Ablösungsverhalten und Wirbelbildung an Tragflügelprofilen

Die Strömung auf der Profiloberseite (Leeseite) wird bis zum Unter- druckmaximum beschleunigt, danach verzögert. Durch die Reibung an der Oberfläche des umströmten Körpers „ermüdet“ die Strömung zuse- hends, bis sie schließlich in Körpernähe ihre Richtung umdreht, wodurch die Entstehung eines Wirbels eingeleitet wird und sich schließlich die Strömung ablöst (Abb. 4.11). Es ist im Prinzip möglich, diese Rückwärtsbewegung der Strömung aufzufangen und dadurch frühzeitige Strömungsablösung hintanzuhalten.

4.4 Ablösungsverhalten und Wirbelbildung an Tragflügelprofilen 75 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c04.3d from 13.04.2012 15:39:48 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 4.11 Ermüdung der Grenzschicht mit Strömungsumkehr und Ablösung unter Wirbelbildung (nach Fuchs und Hopf, 1922).

Vögel können dazu einzelne Deckfedern aufstellen. In der Fliegerei erfül- len Rückstromklappen in der Nähe der Flügel-Hinterkante die gleiche Funk- tion. Wir erinnern uns daran, dass turbulente Grenzschichten durch den Impulstransport quer zur Strömungsrichtung eine höhere Strömungs- geschwindigkeit ganz nahe am Körper aufweisen und daher nicht so rasch zum Ermüden neigen wie laminare Grenzschichten. Je nach Profilform, Reynoldszahl und Anstellwinkel kann das Ablöseverhalten eine Reihe verschiedener Varianten aufweisen. Bei dickeren Profilen mit abgerundeter Nase neigt die Strömung zum Umschlag in den turbulenten Charakter, bevor sie sich ablöst. Bei dünnen, gewölbten Plattenprofilen, wie sie her- kömmliche Segel aufweisen, kommt es oft nach Ablösung der laminaren Grenzschicht zu einem Wiederanlegen unter Bildung einer Ablösungsblase, bis sich die in turbulentes Verhalten umgeschlagene Grenzschicht in der Nähe der Profilhinterkante erneut ablöst. Um den Widerstand möglichst klein und den Auftrieb groß zu halten, ist man natürlich bemüht, den Punkt der Strömungsablösung so weit wie möglich an die Profilhinterkante zu verlegen, was durch Wahl eines günstigen Anstellwinkels (Segelstel- lung), Profilform (Kielflosse, Segelform und ‐trimm) und Verringerung von Störeinflüssen (Mast, stehendes Gut) erzielt werden kann. Nachdem wir hier asymmetrische und symmetrische Tragflügelprofile betrachtet haben, erhebt sich die Frage, wie die bei einem Segelboot tatsäch- lich auftretenden Profile beschaffen sind. Während ein symmetrisches Strom- linienprofil bei der Kielflosse einer Kielyacht und bei modernen Jollen gut zu erzielen ist (die gerade Platte älterer Jollen ist nicht so günstig, da sie stark zur Wirbelbildung neigt), ist das Segel typischerweise als gewölbte Platte anzuse- hen. Das Strömungsverhalten einer dünnen, gewölbten Platte ist gekenn- zeichnet von einem sehr schmalen Bereich von Anstellwinkeln, bei denen keine Strömungsablösung stattfindet. Der günstigste Winkel ist dabei derje- nige, bei dem die Strömung etwa tangential zur Vorderkante des Segels

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einfällt (stoßfreier Eintritt), was der Segler am parallelen Anliegen von Wind- fäden, auch Spione genannt (engl. telltales) feststellen kann, die in der Nähe der Vorderkante an der Luv- und Leeseite des Segels befestigt sind. Bei größeren Anstellwinkeln tritt ein Bereich abgelöster Strömung auf, wobei sich die Strömung hinter einer Ablösungsblase wieder anlegt, vorausgesetzt, dass ein kritischer Anstellwinkel nicht überschritten wird. Ist dem Segel ein Profilvor- stag vorgelagert, dann ist vollständige Ablösung der Strömung nicht mehr so leicht möglich, und die Eigenschaften des Profils verbessern sich. Wenn der Anstellwinkel vergrößert wird, dann bedeckt die Ablösungsblase einen immer größeren Teil der Profillänge, bis sie das Profil schließlich ganz überdeckt und der maximale Auftrieb erreicht ist. Die Dicke der Blase beträgt in einem typischen Versuch dann etwa 3 % der Profillänge (C. A. Marchaj, 1991). Der Mast als Störeinfluss vor dem Großsegel wirkt sich so aus, dass es an seinen relativ starken Krümmungen besonders leicht zu Strömungsablösung kom- men kann. Je nach Mastform kann dies sowohl an der Luv- als auch an der Leeseite zur Bildung von Ablösungsblasen führen (Abb. 4.12a). Das traditio- nelle Gaffelsegel einer Rennjolle wird an einer schraubenförmig verlaufenden Leine (Reihleine) am Mast gehalten und rutscht an dieser idealerweise an die jeweilige Leeseite des kreisrunden Mastprofils, sodass wenigstens dort ein glatter Strömungsabfluss gewährleistet ist (Abb. 4.12b). Der Störeinfluss des Mastes führt zu einem typischen, wellenförmigen Verlauf der Druckverteilung, weil in der Ablösungsblase die Strömung umge- kehrt bzw. stark verlangsamt verläuft. Dies wurde bereits sehr früh experi- mentell verifiziert. In den Abb. 4.13 und 4.14 sind die berühmten Druck- messversuche von Warner und Ober (1925) am Großsegel der Yacht

Abb. 4.12 Störung durch den Mast: a) üb- fahren wird, b) älteres Gaffelsegel, das an liches Segel, das in Schiene oder Nut (Keep) einer Reihleine an die Leeseite des kreis- an einem tropfenförmigen Mastprofil ge- runden Mastes rutscht.

4.4 Ablösungsverhalten und Wirbelbildung an Tragflügelprofilen 77 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c04.3d from 13.04.2012 15:39:51 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 4.13 Druckmessschläuche im Segel der Yacht „Papoose“ (Warner und Ober, 1925).

„Papoose“ wiedergegeben (Warner und Ober, 1925). Dazu wurde das Segel nach dem in Abb. 4.13 dargestellten Schema mit Druckschläuchen versehen. Eine ähnliche Druckverteilung kann auch an dünnen Plattenprofilen fest- gestellt werden.

Abb. 4.14 Messung der Druckverteilung an einem Großsegel (Warner und Ober, 1925).

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Abb. 4.15 Profilmast auf einer 20 m²-Rennjolle (Konstruktion Brenneis, Wörther See ca. 1930, Nachlass Breuneis, Sammlung W. Püschl).

Zu beachten ist, dass die Messungen der Abb. 4.14 alternativ mit und ohne Segellatten gemacht wurden, wobei sich die Achterkante ohne Latten nach innen rollte, was den relativ großen Überdruck in Luv erklärt. Die Bemühungen, das Segel einem Tragflügelprofil anzunähern und dabei die störende Wirkung des Mastes zu verringern, sind zahlreich. Die erfolgreichsten sind drehbare Profilmasten, die bereits einen Teil des Segelprofils darstellen (vor allem große Rennkatamarane, wie sie in jüngs- ter Vergangenheit im America’s Cup eingesetzt werden. Beachte auch das Versuchsrigg auf einer 20 m²-Rennjolle aus den 1930er Jahren – Abb. 4.15), und Segel, die sackförmig ausgeführt sind und in die der Mast eingeführt wird (Laser-Klasse, Windsurfer). Versuche wurden auch mit Schaumstoff gefütterten Segeln gemacht.

4.4 Ablösungsverhalten und Wirbelbildung an Tragflügelprofilen 79 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c04.3d from 13.04.2012 15:39:54 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

4.5 Gewölbte Platte verglichen mit dickem Flügelprofil

Die Frage stellt sich nun: Ist ein Flügelprofil einer gewölbten Platte tatsächlich überlegen? Um diese Frage zu beantworten, wurde eine ge- wölbte Platte hinsichtlich ihres Auftriebs- und Widerstandsbeiwertes un- tersucht und mit einem Flügelprofil verglichen (Abb. 4.16). Die gewölbte Platte zeigt durchwegs höhere Auftriebsbeiwerte, aber auch höhere Wider- standsbeiwerte. Die Ursache für diesen höheren Widerstand stellt die Ablösungsblase mit dem darin befindlichen Wirbel dar, in dessen Auf- rechterhaltung die Strömung dauernd zusätzliche Energie investieren muss. Das Verhältnis Auftrieb zu Widerstand L / D (oder äquivalent dazu

cL /cD) ist in einem gewissen Bereich für das Flügelprofil wesentlich größer. Das bedeutet einen kleineren aerodynamischen Gleitwinkel und damit die Fähigkeit, höher am Wind zu segeln. Im Vergleich dicker und dünner Profile ist jedoch stets die Abhängigkeit von der Reynoldszahl im Auge zu behalten, also von der Größe des betrachteten Segels und von der Windgeschwindigkeit. Dicke Flügelprofile können ihre vorteilhaftes Wider- standsverhalten allerdings erst bei höheren Reynoldszahlen oberhalb von Re ≅ 105 ausspielen. Untersucht man weiters die Frage, ob ein schwächer oder stärker gewölb- tes Segel bessere Eigenschaften hat, dann weisen die Versuche mit gewölb- ten Platten eindeutig darauf hin, dass bereits bei relativ kleinen bis mitt- leren Reynoldszahlen die stärkere Wölbung den höheren Auftrieb bringt

Abb. 4.16 a) Auftriebs- und Widerstands- Flügelprofils, b) Auftriebs-Widerstandsver- beiwert (letzterer 10fach vergrößert dar- hältnis für beide Profile. Re = 2,5·105 gestellt) einer gewölbten Platte und eines (adaptiert nach C. A. Marchaj, 1991).

80 4 Die Theorie des Tragflügels (Profileigenschaften) Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c04.3d from 13.04.2012 15:39:55 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 4.17 Auftriebsbeiwerte gewölbter Plat- theoretischen Auftriebsanstieg an, das ten mit verschiedener Wölbungstiefe (engl. sind 0,11 pro Grad Anstellwinkel ( nach camber). Die gestrichelte Linie gibt den C. A. Marchaj, 1991).

(Abb. 4.17), wobei sowohl der Anstellwinkelbereich, über den dieser Auf- trieb erbracht wird, als auch der maximal erzielbare Auftrieb größer aus- fallen. Bemerkenswert ist, dass bereits bei negativen Anstellwinkeln erheb- licher Auftrieb gemessen wird (ein Phänomen, das ja auch bei der über eine Wäscheleine nach oben flatternden Wäsche beobachtet werden kann). So wird im Allgemeinen das stärker gewölbte Segel den größeren Auf- triebsbeiwert haben. Allerdings ist neben dem größeren Widerstand damit auch eine größere aerodynamische Seitenkraft SA verbunden, die bei höheren Windstärken zu Stabilitätsproblemen führen kann.

4.6 Die gegenseitige Beeinflussung von Profilen

Es gibt viele Situationen, wo ein Tragflügelprofil in einem Strömungsfeld arbeitet, das von einem anderen, in der Nähe befindlichen Profil beein- flusst und verändert wird. In der Aeronautik musste man sich schon frühzeitig mit diesem Fall beschäftigen, der zum Beispiel bei Mehrdecker- Flugzeugen und Vorflügelklappen Anwendung findet. Bei vielen Segel- yachten arbeiten Vor- und Großsegel überlappend, zweimastige Takelun- gen (Ketsch, Schoner, Yawl) sind bei größeren Fahrtenyachten durchaus

4.6 Die gegenseitige Beeinflussung von Profilen 81 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c04.3d from 13.04.2012 15:39:57 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 4.18 Siebenmast-Gaffelschoner „Thomas W. Lawson“, Segelriss.

üblich, und die Seefahrtsgeschichte kennt Beispiele von bis zu siebenmas- tigen Schonern (Abb. 4.18) und fünfmastigen Rahseglern. Um 1920 untersuchte der Aerodynamiker F. Handley-Page mehrfach unterteilte Flügelanordnungen aus bis zu acht Segmenten. Damit konnte eine erhebliche Steigerung der Auftriebsbeiwerte erzielt werden (Abb. 4.19), jedoch um den Preis stark vergrößerten Widerstandes und dadurch verringerten L / D-Verhältnisses. Die schlechteren Amwind-Eigenschaften mehrmastiger Besegelungen wie Schonerriggs sind ja durchaus bekannt. Durch die Hintereinanderschaltung vieler Einzelflügel wird eine sehr starke Windumlenkung (und ein sehr großer induzierter Widerstand, vgl. Kapitel 5) erzeugt.

Abb. 4.19 Auftriebsbeiwerte verschiedener Flügelprofile mit unterschiedlicher Anzahl von Schlitzen (Zahlen bei den Kurven) nach Handley-Page (Fuchs und Hopf, 1922).

82 4 Die Theorie des Tragflügels (Profileigenschaften) Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c04.3d from 13.04.2012 15:39:59 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 4.20 Strömungsverlauf a) für ein Vor- Die gestrichelte Linie gibt die Richtung des segel allein und b) in Kombination mit ei- Windeinfalls an der Vorderkante des Vor- nem Großsegel ( nach A. Gentry, 1973–74). segels an.

Die ursprüngliche (falsche) Erklärung für die Auftriebssteigerung bei unterteilten Profilen war, dass durch den verengten Spalt zwischen zwei Tragflächen die Luft schneller strömt und daher für eine verstärkte Sog- wirkung sorgt. Diese Vorstellung von der „Düsenwirkung“, die sich etwa bei Altmeister Curry in großer Ausführlichkeit findet, erfreute sich in Seglerkreisen noch lange großer Beliebtheit, selbst dann noch, als sie in der Fliegerei schon längst durch die richtige Interpretation ersetzt worden war. Eine Untersuchung der Strömungsverhältnisse an einer Vorsegel- Großsegel-Kombination mit einem elektrostatischen Analog-Plotter (vgl. Abb. 4.5) und der daraus resultierenden Druckverteilung zeichnet ein anderes Bild. In der Abb. 4.20 ist der Stromlinienverlauf, in 4.21 und 4.22 ist jeweils der Überdruck in Luv (positive Werte) und der Unterdruck in Lee (negative Werte) dargestellt. Aus der Druckverteilung in Abb. 4.21 folgt, dass das Hinzufügen eines Großsegels den Unterdruck im Lee des Vor- segels stark erhöht, der Überdruck in Luv ist dort, wo sich die „Düse“ befindet, reduziert bzw. abgebaut. Weiters fällt auf, dass der Einfluss des Großsegels für einen starken Aufwind an der Vorderkante des Vorsegels sorgt, wodurch das Vorsegel höher an den Wind gehen kann (Abb. 4.20). Betrachten wir die entsprechende Abbildung (Abb. 4.22) für ein Groß- segel mit und ohne Vorsegel. Das Vorsegel macht mit dem Großsegel jetzt genau das Gegenteil: Die Wirksamkeit des Großsegels wird durch Zerstö- rung des Unterdrucks in seinem Lee stark reduziert. Der Anströmwinkel an der Vorderkante wird ebenfalls stark verringert (Wind kommt vorlicher).

4.6 Die gegenseitige Beeinflussung von Profilen 83 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c04.3d from 13.04.2012 15:40:00 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 4.21 Druckverlauf für ein Vorsegel allein (gestrichelt) und ein Vorsegel in Ver- bindung mit einem Großsegel (durchgezogen) (nach A. Gentry, 1973–74)

Abb. 4.22 Druckverlauf für ein Großsegel allein (gestrichelt) und ein Großsegel in Verbindung mit einem Vorsegelsegel (durchgezogen) ( nach A. Gentry, 1973–74)

84 4 Die Theorie des Tragflügels (Profileigenschaften) Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c04.3d from 13.04.2012 15:40:04 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Das hat auf der einen Seite den Vorteil, dass die Strömung an der Großsegel-Vorderkante (wo sich der störende Mast befindet) nicht mehr so leicht abreißt, kann aber andererseits ein Einfallen des Großsegels nahe der Vorderkante bewirken (engl. backwinding). Der Vorteil, den das Groß- segel dem Vorsegel verschafft, ist aber so groß, dass dieser Nachteil bewusst in Kauf genommen wird, und es gibt Bootsklassen, bei denen standardmäßig, besonders bei höheren Windstärken, hart am Wind mit leicht eingefallenem Großsegel gefahren wird. Die Wirkung des Vorsegels auf das Großsegel muss aber nicht nur nachteiliger Art sein: Die Strömung glättende Wirkung eines kleinen Vorflügels und damit die Verzögerung von Turbulenz und Ablösung ist unbestritten und wird im Flugzeugbau in Form von Klappen am vorderen Flügelrand ausgenützt. Ein schmales Vorsegel, wie es zum Teil bei frühen Segelyachten gefahren wurde, übt die gleiche Wirkung aus. Das Zusammenwirken von Vor- und Großsegel kann also folgenderma- ßen resümiert werden: Durch die Zirkulationsströmung im Lee des Groß- segels wird an der Hinterkante des Vorsegels ein gewisser „Saugeffekt“ erzeugt und die Luftströmung im Lee des Vorsegels zusätzlich beschleu- nigt. Ein Teil der Luft, die im Lee eines ohne Vorsegel gefahrenen Groß- segels vorbeistreicht, legt nun einen weiteren Weg um das Vorsegel herum zurück. Die Strömungsgeschwindigkeit im Spalt zwischen Vor- und Groß- segel ist zwar größer als in der ungestörten Strömung weit weg vom Boot (sonst würde ja dort gar kein Unterdruck auftreten), aber lange nicht so groß, als wenn das Vorsegel nicht vorhanden wäre und das Großsegel allein die Zirkulation erzeugen würde. Die gleiche Wechselwirkung, wie sie zwischen zwei Segeln des gleichen Boots besteht, tritt auch bei verschiedenen Booten auf, wenn sie zueinander in geeigneter Stellung segeln. Dies ist die Grundlage für die bereits von M. Curry propagierte „Sichere Leestellung“ (engl. safe leeward position, Abb. 4.23). Boot A, das sich in derselben befindet, profitiert von Boot B genauso wie das Vorsegel oben vom Großsegel. Es wird vom Wind räumlicher (weniger spitz) angeströmt, wofür der Aufwind durch die Zirkulation von Boot B verantwortlich ist. Selbst hat es vergrößerte Zirkulation und mehr Vortrieb. Boot B kann nicht mehr so hoch an den Wind, da es den Abwind von A verspürt, und ist obendrein durch die von A erzeugten Wirbel benachteiligt. Der erfahrene Regattasegler wird, wenn er in die Lage von Boot B kommt, nur dann nicht sofort wenden, wenn er aus taktischen Gründen (z. B. mangelndes Wegerecht gegenüber einem dritten Boot etc.) dort verbleiben muss. Noch nachteiliger wirken sich Windablenkung und Wirbelbildung für ein Boot aus, das hart am Wind im Kielwasser eines anderen segelt. Man spricht dann von der hoffnungslosen Stellung nach Curry, und man wird erst recht über Stag gehen (wenden), wenn es möglich ist.

4.6 Die gegenseitige Beeinflussung von Profilen 85 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c04.3d from 13.04.2012 15:40:04 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 4.23 Boot A befindet sich in der Si- A erfährt mehr Windkraft (Stromlinien lie- cheren Leestellung. Es läuft höher am Wind gen in Lee dichter = schnellere Strömung) als B (strichpunktierte Linien). Der Wind als B ( nach R. Garrett, 1996). fällt räumlicher ein (gestrichelte Linien).

Ein eklatanter Fall von gegenseitiger Beeinflussung von Booten liegt auch dann vor, wenn sie hintereinander vor dem Wind fahren. Die Strömung ist dann in Lee abgelöst, und es bilden sich große Wirbel. Das benachteiligte Boot ist nun das vordere (in Lee befindliche). Das achteraus (hinten) liegende Boot schädigt nicht nur das andere durch diese Wirbelstraße, es kann auch unter Umständen einen zusätzlichen Vorteil daraus ziehen, dass es vom Rückstrom (Abb. 4.25) der Wirbel nicht mehr getroffen wird. Diese Abdeckungsstellung ist ein häufig angewendetes Kampfmittel, wenn ein Gegner auf einem Spinnakerkurs verfolgt wird.

Abb. 4.24 Gegenseitige Beeinflussung von Zirkulation und Luftkraft (Meisterschaft Booten, Beispiele für Sichere Leestellung. der 20 m²-Rennjollen 2005, Ratzeburger Die in Lee liegenden Boote haben mehr See, Fotos: Gudrun Wigger).

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Abb. 4.25 Wirbelbildung hinter einer von links angeströmten Platte mit Rückstrom in der Mitte (modifiziertes Anstrichbild, Oertel 2001).

Die Grenze der gegenseitigen Beeinflussung auf Vorwindkurs wurde von M. Curry mit einer Entfernung von etwa der vierfachen Masthöhe angege- ben. Er hat dazu bereits 1925 Versuche im Windkanal mit aus Blech gefertigten Segelmodellen gemacht (siehe dazu die Darstellung in seinem Originalwerk „Die Aerodynamik der Segel und die Kunst des Regatta- Segelns“).

Zentrale Aussagen

Stoßprozesse einzelner Luftmoleküle sind kein zutreffendes Modell für die Entstehung des aerodynamischen Auftriebs. Luft (und Was- ser) sind Fluide und müssen strömungsmechanisch behandelt wer- den.

Wie entsteht der Auftrieb?

• Tragflächenprofile werden so umströmt, dass Stromlinien an der Hinterkante parallel anschließen (Kutta’sche Abflussbedingung), dazwischen Wirbelzone. Jedoch keine gleichen Wegzeiten ober- halb und unterhalb der Tragfläche. • Um die Abflussbedingung zu erfüllen, muss sich der Potenzial- strömung (ideale Flüssigkeit) eine Zirkulation um die Tragfläche überlagern. • Wenn Zirkulation vorhanden, erhöht sie die Strömungsgeschwin- digkeit auf der Oberseite und verringert sie auf der Unterseite. Aus dem Bernoulli-Theorem folgt daher → Druckdifferenz: Auftrieb.

4.6 Die gegenseitige Beeinflussung von Profilen 87 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c04.3d from 13.04.2012 15:40:08 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

• Kutta-Joukowski-Gleichung: L=b ¼r v0 G: Der Auftrieb ist der Zirkulation und der Anströmungsgeschwindigkeit proportional. • Zirkulation kann mit rotierendem Zylinder „künstlich“ hergestellt werden → Flettner-Rotor, ein wirksamer Schiffsantrieb. • Entstehung der Zirkulation bei einem Tragflügelprofil: An der Hinterkante bildet sich durch Zusammenspiel von Reibung und Trägheit der Anfahrwirbel. Erhaltung der Gesamtzirkulation → Zir- kulation in der Gegenrichtung um Flügel.

Verhalten des Auftriebs bei verschiedenen Profilen

• Größe der Zirkulation um ein Tragflügelprofil kann mit Metho- den der komplexen Funktionentheorie berechnet werden. Daraus ¼ = r 2 folgt: Auftriebsformel L 1 2 v0 cLA. Beiwert cL über weite Bereiche dem Anstellwinkel proportional. • Zirkulation braucht Zeit, um sich aufzubauen. Etwa sechs Flügel- breiten müssen zurückgelegt werden. • Zirkulation und Auftrieb wachsen mit dem Anstellwinkel an, bis die Strömung bei einem Grenzwinkel abreißt. Wann das passiert, hängt von Profilform und Reynoldszahl ab. • Ablösung bei dünnen Platten (Segel!) unter Ausbildung einer Ablösungsblase. Störeinfluss des Mastes und des Stehenden Gu- tes: Wirbelbildung und typischer wellenförmiger Druckverlauf (Warner und Ober, 1925). • Was ist besser, dünne Platten oder Tragflügel: Dünne Platten erzeugen insgesamt mehr Vortriebskraft, aber auch mehr Wider- stand. L / D-Verhältnis bei Flügelprofil besser → bessere Kreuz- eigenschaften.

Wechselwirkung mehrerer Profile

• Maximaler Anstellwinkel und damit Gesamtauftrieb steigt mit Anzahl der Profile, aber auch Widerstand. • Vorsegel-Großsegel-Kombination ist deswegen vorteilhaft, weil Vorsegel stark vom Großsegel profitiert. Großsegel wäre allein besser als mit Vorsegel („Düsenwirkung“ ist falsche Erklärung)! Analog dazu Wechselwirkung zwischen parallel segelnden Boo- ten: Sichere Leestellung. • Vor dem Wind hintereinander segelnde Boote: Schädigung des vorausfahrenden Bootes durch Wirbelstraße und Rückströmung.

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5 Der dreidimensionale Tragflügel

Alle in Kapitel 4 angestellten Überlegungen in Bezug auf Auftrieb und Widerstand von Tragflügeln in Abhängigkeit von ihrer Form und der Reynoldszahl bezogen sich auf ebene, zweidimensionale Strömungen ohne Abhängigkeit von der Koordinate in Richtung der Spannweite. Wir betrachteten also unendlich lange bzw. durch parallele Wände begrenzte Flügel. Wenn sich das auch in einem Windkanal oder Strömungskanal mit prismatischen Profilen einigermaßen gut simulieren lässt, so hat doch jedes Segelfahrzeug nur endliche Masthöhe und endlichen Tiefgang der Kielflosse. Daher haben wir uns mit den Auswirkungen von Form und endlicher Länge des Tragflügels zu beschäftigen. Zunächst eine kleine Anmerkung zur Bezeichnungsweise: In der Aero- dynamik ist es üblich, die Auftriebs- und Widerstandsbeiwerte, die sich auf die Profileigenschaften beziehen (unendlich lange, prismatische Tragflü- gel) mit kleinen Buchstaben zu bezeichnen, und solche, die sich auf dreidimensionale, reale Tragflügel beziehen, mit großen Buchstaben, also

cL, cD Profilbeiwerte; CL, CD Flügelbeiwerte.

5.1 Randwirbel und induzierter Widerstand

Da zwischen der Oberseite des Tragflügels und der Unterseite ein Druck- gradient besteht, hat das Fluid die Bestrebung, diesen Druck auszuglei- chen, indem es über das Ende des Flügels von unten (Luv) nach oben (Lee) strömt. Diese Bewegung überlagert sich mit der vorbeifließenden Strö- mung und bildet zusammen mit dieser einen schraubenlinienförmigen sog. Zopfwirbel. In Abb. 5.1 ist dieser Tragflächen-Randwirbel im Experi- ment sichtbar gemacht. Er tritt beim Segelboot nicht nur an der Mastspitze (und gegebenenfalls am unteren Rand des Segels) auf, sondern auch an der Spitze des Schwerts (Kiels) und des Ruderblatts. Besonders eindrucksvoll ist eine Aufnahme vom Volvo Ocean Race 2001–2002, bei der die Mast-

Physik des Segelns: Wie Segeln wirklich funktioniert, 1. Auflage. Wolfgang Püschl. 89 © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2012 by Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c05.3d from 13.04.2012 15:40:38 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 5.1 Randwirbel an einer rechteckigen Tragfläche, mit Rauch sichtbar gemacht. Anstellwinkel a = 24°, Re =105 (Foto M. R. Head, 1982).

spitzenwirbel der aus Kapstadt auslaufenden Yachten Bahnen in eine Nebeldecke zeichnen (Abb. 5.2) Entsprechend den Helmholtz‘schen Wirbelsätzen kann der Zopfwirbel des Flügelrandes nicht irgendwo frei in der Flüssigkeit enden (div(rot v) = 0). Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass diese Flügelrandwirbel zusam-

Abb. 5.2 Volvo Ocean Race 2001–2002: Spuren von Mastspitzenwirbeln in einer Nebel- decke bei Kapstadt. Foto: Copyright Daniel Forster.com.

90 5 Der dreidimensionale Tragflügel Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c05.3d from 13.04.2012 15:40:41 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 5.3 Geschlossenes Wirbelsystem, bestehend aus gebundener Zirkulation, Tragflü- gel-Randwirbeln (Zopfwirbeln) und Anfahrwirbel.

men mit der Zirkulation um die Tragfläche und mit dem Anfahrwirbel ein ringförmiges geschlossenes Wirbelsystem bilden (Prinzipdarstellung in Abb. 5.3). Bei einem üblichen Tragflügel nimmt die Sehnenlänge des Profils all- mählich zu den Flügelspitzen hin ab. Aufgrund dieser geometrischen Vorgabe und wegen der seitlichen Umströmung der Flügelenden nehmen die Zirkulation und damit der Auftrieb zu den Flügelenden beim Fort- schreiten entlang der Spannweite entsprechend ab. Wegen der Helm- holtz‘schen Wirbelsätze, die die Erhaltung der gesamten Wirbelstärke an Verzweigungspunkten verlangen, muss der Anteil an gebundener Zirkula- tion, der beim Fortschreiten entlang dem Flügel verloren geht, nach hinten als Zopfwirbel abgehen. Von dem gesamten Flügel wird also eine Wirbel- fläche (Wirbelschleppe) zurückgelassen. In Abb. 5.4 ist dieser Zusammen- hang schematisch dargestellt.1) Die einzelnen Wirbelfäden, die hinter der Tragfläche zurückgelassen werden und zunächst eine flächige Wirbelschleppe bilden, bewegen sich jeweils in den von den anderen Wirbeln erzeugten Strömungsfeldern und rollen sich dadurch zu einem großen Randwirbel zusammen. Abbildung 5.5 zeigt einen solchen ausgeprägten Randwirbel hinter einem niedrig fliegenden Flugzeug, mit einer Rauchpatrone auf dem Boden sichtbar gemacht (NASA Langley Research Center). Diese Wirbel bleiben hinter

1) Die Verzweigung der Wirbelfäden hat ke, die Rolle des Geschwindigkeitsfel- ein Analogon in der Elektrodynamik, wo des die magnetische Feldstärke H.So sich Ströme nach der Kirchhoff’schen gilt für das Geschwindigkeitsfeld in der Knotenregel verzweigen. Man kann Nähe eines Wirbelfadens das gleiche viele Beziehungen, die in der Strö- Biot-Savart-Gesetz wie in der Elektrody- mungslehre gelten, aus elektrodyna- namik für die magnetische Feldstärke mischen Analoga ableiten. Die Rolle der in der Nähe eines Stromfadens. Zirkulation spielt dabei die Stromstär-

5.1 Randwirbel und induzierter Widerstand 91 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c05.3d from 13.04.2012 15:40:42 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 5.4 Zusammenhang zwischen abnehmender Zirkulation und abgehenden Zopfwirbeln.

großen Flugzeugen kilometerlang bestehen und stellen für kleinere, nachfolgende Maschinen eine potenzielle Gefahr dar. Die innere Reibung sorgt dafür, dass sich diese Wirbel allmählich auflösen. Da die Beziehung div(rot v)=0auch in Medien mit innerer Reibung gilt, darf man sich den Vorgang allerdings nicht so vorstellen, dass dabei Wirbelstärke „ver- schluckt“ wird. Sie wird vielmehr nach außen hin verteilt. Siehe dazu den Anschnitt „Dissipation von Wirbeln“ in Kapitel 3.6. Verschiedene Instabili- täten und Störungen sorgen jedoch dafür, dass keine hochsymmetrische Konfiguration aufrechterhalten bleibt, sodass das Problem der Dissipation, dem besonders in der Luftfahrt große Bedeutung zukommt, in der Praxis

Abb. 5.5 Flügelrandwirbel, durch Rauchpatrone sichtbar gemacht (Foto: NASA).

92 5 Der dreidimensionale Tragflügel Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c05.3d from 13.04.2012 15:40:45 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

sehr komplex ist (Mager, 1972). Wie in Abb. 5.5 zu erkennen ist, bewirkte der Tragflächen-Randwirbel einen Aufwind außerhalb der Flügelspitze und einen Abwind direkt hinter der Tragfläche. Zugvögel machen sich den Aufwind des vor ihnen fliegenden Vogels zunutze, wenn sie in keilförmi- ger Formation fliegen. Beim Segelboot kommt diesem Aufwind im All- gemeinen keine Bedeutung zu, da er oberhalb der Mastspitze liegt. In Abb. 5.6 sind zur besseren Orientierung Tragfläche und Wirbel so eingezeichnet, wie sie bei einem Segelboot liegen. Die Anordnung ist gegenüber derjenigen bei einem Flugzeug um 90° gedreht. Die „Oberseite“ des Tragflügels entspricht nun der Leeseite, und der „Abwind“ hinter dem Flügel ist in diesem Fall eine Ablenkung nach Luv, die den Anstellwinkel des Segels verringert. Außerhalb der Flügelspitze wird ein Aufwind indu- ziert (beim Segelboot: Ablenkung der Luftströmung nach Lee). Der indu- zierte Abwind kommt noch zu jenem hinzu, der auf Grund der Zirkula- tionsströmung hinter dem Tragflügel auch bei zweidimensionaler Umströmung besteht. Durch diese Windablenkungen wird die Strömung mehrere Bootslängen vor und hinter einem segelnden Boot beeinflusst. Insbesondere erreicht der Abwind nicht an der Hinterkante des Flügels, sondern einige Profilsehnenlängen dahinter seinen größten Wert.

Abb. 5.6 Orientierung des Flügelrandwirbels (= Mastspitzenwirbel) bei einem Segelboot (nach R. Garrett, 1996).

5.1 Randwirbel und induzierter Widerstand 93 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c05.3d from 13.04.2012 15:40:48 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 5.7 v0 ungestörte Anströmung, veff gezogen: zweidimensionales Tragflügel- durch induzierten Abwind w veränderte An- profil, gestrichelt: dreidimensionaler Flü- strömung. Reduktion durch induzierten Ab- gel. Di induzierter Widerstand (modifiziert wind des Anstellwinkels a um den Winkel ai nach C. A. Marchaj, 1991). zum effektiven Anstellwinkel aeff. Durch-

Die durch den induzierten Abwind erzeugte Geschwindigkeitskom- ponente w hat die Wirkung, den effektiven Anstellwinkel der Tragfläche zu verringern, wie aus der Abb. 5.6 ersichtlich ist. In Abb. 5.7 ist diese Verkippung noch einmal im Detail dargestellt. Durch die Reduktion des a a a Anstellwinkels um i zum effektiven Anstellwinkel eff verringert sich der Auftrieb, der ja in weiten Bereichen dem Anstellwinkel proportional ist, entsprechend2). Möchte man wieder den gleichen Auftrieb erreichen, muss a die Tragfläche um i nachgedreht werden (das Segelboot muss um einige Grad abfallen oder das Segel muss entsprechend dichter genommen werden), sodass wieder der ursprüngliche Anstellwinkel und damit der ursprüngliche Auftriebswert erreicht wird. Der Auftrieb wird aber jetzt in der neuen, verkippten Richtung wirksam (Abb. 5.7), was als zusätzliche

Widerstandskomponente, der induzierte Widerstand Di, gedeutet werden kann. Durch die Änderung der Anströmungsrichtung befindet sich der Tragflügel in einem effektiven Steigflug, für den Leistung aufgebracht werden muss. Der induzierte Widerstand lässt sich auch ganz direkt so interpretieren, dass pro Meter zurückgelegten Weges 1 m Wirbelschleppe produziert werden muss. Deren Energieinhalt (Rotationsenergie) ist dann

a 2) Der induzierte Anstellwinkel i und da- konstant, sondern nur im weiter unten a mit auch eff sind freilich im allgemei- besprochenen Spezialfall der ellipti- nen Fall über die Spannweite nicht schen Auftriebsverteilung.

94 5 Der dreidimensionale Tragflügel Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c05.3d from 13.04.2012 15:40:49 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

die pro Längeneinheit aufzubringende Arbeit, also eine Kraft, nämlich der induzierte Widerstand. Es ist an dieser Stelle angebracht, ein paar grundsätzliche Überlegungen zum Thema Impulsübertrag, Kraft, Arbeit und kinetische Energie anzu- stellen. Wenn von einer Strömung auf einen umströmten Körper eine Kraft ausgeübt werden soll, dann müssen die vorbeiströmenden Flüssigkeits- teilchen Impuls auf diesen Körper übertragen. Ebenso wie Impuls durch eine Kraftwirkung über einen gewissen Zeitraum entsteht, so entspricht die Impulsübermittlung pro Zeiteinheit einer Kraft. (Vergleiche dazu die Ableitung des Drucks im Rahmen der kinetischen Gastheorie aus der Impulsübertragung vieler einzelner Gasmoleküle, die pro Zeiteinheit auf 1 m² einer Wand auftreffen.) Also muss der Vektor der Strömungs- geschwindigkeit hinter einer Tragfläche eine andere Richtung haben, wenn diese einen Auftrieb erfahren soll (das gilt bereits für die „zweidi- mensionale“ Tragfläche). Solange die Tragfläche ruht, wird aber keine Arbeit an ihr geleistet, und die Flüssigkeit verliert, abgesehen von der Dissipation infolge innerer Reibung, keine kinetische Energie. Der Vektor der Strömungsgeschwindigkeit ist vor der Tragfläche und dahinter gleich lang. Wenn sich die Tragfläche in der Richtung des Auftriebs nach oben bewegt, dann wird Arbeit geleistet, indem etwa das Gewicht des Flugzeugs im Schwerefeld gehoben wird oder ein Segelschiff gegen den Wasserwider- stand des Rumpfes auf seinem Kurs fortbewegt wird. In diesem Fall hat sich der Betrag der Strömungsgeschwindigkeit hinter dem Flügel verrin- gert. Der Verlust an kinetischer Energie der Strömung ist dann genau gleich der Arbeit, die an der Tragfläche geleistet wird. Dieser Zusammen- hang ist an einem einfachen Rechenbeispiel in Anhang A7 erläutert. Durch diese Überlegung scheint es so zu sein, dass die alten „Stoßtheorien“ der

Abb. 5.8 Winglet an der Spitze eines Flügels einer Windkraftanlage zur Verminderung der Endumströmung (FuSystems Windkraft GmbH).

5.1 Randwirbel und induzierter Widerstand 95 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c05.3d from 13.04.2012 15:40:50 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 5.9 Der Flügelkielder der 12 m-R- Yacht „Australia II“ (S. Crepaz, 1986 nach F. Chevalier ).

Windkraftentstehung doch einen gewissen Wahrheitsgehalt haben. Wir dürfen aber nicht übersehen, dass die Richtung und der Betrag der Ablenkung durch das gesamte, komplexe Strömungsverhalten am Trag- flügel bestimmt werden und nicht durch einen simplen Stoßprozess an einer Fläche, die unter einem bestimmten Anstellwinkel in die Strömung gestellt wird. Im Sinne der Impulsbilanz ist das Segel eine „Black Box“, die eine bestimmte Gesamtwirkung erzeugt, die in relativ großem Abstand festgestellt wird. Das Segel wirkt wie eine effektive, virtuelle Umlenkungs- fläche, deren Lage man aber zunächst nicht kennt. Sie wird erst durch die komplette Lösung des strömungsmechanischen Problems der Tragflächen- umströmung festgelegt. Insbesondere ist ihre Lage im Allgemeinen nicht identisch mit der Position des Segels. Der induzierte Widerstand ist unvermeidlich, wenn mit einem dreidi- mensionalen Tragflügel Auftrieb erzeugt werden soll. Die Frage ist nur, wie man ihn möglichst klein halten kann. Eine Möglichkeit ist es, die Umströ- mung der Tragflächenenden durch Endplatten (winglets) zu vermindern. F. W. Lanchester hat schon 1897 ein Patent für diese Methode angemeldet. Bei Flugzeugen findet sie inzwischen weit verbreitete Anwendung, ebenso bei den Flügeln der Rotoren von Windkraftanlagen (Abb. 5.8), bei Kielen von Segelyachten erst in neuerer Zeit, da aber mit teilweise großem Erfolg. Australien gelang es 1983 mit einer so ausgerüsteten 12 m-R-Yacht, die 132-jährige Folge amerikanischer Siege im America’s Cup zu durchbre- chen (Abb. 5.9).

5.2 Elliptische Auftriebsverteilung

Für die Mastspitze von Yachten sind Endplatten nicht praktikabel. Man kann sich aber die Frage stellen, ob es eine bestimmte Auftriebsverteilung in Spannweitenrichtung gibt, welche den induzierten Widerstand bei gege- benem Gesamtauftrieb minimal werden lässt. Dies ist dann der Fall, wenn überall entlang der Spannweite der gleiche Abwind erzeugt wird. Wenn

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nämlich vielen Teilchen ein bestimmter Gesamtimpuls vermittelt werden soll, dann geschieht dies mit dem geringsten Aufwand an kinetischer Energie, wenn alle die gleiche Geschwindigkeit erhalten3). Dieser Grund- satz hat bei allen Antriebssystemen Bedeutung, bei denen der Vortrieb durch Impulsübertrag an ein bestimmtes Medium erfolgt, z. B. Propeller. Um es auf einen einfachen Nenner zu bringen: Eine Galeere wird dann am effektivsten gerudert, wenn alle die Riemen gleich schnell bewegen. Welche Auftriebsverteilung erfüllt nun diese Bedingung? Der Abwind an jeder Stelle hinter dem Flügel ergibt sich als Überlagerung der Geschwindig- keitsfelder aller einzelnen Wirbelfäden, die als Wirbelschleppe abgehen und wegen der Erhaltung der Wirbelstärke gerade so groß sein müssen wie die Abnahme der Zirkulation in Spannweitenrichtung (Abb. 5.4). Jeder einzelne (nur halb-unendlich lange) Wirbelfaden liefert bei Wirbelstärke O im Abstand r vom Wirbelkern einen Beitrag von

O w ¼ : ðGleichung 5:1Þ 4p r

Wenn b die gesamte Flügelspannweite ist und Z =2y / b die normierte Koordinate in Spannweitenrichtung, dann setzt sich der gesamte Abwind an der Stelle Z aus den infinitesimalen Beiträgen der Wirbelfäden zusam- men, die links und rechts von ihr abgehen, und insgesamt haben wir 2 3 Z1 0 dGðZ Þ 1 0 wðZÞ¼K CH4 dZ54) ðGleichung 5:2Þ dZ0 Z Z0 1

mit einer Konstante K. Die Forderung nach konstantem Abwind heißt mathematisch, dass w(Z) vom Ort Z unabhängig ist. Man kann zeigen

3) Dieser Satz lässt sich leicht beweisen: Bei gegebenem Gesamtimpuls P ¼ Mv Die kinetische EnergieP einer Teilchen- ist die kinetischeP Energie dann am ge- ¼ 2 ðÞ  2 ¼ menge beträgt 2Ekin P mivi . Be- ringsten, wenn mi vi v 0, d. h. zeichnen wir mit v ¼ mivi=M die wenn alle Teilchen die gleiche Ge- Schwerpunktgeschwindigkeit und mit schwindigkeit haben. M die Gesamtmasse, dann gilt X X X   2 2  2  2 2 2Ekin ¼ miðÞv þðvi vÞ ¼ Mv þ 2v mivi 2Mv þ miðÞvi v ¼Mv X 2 þ miðÞvi v :

4) CH steht hier für den Cauchy’schen Hauptwert, da das Integral wegen der Unste- tigkeitsstelle bei Z = Z′ ein uneigentliches Integral ist. Siehe dazu auch Anhang A8.

5.2 Elliptische Auftriebsverteilung 97 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c05.3d from 13.04.2012 15:40:51 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 5.10 Elliptische Auftriebsverteilung bewirkt konstanten Abwind (nach C. A. Mar- chaj, 1991).

(Anhang A8), dass diese Bedingung erfüllt ist, wenn die Auftriebsverteilung folgende Form hat: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi GðZÞ/ ðÞ1 Z2 , ðGleichung 5:3Þ

was als Kurve aufgetragen der Form einer (Halb-)Ellipse entspricht. Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass die Auftriebsverteilung ellip- tisch sein muss (engl. elliptic loading) und nicht notwendigerweise die Flügelform. Beide Forderungen sind insbesondere dann nicht identisch, wenn der Flügel Verwindung aufweist und/oder sich die Anströmung über die Spannweite ändert, beides realistische Bedingungen bei einem Segel (siehe weiter unten). Da bei elliptischer Auftriebsverteilung die geringste Energie in den Abwind gesteckt werden muss, ist in diesem Fall auch der induzierte Widerstand am geringsten. Dem wird bei modernen Segelfor- men entsprechend Rechnung getragen (Abb. 5.11). Der induzierte Widerstand beträgt für elliptische Auftriebsverteilung, ausgedrückt in Beiwerten (Anhang A8)

2 ¼ CL ð : Þ CDi p L , Gleichung 5 4

wobei

b2 L ¼ ðGleichung 5:5Þ A

das Seitenverhältnis (engl. aspect ratio) des Flügels ist und A seine Grund- fläche. Das Ergebnis stellt eine wichtige Erkenntnis dar: Bei vorgegebenem

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Abb. 5.11 Ellipsenähnliche Abrundung eines Großsegels (20 m²-Rennjolle, Foto: Hen- rike Kiewert).

