trocken als in Rhöndorf und bemerkte schen Beamten geboren, er studierte Ju- „Er hat aber eine sehr christliche Frau“, risprudenz und Politische Ökonomie und was für Elly Heuss-Knapp durchaus zu- legte sein zweites Staatsexamen 1901 ab, traf. bevor er bei der Staatsanwaltschaft und Anderen erschien Heuss als zu altvä- in einer Rechtsanwaltskanzlei arbeitete. terlicher liberaler Bildungsbürger in der Seit 1906 engagierte er sich für die Zen- Tradition der Revolution von 1848/49, trumspartei in der Lokalpolitik seiner der stil- und altersmäßig nicht mehr in Heimatstadt und wurde nach einer Tä- die Zeit passte. Etwas über 65 Jahre, war tigkeit als Beigeordneter 1917 zum Ober- Heuss gerade im Rentenalter. Und so be- bürgermeister von Köln gewählt, der merkte der erst 45-jährige Abgeordnete schon damals viertgrößten deutschen zu Adenauer, Heuss Stadt. Doch der erfahrene und gewiefte „sei ein ehrenwerter Mann, aber immer- Verwaltungsjurist verwaltete nicht nur, hin ein, wenn auch liebenswürdiger Über- sondern gestaltete. Er entwickelte das rest des 19. Jahrhunderts“. Kiesinger sah, kulturelle und das ökonomische Leben wie unwirsch Adenauer, der immerhin der Stadt beträchtlich weiter. Das Spek- acht Jahre älter war als Heuss, ihn an- trum seiner Innovationen reichte von der sah und bemerkte seine Taktlosigkeit. Er Wiederbegründung der Kölner Universi- fügte schnell hinzu: Sie sind ja nicht ge- tät 1919 bis zum Kölner Grüngürtel. Un- Leitmotive der Politik Konrad Ade- Horst Möller, ehemaliger Direktor des meint, was Adenauer keineswegs friedlich ter den nicht wenigen bedeutenden Ober- nauers waren das Thema des Vortrags Instituts für Zeitgeschichte, zeigte in stimmte, er grummelte Kiesinger an: „Sie bürgermeistern deutscher Großstädte der von Prof. Dr. Horst Möller am 5. April seinem Referat zum einen auf, welche meinen, ich wäre nicht liebenswürdig!“ Weimarer Republik war er sicherlich der 2017 in der Katholischen Akademie bedeutenden Weichenstellungen dem Tatsächlich wurde die frühe Bundes- bedeutendste. Bayern. Mehr als 130 Interessierte ersten Kanzler der Bundesrepublik republik überwiegend von den Alten, den Von 1921 bis 1933 war Adenauer zu- waren zur Veranstaltung in die Katho- Deutschland gelangen. Die Schwä- Erfahrenen repräsentiert. Das bedeutete gleich Präsident des Preußischen Staats- lische Akademie Bayern gekommen, chen von Adenauers Politik und poli- keineswegs, wie oft behauptet wurde, Res- rats, der Vertretung der preußischen Pro- die anlässlich des 50. Todestages von tische Fehler kamen aber ebenfalls zur tauration, sondern eine ethische Fundie- vinzen. In dieser Funktion hatte er eine Konrad Adenauer stattfand. Professor Sprache. rung der Politik und einen Lernprozess Dienstwohnung in Berlin – im heutigen aus der Geschichte, der deutschen Ge- Landwirtschaftsministerium in der Wil- schichte zumal. Und im Rückblick muss helmstraße – und reiste ständig zu den man konstatieren: Was hätte der Bun- Sitzungen des Staatsrats, der im heuti- desrepublik besseres passieren können, gen Bundesrat in der Leipziger Straße als diese beiden alten Männer? residierte. Beide waren die personifizierten Ge- Obwohl Inhaber eines der drei führen- gensätze zur NS-Diktatur. Ihre Nüchtern- den preußischen Ämter und neben dem heit bildete den denkbar größten Gegen- Ministerpräsidenten und dem Landtags- satz zum irrationalen Pathos der natio- präsidenten Mitglied des in Krisenzeiten Leitmotive seiner Politik nalsozialistischen Ideologie, zu ihrem wichtigen Drei-Männer-Kollegiums, war Rassismus, Antisemitismus, hysterischen das Verhältnis des rheinischen „Beute- Horst Möller Nationalismus und Imperialismus. Zwar preußen“ zu Preußen zwiespältig. Das war Heuss durchaus ein Gutteil gemüt- kam weniger in seinen halb scherzhaf- voller und literarisch überhöhter als Ade- ten Bemerkungen zum Ausdruck, wenn nauer, doch repräsentierten beide das, er in der Bahn bei Braunschweig vorbei- was der erste Bundespräsident „Ent- gereist sei, ziehe er die Vorhänge zu, krampfung“ nannte. Beiden stand zwar denn dann sei er in Asien, als in seiner auch scharfzüngiger Witz und Ironie zu 1919 geäußerten grundsätzlichen Kritik I. Gebote, aber eben auch versöhnlicher am Preußentum, dem die Gegner nicht Humor, mit dem Adenauer viele scharfe ganz unverständlich militaristischen „Erst bei der Rhöndorfer Konferenz Debatten entkrampfte. Geist und Obrigkeitshörigkeit unter- habe ich bemerkt, dass die anderen im Bestimmte Adenauer als Bundeskanz- stellten. Anders als der damalige Zeit- Vergleich zu ihm unterschiedlich kleine ler die „Richtlinien der Politik“ inner- geist erkannte Adenauer durchaus eine Zwerge waren.