Plenarprotokoll 18/174

Deutscher

Stenografischer Bericht

174. Sitzung

Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Inhalt:

Zusatztagesordnungspunkt 4: (CDU/CSU) ...... 17201 B Erste Beratung des von den Fraktionen der Inge Höger (DIE LINKE)...... 17202 B CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Integrationsgesetzes Michael Roth, Staatsminister AA...... 17203 D Drucksache 18/8615...... 17185 A Michael Brand (CDU/CSU)...... 17205 A Dr .Thomas de Maizière, Bundesminister (SPD)...... 17206 D BMI...... 17185 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU)...... 17208 A Sevim Dağdelen (DIE LINKE)...... 17187 B Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) ...... 17209 B , Bundesministerin BMAS . . . . 17189 A Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 17190 D Tagesordnungspunkt 28: (SPD) ...... 17191 D Vereinbarte Debatte: Weiterentwicklung der Exzellenzinitiative und Förderung des wis- (Köln) (BÜNDNIS 90/ senschaftlichen Nachwuchses DIE GRÜNEN)...... 17192 C Dr . Johanna Wanka, Bundesministerin Karl Schiewerling (CDU/CSU) ...... 17193 C BMBF...... 17210 A (SPD) ...... 17195 C (DIE LINKE)...... 17212 A (Altötting) (CDU/CSU). . . . . 17196 B (CDU/CSU)...... 17214 A (SPD)...... 17197 D Dr. (SPD) ...... 17214 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 17198 A DIE GRÜNEN)...... 17216 D (CDU/CSU)...... 17218 C

Tagesordnungspunkt 27: Dr. Simone Raatz (SPD)...... 17220 A Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Omid Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU). . . . . 17221 C Nouripour, , weiterer Abge- (SPD) ...... 17222 C ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eine Menschheit, gemeinsame (CDU/CSU)...... 17223 D Verantwortung – Für eine flexible, wirksa- me und zuverlässige humanitäre Hilfe Drucksache 18/8619...... 17199 C Tagesordnungspunkt 29: Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ Erste Beratung des von der Bundesregierung DIE GRÜNEN)...... 17199 C eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Maßnahmen zur Förderung des deutschen dem Antrag der Abgeordneten Roland Films (Filmförderungsgesetz – FFG) Claus, Dr. , Matthias W. Drucksachen 18/8592, 18/8627 ...... 17225 A Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ungerechtigkeiten Monika Grütters, Staatsministerin BK. . . . . 17225 A bei Mütterrente in Ostdeutschland und (Havelland) (DIE LINKE). . . . 17226 C beim Übergangszuschlag beheben Drucksachen 18/4972, 18/6706...... 17232 B (SPD)...... 17227 D (DIE LINKE) ...... 17232 C Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 17229 D (CDU/CSU)...... 17233 C (CDU/CSU)...... 17231 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 17235 B Daniela Kolbe (SPD) ...... 17236 B Tagesordnungspunkt 30: Matthias W. Birkwald (DIE LINKE). . . . . 17236 D a) Antrag der Abgeordneten , Matthias W. Birkwald, , weite- Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU). . . . 17238 B rer Abgeordneter und der Fraktion DIE Katja Kipping (DIE LINKE) ...... 17239 D LINKE: Keine Altersarmut von Ost-­ Krankenschwestern – Gerechte Renten Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU). . . . 17239 D für Beschäftigte im DDR-Gesundheits- Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD)...... 17240 B und Sozialwesen schaffen Drucksache 18/8612...... 17232 A Nächste Sitzung ...... 17241 C b) Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Matthias W. Birkwald, Caren Lay, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE Anlage 1 LINKE: Keine Kumpel zweiter Klasse – Rentenansprüche der Bergleute aus der Liste der entschuldigten Abgeordneten. . . . . 17243 A DDR-Braunkohleveredlung wahren Drucksache 18/7903...... 17232 B Anlage 2 c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu Amtliche Mitteilungen...... 17243 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17185

(A) (C)

174. Sitzung

Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. : Erstens. Unter ihnen sind viele Menschen, die ihre Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Chancen genutzt haben. Sie haben eine Ausbildung ge- macht oder ein Handwerk gelernt. Sie studieren oder Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich haben studiert . Sie haben Betriebe gegründet . Sie geben begrüße Sie alle zu unserer Plenarsitzung. Menschen Arbeit und bringen unser Land voran. Viele Wir beginnen heute Morgen mit dem Zusatzpunkt 4: Eltern, die als junge Menschen ihre Heimat verließen, erziehen ihre Kinder gut und ermöglichen ihnen eine Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ Ausbildung, oft eine bessere, als sie selbst genossen ha- CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines In- ben. Alle diese Menschen sind Teil unseres Landes. Die- tegrationsgesetzes se Menschen bereichern unser Land, und das sollten wir Drucksache 18/8615 auch immer klar aussprechen. Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- (B) Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) wie bei Abgeordneten der LINKEN) (D) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­ Zweitens. Es gibt aber auch eine andere Realität: abschätzung An einigen Stellen in Deutschland leben Menschen mit Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO ausländischen Wurzeln, die sich kaum oder gar nicht in Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für unser Land einbringen. Sie leben ein Leben unter sich, die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Dagegen gibt fast ohne Kontakte zu Deutschen und ohne Einbindun- es offenkundig keine Einwände. Also können wir so ver- gen in unsere Gesellschaft. Sie sprechen kaum Deutsch fahren . oder wollen es nicht und haben auch keinen ordentlichen Arbeitsplatz. Manche junge Männer unter ihnen begehen Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- auffällig häufig Straftaten. Viele grenzen sich ab, manche nächst für die Bundesregierung dem Innenminister Tho- über die Religion, andere über abwegige Vorstellungen mas de Maizière . von Ehre oder über beides. Die Lehrer in den Schulen der entsprechenden Gegenden schaffen es oft nicht, die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- fehlenden Deutschkenntnisse der Kinder aufzufangen, ordneten der SPD) von Wertevermittlung und Bildungsperspektive ganz zu schweigen . Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In- nern: Solche Einsichten über beide Realitäten in unserem Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Un- Land tun weh, auch weil Teile dieser Entwicklung mit ser Land steht beim Thema Integration vor einer gewal- Fehlern unserer eigenen Vergangenheit zu tun haben: tigen Aufgabe. Die Bewältigung dieser Aufgabe ist nicht verträumte Blicke auf schwierige Integrationsaufgaben, getan mit schönen Worten, sondern beginnt mit Einsich- Ghettobildungen in Städten und Gemeinden, zu viele ten über gelungene und misslungene Integration und mit lose Wünsche und zu wenige klare Erwartungen. Tun Entscheidungen über den Weg, den wir als Gesellschaft wir gemeinsam alles dafür, dass sich solche Fehler nicht gehen wollen. wiederholen. In Deutschland leben über 16 Millionen Menschen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- die selbst oder ihre Eltern oder ihre Großeltern Wurzeln ordneten der SPD) im Ausland haben. Zur Wahrheit gehört, wenn es um ge- lingende Integration geht, zwei Realitäten zu beschrei- Heute geht es nicht um die Zuwanderer der vergange- ben . nen Jahrzehnte . Es geht übrigens auch nicht um Einwan- 17186 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière (A) derer . Insofern geht die Debatte um ein Einwanderungs- rer Gesellschaft. Das machen wir unbestritten auch sonst (C) gesetz – jedenfalls heute – am Thema vorbei. überall.

( [SPD]: Wir kommen Wir wollen nicht, dass sich anerkannte Flüchtlinge darauf zurück! – Gegenruf des Abg. Volker ausschließlich dort niederlassen, wo ihre Sprache, ihre Kauder [CDU/CSU]: Ja, in der nächsten Le- Herkunft oder ihre Religion vorherrscht. Das schadet gislaturperiode!) eher der Integration, als dass es ihr nützt. Denn heute geht es um die Integration von Menschen, die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind, die hier Schutz (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Warum suchen und bleiben dürfen. Welchen Weg wollen wir als denn?) Gesellschaft gehen? Was erwarten wir von diesen Men- Jeder muss seine Chance zum Aufstieg und zur Integra- schen? tion dort suchen, wo sie sich bietet, nicht dort, wo er die Unsere Bevölkerung hat den Willen, diejenigen, die meisten Leute kennt. Mit dem Gesetz können – können, Schutz brauchen und eine Bleibeperspektive haben, hier nicht müssen – die Länder anerkannten Flüchtlingen ei- zu integrieren. Diesen Willen wollen wir bewahren. Da- nen Wohnort zuweisen oder ihnen den Zuzug in einen für brauchen wir Integrationsmaßnahmen. Dafür brau- bestimmten Ort verwehren, solange sie keine feste Arbeit chen wir aber auch ihr Vertrauen, dass der Rechtsstaat haben. Wenn sie eine feste Arbeit haben, dann können sie das bestehende Recht auch durchsetzt . selbstverständlich dorthin gehen, wo ihr Arbeitsplatz ist. Aber wir wollen keine Ghettos für Menschen, die von (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Sozialleistungen abhängig sind, weil diese Integration ordneten der SPD) nicht oder jedenfalls nicht so leicht möglich machen. Das bedeutet Aufnahme und Integration der Menschen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- mit Bleibeperspektive einerseits, konsequente Ausreise, ordneten der SPD) notfalls Abschiebung der Menschen ohne Bleiberecht andererseits . Wir ändern außerdem die Voraussetzungen für ein un- Ich lege heute zusammen mit meiner Kollegin Andrea befristetes Aufenthaltsrecht in Deutschland. Wer als an- Nahles das erste Integrationsgesetz für Deutschland vor. erkannter Flüchtling ein solches Recht haben will, muss Das ist eine entscheidende Zäsur für unser Land. Frau Sprachkenntnisse vorweisen und seinen Lebensunterhalt Nahles und ich haben eine gemeinsame Federführung. überwiegend sichern können, wie übrigens alle anderen Das ist kein Kompromiss, sondern sachgerecht. Aufent- Ausländer auch, die hier dauerhaft leben wollen. (B) haltsrecht, Unterbringung, Sprache, Werte und Arbeit, (D) das sind die Maßstäbe für gelingende Integration, und Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und das geht nur gemeinsam . Kollegen, all das hat auch zu Kritik geführt. Warum auch nicht? Einige behaupten, das Gesetz sei vom Geist (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) des Misstrauens geprägt, Integration gelinge nicht un- ter Druck. Richtig ist aber etwas anderes: Hinter diesen Mit diesem Gesetzentwurf machen wir den Menschen Maßnahmen steht ein Prinzip, das in unzähligen Berei- mit Bleibeperspektive ein Angebot: Wir ermöglichen ih- chen unseres Alltages selbstverständlich ist. Wir haben nen Ausbildung, Spracherwerb und Einbindung in das in Deutschland zum Beispiel die allgemeine Schulpflicht, wirtschaftliche, kulturelle und rechtliche Gefüge unseres auch mit Sanktionen bei Verstößen. Niemand würde auf Landes. Dafür erwarten wir Einsatzbereitschaft, Interes- die Idee kommen, dieses System an Schulen führe zu ei- se am Leben in Deutschland und Respekt für die gewach- nem Geist des Misstrauens und nehme den Schülern die senen Grundlagen unseres Miteinanders. Wer dazu bereit Freude am Lernen. Wir haben die Pflicht zur elterlichen ist, hat hier alle Chancen. Wer dazu nicht bereit ist, dem Sorge in Deutschland. Niemand würde auf die Idee kom- wird es in Deutschland nicht gut gehen. men, das führe zu der Unterstellung, es gäbe überwie- (Beifall bei der CDU/CSU) gend schlechte Väter oder schlechte Mütter in Deutsch- land. „Fördern und Fordern“ ist das richtige Prinzip in Wir wollen, dass die, die hierbleiben, Neubürger un- nahezu allen Bereichen unserer Gesellschaft. Auch für seres Landes werden, also Menschen, die sich für unser die Integration ist es deswegen ein richtiges Prinzip . Recht, unsere Sprache und unsere Kultur öffnen – auch wenn sie nicht oder noch nicht deutsche Staatsbürger (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- werden sollen. Mit dem Integrationsgesetz machen wir ordneten der SPD) die Erbringung von Integrationsleistungen für alle Men- schen mit Bleibeperspektive sozusagen zu einer Neu- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum bürgerpflicht. Wir verpflichten mehr als bisher zur Teil- Schluss noch ein Wort zur Atmosphäre in unserer Gesell- nahme an Integrationskursen, bieten gleichzeitig mehr schaft sagen, die die Integration begleitet oder begleiten Plätze an. Wir erhöhen die Stundenzahl. Wir vertiefen sollte. Wir brauchen ein Klima der gegenseitigen Auf- die Wertevermittlung. Wir erhöhen die Vergütung für geschlossenheit und anständiger Beziehungen zwischen Integrationslehrkräfte, und wir sagen auch: Integration den Menschen, die hier leben. Wenn wir uns unserer braucht Regeln, braucht Vorgaben. Das geht nicht von Stärken bewusst sind, wenn wir an die Kraft der Freiheit selbst. Den Rechten stehen Pflichten gegenüber. Das ist glauben, dann brauchen wir keine Angst vor Überfrem- nicht hart, sondern das ist fair und ganz normal in unse- dung unserer Gesellschaft zu haben. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17187

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière (A) Wir müssen uns zusammen gegen jene stellen, die in diesem Gesetzentwurf sehen beispielsweise vor, hier (C) offene oder verdeckte Fremdenfeindlichkeit als soziale einen neuen Billiglohnsektor zu schaffen. Politik etablieren wollen. (Daniela Kolbe [SPD]: Lächerlich!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Unter dem Deckmantel der Menschenfreundlichkeit will Populisten haben unser Land noch nie auch nur einen SPD-Arbeitsministerin Nahles hier ein neues Werkzeug Zentimeter weitergebracht. Sie sind das Gegenteil von zum Lohndumping etablieren. der Kultur, auf der unsere politische und menschliche (Thomas Oppermann [SPD]: Wo leben Sie Orientierung beruhen sollte. Die Integration der Men- eigentlich?) schen, die bleiben dürfen, liegt in unserem eigenen, ich sage: in unserem nationalen Interesse. Allein für 100 000 Flüchtlinge soll Arbeit zu Stundenlöh­ nen von 80 Cent geschaffen werden. Denn gegenüber Am Rande zu stehen und Noten zu vergeben reicht den ohnehin schon miesen 1-Euro-Jobs wird der Lohn nicht aus. Bei dieser gewaltigen Aufgabe müssen alle bei den Flüchtlingen noch um 20 Prozent gekürzt. Die mitmachen . Das tun wir nicht nur für die Menschen mit Begründung ist, Flüchtlingen entstünden ja keine Mehr- Bleibeperspektive; das tun wir auch für uns, das tun wir aufwendungen für Arbeitskleidung oder Fahrtkosten, für Deutschland. wenn sie in Sammelunterkünften tätig würden. Ich finde, (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – das ist unerträglich, Frau Ministerin. Beifall bei der SPD) (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) Präsident Dr. Norbert Lammert: So geht die Lohnspirale nämlich nach unten, und Flücht- Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, möchte ich linge werden in Konkurrenz zu Einheimischen gesetzt. auf der Besuchertribüne über 300 Stipendiatinnen und (Thomas Oppermann [SPD]: Maßlos über- Stipendiaten aus unserem Parlamentarischen Paten- trieben!) schafts-Programm begrüßen, die in diesen Tagen ihren Berlin-Besuch absolvieren. Herzlich willkommen im Hier wird nicht integriert, sondern gespalten, meine Wohn- und Arbeitszimmer des deutschen Parlamentaris- Damen und Herren . Hier werden keine Menschen in- mus . tegriert, sondern es wird direkt darauf gezielt, Armuts- löhner im Niedriglohnbereich auch noch gegeneinander (Beifall) auszuspielen. (B) Ich nutze die Gelegenheit gerne, um mich bei all den (Kerstin Griese [SPD]: Völliger Quatsch!) (D) Kolleginnen und Kollegen zu bedanken, die zum Teil seit vielen Jahren als Patinnen und Paten die jungen Stipen- Das, meine Damen und Herren von der Union und von diatinnen und Stipendiaten betreuen . Dies ist eines der der SPD, kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein. Das, ehrgeizigsten, sicher aber auch eines der wirkungsvolls- was Sie da bauen, ist ein regelrechter Rassismusmotor. ten Programme, die der Deutsche Bundestag jemals auf- (Widerspruch bei der CDU/CSU und der gelegt hat. SPD) (Beifall) – Wir brauchen in diesem Land eine soziale Offensive für alle und keine Spaltung gerade im Niedriglohnbereich, Nun hat die Kollegin Dağdelen für die Fraktion Die die diejenigen betrifft, welche sowieso zu wenig verdie- Linke das Wort. nen, meine Damen und Herren . (Beifall bei der LINKEN) (Thomas Oppermann [SPD]: Sie haben doch eine Meise! – [CDU/CSU]: Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Damit beleidigen Sie den Vogel! Bei der lässt Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und sich noch nicht einmal eine Meise nieder!) Kollegen! Herr Minister de Maizière! Frau Ministerin Sie fördern nicht die Solidarität der Beschäftigten, son- Nahles! „Integration“ steht zwar auf Ihrem Gesetzent- dern Sie etablieren eine Schmutzkonkurrenz auf dem Ar- wurf, aber in Ihrem Gesetzentwurf ist genau das Ge- beitsmarkt . Das hat nichts mehr mit Integration zu tun . genteil enthalten. Deshalb haben zu Recht beide großen Kirchen, das Deutsche Institut für Menschenrechte, viele (Volker Kauder [CDU/CSU]: So etwas ist verschiedene Flüchtlingsverbände, Organisationen und unerträglich! Unerträglich!) Initiativen Ihren Gesetzentwurf in der Luft zerrissen, Genau das hat auch der Deutsche Gewerkschaftsbund in weil es der Entwurf eines Integrationsverhinderungsge- seiner Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf gesagt, setzes ist . meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie. (Beifall bei der LINKEN) Er hat den Gesetzentwurf in der Luft zerrissen – insbe- sondere die Regelungen zur Einführung von Arbeitsge- Integration soll ausgeschlossene soziale Gruppen in legenheiten, die vor allem von privatwirtschaftlich täti- die Gesellschaft hereinholen, doch hier geschieht genau gen Trägern von Erstaufnahmeeinrichtungen und auch das Gegenteil: Ausgeschlossene Gruppen sollen gegenei- Gemeinschaftsunterkünften genutzt werden können. Die nander ausgespielt werden. Denn zahlreiche Maßnahmen Möglichkeiten des Einsetzens von Asylbewerbern in der 17188 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Sevim Dağdelen (A) Leiharbeit wurden vom DGB massiv kritisiert. Ich finde, Ein weiterer Punkt wurde von Herrn Minister de (C) diese Kritik des DGB ist mehr als berechtigt, meine Da- Maizière kurz angesprochen. Pro Asyl, Herr Minister de men und Herren . Maizière, hat gesagt, dass Ihr Gesetzentwurf rechte Stim- mung in Deutschland bedient, indem suggeriert wird, (Beifall bei der LINKEN – Thomas dass sich Flüchtlinge nicht integrieren wollen. Genau das Oppermann [SPD]: Lauer Beifall bei der Lin- ist seit Jahren auch die Beobachtung der Linksfraktion kenfraktion!) hier. Seit längerem schon agitieren Sie in der Öffentlich- Das müsste Ihnen doch wirklich zu denken geben. Die keit bezüglich vermeintlicher Integrationsverweigerer. Linke fordert jedenfalls, dass dieses Lohndumpingpro- Auf beständiges Nachfragen meiner Fraktion aber haben jekt sofort eingestellt wird. Wir brauchen das Prinzip Sie selbst gesagt, dass Ihnen keine Daten beispielsweise „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“, mei- darüber vorliegen, wer aus welchem Grund Integrations- ne Damen und Herren . kurse verweigert und um wie viele Menschen es sich da- bei handelt. Sie können nicht sagen, ob die Menschen (Beifall bei der LINKEN) vielleicht eine Arbeit gefunden haben, krank geworden Wir brauchen auch – das gilt eben auch für Flüchtlinge oder umgezogen sind oder ob eine Frau ein Kind bekom- und alle anderen, die sich im Niedriglohnbereich befin- men hat . Sie wissen es nicht, und trotzdem propagieren den – einen flächendeckenden Mindestlohn in Höhe von Sie hier ständig, dass sich Flüchtlinge weigern würden, 12 Euro . die Kurse zu besuchen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nur? – Michael Dabei hat der ehemalige Chef des Bundesamtes für Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das wird wö- Migration und Flüchtlinge, Herr Schmidt, gesagt, dass chentlich mehr!) Ihnen Daten vorliegen, die besagen, dass nur 1 Prozent Denn nur dann stellen wir sicher, dass es nicht wieder der Flüchtlinge die Kurse nicht besucht. Wegen 1 Prozent einen Armutslohn gibt, der dann auch noch von der Ge- machen Sie seit Jahren eine Stimmung gegen Flüchtlinge sellschaft – ob im Arbeitsleben oder bei der Rente – sub- und sagen, diese würden sich den Kursen und anderen ventioniert wird . Angeboten verweigern. Dabei sieht die Realität doch ganz anders aus . Eine weitere Maßnahme dieses Gesetzes setzt ebenso auf Desintegration, meine Damen und Herren . Mit der Die Wahrheit ist: Seit zehn Jahren gibt es diese Inte- Forderung nach einer Wohnsitzauflage wird eine Integra- grationskurse, und seit zehn Jahren werden es immer tion nämlich regelrecht hintertrieben. Denn was bedeu- weniger Kurse, dabei steigen der Bedarf und die Nach- tet eigentlich eine Wohnsitzauflage? Sie bedeutet, dass frage aufgrund der Flüchtlinge. Ich finde es schändlich, (B) Flüchtlinge in Regionen angesiedelt werden sollen, wel- dass Sie immer noch Stimmung gegen vermeintliche In- (D) che von den Menschen dort mangels Perspektive bzw. tegrationsverweigerer machen. Schaffen Sie endlich die Arbeitsmöglichkeiten reihenweise verlassen werden. So Kurse! Schaffen Sie so viele, wie verlangt werden! Dann etwas kann doch wirklich nicht funktionieren. Durch sol- sprechen wir über die Kurse. che absurden Forderungen verhindern Sie doch die För- (Beifall bei der LINKEN) derung dieser Menschen . (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Haben Lassen Sie mich zum Schluss noch kurz einen weite- Sie mal mit den Kommunen gesprochen?) ren Punkt ansprechen. Laut Deutschem Institut für Men- schenrechte ist der vorliegende Gesetzentwurf weder mit Dies bedeutet auch, dass Menschen private Netzwerke dem Recht auf Asyl gemäß Artikel 16a des Grundgeset- dort nicht benutzen können, wo sie Familie, Verwandte zes noch mit flüchtlings- und menschenrechtlichen Vor- und Freunde haben, was für die Arbeitsuche und die För- gängen in Einklang zu bringen; denn Sie wollen versteckt derung von Arbeitsmöglichkeiten wichtig ist. Das behin- § 29 des Asylgesetzes ändern. Demnach sind Asylantrag- dern Sie eben mit dieser Wohnsitzauflage. Sie handeln steller künftig abzuschieben, und zwar ohne inhaltliche hier ganz nach dem zaristischen Entwicklungsmodell für Prüfung vor Ort, wenn ein Drittstaat sich bereit erklärt, Sibirien, meine Damen und Herren . diese Flüchtlinge aufzunehmen. Das ist der größte An- (Lachen bei der CDU/CSU und der SPD – griff auf das Grundrecht auf Asyl seit 1992. Das Grund- Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist gesetz garantiert die ergebnisoffene Einzelfallprüfung. doch lächerlich!) Mit Ihrem Gesetz können noch mehr Flüchtlinge ohne inhaltliche Prüfung in andere Staaten abgeschoben wer- Das hat nichts mehr mit Entwicklung und Arbeitsmarkt- den, in denen ihr Schutz vor Abschiebung in den Verfol- förderung zu tun. Ich finde, Integration heißt doch nicht, gerstaat und ihr Zugang zu einem fairen Asylverfahren Menschen lediglich in leerstehende Wohnblöcke zu pfer- eben nicht mehr garantiert sind . chen. Was glauben Sie denn, was los ist? Sie und ich wür- den ja auch nicht irgendwohin ziehen, wo es vielleicht

Wohnungen, aber keine Arbeitsmöglichkeiten bzw. Per- Präsident Dr. Norbert Lammert: spektiven für unsere Familien gibt. Deshalb sagen wir: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Wir sind – wie auch viele Verbände – gegen eine Wohn- sitzauflage, die ganz nebenbei auch gegen ein Dutzend Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Menschenrechtskonventionen verstößt. Das ist wirklich schäbig. Das ist ein Angriff auf unser (Beifall bei der LINKEN) Grundgesetz. Deshalb werden wir sowie die Verbände, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17189

Sevim Dağdelen (A) die das massiv kritisiert haben, gegen diesen Gesetzent- ich für einen fairen Deal. Ich kann nicht nachvollziehen, (C) wurf Widerstand leisten. dass sich an dieser Stelle so viel Kritik entzündet hat. Wie sollten wir es denn anders machen als genau auf die- (Zuruf der Abg. [SPD]) se Weise? Hören Sie mit dem Unfug auf. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ge- nau! Hören Sie mit dem Unfug auf!) Die Menschen, die zu uns gekommen sind, haben Hoffnungen, Fähigkeiten, Potenzial, Kreativität und Ehr- geiz. Und dass sie zu uns kommen, das war weiß Gott Präsident Dr. Norbert Lammert: nicht so geplant, es war überhaupt nicht geplant. Aber Frau Kollegin! wir können doch jetzt feststellen: Es ist auch eine Rie- senchance. Und es ist keine Alternative für Deutschland, Sevim Dağdelen (DIE LINKE): diese Menschen auszugrenzen, zu diffamieren, anzu- Machen Sie das Grundgesetz nicht noch einmal zum greifen und zu verletzen. Es ist auch keine Alternative Steinbruch . für Deutschland, dass wir an dieser Stelle Vorurteile und Ängste schüren . Die einzige Sache, die wir machen müs- Vielen Dank. sen, ist Integration, Integration, Integration . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Situation ist sehr gut; denn 70 Prozent derjenigen, Das Wort erhält nun die Bundesministerin für Arbeit die zu uns gekommen sind, sind unter 30 Jahren. Das und Soziales, Andrea Nahles. heißt für mich, dass sie von Leistungsempfängern, die sie vielleicht eine Weile sein werden, ohne Weiteres mit der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Hilfe, die wir ihnen hiermit geben, zu Leistungsträgern unserer Gesellschaft werden können, wenn die Integra- Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So- tion gelingt. Das ist eine gute Nachricht für unser Land. ziales: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten „Bitte Arbeit!“ – ich habe in den letzten Monaten auch der CDU/CSU) persönlich erleben dürfen, mit wie viel Energie, mit wie Wir beginnen mit diesem Integrationsgesetz nicht bei (B) viel Willen die Menschen, die zu uns gekommen sind, null. Wir haben eine ganze Reihe gesetzlicher Verände- (D) versuchen, sich eine neue Zukunft aufzubauen, und das rungen schnell auf den Weg gebracht, um auf die neue nach einschneidenden Erlebnissen, nach Erfahrung von Situation zu reagieren. Als Beispiel nenne ich, dass wir Gewalt, Krieg, langer Flucht und Verlust. dafür gesorgt haben, dass schon nach drei Monaten, also „Bitte Arbeit!“ – das sind oft die ersten deutschen sehr schnell, ein Zugang zum Arbeitsmarkt besteht. Der Worte, die viele lernen und auch lernen wollen, weil sie Entwurf des Integrationsgesetzes, den Herr de Maizière gar nicht abhängig sein wollen, weil sie es hassen, nicht und ich heute hier vorlegen, geht aber einen Schritt wei- arbeiten zu können, weil ihnen vielleicht noch Vorausset- ter . Er nimmt den ganzen Prozess der Integration in den zungen wie Sprache oder zum Beispiel der Status fehlen, Blick, hat eine längere Perspektive – nicht Sprint, son- die sie brauchen, um arbeiten zu können. Vielleicht sind dern Langstrecke –, und die werden wir auch brauchen. die ersten Worte auch deswegen „Bitte Arbeit!“, weil sie wissen, weil auch wir wissen: Der beste Weg zu Integra- Wir stecken Wegmarken für die Flüchtlinge. Das be- tion ist der Weg in Arbeit . ginnt in der Erstaufnahmeeinrichtung, wo wir für die Menschen, die bisher keinen Zugang zum Arbeitsmarkt Der heute hier vorliegende Entwurf eines Integrati- haben – sie sind ausgeschlossen von jeder sinnvollen Be- onsgesetzes ist so wichtig, weil wir damit die klare Bot- tätigung, solange sie nicht den entsprechenden Status ha- schaft aussenden: Wir wollen es gemeinsam mit diesen ben und im SGB-II-Bezug sind –, Arbeitsgelegenheiten Menschen schaffen, dass sie den Weg in den deutschen schaffen . Ich darf Ihnen versichern, dass es bei diesen Arbeitsmarkt erfolgreich gehen können, liebe Kollegin- Menschen hochwillkommen ist, dass sie sich endlich ein- nen und Kollegen. bringen können in diese Gesellschaft. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kollege de Maizière hat es sehr deutlich gesagt: Das der CDU/CSU) ist keine Kleinigkeit, das geht auch nicht mal eben so nebenher. Das wird eine große Anstrengung werden: für Vielerorts helfen die Flüchtlinge in den Unterkünf- die, die zu uns kommen, genauso wie für uns, weil wir ten, in der Küche oder der Wäscherei. Aber wir wollen, die Bringschuld haben, Angebote zu machen. dass sie auch rauskommen, dass sie erste Kontakte mit der Arbeitswelt machen können. In Tübingen beispiels- Umgekehrt stehe ich voll hinter dem Gesetz, wenn es weise helfen sie in der Stadtbücherei oder kümmern sich um die Mitwirkungspflichten geht, die es geben muss. bei der Feuerwehr um die Autos – das hilft im Übrigen Angebote machen, Chancen geben, das heißt auf der an- auch den Kommunen –, und nachmittags geht es dann deren Seite auch: Mitwirken. Ehrlich gesagt: Das halte zum Deutschkurs. So kann man lernen und ankommen in 17190 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Bundesministerin Andrea Nahles (A) dieser Gesellschaft. Deshalb ist das, was wir hier heute Wir haben diese Situation nicht nur am Anfang er- (C) auf den Weg bringen, eine wichtige und gute Maßnahme. lebt, als so viele kamen, sondern es wird sich weiter mit großer Anstrengung und großer Offenherzigkeit geküm- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mert und bemüht, und vor diesem Hintergrund bin ich der CDU/CSU) zuversichtlich, dass wir mit diesem Gesetz die Grundlage Ich stehe im Übrigen zur Wohnsitzauflage. Auch als legen für passende Integration. Dass wir darüber hinaus Arbeitsministerin stehe ich zur Wohnsitzauflage, um das mehr brauchen, ein Einwanderungsgesetz, steht auf ei- einmal ganz klar zu sagen; denn Ghettobildungen kann nem anderen Blatt. Das ist auch wichtig, darüber debat- nun wirklich niemand wollen. Aber es gibt Tendenzen tieren wir ein anderes Mal. in diese Richtung . Man braucht eine Wohnung, aber Heute haben wir das Integrationsgesetz auf dem Tisch . man braucht auch einen Arbeitsplatz, und das ist nicht Und in diesem Sinne: Wir wollen es anpacken. Bitte, bit- dasselbe. Deswegen brauchen wir diese Regulierungen. te schauen Sie einfach auch mal in das Gesetz rein. Deswegen stehe ich in vollem Umfang dazu. Wir haben einen guten Kompromiss gefunden, der beide Aspek- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten te gleichrangig berücksichtigt. Warum nicht? Ich kann der CDU/CSU) Ihnen aus der Erfahrung der BA berichten: Im Sieger- Dann wird man nämlich feststellen, dass vieles, was es land bieten wir Kurse mit 70 Plätzen an, aber über Nacht in der Öffentlichkeit, mit Verlaub, an Diskussionen dazu ziehen die Teilnehmer nach Gelsenkirchen, weil sie da gegeben hat, haarscharf daneben geht . jemanden kennen. Dazu kann ich als Arbeitsministerin nur sagen: Schlechte Entscheidung! Deswegen machen Vielen Dank. wir die Wohnsitzauflage und passgenaue Angebote, um (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten den Menschen eine Perspektive zu geben . Wer eine so- der CDU/CSU) zialversicherungspflichtige Beschäftigung hat, der kann selbstverständlich umziehen. Wer woanders einen Aus- bildungsplatz hat, kann umziehen. Wir kasernieren die Präsident Dr. Norbert Lammert: Leute doch nicht, sondern wir wollen ihnen helfen, Ar- Die Empfehlung, in Gesetzestexte reinzugucken, die beit zu finden und nicht nur eine Wohnung, was am Ende zur Beratung und Verabschiedung anstehen, empfiehlt des Tages eben nicht reicht . sich eigentlich fast immer, dieses Mal aber ganz beson- ders . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Heiterkeit – [SPD]: Lei- Wir machen hier einen wirklich substanziellen Fort- der folgt dem nicht jeder! – Michael Grosse- (B) schritt in Sachen Ausbildung. Es gab bisher eine Rege- Brömer [CDU/CSU]: Weiß das auch Frau (D) lung, nach der man als Flüchtling bzw. Geduldeter nach Dağdelen?) dem 21. Lebensjahr nicht in eine Ausbildung gehen durf- Nächste Rednerin ist die Kollegin Brigitte Pothmer te. Das ist eine mir nicht ganz verständliche Regel; die für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. gab es aber. Diese Regel haben wir jetzt abgeschafft. Wir schaffen Planungssicherheit für die Betriebe und für die Betroffenen, indem wir ihnen eine Duldung geben für Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die ganze Zeit der Ausbildung. Danach können sie ein Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr de halbes Jahr suchen, und dann bekommen sie für zwei Maizière, Frau Nahles, ja, Sie haben recht: Die Integra- Jahre einen Aufenthaltstitel. Kurzum: Sie können sich tion Hunderttausender Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt hier auf eine Ausbildung einlassen; sie und die Betriebe ist trotz guter Voraussetzungen eine riesige Herausforde- haben Rechtssicherheit. Das ist der goldene Weg: Diese rung, die Jahre in Anspruch nehmen wird . Aber wenn das 70 Prozent derjenigen, die zu uns gekommen sind, die gelingen soll, dann müssen wir wirklich konsequent auf unter 30-Jährigen, sind in Ausbildung zu bringen. Hey, Integration setzen, die Leute können wir in diesem Land gut gebrauchen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und genau das tut dieses Gesetz nicht. Ich will es ein- Ich habe gestern mit Frau Wanka das Spitzentreffen mal mit den Worten meines Ministerpräsidenten Stephan der Partner der Allianz für Aus- und Weiterbildung ge- Weil aus Niedersachsen – in Klammern: SPD – sagen – leitet. Es gibt 41 000 offene Ausbildungsplätze. Viele ich zitiere –: Mit diesem Gesetz wird die Integration in Handwerker suchen Auszubildende. – Wunderbar, es gibt den Arbeitsmarkt Stückwerk bleiben. Chancen in unserem Land. Lassen Sie uns diese Chancen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – zusammen ergreifen . Thomas Oppermann [SPD]: Das hat er schon (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) korrigiert!) Ich fürchte, dass mein Ministerpräsident wieder mehr Ich denke, wir haben eine große Aufgabe vor uns, recht hat, als uns allen lieb sein kann. aber wir haben auch viele motivierte Leute, sowohl bei der Bundesagentur für Arbeit als auch bei den einzelnen Ja, es gibt positive Elemente in diesem Gesetz. Frau Anbietern, bei den Volkshochschulen, bei vielen anderen Nahles, Sie haben es gesagt, dass Flüchtlinge jetzt eine Trägern, die sich wirklich kümmern, und bei den Wohl- Duldung erhalten, die in Ausbildung sind. Das ist ein fahrtsverbänden. Fortschritt, aber, Frau Nahles, Sie wissen auch: Eine Dul- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17191

Brigitte Pothmer (A) dung ist keine sichere Bleibeperspektive, sondern sie ist Sie wissen genau, dass 1-Euro-Jobs qua Definition -ar (C) lediglich die Aussetzung einer Abschiebung, beitsmarktfern sind . Wie Sie damit die Integration in Ar- beit gestalten wollen, müssen Sie uns allen mal erklären. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abbruch einer Ausbildung findet sofort diese Ab- sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Katja schiebung statt. Dazu muss man allerdings wissen, dass Mast [SPD]: In die Gesellschaft!) 25 Prozent der deutschen Auszubildenden ihre Ausbil- dung abbrechen und sich während der Ausbildung neu Nein, die Flüchtlinge müssen in die Betriebe. Sie müs- orientieren. Für die Flüchtlinge bedeutet das, dass das sen den betrieblichen Alltag in Deutschland kennenler- Damoklesschwert der Abschiebung weiterhin über ihren nen. Deswegen fordern wir nicht 100 000 1-Euro-Jobs, Köpfen hängt. Frau Nahles, das ist keine gute Entschei- sondern 100 000 Einstiegsqualifizierungen, die übrigens dung . auch ein sehr gutes Konzept dafür sind, Flüchtlinge für eine duale Ausbildung zu interessieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich finde, auch die Aussetzung der Vorrangprüfung ist ein Schritt in die richtige Richtung, und positiv finde ich Wir Grüne wollen Integration. Wir wollen, dass sie im Prinzip ebenfalls, dass die Ausbildungsförderung ge- gelingt. Dafür gibt es in diesem Gesetzentwurf noch ver- öffnet werden soll. Aber, Frau Nahles, sagen Sie mir mal dammt viel Luft nach oben. Je länger Sie auf der Bremse ehrlich: Für Geduldete gilt die Berufsausbildungshilfe stehen, liebe Ministerin, desto höher wird der Preis, und erst nach sechs Jahren? Da ist das Kind doch längst in zwar in jeder Hinsicht, sowohl für die Flüchtlinge als den Brunnen gefallen. auch für uns. Lassen Sie uns diesen Gesetzentwurf in den Beratungen korrigieren . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich danke Ihnen . Diese wenigen Beispiele zeigen, dass dieses Gesetz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht konsequent auf Integration setzt, sondern durchzo- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) gen ist von dem Geist der Ausgrenzung, und damit lässt sich wirklich keine konsistente Integrationspolitik betrei- Präsident Dr. Norbert Lammert: ben . Daniela Kolbe ist die nächste Rednerin für die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SPD-Fraktion . (B) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (D) (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, wenn Herr Gabriel dann vor die Presse tritt und sagt, das Gesetz sende die Bot- Daniela Kolbe (SPD): schaft aus: „Wer sich reinhängt, aus dem wird hier auch was“, dann frage ich: Meint er die Afghanen? Meint er Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und die Somalier? Meint er die Sudanesen? Meint er diese Kollegen! Asyl ist ein humanitäres Grundrecht. Da geht vielen, vielen Menschen, die sich noch so reinhängen es erst einmal darum, ob jemand Schutz braucht oder können und noch nicht mal einen Integrationskurs krie- nicht, und nicht darum, ob er die deutsche Sprache kann gen, von Arbeitsförderung ganz zu schweigen? oder was für eine Ausbildung er oder sie hat. Aber wenn diese vielen Menschen nun schon einmal hier sind und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) überwiegend hier bleiben, dann wären wir doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir es ihnen nicht er- Das ist das Hauptproblem Ihres Gesetzentwurfes: Sie möglichen würden, sich möglichst schnell in diese Ge- bleiben bei der realitätsfernen Einteilung nach vermeint- sellschaft einzubringen und in ihr zurechtzufinden. lich guter oder schlechter Bleibeperspektive und schlie- ßen damit mehr als die Hälfte aller Asylbewerberinnen (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Karl und Asylbewerber aus. Schiewerling [CDU/CSU]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist jedenfalls die Grundposition und Haltung der So- zialdemokraten. Wenn wir hier von Fördern und Fordern sprechen, dann sage ich: Das ist Integrationsverweigerung. Dafür sollte Wir haben jetzt die Chance, aus dieser gigantischen es Sanktionen geben . Herausforderung eine Win-win-Situation zu machen . Das tun wir mit diesem Integrationsgesetz . Ich schaue (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN noch einmal zur Kollegin Dağdelen. Ich erwarte ja von sowie bei Abgeordneten der LINKEN) der Opposition Kritik – das ist auch richtig so; dafür sind Mit dieser Ausgrenzung schaffen Sie genau die Pro- Sie Opposition –, ich erwarte aber genauso, dass Sie sich bleme, die die Rechtspopulisten mit ihren Äußerungen das Gesetz einmal anschauen, durchlesen und sich genau heraufbeschwören. Sie treiben damit die Spaltung in der ansehen, was dort steht . Gesellschaft voran. Liebe Frau Nahles, 100 000 1-Eu- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – ro-Jobs werden dieses Problem nun wirklich nicht lösen. Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das habe ich (Beifall der Abg. [DIE LINKE]) doch am Mittwoch gemacht!) 17192 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Daniela Kolbe (A) In dem Gesetzentwurf schreiben wir, was wir erwar- weisenden Gesetzentwurf einen noch wegweisenderen (C) ten, aber vor allem eröffnen wir Chancen auf Teilhabe, Gesetzentwurf machen! zum Beispiel am Arbeitsmarkt. Die bürokratische Vor- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. rangprüfung wird an vielen Stellen der Bundesrepublik ausgesetzt werden. Wir öffnen die Ausbildungsförde- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rungen, etwa die Berufsvorbereitung oder die Assistier- der CDU/CSU) te Ausbildung und auch die Berufsausbildungsbeihilfe, weiter . Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich möchte vor allen Dingen noch einmal auf die so- Das Wort erhält nun der Kollege Volker Beck für die genannte Drei-plus-zwei-Regelung eingehen. Viele Un- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ternehmer, viele Unternehmerinnen wollen Flüchtlingen gerne einen Ausbildungsplatz organisieren. Sie schre- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): cken dann aber zurück, weil sie nicht wissen können, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Inte­ was in einem halben Jahr ist, ob der Flüchtling dann noch grationsgesetz wäre fürwahr nötig. Aber das, was hier auf da ist oder schon wieder abgeschoben worden ist . Dem dem Tisch des Hauses liegt, verdient diesen Namen nicht setzen wir jetzt eine sehr sinnvolle Regelung entgegen. wirklich. Das ist im besten Fall Stückwerk, in vielen Ele- Wer eine Ausbildung beginnt, erhält eine Duldung für die menten kontraproduktiv, in manchen Punkten schlicht gesamte Dauer der Ausbildung, und zwar nicht vielleicht sachfremd. Deshalb würde ich Ihnen raten, in den Aus- oder unter Umständen, sondern er oder sie bekommt die- schussberatungen noch einmal sehr, sehr gründlich nach- se Duldung. Das gibt Rechtssicherheit für die betroffe- zudenken . nen jungen Leute, aber eben auch für die Unternehmen. Viele Themenfelder und Probleme werden überhaupt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht angegangen. Was ist mit den Flüchtlingen, die hier- der CDU/CSU) herkommen, die wegen der Flucht und des Bürgerkrieges Danach gibt es die Möglichkeit, eine Aufenthalts- jahrelang keine Schule besucht haben und aus der Schul- erlaubnis für zwei Jahre zu bekommen, um weiter zu pflicht herausgefallen sind? Wie bringen wir diese Leute arbeiten. Wenn keine Weiterbeschäftigung im Ausbil- dahin, dass sie ausbildungsfähig sind? Die Handwerks- dungsbetrieb erfolgt, wird die Duldung um sechs Mo- betriebe in Deutschland sind durchaus bereit, solche nate verlängert, um nach einem Arbeitsplatz suchen zu Menschen aufzunehmen; aber sie fordern ein gewisses können. Das ist ein grandioser Schritt für die Unterneh- Grundwissen, das diese Menschen nicht mitbringen . Auf men und auch für die Menschen. 70 Prozent der zu uns solche Fragen, Frau Nahles, gibt Ihr Gesetzentwurf leider (B) Gekommenen sind unter 30 Jahre alt. Das wird die dua- überhaupt keine Antwort . (D) le Ausbildung in Deutschland weiter stärken. Das wün- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schen wir uns doch alle. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist ein guter Gesetzentwurf, über den wir hier spre- Ganz merkwürdig ist meines Erachtens eine Rege- chen. Aber es gibt sicherlich auch den einen oder ande- lung, die vor dem Kabinettsbeschluss unter Umgehung ren Punkt, an dem er noch besser werden kann. Viele in der Beratung mit dem Bundesrat und einer Verbändean- meiner Fraktion fragen sich beispielsweise, warum eine hörung über Nacht in den Gesetzentwurf aufgenommen gute Bleibeperspektive bei einer strikten Schutzquote wurde; sie macht mich hellhörig. Ist der neue § 29 Asyl- ab 50 Prozent festgemacht wird, sie also nicht für Men- gesetz der Versuch, den Türkei-Deal in dieses Integra- schen zutrifft, die etwa aus Afghanistan kommen, wo die tionsgesetz einzuführen, und zwar mit dem Effekt, dass Schutzquote derzeit bei knapp 50 Prozent liegt. Das ist Menschen in Deutschland in Zukunft keinen Anspruch eine spannende Frage, über die wir sprechen sollten. mehr auf eine rechtliche Prüfung ihres Verfolgungsstatus haben? Sie haben hier hineingeschrieben, dass mit Blick (Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD]) auf Länder außerhalb der Europäischen Union, die wir Aber auch bei der Ausbildungsförderung und der für sicher halten, ein Antrag bei uns unzulässig ist. Frü- Drei-plus-zwei-Regelung sollten wir vielleicht noch her war er „unbeachtlich“. Was diese semantische Ver- einmal ins Gespräch kommen. Ich verweise da, auch in änderung bedeutet, konnte uns zumindest Ihr Haus im Richtung des Koalitionspartners, auf eine Stellungnahme Gespräch mit dem Forum Menschenrechte nicht sagen. der BDA, Vielleicht wissen ja Sie, Herr Minister, was gemeint ist. (Dr. [CDU/CSU]: BDA? Und: Wohin ist der § 29 Absatz 2 des Asylgesetzes Ich bin CDA!) verschwunden? Auch das wussten Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht. Versehen? Vorsatz? Unbeachtlich? die beispielsweise die Frage stellt, ob es denn wirklich Unzulässig? Wir wissen es nicht. Darin steht nämlich, sinnvoll ist, Ausbildungsbetrieben unter Androhung sehr dass dann, wenn ein Flüchtling aus einem solchen soge- hoher Bußgelder eine Meldepflicht aufzuerlegen, wenn nannten sicheren Drittstaat zu uns kommt und nach drei ein Azubi eine Ausbildung abbricht. Sie spricht davon, Monaten immer noch nicht in diesen sicheren Drittstaat dass dies das pädagogisch-kollegiale Verhältnis belas- zurückgebracht werden konnte, in Deutschland das Ver- ten und Betriebe abschrecken würde . Ich muss an dieser fahren über die Anerkennung als Flüchtling wiederauf- Stelle sagen: Die BDA hat vollkommen recht. Lassen Sie genommen werden muss. Diese Regelung finde ich in uns darüber sprechen! Lassen Sie uns aus einem weg- Ihrem Gesetzentwurf nicht mehr; sie ist aber geltendes Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17193