Auftrieb ist der induzierte Widerstand umso geringer, je größer das Seiten- verhältnis des Tragflügels ist. Ein kaum überraschendes Resultat, denn je lang gestreckter der Flügel ist, umso geringeren relativen Einfluss haben die Flügelenden, und das Umströmen der Flügelenden ist ja die eigentliche Ursache für den induzierten Widerstand. Die Abhängigkeit nach Gl. (5.4) wird mit großer Konsequenz bei Hochleistungs-Segelflugzeugen befolgt, deren Flügel ein sehr hohes Seitenverhältnis aufweisen. Bei einem Segel- schiff sind der Flügellänge aber Grenzen gesetzt, da die Windkraft nicht in zu großer Höhe angreifen darf, weil dann Stabilitätsprobleme auftreten. Extremformen mit hohem Seitenverhältnis sind bei modernen Rennyach- ten allerdings immer häufiger bei der Kielflosse zu beobachten. Die Formel (5.4) für den induzierten Widerstand gilt, wie gesagt, für einen Flügel mit idealer (elliptischer) Auftriebsverteilung. Für Flügel mit einer Auftriebs- verteilung, die von der elliptischen abweicht (zugespitzte, verwundene etc., siehe Abschnitte 5.4, 5.5), ist statt L in Gl. (5.4) ein kleineres Seitenver- L hältnis eff einzusetzen. Soweit die idealisierten Aussagen aus der Flugzeug-Aerodynamik. Bei einem Segelschiff treten aber noch einige Komplikationen hinzu.

5.2 Elliptische Auftriebsverteilung 99 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c05.3d from 13.04.2012 15:40:52 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

5.3 Wechselwirkung mit der Wasseroberfläche

Das Segel hat nicht nur ein oberes Ende (Topp), sondern auch ein unteres Ende (Unterliek am Großbaum). Auch hier können sich Randwirbel bilden, es sei denn, Groß- und Vorsegel sitzen praktisch auf dem Deck auf, wie bei einigen Rennbooten. Ist das der Fall, dann kann man einen Trick anwen- den, der aus der Elektrostatik und anderen Bereichen der Physik bekannt ist: Man ergänzt die Besegelung um ihr Spiegelbild in Bezug auf die Wasseroberfläche. Das Strömungsverhalten ist dann gleich wie bei einem Doppelflügel. Gibt es aber einen Spalt, dann müssen die dort entstehenden Randwirbel berücksichtigt werden. Ist er sehr breit, dann verhält sich das Segel wie ein einzelner Flügel, der unabhängig von der Wasseroberfläche bewegt wird. In Abb. 5.12 ist dargestellt, wie sich das Verhältnis von induziertem Widerstand eines Großsegels zum induzierten Widerstand eines Einzel- flügels verhält, wenn der Abstand h des Großbaums von der Wasserober- fläche variiert wird. Die Ergänzung eines Tragflügels durch sein an der Trennfläche gespie- geltes Bild erweist sich jedoch problematisch für den Unterwasserteil, also für das aus Rumpf und Kielflosse gebildete Ensemble. Grund ist hier die Beeinflussung der Trennfläche selbst durch die Wirbelbildung, wie sie schematisch in Abb. 5.13 dargestellt ist: Nicht die idealisierte Vorstellung a) mit einer Spiegelung an der Wasseroberfläche ist anzuwenden, sondern das Szenario b). Die induzierten Wirbel beeinflussen die Trennfläche selbst, indem sie Wellen erzeugen. Insgesamt resultiert ein höherer induzierter Widerstand, als aus einem idealisierten Tragflügel mit der Länge des doppelten Tiefgangs folgen würde. In Abb. 5.14 ist die gleiche Situation in Querschnitt dargestellt.

Abb. 5.12 Induzierter Widerstand, normiert in Abhängigkeit vom Abstand h des Groß- auf jenen eines frei stehenden Einzelflügels

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Abb. 5.13 Induzierte Wirbel im Unterwas- serbereich. a) unzutreffende Spiegelungs- vorstellung, b) realistisches Szenario mit Wellenbildung an der Wasseroberfläche (adaptiert nach R. Garrett, 1996).

Man sieht, wie durch die (nicht vollständige) Umströmung des Flossen- profils an der Wasseroberfläche diese angehoben bzw. abgesenkt wird. Die Wechselwirkung mit der Wasseroberfläche führt dazu, dass die Wirksamkeit des Kielprofils für die Seitenkraft in der Nähe der Wasser- oberfläche abgeschwächt wird, ein Effekt, der umso stärker ausgeprägt ist, je höher die Bootsgeschwindigkeit wird. Dies ist ein Argument für einen tief reichenden Kiel mit hohem Seitenverhältnis, und auch ein Argument für ein gewisses Ausmaß an Pfeilung der Kielflosse (siehe Abschnitt 5.6).

Abb. 5.14 Querschnitt: induzierter Wider- oberfläche liegende Ende des Kielprofils stand durch Wellenbildung an der Wasser- zu umströmen. Die Oberfläche wird in Lee oberfläche. a) nicht zutreffende Vorstellung angehoben, in Luv abgesenkt (nach Mor- einer starren Trennfläche, b) Die Strömung chaj, 1991). versucht ansatzweise, das an der Wasser-

5.3 Wechselwirkung mit der Wasseroberfläche 101 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c05.3d from 13.04.2012 15:40:55 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

5.4 Verwindung (Twist)

Die Verwindung (Abb. 5.15) ist bei einem Tuchsegel nicht zur Gänze vermeidbar und hat, wenn sie zu groß ist, einen nachteiligen Effekt. Es entsteht ein zusätzlicher induzierter Widerstand. Hingegen ist aber zu berücksichtigen, dass der Scheinbare Wind sich mit der Höhe in Richtung und Stärke ändert (vertikaler Windgradient). Grund dafür ist die Reibung an der Wasseroberfläche, die den Wahren Wind in niedrigen Schichten abschwächt. Der Verlauf der Stärke des Wahren Windes mit der Höhe über dem Wasser ist von mehreren Faktoren abhängig. Einer davon ist die Aufrauung der Wasseroberfläche durch Wellen. Wichtig ist aber auch, ob die Luftschichten stabil oder labil in Bezug auf Konvektion sind (Bénard-Instabilität), was wiederum von der Temperatur des Wassers und der Luft abhängig ist. Bei labiler Schichtung ist der vertikale Luftaustausch stärker, und der Wahre Wind behält seine Geschwindigkeit bis in tiefere Schichten, ähnlich einer turbulenten Grenzschicht (vgl. Kapitel 3). In Abb. 5.16 ist der Geschwindigkeitsverlauf des Wahren Windes bei verschiedenen Schichtungen in Abhängigkeit von der Höhe dargestellt. Da der Fahrtwind von der Höhe unabhängig ist, fällt der Scheinbare Wind, der für die Segelstellung maßgeblich ist, in der Nähe der Wasser-

Abb. 5.15 Verwindung (Twist) von Tuchsegeln Foto: W. Einfalt.

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Abb. 5.16 Höhe, bezogen auf die Mast- keit an der Mastspitze für stabile, labile spitze (hier: 15 m) gegen Windgeschwin- und neutrale Luftschichtung (nach R. Gar- digkeit in Bruchteilen der Windgeschwindig- rett, 1996).

oberfläche spitzer ein als weiter oben. Bei einer 12 m-R-Yacht am Wind beträgt diese Winkeländerung als Richtwert etwa 3–4° über die gesamte Masthöhe. Eine gewisse Verwindung ist daher von Vorteil, um das Segel dieser veränderten Windrichtung anzupassen. Diese Verwindung kann sehr schön bei rahgetakelten Großseglern beobachtet werden, bei denen die unteren Rahen stets härter gebrasst werden (das bedeutet, dass die

Abb. 5.17 Verwindung einer Gesamtbesegelung: absichtliche Verdrehung der Rahen mit der Höhe am Schulschiff „Eagle“ der US-Küstenwache (Foto: US Coast Guard).

5.4 Verwindung (Twist) 103 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c05.3d from 13.04.2012 15:40:59 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Rahen mehr in Längsrichtung des Schiffes stehen und entspricht einem größeren Anstellwinkel) als die oberen (Abb. 5.17, zum Teil hat das allerdings auch damit zu tun, dass untere Rahsegel bauchiger geschnitten sind als obere). Verwindung kann auch im Zusammenhang mit einer zugespitzten Segelform Vorteile bringen (siehe Abschnitt 5.5).

5.5 Flügelform

Bei Segelschiffen, besonders bei solchen mit mehreren Masten, können die verschiedensten Segelformen Anwendung finden. Ebenso gibt es bei den Formen der Kielflosse bzw. des Schwertes eine beträchtliche Varia- tionsbreite. In Abb. 5.18 ist schematisch für drei Haupttypen von Doppel- flügeln die Verteilung von Auftrieb und induziertem Anstellwinkel ai über die Spannweite dargestellt. Der effektive Anstellwinkel ergibt sich zu aeff ¼ a ai (Abb. 5.7). Ist bei vorgegebenem (nominellem) Anstellwinkel a an einer Stelle des Flügels ai klein – das ist dann der Fall, wenn sich die Zirkulation in Spannweitenrichtung nur wenig ändert – dann ist aeff relativ groß. Bei Vergrößerung des Anstellwinkels a ist daher dort zuerst mit Strömungsablösung zu rechnen. Beim rechteckigen Flügelgrundriss ist das in der Mitte des Doppelflügels, beim zugespitzten an den Enden. Man ist aus Stabilitätsgründen daran interessiert, die Windkraft nicht in zu großer Höhe angreifen zu lassen. Daher sind Yachtsegel oft nach oben hin zugespitzt. In der Abb. 5.19 ist schematisch dargestellt, wo sich die Strömung bei einem zugespitzten bzw. bei einem rechteckigen Flügel bei

Abb. 5.18 Verteilung von Auftrieb und indu- Anstellwinkel, d) effektiver Anstellwinkel ziertem Anstellwinkel für verschiedene Flü- aeff = a – ai (adaptiert nach C. A. Marchaj, gelformen: a) Flügelform, b) Auftriebsver- 1991). teilung, c) daraus resultierender induzierter

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Abb. 5.19 Ablösungsverhalten (schema- fierten Gebieten ist die Strömung bei ei- tisch) bei einem zugespitzten (oben) und nem kritischen Anstellwinkel abgelöst. rechteckigen Flügel (unten). In den schraf-

Überschreitung eines kritischen Anstellwinkels abzulösen beginnt. Beim a zugespitzten Segel ist eff an der Spitze (Topp) am größten, daher beginnt a sich die Strömung zuerst dort abzulösen. Beim rechteckigen Flügel ist eff in der Flügelmitte am größten, und dort löst sich die Strömung zuerst ab. Das ist bei einem Flugzeug der direkt am Rumpf anschließende Teil des Flügels und bei einem tief gesetzten Segel im untersten Teil in der Nähe des Decks. Die vorzeitige Strömungsablösung am Topp eines zugespitzten Segels kann dadurch verhindert werden, dass man in oberen Abschnitten des Segels etwas mehr Wölbungstiefe und Verwindung vorsieht. Da die Strömungsablösung in einem Bereich des Tragflügels insgesamt eine erhebliche Auftriebsverminderung zur Folge hat, sind zugespitzte Segelformen unter diesem Aspekt und unter dem des induzierten Wider- standes äußerst ungünstig. Schon eine geringfügige Abrundung des Topps verbessert die Eigenschaften erheblich (vgl. Abb. 5.11). Peitschenmasten (weisen eine Krümmung im oberen Abschnitt auf), kurze Gaffeln oder ausstellen des Segeltopps mit Kopfbrett und Spreizlatten sind dazu geeig- nete Maßnahmen.

5.6 Pfeilung

Die Pfeilung (engl. sweep) eines Tragflügels hat erheblichen Einfluss auf die aerodynamischen Eigenschaften. Sie wird definiert als die Neigung der

5.6 Pfeilung 105 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c05.3d from 13.04.2012 15:41:01 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Viertel-Punkt-Linie (engl. quarter chord line), welche die Punkte verbindet, die ¼ der Sehnenlänge von der Flügel-Vorderkante entfernt liegen. Die Bedeu- tung dieser Linie besteht darin, dass mit sehr guter Näherung der Schwer- punkt der Auftriebskräfte auf ihr liegt, sogar in einem weiten Anstell- winkel-Bereich. Ist die Viertel-Punkt-Linie gegenüber der Anströmung zurückgeneigt, also die Flügelenden nach hinten versetzt, so spricht man von einer Rückwärtspfeilung beziehungsweise einem positiven Pfeilwinkel f. Rückwärtspfeilung führt dazu, dass auf der Saugseite des Flügels eine Querströmung zur Tragflächenspitze hin entsteht. Der Mechanismus ist in Abb. 5.20 erläutert. Der Druckverlauf an der Tragflügel-Oberseite bildet einen Trog, der schräg zur Anströmung verläuft. Indem die Strömung versucht, dem Druckminimum zu folgen, wird sie in Richtung Flügelspitze hin abgelenkt. Dadurch wird Fluid aus der Grenzschicht dorthin trans- portiert, verdickt die Grenzschicht am Flügelende und erhöht dadurch die Bereitschaft der Strömung, sich abzulösen. Man kann sagen, dass die Wirkung einer Rückwärtspfeilung (positiven Pfeilung) darin besteht, die Eigenschaften des Flügels den Eigenschaften eines zugespitzten Flügels ähnlicher zu machen. Umgekehrt kompensiert eine Vorwärtspfeilung (negative Pfeilung) die Eigenschaften eines zugespitzten Flügels und macht ihn einem Flügel mit elliptischer Auftriebsverteilung ähnlicher. Vorwärtspfeilung kann den ma- ximal möglichen Anstellwinkel erhöhen. Daher wird sie bei Flugzeugen angewandt, die besonders wendig sein sollen. Rückwärtspfeilung hingegen

Abb. 5.20 Positiv gepfeilter Flügel: Ablenkung der Strömung Richtung Flügelspitze.

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hat in der Flugtechnik den Vorteil, das Widerstandsverhalten im oberen Unterschallbereich und Überschallbereich zu verbessern (was natürlich für das Segeln ohne Belang ist). Es stellt sich heraus, dass für Tragflügel mit größerem Seitenverhältnis (schlanke Flügel) die Verluste durch induzierte Wirbel mit größerer Vor- wärts- oder Rückwärtspfeilung stark ansteigen5) (ein Minimum wird für leichte Rückwärtspfeilung erreicht). Lange, schmale Kiele sollten also nur wenig gepfeilt sein. Eine gewisse Pfeilung von etwa 30° erweist sich für Kiele mit niedrigem Seitenverhältnis als vorteilhaft. Durch die zur Flügel- spitze hin gerichtete Querströmung wird nämlich der Schwerpunkt der Seitenkraft gegen die Kielspitze (nach unten) verlegt, und die störende Wechselwirkung mit der Wasseroberfläche (siehe Abschnitt 5.3, Abb. 5.13 und 5.14) wird dadurch weniger bedeutend. Dieser Vorteil wird haupt- sächlich bei größeren Bootsgeschwindigkeiten wirksam. Bei niedrigen Geschwindigkeiten überwiegt der erhöhte induzierte Widerstand, der sich aufgrund der Pfeilung ergibt. Wie viele Eigenschaften von Segelyachten, so ist auch die Kielform stets Ergebnis eines Kompromisses.

5.7 Auftriebsverhalten von Tragflügeln mit niedrigem Seitenverhältnis

Wir hatten bisher die Entstehung des Auftriebs und des induzierten Widerstandes im Rahmen der klassischen Traglinientheorie (Prandtl, Lan- chester) erörtert. Sie geht von der Annahme aus, dass eine gleichförmige Anströmung normal zu einer tragenden Linie besteht, die mit gebundenen Wirbeln (Zirkulation) versehen ist. Die Flügelrand-Umströmung wird da- bei als Störung behandelt. Diese Theorie funktioniert gut für Flügel mit großem Seitenverhältnis und gleichmäßiger Strömung bei nicht zu großen Anstellwinkeln. Sie versagt bei

• gepfeilten Flügeln (infolge der Querströmung), • teilweise abgelöster Strömung, • Tragflächen mit kleinem Seitenverhältnis (starker Einfluss der Randwir- bel), • über die Spannweite stark variierenden Anströmungsbedingungen.

5) Darüber hinaus wird auch der Auftrieb komponente normal auf den Tragflügel, verringert, weil für das Entstehen der genauer auf die ¼-Punkt-Linie, wirksam Zirkulation nur die Geschwindigkeits- wird.

5.7 Auftriebsverhalten von Tragflügeln mit niedrigem Seitenverhältnis 107 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c05.3d from 13.04.2012 15:41:04 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 5.21 Wenig wirksame Teile des Late- ralplans (grau).

Um diese Fälle behandeln zu können, wurden im Lauf der Zeit verschie- dene aufwändige Theorien entwickelt wie erweiterte Traglinientheorie, Trag- flächentheorie, Theorie schlanker Körper etc. Eine ausführliche Erörterung sprengt den Rahmen unserer Betrachtung. Diese Theorien sind diskutiert in Incompressible Aerodynamics (Thwaites, 1960). In der Theorie schlanker Körper wird die Wechselwirkung des Boots- rumpfes mit der Kielflosse berücksichtigt. Bezeichnet man den Tiefgang

des Rumpfes ohne Kielflosse (engl. canoe body) mit TR, den Tiefgang des gesamten Bootes mit Kielflosse mit T, dann ergibt sich unter gewissen Annahmen für den Auftrieb die interessante Beziehung  T L ¼ C R rpv 2 T 2b ðGleichung 5:6Þ T S

mit einer vom Verhältnis TR/T (schwach) abhängigen Konstante C, der b Anströmungsgeschwindigkeit vS und dem Anstellwinkel (aus Konsistenz-

Abb. 5.22 Historische Entwicklung der La- (1895), d) Volvo Ocean Race – Teilnehmer teralpläne. a) Kutter des 17. Jahrhunderts, „UBS Switzerland“ (1985) (nach b) Schoner „America“ (1851), c) „Defender“ S. Crepaz, 1986).

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Abb. 5.23 Polardiagramme der aerodyna- wert. Die bei den Messkurven angeführten mischen Eigenschaften von Segeln ver- Parameter sind die Anstellwinkel. Alle schiedener Form und verschiedener Seiten- Segel haben die gleiche Wölbungstiefe verhältnisse L. x-Achse: t/c = 1/13,5 (nach Eiffel, 1913). Widerstandsbeiwert, y-Achse: Auftriebsbei-

gründen). Das Verblüffende ist, dass die Seitenkraft in erster Näherung nicht von der Fläche des Kiels, sondern nur vom Quadrat des Tiefgangs abhängt. Diese Abhängigkeit trifft mit der Feststellung zusammen, dass die Seitenkraft hauptsächlich im vorderen Teil des Kiels erzeugt wird, und weiter hinten liegende Teile ohne große Beeinträchtigung weggelassen werden können (Abb. 5.21). Der Vorteil dabei ist ein verminderter Rei- bungswiderstand. Diese Erkenntnis führte bereits im 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart zur sukzessiven Beschneidung der Lateralpläne (Abb. 5.22). Man erkauft sich aber dadurch geringere Stabilität gegenüber Gier- momenten, also ein etwas „nervöseres“ Verhalten am Ruder. Eine bemerkenswerte Eigenschaft, die von der klassischen Traglini- entheorie nicht vorhergesagt wird, sind die großen Maximal-Auftriebsbei- werte von Flügelprofilen mit sehr kleinem Seitenverhältnis. Dazu betrach-

5.7 Auftriebsverhalten von Tragflügeln mit niedrigem Seitenverhältnis 109 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c05.3d from 13.04.2012 15:41:08 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 5.24 Gennaker, Wikimedia Commons, Autor VollwertBIT.

ten wir eine Sammlung von Polardiagrammen der Auftriebs- und Wider- standsbeiwerte von Segeln verschiedener Form und Seitenverhältnisse, die in mehreren Büchern über Segeltheorie zu finden ist und im Wesentlichen auf Messungen von Eiffel zu Anfang des 20. Jahrhunderts zurückgeht (Abb. 5.23). Ein hochgetakeltes Segel mit hohem Seitenverhältnis weist dabei den kleinsten aerodynamischen Gleitwinkel auf (maximales L/D-Verhältnis, entsprechend einer vom Ursprung aus an die Polarkurve gelegten Tangen- te) und verfügt damit über besonders gute Kreuzeigenschaften. Das Gaffel- segel mit Seitenverhältnis L = 1 entwickelt demgegenüber eine viel größere maximale Gesamtkraft, ja selbst das traditionelle Rahsegel mit L = 1/3 schneidet unter diesem Gesichtspunkt gut ab. Für elliptische ebene Platten gleicher Fläche bekommt man bei Kreisform den größten Auftriebsbeiwert (an den Fliegenden Untertassen scheint also doch etwas dran zu sein!). Der Grund für die hohen Gesamtkraftbeiwerte von Flügeln mit sehr kleinem Seitenverhältnis ist hauptsächlich darin zu sehen, dass das starke Über- greifen der Randwirbel die Strömungsablösung zu höheren Anstellwinkeln hin verzögert. Entscheidend für geringe Wirbelverluste und verzögerte Strömungsablösung sind in jedem Fall möglichst abgerundete Ecken. Für die Segelpraxis bedeuten diese Erkenntnisse, dass eine Yacht hart am Wind eine Besegelung mit großem Seitenverhältnis (unter Beachtung der Stabilität) und auf raum-achterlichen Kursen Segel mit geringerem Seiten- verhältnis und stärkerer Wölbung haben sollte. Dem wird üblicherweise durch das Setzen von besonderen Raum- und Vorwindsegeln wie Reacher, Gennaker (Abb. 5.24), Spinnaker (Abb. 5.25) Rechnung getragen.

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Abb. 5.25 Spinnaker, Foto: E. Bräuer.

Zentrale Aussagen

Induzierter Widerstand

• Jeder reale Tragflügel hat ein Ende. Um dieses Ende herum strömt das Fluid von der Überdruckseite (Luv) zur Unterdruck- seite (Lee) → Zopfwirbel. • Tragflügel-Randwirbel (Zopfwirbel) bildet zusammen mit der gebundenen Zirkulation um die Tragfläche und mit dem Anfahr- wirbel einen geschlossenen Wirbelring (Helmholtz!). • In dem Ausmaß wie die Zirkulation entlang der Tragfläche abnimmt, gehen nach hinten Zopfwirbel ab. Diese bilden eine Wirbelschleppe (Wirbelfläche), die sich hinter der Tragfläche zu großen Wirbeln aufrollt. • Wirbelschleppe bewirkt hinter der Tragfläche induzierten Ab- wind. Führt zu einer Verringerung des Anstellwinkels aeff ¼ a ai. • Wird der Anstellwinkel nachgeführt, entsteht der Auftrieb in ungünstigerer Richtung → induzierter Widerstand.

5.7 Auftriebsverhalten von Tragflügeln mit niedrigem Seitenverhältnis 111 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c05.3d from 13.04.2012 15:41:12 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

• Elliptische Auftriebsverteilung gibt konstanten Abwind über die Spannweite und minimalen induzierten Widerstand. • Bei elliptischer Auftriebsverteilung hängt induzierter Widerstand L ¼ p 2=L vom Seitenverhältnis des Flügels ab: CDi CL .

Impulsübertrag, Kraft, Leistung

• Das Segel kann durch eine virtuelle Umlenkungsfläche ersetzt gedacht werden. Die Reflexion der Luft an dieser Fläche erzeugt über den Impulsübertrag die Windkraft. • Bewegt sich das Boot unter dem Einfluss dieser Kraft, dann entspricht die erbrachte Leistung genau dem Verlust an kineti- scher Strömungsenergie pro Zeiteinheit.

Randbedingungen, Einfluss der Flügelform

• Wechselwirkung der Luftströmung mit der Wasseroberfläche: Se- gel kann um sein Spiegelbild ergänzt gedacht werden. Verschwin- det der Spalt unter dem Segel, dann bildet sich nur im Masttopp ein Randwirbel (wirkt wie die Hälfte eines Doppelflügels). • Wechselwirkung der Wasserströmung (um die Kielflosse) mit der Wasseroberfläche ist qualitativ anders, da durch Druckunter- schiede an der Wasseroberfläche Wellen erzeugt werden. Daher Ergänzung zu einem Doppelflügel nicht möglich. • Verwindung des Flügels (Twist) erzeugt zusätzlichen induzierten Widerstand. Gewisse Verwindung aber erwünscht, um Richtungs- änderung des Scheinbaren Windes mit der Höhe zu kompensieren. • Tragflügelform: elliptischer Flügel: kritischer Anstellwinkel für Strömungsablösung wird überall gleichzeitig erreicht, zugespitz- ter Flügel: an der Flügelspitze zuerst, rechteckiger Flügel: an der Flügelwurzel zuerst. • Pfeilung: Positive Pfeilung (Rückwärtspfeilung) führt zu Quer- strömung und Strömungsablösung an der Flügelspitze, negative Pfeilung macht das Verhalten eines zugespitzten Flügels dem eines elliptischen ähnlicher (gleichmäßige Ablösung). Geringe positive Pfeilung kann bei breiten Kielen Vorteile bringen. • Kielflosse zusammen mit Bootsrumpf: Auf den Tiefgang kommt es an, nicht auf die Profilsehnenlänge → Beschneidung der Lateralpläne. • Tragflächen mit geringem Seitenverhältnis vertragen größere An- stellwinkel bis sich die Strömung ablöst, liefern daher höhere Gesamtkraft (bei höherem Widerstand) → Vorwindsegel (Spinna- ker etc.).

112 5 Der dreidimensionale Tragflügel Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:09 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

6 Der Bootskörper: Wellenerzeugung und Widerstandskomponenten, Skalierung

Das Segelschiff zeichnet sich vor anderen in Luft- und Wasserströmungen bewegten Körpern (Vögel, Flugzeuge, Fische, Unterseeboote) besonders durch die Tatsache aus, dass es sich an der Grenze zwischen zwei Medien bewegt. Die Erscheinungen an der Grenzfläche (Oberflächenwellen) und die Wechselwirkungen mit ihnen sind wichtige Randbedingungen für die Fortbewegung von Schiffen. Daher wollen wir uns zunächst mit den Eigenschaften von Schwerewellen auseinander setzen.1)

6.1 Wasserwellen (Schwerewellen)

Die an einer Wasseroberfläche laufenden, vom Schwerefeld der Erde getriebenen Wellen stellen ein besonderes Phänomen an der Grenzfläche zweier Medien dar. Durch Beobachtung stellen wir folgenden Sachverhalt fest: Ein Flüssigkeitsteilchen an der Wasseroberfläche, etwa markiert durch einen schwimmenden Korken, vollführt, wenn eine Oberflächenwelle unter ihm durchläuft, eine elliptische Bahn2). Er bewegt sich dabei auf dem Wellenberg in Richtung der Wellenausbreitung, im Wellental gegen die Ausbreitungsrichtung. Neben der Inkompressibilität des Wassers3) wollen wir bei der Behand- lung von Schwerewellen näherungsweise verschwindende innere Reibung

1) Die Oberflächenspannung stellt eben- geschwindigkeit als die Schwerewellen falls eine mögliche Kraftquelle dar, die und sind daher für unsere Betrachtun- Wellen antreiben kann. Diese Wellen gen ohne Bedeutung. Sie spielen jedoch haben jedoch nur bei Wellenlängen un- eine Rolle bei der Erzeugung von Wel- ter etwa 2 cm eine höhere Phasen- len durch den Wind. 2) Dieser ist in der Regel eine kleine Driftbewegung überlagert, die wir jedoch vernachlässigen. 3) Die Kompressibilität von Wasser beträgt Wassertiefe von 1000 m zu einer Volu- etwa 5·10−10 m2N−1. Durch den hydro- menverkleinerung von 0,5 %. statischen Druck kommt es also in einer

Physik des Segelns: Wie Segeln wirklich funktioniert, 1. Auflage. Wolfgang Püschl. 113 © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2012 by Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:09 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

annehmen. (In einer realen Flüssigkeit führt die innere Reibung zu einer Dämpfung der Welle.) Die ungedämpfte Welle laufe entlang der x-Rich- tung, etwa in einem Kanal der Tiefe h mit Wänden parallel zur x-Achse, sodass eine Abhängigkeit von der y-Koordinate nicht auftritt. Die z-Koor- dinate betrage z = 0 an der Wasseroberfläche und z = –h am Boden des Gewässers. Eine solche Geometrie wird für die experimentelle Unter- suchung von Welleneigenschaften angewendet. Die Kreisfrequenz der fortlaufenden Welle sei o = 2pf mit der Frequenz f und ihr Wellenvektor k =2p / l mit der Wellenlänge l. Wegen der Inkompressibilität muss Wasser vom Wellental in den Wellenberg und zurück befördert werden. Die Wasserteilchen können daher nicht ortsfest bleiben. Aufgrund des beobachteten Verhaltens ist es vernünftig anzunehmen, dass sie Verschie- bungen in x- und z-Richtung mit der Kreisfrequenz und Phase der durch- laufenden Welle erleiden, und dass diese Verschiebungen mit zunehmen- der Wassertiefe immer kleiner werden. Außerdem ist plausibel, dass die c horizontale Verschiebung x dann am stärksten ist, wenn gerade der c Wechsel von Wellental zu Wellenberg erfolgt, also z = 0. Wir machen daher folgenden Ansatz:

c ð Þ¼ ð Þ ðo Þ x x,z,t Ax z sin t kx ð : Þ c ð Þ¼ ð Þ ðo Þ Gleichung 6 1 z x,z,t Az z cos t kx

Wir können uns leicht davon überzeugen, dass dies einer elliptischen Bewegung entspricht. Die Amplituden in x- und z-Richtung sind im Allgemeinen verschieden und von der Wassertiefe z abhängig. In einem ersten Schritt wollen wir diese Abhängigkeit bestimmen.

6.2 Tiefenabhängigkeit der Wellenamplituden

Durch Differenzieren nach der Zeit erhalten wir aus Gleichung (6.1) nun die Geschwindigkeiten

vx ¼ oAxðzÞ cosðot kxÞ ðGleichung 6:2Þ vz ¼oAzðzÞ sinðot kxÞ

Streng genommen sind das die Geschwindigkeiten am Ort der verschobe- nen Position des Flüssigkeitsteilchens. Wir vernachlässigen diesen Unter-

114 6 Der Bootskörper: Wellenerzeugung und Widerstandskomponenten, Skalierung Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:09 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

schied, indem wir uns auf Wellen kleiner Amplitude beschränken.4) Nun wenden wir die Bedingungen v div =vx,x +vz,z = 0 (inkompressibel, siehe Gl. (3.7))(Gleichung 6.3)

rot v → rot v – 5) =0 ( )y =vx,z vz,x =0(reibungsfrei und daher wirbelfrei) (Gleichung 6.4)

auf Gleichung (6.2) an, was auf die Gleichungen

¼ Az,z kAx 0 ð : Þ ¼ 6) Gleichung 6 5 Ax,z kAz 0

und durch Elimination von Ax (nach nochmaliger Differenziation der ersten Gleichung nach z) schließlich zu

ð Þ 2 ð Þ¼ : ð : Þ Az, zz z k Az z 0 Gleichung 6 6

führt. Der übliche Exponentialansatz ergibt für diese Differenzialgleichung eine Lösung

0 0 AzðzÞ¼A expðkzÞþB expðkzÞðGleichung 6:7Þ

Die hier auftretenden Konstanten A′ und B′ müssen aus den Randbedin- gungen des Problems bestimmt werden. Die Randbedingungen für die Lösung dieser Gleichung sind, dass die Amplitude in z-Richtung an der Wasseroberfläche einen bestimmten Betrag A hat und am Boden des Kanals (in Tiefe h) verschwindet.

c ð Þ¼ ðo Þ z x,0,t A cos t kx ð : Þ c ð Þ¼ Gleichung 6 8 z x, h,t 0

Einsetzen dieser Randbedingungen liefert schließlich die Lösung für Az. (Ax wird dann aus der ersten Gl. (6.5) bestimmt)

4) Die größtmögliche Amplitude frei lau- lenhöhe“ versteht man gemeinhin die fender Tiefwasserwellen, bevor sie bre- zweifache Amplitude, also den Vertikal- chen, beträgt etwa 1/14 der Wellenlänge abstand zwischen Wellental und Wel- (Bascom, 1964). Benachbarte Flanken lenberg. Man sagt also, dass die Welle eines Wellenberges schließen dann ei- bricht, wenn die Wellenhöhe 1/7 der nen Winkel von 120° ein. Unter „Wel- Wellenlänge erreicht hat. 5) Ist in einer reibungsfreien Flüssigkeit keine Rotation vorhanden, so kann auch keine entstehen, siehe Gl. (3.17). 6) Zur Notation mit Kommas siehe Kapitel 3, Gln. (3.33)ff.

6.2 Tiefenabhängigkeit der Wellenamplituden 115 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:10 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 6.1 Bewegung der Wasserteilchen a) in tiefem Wasser, b) in seichtem Wasser.

A cosh ½khðÞþ z A ðzÞ¼ x sinhðkhÞ ðGleichung 6:9Þ A sinh½khðÞþ z A ðzÞ¼ z sinhðkhÞ

Diese Amplituden der Bewegung in x- und z-Richtung stellen die Halb- achsen der von den Wasserteilchen durchlaufenen Ellipse dar. Das Achsen- verhältnis beträgt entsprechend Gl. (6.9)

a A ðzÞ ¼ x ¼ coth ½kðh þ zÞ : ðGleichung 6:10Þ b AzðzÞ

Für Tiefwasserwellen (h unendlich) beträgt es 1, die Bahnen der Wasser- teilchen sind in diesem Fall Kreise. Für Seichtwasserwellen (endliches h) sind die Ellipsen in Ausbreitungsrichtung der Welle abgeplattet, und zwar umso mehr, je mehr man sich dem Boden nähert.7) Der Verlauf ist in der Abb. 6.1 dargestellt. Für Tiefwasserwellen verläuft die Abnahme der Am- plitude der kreisförmigen Bewegung ∝ exp(kz), die Wellenbewegung wird daher in einer Tiefe von wenigen Wellenlängen unmerklich, wie jeder alte U-Boot-Fahrer bezeugen kann. In einer Tiefe von einer Wellenlänge ist die Amplitude um einen Faktor expð2pÞ2 103 verringert, in einer Tiefe von l=ð2pÞ0,16 l immerhin bereits um 1=e 0,37.

7) Wer anlässlich eines Badeurlaubs die chen Sandstrandes beobachtet hat, Bewegung der Sandkörner bei Durch- weiß, dass sie sich in sehr flachen Bah- laufen einer Welle am Boden eines fla- nen hin und her bewegen.

116 6 Der Bootskörper: Wellenerzeugung und Widerstandskomponenten, Skalierung Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:12 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

6.3 Ableitung der Dispersionsrelation8)

Wir sind an der Phasengeschwindigkeit vP interessiert, mit der sich Schwerewellen ausbreiten. Sie bestimmt die Wellenbildung an einem fah- renden Bootsrumpf. Insbesondere geht es uns um die Dispersionsrelation, d. h. den Zusammenhang o = o(k) zwischen Kreisfrequenz und Wellen- o vektor, aus dem die Abhängigkeit der Phasengeschwindigkeit vp = / k von der Wellenlänge l =2p / k abgeleitet werden kann. Dazu gehen wir von einer Energiebetrachtung aus: Die Wasserteilchen bewegen sich vom Wellenkamm zum Wellental, dabei wird potenzielle Energie der Schwerkraft in Geschwindigkeit umgesetzt. Das Bernoulli- Gesetz Gl. (3.20) gilt allerdings nur entlang einer Stromlinie in stationärer Strömung. Mit einem kleinen Trick schaffen wir stationäre Verhältnisse. Wir stellen uns vor, die Welle bewege sich gegen eine Strömung (adverse current), deren Geschwindigkeit gleich der Phasengeschwindigkeit der Welle ist. Für den ruhenden Beobachter steht die Welle dann, und die Flüssigkeit strömt stationär über aufeinander folgende Wellenberge und -täler. Alternativ können wir uns auch vorstellen, dass wir uns wie ein Surfer mit der Welle mitbewegen (Abb. 6.2). Das entspricht einer Koor- dinatentransformation

0 o x ¼ x vpt ¼ x t k ðGleichung 6:11Þ 0 z ¼ z

Aus Gl. (6.2) folgt für die Geschwindigkeiten in dem neuen (mit der Welle mitbewegten) Koordinatensystem

0 o vx0 ¼ oAxðzÞ cosðkx Þ k ðGleichung 6:12Þ 0 vz0 ¼oAzðzÞ sinðkx Þ

Da die Zeitabhängigkeit herausfällt, haben wir mit der Koordinatentrans- formation Gl. (6.11) tatsächlich stationäre Verhältnisse geschaffen. Wir betrachten Wasserteilchen, die sich an der Oberfläche der Welle befinden. Dann gilt (z =0)

0 o vx0 ¼ oA cothðkhÞ cosðkx Þ k ðGleichung 6:13Þ 0 vz0 ¼oA sinðkx Þ

8) Hier folgen wir weitgehend der Darstellung von I. G. Main, 1978.

6.3 Ableitung der Dispersionsrelation 117 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:12 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 6.2 Schematische Bewegung der Was- berg wird sie subtrahiert. Ergebnis ist die serteilchen in dem mit der Welle mitgeführ- lokale Gesamtgeschwindigkeit (dicker ten Koordinatensystem. Zur mittleren Ge- schwarzer Pfeil). Diese ist im Wellental schwindigkeit der Wasserströmung –vph groß, auf dem Wellenberg klein. Die klei- (weißer Pfeil) addiert sich im Wellental die nen offenen Kreise stellen die Position Geschwindigkeit der Orbitalbewegung vx eines Wasserteilchens zu äquidistanten (dünner schwarzer Pfeil), auf dem Wellen- Zeitpunkten dar.

An der Oberfläche der Welle ist der Druck stets gleich dem atmosphäri-

schen Luftdruck p = pa, und die Bernoulli-Gleichung (3.27) erhält das Aussehen

1 r v2 þ r gc ¼ const: ðGleichung 6:14Þ 2 z

Einsetzen der entsprechenden Größen aus (6.1) für z = 0 und (6.13) in (6.14) liefert

r ro2 ro2 o2 2 2 0 þ 2 2 0 þ 0 A sin kx coth kh cos kx 2 A coth kh cos kx 2 0 2k k þ rgA cos kx ¼ const: ðGleichung 6:15Þ

Oder nach Multiplikation mit k²

2 r 0 0 ro 0 o2A2k2 sin2kx þ coth2kh cos2kx þ ro2Ak coth kh cos kx 2 0 2 þ rgAk2 cos kx ¼ const: ðGleichung 6:16Þ

Da unsere Näherung für Wellen gilt, deren Amplituden klein gegen die Wellenlänge ist, d. h. Ak<< 1, können wir den ersten Term mit der runden Klammer vernachlässigen. Da der Rest konstant und damit unabhängig von x’ sein soll, muss der Koeffizient von cos(kx’) verschwinden. Somit ergibt sich

118 6 Der Bootskörper: Wellenerzeugung und Widerstandskomponenten, Skalierung Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:13 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

o2 ¼ gk tanhðkhÞðGleichung 6:17aÞ

oder für die Phasengeschwindigkeit rffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi rffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi o g gl v ¼ ¼ tanhðkhÞ ¼ tanhðkhÞ: ðGleichung 6:17bÞ p k k 2p

Hierzu gibt es zwei interessante Spezialfälle: Tiefwasserwellen und Seicht- wasserwellen.

6.4 Tiefwasserwellen

Hier gilt l>>h, somit kh >> 1 und tanh (kh) ≈ 1. Damit wird rffiffiffi rffiffiffiffiffiffi o g gl v ¼ ¼ ¼ .9) ðGleichung 6:18Þ p k k 2p

In SI-Einheiten: ÂÃ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 vP ms 1,25 l½m : ðGleichung 6:18aÞ

Eine weitere nützliche numerische Formel erhält man, wenn l in [m] und

vP in [kn] gemessen wird. Dann gilt pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi vP½kn 2,43 l½m : ðGleichung 6:18bÞ ¼ qo Die Gruppengeschwindigkeit vg qk zeigt die gleiche Abhängigkeit von k und es gilt identisch

1 v ¼ v : ðGleichung 6:19Þ g 2 P

þ ¼ o þ o 9) Dieses Ergebnis lässt sich für den Tief- v k A . Der Unterschied an kine- wasserfall auch mit einer vereinfachten tischer Energie muss die potenzielle Ableitung gewinnen. Dann ist die Be- Energie zwischen Wellenberg und Wel- wegung kreisförmig. Die horizontale lentalhi genau kompensieren, daher: Tangentialgeschwindigkeit beträgt am r ðÞþ 2 ðÞ 2 ¼ r 4Ao2 ¼ r 2 v v 2 k g2A. Da- WellenbergþAo, im WellentalAo.Im raus folgtq unmittelbarffiffi o2 ¼ gk oder mit der Welle mitlaufenden Koordina- ¼ o ¼ g tensystem sind die entsprechenden Ge- vP k k. ¼ o o schwindigkeiten v k A bzw.

6.4 Tiefwasserwellen 119 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:13 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Die Gruppengeschwindigkeit hat also die gleiche Abhängigkeit von der Wellenlänge, ist aber nur halb so groß. Diese Tatsache kann ganz wörtlich verstanden werden: Wenn eine Wellengruppe (ein Wellenzug, engl. wave train) über den Ozean läuft, dann verschwinden an ihrem vorderen Ende laufend Wellenberge, die sich am hinteren Ende der Gruppe wieder neu bilden. Die Gruppengeschwindigkeit verhält sich zur Phasengeschwindigkeit wie die Geschwindigkeit eines Kettenfahrzeuges (z. B. Schubraupe) zur Geschwindig- keit der im oberen Teil der Kette nach vorne laufenden Kettenglieder. Die Wasserteilchen an der Oberfläche einer Tiefwasserwelle beschreiben einen vollen Kreis mit dem Radius A, während sich die Welle um eine Wellenlänge l weiter bewegt hat. Daher entspricht die äußere Form von Tiefwasserwellen einer verkürzten Zykloide (Abb. 6.3), das ist die Kurve, die ein Kreis mit Radius A beschreibt, wenn ein konzentrischer, mit ihm verbundener Kreis mit dem größeren Radius B ¼ l=ð2pÞ¼1=k auf einer Geraden abrollt. Die Parameterdarstellung dieser Kurve ist

1 x ¼ v t þ A cosðo tÞ¼ o t þ A cosðo tÞ, ðGleichung 6:20aÞ p k

y ¼ A sinðo tÞ: ðGleichung 6:20bÞ

Abb. 6.3 Form einer Wasserwelle. a) und b) gestellt. Für A = 0,01 l ist die Abweichung Wellenhöhe richtig in Relation zur Wellen- von der Sinusform bereits vernachlässig- länge dargestellt, c) und d) überhöht dar- bar.

120 6 Der Bootskörper: Wellenerzeugung und Widerstandskomponenten, Skalierung Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:16 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Wenn wir entsprechend unserer Ableitung kleine Amplituden vorausset- zen, also A << l =2p/k, dann folgt daraus, dass die Form mit guter Näherung einer Sinuswelle entspricht. In diesem Fall lässt sich nämlich in Gl. (6.20a) der zweite Term rechts gegen den ersten vernachlässigen und wir erhalten

o t kx, ðGleichung 6:21aÞ

y A sinðkxÞ: ðGleichung 6:21bÞ

In der Abb. 6.3 entsprechen die Fälle b) und d) dieser Näherung.

6.5 Seichtwasserwellen

Der zweite Spezialfall betrachtet Wellen in Wasser, dessen Tiefe deutlich kleiner als die Wellenlänge ist. Dann gilt kh << 1 und in Gl. (6.17) tanh(kh) ≈ kh. Es ergibt sich pffiffiffiffiffi vp ¼ gh: ðGleichung 6:22Þ

Die Wellen zeigen keine Dispersion mehr, sind aber von der Wassertiefe abhängig. Eine auf einen Strand auflaufende Dünung bricht (Brandung), weil die Wellen umso langsamer laufen, je seichter das Wasser wird und sie sich daher „aufstauen“. Auf diesem Verhalten beruht die vernichtende Wirkung von Tsunamis, die auf eine flache Küste treffen. Läuft eine Tsunami-Welle jedoch gegen eine senkrechte Felswand, dann wird sie reflektiert und bildet zusammen mit der ursprünglichen Welle eine ste- hende Welle aus. In der Nähe der Wand ist die Bewegung der Flüssigkeit durchgehend vertikal. Es kommt zu einer vorübergehenden Erhöhung des hydrostatischen Drucks, aber der zerstörerische horizontale Impuls einer brechenden Welle fehlt (Man betrachte dazu auch Abb. 6.1b, die zeigt, dass sich die Wasserteilchen in einer Seichtwasserwelle umso mehr in horizon- taler Richtung bewegen, je geringer die Wassertiefe wird). Tsunamis sind jedoch nicht nur in Ufernähe als Seichtwasserwellen anzusehen, sondern auch im tiefen Ozeanbecken. Grund dafür ist ihre große Wellenlänge von mehreren 100 km. Also gilt für die Ausbreitungs- geschwindigkeitpffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi in einem typischen Ozeanbecken (h ≈ 4000 m) 1 vp ¼ gh 40000 ¼ 200ms 700km=h. Mit dieser Geschwindigkeit benötigt eine Tsunamiwelle ca. 15 Stunden zur Überwindung der Distanz von Chile bis Hawaii (etwa 10.600 km), was

6.5 Seichtwasserwellen 121 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:16 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

anlässlich des Erdbebens vom 27.02.2010 durch Messungen des US Geo- logical Survey bestätigt wurde.