“ So urteilte Franz Josef halb der vorgegebenen internationalen preußisch-deutsche Mitverantwortung Strauß in seinen „Erinnerungen“ nahe- Konstellation, stand er für Verlässlich- am I. Weltkrieg. zu dreißig Jahre später über den ersten keit und rationale Kalkulierbarkeit, so Hinzu kam, dass Konrad Adenauer – Bundeskanzler. Tatsächlich bildete die repräsentierte und symbolisierte Heuss wie der liberale Staatsrechtler und Reichs- Konferenz von Unionspolitikern, zu dem die kulturelle Tradition der Deutschen, innenminister Hugo Preuss – die födera- der damalige Vorsitzende des Parlamen- ihre Glaubwürdigkeit und Humanität. le Struktur der neuen Republik für ver- tarischen Rates und der CDU Rheinland Er lebte die Demokratie vor. Für die fehlt hielt, da das im Vergleich zu den zum 21. August 1949 in sein Haus in Rückgewinnung der Wertorientierung anderen Ländern übergroße Preußen Rhöndorf eingeladen hatte, ein Schlüssel- in Deutschland nach der fundamentalen 3/5 der Reichsbevölkerung und 2/3 des ereignis für die Geschichte der Bundes- Zerstörung aller Werte durch die natio- Reichsterritoriums umfasste. Deshalb republik. Nicht allein aufgrund seines nalsozialistische Herrschaft kann die Be- wollte Adenauer eine Autonomie des Alters, auch als Gastgeber besaß Ade- deutung beider Persönlichkeiten für ein Rheinlands gegenüber Preußen, nicht nauer von vornherein eine gewisse Füh- neues Selbstvertrauen der Deutschen aber gegenüber dem Reich: Anders als rungsrolle. Er nutzte sie virtuos: Gegen und des internationalen Vertrauens für manche seiner Gegner behaupteten, war den starken Widerstand des sozialpoli- die Bundesrepublik Deutschland kaum er also keineswegs ein rheinischer Sepa- tisch geprägten Flügels der CDU um den überschätzt werden. Adenauers Bedeu- ratist. Der Republik stand er 1919 posi- nordrhein-westfälischen Ministerpräsi- tung für die Nachkriegsgeschichte scheint tiver gegenüber als ein Teil der Zentrums- denten setzte Adenauer eine auf den ersten Blick überraschend, wenn partei, bei ihm sind keine monarchisti- bürgerliche Koalition ohne die in der ers- man an die ersten Jahrzehnte seiner po- schen Neigungen erkennbar, er konsta- ten Bundestagswahl fast gleichstarken Prof. Dr. Horst Möller, Professor em. für litischen Laufbahn denkt. Nichts schien tierte ohne Umschweife, das „Kaiserreich Sozialdemokraten durch. Damit stellte Neuere und Neueste Geschichte an der 1945 auf seinen späteren Rang als euro- habe sich überlebt“. Vor allem aber stand er die Weichen für die Koalitionsbildun- LMU München, ehem. Direktor des päischer Staatsmann hinzudeuten. Oder er nach 1919 zweifelsfrei auf dem Bo- gen bis 1966. Instituts für Zeitgeschichte vielleicht doch? den der Weimarer Demokratie und ach- Und mit fast beiläufiger Selbstver- tete dann auch penibel auf die Einhal- ständlichkeit erklärte der 73-jährige Ade- II. tung der neuen Preußischen Verfassung nauer mit der berühmten Bemerkung, von 1921. „Mein Arzt hat mir gesagt, ich kann das den, , kannte Adenauer Was prädestinierte Konrad Adenauer Dass Adenauers politischer Rang in noch ein Jahr machen“, seine Kanzler- schon aus der Weimarer Republik, als für die prägende Rolle, die er für die der Weimarer Republik weit über eine kandidatur. Zwar war diese keineswegs Heuss Reichstagsabgeordneter war und Grundlegung der Bundesrepublik bloß lokale Bedeutung hinausging, zeig- so selbstverständlich wie Adenauer sug- besonders aus dem Parlamentarischen Deutschland und ihre europäische Ver- te nicht allein seine Präsidentschaft im gerierte, da jedoch keiner der möglichen Rat, der 1948/49 das Grundgesetz für ankerung spielte? War er nicht ursprüng- preußischen Staatsrat. Vielmehr hätte Konkurrenten eine Mehrheit erreicht die Bundesrepublik Deutschland vorbe- lich ein Lokal- und Provinzpolitiker? er, wenn er gewollt hätte, auch Reichs- hätte, vertröstete er sie alle auf schon reitete. Heuss war ein bewährter Libera- Lassen Sie mich, bevor ich mich auf die kanzler werden können. In nüchterner bald bevorstehende bessere Chancen: ler, Hochschullehrer und außerordent- zentralen Leitlinien und Weichenstel- Einschätzung der jeweiligen parteipoli- Niemand rechnete damit, dass der alte lich produktiver Autor von Biographien, lungen seiner Politik als Bundeskanzler tischen Konstellation im Reichstag lehn- Herr dann vierzehn Jahre bis 1963 re- politischen Sachbüchern und Essays. konzentriere, kurz über die Vorgeschich- te der Pragmatiker dieses Amt jedoch gieren würde. Während der NS-Diktatur wurde ihm te dieses Politikers sprechen, obwohl ab. Es ist hier nicht möglich, Adenauers Und mit ähnlichem taktischen Ge- zeitweise Schreibverbot auferlegt. Ade- Konrad Adenauer selbst seine vierbän- Aktivitäten in der Weimarer Republik schick verfuhr er beim Vorschlag für die nauer brauchte die FDP, doch es unter- digen „Erinnerungen“ erst mit dem oder auch nur die des Kölner Oberbür- Bundespräsidentenwahl. Natürlich liegt ebenso wenig einem Zweifel, dass Kriegsende 1945 beginnt. germeisters eingehender darzustellen. brauchte er für die erste Regierungsbil- er Heuss für besonders geeignet hielt. In Konrad Adenauer, dessen unverkenn- Doch schon drei, vier Hinweise charak- dung Koalitionspartner. Die drittstärks- Teilen der Union war der zumindest un- barer rheinischer Dialekt uns allen noch terisieren sein vorausweisendes und te Partei nach CDU und SPD war mit kirchliche Heuss nicht besonders ge- im Ohr klingt, wurde am 5. Januar 1876 grundsätzliches politisches Denken, das 11,9 Prozent die FDP. Ihren Vorsitzen- schätzt. Adenauer reagierte kaum weniger in Köln als Sohn eines höheren preußi- für ihn auch nach 1945 leitend blieb.

