Lokalbaukommission I Denkmalschutz

Denkmalschutz in München 40 Jahre Bayerisches Denkmalschutzgesetz Vorwort

„München leuchtete. Über den fest­ auf der Suche nach dem „typisch lichen Plätzen und weißen Säulen­ Münchnerischen“, so findet man die tempeln, den antikisierenden Zeitzeugen an jeder Ecke und möchte Monu­menten und Barockkirchen, sie nicht missen, denn sie machen den springenden Brunnen, Palästen München aus. Sie gestalten die Stadt und Gartenanlagen der Residenz in baulicher Weise, formen ihr Wesen spannte sich strahlend ein Himmel und geben ihr Charakter, verschaffen von blauer Seide, und ihre breiten ihr Ansehen und Bekanntheit – sie und lichten, umgrünten und wohl­ bringen sie zum Leuchten. Sie sind ein berechneten Perspektiven lagen in Stück Lebensqualität und leisten somit dem Sonnendunst (...).” auch ihren Beitrag zur prosperierenden Thomas Mann (1902) Wirtschaftssituation Münchens. Um- so mehr gilt es, diese Denkmäler zu Befragt man Münchner Bürgerinnen erhalten, zu pflegen und zu schützen, und Bürger oder Touristen aus aller sodass sie auch für die nächsten Gene- Welt, so hat sich dieses Bild von Mün- rationen erhalten bleiben. Nur gemein- chen, wie Thomas Mann es vor über sam kann dieses Ziel erreicht werden. 100 Jahren beschrieben hat, nicht ver- Die Bereitschaft und der Tatendrang ändert: Was sie mit der Stadt assoziie- der Münchnerinnen und Münchner ren, sind vor allem Gebäude und Orte zum Erhalt ihrer Denkmäler wächst mit besonderem Flair und Wert – ge- stetig und führt zu steigendem Einsatz nannt wird das Alte Rathaus, die Feld- und Interesse am gemeinsamen Han- herrnhalle, der mit seinen deln mit den Denkmalbehörden. Die- Sportstätten, der BMW-Komplex ses Bewusstsein und erfreuliche En- und vieles mehr. Was haben all diese gagement kann sich jedoch vor allem Nennungen gemeinsam? Es handelt aufgrund seiner soliden Basis so gut sich um sichtbare Erinnerungen aus entfalten – dem 1973 entstandenen früheren Epochen – es sind Denkmä- Denkmalschutzgesetz. Es ermöglicht ler. Schlendert man durch die Stadt, seit nunmehr 40 Jahren mithilfe seiner Mitstreiter, dass Münchens Gesicht mit all seinen Facetten gewahrt wer- den kann – ob als Denkmal im Boden, als Gebäude selbst oder im Ensemble. Im Zuge des Jubiläums freue ich mich über diesen Trend des Verantwortungs- bewusstseins gegenüber der eigenen Geschichte, Gegenwart und Zukunft seitens der Münchner Bevölkerung. Recht herzlichen Dank an alle beteilig- ten Akteure!

Ihr

Christian Ude Oberbürgermeister der Stadt München 2 Einführung

Nach Pierre Gaxotte (1895 –1982), zügen erkennbar ist. Dieser Trend setzt einem französischen Journalisten und sich auch heute in der prosperierenden Historiker, sind Denkmäler als Lese- Metropole fort: Der Wille und die stetig zeichen der Geschichte zu verstehen. steigende Unterstützung der Bürge- Denk-mal ... was genau versteht man rinnen und Bürger für die Münchner darunter? Denkmäler sowie die zahlreichen Touristen, die jedes Jahr die Stadt und Ein Einblick in den etymologischen vor allem deren bekannte Denkmäler Ursprung des Wortes führt uns zu besichtigen und bestaunen, zeigen die Martin Luther, der in seinen Schriften hohe Wertigkeit des Denkmals. Die als Erster diesen Begriff im heute ge- entgegengebrachte Anerkennung spie- läufigen Kontext verwendet: Das Wort gelt die identitätsstiftende Wirkung von Denkmal als „Gedächtnisstütze“, die Denkmälern für den Menschen wider: Übersetzung des lateinischen Wortes Sie vermitteln den Münchnerinnen und „monumentum“ (von lat. „monere“: Münchnern ebenso wie Besucherinnen sich erinnern, gemahnen) sowie des und Besuchern ein Stück Lebensge- griechischen Wortes „mnemosynon“ fühl und sind prägend für das positive (Gedächtnis). Es zeigt, dass Denkmäler Image der Stadt. als Erinnerungsbilder den Verlauf der Geschichte darstellen und dem Men- Aus diesem Grunde freue ich mich, schen so ihre Wertigkeit aufzeigen und Ihnen diese Broschüre zum 40-jährigen zum Denken anregen. Dabei befinden Jubiläum des Denkmalschutzgesetzes sich Denkmal wie Gedächtnis im stän- (1973 –2013) präsentieren zu dürfen. digen Wandel – sie unterliegen der Der Unteren Denkmalschutzbehörde Eigendynamik ihrer Zeit und Umwelt. und ihren Mitarbeiterinnen und Mit- Aus diesem Grunde erscheint es wich- arbeitern gilt mein besonderer Dank tig, im Sinne des deutschen Historik­ ers an dieser Stelle. Ihrem Engagement Gustav Droysen (1838 –1908) zu un- und ihrer Überzeugungsarbeit ist es terscheiden in Denkmal „aus der Zeit“ zu verdanken, dass das bauliche Erbe und „für die Zeit“ – also eine Balance Münchens bis heute Ausstrahlungs- zwischen Erhalt und Neuem zu schaf- kraft hat. Ebenso gilt mein Dank der fen. Dies erfordert einen nachhaltigen Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Umgang mit dem Vorhandenen, um Landesamt für Denkmalpflege und so das historische Erbe vergangener dem Landesdenkmalrat sowie dem Zeiten angemessen wahren zu können Ehrenamt des Stadtdenkmalpflegers. und über die Generationen hinweg weiter vermitteln zu können. In diesem Ich zähle auch in Zukunft auf die Be- Zuge hilft es, gemeinsam auf der Basis reitschaft von Bauherren, Bürgerinnen grundlegender Vorstellungen und Be- und Bürgern sowie der Politik, sich für grifflichkeiten Denkmäler angemessen die Werte des Denkmalschutzes ein- zu schützen. Mit der am 15. Juni 1973 zusetzen. Der Münchner Weg zeigt: es geschaffenen Grundlage des Denkmal- lohnt sich, gerade auch im Sinne einer schutzgesetzes streben seit nunmehr nachhaltigen Stadtentwicklungsphilo- 40 Jahren öffentlich-rechtliche Träger sophie! und die Öffentlichkeit Hand in Hand für eine nachhaltige Sicherung und Ihre Entwicklung der Denkmäler. Gerade in der Stadt München hat sich gezeigt, wie sehr sich ein zentrales Engage- ment für den Denkmalschutz und die Prof. Dr.(I) Elisabeth Merk Denkmalpflege bezahlt macht. Bereits Stadtbaurätin der Landeshauptstadt 1945 entschied sich der Münchner München Stadtrat bei der zu ca. 70 Prozent zer- störten Altstadt für einen traditionellen Wiederaufbau – was bis heute an den historischen Gebäuden und Straßen-

3 Denkmalschutz in München

4 5 I. Die bauliche Identität der Stadt

Die Münchner Altstadt – ein Spaziergang durch das „Herz der Stadt“ 9 Ein Stadtrundgang mit Ludwig Semmler

Architektur Münchens im 20. und 21. Jahrhundert 14 Dr. Irene Meissner

Stilgeschichte der Münchner Architektur 16 Dr. Irene Meissner

II. Hintergründe und Geschichte

Ein Blick zurück – wie alles begann 19 Gespräch mit Dr. Erich Schosser

„Um ein Bayerisches Denkmalschutzgesetz“ – 40 Jahre danach 22 Prof. Dr. Michael Krautzberger