6.6 Das Wellensystem eines fahrenden Schiffes

Beobachtet man das von einem Schiff erzeugte Wellensystem (Abb. 6.4), dann weist dieses – in genügender Wassertiefe – immer das gleiche Muster auf. Zu beiden Seiten laufen Wellengruppen mit geschwungenen Formen schräg nach vorne und bilden insgesamt ein keilförmiges Ensemble (diver- gentes System). Dazwischen verlaufen Wellen quer, ebenfalls leicht ge- krümmt (transversales System). Weiters fällt auf, dass die gesamte Wellen- landschaft relativ zum Schiffskörper zu ruhen scheint. Die von einem Schiff erzeugten Wellen bewegen sich mit der Geschwindigkeit des Schif- fes. Für diese Eigenschaft des Wellensystems gibt es ein einfaches Argu- ment: Ein Beobachter, der sich relativ zu einem Schiff, das aus dem Unendlichen kommt, immer an der gleichen Stelle befindet, sieht immer die gleiche Situation. Die gesamte „Vergangenheit“ der vom Schiff erzeug- ten und auf ihn zulaufenden Wellen ist stets dieselbe. Daher muss an seinem Beobachtungspunkt die Wellenamplitude stets gleich sein. Dabei

Abb. 6.4 Von einem Schiff erzeugtes sog. Kelvin’sches Wellensystem (www.wikiwaves. org).

122 6 Der Bootskörper: Wellenerzeugung und Widerstandskomponenten, Skalierung Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:18 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

ist das qualitative Aussehen des Wellensystems von der speziellen Gestalt des Schiffskörpers unabhängig, wenn man es aus genügend großer Ent- fernung betrachtet. Entscheidend ist, dass der Bug die Wasserteilchen auseinander drängt, während sie hinter dem Heck in einer komplementä- ren Bewegung wieder zusammengeführt werden. Betrachten wir die Wellenerregung, die von jedem Punkt des fahrenden Schiffs ausgeht. Ein ursprünglich am Ausgangspunkt konzentriertes Wel- lenpaket breitet sich kreisförmig aus. Ein solches Wellenpaket setzt sich aus Wellen verschiedener Länge zusammen. Beim Auseinanderlaufen bewegen sich die langwelligeren Komponenten schneller und sind daher am Außenrand des Kreises zu finden. Dadurch ergibt sich der paradox anmutende Sachverhalt, dass sich die Wellenerregung mit einem Radius ausbreitet, der dem Quadrat der verstrichenen Zeit proportional ist. Je größer der Kreis wird, desto mehr wächst seine Ausbreitungsgeschwindig- keit. Bewegt sich das Erregungszentrum mit konstanter Geschwindigkeit durch das Wasser (Man denke etwa an einen sehr dünnen Bleistift, der senkrecht durch die Wasseroberfläche gezogen wird), dann kommt es zu der in Abb. 6.5 dargestellten Erscheinung. Es sind die Wellenkreise zu

Abb. 6.5 Die kreisförmigen Wellenfronten kleinen Kreise erzeugen das divergente sind von den entlang dem Kurs markierten System, die Einhüllenden der großen Punkten zu äquidistanten Zeitpunkten aus- Kreise das transversale System. gegangen. Die Einhüllenden (strichliert) der

6.6 Das Wellensystem eines fahrenden Schiffes 123 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:20 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 6.6 Kelvin’sches Wellensystem eines gleichförmig fahrenden Schiffes (vgl. Abb. 6.4).

sehen, die sich von äquidistanten Punkten entlang der Bahn der Störung (des Schiffs) ausgebreitet haben. Da die Ausbreitung der kreisförmigen Wellen mit wachsendem Radius immer schneller wird, holen die Wellen, die früher ausgesandt wurden, die Wellen ein, die später ausgesandt wurden. Da die Amplitude der kreisförmigen Wellen immer kleiner wird, kommt der Vorgang allmählich zum Erliegen und wird in einem nächsten Bereich entlang der Bahn erneut begonnen. Die Einhüllenden der Wellen- fronten bilden schließlich zwei Wellensysteme, das divergente und das transversale System, zusammen als Kelvin’sche Schiffswelle bekannt, Abb. 6.6. Die transversalen und divergenten Wellen treffen jeweils entlang einer keilförmigen Linie zusammen, deren halber Öffnungswinkel immer gleich und durch a ¼ arcsinð1=3Þ gegeben ist. Ebenso ist die Ausbreitungsrich- tung dieser Wellen an den genannten Punkten universell (Abb. 6.6). Die Konstanz dieser Winkel ist umso bemerkenswerter, als weder die Dichte der Flüssigkeit, noch die Größe der Schwerebeschleunigung g, noch die Geschwindigkeit des Schiffes in sie eingehen. Es handelt sich um eine rein geometrische Eigenschaft, die nur aus der Tatsache ableitbar ist, dass das Wellenbild relativ zum bewegten Schiff stationär ist, sowie aus der Disper- sionsrelation Gl. (6.18)10). Was jedoch sehr wohl von der Geschwindigkeit des Schiffs abhängt, ist der Abstand der einzelnen Wellen in Abb. 6.6. Die Wellenlänge folgt aus der Beziehung Gl. (6.18). Wir erinnern daran, dass diese Form der Kelvin’schen Schiffswelle nur im tiefen Wasser auftritt. Im Seichtwasserbereich haben wir keine Dispersion. Falls das Schiff dort

10) Für eine detaillierte Ableitung sei z. B. in Stoker, 1957, oder auf www.wikiwaves. org verwiesen.

124 6 Der Bootskörper: Wellenerzeugung und Widerstandskomponenten, Skalierung Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:21 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

schneller fährt als die durch die lokale Wassertiefe vorgegebene Geschwin- digkeit, bildet sich eine Bugwelle, deren Öffnungswinkel ähnlich dem Machkegel bei Überschallflug von der Schiffsgeschwindigkeit abhängt. Obwohl jeder Punkt des Schiffsrumpfes als Erregungszentrum für ein Kelvin’sches Wellensystem wirkt, gilt insbesondere für Segelyachten, deren Rumpf in der Regel einen sehr gleichmäßig gekrümmten Verlauf hat, dass die hauptsächliche Wellenerzeugung von Bug und Heck ausgeht. Für die Erzeugung des Wellensystems muss Energie aufgebracht werden. Sie ist für den Wellenwiderstand eines Schiffes verantwortlich. Die (Phasen-)Ge- schwindigkeit des mitlaufenden Wellensystems ist gleich der Schiffs-

geschwindigkeit vS. Wegen des Zusammenhangs zwischen Phasen- geschwindigkeit und Wellenlänge entfallen je nach Schiffsgeschwindigkeit verschieden viele Wellenlängen des erzeugten Wellensystems auf die Was- serlinienlänge des Schiffes. Diese Anzahl ist eine eindeutige Funktion einer dimensionslosen Verhältniszahl, der Froude-Zahl11)

v v Fr ¼ pffiffiffiffiffiS ¼ pffiffiffiffiffip , ðGleichung 6:23Þ gL gL qffiffiffiffi rffiffiffi rffiffiffi gl 2p = l l Fr ¼ pffiffiffiffiffi ¼ ðÞ2p 1 2 0,4 : ðGleichung 6:23aÞ gL L L

Dabei bedeutet g die Gravitationsbeschleunigung, L die Wasserlinienlänge und l die erzeugte Wellenlänge. In Abb. 6.7 sind von oben nach unten verschiedene Situationen für ansteigende Bootsgeschwindigkeiten, aus- gedrückt in Froude-Zahlen, dargestellt. Der Wellenwiderstand steigt immer dann etwas stärker an, wenn sich die Wellenberge der vom Bug und Heck erzeugten Systeme überlagern und daher verstärken (Kurven (a) und (c) in Abb. 6.7). Der Anstieg des Wellen- widerstandes verringert sich, wenn Wellenberge des einen Systems mit Wellentälern des anderen Systems zusammenfallen, wie etwa in der Kurve (b) in Abb. 6.7. Diese Interferenzphänomene führen zu einem wellenför-

11) Nach William Froude (sprich [fru:d]) Gelegentlich wird auch das Quadrat (1810–1879), brit. Schiffbauer, der die des Ausdrucks Gl. 6.23 als Froude-Zahl Skalierungsgesetze für Modellversuche bezeichnet. Manchmal wird im Was- im Schiffbau entdeckte. Genauso wie serbau im Nenner statt L eine andere die Reynoldszahl das Verhältnis der charakteristische Länge verwendet, Trägheitskräfte zu den Reibungskräf- etwa die Tiefe eines seichten Kanals, ten angibt, steht die Froude-Zahl für und die Froude-Zahl stellt dann das das Verhältnis von Trägheits- zu Verhältnis von Strömungsgeschwin- Schwerkraftwirkungen. digkeit zur Geschwindigkeit von In manchen Publikationen wird Fn als Seichtwasserwellen dar (siehe Gl. 6.22. Kürzel für die Froude-Zahl verwendet.

6.6 Das Wellensystem eines fahrenden Schiffes 125 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:22 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 6.7 Mitlaufende Wellen bei verschie- b) ist die Überlagerung destruktiv (relativ denen Fahrtgeschwindigkeiten, von oben kleiner Wellenwiderstand). Situation c) nach unten zunehmend (Wellen teilweise entspricht der Rumpfgeschwindigkeit: überhöht gezeichnet). Bei Situation a) und Zwischen Bug und Heck passt genau eine c) überlagern sich die Bug- und Heckwel- Wellenlänge des erzeugten Querwellen- lensysteme konstruktiv, was zu einem relativ systems (Froude-Zahl Fr ≈ 0,4). (modifi- großen Wellenwiderstand führt. In Situation ziert nach Larsson und Eliasson, 2000).

migen Verlauf des Wellenwiderstandes in Anhängigkeit von der Boots- geschwindigkeit. Dabei spielt nicht nur die Überlagerung der Querwellen, sondern auch der divergenten Systeme eine Rolle.12) Der Wellenwiderstand folgt keinem einfachen Gesetz. Seine absolute Größe und auch sein Ver- lauf sind stark von der Form des Schiffskörpers abhängig. Näherungsweise kann er durch folgende Beziehung wiedergegeben werden

6 DW ¼ ½B0 þ B1ðvÞþB2ðvÞþB3ðvÞþB4ðvÞ v ðGleichung 6:24Þ

12) Auf Überlagerungserscheinungen be- Froude-Zahl verringert. Da der Bug- ruht auch die Widerstand vermindernde wulst nur für eine bestimmte Ge- Wirkung des Bugwulstes bei Handels- schwindigkeit optimal konstruiert wer- schiffen. Er erzeugt eine zusätzliche den kann und eine Segelyacht sich mit Welle, die mit der Bugwelle des Schiffes stark wechselnden Geschwindigkeiten destruktiv interferiert und somit das ge- bewegt, hat er sich in Anbetracht sons- samte Wellenbild niedriger macht. tiger Nachteile (Ästhetik, Behinderung Gleichzeitig wird die effektive Wasser- beim Manövrieren im Hafen etc.) im linienlänge vergrößert und damit die Segelsport nicht durchgesetzt.

126 6 Der Bootskörper: Wellenerzeugung und Widerstandskomponenten, Skalierung Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:23 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 6.8 Oszillierendes Verhalten des Wel- getragen gegen die Froude-Zahl. Man ver- lenwiderstandsbeiwertes infolge Interferenz gleiche mit dem Wellenverlauf in Abb. 6.7 der von Bug und Heck erzeugten Wellen- (für ein vereinfachtes Rechenmodell nach systeme, mit den Anteilen des transversalen S. Crepaz, 1986). und des divergenten Wellensystems, auf-

mit von der Schiffsform abhängigen Konstanten B0 und B1 bis B4, wobei die B’s entsprechend der Überlagerung der Wellensysteme oszillieren. 13) 2 Trägt man den Wellenwiderstandsbeiwert CDW = DW / v gegen die Froude-Zahl auf, dann werden diese Oszillationen noch deutlicher sichtbar. In Abb. 6.8 ist ein typischer Verlauf des gesamten Wellenwiderstandsbei- wertes dargestellt sowie die darin enthaltenen Anteile des transversalen und des divergenten Systems. Zu einem besonders starken Anstieg des Wellenwiderstandes, einer richti- gen Widerstandsbarriere für Schiffe vom Verdrängertyp14) kommt es, wenn die mitlaufende Welle so lang wird wie die Wasserlinie des Bootes (Situa- tion Abb. 6.7c, Froude-Zahl ab 0,4 in Abb. 6.8). Die vom Bug und vom Heck erzeugten Querwellensysteme überlagern sich phasengleich, an Bug

13) Ohne die oszillierenden Terme würde dieser ein Verhalten ∝ v4 aufweisen. 14) Das sind eher schwere Fahrzeuge, die nicht in den Gleitzustand übergehen können, siehe dazu weiter unten Abschnitte 6.9.2 und 6.10.

6.6 Das Wellensystem eines fahrenden Schiffes 127 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:26 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 6.9 Verdränger mit Rumpfgeschwindigkeit (30 m²-Schärenkreuzer), Foto: H. Kem- mer, mit freundlicher Genehmigung.

und Heck liegt ein hoher Wellenberg, und der Rumpf befindet sich in einem Wellental (Abb. 6.9)15). Diese Geschwindigkeit heißt Rumpfgeschwindigkeit (engl. hull speed) und wird am zweckmäßigsten nach Gl. (6.18b) in [kn] bei einer Wasserli- nienlänge L in [m] berechnet: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi vR½kn 2,43 L½m : ð≙ 6:18bÞðGleichung 6:25Þ

Beispiele für typische Werte sind in Tabelle 6.1 angegeben.

Tabelle 6.1 Rumpfgeschwindigkeiten für verschiedene Schiffstypen

Schiffstyp Wasserlinie [m] Rumpfgeschwindigkeit [kn] 5,5 m-R, 20 m²-Rennjolle 7,4 6,6 Größere Fahrtenyacht 15 9,4 Orange II Rennkatamaran 40 15,4 Teeklipper 70 20,3 Flugzeugträger 280 40,7

15) Rein formal ist das bei einer Froude- Bug- und Heckwellen das Boot entlang Zahl von (2p)−1/2 ≈ 0,4 der Fall, in der seiner Überhänge benetzen und die Praxis erst bei einer etwas höheren Wasserlinie effektiv etwas länger ma- Froude-Zahl, weil die ansteigenden chen.

128 6 Der Bootskörper: Wellenerzeugung und Widerstandskomponenten, Skalierung Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:28 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

In der Regel ist die Rumpfgeschwindigkeit diejenige, die von einem Schiff auch tatsächlich erreicht werden kann, vorausgesetzt, die Antriebs- kraft der Besegelung ist ausreichend (und der Kapitän nicht zu vorsichtig) oder die Motorisierung stark genug. In diesem Lichte besehen, sind die Rekordgeschwindigkeiten um 20 kn der Teeklipper im 19. Jahrhundert durchaus glaubwürdig. Die Maschine eines großen Containerschiffes mit über 200 m Wasserlinienlänge langweilt sich hingegen geradezu bei dieser Geschwindigkeit, die für dieses Schiff einer weit geringeren als der „kriti- schen“ Froude-Zahl von etwa 0,5 entspricht. Man wird jedoch niemals mit einer 5,5 m-R-Yacht 20 kn segeln können. Versucht man dennoch, eine kleine Yacht mit „Gewalt“ (zum Beispiel an der Schleppleine eines größe- ren Dampfers nach einer Havarie) über die Rumpfgeschwindigkeit hinaus zu bringen, dann können die entstehenden Widerstandskräfte zu einer Zerstörung des Bootskörpers führen, wie schon mancher Eigner leidvoll erfahren musste, dessen Boot einer solchen Belastung ausgesetzt war.

6.7 Wie viel PS hat eine Segelyacht?

Um den Einfluss verschiedener Eigenschaften einer Segelyacht auf ihre Fahrtleistung zu untersuchen, unterscheidet man in der Praxis eine ganze Reihe von Widerstandsanteilen wie Reibungswiderstand, Formwiderstand (reibungsbedingten Druckwiderstand und Wellenwiderstand), induzierten Widerstand infolge Abdrift, Krängung etc. Insbesondere die beiden letzt- genannten Beiträge sind ja bei einem Segelschiff im Gegensatz zu einem Motor getriebenen Fahrzeug nahezu stets vorhanden. Wir behalten im Gedächtnis, dass es vom physikalischen Standpunkt eigentlich nur Kräfte gibt, die tangential zur Oberfläche übertragen werden (Reibung), und solche, die normal auf die Oberfläche übertragen werden (Druck). Kennt man die Widerstandswerte für eine Yacht bei verschiedenen Geschwindigkeiten, dann lässt sich die Antriebsleistung bestimmen, die von der Besegelung erbracht wird. Bezüglich des Luftwiderstandes einer Yacht kann man verschiedene Standpunkte einnehmen. Die auf die Segel- yacht wirkende Luftströmung entspricht dem Scheinbaren Wind, und dieser hat nicht notwendigerweise eine Komponente gegen die Fahrtrich- tung. Vor dem Wind dient der Luftwiderstand damit dem Antrieb, statt ihm entgegen zu wirken. Es lässt sich andererseits argumentieren, dass eine Regattayacht durchschnittlich während ca. 2/3 der Zeit den Scheinbaren Wind aus einer vorlichen Richtung hat (d. h. mit einer Komponente gegen die Fahrtrichtung). Dennoch bleibt es Geschmackssache, ob man dann den Luftwiderstand durch Bootskörper, Mast, Stehendes Gut etc. aus der resul- tierenden aerodynamischen Gesamtkraft separieren möchte oder nicht. Im

6.7 Wie viel PS hat eine Segelyacht? 129 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:28 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Grunde ist eine solche Unterscheidung ähnlich derjenigen zwischen der thermodynamischen Leistung eines Motors und der an der Welle er- brachten Leistung, die um die Reibungsverluste innerhalb der Antriebs- anlage reduziert ist. In der Aufstellung von J. Baader (1962) für eine Kielyacht (Drachenboot, Abb. 6.10) und ein Gleitboot (Flying Dutchman, Abb. 6.11) wird für das Segeln am Wind der Luftwiderstand jedenfalls als eigener Widerstandsanteil geführt, vor allem um zu zeigen, dass er durch- aus beträchtlich sein kann. Aus Abb. 6.10 folgt für eine Bootsgeschwindigkeit von 3 ms−1 ≈ 6 kn (das ist etwas unter der Rumpfgeschwindigkeit) für den Drachen ein Wider- stand von ca. 780 N und damit eine Antriebsleistung der Besegelung von 2350 W ≈ 3,2 PS. Gegen den Luftwiderstand (340 N) wird eine weitere Leistung von 1030 W = 1,4 PS erbracht. Die gleitende Flying-Dutchman- Jolle (FD, Abb. 6.11) hat bei der hohen, aber möglichen Geschwindigkeit von 18 kn (9,2 ms−1) einen Rumpfwiderstand von 980 N, was einer Leistung von 9080 W ≈ 12,3 PS entspricht. Der Luftwiderstand sorgt dabei für weitere ca. 350 N entsprechend einer Leistung von zusätzlichen 3250 W ≈ 4,4 PS. Insgesamt erbringt dann die „reine“ aerodynamische Vortriebskraft eine Leistung von 17,7 PS.

Abb. 6.10 Widerstandsanteile und erbrachte Froude-Zahl. Formwiderstand = Wellen- Leistung des Segelantriebs eines am Wind widerstand plus zähigkeitsbedingter segelnden Drachen (Daten nach J. Baader), Druckwiderstand. aufgetragen gegen die Geschwindigkeit als

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Abb. 6.11 Widerstandsanteile und erbrachte Gleitzustand wird bei etwa 6 kn erreicht. Leistung des Segelantriebs einer am Wind Zu den Bezeichnungen und Einheiten segelnden Gleitjolle der Klasse Flying siehe Abb. 6.10. Dutchman (Daten nach J. Baader). Der

In den Abb. 6.10 und 6.11 ist zu erkennen, dass bei kleinen relativen Geschwindigkeiten der Reibungswiderstand eine dominierende Rolle spielt. Das ist bei Yachten bei schwachen Windverhältnissen von Bedeu- tung, aber besonders in der kommerziellen Schifffahrt, da Frachtschiffe üblicherweise in einem Geschwindigkeitsbereich betrieben werden, in dem ihr Widerstand zum Großteil Reibungswiderstand ist.

6.8 Skalierungsgesetze

6.8.1 Hochrechnung von Modellversuchen auf wirkliche Größe

Wenn wir die Leistungsfähigkeit und das Verhalten einer Schiffskons- truktion aus Schlepptank- oder Windkanalversuchen mit Modellen redu- zierter Größe beurteilen wollen, müssen wir uns im Klaren sein, wie die Widerstandsanteile von der Größe des Schiffs(modells) abhängen. Dabei sind fundamentale Skalierungsgesetze zu beachten. Eines beruht auf der Ähnlichkeit des Strömungscharakters für gleiche Reynoldszahlen (Rey- nolds’sche Ähnlichkeit). Das zweite wichtige Skalierungsgesetz beruht auf der Ähnlichkeit der von zwei verschieden großen Schiffen erzeugten

6.8 Skalierungsgesetze 131 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:32 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Wellensysteme. Das ist dann der Fall, wenn die Froude-Zahl den gleichen Wert hat (Froude’sche Ähnlichkeit). Der Reibungswiderstand lässt sich grundsätzlich gemäß der Formeln (3.43) bzw. (3.44) berechnen. Völlig umströmte Körper verschiedener Größe haben bei gleicher Reynoldszahl den gleichen Reibungswiderstand,

da dieser für laminare Strömung wie vS L skaliert, wobei L eine charakte- ristische Länge des Bootsrumpfes ist, für turbulente Strömung wie vS²L² skaliert, und das Produkt vS L in der Reynoldszahl enthalten ist, die ja konstant sein soll. Der Wellenwiderstand von zwei verschieden großen, geometrisch ähnli- chen Rümpfen, die mit gleicher Froude-Zahl (= gleicher Relativgeschwin-

digkeit, das bedeutet gleiches Verhältnis vS /vR) bewegt werden, skaliert 3 6 7/2 7 wie L bzw. wie vS (für die Antriebsleistung wie L bzw. wie vS ). Er ist im Wesentlichen dem Volumen der Wassermenge proportional, die durch die Wellen aufgetürmt wird. Bewegen sich die beiden verschieden großen

Rümpfe aber mit der gleichen absoluten Geschwindigkeit vS und nehmen ∝ 3 6 wir wie oben erwähnt ein Verhalten des Wellenwiderstands L (vS/vR) an, dann sollte der Wellenwiderstand bei konstantem vS eigentlich von der ∝ 1/2 Größe des Rumpfes unabhängig sein (da vR L ). Wegen der oszillieren- den Terme (Gl. 6.24) und weil die beiden unterschiedlich großen Rümpfe

in diesem Fall mit unterschiedlichen Relativgeschwindigkeiten vS /vR fahren, ist dies allerdings eine zu stark vereinfachte Überlegung. Will man den Gesamtwiderstand einer Yacht aus Modellversuchen er- mitteln, so steht man vor einem Dilemma: Es ist nicht möglich, beiden Skalierungsgesetzen gleichzeitig Genüge zu tun. Hat man z. B. ein Modell im Maßstab 1:9, dann müsste es im Schleppkanal mit 9-facher Geschwin- digkeit wie das Original geschleppt werden, um die gleiche Reynoldszahl zu erreichen. Soll die gleiche Froude-Zahl erzielt werden, dann darf es nur mit 1/3 der Geschwindigkeit des Originals geschleppt werden. In der Praxis entscheidet man sich für gleiche Froude-Zahlen (Froude’sche Ähnlich- keit), da der Wellenwiderstand einer Berechnung besonders schwer zu- gänglich ist. Die anderen Widerstandsanteile versucht man so gut es geht durch Berechnung zu ermitteln. Die Vorgangsweise ist dabei im Wesentli- chen folgende: Der Gesamtwiderstand wird am Modell gemessen. Die weitere Auswertung beruht auf der Froude’schen Hypothese: Der Widerstand zerfällt in zwei additive Anteile, der eine (Reibungswiderstand) hängt von der Geschwindigkeit nur über die Reynoldszahl ab, der andere nur über die Froude-Zahl. Der Reibungswiderstand des Modells wird rechnerisch ermit- telt und vom Gesamtwiderstand abgezogen, sodass der Wellenwiderstand zusammen mit anderen Widerstandsanteilen wie zähigkeitsbedingtem Druckwiderstand und Widerstand durch Wirbelbildung übrig bleibt. Es ist im Schiffbau üblich, diese Anteile zum Restwiderstand (engl. residuary

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Abb. 6.12 Schema der Ermittlung des Schiffswiderstandes aus Modellversuchen, die bei Froude’scher Ähnlichkeit geführt werden.

resistance) zusammenzufassen. Dieser hängt empfindlich von der Rumpf- form des Modells ab und ist Gegenstand der Optimierungsanstrengungen der Schiffs- bzw. Yachtkonstrukteure. Der Restwiderstand wird nun auf das Schiff in natürlicher Größe umgerechnet, indem man ihn mit einem 3 Skalenfaktor (LS /LM) multipliziert. LS und LM sind entsprechende Längen von Großausführung und Modell. Alternativ kann man von vornherein mit Widerstandsbeiwerten arbeiten. Dann lautet die Skalierung einfach, dass für den Restwiderstand der gleiche Beiwert zur Anwendung gelangt wie für die Großausführung16). Deren Reibungswiderstand wird, bei der Reynolds- zahl seiner Fahrgeschwindigkeit, berechnet und dem Restwiderstand hinzu gezählt, womit man wieder beim Gesamtwiderstand angelangt ist, jetzt aber bei dem der Großausführung. Abbildung 6.12 stellt das Schema dieser Berechnungsmethode dar. Eine zusätzliche Unsicherheit kommt daher, dass der Reibungswiderstand beim Modell bei viel kleineren Rey- noldszahlen ermittelt wird und damit der relative Anteil von laminarer zu turbulenter Grenzschicht völlig anders ist. Um das Verhalten des Modells dem des realen Schiffs anzugleichen, werden in der Regel an dem Modell in der Nähe des Bugs Turbulenzerzeuger angebracht. Dadurch entstehen allerdings zusätzliche Widerstandsanteile durch Rauheit, die in der Rech- nung berücksichtigt werden müssen.

16) Das ist gleichbedeutend mit der Skalie- skaliert bei Froude’scher Ähnlichkeit rung proportional zu L³, denn es gilt wie L1/2 und A wie L2, zusammen ska- r 2 3 DRest =½ vS cW A mit der benetzten liert daher der Widerstand wie L . Oberfläche A. Die Geschwindigkeit vS

6.8 Skalierungsgesetze 133 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:34 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Da bei einem Schiffsmodell der Reibungswiderstand nur zusammen mit dem Wellenwiderstand gemessen werden kann, muss man sich zu seiner Ermittlung mit Analogieschlüssen behelfen. Als erste Näherung verwendet man den Reibungswiderstandsbeiwert ebener Platten nach Abb. 3.8 und wendet ihn auf die benetzte Oberfläche (engl. wetted surface)an17), das ist die unter Wasser befindliche Oberfläche des Schiffsrumpfes. Da der Schiffs- körper in Wirklichkeit eine gekrümmte Oberfläche darstellt, wird dadurch der Reibungswiderstand unterschätzt. In der Praxis hat sich daher ein universeller Korrekturfaktor von 1,12 aus einer Vielzahl von Modellver- suchen im Schlepptank durchgesetzt und wurde von der International Towing Tank Conference 1957 (ITTC 57) als Norm festgelegt. Eine andere Möglichkeit, diesen Korrekturfaktor individuell zu bestimmen, stellt eine Methode nach C. W. Prohaska dar, bei der aus dem Widerstandsverlauf des Modells bei kleinen Froude-Zahlen auf Froude-Zahl Fr = 0 extrapoliert wird und damit auf den nicht von der Froude-Zahl abhängigen Teil des Wider- stands (den Reibungswiderstand) geschlossen wird (Anhang A6).

6.8.2 Segeltragvermögen und Skalierung der Segelfläche

Zur Charakterisierung der Größe der Besegelung auf einem vorgege- benen Rumpf wird des Öfteren die sog. Segeltragezahl verwendet, die man wie folgt berechnet, ¼ S1=2 STZ r1=3, also Quadratwurzel aus der Segelfläche dividiert durch dritte Wurzel aus dem verdrängten Volumen. Typische Segeltragezahlen sind 3,5 bis 4 für Großsegler, 4,3 bis 5 für moderne Segelyachten, 6,2 für IACC-Yachten (International America’s Cup Class) sowie 8 bis 15 für leichte Skiffs. Man kann auch das Quadrat diese Größe gegen die Wasserlinienlänge auftra- gen. Man erhält dann ansteigende Kurven, die auf empirischer Grundlage normale, große oder kleine Besegelung charakterisieren (Abb. 6.13). Schon die Tatsache, dass die Kurven ansteigen, ist ein Hinweis darauf, dass die Segeltragezahl keine von der Schiffsgröße unabhängige Kennzahl für die Größe der Besegelung ist. Im Folgenden wollen wir der tatsächlichen Skalierung der Segelfläche mit der Schiffsgröße näher kommen. Ein besseres Maß, um die Größe der Besegelung relativ zur Schiffsgröße zu charakterisieren, ist der sogenannte Dellenbaugh-Winkel. Es handelt sich um den Krängungswinkel, den eine Yacht bei einer Windstärke von v=8ms−1, oder anders ausgedrückt bei einem Winddruck von 1 engl. Pfund pro Quadratfuß projizierter Segelfläche, einnimmt. Er wird direkt

17) Eine sehr wichtige Kenngröße bei Yachtbauern, deren Verhältnis zur Segelfläche viel über die Leistungsfähigkeit bei leichtem Wind aussagt.

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Abb. 6.13 Quadrat der Segeltragezahl gegen Wasserlinienlänge (nach F. Fossati, 2009).

aus dem Quotienten aus aufrechtem Krängungsmoment (= Segelflä- che × Höhe des Segelschwerpunkts) und aufrichtendem Drehmoment bei 1° Krängung berechnet und liegt in der Regel zwischen 17° und 24° für kleinere Boote und um die 15° bei 50 Fuß (15 m) Wasserlinienlänge. Die Vortriebskräfte wachsen bei größeren Segelschiffen entsprechend der Segelfläche an. Wenn wir annehmen, was dem Geist der Segeltragezahl entspricht (aber den tatsächlichen Verlauf unterschätzt), dass die Segelflä- che bei geometrisch ähnlichen Booten mit dem Quadrat der Länge wächst, dann ist die Antriebskraft proportional zu L2. Dazu kommt noch, dass höhere Takelagen den stärkeren Wind in größerer Höhe ausnützen kön- nen. Bei gleicher Windgeschwindigkeit und gleicher Bootsgeschwindigkeit würde das größere Boot einen entsprechend der Fläche seines Unterwas- serschiffs etwa proportional zur Antriebskraft vergrößerten Reibungswider- stand haben (∼ L2). Da es aber mit einer kleineren Relativgeschwindigkeit (Froude-Zahl) segelt, steigt der Wellenwiderstand nicht in dem gleichen Maß an. Infolge dessen kann das größere (längere) Boot schneller segeln als das kleinere (kürzere). Die Länge als kritische Größe findet daher in alle Rennwert-Formeln Eingang, die ein möglichst gerechtes Handicap-System für Boote verschiedener Größe zum Ziel haben. Tatsächlich aber ist der Effekt noch größer als oben angedeutet, da ein größeres Boot mehr Segel tragen kann, als es dem Quadrat des Längen- verhältnisses zum kleineren Boot entsprechen würde. Mit anderen Worten, wenn die Rümpfe zweier Boote geometrisch ähnlich sind, dann ist das Verhältnis „tragbarer“ Segelflächen zwischen dem kleineren und dem

6.8 Skalierungsgesetze 135 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:36 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

größeren Boot größer als es dem Quadrat der Längen entspricht. Diese Erkenntnis folgt aus einer Abschätzung des Segeltragvermögens. Wir wollen das Segeltragvermögen als die Segelfläche definieren, die bei gegebener Windstärke zu einem bestimmten maximal zulässigen Krängungswinkel f führt.18) Mit Bezug auf Abb. 2.9 sehen wir, dass der aufrichtende Hebelarm gleich der Metazentrischen Höhe mal dem Sinus des Krängungswinkels ist. Das aufrichtende Drehmoment folgt daraus durch Multiplikation mit der Verdrängung. Bei geometrisch ähnlichen Bootsrümpfen ist die Ver- drängung ∝ L3 und die metazentrische Höhe ∝ L. Das aufrichtende

Drehmoment kann also mit einer Konstante Ca dargestellt werden als

4 Ma ¼ Ca sin f L : ðGleichung 6:26Þ

Das krängende Moment, das diesem gleich sein muss, folgt aus dem vertikalen Abstand von Segel- und Lateraldruckpunkt mal der aerodyna- mischen Seitenkraft, die gleich groß wie der hydrodynamische Auftrieb ist. Erstere Größe wollen wir proportional zu S1/2 ansetzen19) (die Segel ver- schiedener Boote sollen geometrisch ähnlich sein, aber nicht notwendiger- weise mit dem gleichen Skalenfaktor wie die Rümpfe!), letztere ist propor- tional zur Segelfläche S, sodass

3=2 Mk ¼ Ck S : ðGleichung 6:27Þ

Aus der Gleichgewichtsbedingung Mk = Ma folgt  2=3 Ca 8=3 8=3 S ¼ sin f L ¼ CSL , ðGleichung 6:28Þ Ck

wobei wir den Klammerausdruck zu einer Konstanten CS zusammenfassen können, da wir ja die Verhältnisse für einen festen, vorgegebenen Krän- gungswinkel f und ähnliche Bootsrümpfe und Takelagen vergleichen. Das bedeutet, dass bei geometrisch ähnlichen Booten die Segelflächen etwas stärker als mit dem Quadrat der Länge ansteigen. Im Segelriss des größeren Schiffes wirkt daher die Besegelung relativ zum Bootskörper größer. Dieser Effekt lässt sich bei Konstruktionsklassen beobachten, die nach Größen eingeteilt sind, die aber sonst geometrisch (im Mittel) ähnliche Formen

18) Etwa einem vorgegebenen Dellenbaugh-Winkel. 19) Dieser Hebelarm wird praktisch propor- halten. Er verschwindet völlig, wenn tional zur Höhe des Segelschwerpunk- man die zusätzliche Annahme macht, tes über der Wasseroberfläche gesetzt, dass die Kielflosse (das Schwert) pro- womit ein gewisser Fehler gemacht portional zur Segelfläche wächst. wird, den wir aber nicht für gravierend

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b Abb. 6.14 Segelfläche gegen Länge für zwei S = CS L . (Daten: verschiedene Yacht- Familien von Rennyachten, doppeltlogarith- register des Deutschen und Österrei- mische Auftragung. Die Anstiege b entspre- chischen Segelverbandes, Register des chen dem Exponenten in der Beziehung Freundeskreises Klassischer Yachten).

aufweisen. Eine Auswertung des Potenzgesetzes für den Zusammenhang Segelfläche – Länge für fünf Schärenkreuzer-Klassen und drei Rennjollen- klassen aus dem Zeitraum 1927–1936 ist in Abb. 6.14 dargestellt20). Trotz einer beträchtlichen Streuung der Längen innerhalb der einzelnen Segel- flächen-Größenklassen erweist sich aus den Daten der Anstieg der Segel- flächen mit der Länge eindeutig stärker als quadratisch. Der Zusammen- hang entspricht mit guter Übereinstimmung einem Potenzgesetz, wie der lineare Verlauf in der doppeltlogarithmischen Auftragung beweist, der bei den Schärenkreuzern immerhin über fünf Größenklassen von 22 m² bis 150 m² geht! Im Falle der Rennjollen scheint sich das abgeleitete L8/3-Gesetz zu bestätigen – dieses würde einem Exponenten (= Anstieg in doppeltloga-

20) In den 1920er Jahren wurden Renn- fung unseres Skalengesetzes. Heute yachten nach einer Kette von Größ- dominieren streng festgelegte Einheits- enklassen eingeteilt. Diese eignen sich klassen. daher besonders gut für die Überprü-

6.8 Skalierungsgesetze 137 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:38 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

rithmischer Auftragung) von b ≈ 2,67 entsprechen und liegt damit im Vertrauensbereich des empirisch ermittelten Anstieges. Bei den Schären- kreuzern fällt der Anstieg der Segelflächen etwas milder aus. Das bedeutet, die größeren Yachten erreichen die gleiche Krängung erst bei etwas mehr Wind. Einerseits könnte hier der Effekt des vertikalen Windgradienten mit eingerechnet sein, andererseits die größeren Boote für die Verwendung in weniger geschützten Gewässern vorgesehen sein, was einen gewissen Sicher- heitsfaktor verständlich macht.

6.9 Kenngrößen für das Wellenwiderstandsverhalten

Da der Wellenwiderstand in komplexer Weise von der Schiffsform abhängt, war man seit jeher bestrebt, einfache Kenngrößen zu finden, mit denen man das Verhalten eines Schiffes zumindest grob charakterisieren kann.

6.9.1 Breite / Tiefgang-Verhältnis

Das Verhältnis BWL / TR (Breite in der Wasserlinie zu Tiefgang des Rumpfes) kennzeichnet, ob ein Boot eher schmal und tiefgehend oder breit und flach gebaut ist. In der Abb. 6.15 ist der Wellenwiderstand, bezogen auf die Wasserverdrängung gegen die relative Geschwindigkeit aufgetra-

gen. Parameter der Kurven ist BWL / TR. Bei kleineren Geschwindigkeiten ergibt sich daraus ein Vorteil für schmale, tiefgehende Rümpfe, während die Unterschiede bei Annäherung an die kritische Geschwindigkeit unerheblich werden.

6.9.2 Volumetrischer Koeffizient

Es ist eine wohlbekannte Tatsache, dass ein schlankes Schiff im All- gemeinen weniger Wellenwiderstand entwickelt als ein dickbauchiges. Als Maß dafür, wie groß die Wasserverdrängung bei gegebener Länge ist, hat sich der volumetrische Koeffizient (siehe Abb. 6.16a) eingebürgert, der wie folgt definiert ist (S. Crepaz, 1986)

1000 r C ¼ , ðGleichung 6:29Þ V L3

wobei der Faktor 1000 eingeführt wurde, um Zahlen von der Größen- ordnung 1 zu bekommen. Dieser Koeffizient ist also dem Anteil des

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Abb. 6.15 Wellenwiderstand pro Wasserver- heiten logarithmisch aufgetragen, b) auf drängung als Funktion der Geschwindigkeit BWL /TR = 3 bezogen in Prozent (nach (Froude-Zahl) für verschiedene Breite / Tief- S. Crepaz). gang-Verhältnisse: a) in willkürlichen Ein-

verdrängten Volumens an einem Würfel mit Kantenlänge L proportional. Die folgende Tabelle 6.2 gibt einige typische Werte an. Herkömmliche Yachten werden bezüglich ihrer Wasserverdrängung mit „ “ „ “ „ “ CV > 12 als schwer , mit CV < 9 als leicht und dazwischen als normal bezeichnet. Natürlich sind alle modernen Rennyachten „leicht“. Der Wel-

lenwiderstand steigt ganz allgemein mit CV an, besonders in der Nähe der

6.9 Kenngrößen für das Wellenwiderstandsverhalten 139 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:44 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Tabelle 6.2 Volumetrische Koeffizienten verschiedener Yachttypen (erweitert nach S. Crepaz, 1986)

Bootstyp Wasserlinie Verdrängtes Volumen ∇ CV L [m] [m³] Yacht des 18. Jh. 8,5 7,8 12,7 12 m-R Azzurra (1983) 14,2 28 9,78 J-Class Ranger (1937) 26,52 156 8,36 Schoner America (1851) 27,5 170 8,17 40 m²-Schärenkreuzer (1923) 11 3 2,25 20 m²-Rennjolle (1928) 8 0,69 1,35 (mit Besatzung) Soling (1965) 6,1 1,035 4,55 IOR Maxi (1982) 21,6 38 3,82 Flying Dutchman (1951) 5,5 0,31 1,86 (mit Besatzung) Katamaran Tornado (1967) 5,88 0,3 1,47 (mit Besatzung) Katamaran Elf Aquitaine (1984) 18 5 0,85 Prau Crossbow II (1976) 15,9 2 (geschätzt) 0,49

Rumpfgeschwindigkeit (Fr = 0,4)21). Bei Abschätzung des Gesamtwider- standes ist aber zu beachten, dass lange, schmale Rümpfe bei gleicher Wasserverdrängung mehr benetzte Oberfläche und damit einen höheren Reibungswiderstand aufweisen. In der Regel geht man davon aus, dass

Boote mit CV <5gleitfähig sind, d. h. die Widerstandsbarriere oberhalb Fr = 0,4 überwinden können (siehe Abschnitt 6.10 zum Gleitzustand). Im Großschiffbau ist zur Charakterisierung der Schlankheit des Schiffs- körpers vor allem der Blockkoeffizient gebräuchlich. Hierbei wird das ver- drängte Volumen durch das Produkt aus Länge22), Breite und Tiefgang dividiert. In Abb. 6.16 sind der volumetrische und der Blockkoeffizient schematisch dargestellt.

21) Nach einer Näherungsformel des MIT te/Tiefgang-Verhältnis bestimmt und (Ende der 1970er Jahre) wird der Wel- erst darüber in zunehmendem Maße lenwiderstand bis zu Froude-Zahlen von CV. von etwa 0,35 ausschließlich vom Brei- 22) Nach der üblichen Definition wird als Ansicht nach die Länge in der „ Länge Lpp, die Länge zwischen den Schwimmwasserlinie das sinnvolle Loten“ genommen, wenn auch unserer Maß ist.

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Abb. 6.16 a) Volumetrischer Koeffizient CV: koeffizient: verdrängtes Volumen bezogen verdrängtes Volumen bezogen auf einen auf einen Quader mit den Seitenlängen Würfel mit der Kantenlänge gleich der Was- Wasserlinienlänge, Breite der Schwimm- serlinienlänge (mal Faktor 1000), b) Block- wasserlinie, Tiefgang.

Abb. 6.17 Definition des Prismatischen Ko- che und Wasserlinienlänge als Höhe; opti- effizienten CP (Schärfegrad): verdrängtes maler Prismatischer Koeffizient für Volumen bezogen auf ein Prisma mit einge- Verdrängungsfahrt gegen relative Ge- tauchter Hauptspantfläche SH als Grundflä- schwindigkeit (Froude-Zahl).

6.9 Kenngrößen für das Wellenwiderstandsverhalten 141 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:47 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

6.9.3 Prismatischer Koeffizient (Schärfegrad)

Es ergibt sich die naheliegende Frage, welchen Einfluss die spezielle Bootsform auf den Wellenwiderstand hat. Ist ein Fahrzeug mit scharfen, zugespitzten Formen im Vorteil oder eines, das vorne und hinten eher abgerundet ist? Aus Modellversuchen im Schlepptank ergibt sich ein interes- santer Befund, ausgedrückt durch den optimalen Prismatischen Koeffizienten (engl. prismatic coefficient), auch Zylinderkoeffizient oder Schärfegrad genannt. Dabei handelt es sich um das verdrängte Volumen dividiert durch das

Produkt aus eingetauchter Hauptspantfläche SH mal Wasserlinienlänge (Abb. 6.17). Ist er in der Nähe von 1, dann hat das Schiff die Form eines Troges mit platten Enden, kleinere Werte bedeuten einen zugespitzten, spindelförmigen Rumpf (im Extremfall eines Doppelkegels mit der einge- tauchten Hauptspantfläche als Grundfläche hätte der Prismatische Koeffi- zient den Wert 1/3). Aus Schleppversuchen an ungekrängten Modellrümp- fen ohne Abdrift (wir wissen, dass diese Randbedingungen beim Segeln entsprechend zu modifizieren sind) ergibt sich derjenige Prismatische Koeffizient, der bei der jeweiligen Relativgeschwindigkeit den kleinsten Wellenwiderstand bei Verdrängungsfahrt liefert (Abb. 6.17). Interessanter- weise werden die idealen Formen mit höherer Geschwindigkeit (in Verdrän- gungsfahrt!) nicht schärfer an den Enden, sondern plumper.

6.9.4 Die Wellenformtheorie

Der Verlauf der Kurve in Abb. 6.17 legt den Gedanken nahe, dass sich die Schiffsenden bei höheren Fahrtgeschwindigkeiten der Form der vom Schiff erzeugten Bug- und Heckwellen „anpassen“ sollten. Auf den Schiffbauinge- nieur Scott Russel geht die Forderung zurück (1851), dass zur Erzeugung kleinstmöglichen Wellenwiderstandes die Verteilung der Wasserverdrän- gung über die Schiffslänge so beschaffen sein sollte, dass der Schiffskörper möglichst komplementär zur entstehenden Welle verläuft. Durch den be- kannten Konstrukteur Colin Archer, von dessen Reißbrett besonders see- tüchtige Fahrzeuge wie Segel-Rettungsboote und Nansens berühmte „Fram“ stammen, wurde diese Vorstellung 1877 so präzisiert: Stellt man die Ver- drängungsverteilung durch die Kurve der Spantflächen unter Wasser, auf- getragen gegen die Länge entlang des Schiffs dar (Abb. 6.18), dann sollte diese Kurve im Bereich vor dem Maximum (Hauptspant) sinusförmigen Verlauf haben, dahinter einer Trochoide (= Zykloide) entsprechen (vgl. dazu die Abb. 6.3 und die Gln. 6.20 bis 6.21). Wenngleich diese Theorie auch lange Zeit großen Einfluss gehabt hat, so gilt sie doch heute als überholt. Dennoch ist die Kurve der Verdrängungsverteilung nach wie vor ein wichti- ges Hilfsmittel zur Beurteilung von Schiffsentwürfen.