zur debatte 2/2017 25 langen verfassungspolitischen Exkursen neigte wie die beiden anderen führenden Mitglieder des Parlamentarischen Rates, Theodor Heuss und der Sozialdemokrat Carlo Schmid, also inhaltlich nicht zu den zentralen Diskutanten zählte, leite- te er doch die Beratungen im Bonner Museum Koenig bzw. der dortigen Pä- dagogischen Akademie souverän und zielsicher mit dem Erfahrungsschatz der verfassungspolitischen Fehlentwicklun- gen der Weimarer Republik und der NS- Diktatur. Die Verfassungsordnung des Grundgesetzes wurde so zu einem der erfolgreichsten Beispiele, aus der Ge- schichte zu lernen. Dazu gehörte die Stärkung der Stellung des Bundeskanz- lers in einem konsequent parlamentari- schen, konsequent repräsentativen Re- gierungssystem. Dessen Möglichkeiten nutzte Adenauer von Beginn seiner Kanz- lerschaft an virtuos, sodass mit ihm der Begriff „Kanzlerdemokratie“ verbunden wurde. Worin bestanden nun die Leitlinien seiner Politik als Bundeskanzler? Auch Adenauer beherrschte wie jeder große Politiker Strategie und Taktik. Seine Schlitzohrigkeit war kaum zu übertref- fen, wenn er politische Widersacher in den eigenen Reihen oder Politiker an- derer Parteien ausmanövrieren wollte. Nicht zufällig zitierte Adenauer seinen Freund Robert Pferdmenges, der gesagt habe: Es gibt drei Formen der Wahrheit, „die einfache, die reine und die lautere Wahrheit“. Doch so wenig „pingelig“ Adenauer auch war, wenn es um die Durchsetzung seiner politischen Ziele ging, so zweifelsfrei ist die ethische Fun- Foto: akg-images dierung seiner Politik, die auf seinem Konrad Adenauer und Theodor Heuss christlichen Glauben beruhte. Auch verstanden sich politisch sehr gut und wenn die Kirchentreue des praktizieren- hatten auch persönlich ein sehr enges den Katholiken unverkennbar war, hieß Verhältnis. das keineswegs, dass er sich in sein po- litisches Handeln hineinreden ließ, wie viele seiner Gegner behaupteten. Die en- gen Kontakte zum Kölner Kardinal Frings oder die familiären zu seinem Sohn Mon- signore Paul Adenauer betrafen naturge- Auf dem Münchner Katholikentag und viele Beobachter haben seine Aus- des sozialdemokratischen Ministerpräsi- mäß auch politische Themen, aber be- 1922 geriet Konrad Adenauer als Präsi- führungen als erste Idee dazu verstan- denten Otto Braun ein Reichskommis- wirkten bei Konrad Adenauer keine dent des Katholikentages mit Kardinal den. sar treten sollte. Und nicht weniger mu- kirchliche Einflussnahme auf seine Poli- Faulhaber aneinander, der die Weima- Und noch in einem weiteren zentra- tig zeigte sich Adenauer als Kölner Ober- tik. Zwar reflektierte er nicht – wie bei- rer Demokratie ablehnte, während der len Anliegen seiner späteren Politik als bürgermeister: Er weigerte sich, den spielsweise Franz Josef Strauß – öffent- Kölner Oberbürgermeister sie befürwor- Bundeskanzler finden sich damals die Reichskanzler Hitler am 17. Februar 1933 lich das Verhältnis von Christentum und tete und sich damit gegen rechtsnatio- Wurzeln. In seiner Rede zur Wiederer- in Köln am Flughafen zu begrüßen und Politik in einer Partei, die sich zum Chris- nale und monarchistische Tendenzen öffnung der Universität zu Köln forder- ließ die Hakenkreuzfahnen dort wieder tentum bekannte. Doch für den Politiker stellte. Wie vorbehaltlos Adenauer zur te Adenauer bereits 1919 eine deutsch- herunterholen, wo sie auf städtischem Adenauer unterlag die Trennung kirch- Weimarer Demokratie stand, beweist französische Aussöhnung und enge Ko- Grund angebracht worden waren. Im licher und staatlicher Aufgaben keinem auch seine eindrucksvolle Gedenkrede, operation zwischen beiden Staaten, ja Wahlkampf für die Reichstagswahlen Zweifel. Dazu mag die am Ende der Wei- die er am 8. März 1925 für den verstor- sogar eine Wirtschaftsunion. Er begrün- bzw. Landtagswahlen in Preußen im marer Republik tragische Erfahrung der benen sozialdemokratischen Reichsprä- dete diese Zielsetzung keineswegs nur März 1933 bekämpft er entschieden die Zentrumspartei beigetragen haben, die sidenten Friedrich Ebert hielt. Er nann- pragmatisch, sondern mit der kulturel- NSDAP. Die Nationalsozialisten verga- einen geistlichen Vorsitzenden, den Prä- te ihn einen Staatsmann, dessen „wahr- len Nähe des Rheinlandes zu Frankreich, ßen es ihm nicht. Sofort nach der Reichs- laten Ludwig Kaas, sowie andere Geist- haft große, eine historische Tat“ Deutsch- mit christlichen Gemeinsamkeiten, ja für tagswahl vom 5. März 1933 wurde er liche mit politischen Mandaten hatte. land vor dem Schicksal einer bolsche- einen nüchternen Redner wie ihn, fast amtsenthoben. Obwohl er sich aus der Und in jedem Fall wollte der machtbe- wistischen Revolution wie in Russland emotional mit abendländisch geprägtem Öffentlichkeit zurückgezogen und sein wusste Adenauer seinen politischen bewahrt habe. Ebert galt Adenauer als Pathos. Auch die Vision deutsch-franzö- Haus in Rhöndorf gebaut hatte, wurde er Handlungsspielraum nicht von Instituti- „großer Mensch mit strengster Rechtlich- sischer Kooperation benötigte mehrere zeitweilig inhaftiert und versteckte sich onen einengen lassen, die die Verfassung keit und Lauterkeit in der Lebensfüh- Jahrzehnte zur Realisierung. Allein die- viele Monate im Kloster Maria Laach. dafür nicht bestimmte. rung“, er sei ein „Diener des ganzen Vol- se beiden Beispiele zeigen: Adenauer war Für seine Familie gewann die permanen- kes“ gewesen. Selbst in seiner eigenen nie nur der schlichte Verwalter, der Kon- te Bedrohung durch das NS-Regime tra- IV. Partei ist Ebert keineswegs immer eine servative, als den ihn seine Gegner gern gische Folgen und führte zur schweren solche Verehrung entgegengebracht wor- hinstellten, vielmehr war er oft seiner Erkrankung und schließlich zum Tod „Es musste alles neu gemacht werden“, den, in der Weimarer Republik wurde er Zeit voraus, gelegentlich zu weit, um seiner zweiten Frau, nachdem er bereits hat Konrad Adenauer einmal bemerkt ständig das Ziel übler Diffamierung. Realisierungschancen zu haben. 