Volker Beck (Köln) (A) Recht . Das ist eine massive Verkürzung des Rechts von Karl Schiewerling (CDU/CSU): (C) Flüchtlingen auf Anerkennung und Schutz nach der Gen- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe fer Flüchtlingskonvention. Kolleginnen und Kollegen! Frau Dağdelen, ich habe mir lange überlegt, ob ich überhaupt auf Ihre Rede reagieren (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN soll, weil ich nicht wusste, ob ich lachen oder weinen sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sollte. Wenn ich es gut mit Ihnen meine, dann sage ich Zweiter Punkt: Wohnsitzauflage. Ihnen: Sie können ganz schön Spaß machen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Wenn ich Ihnen aber die Wahrheit sage, dann sage ich Herr Kollege Beck, ich muss Sie darauf aufmerksam Ihnen: Ich habe selten eine Rede gehört, in der die Le- machen, dass es – – benssituation der Menschen so menschenverachtend be- trachtet wird, wie Ihre . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ja!) Doch . Wie können Sie sagen, die Wohnsitzauflage und all die anderen Dinge dürfe man nicht einführen? Wissen Sie, Präsident Dr. Norbert Lammert: was das für meine Region im Kreis Coesfeld im Müns- Zwei Sekunden, ja. – Da Sie zum zweiten Punkt anset- terland – das ist ländliches Gebiet, und wir suchen hän- zen, wollte ich nur darauf aufmerksam machen, dass es deringend Arbeitskräfte – bedeuten würde? Sie lassen natürliche Grenzen für den weiteren Vortrag gibt. die Flüchtlinge alleine, dann gehen sie zu Ihnen in den Duisburger Norden und damit in die Arbeitslosigkeit, (Vereinzelt Heiterkeit und Beifall) während sie bei uns Arbeit finden würden. Wenn wir dies nicht regeln, haben sie keine Perspektive. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Diese natürlichen Grenzen akzeptiere ich. – Noch ordneten der SPD) zwei Sätze. Wir alle sind gegen Ghettoisierungen. Aber Wie können Sie sagen, wir würden hier Lohndumping mit diesem administrativen Monster werden wir sie nicht betreiben? Wissen Sie denn überhaupt nicht, welche Be- verhindern . dingungen die Unternehmen erfüllen müssen, damit die Ich finde, dieheute-show hat es in einem Satz wunder- Menschen arbeiten können? Sie tun dies mit großer Be- (B) bar zusammengefasst – für mehr reicht es jetzt aufgrund reitwilligkeit, aber dazu brauchen sie auch die entspre- (D) der Redezeit nicht mehr –: Das neue Integrationsgesetz chenden Rahmenbedingungen. Wollen Sie eigentlich, mit seiner Wohnsitzauflage will: dass sie in Beschäftigung kommen, oder wollen Sie auf- grund Ihrer hohen und hehren Ziele, dass sie arbeitslos Flüchtlinge sollen eine Sprache lernen, für die es bleiben? Wir wollen, dass sie in Beschäftigung kommen. keine Kurse gibt, in Regionen leben, in denen keiner Deutsch spricht, und Jobs finden, die es dort nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – gibt . Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Bravo! So ist das! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Bra- Das ist der falsche Ansatz. Wir müssen angebotsorien- vo! Volltreffer! Versenkt!) tiert arbeiten und dürfen nicht versuchen, die Integra- Frau Kollegin Pothmer, einen Satz zu Ihnen: Wir ste- tionspolitik mit administrativen Monstern zu vergiften. hen nicht auf der Bremse, (Zurufe von der CDU/CSU) (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Da ich eine so lebhafte Reaktion auf meine Rede er- NEN]: Doch! Leider!) reicht habe, scheint es Sie ja getroffen zu haben. Dann sondern wir stellen uns mit diesem Gesetzentwurf einer ist ja alles gut. Entwicklung, die uns neu herausgefordert hat. Vielen Dank. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch selber erklärt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – dass dieser Gesetzentwurf zu kurz springt!) Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wenn man sich schon auf die heute-show beziehen Wir leben in einer Situation, in der wir uns zunächst muss, um zu überzeugen, hat man ein Argu- einmal auf die neuen Herausforderungen einstellen müs- mentationsproblem!) sen. Seit 2014 – das ist richtig – kommen in zunehmen- der Zahl Flüchtlinge zu uns. Aber die meisten sind vor etwa zwölf Monaten gekommen, und in dieser Situation Präsident Dr. Norbert Lammert: mussten sich die deutschen Behörden, die deutschen In­ Karl Schiewerling erhält nun das Wort für die CDU/ stitutionen, die Kommunen und alle, die dafür Verant- CSU-Fraktion . wortung tragen, ja zunächst einmal darauf einstellen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ordneten der SPD) NEN]: Das bestreitet auch keiner!) 17194 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Karl Schiewerling (A) Ich verstehe überhaupt nicht, wie Sie von einer Re- schön für das, was sie heute für unser Land und in unse- (C) gierung, die vor diese völlig neuen Herausforderungen rem Land leisten. gestellt wird, erwarten, dass sie über Nacht alle Probleme (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie löst. Das hätten Sie nicht geschafft, das schafft Ihr Herr bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Weil nicht, und das schaffen andere auch nicht. GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- An dieser Stelle wird sehr deutlich: Es ist eine gesell- ordneten der SPD) schaftliche Aufgabe, diese Menschen in unserem Land Deswegen sage ich Ihnen: Das vorgelegte Integra- zu integrieren. Zu dieser wichtigen Aufgabe gehört in tionsgesetz – und das gilt auch für dessen Bestandteile der Tat die Integration in den Arbeitsmarkt. Bildung, zur Arbeitsmarktpolitik – bietet eine vernünftige Heran- Sprache, Schule und Ausbildung gehören zusammen. gehensweise; denn hier wird zunächst einmal das getan, Ich will Ihnen sehr deutlich sagen: Schulfragen sind Län- was wir heute tun können. Kein Mensch in der Koalition dersache. Wir wollen uns aber als Bund natürlich nicht sagt: Danach passiert nichts Weiteres mehr. – Wenn sich verschließen, wenn neue Ideen kommen, wie man das die Dinge anders entwickeln, werden wir darauf reagie- machen kann. Aber ich bin nicht bereit, alle Zuständig- ren müssen . Dann werden wir das auch tun . Das ist so keiten nur dem Bund zuzuweisen. Kommunen, Länder sicher wie nur irgendetwas . und der Bund – lassen Sie mich an dieser Stelle der Voll- ständigkeit halber noch sagen: sowie Europa – müssen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) zusammenwirken . Deswegen haben wir in dieser Frage eine gemeinsame Aufgabe . Meine Damen und Herren, Deutschland ist ein weltof- fenes Land. Viele Menschen aus fast allen Ländern der Was wir nicht gebrauchen können, ist Kästchenden- Welt sind zu uns gekommen. Sie leben, arbeiten und ken, Schubladendenken und Abschottungsdenken. Wer wohnen hier und tragen zum Wohlstand bei. 12 Prozent glaubt, er könnte sich die Decke über den Kopf zie- aller Mitglieder der Deutschen Rentenversicherung ha- hen, sich dort hineinkuscheln und glauben, das sei das ben einen ausländischen Pass. Sie tragen dazu bei, dass Deutschland der Zukunft, der hat sich vertan. Wir liefern der Wohlstand erhalten bleibt. Das ist uns allen sehr wohl Produkte in alle Welt. Wir haben Internet. Wir haben di- bewusst, und deswegen integrieren wir die Menschen . verse Kommunikationsmittel. Ja glauben wir denn im Wir sagen, sie sollen zu uns kommen und hier eine Hei- Ernst, wir könnten uns zurückziehen und könnten uns mat finden können. Zuwanderung ist ein Gewinn, wenn eine heile Welt unter der schützenden Bettdecke aufbau- Integration denn gelingt. en? Wir sind ein weltoffenes Land. Die Menschen sollen zu uns kommen. Aber sie müssen wissen, unter welchen (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Bedingungen und mit welchen Erwartungen. (D) der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, in der Vergangenheit wur- Wir erwarten, meine Damen und Herren, dass sich de dies nicht immer beachtet. Parallelgesellschaften sind diese Menschen integrieren. Das tun sie. Ganz viele wol- entstanden; der Innenminister hat ausdrücklich und prä- len das; darauf ist zu Recht hingewiesen worden. Aber zise darauf hingewiesen. Das darf sich nicht wiederholen. wir sagen auch: Wir wollen die Menschen fordern und fördern, wobei die Förderung an erster Stelle steht. Wir Der guten Ordnung halber will ich an dieser Stelle an wollen den Menschen helfen: mit unseren arbeitsmarkt- alle im Hohen Haus sagen: war die erste politischen Möglichkeiten, die wir ihnen eröffnen, und Kanzlerin, die mit Maria Böhmer eine Integrationsminis- mit dem breiten Instrumentarium, das im Gesetzentwurf terin berufen hat, nämlich 2005, steht und das später gewiss noch einmal erweitert wird. ( [CDU/CSU]: Genau!) Frau Nahles hat vorhin zu Recht auf die 100 000 Ar- beitsgelegenheiten verwiesen. Ich will an dieser Stelle und Jürgen Rüttgers war in Nordrhein-Westfalen der erste der Vollständigkeit halber nur sagen, wie sie in den Ge- Ministerpräsident, der einen Integrationsminister berufen setzentwurf gekommen sind. Diese Arbeitsgelegenheiten hat. Diese Fragen zur Notwendigkeit der Integration sind müssen nach dem Asylgesetz normalerweise von den für uns nichts Neues. Da brauchen wir keine Nachhilfe, Kommunen angeboten werden. Die Kommunen haben sondern wir sind dabei, unsere Aufgaben zu erfüllen. dafür aber kein Geld mehr. (Beifall bei der CDU/CSU) (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dann geben Sie ihnen doch das Geld!) Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle einmal einen riesigen Dank an die unglaublich vielen Deswegen wird diese Aufgabe hilfsweise vom Bund Menschen aussprechen, die sich in den Flüchtlingsiniti- übernommen. Sie wird nach den derzeitigen Plänen von ativen ehrenamtlich engagieren. Ohne diese Menschen der Bundesagentur für Arbeit hilfsweise abgewickelt. Ich hätten wir viele Aufgaben nicht lösen können. Diese vie- erwarte aber, dass die Kommunen die Entscheidung da- len Ehrenamtlichen sind auch heute noch notwendig. Sie rüber haben, wo die Mittel eingesetzt werden und für wen begleiten viele Flüchtlinge. Sie helfen ihnen dabei, sich sie dort eingesetzt werden – und nicht die Bundesagentur auf dem Arbeitsmarkt zu orientieren . Sie engagieren sich für Arbeit . Sie wird diese Aufgabe zu administrieren ha- für sie, indem sie Kinder begleiten, helfen damit, dass sie ben. Sollte es dann noch Unklarheiten im Gesetzentwurf eine Wohnung finden. Ihnen gebührt ein riesiges Danke- geben, werden wir diesen Punkt nachbessern müssen . Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17195

Karl Schiewerling (A) Ich bin mir in dieser Frage nicht ganz sicher, aber das ist Kerstin Griese (SPD): (C) keine Grundsatzfrage. Es ist eine Abwicklungsfrage, wie Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wir an diese Dinge herangehen . Als ich heute Morgen die Reden der Opposition verfolgt Meine sehr verehrten Damen und Herren, gezielte In- habe, habe ich gedacht, es wäre gut, Sie einmal mit der tegration in unser Land ist eine wichtige Aufgabe. Ich echten Stimmungslage in unserem Land zu konfrontie- will deutlich sagen, dass wir im Hinblick auf die Ar- ren . Im ARD-Deutschlandtrend haben heute früh 82 Pro- beitsmarktpolitik noch lernen können. Ich habe in mei- zent gesagt: Das Integrationsgesetz geht in die richtige ner Region, im Kreis Coesfeld, mit dem Kreis, mit den Richtung. Es gibt eine große Zustimmung dazu. Bei den Berufsschulen und mit der Kreishandwerkerschaft ein Grünen sind es sogar 86 Prozent. Bei den Linken sind es sehr innovatives Projekt entwickelt, bei dem es darum etwas weniger. Das heißt, die Gesellschaft will, dass wir geht, Jugendlichen Deutsch beizubringen und sie in Ar- jetzt endlich aktiv etwas für Integration machen. Das pa- beit zu bringen. Die Vermittlung ist mehr als erfolgreich: cken wir an. Das Integrationsgesetz wird ein Meilenstein 80 Prozent sind über diesen Weg mittlerweile in Betrie- für gelingende Integration. ben untergekommen. Ich glaube, dass es gut ist, wenn (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir solche Initiativen betrachten, aufgreifen und schau- der CDU/CSU) en, wie wir diese Instrumente nutzen und umsetzen und sie anderen verfügbar machen können. Wir gestalten Integration aktiv. Wir ermöglichen einen Ich halte es für geboten, dass wir das tun, was wir als besseren Zugang zu Ausbildung, Arbeit und Sprachkur- Deutsche können, nämlich nicht nur zu erwarten, dass sen . sich die Menschen in unserem Land integrieren, sondern Eines ist mir ganz wichtig: Integration ist ein Prozess auch unsere eigene Kultur zu leben und für unsere eige- auf Gegenseitigkeit . Wir erwarten die Bereitschaft zur ne Kultur zu werben. Integration in unsere Gesellschaft Integration; wir bieten aber auch Möglichkeiten zur Inte- heißt nicht nur das Erlernen der deutschen Sprache, son- gration an. Wer sich anstrengt, die Sprache lernt und den dern es heißt auch ganz schlicht und einfach das Erleben Einstieg in Arbeit schafft, der kann bei uns den Neustart von Heimat, das Erleben von Bräuchen, Festen und Fei- schaffen, und wir wollen alles dafür tun, die Menschen ern. Es heißt auch, dass diese Menschen erfahren, dass es zu unterstützen . Geborgenheit in Familien gibt. Viele von ihnen kommen aus geschützten familiären Strukturen. Das müssen wir Aber auch der Staat hat eine Bringschuld, nämlich die, ihnen bei uns bieten, entweder über Familien oder über Integration zu ermöglichen. Dazu gehört zum Beispiel, Verbände und Gemeinschaften. Sie müssen lernen, dass genügend Integrations- und Sprachkurse anzubieten, be- es zu unserer Kultur gehört, sich anzustrengen, Bildung (B) vor man über Sanktionen spricht. Der Staat will ebenso (D) zu erwerben und in die Erwerbsarbeit zu gehen . Ich bin wie die Gesellschaft dieses Integrationsangebot machen. ganz sicher, dass die allermeisten von ihnen das wollen. Deshalb werden wir gemeinsam aktiv daran arbeiten. Frau Pothmer, Sie haben gesagt: Das ist ja ganz furcht- Der Gesetzentwurf beinhaltet das: Wir wollen eine of- bar, wenn ihr da von Sanktionen redet .– Die Sanktionen fene Gesellschaft sein. Wir erwarten aber auch von den stehen aber nicht im Mittelpunkt. Sanktionen sind das Menschen, die zu uns kommen, dass sie sich an unsere letzte Mittel, das der Staat hat, um sich selbst zu schüt- Regeln und an unser Grundgesetz halten. Dann geht es zen . Die Sanktionen stehen dafür, dass wir den Menschen gut mit der Integration . Orientierung geben und ihnen auf diese Art und Weise (Beifall bei Abgeordneten der SPD) vermitteln, was wir erwarten. Wir schaffen neue Flüchtlingsintegrationsmaßnah- Präsident Dr. Norbert Lammert: men. Der Kollege Karl Schiewerling hat schon darauf Herr Kollege. hingewiesen. Es ist sehr wichtig, dass man Flüchtlingen die Möglichkeit gibt, sich in unsere Gesellschaft ein- zubringen, zu arbeiten und soziale Kontakte zu haben, Karl Schiewerling (CDU/CSU): statt immer nur zu warten, zu warten, ohne zu wissen, Aber in den allermeisten Fällen brauchen wir sie nicht. was passiert. Deshalb vielen Dank an Arbeitsministerin Letztlich geht es um unsere gemeinsame Zukunft in Andrea Nahles für die gute Idee der 100 000 zusätzli- unserem Land, und mit diesem Integrationsgesetz schaf- chen Arbeitsgelegenheiten. Das wird den Kommunen fen wir den Rahmen dazu . viel bringen, und es wird auch in der Bevölkerung wahr- genommen werden, dass Flüchtlinge sich engagieren und Herzlichen Dank. dass sie mitarbeiten . Auch das ist ein ganz wichtiger Ef- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- fekt . ordneten der SPD) (Beifall bei der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir wollen die Vorrangprüfung aussetzen – das ist arbeitsmarktpolitisch wichtig –, und zwar zunächst für Ich erteile das Wort nun der Kollegin Kerstin Griese drei Jahre. Die Länder sollen selber gucken, in welchen für die SPD-Fraktion . Regionen sie sie aussetzen. Denn sehr häufig endet die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vorrangprüfung, die feststellt, ob es einen Einheimi- der CDU/CSU) schen gibt, der den Arbeitsplatz haben kann, so, dass der 17196 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Kerstin Griese (A) Flüchtling ihn bekommt. Das ist daher auch ein wichtiger Eines aber muss uns bewusst sein: Selbst wenn die (C) Schritt zur Entbürokratisierung . Zahlen auf diesem niedrigen Niveau bleiben, wird uns in den nächsten Monaten und Jahren eine epochale Heraus- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wünschen uns forderung bevorstehen, wenn es um die Integration von für die Beratung noch ein paar Punkte, zum Beispiel bei Hunderttausenden von Migranten und Flüchtlingen in der Wohnsitzauflage auch die Belange von Menschen die deutsche Gesellschaft geht. Deswegen ist es gut, dass mit Behinderung zu berücksichtigen. Denn häufig gibt es dieses Integrationsgesetz jetzt in erster Lesung beraten Örtlichkeiten, wo sie nicht barrierefrei leben können. Das wird. Ich habe etwas Zweifel, ob ich wirklich von einem sollten wir in der Beratung prüfen. Paradigmenwechsel sprechen möchte, Ich wünsche mir auch, dass wir im Bereich des eh- (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- renamtlichen Engagements von Flüchtlingen darüber NEN]: Lassen Sie es lieber!) nachdenken, was wir tun können. Uns hat ein Hilferuf der großen Sportvereine erreicht, dass die Ehrenamtspau- ich weiß auch nicht, ob es wirklich ein historischer Mei- schale auch für Flüchtlinge gelten soll. Denn häufig sind lenstein ist, den wir mit diesem Gesetz setzen; aber ich Flüchtlinge als Übungsleiter oder Trainer in Sportverei- bin mir sicher, dass wir mit diesem Integrationsgesetz – nen tätig. Das ist ein Beispiel für gelungene Integration. ich möchte es Integrationspflichtgesetz nennen – einen Das sollten wir unterstützen und die Ehrenamtspauschale deutlichen Fortschritt machen, wenn es darum geht, Hun- nicht von den Leistungen abziehen. derttausenden von Migranten und Flüchtlingen Angebote zu unterbreiten, sich aktiv in die deutsche Gesellschaft (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten einzubringen, sich aktiv in die deutsche Gesellschaft zu der CDU/CSU) integrieren. Ich sage in aller Deutlichkeit, dass der Staat Ich freue mich auf die Beratungen, die wir im Arbeits- die Verpflichtung hat, ausreichende Angebote zu unter- und Sozialausschuss ganz intensiv zusammen mit dem breiten . Aber es gibt auch die berechtigte Erwartungs- Innenausschuss durchführen werden . Wir werden das gut haltung gegenüber den Flüchtlingen und den Migranten, zusammen hinbekommen . von diesen Angeboten dann bitte schön auch Gebrauch zu machen . Es gibt sowohl Kritik als auch Zustimmung zum Ge- setzentwurf. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftun- Ich möchte auch dem Eindruck entgegenwirken, dass gen für Integration und Migration hat ganz klar gesagt, wir erst heute mit Beratungen zum Thema Integration das Gesetz sei – ich zitiere – „ein wichtiger Schritt hin beginnen. Dieses Thema steht seit 2005 auf der Agenda zu Gleichbehandlung und früher Integration. Die hierfür der Bundesregierung. Seit Angela Merkel Bundeskanzle- aufgewandten erheblichen finanziellen Mittel sind eine rin ist, seit die Union wieder in der Bundesregierung ist, (B) gute und notwendige Investition …“. hat das Thema Integration die Bedeutung in der Bundes- (D) politik erhalten, die es verdient. Es gibt seit 2005 einen Wenn viele Verbände, darunter die Wohlfahrtsverbän- Staatsminister für Integration, einen Nationalen Integra- de, noch mehr fordern, dann ist das ein Zeichen dafür, tionsplan, einen jährlichen Integrationsgipfel. Aber zur dass endlich Bewegung in die Integrationsdebatte ge- Wahrheit gehört auch – das hat sich insbesondere in den kommen ist, dass wir weiter vorangehen wollen und dass letzten Monaten herausgestellt –, dass es aufgrund der wir die Integration jetzt aktiv gestalten. Ich hoffe, dass deutlichen Zunahme der Zahl an Flüchtlingen, die zu uns wir alle daran mitwirken – zum Wohle unseres Landes gekommen sind, einen deutlich weiteren Bedarf gibt. und zum Wohle der Menschen, die aus Not und Gewalt zu uns geflohen sind. Der große Vorteil dieses Gesetzes, das uns im Entwurf vorliegt, ist der, dass erstmals das sehr weite Themen- Vielen Dank. feld der Integration auf die jeweiligen Gruppierungen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten spezifisch zugeschnitten wird. Es bedarf unterschiedli- der CDU/CSU) cher Angebote, je nachdem, ob jemand eine dauerhafte Bleibeperspektive hat oder ob er sich nur kurzfristig in unserem Land aufhält. Jemand, der eine langfristige bzw. Präsident Dr. Norbert Lammert: dauerhafte Bleibeperspektive hat, muss Maßnahmen an- Für die CDU/CSU-Fraktion erhält der Kollege geboten bekommen, die es ihm ermöglichen, sich aktiv Stephan Mayer das Wort . in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Aber auch Personen, die kein Recht auf Asyl zugestan- Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): den bekommen, denen kein Flüchtlingsstatus zuerkannt Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin- werden kann, müssen in unserem Land human behandelt nen! Sehr geehrte Kollegen! Es wäre aus meiner Sicht werden. Sie haben aus meiner Sicht das Recht, solange verfehlt, anzunehmen, dass die Flüchtlingskrise beendet sie sich in unserem Land aufhalten, Angebote unterbrei- oder gemeistert ist. Ich glaube, es ist genauso naiv, anzu- tet zu bekommen, die es ihnen ermöglichen, zum einen nehmen, dass es schon jetzt Anlass gibt, Entwarnung zu die Zeit sinnvoll zu nutzen und zum anderen für ihr spä- geben . Wir stecken aus meiner Sicht nach wie vor mitten teres Leben in ihrem Heimatland oder anderswo Fähig- in der Flüchtlingskrise. Aber die Zahlen sind deutlich zu- keiten vermittelt zu bekommen, die ihnen die Chance rückgegangen. Die Westbalkanroute ist geschlossen. Das bieten, in ihrem neuen Aufenthaltsland Fuß zu fassen. ist ein erfreuliches Signal. Diese spezifischen Angebote, die mit diesem Gesetz er- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17197

Stephan Mayer (Altötting) (A) möglicht werden, sind wirklich ein sehr erheblicher und lich ist. Ich glaube, das wird den berechtigten Wünschen (C) auch erfreulicher Fortschritt. der betroffenen Kommunen und Länder in ausreichen- dem Maß gerecht. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist auch (Beifall bei der CDU/CSU) eine deutliche Verbesserung, dass wir jetzt die klare Vor- Ein insbesondere in der Wirtschaft langgehegter gabe machen, dass, wenn Deutschkurse angeboten wer- Wunsch ist die sogenannte Drei-plus-zwei-Regelung. den, diese auch innerhalb eines Jahres begonnen werden Sie wird nun in dieses Gesetz implementiert. Um den müssen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass viele, die einen Wirtschafts- und Handwerksbetrieben, aber auch den solchen Anspruch hatten, innerhalb des ersten Jahres betroffenen Flüchtlingen Rechts- und Planungssicherheit keinen Gebrauch davon gemacht haben . Wir haben aber zu geben, wird nun klargestellt, dass zumindest für drei keine Zeit zu verlieren. Wir sind hier als Bund unserer Jahre eine Duldung ausgesprochen werden kann, wenn Verantwortung gerecht geworden und haben allein vom die Ausbildung ernsthaft betrieben wird. Das ist im Sin- letzten Jahr auf dieses Jahr die Mittel für Integrations- ne aller Beteiligten. Es ist auch richtig, dass dann, wenn und Deutschkurse von 269 Millionen Euro auf 558 Mil- die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen wird – das ist lionen Euro mehr als verdoppelt. Allein in diesem Jahr wohlgemerkt die Voraussetzung –, die Möglichkeit be- gibt es 300 000 neue Teilnehmer an Integrations- und steht, sich in einem Zeitrahmen von sechs Monaten einen Deutschkursen. Es werden 5 000 zusätzliche Deutschleh- Anschlussarbeitsvertrag zu suchen, um dann eine An- rer zertifiziert. Wir als Bund tun hier das Unsrige. Ich schlussduldung für weitere zwei Jahre zu erhalten. Wir füge ganz offen hinzu: Auch die Länder sind beim Thema stehen zu dieser Regelung. Sie ist gut und ist insbesonde- Integration gefordert und können nicht einseitig auf uns, re im Sinne junger, heranwachsender Flüchtlinge, die die den Bund, verweisen . Zeit in Deutschland nutzen sollen, um eine Berufsausbil- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dung zu absolvieren. ordneten der SPD) Wir müssen aber nun im parlamentarischen Verfahren Ein erheblicher Fortschritt ist, dass wir die Nie- darauf achten, dass es insbesondere bei der Drei-plus- derlassungserlaubnis neu regeln. In Zukunft werden zwei-Regelung nicht zu missbräuchlichen Gestaltungen Asylbewerber und Flüchtlinge nicht automatisch vo­ kommt. Wenn eine Überstellung in ein anderes EU-Land raussetzungs- und bedingungslos nach drei Jahren ein oder eine Abschiebung angeordnet und konkret erwogen dauerhaftes Aufenthaltsrecht bekommen. Ich möchte an wird, dann darf nicht schnell ein Anstellungs- oder Aus- dieser Stelle ausdrücklich unserem bisherigen Kollegen bildungsvertrag vorgelegt werden, nur um die Überstel- , der heute sein Bundestagsmandat zu- lung oder die Abschiebung zu verhindern. Nach meiner (B) rückgibt, danken . Auffassung wird es eine Aufgabe im parlamentarischen (D) Verfahren sein, insbesondere in § 60a des Aufenthalts- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU gesetzes darauf zu achten, dass es nicht zu einer miss- sowie der Abg. Inge Höger [DIE LINKE]) bräuchlichen Inanspruchnahme dieser an sich richtigen Er war der Erste, der darauf hingewiesen hat, dass es Regelung kommen kann. nicht angehen kann, dass Flüchtlinge und Asylbewerber Ich glaube, dass dieser Gesetzentwurf einen erhebli- gegenüber anderen Ausländern privilegiert werden. Es chen Fortschritt darstellt, wenn es darum geht, mit den ist ein erheblicher Fortschritt, dass wir nun deutlich ma- epochalen Herausforderungen der Flüchtlingskrise und chen: Ein dauerhaftes, unbefristetes Aufenthaltsrecht für der Integration von Hunderttausenden Flüchtlingen in Asylbewerber und Flüchtlinge kann es nur geben, wenn Deutschland zurechtzukommen. Deshalb sollten wir die- ausreichende Deutschkenntnisse nachgewiesen werden sen Gesetzentwurf positiv annehmen und die nun erfol- und wenn für den eigenen Lebensunterhalt überwiegend genden parlamentarischen Verhandlungen in der gebote- selbst gesorgt wird. nen Seriosität, aber auch Zügigkeit führen. (Beifall bei der CDU/CSU) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Zur Wohnsitzauflage ist schon einiges gesagt- wor (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- den. Es gehört zur Wahrheit – das haben insbesondere ordneten der SPD) die letzten Monate gezeigt –, dass sich viele Flüchtlin- ge und Asylbewerber auf einige wenige Ballungszentren und Großstädte konzentrieren, zum Beispiel die Afgha- Präsident Dr. Norbert Lammert: nen schwerpunktmäßig auf Hamburg oder das Rhein- Zum Schluss dieser Debatte erhält der Kollege Main-Gebiet. Das ist vollkommen nachvollziehbar und Sebastian Hartmann das Wort für die SPD-Fraktion . menschlich verständlich. Schließlich wohnen dort in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Regel viele afghanische Verwandte, Bekannte und der CDU/CSU) Freunde. Aber dort sind leider Gottes nicht immer Ar- beitsplätze in ausreichender Zahl vorhanden. Deshalb ist es aus meiner Sicht richtig, dass wir den Ländern die Sebastian Hartmann (SPD): Möglichkeit geben – das ist keine Verpflichtung –, eine Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Wohnsitzauflage für zumindest drei Jahre anzuordnen, Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon wenn sie der Auffassung sind, dass das aufgrund inte­ einiges zur Einordnung des ersten Integrationsgesetzes grationspolitischer Erwägungen sinnvoll und erforder- in Deutschland gesagt worden. Ich halte mich mit der 17198 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Sebastian Hartmann (A) historischen Einordnung zurück . Etwas kritisch ist die der Innenminister nickt an dieser Stelle – um eine Rechts- (C) Opposition. Ich sage Ihnen: Seien Sie nicht so kritisch! klarstellung geht. Das hat die Regierung deutlich gesagt. Schauen Sie sich das Gesetz zuerst genau an . Das ist die dringende Empfehlung, die ich nur unterstreichen kann. Ich habe mir eine Notiz gemacht. Wir beginnen heute mit den Beratungen des Integrationsgesetzes . Es gibt zwei Vergleichsmöglichkeiten. Einerseits kann man ganz klar auf das Einwanderungsgesetz verweisen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Das ist in der Debatte geschehen . Der zweite ganz we- GRÜNEN]: Das war nicht meine Frage!) sentliche Punkt ist aber, dass wir, wenn wir den Zeitrah- men vergleichen, doch viel schneller sind als bei den Be- – Ich beantworte Ihre Frage. Sie müssen aber auch zuhö- ratungen des Zuwanderungsgesetzes, die sich immerhin ren, Herr Beck. Ich glaube, das ist die minimale Anfor- von 2001 bis 2005 hingezogen haben. Mit dem Integra- derung an jeden, der an der parlamentarischen Beratung tionsgesetz 2016 machen wir einen ganz großen Schritt, teilnimmt. und das kann man nicht hoch genug einschätzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich verlasse mich auf die Aussage – da spreche ich für viele Kolleginnen und Kollegen –, dass es um eine Herr Kollege Hartmann, lassen Sie eine Zwischenfra- Rechtsklarstellung geht und nicht um einen Abbau von ge des Kollegen Beck zu? Rechten von Menschen, die in einem Asylverfahren auf den Rechtsstaat vertrauen . Sebastian Hartmann (SPD): Ja, gerne . (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das war aber nicht die Frage! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Volker Beck Die Frage war: Wo ist § 29 Absatz 2?) Sie haben die Opposition aufgefordert, ins Gesetz zu schauen . Das habe ich mir zu Herzen genommen . Wir werden darauf achten, dass es eine Rechtsklarstel- (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: End- lung ist. Messen Sie uns doch an der Aussage, die vom lich! – Zurufe von der SPD: Erst jetzt?) Innenministerium getroffen worden ist . Ich möchte Sie fragen, weil das Bundesinnenminis- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (B) terium uns das am Mittwoch nicht beantworten konnte: GRÜNEN]: Das kann ja nicht sein, wenn die (D) Wo ist die Regelung des § 29 Absatz 2 Asylgesetz, nach Regelung fort ist!) der ein Asylbewerber, der aus einem sicheren Drittstaat kommt, nach drei Monaten den Anspruch hat, dass sein – Wieso kann das nicht sein, Herr Beck, wenn es eine Asylverfahren hier in Deutschland betrieben wird, wenn Angleichung an andere Verfahren ist? – Sie haben das im er bis dahin nicht aus dem Land geschafft werden konn- Zusammenhang mit dem EU-Türkei-Abkommen gesagt . te? Ist die Regelung weg? Ist das gewollt? Es geht uns darum, dass der Rechtsstand, den wir vor der Einbringung des Entwurfes hatten, erhalten bleibt. Das (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wenn sie ist der Punkt . Das war der Diskussionsstand . Wir begin- nicht mehr drin ist, ist sie weg!) nen heute mit den Beratungen. Ich schlage vor, dass wir dann, wenn wir den Gesetzentwurf abschließend beraten, Oder habe ich sie einfach nicht gefunden? genau diese Frage beantworten. Es wäre schön, wenn Sie sich dann dem anschließen könnten, was wir hier gerade Sebastian Hartmann (SPD): gesagt haben. – Herzlichen Dank. Lieber Herr Kollege Beck, vielen Dank für Ihre Fra- ge. Ich habe sehr lange an dem Forum Menschenrechte (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten teilgenommen, an dem auch Sie zeitweilig teilgenommen der CDU/CSU) haben . Die SPD hat sich erfolgreich in den Verhandlungen (Zurufe von Abgeordneten des BÜNDNIS- dafür eingesetzt, dass Rechte und Pflichten miteinander SES 90/DIE GRÜNEN) im Einklang stehen. Das eine bedingt untrennbar das – Diese Bemerkung muss dann aber auch erlaubt sein. – andere. Das Integrationsgesetz ist ein ganz wesentlicher Danke, dass Sie die Frage aufwerfen . So kann man das Schritt, um für die Integration einen klaren rechtlichen in der parlamentarischen Beratung für alle Beteiligten Rahmen zu schaffen . Aber wir wissen auch, dass eine deutlich machen. erfolgreiche Integration eine klare Orientierung und ein klares Leitbild braucht. Dieses Leitbild müssen wir ge- Sie haben die Frage an die Bundesregierung gerichtet, meinsam entwerfen . Das ist eine gemeinsame Aufgabe weil Pro Asyl diese Frage aufgeworfen hatte. Die Bun- von Bund, Ländern und Kommunen. Deswegen geht desregierung hat Ausführungen über die Unbeachtlich- mein Dank insbesondere an die Kommunen, in denen ein keit eines Antrages, die Unzulässigkeit eines Antrages großes ehrenamtliches Engagement zu finden ist. Ich er- und über die rechtssystematische Gleichstellung gemacht innere auch an die Katastrophenfälle durch die Unwetter, und dargelegt, dass es aus Sicht der Bundesregierung – die wir jetzt in unserem Land haben. Auch da sehen wir Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17199

