TOUREN

Ganz plötzlich gähnen500 Meter zwischen ren Ende einer Felswand klebt. Sparta- Gla cier Lodge“ tut gut und die zweite Nacht Am Wegesrand erinnert uns ein kleines „ES GIBT VIELE GRÜNDE dem Stahl meiner Steigeisen und dem Breit- nisch ei n gerichtet, mit zehn Matratzen, ei- in dieser Höhe dürfte auch letzte Kopf- Metall-Kreuz an Jean-Antoine Carrel, der horngletscher, der noch weit unter uns im nem Tisch und zwei Bänken, konzentrier- schmerzen verjagen. Einen Pausentag le- hier den Tod fand. Es war im Jahr 1890: DAS Schatten schläft. Ein senkrechter Pfeiler in ten wir uns dort auf das Wesentliche. gen wir trotzdem ein. Über saftige Wiesen Nach einem Wettersturz brachte Carrel der -Traverse. Die Schlüsselstelle. Schnee schmelzen, das Wetter, die Route und glitzernde Seen schwebt die Gondel seine beiden Kameraden sicher durch die ZU BESTEIGEN ... … Am Klein Matterhorn herrscht eine an- hinab Richtung Italien. Cervinia entpuppt tief verschneite Südwand des Matter- ... ABER DER DER Von Null auf Hundert dere Welt. Die Welt des Sommer-Skis, der sich als doppelt so schön und nur halb so horns, bevor er an Ort und Stelle an Er- Kurz vorher griff der Schaft meines Pi- dauerhaften Musik beschallung und der teuer wie . Hier können wir Kraft schöpfung starb. Geschichten dieser Art HAUPTGRUND IST DOCH, ckels noch im harten Schnee, unten auf Selfie-Sticks. für die kommenden Tage tanken, bevor wir gibt es am Matterhorn viele. Und auf die- dem Grat. Die erste Morgensonne brachte Richtung Matterhorn aufbrechen. Der Wet- sen Berg zu steigen bedeutet für mich, in DAS MATTERHORN die größten Gipfel der Alpen zum Glühen, Bella Italia terbericht aber lässt uns nur kurz zur Ru- diese Geschichten einzutauchen. Mehr als bevor sie beschloss, die Wechten zwischen Nur zögernd scheint mein Körper sich he kommen. Auf dem Ausdruck, den uns nur einmal findet man Erinnerung und ZU BESTEIGEN.“ der Roccia Nera und den Breithorn-Zwil- der Höhe anzupassen. Der teure Luxus die nette Dame im Info-Zentrum reicht, Spuren der großen Bergsteiger vergange- SO SCHRIEB EINST DER GROSSE ALPINIST GASTON RÉBUFFAT. lingen in ein Meer orange-gelber Wellen einer Übernachtung auf der „Matterhorn sind Blitze und Schneeflocken abgebildet. ner Tage. zu verzaubern. Unsere Spuren folgen der Außerdem wird es sehr warm. Das bedeu- Wir befinden uns schon über dem Col de UND AUCH WENN MAN SICH ZU SEINER ZEIT SICHERLICH NOCH NICHT schönsten Linie: Immer genau dort, wo das tet vermehrter Steinschlag. Und dass wir Leone auf einem großen, steilen Schutt- IN DIE SCHLANGE AM HÖRNLIGRAT EINREIHEN MUSSTE, Gold versucht über den Grat zu huschen, unser Wasser vom Tal bis zur Carrel-Hüt- feld. Der Fels, der sich über uns gelöst hat SO GIBT ES SIE AUCH NOCH HEUTE: DIE CHANCE AUF EINE EINSAME TOUR bevor es vom Blau der Nacht verschluckt te schleppen müssen, da selbst dort oben und die Größe eines Kleinwagens hat, UND VIEL PLATZ AUF DEM GIPFEL DER GIPFEL. wird. kein Schnee mehr zu finden sein soll. stürzt direkt auf uns zu. Zögern oder Jetzt bringt mich das Klettern fast in Extase. Nachdenken können wir uns nicht mehr Immer direkt auf der Schneide, anfangs Der Aufstieg zur erlauben. Panisch rennen wir bergauf. im vierten Grad, ersteigen wir den Mittel- Carrel-Hütte: Eine kleine Dort bietet uns ein kleiner Überhang et- gipfel. Alle fünf Gipfel des Massivs haben Hochtour an sich was Schutz. Mein Herz schlägt bis zum wir am Ende überschritten. Auf jedem Das Gewitter vom Vorabend hat die Luft Hals, während wir versuchen, irgendwie standen wir alleine. Bei schönstem Wetter. stark abgekühlt und langsam dämmert es. noch unsere Beine unter diesen kleinen Eine erfolgreiche Tour als Vorbereitung Die Wolken hängen tief. Wir sind vor dem Absatz zu ziehen. Der Brocken ist in tau- Der atemberaubende Grat für den Liongrat am Matterhorn, die ohne Morgengrauen aufgebrochen, um die Car - send Splitter zerplatzt, die krachend ins bietet durchgehend 4000er-Aussicht: weiteres mit diesem mithalten kann. rel-Hütte noch vormittags zu erreichen. Tal donnern. Zum Glück wenige Meter an Im Hintergrund das Mittags tauchen wir wieder ein, in den Der Duft regennasser Wiesen, die schwar- uns vorbei. (Seite rechts unten) (31) Trubel am Klein Matterhorn. Die Gon- zen Felswände und der tosende Wasser- Später auf der Carrel-Hütte, sind wir in Si- del dort katapultierte uns am Vortag auf fall ergeben zusammen eine zauberhaf- cherheit. Direkt auf dem Liongrat steht 3800 Meter. Für uns Flachlandschwaben te Stimmung. Diese Landschaft und die dünne Luft. Dementsprechend war auch Einsamkeit sind nur zwei der Gründe, die Nacht auf dem Bivacco Rossi e Vo- weswegen wir uns für die italienische Sei- lante, eine kleine Schachtel die am obe- te des Berges entschieden haben.