40 Jahre Bayerisches Denkmalschutzgesetz 24 Prof. Dr. Egon Johannes Greipl

Baudenkmäler der Nachkriegszeit 27 Dr. Harald Gieß

Was wird unter Denkmalschutz gestellt? 28 Dr. Walter Irlinger

Das ABC des Denkmalschutzes 30 Ludwig Semmler

Kurze Geschichte der Denkmalpflege 34 Ludwig Semmler

Begriffe der Denkmalpflege 37 Harald Scharrer

III. Baudenkmäler in München

Münchner Einzelbaudenkmäler im Überblick 39 Harald Scharrer

Zahlen und Fakten 40 Tarek Kreitner

Der Umgang mit den Bauten des Nationalsozialismus 42 Dr. Irene Meissner

Denkmalporträt: Der Olympiapark 45 Monika Mühlenbeck-Krausen

Denkmalporträt: Das Hypo-Haus 48 Gespräch mit Oliver Betz

Der Tod in München – die bayerische Hauptstadt und ihre berühmten Friedhöfe 50 Dr. Claudia Denk und Dr. John Ziesemer

6 Der Ensembleschutz für die historischen Münchner Ortskerne 52 Klaus J. Schulz

Archäologie in München 56 Dr. Christian Behrer

Gartenanlagen und Denkmalschutz: Münchner Gartendenkmäler 58 Harald Scharrer

IV. Denkmalschutz in der Praxis

Albert-Roßhaupter-Straße 1 – ein Schmuckstück der Jahrhundertwende zu neuem Leben erweckt 63 Gespräch zwischen den Projektbeteiligten

Vom Antrag zum denkmalrechtlichen Erlaubnisbescheid 66 Günther Kick

Finanzierung und Zumutbarkeit 68 Dr. Silvo Schaller

Münchner Stadtheimatpflege 69 Gert Goergens

Fassadenwettbewerb – Münchens schönste Fassaden 70 Ludwig Semmler

Preis für Stadtbildpflege – Wettbewerb „Bauen und Sanieren in historischer Umgebung“ 73 Prof. Michael Gaenssler

Kritik an Außenwerbung hat in München Tradition 75 Ludwig Semmler

Der Einfluss des Denkmalschutzes auf Stadtplanung und Baugenehmigungen 76 Gespräch zwischen Susanne Ritter und Cornelius Mager

V. Chancen und Herausforderungen

Das Denkmalschutzgesetz – Chancen für München 81 Stadtbaurätin Prof. Dr.(I) Elisabeth Merk im Gespräch

Endliche Ressourcen: Energiewende und Denkmalpflege 86 Dr. Bernd Vollmar

Graue und sonstige Energien – Potenziale des Bestandes 88 Muck Petzet

Bauten der Wiederaufbauzeit – Plädoyer für ein sorgfältiges Abwägen 90 Alexander Fthenakis

Bürgerschaftliches Engagement – Denkmalpflege als Gemeinschaftsaufgabe 92 Dr. Ilka Backmeister-Collacott

Autorinnen und Autoren 94 Impressum 96

7 Die bauliche Identität der Stadt

8 I. Die bauliche Identität der Stadt

Ein Stadtrundgang mit Ludwig Semmler Die Münchner Altstadt – ein Spaziergang durch das „Herz der Stadt“

Hier am schlägt das sprich- der Sprengung entkommen, die Bohr- wörtliche „Herz der Stadt“, was sich löcher waren 1945 schon gesetzt. Die nicht nur in Gebautem manifestiert, Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt sondern auch in der Atmosphäre da­ riefen eine Spendenaktion ins Leben, rum herum. Alle Menschen, die nach an der sich auch der Bayerische Rund- München kommen, wollen den Platz funk beteiligte. Dieser blendete die zumindest einmal sehen – wie wohl ersten Takte des Volksliedes „Solang’ jeder, der nach Venedig fährt, den der Alte Peter ...“ als Pausenzeichen Markusplatz besucht haben muss. ein und verhalf der Aktion zu Bekannt- Der Marienplatz mit dem Neuen und heit. Wiederaufbauten wie der des Al- dem Alten Rathaus besitzt einen ganz ten Peter, der Mitte der Fünfzigerjahre eigenen Flair, der identitätsstiftend für wieder eingeweiht wurde, machten die ganze Stadt ist. Er ist Teil des Denk- den Menschen Mut, gaben ihnen letzt- malensembles „Altstadt München“, endlich einen Teil ihrer Identität zurück. das eines der wenigen Nachkriegs- ensembles dieser Größenordnung in Deutschland überhaupt darstellt. Unsere Altstadt wurde im Zweiten Weltkrieg zu ca. 70 Prozent zerstört. Der damals angefertigte Schadensplan zeigt die riesigen Verluste an Bausub- stanz auf eindrückliche Weise. Wenige Monate nach Kriegsende legte Stadt- baurat Karl Meitinger ein Konzept zum Wiederaufbau der Stadt vor. Der Plan für „Das neue München“ sah vor, die Stadt in ihrer alten Form wiederaufzu- bauen – unter Berücksichtigung auch der „sinnlichen“ Qualitäten Münchens. Anders als in Städten wie Kassel wurde die Kriegszerstörung nicht als „Chance“ begriffen, etwas ganz Neues zu planen, sondern vielmehr definiert, welche Bauten als stadtbild- prägend angesehen werden können: Wahrzeichen wie das Alte Rathaus, der Dom und der Alte Peter. Auch alte Stadträume und Sichtbezüge wurden in diese Überlegungen mit einbezo- gen. Natürlich gab es um die Art des Wiederaufbaus Diskussionen – gerade in Fachkreisen –, aber letztendlich überwog bei den Münchnerinnen und Münchnern der Wunsch, die alte Stadtphysiognomie zurückzugewinnen. Ihr Herz schlug für die alte Stadt! Ein Beispiel: Der Alte Peter ist nur knapp

Der Münchner Marienplatz

9 und Proportionen im Wiederaufbau blieb die alte städtebauliche Identität erhalten.

Damit einher ging die Wahl der Bau- materialien und der Bautechnik: Statt Stahlbetonskelettbauten, die ein ganz anderes Verhältnis von Wandfläche zu Fensteröffnung ermöglichen, entstan- den in der Regel Ziegelbauten mit ver- putzten Lochfassaden. Der Putz wurde – dies ist typisch für München – häufig (Naturstein imitierend oder figürlich) bemalt. Die wichtigsten Baumaterialien ließen sich in unserer Stadt relativ zügig wiederbeschaffen: Sand und Kies waren reichlich vorhanden und am Stadtrand gab es große Ziegelei- en. Ziegelsichtige Bauten haben hier gleichwohl keine Tradition und blieben auf einige Sonderbauten beschränkt, wie den Dom im Mittelalter oder das Städtische Hochhaus aus den späten Zwanzigerjahren.