Sebastian Hartmann (A) das ehrenamtliche Engagement, das unser Land voran- es andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann stel- (C) gebracht hat . le ich Ihr Einverständnis fest, und die Überweisung ist so beschlossen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 27: Wir werden dem auf Bundesebene auch gerecht . Wir Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom tragen unseren Teil bei, indem wir nationale und europä- Koenigs, , Luise Amtsberg, ische Lösungen anbieten. Wir steuern die Verfahren über weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, und wir NIS 90/DIE GRÜNEN übernehmen die finanzielle Verantwortung für diese Auf- gabe. Einen ganz zentralen Schritt aber gehen wir heute, Eine Menschheit, gemeinsame Verantwor- indem wir gute Rahmenbedingungen für die Integration tung – Für eine flexible, wirksame und zuver- auf Bundesebene setzen, und zwar mit diesem Gesetz . lässige humanitäre Hilfe (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Drucksache 18/8619 der CDU/CSU) Überweisungsvorschlag: Einen Punkt möchte ich besonders herausstreichen. Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Ich komme aus Nordrhein-Westfalen. Kollegen der Lin- Auswärtiger Ausschuss ken und der Grünen, da kann man nur klatschen, wenn Auch zu dieser Debatte ist nach einer interfraktionel- man aus NRW kommt. len Vereinbarung eine 60-minütige Aussprache vorgese- (Beifall des Abg. Mahmut Özdemir [Duis- hen. – Offenkundig ist das einvernehmlich. Dann verfah- burg] [SPD]) ren wir so . – Danke, Herr Kollege Mahmut Özdemir. – Nord- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem rhein-Westfalen wurde von der Financial Times Deutsch- Kollegen Tom Koenigs für die Antragstellerin. land zur Zukunftsregion Nummer 1 gewählt. In Nord- rhein-Westfalen gibt es mehr Investitionen – die Statistik Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der Bundesbank weist das aus – als in Baden-Württem- berg und Bayern zusammen. Nordrhein-Westfalen ist Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- auch ein beliebtes Ziel der EU-Binnenwanderung. Genau ren! Die Herausforderungen an die humanitäre Hilfe sind darum nehmen wir eine Wohnsitzzuweisung auf Zeit vor . exponentiell gestiegen. Der weltweite Bedarf an humani- Wir wollen den Prozess steuern, damit in Metropolräu- tären Hilfsleistungen ist zwischen 2005 und 2016 um das (B) (D) men, zum Beispiel an Rhein und Ruhr, Luft geholt wer- Vierfache gestiegen. Die Summe aller koordinierten Ap- den kann, um Wohnen und Arbeiten zusammenzubringen . pelle der Vereinten Nationen in diesem Jahr für 88 Mil- Ich komme aus dem ländlichen Raum Nordrhein-Westfa- lionen Menschen in 38 Ländern ist auf 20,1 Milliarden lens. Auch dort kann man gut leben und arbeiten. Darum Dollar gestiegen. Gleichzeitig gibt es für 2015 die größte brauchen wir in Abstimmung mit den Ländern und den Finanzierungslücke mit 8,7 Milliarden Dollar. 42 Pro- Kommunen diese wichtige Wohnsitzauflage. zent der ärmsten Menschen leben heute in konfliktbe- troffenen, fragilen Staaten. 80 Prozent aller Krisen, die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten internationale Hilfe erfordern, sind bewaffnete Konflikte der CDU/CSU) oder komplexe Notlagen. Das heißt, wir können nicht Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir schaffen ein mit denselben Antworten auf diese immens gewachsenen faires Angebot . Wir gehen einen weiteren Schritt und set- Probleme reagieren. zen die Rahmenbedingungen für gelingende Integration, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN indem wir Rechte und Pflichten im Integrationsprozess sowie des Abg. [CDU/CSU]) miteinander in Einklang bringen. Wir bieten allen Inte- grationswilligen und Integrationsbegierigen in unserem Dem haben sich die Vereinten Nationen gestellt. Der Land ein faires und gerechtes Verfahren im Integrations- Humanitäre Weltgipfel kam genau im richtigen Moment. prozess und schaffen so ein gemeinsames Fundament 9 000 Teilnehmer aus 173 Staaten, 55 Staats- und Regie- für Erfolg – nicht nur für die integrationswilligen und rungschefs waren dort; es gab Tausende von Teilnehmern integrationsbegierigen Flüchtlinge, sondern auch für uns aus der Zivilgesellschaft. Das war das größte Zusammen- Deutsche . treffen von Staaten und NGOs in den 70 Jahren des Be- stehens der Vereinten Nationen. Die Debatte wurde eröff- Herzlichen Dank. net durch das vorbereitende Papier des Generalsekretärs (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten „One Humanity: Shared Responsibility“. Schon dieses der CDU/CSU) Papier hat Zeichen gesetzt. Humanitäre Hilfe heißt heu- te nicht nur humanitäre Nothilfe; es heißt immer mehr Präsident Dr. Norbert Lammert: Führung, Gestaltung, Initiative und Investitionen in die Menschen. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen Ich schließe die Aussprache. hat Fortschritte in fünf Bereichen angemahnt: Krisenprä- Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- vention, humanitäres Völkerrecht und Menschenrechte, wurfs auf der Drucksache 18/8615 an die in der Tages- Flüchtlingspolitik, Wirksamkeit der Hilfe und finanziel- ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt les Engagement. 17200 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Tom Koenigs (A) Die humanitären Katastrophen sind heute in der Regel Die Botschaften des Humanitären Gipfels waren: Hu- (C) menschengemacht: durch Kriege und Konflikte, krasse manitäre Hilfe darf nicht länger Antwort auf weltweite Missachtung von humanitärem Völkerrecht, direkte und politische Passivität und Substitut für fehlende politische geplante Angriffe auf Zivilisten, fehlende Einigkeit der Entscheidungen sein. Die notleidenden Menschen müs- internationalen Gemeinschaft in der Flüchtlingsfrage – sen im Mittelpunkt stehen; die Instrumente zur Behebung nicht solche Petitessen wie der Streit zwischen Bayern der Not müssen verzahnt werden, man muss auf gemein- und der Kanzlerin – und Maßnahmen gegen den Klima- same Ziele hinweisen. Die Weltgemeinschaft steht dies- wandel. Im Zentrum der Bemühungen dürfen nicht Orga- bezüglich erst am Beginn. Das heißt, auch die Debatte nisationen und Staaten, sondern müssen die Betroffenen, braucht Nachhaltigkeit. die Notleidenden stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 42 Prozent aller Menschen in Not leben in fragilen Es zeigt sich, dass Zelte und Nahrungsmittel zwar im Staaten. Das heißt, die Konfliktprävention bedarf eines ersten Moment notwendig sind, Flüchtlinge bleiben viel größeren Impulses. Wir müssen mehr auf die lokalen aber im Durchschnitt 17 Jahre in den Ländern, wo sie Systeme setzen, statt sie zu ersetzen . dann landen. Das heißt, diese allererste, sicher wichtige (Michael Brand [CDU/CSU]: So ist das!) Nothilfe reicht nicht aus. Es muss eine Verzahnung geben zwischen schneller Nothilfe und nachhaltigen Rehabili- Ich glaube, es ist richtig, wenn die Vereinten Nationen tations- und Entwicklungsmaßnahmen. anfangen und ihre acht größten Organisationen in einer gemeinsamen Anstrengung zusammenbringen, um die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Planung, die Umsetzung und die Instrumente gemeinsam Die Erkenntnis, dass die Aufnahme größerer Flücht- zu diskutieren . lingskontingente ein „common public good“ ist, das An- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erkennung sowie politische und finanzielle Unterstützung sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) verdient, wächst nur langsam. Wir lernen das beim Liba- non, bei Jordanien, aber auch bei Pakistan, Kenia, Tansa- Diese Reformen müssen auch in den Mitgliedsländern nia. Das sind die Länder, die die meisten Flüchtlinge auf- erfolgen. Auch wir müssen besser planen und eine ge- nehmen . Wir machen gerade unsere Erfahrungen mit der meinsame kohärente, mehrjährige, ressortübergreifende Türkei, ebenfalls einem der größten Aufnahmeländer von Nutzung der Instrumente finden. Flüchtlingen. Was wir in Europa machen, wird natürlich Die Einhaltung des internationalen humanitären Völ- von diesen Ländern ganz genau beobachtet. Und wenn kerrechts ist keine Selbstverständlichkeit. Allein in Syri- (B) ein kleines oder großes Land die Grenzen schließt, muss en sind in der letzten Zeit 370 Angriffe auf Krankenhäu- (D) man sich überlegen, was das dann als Symbol für Länder, ser und Gesundheitsstationen erfolgt. 650 medizinische die Millionen von Flüchtlingen aufnehmen, heißt. Helfer sind dem zum Opfer gefallen. Aber wir müssen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch dieses Recht weiter gestalten. Einige Staaten, ge- führt von Österreich, haben auf dem Gipfel eine Initiative Das wird Nachahmer finden. Deshalb muss Deutschland lanciert, um die Verwendung von explosiven Waffen in mehr als ein verlässlicher Geber sein. Wir müssen die in- dichtbesiedelten Gebieten zu stoppen. Diese Waffen sind ternationale humanitäre Politik aktiv mitgestalten, Refor- die Pest in Aleppo bzw. in Syrien insgesamt. Das muss men anstoßen und auch voranbringen. Der Humanitäre aufhören. Weltgipfel hat Anstöße gegeben durch Anregungen, Ver- sprechungen und Initiativen. Aber es braucht die Lang- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fristigkeit, die Nachhaltigkeit und den Gestaltungswillen sowie des Abg. Martin Patzelt [CDU/CSU]) führender Staaten und führender Politikerinnen und Po- Es gab eine Initiative dazu. Deutschland hat sie nicht litiker. unterstützt. Ich frage, warum. Das wäre ein Beitrag zum (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN humanitären Völkerrecht gewesen. sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD]) Ein Follow-up – und wir haben viele Follow-ups in Bei diesem Gipfel war Deutschland prominent ver- unserem Antrag – könnte auch sein, dass wir im institu- treten . Der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses tionellen Bereich unsere Expertise, unsere Kapazität im hat teilgenommen, die Bundeskanzlerin, der Bundesau- Hinblick auf Diskussion, Innovation und Reform verbes- ßenminister und der Bundesminister für wirtschaftliche sern. Business as usual kann es nicht sein. Im Bereich Zusammenarbeit und Entwicklung. der Menschenrechte haben wir das Deutsche Institut für Menschenrechte, eine sehr segensreiche, unabhängige (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sind sogar Institution . heute hier!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das ist bemerkt und auch gelobt worden, bis hin zur New sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD]) York Times. Wir dürfen aber nicht nur einer der größten Zahler sein. Vielmehr müssen wir immer mehr auch zu Im Bereich der humanitären Hilfe haben wir nichts Ver- einem der Gestalter werden. Das ist noch nicht so richtig gleichbares. Wir sollten darüber nachdenken, ob hier angekommen . nicht ein Thinktank, ein Laboratorium der Ideen, das die humanitäre Hilfe inspiriert, evaluiert und verstärkt, an (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der Zeit ist. Ob es nun Institut für humanitäre Hilfe oder Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17201

Tom Koenigs (A) Institut für humanitäre Angelegenheiten – also weiter ge- in einer sich rasch verändernden Welt besser und auch (C) dacht – heißen soll, kann man diskutieren. Aber es muss schneller gerecht zu werden. in europäische Strukturen eingebunden sein, Debatten in Unsere Bundesregierung – das war sehr erfreulich – die Öffentlichkeit tragen, aber auch Debatten aus der Öf- war im Gegensatz zu den fünf Vetomächten des Sicher- fentlichkeit aufnehmen, wie es das Deutsche Institut für heitsrates der Vereinten Nationen hochrangigst vertreten: Menschenrechte tut . Die Bundeskanzlerin war da, ebenso der Bundesaußen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) minister, der Bundesminister für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung, und Kollegen waren auch Ich glaube, auch die deutsche humanitäre Hilfe verträgt dabei. Das war ein deutliches Signal, zu zeigen, für wie eine regelmäßige Evaluation und eine intensive und dau- brisant wir aus deutscher Perspektive dieses Thema hal- ernde hochrangige Diskussion im Menschenrechtsaus- ten . Es war gut, dass wir so hervorragend vertreten wa- schuss . ren . (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) SES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Martin Patzelt [CDU/CSU]) Dieser Gipfel war keine Geberkonferenz, in der aus- schließlich über finanzielle Hilfen verhandelt wurde. Es ist an der Zeit, über ein solches Institut, eine Institutio- Es ging um ganz Grundsätzliches. Aber Deutschland nalisierung der Innovation, der Innovationsfähigkeit und hat dennoch zugesagt, seinen Beitrag für den Nothilfe- auch der Einmischung, in der Folge des Humanitären fonds der Vereinten Nationen um 10 Millionen Euro auf Weltgipfels ernsthaft nachzudenken. 50 Millionen Euro anzuheben. Der Fonds soll, ja er muss Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. sogar – das betrifft alle Staaten – dringend auf insgesamt 1 Milliarde Dollar verdoppelt werden, um überhaupt al- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN len Menschen helfen zu können. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutschland ist in diesem Jahr mit einem Beitrag von rund 1,3 Milliarden Euro der drittgrößte internationale Präsident Dr. Norbert Lammert: Geber und hat als Vorreiter für innovative humanitäre Erika Steinbach ist die nächste Rednerin für die CDU/ Hilfe den Weltgipfel von Beginn an auch inhaltlich mit- CSU-Fraktion . geprägt. Obgleich die Summe der international bereitge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) stellten und zugesagten Hilfen seit Jahren steigt, decken die Mittel bei weitem nicht den Bedarf; denn im Schnitt Erika Steinbach (CDU/CSU): kommen jährlich nur rund zwei Drittel der von den Ver- (B) einten Nationen benötigten Gelder tatsächlich zusammen (D) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor und herein. Viele der Länder, die zugesagt haben, etwas drei Jahren waren 40 Millionen Menschen weltweit auf zu leisten, zahlen ganz einfach nicht. Noch nie war die der Flucht oder als Migranten unterwegs. Vor zwei Jah- Finanzierungslücke für Nothilfe so groß wie im vergan- ren waren es schon 50 Millionen Menschen. Heute sind genen Jahr. 2015 kamen nur 55 Prozent des benötigten es bereits 60 Millionen, manche sprechen sogar schon und seitens der Staaten auch zugesagten Geldes zusam- von 70 Millionen. Die Zahl der bedrängten Menschen, men . Auch in den ersten fünf Monaten dieses Jahres ging die ihre Heimat aus den unterschiedlichsten Gründen erst ein Fünftel des Budgets ein. verlassen mussten oder in existenzbedrohenden Situati- onen in der Heimat leben, steigt und steigt deutlich er- Für die Bedürftigen bedeutet weniger Geld im Ge- kennbar weiter an. Der Bedarf an humanitärer Hilfe, um samttopf ganz konkret natürlich auch weniger Hilfe. So überhaupt die ärgste Not zu lindern – da geht es nicht um mussten 2015 die Lebensmittelhilfen für syrische Flücht- Luxushilfe, sondern um Überlebenshilfe –, hat sich von linge im Nahen Osten deutlich gekürzt werden. Am Ende 2012 bis 2015 auf 20 Milliarden US‑Dollar verdoppelt. blieben Flüchtlingen zum Beispiel in Jordanien zeitwei- se umgerechnet nur etwa 50 Cent pro Tag für Nahrung. Immer wieder erleben wir aber, dass die nötigen Mit- 50 Cent pro Tag! Dies war eine wesentliche Ursache tel, die zur Hilfe gebraucht werden, nicht rechtzeitig oder dafür, dass sich im vergangenen Jahr über 1 Million auch nicht ausreichend zur Verfügung gestellt werden. Menschen auf den Weg nach Deutschland und Europa Darum war es gut – ich glaube, es war sogar überfällig; gemacht haben. Das darf sich so nicht wiederholen. aber die Vorbereitung dauerte drei Jahre –, dass der Hu- manitäre Weltgipfel stattgefunden hat in einer Zeit, in der Deutschland stellt sich seiner internationalen Verant- jeder die Probleme sehen kann – wie auch wir tagtäglich wortung und geht mit gutem Beispiel voran. Aber wir auf den Bildschirmen. Angesichts der Vielzahl an Krisen müssen erreichen, dass auch die anderen Staaten ihre und Konflikten und angesichts der Tatsache, dass über Verpflichtungen am Ende erfüllen. Diese Zusagen müs- die Flüchtlinge hinaus weitere Menschen in ihrer Heimat sen eingehalten werden. dringend auf Hilfe der Vereinten Nationen angewiesen (Beifall bei der CDU/CSU) sind, war die Initiative des Weltgipfels dringend erforder- lich. Man geht insgesamt von 125 Millionen Menschen Das ist letztendlich auch im Interesse aller – der Betroffe- aus, die zum nackten Überleben Hilfe benötigen. Staaten nen, die Hilfe brauchen, aber auch der Länder, die Hilfe und Zivilgesellschaften sind bei diesem ersten Huma- geben; denn man kann von vornherein Flüchtlingsströme nitären Weltgipfel zusammengekommen, um Wege und vermeiden und den Menschen die Heimatnähe besser er- Möglichkeiten zu finden, den humanitären Bedürfnissen halten. 17202 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Erika Steinbach (A) Deutschland setzt sich ja seit langem für einen Para- Das Wichtigste wären verbindliche Absprachen darüber, (C) digmenwechsel in der humanitären Hilfe ein. Wir wollen dass humanitäre Hilfe in Notlagen unparteiisch und neu- eine vorausschauende Hilfe, die Betroffenen, wo immer tral bei all den Menschen ankommt, die Hilfe brauchen. möglich, in den Krisengebieten stärken, damit sie dort verbleiben können und es ihnen möglich ist, in der Nähe Doch bereits der Ort des Gipfels, Istanbul, war ein ihrer Heimat zu bleiben, und dass sie sich eben nicht auf politisches Problem. Präsident Erdogan setzt seine au- lebensgefährliche Fluchtwege begeben müssen. Wir se- toritäre Politik immer ungenierter durch. Er bekämpft hen ja Tag für Tag, dass im Mittelmeer Menschen ertrin- seine politischen Gegner mit aller Brutalität. In den kur- ken – auch in den letzten Tagen wieder. dischen Gebieten sind schon Tausende Menschen ums Leben gekommen, überwiegend Angehörige der Zivil- Wie das große Engagement der Bundesregierung zur bevölkerung; genaue Angaben haben wir nicht, da auch Bewältigung der humanitären Krise infolge der Gewalt die Presse mit aller Härte bekämpft wird. In zwei Wah- in Syrien und im Irak zeigt, findet bereits heute eine enge len hat Erdogan versucht, die linke Opposition aus dem Verzahnung von humanitärer Hilfe mit Maßnahmen der Parlament zu drängen. Da dies nicht funktionierte, hat er Entwicklungszusammenarbeit statt. Die Ministerien ar- wenige Tage vor dem Gipfel die Immunität der HDP-Ab- beiten sehr gut zusammen. Grundsätzlich muss es, liebe geordneten aufheben lassen. Nun kann er sie mit will- Kolleginnen und Kollegen, unser Ziel sein, den Opfern kürlichen Verfahren ebenso ins Gefängnis schicken wie von Flucht und Vertreibung und den Migranten mög- bereits zahllose Journalistinnen und Journalisten sowie lichst heimatnah zu helfen. Das ist der richtige Weg so- weitere Oppositionelle. wohl für die betroffenen Menschen als auch für unseren Erdogan lässt an den Grenzen auf Flüchtlinge schie- Kontinent. ßen und zerstört die Demokratie im eigenen Land. Er Denn eines wissen wir auch: Die weltweiten Migra- schafft fortwährend neue Fluchtgründe. Und was macht tionsströme, die Flüchtlingsbewegungen können weder die deutsche Regierung? Sie versucht, den Streit in der in der Europäischen Union noch in ganz Europa noch Koalition über die Flüchtlingspolitik dadurch zu lösen, in Deutschland geheilt werden. Vor diesem Hintergrund dass sie Erdogan für die Abschottung der Außengrenzen war es eine hervorragende Sache, dass der Humanitäre der EU Milliarden in den Rachen wirft. Diese Politik ist Weltgipfel gerade jetzt, in dieser Zeit, mit einem intensi- eine Schande . ven deutschen Engagement stattgefunden hat . Dass sich (Beifall bei der LINKEN) Deutschland so hochrangig dort hinbegeben hat, ist ein Zeichen, dass wir dieses Thema auch ernst nehmen . Ein glaubwürdiger Gastgeber für ehrlich gemeinte hu- manitäre Politik ist Erdogan, der Flüchtlinge zwischen- (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) zeitlich sogar ins Kriegsgebiet zurückschicken lässt, be- (D) stimmt nicht . Präsident Dr. Norbert Lammert: Doch zurück zu den weltweiten humanitären He- Inge Höger ist die nächste Rednerin für die Fraktion rausforderungen. Laut Angaben des Gipfelsprechers Die Linke. stammen 92 Prozent aller Kriegsopfer aus der Zivilbe- völkerung und sind mindestens 125 Millionen Menschen (Beifall bei der LINKEN) weltweit auf humanitäre Hilfe angewiesen. Wenn nicht bald die Weichen hin zu zivilen Ansätzen für Konfliktbe- arbeitung, für eine verantwortungsvolle Klimapolitik Inge Höger (DIE LINKE): und für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung gestellt Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 1 500 Zu- werden, dann könnte die Zahl der Hilfsbedürftigen noch sagen und Selbstverpflichtungen präsentierte UN-Ge- deutlich größer werden. Das ist keine Zeit für unverbind- neralsekretär Ban Ki-moon am Ende des Humanitären liche Ankündigungen. Weltgipfels in Istanbul vor gut einer Woche. Neben zahlreichen finanziellen Versprechungen kündeten die (Beifall bei der LINKEN) unterzeichnenden Staaten und Organisationen an, zu- 37 Millionen Kinder aus Konfliktgebieten haben kei- künftig der Achtung des humanitären Völkerrechts mehr nen Zugang zu Bildung. Nimmt man die Kinder dazu, die Aufmerksamkeit zu schenken. Das klingt gut und ist nur sporadisch Bildungsangebote erhalten, kommt man dringend notwendig. Doch kein einziger dieser zahllosen zu dem Ergebnis, dass etwa 75 Millionen keinen aus- Merkposten wurde verbindlich beschlossen. Es handelt reichenden Zugang zu Bildung haben. Nicht einmal die sich bei allem um Absichtserklärungen, um Papier, um Hälfte der Flüchtlingskinder in den Lagern rund um Syri- teures Papier . en erhalten Schulunterricht. Es ist wichtig, diesen jungen Der Gipfel in Istanbul war eine Chance, den aktuel- Menschen, die eine unerträgliche Gegenwart durchleben, len humanitären Krisen entschieden zu begegnen. Diese wenigstens eine Chance für die Zukunft zu geben . Chance wurde jedoch weitgehend verspielt. Angesichts (Beifall bei der LINKEN) der Notlagen in den Flüchtlingscamps, des Sterbens an den Grenzen Europas, der andauernden Kriege und der Zum Glück wurde das in Istanbul diskutiert. Auf dem zunehmend dramatischeren Folgen des Klimawandels Gipfel wurde ein Bildungsfonds mit dem passenden Ti- sind die Antworten des Gipfels beschämend unkonkret. tel „Bildung kann nicht warten“ beschlossen. Er soll mit einer Summe von 3,8 Milliarden Dollar in den kommen- (Beifall bei der LINKEN) den fünf Jahren etwa 13 Millionen Kindern helfen. Das Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17203

Inge Höger (A) ist ein Anfang, aber es reicht bei weitem nicht . Wenn es Absprachen, das Völkerrecht einzuhalten und keine hu- (C) dabei bleibt, dann muss der größte Teil der betroffenen manitären oder UN-Einrichtungen anzugreifen. Kinder nach wie vor auf Bildung warten. Das ist nicht (Beifall bei der LINKEN) zufriedenstellend. Die Kriegspolitik der NATO-Staaten muss beendet wer- (Beifall bei der LINKEN) den. Sie sind lange genug mit schlechtem Beispiel vo­ rangegangen . Es sind etwa 2 Milliarden Dollar pro Jahr für Bildungs- programme notwendig. Für den Bildungsfonds ist nur Wichtig ist auch ein Stopp von Waffenlieferungen in ein Drittel dieser Summe zugesagt, aber nicht eingezahlt Krisen- und Konfliktregionen. Waffenlieferungen sind worden. Verschiedene Länder verquicken diese Zusage keine Lösung, sondern Teil des Problems. Jede Waffe fin- mit privaten Spendengeldern. So gibt etwa die britische det ihren Krieg. Notwendig sind ernsthafte Bemühungen Regierung eine Anschubfinanzierung von 30 Millionen um politische Lösungen zur Beendigung von Kriegen Pfund. Weitere 100 Millionen Pfund sollen durch private und Konflikten. Notwendig ist zivile Krisenprävention. Spenden kommen . (Beifall bei der LINKEN) Private Spendenbereitschaft ist schön, Hilfe darf aber Wie bereits erwähnt, sind weltweit etwa 129 Millionen nicht von dieser Bereitschaft abhängig sein. Menschen auf die Hilfe der UN und ihrer Partner ange- wiesen. Von denen für humanitäre Hilfe nötigen 20 Mil- (Beifall bei der LINKEN) liarden Dollar für dieses Jahr ist höchstens ein Fünftel bei Die reichen Staaten sind in der Pflicht, die Strukturen den UN angekommen. Es darf nicht sein, dass bis Ende der Hilfe so zu gestalten, dass sie zuverlässig und auch des Jahres 2015 nur etwa die Hälfte der benötigten Gel- längerfristig zur Verfügung steht. Es geht hier tatsächlich der eintrifft. Es darf nicht sein, dass das Welternährungs- um ein grundlegendes Problem der humanitären Hilfe. programm kein Geld für die Hungernden im Jemen oder Es gibt zwar private Spendenbereitschaft, aber sie ist in Somalia hat, dass der Weltgesundheitsorganisation die meistens nur kurzfristig für Themen und Regionen mobi- Mittel zur rechtzeitigen Hilfe bei Gelbfieberepidemien lisierbar, die gerade besonders im Fokus der Öffentlich- in Zentralafrika fehlen oder die Lebensmittelrationen für keit stehen. Ein zuverlässiges Hilfesystem lässt sich so die Flüchtlinge aus Syrien reduziert werden. All dies ist kaum organisieren . im wahrsten Sinne des Wortes ein Armutszeugnis . Der Hinweis, dass Deutschland bereits zu den Län- Ein anderes Thema: Kanzlerin Merkel lobte es als dern gehört, die sehr viel Geld für humanitäre Hilfe zur gutes Zeichen, dass viele Unternehmen an dem Gipfel (B) Verfügung stellen, lenkt da nur ein wenig ab. Gemessen (D) teilnahmen. Die Bilder von dem Gipfel wirkten teilweise am Bruttoinlandsprodukt lag Deutschland im letzten Jahr wie die einer großen Messe, auf der unterschiedlichste hinter den skandinavischen Ländern. Schweden und Nor- Unternehmen ihre Dienstleistungen auf dem wachsenden wegen haben 0,13 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts Markt der organisierten Hilfe anboten. Aus humanitärer gegeben und damit viermal so viel wie die Bundesrepu- Sicht kann dies jedoch problematisch sein. Wenn Hilfe blik, die etwa 0,03 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung ge- zum Geschäft wird, dann kann es schnell passieren, dass geben hat . nicht mehr die Bedürfnisse der Menschen im Mittelpunkt stehen, sondern die Rentabilität die Entscheidung beein- flusst. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. (Beifall bei der LINKEN) Inge Höger (DIE LINKE): Unser Fokus muss auf der Menschlichkeit und dem Recht der Menschen auf ein würdiges Leben und Über- Ich stelle mir vor, dass man sich auf dem nächsten Hu- leben liegen. Lassen Sie mich angesichts der unsäglichen manitären Weltgipfel eindeutig darauf verpflichtet, dass Äußerungen aus dem rechten Lager in diesem Land auch die Weltgemeinschaft alle Ressourcen zur Verfügung Folgendes sagen: Wir sehen Kinderaugen nicht als Er- stellt, die nötig sind, um die Not aller Menschen zu lin- pressung, sondern als Verpflichtung. dern, die Hilfe brauchen, ausnahmslos. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Auch Vereinbarungen zum Schutz von Helferinnen Präsident Dr. Norbert Lammert: und Helfern sind dringend notwendig. Die Hilfsorgani- Für die Bundesregierung erhält nun der Staatsminister sation „Ärzte ohne Grenzen“ blieb dem Gipfel fern, weil Michael Roth das Wort. dieses Thema nicht genügend ernst genommen wird . Es (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hilft auch nicht, wie Frau Merkel in ihrer Rede in Istanbul der CDU/CSU) sagte, nur auf verschiedene Bürgerkriegsfraktionen zu zeigen, wenn gleichzeitig NATO-Verbündete, zum Bei- spiel in Afghanistan, Kliniken bombardieren. Vergleich- Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: bares passierte auch im Jemen, wo saudische Streitkräfte, Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und gut ausgestattet mit westlichen Waffen, wiederholt Kran- Kollegen! 1,5 Milliarden Menschen leben in Krisenge- kenhäuser bombardiert haben. Notwendig sind also klare bieten. 125 Millionen Menschen sind auf akute Nothilfe 17204 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Staatsminister Michael Roth (A) angewiesen, und mehr als 60 Millionen Menschen sind Eben ist deutlich gemacht worden, dass wir mehr tun (C) auf der Flucht. Das sind erschreckende Zahlen. Sie er- müssen für Bildung. Genau darum geht es doch bei dem schrecken nicht nur uns hier im Bundestag, sie erschre- Abkommen mit der Türkei. Darum geht es im Libanon, cken viele Menschen, aber es darf nicht beim Erschre- wo wir in diesem Jahr etwa 330 Millionen Euro zur Ver- cken bleiben. fügung stellen wollen. Wir haben uns nicht nur in Istan- bul, sondern bereits auf der Geberkonferenz in London Deshalb danke ich Ihnen allen auch dafür, dass es uns darauf verpflichtet, dass ab dem Schuljahr 2016/2017 nicht zuletzt mit Ihrer Unterstützung gelungen ist, dem jedes Flüchtlingskind die Chance auf ein Schulangebot Thema Menschenrechte und humanitäre Hilfe mehr Be- erhält. Dafür wird das Geld investiert, und es ist deshalb deutung beizumessen . Sie haben dazu beigetragen, dass auch dort gut angelegtes Geld, ob in der Türkei, im Liba- Deutschland zwischenzeitlich zum drittgrößten Geber non, in Jordanien oder auch in vielen anderen Ländern. im Bereich der humanitären Hilfe zählt. Wir werden in diesem Jahr 1,3 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Und wir alle wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, es der CDU/CSU) reicht am Ende des Tages nicht . Die Botschaft dieses Gipfels in Istanbul ist: Wir müs- Die beschämende Situation des vergangenen Jahres ist sen raus aus dem permanenten Krisenmodus, bei dem schon beschrieben worden. Meine Zahlen, Herr Kollege wir immer nur von einer Katastrophe zur nächsten eilen. Koenigs, sind noch schlimmer als die Ihrigen. Wir hatten Unser Ziel für die Zukunft ist ein System, das auf länger- im vergangenen Jahr eine Unterdeckung im Bereich der fristiger Planung, vorausschauendem Handeln und soli- humanitären Hilfe von 15 Milliarden US-Dollar. der Finanzierung beruht. Zur soliden Finanzierung habe ich schon etwas gesagt, und zur längerfristigen Planung Aber trotz aller Krisen, nicht nur der von Menschen vermag ich auch etwas zu sagen . gemachten Krisen, wie das Herr Koenigs eben sagte, sondern auch der Naturkatastrophen und des Klimawan- Wir haben den gesamten Bereich der humanitären Hil- dels, von dem wir heute noch gar nicht wissen, was dieser fe auf Mehrjährigkeit ausgelegt. für Menschen wirklich bedeutet, die in noch stärkerem Maße von Naturkatastrophen betroffen sein werden, ist (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem mir wichtig, eines noch einmal zu unterstreichen: Unsere BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Menschenrechts- und Entwicklungspolitiker, diejenigen, Wir ergänzen das auch im Bereich der Stabilisierung. Wir die sich der internationalen Arbeit verpflichtet fühlen, die haben vor allem die Mittel für Gemeinschaftsfonds aus- sich der Humanität verpflichtet fühlen, hatten in den ver- geweitet, um auch den Initiativen vor Ort die Planungssi- gangenen Jahren oftmals ein Akzeptanzproblem. Aber (B) cherheit zu geben, die sie dringend brauchen. Also auch (D) nicht zuletzt seitdem die Tragödien der Welt ein Gesicht hier, finde ich, haben wir in Istanbul durchaus über die bekommen haben und die Menschen zu uns kommen und 170 Selbstverpflichtungen hinausdeutlich gemacht: Man uns an ihren tragischen Geschichten teilhaben lassen, ist darf nicht nur reden, sondern man kann auch konkret et- das Bewusstsein der einen Welt gewachsen. was tun . Das Geld, die Hilfe, die Kreativität, der Mut und die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Leistung, die wir außerhalb Europas investieren im Mitt- der CDU/CSU) leren und Nahen Osten, in Afrika, in vielen leidgeplagten Regionen der Welt, sind gut angelegt. Deshalb freue ich Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt benennen, mich, dass wir nicht nur hier im Bundestag eine politi- der mich vermutlich am meisten umtreibt; auch da stehe sche Mehrheit für diese Politik haben. Nein, wir haben ich nicht alleine. Istanbul hat auch ein klares Signal dafür eine breite gesellschaftliche Mehrheit. Ich darf hinzufü- gesetzt, dass es absolut inakzeptabel ist, die humanitären gen: Wenn das nur in anderen Politikbereichen genauso Prinzipien des Völkerrechts weiter mit Füßen zu treten. der Fall wäre. Es ist grauenhaft, zu erleben, dass – in Syrien und an­ dern­orts – Hilfsorganisationen nicht den Zugang haben, (Beifall bei der SPD) um Menschen mit dem Lebensnotwendigsten zu versor- Als jemand, der selbst an einer Reihe von Geberkon- gen, dass Krankenhäuser und Schulen beschossen wer- ferenzen teilgenommen hat, kann ich den Eindruck der den, dass Menschen, Kinder verhungern müssen, weil Kolleginnen und Kollegen nur bestätigen: Auf Gipfeln dem Deutschen Roten Kreuz, dem Roten Halbmond und etwas zuzusagen, ist relativ einfach. Es dann aber auch vielen anderen Organisationen das Geld zwar zur Verfü- wirklich umzusetzen und die Mittel zur Verfügung zu gung steht, aber das Geld eben nicht dort ankommt, wo stellen, ist ungleich schwieriger. Ich darf Ihnen aber auch es dringend gebraucht wird . versichern – ich bin mir ziemlich sicher, die meisten von Deshalb muss es uns tagtäglich darum gehen, das kla- Ihnen werden das bestätigen –, dass Deutschland als ein re Signal von Istanbul immer wieder zu realisieren. Der zuverlässiger Partner in der Welt gilt. humanitäre Zugang von Vertretern von Hilfsorganisatio- (Beifall des Abg. Charles M. Huber [CDU/ nen in zivile Einrichtungen muss von allen gewährleistet CSU] – Lachen bei Abgeordneten der LIN- und garantiert werden. So viel Grundverantwortung und KEN) so viel Mindestkonsens muss in dieser Welt doch mög- lich sein, um dafür zu sorgen, dass nicht am Ende noch Unser Wort hat Gewicht, weil wir zu unseren Zusagen die Kranken, die Kinder, die Schwachen, die, die sowieso stehen . schon den größten Preis zu zahlen haben, sterben und die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17205

Staatsminister Michael Roth (A) Belasteten sind. Ich hoffe, dass in Istanbul wirklich alle sagte: Das darf alles nicht wahr sein. – Das war gleich- (C) diese Signale verstanden haben. zeitig der Antrieb, zu sagen: Wir packen jetzt hier an. Wir können es uns doch nicht ernsthaft leisten, jetzt in Urlaub (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zu gehen, wenn die Not am größten ist. Rupert Neudeck der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ hat auf konkrete Vorschläge, wenn zum Beispiel, was DIE GRÜNEN) oft geschieht, gesagt wurde: „Man müsste mal dies tun“ Zum Schluss: Ja, es geht nicht nur um humanitäre oder: „Man sollte mal jenes tun“, meist geantwortet: Wa- Hilfe. Sie kann die politischen Lösungen nicht ersetzen. rum fangen wir nicht einfach damit an? Aber auch hier stelle ich mich sehr selbstbewusst vor sie. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- Denn ob es nun Syrien ist, ob es die Ukraine ist, ob es wie bei Abgeordneten der LINKEN und des Libyen ist, wir bemühen uns überall – nicht nur aus der BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ferne, sondern in aktiver Teilnahme an den Verhandlun- gen – darum, dass Frieden und Stabilität nicht nur ein ab- Liebe Kolleginnen und Kollegen, er hat sich auch in straktes Hoffnungsversprechen, sondern baldmöglichst die aktuelle Flüchtlingsdebatte eingemischt, manchmal wieder eine konkrete Zusage für viele Menschen auf dem auch alle politischen Lager überrascht. Das war auch der Globus sein werden. Fall, als er kürzlich sagte: Ich danke Ihnen dafür, dass Sie uns in dieser Politik Ich möchte nicht, dass Menschen für die Reinheit entschieden und auch mit mancher konstruktiven Kritik meines pazifistischen Gewissens sterben. unterstützen . Auch das hat manche irritiert. Sicher hätte er auch zu der (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem heutigen Debatte manches zu sagen – wahrscheinlich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch manches Kopfschütteln. Lieber Rupert: Für alles, was du getan hast, ein herzliches „Vergelts Gott“! Präsident Dr. Norbert Lammert: Michael Brand erhält nun das Wort für die CDU/ (Beifall im ganzen Hause) CSU-Fraktion . Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Humanitäre (Beifall bei der CDU/CSU) Weltgipfel war – ich zitiere – „irgendwie doch mehr als Blabla“. So hat das Ereignis ein deutscher Journalist in Istanbul kommentiert. Er hat recht: Man darf den Gip- Michael Brand (CDU/CSU): fel nicht überhöhen, aber man darf ihn eben auch nicht Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! kleinreden. Über 170 Staaten und rund 600 NGOs sind (B) Es ist mir heute bei dieser Debatte ein Anliegen, meine dem Ruf des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon in der (D) Rede anders zu beginnen und einen Mann zu würdigen, letzten Woche gefolgt. Auch ich durfte als Vorsitzender der es verdient hat, der nicht bloß von humanitärer Hil- des für humanitäre Hilfe zuständigen Bundestagsaus- fe gesprochen, sondern konkret geholfen hat, und zwar schusses der deutschen Delegation angehören. den Bedürftigsten, denjenigen, die ums nackte Überleben kämpfen mussten. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gut!) Er war unabhängig, er war unbequem. Er war auch Der Humanitäre Weltgipfel war eine Premiere. Und: umstritten, rastlos, oft unkonventionell und kompro- Ja, er war auch bitter nötig. Nie gab es mehr Menschen, misslos, aber immer hatte er den einzelnen Menschen im die Hilfe zum Überleben brauchen, nämlich 125 Millio- Blick. Es waren vermutlich gerade diese Eigenschaften, nen Menschen, davon 60 Millionen, die auf der Flucht die auch notwendig waren, dass er dort helfen konnte, sind. Das ist die größte Zahl seit dem Zweiten Weltkrieg. wo noch niemand oder nie ein Helfer war. Es waren sein Angesichts zahlreicher und vor allen Dingen – lieber Charakter und seine Haltung, die es tatsächlich geschafft Herr Koenigs, Sie haben das gesagt – langandauernder haben, den öffentlichen Fokus auf weggeblendete Orte Krisen und Katastrophen verzeichnen wir einen stark zu werfen und – das ist das Wichtigste – Menschenleben anwachsenden Bedarf bei der Finanzierung humanitärer zu retten . Hilfe. Rupert Neudeck, der vor drei Tagen gestorben ist, war Beim Umgang mit dieser Katastrophe geht es um ein humanitärer Kämpfer. Er war ein Kämpfer für die nicht weniger als um einen Paradigmenwechsel. Die Schwachen, ein kompromissloser Menschenfreund, ein Perspektive der humanitären Hilfe muss sich künftig Überzeugungstäter der guten Taten. Ich erinnere mich gut noch viel stärker verändern: von einer rein reaktiven Hil- daran, als ich ihn mit Anfang 20 kennenlernte. Ich war feleistung nach einer Krise zu einem vorausschauenden damals bei einer Menschenrechtsorganisation in Bosni- Handeln zur Vermeidung von Krisen. Wir begrüßen sehr, en-Herzegowina engagiert. Ich lernte ihn in Flüchtlings- dass die Bundesregierung hier wichtige Schritte getan lagern in Albanien und in Mazedonien kennen. Ich erin- hat, um sich auf diese Zäsur einzustellen. Der Ausschuss nere mich an ein Ereignis. Es muss kurz vor Ostern 1999 für Menschenrechte und humanitäre Hilfe hat in dieser in der Grenzstadt Blace in Mazedonien gewesen sein, als Wahlperiode vielfache Initiativen ergriffen – in öffentli- Hunderttausende von Flüchtlingen aus dem Kosovo dort- chen Anhörungen und Expertengesprächen, national und hin vertrieben wurden. Der UNHCR hatte gesagt: Wir le- international –, zu den Qualitätsstandards für die huma- gen nach Ostern richtig los, weil jetzt die Feiertage sind. nitäre Hilfe und auch jetzt zum Humanitären Weltgipfel Rupert Neudeck stand dort fassungslos im Schlamm und und seinen Folgen. 17206 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Michael Brand (A) Dass Deutschland in Istanbul mit der Bundeskanzle- mit Tempo für Veränderungen arbeiten. Ich nenne hier (C) rin, dem Außenminister und dem Entwicklungsminister nur drei Punkte: hochrangig vertreten war, unterstreicht, dass die Dring- lichkeit der Herausforderungen jedenfalls dort inzwi- Erstens. Es braucht mehr Geld, eine bessere Organisa- schen angekommen ist . Dass aber die erste Reihe der tion, Qualität und Effizienz. anderen europäischen Regierungen durch Abwesenheit Zweitens . Wir müssen raus aus dem permanenten geglänzt hat – und das, obwohl wir in Europa eigentlich Krisenmodus und zu einer vorausschauenden Hilfe kom- alle gemeinsam das größte Interesse haben sollten, zu men, die auch neue Akteure, wie die Privatwirtschaft, gemeinsamen Lösungen zu kommen –, genauso wie die einbindet . Vetomächte, kann ich nur als kurzsichtig und ignorant bezeichnen . Drittens. Gerade diejenigen, die die Hilfe am nötigs- ten brauchen, erreicht sie oftmals nicht – ich denke an Die Initiative für diesen Gipfel war und ist richtig, die Menschen in Syrien, im Jemen und im Südsudan –, weil er bereits in der Vorbereitung einen dringend not- weil es keinen sicheren Zugang gibt. Das darf bei aller wendigen Prozess der Veränderung in einer sich dyna- Gipfelrhetorik nicht verdrängt werden. misch verändernden Welt angestoßen hat. Der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisen- Gelöst ist nichts. Umso mehr kommt es jetzt, nach management, Christos Stylianides, hat mir gestern im Istanbul, darauf an, gemeinsam konkrete Schritt umzu- Gespräch hier im Deutschen Bundestag gesagt, dass es in setzen. VENRO, der Verband Entwicklungspolitik und Istanbul über 1 000 Selbstverpflichtungen gegeben hat. Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisa- Versprochen wurde in der Vergangenheit genug . Jetzt tionen, hat recht: Das humanitäre System ist in seiner ist endlich Umsetzung angesagt. Auch deshalb wäre es derzeitigen Struktur den gewaltigen Herausforderungen richtig und notwendig, dass es einen Überprüfungsme- nicht gewachsen. Es ist unterfinanziert, agiert zu schwer- chanismus gibt, zum Beispiel ein internationales Monito- fällig und zentralisiert. Wir brauchen deshalb – da stim- ring-System mit Berichtspflichten. Auch das ist für mich me ich mit dem Kollegen Koenigs wieder überein – eine eine Konsequenz aus diesem Gipfel in Istanbul. Jeder stärkere Dezentralisierung und Lokalisierung humanitä- muss erfahren, wer seine Zusagen eben nicht eingehalten rer Hilfe. und gebrochen hat, und jeder muss es wissen, wenn außer Liebe Kolleginnen und Kollegen, was muss eigentlich Worten nichts geblieben ist und die nächste Katastrophe noch passieren, dass nach großspurigen Ankündigungen mit einem Achselzucken zur Kenntnis genommen wird. auf internationalen Geberkonferenzen das zugesagte Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn aus Worten Geld auch dort ankommt, wo es am nötigsten gebraucht (B) Taten werden, dann wird der Humanitäre Weltgipfel ein (D) wird? Ich glaube, der Humanitäre Weltgipfel muss als großer Erfolg. Um es mit Rupert Neudeck zu sagen: Wa- Ausgangspunkt für eine konkrete und umfassende Re- rum fangen wir nicht einfach damit an? form des humanitären Systems genutzt werden. Wir alle müssen die Krise zum Wendepunkt machen und sie auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- als Chance sehen, die Ursachen nicht länger und konse- ordneten der SPD) quent zu ignorieren. Niemand sollte sich einbilden, dass sich die Krisen Vizepräsident : von allein erledigen, dass man sie aussitzen könnte und Der Kollege Frank Schwabe spricht als Nächster für es möglich wäre, so weiterzumachen wie bisher. Dass es die SPD . so weit kommen konnte, zeigt auch, wo die Versäumnis- se liegen. Jeder erinnert sich an den Dezember 2014 – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der frühere UN-Flüchtlingskommissar Guterres hat es ja der CDU/CSU) erwähnt –: Die Einstellung des World-Food-Programms für 1,7 Millionen Flüchtlinge war der eigentliche Auslö- Frank Schwabe (SPD): ser für die Fluchtwelle. Wahr ist doch: Massenhaft Chan- cen, gnadenlos vergeigt! Viel zu lange haben wir alle ak- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! zeptiert, dass man Fakten einfach ignoriert . Verehrte Damen und Herren! Ich glaube in der Tat, man muss zunächst einmal mit einem Lob anfangen. Ich Liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand sollte heu- kann nämlich die Kritik daran, wer alles aus Deutsch- te – das ist eine andere Seite – unterschätzen, wie groß land nach Istanbul gereist ist, nicht nachvollziehen. Es auch die Chancen sind, etwas zu bewirken, wenn diese wurde gesagt, das wäre zu viel der Würde. Wie wäre es Ursachen für Armut, Perspektivlosigkeit und Flucht ak- denn eigentlich andersherum gewesen? Was wäre denn tiv, rechtzeitig und mit den richtigen Mitteln bekämpft gewesen, wenn die Bundeskanzlerin, der Außenminister werden. Der globale Bildungsfonds für Kinderflüchtlin- und der Entwicklungsminister bei einem solch zentralen ge ist ein wichtiger Start. Eine verlorene Generation dür- Thema nicht nach Istanbul gefahren wären? Dann wäre fen wir einfach nicht akzeptieren. Das hieße, sich an den die Kritik wahrscheinlich genau andersherum gewesen. jungen Menschen zu versündigen. Auch das wird eine Riesenherausforderung werden . Sie wissen ganz genau: Die Vorbereitung begann vor drei Jahren und mehr. Damals war nicht absehbar, welche Wir dürfen die Augen vor den Realitäten nicht ver- Debatten wir heute rund um die Türkei und um Istan- schließen, und wir müssen nach Istanbul zäh, aber auch bul führen werden. Insofern war es richtig – das ist auch Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17207