1916 das erste Mal verwitwet war. und damit die politische, wirtschaftliche Nicht nur in diesem Fall sah Adenau- Beispiele seiner Charakterstärke und und gesellschaftliche Ausgangsposition er über Parteigrenzen hinaus. Vielmehr rechtsstaatlich-demokratischen Prinzi- III. ebenso schlicht wie treffend beschrie- wollte er den politischen Katholizismus pienfestigkeit lieferte Adenauer keines- ben. Er hat damit, ohne das ahnen zu aus dem „Zentrumsturm“ befreien und wegs nur 1933 – damals aber so unbe- Ich überspringe die ersten Nachkriegs- können, der unsinnigen These späterer propagierte eine enge Kooperation mit irrt durch den Zeitgeist wie eh und je. jahre, in denen Adenauer zunächst als Historiker und Politikwissenschaftler den Protestanten: „Wir müssen beim Als Mitglied des erwähnten Drei-Män- Oberbürgermeister wieder eingesetzt, widersprochen, die die Frühgeschichte Kampfe für die Geltung der christlichen ner-Kollegiums in Preußen weigerte sich von der britischen Besatzungsmacht der Bundesrepublik gegen alle empiri- Grundsätze in den öffentlichen Dingen Adenauer am 6. Februar 1933, an der von dann wieder entlassen wurde, weil er schen Befunde und Fakten als „Restau- bei den Nichtkatholiken Bundesgenos- NSDAP und KPD betriebenen Auflö- auch ihr gegenüber unbeugsam war. Er ration“ bewertet haben. Tatsächlich war sen suchen. Soweit wir das irgendwie sung des Preußischen Landtags mitzu- wurde ein wesentlicher Mitgründer der die Gesellschaft der Bundesrepublik we- können, müssen wir mit Bestrebungen wirken, die die Nationalsozialisten auch CDU als überkonfessioneller christli- der identisch mit der des NS-Regimes Gleichgesinnter im evangelischen Lager in Preußen an die Macht bringen sollte. cher Partei und trug dadurch zur wich- noch restaurierbar. Hand in Hand gehen und suchen, uns Zu diesem Zeitpunkt war Hitler bereits tigsten Innovation im deutschen Partei- Ich nenne nur wenige Stichworte, die gegenseitig zu unterstützen und zu för- Reichskanzler. Adenauer protestierte ge- ensystem bei. Als Vorsitzender der CDU zeigen, wie realitätsfern die These der dern.“ Das war 1922, aber erst nach 1945 gen die widerrechtliche Zusammenset- Rheinland und als Präsident des Parla- Restauration ist: wurde diese Vision einer überkonfessio- zung des Gremiums, die vom national- mentarischen Rates 1948/49 gelangte er nellen christlichen Partei, genauer zwei- sozialistischen Landtagspräsidenten schnell in eine politische Schlüsselposi- • fast 10 Millionen Flüchtlinge und er Parteien, realisiert. Adenauer selbst Kerrl betrieben wurde, indem anstelle tion. Wenngleich der Praktiker nicht zu Vertriebene, die ein Fünftel der bundes-

26 zur debatte 2/2017 republikanischen Bevölkerung aus- machten, haben ebenso wie die erheb- lichen Kriegsverluste die Gesellschaft Westdeutschlands wesentlich verändert;

• die faktische Enteignung des ge- samten ostelbischen Großgrundbesitzes veränderte die Sozialstruktur ebenfalls;

• das Ende der gesellschaftlichen und politischen Rolle, die das Militär in der deutschen Geschichte gespielt hatte, be- saß weitreichende politische und gesell- schaftliche Folgen;

• die Einführung der sozialen Markt- wirtschaft und die vorhergehende parti- elle finanzielle Egalisierung, die die Wäh- rungsreform 1948 herbeigeführt hatte, führten zu einer völlig anderen ökono- mischen Ausgangsbasis;

• schließlich veränderte sich das Par- teiensystems durch die Einführung der beiden überkonfessionellen christlichen Volksparteien CDU und CSU und die Marginalisierung und schließlich das Ver- bot extremer Parteien;

• und vor allem: Welche Verfassungs- ordnung hat das Grundgesetz restauriert? Keine.

Lassen Sie mich dazu eine generelle Schlussfolgerung anschließen: Die stän- dige Wiederholung der Behauptung der restaurativen, miefigen Adenauerjahre macht dieses Klischee nicht wahrer. In den 1950er und 1960er Jahren gab es vielmehr Aufbruch als Restauration. Das gilt im übrigen auch für die Kultur, den- ken Sie beispielsweise in der Literatur an außerordentlich kritische Autoren wie Heinrich Böll, Günter Grass, Martin Walser, Siegfried Lenz, Uwe Johnson, Wolfgang Koeppen und viele andere, denken Sie an Zeitschriften wie den „Spiegel“, um nur diese wenigen Bei- spiele zu nennen. Es gibt kaum eine historische Epoche, in der nicht ein Mi- schungsverhältnis zwischen Altem und Neuem besteht. Die realitätsnahe Frage kann nur lauten: Welche Tendenz domi- niert? Neben den strukturellen Bedingun- gen und Kontexten unterschieden sich aber auch wesentliche Inhalte der Ade- nauerschen Politik von den vorherge- henden Perioden deutscher Politik. Gegen traditionellen Nationalismus und Imperialismus setzte Konrad Ade- nauer auf europäische Verständigung. Er beendete konsequent das, was die His- toriker den deutschen „Sonderweg“ nen- nen; dieser deutsche „Sonderweg“ besaß außenpolitische, verfassungs- und gesell- schaftspolitische Komponenten, die al- lesamt nach 1949 beendet wurden. Ge- gen die Konkurrenz, ja die als Erbfeind- schaft titulierte Gegnerschaft mit Frank- reich, setzte er auf Freundschaft und Kooperation mit dem großen Nachbarn im Westen. Gegner einer neutralistischen Foto: akg-images Schaukelpolitik zwischen West und Ost, Ein Bild mit hoher Symbolkraft: und sich – entgegen der vorher getroffe- entschied sich der Bundeskanzler ein- Bundeskanzler Konrad Adenauer stellte nen Vereinbarung – auf den Teppich. deutig für den Westen, ohne aber Versu- am 21. September 1949 der Alliierten Damit dokumentierte er seine Ebenbür- che der Verständigung mit der Sowjet- Hohen Kommission seine Regierung vor tigkeit mit den Hohen Kommission. union zu unterlassen, wie er sie 1955 mit seiner Moskaureise unternahm. An- stelle einer autonomen offensiven oder gar aggressiven Militärmacht setzte er auf eine defensive, in die westliche Ver- teidigungsgemeinschaft eingebundene Bundeswehr. Anstelle einer rein kapita- V. im Elysée-Vertrag vom 22. Januar 1963 die sich engagiert für eine europäische listischen Wirtschaftsordnung unterstütz- gipfelten. Ein Symbol für die engen per- Kooperation der demokratischen Staa- te Adenauer die von Alfred Müller-Ar- Lassen Sie mich einige ausgewählte sönlichen Beziehungen zwischen Kon- ten des Westens einsetzten: Neben Kon- mack und konzipierte Stationen dieser Politik kurz nennen. Von rad Adenauer und Charles de Gaulle war rad Adenauer waren dies Robert Schu- Soziale Marktwirtschaft, wozu nicht al- Beginn seiner Kanzlerschaft