Auch die Traufhöhen der neu gebauten Häuser orientierten sich am Vorkriegs- zustand: München besaß bereits im Mittelalter traufständige Häuser. Ne- ben der Trauflinie und der Beibehaltung der Beletage als Überleitung von der Ladenzone in die oberen Geschosse, Das Alte Rathaus die etwas Verbindendes darstellt, ist auch die spezifische Dachlandschaft Ein Wiederaufbau unter wichtig: der obere Abschluss eines Berücksichtigung der Hauses, gleichsam die „fünfte Fassa- städtebaulichen Physiognomie de“. In weiten Teilen erhalten blieben Was man sich heute kaum mehr auch die Baulinien sowie die ursprüng- vorstellen kann, wenn man durch die liche, relativ kleinteilige Parzellierung. Straßen der Innenstadt läuft – und was Nur an einigen Stellen gab es hinsicht- bei der jüngeren Generation mehr und lich der Straßenverläufe und der Ausbil- mehr in Vergessenheit gerät: Wir se- dung von Platzräumen Korrekturen: So hen hier keine Altstadt im Sinne einer wurden die Baulinien auf der dem Rat- über Jahrhunderte gewachsenen Stadt haus unmittelbar gegenüberliegenden vor uns, sondern in weiten Teilen eine Seite um etwa acht Meter nach Süden „neue“ Stadt auf dem alten Grundriss. verschoben. Zum Ausgleich für diesen Monumentalbauten und kulturelle Eingriff durften die neuen Häuser et- Wahrzeichen wurden wiederaufgebaut was höher gebaut werden als ihre Vor- oder rekonstruiert, doch an die Stelle gänger. Eine weitere Veränderung ist komplett zerstörter Gebäude traten im Osten des Platzes zu erkennen: Der Neubauten: keine stilistischen Nachah- Blick auf die Heiliggeistkirche war vom mungen der Vorgängerbauten, sondern Marienplatz durch eine direkt an den Modernes, „aber im Sinne der Altstadt Turm des Alten Rathauses anschlie- – neu und frei gestaltet“. München er- ßende Häuserzeile versperrt. Diese hielt keine „großstädtische“ Prägung, wurde nicht wiederaufgebaut, um die keine „City“ wie Frankfurt am Main. Zufahrt zum Platz zu verbessern. Durch die Wahrung von Dimensionen

10 I. Die bauliche Identität der Stadt

Kunst- und Kulturstadt – Teil eines in der Denkmalliste verzeich- und „Weltstadt mit Herz“ neten Ensembles zu sein, bedeutet Nach dem Krieg sollte München rasch auch, dass Fassadenbeschriftungen wieder zur Kunst- und Kulturstadt und und Werbeanlagen, die das äußere zu einem wichtigen Ziel für den Frem- Erscheinungsbild von Gebäuden maß- denverkehr werden. Angesichts der geblich beeinflussen, mit dem Denk- in Ruinen liegenden Häuser war dies malschutz abzustimmen sind. Dabei ein ambitioniertes Ziel! Meitinger war soll die Werbung der Fassade unterge- davon überzeugt, dass die Verkehrs- ordnet und damit verhindert werden, frage, die im Zusammenhang mit dem dass so etwas wie eine zweite Schicht Wettbewerb zur Neugestaltung des über die Fassade gelegt wird. Am Marienplatzes 1948 geklärt werden Stachus-Rondell wurden die meisten „Ich wünsche mir, dass das sollte, gleichzeitig über die Erhaltung der großen Werbeschriften, die es dort der historischen Stadtstruktur entschei- früher reichlich gab, in den letzten Jah- Altstadtensemble als Herzstück den würde. Er drängte darauf, den ren sukzessive entfernt. Neue Schrift- unserer Stadt erhalten bleibt. Fußgänger- und den Autoverkehr von- züge wären in dieser Größenordnung einander zu trennen. Die Arkaden, die heute – im Interesse des Ensembles – Die im ‚Meitinger-Plan’ fest­ es vor dem Krieg auf allen Seiten des nicht mehr genehmigungsfähig. Marienplatzes gab, wurden zumindest gehaltenen Prinzipien sind in einigen Bereichen – so beispielswei- Moderne Architektur im Dialog wichtig und sollten weiter se auf der Westseite – dazu wiederher- mit einem Baudenkmal gestellt. Gleichzeitig wurden auch viele Einige unserer innerstädtischen Areale tradiert werden.“ der tiefen Häuserblöcke für Fußgänger erhielten im letzten Jahrzehnt eine Ludwig Semmler erschlossen, indem die einstigen neue Prägung, wie beispielsweise die Wirtschaftshöfe zu öffentlichen Durch- Fünf Höfe oder die Hofstatt. Auch die gängen bzw. Passagen verbunden wur- denkmalpflegerisch bedeutenden Teile den. Dies brachte starke Eingriffe im des Alten Hofs (Burg- und Zwinger- Inneren der Häuserblöcke mit sich, die stock), einst das weltliche Zentrum der zum Teil entkernt wurden – nach außen Stadt, wurden instand gesetzt und die jedoch zeigte sich das nur minimal. aus der Wiederaufbauzeit stammen- Der Wiederaufbau war Ende der Sech- den Bereiche überplant. Die Projekte zigerjahre abgeschlossen und zu den folgten dabei recht unterschiedlichen „heiteren“ Olympischen Spielen 1972 Konzepten: Die Neubauten des Pfister- konnte der Welt ein neues, weltstädti­ und des Brunnenstocks zeigen zwar sches München präsentiert werden. eine moderne Architektursprache, Die Neuhauser Straße und andere passen sich jedoch in den historischen Bereiche wurden zu Fußgängerzonen Bestand gut ein – gerade im Hinblick deklariert, und am Marienplatz ent- auf Maßstäblichkeit und Materialität. stand ein großer Kaufhauskomplex, Das Büro Auer+Weber+Assoziierte der die zuvor bewahrte Maßstäblich- erhielt für diesen Beitrag einer zeitge- keit sprengte. Dem Neubau fiel das nössischen Auseinandersetzung mit Roman-Mayr-Haus zum Opfer, das den der „Münchner“ Architektur 2008 den Krieg überstanden hatte, aber aus ei- Preis für Stadtbildpflege. Peter Kulka ner Epoche stammte, die sich damals hingegen verfolgte mit dem Umbau in der Fachwelt keiner Wertschätzung des Lorenzistocks einen anderen An- erfreute. Es entsprach auch der Stim- satz: Indem er die neuen Bauteile als mung der vorolympischen Euphorie, neue Schicht ablesbar machte, suchte etwas völlig Neues, Modernes wagen er eher einen Bruch zum Alten, was zu wollen. Heute steht das Kaufhaus, sich schon in der Materialwahl, den das ein aussagekräftiges Zeugnis die- bedruckten Glasfassaden, manifestiert. ser zukunftsgläubigen Zeit ist, als Teil des Ensembles unter Denkmalschutz.