Frank Schwabe (A) wahrgenommen worden –, dass Deutschland dort hoch- wie auch immer man das übersetzen will, in dem die Din- (C) rangig vertreten war . ge, die Sie gerade benannt haben, stehen . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Die Fragen sind: Wie kann man humanitäre Hilfe bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE mit Entwicklungszusammenarbeit verzahnen, nicht ver- GRÜNEN) schmelzen? Verschmelzen funktioniert nicht, weil die Darauf können wir uns nicht ausruhen, aber es ist gut, Prinzipien unterschiedlich sind. Wie kann man dabei hel- dass Deutschland weltweit der drittgrößte Geber ist, und fen, dass Akteure, zum Beispiel die Geflüchteten, in die wir werden uns bemühen – Frau Steinbach und ich haben Entscheidungsstrukturen eines Systems humanitärer Hil- darüber schon geredet –, dass wir das Ganze auch haus- fe hineingenommen werden? Wie können wir lokale Or- halterisch entsprechend absichern. ganisationen stärken? Wie können wir eine mehrjährige Finanzierung organisieren? Wie können wir Konfliktprä- (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) vention entsprechend stärken? Das Entscheidende wird Es ist auch gut, dass Deutschland – so nehme ich das je- sein, dass auf diesen Gipfel etwas folgt und es entspre- denfalls wahr; das ist ja gerade auch gewürdigt worden – chend weitergeht. Die Struktur, wie das weitergehen soll, im internationalen Konzert der Impulsgeber dafür war, ist noch nicht klar. Das muss aber im Laufe dieses Jahres das humanitäre Hilfssystem auf eine andere Grundlage, klar werden. eine qualifizierte Basis, zu stellen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was mich immer Es war keine Geberkonferenz, über die wir hier reden . wieder fassungslos macht, ist die Tatsache, wie stark die- Trotzdem muss man über Finanzen sprechen. Das will ses humanitäre Hilfssystem unterfinanziert ist. Trotz allen ich gleich auch noch tun. Lobs über die London-Konferenz haben wir im Rahmen der Hilfe für Flüchtlinge und für geflüchtete Menschen Vorab will ich aber das unterstreichen, was viele aus Syrien eine Unterfinanzierung. Wir haben eine dra- Kolleginnen und Kollegen hier gesagt haben: In allem matische Unterfinanzierung bei der humanitären Hilfe im Schlechten – gemeint ist die schwierige weltweite huma- Südsudan, im Jemen und bei dem El-Niño-Phänomen. nitäre Lage – liegt auch etwas Gutes. Es ist die Chance – Wir haben bei der Finanzierung ein Loch von mindestens wir haben ein neues Momentum –, ganz anders über die 15 Milliarden US-Dollar. Das ist mehr als die Hälfte des- humanitäre Hilfe für die 60 Millionen Flüchtlinge, von sen, was wir in der humanitären Hilfe brauchen. denen Sie gesprochen haben, und für die 100 bis 200 Mil- lionen Menschen – je nachdem, wie man das sieht –, die Ich will die letzten Sekunden meiner Redezeit, die ich auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, zu reden. noch habe, dafür nutzen, klarzumachen, wie wenig Geld das am Ende ist. Man muss wirklich mit dem Begriff „Pe- (B) Sich um die humanitäre Hilfe zu kümmern, ist eben anuts“ aufpassen, aber das sind Peanuts. Dieses Geld ist (D) nicht „Nice to have“, also irgendetwas, was man auch ein Zwanzigstel von dem, was die weltweit 100 größten noch einmal machen kann, sondern es geht um das Le- Rüstungsfirmen jedes Jahr mit Waffenverkäufen umset- ben und die Würde von Menschen. Das allein wäre schon zen. Es ist weniger als das, was Großbritannien und die Grund genug. Es geht aber eben auch um knallharte Au- Türkei für den Bau eines neuen Atomkraftwerks planen. ßen- und Sicherheitspolitik. Es geht darum, ob bestimmte Es ist nur die Hälfte dessen, was zum Beispiel Herr Zu- Regionen der Welt dauerhaft stabilisiert oder destabili- ckerberg besitzt, der sich immer wieder wohltätig geriert. siert werden. Darüber reden wir bei der humanitären Hil- fe im Kern. Es ist eben – das müssen wir uns klarmachen – bei allem Lob über die deutsche Rolle weniger als die Hälfte Wir reden auch über Fluchtbewegungen, die ausgelöst dessen, was für den Verteidigungsetat dieses Landes zur werden, wenn es keine ausreichende humanitäre Hilfe Verfügung steht. Deswegen haben wir als Bundestag die gibt, und wir reden darüber, was eigentlich mit den Kin- Aufgabe, uns zum einen für das zu loben, was wir in die dern passiert, die zur Schule gehen müssen, das zurzeit Haushalte eingestellt haben, aber zum anderen bei den aber nicht können. Sie sind doch wirklich das Futter für Haushaltsberatungen darauf zu achten, dass es zumindest diejenigen, die sich terroristische Vorhaben auf der gan- dabei bleibt und dass wir weitere Impulse finanzieller Art zen Welt vorgenommen haben. Auch das muss mit huma- in das internationale System geben können, damit wir nitärer Hilfe unterbunden werden. den unerträglichen Zustand der Unterfinanzierung been- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie den und dafür sorgen, dass Terroristen die Nahrung ent- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE zogen wird . Das ist unsere gemeinsame Verantwortung . GRÜNEN) Vielen Dank. Der Humanitäre Weltgipfel kann nur ein erster Auftakt für eine solche intensivierte Debatte sein. Er funktioniert (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eben nicht wie Klimakonferenzen, bei denen wir am der CDU/CSU und der Abg. Inge Höger [DIE Ende einen Mechanismus haben und Dinge völkerrecht- LINKE]) lich verbindlich verabredet werden, sondern der Gipfel funktioniert im Moment nur über Einzelverabredungen, Vizepräsident Johannes Singhammer: die hier aufgezählt worden sind, und darüber, dass man Der Kollege Dr. Volker Ullrich spricht als Nächster für sich eine Liste von Themen vornimmt, über die man re- die CDU/CSU . den will. Dazu ist auch ein Papier verabschiedet worden, das sogenannte Grand Bargain, also der große Deal oder (Beifall bei der CDU/CSU) 17208 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

(A) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Wir brauchen deswegen eine Reform der humanitären (C) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Hilfe mit folgenden Eckpunkten: Herren! Kriegerische Auseinandersetzungen und Natur- Erstens. Die Gelder müssen deutlich erhöht und im katastrophen verursachen großes menschliches Leid. Der vollen zugesagten Umfang unmittelbar zur Verfügung Konflikt in Syrien und im Nord-Irak hat Millionen von stehen . Menschen zu heimatlosen Flüchtlingen gemacht. Natur- katastrophen wie Erdbeben in Haiti und Nepal verlangen Zweitens . Wir brauchen funktionierende Mechanis- nach schneller Hilfe. Hungernde Menschen in der Sa- men der humanitären Hilfe, welche eng mit langfristigen helzone benötigen Nahrung und sauberes Wasser. Über Projekten der Entwicklungszusammenarbeit verknüpft 130 Millionen Menschen sind derzeit unmittelbar auf hu- sind . manitäre Hilfe angewiesen. Unser Land geht, wie ich meine, mit gutem Beispiel Das Leid und die Verzweiflung dieser Menschen sind voran. Auf der Geberkonferenz in London sind bis 2018 durch die Bilder spürbar, die uns täglich erreichen. Die 2,3 Milliarden Euro anvisiert worden. Für das Welter- Antwort darauf, wie wir mit dieser Situation umzugehen nährungsprogramm werden wir über 500 Millionen Euro haben, hat uns der in dieser Woche verstorbene Rupert beisteuern. Auf dem Gipfel in Istanbul hat Deutschland Neudeck gegeben, an den auch ich im Rahmen dieser einen Betrag von 50 Millionen Euro für den UN-Nothil- Rede erinnern möchte. Er sagte: fefonds zugesagt . ... wir dürfen uns keine Verzweiflung leisten. Ver- Es gab noch keinen Bundesminister für wirtschaftli- zweiflung ist eine Luxushaltung für einen Humani- che Zusammenarbeit und Entwicklung wie Gerd Müller, tären. Wir müssen immer überlegen, wie wir Wege der so intensiv und nachhaltig für die Erhöhung der Mit- zu den Menschen finden. tel für die Entwicklungszusammenarbeit geworben hat. Diese Wege zu Menschen in der Not ist die humanitäre (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hilfe. Wir leisten sie, weil unser Menschenbild uns ver- Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: pflichtet, solidarisch zu sein. Wir leisten sie gerne, weil Hat er heute Geburtstag?) wir überzeugt sind, dass Mitmenschlichkeit ein Schlüssel Das ist gelebte Verantwortung. Dafür sagen wir herzli- zu einer besseren Welt ist. chen Dank . Der Bedarf an humanitärer Hilfe beträgt derzeit etwa (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Frithjof 20 Milliarden Euro pro Jahr. Dieses Geld wird dringend Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für (B) benötigt: für Nahrung, sauberes Wasser, ein Dach über den Personenkult! – Tom Koenigs [BÜND- (D) dem Kopf, Babynahrung und Medikamente. Es steht aber NIS 90/DIE GRÜNEN]: Franz Josef Strauß!) nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung. Allein 2015 blieb ein Betrag von 7 Milliarden Euro ungedeckt. Mei- Wir brauchen neben der Stärkung der humanitären ne Damen und Herren, es ist nicht hinnehmbar, wie Leid Hilfe auch eine Stärkung des Rechts. Wir erleben derzeit noch vergrößert wird, weil die Finanzierung der elemen- einen Zustand der Krise des humanitären Völkerrechts. taren humanitären Hilfe nicht sichergestellt werden kann. Ein elementarer Grundsatz des humanitären Völker- rechts besteht darin, dass jedem geholfen werden muss (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und und kann, unabhängig von Kultur, Religion, Herkunft der SPD) oder einer etwaigen Angehörigkeit zu einer Konfliktpar- tei, und dass die Helfer ungefährdet ihre Arbeit verrich- Wir blicken auf die Flüchtlingslage in Jordanien. Die ten können. Menschen dort haben erfahren, was es bedeutet, wenn Gelder für Essensrationen drastisch gekürzt werden. Ich Leider wird dieses Prinzip zunehmend gebrochen. Wir formuliere klar und deutlich: Dieses Beispiel muss uns müssen erleben, dass Krankenhäuser bombardiert und vor Augen führen: So etwas darf und soll nicht mehr vor- Ärzte und Pflegepersonal angegriffen und verletzt wer- kommen . den oder gar ihr Leben verlieren. Wir müssen erleben, dass Kriegsflüchtlinge zur Zielscheibe werden und selbst Die Frage, die sich die wohlhabenden Staaten dieser ihre Zufluchtsorte nicht verschont bleiben. Welt stellen müssen, ist eine ganz einfache: Wie kann es sein, dass für viele Dinge Geld vorhanden ist, sich aber Am 28. April dieses Jahres sind mindestens 30 Men- oftmals der Eindruck erschließt, dass die Not von Men- schen bei der Bombardierung einer Klinik im syrischen schen nicht die oberste Priorität hat? Aleppo ums Leben gekommen. Am 5. Mai ist ein Flücht- lingslager in der Provinz Idlib bombardiert worden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mehr als 28 Menschen verloren dabei ihr Leben. Diese Angriffe sind als das zu bezeichnen, was sie sind: Es sind Wie kann es sein, dass Hilfsgelder erst zugesagt und Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Mensch- dann entgegen der Abrede nicht ausgezahlt werden? lichkeit. Meine Damen und Herren, welchen Eindruck macht das auf Hilfsorganisationen, die sich mit ihren Freiwilligen Die Täter müssen der Rechenschaft zugeführt wer- in die Krisengebiete der Welt bewegen und dann feststel- den. Es wäre auch notwendig gewesen, dass die Welt- len, dass ihre elementare Finanzierung nicht sicherge- gemeinschaft auf diesen Verstoß gegen das humanitäre stellt werden kann? Völkerrecht eine noch deutlichere Antwort gefunden hät- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17209

Dr. Volker Ullrich (A) te. Diese Antwort wäre notwendig, um eine Geltung und würde, angesichts der aktuellen Entwicklungen wäre (C) Wiederherstellung des Rechts zu ermöglichen. vielleicht ein anderer Ort besser gewesen. Es kommt aber noch der Flüchtlingsgipfel in New York am 19. Septem- Meine Damen und Herren, wir werden die Ergebnisse ber. Ich hoffe, dass bis dahin in New York nichts pas- von Istanbul wohlwollend und konstruktiv begleiten. Wir siert, was dann diesen Tagungsort auch irgendwie infrage wissen, dass dieser Gipfel nicht das Ende oder das Ergeb- stellt. Insofern: Es geht weiter. nis einer langen Wegstrecke ist. Er ist vielmehr der An- fang, um durch unsere Generation Menschlichkeit und Es geht auch hier im Bundestag weiter . Es wurde Hilfe für die Schwachen zu erreichen. schon gesagt, dass wir sehen müssen, dass wir weiterhin so viel Geld für humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen, Ich darf zum Schluss dieser Debatte noch einmal an wie wir es in diesem Jahr getan haben. Darauf können wir Rupert Neudeck erinnern, der unlängst gefragt wurde, in den Beratungen des Ausschusses für Menschenrechte wie er denn die Kraft aufbringe, zu helfen. Da antwortete und humanitäre Hilfe achten, und da sind vor allem auch er – ich zitiere ihn –: unsere Haushälter gefragt. Wir werden als Bundestag na- Es ist ein Geschenk, in einer so freien Gesellschaft türlich darauf achten, dass die Milliarden Euro, die von zu leben. Ich will den Menschen etwas zurückge- der EU der Türkei zugesagt wurden, nicht irgendwo von ben . der türkischen Regierung vereinnahmt werden, sondern dass diese Milliarden Euro in konkrete Projekte für die Inspiriert habe ihn dabei das Gleichnis vom barmherzi- 2,7 Millionen Flüchtlinge, die in der Türkei sind, einge- gen Samariter . Diese Geschichte – so sagte er – trete ihm setzt werden . immer wieder in den Bauch, und sagt: Du bist zuständig für die Not anderer Menschen, jetzt und sofort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) In diesem Sinne, meine Damen und Herren, lassen Sie Wir können auch weiterhin, wie wir das bisher zum uns das Bewusstsein schaffen, und lassen Sie uns han- Teil schon getan haben, die Arbeit des Koordinierungs- deln! ausschusses Humanitäre Hilfe begleiten, der ja eine fast einmalige Organisation ist, in der staatliche und nicht- Herzlichen Dank. staatliche Akteure der humanitären Hilfe in Deutschland (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) zusammenarbeiten. Wir können natürlich immer wieder die Bundesregierung befragen, was denn aus den Ver- pflichtungen, die sie in Istanbul und auf anderen Kon- Vizepräsident Johannes Singhammer: ferenzen eingegangen ist, geworden ist. Und wir können Zum Abschluss dieser Aussprache spricht die Kolle- den einen Punkt weiterverfolgen, der im Chair’s Sum- gin Dr. Ute Finckh-Krämer für die SPD. (B) mary des Humanitären Weltgipfels vorkommt und der (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mich sehr gefreut hat, nämlich: Wie können eigentlich der CDU/CSU) Konflikte, die zu Not, zu Bedarf an humanitärer Hilfe führen, friedlich beigelegt werden? Wie kann die Eskala- Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): tion von Konflikten zu Krieg und Bürgerkrieg verhindert werden? Wie können Friedensprozesse in Ländern, wo es Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! schon bewaffnete Konflikte gibt, unterstützt werden mit Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribü- diplomatischen Mitteln, aber auch mit Mitteln der Me- nen! Die letzte Rednerin in der Debatte hat immer die diation? Wie können die Vereinten Nationen unterstützt Chance, auf das einzugehen, was die Vorrednerinnen und werden, die über eine nicht übermäßig gut ausgestattete Vorredner gesagt haben, und hat die Möglichkeit, auf das Mediation Support Unit verfügen? Wie können die Frie- hinzuweisen, was jetzt nach der Debatte kommt. Das will densprozesse unterstützt werden, an denen Deutschland ich gerne tun . im Augenblick beteiligt ist, etwa in Libyen oder in Syri- Das eine ist – das muss hier, glaube ich, noch einmal en? Wie können lokale Organisationen einbezogen wer- gesagt werden –, dass ein so großer Gipfel mit einem so den, um Friedensprozesse zu unterstützen? langen Vorlauf, wie er in Istanbul stattgefunden hat, nicht In diesem Jahr haben wir im Rahmen der OSZE-Prä- aufgrund aktueller politischer Entwicklungen in eine an- sidentschaft die Chance, ein Land zu unterstützen, das dere Stadt umgelegt werden kann. Das heißt, die Alterna- noch gar nicht genannt wurde, nämlich die Ukraine, wo tive wäre gewesen, den Humanitären Weltgipfel abzusa- es insgesamt 1,7 Millionen Flüchtlinge und Binnenver- gen. Ich glaube, wir sind alle froh, dass er stattgefunden triebene gibt, die zwar nicht alle, aber teilweise auf hu- hat: wegen der vielen Tausend Menschen, die sich da- manitäre Hilfe, Mittel der Übergangshilfe oder Mittel rauf vorbereitet haben, wegen der Vereinbarungen, die der Entwicklungszusammenarbeit angewiesen sind. Wir dort getroffen wurden, wegen der 170 Verpflichtungen, können zudem versuchen, langanhaltende Konflikte zu die Deutschland eingegangen ist, von denen uns vorges- beenden, bei denen noch immer Menschen als Vertriebe- tern der Vertreter des Auswärtigen Amtes im Menschen- ne oder Flüchtlinge gelten, etwa den in Berg-Karabach. rechtsausschuss berichtet hat und die wir im Menschen- rechtsausschuss zusammen mit dem Antrag, der heute Wir haben also noch eine Menge zu tun und umzuset- vorgelegt und diskutiert worden ist, natürlich analysieren zen . Die Arbeit hat erst begonnen . Wir werden uns ihr und diskutieren werden . stellen. Insofern ist es richtig und wichtig, dass der Gipfel (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten stattgefunden hat, auch wenn man rückblickend sagen der CDU/CSU) 17210 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

(A) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damals, als wir vor rund zehn Jahren zum ersten Mal (C) Damit schließe ich die Aussprache. über eine Exzellenzinitiative geredet haben, war ich ein intensiver Verfechter in der KMK, Herr Rossmann, nicht Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf nur aufzulisten, welche Universitäten gut und spitze sind, Drucksache 18/8619 an die in der Tagesordnung aufge- sondern auch wissenschaftsadäquat zu entscheiden. Wir führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- alle wissen, dass es eine Hochschule geben kann, die in verstanden? – Kein Widerspruch erhebt sich. Dann ist die einem Bereich spitze ist, aber nicht in allen. Deswegen Überweisung so beschlossen. sind Exzellenzcluster für uns – damit haben wir uns da- Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 28 auf: mals auch durchgesetzt – das Wissenschaftsadäquate; man kann ihre Ergebnisse gut messen . Man kann sehr gut Vereinbarte Debatte einschätzen, ob die Hochschule zum Beispiel im Bereich Weiterentwicklung der Exzellenzinitiative der Biotechnologie Weltspitze ist oder etwas anderes. und Förderung des wissenschaftlichen Nach- Deswegen ist es für mich folgerichtig, dass wir in der wuchses Nachfolge der Exzellenzinitiative jetzt den Exzellenz- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für clustern den größten finanziellen Betrag einräumen. Von die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Widerspruch den 533 Millionen Euro jährlich gehen 385 Millionen höre ich keinen. Dann ist diese Redezeit so beschlossen. Euro an die Exzellenzcluster. Es wird 45 bis 50 Exzel- lenzcluster geben. Man kann sich fragen: Sind das nicht Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- zu viel? Wir haben eine unwahrscheinliche Breite in vie- nerin das Wort für die Bundesregierung Bundesministe- len Fächern. Deswegen glaube ich, dass das eine gut Zahl rin Dr . Johanna Wanka . ist, auch was die Finanzen betrifft . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Wir haben eine Empfehlung der Imboden-Kommis- ordneten der SPD) sion, für die ich große Sympathie hatte, umgesetzt. Das heißt, wenn eine Hochschule einen Cluster einwirbt, Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung dann bekommt die Hochschulleitung 1 Million Euro und Forschung: jährlich, für das zweite 750 000 Euro und für das dritte Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- 500 000 Euro. Die Hochschulleitung kann diese Mittel ren! Wir diskutieren in Deutschland über viele Dinge, zur strategischen Profilierung nicht nur des Clusters, son- zum Beispiel sehr oft über das Thema Rente. Wie wird dern der Hochschule insgesamt einsetzen. Wir wollen de- sie sich entwickeln? In welchem Alter kann man in Ren- zidiert auch kleine Cluster. Das war auch bisher möglich. (B) te gehen? Wie sieht es in 10 oder 15 Jahren aus? Kön- Das betrifft zum Beispiel die Geisteswissenschaften. Es (D) nen wir uns toll positionieren? Können wir Beschlüsse müssen nicht immer die großen Klopper sein. Der uni- fassen? Aber das alles ist Makulatur, wenn wir es nicht versitäre Zuschlag ist völlig unabhängig vom Finanzvo- schaffen, zu diesem Zeitpunkt wirtschaftlich leistungs- lumen des Clusters, das man einwirbt. fähig zu sein; denn es handelt sich um eine umlageori- Das Besondere ist, dass wir nicht nur für sieben Jah- entierte Rente . Momentan sind wir in einer sehr guten re, sondern dauerhaft Spitzenforschung in Deutschland Situation. Wir sind die viertstärkste Industrienation der fördern. Welt. Aber das bleibt nicht automatisch so. Deswegen muss man vorausschauend denken . (Beifall bei der CDU/CSU) Was bzw. wer sind die Basis für unsere wirtschaftli- Das heißt, dass es nach sieben Jahren einen neuen Wett- che Leistungsfähigkeit? Das sind Innovationskraft und bewerb gibt. Alle Cluster müssen sich neu orientieren Fachkräfte. Die Hochschulen, das Herzstück des Wis- und neu bewerben . senschaftssystems, sind für akademische Fachkräfte und Die Exzellenzuniversitäten müssen als notwendige Innovationen in herausragendem Maße verantwortlich. Voraussetzung zwei Exzellenzcluster haben, im Verbund, Man kann nicht einfach sagen: Es läuft gut, und das las- der möglich ist, drei. Wir haben neue Möglichkeiten ge- sen wir so. – Vielmehr müssen wir überlegen, welches schaffen und sind bereit, als Bund dauerhaft institutionell die Herausforderungen der Zukunft sind und was man zu fördern. Wir binden diese Förderung aber an strikte ändern und strategisch bedenken muss. Genau das haben Voraussetzungen . Eine Voraussetzung ist, dass man wie- wir getan . Unsere Ergebnisse, über die wir heute disku- der zwei Cluster einwirbt. Wenn man dieses nicht tut, ist tieren, liegen Ihnen als Gesamtpaket vor. man klar aus der Riege heraus. Wenn man es aber schafft Da ist zum einen die Exzellenzinitiative. Wir hat- und zwei Cluster einwirbt, ist man nicht automatisch ten schon vor 20 Jahren, als viele Wirtschaftsführer weiter im Geschäft, sondern dann wird evaluiert, ob das, das anders gesehen haben, eine starke, leistungsfähige was die Hochschule in den letzten Jahren geleistet hat, Hochschullandschaft. Aber wir brauchten und brauchen wirklich höchste wissenschaftliche Exzellenz ist. internationale Spitzenforschung; denn eine sichtbare Das ist das Prinzip, nach dem wir bei der Max-Planck-­ Spitzenforschung ist für die Wettbewerbsfähigkeit unse- Gesellschaft vorgehen. Die deutsche Wissenschaftsinsti- res Landes entscheidend. Wir brauchen nicht nur Breite, tution, die im Ranking am höchsten steht – zweiter Platz sondern auch Spitze . nach Harvard –, ist die Max-Planck-Gesellschaft. Wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wollen aber erreichen, dass es nicht nur als Qualitätskri- ordneten der SPD) terium gilt, aus den USA oder anderen Teilen der Welt Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17211

Bundesministerin Dr. Johanna Wanka (A) zur Max-Planck-Gesellschaft zu gehen, sondern auch zu Teil auf schlechter dotierten, aber unbefristeten Stellen, (C) einigen deutschen Universitäten. zurückkommen . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Man kann noch so viele Programme auflegen, aber ordneten der SPD) wenn es keine Wissenschaftler, gerade junge Leute, gibt, Das ist ein wichtiger Schritt . die sich engagieren, die Ideen haben und gerne in dem System arbeiten, dann wird unsere Strategie nicht effek- Wir haben daran eine Bedingung geknüpft . Das war tiv umgesetzt werden . Deswegen ist es wichtig, gute Ar- zwingend notwendig; denn keiner hier im Saal hat Lust, beitsbedingungen und gute Karrierechancen im Wissen- 1 Milliarde Euro für die Finanzierung eines Vorhabens schaftssystem zu bieten . Wir haben einen ersten Schritt auszugeben, wenn am Ende der Stand wie zuvor ist . Des- dazu getan, indem wir die BAföG-Mittel zu 100 Prozent wegen unsere klare Forderung – berechenbar und genau übernommen haben. Das sind 1,17 Milliarden Euro jähr- quantifiziert –: Durch Tenure Track muss es zusätzlich lich, die jetzt den Ländern zur Verfügung stehen. 1 000 Stellen geben. Berücksichtigt wurde dabei, dass Daraus kann man mehr als 10 000 Stellen finanzieren, die Situation zum Beispiel in Sachsen und in Thüringen je nachdem, wie man sie ausstattet. Der Wissenschaftsrat etwas schwieriger ist. Trotzdem: Es muss 1 000 zusätzli- hat seinerzeit gefordert, bis 2023 einige Tausend Stellen che Stellen geben. zu schaffen. Wir haben Mittel zur Verfügung gestellt, mit Nachhaltigkeit kommt darin zum Ausdruck, dass es denen wesentlich mehr Stellen geschaffen werden kön- nicht reicht, eine Tenure-Track-Stelle auszuschreiben, nen . das nötige Geld für sechs plus zwei Jahre zu nehmen und (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. dann alles wie vorher laufen zu lassen; vielmehr müssen Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Kai diese 1 000 Stellen immer wieder ausgeschrieben werden, Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für sodass wir flächendeckend in das Tenure-Track-System Schule und Hochschule!) hereinkommen . Damit werden wir einen Strukturwan- del – wieder ist der Bund der Impulsgeber – auslösen. Die Mittel werden unterschiedlich genutzt, aber man Das, glaube ich, ist wichtig. kann beruhigt sein: Das Geld gibt es unbefristet. Wenn ein Land in dieser Richtung noch nicht gut entschieden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- hat, kann es sich noch im nächsten Jahr oder in zwei Jah- ordneten der SPD) ren entscheiden. Das ist ohne Weiteres möglich. Wenn die Forschungsergebnisse in den Hochschulen (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Dazulernen!) (B) gut sind und etwas Anwendungsorientiertes entstanden (D) Dieser Part ist von uns geleistet worden. Jetzt kommt ist, dann gelingt es auch, diese Ergebnisse in die Praxis ein nächster Schritt, um Planungssicherheit zu schaffen zu transferieren. Aber es gelingt nicht immer, und wir und Karrierechancen berechenbar zu machen. Das ist das verlieren noch an dieser Stelle. Deswegen ist es wichtig, Tenure-Track-Programm . den Transfergedanken in den Hochschulen zu fördern. Das Programm „Innovative Hochschule“ setzt genau da- Ich bin den Koalitionären sehr dankbar rauf. Da geht es um technologische, aber auch um ge- (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir sellschaftliche Innovationen. Da geht es nicht darum, auch!) einen Transferbeauftragten zu haben – einen solchen Beauftragten haben mittlerweile alle; und die machen – genau –, dass sie sich entschieden haben, das mit einem ihre Arbeit auch gut –, sondern es geht um neue Ideen, Koalitionsbeschluss zu bekräftigen. Wir kommen darauf ganzheitliche Konzepte, strategische Partnerschaften. zurück, wenn es ums Geld geht. Aber ich bin sehr froh, Wir wollen die Besten im innovativen Bereich. Dieses dass wir da an einem Strang ziehen . Programm richtet sich insbesondere an Fachhochschulen Als damals die Juniorprofessur eingeführt wurde, gab und an kleinere Universitäten. Auch diese Zielstellung ist es viele Widerstände, gerade auch aus der Parteirichtung, wichtig. Wir haben ja Hochschulen mit unterschiedlichen aus der ich komme . Ich war von Anfang an ein Verfechter Aufgaben . der Juniorprofessur. Die hat sich auch bewährt. Gerade Ich glaube, dass das Gesamtpaket, das wir vorgelegt junge Frauen haben bei der Juniorprofessur bessere Chan- haben, kohärent ist. Es ist ein Paket, über das wir na- cen als anderswo. Aber das Tenure-Track-Programm ist turgemäß intensiv, das wir aber auch schnell diskutiert etwas anderes . Bei einer Juniorprofessur hat man sechs haben, ein Paket, dem kein Wissenschaftsminister und Jahre Zeit, um unabhängig und selbstständig zu forschen keine Wissenschaftsministerin widersprochen haben . Es und damit alle Voraussetzungen zu erwerben, um sich auf liegt jetzt auf dem Tisch der Ministerpräsidenten und der eine Professorenstelle zu bewerben. Man hat zwar beste Bundeskanzlerin, und dann, falls sie so entscheiden, wie Voraussetzungen, aber ansonsten keine Sicherheit . wir es uns wünschen, dann geht es los. Dann gibt es zwei Bei Tenure Track ist es so: Es gibt ein Ausschrei- Monate später eine Ausschreibung für das Projekt „Inno- bungsverfahren. Man bewirbt sich. Nach sechs Jahren vative Hochschule“, dann stehen für alle, die jetzt in der hat man Rechtssicherheit; da hat man eine unbefristete Exzellenzinitiative erfolgreich waren, Übergangsfinan- Stelle, falls man die nötige Leistung erbringt. Das ist also zierungen für zwei Jahre zur Verfügung; das gilt auch für ein anderes System. Weil es planbar ist, wird das dazu die Graduiertenschulen. Und Ende 2019 startet dann die führen, dass junge Leute, die jetzt woanders sind, zum Förderung der Exzellenzuniversitäten. 17212 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Bundesministerin Dr. Johanna Wanka (A) Ich denke, es ist insgesamt ein Signal, dass wir nicht erhöht wird, ist bereits zum Zeitpunkt seiner Erhöhung (C) nur die außeruniversitären Einrichtungen und vieles an- wieder überholt und unzureichend. dere schätzen, sondern dass wir auch den Hochschulen (Dr. [CDU/CSU]: Von der wirklich ganz andere Möglichkeiten geben. Ich hoffe auf BAföG-Höhe träumen viele Auszubildende!) Erfolg. Die Studierenden lernen in völlig überfüllten Seminaren, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Bibliotheken müssen ihre Öffnungszeiten einschränken, und die Mensen sind so unterfinanziert, dass sie das Es- Vizepräsident Johannes Singhammer: sen verteuern . Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicole Gohlke, (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Studieren Fraktion Die Linke. Sie in Moskau oder in Berlin?) (Beifall bei der LINKEN) Das ist doch die Situation vor Ort. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ein Blöd- Nicole Gohlke (DIE LINKE): sinn!) Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Heute geht es also um die Pakte, die Bund und Länder zur Fi- Das zweite, seit Jahren ungelöste Problem ist die nanzierung von Vorhaben an den Hochschulen geplant schlechte Situation für die Beschäftigten und für die haben. Die Opposition hätte sich gerne einzeln und in- Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Ändern wird tensiver mit den verschiedenen Ansätzen auseinanderge- sich daran erst etwas, wenn wirklich Geld in die Hand setzt; denn diese Wissenschaftspakte sind ja keine Fuß- genommen wird, um verlässliche Karrierewege und Dau- noten und auch keine Kleinigkeit, sondern es geht um erstellen in der Wissenschaft zu schaffen Milliardenbeträge und darum, wie sie verteilt werden. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau! Tenu- Wenn wir jetzt aber über alles zusammen diskutieren, re Track! Wissenschaftszeitvertragsgesetz! dann möchte ich gerne mit der Frage der Verhältnismä- 1,2 Milliarden Euro für das BAföG! All das ßigkeit beginnen; denn da hat die Bundesregierung aus machen wir!) unserer Sicht wirklich den größten Nachholbedarf. Man durch die Einrichtung von zusätzlichen Professuren, aber hat das Gefühl, die Regierung hat jedes Gespür für das vor allem doch durch dauerhafte Stellen im Mittelbau. Verhältnis von Spitzen- und Breitenförderung verloren. (Beifall bei der LINKEN) (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Sie kennen (B) die Zahlen überhaupt nicht! 2,2 Milliarden Und was macht die Bundesregierung? Ehrlich gesagt, (D) Euro für den Hochschulpakt! Sie können nicht Ihre Taktik ist: Scheuklappen an und weiter so, ein einfa- rechnen!) ches Weiter-so mit der Politik der befristeten Pakte statt endlich ein Einstieg in eine verlässliche Grundfinanzie- Sie macht Milliarden für die Elitenförderung locker, und rung . der große Rest wird am Katzentisch mit ein paar Almo- sen abgespeist . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ist ja unglaublich!) Jetzt gibt es also drei Pakte: die Exzellenzinitiative zur Förderung von wenigen Spitzenunis, einen Pakt zur Sie nennen das dann Elite und Exzellenz. Ich nenne das Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses an Uni- verantwortungslos; denn es wird den Herausforderungen, versitäten und das Programm „Innovative Hochschule“ vor denen die Hochschulen stehen, einfach nicht gerecht. unter anderem für Fachhochschulen. Wenn Sie sich auch Das ist das große Problem dieser Regierung. noch so sehr bemühen, das jetzt als ausgewogenes Ge- (Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht samtpaket zu verkaufen: Es ist das Gegenteil von ausge- [CDU/CSU]: Das ist faktisch falsch! – Weite- wogen. Es ist völlig aus dem Lot geraten. rer Zuruf von der CDU/CSU: Sie wissen, dass (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist ein wir eigentlich gar nicht zuständig sind?) Triple A!) Das große und ungelöste Problem an den Hochschu- 5,4 Milliarden Euro für die Spitze, davon 30 Prozent für len heißt Unterfinanzierung, chronische und dauerhafte nur zehn Eliteunis, und gerade einmal ein Fünftel dessen, Unterfinanzierung. was Sie für die Spitzenförderung mobilisieren, für die (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Deswegen Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses: haben wir 1,2 Milliarden Euro für das BAföG (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Unser Ge- bereitgestellt!) samtetat hat 17 Milliarden Euro, Madame!) Ich gebe Ihnen gerne auch noch einmal einen Einblick in Weniger als ein Zehntel der Summe bleibt dann für die die Situation vor Ort, falls die Regierung das jetzt gerade Forschung an Fachhochschulen. aus den Augen verloren haben sollte. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist alles Da ist zum einen die völlig prekäre soziale Infrastruk- zu wenig? Dann machen wir am besten alles tur. Der BAföG-Satz, der zum Oktober endlich einmal zu!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17213