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Abb. 6.18 Ideale Verdrängungsverteilung (Spantflächenkurve) entlang der Schiffslänge laut Wellenformtheorie. Links Bug, rechts Heck.

6.10 Der Gleitzustand

Wir haben gesehen, dass das Boot bei Erreichen der Rumpfgeschwindig- keit an eine Widerstandsbarriere stößt. Dies gilt besonders für schwere Kielyachten mit fest eingebautem Ballast und Großsegler. Der große Widerstand kommt daher, dass die mitlaufende Wellenlänge größer wird als die Bootslänge, das Heck einsinkt und das Boot daher auf die Bugwelle effektiv bergauf fahren muss. Nun ist es leichten und besonders gebauten Booten möglich, diese Barriere zu durchbrechen, sich gänzlich auf die Bugwelle hinauf zu schieben und auf dieser zu reiten (Abb. 6.19). Die Heckwelle wird schließlich weit zurückgelassen. Es wird ein qualita- tiv neuer Bewegungszustand erreicht, bei dem der Wellenwiderstandsbei-

Abb. 6.19 Gleiten. a) 20 m²-Rennjolle, Fr = 0,96 (16 kn), Foto H. Milnikel, b) Einmann- jolle Contender, Wikimedia Commons, Gwicke.

6.10 Der Gleitzustand 143 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:50 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 6.20 Hydrostatischer und hydrodyna- keit, ausgedrückt in Froude-Zahlen (nach mischer Anteil am Gesamtauftrieb in Ab- Larsson und Eliasson, 2000). hängigkeit von der relativen Geschwindig-

wert drastisch abnimmt (vgl. Abb. 6.11 oberhalb von Fr = 0,5). Das Gleiten lässt sich definieren als ein Fahrtzustand, bei dem das Boot deutlich weniger Wasser verdrängt, als es wiegt. Ein Teil des Gewichtes wird statt- dessen von einem hydrodynamischen Auftrieb getragen. In Abb. 6.20 sind die Anteile des hydrostatischen und hydrodynamischen Auftriebs am Gewicht des Bootes dargestellt. Da sich das Boot beim Übergang in den Gleitzustand auf die Bugwelle schiebt, wird sein Schwerpunkt dabei ange- hoben. Dieser Vorgang findet in der Abb. 6.20 etwa bei einer Froude-Zahl um Fr = 0,7 statt (Pfeil). Ein voll ausgeprägter Gleitzustand wird erst etwa bei der doppelten Rumpfgeschwindigkeit, also Fr = 0,8–1,0 erreicht. Der Fahrtzustand unterhalb des Vollgleitens und oberhalb der Rumpfgeschwin- digkeit wird als Halbgleiten bezeichnet. Der so erreichte hydrodynamische Auftrieb wird auf eine Weise erbracht, die sich vom Auftrieb eines Flügelprofils unterscheidet. Offensichtlich kann ja die Strömung nicht um das Profil herum geführt werden. Der Auftrieb stammt daher nur vom Überdruck unter der Fläche. Klarerweise ist dadurch der Auftriebsbeiwert geringer als bei einem umströmten Profil. Die vor dem Staupunkt auftreffende Strömung muss nach vorne und seitlich als Gischt abgeführt werden. In Abb. 6.21 ist der Gleitvorgang an einer ebenen Platte im Prinzip dargestellt. Nach Versuchen von S. Savitsky (1976) kann eine empirische Formel angegeben werden, die den Auftrieb von flachen Platten in Abhängigkeit

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Abb. 6.21 Gleiten, vereinfachtes Modell: ebene Platte (nach Larsson und Eliasson (2000)).

von Parametern wie Länge und Breite der Platte sowie Anstellwinkel angibt. Es stellt sich generell heraus, dass breite und kurze Flächen besser geeignet sind, dynamischen Auftrieb zu erzeugen als lange und schmale. Gute Gleitboote tendieren dazu, breit und flach zu sein. Jedoch ist der Breite durch den Wellenwiderstand eine Grenze gesetzt. Führt man den Versuch so, dass der Auftrieb konstant bleibt, dann gibt es einen optimalen Anstellwinkel, der den Widerstand minimal macht. Er liegt bei etwa 7°. Die ebene Platte ist für reale Boote ein nur bedingt anzuwendendes Modell, da der Boden des Bootes in der Regel ein gewisses Ausmaß an Aufkimmung (engl. deadrise) aufweist. Das bedeutet, dass der Boden nicht völlig flach ist, sondern im Querschnitt V-förmig. Der Grund dafür ist neben größerer Kursstabilität hauptsächlich ein weicheres Einsetzen in den Wellengang. Der vom Boden erbrachte dynamische Auftrieb vermindert sich in diesem Fall mit dem Cosinus des Aufkimmungswinkels, das ist der Winkel zwischen der Waagerechten und dem Schiffsboden in der Nähe des Kiels, als Faktor. Wann hat ein Boot gute Gleiteigenschaften?

• Es sollte erstens leicht sein, um die Widerstandsbarriere bei Rumpf- geschwindigkeit zu überwinden und leicht auf die Bugwelle zu kommen ≤ (volumetrischer Koeffizient CV 5). • Zweitens sollte das Heck einigermaßen breit und flach sein und nicht nach oben gekrümmt verlaufen, damit die Strömung abreißt und sich nicht am Heck „festsaugt“. Um das Festsaugen des Rumpfes zu verhin- dern, die benetzte Oberfläche zu verringern und somit den Gleitzustand

6.10 Der Gleitzustand 145 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c06.3d from 13.04.2012 15:42:54 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

zu fördern, werden Abrisskanten konstruiert. Deshalb sind typische Gleitboote (Motorboote) Knickspanter und weisen oft Stufen im Boden auf. Eine Segelyacht wird allerdings niemals ausschließlich und kompro- misslos auf gute Gleiteigenschaften hin konstruiert sein, da sie in der Regel nur einen Teil einer Wettfahrt mit Höchstgeschwindigkeit fahren können und auch bei weniger Wind eine akzeptable Leistung erbringen müssen. • Drittens muss ausreichend Antrieb vorhanden sein, das heißt große Segelfläche mit ausreichender Stabilität, also effektiv eingesetztes leben- des Mannschaftsgewicht wie z. B. Trapezleute, die womöglich noch auf Auslegern stehen, oder große Formstabilität wie bei Katamaranen, oder bei großen Yachten beweglicher Wasserballast, kippbare Kielflossen und dergleichen mehr. Dass möglichst aufrechtes Segeln eine Vorbedingung für Gleiten ist, erklärt sich schon aus der Art, wie der hydrodynamische Auftrieb erbracht wird.

Die gegenwärtigen Geschwindigkeitsrekorde von Segelfahrzeugen (siehe Kapitel 1) werden ausschließlich in Gleitfahrt erbracht.

Zentrale Aussagen

Schwerewellen des Wassers

• Beobachtung: elliptische Bewegung der Wasserteilchen. →Ansatz: in x-Richtung fortlaufende ebene Welle mit z-abhängigen Ampli-

tuden Ax und Az. • div v ¼ 0 (inkompressibel), rot v ¼ 0 (reibungsfrei) → Tiefen- abhängigkeit der Amplitude. Charakteristisches Aussehen der Orbitalbewegung der Wasserteilchen für Tief- und Seichtwasser- wellen (Abb. 6.1). • Betrachten das Problem in mitbewegtem Koordinatensystem („Surfer“). Dadurch wird die Strömung stationär. Anwendung von Bernoulli (Terme für potenzielle Energie im Schwerefeld und kinetische Energie)pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi→ Dispersionsrelation . Grenzfällepffiffiffiffiffi Tief- wasserwelle vp ¼ gl=ð2pÞ und Seichtwasserwelle vp ¼ gh.

Vom Schiff erzeugtes Wellensystem

• Von einem Schiff erzeugtes Wellensystem: bewegt sich mit der Geschwindigkeit des Schiffes mit. Jeder Punkt des Rumpfes (hauptsächlich Bug und Heck) erzeugt ein Kelvin’sches Wellen- system, das aus divergenten und transversalen Wellen besteht.

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Öffnungswinkel immer gleich (2 arcsin(1/3)), Abstand der Wellen geschwindigkeitsabhängig.pffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffi • Froude-Zahl Fr ¼ v= gl 0,4 l=L (l = Wellenlänge, L=Schiffs- länge) gibt an, wie viele Wellenlängen des erzeugten Wellensys- tems auf die Schiffslänge entfallen, und damit die relative Ge- schwindigkeit. Wenn zwei Schiffe mit gleichem Fr fahren, dann sehen die Wellenbilder gleich aus (Froude’sche Ähnlichkeit). • Der Wellenwiderstand oszilliert entsprechend konstruktiver oder destruktiver Überlagerung der vom Bug und Heck erzeugten Wellensysteme. • Rumpfgeschwindigkeit: l ¼ L, Fr 0,4. Darüber steigt der Wi- derstand besonders stark an. Einfachepffiffiffi Formel für die Rumpf- geschwindigkeit in Knoten vR ¼ 2,43 L.

Skalierungsgesetze pffiffiffi • Modellversuch: Froude’sche Ähnlichkeit fordert v / L,Rey- nolds’sche Ähnlichkeit fordert v / 1=L. Beides geht nicht, man entscheidet sich für Froude’sche Ähnlichkeit, weil der Wellen- widerstand besonders schwer zu berechnen ist. Man rechnet den Reibungswiderstand heraus und fügt ihn für die Großausführung wieder dazu. • Segeltragvermögen: Abschätzung der Segelfläche durch Segeltra- gezahl und Dellenbaugh-Winkel. Sind Rümpfe und Takelagen verschieden großer Schiffe jeweils untereinander ähnlich, so gilt bei gleichem Krängungswinkel bei gleicher Windstärke: S / L8=3 (Segelfläche wächst stärker als mit dem Quadrat der Länge).

Kenngrößen für den Wellenwiderstand

D 3 • Volumetrischer Koeffizient: CV = / L × 1000. Gleiten für CV <5 möglich. D Prismatischer Koeffizient: CP = /(L × SH). Optimales CP wächst mit Geschwindigkeit. • Gleiten: Überwindung des Widerstandsmaximums oberhalb Rumpfgeschwindigkeit, Boot schiebt sich auf die Bugwelle, Heck- welle wird zurückgelassen. Dynamischer Auftrieb. Günstig: brei- ter, flacher Rumpf mit Abrisskante. Notwendig: ausreichende Besegelung, Stabilität, leichtes Boot.

6.10 Der Gleitzustand 147 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c07.3d from 13.04.2012 15:43:15 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

7 Optimale Geschwindigkeit auf verschiedenen Kursen

7.1 Segel- und Rumpf-Polardiagramme

Die Eigenschaften von Tragflügeln – und das sind im allgemeinen Sinn einerseits die Besegelung, andererseits der Rumpf mit Kielflosse (bzw. Schwert) und Ruder – werden besonders eingängig in Polardiagrammen dargestellt. Dabei werden der Widerstand in x-Richtung und der Auftrieb in y-Richtung aufgetragen, wobei sich der Anstellwinkel entlang der Kurve ändert. Hängen Widerstand und Auftrieb nach dem gleichen Gesetz von der Geschwindigkeit und der Referenzfläche ab, dann können stattdessen auch die Beiwerte aufgetragen werden (siehe Abb. 5.23). Beim Bootskörper ist das nicht möglich, da der Wellenwiderstand einem anderen Gesetz folgt als der hydrodynamische Auftrieb. Für ein Segel-Polardiagramm entspricht die x-Richtung dem Scheinbaren Wind. Dieser ist die im System des bewegten Bootes wahrnehmbare Luftströmung und daher für die Entste- hung der aerodynamischen Kräfte maßgeblich. Für die Wasserkräfte ist die x-Achse solcher Diagramme entgegengesetzt zum Vektor der Bootsbewe- gung ausgerichtet, entsprechend der Anströmungsrichtung unter Wasser. Die Polardiagramme in den Abb. 7.1 bis 7.4 beginnen nicht beim Koor- dinatenursprung, wie es für ein reines Flügelprofil annähernd der Fall wäre, sondern sind in x-Richtung versetzt. Grund dafür sind die parasitären Widerstände, also jene von Mast, Stehendem Gut (Wanten, Stage), Laufen- dem Gut (Fallen!), Bootskörper, Aufbauten etc. In den folgenden Abbildun- gen schließt der gesegelte Kurs (der sich vom gesteuerten Kurs um den Abdriftwinkel b unterscheidet) mit dem Scheinbaren Wind einen Winkel g ein. Ist die Kursrichtung zum Scheinbaren Wind sowie dessen Stärke gegeben, hat der Segler noch die Freiheit, durch die Schotstellung, in diesem Fall definiert durch den Winkel d zwischen Großbaum und Mitt- schiffsebene, einen Anstellwinkel a auszuwählen, gewissermaßen einen „Betriebspunkt“ des Profils.

Physik des Segelns: Wie Segeln wirklich funktioniert, 1. Auflage. Wolfgang Püschl. 149 © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2012 by Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c07.3d from 13.04.2012 15:43:16 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 7.1 Polardiagramm von aerodyna- Winkel zwischen Kurs und Scheinbarem mischem Auftrieb LA und Widerstand DA Wind, g Abdriftwinkel. RA aerodynamische (jeweils in Newton), die Zahlen entlang der Gesamtkraft, FA und SA deren Komponen- Kurve sind die Anstellwinkel a. Segeln hart ten in Fahrtrichtung und normal dazu am Wind: Wahl des optimalen Anstellwin- (Polardiagramm nach R. Garrett, 1996). kels a durch Wahl einer Schotstellung d. b

Wie aus den Abb. 7.1 bis 7.4 ersichtlich, gilt stets

g ¼ a þ d þ b: ðGleichung 7:1Þ

Bei nicht zu starkem Wind wird man jenen Anstellwinkel wählen, der die größtmögliche Kraftkomponente in Richtung des gesegelten Kurses bringt. Er lässt sich geometrisch ermitteln, indem man eine Normale auf die Kursrichtung als Tangente an das Polardiagramm legt. In Abb. 7.1, welche die Verhältnisse beim Segeln hart am Wind wiedergibt, entspricht dies einem Anstellwinkel von etwa 27°. Man beachte, dass dies nicht unbedingt dem minimalen aerodynamischen Gleitwinkel (höchstes L/D-Verhält-

150 7 Optimale Geschwindigkeit auf verschiedenen Kursen Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c07.3d from 13.04.2012 15:43:19 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 7.2 Begrenzung der Seitenkraft SA stellwinkels d. Gesegelter Kurs g zum durch fieren: Verringerung des Anstellwin- Scheinbaren Wind und Bezeichnungen kels a durch Vergrößerung des Segelein- sind dieselben wie in Abb. 7.1.

nis = höchstes CL / CD-Verhältnis) entsprechen muss, den man bekommt, wenn man eine Tangente vom Ursprung aus an das Polardiagramm legt. Bei stärkerem Wind ist zu beachten, dass die Seitenkraft ein bestimmtes Maß nicht überschreitet (Begrenzung als Dreifachlinie in Abb. 7.2 einge- zeichnet), da sonst das Boot Wasser übernimmt, kentert oder überhaupt zu stark gekrängt segelt, was verschiedene Widerstandsanteile unerwünscht anwachsen lässt. Wenn man nicht überhaupt die Segelfläche verkleinert (refft), dann muss ein kleinerer Anstellwinkel a gewählt werden. In der Praxis heißt das, dass die Schot mehr oder weniger stark gefiert (nachgelas- sen) wird. Das Ergebnis dieser Maßnahme ist in Abb. 7.2 dargestellt: Bei gleichem gesegeltem Kurs hat sich der Schotwinkel d vergrößert und der Anstellwinkel a verkleinert. Die Seitenkraft SA hat sich verringert. Der Preis, den man dafür zahlen muss, ist eine etwas geringere Vortriebskraft

7.1 Segel- und Rumpf-Polardiagramme 151 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c07.3d from 13.04.2012 15:43:22 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 7.3 Wahl der optimalen Schotstellung wie hart am Wind. Segel-Polardiagramm bei Raumkurs: Das Segel wird mit annä- und Bezeichnungen wie in Abb. 7.1. hernd demselben Anstellwinkel betrieben

FA. Alternativ dazu kann auch der Kurs durch anluven (verringern von g)so geändert werden, dass sich a und damit die Seitenkraft verringert. (In einer starken Bö wendet der erfahrene Segler üblicherweise eine dosierte Kom- bination beider Maßnahmen an). In der Abb. 7.3 ist die Wahl der optimalen Segelstellung für einen Raumkurs dargestellt. Interessant ist, dass der optimale Anstellwinkel sich von jenem hart am Wind (Abb. 7.1) nicht sehr stark unterscheidet. In beiden Fällen betreibt man das Segel in einem Regime anliegender Strö- mung, was vom aufmerksamen Regattasegler mit Spionen (am Segel, meist hinter dem Vorliek, befestigten Windfäden) akribisch überwacht wird. Das Segel sieht gewissermaßen nur den Scheinbaren Wind, der aus einer bestimmten Richtung, bezogen auf seine Sehne, kommt. Es „weiß“ nicht, in welche Richtung das Schiff steuert, auf dem es steht. Freilich ist wegen der Richtung der aerodynamischen Gesamtkraft zum Kurs bei Raumkurs

152 7 Optimale Geschwindigkeit auf verschiedenen Kursen Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c07.3d from 13.04.2012 15:43:26 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 7.4 Wahl der optimalen Schotstellung abgelöster Strömung zu betreiben. Polar- bei raum-achterlichem Kurs: Es ist in die- diagramm und Bezeichnungen wie in Abb. sem Fall vorteilhaft, das Segel im Regime 7.1.

die Vortriebskraft FA viel größer und die Krängungskraft SA viel kleiner als hart am Wind. Deshalb werden auf raumen Kursen die höchsten Ge- schwindigkeiten erzielt. Bis zum Auftriebsmaximum entspricht das Polardiagramm anliegender Strömung, dahinter teilweise oder gänzlich abgelöster Strömung mit mehr oder weniger ausgeprägter Wirbelbildung. Da aber die größtmögliche Vortriebskraft zum Berührungspunkt einer Tangente an die Polare normal zur Kursrichtung weist, ist es auf manchen Kursen, namentlich vor dem Wind, trotzdem vorteilhaft, mit abgelöster Strömung zu fahren. Weniger der Auftrieb als der Widerstand des Segels bestimmt dann die Vortriebs- kraft. Erst bei raum-achterlichem Wind (Abb. 7.4) ist es in der Regel wirklich vorteilhaft, das Segel mit größerem Anstellwinkel und im Regime der abgelösten Strömung zu betreiben. Sehr schnelle Boote segeln jedoch fast

7.1 Segel- und Rumpf-Polardiagramme 153 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c07.3d from 13.04.2012 15:43:29 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 7.5 Aero-hydrodynamisches Gleichge- bezieht sich auf einen anderen Abdriftwin- wichtsdiagramm: Aerodynamische Gesamt- kel. Entlang jeder Rumpfpolare variiert die kraft RA und hydrodynamische Gesamtkraft Bootsgeschwindigkeit (nach F. Fossati, RH heben einander auf. Jede Rumpfpolare 2009).

immer mit einem kleinen Winkel zum Scheinbaren Wind und können ihr Segel im Bereich anliegender Strömung betreiben, selbst wenn sie bezogen auf den Wahren Wind vor dem Wind segeln (vgl. dazu Abb. 2.3). Soweit zur Ermittlung der aerodynamischen Kräfte bei möglichst güns- tiger Segelstellung. Zu welcher Bootsgeschwindigkeit und zu welchem Abdriftwinkel diese führen, hängt von den Eigenschaften des Bootsrump- fes ab. Die hydrodynamischen Eigenschaften des Bootsrumpfes mit Kiel- flosse (Schwert) und Ruder können ebenso wie die aerodynamischen Eigenschaften der Besegelung durch Polardiagramme wiedergegeben wer-

154 7 Optimale Geschwindigkeit auf verschiedenen Kursen Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c07.3d from 13.04.2012 15:43:31 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

den. Dabei ist es allerdings üblich, sich auf kleine Anstellwinkel zu beschränken, denn diese entsprechen den Abdriftwinkeln im normalen Segelbetrieb, meistens deutlich weniger als 10°. In Abb. 7.5 sind solche Rumpfpolaren für verschiedene Bootsgeschwindigkeiten und Abdriftwinkel dargestellt. Die Darstellung ist hier allerdings so, dass pro Anstellwinkel eine Kurve gezeichnet ist, und entlang der Kurve die Bootsgeschwindigkeit variiert. Die vorgegebene aerodynamische Kraft, der ja die hydrodyna- mische Gesamtkraft genau entgegengesetzt sein muss, wählt aus dieser Schar einen bestimmten Punkt auf einer bestimmten Kurve aus. Damit sind Bootsgeschwindigkeit und Abdriftwinkel bestimmt. Wir müssen aber immer im Auge behalten, dass sich die aerodynamischen und die hydrody- namischen Verhältnisse selbstkonsistent aufeinander abstimmen müssen. Denn durch die Bootsgeschwindigkeit und den Abdriftwinkel wird die Richtung und Stärke des Scheinbaren Windes bestimmt. Dieser muss gleich dem ursprünglich angenommenen sein, damit tatsächlich Gleichge- wicht der Kräfte herrscht. Mathematisch lässt sich dieses Problem z. B. mit Hilfe der Methode der Iteration lösen: Man bestimmt aus einem gegebenen Scheinbaren Wind (→ Segelpolare → Rumpfpolare) die Bootsgeschwindig- keit und den Abdriftwinkel, daraus mit Hilfe des Winddreiecks einen neuen Wert für den Scheinbaren Wind, daraus wieder die Bootsgeschwin- digkeit etc. Das Verfahren wird solange wiederholt, bis sich die Werte in aufeinanderfolgenden Durchgängen genügend wenig unterscheiden.

7.2 Rechnerische Bestimmung der Fahrtgeschwindigkeit

Will man die Fahrtleistung einer Yacht bestimmen, dann lautet die Frage: Wie schnell (Bootsgeschwindigkeit vS) und mit welchem Abdriftwinkel b segelt die Yacht, wenn der Wahre Wind vW vorgegeben ist, ein bestimmter

Kurs (= bestimmter Winkel gW zum Wahren Wind) gefahren werden soll und eine bestimmte Segelstellung d gewählt wird. Dabei ist im Wesentli- chen folgender Satz von Gleichungen zu erfüllen:

¼ vW sin gW ð : Þ tan g þ Gleichung 7 2 vW cos gW vS

sin g v ¼ v W ðGleichung 7:3Þ W sin g

Die beiden Gleichungen (7.2) und (7.3) stellen Richtung und Betrag des v Scheinbaren Windes als Funktion des Wahren Windes (gW, W) und der Bootsgeschwindigkeit vS dar (Winddreieck, siehe Abb. 2.1).

7.2 Rechnerische Bestimmung der Fahrtgeschwindigkeit 155 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c07.3d from 13.04.2012 15:43:31 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

RA ¼ RH ðGleichung 7:4Þ

g ¼ EA þ EH ðGleichung 7:5Þ

Gleichungen (7.4) und (7.5) stellen die eigentlichen Gleichgewichtsbedin- gungen für den stationären Fahrtzustand dar. Sie besagen, dass die aerody- namische und die hydrodynamische Gesamtkraft dem Betrag nach gleich groß und der Richtung nach entgegengesetzt sein müssen. Zu den Be- zeichnungen siehe Abb. 2.1.

g ¼ a þ b þ d ¼ð7:1ÞðGleichung 7:6Þ

Gleichung (7.6) beschreibt den Zusammenhang zwischen den Anstellwin- keln: a für die Anströmung des Segels, b für die Anströmung des Rumpfes, d ist der Winkel zwischen dem Großbaum (allgemein der Sehne des Segelprofils) und der Mittschiffsebene. Damit ist d der Winkel, den die Sehnen der beiden Tragflügelprofile in der Luft (Segel, asymmetrisch) und im Wasser (Rumpf mit Kielflosse, symmetrisch) miteinander einschließen. Die aerodynamischen Eigenschaften der Besegelung (einschließlich der über dem Wasser liegenden Teile des Rumpfs) sowie die hydrodyna- mischen Eigenschaften des Rumpfs sind durch folgende Gleichungen darstellbar, die unter Einbeziehung aller Widerstandsanteile den Verlauf der entsprechenden Polardiagramme wiedergeben:

RA ¼ RAðÞa,v ðGleichung 7:7Þ

EA ¼ EAðÞa,v ðGleichung 7:8Þ

RH ¼ RHðÞb,vS ðGleichung 7:9Þ

EH ¼ EHðÞb,vS ðGleichung 7:10Þ – v v Die neun Gleichungen (7.2) (7.10) gelten für die 12 Variablen gW, W, g, , v R R v S, A, H, EA, EH, a, b, d. Von diesen sind W, gW und d durch den herrschenden Wind, den gesteuerten Kurs und die Segeleinstellung vor- gegeben. Alle anderen, insbesondere die Bootsgeschwindigkeit vS und der Abdriftwinkel b, sind aus dem Gleichungssystem grundsätzlich bestimm- bar. Eine zusätzliche Komplikation bringt die Krängung mit sich, die wir in unserem Gleichungssystem nicht explizit berücksichtigt haben. Sie führt zu einer Modifikation der aero/hydrodynamischen Eigenschaften und bringt im Allgemeinen zusätzlichen Widerstand mit sich.

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Die Lösung des oben dargestellten Problems der Fahrtgeschwindigkeit wurde in der Vergangenheit mit diversen graphischen Verfahren, basie- rend auf den Segel- und Rumpf-Polardiagrammen, angestrebt. Heutzutage lassen sich solche Berechnungen sehr gut mit numerischen Verfahren im Rahmen von Geschwindigkeits-Voraussageprogrammen (engl. velocity pre- diction programs, VPP) durchführen. Ihnen liegen die verfügbaren Daten wie Rumpfform, gegeben durch den Linienriss, Form und Eigenschaften der Takelage und der Segel, die Gewichtsverteilung etc. zugrunde, oder auch bereits fertige aerodynamische und hydrodynamische Eigenschaften, wie sie aus Windkanal- und Schlepptankversuchen gewonnen werden. Ziel ist die Ermittlung der richtigen Segelstellung und der richtigen Einstellung der Besegelung (Trimm) und damit die Optimierung der Geschwindigkeit auf verschiedenen Kursen und bei verschiedenen Windstärken. In diese Bemühungen werden immerhin im Rahmen prestigeträchtiger Regatten wie America’s Cup, Volvo Ocean Race, Jules Verne Trophy, Olympische Spiele etc. jährlich hunderte Millionen Dollar gepumpt. Eine wichtige Funktion der VPPs ist auch die Beurteilung der zu erwartenden Boots- geschwindigkeit unter gegebenen Bedingungen und damit die Vergabe eines fairen Handicaps bei Regatten, an denen verschiedene Boote teil- nehmen. Mit einem sog. Rennwert des Handicap-Verfahrens (z. B. ORC = Offshore Racing Congress) wird aus der gesegelten Zeit eine berechnete Zeit ermittelt, nach der die Wertung der Teilnehmer erfolgt1).

7.3 Geschwindigkeits-Polardiagramm und Wahl des Kurses

Kennt man nun, durch Berechnung (VPP) oder auf Grund von prakti- schen Versuchen, die optimale Geschwindigkeit für einen bestimmten Kurs relativ zum Wahren Wind, dann lässt sie sich als Polardiagramm der Bootsgeschwindigkeit gegen den Kurswinkel zum Wahren Wind auftragen. Abbildung 7.6 zeigt einen Satz von Geschwindigkeits-Polardiagrammen für eine 12 m-R-Yacht, eine konservative Rennyacht vom Verdrängertyp. Da- raus lässt sich sehr einfach bestimmen, welcher Kurs gesteuert werden muss, um ein Ziel in vorgegebener Richtung schnellstmöglich zu errei-

1) Für weitere Details sei auf das Buch Aero-hydrodynamics and the performance of sailing (F. Fossati, 2009) verwiesen.

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Abb. 7.6 Geschwindigkeits-Polardiagramme geschwindigkeit angegebenen Winkel für verschiedene Wahre Windgeschwindig- schließt der Scheinbare Wind mit der Kiel- keiten einer 12 m-R-Yacht (nach C. A. Mar- linie ein. (Winkel g – b). Gepunktete Pfeile chaj, 1991) gegen Kurs am Wahren Wind geben optimale Geschwindigkeiten für das (gW ist der Winkel, den die Radiusvektoren Kreuzen am Wind und vor dem Wind an. mit der positiven y-Achse einschließen). Die VMG = Luvgeschwindigkeit. bei der Kurve für 12 kn Wahre Wind-

chen2). Man spricht dann von maximaler Zielgeschwindigkeit (engl. velocity made good, VMG). Dort wo das Polardiagramm konvex ist, bestimmt der aufgetragene Wert die Zielgeschwindigkeit. Dort wo das Polardiagramm konkav ist, legt man eine Tangente über diesen Bereich, und die erreich-

2) Eine isomorphe Behandlung der Opti- gramm der Geschwindigkeit als Länge/ mierung von Richtungen gibt es auch Zeit) genauso als konkave Bereiche auf- in völlig anderen Bereichen der Physik, scheinen wie hier im Geschwindig- etwa bei der Facettenbildung von Kris- keitsdiagramm. Bei uns wird die gese- tallen oder beim Verlauf von linearen gelte Zeit minimiert, in der Theorie der Defekten (Versetzungen) in elastisch Versetzungen die Energie. Die Verset- stark anisotropen Festkörpern. Es kön- zungslinien weisen dann genauso nen dann instabile Richtungen auftre- Ecken auf wie der Kurs eines aufkreu- ten, die in einem Polardiagramm von zenden Segelschiffes. Literatur dazu: Länge/Energie (inverses Wulff-Dia- A. K. Head, 1967. gramm, entspricht unserem Polardia-

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bare Zielgeschwindigkeit ergibt sich durch Schnitt des Radiusvektors mit dieser Tangente. Die günstigsten Kurse, mit denen man das Ziel ansteuert, sind durch die Richtungen zu den Berührungspunkten dieser Tangente gegeben. Der klassische Fall ist das Aufkreuzen gegen ein in Windrichtung gelegenes Ziel. Da dieser Teil des Kurses bei Segelregatten einen besonders selektiven Abschnitt darstellt, kommt der Bestimmung von Geschwindig- keits-Polardiagrammen große Bedeutung zu. Der optimale Kurs am Wind wird durch eine waagrechte Tangente an das Polardiagramm ermittelt, was in Abb. 7.6 für eine Wahre Windgeschwin- digkeit von 7 kn und 20 kn explizit dargestellt ist3). Die optimalen Ge- schwindigkeitsvektoren führen zu den Berührungspunkten der Tangente und sind durch punktierte Pfeile dargestellt. Ihre Komponente in Wind- richtung heißt Luvgeschwindigkeit (VMG nach Luv, oft auch nur kurz als VMG in diesem engeren Sinn bezeichnet). Alle innerhalb des Sektors zwischen den optimalen Kreuzrichtungen liegenden Ziele werden am schnellsten durch Aufkreuzen, d. h. abwechselndes Segeln in die optima- len Richtungen, erreicht, selbst wenn sie direkt angesteuert werden könn- ten (ein kleiner Zeitverlust durch die Wenden ist hier allerdings vernach- lässigt). Liegt das Ziel nicht genau in Windrichtung, dann müssen die optimalen Richtungen mit solchen Anteilen gefahren werden, dass es erreicht wird. In der Praxis fährt man auf dem einen Bug so lange, bis das Ziel (etwa eine Bahnmarke) auf dem anderen Schenkel anliegt, man also die sog. Anliegelinie (engl. layline) erreicht (siehe Abb. 7.7). Dabei ist es taktisch besser, zuerst den längeren Schenkel zu fahren, weil sich eventu- elle Winddrehungen auf dem kürzeren Schenkel zur Bahnmarke hin nicht mehr so stark auswirken. Bei in Windrichtung liegenden Zielen ist es einsichtig, dass sie durch Kreuzschläge erreicht werden müssen, da sie nicht direkt angesteuert werden können. Ein im Wind stehendes Boot treibt achteraus (= rück- wärts). Jedoch kann es auch bei genau in Lee liegenden Zielen vorteilhaft sein, wenn man sie nicht direkt ansteuert, sondern vor dem Wind kreuzt (engl. tacking downwind). Man beachte dazu die Kurven für die kleineren Windgeschwindigkeiten in Abb. 7.6. Bei 7 kn Wahrer Windgeschwindig- keit wird demnach ein Kurs von etwa 140° zum Wahren Wind die größte

3) Ein interessantes Ergebnis der Ge- werden also, zu Gunsten der Geschwin- schwindigkeitsoptimierung ist es, dass digkeit, etwas größere als die minima- die beste VMG nach Luv dann erreicht len Gleitwinkel gefahren. Wie groß wird, wenn der Anstellwinkel des Segels diese Abweichungen sind, hängt von etwas größer ist, als es dem maximalen der Bauart der Yacht ab, genauer gesagt, L/D-Verhältnis entspricht, und der An- von ihrem Widerstandsverhalten. Eine stellwinkel des Rumpfes (= Abdriftwin- schwere Yacht muss höher an den kel) etwas kleiner, als es seinem maxi- Wind gehen, um optimale VMG zu malen L/D-Verhältnis entspricht. Es erreichen, als ein leichtes Gleitboot.

7.3 Geschwindigkeits-Polardiagramm und Wahl des Kurses 159 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c07.3d from 13.04.2012 15:43:34 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 7.7 Aufkreuzen auf optimalen Kreuz- das Boot bei C. Alternativer Kurs OD, kursen gegen eine Bahnmarke M, die auf dann DM. CM ist parallel zu OB, DM ist direktem Weg nicht angesteuert werden parallel zu OA. kann. Bei Erreichen der Anliegelinie wendet

Abb. 7.8 Geschwindigkeits-Polardiagramme I: Aufkreuzen, II: Ansteuern eines Zieles verschiedener Yachten für eine Wind- auf verschiedenen Schlägen einmal mit, geschwindigkeit von 10 kn (gute 3 Bft): von einmal ohne Gennaker, III: Kreuzen vor innen nach außen Halbtonner, Eintonner, dem Wind mit Gennaker (Polardia- Tornado-Katamaran und 18-Fuß-Skiff. Kon- gramme nach R. Garrett, 1996). kave Bereiche für den 18-Footer grau getönt.

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VMG nach Lee (Leegeschwindigkeit) ergeben. Oberhalb einer bestimmten Windgeschwindigkeit zahlt es sich bei diesem Schiffstyp nicht mehr aus, vorwind zu kreuzen. Man fährt dann besser platt vor dem Wind (engl. dead run). Besonders stark ist der Vorteil des Kreuzens vor dem Wind bei Booten, die ein ausgeprägtes Geschwindigkeitsmaximum auf raumen Kur- sen haben, weil sie z. B. dort besonders gut gleiten und Raumbesegelungen wie asymmetrische Spinnaker (= Gennaker) oder Drifter optimal nutzen können. In diese Klasse fallen Katamarane und Gleitjollen bis hin zu den extremen Skiffs wie den australischen 18-Footern. In Abb. 7.8 sind einige Polardiagramme für solche Fahrzeuge im Vergleich zu konventionellen Yachten (Halbtonner und Eintonner) aufgezeichnet. Sowohl beim Tornado- Katamaran als auch beim 18-Fuß-Skiff gibt es ausgedehnte Bereiche, in denen es nicht vorteilhaft ist, ein Ziel direkt anzusteuern. Für das 18-Fuß- Skiff sind diese Bereiche als grau getönte Sektoren dargestellt. Die Ver- wendung des Gennakers führt bei den 18-Footern zu einer ausgeprägten „Nase“ auf raum-achterlichem Kurs mit extrem schneller Gleitfahrt. In Sektor I wird am Wind gekreuzt, in Sektor III wird vor dem Wind mit Gennaker gekreuzt. Infolge der Nase bei 145° weist das Polardiagramm für den 18-Footer auch einen konkaven Bereich zwischen etwa 105° und 140° auf (Sektoren II). Soll ein Ziel in diesem Richtungsbereich angesteuert werden, dann ist es vorteilhaft, einen Teil der Strecke mit Gennaker in etwa 140° zu segeln und einen Teil der Strecke ohne Gennaker in 105°. Welcher Schenkel dabei zuerst absolviert wird, ergibt sich meist aus taktischen

Abb. 7.9 Vergrößerung von Sektor II für 18- man ohne Gennaker direkt auf die Bahn- Fuß-Skiff: Erreichen eines Ziels M, indem marke M, gelangt man in der gleichen Zeit teils mit Gennaker gesegelt wird (Strecke nur bis Punkt N. OC) und teils ohne Gennaker (CM). Steuert

7.3 Geschwindigkeits-Polardiagramm und Wahl des Kurses 161 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c07.3d from 13.04.2012 15:43:39 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Überlegungen. Es handelt sich tatsächlich um ein in Regatten öfters durch- geführtes Manöver, nicht nur bei 18-Footern (Detaildarstellung in Abb. 7.9). Beachtenswert ist, dass beim Kreuzen vor dem Wind die VMG nach Lee (Leegeschwindigkeit, schwarzer Blockpfeil in Abb. 7.8) größer als die wahre Windgeschwindigkeit ist. Das heißt, das Skiff fährt dann tatsächlich „dem Wind davon“4). Das Boot könnte einen mit dem Wind treibenden Ballon überholen. Der Scheinbare Wind kommt dann aus vorlicher Richtung, obwohl ein raum-achterlicher Kurs zum Wahren Wind gesegelt wird! (vgl. Abb. 2.3).

7.4 Segeln in einem variablen Windfeld

Unsere bisherigen Überlegungen hatten das Ziel, die maximale Boots- geschwindigkeit zu erzielen und den optimalen Kurs zu wählen, wenn der Wind gleichförmig ist. In einem realistischen Szenario ist der Wind zeitlichen und räumlichen Veränderungen unterworfen. Man bewegt sich also durch ein variables Windfeld vW(x,t). Die Aufgabe ist nun, zwischen zwei festgelegten Punkten möglichst schnell zu segeln, wenn es geht schneller als die Konkurrenz. Auf einem typischen Regatta-Kreuzkurs etwa fällt der Wind in Böen ein, deren Richtung zwischen links und rechts pendelt. Im folgenden Foto (Abb. 7.10) ist diese Änderung der Windstärke und -richtung deutlich an den vier hintereinander segelnden Booten erkennbar. Ändert sich die Windrichtung, dann wird das Bootsgeschwindigkeits- Polardiagramm nach Abb. 7.6 bzw. 7.8 entsprechend mitgedreht. Ändert sich die Windstärke, dann muss ein anderes Polardiagramm gewählt werden, das dieser Windstärke entspricht. Etwas salopp ausgedrückt, „bläht“ sich das Polardiagramm bei zunehmendem Wind auf und „schrumpft“ bei abnehmendem Wind. Bei einem Kreuzkurs bleibt die Zielrichtung zur Bahnmarke (Luvtonne) bei wechselndem Wind gleich. Der geschickte Segler wird dann seine Kreuzschläge so legen, dass er von der augenblicklichen Lage des Polardiagramms profitiert, also auf Steuer- bordbug wenden, wenn der Wind nach links dreht, und auf Backbordbug, wenn er nach rechts dreht. Dann hat der optimale Kurs am Wind auf dem jeweiligen Kreuzschlag eine größere Komponente in Richtung Ziel, an dessen absoluter Richtung sich die ganze Zeit ja nichts ändert. In Abb. 7.11 ist diese Situation illustriert. Wird zum richtigen Zeitpunkt gewendet, dann lässt sich das Ziel (die Bahnmarke M) effizient auf kürzestem Wege

4) Dass moderne Hochleistungsyachten eine VMG nach Luv erreichen, die größer als die Wahre Windgeschwindigkeit ist, wurde bereits in Kapitel 1 erwähnt.

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Abb. 7.10 In Richtung und Stärke wechselndes Windfeld auf einem Kreuzkurs (Foto: Gudrun Wigger).

erreichen (Abb. 7.11a). Wird stets zum falschen Zeitpunkt gewendet, bedeutet das exzessiv lange Wege beim Kreuzen (Abb. 7.11b). Völlig analoge Überlegungen treffen auf das Kreuzen vor dem Wind zu: Man

Abb. 7.11 Wenden mit den Böen. Die Böen, b) falsches Wenden „gegen die Bö- strichpunktierte Linie stellt den Kurs des en“ bewirkt extrem lange Kreuzschläge. Bootes dar. a) richtiges Wenden mit den

7.4 Segeln in einem variablen Windfeld 163 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c07.3d from 13.04.2012 15:43:43 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

wählt immer den Bug aus, auf dem das augenblickliche Polardiagramm eine maximale Komponente in Richtung Ziel ergibt. Wir wollen nun den allgemeinen Fall eines beliebig (zunächst räumlich) variierenden Windfeldes betrachten und die schnellste Segelroute zwischen zwei festen Punkten bestimmen. Dazu bedienen wir uns des folgenden gedanklichen Konstruktes (J. Kimball, 2010). Eine Flotte (ein Ensemble) gleichartiger Segelboote segle vom Anfangspunkt weg gleichzeitig in alle Richtungen. Nach einem gewissen Zeitintervall stellt man ihre Positionen fest. Sie werden dann auf einem i. A. nicht kreisförmigen Ring aufgereiht sein. Im nächsten Zeitintervall segeln die Boote so, dass der nächste Ring möglichst großen Abstand zum ersten hat und so fort. Wegen der variablen Geschwindigkeit in verschiedene Richtungen (Polardiagramm), aber auch wegen des sich ändernden Windvektors sind die Ringe entsprechend defor- miert. Das entstehende Bild hat Ähnlichkeit mit den Wachstumsringen eines Baums, die auch nicht in allen Himmelsrichtungen und nicht in allen Jahren gleich dicht liegen. Dieser anisotrope (ungleich in verschiedene Richtungen verlaufende) Vorgang der Ausbreitung und das entstehende Bild sind in Abb. 7.12 illustriert. Die unregelmäßigen Ringe stellen Linien dar, die nach einer bestimmten Zeit erreicht werden (Isochronen), wenn der Start in beliebige Richtung erfolgt ist und dann unter Beachtung „optimaler Ring- vergrößerung“ gesegelt wurde. Man beachte, dass dies im Allgemeinen nicht bedeutet, dass sich die einzelnen Boote des Ensembles in der Normalrich- tung zum Ring bewegen (vergrößerter Bereich in Abb. 7.12).

Abb. 7.12 Isochronen in einem räumlich nen von der Normalrichtung zur Iso- veränderlichen Windfeld und (vergrößert) chrone (punktiert in der Vergrößerung) ihre Konstruktion als Einhüllende lokaler abweichen. S Startpunkt, Z ein mögliches Polardiagramme. Die gesegelten Kurse kön- Ziel (nach J. Kimball, 2010).

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Durch veränderliche Windbedingungen verändert sich auch die Form und Lage der Isochronen. Zum Beispiel führt eine Zunahme des Windes entlang der Isochrone zu deren allmählicher Verdrehung und zu einer Krümmung des Kurses weg von der Windrichtung (Abb. 7.13), ein Sach- verhalt, der zunächst paradox anmutet, denn es sieht so aus, als würde das Boot den stärkeren Wind vermeiden wollen. Bei diesem Problem der minimalen Segelzeit ist es jedoch immer notwendig, die ganze Bahnkurve zu betrachten. Diese enthält dann insgesamt einen Bogen vom Startpunkt S zum Zielpunkt Z, mit dem der Kurs von einer geraden Linie in Richtung des Gebietes mit dem stärkeren Wind abweicht. Schließlich erreichen die Isochronenringe (Abb. 7.12) einen vorgege- benen Zielpunkt Z. Die Behauptung ist nun: Die zu dieser letzten Iso- chrone gehörende Zeit ist die kürzestmögliche Segelzeit zum Ziel, und aus der großen Flotte, die in alle Richtungen gestartet ist, hat jenes Segelboot, das genau am Zielpunkt landet, die optimale, also schnellste Kurslinie (Trajektorie) dorthin zurückgelegt. Dieser Satz ist unmittelbar einsichtig, wenn man sich klar macht, dass es keine schnellere Möglichkeit gibt, von einem Isochronenring zum nächsten zu kommen, als mit der in Abb. 7.12 (Vergrößerung) dargestellten Konstruktion. Wählt man die Zeitintervalle zwischen den Isochronen nur klein genug und beschränkt sich auf einen genügend kleinen Abschnitt der Isochronen, dann führt der Einzelschritt von einem Geradenstück (k-te Isochrone) zu einem parallelen Geraden- stück der (k + 1)-ten Isochrone. Dann ist es klar, dass man am schnellsten

Abb. 7.13 Verändert sich der Wind quer zur gen zum stärkeren Wind hin beschreibt Zielrichtung, dann verdrehen sich die Iso- (modifiziert nach J. Kimball, 2010). chronen so, dass der ideale Kurs einen Bo-

7.4 Segeln in einem variablen Windfeld 165 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c07.3d from 13.04.2012 15:43:46 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

dorthin gelangt, wenn man in Richtung des Berührungspunktes des Polar- diagramms5) mit der Isochrone k + 1 (also einer Parallelen zur Isochrone k) segelt. Jeder andere Kurs erreicht die Isochrone in dem vorgegeben Zeit- intervall nicht, und schon gar nicht ist es möglich, so zu segeln, dass der Abstand zwischen den Isochronen größer wird, sodass man weniger Iso- chronen bis zum Ziel (und damit eine kürzere Segelzeit) braucht. Um zum Zielpunkt Z zu gelangen, muss sich das Segelboot durch alle Isochronen bis zur Zielisochrone mit der Nummer n bewegen, und es gibt keine schnellere Möglichkeit, als dies auf die geschilderte Art von einer Isochrone zur nächsten zu machen. Damit muss man auch den Kurs jenes aus- gewählten Bootes aus dem Ensemble der Boote wählen, das genau am Zielort Z gelandet ist. Das Auffinden eines Weges, der in kürzester Zeit durchlaufen wird, ist ein klassisches Problem der Variationsrechnung6). In der Physik tritt eine dem Segelproblem formal sehr ähnliche Situation im Rahmen der Optik auf. Dort besagt das Fermat’sche Prinzip, dass ein Lichtstrahl einen Weg extremaler (in der Regel minimaler) Laufzeit nimmt. Aus dieser Forderung lassen sich Brechungs- und Reflexionsgesetze ableiten. In Analogie zur Optik lässt sich der zeitminimale Kurs einer Segelyacht so interpretieren, dass er Brechung erfährt, wenn er auf ein Gebiet geringerer Wind- geschwindigkeit stößt. Die Geschwindigkeits-Polardiagramme des Segel- bootes entsprechen der lokalen Wellenausbreitung nach dem Huygens’schen Prinzip, mit der Einschränkung allerdings, dass sie kompliziertere Struktur aufweisen als die Ausbreitung von Lichtwellen, die in der Regel kugelför- mig und höchstens in optisch anisotropen Kristallen in der Gestalt von Ellipsoiden erfolgt. Die Isochronen des Segelproblems entsprechen den Ausbreitungsfronten der Lichtwellen.