11 Münchner Fassaden – zur benachbarten Alten Akademie her- gestern und heute stellt. Daneben finden sich Ansätze, Im Stadtbild der Innenstadt herrschen diese Tradition in andere künstlerische flächige Putzfassaden vor, die – ab- Techniken zu überführen wie z. B. hängig von der Entstehungszeit – oft Keramik- oder Steinmosaike. Ein ak- farbig gefasst, bemalt oder stuckiert tuelles Projekt, das sehr gelungen auf wurden. Am Alten Rathaus, an der den spezifisch „münchnerischen Aus- maximilianischen Residenz oder an druck“ Bezug nimmt, ist die 2012 fer- den Bauten in der Ludwigstraße tiggestellte Fassade des Hauses Thea- beispielsweise – allesamt Ziegel- tinerstraße 46 von Deubzer König + bauten – imitieren Quadermalereien Rimmel Architekten. Kleine, im Farb- Natursteinbauten, welche naturgemäß ton der Fassade gehaltene Quadrate eine höhere Wertigkeit besaßen. Das erzeugen eine Textur, die zu lebendigen ehem. Stadtschreiberhaus – eines der Licht- und Schatteneffekten führt. ältesten Gebäude überhaupt – besitzt eine reiche Fassadenverzierung durch Das Ensemble des Wiederaufbaus – Scheinmalereien und figürliche Darstel- Erbe und Herausforderung lungen, die Anfang der Sechzigerjahre Denkmalpflege ist etwas Lebendiges, in Anlehnung an Befunde wiederher- und in jeder Zeit, jeder Generation gestellt wurde. Diese Tradition der werden sich die Bewertungsmaßstäbe durch Malereien gegliederten und leicht verändern. Deshalb erfolgt die ausgezeichneten Fassaden erfreute Unterschutzstellung eines Bauwerks sich in der Wiederaufbauzeit großer frühestens im Abstand von einer Ge- Beliebtheit. Zum Teil verweisen die De- neration. Dann sieht man: Wie hat sich korationen auf Gliederungselemente das Gebäude entwickelt? Steht es der historischen Vorgängerbebauung, exemplarisch für eine bestimmte Epo- so am ehem. Kaufhaus Hettlage, wo che? Die große Herausforderung der eine in Freskotechnik ausgeführte nahen Zukunft wird sein, das Bewusst- architektonische Gliederung Bezüge sein weiter zu schärfen, wie wir mit unserem Ensemble Münchner Altstadt umgehen wollen. Die Fünfziger- und Sechzigerjahre-Gebäude haben in der Öffentlichkeit kein gutes Image und sind in großer Bedrängnis. Die meisten stehen nicht als Einzeldenkmäler unter Schutz, obwohl gerade sie es sind, die das Bild einer „Altstadt“ in unsere heutige Zeit transportiert haben. Hier gilt es Überzeugungsarbeit zu leisten: bei den Architekten, den Bauherren und in der Bevölkerung. Wir sollten gut hinsehen, was wir möglicherweise be- reit sind aufzugeben und was an seine Stelle tritt. Andernfalls riskieren wir, in spätestens 20 Jahren kein Ensemble des Wiederaufbaus mehr zu besitzen. Dieses zu bewahren – als Dokument des sehr spezifischen, „münchneri- schen“ Umgangs mit den Zerstörun- gen des Krieges –, ist eine Aufgabe, für die es sich zu kämpfen lohnt.

Die Alte Akademie in der Neuhauser Straße

12 Am Rindermarkt

Theatinerstraße 46

13 Dr. Irene Meissner Architektur Münchens im 20. und 21. Jahrhundert

Um die Jahrhundertwende lassen fünf Großsiedlungen – Friedenheim, sich in München drei architektonische Neu-Harlaching, Am Walchenseeplatz, Richtungen unterscheiden: Späthis­ Neu-Ramersdorf und Neuhausen – zu- torismus, Heimatstil und Jugendstil. mindest in großen Teilen noch vor der Besonders einflussreich waren die Weltwirtschaftskrise realisiert werden Historisten Gabriel von Seidl und Fried- konnte. Nach der „Machtergreifung“ rich von Thiersch, die mit der Nationalsozialis­ten wurde Mün- (1891), Bayerischem Nationalmuseum chen 1933 zur „Hauptstadt der Kunst“ (1900) und Aufstockung des Rondells und 1935 zur „Hauptstadt der Bewe- am (1902) sowie dem monu- gung“ ernannt. München zählte zu den mentalen (1896) Bauten fünf „Führerstädten“ und sollte monu­ schufen, die bis heute das Stadtbild mental aus- und umgebaut werden. prägen. Den städtebaulichen Charakter Die architektonischen Vorbilder für den bestimmte Theodor Fischer, der nach Stil von nationalsozialistischen Reprä- dem großen Stadterweiterungswettbe- sentationsbauten, die anschließend werb 1892 systematisch Straßenzüge im ganzen Machtgebiet übernommen und Stadteile nach stadträumlichen Be- wurden, lieferte Hitlers Architekt Paul zügen plante. Die von Fischer geschaf- Ludwig Troost mit dem Haus der Deut- fene Staffelbauordnung, die Verdich- schen Kunst und den Parteigebäuden tung und Höhenentwicklung festlegte, am Königplatz. lenkte die Stadtentwicklung bis 1979. Für die schnell wachsende Stadt mit Nach dem Zweiten Weltkrieg ging einer halben Million Einwohner wurde München als einzige Großstadt in ein umfangreiches Bauprogramm mit Deutschland beim Wiederaufbau den Schulen, Kirchen, Bädern, Friedhöfen, Weg einer teilweisen Wiederherstel- Museen und Verwaltungsgebäuden lung der zu zwei Dritteln zerstörten initiiert, und insbesondere die Vertreter Innenstadt. Bereits im August 1945 des Heimatstils, darunter der langjäh- präsentierte der im Amt verbliebene rige Stadtbaurat Hans Grässel sowie Münchner Stadtbaurat Karl Meitinger Karl Hocheder und Theodor Fischer, sein Konzept eines „Wiederauferste- schufen eine aus Ort und Tradition ent- hens“ des alten München, das vorsah, Die Volksschule am Elisabethplatz von Theodor wickelte „münchnerische“ Architektur. die Innenstadt mit einem Verkehrsring Fischer, heute Städtische Berufsschule Der Jugendstil blieb eine Randerschei- zu umziehen, um zwischen alter und nung, allerdings entstanden mit dem neuer Bebauung zu trennen. Dies hatte Atelier Elvira von August Endell sowie zur Folge, dass innerstädtisch vielfach dem Innenraum der Kammerspiele von rekonstruiert wurde, beispielsweise Richard Riemerschmid zwei herausra- die weitgehend zerstörte Wittelsba- gende Werke dieser Richtung. cher-Residenz sowie die Fassaden von Straßenzügen wie der Ludwig- und der Die weitgehende Ablehung moderner Maximilianstraße. Die Rettung der be- Strömungen und ein Beharren auf Tra- reits aufgegebenen Alten Pinakothek ditionen dominierten dann auch nach durch Hans Döllgast, der die „Wunde“ dem Ersten Weltkrieg die Architektur der Kriegszerstörung ablesbar gestal- in München. Das Neue Bauen konnte tete, sowie die von Josef Wiedemann sich nur im Bereich der Reichspost im Inneren neu strukturierte Glypto- entfalten, da diese nicht dem Ge- thek gehören zu den herausragenden nehmigungsverfahren der Münchner Leistungen des Münchner Wiederauf- Baubehörden unterlag. Die unter baus. Eine bewusste Verbindung von Leitung von Robert Vorhoelzer aus Alt und Neu schufen Sep Ruf und Theo Das Postgebäude am Goetheplatz von dem Kontext der Stadt entwickelten Pabst mit dem international gewürdig- Robert Vorhoelzer Postämter am Goetheplatz, in Giesing ten Wiederaufbau der Maxburg, bei und am Harras zählen zu den bedeu- dem sie den erhaltenen Maxburgturm tendsten Leistungen der Moderne. in ein modernes Geschäftszentrum Bemerkenswert ist auch das von der mit Plätzen und Höfen für die Bürger Stadt initiierte soziale Wohnungs- integrierten. Sep Ruf lieferte mit dem bauprogramm, mit dem der Bau von Wohnhochhaus an der Theresienstraße