Nicole Gohlke (A) Wer das als ausgewogen bezeichnet, der hat wirklich den dass die Antragstellung für das Einwerben von Drittmit- (C) Schuss nicht gehört. teln den größten Teil ihrer Tätigkeit ausmacht, (Beifall bei der LINKEN) (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Dann ma- chen die was verkehrt!) Ihre Milliarden, die Sie für die Exzellenzinitiative aus- geben, gehen auf Kosten der Breite, und das ist das Pro- wenn um des Publizierens willen publiziert wird, weil blem. die entsprechende Kennzahl für das Einwerben von Ex- zellenzmitteln wichtig ist, oder wenn es so weit ist, dass (Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Sie ha- Forschungsfragen eher danach ausgesucht werden, was ben das Prinzip nicht verstanden!) förderfähig ist, Der Bericht der Imboden-Kommission hat gerade sehr (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ein differenziert deutlich gemacht, was so ein einseitiges Quatsch! Niemand macht das!) Förderprogramm wie die Exzellenzinitiative bedeutet. Es wäre schön, wenn man sich mit den Befunden auch als danach, was die größte wissenschaftliche Erkenntnis einmal etwas detaillierter auseinandersetzen würde. bringt, dann kann man ja wohl behaupten, dass da etwas aus dem Lot geraten ist. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das haben Sie aber nicht getan!) (Beifall bei der LINKEN) Es bedeutet nämlich – das steht alles in diesem Bericht – Das ist eine Meinung, die gerade aus den Reihen der eine Zunahme von befristeten Beschäftigungsverhält- Wissenschaft selbst kommt. Das zeigt doch die Petition, nissen. Es bedeutet eine Verschlechterung von Studien- die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, von bedingungen, und das übrigens auch und gerade an den Professorinnen und Professoren gestartet wurde und die sogenannten Exzellenzstandorten. Daneben hat der Be- den Stopp der Exzellenzinitiative fordert. richt auch aufgezeigt, dass es nie eine Chancengleichheit für Hochschulen im Bewerbungsverfahren gegeben hat. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist Dieses Prinzip treiben Sie jetzt noch auf die Spitze, wenn [CDU/CSU]: Ein paar Verirrte gibt es immer!) Sie die kleinen und mittleren Universitäten gleich ganz Auch beim Pakt für den wissenschaftlichen Nach- vom Wettbewerb ausschließen. Das ist wirklich der völ- wuchs fehlt der Bundesregierung der Blick für die Pro- lig falsche Weg. bleme vor Ort. Wir reden davon, dass sich 90 Prozent (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von ei- (B) [CDU/CSU]: Das macht doch niemand!) nem prekären Kurzzeitvertrag zum nächsten hangeln. (D) Wir reden von 160 000 wissenschaftlichen Mitarbei- Auch das ohnehin sehr krude Argument, das Sie im- terinnen und Mitarbeitern im Mittelbau, und wir reden mer bemüht haben, dass durch die wettbewerbliche Spit- von einer Betreuungssituation, in der auf einen Profes- zenförderung auch die Breite gestärkt würde, wurde von sor 70 Studierende kommen. Da kann man nur zu dem der Imboden-Kommission als reine Chimäre entlarvt. Schluss kommen, dass die von der Regierung geplanten Noch einmal zum Mitschreiben: Eine Breitenförderung 1 000 Tenure-Track-Stellen an den Bedarfen vorbeige- ist durch die Exzellenzinitiative nicht eingetreten. hen . (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Dafür ist sie (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- auch nicht da! Exzellenzinitiative heißt Exzel- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – lenz und nicht Breite!) Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Prekär bezieht sich jetzt aber nicht auf das gleiche!) Stattdessen hat sich die Spaltung in der Hochschulland- schaft vertieft. Das politische Verständnis dieser Regie- Heruntergebrochen auf die einzelne Hochschule bedeu- rung, dass sich Exzellenz immer nur auf besonders weni- tet das gerade einmal zwei bis drei neue Stellen. Damit ge beziehen soll, ist, ehrlich gesagt, weder fortschrittlich ist doch an eine tatsächliche Verbesserung des Betreu- noch besonders ambitioniert . ungsverhältnisses für die Studierenden wirklich nicht zu denken . (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist beste Wissenschaftspolitik!) Die Idee, sich an den Hochschulen endlich einmal um die Entwicklung neuer Personalstrukturen, neuer Perso- Ich sage Ihnen, was wirklich exzellent wäre: Exzellent nalkategorien zu kümmern, taucht in Ihrem Konzept ei- wäre es, wenn man von guten Studienbedingungen und gentlich gar nicht mehr auf. hervorragenden wissenschaftlichen Bedingungen in der Breite und für alle sprechen könnte. Das muss doch das (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ist doch Ziel von Wissenschaftspolitik sein. Sache der Hochschulen! – Zuruf der Abg. Dr. Simone Raatz [SPD]) (Beifall bei der LINKEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Ihre Spitze ist zu Dabei wäre das doch der entscheidende Punkt, wenn man breit!) wirklich von einem Kulturwandel an den Hochschulen sprechen möchte. Kolleginnen und Kollegen, wenn es so weit ist, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten, (Beifall bei der LINKEN) 17214 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Nicole Gohlke (A) Denn nicht alle, die in der Wissenschaft arbeiten, wollen Trotzdem würden sich viele einen Einstieg in eine an- (C) oder müssen das auf einer Professur tun. Es ist höchste dere Finanzierung wünschen. Ich glaube, es wäre höchste Zeit, auch in Deutschland im 21. Jahrhundert anzukom- Zeit, dass man einmal eine Debatte darüber ermöglichen men und anzuerkennen, dass es nicht nur die Professur würde. Aber sie kann offenbar selten transparent geführt und darunter den Nachwuchs gibt, werden, nicht einmal hier im Deutschen Bundestag. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Hausmeister! (Beifall bei der LINKEN – Dr. Stefan Es gibt auch Hausmeister, Köche, alles! Steht Kaufmann [CDU/CSU]: Was macht denn auch nicht im Papier drin!) Thüringen mit den BAföG-Millionen?) sondern dass selbstständige Wissenschaft schon die gan- Einigermaßen vorsintflutlich finde ich, ehrlich gesagt, ze Zeit von den vielen Wissenschaftlerinnen und Wissen- auch, dass Gleichstellung in Ihren Pakten gar nicht auf- schaftlern geleistet wird und dass dieser Bereich endlich taucht. Auch hier sage ich: Von Kulturwandel dürfte die einmal als dauerhafte Personalkategorie gefördert und Regierung erst reden, wenn aktive Gleichstellungspoli- honoriert gehört. tik und Familienfreundlichkeit in ihren Konzepten ein- (Beifall bei der LINKEN) mal eine wirkliche Rolle spielen würden. 50 Prozent der Tenure-Track-Stellen müssten eigentlich mit qualifizier- ten Frauen besetzt werden. Alles andere ist wirklich ein Vizepräsident Johannes Singhammer: schlechter Witz. Frau Kollegin Gohlke, gestatten Sie eine Zwischen- frage des Kollegen Schipanski? (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Und was ist mit den Transgen- dern? Die kommen gar nicht vor!) Nicole Gohlke (DIE LINKE): Ja . Kolleginnen und Kollegen, für die Linke stellt sich die Situation so dar: Die Hochschulen, und zwar alle, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- brauchen zwei Dinge, nämlich eine Finanzierung nach NEN]: Cool! Dann hat sie länger Redezeit!) Bedarfen sowie Planungssicherheit. Wir brauchen nicht noch einen Wettbewerb und noch einen Pakt und noch Tankred Schipanski (CDU/CSU): ein Programm . Frau Gohlke, ganz herzlichen Dank, dass Sie die Zwi- (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Dann machen schenfrage zulassen. – Bei den drei Pakten, die Sie dar- wir den Pakt zu! Sie wollen die Pakte abschaf- gestellt haben, geht es ja jetzt um eine Vereinbarung, die fen! Das ist ja tragisch!) (B) in der GWK beschlossen wurde. Jetzt wundere ich mich, (D) wenn das alles so furchtbar ist, dass sogar die rot-rot-grü- Die Hochschulen brauchen eine solide Grundfinanzie- ne Landesregierung in Thüringen, sprich die Linke, da rung, verlässliche Studienplätze, unbefristete Stellen für zustimmt, wenn es so schlimm ist, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und eine neue (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Was ist denn Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau. Das wären die da los?) richtigen Prioritäten und die richtigen politischen Bot- schaften in dieser Zeit . wie Sie es hier erzählen. Wie kommt es denn dazu? Vielen Dank. Nicole Gohlke (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abge- Das kann ich Ihnen erklären. Wir haben Rückspra- ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- che gehalten. Ich habe im Übrigen auch gerade mit den NEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Profes- Dann klappern Sie mal die Landtage ab, Frau sorinnen und Professoren gesprochen, die den Stopp der Gohlke!) Exzellenzinitiative fordern. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Um die Vizepräsident Johannes Singhammer: geht’s jetzt nicht!) Der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann spricht jetzt für die SPD . – Nein, aber sie haben sozusagen auf einen Mechanismus hingewiesen: Es gibt eine derart gravierende Unterfinan- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zierung, dass sich viele Leute nicht trauen, sich öffentlich der CDU/CSU) gegen die Exzellenzinitiative auszusprechen. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Und auch die Länder sagen bei aller Kritik in der Tat: Frau Gohlke, Sie haben eine gewisse Zweiweltenlehre Wir können in der jetzigen Situation nicht auf Gelder aufgemacht. Ich will mich nur mit einem kleinen Satz verzichten . darauf einlassen: Dass der Kollege Ramelow, der Minis- (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist Dia- terpräsident von Thüringen, sich nichts traut, das werden lektik!) Sie ihm erklären müssen. Das ist die Situation . (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17215

Dr. Ernst Dieter Rossmann (A) Ich möchte gerne auf das zurückkommen, was hier re- Wenn es um den Nachwuchspakt geht, wird hier je- (C) levant ist und was von der Ministerin in Bezug auf eine der verstehen, dass die SPD besonders stolz darauf ist. Weiterentwicklung und große Verbesserung der Hoch- Aber auch die Fraktionen können es sein; denn das hat ja schul-, der Wissenschafts- und der Forschungslandschaft noch nicht einmal im Koalitionsvertrag gestanden, Herr in Deutschland vorgestellt worden ist. Rupprecht . Nachdem ich eben ein bisschen bärbeißig war, will (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ich jetzt ganz charmant etwas zu bedenken geben – Herr NEN]: Da schien ja einiges vergessen!) Riesenhuber, ich habe Sie im Blick; aber ich muss es Wir haben außerhalb des Koalitionsvertrages während trotzdem so sagen –: Das, was jetzt von Frau Wanka der glorreichen Tage von Göttingen mit den geschäfts- fortgesetzt wird, hat eine Vorgeschichte, aus der her- führenden Fraktionsvorständen vielmehr noch etwas Gu- vorgeht, dass die Wissenschafts- und Forschungspolitik tes darüber hinaus angestoßen. Deshalb sage ich einen der letzten 20 Jahre im Wesentlichen von Frauen – Frau ausdrücklichen Dank an den Kollegen Kretschmer. Auch Bulmahn, Frau Schavan, Frau Wanka, jede auf ihre Art, , der heute erkrankt ist, soll hören, dass ich aber immer aufeinander aufbauend – sehr hervorragend ihm Dank dafür übermittle, was er da mit den geschäfts- gestaltet worden ist. Vielleicht darf man das auch ein- führenden Fraktionsvorständen zusammengebracht hat. mal hier feststellen. Die vier anderen Minister zwischen Herrn Riesenhuber und Frau Bulmahn sind leider wenig Dass 1 Milliarde Euro für den wissenschaftlichen in Erinnerung geblieben. Nachwuchs zur Verfügung gestellt werden, zeigt, dass wir nicht nur von der Gesetzgebung her – mit dem Wis- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten senschaftszeitvertragsgesetz –, sondern auch im Hinblick der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Wieso auf die Aufstiegs- und Karriereperspektiven – dabei geht „leider“?) es um die Lebensplanung junger Wissenschaftler – dem Frau Bulmahn hat damals mit folgenden Fragen eine Gedanken der Exzellenz und der Vermittlung gefolgt neue Dimension aufgemacht: Wie erfüllen wir den Auf- sind und ihn in eine größere Personalausstattung haben trag, den Wissenschaft hat, nämlich Wahrheitssuche und münden lassen. Wir haben auch aufgenommen, dass sich Erkenntnisvermittlung? Und wie bekommen wir das dieses inhaltlich weiterentwickeln muss. Denn über die einerseits in die Welt hinein, damit es angewendet wer- Details der Beschlüsse zum Hochschulpakt für den wis- den kann, um ein besseres Leben für die Menschen zu senschaftlichen Nachwuchs hinaus können wir schon ermöglichen bzw. eine bessere und nachhaltige Umwelt jetzt sagen, dass sich auch hier noch einige Zukunftsfra- zu schaffen, und wie bekommen wir das andererseits gen – auch als Aufgaben für die nächste Legislaturperi- auch wieder an die Hochschulen? Denn die Hochschu- ode – stellen. (B) len sind ja die eigentlichen Träger der Vermittlung, die Dabei geht es einmal darum, dass alle wissen, dass (D) Hochschulen sind die Breitenorganisationen, bei denen sich an den Hochschulen nicht nur die Qualitäten, son- sich Exzellenz in der Breite und in der Spitze entwickelt, dern auch die Aufgaben differenzieren, weshalb wir neue und die Hochschulen sind auch das Pfund, auf das wir in Personalkategorien brauchen. Hier ist ein Einstieg gefun- Deutschland – neben den guten Wissenschaftsorganisati- den, dass sich dieses mitentwickeln kann. onen – zentral setzen können. Zweitens geht es darum, dass wir grundsätzlich aner- Dass dieser breite Horizont, der von Frau Bulmahn kennen müssen, dass es auch bei den Fachhochschulen aufgemacht und von Frau Schavan fortgesetzt wurde – eine explizite Exzellenz gibt. Frau Kollegin De Ridder, Frau Wanka führt das mit neuen Akzenten jetzt erfolg- es ist auch einmal darüber zu diskutieren, ob es auch dort reich weiter –, auch weiterhin in einem größeren Zusam- Tenure-Track-Systeme oder andere Personalaufbausyste- menhang gesehen wird, zeigt sich auch bei dem, was me gehen sollte. Auch das ist uns mit dem jetzigen Nach- heute zur Diskussion gestellt worden ist in Form eines wuchspakt aufgegeben . neuen Dreiklangs. Dieser beinhaltet das Programm „In- novative Hochschule“, den Nachwuchspakt und die Ex- Die dritte und wichtigste Dimension betrifft die Exzel- zellenzinitiative. lenzinitiative, die jetzt über die Hochschulen als Motor unseres Innovationssystems ausgebaut wird . Es war für Nur eine kleine Bemerkung zum Programm „Innova- uns immer selbstverständlich, dass wir Spitzenforschung tive Hochschule“: Ja, Frau Wanka, wir finden es gut, dass brauchen, dass wir sie an den Hochschulen brauchen und Sie sich zusammen mit den Ländern entschieden haben, dass sich diese über die Jahre hinweg entwickeln darf, das nicht in einer Exzellenzinitiative aufgehen zu lassen, es aber klar strukturierte Linien geben muss, die sich sondern dass sie ihm als ein besonderes Programm einen jetzt mit den Exzellenzclustern bzw. Exzellenzuniversi- besonderen Stellenwert gegeben haben. Denn darüber täten abbilden, und dass diese Linien nicht nur auf drei wird auch einem ganz wichtigen Träger von Wissenschaft bis fünf Exzellenzuniversitäten reduziert werden können. und Forschung, nämlich den Fachhochschulen, vermit- Vielmehr fühlen wir uns durch die verdienstvolle Arbeit telt, dass sie ein eigenes Gewicht haben und dass sie in der Imboden-Kommission bestätigt, dass es mehr Poten- diesem Rahmen auch weiter auszugestalten sind. Darauf zial in Bezug auf Exzellenz in Deutschland gibt und dass wollen wir gerne – auch über die 50-Prozent-Quote hi- dieses in eine Kontinuität hineinkommen muss. Dabei naus – weiter hinarbeiten . geht es nicht um Kontinuität in Form von immer neu- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) en und aufwendigen Wettbewerben, sondern es muss um Kontinuität in den Grundgedanken bzw. in Bezug auf die Aber das darf ja Zukunftsmusik sein. Absicherung über das Grundgesetz gehen, also Verläss- 17216 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Dr. Ernst Dieter Rossmann (A) lichkeit hinsichtlich der Fortschreibung in Richtung auf sich mit dem Brexit, Europas Zukunft und anderen The- (C) eine unbestimmte Dauer . men auseinandergesetzt hat, verlautbart wurde. Wir glau- ben, dass diese Exzellenzinitiative, das gute Entwickeln An der Stelle – vielleicht ist das nur Semantik; aber von bester Wissenschaft in Deutschland, ein Bindeglied wir glauben, dass das mehr ist –: Wir haben bisher immer sein kann, das wir erhalten müssen, wenn wir gute Per- von Exzellenzinitiative gesprochen. Das klingt ein biss- spektiven für Europa schaffen wollen. Die europäische chen nach Projekt. Stattdessen können wir jetzt sagen, Zusammenarbeit, die Struktur von besten Hochschulen nachdem es in Deutschland schon eine Hightech-Strate- in Europa wird nämlich durch diese Exzellenzinitiative gie gibt, dass es mit dem, was jetzt zwischen Bund und mitbefördert. Professor Kleiner, der Präsident der Leib- Ländern offensichtlich verhandelt worden ist, auch eine niz-Gemeinschaft, sagte einmal: Das ist die beste Ant- Exzellenzstrategie geben wird. wort auf diesen unseligen Populismus, auf diese unselige (Beifall bei der SPD) Denkungsart, es gäbe keine Wahrheit, es gäbe neben der Lügenpresse auch noch eine Lügenwissenschaft. Wenn Damit hätten wir eine dauerhafte Perspektive für die wir unsere Vorhaben entsprechend umsetzen können, – beiden großen Gewichte der außeruniversitären und der universitären exzellenten Spitzenangebote, die Deutsch- land strategisch in eine gute Zukunftsposition bringen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Dies führt mich zu zwei Schlussgedanken. Herr Kollege Rossmann, jetzt ist die Redezeit schon sehr großzügig bemessen. Zunächst möchte ich auf Frau Gohlke zurückkommen, die am Anfang ihrer Rede mit Zahlen herumgewirbelt Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): hat; Kollege Rupprecht, Sie werden das gleich sicherlich mit Schmackes klarstellen. – dann machen wir nicht nur Wissenschaftspolitik, sondern auch Gesellschaftspolitik. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Glauben Sie?) Danke schön. Man darf nicht vergessen, dass wir 20 Milliarden Euro (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten in die Exzellenz der Breite – Hochschulpakt, Programm- der CDU/CSU) pauschalen, gute Lehre und anderes – gegeben haben. Sie, Frau Gohlke, tun das so ab, als wären diese 20 Mil- Vizepräsident Johannes Singhammer: liarden Euro „nothing“. Auch da halten wir eine Balance zwischen der Breitenförderung und der Spitzenförde- Nächster Redner ist der Kollege Kai Gehring für die (B) rung . Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (D) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE Kai Gehring GRÜNEN]) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fakt ist, der Bund bewegt für die Hochschulen und die Mit Blick auf die nächste Legislaturperiode stellen wir außeruniversitären Forschungseinrichtungen in dieser fest: Es stehen große Entscheidungen an, da faktisch Jahr Republik Milliarden: durch den Pakt für Forschung und für Jahr Mittel in Höhe von 3 bis 5 Milliarden Euro frei Innovation, durch den Hochschulpakt und durch den werden. Ich will zumindest für die SPD sagen: Sie dürfen Qualitätspakt Lehre. sicher sein – in der Tradition der großen Forschungsmi- nisterinnen werden wir dafür kämpfen müssen –, dass Heute debattieren wir über zwei weitere zentrale Wei- die Mittel im System bleiben. Es kann nicht sein, dass chenstellungen für unsere Universitäten in den nächsten 2019/2020 auf einmal eine Reduzierung stattfindet, son- Jahren und Jahrzehnten. Ob neue Exzellenzinitiative oder dern die Mittel müssen im System bleiben. Aber dass das Nachwuchsprogramm: Beide Bund-Länder-Verein- sie im System bleiben, setzt voraus, dass wir die Dinge, barungen sind klassische politische Kompromisse. Weder die wir jetzt machen, gut machen. Sie müssen jetzt gut Jubelarien noch Meckerecke sind daher heute adäquat. umgesetzt werden; denn nur wenn sie gut und wirksam (Beifall der Abg. Dr. sind, wird die breite Öffentlichkeit es akzeptieren, wenn [SPD]) die zusätzlichen Mittel weiter verstetigt und ausgebaut werden . Der Beschluss der Gemeinsamen Wissenschaftskon- Mein zweiter Schlussgedanke – Herr Präsident, erlau- ferenz zur Exzellenzinitiative ist ambivalent und ambiti- ben Sie das noch? – oniert zugleich. Gut ist, dass es auch künftig ein Förder- programm für Spitzenforschung an Universitäten gibt. Vizepräsident Johannes Singhammer: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich erlaube es, wenn Sie noch im Rahmen der Rede- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und zeit zum Ende kommen . der SPD) Die bisherigen Runden haben an den Universitäten neue Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Kooperationen initiiert und eine Vielzahl innovativer – richtet sich nach außen. Ich beziehe mich auf das, was Projekte hervorgebracht. Davon ist jeder überzeugt, der, heute von der Hochschulrektorenkonferenz, auf der man wie ich, Exzellenzcluster besichtigt und sich mit Spit- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17217

Kai Gehring (A) zenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern über ihre nisterinnen und -ministern der Länder geteilt. Hamburg (C) faszinierende Forschung austauscht . hat sich deswegen in der GWK bei der Verabschiedung der Exzellenzinitiative enthalten. Ich habe den Eindruck, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dass Ministerin Wanka diese Kritik nicht hinreichend Ich freue mich daher, dass die Überbrückungsfinanzie- ernst genommen hat. Dabei wissen wir doch alle mitei- rung für laufende Exzellenzprojekte endlich beschlosse- nander: Dem Wissenschaftspakt müssen am Ende alle ne Sache ist. Damit können Cluster weiter wirken. Diese Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten einstim- Verlässlichkeit war überfällig. Sie ist ein wichtiges Sig- mig zustimmen, nal an die Spitzenforschung in Deutschland. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Die waren (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN monatelang dabei und haben nichts gesagt!) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und von Kretschmann über Kraft bis Ramelow und Scholz. der SPD) (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Hamburg Es macht Sinn, die Spitzenförderung auf die beiden isoliert sich im Augenblick!) Säulen Exzellenzcluster und Exzellenzuniversitäten zu fokussieren; denn Graduiertenkollegs gehören künftig Beim Nachverhandeln ist jetzt Eile geboten, damit der zum professionellen Selbstverständnis jeder Universität. enge Zeitplan nicht ins Wanken gerät. Eine Lösung muss (Beifall des Abg. Albert Rupprecht [CDU/ her. Derzeit werden ja auch Kompromisse ausgelotet. CSU]) Eine Lösung könnte aus meiner Sicht sein, die Exzel- Es macht auch Sinn, mehr Mittel in die 45 bis 50 Cluster lenzuniversitäten nach sieben Jahren neu auszuschrei- zu investieren als in die Spitzenstandorte. Und es macht ben . Das motiviert und honoriert dann auch in Zukunft Sinn, die Förderhöhe pro Cluster zu variieren, da auch die Spitzenleistungen aller Universitäten und erhöht die Kosten variieren. Allerdings ist die Voraussetzung, die Chancen, überhaupt reinzukommen. Das hält das zwei Cluster vorweisen zu müssen, um sich als Exzel- System offener und durchlässiger. Wir brauchen keinen lenzuniversität überhaupt bewerben zu können, eine zu geschlossenen Uniklub, sondern Auf- und Abstiege plus hohe Hürde . dauerhaft mehr Engagement für Exzellenz in Forschung und in Lehre. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für viele kleine, mittelgroße und aufholende Universi- täten wird sich die Bedingung, zwei Cluster vorweisen Liebe Kolleginnen und Kollegen, inwieweit die Exzel- lenzinitiative und das neue Nachwuchsprogramm unsere (B) zu müssen, als Knock-out-Kriterium entpuppen, und das (D) halten wir für falsch. Universitätslandschaft bereichern und weiterentwickeln werden, werden wir wahrscheinlich erst in 10 bis 20 (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jahren reflektieren können. Entscheidend für den Erfolg Erfreulich ist, dass von der zweiten Förderlinie künf- ist, wie weit ein solcher Impuls wirklich trägt. Das gilt tig – das ist einer der zentralen Verhandlungserfolge vor allem für das neue Nachwuchsprogramm. Gemes- unserer drei grünen Wissenschaftsministerinnen in der sen an dem, was auf dem Papier vereinbart ist, droht das GWK – acht bis elf sogenannte Förderfälle profitieren nur ein kurzer Kick zu werden; denn die 1 000 Tenu- können, also mehr Universitäten als bisher; denn das re-Track-Professuren, die das Programm bundesweit passt viel besser zu unserer vielfältigen und facettenrei- an Universitäten bringen soll, sind angesichts von rund chen Universitätsstruktur und erhöht die Chancen für ex- 24 000 Professuren einfach eine kleine Hausnummer. Für zellente Verbundanträge. Die Förderfantasien der Union Nordrhein-Westfalen sind das etwas mehr als 200 Tenu- von drei deutschen Harvards sind damit vom Tisch, und re-Track-Professuren, für Bremen 10, für das Saarland, das ist auch gut so; glaube ich, 1,7. Der Bedarf bleibt dank der Rekorde bei den Studierendenzahlen weiter groß, übrigens nicht nur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an Universitäten, sondern auch an Fachhochschulen, die sowie des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann beim Programm leider außen vor bleiben. Ich erinne- [SPD]) re exemplarisch an den Wissenschaftsrat, der unlängst 7 500 zusätzliche Professuren bundesweit gefordert hat. denn eine breite Spitze an Unileuchttürmen strahlt welt- Vom Umfang her hat das Programm also keine Wucht, weit heller als ein einsames Licht. und das bedauern wir . An einer Stelle hakt es jedoch gewaltig. Exzellenzu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) niversitäten in eine Dauerförderung gemäß Artikel 91b Grundgesetz zu überführen, sehen wir sehr, sehr kri- Das Nachwuchsprogramm bringt auch insgesamt zu tisch. Eine exklusive Bundesliga mit Ewigkeitsperspek- wenig für Modernisierungen bei Personalstrukturen und tive nimmt der Exzellenzinitiative den wettbewerblichen bei Personalentwicklung. Es gibt zwar einen 15-prozen- Charakter und raubt ihre Dynamik . Das ist geradezu wi- tigen Strategieaufschlag, den Universitäten auch – Zi- dersinnig . tat – zur „Weiterentwicklung der Personalstruktur des wissenschaftlichen Personals“ nutzen können, von einem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) großen Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs mit Diese Kritik ist keine exklusive der Grünen im Bun- verbindlichen und klaren Karriereperspektiven für deut- destag, sondern sie wird von mehreren Wissenschaftsmi- lich mehr kann aber keine Rede sein. Unklare Perspekti- 17218 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Kai Gehring (A) ven und wenig Planbarkeit bleiben für viel zu viele leider Albert Rupprecht (CDU/CSU): (C) Alltag. Das ist problematisch. Liebe Kollegin Gohlke, Sie sind schnell im Denken, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schnell im Reden. Es macht eigentlich Spaß, mit Ihnen zu diskutieren. Nur manchmal diskutieren Sie dramatisch Es wird jetzt übrigens sehr darauf ankommen, die ideologisch verbohrt. Tenure-Track-Professuren gut auszustatten. Sie sollen ja (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Niemals! – nicht auf einem Klappstühlchen sitzen; vielmehr sollen Gegenruf des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/ sie entsprechende wissenschaftliche Mitarbeiter haben CSU]: Das sagt der Richtige!) und ihre wissenschaftlichen Leistungen entfalten kön- nen. Da müssen die Länder mit ran, sonst zahlen die Unis – Doch, das ist leider so. – Dieses penetrante Gleichma- zu viel drauf. chen, Nivellieren, mit der Gießkanne in die Breite gehen und jeglichen Ansatz von Leistung, Exzellenz und Eli- Schade ist, dass dem Programm eine explizite Förde- te ablehnen: Das ist einfach schrecklich. Wenn es nach rung von Frauen fehlt. In Gesamtkonzepten darzulegen, Ihnen gehen würde, dann würden Sie auch die Fußbal- was eine Uni für die Verbesserung der Chancengleich- leuropameisterschaft und die Fußballweltmeisterschaft heit zu tun gedenkt, ist im Vergleich zu harten Gleich- abschaffen, weil Sie Spitzenleistung schlichtweg nicht stellungszielen und -kriterien an anderen Stellen einfach ertragen können. zu schwammig . (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. André Hahn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) [DIE LINKE]: Das ist alles billig!) Trotz dieser kritischen Punkte kann das Nachwuch- Da haben wir eine vollkommen andere Position. Wir sprogramm eine nachhaltige Weichenstellung bringen, glauben, dass man in Deutschland auch Spitzenleistung wenn es einen auf Dauer planbaren Pfad in Richtung braucht, um bei Wohlstand und sozialer Sicherheit auch Professur etabliert; denn die Mechanismen in der Verein- zukünftig in der Spitze mit dabei zu sein . barung sind ganz klug, und das Kriterium der Zusätzlich- keit, auf das wir auch immer gepocht haben, überzeugt . Frau Ministerin Wanka, Sie haben drei Pakete verhan- Es geht uns ja nicht nur um eine neue Personalkategorie. delt. Diese drei Pakete sind ein Meilenstein für die Wis- Es müssen auch deutlich mehr Stellen on top vor Ort da- senschaftsarchitektur in Deutschland. Ich würde sagen: bei herausspringen, und darauf werden wir gemeinsam Sie sind ein großer Wurf. Ich gratuliere Ihnen dazu. achten müssen . Die Rede des Kollegen Gehring ist als Oppositionsre- (B) Genau in diesem Sinne lohnt es sich weiterzudenken. de durchaus beachtlich gewesen. Es gab andere Einschät- (D) Ich meine, das Nachwuchsprogramm wird noch nach- zungen bei einzelnen Details; das ist bei einer Debatte zu haltiger wirken, wenn wir es mit einer besseren Grundfi- so komplexen Themen durchaus normal und üblich. Aber nanzierung der Hochschulen insgesamt verbinden; denn ich glaube, insgesamt ist die Stimmung im Haus so, dass auch nach 2020 werden mehr Erstsemester kommen, die das, was Sie, Frau Ministerin, hier vorgelegt haben, in nicht nur einen Studienplatz, sondern auch Personalauf- der Tat ein großer Wurf ist. wüchse brauchen. Die Betreuungsrelationen in Deutsch- land sind jetzt schon alles andere als ein Ruhmesblatt, (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. und das müssen wir dringend verbessern . Wir brauchen Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) bessere Betreuungsrelationen. Aus der zeitlich befristeten Exzellenzinitiative wird (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine dauerhafte unbefristete Exzellenzstrategie. Herr sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Rossmann, diesen Begriff hat Frau Wanka im Vorfeld schon eingeführt. Darauf hat man sich geeinigt, weil es Mehr Studienplätze und mehr Professuren durch eine wirklich eine neue Qualität hat, statt kurzfristiger Pro- höhere Grundfinanzierung unserer Hochschulen durch jekteritis eine langfristige und dauerhafte Exzellenzkul- Länder und Bund – beides wollen und müssen wir an- tur in unserem Land aufzubauen. Dazu braucht es auch gehen. Nur so lässt der Tenure-Track-Plan sich zu einem die dauerhafte, langfristige Finanzierung auf Basis des echten Strukturimpuls entwickeln. Die Wissenschafts- Artikels 91b unserer Verfassung. Wieder einmal ist der pakte entfalten nur dann ihre volle Wirkung, wenn end- Bund – wie auch schon in den letzten zehn Jahren – Ar- lich die mangelnde Grundfinanzierung aller Hochschulen chitekt, Impulsgeber, Verhandlungsführer und letztend- gesteigert wird, um mehr Chancen, mehr Personal und lich Hauptfinanzier dieser immens wichtigen Weiterent- bessere Wissenschaft für alle zu erreichen. wicklung des deutschen Wissenschaftssystems. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Unionsfraktion hat von Anfang an – und ich sage: Vizepräsident Johannes Singhammer: als einzige Fraktion – ein klares und deutliches Bekennt- Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Albert nis zur Exzellenz abgegeben. Herr Rossmann, unsere Rupprecht . Aussage war stets: Wo Exzellenz draufsteht, muss auch Exzellenz drin sein. Exzellenz draufzuschreiben, um (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dann mit dem Paket das Prinzip Gießkanne anzuwenden, ordneten der SPD) war nicht das, was wir wollten. Dagegen haben wir uns Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17219

Albert Rupprecht (A) auch gewehrt. Das, was vorliegt, ist die Umsetzung des- Mitarbeiter an den Hochschulen um 60 Prozent gestei- (C) sen, was wir wollten. gert .

Wenn man vergleicht, was wir uns vorgenommen ha- (Beifall des Abg. Dr. Stefan Kaufmann ben und was jetzt im Endergebnis bei den Verhandlungen [CDU/CSU]) herausgekommen ist, dann würde ich sagen: Zu 98 Pro- zent sind unsere Punkte umgesetzt . Einen Punkt gibt es Das wurde im Wesentlichen durch Gelder des Bundes in der Tat, der nicht dazu gehört: Wir hätten uns durchaus mitfinanziert. Das Problem ist aber, dass mehr Geld und vorstellen können, nicht acht bis elf Spitzenuniversitäten mehr Personal nicht dazu führen, dass die Mitarbeiter zu haben, sondern vier bis fünf, weil wir glauben, dass ausreichende Karriereperspektiven haben. wir dadurch dem Ziel, international mehr wettbewerbs- fähig zu werden, eher ein Stück näher gekommen wären. Deswegen haben wir im ersten Schritt das Wissen- Nichtsdestotrotz sagen wir: Wir sind insgesamt mit die- schaftszeitvertragsgesetz geändert. Wir haben im zwei- sem Paket sehr zufrieden . Es ist zu 98 Prozent Unions- ten Schritt die Länder beim BAföG um 1,2 Milliarden politik. Euro entlastet, damit sie sich stärker in der Grundfinan- (Lachen bei Abgeordneten der SPD – zierung engagieren können. Dr. Simone Raatz [SPD]: Oi! Oi!) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Vergleichen Sie unsere Positionen mit dem, was her- NEN]: Schulen und Hochschulen!) ausgekommen ist . Dann werden Sie es sehen . Wir brauchen eine gesunde Breite, aber wir brauchen Frau Ministerin Wanka hat es gesagt: Über 10 000 Stel- auch die absolute Spitze. Frau Gohlke, noch einmal: Der len für Mitarbeiter im Mittelbau des Wissenschaftssys- mit Abstand größte Teil der Mittel aus dem Bundeshaus- tems können damit finanziert werden. Deswegen hat halt geht in die Breitenförderung. Über die gesamte Lauf- Ministerin Wanka das Tenure-Track-Programm vorge- zeit werden 22 Milliarden Euro für den Hochschulpakt, schlagen, initiiert und verhandelt. Es umfasst 1 Milliarde den Qualitätspakt Lehre und viele weitere Maßnahmen Euro für 1 000 zusätzliche Tenure-Track-Professuren für aufgewendet. Der Gesamthaushalt beträgt 17 Milliarden die besten Köpfe in unserem Land. In der Tat, auch dies Euro. Da können Sie doch nicht ernsthaft glauben oder ist ein Meilenstein. Jahrelang wurde darüber geredet. Wir den Eindruck erwecken wollen, dass der überwiegende machen es jetzt. Ich finde, das ist großartig. Teil der 17 Milliarden Euro für die Exzellenz zur Ver- fügung gestellt wird. Der überwiegende Teil geht in die (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Breitenförderung. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Der letzte Punkt in aller Kürze; meine Redezeit ist vor- Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) bei. Die Fachhochschulen – das ist der dritte Bereich – Nichtsdestotrotz sind wir der Überzeugung, dass wir haben aus unserer Sicht eine eigenständige, eine wert- wissenschaftliche Elite in Deutschland brauchen. Wir ha- volle Rolle für das Wissenschaftssystem, insbesondere in ben zum Glück die Max-Planck-Gesellschaft, die in der der regionalen Vernetzung und im Wissenschaftstransfer. internationalen Liga vorne dabei ist. Aber die Realität Deswegen ist das Programm „Innovative Hochschule“, ist, dass es an den Universitäten, und zwar trotz der letz- von dem vor allem die Fachhochschulen profitieren sol- ten zehn Jahre Exzellenzinitiative, immer noch einiges len, ein weiterer Meilenstein. Auch da können wir sagen: zu tun gibt. Vor zehn Jahren lag die beste deutsche Uni 550 Millionen Euro in zehn Jahren sind kein Pappenstiel. beim Shanghai-Ranking auf Platz 51. Nach zehn Jahren So etwas gab es bis dato noch nie . So etwas hat es vonsei- großer Kraftanstrengungen ist die beste Uni, die Uni Hei- ten des Bundes bis dato noch nicht gegeben . delberg, auf Platz 46. Die anderen Länder schlafen nicht, während wir hier in Deutschland große Anstrengungen Wir geben in den nächsten zehn Jahren für diese drei unternehmen . Pakete vonseiten des Bundes insgesamt 5 Milliarden Euro aus. Die Länder ergänzen dies um weitere 1,4 Mil- Wir können uns damit nicht zufriedengeben. Statt liarden Euro. kurzfristiger Projektdenke brauchen wir den Aufbau ei- ner langfristigen Exzellenzkultur, die in die Hochschulen hineingetragen wird. Dazu braucht es strukturelle Ände- Vizepräsident Johannes Singhammer: rungen. Dazu braucht es natürlich eine kräftige Finanz- Lieber Kollege Rupprecht, auch bei einer großzügigen ausstattung. Aber es braucht vor allem eine Kulturände- Auslegung der Redezeit ist sie jetzt schon sehr stark zum rung. Die Kulturänderung wird in Deutschland natürlich Ende gekommen . einen anderen Weg nehmen als in Harvard oder in Stan- ford . Wir werden unseren deutschen, unseren eigenen Weg gehen, weil wir spezifische Gegebenheiten haben Albert Rupprecht (CDU/CSU): und weil wir in der Breite sehr gut und gesund aufgestellt sind . Frau Ministerin Wanka, das ist ein großzügiger Auf- schlag. Gratulation! Frau Ministerin, ich erhebe das Glas Entscheidend für den Erfolg sind Menschen, Men- auf Sie . schen im Wissenschaftssystem. Seit 2005, seit wir in Berlin regieren, hat sich die Zahl der wissenschaftlichen (Beifall bei der CDU/CSU) 17220 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

(A) Vizepräsident Johannes Singhammer: rung zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses (C) Nächste Rednerin ist für die SPD die Kollegin gemeinsam auf den Weg gebracht haben und sie hier und Dr . Simone Raatz . heute debattieren . (Beifall bei der SPD) Dieser Nachwuchspakt wurde erstmalig im Janu- ar 2015 von unserem stellvertretenden Fraktionsvorsit- zenden Hubertus Heil öffentlich gefordert. Sie haben Dr. Simone Raatz (SPD): zwar die Themen, die CDU und CSU wichtig sind, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und eingebracht. Aber ich glaube, was diesen Pakt betrifft, Kollegen! Zwischenzeitlich habe ich mich über die Wor- waren wir diejenigen, die ihn als Erste gefordert haben. te von Herrn Rupprecht gefreut . Ich hatte in den Diskus- Hubertus Heil hat ihn, wie gesagt, in die öffentliche De- sionen, die wir immer wieder geführt haben, zwar nicht batte eingebracht . den Eindruck, dass in den Projekten, die insbesondere wir favorisiert haben, zu 98 Prozent die Politik der Union (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder zum Ausdruck kommt . [SPD]) (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das war Bei diesem Pakt war es nicht schwer, gemeinsam ei- Verhandlungstaktik!) nen Weg zu finden. Auch unser Koalitionspartner war relativ schnell von seiner Sinnhaftigkeit überzeugt. Denn Aber ich freue mich, dass wir uns in der Koalition mitt- dem wissenschaftlichen Nachwuchs kommt in unserem lerweile so nahe sind, dass Sie derart auf SPD-Linie ein- Innovationssystem eine Schlüsselrolle zu. Ich denke, schwenken . Wenn Sie von 98 Prozent sprechen, muss ich dass wir unseren Wissenschaftlerinnen und Wissen- sagen: Hut ab! Das hätte ich nicht gedacht. schaftlern attraktive Karriereoptionen bieten müssen, um Herr Gehring, Sie haben heute sehr staatstragend ge- sie im Land zu halten. Das ist natürlich auch im Interesse sprochen . Man merkt, die Verantwortung in Baden-Würt- der Koalitionsfraktionen. temberg geht auch an Ihnen nicht spurlos vorbei; das fin- So gab es im April 2015 einen Beschluss der Frakti- de ich gut . onsvorstände von Union und SPD. Der Betrag von 1 Mil- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- liarde Euro, den wir für den wissenschaftlichen Nach- NEN]: In zehn Bundesländern!) wuchs zur Verfügung gestellt bekommen haben, war damals schon im Gespräch. An dieser Stelle möchte ich Klar, die Projekte sind Kompromisse; das ist einfach so. den Dank, den Frau Wanka den Fraktionen ausgespro- Aber es sind ja nicht nur Kompromisse zwischen den chen hat, gerne an Frau Wissenschaftsministerin Wanka Koalitionsfraktionen, sondern auch Kompromisse zwi- (B) zurückgeben . Danke, dass Sie die Anregungen unserer (D) schen dem Bund bzw. der Regierung und den Ländern. Fraktion aufgegriffen und den Beschluss der Koalitions- Ich muss sagen: Das macht es im Wissenschaftsbereich fraktionen letztendlich umgesetzt haben! Das ist nicht nicht in jedem Fall leichter. Aber ich denke, das Ergebnis selbstverständlich; aber da waren Sie offen. Vielen Dank kann sich sehen lassen. dafür, dass wir das gemeinsam hinbekommen haben! Darum, Frau Gohlke, finde ich die Zusammenfassung (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) aller Kritikpunkte der letzten zweieinhalb Jahre in Ihrem heutigen Beitrag ein bisschen unangemessen . Sicher- Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Ergebnis kann lich, viele Dinge sind noch zu tun; wir wollen sie auch sich, wie ich schon sagte, sehen lassen. Es gibt 1 000 zu- in Angriff nehmen. Aber es wäre schön gewesen, wenn sätzliche Tenure-Track-Professuren und immerhin eine Sie ein bisschen näher auf die GWK-Beschlüsse einge- Bezahlung nach W 2. Das macht die Stellen für Män- gangen wären und zur Kenntnis genommen hätten, was ner und Frauen attraktiv . Ich denke, dass wir den soge- Ernst Dieter Rossmann gesagt hat. Heute ist nämlich ein nannten Flaschenhals beim Übergang auf eine Professur bemerkenswerter Tag . Denn beim Pakt für den wissen- damit etwas geweitet haben. Es braucht dazu natürlich schaftlichen Nachwuchs reden wir über ein Projekt, das noch mehr . Aber ich denke, das ist ein guter Schritt in die nicht im Koalitionsvertrag enthalten ist. richtige Richtung, der jungen Wissenschaftlern frühzei- tig planbarere und verlässlichere Karriereperspektiven (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ermöglicht. Dass wir ihn gemeinsam auf den Weg gebracht haben, Und: Wir haben eine familienpolitische Komponente finde ich gut. Es wäre schön gewesen, wenn Sie auch eingeführt . Herr Gehring, Sie sagten, Sie würden sich das eingestreut und somit auch ein positives Wort gesagt mehr Gleichstellung wünschen. Aber ich denke, dass wir hätten. Kritik zu üben, ist nun einmal Aufgabe der Op- den Vertrag bei Tenure-Track-Professuren im Falle der position. Es ist sicherlich auch sinnvoll, den einen oder Geburt oder Adoption eines Kindes um zwei Jahre ver- anderen Aspekt entsprechend zu thematisieren . längern, ist schon eine gute Option. Wir hoffen, dadurch Auch bei uns, den Mitgliedern der Regierungsfrakti- insbesondere junge Frauen im Wissenschaftssystem zu onen, kommt es ab und zu vor, dass wir ganz tolle Ideen halten. Denn es sind Frauen, die in überdurchschnittli- haben und diese in den parlamentarischen Prozess ein- chem Maße aus unserem Wissenschaftssystem ausstei- bringen wollen. Dann wird häufig gesagt: Nein, das steht gen, weil sie feststellen: Familie und Beruf sind schwer nicht im Koalitionsvertrag. – Diese Ideen sind dann nur zu vereinbaren. – Darum denke ich, die familienpoliti- ganz schwer umzusetzen. Darum sage ich noch einmal: sche Komponente ist ein wichtiges Zeichen in die rich- Es ist wirklich toll, dass wir die Bund-Länder-Vereinba- tige Richtung . Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17221