5) Das Polardiagramm muss so skaliert darstellt und nicht wie ursprünglich werden, dass es den im betrachteten den in einer Zeiteinheit zurückgelegten Zeitintervall Dt zurückgelegten Weg Weg. 6) Zur mathematischen Ausarbeitung der und Analogie zu Sätzen der Optik ver- Suche nach dem zeitminimalen Weg weisen wir auf J. C. Kimball und H. im Rahmen der Variationsrechnung Story, 1998.

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Zentrale Aussagen

Segel- und Rumpf-Polardiagramme

• Polardiagramme für Segel und Rumpf: Widerstand entlang x- Achse, Auftrieb entlang y-Achse aufgetragen. Anstellwinkel a ändert sich entlang der Kurve. • Geometrische Bedingung: g ¼ a þ d þ b, d Segeleinstellwinkel. • Wahl des besten Anstellwinkels (Betriebspunkt). Tangente an das Polardiagramm normal auf die Kursrichtung. Ist Seitenkraft zu groß, dann muss der Anstellwinkel verkleinert werden, z. B. durch Fieren: d vergrößern. Raumkurs: optimaler Anstellwinkel fast gleich wie hart am Wind: Segel „sieht“ nicht, wohin das Schiff fährt. Vor dem Wind bringt a im Bereich abgelöster Strömung maximale Kraftkomponente in Fahrtrichtung. • Gleichgewicht zwischen Windkräften RA und Wasserkräften RH: RH sucht aus der Schar der Rumpfpolaren (für jeden Abdriftwin- kel eine) eine bestimmte Kurve und einen bestimmten Punkt heraus → Bootsgeschwindigkeit, Abdriftwinkel. Notwendigkeit ei- ner selbstkonsistenten Lösung → Iteration.

Rechnerische Bestimmung der Fahrtgeschwindigkeit

• Gleichförmiger Fahrtzustand: 12 Unbekannte, neun Gleichungen (vier beschreiben die aerodynamischen und hydrodynamischen Eigenschaften, fünf sind geometrische Bedingungen). Drei Grö- ßen können vorgegeben werden. Computerlösung → Velocity Pre- diction Program (VPP).

Geschwindigkeits-Polardiagramm und Wahl des Kurses

• Ergebnis der Berechnung mit Geschwindigkeitsoptimierung → Geschwindigkeits-Polardiagramm. Wo dieses konkav ist, fährt man besser in Richtung der Berührungspunkte einer gemein- samen Tangente: 1) Aufkreuzen, 2) Kreuzen vor dem Wind, 3) Ansteuern eines Ziels teilweise mit, teilweise ohne Zusatzsegel (Gennaker, Spinnaker). • Zielgeschwindigkeit (VMG, velocity made good) als Komponente in der gewünschten Richtung: 1) Luvgeschwindigkeit, 2) Lee- geschwindigkeit. Kann in beiden Richtungen größer als die wahre Windgeschwindigkeit sein.

7.4 Segeln in einem variablen Windfeld 167 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c07.3d from 13.04.2012 15:43:46 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Segeln in einem variablen Windfeld

• Bei Änderungen in der Windrichtung und Windstärke wird das Polardiagramm gedreht und in der Größe angepasst. • Auf einem Kreuzkurs wechselt die augenblickliche Luvrichtung (Orientierung des Polardiagramms), während die Zielrichtung gleich bleibt. Es muss daher jener Kreuzschlag gewählt werden, der mit dem augenblicklichen Polardiagramm die größte Kom- ponente in Zielrichtung liefert. • Ermittlung des schnellsten Kurses durch ein räumlich veränderli- ches Windfeld geht von Ausbreitungskurven einer Flotte aus, die von einem Startpunkt in alle Richtungen segelt. Isochronen = Positionen, die nach vorgegebener Zeit erreicht werden (ähnlich Wachstumsringen der Bäume). Konstruktion als Einhüllende der Polardiagramme. Formale Analogie zu Optik: Fermat’sches Prin- zip des schnellsten Lichtweges.

168 7 Optimale Geschwindigkeit auf verschiedenen Kursen Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c08.3d from 13.04.2012 15:44:19 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

8 Zeitabhängiges Verhalten

In diesem Kapitel lassen wir die Annahme der bisherigen Betrachtungen fallen, dass sich das Boot in einem gleichförmigen (stationären) Fahrt- zustand befinde, das heißt mit konstanter Geschwindigkeit in konstante Richtung segle. Der einfachste Fall zeitlicher Veränderungen beim Segeln tritt am An- fang der Fahrt, beim Lossegeln von Geschwindigkeit null auf. Wir wollen der Einfachheit annehmen, dass das Boot mit dichten Segeln in der Stellung „hart am Wind“ festgehalten wird und dann plötzlich, etwa durch Loswerfen von Belegleinen, losgelassen wird. Der darauf folgende Ablauf von Fahrtzuständen ist in Abb. 8.1 dargestellt. Bei ruhendem Boot (Abb. 8.1a) erzeugt der Wahre = Scheinbare Wind eine aerodynamische Kraft RA. Es wird Impuls, aber keine kinetische

Abb. 8.1 Boot kommt nach Lösen der Fest- Beschleunigung. a) Boot ist festgemacht macher in Fahrt. Strichlierte Linien beziehen und ruht (nur Luftströmung dargestellt), sich auf die Luftströmung, durchgezogene b) und c) Beschleunigungsphase, d) auf die Wasserströmung relativ zum Boot. gleichförmiger Fahrtzustand erreicht – RA und RH Gesamtkräfte, die durch Luft- Kräftegleichgewicht. In b)–d) ist nur die bzw. Wasserströmung hervorgerufen wer- Unterwasserströmung dargestellt (nach den, vS Bootsgeschwindigkeit. Das Boot er- R. Garrett, 1996). fährt durch die Vektorsumme RA + RH eine

Physik des Segelns: Wie Segeln wirklich funktioniert, 1. Auflage. Wolfgang Püschl. 169 © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2012 by Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c08.3d from 13.04.2012 15:44:20 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Energie übertragen. Im Moment des Loslassens beschleunigt das Boot in die Richtung dieser Windkraft. In Abb. 8.1b hat das Boot schon etwas Fahrt aufgenommen. Der hydrodynamische Anstellwinkel ist sehr groß, es bil- den sich starke Wirbel. Das Unterwasserschiff erzeugt bereits eine hydro- dynamische Kraft RH mit einer kleinen Auftriebskomponente. Das Boot beschleunigt weiter in Richtung der Resultierenden aus dieser Kraft und der aerodynamischen Kraft RA. In Abb. 8.1c hat sich der Fahrtgeschwindig- keitsvektor vS schon weiter nach vorne gedreht und ist größer geworden. Durch die geänderte Anströmung des Unterwasserschiffes erzeugt dieses schon deutlich mehr Seitenkraft. Das Boot beschleunigt weiter in Richtung Resultierende aus aerodynamischer Kraft und hydrodynamischer Kraft. In Abb. 8.1d ist der gleichförmige Fahrtzustand erreicht. Aerodynamische und hydrodynamische Gesamtkraft sind ausbalanciert. In der Praxis sieht der ganze Ablauf so aus, dass das anfänglich stehende Boot nach Dicht- nehmen der Schoten zunächst seitlich abtreibt, dann allmählich Fahrt aufnimmt und seinen Abdriftwinkel verkleinert. Gleichzeitig müssen die Schoten etwas dichter genommen werden, da der Scheinbare Wind auf Grund der Fahrt immer spitzer von vorne einfällt. Dieser Effekt tritt ja stets bei Beschleunigung des Bootes auf, etwa in einer starken Bö. Um Kursänderungen herbei zu führen, müssen durch Ruderlegen Dreh- beschleunigungen erzeugt werden, und vor Erreichen des neuen Kurses die Rotation durch Drehbeschleunigung in der Gegenrichtung (Stützruder) rechtzeitig wieder aufgehoben werden, damit der neue Kurs erreicht wird. Besondere Kursänderungen sind natürlich solche, bei denen Segelmanöver gefahren werden, vor allem wenden (engl. tacking, mit dem Bug durch den Wind drehen) und halsen (engl. gybing, mit dem Heck durch den Wind drehen). Beide Manöver zusammen haben die Sammelbezeichnung über Stag gehen. Dabei verändern sich die aerodynamischen Kräfte besonders stark. In Abb. 8.2 ist der Ablauf der Geschehnisse während einer Wende dargestellt. Man muss sich im Klaren sein, dass ein Segelboot nicht sofort, wenn man Ruder gelegt hat, eine „Kurve“ fährt. Die Spurkräfte sind nicht so unmittel- bar wirksam wie die Reibungskräfte an den Reifen eines Autos, sondern müssen erst mittels hydrodynamischer Auftriebs- und Widerstandskräfte aufgebaut werden. Die auf das Boot wirkenden Kräfte erzeugen sowohl geradlinige als auch Drehbeschleunigungen. In Abb. 8.2a segelt das Boot gleichförmig hart am Wind. Die aerodynamische Gesamtkraft RA wird dabei durch die hydrodynamische Gesamtkraft RH kompensiert. Sie be- steht aus zwei Teilkräften, einer, die der Kiel (das Schwert) entwickelt, und einer zweiten, kleineren Komponente, die das Ruder entwickelt. In Abb. 8.2b wird durch Ruderlegen die Wende eingeleitet. Der Anstellwinkel des Ruders wechselt sein Vorzeichen, und der Auftrieb des Ruders zeigt in eine

170 8 Zeitabhängiges Verhalten Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c08.3d from 13.04.2012 15:44:20 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

andere Richtung. Zusammen mit dem Kiel (Schwert) wird ein Kräftepaar erzeugt (Teilkräfte 1 und 2), das dem Boot einen Drehimpuls verleiht. Der hydrodynamische Auftrieb ist insgesamt verringert. Die Gesamt-Resultie- rende beschleunigt das Boot nach Lee, es treibt also zur Außenseite der gefahrenen Kurve hin ab, wohin es ohnehin bereits aufgrund des Träg- heitsprinzips drängt. In Abb. 8.2c ist die aerodynamische Gesamtkraft fast verschwunden, da das Segel teilweise eingefallen ist. Das Boot verspürt durch den großen Abdriftwinkel eine starke hydrodynamische Seitenkraft, von der es wieder in Luvrichtung (Kurven-Innenseite) beschleunigt wird. Man kann auch sagen, durch das Schwert wird ein allzu großes Abdriften aus der Kurve verhindert. In Abb. 8.2d steht das Boot im Wind und treibt noch immer nach Steuerbord ab. Währenddessen setzt sich die Drehung fort. Gleichzeitig wird es stark verzögert, bei Katamaranen oft bis zum Stillstand. In Abb. 8.2e beginnt sich das Segel auf dem neuen Bug zu füllen und entwickelt Kraft in Backbordrichtung. Der Steuermann legt Stützruder

Abb. 8.2 Anatomie einer Wende: a) Boot pfeil: Wahrer Wind, graue Blockpfeile: Re- segelt gleichförmig hart am Wind auf Steu- sultierende aus aerodynamischer und hy- erbordbug, b) Wende wird durch Ruderle- drodynamischer Kraft, schwarze gen eingeleitet, c) Boot fast im Wind, Segel Ringpfeile: Erzeugung eines Drehimpul- beginnt einzufallen, d) Boot steht im Wind, ses, graue Ringpfeile: bestehender Dreh- e) teilweise abgefallen, Segel beginnt zu impuls. 1 und 2: Komponenten von RH, ziehen, Drehung wird durch Stützruder ab- erzeugt durch Kiel (Schwert) bzw. Ruder gefangen, f) Boot segelt gleichförmig hart (adaptiert nach R. Garrett, 1996). am Wind auf Backbordbug. Weißer Block-

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(entgegen der Richtung zu Anfang der Wende) und erzeugt damit zusam- men mit der hydrodynamischen Kraft auf den Kiel, die jetzt in die neue Luvrichtung wirkt, ein Kräftepaar (Kräfte 1 und 2), um die Drehbewegung abzufangen, indem ein Gegendrehimpuls zu dem bestehenden aufgebaut wird. In Abb. 8.2f ist der stationäre Fahrtzustand auf dem neuen Bug wieder hergestellt. Die aerodynamische Gesamtkraft weist nach Backbord, die ihr entgegengesetzte hydrodynamische Gesamtkraft nach Steuerbord (neue Luvrichtung).

8.1 Schwingungsbewegungen des Bootskörpers

Ein Schiff kann, wenn wir von elastischer Verformung des Rumpfes einmal absehen, sechs Arten von Bewegungen durchführen: drei Trans- lationen (geradlinige Bewegungen) in Richtung der Hauptachsen (in Längsrichtung, in Querrichtung und in vertikaler Richtung, engl. surge, sway, heave) und drei Rotationen um die Achsen, die wir schon im Rahmen der Momentengleichgewichte in Kapitel 2 betrachtet haben (gieren, rollen, stampfen; engl. yaw, roll, pitch). Besonders wichtig für die Sicherheit und die Geschwindigkeit des Segelschiffs werden diese Bewegungen, wenn sie als Schwingungen erfolgen und in Wechselwirkung mit dem Seegang stehen. Jeder freien, ungedämpften harmonischen Schwingung (harmonischer Oszillator) liegt die Bewegungsgleichung

m x€ þ kx ¼ 0 ðGleichung 8:1Þ

zugrunde, wobei x die Auslenkung aus der Ruhelage (Elongation) ist, m die Masse des schwingenden Körpers, k eine Federkonstante, sodass –kxdie der Auslenkung proportionale, in die Ruhelage rücktreibende Kraft ist. Die Kreis- frequenz (Eigenfrequenz der Schwingung) o0 ¼ 2p f ergibt sich dann zu rffiffiffiffi k o ¼ : ðGleichung 8:2Þ 0 m

Völlig analog dazu gilt für Drehschwingungen die Bewegungsgleichung

Y a€ þ Da ¼ 0 ðGleichung 8:3Þ

Mit Verdrehungswinkel a, Trägheitsmoment Y und Richtmoment D, welches das rücktreibende Drehmoment bei einer Verdrehung aus der Ruhelage um den Winkel 1 im Bogenmaß ist. Die Kreisfrequenz der Drehschwingung ergibt sich danach zu

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rffiffiffiffi D o ¼ : ðGleichung 8:4Þ 0 Y

8.1.1 Vertikale Tauchschwingungen

Von den Translationsbewegungen führt nur die vertikale zu einer Schwin- gung (Tauchschwingung, engl. heave oscillation), da in den anderen Fällen keine definierten rücktreibenden Kräfte existieren. Ein Körper, der unter seine normale Schwimmlage eingetaucht wird, erfährt eine rücktreibende Kraft durch den vergrößerten Auftrieb. Diese „Federkonstante“ ist in erster

Näherung proportional zur Fläche AW der Schwimmwasserlinie mal Dichte der Flüssigkeit mal Gravitationsbeschleunigung. Bei einer ausladenden Rumpfform wird sie während des Eintauchens größer, weil die Fläche der Schwimmwasserlinie beim Eintauchen größer wird. Dadurch geht der harmonische Charakter (Sinusform) der Schwingung verloren, und die Schwingungsdauer wird verkürzt. Der Trägheitsterm bei dieser Schwin- gung kommt einmal von der Masse des Bootes, muss aber um die Wasser- menge vergrößert werden, die wegen der Zähigkeit des Wassers vom auf und ab schwingenden Bootskörper mitgeschleppt wird. Die Schwingungs- bewegung wird gedämpft einerseits durch den Reibungswiderstand, ande- rerseits durch die bei der Schwingung erzeugten Wellen. Die Eigenschwin- gungsfrequenz ist in linearer Näherung für nicht zu große Dämpfung gegeben durch rffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi sffiffiffiffiffiffiffiffiffi Aw r g Aw r g Aw g o0 ¼ ¼ ¼ : ðGleichung 8:5Þ m þ mw meff Veff

Nehmen wir versuchsweise an, dass das mitgeschleppte Wasservolumen 30 % des vom Schiff verdrängten Wasservolumens beträgt, und setzen wir letzteres gleich der Wasserlinienfläche mal der halben Schiffsbreite, dann erhalten wir rffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi g o : ðGleichung 8:6Þ 0 0,65 b

Für ein zwei Meter breites Boot ergibt sich daraus eine Schwingungsdauer von etwa zwei Sekunden. Dies würde für eine Konstruktion mit vertikalen Bordwänden an der Schwimmwasserlinie gelten. Bei den meisten Segel- yachten sind die Spantformen stark ausladend, mit den bereits geschilder- ten Konsequenzen für Charakter und Dauer der Schwingung.

8.1 Schwingungsbewegungen des Bootskörpers 173 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c08.3d from 13.04.2012 15:44:23 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Wenn das Schiff auf Seegang trifft, dann haben wir es mit dem klassi- schen Fall eines fremderregten harmonischen Oszillators (= erzwungene Schwingung) zu tun. Dadurch, dass das Boot auf eine Welle trifft, taucht es beim Wellenberg tiefer ein und erfährt zusätzlichen hydrostatischen Auftrieb. Es wird also eine periodische Kraft auf den Oszillator (das Boot) ausgeübt. Das Amplituden- und Phasenverhalten eines solchen Systems ist ein Standardproblem der klassischen Mechanik. Die Bewegungsgleichung lautet für eine viskos gedämpfte Schwingung, ausgedrückt in den Kräften für eine harmonische Störfunktion (z. B. den zusätzlichen Auftrieb durch Seegang) mit Kreisfrequenz O

m x€ þ g x_ þ kx ¼ C cos Ot, ðGleichung 8:7Þ

wobei die Konstante g ein Maß für die Dämpfung ist. In Beschleunigungen ausgedrückt ergibt sich nach Division durch m und Einführung der Dämp- fungskonstante b = g /(2m) und unter Berücksichtigung von Gl. (8.1)

C x€ þ 2b x_ þ o2 x ¼ cos Ot: ðGleichung 8:8Þ 0 m

Mit dem Ansatz1)x ¼ A cosðÞO t f folgt für die Amplitude A

C A ¼ qÀÁffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffim : ðGleichung 8:9Þ 2 O2 2 þ 2O2 o0 4b

und für den Phasenverschiebungswinkel f

2b O tan f ¼ : ðGleichung 8:10Þ 2 O2 o0

Beide Funktionen sind in Abb. 8.3 in geeigneter Normierung gegen die auf Eigenfrequenz bezogene Störfrequenz aufgetragen. Ist die Störfrequenz, also die Frequenz, mit der der Seegang auf das Boot trifft, sehr niedrig, dann wird das Boot phasengleich mit der Welle gehoben und gesenkt (quasistatischer Fall). Das trifft fast immer für sehr kleine Fahrzeuge wie ein Rettungsfloß zu, denn ihre Eigenschwingungsfrequenz ist auf jeden

1) Im mathematischen Sinn suchen wir schwingung des Oszillators exponen- damit eine Partikulärlösung dieser inho- tiell abklingt. Die Eigenschwingung mogenen linearen Differenzialglei- entspricht der Lösung der homogenen chung, in physikalischem Sinn das Ver- Differenzialgleichung. Danach halten nach einer gewissen schwingt der Oszillator mit der Fre- Einschwingzeit, während der die Eigen- quenz der Störfunktion.

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Abb. 8.3 a) Dimensionslose Amplitude einer gegen Störfrequenz bezogen auf Eigen- erzwungenen, gedämpften, harmonischen schwingungsfrequenz. Die Kurven sind für Schwingung gegen die Störfrequenz, bezo- verschiedene relative Dämpfungskonstan- gen auf die Eigenschwingungsfrequenz. ten dargestellt. Für größere Dämpfung ver- 2 AO = C/(mo0 )=C/k ist die Amplitude des lagert sich das Resonanzmaximum der von außen einwirkenden Seegangs. b) Pha- Amplitudenkurve von der Eigenfrequenz senverschiebungswinkel, um die die erzwun- weg zu kleineren Frequenzen. gene Schwingung der Störfunktion nacheilt,

Fall deutlich höher als die Frequenz des typischen Seegangs. Wenn die Frequenz, mit der das Boot auf die Wellen des Seegangs trifft, in die Nähe seiner Eigenschwingungsfrequenz kommt (O=o0 1), dann wird die Am- plitude der erzwungenen (fremderregten) Schwingung besonders groß (Resonanz). Die vertikale Bewegung des Bootes kann dabei durchaus größer als die Wellenhöhe werden (Normierte Amplitude in Abb. 8.3 ist größer als 1). Im Resonanzfall ist der Phasenunterschied p/2 = 90°, das heißt, das Boot durchfährt gerade dann ein Wellental, wenn es maximale Abwärts- geschwindigkeit hat. Ist die Wellenfrequenz deutlich höher als die Eigen- frequenz des Bootes, was bei besonders „scharf geschnittenen“ Bootskör-

8.1 Schwingungsbewegungen des Bootskörpers 175 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c08.3d from 13.04.2012 15:44:25 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

pern wie Katamaranen (kleine Wasserlinienfläche!) der Fall sein kann, dann durchschneidet das Boot die Wellen. Seine Vertikalbewegung ist relativ klein und verläuft entgegen der Wellenbewegung (Phasenwinkel f ! p), es taucht also genau am Wellenberg am tiefsten ein. Ein solches Verhalten zeigen „Wave-piercing“-Schiffe. Das Verhalten eines Schiffes im Seegang wird durch diese Analyse nur näherungsweise beschrieben, da in der Praxis a) die Schwingung keine rein harmonische ist, b) die Dämpfung im Allgemeinen keine rein viskose Dämpfung ist, d. h. die Dämpfungskraft ist nicht notwendigerweise proportional zur Geschwindigkeit x_ , da sie auch über Newton’sche Reibung (/ x_ 2) und Wellenbildung erfolgt. Völlig analoge Beziehungen gelten für fremderregte Drehschwingungen.

8.1.2 Drehschwingungen: Stampfen, Rollen

Für die Eigenfrequenz von Drehschwingungen wenden wir Gl. (8.4) an.

Für kleine Krängungswinkel f gilt für den aufrichtenden Hebelarm xa (vgl. Abb. 2.9)

xa ¼ GM sin f GMf, ðGleichung 8:11Þ

wobei GM die Metazentrische Höhe ist. Das aufrichtende Drehmoment folgt daraus durch Multiplikation mit der Verdrängung D (= Gewicht des Bootes). Das Richtmoment (= rücktreibendes Drehmoment pro Winkel- einheit im Bogenmaß) für Rollschwingungen ist daher

D ¼ GM D ¼ m GM g: ðGleichung 8:12Þ

Trägheitsterm ist in diesem Fall das Trägheitsmoment um die Längs- schiffsachse. Für die Kreisfrequenz der Rollschwingungen ergibt sich damit sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi mGM g o ¼ : ðGleichung 8:13Þ r Y

Schreibt man das Trägheitsmoment als Produkt von Masse mal dem Träg-

heitsradius RG (engl. radius of gyration oder gyradius) zum Quadrat, so stellt sich die Schwingungsfrequenz wie folgt dar sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ¼ GM g: ð : Þ or 2 Gleichung 8 14 RG

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Wenngleich aus Gründen der Stabilität ein ausreichend großer Wert GM

wünschenswert ist, so führt doch eine zu hohe Rollfrequenz or (zu kleine Rollperiode) besonders bei größeren Segelschiffen zu unerwünschten Be- gleiterscheinungen. Die hohen Trägheitskräfte beanspruchen dann die Takelage zu stark bis zur Entmastung von solchen zu steifen Schiffen, wofür es in der Seefahrtsliteratur etliche Beispiele gibt. Außerdem wird es durch die hohen Beschleunigungen extrem gefährlich, in großer Höhe im Mast zu arbeiten. Die Stabilität wird daher konstruktiv begrenzt. Aus diesen Überlegungen lassen sich auch die überraschend kleinen Metazentrischen Höhen von Großseglern als durchaus beabsichtigt erkennen. Wegen der Skalierungsgesetze (vgl. Kapitel 6) erweisen sich die Segelflächen, die von solchen Schiffen getragen werden können, immer noch als ausreichend. Die Dämpfung von Rollschwingungen erfolgt durch Reibungswiderstand, Wellenbildung und vor allem Wirbelbildung an der Spitze des Mastes und der Kielflosse. Dass dabei eine tief reichende Kielflosse wirksamer ist als ein flacher Bootskörper mit wenig Tiefgang, versteht sich von selbst. Ein interessanter Zusammenhang besteht zwischen Rolldämpfung und Boots- geschwindigkeit. Ist letztere hoch, dann ist die Dämpfung deutlich größer. Bei Rollschwingungen ist für die Amplitude der entsprechende Roll- winkel einzusetzen, sinnvoller Weise auf die Neigung der Wellenflanken normiert. Resonanzphänomene können gerade bei Rollschwingungen sehr gefährlich werden. Für den Segler erhebt sich die Frage, was er dagegen unternehmen soll. Da er das Trägheitsmoment nicht unmittelbar ändern kann, wird er im Allgemeinen den Kurs so ändern, dass er die Wellen unter einem anderen Winkel trifft und die Erregungsfrequenz sich dadurch ändert. Auch eine Veränderung der Geschwindigkeit hilft, etwa durch Reffen. Für Stampfschwingungen gelten völlig analoge Ausdrücke wie für Roll- schwingungen. Hier sind die (wesentlich größere) longitudinale Metazen- trische Höhe und das Trägheitsmoment um die Querschiffsachse zu verwenden. Es empfiehlt sich, in diesem Fall auch das Trägheitsmoment

der infolge Zähigkeit mitgeschleppten Wassermasse (Gewicht FG,W) durch Einführung ihres Trägheitsradius RGW zu berücksichtigen und zu schrei- ben vffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi u u t GML g os ¼ ðGleichung 8:15Þ 2 þ FG, W 2 RGL D RGW

Um eine Vorstellung zu vermitteln, seien folgende typischen Werte für die IOR-Yacht „Standfast“ mit einer Wasserlinienlänge von 10,03 m genannt (R. Garrett, 1996; J. Gerritsma, J. E. Kerwin und G. Moeyes, 1975): Die

8.1 Schwingungsbewegungen des Bootskörpers 177 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c08.3d from 13.04.2012 15:44:26 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

mitgeschleppte Wassermasse beträgt 185 % (!) der Bootsmasse. Das von dieser Wassermasse erzeugte zusätzliche Trägheitsmoment beträgt 69 % des Trägheitsmomentes, das die Yacht allein aufweist. Der Trägheitsradius

für das Boot allein ist RGL = 3,05 m und für die mitgeschleppte Wasser- masse allein RGW = 1,86 m. Die longitudinale Metazentrische Höhe beläuft ¼ sich auf GML 10,8m. Die Eigenfrequenz der Stampfschwingungen ist fS −1 = oS /(2p) = 0,417 s . Das Verhalten dieser Schwingungen in Wechsel- wirkung mit dem Seegang ist völlig analog zu den Tauchschwingungen in Abb. 8.3. Ein wichtiger Aspekt vor allem für den Regattasegler ist der zusätzliche Widerstand, der durch Schwingungsbewegungen einer Yacht im Seegang entsteht. Neben zusätzlicher Wellenbildung und Erzeugung von Wirbeln ist auch die Tatsache zu bedenken, dass sich bei einer im Seegang arbeitenden Yacht die Größe und Richtung des Scheinbaren Windes in größerer Höhe über dem Deck während einer Periode dramatisch ändern kann. In Abb. 8.4 ist dies für eine Yacht illustriert, die bei einem Wahren Wind von 10 kn mit 5 kn am Wind segelt und dabei Stampfschwingungen mit einer Periode von 3 s und einer Amplitude von 10° vollführt. Das Stampfen bringt in 10 m Höhe eine zusätzliche Geschwindigkeitskom- ponente von 7,1 kn, die periodisch die Richtung wechselt. Im oberen Teil von Abb. 8.4 ist dargestellt, wie sich diese auf Richtung und Stärke des

Abb. 8.4 Periodische Veränderung des Periode und 10° Amplitude. vT Tangential- Scheinbaren Windes in 10 m Höhe durch geschwindigkeit der Stampfbewegung in Stampfschwingungen. Bootsgeschwindig- 10 m Höhe. Vektordiagramm im Grund- keit 5 kn, Geschwindigkeit des Wahren Win- riss. (Werte nach R. Garrett, 1996). des 10 kn, Stampfschwingungen mit 3 s

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Scheinbaren Windes auswirkt. Das Segel kann also abwechselnd back stehen (wenn sich der Mast nach vorne bewegt) und Strömungsabriss erleiden (wenn sich der Mast nach hinten bewegt und der Anstellwinkel des Scheinbaren Windes zu groß wird).

Abb. 8.5 a) Amplitude der Tauchschwin- liant“ (Länge über alles 19,63 m, Segelflä- gung in [m], b) Stampfamplitude in Grad, che 163 m²). Geschwindigkeit 7 kn, Wel- c) Zusätzlicher Widerstand in [kN] im See- lenhöhe 1 m. (nach R. Garrett, 1996, Bild gang, aufgetragen gegen die Wellenlänge in Valiant: www.12mR.de). [m] (reziproke Skala) für 12 m-R-Yacht „Va-

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Der zusätzliche Widerstand durch Bewegung im Seegang ist in Abb. 8.5 für die 12 m-R-Yacht „Valiant“ in Abhängigkeit von der Wellenlänge dargestellt. Die Geschwindigkeit des Bootes beträgt 7 kn, die Wellenhöhe 1 m. Im oberen Teilbild ist die Vertikalbewegung der Tauchschwingung, im mittleren Teilbild die Stampfbewegung, und im unteren Teilbild der Widerstand in [kN] gegen die Wellenlänge in reziproker Skala aufgetragen. Sowohl die Tauchschwingung als auch die Stampfbewegung zeigen bei annähernd der gleichen Wellenlänge Resonanz. Etwa dort liegt auch das Maximum des zusätzlichen Widerstandes. Im Übrigen treten Stampf- und Tauchschwingungen eines Schiffes im Seegang üblicherweise gemeinsam und gekoppelt auf. Im Allgemeinen ist es im Hinblick auf den zusätzlichen Widerstand insbesondere für größere Wellenlängen besser, wenn das Träg- heitsmoment für Stampfschwingungen kleiner ist. Es ist daher sinnvoll, Gewicht aus den Schiffsenden herauszunehmen und in der Schiffsmitte zu konzentrieren. Es ist allerdings immer darauf zu achten, dass auch ein zu kleines Trägheitsmoment Probleme schaffen kann, etwa durch übermä- ßige Belastung der Takelage oder Seekrankheit der Besatzung bei zu schnellen Stampfbewegungen.

8.1.3 Rollen vor dem Wind (engl. downwind rolling)

Diese Erscheinung, auch Geigen genannt, hat wohl schon jeden Segler auf Vorwindkurs bei starkem Wind das Fürchten gelehrt. Scheinbar von selbst beginnt das Boot immer stärker zu rollen, bis es schließlich abwechselnd mit dem Spinnakerbaum und dem Großbaum ins Wasser eintaucht (Abb. 8.6). Das kann bis an die Festigkeitsgrenze der Takelage gehen oder zum Kentern von Jollen führen bzw. zu einer „Patenthalse“ mit eventuell fatalen Kon- sequenzen. Obwohl sie durch die Einwirkung von Wellen verstärkt werden kann, ist für diese Schwingungs-Instabilität Seegang überhaupt nicht nötig, es handelt sich um ein rein aerodynamisches Rückkoppelungsphänomen.Zum Mechanismus: Auslöser kann Wellenbewegung sein oder die abwechselnde Bildung von Wirbeln2) an den Rändern des Segels, wenn dieses im Regime abgelöster Strömung betrieben wird, wie es beim Segeln platt vor dem Wind der Fall ist (Abb. 8.7). Durch den sich ablösenden Wirbel wird die Strö- mungsgeschwindigkeit in Lee des Segels erhöht. Dadurch entsteht eine Querkraft, die eine kleine Rollbewegung veranlasst. Während zuvor die aerodynamische Gesamtkraft des Segels in Kurs- richtung gezeigt hat und kein krängendes Moment vorhanden war, wird durch die Rollbewegung die Richtung des Scheinbaren Windes so verän-

2) Vergleiche dazu die abwechselnde Entstehung von Wirbeln beiderlei Vorzeichens hinter einem umströmten Körper – Kármán’sche Wirbelstraße, Abb. 4.9.

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Abb. 8.6 Rollen vor dem Wind (National Shield Class, Foto Carol & Michael Berwind).

dert, dass dieser nun eine Komponente aus der Richtung aufweist, in die die Rollbewegung zeigt (vRoll in Abb. 8.8). Durch die geänderte Luftanströmung entsteht eine Kraftkomponente (FRoll in Abb. 8.8), die das Rollen verstärkt. Die Frequenz passt sich dabei der Eigenschwingungsfrequenz des Bootes an, da die Erregung ja nicht von außen kommt, sondern von der Rollschwingung selbst verursacht wird. Obwohl das Boot gegenüber dem Rollen statisch stabil ist, ist es somit dynamisch instabil. Abbildung 8.8 zeigt den grundsätzlichen Mechanismus dieser sich selbst aufschaukelnden Rollschwingungen auf. Ob es tatsäch- lich zu einer Instabilität kommt, hängt von einer Reihe von Faktoren ab wie Kurswinkel g, Segel-Einstellwinkel d, den aerodynamischen Eigenschaften

Abb. 8.7 Alternierende Wirbelablösung an wodurch es zu einer Querkraft F in diese den Rändern eines Segels vor dem Wind. Richtung kommt. Oben hat sich gerade ein Wirbel abgelöst,

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Abb. 8.8 Selbsterregte Rollschwingungen. Kraftkomponente, welche die Rollbewe- Eine Rollbewegung führt zu einer Rich- gung verstärkt. a) Rollen nach Backbord, tungsänderung des Scheinbaren Windes. b) Rollen nach Steuerbord. Darstellung Dadurch entsteht eine aerodynamische der Luftströmung schematisch.

des Segels, die unter Anderem vom Seitenverhältnis und der Verwindung des Segels beeinflusst werden, etc. Um die Situation mathematisch zu beschreiben, betrachten wir den Fall einer freien, gedämpften Schwingung ohne Störfunktion. Die Bewegungs- gleichung ergibt sich aus Gl. (8.8), wenn wir dort den Störterm weglassen:

_ þ _ þ 2 ¼ : ð : Þ x 2b x o0 x 0 Gleichung 8 16

Die mathematische Lösung dieser Bewegungsgleichung ist eine Funktion der Form

xðtÞ¼expðbtÞ ½A sin o t þ B cos o t , ðGleichung 8:17Þ

wobei

qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ¼ 2 2 ð : Þ o o0 b Gleichung 8 18

und die Konstanten A und B aus den Anfangsbedingungen ermittelt werden müssen. Bei positiver Dämpfungskonstante b fällt die Amplitude der in Gl. (8.17) vorkommenden harmonischen Funktion exponentiell ab. Liegt jedoch ein Mechanismus vor, der die Dämpfung und damit die

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Abb. 8.9 Dämpfung bzw. Aufschaukelung einer Schwingung mit gegebener Anfangs- Amplitude, wenn die Dämpfungskonstante positiv bzw. negativ ist.

Dämpfungskonstante3) b in Gl. (8.16) negativ macht, also die Schwingung aufschaukelt, dann kann die Amplitude exponentiell anwachsen, mit mög- lichen katastrophalen Konsequenzen (Abb. 8.9). Der in Abb. 8.8 erklärte Mechanismus führt zu einem negativen b und damit genau zu diesem Verhalten. C. A. Marchaj hat dazu eine Reihe von Versuchen im Windkanal mit einem Riggmodell eines Finn- angestellt. In Abb. 8.10 sind die Ergebnisse für die Abhängigkeit vom Kurswinkel wiedergegeben. Während bei Kurswinkeln von 145° bis 180° dynamische Instabilität vorliegt, beginnt sich bei überachterlichem Segeln (g > 180°) allmählich eine Grenzamplitude herauszubilden. Dabei wird schließlich ein Gleichgewicht zwischen der durch einen nichtlinearen Dämpfungsmechanismus dissipierten Energie und der durch den aerodynamischen Selbsterregungseffekt zugeführten Energie erreicht.4) Bemerkenswerter Weise erfährt ein Schiff, das mit solchen stabilen Rollschwingungen segelt, eine größere Vortriebskraft als ein stabil segelndes. Da der erhöhte hydrodynamische Widerstand diesen Effekt nur teilweise kompensiert, segelt es tatsächlich auf dem gleichen

3) Eine detaillierte Analyse der Einflüsse, die in den Dämpfungsterm b bei Vorwind- Rollinstabilität eingehen, findet sich bei F. Fossati, 2009, S. 170ff. 4) Dieses Verhalten wird durch die Lösungen der vereinfachten Gl. 8.16, die ja linear ist, nicht wiedergegeben.

8.1 Schwingungsbewegungen des Bootskörpers 183 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c08.3d from 13.04.2012 15:44:36 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 8.10 Die Abhängigkeit der dyna- überachterlichem Segeln (g = 200°) wer- mischen Stabilität vom Kurswinkel g nach den anfängliche Rollamplituden gedämpft. Versuchen von C. A. Marchaj. Bei deutlich

Kurs schneller als ein Schiff ohne Rollschwingungen! Beim Kurswinkel 200° liegt bereits echte dynamische Stabilität (mithin b > 0) vor. Abbildung 8.11 zeigt das Ergebnis eines Windkanalversuchs, bei dem der Segel-Einstellwinkel d verändert wurde. Bei abnehmenden Werten von d

Abb. 8.11 Die Abhängigkeit der dyna- verändert sich die Richtung der aerodyna- mischen Stabilität vom Segeleinstellwinkel d mischen Gesamtkraft RA so, dass die Roll- nach Versuchen von C. A. Marchaj, 1991. bewegung nicht mehr aufgeschaukelt Wenn die Schot dichter genommen wird, wird.

184 8 Zeitabhängiges Verhalten Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c08.3d from 13.04.2012 15:44:39 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 8.12 Einfluss des Segeleinstellwinkels bewegung wird verstärkt, b) Rollbewegung d auf die Richtung der aerodynamischen wird gedämpft. (vgl. Abb. 8.11). Gesamtkraft RA' bei Rollbewegung. a) Roll-

tritt ab etwa 70° eine Grenzamplitude auf und darunter Stabilität. Wenn man also platt vorm Wind das Segel nicht gänzlich auffiert, sondern etwas dichter nimmt, kann man unter Umständen die Rollinstabilität vermeiden. Der Grund dafür ist in Abb. 8.12 dargestellt: Die resultierende Luftkraft wird so verändert, dass sie nunmehr eine Komponente gegen die Roll- richtung hat. Natürlich hängt die dynamische Stabilitätsgrenze von der Größe der Dämpfung, insbesondere durch die Rumpfanhänge (Kielflosse, Ruder) ab. Grundsätzlich ist es so, dass für den Unterwasserteil auf Grund der Roll- schwingungen keine zusätzliche Aufschaukelung, sondern immer eine dämpfende Kraft entsteht. Rollt das Schiff etwa nach Backbord, bewegt sich der Kiel nach Steuerbord. Die zusätzliche Anströmungskomponente von Steuerbord ergibt einen zusätzlichen Auftrieb nach Backbord, der dem Rollen entgegen wirkt.

8.1.4 Gier-Instabilität

Wird ein Boot durch ein kurzfristig wirkendes Giermoment (plötzliche Bö, Welle oder Ähnliches) von seinem geraden Kurs abgebracht, dann kann es sich entweder wieder stabilisieren, unter Umständen auf einem etwas anderen Kurs (Abb. 8.13), oder außer Kontrolle geraten, indem sich die ausgelösten Gierschwingungen aufschaukeln. Eine Stabilisierung der Yacht ohne Eingriff einer Steuerung, das heißt entweder durch einen

8.1 Schwingungsbewegungen des Bootskörpers 185 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c08.3d from 13.04.2012 15:44:40 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 8.13 Verhalten nach einem kurzzeiti- bzw. instabiles Gierverhalten (sich auf- gen, störenden Giermoment: stabiles Gier- schaukelnde Gierschwingungen, nach verhalten (gedämpfte Gierschwingungen) F. Fossati, 2009). mit einpendeln auf eine neue Kursrichtung

Rudergänger oder eine Selbststeueranlage, ist nur allenfalls bei einem traditionellen Langkieler zu erwarten. Die moderne Rennyacht wird hin- gegen kaum von selbst wieder einen stabilen Kurs einnehmen, da infolge der kurzen Profilsehnenlängen von Kiel und Ruderblatt kein „Beharrungs- vermögen“ auf eine bestimmte Anströmungssituation eingebaut ist. In der Analyse der Gier-Instabilität wird daher in der Regel von dem Gesamt- system Boot-Steuerung ausgegangen.

8.2 Auftriebs-Hysterese

Wir haben bereits in Kapitel 4 darauf hingewiesen, dass bei Veränderun- gen der Strömungsgeschwindigkeit und des Anstellwinkels die Zirkulation einige Zeit braucht, um sich auf den neuen, stationären Wert einzustellen. Theodor von Kármán und andere Autoren haben untersucht, wie der Auf- trieb einer periodischen Veränderung des Anstellwinkels folgt. In diesem zeitlich veränderlichen Fall lässt sich der Auftrieb in drei Anteile zerlegen

LðtÞ¼L0ðtÞþL1ðtÞþL2ðtÞ, ðGleichung 8:19Þ

wobei L0 der dem augenblicklichen Anstellwinkel entsprechende stationäre Auftrieb ist, L1 ist ein Anteil, der ohne Zirkulation vom Impulsübertrag auf die beschleunigten Flüssigkeitsmassen kommt (vgl. Abb. 4.7, wo der Auf-

trieb ohne Zirkulation sofort auf den halben Endwert steigt). L2(t) schließ- lich kommt von der Wirbelbildung im Nachlauf.

186 8 Zeitabhängiges Verhalten Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c08.3d from 13.04.2012 15:44:42 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 8.14 Phasenvoreilung des Auftriebs ge- T der Anstellwinkel-Veränderung. Der dar- genüber dem Anstellwinkel als Funktion der gestellte Phasenwinkel variiert je nach An- reduzierten Oszillationsfrequenz fR = c /(vT). stellwinkel-Amplitude von Anstellwinkel 6° Dabei ist c/v die Zeit, welche die Strömung (unten) bis 34° (oben). Diese Variation für das Zurücklegen einer Sehnenlänge c verschwindet bei höheren Verstellfrequen- braucht. Sie wird verglichen mit der Periode zen (nach R. Garrett, 1996).

Bei periodischer Variation des Anstellwinkels eilt der tatsächlich beobach- tete Auftrieb dem stationären Wert in der Phase voraus. Diese Voreilung hängt von der Oszillationsfrequenz der Anstellwinkel-Variation ab und richtet sich für niedere Frequenzen auch nach der Amplitude (Abb. 8.14). Die in Abb. 8.14 vorkommende normierte Frequenz ist identisch mit der der sog. Strouhal-Zahl. Es handelt sich (wie die Reynoldszahl, die Froude-Zahl und viele andere) um eine dimensionslose Verhältniszahl, welche zeitlich periodisch veränderliche Phänomene geeignet skaliert und ist definiert durch S = Lf/u, wobei f die Frequenz der Oszillation ist, L eine lineare Dimension und u die Strömungsgeschwindigkeit. Im vorliegenden Fall wäre also L = c die Profil-Sehnenlänge. Neben den hier beschriebenen absichtlich herbei geführten periodisch Veränderungen des Anstellwinkels kann etwa an die regelmäßige Ablösung von Wirbeln hinter einem um- strömten, zylindrischen Körper gedacht werden (Kármán’sche Wirbelstraße), wie etwa bei den Wanten, bei denen diese Erscheinung bei höheren Wind- stärken zu einem charakteristischen Pfeifen führt. Die Strouhal-Zahl kann für diese Situation als eindeutige Funktion der Reynoldszahl dargestellt werden (vgl. auch Anhang A4 zur Ableitung dimensionsloser Kennzahlen).