14 Der Olympiapark mit Olympiastadion von Günter Behnisch und Partner Die Maxburg von Sep Ruf und Theo Pabst

auch ein Leitbild für neues Wohnen, Hochhaus der HypoVereinsbank von das noch heute exemplarisch eine Walther und Bea Betz errichtet. Nach Vorstellung vom geplanten Umbau der diesem Höhenflug entstanden in den Maxvorstadt vermittelt. Die Konzepte folgenden beiden Jahrzehnten nur einer aufgelockerten und durchgrünten noch vereinzelt qualitätvolle Neubau- Stadt kamen am Stadtrand zum Tragen, ten, beispielsweise die Eislaufhalle von wo die Siedlungen Am Hasenbergl, Kurt Ackermann im Olympiapark oder Fürstenried und die Parkstadt Bogen- der Süddeutsche Verlag von Peter C. hausen entstanden. von Seidlein. Mitte der Neunzigerjahre „Ich fände es toll, wenn das öffnete sich die Stadt wieder dezidiert Während der Boomjahre wuchs Mün- neuen Entwicklungen. Es entstanden komplette Museumsviertel chen zum größten Dienstleistungs- bedeutsame Solitäre im Zentrum wie unter Denkmalschutz stehen zentrum der Bundesrepublik und die die Fünf Höfe von Herzog & de Meu- Stadt übte eine enorme Sogkraft aus. ron sowie neue Stadtquartiere wie die würde, denn die Gebäude Zur Linderung der mit der Entwick- Theresienhöhe, der Ackermannbogen lung einhergehenden Wohnungsnot oder die Messestadt Riem; außerdem spiegeln verschiedenste wurde zwischen 1967 und 1982 auf genehmigte die Stadt den Bau von Epochen wider. Außerdem ist der grünen Wiese in Neuperlach eine Hochhäusern am Rande der Kernstadt. Trabantenstadt für 60 000 Menschen Dabei wurden allerdings auch histori- es gut, dass der Olympiapark geschaffen. Durch die Zuteilung der sche Substanz wie beispielsweise der denk­malgeschützt ist, das ist Olympischen Spiele erhielt die Stadt Alte Hof und die Residenzpost sowie einen weiteren wirtschaftlichen und bedeutende Werke der Nachkriegs- mein Lieblingsort zum Frisbee architektonischen Schub. Mit dem Bau moderne, wie die „Alte Chemie“ oder einer U-Bahn und des Mittleren Rings das Verwaltungsgebäude des Süddeut- spielen mit meinem Sohn.“ erfolgte ein bedeutsamer Ausbau der schen Verlags aufgegeben. Der Blick Unternehmer, 47 Jahre Infrastruktur und mit den olympischen auf die Jahrtausendwende zeigt, dass Sportstätten von Günter Behnisch im Zuge der weltweiten Globalisierung und Partner entstand eine Anlage nun auch verstärkt international tätige von internationalem Rang. In diesem Architekturbüros, wie Herzog & de Umfeld wurden einige weitere bedeu- Meuron (Allianz-Arena), Coop Himmel­­ tende Neubauten wie die Bayerische b(l)au (BMW Welt), sauerbruch hutton Rückversicherung von Uwe Kiessler (Sammlung­ Brandhorst) oder Foster + im Tucherpark, die Wohnanlage an Partners (Erweiterung Lenbachhaus), der Genter Straße von Otto Steidle in München bauen. mit Doris und Ralph Thut, das BMW- Hochhaus von Karl Schwanzer und das

15 Dr. Irene Meissner Stilgeschichte der Münchner Architektur

Spätgotik Barock Der Stil des 15. Jahrhunderts, der Zeit Der Barock, etwa von 1600 bis 1750, des ausgehenden Mittelalters, wird beginnt in Rom und entwickelt sich in als Spätgotik bezeichnet. Seine archi- den einzelnen Ländern unterschied- tektonischen Kennzeichen sind reiche lich. Die Stilepoche ist gekennzeichnet Maßwerk- und Gewölbeformen. Sa- durch eine plastisch-organische Auf- kralbauten werden nunmehr häufig als fassung von Raum und Baukörper mit Hallenkirchen ausgeführt. einem Wechselspiel von konkaven und konvexen Architekturformen. Zu den wenigen erhaltenen baulichen Dokumenten in München aus dieser In Bayern entstand am Übergang von Zeit zählen die Frauenkirche (Jörg von Renaissance zum Frühbarock mit der Halsbach, 1468 –1488; 1524/25), die katholischen Jesuitenkirche St. Mi- größte Hallenkirche Süddeutschlands chael (Friedrich Sustris zugeschrieben, und bis heute Wahrzeichen der Stadt, 1583 –1597) der erste große Nachfol- die Salvatorkirche (Lukas Rottaler, gebau der Stammkirche der Jesuiten, 1493/94), der Löwenturm am Rinder- Il Gesù in Rom, ein geistiges Zentrum markt (um 1500?) sowie das Zeughaus der Gegenreformation. Grundrisstyp am St.-Jakobs-Platz (Lukas Rottaler, und Stuckdekor von St. Michael wur- 1491–1493). Auch im Lorenzistock im den zum Vorbild zahlreicher späterer Alten Hof finden sich noch Reste spät- barocker Kirchenbauten. Den Aufstieg mittelalterlicher Architektur. Münchens nach dem Dreißigjährigen Das Antiquarium der Residenz Krieg markiert die barocke Theatinerkir- che (Agostino Barelli, Enrico Zuccalli, Renaissance 1663 –1675; 1669 –1688) in unmittelba- Klassizismus Renaissance, etwa 1420 in Mittelitali- rer Nachbarschaft zur Residenz. Als Gegenbewegung zu Barock und en beginnend, ab 1500 auch nördlich Rokoko entstand zwischen 1780 und der Alpen zu finden, bezeichnet das 1830 der Klassizismus, der durch Neu- Bemühen um eine Wiedergeburt (ital. Rokoko entdeckung und Neubewertung antiker rinascita) der Antike. In der Architektur Das Rokoko entstand um 1730 als Ge­ Kunst sowie einer Hinwendung zu ein- wird die additive Raumvorstellung des genbewegung zum „autoritären“ Stil fachen, klaren, antikisierenden Formen Mittelalters durch eine einheitliche, Ludwigs XIV., der Name leitet sich von gekennzeichnet ist. übergreifende Raumkonzeption abge- rocaille (franz. Grotten- oder Muschel- löst. Das Ideal ist der in sich ruhende werk) ab. Kennzeichen sind Leichtig- Wichtigster Architekt des Klassizis- Zentralbau, Symmetrie und harmoni- keit, Grazie, helle Farben sowie die mus in München war Leo von Klen- sche Proportionen sind vorherrschende S-förmig geschwungene Dekoration. ze. Für seinen Bauherrn, Ludwig I., Prinzipien. Die Amalienburg im Nymphenburger wollte er die Stadt in ein „-Athen“ Schlosspark gilt als eine der vollen- verwandeln. Eine Vorstellung davon Zu den wenigen erhaltenen Bauwerken detsten Schöpfungen des höfischen vermitteln die Gebäude am Königs- der Renaissance in München zählen Rokoko. Das nach François Cuvilliés platz, mit denen die drei antiken das Antiquarium der Residenz (Simon benannte Cuvilliés-Theater ist eines Säulenordnungen vorgeführt werden: Zwitzel, Jacopo Strada, 1569 –1571), der wenigen erhaltenen Hoftheater die „ionische“ (Leo von das Herzog Albrecht V. für die Auf- des 18. Jahrhunderts, die Stadtkirche Klenze, 1816 –1830), der „dorische“ stellung seiner antiken Skulpturen der Gebrüder Asam sowie die Kloster- Torbau der Propyläen (Leo von Klenze, errichten ließ (mit 66 Metern Länge kirche St. Anna im Lehel und St. Mi- 1846 –1862) und ein „korinthisches“ der größte und prächtigste Profanbau chael in Berg am Laim (Johann Michael Ausstellungsgebäude (heute Staatliche der Renaissance nördlich der Alpen Fischer) sind Hauptwerke des süddeut- Antikensammlungen, Georg Friedrich und der erste große deutsche Samm- schen Rokoko. Ziebland, 1838 –1848; ursprünglich von lungsbau), sowie der Arkadenhof Klenze als Apostelkirche geplant). der Alten Münze (Bernhard Zwitzel?, 1563 –1567), errichtet als „Fürstlicher Marstall“, der im Obergeschoss die Kunstkammer Herzog Albrechts beher- bergte.