Dr. Simone Raatz (A) Über die familienfreundlichen Tenure-Track-Profes- Ich bitte, das zu beachten . (C) suren hinaus konnten wir, die SPD, gemeinsam mit den Ländern einen Strategieaufschlag von 15 Prozent durch- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- setzen. Ich hoffe natürlich sehr, dass dieser Strategiezu- NEN]: Vor allem die Regierungsfraktionen!) schlag wirklich genutzt wird, um moderne Personalstruk- Jetzt hat die Kollegin Alexandra Dinges-Dierig für die turkonzepte an unseren Universitäten zu etablieren. Da CDU/CSU das Wort . es in den Bund-Länder-Verhandlungen zwischenzeitlich so aussah, als würde der Strategieaufschlag nicht kom- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- men, freue ich mich, dass wir ihn als wichtiges Element ordneten der SPD) im Hinblick auf die Nachhaltigkeit des Programms auf den Weg gebracht haben . Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU): (Beifall bei der SPD) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie sehen also: Es ist ein gutes Programm, das Bund und Länder am 20. Mai 2016 in der GWK vereinbart haben. Es gibt auf Dauer keinen wirtschaftlichen Fort- schritt, ohne dass die Wissenschaft auch gepflegt Nein, es wird nicht so sein – ich greife kurz einen wird . Beitrag von Ihnen, Frau Gohlke, auf; Sie haben das nur indirekt erwähnt –, dass die zusätzlichen Stellen nach Diesen Satz sagte Konrad Adenauer vor sehr vielen Jahr- vielleicht zehn Jahren von den Ländern gestrichen wer- zehnten, und er ist für uns heute noch genauso aktuell, den. Die Länder haben hier eine Verstetigungszusage ge- wie er damals erschien. macht, und diese Zusage dient dazu, dass das Programm hoffentlich wirklich nachhaltig ist, im Gegensatz zu dem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Juniorprofessuren-Programm, das heute hier schon be- Wir wollen darauf achten – das werde ich gleich an sprochen wurde. Nur 50 Prozent der Juniorprofessuren vielen Beispielen zeigen können –, dass wir nicht nur för- befinden sich heute nämlich noch im System. Ich denke dern und fordern – diese Wortpaarung haben wir heute und hoffe, dass wir mit dem Pakt für den wissenschaftli- schon in mehreren Debatten gehört –, sondern dass die chen Nachwuchs hier etwas Nachhaltigeres schaffen. Maßnahmen in unserem Bereich auch nachhaltig sind. Eines sei noch bemerkt: Wenn selbst die GEW den Dieser Begriff „Nachhaltigkeit“ ist manchmal vielleicht Nachwuchspakt als weiteren Teilerfolg würdigt, können ein bisschen abgegriffen, aber ich möchte jetzt auf den wir, so denke ich, nicht alles falsch, sondern vieles richtig eigentlichen Wortsinn zurückkommen. (B) gemacht haben. Ich denke, hier können wir uns gegensei- (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Er kommt (D) tig auch ein bisschen auf die Schultern klopfen. aus Sachsen!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der eigentliche Wortsinn ist: Wir wollen etwas schaffen, Für die SPD-Bundestagsfraktion kann ich sagen, dass das auch in Zukunft Wirkung entfaltet, und zwar über gute Arbeitsbedingungen und planbare Karriereperspek- die heutige direkte finanzielle Förderung hinaus. Das ist tiven eine Herzensangelegenheit für uns sind. Die von ganz wichtig. Nur dann entsteht das, was wir alle wollen, uns auf den Weg gebrachte Novellierung des Wissen- nämlich eine Dynamik im Wissenschaftssystem. schaftszeitvertragsgesetzes, der Nachwuchspakt und die In den vorgelegten Programmen und auch in den Selbstverpflichtungen vieler Wissenschaftsorganisatio- Bund-Länder-Vereinbarungen der Gemeinsamen Wis- nen sind wichtige Bausteine für das Thema „Gute Arbeit senschaftskonferenz finden wir eine ganze Reihe dieser in der Wissenschaft“. Nachhaltigkeitsmerkmale. Ich möchte das an drei Punk- Lassen Sie uns gemeinsam an diesem Thema dran- ten zeigen . bleiben. Ich bin nach den Worten von Herrn Rupprecht ganz optimistisch, dass wir in dieser Legislaturperiode Erstens. Im Rahmen der neuen Exzellenzstrategie noch weitere Bausteine hinzufügen können. fördern wir die Exzellenzuniversitäten auf der Grundla- ge von Artikel 91 Grundgesetz langfristiger. Mit dieser In diesem Sinne: Vielen Dank für Ihre Aufmerksam- langfristigen Planungssicherheit werden natürlich auch keit . langfristig wirkende Veränderungen ermöglicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zweitens. Schauen Sie sich die Exzellenzcluster an. In der CDU/CSU) Bezug auf die Exzellenzcluster haben wir eine zusätzli- che Strategiepauschale eingeführt, die heute auch schon Vizepräsident Johannes Singhammer: erwähnt wurde. Was können wir dadurch erreichen? Die- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf einmal den se Strategiepauschale ermöglicht es den Universitäten Hinweis geben, dass es sich bei den Redezeiten nicht um zum Beispiel, strategische Veränderungen vorzunehmen. ungefähre Richtwerte und Trendanzeigen handelt, son- Sie können Profilbildungen finanzieren, Schwerpunkte dern um zwischen den Geschäftsführern präzise verein- setzen und etwas schaffen, was der gesamten Universität barte Redeminuten . nicht nur heute, sondern vor allem morgen zugutekommt. Ich denke, auch das ist ein ganz wesentlicher Punkt und (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU weist auf die Nachhaltigkeit der Förderung der Exzel- und der SPD) lenzcluster hin. 17222 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Alexandra Dinges-Dierig (A) Drittens. Nehmen wir schließlich das Tenure-Track-­ Hochschulsystems und damit gleichzeitig zur Sicherung (C) Programm, das Kernstück der Förderung des wissen- einer dynamischen Wirtschaftsentwicklung. schaftlichen Nachwuchses in der jetzt vorliegenden Bund-Länder-Vereinbarung. Es geht über die bloße Ich bedanke mich recht herzlich für Ihre Aufmerksam- Schaffung der zusätzlichen Stellen hinaus, die für sich ja keit . schon langfristig wirken. Wie geschieht das? Bund und (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Länder werden im Gegenzug dafür, dass es hier zusätz- liche Stellen gibt, von den Universitäten auch etwas for- Vizepräsident Johannes Singhammer: dern. Das müsste Frau Gohlke eigentlich besonders gut gefallen. Leider hat sie allerdings gemeint, dies fehle. Danke auch für die präzise Einhaltung der Redezeit. – Nächster Redner ist der Kollege Oliver Kaczmarek für (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist der die SPD . linke Tunnelblick!) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wir verlangen nämlich ganz klar eine Personalentwick- Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]) lungsplanung. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann Oliver Kaczmarek (SPD): [SPD]) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige Punkte der Debatte über Exzellenzförderung und Eine Personalentwicklungsplanung ist der übergeordnete über das entsprechende Paket, wie sie öffentlich hier im Begriff für eine Personalstrukturplanung, und das, was Plenarsaal geführt worden ist, aufgreifen, weil ich finde, Sie an Gleichstellung einfordern, ist Teil ebendieser Per- dass an einigen Stellen ideologisch ein bisschen verengt sonalstrukturplanung. argumentiert wurde. Die einen sagen: „Exzellenzförde- rung lehnen wir im Grunde ganz ab“, und andere sagen: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und „Wir möchten diese Förderung noch stärker konzentrie- der SPD) ren.“ Deswegen möchte ich dazu drei Anmerkungen ma- Genau das ist eine Eingangsvoraussetzung für die Förde- chen . rung, und das wollen wir. Erste Anmerkung. Es ist nicht in Ordnung, wenn ein Wir alle – ob wir über Mentoring, Coaching, fachliche Gegensatz zwischen Exzellenzförderung und guter Leh- Weiterbildung oder Gleichstellungsziele, die wir haben, re oder Breitenförderung aufgemacht wird. Wer sich sprechen – wissen: Mit einer guten Personalentwick- einmal ganz konkret Cluster und Spitzenstandorte ange- (B) lungsplanung kann man langfristig viel mehr erreichen guckt und mit den Hochschulleitungen gesprochen hat, (D) als mit irgendeinem Gesetz oder irgendeinem Sonder- der weiß, dass gerade die Einbindung forschungsorien- programm. Erst diese Planung erzeugt nämlich einen tierter Lehre ein wichtiger Punkt in der gesamten Hoch- Bewusstseinswandel in den Einrichtungen. Diesen brau- schul-Governance ist, sowohl bei den Hochschulen mit chen wir dringend. Das gehen wir jetzt an. Clustern als auch bei den Spitzenstandorten. (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder Genau deshalb haben Bund und Länder in der Ver- [SPD]) waltungsvereinbarung, die jetzt zur Beschlussfassung vorliegt, den Aspekt der forschungsorientierten Lehre ge- Wir setzen gleichzeitig mit den neuen Bedingungen stärkt. Die Lehre ist eine Fördervoraussetzung und muss das klare Signal, dass Kinder eben kein Hinderungsgrund in den Anträgen nachgewiesen werden. Sie ist eine Be- für die Karriere sind; Simone Raatz hat es eben schon wertungsgrundlage für das Expertengremium. Ich sage ausgeführt. Mit diesem Signal sagen wir: Die Karriere daher nicht, dass wir bei der Qualität der Lehre nicht kann zusammen mit einer Familiengründung erfolgreich noch mehr tun müssen . sein. Die persönliche Lebensplanung kann so gemeinsam mit dem Beruf vereinbart werden. Das ist ein klares Be- Wir dürfen auch nicht so tun, als würde der Bund kenntnis zu der Lebensplanung der Wissenschaftlerinnen nichts machen. Immerhin nehmen 156 Hochschulen an und Wissenschaftler, aber auch ein klares Bekenntnis, der zweiten Phase des Qualitätspakts Lehre teil. Das ist dass eine Gesellschaft Kinder braucht. Auch das ist ein nun nicht gerade nichts. Das ist ein schöner Bestandteil Signal von Nachhaltigkeit, möchte ich sagen. in der Förderung der Qualität der Lehre. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der CDU/CSU) ordneten der SPD) Unsere Bitte an die Bundesregierung ist, wenn der Be- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir als Wirt- schluss durch die Ministerpräsidenten und die Bundes- schaftsnation auch in Zukunft Bestand haben wollen, kanzlerin gefasst worden ist, klarzumachen: Das ist ein dann müssen wir – das zeigen auch diese drei Programme wichtiger Teil. – Aber in der Exzellenzinitiative muss und Vereinbarungen ganz deutlich – unsere Wissenschaft noch mehr aufscheinen: Wer eine exzellente Universi- nachhaltig pflegen. Die vorgelegten Programme, die wir tät werden will, der muss auch eine exzellente und for- heute debattiert haben – diese Debatte wird sicherlich nur schungsorientierte Lehre anbieten. Ohne das geht es aus ein Zwischenschritt sein –, sind auf jeden Fall aus meiner unserer Sicht nicht . Sicht ein weiterer, extrem wichtiger Meilenstein auf un- serem Weg zu einer nachhaltigen Weiterentwicklung des (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17223

Oliver Kaczmarek (A) Zweite Anmerkung. Es ist und bleibt richtig, in der Das ist eine stolze Leistung. Wir haben schon eine (C) Spitze breit zu fördern. Ich will jetzt gar nicht auf den Menge erreicht . Aber wenn wir einen Strich ziehen, dann Dissens zwischen drei bis fünf bzw. acht bis elf Spit- muss man auch sagen: Wir haben viel erreicht, aber es zenstandorten im Detail zu sprechen kommen. Es hat gibt noch viel zu tun. Der Kollege Rossmann hat gerade auch in der Community wenig Widerhall gefunden, die auf die nächste Wahlperiode hingewiesen. Dann laufen Zahl der Spitzenstandorte zu verringern. Aber ich will einige Pakte aus. Wir müssen sie dann einer Überprüfung einfach sagen – das ist unser Bekenntnis zur Exzellenz- unterziehen und überlegen, wie wir mit diesen Pakten förderung –: Wir verstehen das Wissenschaftssystem in umgehen . Deutschland anders. Die SPD will die Vielfalt der deutschen Wissen- (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann schaftslandschaft weiter fördern, und zwar in der Spitze [SPD]) wie in der Breite .

Wir haben mehr als Harvard zu bieten. Wir wollen die (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann Stärken dieses Wissenschaftssystems weiterentwickeln [SPD]) und fördern die Vielfalt. All das ist ein einzigartiger Schwerpunkt der deutschen Wissenschaftslandschaft im Wir wollen die Universität im Zentrum sehen. Wir wol- internationalen Konzert. Deswegen wäre es für die SPD len Sicherheit für die außeruniversitäre Forschung, und nicht akzeptabel, auf weniger als diese acht bis elf Spit- wir wollen den besonderen Beitrag, den die Fachhoch- zenstandorte zu gehen; denn dies würde unserem Wis- schulen in unserem Wissenschaftssystem leisten, noch senschaftssystem und seiner internationalen Sichtbarkeit deutlicher zur Geltung kommen lassen. Deswegen ist es, nicht gerecht werden . glauben wir, richtig, die Mittel im System zu halten, ziel- gerichtet zu überprüfen, die Pakte weiterzuentwickeln (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Tankred und einen wirksamen Beitrag zur Grundfinanzierung zu Schipanski [CDU/CSU]) leisten. Auch das gehört in diese Debatte; es spielt kei- Dritte Anmerkung. Wir glauben, dass die „Innovative ne Nebenrolle. Wenn wir die Exzellenzförderung für gut Hochschule“ das Portfolio der Wissenschaftsfinanzierung halten und fortsetzen wollen, dann gehört dazu auch, sinnvoll ergänzt. Die „Innovative Hochschule“ ist kein dass wir die Grundfinanzierung in den Blick nehmen und Trostpflaster für Fachhochschulen und kleine Universi- in der nächsten Wahlperiode die Mittel für den Hoch- täten, und sie ist auch keine Exzellenzstrategie für sie. schulpakt verstetigen. Sie konzentriert sich vielmehr auf zwei besondere För- Herzlichen Dank. derdimensionen, die auch besondere Schwerpunkte und (B) (D) markante Merkmale insbesondere von Fachhochschulen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten in unserem Wissenschaftssystem sind. Deswegen sollen der CDU/CSU) jeweils 50 Prozent der Förderfälle und der Fördersum- me auf Fachhochschulen entfallen. Es geht um Transfer und um die Vernetzung in der Region. Deswegen glauben Vizepräsident Johannes Singhammer: wir, dass es auch an dieser Stelle ein gutes, richtiges und Zum Schluss dieser Vereinbarten Debatte spricht die wichtiges Förderprogramm ist. Kollegin Patricia Lips für die CDU/CSU. Aber wir räumen gerne ein: Trotz vieler Anstrengun- gen, die wir unternommen haben, um die Forschung an (Beifall bei der CDU/CSU) Fachhochschulen zu stärken und mit diesem Programm voranzukommen, halten wir den Mitteleinsatz für die Patricia Lips (CDU/CSU): Förderung und Stärkung der Fachhochschulen insgesamt noch nicht für zufriedenstellend. Deshalb würden wir Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Vor allem gerne in dieser Wahlperiode, aber auch in den folgenden in den letzten zehn Jahren hat der Wissenschaftsstandort Wahlperioden noch eine Schippe drauflegen. Deutschland einen großen Sprung nach vorne gemacht. Unsere Hochschulen – die Ministerin hat darauf hinge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wiesen – bilden hierbei zu Recht mit ihren Forschungs- der CDU/CSU) einrichtungen die Herzkammer des Systems .

Meine Damen und Herren, wenn wir zum jetzigen Darauf wollen wir uns nicht ausruhen. Wir schreiten Zeitpunkt der Wahlperiode in der Wissenschaftsfinan- weiter voran, und wir sind der Überzeugung, dass wir mit zierung einen Strich ziehen, dann muss man sagen: Es dem, was heute bereits vorgestellt wurde, weitere wich- ist viel erreicht worden. Stichworte dazu wurden bereits tige Meilensteine setzen, um unseren Standort an dieser genannt. Der Hochschulpakt ist ausfinanziert. Der Auf- Stelle zu stärken. wuchs für den Pakt für Forschung und Innovation ist bundesseitig finanziert worden. Beim Qualitätspakt Leh- Die Exzellenzinitiative war und ist eine Erfolgsge- re ist die zweite Phase gesichert. Die Exzellenzinitiative schichte . Sie hat die Wissenschafts- und Forschungs- wird zur Strategie. Die Forschung an Fachhochschulen landschaft bereits in weiten Teilen nachhaltig zum Vor- wird gestärkt. Das ganze Paket wird jetzt um den Pakt für teil verändert und einen dynamischen Prozess eingeleitet. den wissenschaftlichen Nachwuchs und um die „Innova- Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir sind alle stolz tive Hochschule“ ergänzt. darauf, dass Deutschland auf dieser Basis seine wichti- 17224 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Patricia Lips (A) ge Rolle in der Forschungslandschaft weiter ausbauen Form von Kooperationen mit mittelständisch geprägter (C) konnte . Wirtschaft . Sie decken damit ein wichtiges Spektrum ab, sie sind bei weitem nicht nur ein Ableger oder ein An- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- hängsel anderer Einrichtungen. Diese Fähigkeiten wol- ordneten der SPD) len wir parallel ebenfalls mit einem ganz neuen Element, Wichtigste Grundlage hierfür war und ist – das wurde dem Programm „Innovative Hochschule“, aufwerten und bereits mehrfach erwähnt –, die Grundsätzlichkeit, die unterstützen . Förderung von Spitzenforschung als schlichte Notwen- (Beifall bei der CDU/CSU) digkeit anzuerkennen. Ja, es ist ein wissenschaftsgelei- teter Wettbewerb. Es ist ein Ringen um Leistung. Es ist Lassen Sie mich auch noch etwas anderes erwähnen – aber vor allem auch ein Bekenntnis, Exzellenz in Verant- die Steilvorlage war an dieser Stelle einfach zu verlo- wortung für das Ganze zuzulassen, weil sie sich am Ende ckend; dabei komme ich sogar noch zu höheren Zahlen für das Ganze als erfolgreich erweist. als Herr Rossmann –: Wenn ich zusammenrechne, was in den Hochschulpakt geflossen ist und fließt, in den Qua- Es geht ja nicht nur um einen Prozess im Inneren oder litätspakt Lehre, in die Übernahme des BAföG-Anteils einen Wettbewerb der hiesigen Einrichtungen . Deutsch- der Länder durch den Bund – damit wären Tausende von land steht in einem globalen Wettbewerb, und hierfür ist Stellen dauerhaft zu finanzieren –, in die Förderung von es wichtig, dass wir uns diesem Wettbewerb zunehmend Programmpauschalen und in die bereits vorhandenen stellen und die geeigneten Instrumente einsetzen. Durch Fördermittel für Fachhochschulen, komme ich da auf Spitzenforschung und die Förderung der Exzellenz wer- mehr als 25 Milliarden Euro allein vonseiten des Bundes den wir an dieser Stelle sichtbar. und stelle fest: Das geht in die Breite. Umso mehr begrüßen wir das Ergebnis zur neuen Ex- (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. zellenzstrategie aus der Gemeinsamen Wissenschafts- Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) konferenz. Auch ich möchte mich heute ganz herzlich bei der Bundesforschungsministerin Johanna Wanka für ihre Insofern kann man auch nicht davon sprechen, dass wir erfolgreiche Verhandlungsführung bedanken. uns einseitig auf etwas konzentrieren . Ich hoffe doch, dass Sie Ihre kritische Haltung gegenüber dem Auswahl- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- charakter auch einer Exzellenzinitiative hier noch einmal ordneten der SPD) überdenken können. Neben den Förderlinien – sie wurden ja zu den jewei- Das zweite Element zusätzlich zur Exzellenzstrate- ligen Einzelmaßnahmen im Detail genannt – liegt jedoch gie – wir hörten es bereits – bildet ein weiteres Programm diesmal, bei dieser Neuauflage, die ganz große Chance zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Es (B) in der erhöhten Planungssicherheit – deshalb möchte ich (D) geht um die klugen, es geht um die klügsten Köpfe in un- das an dieser Stelle auch noch einmal hervorheben –, die serem Land wie auch darüber hinaus. Es geht nicht allein einen dauerhaften Aufwuchs zulässt. Es ist die ganz neue darum, sie zu gewinnen, es geht vor allen Dingen darum, Qualität mitsamt dieser ganzen Förderlinien und Einzele- sie auch perspektivisch zu halten. lemente, die diese neue Exzellenzstrategie auszeichnet und damit die Erfolgsgeschichte ganz sicher fortschrei- In Verbindung mit den Maßnahmen aus früheren Ge- ben lässt. Sie ist das Kernstück dieser drei Elemente. setzen geben wir dem wissenschaftlichen Nachwuchs Planungssicherheit, eröffnen auch nachfolgenden Gene- Aber auch ich möchte hier erwähnen, dass das ganze rationen immer wieder Chancen, bieten jetzt den Univer- Paket, dass das stabile Gerüst erst aus dem Zusammen- sitäten auch einmal ganz neue Wege bei ihrer Personal- spiel der drei Elemente entsteht und dass sich daraus die planung und erhalten gleichzeitig die Dynamik und die Stärkung des Wissenschaftsstandorts entfaltet: Das ist Flexibilität in unseren Einrichtungen. zum einen das Thema Exzellenzstrategie, zum anderen die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und Kolleginnen und Kollegen, wir sind davon überzeugt, zum Dritten das Thema „Innovative Hochschule“. dass wir mit den nun drei neuen Programmen, diesem Gesamtpaket, weitere wichtige Weichen gestellt haben Es wird zu Recht an verschiedenen Stellen darauf auf- und stellen werden, um das Wissenschaftssystem voran- merksam gemacht, dass Größe natürlich nicht immer au- zubringen, Deutschland an der Spitze zu halten, und zwar tomatisch mit Qualität gleichzusetzen ist. Die besondere sichtbar und auf Dauer . Stärke in diesem Land ist die Vielfalt der Hochschulland- schaft, ausgestattet mit jeweils spezifischen Aufgaben Vielen Dank. oder – besser – Verantwortung in diesem System . Dies gilt insbesondere für die Fachhochschulen und kleineren (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Hochschulen, deren Vorteil sowohl in einer hohen Inno- ordneten der SPD) vationsfähigkeit wie auch in einem schnelleren Wissens­ transfer besteht . Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Abstimmungen oder Überweisungen sind für diesen Tagesordnungspunkt nicht vorgesehen . Hinzu kommen – ich glaube, der Herr Kollege Kaczmarek hat das schon erwähnt – eine flächendecken- Deshalb kann ich sofort den Tagesordnungspunkt 29 de und enge Anbindung an die Region, beispielsweise in aufrufen: Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17225

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Insbesondere die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten (C) gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maß- werden deshalb künftig zu einem Abgabesatz von 3 Pro- nahmen zur Förderung des deutschen Films zent verpflichtet. Aber ARD und ZDF haben darüber hi- (Filmförderungsgesetz – FFG) naus sogar ihre Bereitschaft erklärt, freiwillig 4 Prozent zu leisten, also aufzustocken; das war nicht immer so. Drucksachen 18/8592, 18/8627 Das ist ein echter Erfolg. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz der SPD) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Auch die Abgaben der anderen Einzahler werden mo- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für derat angepasst, sodass wir eine gute Balance zwischen die Aussprache 38 Minuten vorgesehen .– Dagegen er- den Abgabezahlern erreichen. An der Abgabepflicht der hebt sich kein Widerspruch. Dann ist das somit beschlos- ausländischen VoD‑Anbieter halten wir natürlich fest. sen . Ich habe am Dienstag an der Kulturministerratssitzung Ich eröffne die Aussprache und erteile zuerst für die in Brüssel teilgenommen. Dort hat die Kommission ih- Bundesregierung der Frau Staatsministerin Professor ren ersten Entwurf einer AVMD-Richtlinie vorgelegt, in Monika Grütters das Wort . der erstmals dieses Prinzip implementiert wird. So weit waren wir noch nie. Ich habe Kommissar Oettinger, der daran maßgeblich mitgewirkt hat, gedankt. Es ist nicht Monika Grütters, Staatsministerin bei der Bundes- nur für den deutschen Filmstandort wichtig, dass es keine kanzlerin: Abgabeoasen mehr gibt . Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Entwurf unseres neuen Filmför- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) derungsgesetzes rollen wir quasi künftigen Filmerfolgen Gleichzeitig wollen wir die Förderung effizienter ge- den roten Teppich aus. Qualitative Spitzenförderung zu stalten, indem wir uns bei der Vergabe der Fördermittel ermöglichen und dazu die deutsche Filmwirtschaft im in- auf wenige, aber vielversprechendere Projekte konzen- ternationalen Wettbewerb zu stärken, das sind die Ziele trieren, um diese mit höheren Summen zu fördern. Der der Gesetzesnovelle, über die wir heute in erster Lesung Gesetzentwurf sieht deshalb für die Auswahl der Pro- beraten. Sie soll dem deutschen Film, den man als eine jekte im Rahmen der Projektfilmförderung detailliertere Art Aushängeschild unserer Kulturnation bezeichnen Vorgaben als bisher und eine gesetzliche Mindestförder- kann – im Ausland wird er sehr viel gesehen –, nationale quote vor. Außerdem sollen durch die Abschaffung der und internationale Strahlkraft verleihen. An Strahlkraft (B) sogenannten Erfolgsdarlehen künftig mehr Mittel für die (D) hat es zumindest in den vergangenen Wochen und Mo- erneute Vergabe durch die jeweiligen Kommissionen zur naten nicht gefehlt. Mit ihrem Film Toni Erdmann, übri- Verfügung stehen. Es gibt also künftig auch mehr Be- gens gefördert mit Mitteln der Filmförderungsanstalt, des günstigte . DFFF und der kulturellen Filmförderung meines Hauses, war Maren Ade bei den diesjährigen Filmfestspielen in Um Spitzenqualität geht es auch beim Ausbau der Cannes der echte Liebling der Filmkritik, und zwar der Drehbuchförderung. Mit der neuen Drehbuchfortent- internationalen. Manche haben sie auch als „Siegerin der wicklungsförderung, die nicht nur am Anfang greift, son- Herzen“ bezeichnet. Mit 27,5 Prozent Marktanteil hat der dern auch dann, wenn ein Stoff weiterentwickelt wird, deutsche Film 2015 das beste Ergebnis seit Erfassung der und der Erhöhung der Mittel wollen wir dafür sorgen, Besucherzahlen erzielt. Solche Erfolge zeigen immerhin: dass gute Stoffe tatsächlich bis zur Filmreife gelangen. Wir sind mit unserer Filmförderung auf dem richtigen Das ist leider nicht immer so. Wir glauben, dass wir mit Weg . diesem mittleren Förderschritt deutlich mehr Drehbü- chern dazu verhelfen, zum echten Film zu werden. Die Damit künstlerische und wirtschaftliche Wagnisse Drehbücher gelten zu Recht als DNA eines hohen deut- auch in Zukunft möglich bleiben, sieht der Regierungs- schen Marktanteils. So haben es zumindest die Dreh- entwurf des Filmförderungsgesetzes unter anderem vor, buchautoren selber einmal formuliert. ein hohes Niveau des Abgabeaufkommens zu sichern, die Filmförderung effizienter zu machen, die Drehbuch- Stärker honorieren wollen wir künftig auch die Leis- förderung deutlich auszubauen, die Leistung der Produ- tung der Produzenten, wie ich eingangs gesagt habe, zum zenten noch stärker zu honorieren, Kinos als Kulturorte Beispiel mit Erleichterungen beim vom Produzenten zu vor allem in der Fläche, also jenseits der Metropolen, zu erbringenden Eigenanteil und mit der Einführung des stärken und – daran hänge ich sehr – Kurzfilme mehr als 25‑Prozent-Bonus, der wirksam wird, wenn der Film bisher zu fördern. Wir wollen zudem die Entscheidungs- erfolgreich ist und die Einnahmen an der Kinokasse die strukturen effizienter gestalten und dabei nicht zuletzt – Herstellungskosten übersteigen. ich glaube, das ist die Voraussetzung für ein gutes Ergeb- nis – den Frauenanteil in den FFA-Gremien signifikant Ein weiterer Punkt ist die Förderung des Kurzfilms. erhöhen. Von seiner kompositionellen Raffinesse, von den an- spruchsvollen Dramaturgien, von der knappen, präzisen Lassen Sie mich ganz kurz auf diese Punkte einge- Erzählweise – das sind die Charakteristika eines Kurz- hen, zuerst auf das Abgabeaufkommen . Wenn das neue films – profitiert die Filmkunst insgesamt. Deshalb sieht FFG qualitative Spitzenförderung ermöglichen soll, dann die FFG-Novelle vor, dass künftig auch Kurzfilme von brauchen wir deutlich mehr Mittel aus der Branche selbst. unter einer Minute und bis zu 30 Minuten – das war bis- 17226 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Staatsministerin Monika Grütters (A) her die Eingrenzung – Fördermittel bekommen können. Wie der Beifall klingt, wenn deutsche Filmkunst (C) Es wäre doch zu schade, Experimentierfreude in ein zu überzeugt, haben wir in den vergangenen Wochen dank starkes Minutenkorsett zu zwingen. Deshalb weiten wir Toni Erdmann gehört. Dieser Film erreicht die Sterne, die Kurzfilmförderung deutlich aus. vermerkte Le Figaro. Oder: Originell bis ins Absurde, kommentierte Deutschlandradio Kultur. Ein Werk von Weil Filmkunst nicht nur Leinwand oder Bildschirm, großer Schönheit, großen Gefühlen und großes Kino, hat sondern auch eine Bühne braucht, wollen wir Kinos als die New York Times diesen Film genannt. Er kommt im Kulturorte deutlich stärken, gerade abseits der großen Juli in die Kinos. Solche Zeilen wünschen wir, die wir Städte. Kinos profitieren von der Anhebung der für den die Filme lieben, uns doch alle. Wir würden sie gerne konkreten Abgabesatz maßgeblichen Umsatzschwellen. öfter hören und lesen. In diesem Sinne hoffe ich auf Ihre Außerdem soll es bei den bisherigen Sperrfristen blei- Unterstützung für den Entwurf unseres neuen Filmförde- ben . Die garantieren – das System der Sperrfristen wird rungsgesetzes . immer wieder diskutiert –, dass ein Film zumindest in der Regel sechs Monate exklusiv dem Kino vorbehalten Vielen Dank. bleibt, bevor er zum Beispiel auf DVD zu haben ist. Auch (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) das finde ich wichtig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vizepräsident Johannes Singhammer: der SPD) Nächster Redner ist der Kollege Harald Petzold, Frak- Es gibt diesbezüglich immer wieder die eine oder ande- tion Die Linke. re Erwägung, aber ich glaube, das ist wirklich im Inte- (Beifall bei der LINKEN) resse der Kinos. Das betrifft vor allen Dingen die Kinos jenseits der großen Städte. Für die ist das ein wichtiger Punkt . Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen Ein letzter Punkt. Wir wollen die Gremien der FFA und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf verschlanken und professionalisieren. Dass das dringend der Besuchertribüne! Es ist zwar noch nicht ganz Freitag nötig war, können alle die bestätigen, die die bisherige nach eins, aber fast. Freitag nach eins macht bekanntlich Zusammensetzung kennen. Künftig soll es nur noch drei jeder seins. Wir sehen das leider auch hier im Plenarsaal. Förderkommissionen mit maximal fünf Mitgliedern aus Die Behandlung dieses Gesetzesanliegens ist so wichtig, einem Pool von Experten geben, die in wechselnder Be- dass das Filmförderungsgesetz das Dasein in einer Rand- setzung tagen. Auf diese Weise können sich die Kommis- zone eigentlich nicht verdient hat. (B) sionsmitglieder die Projekte bzw. die Filme genauer an- (D) schauen, sodass herausragende Ideen nicht in der Masse Dass die Bundesregierung beantragt hat, die Debatte der Antragsteller untergehen. über diesen Tagesordnungspunkt erst jetzt stattfinden zu lassen, spricht Bände in Bezug darauf, welche Wichtig- Im Rahmen der Gremienbesetzung will ich für mehr keit sie diesem Gegenstand tatsächlich beimisst. Nach Geschlechtergerechtigkeit in der Filmbranche sorgen. diesem Tagesordnungspunkt werden übrigens nur noch Man kann das im künstlerischen Bereich nicht erzwin- die Ostrenten behandelt. Auch das spricht Bände hin- gen. Das Potenzial ist aber da. Wie wir in diesem Jahr sichtlich der Wichtigkeit, die die Große Koalition be- gesehen haben, waren drei ganz tolle Regisseurinnen stimmten Themen hier offensichtlich zubilligt. unter den Gewinnern des Deutschen Filmpreises. Aber in den Gremien, wo wir ausdrücklich Einfluss ausüben Ich bin sehr froh, dass meine Fraktion einen eigenen können, war das nicht gegeben. Es kann nicht sein, dass Antrag eingebracht hat, der bereits im April dieses Jahres zwar unser höchstdotierter Filmpreis einen Frauennamen in der Kernzeit auf der Tagesordnung stand. Bereits zu trägt – die Lola –, unsere hochdekorierten Filmemacher diesem Zeitpunkt haben wir beantragt, das Filmförde- in der Regel aber nicht. Künftig werden mindestens zwei rungsgesetz sozial ausgewogen und geschlechtergerecht Frauen in den Fünferkommissionen an den Förderent- zu ändern. Wir haben uns für Genrevielfalt und für den scheidungen beteiligt sein. Ich bin zuversichtlich, dass Erhalt von Kino als Kulturort ausgesprochen. sich damit auch mehr von Frauen geprägte Projekte Damit wurde wenigstens einmal in dieser Legislatur- durchsetzen können. periode zu einer zugänglicheren Zeit, in der auch mehr Abgeordnete im Plenarsaal sind, dieser wichtige Gegen- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) stand – für die Koalition ist es ja in dieser Wahlperiode Der aktuelle Entwurf des Filmförderungsgesetzes ist eines der wichtigsten Projekte der Medienpolitik über- das Ergebnis mehrfacher Branchenanhörungen, großer haupt – öffentlich diskutiert. Das hat in der Öffentlichkeit runder Tische – viele von Ihnen haben daran teilgenom- übrigens ein sehr positives Echo gefunden. Ich finde, das men – und unzähliger Gespräche auch und gerade mit ist gut so . Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Für den kon­ (Beifall bei der LINKEN) struktiven Austausch – das war bei dem Filmförderungs- gesetz wirklich wohltuend – bin ich allen Beteiligten sehr Ich bin darüber hinaus sehr froh, dass sich der Bun- dankbar. Es freut mich vor allem, dass wir gemeinsam desrat in seiner Stellungnahme sehr deutlich dafür ausge- Wege gefunden haben, um künstlerische Aspekte bei der sprochen hat, dass das „in der Filmwirtschaft eingesetzte wirtschaftlichen Filmförderung doch noch ein bisschen Personal zu sozialverträglichen Bedingungen beschäftigt stärker zu betonen. wird“. Es soll nach Auffassung der Bundesländer eine Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17227

Harald Petzold (Havelland) (A) neue Aufgabe der Filmförderungsanstalt werden – ich Meine Redezeit ist leider nur kurz bemessen. Deswe- (C) zitiere –, „auch die Belange der Beschäftigten in der gen kann ich nicht weiter in die Tiefe gehen, um darzu- Filmwirtschaft zu unterstützen“. Ein ganz herzliches stellen, was Ihrem Gesetz noch alles fehlt. Sie haben kei- Dankeschön an die Bundesländer für diese Stellungnah- ne Vorstellung von der Zukunft des deutschen Films. Sie me und ein ganz herzliches Dankeschön besonders an die haben keine Idee von den gesellschaftlichen, kulturellen Bundesländer mit linker Regierungsbeteiligung, nämlich und sozialen Wirkungen des Films. Sie betrachten Film Thüringen und Brandenburg, die sich besonders intensiv zuallererst als Standortpolitik, dann als Verschiebebahn- für diesen Punkt in der Stellungnahme der Bundesländer hof für Fördermittel – wobei Sie auch noch knauserig eingesetzt haben. Denn angesichts zu einem großen Teil sind –, und Sie konzentrieren sich dann im Wesentlichen prekärer Arbeits- und Produktionsbedingungen vieler auf Gremienbesetzungen, wobei Sie immer ordentlich Filmschaffender ist die Forderung aktueller denn je, dass darauf achten, dass vor allen Dingen die Verwerterseite sich die Filmförderung für Tariftreue, für faire und ange- in den Gremien ordentlich präsentiert ist, was dann dazu messene Vertragsbedingungen zwischen Produktionsun- führt, dass von dieser Seite Einfluss auf Filmgeschichten ternehmen und den Beschäftigten einsetzt. und Drehbücher genommen wird, was wir für unange- messen halten. Sie reden davon, dass eine Frauenquote Ich wiederhole in diesem Zusammenhang den Vor- mehr Geschlechtergerechtigkeit bringt. Fragen Sie ein- schlag meiner Fraktion, der Linken, aus unserem Antrag mal unsere europäischen Nachbarn, wie sie mit diesem zur sozialverträglichen Änderung des Filmförderungsge- Thema umgehen. Da haben wir ein Vorbild. Auch dazu setzes: haben wir Ihnen in unserem Antrag einen entsprechen- Produzenten, die nachweislich einkalkulierte den Vorschlag vorgelegt. Tarif- bzw. Mindestlöhne nicht ausgezahlt ha- Wir sagen: Der Gesetzentwurf enthält keine Regelung ben, sollten für drei Jahre von der Förderung dazu, wie Kinos flächendeckend erhalten und gefördert ausgeschlossen werden. werden können. Ihre Vorschläge hinsichtlich des Abga- Ich sage: Mit der Novelle zum Filmförderungsgesetz beaufkommens berücksichtigen die Entwicklungen, zum böte sich eine gute Chance, dies ein für alle Mal zu er- Beispiel den Rückgang beim Verkauf von DVDs, über- möglichen. haupt nicht. Wir werden also nicht mehr Einnahmen in diesem Bereich haben, sondern weniger . (Beifall bei der LINKEN) Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die Lin- Im Übrigen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von ke hat Filmförderungspolitik vor allen Dingen zum Ziel, der Union: Die Stellungnahme des Bundesrates müsste den Film als eine für die Gesellschaft unverzichtbare kul- turelle Ausdrucksform in der öffentlichen und politischen (B) für Sie wie eine schallende Ohrfeige gewirkt haben, da (D) Sie uns ja wieder sozialistische Planwirtschaft im Zu- Wahrnehmung zu verankern und das Filmförderungs- sammenhang mit unserem Antrag und der Debatte da- system entsprechend neu auszurichten und am Ende zu rüber unterstellt haben. Ich kann Ihnen versichern: Wir stärken. In diesem Sinne werden wir uns in die Debatte werden mit unseren Änderungsanträgen genau diese ur- einbringen . Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und sozialistische Forderung, nämlich „Gute Löhne für gute Ihnen, Herr Präsident, dass Sie etwas großzügig mit mir Arbeit“, einbringen und thematisieren, und wir werden umgegangen sind, was die Redezeit anbelangt. auf eine Änderung des vorliegenden Gesetzentwurfs Vielen Dank. drängen, zumal Sie als Große Koalition nicht einmal be- reit sind, bei den Regelungen zur Arbeitslosenversiche- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- rung die Belange von kurzfristig Beschäftigten – dazu neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zählen die Beschäftigten der Filmwirtschaft – besonders zu berücksichtigen und diese zu verändern. Vizepräsident Johannes Singhammer: Das ist ein klarer Bruch Ihres Versprechens aus dem Das ist die Großzügigkeit für alle, die der Debatte um Koalitionsvertrag, wo Sie zugesagt haben, dass noch in diese Zeit hier intensiv folgen. – Als Nächster spricht der dieser Wahlperiode für eine Reform der Arbeitslosen- Kollege Burkhard Blienert für die SPD. geld-I-Regelung für Kulturschaffende gesorgt werden soll. Da nützt es auch gar nichts, wenn die Staatssekretä- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rin Kramme hier Krokodilstränen verdrückt und sagt: Es der CDU/CSU) ist leider nicht gelungen, für die kurzfristig Beschäftigten eine Verbesserung zu erreichen . Burkhard Blienert (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident, an Ihre Großzügigkeit Ich kann nur sagen: Das war der Großen Koalition kann ich hoffentlich auch appellieren. offensichtlich einfach nicht wichtig genug, ähnlich wie möglicherweise die gesamte Filmförderung. Ich kann nur (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: die Forderung meiner Fraktionskollegin Zimmermann Elf Minuten!) von gestern wiederholen, die gesagt hat, dass mindestens vier Monate ausreichen müssen, um Anwartschaften für Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Da- das Arbeitslosengeld I zu erwerben. men und Herren! Vor einer Woche wurde der Deutsche Filmpreis vergeben. Wir konnten einen starken Jahrgang (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- feiern, der noch einmal die breite Vielfalt des kreativen neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Filmschaffens deutlich gemacht hat. Von dieser Stelle 17228 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Burkhard Blienert (A) sage ich – es ist erst eine Woche her –: Herzlichen Glück- ist jetzt das Bemühen um Gendergerechtigkeit im Aufga- (C) wunsch allen Preisträgerinnen und Preisträgern! benkatalog der FFA festgeschrieben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Zu begrüßen sind auch die Neuerungen bei der Förde- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE rung selbst. Ein breites Bündel von Maßnahmen, insbe- GRÜNEN) sondere in der Projektfilm- und der Drehbuchförderung, zielt darauf, die Qualität der Projekte konsequent zu ver- Vor wenigen Wochen haben wir Maren Ade feiern bessern . können mit dem Film Toni Erdmann. Wir haben lange warten müssen, bis wieder eine deutsche Produktion in Wir sollten aber auch nicht die Augen davor verschlie- Cannes dabei war. Besonders erfreulich dabei vor dem ßen, dass mit der neuen Förderphilosophie deutlich weni- Hintergrund der überfälligen Genderdiskussion: Pro- ger Projekte und vor allem weniger kleine Projekte in die duziert hat das Projekt nämlich auch eine Frau, Janine FFA‑Förderung kommen werden. Deshalb bin ich auch ­Jackowski. Es ist ein schönes Beispiel dafür, was das froh, dass die Mittel für die kulturelle Filmförderung bei deutsche Fördersystem im besten Fall mit bewirken der BKM aufgestockt wurden. kann: die Begünstigung von künstlerischem und wirt- schaftlichem Erfolg, und zwar auch im Ausland. Toni Sehr gut ist es, dass bei der Tilgung von Projekt- Erdmann hat sich nämlich schon in 55 Länder weiter- filmdarlehen jetzt sichergestellt ist, dass vorrangig die verkauft. Die Liste der Förderer reicht dabei von der FFA Erlösbeteiligungen der Urheber gemäß dem Urheberver- über den DFFF bis hin zur kulturellen Filmförderung des tragsrecht zu bedienen sind. Das trägt zur Verbesserung BKM und der Länder. Auch drei öffentlich-rechtliche der sozialen Lage der Urheber bei. Sender haben Toni Erdmann koproduziert. Deshalb nur Noch besser wäre es gewesen, wenn der Regierungs- am Rande bemerkt: Das Mitwirken von Fernsehredaktio- entwurf zugleich den Vorschlag eines Erlöskorridors für nen muss also einem Projekt nicht zwangsläufig schaden. die Produzenten aufgegriffen hätte. Ehrlich gesagt ver- Keine Frage: Toni Erdmann ist ein Glücksfall für den wundert es mich, dass da nichts geschehen ist . Denn die deutschen Film. Aber ich wünsche mir, dass unsere För- damit verbundenen Vorteile sind offensichtlich: Die Ur- derung mehr solcher Filme möglich machen kann, Filme, heber kämen früher in den Genuss der eben angesproche- die die Kritiker genauso wie die Kinozuschauer im In- nen Beteiligungen. Es würde ein klarer Anreiz dafür ge- und Ausland begeistern. Genau das haben wir uns mit setzt, dass die Produzenten Projekte verfolgen, die auch der Novelle des FFG auch vorgenommen. Dabei ist das wirtschaftlich erfolgreich sind. Wir hätten damit eine FFG nur ein, wenn auch zentraler Pfeiler der deutschen gute Möglichkeit zur wichtigen Stärkung des Eigenka- Filmförderung. pitals der Produzenten. Zudem würde es der viel beklag- (B) ten Filmschwemme entgegenwirken. Insgesamt könnten (D) Ich möchte einen anderen kurz streifen: den DFFF. Er wir in unserem Bemühen um mehr Qualität im deutschen war zuletzt genauso überzeichnet wie der neue German Film davon nur profitieren. Den Vorbehalten der um ihre Motion Picture Fund aus dem BMWi. Gleichzeitig haben Rückflüsse besorgten Verleiher könnten wir dadurch be- die Konkurrenten im globalen Standortwettbewerb um in- gegnen, dass wir einen solchen Korridor zunächst nur für ternationale Großproduktionen ihre Anreizsysteme mas- die verleihgeförderten Projekte vorsehen. Ich denke je- siv ausgebaut. Im Ergebnis ist der Glanz des ehemaligen denfalls, die Idee eines Korridors ist es allemal wert, dass Vorzeigemodells DFFF inzwischen stark verblasst. Wenn wir zumindest in den nächsten fünf Jahren, die dieses Ge- wir also die Attraktivität des Filmstandorts Deutschlands setz in Kraft sein wird, austesten, wie sich dies auswirkt. erhalten wollen, müssen wir uns demnächst auch grund- sätzliche Gedanken zum DFFF machen und das Konzept (Beifall bei der SPD) gegebenenfalls neu ausrichten. Weiterhin erfreulich im Gesetzentwurf: Die Förde- (Beifall bei der SPD) rung der Digitalisierung alter Filme steht nun erstmals als eigener Förderbereich im Gesetz. Zurück zum FFG . Die Bundesregierung hat nun ei- nen Gesetzentwurf vorgelegt, dem es gelingt, sowohl die Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Auffas- Strukturen der Förderung als auch die Förderung selbst sung, mit dem FFG soll nicht nur der deutsche Film ge- zu verbessern . Das ist das Ergebnis eines intensiven und fördert werden, sondern auch der Kulturort Kino, für den aufwendigen Dialogs mit der gesamten Branche. Dafür diese Filme gemacht sind, geschützt werden. Da ist der meinen Dank an das Haus der BKM und an die FFA. Vorschlag des Bundesrates, das Auswertungsfenster der Kinos weiter zu verkürzen, eher kontraproduktiv. Gerade Ich greife nun noch einige Punkte heraus: Mit der die Kinos in den kleineren Städten und die Programmki- Anpassung der Abgabesätze, mit der Verstärkung der nos wären die Leidtragenden. Sie sind auf die bestehen- Rückflüsse in den Fördertopf, mit der Heranziehung den Fenster angewiesen. Gerade der Dokumentarfilm, werbefinanzierter Abrufdienste und der VoD‑Anbieter auf den der Bundesrat abhebt, ist doch im Kino eher ein mit Sitz im Ausland werden wir die Einnahmeseite des Langläufer. Sicherlich müssen wir berücksichtigen, dass FFA-Haushalts nachhaltig stabilisieren können. Der letz- sich das Nutzerverhalten weiter verändert. Deshalb sieht te Punkt ist zwar noch nicht ganz in trockenen Tüchern, der Regierungsentwurf weitere Maßnahmen zur behut- aber die neue AVMD-Richtlinie gibt begründete Hoff- samen Flexibilisierung vor. Ich denke, dieser Weg ist nung auf grünes Licht aus Brüssel. Gute Lösungen sind richtig, und wir sollten beobachten, was er bewirkt. Auf bei den Bestimmungen zur geschlechterparitätischen Be- jeden Fall plädiere ich dafür, keine generelle Verkürzung setzung der Gremien gefunden worden . Darüber hinaus der Fristen vorzunehmen, da es nur um bestimmte Filme Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17229