Wie wird das Wetter am Rückblick vom Mittelgipfel Senkrecht nach oben geht’s Schnee und Fels wechseln sich bei Das senkrechte Whymper-Seil nächsten Tag aussehen? (8) auf den zurückgelegten Weg (5) am Whymper-Seil (1) der Breithorn-Überschreitung ständig ab (32) kostet viel Armkraft (36)

12 SCHWABEN ALPIN 1|2016 SCHWABEN ALPIN 1|2016 13 TOUREN dieses Bauwerk. Dicht von Wolken einge- Werden Träume wahr? den Pic Tyndall und reißt den Nebel in lan- Am so genannten Enjambée hilft nur ein Zurück in der Schweiz für Schritt genau so umsetzen wie geplant. schlossen, sicher vor herabfallenden Stei- Aufregung überkommt mich langsam, ge Fetzen. Nur selten können wir einen beherzter Spreizschritt über die wahnsin- Als wir viele Stunden später die Hörnli - Rébuffat hatte Recht. Der Hauptgrund ist nen. Diese Stimmung haben wir bis zum während eine stürmische Nacht die Hütte Ausblick erhaschen. Die flache Morgen- nig ausgesetzte Scharte. Die Echelle Jordan: hütte erreichen, sind wir seit der Echelle sicherlich das Matterhorn zu besteigen. Nachmittag für uns alleine. Erst dann er- in dicke Wolken hüllt. Es ist kurz nach sonne wirft die weltberühmte Silhouette Eine überhängende Strickleiter, bestehend Jordan niemandem mehr begegnet. Der Aber das ist bei Weitem nicht der Einzige! reichen uns zwei Führer mit ihren Kun- drei, als ich hastig meinen Freund aufwe- bis in den Horizont hinein. Der Hörnligrat aus Seilen die bis zum Kern eingerissen Hörnligrat stellte sich als triste Schutthal- Benjamin Sauer den. Zu diesem Zeitpunkt gehen im Mi- cke: 1800 Meter weiter unten strahlen scheint also schon in der Sonne zu glän- sind. Noch ein exponierter Quergang. Und de heraus. Dieses steile Schotterlabyrinth nutentakt um uns Steinsalven und Lawi- plötzlich die Lichter Cervinias zu uns hin- zen. Meistens aber ist der Gipfel in dichte dann, irgendwie ganz plötzlich, aber trotz- hat für mich leider nichts von der Magie, nen ab. Zwei Tage später werden die ita- auf. Schnell ist gefrühstückt und die Aus- Wolken gehüllt und scheint von hier unten dem genau im Zeitplan, geht es nicht mehr die der Hörnligrat von Zermatt aus ver- INFO lienischen Behörden den Liongrat wegen rüstung angelegt. Jetzt sitzt jeder Hand- im Sturm unterzugehen. Hoffnung und weiter. Wir erreichen zum ers ten Mal die muten lässt. mehrerer Felsstürze sperren: 25 Alpinis- griff. Es geht los! Enttäuschung liegen in diesen Stunden wärmenden Strahlen der Sonne, es geht Ein kräftiges Gewitter hält uns fest. Über Unterkunft: ten hängen auf der Carrel-Hütte fest. Beim Klettern bin ich die Ruhe in Person. sehr nahe beieinander. kein Lüftchen mehr. Vor uns strahlt die 8 Millionen Franken stecken im Neubau der Bivacco Rossi e Volante (kein Notfunk oder Telefon!) Mein Kopf ist frei. Alles passiert wie von So hilfreich die Fixseile