16 I. Die bauliche Identität der Stadt

Jugendstil Nationalsozialismus Der Jugendstil, zwischen 1890 und Ein Kennzeichen der Architektur im 1910, wendet sich gegen das Aufgrei- Nationalsozialismus (1933 bis 1945) ist fen historischer Stilelemente. Stattdes- eine Gestaltung von Bauaufgaben nach sen wird eine bewegte pflanzliche und Stilen. Beispielsweise wurden NS- geometrische Ornamentik verwendet, Repräsentationsbauten im monumen- die häufig mit der Konstruktion und talen neuklassizistischen Stil (auch als Funktion des Baus verwoben wird. Reduktions- oder Primitiv-Klassizismus Richard Riemerschmids Münchner bezeichnet) errichtet. Kammerspiele (1900/01) zählen zu den schönsten erhaltenen Jugendstilräu- Das (Paul Ludwig men in Deutschland, ebenso sind die Troost, 1933–1937) an der Prinzregen- Wohnbauten Martin Dülfers an der tenstraße und der ehemalige „Führer-“ Franz-Joseph-, Ohm- und Gedonstraße und der Verwaltungsbau (Paul Ludwig herausragende Beispiele für die Über- Troost, 1934–1939) am Königsplatz tragung dekorativer Jugendstilformen sind Beispiele nationalsozialistischer auf die Architektur. Repräsentationsarchitektur, während die Häuser in der NS-Mustersiedlung Ramersdorf (Guido Harbers, 1933/34) Neues Bauen oder in der Ludwig-Siebert-Siedlung Neues Bauen bezeichnet die moderne der Dornier-Werke in Neuaubing (Franz Das Bayerische Nationalmuseum von Gabriel von Seidl Architektur während der Weimarer Ruf, 1938 –1940) mit der heimattümeln­ Republik. Ziel war es, durch Rationali- den „Blut-und-Boden“-Architektur sierung, Typisierung, den Einsatz neuer einen Eindruck nationalsozialistischer Historismus Materialien sowie durch funktionale Siedlungspolitik vermitteln. Mit „Historismus“ werden alle Rich- Innenausstattungen insbesondere im tungen in der Zeit zwischen 1830 und Wohnungsbau eine soziale Form des 1910 bezeichnet, die auf historische Bauens zu etablieren. Nachkriegsarchitektur Stile zurückgreifen. Das Auswählen je Kennzeichen der frühen Nachkriegs­ nach Bauaufgabe aus mehreren Stilen Zu den wenigen Beispielen des Neuen architektur sind leichte, transparente ist dabei typisch. Bauens in München zählen die Post- und oft geschwungene Formen, die als bauten an der Tegernseer Landstraße Gegenstück zur NS-Zeit ein Lebens­ Um München eine historische Dimen- (1928/29), am Goetheplatz (1931/32) gefühl der Unbeschwertheit und sion zu verleihen, ließ Ludwig I. Bauten und am Harras (1931/32) von Robert Leichtigkeit vermitteln sollten. Leichte mit direktem Bezug zu historischen Vorhoelzer und seinen Mitarbeitern, Flug- und Vordächer, gekurvte Balkone, Vorbildern errichten: So ist das Sieges­ die sich trotz ihrer kubischen Erschei- Treppen und Innenausstattungen sind tor (Friedrich von Gärtner, 1843 –1852) nung harmonisch in den Stadtraum ein- charakteristisch. nach dem Vorbild des Konstantinsbo- passen. Auch die Versuchssiedlung des gens, die (Friedrich von Bayerischen Post- und Telegraphen- Herausragende Beispiele sind das Gärtner, 1841–1844) nach der Loggia verbandes an der Arnulfstraße (Robert Wohnhochhaus an der Theresienstraße dei Lanzi, die Allerheiligen-Hofkirche Vorhoelzer, 1928/29) oder die Siedlung (Sep Ruf, 1952/53), die Neue Maxburg (Leo von Klenze, 1826 –1837) nach Neuhausen (Gesamtplanung Hans am Lenbachplatz (Sep Ruf, Theo Pabst, der Cappella Palatina und das Palais Döllgast, 1928 –1930) mit dem soge- 1953 –1957), die Generaldirektion Toerring-Jettenbach (Umbau Leo von nannten Amerikanerblock und dem der Allianz-Versicherungs-AG in der Klenze, 1836 –1839) nach dem Ospeda- Künstlerhof (Uli Seeck) sind Beispiele Königinstraße (Josef Wiedemann, le degli Innocenti entworfen. Gottfried für eine „süddeutsche Moderne“. 1953 –1955) oder die Matthäuskirche von Neureuther schuf die Akademie am Sendlinger-Tor-Platz (Gustav Gsaen- der Bildenden Künste im Neurenais- ger, 1953 –1955). sancestil (1874 –1885), Friedrich von Thiersch den neubarocken Justizpalast (1891–1898), Gabriel von Seidl das aus verschiedenen Stilen zusammenge- setzte Bayerische Nationalmuseum (1894 –1899) und die neuromanische Pfarrkirche St. Anna im Lehel (1887– 1892) sowie Franz von Stuck die neu- klassizistische Villa Stuck (1897/98).