8.2 Auftriebs-Hysterese 187 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c08.3d from 13.04.2012 15:44:44 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Wenn man den Anstellwinkel eines geeigneten symmetrischen Flügel- profils periodisch zwischen positiv und negativ verändert, dann ist es möglich, viel größere Höchstauftriebs-Beiwerte bei größeren maximalen Anstellwinkeln (bevor die Strömung abreißt) als für den stationären Fall zu

erreichen. In Abb. 8.15 ist der maximal erreichte Auftriebsbeiwert CL,max für das Profil NACA 0012 (typisches Ruderprofil) für verschiedene Anstell-

winkel-Amplituden als Funktion der reduzierten Frequenz fR (siehe dazu Erklärung zu Abb. 8.14) dargestellt. Der maximale stationäre Auftriebs- beiwert ist etwa 1. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass bei schwierigen Starkwind- verhältnissen eine geeignete Pump-Aktion etwa vor einem größeren Ma- növer die Ruderwirkung drastisch erhöhen kann. Eine überschlagsmäßige Rechnung auf Grund der Abb. 8.15 und der daraus ersichtlichen güns- −1 tigsten Frequenz fR = 0,04 ergibt für eine Geschwindigkeit v = 2,5 ms und eine Ruderprofiltiefe von 0,75 m eine günstigste Pumpperiode von

T = c/(fR v) = 7,5 s, was eine erstaunlich langsame Veränderung darstellt. Allerdings wurde Abb. 8.15 bei einer Reynoldszahl gewonnen, die um einen Faktor 10 unter der Reynoldszahl unseres Rechenbeispiels liegt. In Abb. 8.16 sind geschlossene Kurven des Auftriebsbeiwertes (Hysteresen) für verschiedene Verstellfrequenzen dargestellt. Den stationären Auf- triebsverlauf gibt die ausgezogene Kurve in der Mitte wieder. Die günstige Erhöhung des Auftriebs im Fall der periodischen Veränderung ist jedoch auch mit einer drastischen Erhöhung des Widerstandes verbunden.

Abb. 8.15 Maximaler Auftriebskoeffizient CL,max für verschiedene Anstellwinkel-Amplitu- den als Funktion der reduzierten Frequenz (Strouhal-Zahl), (nach F. Fossati, 2009).

188 8 Zeitabhängiges Verhalten Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c08.3d from 13.04.2012 15:44:45 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 8.16 Kurven des Auftriebs-Beiwertes onsfrequenzen fR. Zur Definition von fR CL (Hysteresen) bei periodisch veränderli- siehe Abb. 8.14. Die Kurve für fR = 0 be- chem Anstellwinkel a mit Amplitude 34° für zieht sich auf den stationären Fall. (nach verschiedene reduzierte Verstell-Oszillati- F. Fossati, 2009).

„Pumpen“ zur Erhöhung des Auftriebs durch periodisches Dichtnehmen und Fieren der Schot kann bei leichtem und mittlerem Wind ein wirk- sames Mittel sein, um schneller zu segeln, und ist daher meistens durch das Reglement streng verboten. Ausnahmen gibt es bei einzelnen Klassen (Windsurfer) und speziellen Situationen, etwa um durch kurzfristige Er- höhung der Vortriebskraft das Boot auf die Bugwelle zu heben und dadurch den Gleitzustand einzuleiten.

8.3 Reiten auf der Welle (surfen)

Wirkt sich der Wellengang nur ungünstig, also Widerstand erhöhend, auf eine Yacht aus oder lässt sich daraus auch ein Vorteil für die Geschwindig- keit ziehen? Diese Frage blieb lange unentschieden, mittlerweile ist es bekannt, dass hochgezüchtete Ozean-Rennyachten Vorteil aus der Dünung z. B. in den „Roaring Forties“, den Gebieten um den 40. südlichen Breiten- grad ziehen. Um diesen Effekt zu verstehen, wollen wir zunächst zwei grundsätzlich verschiedene Bewegungszustände von Wasserfahrzeugen in der Welle betrachten (Abb. 8.17). In dem einen befindet sich ein Schlauch- boot oder Rettungsfloß, das einfach die Bewegung der Wasserteilchen an der Wellenoberfläche mitmacht, in dem anderen befindet sich ein Wellen-

8.3 Reiten auf der Welle (surfen) 189 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c08.3d from 13.04.2012 15:44:47 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

reiter, der eine Welle „eingefangen“ hat und sich mit ihr mitbewegt. Während sich das Schlauchboot auf einer gekrümmten Bahn unter peri- odisch wechselnden Kräften bewegt, läuft der Surfer im Kräftegleichge- wicht mit konstanter Geschwindigkeit. Diese beiden Bewegungszustände entsprechen übrigens genau der Beschreibung im Laborsystem bzw. in einem mit der Welle mitbewegten Bezugssystem, die wir verwendet haben, um die Dispersionsrelation der Schwerewellen mithilfe des Bernoulli- Theorems abzuleiten (Kapitel 6, Gl. (6.11) und folgende). Das Schlauchboot bewegt sich also mit den Wasserteilchen der Welle auf einer annähernd kreisförmigen Bahn. Diese Orbitalbewegung ist auf dem Wellenkamm in Richtung der Wellenausbreitung gerichtet, im Wellental gegen die Richtung der Wellenausbreitung (vgl. Abb. 6.2). Es fühlt damit die gleiche scheinbare Gravitationsbeschleunigung wie ein Wasserteilchen. Diese ist am Wellenkamm und im Wellental normal zur Wasseroberfläche gerichtet und auf dem Wellenkamm dem Betrag nach geringer als g und im Wellental größer als g. Bei steilen, kurzen Wellen kann die scheinbare Schwerkraft am Wellenkamm sogar auf null reduziert werden. Der Wellen- kamm bricht dann und löst sich in Gischt auf. Wir wollen versuchen, daraus eine Bedingung für die Stabilität von Wellen bzw. die maximal mögliche Wellenhöhe abzuleiten. Aus der Forderung Zentrifugalbeschleuni- gung = Gravitationsbeschleunigung ergibt sich Ao²=g und mit o²=gk

Abb. 8.17 Kräfte a) auf ein auf der Welle Schlauchboot eine Zentrifugalkraft (nach treibendes Schlauchboot (vom Schlauch- R. Garrett, 1996). Der Surfer ist im Kräfte- boot aus gesehen) und b) auf einen Wellen- gleichgewicht und sieht eine stationäre reiter (Surfer). Aufgrund der Orbitalbewe- Strömung. gung der Wasserteilchen erfährt das

190 8 Zeitabhängiges Verhalten Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c08.3d from 13.04.2012 15:44:49 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

(Gl. (6.16) für Tiefwasser) erhalten wir A =1/k = l /(2p) ≅ l / 6. Das liefert annähernd die richtige Größenordnung für die Grenzamplitude, die in Wirklichkeit l / 14 (W. Bascom, 1964) beträgt. Wir dürfen allerdings nicht vergessen, dass die Dispersionsrelation unter der Voraussetzung kleiner Amplituden abgeleitet wurde, was aber hier gerade nicht der Fall ist. Da am Wellenkamm die scheinbare Schwerkraft reduziert ist, verringert sich auch der Auftrieb der Yacht und damit das aufrichtende Drehmoment. Das kann bei steiler, kurzer See zu gefährlichem Stabilitätsverlust führen. Noch dazu wird die Yacht am Wellenkamm vom größten Winddruck getroffen. Es gibt allerdings auch einen gegenläufigen Effekt. Auf dem Wellenkamm taucht das Boot mehr in der Mitte und im Wellental mehr an den Enden ein. Für die bei modernen Rennyachten nach oben hin aus- ladende Rumpfform (engl. flare) führt das im ersten Fall zu einer Erhöhung der Stabilität, da breitere Teile des Rumpfes zum Auftrieb beitragen. Im Wellental dagegen wird durch das Eintauchen an den schmäleren Enden des Bootes die Stabilität verringert. Dieser Effekt tritt bei den langen Wellen eines schweren Sturmes selten ein, wirkt sich aber im eigenen Wellen- system des Bootes aus, wenn es Rumpfgeschwindigkeit segelt. Weiters wirkt sich auch die bereits erwähnte Wechselwirkung von Tauchschwin- gungen mit dem Seegang aus, was z. B. bei kurzer Wellenperiode dazu führt, dass die Yacht am Wellenkamm tiefer und im Wellental weniger tief eintaucht als in ruhiger (statischer) Schwimmlage. Im Gegensatz zu dem auf der Welle treibenden Schlauchboot bewegt sich der Surfer gleichförmig mit der Welle auf deren Vorderflanke mit. Dabei wird er vom Gewicht angetrieben. Das Wasser strömt ihm entgegen. Durch das Surfen erfährt er einen dynamischen Auftrieb. Diese beiden Kräfte stehen zusammen mit dem Widerstand im Gleichgewicht und ermögli- chen so einen gleichförmigen Fahrtzustand (Abb. 8.17). Bei einem Wind- surfer oder Kitesurfer kommt noch eine aerodynamische Antriebskraft dazu. Yachten können in ähnlicher Weise eine Zeitlang von einer Welle „mitgenommen“ werden und je nach Rumpfbauweise auch einen Gleit- zustand erreichen. Im Wellental ist durch Erhöhung der scheinbaren lokalen Gravitation die Rumpfgeschwindigkeit erhöht, das heißt, bei glei- cher Geschwindigkeit wird mit einer geringeren Froude-Zahl gefahren. Weiters ist die benetzte Oberfläche verringert. Insgesamt kann es durch Zusammenwirken dieser verschiedenen Effekte im Seegang zu einer höhe- ren Fahrtgeschwindigkeit kommen als in bei glattem Wasser bei der gleichen Windstärke. J. S. Letcher (1977) hat dazu Berechnungen ange- stellt. Die betrachtete Yacht war eine Cal 40 mit 6,67 t Wasserverdrängung und einer Wasserlinienlänge von 9,8 m. Das Szenario enthielt Wellen mit einer Länge von 60 m, einer Periode von 6 s und einer Höhe von 3,7 m, die mit einer Phasengeschwindigkeit von 19 kn das Boot von achtern überho-

8.3 Reiten auf der Welle (surfen) 191 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c08.3d from 13.04.2012 15:44:49 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 8.18 Verhalten einer Yacht, die vor Verdrängung, bezogen auf die Verdrän- dem Wind segelt und von Seegang von gung in ruhiger Schwimmlage. Alle Werte achtern überholt wird. Oben: horizontale sind gegen die Zeit aufgetragen. Das dar- Beschleunigung durch Wechselwirkung mit gestellte Intervall umfasst eine Wellenperi- den Wellen in Einheiten von g = 9,81 ms−2, ode, vom fahrenden Boot aus gesehen darunter: Geschwindigkeit des Scheinbaren (das Boot segelt etwa mit der halben Pha- Windes in [kn], darunter Geschwindigkeit sengeschwindigkeit der Welle) (nach J. S. des Bootes relativ zu den Wasserteilchen an Letcher, 1977). der Wellenoberfläche in [kn], ganz unten:

len. Die sich daraus ergebende Veränderung signifikanter Kenngrößen mit der Wellenperiode ist in Abb. 8.18 dargestellt. Das Boot wird am stärksten beschleunigt, wenn es im Wellental von der ansteigenden Welle „mit- genommen“ wird und erreicht seine größte Geschwindigkeit, wenn es an

192 8 Zeitabhängiges Verhalten Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c08.3d from 13.04.2012 15:44:51 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

der Vorderflanke der Welle „surft“. Ist die Welle unter ihm durchgelaufen, dann fällt es hinter den Kamm zurück und wird dort verzögert, bis es eine geringste Geschwindigkeit an der rückseitigen Wellenflanke erreicht. Da sich der Scheinbare Wind beim Segeln vor dem Wind aus dem Wahren Wind minus dem Fahrtwind ergibt, erreicht er hinter der Welle auch sein Maximum. Da die Tauchschwingung des Schiffskörpers entgegen der Wellenamplitude läuft, ist die Verdrängung auf dem Wellenkamm erhöht und im Wellental verringert. Aus den Berechnungen von J. S. Letcher (1977) ergab sich, dass die mittlere Bootsgeschwindigkeit von 9,81 kn um 13 % höher ausfiel, als sie bei glattem Wasser bei der gleichen Windstärke gewesen wäre.

8.4 Gefährdung durch Brecher

Segelt eine Yacht auf einer normalen Ozeanwelle, macht sie die kreisför- mige Orbitalbewegung der Wasserteilchen mit. Dann können zwar die oben beschriebenen Schwingungs- und Resonanzphänomene auftreten, aber richtig gefährlich werden Wellen erst dann, wenn sie brechen und ein Teil der Wellenenergie in horizontale Bewegung investiert wird. Der oberste, brechende Teil der Welle koppelt sich dabei von der Orbitalbewe- gung der Wasserteilchen ab und wird von der Welle fortgetragen. Dabei surft das auf einer turbulenten Schicht gleitende Wasserpaket gewisserma- ßen auf der Vorderflanke der Welle und erfährt so eine beträchtliche Beschleunigung in horizontaler Richtung bis zur Phasengeschwindigkeit der Welle (Abb. 8.19). Wellen brechen erst dann, wenn ihre Höhe (doppelte Wellenamplitude Amplitude A) 1/7 der Wellenlänge überschreitet. Bei „normalen“ Oze- anwellen ist das nicht der Fall, auch wenn sie vergleichsweise hoch sind. Das Phänomen tritt bei starken Stürmen durch Windeinwirkung, oder aber durch Interferenzwirkung auf. In Abb. 8.20 ist dazu das Ergebnis einer Modellrechnung dargestellt. Es wurde angenommen, dass zwei Wellenzüge

Abb. 8.19 Brechen von Wellen: Das oberste durch „surfen“ auf der Wellenvorderseite Flüssigkeitspaket wird aus der Orbitalbewe- horizontal beschleunigt. gung der stabilen Welle ausgekoppelt und

8.4 Gefährdung durch Brecher 193 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c08.3d from 13.04.2012 15:44:52 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 8.20 Entstehen von „Monsterwellen“ durch lineare Überlagerung. Interferenz zweier Wellenzüge, deren Wellenfronten einen Winkel von 45° einschließen (Mo- dellrechnung). An den Maxima (dunkelste Bereiche in c) können Wellen, die als ein- zelne Wellenzüge noch stabil waren, die Stabilitätsgrenze überschreiten und bre- chen.

mit einem Höhen-Wellenlängen-Verhältnis von 1:12 in einem Winkel von 45° interferieren (Wellenhöhe 2,7 m, Wellenlänge 32,4 m, Wellenfronten parallel zu den strichlierten Linien). Interferenzmaxima von 5,4 m treten auf, und diese Wellenkämme brechen bei der angenommenen Wellen- länge. Natürlich ist die Wellenbewegung in der Natur nicht so regelmäßig wie in dieser Modellrechnung, aber der grundsätzliche Mechanismus des Entstehens außergewöhnlicher Wellenhöhen „aus dem Nichts“ ist dersel- be. In jüngster Zeit haben Monsterwellen (engl. rogue waves oder freak waves) eine gewisse Aufmerksamkeit erregt, besonders seit das bekannte Kreuz- fahrtschiff „MS Bremen“ 2001 von einer solchen Welle getroffen wurde. Solche Wellen werden für zahlreiche ungeklärte Schiffsuntergänge verant- wortlich gemacht. Radaruntersuchungen von Satelliten aus haben die Erkenntnis gebracht, dass dieses Phänomen nicht so selten ist wie früher angenommen. Die Entstehung echter Monsterwellen, das sind solche, deren Höhe doppelt so groß wie die signifikante Wellenhöhe5) ist, lässt sich durch lineare Überlagerung nicht ausreichend erklären. Eine Reihe von nichtlinearen Ansätzen für die Wellenbewegung liefern Mechanismen, wie einzelne Wellen aus ihrer Nachbarschaft Energie entziehen und zu außer- gewöhnlicher Größe heranwachsen können (siehe dazu C. Kharim und E. Pelinovsky, 2003). Wenn eine Yacht von einer brechenden Welle breitseits getroffen wird, dann wird sie durch diesen horizontalen Impuls hauptsächlich zur Seite hin beschleunigt. (Etwa 90 % der auf das Boot übertragenen Energie erzeugen lineare Beschleunigung und nur 10 % Winkelbeschleunigung). Ein Besatzungsmitglied, das in einer Koje in Lee liegt, würde dabei auf den Boden geworfen. Noch viel dramatischer und gefährlicher ist aber der nun

5) In einem Wellenspektrum ist das die mittlere Höhe des Drittels der Wellen, welche die größten Wellenhöhen aufweisen.

194 8 Zeitabhängiges Verhalten Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c08.3d from 13.04.2012 15:44:53 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

folgende Aufprall des vom Brecher weggeschleuderten Bootes im Wellen- tal. Dabei kann es leicht zu strukturellen Schäden kommen. Immer wieder wurde berichtet, dass bei solchen Ereignissen die Leeseite der Aufbauten eingedrückt wurde. Auch zum Durchkentern kann es kommen. Was erhöht grundsätzlich die Sicherheit einer Yacht in einer solchen Situation? Vor dem Durchkentern schützen große Stabilität (hier sind große Yachten eindeutig im Vorteil) und ein großes Trägheitsmoment. Wie man weiß, kentern entmastete Yachten im Sturm wesentlich leichter durch – etwa die Hälfte des Trägheitsmomentes um die Rollachse wird von der Takelage gebildet. Gegen die großen Trägheitskräfte beim Aufprall im Wellental schützt am besten ein hohes Festigkeits/Massen-Verhältnis, also stabile und leichte Bauweise. Wie aus alter seemännischer Erfahrung bekannt ist und durch Modellversuche bestätigt wurde, ist es sicherer, die Wellen rechtwinkelig zu durchschneiden, also entweder vor Seeanker mit dem Bug gegen die Wellen zu liegen oder genau vor den Wellen zu laufen („lenzen vor Topp und Takel“). Läuft man vor dem Wind vor einer schweren See, muss allerdings sehr aufmerksam gesteuert werden, da der geringste Fehler zum Querschlagen (engl. broaching) mit verheerenden Konsequenzen führen kann. Wie anstrengend diese Tätigkeit ist, belegt die Tatsache, dass beim Volvo Ocean Race bei Vorwindkursen in den „Brüllenden Vierzigern“ (Seegebiete um den 40. südlichen Breitengrad) der Rudergänger (Steuer- mann) oft alle halben Stunden ausgewechselt werden muss. Die grund- sätzliche dynamische Instabilität des Laufens vor dem Wind wird durch die Bewegung der Wasserteilchen noch verstärkt (Abb. 8.21). Auf dem Wellen- kamm ist die Orbitalbewegung in Laufrichtung der Welle orientiert (vgl. Kapitel 6), im Wellental gegen die Laufrichtung. Fährt nun ein Schiff gerade die Welle hinunter und weicht dabei seine Kursrichtung von der Wellennormale ab, dann wird das Heck nach vorne und der Bug nach hinten geschoben und das Schiff quer zum Wellenkamm gedreht. Die Gefahr ist natürlich dann besonders groß, wenn die Schiffslänge gleich der halben Wellenlänge ist. Eine andere eminente Gefahr beim Segeln vor dem Wind bei schwerer See ist das Einsteigen von Seen über das Achterdeck (= Überspülen des Decks durch Brecher, engl. pooping), wobei die Welle das gesamte Deck entlang läuft. Dieser Vorgang wurde in der alten Seefahrt sehr gefürchtet und konnte den Untergang bedeuten. Dazu ein kurzes Zitat aus Alan Villiers „Voyage of the Parma“ (1933): „…green water smashed along the length of her. Down, down she sank poop under! She pooped. Of all the sounds that a storm-lashed sea can make surely there is none more terrifying, more expressive of evil exultation, than the lapping of solid green water over a running ship’s poop …“ Dabei wird der Steuermann von der Welle mit großer Wucht getroffen. R. Garrett stellt dazu eine überschlags-

8.4 Gefährdung durch Brecher 195 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c08.3d from 13.04.2012 15:44:53 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 8.21 Die lokale Orbitalbewegung der Wasserteilchen in einer Welle begünstigt die Drehung eines Schiffs parallel zum Wellenkamm, wenn es die Welle hinab fährt.

mäßige Berechnung an: Wenn die Welle das Achterschiff mit einer Relativ- geschwindigkeit von 4 ms−1 überspült und für den Steuermann ein Wider-

standsbeiwert von CD = 1 bei einer effektiven Angriffsfläche von 1,8 m × 0,3 m angenommen wird, dann wirkt auf ihn eine Kraft von D = 4320 N, entsprechend etwa seinem 6-fachen Gewicht! Im günstigsten Fall kann dies von seinem Sicherheitsgurt gehalten werden. Der Energieinhalt einer Welle ist beträchtlich und beträgt6) pro m² Wellen- fläche 1/2rgA², wenn A die Wellenamplitude (= halbe Wellenhöhe), r die Dichte des Wassers und g die Gravitationsbeschleunigung ist. Ein Boot mit 10 m Länge bedeckt etwa 30 m² Meeresfläche. Bei 6 m hohen Wellen beträgt die in dieser Fläche enthaltene Wellenenergie 1,3·106 J. Die Ener- gie, um ein Boot dieser Größenordnung zum Kentern zu bringen, erhält man aus dem Integral der Stabilitätskurve zu etwa 105 J. Das heißt, die Wellenenergie reicht mehr als 10mal aus, um die Yacht zum Kentern zu bringen (R. Garrett, 1996).

6) Um dies zu berechnen, kann man die positiv ist. Damit hat man aber nur die potenzielle Energie berechnen, die man Hälfte des Energieinhaltes. Die zweite braucht, um die Wellenberge aufzutür- Hälfte wird von der kinetischen Energie men. Dazu kann man sich vorstellen, gebildet. (Bei harmonischen Schwin- alle Wasserteilchen aus den Gebieten, gungen sind diese beiden Anteile gleich wo der Sinus der Wellenform negativ groß, wenn über eine Schwingungs- ist, gegen das Schwerefeld in die Ge- periode gemittelt wird.) biete „umzuschaufeln“, wo der Sinus

196 8 Zeitabhängiges Verhalten Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c08.3d from 13.04.2012 15:44:54 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Zentrale Aussagen

Übergänge zwischen gleichförmigen Fahrtzuständen

• Ruhendes Segelschiff setzt sich in Bewegung. Anfangs wirkt nur die Windkraft → Boot treibt nach der Seite ab. Nach und nach beschleunigt das Boot, Strömung unter Wasser baut sich auf → Seitenkraft → gleichförmige Fahrt mit geringer Abdrift. • Wende: Durch Ruderlegen wird Kräftepaar erzeugt → Dreh- impuls. Boot treibt nach der Seite. Nachdem das Boot durch den Wind gegangen ist: Drehung muss durch Stützruder abgefangen werden (Gegen-Drehimpuls). Aerodynamische und Hydrodyna- mische Kräfte werden in der Gegenrichtung wirksam, bis wieder gleichförmige Fahrt auf dem neuen Bug.

Schwingungsbewegungen des Bootskörpers

• Translationsbewegungen: Nur Tauchschwingungen relevant, da definierte rücktreibendepffiffiffiffiffiffiffiffiffi Kraft (zusätzlicher hydrostatischer Auf- trieb). o0 ¼ k=m. Bei der Masse muss das zusätzlich mit- geschleppte Wasser berücksichtigt werden. • Drehbewegungen:pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi Stampfschwingungen und Rollschwingungen relevant. o0 ¼ D=Y (Gierschwingungen nur bei Vorhanden- sein eines stabilisierenden Mechanismus). Bei Stampfschwingun- gen mitgeschlepptes Wasser berücksichtigen. • Beachte die periodische Veränderung von Richtung und Stärke des Scheinbaren Windes vor allem in der Nähe der Mastspitze bei Stampf- und Rollschwingungen. • Wechselwirkungen mit dem Seegang: System wirkt als fremd- erregter harmonischer Oszillator. Grenzfälle kleines Schlauchboot (schwingt in Phase mit dem Seegang) und großes, scharf ge- schnittenes Schiff in kurzen Wellen (schwingt gegen die Phase und unterschneidet die Wellen). Kommt die Wellenfrequenz in die Nähe der Eigenschwingungen des Bootes, tritt Resonanz auf. Abhilfe: Kurs ändern. • Dämpfung der Schwingungen durch Wellen- und Wirbelbildung. • Zusätzlicher Widerstand insbesondere bei Resonanz. • Rollen vor dem Wind: Zufällig entstehende Rollschwingungen schaukeln sich durch aerodynamischen Rückkoppelungsmecha- nismus auf. Mathematisch heißt das: Dämpfungskonstante wird negativ. Abhilfe: Überachterlich segeln, Schot dichter nehmen.

8.4 Gefährdung durch Brecher 197 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c08.3d from 13.04.2012 15:44:54 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Auftriebs-Hysterese

• Durch periodische Veränderung des Anstellwinkels kann der Maximalauftrieb eines Profils beträchtlich gesteigert werden. • Der Auftriebsanstieg läuft dabei der Anstellwinkeländerung vo- raus (Phasenvoreilung). • Anwendung: „Pumpen“ von Segeln, z. B. um das Gleiten zu erreichen.

Reiten auf der Welle (Surfen)

• Unterschiedliche Bewegungsmuster je nachdem, ob Boot relativ zur Welle ruht (kleines Schlauchboot, Floß) → Laborsystem oder sich mit der Welle mitbewegt (Surfer): → mitbewegtes Koordina- tensystem. • Im ersten Fall Zentrifugalbeschleunigung durch Orbitalbewe- gung. Wird auf dem Wellenkamm scheinbar leichter (Stabilitäts- grenze für Wellen), im Wellental schwerer. • Im zweiten Fall Kräftegleichgewicht und gleichförmige Bewe- gung. • Segelyachten können durch (zumindest teilweises) Surfen einen Geschwindigkeitsvorteil haben (Untersuchung durch J. S. Letcher, 1977).

Gefährdung durch Brecher

• Bei einer brechenden Welle surft das oberste Wasserpaket mit der Welle mit und erwirbt dadurch großen horizontalen Impuls: Gefahr des Einschlagens von Aufbauten etc. • Wie entstehen besonders große, brechende Wellen: durch lineare Überlagerung nicht brechender Wellen oder durch nichtlineare Wechselwirkung (Monsterwellen). • Zusätzliche Gefahr des Querschlagens von Schiffen, die vor einem Sturm ablaufen, durch die Orbitalbewegung der Wasser- teilchen in der Welle. • Hohes Zerstörungspotenzial durch Energieinhalt der Wellen: E = 1/2rgA² pro m².

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9 Mechanische Belastung und Materialien

9.1 Kräfte in der Takelage – Dimensionierung von Stehendem Gut und Mast

Die Besegelung eines Segelschiffes wird getragen von Mast und Spieren, wozu Rahen (Querstangen), Gaffeln (schräg aufwärts führende Segelstan- gen) und Bäume (am unteren Ende der Segel) zählen. Der Mast wird abgestützt durch das Stehende Gut (engl. standing ), darunter die seitlichen Wanten (engl. shrouds), die Stage (engl. stays) in Längsrichtung und die Backstage (engl. backstays), die schräg nach achtern verlaufen. Um alle diese Elemente ausreichend zu dimensionieren, müssen die typischen durch die Besegelung ausgeübten Kräfte ermittelt werden. Der Yachtkons- trukteur geht dabei üblicherweise von gewissen Standardfällen aus. Etwa wird das Drehmoment ermittelt, das dem Boot eine Krängung von 30° erteilt. Dieses lässt sich aus dem gleich großen aufrichtenden Moment über Auftrieb und Metazentrische Höhe berechnen. Da die Metazentrische Höhe für große Krängungswinkel nur mit einem aufwändigen Verfahren bestimmt werden kann, berechnet man oft als erste Näherung das Moment für 1° Krängung (siehe Gln. (2.2) bis (2.7)) und multipliziert es mit 30. Um sicher zu gehen, werden Fälle ungünstiger, das heißt ungleichmäßiger Belastung betrachtet (Abb. 9.1). Das eine Mal soll die Krängung nur durch ein Vorsegel verursacht werden, wobei die Seitenkraft nur in relativ großer Höhe bei der Befestigung der Oberwanten am Mast angreift (Belastungsfall 1, Abb. 9.1a). Das andere Mal wird ein stark gerefftes Großsegel angenom- men (Belastungsfall 2, Abb. 9.1b)1). Aus diesen Kräften lassen sich dann durch einfache Anwendung des Hebelgesetzes die Querkräfte berechnen, die an den Befestigungspunkten der Wanten angreifen. Schematisch sind diese in Abb. 9.2 für eine Take- lung ohne Saling (engl. spreader), eine mit einem Paar Salingen und eine mit zwei Paar Salingen dargestellt. Salingen sind seitlich angebrachte

1) Nach L. Larsson und R. E. Eliasson, 2000. Diese Auswahl entspricht dem Nordic Boat Standard (NBS).

Physik des Segelns: Wie Segeln wirklich funktioniert, 1. Auflage. Wolfgang Püschl. 199 © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2012 by Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c09.3d from 13.04.2012 15:45:32 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 9.1 Standard-Belastungsfälle für Riggdimensionierung. a) nur Vorsegel (Belas- tungsfall 1), b) stark gerefftes Großsegel (Belastungsfall 2).

Spreizelemente, die den Verlauf der Wanten nach außen umlenken und damit die Spannung in ihnen reduzieren. Die Berechnung der auftretenden Zugkräfte (in den Wanten) und Druck- kräfte (in Mast und Salingen) ist ein gängiges Problem des Ingenieurwe-

Abb. 9.2 Verteilung der Seitenkräfte bei verschiedenen Typen von Takelagen: a) ohne Salingen, b) mit einem Paar Salingen, c) mit zwei Paar Salingen.

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Abb. 9.3 Zug- und Druckkräfte bei einer herrscht komponentenweise Kräftegleich- Takelage mit einem Paar Salingen. Zug- gewicht an jedem Knoten. kräfte D1, D2, D3, Druckkräfte C1, C2, C3.Es

sens (Kräfteverteilung in Tragwerken). Man erhält sie, indem man an den Knotenpunkten Kräftegleichgewicht fordert. Das Prinzip ist in Abb. 9.3 dargestellt. Mit einem geeigneten Standardverfahren (z. B. graphisch: Cremona-Plan)2) werden dann von einem Knoten ausgehend alle Kräfte der Reihe nach bestimmt. Im vorliegenden Beispiel lassen sich aus den Bedin-

gungen an Knoten I sukzessive D2 und C2 bestimmen, dann aus Knoten II D3 und C3, schließlich aus Knoten III D1 und C1, womit alle Kräfte ¼ = bestimmt sind. In der vorliegenden Geometrie ergibt sich D2 F2 sin b2 ¼ =ð Þ und D3 F2 cos g tan b2 . Daraus ist der Vorteil einer Saling erkennbar: Je größer der Winkel b2 wird, umso kleiner können bei vorgegebener Querkraft F2 die Wanten-Zugkräfte D2 und D3 sein. Die in Wanten und Stagen auftretenden Spannungen müssen unterhalb der Fließspannung3) (Grenze des elastischen Bereichs) bleiben. Zu beach- ten sind dabei nicht nur die statischen Belastungen, sondern auch die dynamischen, besonders beim Segeln im Seegang. Außerdem könnten

2) Siehe dazu alle gängigen Handbücher der Technischen Mechanik, z. B. H. Parkus, 2005. 3) Fließspannung ist jene Spannung, oberhalb derer sich ein Material dauerhaft plastisch verformt.

9.1 Kräfte in der Takelage – Dimensionierung von Stehendem Gut und Mast 201 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c09.3d from 13.04.2012 15:45:38 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

die auftretenden Wechselbelastungen zum Ermüdungsbruch führen. Aus diesem Grund wird zum Zweck der Dimensionierung die statische Belas- tung mit einem erheblichen Sicherheitsfaktor versehen, der je nachdem, in welchem Teil der Takelage der Want oder Stag verwendet wird, zwischen 2,5 (für doppelte Unterwanten) und 3 (Oberwanten) schwankt. Die Dimen- sionierung von Stagen ist komplizierter, da die Belastung hier sehr davon abhängt, wie stark z. B. mittels Backstagen der Vorstag durchgesetzt wird, um dem Vorsegel eine bessere Form zu geben, wie groß der durch Schoten ausgeübte Zug ist etc. Die hierfür vorgesehenen Richtwerte sind stark durch die Erfahrung der Konstrukteure geprägt (Details z. B. bei Larsson und Eliasson, 2000). Die Dimensionierung insbesondere für Rennyachten ist eine Gratwanderung, da man bei ausreichender Festigkeit zu großes Toppgewicht (Stabilität, Trägheitsmoment) und zu großen Luftwiderstand vermeiden möchte. Für das Stehende Gut kommt geschlagenes Drahttau- werk oder massives Material (rod rigging) in Form einer zylindrischen Stange in Frage, dessen Vorteil der geringere Luftwiderstand bei gleicher Festigkeit ist (glattere Oberfläche und geringerer Durchmesser bei gleicher Bruchlast). Es verfügt außerdem über einen großen Elastizitätsmodul, d. h., es verlängert sich unter Last nicht so stark wie geschlagenes Drahttauwerk. Diesen Vorteil kann es aber nur ausspielen, wenn auch der Rumpf ent- sprechend steif ist.4) Das Material darf nicht zu Sprödbruch neigen. Außer- dem ist vor allem beim Einsatz auf See erhebliche Korrosionsbeständigkeit vonnöten. Ein schönes Beispiel, wie auch auf Binnenrevieren Witterungs- einflüsse, die auf oberflächliche Mikrorisse einwirken, nach langer Zeit zum Bruch führen können, zeigt Abb. 9.4, im Raster-Elektronenmikroskop gemachte Aufnahmen der Bruchfläche eines Messing-Wantenspanners. Die für Stehendes Gut üblicherweise verwendete Legierung ist ein rost- freier Stahl mit der Bezeichnung AISI 316 (0,03–0,05 % C, 16,5–18,5 % Cr, 10,5–13 % Ni, 2,5–3 % Mo, 0,015 % S, max. 0,11 % N). Die Streckgrenze

für 0,2 % Dehnung beträgt s0,2 = 240 MPa, die minimale Zugfestigkeit – su = 550 700 MPa. Für gewisse Anwendungen insbesondere auf kleineren Booten kommt gelegentlich Tauwerk aus Dyneema, einer Polyethylenfaser, zur Verwen- dung. Die Zugfestigkeit beträgt 3–4 GPa. Sie weist ebenfalls eine sehr gute Seewasserbeständigkeit und für Kunststoffe hohe UV-Beständigkeit bei geringem Gewicht (Reißlänge 370 km!)5) auf.

4) Bei gleicher Vorspannung ist die Ver- Rumpfes um eine gegebene Länge ver- längerung des massiven Materials liert es daher mehr von seiner Vorspan- (Stange) geringer. Bei Nachgeben des nung als geschlagenes Drahttauwerk. 5) Unter Reißlänge versteht man die Länge einer Menge der gleichen Faser, deren Gewicht sie zum Reißen bringt.

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Abb. 9.4 Spannungsrisskorrosion an einem Man erkennt den intergranularen (zwi- Messing-Wantenspanner (REM-Aufnahmen schen den Körnern, in den Korngrenzen, von S. Tschegg von einer Probe des Autors). verlaufenden) Bruch.

Von Larsson und Eliasson wurden Dimensionierungs-Rechnungen exemplarisch für eine schnelle Fahrtenyacht von 40 Fuß Länge, genannt YD-40, durchgeführt (Gesamtlänge 12,05 m, Breite 3,71 m, Tiefgang 2,05 m, Verdrängung 7,63 t, Segelfläche 72 m²).

Das aufrichtende Moment bei 30° Krängung wurde zu Ma = 53.000 Nm ermittelt. Diese Yacht hat ein Rigg mit drei Salingen (Abb. 9.2c). Für die Wanten ergeben sich aus den beiden typischen Belastungsfällen Dimensio- nierungslasten zwischen etwa 35.000 N und 83.000 N (Oberwanten unter- halb der untersten Saling), für die Stage bis zu 44.000 N. Um diese Lasten aufzunehmen, genügt Drahttauwerk mit 8 mm Durchmesser (Bruchlast

Abb. 9.5 20 m²-Rennjolle „Oberon“, Foto: Andreas Mundt.

9.1 Kräfte in der Takelage – Dimensionierung von Stehendem Gut und Mast 203 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c09.3d from 13.04.2012 15:45:41 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 9.6 Homogene Balkenbiegung. Die maximale Zugspannung tritt an der Oberseite des Balkens auf.

53.500 N), für einzelne Teile genügen 7 mm Durchmesser (Bruchlast 40.900 N). Für die gaffelgetakelte 20 m²-Rennjolle „Oberon“ (Abb. 9.5, Verstagung nach Abb. 9.2a) ergibt sich aus Berechnungen des Autors beim Segeln mit 30° Krängung, zwei Mann im Trapez und einem auf der Kante (Gewicht je 800 N, Schwerpunktslage jeweils 1,8 m bzw. 1 m von der Mitte) ein aufrichtendes Drehmoment durch die Besatzung von ca. 3200 Nm, durch die Formstabilität des Bootskörpers mit einem aufrichtenden Hebelarm von 0,5 m (typischer Wert für Jolle) und einem Gewicht (= Auftrieb) von 5000 N dazu noch 2500 Nm aufrichtendes Moment, also insgesamt 5700 Nm. Die Befestigungspunkte der Wanten befinden sich 0,65 m neben dem Mast an Deck, der Mast ist 6,8 m hoch. Die krängende Gegenkraft an der Mastspitze

ist dann F1 = 5700/6,8 = 838 N. Für die Wanten ergibt sich eine Zugkraft von 4960 N, für den Mast eine Kompressionslast von 6300 N. In diesem Fall war die Zugkraft in den Trapezen ebenfalls zu berücksichtigen. Während das Stehende Gut reiner Zugbeanspruchung unterliegt, wird der Mast einerseits auf Biegung beansprucht, andererseits durch den Zug der Wanten komprimiert. Der reine Fall der Balkenbiegung tritt auf, wenn das Rigg nicht verstagt ist6). Bei Biegebeanspruchung muss das belastete Element so dimensioniert sein, dass eine durch die Bruchspannung des Materials vorgegebene Maximalspannung an keiner Stelle überschritten wird. Da bei homogener Biegung die Spannung über den Balkenquer-

6) Neben sehr kleinen Booten (Optimist, war früher bei Cat-Booten und Bermu- Laser, Segelkanu) ist das bei manchen da-Schonern in den USA üblich. traditionellen Bootstypen der Fall und

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schnitt einen linearen Verlauf aufweist (Abb. 9.6), tritt der kritische Fall an der Oberfläche auf. Die Belastung des Balkens wird durch ein Biegemoment M ausgedrückt, das man erhält, wenn man über die Kraft pro Länge (z. B. Gewicht), die auf den Balken wirkt, vom freien Ende des Balkens weg integriert. Denkt man sich den Balken entlang eines bestimmten Querschnittes geteilt, so ist M das Drehmoment, das der eine Teil des Balkens auf den anderen ausübt. Aus Geometrieüberlegungen und dem Hooke’schen Gesetz der linearen Elastizität folgt für die Spannung s

z s ¼ E , ðGleichung 9:1Þ r

wobei E der Elastizitätsmodul ist, z der vertikale Abstand von der neutralen Faser und r der lokale Krümmungsradius des gebogenen Balkens7). Aus dem Gleichgewicht der Drehmomente am Balkenquerschnitt ergibt sich durch Integration über die Balkenquerschnittsfläche andererseits

EI M ¼ ðGleichung 9:2Þ r

mit dem sog. Flächenträgheitsmoment8) I (Dimension [m4]) der Quer- schnittsfläche bei Drehung um die y-Achse (quer zum Balken und quer zur Längenbelastung). Nach Elimination von E/r aus (9.1) und (9.2) folgt für die maximal auftretende Spannung

M M smax ¼ ¼ , ðGleichung 9:3Þ I=zmax W

wobei W (Dimension [m3]) das sogenannte Widerstandsmoment (engl. section modulus) ist, das man erhält, wenn man das Flächenträgheits- moment I durch den Abstand zwischen der neutralen und der maximal

beanspruchten Faser dividiert. smax muss um einen geeigneten Sicher- heitsfaktor, der die erhöhte Belastung durch dynamische Effekte berück- sichtigt, unter der bekannten Fließspannung bzw. Bruchspannung des Materials bleiben. Richtwerte für zulässige Spannungen in den für den Mastbau am häufigsten verwendeten Materialien sind (in [MPa]): Spruce

7) z/r ist in linearer Ordnung gleich der relativen Verlängerung einer Faser gegen- über der neutralen Faser. 8) Dieses wird völlig analog zum Flächen- che berechnet, obwohl das Konzept hier trägheitsmomentR der Wasserlinie Gl. in anderem Zusammenhang verwendet 2.5 als x2df über die Querschnittsflä- wird.

9.1 Kräfte in der Takelage – Dimensionierung von Stehendem Gut und Mast 205 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c09.3d from 13.04.2012 15:45:42 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

(eine Art Föhrenholz) 10–15, Aluminiumlegierung 150–200, Kohlefaser- Epoxy-Verbundwerkstoff 600–1000. Aus der Analyse der in der Takelage bei Standardkrängung von 30° auftretenden Kräfte leitet man das maximale Biegemoment ab. Somit kann man ermitteln, welches Widerstandsmoment die Querschnittsfläche an jeder Stelle aufweisen muss, damit die zulässige Zugspannung dort nicht überschritten wird. Die Widerstandsmomente für typische Querschnitte sind in der technischen Literatur tabelliert. Der Biegemomentverlauf für einen typischen unverstagten Mast ist in Abb. 9.7 wiedergegeben. Im Bereich geringerer Biegemomente kann man nach Gl. (9.3) mit einem geringeren Mastquerschnitt auskommen. Der Zug der Wanten und Stage übt auf den Mast eine Kompressions- belastung aus. Überschreitet diese Kraft eine bestimmte Größe, dann kann es zur Knickung (engl. buckling) kommen. Sie tritt auf, wenn der Stab (= Mast) auch gegenüber kleinsten seitlichen Biegebelastungen mecha- nisch instabil wird, sich also immer weiter bis zum Bruch biegt. Das

Abb. 9.7 Biegemomente bei unverstagtem verlauf. Die durchgezogene Linie stellt Rigg. Der Mast ist im Deck eingespannt. Die eine „Sicherheitsvariante“ dar und würde größte Belastung tritt zwischen Deck und gelten, wenn das Segel nach oben nicht Position des Großbaums auf. Die strich- schmäler würde (nach S. Crepaz, 1986). lierte Kurve entspricht dem realen Moment-

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Abb. 9.8 Die Euler'schen Knickungsfälle, bend: a) frei-eingespannt, b) gelenkig-ge- von links nach rechts, jeweils zuerst die lenkig, c) gelenkig-eingespannt, d) einge- obere, dann die untere Bedingung ange- spannt-eingespannt.