setzte Ade- zuvor schon der gemeinsame Besuch der man (1886 – 1963) in Frankreich und lein die Sozialpflichtigkeit des Eigentums nauer auf Aussöhnung mit den bis 1945 Messe in der Kathedrale von Reims ge- Alcide de Gasperi (1881 – 1954) in Itali- sowie weitere sozialpolitische Kompo- verfeindeten Staaten, insbesondere die wesen. Schon in den 1940er Jahren en. Alle drei waren kaum zufällig in nenten gehörten. Er selbst betrieb 1957 Gewinnung deutsch-französischer knüpfte er Kontakte, die an seine Visi- Grenzlanden geboren, Adenauer im die Einführung der dynamischen Rente, Freundschaft. Das war nicht erst seit den on von 1919 anschlossen und die lange Rheinland, Schuman in Luxemburg und die an die Lohn- und Gehaltsentwick- immer engeren Beziehungen so, die sich Kontinuität seiner Frankreichpolitik be- de Gasperi bei Trient. Sie alle waren ih- lung gekoppelt ist. nach der Rückkehr General de Gaulles legen. In den frühen 1950er Jahren wa- ren Nachbarn nicht so fremd, sie alle an die Macht 1958 entwickelten und die ren es in erster Linie drei Staatsmänner, hatten kriegerische Verheerungen zuerst

zur debatte 2/2017 27 den europäischen Nachbarn zunächst auf mehr oder weniger dezidierte Vor- behalte und Widerstände. Und die West- deutschen selbst reagierten in ihrer gro- ßen Mehrheit nach den militärischen Exzessen der NS-Diktatur auf jegliche Form der Wiederbewaffnung allergisch. Adenauer aber sagte einen deutschen Verteidigungsbeitrag aus zwei Gründen zu: In Zeiten des Kalten Krieges zwi- schen West und Ost erschien die mili- tärische Bedrohung durch den sowjeti- schen Militärblock für die westlichen Demokratien, insbesondere das geteilte Deutschland lebensbedrohlich. Die euro- päischen Staaten hatten der Sowjetuni- on keine wirkliche militärische Macht entgegenzusetzen, die Experten waren sich einig, bei einem konventionellen Angriff wäre die Rote Armee innerhalb weniger Tage bis zum Atlantik vorge- drungen. Ohne die USA wäre die Bun- desrepublik und ganz Westeuropa eine leichte Beute gewesen. Sich ohne einen eigenen Beitrag allein auf die amerika- nische Stärke zu verlassen, wäre erstens den Amerikanern kaum zumutbar ge- wesen, zum anderen nicht ohne Risiko. Zwei konkrete Erfahrungen spielten da- für eine wesentliche Rolle. Nach der Währungsreform 1948 hatte die sowje- tische Armee sämtliche Zugangswege von und nach Berlin blockiert und da- mit den Viermächte-Status der Stadt in Frage gestellt. Nur durch die amerikani- sche Luftbrücke, die von Ende Juni 1948 bis Mai 1949 fast ein Jahr lang die drei Westzonen von Berlin aus der Luft ver- sorgte, konnte die Westberliner Bevöl- kerung vor dem Aushungern und der Foto: akg-images Erpressung gerettet werden. Als 1950 Zusätzlich zur Aussöhnung mit dem terpräsident Bulganin zu sehen – ermög- das kommunistische Nordkorea mit Un- Westen versuchte Adenauer auch Einver- lichten die Aufnahme diplomatischer terstützung Rotchinas und der Sowjet- nehmen mit der Sowjetunion herzustel- Beziehungen und die Freilassung deut- union Südkorea angriff, erschien dies len. Sein Besuch 1955 – hier ist er mit scher Kriegsgefangener. als Menetekel für das ebenfalls geteilte Parteichef Chruschtschow (re.) und Minis- Deutschland. Nun erschien es den Ver- antwortlichen im Westen höchste Zeit, für militärische Sicherheit zu sorgen. Anfangs ging es allerdings noch nicht um einen Beitritt der Bundesrepublik zur 1948 gegründeten NATO, sondern um eine europäische Verteidigungsge- zu spüren bekommen – oder auch wie Churchill oder Anthony Eden koope- renden und international akzeptierten meinschaft (EVG) – fast eine Lösung, de Gasperi mehrfach die Nationalität rierte er ebenfalls eng. Partner europäischer und euro-atlanti- die heute wieder diskutiert wird. Doch wechseln müssen. Insofern war die Westorientierung, die scher Politik wurde. Eine bezeichnende scheiterte die EVG, weil in der berühm- Und ebenso wenig zufällig dürfte es Konrad Adenauer betrieb und für die Episode stand am Beginn: Als der gera- ten Nachtsitzung am 30. August 1954 gewesen sein, dass diese drei frühesten Franz Josef Strauß trotz vieler Spannun- de gewählte Bundeskanzler Konrad die Ratifizierung der EVG-Verträge in Gründerväter der europäischen Integra- gen, die die beiden hatten, zu seiner Adenauer am 21. September 1949 den der Assemblée Nationale in Paris schei- tion katholische Staatsmänner waren. stärksten Stütze wurde, ein wertorientier- drei Hohen Kommissaren der USA, terte. Daraufhin wurde als Ersatz der Sie stimmten in ihrem Glauben und ih- ter, mehrschichtiger Prozess, bei dem es Großbritanniens und Frankreichs die Beitritt der Bundesrepublik zur NATO rer politischen Lebenserfahrung überein. zwar auch, jedoch keineswegs nur oder Beglaubigungsurkunde der ersten Bun- gewählt. Auf diese Weise erreichte Ade- Sie konnten sich, was sich besonders im in erster Linie um militärische Westinte- desregierung überreichte, standen diese nauer dann doch noch sein Ziel, die Bun- Briefwechsel zwischen Adenauer und gration ging. Nüchterne Staatsmänner, dort in der Mitte auf dem Teppich, das desrepublik in die westliche Sicherheits- Robert Schuman schön zeigen lässt, jen- die diese drei waren, wussten Adenau- gesamte Bundeskabinett davor. Bei sei- architektur einzubinden. seits der moralischen Verheerungen und er, Schuman und de Gasperi, zu denen ner Erklärung trat Adenauer einen Die Bundesrepublik trat in die inte- des im Krieg aufgepeitschten nationalis- sich als wesentlicher Mitgestalter Jean Schritt vor, stand also ebenfalls auf dem grierte Führungsstruktur der NATO ein, tischen Hasses als gläubige Individuali- Monnet gesellte, wie wichtig wirtschaft- Teppich, demonstrierte dadurch Gleich- verzichtete damit auf ein wesentliches täten schon verständigen als das ihren liche Verflechtungen waren, die allen Be- berechtigung und zugleich Priorität vor Souveränitätsrecht durch ein eigenes, Völkern noch kaum möglich war. Die teiligten nützten. Die materielle Basis seinen Ministern. Das Ganze mochte von der NATO unabhängiges militäri- katholische Kirche war nicht wie die pro- schadete der Europaidee nicht, sondern sches Oberkommando und erhielt 1955 testantische eine Nationalkirche, son- gab ihr die solide Basis. Insofern