17 Hintergründe und Geschichte

18 II. Hintergründe und Geschichte

Gespräch mit Dr. Erich Schosser Ein Blick zurück – wie alles begann

Anfang der Siebzigerjahre brachte ihn im kulturpolitischen Ausschuss. Ich danach ging das Ganze natürlich noch Dr. Erich Schosser, der 28 Jahre Abge- war damals parlamentarisch noch so an den Haushaltsausschuss, wie jedes ordneter im Bayerischen Landtag war, unerfahren, dass ich nicht wusste, was Gesetz, das Geld kostet. Es gab aber gemeinsam mit Mitstreitern das Bay- dann geschehen würde: Einige Artikel keine Schwierigkeiten mehr, weil die erische Denkmalschutzgesetz auf den wurden noch verabschiedet, dann aber eigene Staatsregierung jetzt ja auch Weg. 30 Jahre lang war er Vorsitzender kam das Ende der Legislaturperiode. dahinterstand. des Landesdenkmalrats, der als wichti- Alles, was zu diesem Zeitpunkt nicht ges Gremium innerhalb des Gesetzes verabschiedet war, verfiel. Ich nehme Verfolgten die beiden Gesetz­ geschaffen wurde und dem er noch rückblickend an, dass ich deshalb entwürfe wesentlich unterschied­ heute als Ehrenvorsitzender angehört. keinen Widerstand bekommen hat- liche Ziele? te – weder von der Fraktion noch von Herr Schosser, Sie gelten als der Staatsregierung. Alle waren sich Schosser: Nein, sie stimmten weit- „Vater des Bayerischen Denkmal- sicher gewesen, dass ich das in dieser gehend überein. Nur einen großen schutzgesetzes“. Wie haben Sie Legislaturperiode ohnehin nicht durch- Unterschied gab es: Der Regierungs- die Zeit vor der Verabschiedung kriegen würde. entwurf sah die Bildung eines Landes- des Gesetzes erlebt? denkmalrates vor, der die Staatsregie- Als ich den Entwurf in der neuen rung in wichtigen Fragen und bei der Erich Schosser: Ich bekam eines Legislaturperiode wieder einbrachte, Festlegung von Denkmalensembles Tages, 1968 war das, einen Anruf geschah etwas Überraschendes: hef- beraten sollte. Ich wurde zum Vorsit- von Prinz Konstantin von Bayern; der tigster Widerstand! Mehrere Minister zenden dieses Denkmalrats gewählt war damals Bundestagsabgeordne- rieten mir, das Projekt sofort zu beer- und blieb dies 30 Jahre lang. Das war ter für die CSU in Bonn und ich sein digen. Der Ministerpräsident selbst meine schönste Tätigkeit im Parlament. Nachfolger im Bayerischen Landtag. trat nie an mich heran und äußerte Nach drei Jahrzehnten habe ich dann Wir kannten uns natürlich sehr gut, sich öffentlich auch nicht dazu, aber aber gesagt: Jetzt muss es ein anderer und er wusste, dass ich für Kultur viel die Staatsregierung insgesamt war der machen! übrig habe. Er bat mich, Kontakt zu Meinung, dass es kein Gesetz geben dem Münchner Architekten Dr. Erwin solle – vor allem im Hinblick auf die Das Landesamt für Denkmalpflege Schleich aufzunehmen, dessen Name Kosten, die nicht genau abzuschätzen unterbreitete dem Landesdenkmalrat mir damals schon ein Begriff war, den waren. Ich zog den Entwurf jedoch Vorschläge für Denkmalensembles und ich aber nicht persönlich kannte. Dieser nicht zurück, sondern warb intensiv da- wir stimmten darüber ab. In dieser Zeit hatte sich in Bayern mit der „Pflege“ für, eineinhalb Jahre lang: durch Vorträ- wurden etwa 900 Denkmalensembles von Baudenkmälern einen Namen ge- ge in der Öffentlichkeit, in Gesprächen in ganz Bayern festgelegt. Wir haben macht, noch bevor es ein Gesetz gab. mit Journalisten und mit einzelnen in dieser Sache hervorragend mit dem Prinz Konstantin sagte, Schleich sei der Kolleginnen und Kollegen in der Frakti- Landesamt zusammengearbeitet. Von Meinung, dass Bayern unbedingt ein on. Innerhalb dieser Zeit wendete sich den über 900 Vorschlägen, die das Amt Denkmalschutzgesetz brauche. Kurze das Blatt, was ich darauf zurückführe, machte, lehnten wir nur vier oder fünf Zeit später traf ich den Architekten im dass in der Presse sehr positiv über die ab. Allen anderen stimmten wir zu, Asam-Schlössl, wo er damals wohnte Initiative berichtet wurde. Auch in der gelegentlich mit kleineren Änderungen. und arbeitete. Im Gespräch wurden wir Fraktion gab es plötzlich Zustimmung. uns sehr schnell einig darüber, dass Also startete ich noch einen Versuch – Damals wussten wir noch nicht genau, man die Idee eines solchen Gesetzes und die Sensation war da: Ich bekam was die Ensembleeigenschaft letztlich weiterverfolgen sollte. Es gab damals eine Mehrheit! bewirken würde, es kristallisierte sich in Deutschland wohlgemerkt noch kein erst im Lauf der Jahre heraus, wie einziges Denkmalschutzgesetz. Das Die Staatsregierung beschloss darauf­ stark sich diese auf die Bautätigkeit in faszinierte mich – und wir haben dann hin, einen eigenen Gesetzentwurf den Städten und Gemeinden auswirk- zusammen einen Entwurf geschrie- vorzulegen, mit dessen Ausarbeitung te. Natürlich nicht bis in jede Kleinigkeit ben. das Kultusministerium beauftragt hinein, aber dennoch muss erheblich wurde. Nach etwa einem halben Jahr Rücksicht genommen werden auf die Wie ging es dann weiter? wurden beide Entwürfe gleichzeitig Umgebung, das Denkmalensemble. Wie wird aus einer solchen dem Parlament übergeben. Eine ein- Unlängst mussten wir uns im Landes- Initiative ein Gesetz? malige Situation: Der Entwurf eines denkmalrat mit den 20 Münchner Dorf- Abgeordneten der Mehrheitspartei kernensembles beschäftigen, also den Schosser: Nach einem halben Jahr und der der eigenen Staatsregierung alten Dorfkernen von Allach, Aubing, trug ich den Entwurf meiner Landtags- wurden zur selben Zeit behandelt. Die Moosach, Ramersdorf, Thalkirchen etc. fraktion vor. Ich stellte einen Antrag SPD arbeitete auch sehr kooperativ Bei 14 dieser Ensembles, die in der und zu meiner eigenen Überraschung mit, allen voran Dr. Jürgen Böddrich, Vergangenheit durch Neubauten stark wurde er akzeptiert, sodass ich Ende damals kulturpolitischer Sprecher der beeinträchtigt wurden, stand zur Dis- 1969 den Gesetzentwurf einreichen SPD – und mein Freund. Anfang 1973 kussion, sie aus der Liste zu streichen. konnte. Im Winter 1969/70 beriet man begannen wir mit den Beratungen, Wir haben unsere Ansicht der Stadt

19 München mitgeteilt, die uns jedoch zu- Das Landesamt habe ihm untersagt, sicherte, dass sie den Dorfensembles auf dem eigenen Grundstück neben in Zukunft noch mehr Aufmerksamkeit dem 200 Jahre alten Bauernhaus ein schenken wird. Die Ensembles, um die neues Haus zu bauen. Ich habe mir es da ging, verblieben also zunächst das angeschaut und mit dem Mann auf der Liste – und im Abstand von ein gesprochen. Wir haben dann einen paar Jahren muss man noch einmal Ortstermin gemacht, bei dem auch genau hinsehen, ob die Zusicherungen Vertreter der Unteren Denkmalschutz- Verbesserungen bewirkt haben. Den behörde und des Landesamts anwe- Dorfkernensembles Thalkirchen und send waren. Schon als wir ins Haus Untermenzing wurde jedoch die Denk- hineingingen, musste ich meinen Kopf mal-Eigenschaft aberkannt. einziehen: Die Decke im Wohnzimmer war nicht viel höher als 1,80 Meter. Ich Wann trat das Gesetz letztendlich fragte den Konservator vom Landes- in Kraft? amt, ob er hier wohnen könne, und der verneinte die Frage ehrlicherweise. Schosser: Das Plenum stimmte Woraufhin ich sagte: Dann ist die Sa- „Mein Wunsch für die Zukunft: dem Gesetzentwurf im Juni 1973 zu, che für mich geklärt. Erteilen Sie die und damit konnte es am 1. Oktober Erlaubnis, dass der Mann bauen kann. Die Frauenkirche hat eine ganz 1973 in Kraft treten. 1975 fand das Und so geschah es dann auch: Neben schlechte Akustik, die jedoch Europäische Denkmalschutzjahr mit dem alten Haus entstand ein neues. dem Motto „Eine Zukunft für unsere durch einen speziellen Putz Vergangenheit“ statt. Der damalige Oder ein anderes Beispiel. Ein Bauer Vorsitzende von Europa Nostra, Lord aus dem Landkreis Weilheim rief mich deutlich verbessert werden Duncan Sandys, bezeichnete in die- an: Er wolle seinen wunderschönen könnte. Leider ist zurzeit kein sem Zusammenhang das Bayerische alten Bundwerkstadel um 30 Zentime- Denkmalschutzgesetz als „Vorbild für ter erhöhen, weil er mit seinen neuen Geld für die Maßnahme da, Europa“. Das war natürlich schon ein Maschinen sonst nicht reinfahren kön- welche diese wunderbare erhebendes Gefühl! ne, er habe jedoch keine Genehmigung dafür erhalten. Auch hier gab es einen Kirche wieder zu einem Besteht das Gesetz noch immer Ortstermin und am Ende war eine so, wie es vor 40 Jahren in Kraft behutsame Veränderung doch mög- Zentrum der Kirchenmusik getreten ist? lich. In diesem Fall hätte wirklich die machen würde.“ wirtschaftliche Existenz des Landwirts Schosser: Grundsätzlich schon, aller- auf dem Spiel gestanden, wäre man Dr. Erich Schosser dings kam es im Lauf der Zeit zu eini- nicht zu einer pragmatischen Lösung gen gravierenden Veränderungen: So gelangt. schaffte der Landtag auf Betreiben des Innenministeriums das Dissensverfah- Worin sehen Sie die große ren ab, das an sich eine vernünftige Herausforderung für die Zukunft? Vorschrift war: Wenn eine Gemeinde und das Landesamt für Denkmalpfle- Schosser: Der Reichtum der bayeri- ge sich über die Denkmaleigenschaft schen Baudenkmäler ist ungeheuer eines Gebäudes nicht einigen konnten, groß, wir besitzen mehr Denkmäler wurde die Regierung des jeweiligen als jedes andere Bundesland: an die Regierungsbezirks angerufen, die dann 112 000 Baudenkmäler und ungefähr quasi schiedsrichterlich die Entschei- 50 000 Bodendenkmäler. Die eigentli- dung traf. Dies geschah ein paarmal che Krux in der Praxis ist das Geld, das pro Jahr, in der Regel wurde aber auf zur Erfüllung des Gesetzesauftrags zur anderem Wege eine Entscheidung her- Verfügung gestellt wird. 1990 war der beigeführt. Höhepunkt der Dotierung im Staats- haushalt erreicht. Der Entschädigungs- Es kam immer mal wieder vor, dass fonds – ein separater Titel, der zu 50 ich als Abgeordneter – also nicht als Prozent vom Staat und zu 50 Prozent Vorsitzender des Landesdenkmalrats – von den bayerischen Gemeinden um Hilfe gebeten wurde, gerade in den gespeist wird – betrug damals 50 Mil- ersten Jahren nach Inkrafttreten des lionen DM, heute 26 Millionen Euro. Gesetzes. Ungefähr 1974 rief mich ein Obwohl die Gemeinden oft in großen Landwirt aus dem Dachauer Land an: Finanznöten stecken, haben sie nie