Problem der Knickung ist ein wohlbekanntes Problem insbesondere der Baustatik und wurde bereits von Leonhard Euler für vier Standardfälle gelöst, die Euler’schen Knickungen (Abb. 9.8). Von diesen Fällen würde a) für einen unverstagten Mast gelten. In diesem Fall wird aber keine Kompressionskraft ausgeübt, daher ist er für uns ohne Belang, Fall b) trifft für einen an Deck stehenden Mast zu, Fall c) für einen auf dem Kiel stehenden und an Deck eingespannten Mast, Fall d) ist für eine Segelyacht ohne Belang, da die Wanten im Toppbereich immer eine gelenkige Führung bewirken und nicht einer Führung in einem Gleitlager entsprechen. Für die Knickkraft, d. h. die Kompressionskraft, bei der mechanische Instabilität eintritt, gilt die Beziehung

p2EI F ¼ ðGleichung 9:4Þ K s2

Dabei ist E der Dehnungsmodul des Materials, I das Flächenträgheits- moment um die Achse, um die der Stab geknickt wird, s die sog. Knick- länge, die mit der Stablänge L durch folgende Beziehung verknüpft ist: s = b L. Die Konstante b hat unterschiedliche Werte je nach Knickungsfall. Mit den Bezeichnungen in Abb. 9.8 gilt b = a) 2, b) 1, c) 0,699, d) 0,5. Für Knickung um die Längsachse (d. h. Mast gibt in Querrichtung nach) bestimmt man auf Grund der von den Wanten ausgeübten Kompressions- kraft aus Gl. (9.4) mit einem entsprechenden Sicherheitsfaktor das nötige Flächenträgheitsmoment I (um die Längsachse). Analog dazu wird auch

9.1 Kräfte in der Takelage – Dimensionierung von Stehendem Gut und Mast 207 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c09.3d from 13.04.2012 15:45:45 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

das nötige Flächenträgheitsmoment um die Querachse bestimmt, damit keine Knickung um die Querachse (d. h. in Längsrichtung) auftritt. In den meisten Fällen von Mastbruch ist das Überschreiten der Knicklast die Hauptursache, seltener der Bruch von stehendem Gut wegen zu großer Zugspannung darin mit darauffolgendem Überschreiten der zulässigen Biegespannung bei Balkenbiegung. Völlig analoge Überlegungen gelten für andere, ebenfalls durch Kompressionslasten beanspruchte Stützele- mente der Takelage wie Salingen, Spinnakerbäume etc. Die in der Praxis angewendeten Verfahren zur Mastdimensionierung beruhen zwar auf den hier dargestellten mechanischen Prinzipien, berück- sichtigen aber mit semiempirischen Formeln eine Vielzahl von Einflüssen, nicht zuletzt auch die Schwächung des Profils, wo Bohrungen für Durch- lässe und Befestigungen liegen. Für die von Larsson und Eliasson berech- nete YD-40 wird ein aus einer Aluminiumlegierung gebauter Mast be- stimmt, dessen Querschnitt 224 × 150 mm bei 4,5 mm Wandstärke misst und der eine Masse von 7,32 kg/m hat. Die Flächenträgheitsmomente für 4 −6 4 dieses Profil betragen Ix = 830 cm (= 8,3·10 m ) in Querrichtung und 4 −5 4 Iy = 1775 cm (= 1,775·10 m ) in Längsrichtung, die entsprechenden 3 −4 3 3 Widerstandsmomente Wx = 111 cm (= 1,11·10 m ) und Wy = 143 cm (= 1,43·10−4 m3). Der hohl gebaute Mast der 20 m²-Rennjolle „Oberon“ hat ein kreisrundes Profil mit einem Außenradius von 55 mm und einem Innenradius von 39 mm. Daraus folgt ein Flächenträgheitsmoment (in jeder Richtung) von

p I ¼ I ¼ ðR4 r4Þ, ðGleichung 9:5Þ x y 4

6 4 mit den angegebenen Dimensionen folgt Ix ¼ 5,370 10 m . Mit dem Elastizitätsmodul für Sitka-Spruce (typisches Mastbau-Holz) von E ¼ 1010N=m2 folgt bei einer Mastlänge von 6,8 m für den Knickungsfall Abb. 9.8c eine kritische Knicklast von FK 23:000N. Liegen keine zusätzlichen seitlichen Belastungen vor, dann könnte man also ohne weiteres einen PKW auf diesem Mast aufhängen! In Wirklichkeit hat man es immer mit zusätzlich vorhandenen seitlichen Biegekräften zu tun, was eine kompli- ziertere Rechnung erfordert, für die wir auf die Literatur über Technische Mechanik verweisen. Selbst unter Berücksichtigung zusätzlicher Biegebe- lastung scheint hier allerdings angesichts der typischen berechneten Kom- pressionslast von 6300 N ein beruhigender Sicherheitsspielraum zu beste- hen.

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Abb. 9.9 Sinken der oneAustralia nach Bruch des Rumpfes. Ursache: ein falsch belegter Backstag. Foto: AC-TV PPL Medialink.

9.2 Kräfte auf den Rumpf

In der modernen Segeltechnik wird das Leistungsniveau immer höher geschraubt. Hohe Takelagen aus leichten und festen Materialien, extremer Leichtbau und schmale, tiefe Kielflossen sowie hohe Ballastanteile, verbun- den mit der Bereitschaft, im Rennsport an die Grenzen des Möglichen zu gehen, erzeugen besonders starke Belastungen des Rumpfes. Besonders deutlich wurde dies vor Augen geführt, als die America’s Cup Yacht „oneAustralia“ 1995 vor San Diego quer durchriss und innerhalb von Minuten sank (Abb. 9.9). Die Besatzung hatte gerade noch Zeit, über Bord zu springen). Ursache war, dass man einen Backstag behelfsmäßig an einer nicht dafür vorgesehenen Stelle belegt hatte. Ein anderes Beispiel waren die konstruktiv noch nicht beherrschten Kräfte bei der Aufhängung der schwenkbaren Kiele bei den neuesten am Volvo Ocean Race 2006 teilneh- menden Yachten vom Typ WOR 70, die dazu führten, dass mehrere Teilnehmer schon nach kurzer Zeit das Rennen nicht fortsetzen konnten. Durch die Zugkräfte in Wanten und Stagen und den Druck des Mastes wird der Rumpf einer globalen Biegebeanspruchung ausgesetzt, und zwar in zwei Hauptrichtungen. Er muss daher hauptsächlich entlang einem Längs- und Querrahmen (Abb. 9.10) ausreichende Biegesteifigkeit aufwei- sen, und die Bruchspannung des Materials darf nirgends überschritten werden9). Das globale Biegemoment in Längsrichtung erreicht an der Stelle des Mastes seinen größten Wert (Abb. 9.11). Bei der YD-40 wird durch den Mast eine nach unten gerichtete Kraft von 7,3 t ≈ 74.400 N angenommen. Das Widerstandsmoment des Rumpf-Querschnittprofils an dieser Stelle

9) Dem Autor ist ein Fall bekannt, bei dem schot erzeugten Biegebeanspruchung der Rumpf einer 10 m²-Rennjolle in- an der Unterseite Querrisse bekam. folge der von Vorstag, Mast und Groß-

9.2 Kräfte auf den Rumpf 209 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c09.3d from 13.04.2012 15:45:47 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 9.10 Hauptebenen der Biege- Rahmen wirkt oben eine Druckspannung, beanspruchung einer Segelyacht: Wanten unten eine Zugspannung (nach Larsson und Stage ziehen nach oben, Mast drückt und Eliasson, 2000). nach unten. Entlang der eingezeichneten

muss auf jeden Fall so dimensioniert sein, dass dieses Biegemoment aufgenommen werden kann, ohne dass die zulässige Zugspannung des Materials überschritten wird (Gl. (9.3)). Das Deck wird durch die Riggkräfte auf Druck beansprucht, was durch die Tatsache noch verschärft wird, dass es über diverse Öffnungen verfügt (Cockpit, Luken). Hier muss darauf geachtet werden, dass neben den Öffnungen zusätzliche Längsverstärkungen (Stringer) angebracht werden

Abb. 9.11 Biegemomentverlauf (oben) für Auflagern (nach Larsson und Eliasson, globale Längsbiegung durch Mast- und 2000). Riggkräfte. Äquivalente Lagerung auf festen

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und auch die Quer-Decksbalken ausreichend dimensioniert sind, damit es nicht zu einer Knickinstabilität kommt. Die Längsverstärkungen wurden bei extremen Rennyachten (z. B. Son- derklasse, die bedingt durch die Vermessungsformel ein extrem flaches Vor- und Achterschiff aufweist) auch in Form eines Gittertragwerks unter Verwendung von unter dem Deck gespannten Drahtseilen konstruiert. Die gleiche Funktion erfüllt bei weniger extremen Booten das Kielschwein, ein senkrecht auf dem Kiel stehendes und mit diesem verbundenes Brett. An den Schiffsseiten kommt es zu Scherungsspannungen (nicht-dia- gonale Elemente des Spannungstensors, vgl. Kapitel 2). Bei der traditionel- len Bauweise in Planken kann dies bedeuten, dass sich die Planken gegen- einander verschieben. Ein großer Fortschritt waren daher die in der englischen Marine von Sir Robert Seppings am Anfang des 19. Jahrhun- derts eingeführten diagonalen Verstärkungen. Die heute übliche Verbund- bauweise (verschiedene Schichten mit verschiedenen Hauptbelastungsrich- tungen übereinander gelegt und verklebt) weist von vornherein eine größere Stabilität auch gegenüber Scherungsbelastungen auf. Große lokale Kräfte können am Rumpf an allen Befestigungspunkten von Stehendem und Laufendem Gut sowie von Rumpfanhängen wie Kielflosse und Ruder auftreten. Hier ist durch entsprechend angebrachte Verstär- kungselemente darauf zu achten, dass diese Lasten verteilt bzw. abgeleitet werden (wenn nicht → Abb. 9.9). Insbesondere im Mastbereich bedarf es einer stabilen Konstruktion („Kraftrahmen“), um den Zug der Wanten nach oben und den Druck des Mastes nach unten aufzunehmen. Fehlen diese Verstärkungselemente, kommt es zu charakteristischen Deformationen wie dem Hochziehen des Rumpfes an der Stelle der Püttings und einer Durchwölbung des Schiffsbodens nach unten unterhalb des Mastes. Neben den angeführten statischen Biegebelastungen ist das Boot stati- schen und dynamischen Belastungen durch veränderliche Schwimmlage bei Krängung und infolge des Seegangs ausgesetzt. Diese gehen auf ungleichmäßig verteilte Kräfte durch den hydrostatischen Druck und Stoß- vorgänge infolge Wellenschlags (engl. slamming) zurück. Besonders schnelle Boote können im Gleitzustand im Seegang geradezu über Wellenkämme „springen“ und fallen dann in das nächste Wellental, mit erheblicher Rumpfbeanspruchung beim Aufprall. Dass die Beherrschung dieser Kräfte bei Hochsee-Rennmotorbooten zentrale Bedeutung hat, versteht sich von selbst. Bei Segelyachten hat sich herausgestellt, dass die Deformation durch Wellenschlag im Vorschiff am stärksten ist und sowohl Boden als auch Schiffsseiten betrifft. Hier kann durch Einführung von Verstärkungsrah- men wirksame Abhilfe geschaffen werden.

9.2 Kräfte auf den Rumpf 211 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c09.3d from 13.04.2012 15:45:50 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

9.3 Baumaterialien des Rumpfes

Während das klassische Segelschiff aus Holz und später (19./20. Jahr- hundert) auch in Stahl gebaut wurde, hat sich für moderne Segelyachten eine Bauweise aus Verbundmaterialien durchgesetzt. Das am meisten verwendete Material ist faserverstärktes Kunstharz, daneben feiert auch Holz als Holz-Epoxidharz-Verbundwerkstoff eine gewisse Renaissance. In Abb. 9.12 ist die richtungsabhängige Zugfestigkeit verschiedener Arten von Glasfasergeweben dargestellt, die erwartungsgemäß mehr oder weniger stark anisotrop ausfällt und beim Gewebe eine typische Schwäche in Diagonalrichtung aufweist (vgl. auch unten die Segelgewebe, Abb. 9.17). Bei der Verarbeitung müssen die Fasern daher entsprechend der lokal zu erwartenden Hauptspannungsrichtung orientiert werden. Die Festigkeit des Verbundmaterials (Laminats) im Dauereinsatz hängt von den mechanischen Eigenschaften der Fasern (Glasfaser, Ara- mid = Kevlar, Carbonfaser, Borfaser), den zusätzlichen Bedingungen, die sich aus ihrer Anordnung ergeben (siehe oben), den mechanischen Eigen- schaften des verwendeten Kunstharzes (verschiedene Polyestertypen, Ep- oxidharz), vom Anteil der Verstärkung am Gesamtvolumen (Faseranteil) sowie der Bindung zwischen Harz und Faser ab. Ermüdung tritt bei höherem Spannungsniveau hauptsächlich durch Delaminierung (Auflösung

Abb. 9.12 Polardiagramm der Zugfestigkeit mit nur leichter Bindung in Querrichtung. verschiedener Arten von Glasfaserverstär- Das Gewicht pro Fläche der Verstärkung kungen in willkürlichen Einheiten. a) Gewe- wurde in allen Fällen gleich gewählt be, b) Gewebe plus lose verfilzter Matte, (adaptiert nach Larsson und Eliasson, c) in einer Richtung ausgerichtetes Roving 2000).

212 9 Mechanische Belastung und Materialien Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c09.3d from 13.04.2012 15:45:53 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Tabelle 9.1 Mechanische Eigenschaften verschiedener Bootsbau-Materialien

Material Zugfestigkeit Zugfestigkeit Druckfestigkeit Dehnungsmodul parallel zur normal zur parallel zur Fa- E [GPa] Faser [MPa] Faser [MPa] ser [MPa] Fichte, Tanne, 80 40 40 10 Lärche Eiche 110 50 50 12,5 Buche 135 60 60 12,5 Laminat 100–150 -- 150–180 10–13 (Abb. 9.13) mit 45 % Fa- seranteil Stahl St 360 360 -- -- 210

der Verbindung Faser-Harz) und bei niedrigerem Spannungsniveau durch Bildung von Mikrorissen im Harz auf. Eine unliebsame, unter Seglern sattsam bekannte Erscheinung ist auch die Aufnahme von Wasser durch das Kunstharz infolge Osmose, was zu einer langfristigen Schwächung des Laminats führt. Mechanische Eigenschaften typischer Polyester-Glasfaser-Verbundwerk- stoffe sind in Abb. 9.13 wiedergegeben10). Wie man erwartet und an den Daten erkennt, wirkt sich die Art der Faserbindung auf Zugfestigkeit und Dehnungsmodul, jedoch kaum auf die Druckfestigkeit aus. Im Vergleich dazu sind in Tabelle 9.1 die Eigenschaften verschiedener Holzarten und von Stahl angegeben (Quelle: TU Graz). Die Belastbarkeit von Holz hängt wegen seiner Mikrostruktur ebenfalls stark von der Richtung ab. Die Angaben gelten für kleine, fehlerfreie Vollholzproben. Der Vorteil der Bauweise in faserverstärktem Kunstharz (gegenüber Voll- holz, Aluminium oder Stahl) liegt in der vereinfachten Herstellung hoher Stückzahlen, dem geringeren Preis für das Rohmaterial, der Möglichkeit, mit Sandwichbauweise eine angestrebte Festigkeit mit geringem Gewicht zu erzielen (siehe weiter unten, Abb. 9.15), schließlich im wartungsarmen Unterhalt des Bootes. Dennoch bleibt abzuwarten, ob ein aus modernen Materialien gebautes Boot die erwiesene lange Lebensdauer von mehr als 100 Jahren eines gut gepflegten Holzbootes erreichen kann. Einen hohen Gewinn von Biegesteifheit bei geringem Gewichtszuwachs bietet die Sandwich-Konstruktion. Zwischen äußeren Schichten von glas- oder (für moderne Hochleistungsyachten) kohlefaserverstärktem Kunst-

10) Andere Laminate (Kohlefaser, Aramid) können die Zugfestigkeit dieses Laminats etwa um eine Größenordnung übertreffen.

9.3 Baumaterialien des Rumpfes 213 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c09.3d from 13.04.2012 15:45:53 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 9.13 Mechanische Eigenschaften von a) Zugfestigkeit, b) Druckfestigkeit. Die Glasfaser-Polyester-Verbundwerkstoffen mit gleich gezeichneten Kurven grenzen je- Gewebe oder lose verfilzter Matte als Ver- weils einen Bereich von Werten ein. stärkung in Abhängigkeit vom Faseranteil:

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Abb. 9.14 Dehnungsmodul der in Abb. 9.13 dargestellten Materialien (Adaptierung nach Larsson und Eliasson, 2000, nach Daten von Caprino und Teti).

harz befindet sich ein Kern aus Sperr-oder Balsaholz oder, wie heute meistens der Fall, aus Polyurethan- oder PVC-Schaum. Damit können ohne Einbau zusätzlicher Verstärkungselemente wie Spanten, Rahmen etc. große Flächenträgheitsmomente bzw. Widerstandsmomente erzielt und somit große Biege- und Knicklasten aufgenommen werden (siehe Gln. (9.3), (9.4)). Abbildung 9.15 veranschaulicht den Gewinn an struktu-

Abb. 9.15 Sandwich-Konstruktion: Relative le), wenn zwischen zwei Deckschichten ein Biegesteifheit (1. Zeile), relative Biegefestig- zunehmend dickerer Kern eingeschoben keit (2. Zeile) und relatives Gewicht (3. Zei- wird (nach Larsson und Eliasson, 2000).

9.3 Baumaterialien des Rumpfes 215 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c09.3d from 13.04.2012 15:45:59 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

reller Festigkeit, wenn zwischen zwei gleichbleibende Deckschichten ein immer dickerer Kern eingebaut wird. Wichtig ist, dass der Kern genügend steif und druckfest ist, damit das Sandwich sich wie ein homogener Balken verhält und die Deckschichten nur auf Zug und Druck beansprucht werden. Um eine genügende Robust- heit gegenüber Verletzungen der Außenhaut zu gewährleisten, kann die Deckschicht nicht beliebig dünn gemacht werden. Daher tritt der Vorteil einer Sandwichbauweise gegenüber einer klassischen Bauweise mit Innen- verstärkungen erst ab einer gewissen Bootsgröße (etwa 9 m Länge) zutage.

9.4 Materialien für Segel

Von der Antike bis ins 20. Jahrhundert standen für die Segel Gewebe aus Naturfasern in Gebrauch. Etwa Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das bis dahin verwendete Leinen vor allem bei Yachten durch Baumwolle ersetzt, deren Hauptvorteil eine geringere Dehnung unter Last war. Hauptnachteil war und blieb die Empfindlichkeit gegen Nässe (Schimmelbildung und Schrumpfen des Gewebes). Nach dem Zweiten Weltkrieg gewannen Kunst- fasern Verbreitung, für Segel zunächst Nylon (für Spinnaker), dann Poly- esterfaser, die etwa ab den 1960er Jahren unter der Bezeichnung Dacron für Segel allgemein üblich wurde und bis heute am meisten verbreitet ist. Vorteile sind weitgehende Unempfindlichkeit gegen Nässe, sowie glatte Oberfläche und damit geringer Reibungswiderstand. Mit der Einführung von Aramidfaser unter der Handelsbezeichnung Kevlar stand ein Material mit sehr großem Zugfestigkeits- / Gewichtsverhältnis zur Verfügung, das sich nur sehr gering ausdehnt. Es ist jedoch empfindlich gegen Faltung und ultraviolette Strahlen. In Tabelle 9.2 sind die mechanischen Eigen- schaften verschiedener verwendeter Fasern einander gegenübergestellt. Jedes klassische Gewebe verformt sich unter Last in verschiedenen Richtungen verschieden stark. Alle diese Deformationen sind natürlich

Abb. 9.16 Klassische Bahnensegelschnitte von Nathanael Herreshoff (1888) (nach S. Crepaz, 1986).

216 9 Mechanische Belastung und Materialien Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c09.3d from 13.04.2012 15:46:02 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 9.17 Verzerrung eines Gewebes un- ter diagonaler Beanspruchung (nach S. Crepaz, 1986).

unerwünscht, und die Richtungsabhängigkeit führt zu Faltenbildung und Formverlust eines herkömmlichen Segels. In Längsrichtung einer her- kömmlichen Gewebebahn laufen die gewundenen Kettenfäden (engl. warp), quer dazu die geraden Schussfäden (engl. weft). Durch Belastung werden die Kettenfäden gestreckt, daher ist die Dehnung in diese Richtung größer als in Richtung der Schussfäden. Ein klassisches Bahnensegel ist daher so geschnitten, dass die Hauptbelastungsrichtung (entlang der Lieken) mit der Richtung geringster Ausdehnung zusammenfällt. In der Regel ist das die Richtung der Schussfäden, also quer zur Stoffbahn (Abb. 9.16). Besonders starke Deformation kommt durch die Verzerrung des Gewe- bes bei Belastung in diagonaler Richtung zustande. Dabei verändert sich die Lage der Fäden zueinander, auch wenn sich die Fasern selbst gar nicht dehnen (Abb. 9.17). Da ein Segel ein gewölbtes aerodynamisches Profil sein soll, werden die Bahnen so geschnitten, dass sie in der Mitte breiter sind (Abb. 9.18). Während das Segel gesetzt ist, kann seine Wölbung darüber hinaus durch verschiedene Maßnahmen beeinflusst werden, z. B. durch Zug auf die Lieken (= Kanten) oder durch die Mastbiegung. Ein nach vorne durch-

Tabelle 9.2 Mechanische Eigenschaften verschiedener für Segel verwendeter Fasern und von Stahl.

Material Dichte Zugfestigkeit Dehnungsmo- Bruchdehnung [103kgm−3] [MPa] dul [%] E [GPa] Nylon 1,14 100 0,56 18,5 Polyester 1,4 70 4,2 4–6 Aramid 1,45 270 13,0 2,1 Glasfaser 2,55 300 7,3 2,5 Stahl 7,8 280 20 2 Bor 2,7 300 42 1 Kohlenstoff 1,95 200 13,0 0,5

9.4 Materialien für Segel 217 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c09.3d from 13.04.2012 15:46:03 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. 9.18 Segelwölbung durch ge- krümmte Ränder der Stoffbahnen (nach S. Crepaz, 1986).

gebogener Mast zieht Segelfläche aus der Mitte des Segels heraus und macht es dadurch flacher. Damit verhindert man bei viel Wind zu große aerodynamische Seitenkraft. Die gleiche Wirkung hat es, wenn man etwa die Neigung der Gaffel bei einem klassischen Gaffelsegel verringert (ab- pieken). Moderne Hochleistungssegel werden gar nicht mehr in Bahnen geschnit- ten, sondern bereits in der 3D-Form aus Folien (Mylar = Polyester) lami- niert, zwischen die ein Geflecht aus Kohlefaser- oder Aramidfäden so gelegt wird, dass sie in den Hauptbelastungsrichtungen liegen. Alle Schichten werden unter Druck (Vakuumsack) durch Wärmeanwendung verklebt (Abb. 9.19). Eine Entwicklung aus der allerjüngsten Zeit ist die Direkt- verklebung von feinst aufgespreizten Kunstfasern ohne Trägerfolie (North 3Di-Technologie, Yachtrevue 3, 2012).

Abb. 9.19 Stratis-GPX-Segel von Raudaschl-Doyle mit Carbonfaser-Geflecht in Haupt- belastungsrichtungen (mit freundlicher Genehmigung von Raudaschl-Doyle).

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Zentrale Aussagen

Kräfte in der Takelage – Dimensionierung von Stehendem Gut und Mast

• Für bestimmte Standard-Belastungsfälle werden die vom Wind erzeugten Querkräfte an Knotenpunkten der Takelage ermittelt. • An diesen Knoten greifen Zugkräfte im Stehenden Gut und Druck-(Kompressions-) Kräfte in Mast und Salingen an. An jedem Knoten müssen alle Kräfte im Gleichgewicht sein → Bestimmung der Kräfte → Spannungen. • Stehendes Gut: Mit Sicherheitsfaktor (dynamische Belastung) ver- sehene Zugspannungen müssen kleiner als die Fließspannung (bzw. Bruchspannung) des Materials sein. Materialien: korrosions- fester Stahl, Dyneema. • Mast: als Balkenbiegung behandelt, wenn unverstagt. Größte Spannung an der Oberfläche, dort zuerst Bruch. • Mast: Wenn verstagt, dann Knickinstabilität beachten. Euler’sche Knickfälle.

Kräfte auf den Rumpf

• Der Rumpf ist auch als Balken zu betrachten, der um zwei Hauptachsen gebogen wird. Ursache: Zug von Stehendem Gut, Druck des Mastes. An der Rumpfseite: Scherungsspannungen. • Wechselnde und ungleichmäßige Belastung im Seegang, lokale Kräfte durch Wellenschlag.

Baumaterialien des Rumpfes

• Für Yachten heute hauptsächlich Verbundwerkstoffe: faserver- stärktes Kunstharz, Holz-Kunstharz. Fasern: Glasfaser, Aramid, Kevlar, Kohlefaser; Kunstharz: Polyester, Epoxidharz. • Je nach Bindungsart der Faserverstärkung anisotrope mecha- nische Eigenschaften. • Sandwichbauweise (druckfester, leichter Kern, zugfeste Oberflä- chenschicht) bringt hohe Biegefestigkeit bei geringem zusätz- lichem Gewicht.

9.4 Materialien für Segel 219 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/c09.3d from 13.04.2012 15:46:05 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Materialien für Segel

• Seit ca. 1960 Kunstfaser. Gewebte Materialien: stark richtungs- abhängige Festigkeit bzw. Verformbarkeit. Am besten in Richtung des Schussfadens. • Moderne Segel: aus Kunststofffolien geklebt, dazwischen Faser- verstärkungen in Hauptbelastungsrichtungen.

220 9 Mechanische Belastung und Materialien Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp01.3d from 13.04.2012 15:46:24 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Anhang A1 Glossar der Seemannssprache

Diese Tabelle erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und soll See- mannsausdrücke nur soweit erklären, wie sie im Buch verwendet wurden.

12 m-R-Yacht Eine Yacht, deren Rennwert nach der Meter- Rennformel 12 m beträgt, auch „Zwölfer“ ge- nannt. Von den 1950er Jahren bis in die 1980er Jahre wurde der America’s Cup in dieser Klasse ausgetragen. Analog dazu: 5,5 m-R „Fünf-Fün- fer“, 6 m-R „Sechser“, 8 m-R „Achter“. 20 m²-Rennjolle Freie Konstruktionsklasse mit Schwert. Die ver- messene Segelfläche darf nicht mehr als 20m² betragen. Analog: 10 m²-R., 15 m²-R. abfallen Den Kurs so ändern, dass der Wind weniger spitz von vorne kommt. Gegenteil: anluven. abpieken Den Winkel zwischen Gaffel und Mast vergrö- ßern (Gaffel flacher stellen). achteraus (nach) hinten (relativ zum Boot) achterlich von hinten (in Bezug auf den Wind) Achterliek hintere (achtere) Kante eines Segels achtern hinten liegend (relativ zum Boot) Amwind-Besegelung Alle Segel, die am Wind (Wind spitz von vorne) gefahren werden. anluven Den Kurs so ändern, dass der Wind spitzer von vorne kommt. Gegenteil: abfallen anschlagen Befestigen eines Segels an den entsprechenden Spieren (Segelstangen), z. B. eines Großsegels am Großbaum (und ggf. an der Gaffel) oder eines Vorsegels am Vorstag. Aufkimmung Engl. deadrise, V-förmiger Verlauf der Spantform in der Nähe des Kiels, um schärfere Rumpfform und besseres Verhalten im Seegang zu erzielen.

Physik des Segelns: Wie Segeln wirklich funktioniert, 1. Auflage. Wolfgang Püschl. 221 © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2012 by Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp01.3d from 13.04.2012 15:46:25 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

back stehen Ein Segel steht back, wenn es von der falschen Seite vom Wind gefüllt wird. Backbord Die linke Schiffsseite (in Fahrtrichtung gesehen). Belegleine Leine, mit der ein Boot am Steg, an einer Boje etc. festgebunden (belegt) wird. Besan Am weitesten achtern befindliches Schratsegel auf einer Ketsch, Yawl, Bark, Brigg oder auf einem Vollschiff. Besegelung Die Gesamtheit der von einem Schiff geführten Segel. Bft Abkürzung für „Beaufort“, 5 Bft heißt „Windstärke 5 nach der Beaufort-Skala“ (siehe Anhang A2). Bug 1. Das vordere Ende des Schiffes, 2. Die Seite auf der es segelt. Kommt der Wind von Steuerbord, dann sagt man, das Schiff segelt auf Backbordbug (und umgekehrt). Auf dem anderen Bug = mit dem Wind von der anderen Seite segelnd. Cockpit (dt.: Plicht) Ausgeschnittener Bereich des Decks, in dem die Mannschaft sitzt. Drifter Leichtwind-Vorsegel aus leichtem Tuch, mit gro- ßer Wölbung und Segelfläche; der Hals (vorderes, unteres Eck) des Segels befindet sich in Schiffs- mitte, u. U. an einem Vorstag angeschlagen. durchkentern Rotation eines Schiffs um die Längsachse, bis es kieloben zu schwimmen kommt. Dünung Seegang mit großen, langen Wellen, der auch noch in großer Entfernung vom Ort seiner Ent- stehung wahrgenommen wird. dwars Seitlich, in rechtem Winkel zur Kursrichtung zu sehen. Entmastung Eine Yacht, die den Mast (die Masten) verliert, (Zeitwort: entmasten) wird entmastet. Der Vorgang heißt Entmastung. Festmacher Leinen oder Trossen, die zur Befestigung eines Schiffes am Liegeplatz dienen. fieren Die Schot eines Segels ein Stück lockerer lassen, damit sich der Anstellwinkel des Segels verringert und Druck aus dem Segel genommen wird. Ge- genteil: dichtnehmen.

222 A1 Glossar der Seemannssprache Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp01.3d from 13.04.2012 15:46:25 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Gaffel Von einem Punkt am Mast schräg nach oben verlaufende Segelstange, an der die Oberkante eines Gaffelsegels befestigt ist. Greift mit einer Gabel (Klau) um den Mast oder ist an einer Schiene befestigt. geigen (selbstaufschaukelndes) Rollen vor dem Wind Gennaker Asymmetrischer Spinnaker, dessen Hals in der Schiffsmitte gesetzt wird, nähert sich in der Funktion dem Drifter an. Mittelding zwischen Spinnaker und Genua. Genua Großes, weit über den Mast nach hinten reichen- des Vorsegel. gieren Bewegung eines Schiffes um die vertikale Achse, oder die Tendenz dazu (Auftreten eines entspre- chenden Drehmomentes). Großbaum Segelstange, die am Mast befestigt ist, nahezu waa- gerecht nach hinten verläuft, und an der die Unter- kante (Unterliek) des Großsegels befestigt ist. Halse Segelmanöver, bei dem die Seite gewechselt wird, (Zeitwort: halsen) von der das Schiff den Wind empfängt, und zwar, indem mit dem Heck durch den Wind gedreht wird. Gegenteil: Wende. hart brassen Bei einem Rahsegel: Die Rahen möglichst in Längsrichtung des Schiffes stellen, beim Auf- kreuzen gegen den Wind. Gegenteil: vierkant brassen (Rahen stehen rechtwinkelig zum Kiel). Hauptspant Größte Querschnittsfläche (normal auf Längsach- se) des Schiffskörpers, insbesondere deren unter der Wasserlinie befindlicher Teil. hochgetakelt Eine Yacht, deren Großsegel in Längsrichtung steht, oben mehr oder weniger spitz zuläuft und über die ganze Höhe am Mast befestigt ist, etwa in einer Nut (Keep) oder auf Rutschern entlang einer Schiene. Kitesurfer Segler, der auf einem Gleitbrett steht, dessen Antrieb von einem Flugdrachen geliefert wird. Kopfbrett Versteifung des Topps (oberste Spitze) des Groß- segels.

A1 Glossar der Seemannssprache 223 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp01.3d from 13.04.2012 15:46:25 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Krängung Schräglage eines Schiffes nach Drehung um die Längsachse. Bei Segelschiffen üblicherweise durch die Seitenkraft des Windes hervorgerufen. Andere Ursachen: ungleichmäßige Beladung, Fliehkraft bei Kursänderung etc. kreuzen Im Zickzack (Kreuzschläge) gegen den Wind fah- ren. Zwischen den Schlägen wenden. kreuzen vor dem Wind Im Zickzack (Raumschläge) vor dem Wind fah- ren. Zwischen den Schlägen halsen. Kreuzschlag Auf dem Kreuzkurs zurückgelegter Bahn- abschnitt, bei dem das Segel auf einer Seite steht. Langkieler Segelyacht mit in Längsrichtung ausgedehnter Kielflosse und großem Lateralplan. Es zeichnet sich durch relativ große Kursstabilität aus. Lateralplan Auf die Mittschiffsebene projizierte Fläche des Unterwasserschiffs. Längstrimm Schwimmlage des Bootes in Längsrichtung; spe- ziell: buglastig (taucht vorne zu tief ein), heck- lastig (taucht hinten zu tief ein). Laufendes Gut Tauwerk zum Bedienen der Segel: Fallen (setzen und bergen), Schoten (einstellen der Segel). Lee Vom Wind abgewandte Seite eines Schiffs. leegierig Ein Segelschiff ist leegierig, wenn ein Drehmoment besteht, welches das Boot mit dem Bug vom Wind weg drehen möchte (Tendenz zum Abfallen). Liek Kante eines Segels: Vorliek, Achterliek etc. Luv Dem Wind zugewandte Seite eines Schiffs. luven Den Kurs so ändern, dass der Wind spitzer von vorne einfällt. luvgierig Ein Segelschiff ist luvgierig, wenn ein Drehmoment besteht, welches das Boot mit dem Bug in den Wind drehen möchte (Tendenz zum Anluven). Patenthalse Eine unbeabsichtigte Halse, etwa wenn das Boot aus dem Ruder läuft. Peitschenmast Mast, dessen oberes Ende eine Krümmung nach hinten aufweist. Platt vorm Wind Kurs, bei dem der Wind genau von achtern (hin- ten) kommt. Pütting Im Rumpf eingelassene Befestigungslasche aus Stahl für die Wanten. Rah (Rahe) Waagerechte Segelstangen, an denen die Ober- kante eines Rahsegels befestigt ist.

224 A1 Glossar der Seemannssprache Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp01.3d from 13.04.2012 15:46:25 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Reacher Großes, bauchiges Vorsegel, das auf Raumkursen (engl. reach) gesetzt wird rahgetakelt Rahgetakelt ist ein Segelschiff, dessen hauptsäch- liche Besegelung aus Rahsegeln besteht. Rahsegel Breites, eher quer zum Schiff stehendes Segel, dessen Oberkante an einer Rahe befestigt ist. Bei klassischen Großseglern werden mehrere Rahse- gel übereinander gefahren; Untersegel, Mars-, Bram- und Royalsegel. rank Ein Schiff ist rank (engl. tender), wenn es der Krängung nur wenig Widerstand entgegensetzt, also nur einen geringen Anstieg des aufrichten- den Drehmoments mit dem Krängungswinkel hat. Gegenteil: steif raum Ein raumer Wind weht von der Seite bis schräg von hinten. reffen Verkleinern der Segelfläche, indem ein Teil mit Reffbändseln weggebunden oder an einer Spiere (Segelstange, in diesem Fall Großbaum oder Rah) weggerollt wird. Manche Fahrtenyachten können das Großsegel auch in den Mast hinein rollen. Riemen Beim Rudern: „Ruder“, das von einem Mann mit beiden Händen auf einer Seite betätigt wird. Ge- genteil: Skull Rigg Die gesamte Takelage: Mast, Spieren, Stütztaue (Wanten, Stage), Segel. rollen Drehung des Schiffes um die Längsachse, beson- ders als periodische Schwingung. Ruder Zum Steuern eines Schiffes verwendetes, um eine vertikale (oder nahezu vertikale) Achse unter Wasser drehbar aufgehängtes Blatt. Rudergänger Mitglied der Besatzung eines Segelschiffes, das im Augenblick dieses steuert. Saling Seitlich am Mast angebrachte, horizontale Ver- strebung, die die Wanten nach außen spreizt. Durch sie wird die Zugkraft in den Wanten bei vorgegebener Seitenkraft geringer. Schärenkreuzer Sehr schlanke, lange Kielyacht mit Kajüte; in vie- len Größenklassen, nach Segelfläche geordnet. Schot Leine, mit welcher der Anstellwinkel eines Segels gehalten und verändert werden kann.

A1 Glossar der Seemannssprache 225 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp01.3d from 13.04.2012 15:46:25 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Schratsegel Sammelbegriff für alle Segel, die hauptsächlich in Längsrichtung stehen. Für Segelyachten übliche Takelung, heute meistens Hochsegel (= Bermuda- segel): dreieckiges, oben (mehr oder weniger) spitzes Segel, früher (vor ca. 1920) meistens → Gaffelsegel (siehe Abb. 1.2). See Wird auch statt „Seegang“ für die Wellenbewe- gung gebraucht. Segellatte → Spreizlatte Seeanker Geeignete Vorrichtung, z. B. ein durch einen metallenen Ring aufgehaltener Sack aus grobem Tuch mit Loch am anderen Ende, die viel Wider- stand leistet, wenn sie im Wasser treibt. Wird an einer Leine ausgebracht, um im Sturm den Bug eines Schiffes im Wind zu halten. Skiff Leichtes, flaches Schwerboot ohne Ballast, zum Gleiten geeignet. Besatzung dient als lebender Ballast im Trapez, meistens auf zusätzlichen Aus- legern stehend. Skull Beim Rudern: „Ruder“, das mit einer Hand be- dient wird. Das zweite wird auf der anderen Seite des Bootes mit der zweiten Hand betätigt. Gegen- teil: Riemen. Spiere Stange, Rundholz, meist in der Takelage verwen- det. Spinnaker Ballonförmiges, oft buntes Vorwindsegel, dessen in Luv befindliches Schothorn (unteres Eck) an einem Spinnakerbaum befestigt ist, der mit sei- nem anderen Ende am Mast gelagert ist. Es um- greift in Lee die restliche Besegelung (Amwind- Beseglung). Wird bei raumem und achterlichem Wind gesetzt. Spinnakerbaum Siehe Spinnaker. Spion (engl. telltale) Windfaden im Segel oder am Ste- henden Gut, um die lokale Strömungsrichtung anzuzeigen. Spreizlatten Lange, schmale Latten aus Holz oder (heute meis- tens) Kunststoff, die in Taschen stecken, die am Segel aufgenäht sind und zu dessen Versteifung und Formgebung dienen. Stage Stütztaue des Mastes oder Bugspriets in Längs- schiffsrichtung

226 A1 Glossar der Seemannssprache Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp01.3d from 13.04.2012 15:46:26 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Stampfen Drehung des Schiffes um die Querschiffsachse, insbesondere als periodische Schwingung. Stehendes Gut Alle Stütztaue der Takelage (Wanten, Stage). Ge- genteil: Laufendes Gut: Fallen (zum Setzen der Segel) und Schoten (um den Anstellwinkel des Segels zu verändern). steif Ein Schiff ist steif (engl. stiff), wenn es der Krän- gung viel Widerstand entgegensetzt, also einen starken Anstieg des aufrichtenden Drehmoments mit dem Krängungswinkel hat. Gegenteil: rank Steuerbord Die rechte Schiffsseite, in Fahrtrichtung gesehen. Stringer Im Inneren des Rumpfes längs verlaufendes Ver- stärkungselement in Latten- bzw. Balkenform. Takelage Mast mit Stütztauen, Bäumen, Segeln (svw.: Rigg). Topp Das obere Ende des Mastes oder Segels, im weiteren Sinne weiter oben befindliche Teile der Takelage. Topplast Gewicht oder Gewichtsbestandteil der Takelage. Trimm Einstellung von Gewichtsverteilung und Spannun- gen bei einem Segelschiff, insbesondere in der Takelage, um bei gegebenen Wind- und Seegangs- verhältnissen eine optimale Wirkung zu erreichen. über Stag gehen wenden oder halsen unverstagt Mast ohne Stütztaue (Stehendes Gut). Verdränger Schwer gebautes Schiff, das nicht in den Gleit- zustand übergehen kann. verstagt Ein Mast heißt verstagt, wenn er mit Stütztauen (Wanten in Querrichtung, Stage in Längsrich- tung) versehen ist. vorlich von vorne bzw. schräg von vorne (in Bezug auf den Wind) Vorliek Vorderkante eines Segels (andere: Achterliek, Un- terliek). Wanten Seitliche Stütztaue des Mastes. Wasserlinie In der Bootskonstruktion: Schnittfläche, die ent- steht, wenn der Bootskörper mit einer Ebene ge- schnitten wird, die parallel zur Wasseroberfläche ist. Eine besondere davon ist die Schwimmwasser- linie. Wende Segelmanöver, bei dem die Seite gewechselt wird, (Zeitwort wenden) von der das Schiff den Wind empfängt, und zwar, indem mit dem Bug durch den Wind gedreht wird. Gegenteil: Halse.

A1 Glossar der Seemannssprache 227 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp02.3d from 13.04.2012 15:47:04 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm Wirkung auf See spiegelglatte See leichte Kräuselwellen kleine, kurze Wellen, Oberfläche gla- sig Anfänge der Schaumbildung 2) Wirkung an Land senkrecht empor leicht ab, Windflügel und Wind- fahnen unbewegt spürbar gen sich, Wimpel werden ge- streckt 1) Staudruck in [Pa] Obergrenze in [m/s] in [kn] 10 5,1 16 Blätter und dünne Zweige bewe- für 20 °C und Normalatmosphärendruck. Alle Kraftwirkungen des Windes wie aerodynamischer Auftrieb und Widerstand enthalten 3 Brise − diesen Faktor (vgl. Gln. (3.44)senkrechter und Anströmung. (4.2). Die WerteQuelle: entsprechen Wikipedia. etwa der Kraft in [N] auf 1 m² einer quadratischen oder kreisrunden Platte bei Staudruck an der jeweiligen Geschwindigkeitsobergrenze,1,2041 gerundet kgm auf zwei signifikante Stellen. Angenommen wurde eine Luftdichte von Windstärke Bezeichnung Obergrenze 0 Windstille 1 0,5 0,16 keine Luftbewegung, Rauch steigt 1 Leiser Zug 3 1,5 1,4 kaum merklich, Rauch treibt 2 Leichte Brise 6 3,1 5,8 Blätter rascheln, Wind im Gesicht 3 Schwache Anhang A2 Beaufort-Skala 2) 1)

Physik des Segelns: Wie Segeln wirklich funktioniert, 1. Auflage. Wolfgang Püschl. 229 © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2012 by Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp02.3d from 13.04.2012 15:47:05 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm ziemlich hohe Wellenberge, deren Köpfe verweht werden, überall Schaumstreifen hohe Wellen mit verwehter Gischt, Brecher beginnen sich zu bilden kleine, länger werdende Wellen, übe- rall Schaumköpfe mäßige Wellen von großer Länge, überall Schaumköpfe größere Wellen mit brechenden Köp- fen, überall weiße Schaumflecken weißer Schaum von den brechenden Wellenköpfen legt sich in Schaum- streifen in die Windrichtung Fensterläden werden geöffnet, Zweige brechen von Bäumen, beim Gehen erhebliche Behin- derung an Häusern, Ziegel und Rauch- hauben werden von Dächern ge- hoben, Gartenmöbel werden um- geworfen und verweht, beim Gehen erhebliche Behinderung Wirkung an Landpier wird vom Boden gehoben wegen sich, Wind deutlich Wirkung hörbar auf See bares Pfeifen an Drahtseilen, in Telefonleitungen beim Gehen gegen den Wind Staudruck in [Pa] Obergrenze in [m/s] 40 21 260 große Bäume werden bewegt, in [kn] Wind 9 Sturm 47 24 350 Äste brechen, kleinere Schäden Windstärke Bezeichnung Obergrenze 45 Mäßige Brise6 16 Frische Brise 217 Starker 8,2 Wind 278 11 Steifer Wind 41 33 14 70 Stürmischer Zweige bewegen sich, loses Pa- 17 120 größere Zweige und Bäume be- dicke Äste 170 bewegen sich, hör- Bäume schwanken, Widerstand

230 A2 Beaufort-Skala Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp02.3d from 13.04.2012 15:47:06 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm brüllende See, Wasser wird waa- gerecht weggeweht, starke Sichtver- minderung See vollkommen weiß, Luft mit Schaum und Gischt gefüllt, keine Sicht mehr sehr hohe Wellen, weiße Flecken auf dem Wasser, lange, überbrechende Kämme, schwere Brecher schäden, schwere Schäden an Wäldern (Windbruch), Dächer werden abgedeckt, Autos werden aus der Spur geworfen, dicke Mauern werden beschädigt, Ge- hen ist unmöglich; sehr selten im Landesinneren Verwüstungen; sehr selten im Landesinneren Baumstämme brechen, Garten- möbel werden weggeweht, grö- ßere Schäden an Häusern; selten im Landesinneren Wirkung an Land Wirkung auf See Staudruck in [Pa] Obergrenze in [m/s] 65 33 670 heftige Böen, schwere Sturm- 55 28 480 Bäume werden entwurzelt, in [kn] Sturm Sturm 12 Orkan 100 51 1600 schwerste Sturmschäden und 11 Orkanartiger Windstärke Bezeichnung Obergrenze 10 Schwerer

A2 Beaufort-Skala 231 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp03.3d from 13.04.2012 15:47:12 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Anhang A3 Metazentrum eines Baumstammes

Ein schwimmender, homogener Zylinder muss sich aus Symmetriegrün- den im indifferenten Gleichgewicht bezüglich Rollbewegungen befinden und die Metazentrische Höhe null haben. Wir wollen an diesem Fall die Beziehungen Gln. (2.5) bis (2.7) auf ihre Konsistenz prüfen. Der Zylinder soll bis zu einer bestimmten Höhe h unter der Symmetrieachse eintauchen (Abb. A3.1). Der Gewichtsschwerpunkt G liegt offensichtlich auf der Sym- metrieachse. Das Problem reduziert sich aus Symmetriegründen auf ein ebenes, wir ersparen uns daher die Multiplikation mit der Koordinate in Zylinderach- senrichtung. Das verdrängte Volumen D hat dann die Dimension einer 3 Fläche, und das Flächenträgheitsmoment Iy hat die Dimension l . Die Metazentrische Höhe ist gegeben durch

GM ¼ B0M B0G, (A3.1) = (2.7) ðGleichung A3:1Þ

da hier der Gewichtsschwerpunkt stets über dem Auftriebsschwerpunkt liegt. Für den ersten Term gilt

Abb. A3.1 Homogener, schwimmender Zylinder („Baumstamm“).