waren zugleich damit die Souveränität. Mit die- dern per definitionem transnational. die Montanverträge von 1952 und die Die materielle Basis scha- ser scheinbar paradoxen Politik erreich- Adenauer, Schuman, de Gasperi ver- Gründung der Europäischen Wirtschafts- te Adenauer beide Ziele. Dabei ist nicht standen sich als Repräsentanten des gemeinschaft durch die Römischen Ver- dete der Europaidee nicht, zu vergessen, dass der Widerstand in der christlichen Abendlandes. Man hat spä- träge der sechs Staaten vor 60 Jahren sondern gab ihr die solide Bundesrepublik größer war als bei den ter über diese Abendländler, über die die entscheidenden Etappen. Adenauers westlichen Partnern, eine Großdemons- christliche Abendlandideologie gespot- Anweisungen für die vorbereitenden Basis. tration folgte der anderen. Die SPD tet – zu Unrecht wie ich meine, bildete Verhandlungen beweisen, welche ent- als größte Oppositionspartei kämpfte sie doch die fundamentale Wertorientie- scheidende Rolle er für diese Verträge entschieden gegen das gesamte Paket rung, auf der ein humanes Menschenbild, spielte. Ein Scheitern wollte er um kei- eher beiläufig wirken. Tatsächlich aber der Westintegration und akzeptierte es die Menschenrechte, die moderne De- nen Preis zulassen. handelte es sich um einen ebenso be- erst mit der berühmten Rede Herbert mokratie und der Rechtsstaatsgedanke, Für Adenauer bildeten die Römischen zeichnenden wie bedeutsamen Akt sym- Wehners im Deutschen am die Ethik in der Politik in Europa aus- Verträge mit den Deutschland-Verträgen bolischer Politik, hatte sich Adenauer 30. Juni 1960. ruhten. Doch darf der europäische von 1952 bzw. 1955 die nachdrückliche doch zugleich ausbedungen, dass sämt- Konrad Adenauer misstraute der po- Schwerpunkt Adenauers nicht zu der Bestätigung seiner Außen-, Europa und liche Kontakte zu den Hochkommissa- litischen Reife und Vernunft der deut- Fehleinschätzung führen, die angelsäch- Verteidigungspolitik. Ohne sie wäre die ren über ihn liefen. schen Bevölkerung zutiefst. Mit der fes- sische Welt sei ihm gleichgültig gewe- Geschichte der Bundesrepublik, aber Die komplexe Westintegration war ten Einbindung in die demokratische sen. Vielmehr sah er die europäische In- auch die Europas anders verlaufen. Mit härter und steiniger als es im Rückblick Staatenwelt des Westens wollte er zu- tegration und die deutsch-französische diesen Verträgen erlangte die Bundesre- die geradezu zwingende Logik der Ade- gleich innenpolitische Stabilität, außen- Freundschaft in realistischer machtpoli- publik – mit Einschränkungen – die völ- nauerschen Zielsetzung und ihre Reali- politische Souveränität und militärische tischer Einschätzung als komplementär kerrechtliche Souveränität. Noch weni- sierung erscheinen lässt. Die Probleme Sicherheit erreichen. Er vergrößerte da- zur engen deutsch-amerikanischen Ko- ge Jahre zuvor hätte es niemand für mög- begannen mit dem heftig umstrittenen mit jedoch zugleich Schritt für Schritt den operation. Mit Präsident Eisenhower und lich gehalten, dass Deutschland bezie- Aufbau der Bundeswehr. Der deutsche Handlungsspielraum der Bundesrepub- Außenminister John Foster Dulles, aber hungsweise der westliche Teil so kurz Verteidigungsbeitrag ging auf amerika- lik Deutschland. Immer wieder ist jedoch auch in Großbritannien mit Winston nach Kriegsende zu einem konstituie- nische Initiative zurück, stieß jedoch bei die Frage gestellt worden, ob er durch

28 zur debatte 2/2017 die dezidierte Westintegration die Chan- cen auf Wiedervereinigung vermindert oder gar verhindert hat. Seine entschie- densten Gegner wie der frühere CDU- Innenminister, spätere sozialdemokrati- sche Justizminister und Bundespräsident , war dieser Meinung schon, seit er 1952 die neutralistische und pazifistische Gesamtdeutsche Volkspar- tei gegründet hatte. Jenseits persönlicher Animositäten, die Gustav Heinemann, und andere gegenüber Adenauer hegten, lässt sich ins Feld führen, dass die Sowjetuni- on ein neutrales Deutschland eher akzep- tiert hätte. Vielfach sind die Noten Sta- lins vom März 1952 als Exempel ange- führt worden und das noch viele Jahre später 1958 in einer der aufgeregtesten Sitzungen des Deutschen Bundestages. Doch die Fakten zeigen: Der Vorwurf, Adenauer habe diese Verhandlungschan- ce nicht einmal ergriffen, steht auf töner- nen Füßen. Diese Noten waren an die drei Westmächte gerichtet und nicht an die Bundesregierung. Drei Jahre vor der Souveränitätserklärung der Bundesre- publik besaß Adenauer, ob er die Wie- dervereinigung wollte, oder ob nicht, gar keinen eigenen Spielraum. Und selbst nach 1955 war die Bundesrepublik poli- tisch noch lange nicht autonom genug, weil selbst danach die völkerrechtlichen Vorbehalte der Westmächte, die Deutsch- land als Ganzes betrafen, weiterhin in Kraft blieben. Heute wissen wir außer- dem aus sowjetischen Quellen, dass die zeitgenössische Einschätzung Adenau- ers und der westlichen Regierungen zu- traf, derzufolge es sich 1952 um ein tak- tisches Störmanöver Stalins handelte. Foto: akg-images Stalin wollte die Bewaffnung der Bun- In der Spiegelkrise um Verteidigungsmi- desrepublik und ihren Bündnisbeitritt nister Franz Josef Strauß (hier beide auf zur geplanten EVG verhindern. Es gab der Regierungsbank während einer der zu keinem Zeitpunkt in den 1950er und „Spiegel-Debatten“ im Bundestag) 1960er Jahren eine realistische Chance taktierte die Bundesregierung denkbar für eine Wiedervereinigung Deutschlands ungeschickt. als selbständiger demokratischer Staat. Und wer hätte es verantworten können, die Freiheit Westdeutschlands für eine Wiedervereinigung in Form einer kom- munistischen Diktatur zu opfern? Im Übrigen zielt die Frage nach Ade- dieser Erfolg war alles andere als selbst- nauers Haltung zur Wiedervereinigung verständlich, vielmehr mussten zahlrei- auf seine politische Prioritätenskala: Er che, mentale, soziale und materielle Kommende Akademieveranstaltungen teilte prinzipiell die von Eugen Gersten- Probleme gelöst werden. Diese Terminvorschau ist vorläufig. Sie entspricht dem Stand unserer Planungen. Zu maier formulierte Hierarchie „Freiheit, Kurz behandeln möchte ich ein ande- allen Veranstaltungen werden rechtzeitig jeweils gesonderte