auch bei der Weg- Morgensonne, hinter uns flüchten die lan- Hörnlihütte. Ein Luxustempel auf 3200 Me- Rifugio Jean Antoine Carrel (unbewirt - Geschichten und Gespenster selbst, fast habe ich das Gefühl mir selbst findung sind, das Klettern an ihnen zieht gen Schatten. Wir stehen zwischen Tag und tern. Hier darf man sicherlich alles Mögli- schaftet, Notfunk, Tel: 0039 0166 948169) Trotzdem wollen wir noch am frühen über die Schulter zu schauen. Aber als der mir langsam die Kraft aus den Armen. Nacht, auf dem Scheitelpunkt der Welt! che erwarten, nur keine Hüttenatmo sphä - Matterhorn Gacier Paradise Lodge Abend die Route erkunden. In der Dunkel- Tag anbricht, fegt der Wind streng über Schlüsselstellen reihen sich aneinander. Überhaupt scheint die Zeit stehen geblie- re. Das ist die Schweizer Seite des Berges... (www.matterhornparadise.ch) Hörnlihütte (www.hoernlihuette.ch) ben zu sein. Was für ein Moment: Wir ha- Die letzte Gondel vom Schwarzsee fuhr – ben den Gipfel für uns alleine. Die ganze wenn überhaupt – ohne uns ab. In der Karten: Welt ist auf einen Schlag weit unter uns. Nacht und im Regen erreichen wir Täsch. Landeskarten der Schweiz Nr. 1347 (Mat- terhorn) und Nr. 1348 (Zermatt) Auch wenn ich genau weiß, welche der Gip- 3000 Höhenmeter waren es vom Gipfel Literatur: fel um uns herum höher sind als unserer, bis hier her. Wie wir in unseren Betten lie- Gebietsführer Walliser Alpen, Rother mein Verstand überzeugt mich von etwas gen, freuen wir uns über unser Glück. Un- Verlag anderem. Wir sind oben. Ganz oben! sere Hochtourenwoche konnten wir Schritt

heit wäre der Weiterweg nur schwer zu fin- Gipfelglück am den und ein Verhauer ist am Matterhorn schönsten Berg der Alpen (21) unbedingt zu vermeiden. Wir stoßen da- bei sogar bis zum „Leichentuch“ vor. Die- ses Schneefeld auf fast 4000 Metern lässt uns an seinem unteren Ende Wasser zap- fen, bevor wir wieder mit dem Abstieg be- ginnen. Sogar ein Brockengespenst begle i - tet uns dabei für einige Meter. Wir klettern vorbei an einem Felsen mit den eingeritzten Initialen von Carrel, so- wie seinem Partner und späteren Rivalen Whymper. Carrel gelang 1861 der Aufstieg bis hier oben, so weit wie noch nie jemand anderem zuvor, wo er sich im Fels verewig- „Ich glaub du stehst auf dem Italiener- te. Im folgenden Jahr schaffte es Whymper Gipfel!“ Ein Traum geht in Erfüllung (20) sogar noch weiter und meißelte – quasi im Vorbeigehen – seinen Namen dazu. Drei Ja h re später gewinnt Whymper das Rennen um die Erstbesteigung. Carrel steht nur wenige hundert Meter unter ihm am Pic Tyndall. Im Abstieg stürzen jedoch vier der Mä n ner um Whymper am Hörnligrat in den Tod. An diesem Tag endet das soge- nannte„ZeitalterdesgoldenenAlpinismus“ mit einer Katastrophe.

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