Burkhard Blienert (A) geht. Der absehbare Schaden für viele Kinos verbietet zialverträgliche Bedingungen muss die neunte Aufgabe (C) das . werden . (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Marco (Beifall bei der SPD) Wanderwitz [CDU/CSU]) Dass der Bundesrat in seiner Stellungnahme genau diese Ich denke, dem Anliegen kann man auch untergesetzlich Forderung aufgegriffen hat, hat mich gefreut . Das ge- im Rahmen der Entscheidungspraxis der FFA über Ver- schah fast einstimmig über alle Parteigrenzen hinweg. 15 kürzungsanträge entsprechen. von 16 Bundesländern haben die Notwendigkeit erkannt, Ein ganz anderes Anliegen der Dokumentarfilmer fin- dass mit dem FFG an dieser Stelle mehr für die Beschäf- det jedoch meine Zustimmung. Wir halten es für sinn- tigten getan werden muss . voll, dass die Zuschauer nichtgewerblicher Vorführungen Seit vorgestern wissen wir: Die Bundesregierung will bei der Referenzfilmförderung weiterhin mit berücksich- diesem Anliegen entsprechen. Das können wir nur begrü- tigt werden . ßen, aber damit sind wir noch nicht am Ende der Strecke. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Johannes Denn das wäre nur der erste Schritt, und der zweite muss Selle [CDU/CSU] und Harald Petzold [Havel- folgen. Nach unserer Auffassung ist im Gesetz zu präzi- land] [DIE LINKE]) sieren, auf welche Weise die FFA diese Aufgabe erfüllen kann . Aus dem Gesetzentwurf wurde das gestrichen . Auch das werden wir bei der Anhörung im Ausschuss ansprechen Die FFA sollte nach unserer Meinung bei den antrag- müssen . stellenden Unternehmen erheben, ob bei der Produktion eine Tarifbindung vorliegt und ob die Einhaltung der ent- Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei allem Lob für sprechenden Regelungen gewährleistet ist. Wir wollen den Regierungsentwurf ist auch ein klares Versäumnis die FFA nicht zur Tarifpolizei machen. Dazu hat sie kei- festzustellen: Der Entwurf enthält keinen konkreten Vor- ne Befugnis und auch nicht die personellen Kapazitäten. schlag, wie die Einhaltung von sozialen Mindeststan- dards bei der Filmproduktion sichergestellt werden kann. Ich möchte betonen: Nach unserem Vorschlag ist nicht Die Liste der Verstöße ist lang, und es handelt sich nicht die Einhaltung sozialer Mindeststandards selbst Voraus- nur um wenige Einzelfälle. Insgesamt scheint es in den setzung für die Förderung. Denn wir wissen, dass nicht vergangenen Jahren zwar weniger Probleme mit der Ein- zuletzt die EU-Entsenderichtlinie dem entgegensteht. haltung der maximalen Arbeitszeit zu geben. Allerdings Fördervoraussetzung soll allein die Angabe sein, ob der häufen sich die Klagen, dass geleistete Überstunden ohne Tarifvertrag für die jeweilige Produktion gilt oder nicht. die festgelegten Zuschläge vergütet werden oder dass Ich denke, das ist der richtige Weg. Darüber sollten wir (B) vereinbarte Zeitkonten nicht zur Anwendung kommen . auch in der Anhörung noch einmal reden. (D) Nicht selten wird mit Pauschalverträgen der Tarifvertrag umgangen. Mir liegt es fern, hier die Produktionsbranche Ich appelliere an Sie: Lassen Sie uns dieses Mal ge- unter einen Generalverdacht zu stellen. Aber jeder ein- meinsam das ungelöste Problem anpacken, das wir bis- zelne Fall ist aus meiner Sicht ein Fall zu viel. Deshalb her von Novelle zu Novelle immer vor uns her gescho- tritt die SPD-Fraktion entschieden dafür ein, dass Miss- ben haben. Denn das zentrale Anliegen dieses Gesetzes stände bei öffentlich geförderten Filmproduktionen nicht ist die Qualitätssicherung beim deutschen Film. Dazu hingenommen werden . finden sich viele gute Maßnahmen im Regierungsent- wurf. Wir können das aber noch besser machen, wenn Wir reden nicht zum ersten Mal über dieses Thema. wir uns für faire und sozialverträgliche Bedingungen am Anlässlich der letzten Novelle hat der Bundestag in sei- Set einsetzen . ner Beschlussempfehlung festgestellt, dass ihm die sozi- ale Lage der Filmschaffenden ein besonderes Anliegen Ich danke für die Aufmerksamkeit . ist . (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- CDU/CSU) NEN]: Merkt man!) Zugleich wurde die Bundesregierung aufgefordert, da- Vizepräsidentin : rauf hinzuwirken, durch die FFA – ich zitiere – „die Ein- Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Tabea Rößner haltung sozialer Mindeststandards bei der Produktion von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. geförderter Projekte nachweislich und nachhaltig sicher- zustellen“. Wie hat die Bundesregierung diese Aufforde- Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): rung nun im vorliegenden Entwurf umgesetzt? Heraus- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! gekommen ist eine Formulierung, die sich leider nur im Warum hat Toni Erdmann, der gefeierte Film von Maren Begründungstext wiederfindet. Ade, in Cannes keinen Preis gewonnen? Ich wage einmal Wir brauchen jedoch eine präzise Aufgabenbeschrei- eine steile These: weil dieser Film von Frauen gemacht bung. Solange sie aber nur in den Begründungsteil abge- wurde. Die Einladung nach Cannes war allerdings schon schoben ist, wird alles beim Alten bleiben. Diese Formu- ein Riesenerfolg. Sieben Jahre lang gab es keinen deut- lierung gehört in den Gesetzestext selbst, und zwar genau schen Beitrag. Vielleicht fehlt dem deutschen Film nichts dorthin, wo die Aufgaben der FFA aufgezählt werden. so sehr wie Frauen – Produzentinnen, Regisseurinnen § 2 kennt acht Aufgaben. Die Mitverantwortung für so- und Autorinnen . Toni Erdmann hat den Weg nach Cannes 17230 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Tabea Rößner (A) nicht wegen, sondern trotz unseres Filmförderungssys- Das zementiert doch die bisherigen Machtverhältnisse, (C) tems geschafft . und die Macht liegt leider nicht bei den Kreativen. An dieser Stelle sollten Sie den Entwurf dringend überarbei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ten . Dass Frauen in der Filmbranche benachteiligt sind, ist hinlänglich bekannt. Wer welche Förderung bekommt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN entscheiden überwiegend Männer. Und es sind überwie- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) gend Männer, deren Projekte dann auch gefördert wer- den . Frau Staatsministerin Grütters, Sie haben immer Auch die Besetzung des Verwaltungsrats verfestigt gesagt, dass Sie diesen Missstand beheben wollen. Das Machtstrukturen. Von den 36 Mitgliedern hat die Produ- ist gut und zwingend notwendig; denn Frauen haben an- zentenallianz auch künftig drei Sitze, der Verband Deut- dere Sichtweisen und tragen zu mehr Vielfalt in der Film- scher Filmproduzenten aber nur einen. Da frage ich mich: landschaft bei. Wir brauchen also mehr Produzentinnen, Auf welcher Grundlage erfolgt diese Sitzverteilung? mehr Drehbuchautorinnen und mehr Regisseurinnen . Daher müssen wir ihnen bessere Chancen auf Förderung Apropos Transparenz. Auch hier fehlt der Mut. Es einräumen. muss für öffentliche Anstalten Pflicht sein, Rechen- schaft abzulegen. Dafür braucht man aber Zahlen über (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herstellungskosten, die Beteiligung der Fernsehsender, sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] Rückzahlungen und den Anteil an Frauen in den Berei- [DIE LINKE]) chen Regie, Produktion und Drehbuch. Nur so kann man Davon ist in Ihrem Gesetzentwurf nur leider nichts zu die Förderentscheidung evaluieren. Dazu könnte zum sehen. Sie werden mir jetzt entgegenhalten: Es soll mehr Beispiel ein zentrales Filmregister wie in Frankreich die- Frauen in den Gremien der Filmförderungsanstalt geben. nen . Ich denke, es würde der FFA gut zu Gesicht stehen, Daraus folgt aber doch nicht automatisch, dass mehr Transparenz zum Aushängeschild zu machen. Frauen gefördert werden. Wäre es da nicht besser, eine klare Zielvorgabe zu machen, wie viele der bewilligten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Projekte in den nächsten Jahren unter Beteiligung von sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] Frauen bei Regie, Produktion und Drehbuch entstehen [DIE LINKE]) sollen? Da geht also deutlich mehr. Wir brauchen mehr Das könnte auch bei der Bewertung helfen, wann ein Mut, zu einer gesetzlichen Regelung zu kommen, die Film erfolgreich ist, was sich wiederum auf die Referenz- dieses Problem auch wirklich angeht. förderung auswirkt. Ist ein Film nur dann erfolgreich, (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wenn er in absoluten Zahlen die meisten Kinobesucher (D) sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] zählt? Oder ist nicht auch ein Film erfolgreich, der zwar [DIE LINKE]) weniger Zuschauer hat, aber bei wesentlich geringeren Produktionskosten im Verhältnis deutlich mehr? Wa- „Mut“ ist ein gutes Stichwort. Daran fehlt es bei den rum trauen Sie sich nicht, die Herstellungskosten in das Entscheidern leider viel zu oft. Es fehlt an Mut, den Verhältnis zu den Zuschauerzahlen zu setzen? Das wäre Filmschaffenden mehr Vertrauen entgegenzubringen. Sie eine sinnvolle politische Steuerung im Sinne des kreati- müssen mit ihren Projekten durch so viele Türen gehen, ven Films. Sie würde gewährleisten, dass die Referenz- und das Drehbuch muss durch so viele Hände gehen, dass förderung teure Produktionen nicht einseitig besserstellt, dabei am Ende nicht immer der beste Film herauskommt. während erfolgreiche, aber günstigere Filme hinten run- Dazu findet sich leider nichts in Ihrem Gesetzentwurf. terfallen. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Fast Track? Die Filmförderungsanstalt vergibt einen bestimmten Prozent- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN satz des Fördertopfes an erfolgreiche Filmemacherinnen sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] und Filmemacher in einem vereinfachten und automati- [DIE LINKE]) sierten Verfahren. Dafür müsste man den Kreativen mehr vertrauen, es würde aber größtmögliche künstlerische Es gäbe noch vieles zu sagen über die sozialen Stan- Freiheit ermöglichen. dards, die ökologischen Standards, die Selbstverpflich- tung, die Sperrfristen oder die Stärkung des Kinos als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – sozialer und kultureller Ort. Johannes Selle [CDU/CSU]: Das gibt es doch schon!) Ich will noch eine letzte Anmerkung machen. Es ist Wir alle wollen gute Filme sehen, aber ob die Ausge- unsere Aufgabe, den Kreativen ein Umfeld zu schaffen, staltung der Vergabegremien zu besseren Filmen führt, in dem sich Kreativität auch entfalten kann, damit wir wage ich zu bezweifeln. In den Kommissionen, die deut- den nächsten deutschen Beitrag in Cannes nicht erst im lich kleiner werden sollen – was ich richtig finde –, soll Jahr 2023 haben. zukünftig immer eine Mehrheit von Verwertern sitzen, auch wenn es um die Förderung von Drehbüchern und Vielen Dank. Filmen geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] Skandalös!) [DIE LINKE]) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17231

(A) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Steuermittel, sondern sie stammen zum großen Teil aus (C) Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Johannes Anteilen an verkauften Eintrittskarten. Auch das muss Selle von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. immer wieder gesagt werden. In diesem Prozess kollidie- ren die Interessen der einen Gruppe mit Interessen von (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. anderen Gruppen. Deshalb haben wir die ehrenvolle Auf- Siegmund Ehrmann [SPD]) gabe, einen akzeptablen Weg zu finden und die für alle verbindlichen Regeln zu beschließen. (CDU/CSU): Johannes Selle In der letzten Legislaturperiode konnten wir nur mar- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ginal handeln, weil vor dem Bundesverfassungsgericht Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für 1,167 Mil- grundsätzlich über die Förderung beraten wurde. Im Ja- liarden Euro wurden im Jahr 2015 Kinokarten verkauft. nuar 2014 ist Klarheit geschaffen worden. Deshalb kön- Das ist ein Rekord in der deutschen Kinogeschichte. Es nen wir nun versuchen, mit einem grundsätzlich neuen gab über 139 Millionen Besucher; auch das ist ein Re- Ansatz Strukturen für eine bessere und effektivere Arbeit kord. Das Spannendste ist: Von denen, die 2013 und 2014 zu schaffen . nicht im Kino waren, konnten 2015 ein Drittel ins Kino gelockt werden. Dazu gehören die drei Entscheidungsgremien, die sich auf Drehbuch- und Produktionsförderung, Verleih-, Ver- (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: triebs- und Videoförderung sowie Kinoförderung kon- Haben die sich deutsche Filme angesehen?) zentrieren können. Statt eines 13‑köpfigen Vergabegre- Unter den 31 Filmen, die 2015 mindestens 1 Million Zu- miums, das bisher alle Anträge bearbeitet hat, sollen nun schauer hatten, waren 9 deutsche Filmproduktionen; das 3- bis 5‑köpfige Förderkommissionen gebildet werden, ist ebenfalls ein Rekord. Kino hat Attraktivität behalten die sich auf einzelne Bereiche konzentrieren können. und konnte Attraktivität ausbauen. Über diese Erfolge Außerdem wird deren Arbeitsbelastung verkleinert. Mit dürfen wir uns freuen, ganz besonders darüber, dass der diesem Ansatz wollen wir auch das Augenmerk auf die Anteil der deutschen Filme gewachsen ist, die das Ge- Beteiligung von Frauen richten. fallen der Zuschauer finden. Da darf man den Schluss Um die Einnahmen zu verstetigen und gerecht auf die ziehen, dass die filmpolitischen Rahmenbedingungen gut Einzahlergruppen zu verteilen, wird es zu Erhöhungen gesetzt waren. An dieser Stelle wollen wir mit dem neuen kommen. Hierzu stellen wir glücklicherweise in der Ten- Filmförderungsgesetz weitermachen. denz mehr Akzeptanz als Kritik fest. (Beifall der Abg. Dr. Noch nicht ganz geklärt ist, wie wir mit Video-on-De- [CDU/CSU]) mand-Anbietern aus dem Ausland verfahren wollen, da- (B) (D) Unser Anliegen ist es, die Qualität im deutschen Film mit sie gerecht beteiligt werden. Bei Fragen der Globa- zu fördern, beim Kurzfilm, beim Kinderfilm, der uns lisierung und der Digitalisierung stehen wir generell wie besonders am Herzen liegt, beim Dokumentarfilm und bei den Steuern unter Druck. Dieser Druck, zu Lösungen natürlich auch beim Spielfilm. Film ist Kultur- und Wirt- zu kommen, ist, glaube ich, stark gewachsen. Erste Si- schaftsgut zugleich. Eine erfolgreiche Filmförderung gnale von der Europäischen Kommission gehen in diese muss daher wirtschaftliche und künstlerische Faktoren Richtung . berücksichtigen . Das Kino, das seinen Platz im kulturellen Leben be- Genau diesen Elementen widmet sich der Gesetzent- hauptet, wollen wir weiter stärken und schützen, vor wurf. Alle Entwicklungsstufen werden in den Blick ge- allem im ländlichen Raum. Das heißt, die erste Verwer- nommen, vom Drehbuch über die Projektförderung und tungsstufe soll das Kino bleiben, und es soll weiterhin die Vermarktung bis hin zur Kinoförderung. Die Kunst Sperrfristen geben. Das heißt aber auch, dass wir mit die- des Filmschaffens kann aus einem guten Drehbuch einen sem Instrument flexibler werden wollen. Bei innovativen guten Film machen; aber am Anfang steht das gute Dreh- Crossstrategien oder mangelndem Interesse an einer Ki- buch, und deshalb konzentrieren wir die Fördermittel auf noauswertung wollen wir schneller zu den nachfolgen- Investitionen in die Qualität der Drehbücher. den Auswertungsstufen kommen. Das ist zeitgemäß und resultiert aus den Erfahrungen der letzten Jahre. Es liegt in der Natur des Filmschaffens, dass künstle- rischer Anspruch und begrenzte Mittel, geplante Dreh- Auch in unserer Fraktion gibt es Ideen, die wir in den zeiträume, Wetter und Ähnliches zur Selbstausbeutung Diskussionsprozess einbringen wollen. Dazu gehört das führen können. Mit diesem Gesetz führen wir eine Min- Erfolgsdarlehen, mit dem wir uns noch einmal befas- destförderquote von 200 000 Euro ein. Wir wollen mit sen wollen, weil wir es nach wie vor für richtig halten, der angemessenen Beteiligung der Filmförderung an den die Erfolgreichen zu stärken und zu neuen Projekten zu Herstellungskosten dafür sorgen, dass die Finanzierung motivieren. Über die Idee aus der Branche, von Anfang nicht am Förderbetrag scheitert. Der Verwaltungsrat er- an einen Erlöskorridor für Produzenten zu ermöglichen, hält Spielraum, um die Beteiligung in angemessenem wollen wir auch diskutieren. Wir wollen auch den Kin- Maße nachzujustieren. Das ist ein Beitrag zur sozialen derfilm stärken. Als Thüringer Kulturpolitiker liegt mir Absicherung . der Kinderfilm besonders am Herzen; denn Thüringen ist Kinderfilmland. Vielleicht kann man bei der Besetzung Wir tun das alles als Mittler und Moderatoren für die der Gremien des FFA-Verwaltungsrates etwas bewirken. Filmwirtschaft. Die Gelder, die wir nach den Regeln des Wenn einer der vorgesehenen Produzenten sich für den Filmförderungsgesetzes ausgeben, sind nämlich keine Kinderfilm engagiert, wäre das schon etwas. 17232 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Johannes Selle (A) Ich freue mich auf den Diskussionsprozess . Genügend Katja Kipping (DIE LINKE): (C) Stoff gibt es . Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Herzlichen Dank. schreiben das Jahr 26 nach der Wende, und leider sind wir noch weit entfernt von einer wirklichen Rentenge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- rechtigkeit zwischen Ost und West. Noch immer ist der ordneten der SPD) Rentenwert Ost niedriger als der Rentenwert West, noch immer gibt es vielfältige Benachteiligungen bestimmter Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Gruppen infolge der Rentenüberleitung. Mit all den viel- Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. fältigen Benachteiligungen von ostdeutschen Biografien in der Rente werden wir als Linke uns niemals zufrieden- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs geben. Hier lassen wir nicht locker. auf den Drucksachen 18/8592 und 18/8627 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. (Beifall bei der LINKEN) Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Auch die Mütterrente ist so geregelt, dass Menschen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 a bis 30 c auf: im Osten weniger davon profitieren. Der Begriff „Mütter- rente“ hat sich umgangssprachlich eingebürgert, insofern a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roland werde auch ich ihn verwenden, auch wenn wir wissen, Claus, Matthias W. Birkwald, Caren Lay, weite- dass sehr wohl auch Väter besondere Rentenpunkte für rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kindererziehung bekommen können. Da der Rentenwert Ost niedriger ist als der Rentenwert West, gibt es für die Keine Altersarmut von Ost-Krankenschwes- Erziehung eines im Osten geborenen Kindes niedrigere tern – Gerechte Renten für Beschäftigte im Rentenansprüche, und zwar 1,79 Euro weniger je Ren- DDR-Gesundheits- und Sozialwesen schaffen tenpunkt. Kindererziehungszeiten im Osten werden also Drucksache 18/8612 in der Rente geringer entlohnt als Kindererziehungszei- Überweisungsvorschlag: ten im Westen. Die Teilung zwischen Ost und West lebt Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) damit in der Rente fort; wirkliche Einheit sieht anders Ausschuss für Wirtschaft und Energie aus . Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit (Beifall bei der LINKEN) Haushaltsausschuss (B) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roland Gemeinsam mit einem breiten Bündnis für eine ge- (D) Claus, Matthias W. Birkwald, Caren Lay, weite- rechte Mütterrente, also mit Verdi, der Volkssolidarität, rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE dem Sozialverband und dem Frauenrat fordern wir: Ma- chen Sie Schluss mit dieser Ungleichbehandlung der Er- Keine Kumpel zweiter Klasse – Renten- ziehungszeiten in Ost und West. Jedes Kind sollte uns ansprüche der Bergleute aus der DDR-Braun- gleich viel wert sein. kohleveredlung wahren Drucksache 18/7903 (Beifall bei der LINKEN) Überweisungsvorschlag: Neben dem niedrigeren Rentenwert Ost gibt es eine Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) weitere Benachteiligung: Frauen, deren Rente einen Ausschuss für Wirtschaft und Energie Übergangszuschlag beinhaltet, bekommen den zusätzli- c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- chen Mütterrentenpunkt darauf angerechnet . Diese Re- richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales gelung kann dazu führen, dass ostdeutsche Mütter bei (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne- der Verbesserung der Mütterrente leer ausgehen, so bei- ten Roland Claus, Dr. Gregor Gysi, Matthias W. spielsweise geschehen bei einer fast 80‑jährigen Frau, die Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frakti- sechs Kinder geboren hat und 1996 in Rente gegangen on DIE LINKE ist. Eigentlich hätte ihr bei sechs Kindern eine Erhöhung um 158 Euro zugestanden, doch ihre bisherige Rente be- Ungerechtigkeiten bei Mütterrente in Ost- inhaltet eben jenen Übergangszuschlag, und damit sieht deutschland und beim Übergangszuschlag sie von den Verbesserungen in der Mütterrente 0 Euro. beheben Drucksachen 18/4972, 18/6706 (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Voll daneben! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Das ist doch absurd!) die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre auch dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen, Insgesamt sind 6 500 hochbetagte Frauen davon be- und ich kann die Aussprache eröffnen. troffen, 6 500 hochbetagte Frauen von Dresden bis Schwerin, die wegen Gesetzesformulierungen aus dem Als erste Rednerin in der Aussprache hat Katja Kipping von der Fraktion Die Linke das Wort. Jahre 1993 in ihrem Portemonnaie wirklich nichts davon sehen, was wir bei der Mütterrente verbessert haben . Ich (Beifall bei der LINKEN) finde, es ist beschämend, dass Sie von der CDU und von Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17233

Katja Kipping (A) der SPD nicht in der Lage sind, für diese 6 500 Frauen benachteiligt werden. In der Debatte damals haben die (C) schnell eine Lösung zu finden. jeweiligen Redner aus beiden Koalitionsfraktionen ge- sagt, dass sie es gerade bei den in der Braunkohlevere- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. delung Beschäftigten wie bei den Ostkrankenschwestern [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wirklich sehr bedauern, dass man da nichts machen kann. NEN] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mit unseren Anträgen erinnern wir Sie an Ihr Bedauern Wohl wahr!) von damals. Nehmen Sie sich wenigstens dieser zwei Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage mich wirk- Beschäftigtengruppen an. Gesetzliche Regelungen sind lich, warum Sie so verbissen auf die Benachteiligung von doch kein Naturgesetz. Sie lassen sich ändern, wenn man ostdeutschen Frauen in der Mütterrente bestehen . Sind den politischen Willen hat. Also bringen Sie endlich den Sie so verbohrt, dass Sie denen rentenpolitisch unbedingt politischen Willen auf, und helfen Sie wenigstens diesen noch eins mitgeben wollen, nur weil sie in der DDR ge- beiden Beschäftigtengruppen. lebt haben, oder liegt es daran, dass diejenigen, die die Probleme des Ostens kennen, bei SPD und CDU nichts Vielen Dank. zu sagen haben? Ja, ganz offensichtlich hat der Osten bei (Beifall bei der LINKEN) Ihnen nichts zu melden.

(Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Die Linke legt heute auch noch zwei Anträge vor, Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Jana Schimke die besondere Rentenungerechtigkeiten für Bergleute in von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . der Braunkohleveredelung und Benachteiligungen der Ostkrankenschwestern, also den Beschäftigten im Ge- (Beifall bei der CDU/CSU) sundheits- und Sozialwesen der DDR, ansprechen. Bei- de Berufsgruppen waren besonderen Härten ausgesetzt. (CDU/CSU): Deswegen gab es für sie im Rentensystem der DDR be- Jana Schimke sondere Regelungen. Die in der Braunkohleveredelung Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Beschäftigten waren den Bergleuten unter Tage gleichge- diskutieren hier im Deutschen Bundestag ja regelmäßig stellt. Als Ausgleich für ihre gesundheitsgefährdende Ar- über die Entscheidungen der DDR-Rentenüberleitung beit konnten sie früher in Rente gehen. Die Beschäftigten und damit auch über die Besonderheiten des DDR-Ren- im Gesundheits- und Sozialwesen der DDR erhielten als tenrechts . Würdigung für ihre besonders anspruchsvolle Arbeit ei- nen entsprechenden Steigerungsbetrag bei der Rente . (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Dann ändert (B) doch mal was!) (D) Beide Regelungen sind bei der Rentenüberleitung nicht berücksichtigt worden bzw. nach einer Übergangs- Mir wird dabei immer wieder klar, wie schwer es für die zeit weggefallen. Deshalb müssen heute viele der Ost- Mütter und Väter der Wiedervereinigung gewesen sein krankenschwestern mit einer Rente nur knapp über dem muss, das DDR-Rentensystem in das Rentensystem der Hartz-IV-Niveau auskommen, und das nach einem wirk- BRD zu überführen, zumal das Rentenrecht in der DDR lich aufopferungsvollen Arbeitsleben. Da muss doch et- einer Systematik folgte, die weit von dem Selbstver- was drin sein . ständnis unseres heutigen Rentenrechts entfernt war. (Beifall bei der LINKEN) Das bundesdeutsche Rentenrecht betrachtet in der Re- gel allein die gezahlten Beiträge und die geleisteten Ar- Zu den in der Braunkohleveredelung Beschäftigten. beitsjahre. Will man darüber hinaus vorsorgen, kann man Viele Kumpel, die dort gearbeitet haben, mussten infol- dafür private oder betriebliche Vorsorgeformen wählen. ge von gesundheitlichen Schäden eher in Rente gehen. In der DDR waren nicht allein die gezahlten Beiträge Dafür müssen sie nun nach dem jetzigen Rentenrecht le- und die Arbeitsjahre ausschlaggebend, sondern es wurde benslang Abschläge in der Rente in Kauf nehmen. Hier auch nach Berufsgruppen unterschieden . In bestimmten muss doch etwas geschehen, und zwar schnell. Berufsgruppen war man in der DDR allein durch die Zu- (Beifall bei der LINKEN) gehörigkeit gegenüber anderen Berufsgruppen von vorn- herein bessergestellt. Aus diesem und anderen Gründen Denn den Betroffenen läuft die Zeit, ja die Lebenszeit da- diskutieren wir hier in aller Regelmäßigkeit über bis zu von. Um das einmal zu verdeutlichen: Im Jahr 1996 hat 20 verschiedene Sonderregelungen des DDR-Renten- im Raum Borna/Espenhain eine Gruppe die Kämpfe für rechts . die ihnen zustehenden Rentenansprüche aufgenommen . Damals waren sie über 1 000. Heute sind es nur noch Nun kann man nicht behaupten, dass diese Unterschie- rund 350. Die Fehlenden haben nicht einfach aufgege- de bei der Rentenüberleitung nicht anerkannt worden wä- ben, nein, sie sind schlichtweg weggestorben. Hier auf ren. Durch Übergangsregelungen wurden die Besonder- Zeit zu spielen, ist einfach nur zynisch. heiten des DDR-Rentenrechts bis weit in die 90er‑Jahre (Beifall bei der LINKEN) übernommen. Dann aber galt es, die Einheit auch in der Rente Stück für Stück umzusetzen. Das Renten-Überlei- Wir haben Ihnen im Oktober letzten Jahres einen um- tungsgesetz zielte deshalb ganz bewusst auf eine einheit- fassenden Antrag vorgelegt, in dem wir alle Berufsgrup- liche Alterssicherung der Menschen in der DDR ab. Bis pen aufgeführt haben, die infolge der Rentenüberleitung heute steht es für eine großartige Solidarleistung aller 17234 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Jana Schimke (A) Versicherten und ermöglicht heute den ehemaligen Bür- Hinzu kommt, dass die Rente keinen Ausgleich für (C) gern der DDR eine gute Alterssicherung. geringes Einkommen bildet. Die Rente ist Ausdruck des- sen, was war, und nicht dessen, was hätte sein sollen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Katja Kipping [DIE LINKE]: Aber was war, Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt aufgrei- war ein aufopferungsvolles Arbeitsleben!) fen. Die politische und soziale Einheit zweier wieder- vereinter Staaten herzustellen, kann schlichtweg nicht Deshalb ist Ziel unserer Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, bedeuten, Unterschiede fortzuführen. Und: Ja, die politi- die Aussichten auf die spätere Rente durch Qualifikati- sche und soziale Einheit herzustellen, bedeutet auch, dass on, eine gesunde Wirtschaft und auch durch eine gesunde jeder für sich nicht nur mit Veränderungen, sondern auch und funktionierende Sozialpartnerschaft zu stärken. Des- mit Entbehrungen zurechtkommen musste. Viele verlo- halb kennt unser bestehendes Rentensystem solch eine ren ihre Arbeitsstelle – eine Erfahrung, die man so vorher Regelung nicht. So ist es auch logisch und konsequent, noch nie gemacht hat . dass man sich seinerzeit gegen eine Übernahme dieser Sonderregelung ins SGB VI entschieden hat. Mit den (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das sind nur Grundsätzen des lohn- und beitragsbezogenen Renten- salbungsvolle Worte!) rechts ist diese Regelung nicht vereinbar. Viele fanden sich in einer Zeit wieder, in der es galt, neue Einen weiteren Sonderfall des DDR-Rentensystems Regeln und neue Werte anzuerkennen. Die Welt war so- bilden die Personen, die in der DDR-Braunkohleverede- zusagen aus den Fugen geraten. Obwohl man erwachsen lung tätig waren. Diese wurden aufgrund ihrer anspruchs- war, bereits Kinder hatte, verheiratet und im Beruf eta- vollen Arbeit mit gesundheitsgefährdenden Chemikalien bliert war, musste man sich einen neuen Platz in einer wie Bergleute unter Tage behandelt. Genau dies, liebe neuen Gesellschaft suchen. Vielleicht lässt dies erahnen, Kolleginnen und Kollegen, offenbart natürlich auch die wie schwer es war, eine Einheit herzustellen und dabei oftmals schlechten Arbeitsbedingungen in vielen Berei- auch diese Besonderheiten zu berücksichtigen . chen der Wirtschaft der DDR . Vor diesen Herausforderungen stehen wir bis heute . (Beifall bei der CDU/CSU) Jedes Gesetz erhebt den Anspruch, Gerechtigkeit best- möglich abzubilden. Doch wir alle, die wir Politik ma- Auch hier entschied sich der Gesetzgeber, eine Über- chen und somit täglich Entscheidungen zu treffen haben, gangsregelung zu treffen. Nach 1996 wurde diese Rege- wissen eines: Notwendige Entscheidungen stellen in den lung nicht mehr angewandt, und die Beschäftigten im seltensten Fällen für alle eine zufriedenstellende Lösung Bereich der Braunkohleveredelung wurden nicht mehr (B) dar. Besonders bei der Rentenüberleitung war und ist es wie Bergleute unter Tage behandelt. Aber diese Entschei- (D) schwer, alle Härte- und Einzelfälle sowie die entstande- dung, diese politische Entscheidung, hat nichts damit zu nen Ansprüche eines nicht mehr bestehenden Systems tun und führt auch nicht dazu, dass die betreffenden Per- abzubilden. sonen wie Kumpel zweiter Klasse behandelt werden. Dennoch: Wir nehmen die Anliegen der Betroffenen Lassen Sie mich abschließend noch ein paar Worte zur sehr ernst . Mütterrente sagen . Bei der Einführung der Mütterrente haben wir uns schlichtweg an geltendes Recht gehalten (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und dieses angewandt . Es stimmt, dass eine Rentnerin im NEN]: Na ja!) Osten Mütterrente in Höhe des Rentenwertes Ost erhält. Wir haben uns in dieser und in der vergangenen Legis- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist latur in Expertengesprächen, in den Ausschüssen und doch schlecht!) in Beratungen ausführlich mit vielen dieser Sonderfälle befasst. Alle Gespräche haben gezeigt, dass die Gefahr Die Entwicklung der letzten 25 Jahre zeigt aber, dass sich weiterer Ungerechtigkeiten vor allem dann besteht, wenn die Rentenwerte in Ost und West zunehmend annähern; wir das beschließen, was in den Anträgen steht, die uns darüber diskutieren wir heute ja nicht zum ersten Mal hier und heute vorliegen. hier im Deutschen Bundestag . Seit der Wiedervereini- gung – das erwähne ich auch immer wieder sehr gerne – Ein Beispiel. Nach einer mindestens zehnjährigen haben wir bei der Angleichung der Renten sehr große Tätigkeit erhielten Beschäftigte des Gesundheits- und Fortschritte erzielt. Sozialwesens in der DDR für jedes Beschäftigungsjahr den 1,5‑fachen Satz des maßgeblichen Durchschnitts- ( [CDU/CSU]: So ist es!) verdienstes angerechnet. Vergleichbare Regelungen gab es auch für andere Berufsgruppen. In der DDR sollten Das sollte an dieser Stelle auch noch einmal gesagt sein. damit bestimmte Tätigkeiten, die körperlich anstrengend (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. oder gesellschaftlich bedeutsam waren, in der Altersvor- Dr. [SPD]) sorge bessergestellt werden. Auch ging es darum, einen Ausgleich für das oftmals niedrige Einkommen während Die Renten stiegen in den neuen Bundesländern seit der Erwerbstätigkeit zu schaffen. In der Bundesrepublik der Wende um weit mehr als 100 Prozent. In West- aber erfahren alle Berufe dieselbe gesellschaftliche Be- deutschland betrug der Anstieg lediglich 25 Prozent. Der deutung, sei es im gewerblichen, im sozialen oder im Rentenwert Ost wächst weiter, und noch in diesem Jahr kaufmännischen Bereich. wird es eine ordentliche Rentenerhöhung geben, die sich Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17235

Jana Schimke (A) auch in den Portemonnaies der betreffenden Personen Bevor ich gleich wieder eine Zwischenfrage des Kol- (C) deutlich bemerkbar machen wird. legen Matthias W. Birkwald bekomme, verschweige ich auch nicht, dass wir im Gegenzug natürlich sagen, dass (Zurufe von der LINKEN) die sogenannte Höherwertung der Ostrentenpunkte für Nur 2,1 Prozent der Menschen in Ostdeutschland be- die Erwerbstätigen dann entfällt. ziehen die Grundsicherung im Alter; im Westen sind es ( [CDU/CSU]: Aha!) hingegen 3,2 Prozent, und die durchschnittliche Rente von Frauen ist in den neuen Bundesländern um 44 Pro- Diejenigen Rentnerinnen und Rentner, deren Renten- zent höher als in den alten Bundesländern. punkte in der Vergangenheit höhergewertet wurden, ge- nießen hier allerdings natürlich Bestandsschutz. Insofern Die vollständige Angleichung des Rentenrechts in Ost ist das, was Bündnis 90/Die Grünen zur Angleichung der und West rückt in greifbare Nähe. Wir und unser Koali- Rentenwerte Ost und West vorschlagen, schnell möglich tionspartner haben uns auf einen gemeinsamen Fahrplan und gerecht . zur Erreichung dieses Ziels verständigt. Das ist auch ein Punkt, wodurch sich die Ungleich- (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber die Ost- behandlung der Mütterrenten – darauf bezieht sich ein kinder sind immer noch weniger wert!) Antrag der Fraktion Die Linke – erledigt hätte. Auf der Grundlage des anstehenden Sachstandbe- (Katja Kipping [DIE LINKE]: 6 000!) richts der Bundesregierung werden wir entscheiden, ob mit Wirkung ab 2017 eine Teilangleichung notwendig ist Beim Punkt „Mütterrente“ bliebe dann in der Tat noch oder eben nicht . die Frage der sogenannten Zuschlagsregelung. Diesem Teilbereich – Sie haben gesagt: es handelt sich um eine Es kommt aber auch darauf an, die tatsächlichen He- Gruppe von 6 000 überwiegend hochbetagten Frauen – rausforderungen für die Zukunft unseres Rentensystems können wir zustimmen, insgesamt in den Blick zu nehmen. Die Bundesregierung sieht die Herausforderung des demografischen Wandels (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) und will die zweite und dritte Säule der Altersvorsorge sodass wir bei diesem Antrag insgesamt zu einer Ent- stärken. Die private und die betriebliche Vorsorge sollten haltung kommen. Auf der einen Seite stimmen wir der für jeden Menschen in unserem Land selbstverständlich Zuschlagsregelung zu, auf der anderen Seite geht uns die sein und eine auskömmliche Rente für jeden ermögli- Angleichung der Rentenwerte Ost und West zu langsam. chen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dies ist unser Ziel und bestimmt unser Handeln. Ich Ich komme jetzt zu den verschiedenen Berufsgruppen, (B) freue mich sehr auf die Diskussion zur anstehenden Ren- (D) die Sie ansprechen, und den rentenrechtlichen Sonderre- tenreform in den kommenden Beratungen . gelungen der DDR. Vielen Dank. Man muss grundsätzlich sagen, dass es beim Ren- (Beifall bei der CDU/CSU) ten-Überleitungsgesetz und bei der Vereinigung der Rentensysteme im Wesentlichen zu einer Angleichung an das westliche Recht kam. Das westliche Recht – das