Einladungen ergehen. Frieden, Einheit“. Die Konsequenz lau- res außerordentlich bedeutsames Ziel Dort, wie auch auf unserer Homepage unter www.kath-akademie-bayern.de finden tete: Adenauer wollte die Wiederverei- Adenauerscher Politik, weil sich darin Sie das verbindliche Datum, den endgültigen Titel sowie nähere Information. nigung, aber er wollte sie in Freiheit und humanitäre, außenpolitische und ge- in einem friedlichen Prozess – ganz so, schichtspolitische Motive verbinden und Veranstaltung in Kooperation mit der Young Professionals wie sie 1990 dank der maßgeblich von diese Politik zugleich einen hohen finan- Deutschen Bischofskonferenz Freitag, 30. Juni 2017 Helmut Kohl betriebenen Politik erreicht ziellen Einsatz erforderte. Hierbei Montag, 29. Mai 2017 Sommer, Sonne, Müßiggang. wurde. Nach Adenauers Überzeugung handelte es sich zum einen um die Wie- Boden-los?! Ein Impuls zum Wochenende war die Teilung Deutschlands eine Fol- dergutmachung für nationalsozialisti- Unterschätzte Herausforderung ge der Spannungen zwischen Ost und sche Verbrechen, die ich lieber als mate- Bodenschutz Reihe: Gedenkjahr 2017 – in Coburg rielle Entschädigung bezeichne, weil Freitag/Samstag, 7./8. Juli 2017 solche Verbrechen nicht wieder gut zu SZ-Forum Gesundheit Menschenbild(er) der Es gab zu keinem Zeitpunkt machen sind. Zum anderen betrifft die- Dienstag, 30. Mai 2017 Reformationszeit se Politik die Verständigung mit Israel. Immuntherapie von Tumoren in den 1950er und 1960er Bereits in seiner ersten Regierungser- Reihe: Gedenkjahr 2017 Jahren eine realistische klärung am 20. September 1949 forder- Young Professionals Montag/Dienstag, 10./11. Juli 2017 te Adenauer neben der Nachsicht für Donnerstag, 22. Juni 2017 Kirchenrecht in Geschichte Chance für eine Wiederver- nicht im strafrechtlichen Sinne schuldi- So hab ich das noch nie gesehen: und Gegenwart Film im Gespräch einigung Deutschlands als ge NS-Mitläufer eine strenge Bestrafung Reihe: 60 Jahre Akademie – selbstständiger demokrati- der wirklich Schuldigen an den Verbre- Sommernacht der Künste im Erzbistum München und Freising chen der NS-Diktatur. 1952 wurde im Dienstag, 27. Juni 2017 Freitag, 14. Juli 2017 scher Staat. Überleitungsvertrag den Alliierten ge- Schöpfung. Musik zu ausgewählten Veranstaltung auf Herrenchiemsee: genüber eine Entschädigungsverpflich- Kunstwerken in der Akademie Zum Verhältnis von Staat und Kirche tung abgegeben. 1953 regelte das Bun- West, also des Kalten Krieges. Die Wie- desergänzungsgesetz zur Entschädigung dervereinigung bekomme ihre Chance, für Opfer nationalsozialistischer Verfol- wenn diese Spannungen abgebaut wür- gung diese Verpflichtung, die 1956 noch- den, so hat er mehrfach betont. mals durch ein rückwirkend bis 1953 Zu den zentralen gesellschaftspoliti- wirkendes umfassenderes Gesetz erwei- schen Anliegen Konrad Adenauers ge- tert wurde. Ergänzungen und Novellie- hörte die Integration der Vertriebenen rungen folgten verschiedentlich, sie er- und Flüchtlinge. Dieser großartige Er- weiterten jeweils den Kreis der An- folg, zu dem viele Gesetze – wie das Las- spruchsberechtigten. Die Veranstaltung am tenausgleichgesetz beitrugen – zählt zu Auf dieser Rechtsgrundlage sowie 7./8. Juli 2017, den großen friedenspolitischen Leistun- weiterer Abkommen mit Israel und Menschenbild(er) der gen der Bundesrepublik Deutschland, Globalverträgen mit zwölf Staaten leis- Reformationszeit, findet obwohl die Integration nicht von heute tete die Bundesrepublik Deutschland in Coburg (unser Bild zeigt auf morgen gelang, sondern zehn bis bis 1988 insgesamt Zahlungen von die Veste Coburg) statt. fünfzehn Jahre in Anspruch nahm. Auch 80,57 Milliarden DM und ging weitere Foto: Wikipedia

zur debatte 2/2017 29 Stephan Höpfinger, Studienleiter der Katholischen Akademie (re.), moderier- te die Fragerunde mit Professor Horst Möller.

Ein Fernsehteam des Bayerischen dessen Frau Sigrid. Sendetermin des Rundfunks zeichnete die Veranstaltung Beitrags in der Reihe „alpha-lógos“ im auf. Autor Claus Singer interviewte Bildungskanal ARD-alpha ist Sonntag, dazu den ehemaligen Geschäftsführer 11. Juni 2017, um 19.15 Uhr. der Akademie Dr. Erich Kaiser und Verpflichtungen von über 22 Milliarden „Wenn ich nur schmutziges Wasser habe, DM bis zur Jahrtausendwende ein. Bis kann ich nicht mit sauberem kochen.“ 1988 wurden über 4,4 Millionen Anträ- Wie Adenauer aber wirklich zur ge auf Entschädigung bearbeitet. Schuldfrage in Deutschland stand, zei- Die Vereinbarung mit Israel wurde gen andere öffentliche Äußerungen, bei- bereits 1952 im Luxemburger Abkom- spielsweise in seiner Kölner Universi- men geschlossen, in dem sich die Bun- tätsrede am 24. März 1946, in der er im desregierung verpflichtete, bis 1965 in übrigen die Vereinigten Staaten von Eu- ers vorgeführt – das konnte nur eine Aus- Photo aus der berüchtigten Bundestags- 14 Jahresraten drei Milliarden DM in ropa forderte: „Aber der Nationalsozia- wahl sein. Aber natürlich muss auch die sitzung spricht Bände: Der Bundeskanz- Form von Warenlieferungen und Dienst- lismus hätte in Deutschland nicht zur Frage gestellt werden: Hat Konrad Ade- ler, neben seinem düster dreinblicken- leistungen zu zahlen. Hinzu kamen Macht kommen können, wenn er nicht nauer trotz seiner unbestreitbaren Grö- den Vizekanzler Erhard sitzend, sieht Eingliederungshilfen in Höhe von 450 in breiten Schichten der Bevölkerung ße denn nicht auch Fehler gemacht? ebenso missmutig auf seinen am Red- Millionen DM für jüdische Opfer, die (ein) vorbereitetes Land für seine Gift- Natürlich hat er, Politiker sind wie alle nerpult stehenden Verteidigungsminis- außerhalb Israels lebten. Adenauers An- saat gefunden hätte“. An kritischer Menschen fehlbar. Adenauer, mit gesun- ter Strauß herab und versteckt sich buch- sehen in Israel war groß, das Photo, das Schärfe kaum zu übertreffen ist sein Brief dem Selbstbewusstsein ausgestattet, teil- stäblich hinter einer bei ihm sonst nur ihm mit dem wichtigsten Gründungs- vom 23. Februar 1946 an Pastor Dr. Bern- te selbst in hohem Alter die Selbstein- vom Bocciaspiel in Caddenabbia be- vater Israels und langjährigem Minister- hard Custodis in Bonn: „Nach meiner schätzung der meisten großen Staats- kannten großen Sonnenbrille. Danach präsidenten David Ben Gurion im New Meinung trägt das deutsche Volk und männer, dass es ohne sie nicht gehe und ließ er Strauß, von dem er genauestens Yorker Waldorf Astoria Hotel am 14. tragen die Bischöfe und der Klerus eine es folglich auch keinen angemessenen informiert worden war, nicht nur im Re- März 1960 zeigt, ging um die Welt. Ben große Schuld an den Vorgängen in den Nachfolger geben könne. In diesem Fall gen stehen, sondern fallen. Nicht etwa, Gurion würdigte ihn nach seinem Aus- Konzentrationslagern. Richtig ist, dass traf sein Verdikt seinen Wirtschaftsmi- weil Adenauer seinen Verteidigungsmi- scheiden aus dem Kanzleramt 1963 ei- nachher vielleicht nicht viel mehr zu nister Ludwig Erhard. Er erkannte des- nister für schuldig hielt, sondern weil er nerseits persönlich, andererseits als gro- machen war. Die Schuld liegt früher.