Physik des Segelns: Wie Segeln wirklich funktioniert, 1. Auflage. Wolfgang Püschl. 233 © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2012 by Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp03.3d from 13.04.2012 15:47:12 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

¼ Iy ð : Þ B0M r, (A3.2) = (2.6). Gleichung A3 2

Wir erinnern daran, dass r in diesem Fall nichts mit dem Nabla-Operator zu tun hat, sondern in schiffsbautechnischer Diktion das verdrängte Volu- men bedeutet. Wir bekommen für das Flächenträgheitsmoment der Schwimmwasserlinie

Zb 2b3 I ¼ 2 x2dx ¼ , ðGleichung A3:3Þ y 3 0

wobei b die Breite der Schwimmwasserlinie bedeutet (Abb. A3.1). Für die ursprüngliche Lage des Auftriebsschwerpunktes ergibt sich

RR qr Z qZ dZ ¼ h : ð : Þ B0G r Gleichung A3 4

Der differenzielle Beitrag zum verdrängten Volumen ist durch den in der Abbildung dargestellten Streifen angedeutet und beträgt

qr pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi Z ¼ 2 Z2 Z: ð : Þ qZ d 2 R d Gleichung A3 5

Das Integral ist sofort durchführbar und ergibt

ZR ZR qr pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi Z Z ¼ Z 2 Z2 Z qZ d 2 R d h h ÀÁ R ÀÁ3 2 3 2 3 2b ¼ R2 Z2 2 ¼ R2 h2 2 ¼ : 3 h 3 3 ðGleichung A3:6Þ

Damit bekommen wir aus (A3.1)  1 2b3 2b3 GM ¼ B M B G ¼ ¼ 0, ðGleichung A3:7Þ 0 0 r 3 3

das heißt, die Metazentrische Höhe ist in diesem Fall genau null und die Seitenstabilität damit eine indifferente, wie es sein muss. Die Verhältnisse ändern sich, wenn wir einen entlang der Symmetrieachse in die Hälfte

234 A3 Metazentrum eines Baumstammes Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp03.3d from 13.04.2012 15:47:12 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

gesägten Baumstamm schwimmen lassen, etwa mit der runden Seite nach unten. Dies würde einem Schiff mit einer kreisrunden Spantform entspre- chen. In diesem Fall befindet sich der Gewichtsschwerpunkt nicht mehr auf der ursprünglichen Zylinderachse (in der Abbildung Kreismittelpunkt), sondern unterhalb davon, und wir bekommen eine positive Metazentrische Höhe und ein aufrichtendes Drehmoment. Da bei kreisförmigem Unter- wasserquerschnitt aus Symmetriegründen das Metazentrum immer im Kreismittelpunkt liegen muss, erhalten wir für die Metazentrische Höhe den Abstand des Schwerpunktes des Halbzylinders vom Kreismittelpunkt

RR Z qV Z 3 R qZ d 2 ðÞ2 Z2 2 2R3 3 R 4R GM ¼ 0 ¼ 0 ¼ 3 ¼ 0,42R: V V R2p 3p 2 ðGleichung A3:8Þ

Wir haben hier V statt ∇ geschrieben, um anzudeuten, dass hier nicht nur das eingetauchte Volumen, sondern das gesamte Volumen eingeht, die Berechnungsmethode ist aber die gleiche. Bemerkenswert ist dabei, dass dies nicht von der Eintauchtiefe des Halbzylinders abhängt, die wiederum von der Dichte des Materials bestimmt wird. Die Metazentrische Höhe nimmt weiter zu, wenn die Grundfläche des Zylinders nicht ein Halbkreis, sondern etwa ein Kreissegment geringerer Höhe ist. Dann verlagert sich der Schwerpunkt weiter nach unten, bis im Extremfall die Metazentrische Höhe gleich dem Kreisradius wird. Wir wollen dies mit einem Balken vergleichen, der einen rechteckigen Querschnitt von der Breite 2R und der Höhe R besitzt. Diesem ist der Halbkreis genau eingeschrieben. Hier gilt

2R3 I ¼ : ðGleichung A3:9Þ y 3

Nehmen wir an, er taucht zur Hälfte unter (r 500kg=m3). Dann gilt B0G ¼ R=4 und

3 I 2R 2 B M ¼ y ¼ 3 ¼ R: ðGleichung A3:10Þ 0 r R2 3

A3 Metazentrum eines Baumstammes 235 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp03.3d from 13.04.2012 15:47:13 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Für die Metazentrische Höhe erhalten wir  2 1 5R GM ¼ B M B G ¼ R ¼ 0,42R: 0 0 3 4 12 ðGleichung A3:11Þ

Das ist bemerkenswerterweise numerisch fast das gleiche Resultat wie beim halbkreisförmigen Querschnitt. Es ist aber zu beachten, dass für das aufrichtende Drehmoment (und damit die Stabilität) noch mit der Wasser- verdrängung zu multiplizieren ist, und diese ist für den umschriebenen rechteckigen Querschnitt größer. Deutlich wird der Unterschied zum runden Querschnitt aber bei geringer Eintauchtiefe – man denke an ein leicht beladenes Segelschiff. Während die Metazentrische Höhe beim kreis- runden Querschnitt maximal R beträgt, kann sie beim rechteckigen Quer- schnitt wegen (A3.2) bei sehr geringem verdrängtem Volumen ∇ sehr groß werden. Daraus folgt, dass bei gering beladenen Frachtseglern die Stabilität bei rundem Querschnitt sehr viel eher problematisch wird als bei recht- eckigem Querschnitt. Kommerzielle Frachtsegelschiffe weisen oft eine „kastenförmige“ Hauptspantform auf, was allerdings auch bessere Stau- möglichkeit der Fracht als Begründung hat. Eine runde oder sogar v- förmige Spantform weisen viele Schnellsegler auf, da der Schiffskörper dann strömungsgünstiger ist. Er muss aber stets ausreichend Ballast mit- führen, der den Gewichtsschwerpunkt nach unten bringt und gleichzeitig die Verdrängung erhöht und so insgesamt das aufrichtende Drehmoment vergrößert.

236 A3 Metazentrum eines Baumstammes Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp04.3d from 13.04.2012 15:47:17 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Anhang A4 Dimensionsanalyse

Dieses Verfahren bietet eine heuristische Möglichkeit, zu dimensionslosen Verhältnisgrößen zu gelangen, in denen die wichtigsten hydrodyna- mischen Parameter vorkommen. Dazu wird die hydrodynamische Kraft F – also z. B. Auftrieb und Widerstand – als Potenzprodukt dieser Parameter angesetzt:

F ¼ CLaubrcgdZef h, ðGleichung A4:1Þ

wobei C eine Konstante, L eine charakteristische Länge (z. B. die Wasser- linienlänge des Schiffs), u eine Geschwindigkeit (etwa die Fahrgeschwin- digkeit des Schiffs), r die Dichte des Mediums, g die Gravitationsbeschleu- nigung, Z die dynamische Zähigkeit und f eine charakteristische Frequenz bedeuten. Wir schreiben nun eine Dimensionsgleichung für die vorkom- menden Größen an, wie sie sich in Grundgrößen m Masse, l Länge, t Zeit ausdrücken

ml l b m c l d m e 1 h ¼ la ðGleichung A4:2Þ t2 t l3 t2 lt t

Für jede der Grundgrößen m, l, t müssen die Exponenten auf beiden Seiten insgesamt gleich sein. Das führt auf die Bedingungsgleichungen

für m : 1 ¼ c þ e ðGleichung A4:3aÞ

für l : 1 ¼ a þ b 3c þ d e ðGleichung A4:3bÞ

für t : 2 ¼b 2d e h ðGleichung A4:3cÞ

Das sind drei Bestimmungsgleichungen für fünf Unbekannte. Nehmen wir ohne Beschränkung der Allgemeinheit d, e und h als Unbekannte an und drücken wir a, b, c durch diese aus, so ergibt sich

Physik des Segelns: Wie Segeln wirklich funktioniert, 1. Auflage. Wolfgang Püschl. 237 © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2012 by Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp04.3d from 13.04.2012 15:47:17 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

a ¼ 2 þ d e þ h ðGleichung A4:4aÞ

b ¼ 2 2d e h ðGleichung A4:4bÞ

c ¼ 1 e ðGleichung A4:4cÞ

Wir setzen nun diese Werte für die Exponenten in (A4.1) ein und gruppie- ren die Größen nach dem Vorkommen der Exponenten d, e und h. Das Ergebnis lässt sich folgendermaßen schreiben

0 1 0 1 0 1 2d e h B C B C B rC B C ¼ r 2 2B puffiffiffiffiffi C BLu C B Lf C ð : Þ F C u L @ A @ Z A @ A Gleichung A4 5 |ffl{zffl}Lg |{z} |{z}u Fr Re St

Diese Form enthält als Vorfaktor die Dimension des Staudrucks und einer Fläche und entspricht damit der Newton’schen Auftriebs- und Wider- standsformel. Die sich ergebenden dimensionslosen Verhältniszahlen, deren Exponenten noch unbestimmt bleiben, sind der Reihe nach die Froude-Zahl Fr (Kapitel 6), die Reynoldszahl Re (Kapitel 3) und die Strou- hal-Zahl St (Kapitel 8), wenn man f als Frequenz der Wirbelablösung definiert. Handelt es sich bei f jedoch um die Frequenz einer sonstigen Veränderung der Konfiguration, etwa einer periodischen Anstellwinkelän- derung, dann kann der letzte Ausdruck auch als reduzierte Frequenz interpretiert werden. Sie ist dann normiert auf die Anzahl der charakteris- tischen Längen L, die bei Geschwindigkeit u in der Zeiteinheit zurückgelegt werden (siehe Abb. 8.14). Fr setzt Trägheit in Relation zu Schwerkraft, Re Trägheit zu Reibung, und St verknüpft Oszillationsfrequenz der Strömung mit der Strömungsgeschwindigkeit. In Erweiterung des Ansatzes (A4.1) wird die allgemeine Abhängigkeit durch Potenzreihen in Fr, Re und St zu beschreiben sein.

238 A4 Dimensionsanalyse Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp05.3d from 13.04.2012 15:47:21 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Anhang A5 Ableitung der Kutta-Joukowski-Gleichung

Wir wollen die gesamte Druckkraft ausrechnen, die in einer idealen Flüssigkeit auf ein von einer ebenen Strömung umflossenes Profil (Zylin- der im allgemeinen Sinn) ausgeübt wird. Dazu integrieren wir den Vektor des Normaldrucks über die Kontur. In der komplexen Zahlenebene, in der wir die Berechnung durchführen, sei das Linienelement entlang der Profilkontur

dz ¼ dx þ idy: ðGleichung A5:1Þ

Das Linienelement gleicher Länge normal auf die Kontur ist dann gegeben durch

dn ¼dy þ idx: ðGleichung A5:2Þ

Die Gesamtkraft auf den Körper pro Längeneinheit in z-Richtung ist gegeben durch I I F ¼ X þ iY ¼ pdn ¼ pdy þ ipdx: ðGleichung A5:3Þ

 Es erweist sich als vorteilhaft, stattdessen die konjugiert-komplexe Größe F zu berechnen I I I  F ¼ pdy ipdx ¼ ipðdx idyÞ¼ ipdz:

ðGleichung A5:4Þ

Der Druck folgt aus dem Bernoulli’schen Theorem:

 1 1 df df p ¼ p r v2 ¼ p r ðGleichung A5:5Þ 0 2 0 2 dz dz

wobei wir das komplexe Geschwindigkeitsfeld v als Ableitung nach dem

Physik des Segelns: Wie Segeln wirklich funktioniert, 1. Auflage. Wolfgang Püschl. 239 © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2012 by Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp05.3d from 13.04.2012 15:47:21 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

komplexen Potenzial f = f +ic geschrieben haben. Da die Stromlinien  durch c = const. definiert sind, gilt entlang der Profilkontur df ¼ df . Daher lässt sich für den Druck schreiben

1 df df p ¼ p r : ðGleichung A5:6Þ 0 2 dz dz

Der konstante Druck p0 liefert keinen Beitrag für das geschlossene Linien- integral, und für die Kraft folgt schließlich I I I 2  1 df df 1 df df dz 1 df F ¼ ir dz ¼ ir dz ¼ ir dz 2 dz dz 2 dz dz dz 2 dz ðGleichung A5:7Þ

(Transformationssatz für Integrale). Es lässt sich nun zeigen, dass ein

Strömungsfeld, das im Unendlichen den konstanten Wert u0 in positiver x-Richtung annehmen soll und eine Zirkulation G im Uhrzeigersinn um den Ursprung aufweist, durch ein komplexes Geschwindigkeitspotenzial der allgemeinen Form

iG B C f ¼ u z ln z þ þ þ ::: ðGleichung A5:8Þ 0 2p z z2

dargestellt wird. Das Geschwindigkeitsfeld hat dann nämlich die Form

df iG B ¼ u þ ::: ðGleichung A5:9Þ dz 0 2pz z2

Aus der komplexen Integrationstheorie wissen wir, dass bei einem ge- schlossenen Linienintegral um einen Pol nur das Residuum, also der Koeffizient des Terms z−1, eine Rolle spielt. Das Integral ist dann gleich 2pi-mal dem Residuum. Das geschlossene Linienintegral von (A5.9) um den innerhalb der Kontur liegenden Ursprung ist dann gerade gleich der Zirkulation G. Die weiteren Terme in (A5.9) beschreiben den von der Profilform abhängigen detaillierten Strömungsverlauf, tragen aber nichts zur Zirkulation bei. Weiters folgt df 2 iU G 1 ¼ u2 0 þ O : ðGleichung A5:10Þ dz o p z z2

240 A5 Ableitung der Kutta-Joukowski-Gleichung Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp05.3d from 13.04.2012 15:47:21 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Wir bekommen somit aufgrund des Residuensatzes für die konjugiert- komplexe Gesamtkraft 1 iu G X iY ¼ ir 2p i 0 ¼ irGu : ðGleichung A5:11Þ 2 p z 0

Die Gesamtkraft wirkt somit ausschließlich in y-Richtung und beträgt pro Längeneinheit der Spannweite

L ¼ru0G ðGleichung A5:12Þ

(Kutta-Joukowski’sche Auftriebsformel). Der Auftrieb weist also in die positive y-Richtung, wenn die Zirkulation negativ ist, also im Uhrzeigersinn verläuft. Nebenbei folgt aus dieser Ableitung auch, dass von einer zirkulations- freien Strömung in einer idealen Flüssigkeit auf einen Körper keine Gesamtkraft ausgeübt wird (d’Alembert’sches Paradoxon).

A5 Ableitung der Kutta-Joukowski-Gleichung 241 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp06.3d from 13.04.2012 15:47:25 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Anhang A6 Verfahren nach Prohaska

Dieses Verfahren dient dazu, um für einen ganz bestimmten Rumpf experi- mentell den Reibungswiderstandsbeiwert zu ermitteln, der sich aus der Schiffsform abweichend von dem Beiwert einer ebenen Platte ergibt (Pro- haska und van Lammeren, 1937). Man setzt den Beiwert des Gesamtwider- standes aus den Beiwerten für Reibungs- und Restwiderstand zusammen:

CT ¼ CF þ CRes ðGleichung A6:1Þ

Die Daten für den Reibungswiderstand ebener Platten können mithilfe folgender empirischer Interpolationsformel dargestellt werden (Re ist die Reynolds-Zahl)

1 0,067 C ¼ : ðGleichung A6:2Þ F ðÞlog Re 1 2

Für die gekrümmte Schiffsoberfläche wird nun ein Korrekturfaktor g angesetzt:

¼ 1: ð : Þ CF g CF Gleichung A6 3

Für den Restwiderstandsbeiwert wird wegen der Abhängigkeit des Wider- standes von v6 (Gl. (6.24), führender Term) eine Proportionalität zu Fr4 angenommen (Fr ist die Froude-Zahl), sodass wir mit einer Konstanten K schreiben können

¼ 1 þ 4 ð : Þ CT g CF KFr , Gleichung A6 4

oder

4 CT Fr 1 ¼ g þ K 1 : ðGleichung A6:5Þ CF CF

Physik des Segelns: Wie Segeln wirklich funktioniert, 1. Auflage. Wolfgang Püschl. 243 © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2012 by Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp06.3d from 13.04.2012 15:47:26 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Führt man nun Modellversuche für sehr kleine Froude-Zahlen durch und = 1 4= 1 trägt die Größe CT CF gegen Fr CF auf, so erhält man eine Gerade, deren Abschnitt auf der y-Achse die Extrapolation auf Fr = 0 darstellt und den gesuchten Korrekturfaktor g angibt.

244 A6 Verfahren nach Prohaska Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp07.3d from 13.04.2012 15:47:30 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Anhang A7 Impulsübertrag, Kraft, Leistung, Kinetische Energie

In einem sehr vereinfachten Modell soll die Kraft, die auf das Segel ausgeübt wird, aus dem Impulsübertrag der abgelenkten Strömung verstanden wer- den. Nach Abb. A7.1 soll die Strömung von einer Fläche symmetrisch abgelenkt werden. Das ist keine völlige Rückführung auf das häretische „Stoßmodell“ der Windkraftentstehung, weil erst die vollständige aerodyna- mische Behandlung der Strömung um das Segel die Berechnung des Ablenkungswinkels erlaubt. In Wirklichkeit entspricht also die symmetrisch zur An- und Abströmung gelegene Fläche A nicht der realen Stellung des Segels, sondern es handelt sich um eine virtuelle Umlenkungsfläche. Wir machen also in dieser Betrachtung keine Aussagen über den Mecha- nismus der Ablenkung, außer dass sie in großer Entfernung vor und nach dem Segel so wirken soll, als wäre die Luftströmung an einer gedachten Ebene reflektiert worden (elastischer Stoß). Die Strömung schließe mit der Fläche A einen Winkel a ein. Ihre Strömungsgeschwindigkeit u zerlegen wir in einen Parallel-Anteil u|| und einen Normal-Anteil u⊥. Das pro Sekunde auf die Fläche auftreffende Flüssigkeitsvolumen ist (siehe Abb. A7.1)

F ¼ Ausin a ¼ Au?: ðGleichung A7:1Þ

Da nur die Normalkomponente der Geschwindigkeit reflektiert wird, be- trägt der pro Sekunde auf die Fläche übertragene Impuls, welcher der ausgeübten Kraft entspricht

2 F ¼ Ausin a:2r u? ¼ Au?:2r u? ¼ 2Ar u? ðGleichung A7:2Þ

Ist die Fläche in Ruhe, wird keine Arbeit geleistet, und die Flüssigkeit behält ihre kinetische Energie. Das heißt, der Vektor u hat vor und nach der Wechselwirkung mit dem Segel den gleichen Absolutbetrag. Bewegt sich die Fläche mit einer Geschwindigkeit v nach oben, dann verliert die Strömung bei der Ablenkung kinetische Energie. Wir wollen nun demons- trieren, dass dieser Energieverlust pro Zeiteinheit genau der durch die Luftkraft an der Platte erbrachten mechanischen Leistung entspricht. Die u Parallelkomponente || bleibt wieder unbeeinflusst. Das pro Zeiteinheit auf

Physik des Segelns: Wie Segeln wirklich funktioniert, 1. Auflage. Wolfgang Püschl. 245 © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2012 by Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp07.3d from 13.04.2012 15:47:31 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. A7.1 Impulsübertrag der Strömung an eine virtuelle Umlenkungsfläche.

der Umlenkfläche auftreffende Flüssigkeitsvolumen ist nun entsprechend verringert und beträgt

F1 ¼ Að u? vÞ: ðGleichung A7:3Þ

Die Normalkomponente erscheint im System der bewegten Fläche als u⊥ – v und nach der Reflexion v – u⊥. Zurück transformiert ins ruhende System, ist die Normalkomponente nach der Reflexion u⊥′ =2v – u⊥. Der Impulsübertrag beträgt jetzt

2 F ¼ Ar ðÞu? v ðÞ¼u? ð2v u?Þ 2Ar ðÞu? v : ðGleichung A7:4Þ

Diese Kraft, multipliziert mit der Geschwindigkeit v, ergibt die an dem bewegten Objekt von der Strömung erbrachte Leistung

2 P ¼ 2Ar v ðÞu? v : ðGleichung A7:5Þ

246 A7 Impulsübertrag, Kraft, Leistung, Kinetische Energie Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp07.3d from 13.04.2012 15:47:31 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Diese sollte gleich dem Verlust an kinetischer Energie der Strömung sein. Die kinetische Energie einer Volumeneinheit der Strömung kann folgen- dermaßen geschrieben werden  1 2 1 2 2 E ¼ r u ¼ r u? þ ujj : ðGleichung A7:6Þ kin 2 2

Da die Beiträge von Parallel- und Normalkomponente additiv sind, genügt es, die Normalkomponente zu betrachten. Der Verlust pro Zeiteinheit an kinetischer Energie ist

ÀÁÀÁr ÀÁr  0 2 0 2 2 2 F E E ¼ Au? v u? u? ¼ Au? v u? ðÞ2v u? kin kin 2 2 ÀÁr ÀÁÀÁ 2 2 ¼ Au? v 4vu? 4v ¼ 2Ar v u? v 2 ðGleichung A7:7Þ

Tatsächlich ist das genau die von der Luftkraft am bewegten Objekt erbrachte Leistung Gl. (A7.5).

A7 Impulsübertrag, Kraft, Leistung, Kinetische Energie 247 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp08.3d from 13.04.2012 15:47:37 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Anhang A8 Elliptische Auftriebsverteilung und Berechnung des induzierten Widerstandes

Wir wollen den induzierten Widerstand im Rahmen der Prandtl’schen Traglinientheorie des aerodynamischen Auftriebs diskutieren: Ein gerader (nicht gepfeilter), schmaler Tragflügel werde normal zu einer Linie ange- strömt, welche die Punkte verbindet, die ¼ der Sehnenlänge von der Vorderkante entfernt liegen. Der durch gebundene Zirkulation G entste- hende Auftrieb soll entlang dieser Linie angreifen. Die Tragfläche mit einer Gesamtspannweite b bestehe aus zwei nebeneinander angeordneten Flü- geln mit einer Länge von je s = b / 2. Die Zirkulation und damit der Auftrieb pro Längeneinheit entlang dem Flügel sei eine Funktion der Koordinate y in dieser Richtung. Es erweist sich für die weitere Rechnung als vorteilhaft, zu einer Winkelkoordinate y überzugehen, sodass

y ¼ s cosðyÞð(siehe Abb. A8.1). Gleichung A8:1Þ

Abb. A8.1 Traglinientheorie: verwendete Koordinaten.

Physik des Segelns: Wie Segeln wirklich funktioniert, 1. Auflage. Wolfgang Püschl. 249 © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2012 by Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp08.3d from 13.04.2012 15:47:38 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Die Verteilung der Zirkulation entlang der Spannweite (vorgegeben durch die Flügelform, aber modifiziert durch eine mögliche Verwindung des Flügels und/oder eine variierende Anströmungsrichtung) verlaufe sym- metrisch bei beiden Flügeln und soll daher durch folgende Fourier-Reihe angesetzt werden:

X1 GðyÞ¼GðyÞ¼4sV0 An sinðnyÞ, ðGleichung A8:2Þ n¼1

wobei V0 die ungestörte Anströmung ist. Die pro Längenänderung dy abgehende Wirbelstärke in der Wirbelschleppe ist durch die Abnahme der Zirkulation gegeben:

dGðyÞ dG ¼ dy: ðGleichung A8:3Þ dy

Jeder der halb-unendlichen Wirbelfäden erzeugt im Abstand r von seiner Achse ein Geschwindigkeitsfeld (siehe Abb. 3.1) (einen Beitrag zum Ab- wind) von

dG dw ¼ : ðGleichung A8:4Þ 4pr

Der gesamte Abwind an der Stelle y ist durch Überlagerung dieser Beiträge gegeben 2 3 Zs 1 1 0 wðyÞ¼ CH4 dGðy Þ5, ðGleichung A8:5Þ 4p y y0 s

wobei CH für die Operation „Cauchy’scher Hauptwert“ steht, die notwen- dig wird, weil das Integral wegen der Unendlichkeitsstelle bei y0 ¼ y ein uneigentliches Integral ist. Das Integral ist also im Sinne eines Grenzwerts zu verstehen 2 3 2 3 Zs ZyE Zs 6 G G 7 4 1 G5 ¼ 1 d 0 þ 1 d 0 : CH 0 d lim4 0 0 dy 0 0 dy5 y y E!0 y y dy y y dy s s yþE ðGleichung A8:6Þ

Substituieren wir wieder y für y (und analog z für y0), so bekommen wir wegen der Fourier-Reihe, Gl. (A8.2), eine Reihe in sog. Glauert-Integralen

250 A8 Elliptische Auftriebsverteilung und Berechnung des induzierten Widerstandes Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp08.3d from 13.04.2012 15:47:38 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

(nach Hermann Glauert (1892–1934), einem britischen Aerodynamiker), die sich durch Integration in der komplexen Zahlenebene lösen lassen (F. Quori, 1995) und zu folgendem Ergebnis führen 2 3 Zp cos nB p sin ny CH4 dB5 ¼ : ðGleichung A8:7Þ cos y cos B sin y 0

Wir bekommen damit insgesamt

X1 ð yÞ ¼ nAn sin n : ð : Þ w V0 ðyÞ Gleichung A8 8 n¼1 sin

Wenn diese Reihe nur aus dem ersten Glied besteht, dann kürzen sich die Sinus-Terme in Zähler und Nenner heraus, und der Abwind hängt nicht mehr von y und damit nicht von der Spannweitenkoordinate y ab. Diese Zirkulationsverteilung entspricht jedoch, in y ausgedrückt,

rffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi y 2 G ¼ 4sA V sinðyÞ¼4sA V 1 cos2ðyÞ ¼ 4sA V 1 , 1 0 1 0 1 0 s ðGleichung A8:9Þ

was aufgetragen der Gestalt einer (Halb-)Ellipse entspricht (elliptische Auftriebsverteilung, engl. elliptic loading). Elliptische Auftriebsverteilung führt also zu einem induzierten Abwind, der über die Spannweite konstant ist. Wir schreiten nun zur Berechnung des Beiwerts des induzierten Wider- standes für elliptische Auftriebsverteilung. Aus Abb. 5.7 sehen wir, dass

Di ¼ L sin ai, ðGleichung A8:10aÞ

w sin ai ai ¼ ðGleichung A8:10bÞ V0

wobei L der Auftrieb ist. Aus Gl. (A8.8) ergibt sich, beschränkt auf den ersten Term (= elliptische Auftriebsverteilung) der über die Spannweite konstante Abwind

w ¼ V0A1: ðGleichung A8:12Þ

A8 Elliptische Auftriebsverteilung und Berechnung des induzierten Widerstandes 251 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp08.3d from 13.04.2012 15:47:38 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Zusammen mit (A8.10) ergibt sich

Di ¼ LA1, ðGleichung A8:13Þ

oder gleich in Beiwerten ausgedrückt

¼ : ð : Þ CDi CL A1 Gleichung A8 14

Für den Auftrieb bekommen wir aber durch Anwendung der Kutta- Joukowski-Gleichung (Gl. 9.1) und Integration über die Spannweite (y = s cos y)

Zs Z0 ÀÁ ¼ r Gð Þ ¼ 2r 2 2y y ¼ pr 2 2 : L V0 y dy 4s V0 A1sin d 2 V0 s A1 s p ðGleichung A8:15Þ

Wir drücken nun A1 aus (A8.15) aus und schreiben den Auftrieb wieder mithilfe des zugehörigen Beiwertes

1 2 r V CLA C A C A ¼ 2 0 ¼ L ¼ L : ðGleichung A8:16Þ 1 pr 2 2 2p pL 2 V0 s b

A ist die Fläche des Tragflügels. Hier haben wir b =2s verwendet und mit L ¼ b2=A das Seitenverhältnis des Tragflügels (engl. aspect ratio) einge- führt. Einsetzen von (A8.16) in (A8.14) liefert schließlich

C2 C ¼ L : ðGleichung A8:17Þ Di pL

252 A8 Elliptische Auftriebsverteilung und Berechnung des induzierten Widerstandes Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp09.3d from 13.04.2012 15:47:42 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Anhang A9 Linienriss einer Rennjolle

Der Linienriss ist die Darstellung der dreidimensionalen Form eines Schiffes mithilfe der Kurven, die durch Schnitte mit drei Scharen von Ebenen gewonnen werden: Spantriss: Spantlinien, entstanden durch Schnitte mit quer zum Schiff liegenden Ebenen. Dieser Riss stellt meistens die unmittelbare Bauvorlage für den Bootsbauer dar, da bei klassischer Bauweise nach diesen die Mallen (Formspanten) geschnitten werden. Im dargestellten Riss liegen die Ebe- nen im Abstand 40 cm (hier vom Spiegel weg gezählt). Wasserlinien, Schnitte mit parallel zur Wasseroberfläche liegenden Ebe- nen. Im dargestellten Riss liegen sie im Abstand 10 cm und tragen die Bezeichnungen W-1, W0, W1, W2, W3. Besondere Bedeutung hat die Konstruktionswasserlinie W0, welche der vorausgesehenen mittleren Schwimmlage des Schiffes entspricht. (Längs-)Schnitte mit parallel zur Symmetrieebene des Schiffes liegenden Ebenen. Im dargestellten Riss tragen sie die Bezeichnung I, II, III, IV und liegen im Abstand von 20 cm. Ein möglichst geradliniger Verlauf achtern, wo sie die Konstruktionswasserlinie schneiden, gilt als Kennzeichen eines schnellen Rumpfes.

Physik des Segelns: Wie Segeln wirklich funktioniert, 1. Auflage. Wolfgang Püschl. 253 © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2012 by Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp09.3d from 13.04.2012 15:47:42 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. A9.1 Spantriss der 20 m²-Rennjolle Heck (Entwurf W. Lehmann, Vermessung „Wiking III“, links vom Bug bis zum Haupt- durch W. Bretschneider). spant, rechts vom Hauptspant bis zum

254 A9 Linienriss einer Rennjolle Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bapp09.3d from 13.04.2012 15:47:44 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Abb. A9.2 20 m²-Rennjolle „Wiking III“: Schnitte und Wasserlinien.

A9 Linienriss einer Rennjolle 255 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/bbiblio.3d from 13.04.2012 15:47:52 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

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258 Literatur Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/Index.3d from 13.04.2012 15:48:06 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Stichwortverzeichnis

- – hydrodynamisch 16 -ik 48 Antriebsleistung – einer Segelyacht 129 1 apparent wind 17 18-Fuß-Skiff 161 „Ariel“ 4 aspect ratio 98 3 „Atlantic“ (Schoner) 10 3D-Segel 218 Aufkimmung 145 aufrichtendes Drehmoment 26 A Auftrieb 16 Abdeckungsstellung 86 – historische Erklärungen 63 Ablösungsblase 76 Auftriebs-Hysterese 186 Ablösungsverhalten versch. Flügelfor- Auftriebsformel (à la Newton) 71 men 105 Aufwind 70 Abnahme der Wellenamplitude mit der aus dem Ruder laufen 25 Tiefe 116 abpieken 218 B Abwind 70 Backstag 199 Achsenverhältnis 116 Backstagkurs 19 adiabatisch 35 backstay 199 adverse current 117 backwinding 85 Äquipotenziallinien des Geschwindig- Balkenbiegung 204 keitspotenzials 46 – Rumpf 210 Aero-hydrodynamisches Gleichgewichts- „Banque Populaire V“ 10 diagramm 154 „Batavia“ 4 aerodynamischer Gleitwinkel 18 Baum 199 – bei Segelflugzeugen 20 Baumaterialien „Alinghi 5“ 12 – Rumpf 212 Amplitude beam reach 19 – eines fremderregten harmonischen Os- Bénard-Instabilität 102 zillators 174 benetzte Oberfläche 133 Amwindbesegelung 2 Bermudasegel 2 analytische Funktionen 46 Bernoulli-Theorem 44 Anfahrwirbel 69 Besan 22 Anfang der Fahrt 169 Bestimmung der Fahrtgeschwindigkeit Anfangsmetazentrum 28 – rechnerisch 155 Anliegelinie 159 Betriebspunkt (Anstellwinkel) 149 Anstellwinkel Biegemoment 205 – aerodynamisch 17 Blinde 23 259 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/Index.3d from 13.04.2012 15:48:06 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Blockkoeffizient 140 E Bovenblinde 23 „E-Ship 1“ 67 Bramsegel 3 ebene Potenzialströmung 45 Brandung 121 effektiver Anstellwinkel 94 brassen (Rahen) 103 Effet 66 Brecher 193 Eigenfrequenz Breite/Tiefgang Verhältnis 139 – einer Drehschwingung 172 broach-to 25 – eines harmonischen Oszillators 172 broaching 195 einfallen 85 broad reach 19 einsteigen von Seen 195 Bruchspannungen Einstein'sche Summenkonvention 38 – diverser Materialien 205 Eissegler 20 buckling 206 elektrolytischer Trog 68 Bugspriet 23 elliptic loading 98 Elliptische Auftriebsverteilung 96, 251 C elliptische Bewegung der Wasserteil- „CAL-40“ 191 chen 114 canoe body 108 Elongation 172 Carbonfaser 212 Energieinhalt einer Welle 196 Cauchy-Riemann'sche Differenzialglei- Ensemble(Flotte) chungen 46 – von Booten 164 close-hauled 19 Entmastung 177 „Contessa 32“ 29 „Ericsson 4“ 10 Cremona-Plan 201 Etmal 10 Euler'sche Gleichung(en) der Hydrodyna- D mik 39 d'Alembert'sches Paradoxon 53, 241 – Randbedingungen 40 Dämpfung 174 Euler'sche Koordinaten 36 Daeron 216 Euler'sche Knickungsfälle 207 dead run 161 deadrise 145 F Delaminierung 212 Federkonstante 172 Dellenbaugh-Winkel 135 Fermat'sches Prinzip 166 diagonale Verstärkungen 211 Flächenträgheitsmoment Dimensionierung – der Schwimmwasserlinie 27 – Stehendes Gut 203 – eines Balkenquerschnittes 205 Dimensionsanalyse 237 flare 191 Dispersionsrelation 119 Flettner-Rotor 48, 67 Dissipation von Wirbeln 50 Flügelkiel 96 downwash 70 Flüssigkeitselemente 36 downwind rolling 180 Flüssigkeitsteilchen 36 Drachenantrieb 6 Fluid 35 Drehschwingungen 172 Fluide mit innerer Reibung 48 Druckverteilung „Flying Cloud“ 11 – am Tragflügel 73 fore-and-aft sail 2 Dschunke 2 Formstabilität 29 Dünung 121 freak waves 194 Düsenwirkung 83 Froude'sche Ähnlichkeit 132 dynamisch instabil 181 Froude'sche Hypothese 132 dynamische Stabilität 30 Froude-Zahl 125, 238 dynamische Zähigkeit 48

260 Stichwortverzeichnis Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/Index.3d from 13.04.2012 15:48:07 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

G I Gaffel 199 ideale (reibungsfreien) Flüssigkeit 37 Gaffelsegel 2 Impulsübertrag 245 Gauß'scher Integralsatz 38 induzierter Abwind 93 Geigen 180 induzierter Widerstand 94 Gennaker 110 – Berechnung des Beiwertes 249 Gernzschicht inkompressibel 35 – Ermüdung 75 Inkompressibilität 113 Geschwindigkeits-Voraussagepro- intergranularer Bruch 203 gramme 157 International America's Cup Class geteilte Profile 82 – Segeltragezahl 134 Gewichtsstabilität 30 International Towing Tank Conference Gewölbte Platte vs. Flügel 80 1957 134 Gier-Instabilität 185 „Intrepid“ 12 gieren 21 inverses Wulff-Diagramm 158 Glauert-Integrale 250 Isochronen 164 gleichförmiger Fahrtzustand 15 Iteration 155 Gleichgewicht der Luft- und Wasser- kräfte 16 J gleiten 143 Joukowski-Transformation 70 Grenzamplitude 183 Grenzschicht 53 K – Ermüdung 55 Kármán'sche Wirbelstraße 55, 73 – laminar 56 Kavitation 73 – turbulent 56 Kelvin'scher Satz 41 gyradius 176 Kelvin'sches Wellensystem 122, 124 Kettenfäden 217 H Kevlar 212 halber Wind 19 Kielschwein 211 Halbgleiten 144 kinematische Zähigkeit 49 Harmonischer Oszillator Kinetische Energie – Eigenfrequenz 172 – der Strömung 245 Harmonischer Oszillators Kirchhoff'sche Knotenregel 91 – fremderregt 174 Klipper 3 hart am Wind 19 Knicklänge 207 heel 17 Knickung 206 Helmholtz'sche Wirbelsätze 44 Kompressionsbelastung 206 Hochtakelung 2 konforme Abbildung 70 Höchstgeschwindigkeit 8 konstanter Abwind 98 hoffnungslose Stellung 85 Kontinuitätsbedingung 37 hull speed 128 Koordinatentransformation (auf mit- Huygens'sches Prinzip 166 bewegtes System) 117 hydrodynamisch glatt 58 Kräfte im Rigg hydrodynamische Trennfläche 68 – Berechnung 201 hydrodynamische Zäunen, 73 krängendes Moment 25 hydrodynamischer Auftrieb Krängung 17 – beim Gleiten 144 Kreisfrequenz 114, 172 hydrodynamischer Gleitwinkel 18 Kutta'sche Abflussbedingung 65 „Hydroptère“ 9 Kutta-Joukowski-Formel 66 – Ableitung 239

Stichwortverzeichnis 261 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/Index.3d from 13.04.2012 15:48:07 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

L Osmose 213 Längenmetazentrum 31 Ostindienfahrer 3 Lagrange'sche Koordinaten 36 laminar 52 P laminare Unterschicht 58 „Papoose“ 77 Lateinersegel 2 parasitäre Widerstände 149 Lateralplan Partikulärlösung 174 – Beschneidung 108 Pfeilung 105 Lateralschwerpunkt 21 Phasengeschwindigkeit 119 – dynamisch und geometrisch 23 Phasenverschiebungswinkel layline 159 – eines fremderregten harmonischen Os- lead 22 zillators 174 Leistung 245 Phasenvoreilung lenzen vor Topp und Takel 195 – des Auftriebs 187 Luftschichtungen (verschiedene) 103 pitch 21 Luftwiderstand 129 platt vor dem Wind 161 Luggersegel 2 Polardiagramme Luvgeschwindigkeit 11, 159 – Beiwerte 149 luvgierig 21 pooping 195 Portugiesische Galeere 12 M Prandtl'sche Grenzschicht 53 Magnus-Effekt 66 Prandtl'sche Traglinientheorie 249 Marssegel 3 Prandtl'sches Staurohr 45 Materialien Prismatischer Koeffizient 142 – Segel 216 Prohaska maximal mögliche Wellenhöhe 190 – Verfahren für Beiwertkorrektur 243 Mechanische Eigenschaften Pumpen – Bootsbaumaterialien 213 – mit Ruder 188 Metazentrische Höhe 26 – mit Segel 189 Metazentroid 28 Metazentrum 26 Q – Baumstamm 233 quarter chord line 106 – longitudinales 31 quasistatischer Fall 174 minimale Laufzeit 166 Querschlagen 195 mitgeschlepptes Wasser 173, 178 Modellversuche 131 R Momentengleichgewicht 21 radius of gyration 176 Monsterwellen 194 Rahsegel 2 Raukeitshöhe 58 N Raumbesegelungen 161 Nachlauf 65 reduzierte Oszillationsfrequenz 187 Navier-Stokes-Gleichung(en) der Hydro- reibungsbedingter Druckwiderstand 53 dynamik 49 Reibungswiderstand 53 Newton'sches Widerstandsgesetz 54 – ebener Platten 58 Niedergang der Segelschiffahrt 5 Reihleine 77 Relativgeschwindigkeit 132 O Rennjollen 7 Orbitalbewegung 190 Rennwert 135 „Oberon“ 204 residuary resistance 133 „oneAustralia“ Residuensatz 47 – Untergang 209 Resonanz 175

262 Stichwortverzeichnis Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/Index.3d from 13.04.2012 15:48:08 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Restwiderstand 132 shroud 199 Reynolds'sche Ähnlichkeit 131 Sichere Leestellung 85 Reynoldszahl 51, 238 signifikante Wellenhöhe 194 – Ableitung 50 Skalierung 131 rod rigging 202 – der Besegelung mit der Länge des Boo- rogue waves 194 tes 135 roll 21 Skiff 161 rollen 21 – Segeltragezahl 134 Rollen vor dem Wind 180 slamming 211 Rollschwingungen Sonnenschuss 25 – Eigenfrequenz 176 „Sovereign of the Seas“ 8 Royalsegel 3 Spannungsrisskorrosion 203 Rudergänger 195 Spannungstensor 37 Rückkoppelungsphänomen Spantflächenkurve 142 – Rollen vor dem Wind 180 Spiegelbild (Strömung) 100 Rückstromklappen 76 Spieren 199 rücktreibende Kraft 172 Spinnaker 110 Rückwärtspfeilung 106 Spione 77 Rumpfgeschwindigkeit 128 Sprietsegel 2 Rumpfpolaren 155 square sail 2 Stag 199 S stalling 73 safe leeward position 85 stampfen 21 Saling 199 Stampfschwingungen Sandwich-Konstruktion 213 – Eigenfrequenz 177 Schärenkreuzer 7 Standard-Belastungen 199 Schärfegrad 142 „Standfast“ 177 Scheinbarer Wind 17 standing rigging 199 Scherungskräfte 38 Staudruck 45 schnellste Kurslinie 165 stay 199 Schoner 7 Stehendes Gut 199 Schratsegel 2 steife Schiffe 177 Schussfäden 217 Störfunktion 174 Schwerewellen 113 Stokes'sche Widerstandsformel 53 Schwimmwasserlinie 26 Stokes'scher Integralsatz 40 Schwingungen eines Segelbootes 172 Stolperdraht 57 section modulus 205 Stoßmodell Seeanker 195 – der Auftriebsentstehung 245 Segelfläche als Funktion der Länge 137 Stringer 210 Segelquallen 12 Strömungsabriss 73 Segelschwerpunkt 21 Strömungsfeld 35 – dynamisch und geometrisch 23 Stromlinie 36 Segeltragezahl 134 Stromlinienkörper 55 Segeltragvermögen 134 Strouhal-Zahl 187, 238 Seichtwasserwellen 121 Stützruder 170 Seitenkraft substanzielle Zeitableitung 39 – Begrenzung 151 Superpositionsprinzip 39 Seitenverhältnis (einerTragfläche) 98 surfen 189 Seitenverhältnis, niedriges 109 – Geschwindigkeitszuwachs 192 selbstkonsistente Lösung 155 ship 4

Stichwortverzeichnis 263 Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/Index.3d from 13.04.2012 15:48:08 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

T Vorsegel-Großsegel-Kombination 83 tacking downwind 159 Vorwärtspfeilung 106 „Taeping“ 4 Vorwindsegel 110 Teeklipper 4 VPP 157 telltales 77 Theorie schlanker Körper 108 W Thomson'scher Satz 41 Wagner-Effekt 71 Tiefenabhängigkeit der Wellenamplitu- Wahrer Wind 17 den 114 Wanten 199 Tiefwasserwellen 119 Warner und Ober 77–78 Tornado 44 warp 217 Trägheitsradius 176 Wasserverdrängung 26 Tragflächen-Endplatten (winglets) 96 Wasserwellen Tragflächen-Randwirbel 89 – Dispersionsrelation 119 Tragflügel-Trimaran „Hydroptère“ 9 – Form 120 Traglinientheorie 249 Wave-piercing 176 Transatlantik 10 weft 217 Trimm 157 Wellenformtheorie 143 true wind 17 Wellenschlag Tsunami (Erdbebenwelle) – Rumpfbelastung 211 – brechen 121 Wellenvektor 114 – Geschwindigkeit 121 Wellenwiderstand 126 turbulent 52 Weltrekord für Landsegler 9 turbulentes Totwasser 55, 65 Weltrekord im Eissegeln 9 Turbulenzerzeuger 133 Wende – Analyse 171 U Wenden mit den Böen 163 über Stag gehen 170 wetted surface 133 überachterlich 183 Widerstand 17 „United States“ (Dampfer) 11 Widerstandsanteile 129 upwash 70 Widerstandsmoment 205 Windänderung durch Stampfen 178 V Winddreieck 19, 155 „Valiant“ 180 Windfäden 77 variables Windfeld 162 Winglet 95–96 velocity made good (VMG) 11, 158 Wirbel velocity prediction program (VPP) 157 – Geschwindigkeitsfeld 42 Verbundwerkstoff 212 Wirbelfläche 70 Verdränger 127 Wirbelkern 42 Versetzungen 158 Wirbelröhren 42 Vertikale Tauchschwingungen 173 Wirbelvektor (Wirbelstärke) 40 vertikaler Windgradient 102 Verwindung (twist) 102 Y Viertel-Punkt-Linie 106 yaw 21 virtuelle Umlenkungsfläche 96, 245 „YD-40“ 29, 203, 208–209 VMG 11, 158 – Leegeschwindigkeit 161 Z – Luvgeschwindigkeit 159 Zähigkeit Vollschiff 4 – dynamisch 48 Volumetrischer Koeffizient 139 – kinematisch 49 vor dem Wind kreuzen 159 Zielgeschwindigkeit 158

264 Stichwortverzeichnis Reemers Publishing Services GmbH O:/Wiley/Pueschl_Physik/3d/Index.3d from 13.04.2012 15:48:08 3B2 9.1.580; Page size: 138.00mm x 214.00mm

Zirkulation 40 Zulässige Rauhigkeitshöhe 59 Zopfwirbel 89 Zusätzlicher Widerstand durch Schwin- gungen 179 Zylinderkoeffizient 142

Stichwortverzeichnis 265