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: war die Systematik des Beitritts damals – war sozusa- Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Markus Kurth gen die Leitwährung, unter der die Vereinigung auch der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Sozialsysteme stattgefunden hat. Das ist damals von der Bevölkerung – auch der Bevölkerung der DDR – auch Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ausdrücklich so gewollt und per Wahlen abgestimmt Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! worden . Frau Schimke, wie oft vonseiten der Union schon die Man muss sich genau angucken, wo es wenigstens Angleichung der Rentenwerte Ost und West angekündigt qualitativ entsprechende Regelungen auch im westdeut- worden und dann wieder und wieder nichts passiert ist, schen Rentenrecht gab. Bei den Bergleuten ist genau das kann ich kaum noch zählen. Ihren Ankündigungen dazu der Fall. Auch die westdeutschen Bergleute, die unter kann man wirklich kaum noch Glauben schenken. Tage und unter gesundheitlich belastenden Bedingun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen gearbeitet haben, bekamen einen rentenrechtlichen und bei der LINKEN) Ausgleich. Insofern finde ich, dass Sie in Ihrem Antrag, den Sie zu den Rentenansprüchen der Bergleute aus der Ich glaube, man muss den Zuhörerinnen und Zuhö- Braunkohleverarbeitung gestellt haben, im Prinzip eine rern, die sich nicht jeden Tag mit Renten befassen, sa- richtige Argumentation verfolgen und dass man diese gen: Selbst die Partei Die Linke fordert keine sofortige Bergleute mit einer besonderen rentenrechtlichen Rege- Angleichung der Rentenwerte Ost und West, sondern ei- lung versehen kann. nen langwierigen Prozess. Die einzige Fraktion, die sagt, dass man da jetzt einen Schnitt machen und die Renten- Anders verhält es sich allerdings bei den Beschäftig- werte Ost und West angleichen muss, ist Bündnis 90/Die ten im DDR-Gesundheits- und Sozialwesen. Das ist üb- Grünen . rigens so wie bei vielen anderen von Ihnen genannten Gruppen, die zwar in diesen Anträgen nicht auftauchen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Sie aber regelmäßig, meistens im Jahresrhythmus, 17236 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Markus Kurth (A) besserstellen wollen. Da geht es etwa um Spitzensportler menführung der beiden Rentensysteme in Ost und West, (C) und andere Personengruppen oder auch um Ehepartner Regelungen verloren haben, mit denen sie im DDR-Ren- von Auslandsentsandten der DDR. tenrecht bessergestellt worden waren, und zwar aus nach- vollziehbaren Gründen, nämlich wegen der Gesundheits- (Zurufe von der LINKEN) gefährdung und der Belastungen der Betroffenen bei der Alle haben bestimmte rentenrechtliche Sonderregelun- Arbeit. Zum einen sind das die Bergleute in der Braun- gen bekommen . kohleveredlung und zum anderen die Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen der DDR. Für diese rentenrechtlichen Sonderregelungen wie auch die für die Beschäftigten im Gesundheitswesen, Viele hier im Plenum, die an diesem Freitagnachmit- die Sie heute ansprechen, gibt es keine Entsprechung tag noch da sind, haben schon zahlreiche Gespräche mit im westdeutschen Rentenrecht . Es ist nicht so gewesen, Betroffenen geführt . Auch ich habe das getan und werde dass die Beitrittsverhandlungen und die Überleitung eine das weiterhin tun. Bei aller Sympathie für die Anliegen Fusion gewesen wären, sondern das westdeutsche Ren- plädiere ich für eine sehr ehrliche Debatte. Diese ehrliche tenrecht war, wie gesagt, der Maßstab. Wenn wir Son- Debatte führt für uns als Sozialdemokraten dazu, dass derregelungen übernehmen wollten – an diesem Punkt wir den drei Anträgen in der vorliegenden Form nicht zu- war die Argumentation von Frau Schimke nicht ganz stimmen können, sondern sie ablehnen werden. unstimmig –, würde man wiederum im Westen neue Un- gleichbehandlungen schaffen. Das würde dazu führen, (Katja Kipping [DIE LINKE]: Und in einer dass auch im Westen bestimmte Berufsgruppen mit Aus- anderen Form?) fallzeiten fragen könnten: Warum bekommen wir denn Das will ich kurz ausführen, zunächst zur Mütterrente. keinen rentenrechtlichen Ausgleich? Die Verbesserungen bei der Mütterrente, also die Einfüh- Natürlich ist das individuell für die Betroffenen teil- rung des zusätzlichen Rentenpunktes, war für diese Gro- weise schwer zu verstehen . Aber man kann bei einem ße Koalition ein Riesenerfolg. solchen historischen Umbruch nicht jedem Detail ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- recht werden, wenn man sich politisch auf ein bestimm- ordneten der SPD – Katja Kipping [DIE LIN- tes Überleitungsprinzip geeinigt und verständigt hat. KE]: Aber nicht für die 6 500 Frauen!) Darum plädiere ich bei den Berufsgruppen für eine diffe- renzierte Betrachtung. Bei den Balletttänzerinnen folgen Gut, wir als SPD hätten diese Maßnahme gerne anders wir Ihrem Antrag . finanziert; das sei auch jetzt bei diesem Thema noch ein- mal erwähnt. Aber es bleibt ein großer Erfolg. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (B) Der von der Linken beschriebene Unterschied kommt (D) Hier gibt es entsprechende tarifvertragliche Regelungen, dadurch zustande, dass wir nach wie vor unterschiedliche bei anderen Gruppen aber nicht . Rentenwerte haben: Der Rentenwert in Westdeutschland Ich glaube, dass man damit dieser schwierigen Um- liegt höher als der in Ostdeutschland. In Ostdeutschland bruchsituation annähernd gerecht wird. haben wir dafür einen Höherwertungsfaktor; damit ist ein Rentenpunkt leichter zu erwerben. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen der An- träge. Wir sagen deshalb: Wir wollen die pauschal bewer- teten Versicherungszeiten jetzt nicht unmittelbar höher Vielen Dank. bewerten . Wir hatten das in unserem Regierungspro- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gramm stehen, haben uns damit aber nicht durchsetzen können. Vielmehr wollen wir jetzt den Weg gehen – da- rauf konnten wir uns mit unserem Koalitionspartner ver-

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: ständigen –, die Rentenwerte weiter anzunähern, also die Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Daniela Angleichung der Rentensysteme zu erreichen. Kolbe von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Dr. Klaus-Peter Schulze [CDU/CSU]) Lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Birkwald zu, Frau Kolbe? Daniela Kolbe (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Daniela Kolbe (SPD): und Kollegen! Zum Abschluss der Sitzungswoche dis- Aber natürlich, wenn es schnell geht. kutieren wir drei Anträge der Fraktion Die Linke. De- ren Inhalt war bereits mehrfach Thema hier im Plenum. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Drei Nichtsdestotrotz freue ich mich, dass wir dieses Thema Minuten! – Katja Kipping [DIE LINKE]: erneut diskutieren. Es ist ja für viele Menschen von gro- Wenn es mit der Angleichung genauso schnell ßer Bedeutung. geht!) Sie haben einen Antrag zum Thema Mütterrente in Ostdeutschland und zum niedrigeren Rentenwert einge- Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): bracht. In den zwei anderen Anträgen geht es um Grup- Vielen herzlichen Dank. – Frau Kollegin Kolbe, weil pen, die durch die Rentenüberleitung, also die Zusam- Sie das selber schon erwähnt haben, sage ich vorneweg: Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17237

Matthias W. Birkwald (A) Vor zwei Tagen sind 110 000 Unterschriften für eine ge- will ich das mit Blick auf die Union ein bisschen deut- (C) rechte Mütterrente vom Sozialverband Deutschland, von licher formulieren: Da auch unser Koalitionspartner gute der Volkssolidarität, vom Deutschen Frauenrat und von Mütter und Väter in seinen Reihen hat, haben wir uns Verdi übergeben worden. Die 110 000 Unterzeichner darauf verständigt, die Angleichung der Rentensysteme können nämlich alle nicht verstehen, dass ein Kind im in Ost und West hinzubekommen. Genau das werden wir Osten, zum Beispiel in , wo Sie herkommen, in auch tun. Dieses Jahr geht es los. In diesem Sinne werden der Rente weniger wert sein soll als ein Kind im Westen, wir genau die Forderung erfüllen, dass die Erziehungs- wie in Köln, wo ich herkomme. 110 000 Unterschriften! zeiten in Ost und West gleich viel wert sein müssen.

Ich darf Ihnen sagen: Von meiner Fraktion mit 64 Ab- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten geordneten haben 62 Abgeordnete unterschrieben . Der der CDU/CSU) Bundesgeschäftsführer unserer Partei und unser Partei- vorsitzender haben ebenfalls unterschrieben. Sie haben einen zweiten Aspekt zum Thema Mütter- Jetzt frage ich Sie: Wie viele Ihrer Kolleginnen und renten angesprochen, und zwar den Übergangszuschlag Kollegen von der SPD haben diesen Aufruf unterschrie- bei den sehr hochbetagten Frauen, der dazu führt, dass ben? Dazu will ich Ihnen einen kurzen Text vorlesen. diese Frauen sowohl von den Änderungen bei der Müt- Denn Sie, Frau Kolbe, Frau Staatssekretärin Kramme terrente nicht unbedingt profitieren – je nachdem, wie und fünf weitere Abgeordnete, die heute im Hohen hoch der Zuschlag ist – und sie auch so lange nicht von Haus anwesend sind, haben vor nicht allzu langer Zeit Rentenerhöhungen profitieren, wie der Zuschlag diese den Deutschen Bundestag aufgefordert, bei Versiche- Erhöhungen übersteigt. rungszeiten, die im Rahmen eines sozialen Ausgleichs bzw. als Anerkennung für gesellschaftliche Leistungen Wir haben die Rentenreform 2014 ganz bewusst im bewertet werden, die rechtlichen Voraussetzungen dafür Rahmen des bestehenden Rentenrechts gestaltet. Das zu schaffen, dass künftig für – jetzt kommt es – Kinder- führt an der einen oder anderen Stelle tatsächlich dazu, erziehungszeiten, aber auch für Versicherungszeiten für dass Menschen, die sich etwas von der Mütterrente er- pflegende Angehörige, Zeiten des Wehr- und Zivildiens- hofft haben, nicht so massiv in ihren Genuss kommen tes und Zeiten der Beschäftigung in einer Werkstatt für wie erwartet . Aber es war eine bewusste Entscheidung . behinderte Menschen der aktuelle Rentenwert zugrunde Entweder erkennt man die Wirkungsweise des Renten- gelegt wird. Das war in der vergangenen Legislaturpe- systems an, oder man macht für alles und jedes eine Aus- riode. Warum verfolgen Sie das nicht weiter? Wenn Sie nahme. Wir haben uns an der Stelle dazu entschieden, in sich schon nicht gegen die Union, die noch nie etwas für der Rentensystematik zu bleiben und eine ehrliche De- Mütter im Osten übrig hatte, batte zu führen . (B) (D) (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Was die Anträge zu den Bergleuten und den Beschäf- Das stimmt doch nicht! Grundgesetz! – Weite- tigten im Gesundheitswesen angeht, sind die Hintergrün- rer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja übel!) de schon ausgeführt worden . Wie bei den meisten ande- ren Fällen ist es so, dass die Sachverhalte vor Gerichten durchsetzen können, haben Sie dann wenigstens dafür ausverhandelt sind. Aber Sie haben natürlich recht: Poli- gesorgt, dass viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen bei tische Lösungen sind möglich. Da gibt es unterschiedli- dieser guten Unterschriftenaktion mitgemacht haben? che Ansätze. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke sagt: Wir regeln jede Gruppe einzeln und geben den Forderungen nach. – Das hat den Nachteil, (SPD): Daniela Kolbe dass man an verschiedenen Stellen zu Ungerechtigkei- Danke für die Zwischenfrage. – Erstens will ich klar- ten gegenüber bestimmten westdeutschen Gruppen oder stellen: Für uns als SPD ist die Erziehung von Kindern auch anderen ostdeutschen Gruppen kommt . gleich viel wert, egal ob im Osten, Westen, Norden oder Süden dieses Landes. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir (Dr. [DIE LINKE]: In der hatten einen Antrag, wo alle drin waren! Den Praxis nicht!) haben Sie als SPD abgelehnt!) Deswegen wollen wir diese Angleichung hinbekommen. Wir als SPD haben einen anderen Ansatz. Wir wollen einen Härtefallfonds auflegen. Denn – da bin ich, glau- Zweitens. Iris Gleicke hat meines Wissens die Unter- be ich, anderer Auffassung als Kollegin Schimke – es schriften entgegengenommen. Wir als SPD sind als Re- sind reale Ungerechtigkeiten entstanden; es sind mas- gierungsfraktion Adressat dieser Forderung und fühlen sive Härtefälle entstanden, weil sich Menschen auf das uns auch verpflichtet, uns dafür einzusetzen. Wir hatten DDR-Rentenrecht verlassen haben und dann durch Weg- das in unser Regierungsprogramm aufgenommen . Wir fall von Regelungen sozial wirklich heruntergefallen hatten vorgeschlagen, die pauschal bewerteten Versiche- sind. Wir wollen deswegen einen steuerfinanzierten Här- rungszeiten sofort anzugleichen, haben uns aber damit tefallfonds auflegen für diejenigen, für die durch die Ren- nicht durchsetzen können. Das ist in einer parlamentari- tenüberleitung besondere soziale Härten entstanden sind. schen Demokratie manchmal so. Das wird einige Bergleute betreffen, aber noch mehr die Wir gehen deswegen einen anderen Weg, nämlich den Krankenschwestern oder die in der DDR geschiedenen der Angleichung der Rentensysteme. An dieser Stelle Frauen, die alle davon profitieren können. 17238 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Daniela Kolbe (A) Das ist ein Ansatz, der sozialen Frieden schafft und benachteiligt werden. Hätte man das alte Recht beibehal- (C) der vor allen Dingen keine neuen Ungerechtigkeiten her- ten – um es einmal klar und deutlich zu sagen –, würde vorruft . Für diesen Fonds streiten wir . die große Masse der Rentnerinnen und Rentner im Osten Deutschlands Hunger leiden und wäre auf staatliche Un- Abschließend will ich noch einmal sagen: Wir als SPD terstützung angewiesen, weil diese Minirente im Osten stehen zu unserer Verantwortung. Wir stellen uns auch niemals zum Leben ausreichen würde. immer wieder der Debatte mit Betroffenen und auch hier im Plenum. Wir wollen – das ist Punkt eins – die zügige (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Rentenangleichung in Ost und West. Das steht im Koa- Birkwald [DIE LINKE]: Darum geht es doch litionsvertrag, und das wissen wir als SPD auch. Darauf gar nicht!) werden wir pochen, und das werden wir ganz genau be- Es war das Beste, was den Rentnerinnen und Rentnern gleiten. im Osten geschehen konnte, dass sie in dieses gesamt- (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- deutsche Rentenrecht übergeleitet worden sind, das eben NEN]: Bald ist die Koalition zu Ende!) beitragsbezogen ist und das sich an der Lohnentwicklung orientiert und dynamisch ausgestaltet ist. Deswegen sind, – Aber im Koalitionsvertrag steht ein Datum, das noch wenn man es sich genau anschaut, die Rentnerinnen und in der Zukunft liegt. Das werden Sie zugestehen, Herr Rentner im Osten die eigentlichen Gewinner der deut- Kurth, dass wir an der Stelle noch nicht im Verzug sind. schen Einheit . Richtig? (Beifall bei der CDU/CSU) Und wir wollen – Punkt zwei – einen Härtefallfonds für die Gruppen, die durch die Rentenüberleitung gravie- Das ist möglich geworden durch eine großartige Soli- rende Nachteile erfahren haben. Das steht nicht im Koa- darleistung der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. litionsvertrag. Da konnten wir uns nicht durchsetzen. Für Letztlich – um es einmal klar und deutlich zu sagen – ha- uns bleibt das Thema dennoch auf der Agenda, und wir ben die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler im Wes- werden weiter dafür kämpfen und streiten, auch streiten, ten mit ihren Beiträgen mitgeholfen, dass wir diese Ren- dass wir dafür Mehrheiten gewinnen können. ten auszahlen konnten, die nach der deutschen Einheit im Osten möglich geworden sind. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich finde, in einer solchen Debatte sollten wir als Poli- tiker als Allererstes ein herzliches Dankeschön für diese großartigen Solidarleistungen der Rentenbeitragszahle- (B) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: rinnen und -beitragszahler in Deutschland sagen. (D) Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Peter Weiß von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) In ganz Deutschland, auch im Westen, gibt es Berufe mit unterschiedlichen Anforderungen, unterschiedlichen Gefährdungsstufen und unterschiedlicher körperlicher Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Belastung. Aber jeder weiß: Es gibt keine Sonderrechte, Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- kein gesondertes Rentenrecht für jeden einzelnen Beruf, gen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wenn man diese sondern ein solidarisches und soziales Rentenrecht für Debatte richtig verstehen will, muss man einfach einmal alle. Daran sollten wir festhalten. Die Linke will das än- zurückgehen zur Rentenüberleitung. Es ist so gewesen, dern. Sie will das gesamtdeutsche Rentenrecht zerschie- wie es der Kollege Kurth von den Grünen erklärt hat: ßen und wieder Sonderregelungen für einzelne Berufs- Man hat das westdeutsche Rentenrecht dem gesamtdeut- gruppen einführen . schen Rentenrecht zugrunde gelegt, ein Rentenrecht, das bekanntermaßen so ausgestaltet ist: Es ist lohn- und (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der beitragsbezogen. Für das, was ich in die Rente einzahle, LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LIN- bekomme ich eines Tages ein entsprechendes Äquivalent KE]: Beim Schießen kennen Sie sich aus! Ich als Rente ausgezahlt. Das ist auch das, was die Bürge- war nicht bei der Bundeswehr! – Dr. Petra rinnen und Bürger, die Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Sitte [DIE LINKE]: Das war wieder ein ganz nehmer als gerecht empfinden, nämlich dass ihre Rente, sachlicher Beitrag!) wenn sie viel eingezahlt haben, höher ist, als wenn sie Da man das Schicksal der Mütter und der Frauen be- weniger eingezahlt haben. klagt, gibt es – das muss man ganz ehrlich sagen – aus Das DDR-Rentenrecht war im Gegensatz dazu etwas westdeutscher Sicht auch etwas anzumerken . Die durch- ganz, ganz anderes, nämlich ein Rentenrecht mit vie- schnittliche Rente der Frauen im Westen liegt bei 44 Pro- lerlei Sonderregelungen, Zusatzversorgungssystemen, zent der durchschnittlichen Rente der Frauen im Osten. Zuschlägen, Abschlägen usw. usf. Es ist aufgehoben Klar, das hat Gründe: Im Westen wurde ein anderes Fa- worden in dem gesamtdeutschen Rentenrecht, das so milienmodell praktiziert. Die Frauen im Westen sind aus funktioniert, wie ich es erklärt habe. dem Beruf ausgestiegen, wenn sie Kinder bekommen ha- ben. Das alles ist vollkommen richtig. Die Rente ist nun Der Effekt war – deswegen ist es so gemacht wor- einmal lohn- und beitragsbezogen. Wenn man aber hier den –, dass die Rentnerinnen und Renten im Osten nicht das Hohelied der Erziehungsleistungen der Frauen an- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17239

Peter Weiß (Emmendingen) (A) stimmt, dann könnte man auch über eine Sonderregelung West gleich wäre, wäre dies für viele Mitbürgerinnen (C) für Frauen im Westen nachdenken, um deren Nachteile und Mitbürger im Osten, die in den kommenden Jahren heutzutage auszugleichen. Wenn Sie so argumentieren, in Rente gehen, ein Minusgeschäft. Deswegen haben wir dann sollten Sie einen entsprechenden Antrag stellen. uns bisher an diese Problematik nur vorsichtig herange- wagt. Man muss jedenfalls den Bürgerinnen und Bürgern (Katja Kipping [DIE LINKE]: Dann können die Wahrheit sagen, was solche Vorschläge für sie finan- Sie ja einen Vorschlag machen!) ziell konkret bedeuten. Das machen Sie natürlich nicht, weil Sie eine reine Ost- (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- partei sind und Sie deswegen das Schicksal der Frauen NEN]: Das tun wir!) im Westen gar nicht interessiert . Wir wollen ein gemeinsames Rentenrecht in Ost und (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. West. Wir wollen die Diskussion darüber, ob ein Kind im Birkwald [DIE LINKE]: Herr Weiß, Sie waren Osten uns weniger wert ist als eines im Westen, beenden schon gestern unterirdisch! Aber heute wissen und alle gleich behandeln. Aber das muss so geschehen, Sie, dass Sie richtig lügen!) dass es dabei keine große Zahl an Verliererinnen und Nun zur Mütterrente. Es waren Helmut Kohl und Verlierern gibt. Wir wollen deswegen einen vernünftigen Norbert Blüm, die im Jahr 1986 dafür gesorgt haben, Übergang und kein Hauruckverfahren, das sich manche dass es zum ersten Mal im deutschen Rentenrecht für wünschen, dessen Konsequenzen sie aber nicht beden- Erziehungsleistungen einen zusätzlichen Entgeltpunkt, ken . also einen zusätzlichen Rentenpunkt, gibt. Im Osten, in Zum Schluss: Es bleibt ein großartiges historisches der DDR, ist zu dem Thema überhaupt nichts passiert . Verdienst unserer damaligen Bundestagskolleginnen und Es war die Union, die in ihrem Wahlprogramm 2013 ge- -kollegen, diese Rentenüberleitung geschafft zu haben sagt hat: Wir wollen als prioritäres Anliegen im Fall der und ein Rentenrecht geschaffen zu haben, von dem vor erneuten Regierungsübernahme dafür sorgen, dass aus allem die Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Rentnerin- diesem einen Entgeltpunkt zwei Entgeltpunkte für all die nen und Rentner im Osten Deutschlands profitieren. Mütter werden, deren Kinder vor 1992 geboren sind. Wir haben das auch durchgesetzt. Nun wissen die Frauen in Vielen Dank. ganz Deutschland: Mütterrente ist eine Regelung, die sie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- in erster Linie der Union verdanken, weil die Union für ordneten der SPD) diese Lösung gekämpft hat.

(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (B) (D) Birkwald [DIE LINKE]: Und die Erde ist eine Vielen Dank. – Frau Kipping erhält das Wort zu einer Scheibe!) Kurzintervention. Ich will mich natürlich bei den sozialdemokratischen Kolleginnen und Kollegen bedanken, dass wir das ge- Katja Kipping (DIE LINKE): meinsam in der Koalitionsvereinbarung festgelegt und Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Weiß hat den auch prompt umgesetzt haben . Eindruck erweckt, wir würden nur Vorschläge für Rent- Natürlich lässt sich das Problem der Mütterrente – nerinnen und Rentner im Osten unterbreiten. Deswegen wie dargelegt – am ehesten lösen, wenn wir, was den möchte ich das richtigstellen. Von unserem rentenpoliti- Rentenwert und die Bemessung der Renten angeht, zu schen Vorschlag, dass das gesetzliche Rentenniveau wie- einem einheitlichen System in ganz Deutschland über- der erhöht wird, profitieren Menschen in Ost wie West gehen; das ist vollkommen richtig. Deswegen haben gleichermaßen. wir das so im Koalitionsvertrag festgelegt. Aber ich will (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) noch einmal darauf hinweisen, wo das Problem besteht. Derzeit werden die von einem Erwerbstätigen im Osten Auch von unserem Vorschlag, eine solidarische Min- Deutschlands während des Arbeitslebens erreichten Ent- destrente von mindestens 1 050 Euro einzuführen, profi- geltpunkte, also seine Rentenansprüche, um 16 Prozent tieren Männer wie Frauen in Ost und West gleicherma- hochgewertet. Diese Höherwertung der Entgeltpunkte ßen. bringt denjenigen, die demnächst im Osten Deutschlands (Beifall bei der LINKEN) in Rente gehen, mehr Rente als das von Herrn Kurth vor- geschlagene System, das vorsieht, diese Höherbewertung

zu beenden und dafür den Rentenwert anzugleichen. Die Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Differenz zwischen dem Rentenwert Ost und dem Ren- Herr Weiß, Sie haben die Möglichkeit zu einer Erwi- tenwert West ist deutlich geringer als die 16-prozentige derung . Höherwertung. Hier besteht das eigentliche Problem. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU) Verehrte Frau Kollegin Kipping, ich finde es doch be- Wenn wir – mutig, wie wir sind – im Bundestag kur- achtlich, dass Sie jetzt, zum Schluss der Debatte, nach- zerhand beschließen würden, die Höherwertung zu been- dem Sie die erste Rednerin in dieser Debatte waren, von den und die Rentenwerte in Ost und West anzugleichen, dem, was Sie vorgetragen haben – ich rede von den Son- sodass der Zahlbetrag für jeden Arbeitnehmer in Ost und derregelungen, die Sie haben wollen –, abweichen und 17240 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

Peter Weiß (Emmendingen) (A) darauf verweisen, dass wir ein gesamtdeutsches Renten- betroffen sind. Darum brauchen wir den Härtefallfonds. (C) konzept brauchen . Das ist doch sehr bemerkenswert . Das Davon gehen wir nicht ab . schlechte Gewissen steckt Ihnen offenbar in den Kno- (Beifall bei der SPD) chen. Das muss ich jetzt einmal feststellen. Ich möchte als letzte Rednerin in dieser Debatte den (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Blickwinkel etwas weiten. In der Gegenwart erleben wir Birkwald [DIE LINKE]: Herr Weiß, Sie sind immer wieder, dass der niedrigere Rentenwert im Osten eine peinliche Nummer!) einfach da ist. Für viele Menschen im Osten der Repu- Das Zweite ist: Eine gute Rente ist zuallererst das Er- blik ist das das Symbol dafür, dass ihre Lebensleistung gebnis einer guten Beschäftigungslage und einer guten im vereinten Deutschland nicht so wertgeschätzt wird, wirtschaftlichen Entwicklung. wie es sein sollte. Ganz deutlich ist das in dieser Debatte in Bezug auf die Mütterrente geworden . (Katja Kipping [DIE LINKE]: Ja, aber nicht bei 1-Euro-Jobs!) Ich wiederhole es zum Schluss: Die Große Koalition hat gesagt, dass sie jetzt den Fahrplan für ein einheitli- Das Schöne ist, dass wir am 1. Juli dieses Jahres gerade ches Rentensystem vorlegt. Dazu stehen wir. Dann hat für die Rentnerinnen und Rentner im Osten Deutschlands diese Diskussion endlich ein Ende. eine deutlich stärkere Steigerung ihrer Renten erreichen werden als für die im Westen. Das zeigt: Dynamik am Bislang steht dem niedrigen Rentenwert der Höher- Arbeitsmarkt, Wachstum und Beschäftigung sind die wertungsfaktor zur Seite; das hat auch Kollege Weiß ge- Grundlagen für eine gute Rente. Das haben wir mit un- sagt . Auf diese Weise werden die niedrigeren Einkom- serer Politik geschaffen, auch mit der Politik der Großen men Ost höher bewertet als die Einkommen West. Koalition. Darauf sind wir stolz. Das ist eine gute Nach- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Bleibt richt für die Rentnerinnen und Rentner in Ost wie West. immer noch eine Lücke!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Diese Höherwertung ist immer noch absolut notwendig. ordneten der SPD – Dr. [DIE LIN- KE]: Das geht nur mit Doping!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Schaut man sich einen Vergleich der Löhne in den Bun- Frau Wolff, jetzt haben Sie das Wort für die SPD-Frak- desländern an, dann stellt man fest, dass Brandenburg, tion . Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklen- burg-Vorpommern ganz hinten liegen. In Brandenburg, (Beifall bei der SPD) (B) dem Land, in dem die höchsten Einkommen im Osten (D) erzielt werden, waren es 2015 446 Euro weniger als in Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Schleswig-Holstein, dem Land mit den niedrigsten Ein- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und kommen im Westen . Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Zuschauer- Wer sich die Gegenwart im Osten anschaut, der be- tribünen! Wenn wir über Rente sprechen, dann schauen kommt einen klaren Blick für die Zukunft. Die Lage auf wir natürlich in die Vergangenheit, wir schauen auch ein dem ostdeutschen Arbeitsmarkt hat einen Preis: niedri- bisschen in die Gegenwart, aber wir vergessen oft, in die gere Renten in der Zukunft. Arbeitslosigkeit, prekäre Zukunft zu schauen. Ich will am Schluss dieser Debatte Beschäftigung, niedrige Löhne, all das schlägt sich in sowohl in die Vergangenheit als auch in die Gegenwart niedrigeren Rentenbeiträgen und später natürlich auch in und die Zukunft schauen . niedrigen Renten nieder – niedrige Renten aus der ge- Wir diskutieren seit Jahren – ich bin seit 1998 Mitglied setzlichen Rentenversicherung, die im Osten eben nicht dieses Hauses – jährlich über das Thema der Überleitung mit Betriebsrenten oder privaten Lebensversicherungen des Rentensystems Ost in das gesamtdeutsche Renten- aufgestockt werden. Darum sage ich ganz deutlich: Die system. Dabei sind natürlich auch die Sondersysteme im- Gegenwart macht mir nicht so viel Sorge wie die Zukunft. mer wieder im Fokus der Diskussion der Linken. Ja, mit Während die Armutsgefährdungsquote der heute 50- bis den gesetzlichen Regelungen von 1992 wurde nicht alles 64‑Jährigen in allen westdeutschen Flächenländern sinkt, so bedacht, wie es hätte sein müssen, und, ja, es ist zu steigt sie in den Stadtstaaten und in allen östlichen Bun- Ungerechtigkeiten gekommen, und, noch einmal ja, ich desländern. In Sachsen wird sie am dritthöchsten sein. verstehe, wenn sich Menschen an dieser Stelle ungerecht Während die Renten im Westen stabil bleiben, sinken die behandelt fühlen. Renten im Osten. Für die Menschen, die zwischen 1962 und 1971 geboren wurden, werden die Renten mit un- Aber – auch das sage ich zum wiederholten Male; wir gefähr 600 Euro im Bereich der Grundsicherung liegen. haben am 2. Oktober letzten Jahres zum letzten Mal über Diese abzusehende Entwicklung bei den Renten im Os- dieses Thema gesprochen, nur unter einer anderen Über- ten ist dramatisch, und sie wird sich fortschreiben, wenn schrift; da habe ich das gesagt, was mein Kollege Weiß wir es nicht schaffen, auch im Osten angemessene Löhne und andere Vorredner, unter anderem Herr Kurth, gesagt zu zahlen. haben –: Die Rentensystematik, die gewählt wurde, kann diese besonderen, schwerwiegenden Härtefälle nicht auf- An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hin- fangen. Genau darum sagt die SPD doch immer wieder: weisen: Da, wo Gewerkschaften stark sind, werden Ar- Wir wollen eine Lösung für Menschen, die besonders beitnehmerinnen und Arbeitnehmer gut vertreten . Da Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17241

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (A) gibt es eine bessere Unterstützung . Da verdienen Arbeit- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (C) nehmer meist mehr . Jetzt haben Sie es aber geschafft, Frau Wolff. – Damit (Beifall bei der SPD) schließe ich die Aussprache.

Das heißt, jeder Arbeitnehmer ist dazu aufgerufen, sich Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf selber zu vertreten oder vertreten zu lassen. den Drucksachen 18/8612 und 18/7903 an die in der (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. LINKE]) Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Die Folgen dieser Entwicklung sind – das ist meine feste Überzeugung – nur innerhalb der gesetzlichen Ren- Wir haben noch eine Abstimmung durchzuführen, tenversicherung abzufangen . Daran müssen wir arbeiten . liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie müssen noch blei- Darum sagen wir: Die Einführung der Solidarrente wird ben. – Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlus- unser nächster Schritt sein. sempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales (Beifall bei der SPD) zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel Der eine oder andere mag vielleicht sagen, ich hätte „Ungerechtigkeiten bei Mütterrente in Ostdeutschland heute das Thema verfehlt. und beim Übergangszuschlag beheben“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sache 18/6706, den Antrag der Fraktion Die Linke auf NEN]: Die Zeit überzogen haben Sie!) Drucksache 18/4972 abzulehnen. Wer stimmt für diese Ich sage seit Jahren, dass die Ungerechtigkeiten, die bei Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer der Rentenüberleitung entstanden sind, nur mit einer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit Härtefallregelung beseitigt werden können. Die Zukunft den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op- der Renten in den neuen Bundesländern sollte uns allen position bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen an- hier viel mehr Anlass zur Diskussion im Hohen Hause genommen worden . geben . Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Ja!) Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Ich bin seit 1998 Mitglied dieses Hauses, habe Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- tages auf Mittwoch, den 8. Juni 2016, 13 Uhr, ein. (B) es aber noch nie geschafft, freitags die letzte Rednerin zu (D) sein. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen. Jetzt darf auch ich Ihnen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- ein schönes Wochenende wünschen. wie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Schluss: 14.05 Uhr)

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(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Aken, Jan van DIE LINKE 03.06.2016 Oßner, Florian CDU/CSU 03.06.2016

Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ 03.06.2016 Petry, Christian SPD 03.06.2016 DIE GRÜNEN Petzold, Ulrich CDU/CSU 03.06.2016 Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 03.06.2016 Marieluise DIE GRÜNEN Pflugradt, Jeannine SPD 03.06.2016

Brandl, Dr. Reinhard CDU/CSU 03.06.2016 Raabe, Dr . Sascha SPD 03.06.2016

Daldrup, Bernhard SPD 03.06.2016 Roth (Augsburg), BÜNDNIS 90/ 03.06.2016 Claudia DIE GRÜNEN Fabritius, Dr . Bernd CDU/CSU 03.06.2016 Schmidt (Fürth), CDU/CSU 03.06.2016 Gysi, Dr . Gregor DIE LINKE 03.06.2016 Christian

Hänsel, Heike DIE LINKE 03.06.2016 Scho-Antwerpes, Elfi SPD 03.06.2016

Heil (Peine), Hubertus SPD 03.06.2016 Schröder (Wiesbaden), CDU/CSU 03.06.2016 Dr. Kristina Hendricks, Dr . Barbara SPD 03.06.2016 Stegemann, Albert CDU/CSU 03.06.2016 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ 03.06.2016 (B) DIE GRÜNEN Steinmeier, Dr . Frank- SPD 03.06.2016 (D) Walter Lämmel, Andreas G. CDU/CSU 03.06.2016 Strothmann, Lena CDU/CSU 03.06.2016 Leidig, Sabine DIE LINKE 03.06.2016 Veit, Rüdiger SPD 03.06.2016 Leikert, Dr. Katja CDU/CSU 03.06.2016 Wagenknecht, Dr . Sahra DIE LINKE 03.06.2016 Lerchenfeld, Philipp CDU/CSU 03.06.2016 Graf Wawzyniak, Halina DIE LINKE 03.06.2016

Leyen, Dr. Ursula von CDU/CSU 03.06.2016 Wellmann, Karl-Georg CDU/CSU 03.06.2016 der Wicklein, Andrea SPD 03.06.2016 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ 03.06.2016 DIE GRÜNEN Wöhrl, Dagmar G. CDU/CSU 03.06.2016

Marwitz, Hans-Georg CDU/CSU 03.06.2016 Zech, Tobias CDU/CSU 03.06.2016 von der

Metzler, Jan CDU/CSU 03.06.2016 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Michelbach, Dr. h. c. CDU/CSU 03.06.2016 Hans Der Bundesrat hat in seiner 945 .Sitzung am 13 .Mai 2016 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- Müller (Chemnitz), SPD 03.06.2016 stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 Detlef des Grundgesetzes nicht zu stellen: Müller, Bettina SPD 03.06.2016 – Erstes Gesetz zur Novellierung von Finanzmarkt- vorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/ 03.06.2016 (Erstes Finanzmarktnovellierungsgesetz – 1. Fi- DIE GRÜNEN MaNoG) 17244 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016

(A) – Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Ge- herausfallen. Vor dem Hintergrund der Bedeutung, die (C) sundheitswesen diese Berufsgruppen innerhalb des Gesundheitswe- sens haben, können auch insoweit nicht zu rechtferti- Der Bundesrat hat hierzu ferner folgende Entschlie- gende Strafbarkeitslücken entstehen. ßung gefasst: e) Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung zu be- a) Der Bundesrat begrüßt, dass der Deutsche Bundestag obachten, ob zukünftig in der Praxis die vorbeschrie- mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im benen Strafverfolgungslücken in einem Umfang auf- Gesundheitswesen eine rechtliche Grundlage zur Be- treten, der geeignet ist, das Vertrauen der Patienten in kämpfung von korruptivem Handeln durch Angehöri- das Gesundheitssystem zu beeinträchtigen. Sollte dies ge der Heilberufe schafft und damit eine nicht hinzu- der Fall sein, müssten die notwendigen gesetzlichen nehmende Gesetzeslücke schließt. Änderungen im Sinne dieser Entschließung vorge- b) Der Bundesrat hält es jedoch für nicht sachgerecht, nommen werden . dass der Gesetzesbeschluss – anders als noch in der – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/26/EU dem Bundesrat seinerzeit zur Stellungnahme zugelei- über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- teten Fassung (BR-Drucksache 360/15) – allein wett- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe bewerbsbezogene Handlungen erfasst, die patienten- von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musik- schutzbezogene Handlungsmodalität des „Verstoßes werken für die Online-Nutzung im Binnenmarkt gegen berufsrechtliche Pflichten“ hingegen ausspart sowie zur Änderung des Verfahrens betreffend die und damit wesentliche Inhalte und Schutzzwecke des Geräte- und Speichermedienvergütung (VG‑Richt- Gesetzes wegfallen. linie-Umsetzungsgesetz) c) Eine wirksame Bekämpfung von Korruption im Gesund- – Fünfzehntes Gesetz zur Änderung des Luftver- heitswesen muss gleichermaßen zwei Ziele verfolgen: kehrsgesetzes Zum einen muss sie einen funktionierenden Leis- tungswettbewerb auf Seiten der Anbieter sichern, da Zudem hat der Bundesrat in seiner 945 . Sitzung am nur dieser eine qualitative Weiterentwicklung von Arz- 13. Mai 2016 gemäß § 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3, nei-, Heil- oder Hilfsmitteln sowie Medizinprodukten Satz 4 und 6 des Standortauswahlgesetzes Ministerin bei gleichzeitig vertretbarer Kostenentwicklung im Prof. Dr. Claudia Dalbert (Sachsen-Anhalt) als Nachfol- Gesundheitssektor gewährleisten kann (Wettbewerbs- gerin des ausscheidenden Ministers a . D . Dr . Hermann schutz). Zum anderen muss sie aber auch das Vertrauen Onko Aeikens (Sachsen-Anhalt) zum Mitglied der der Patienten in eine von unlauteren Geldzahlungen un- „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfall- stoffe“ gewählt. (B) beeinflusste Gesundheitsversorgung und damit die Ak- (D) zeptanz des – von ihnen solidarisch finanzierten – Ge- Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und sundheitssystems aufrechterhalten (Patientenschutz). Reaktorsicherheit hat mitgeteilt, dass er gemäß § 80 Ab- Dadurch, dass der Gesetzesbeschluss ausschließlich satz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichter- auf den Wettbewerbsschutz abstellt und den Patien- stattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: tenschutz weitgehend ausblendet, könnten eine Rei- he von Fallkonstellationen straffrei bleiben, in denen Unterrichtung durch die Bundesregierung medizinische Entscheidungen primär an wirtschaft- Klimaschutzbericht 2015 lichen Interessen, nicht aber am Wohl des individu- ellen Patienten orientiert getroffen werden. Derge- Drucksache 18/6840 stalt entstehende Schutzlücken wären geeignet, das Unterrichtung durch die Bundesregierung Vertrauen der Patienten in das von ihnen getragene Gesundheitssystem erheblich zu beeinträchtigen. Fortschrittsbericht zur Deutschen Anpassungsstra- Entsprechende Schutzlücken könnten zukünftig ins- tegie an den Klimawandel besondere in Fällen auftreten, in denen eine wettbe- Drucksachen 18/7111, 18/7276 Nr. 7 werbsbezogene Bevorzugung bestimmter Anbieter ge- rade nicht gegeben ist, also etwa – bei der Verordnung Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben patentgeschützter (und damit in Monopolstellung) mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- angebotener Arznei-, Heil- oder Hilfsmittel oder Me- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer dizinprodukte, – bei der allgemeinen – und gegebe- Beratung abgesehen hat . nenfalls medizinisch gar nicht indizierten – Steigerung von Bezugs-, Verordnungs- oder Zuweisungsmen- gen sowie – bei Arzneimittelverordnungen, die sich Auswärtiger Ausschuss allein auf den Wirkstoff beziehen, vgl. hierzu schon Drucksache 18/8470 Nr. A.1 BR-Drucksache 451/13 (Beschluss), S. 17. Ratsdokument 7984/16 Drucksache 18/8470 Nr. A.2 d) Der Bundesrat weist zudem darauf hin, dass die jetzt Ratsdokument 7998/16 vorgenommene Beschränkung des Gesetzes auf den Bezug und die Verordnung von Arznei- und Heilmit- teln sowie Medizinprodukten dazu führt, dass ganze Finanzausschuss Berufsgruppen, vor allem die der Apothekerinnen und Drucksache 18/8293 Nr. A.4 Apotheker, aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes Ratsdokument 6918/16 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17245

(A) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (C) Drucksache 18/7127 Nr. A.4 Drucksache 18/8293 Nr. A.12 Ratsdokument 14015/15 Ratsdokument 7489/16 Drucksache 18/7612 Nr. A.26 Drucksache 18/8470 Nr. A.20 EP P8_TA-PROV(2016)0119 Ratsdokument 5187/16 Drucksache 18/8470 Nr. A.22 Drucksache 18/7934 Nr. A.16 Ratsdokument 7781/16 Ratsdokument 6225/16 Drucksache 18/7934 Nr. A.17 Ratsdokument 6226/16 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Drucksache 18/8293 Nr. A.6 Drucksache 18/7733 Nr. A.19 Ratsdokument 7115/16 Ratsdokument 5814/16

(B) (D) Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333