“ sen große wirtschaftspolitische Verdiens- sonst selbst gestürzt worden wäre. Das ßen außergewöhnlich erfolgreichen Volk und Bischöfe seien auf die natio- te durchaus an, doch hielt er ihn nicht war nicht fein, aber ein im politischen Staatsmann: Adenauer sei 1949 Regie- nalsozialistische Agitation eingegangen, für einen richtigen Politiker und miss- Haifischbecken dann doch ein eher nor- rungschef eines zerstörten Landes gewor- man habe sich fast widerstandslos, zum traute seiner atlantischen und gegen- maler Vorgang. den, das bei seinem Ausscheiden als Bun- Teil mit Begeisterung gleichschalten las- über Frankreich kritischen Grundpositi- Tatsächlich waren der Aufbau der deskanzler 1963 eines der stärksten und sen. „Im übrigen hat man aber auch ge- on. Wie sehr Adenauers ihn bekämpfte, Bundesrepublik und die Arbeit der Bun- wichtigsten westlichen Länder geworden wusst – wenn man auch die Vorgänge zeigt drastisch die jüngste Veröffentli- desregierung eine Gemeinschaftsleistung, sei. „Als einer der wenigen Deutschen, nicht in ihrem ganzen Ausmaße gekannt chung seines Sohnes. doch der Bundeskanzler gab unbeirrbar denen ihr katholischer Glaube mehr war hat –, dass die persönliche Freiheit, alle Allerdings hat sich Adenauers Urteil die Richtung vor. Und sehr spät sah so- als Gewohnheit und Routine, lehnte er Rechtsgrundsätze, mit Füßen getreten über die mangelnde politische Eignung gar Adenauer, dass er nicht mehr alles ungleich den meisten seiner Landsleute wurden, dass in den Konzentrationsla- Erhards nach 1963 sehr schnell bestä- selbst machen konnte: Als der inzwi- das schändliche Nazi-Regime ab.“ gern große Grausamkeiten verübt wur- tigt. Trotzdem war die Art von Adenau- schen 89-jährige CDU-Vorsitzende auf In der Regel wird Adenauers Staats- den, dass die Gestapo, unsere SS und zum ers Vorgehen für einen genialen Strate- einem Parteitag seine Rechenschaftsre- sekretär im Kanzleramt Hans Globke Teil auch unsere Truppen in Polen und gen wie ihn äußerst ungeschickt. Auch de hielt, klagte er: Der für das Tagesge- genannt, wenn man Adenauer eine laxe Russland mit beispiellosen Grausamkei- die meisten seiner Parteifreunde sahen schäft vorgesehene Geschäftsführende Haltung in der Personalpolitik attestiert. ten gegen die Zivilbevölkerung vorgin- darin nur den Versuch, am Sessel des Vorsitzende Hermann Josef Dufhues Der außerordentlich effiziente Verwal- gen. Die Judenpogrome 1933 und 1938 Bundeskanzlers buchstäblich kleben zu gäbe seine Düsseldorfer Anwaltskanzlei geschahen in aller Öffentlichkeit. Die bleiben. Das größte Ungeschick legte er nicht auf. Deshalb blieben an ihm, Ade- Geiselmorde in Frankreich wurden von an den Tag, als er 1959 plötzlich die nauer, zu viele Vorsitzendenaufgaben Nach dem Mauerbau in uns offiziell bekannt gegeben. Man kann Nachfolge von Theodor Heuss als Bun- hängen. Er schloss mit der Bemerkung: also wirklich nicht behaupten, dass die despräsident anstrebte – mit der unver- „Und verjessen Se nicht, meine Damen Berlin am 13. August 1961 Öffentlichkeit nicht gewusst habe, dass kennbaren Absicht, Erhard dann nicht und Herren, ich bin schließlich keine verließ Adenauer sein politi- die nationalsozialistische Regierung und zum Kanzler zu ernennen. Dieses schnell 80 mehr!“. die Heeresleitung ständig aus Grundsatz missglückte Spiel verärgerte auch den Was bleibt von Konrad Adenauer: Je- scher Instinkt, als er nicht gegen das Naturrecht, gegen die Haager sonst in wechselseitiger Achtung ver- denfalls nicht seine kleinen Fehler oder in die alte Hauptstadt fuhr, Konvention und gegen die einfachsten bundenen scheidenden Bundespräsiden- seine nicht zimperlichen Wahlkämpfe. Gebote der Menschlichkeit verstießen. ten Heuss, hatte Adenauer doch erklärt, Vielmehr zehren wir noch heute von sei- was ihm viele Parteifreunde, Ich glaube, dass, wenn die Bischöfe alle man könne dieses Amt politischer füh- nen überragenden, seinen singulären darunter Strauß, vorwarfen. miteinander an einem bestimmten Tage ren. Leistungen als Gründervater der bun- öffentlich von den Kanzeln aus dagegen Nach dem Mauerbau in Berlin am desrepublikanischen Demokratie. Er Stellung genommen hätten, sie vieles 13. August 1961 verließ Adenauer sein führte das westliche, das freie Deutsch- tungsjurist Globke war zwar nicht hätten verhindern können. Das ist nicht politischer Instinkt, als er nicht in die land nach den Verheerungen von Dik- NSDAP-Mitglied, hatte jedoch 1935 im geschehen und dafür gibt es keine Ent- alte Hauptstadt fuhr, was ihm viele Par- tatur und Krieg in die zivilisierte Welt Reichsinnenministerium den Auftrag aus- schuldigung.“ teifreunde, darunter Strauß, vorwarfen. zurück und band es wertorientiert in die geführt, einen Kommentar zu den juden- Und in der „Spiegel-Krise“ 1961 taktier- westlich-abendländische Welt ein. Ohne feindlichen Nürnberger Gesetzen zu ver- VI. te er wie die gesamte Union denkbar jeden Zweifel gehört er zu den größten fassen. Und ein unverkennbarer Pragma- ungeschickt, obwohl die Bundesregie- Staatsmännern des 20. Jahrhunderts. „ tismus im Umgang mit politisch nicht Ich habe an zentralen Beispielen die rung, weder er noch Franz Josef Strauß, Unbelasteten gipfelte in Adenauers Satz: Grundzüge der Politik Konrad Adenau- tatsächlich viel zu verbergen hatte. Ein

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