20 Die vom Krieg zerstörte Allerheiligen-Hofkirche

versucht, diesen Betrag herabzuset- zen. Der dient hauptsächlich für Groß- vorhaben – also Kirchen, Schlösser, Burgen –, die einen Einzelnen überfor- dern und auch den Etat des Landesam- tes sprengen würde. Aber der laufende Etat – wir haben einen Doppelhaushalt – hat sich seit einigen Jahren äußerst negativ entwickelt. Da wurden die Summen für die Titelgruppe 75 (Bau- denkmalpflege) von 25 auf lächerliche 5 Millionen Euro herabgesetzt. Das war ein furchtbarer Schlag gegen die Denkmaleigentümer und die Arbeit des Landesamts für Denkmalpflege. Mittlerweile ist es gelungen, diesen Betrag wieder auf 12 Millionen Euro zu erhöhen. Wir sind aber noch weit weg von den 25 Millionen, die es einmal Die Allerheiligen-Hofkirche heute waren. Ich hoffe sehr, dass das zukünf- tig weiter korrigiert wird: Die Denkmä- ler sind Kulturschätze von unermessli- chem Wert, die dem ganzen Volk gehö- haben mir im Zusammenhang mit den stolz, weil ich es vor dem Abbruch ge- ren und die man nicht zugrunde gehen Dorfkernensembles zugesichert, dass rettet habe. Es gab einen Landtagsbe- lassen darf. Für Privateigentümer sind man aus den in der Vergangenheit schluss zum Abriss der Ruine aus dem die Zuschüsse zum Bauunterhalt ihrer gemachten Fehlern gelernt habe. Ich Jahre 1964. Fachleute, darunter auch Denkmäler unverzichtbar – und wenn bin deshalb sehr zuversichtlich, dass Dr. Schleich, haben mir jedoch versi- es nach mir ginge, müssten diese we- hier in Zukunft sorgfältiger abgewogen chert, dass man sie wieder aufbauen sentlich höher ausfallen. wird. könne. Ich habe daraufhin im Landtag einen Antrag gestellt, den Beschluss Können Sie ein Beispiel nennen, Was wünschen Sie dem von 1964 aufzuheben. Mit knapper bei dem Sie sagen würden: Bayerischen Denkmalschutzgesetz Mehrheit wurde diesem zugestimmt. Da ist in einem der Münchner Denk- zum 40. Geburtstag? Mit unzähligen Leuten habe ich ge- malensembles etwas qualitätvolles sprochen und das hat sich letztendlich Neues entstanden? Schosser: Dass es weiter existiert, ausgezahlt: Von Haushalt zu Haushalt denn ohne dieses Gesetz wären unse- haben wir Gelder gesammelt für den Schosser: Ja, der St.-Jakobs-Platz ist re Denkmäler dem Verfall preisgege- Wiederaufbau der Kirche. Über zehn beispielsweise sehr gut gelungen, ben. Bayern ist – das steht doch schön Jahre hat es gedauert, dann konnte sie darüber kann man sich nur freuen. Ich im Artikel 141 unserer Verfassung – je- 2003 wieder eingeweiht werden. Ein will ja nicht bloß schimpfen, aber vieles doch ein Kulturstaat. Der kann gar nicht wunderbarer und passender Ort also ist eben nicht gut gelungen! Trotz des anders, als seine Kulturgüter zu schüt- für einen Staatsempfang zu diesem Gesetzes wurden immer wieder Fehler zen! Und dazu dient dieses Gesetz in Anlass. gemacht oder Architektur zugelassen, erster Linie. die wirklich nicht passt. Gerade in München war man in der Vergangen- Und ansonsten freue ich mich, dass heit oft zu großzügig mit Baugenehmi- wir in diesem Jahr das 40-jährige gungen in den Ensembles. Ich bin je- Bestehen des Bayerischen Denk- doch der festen Meinung: Da darf man malschutzgesetzes in der Allerhei- nicht großzügig sein, da muss man ligen-Hofkirche feiern konnten. Auf vernünftig sein! Vertreter der Stadt dieses Denkmal bin ich ein bisschen

21 Prof. Dr. Michael Krautzberger „Um ein Bayerisches Denkmalschutz­gesetz“ – 40 Jahre danach 1

1. Die Forderungen nach einem Bayeri- 3. Mitten in dieser Phase begann schen Denkmalschutzgesetz wurden praktisch zeitgleich eine neue Kraft zu vor allem seit Anfang der Siebzigerjah- wirken: re immer deutlicher und gingen über – Die Sensibilität gegenüber Folgen den Kreis der engagierten Denkmal- von urbanen Veränderungen wuchs. pfleger hinaus in eine breitere Öffent- – Es begann ein Nachdenken über die lichkeit. Was waren die Anlässe, die Grenzen des Wachstums, über Gren- Motive, die Ziele? Als am 1. Oktober zen des Machbaren und die Folgewir- 1973 das Bayerische Denkmalschutz- kungen des Wachstums der Städte. gesetz in Kraft getreten ist, befand – Der Deutsche Städtetag führte seine man sich mitten in einer Phase der Jahrestagung 1971 in München unter Neuorientierung der Stadtentwicklung. dem Motto „Rettet unsere Städte jetzt!“ durch. 2. Man muss versuchen, sich in die – Die Umweltpolitik entstand Anfang Zeit zurückzuversetzen: der Siebziger als neuer Politikbereich. – Die enorme Bautätigkeit der Wieder­ – Das 1971 in Kraft getretene Städte­ aufbaujahre nach dem Zweiten bauförderungsgesetz führte obliga­to­- Welt­krieg hatte ihren Höhepunkt risch die Beteiligung der Stadtgesell- überschritten und begann ihr Ende zu schaft an städtischen Erneuerungs- erreichen. maßnahmen ein und die Verpflich- – Die Siedlungen wuchsen immer tung, die möglichen sozialen Folgen weiter ins Umland hinaus. städtischer Maßnahmen in die – Die Neubauten der Nachkriegszeit Planungen einzubeziehen. wurden nach den neuesten techni- schen und hygienischen Maßstäben 4. München war oder empfand sich gebaut. hier durchaus als Vorreiter: Auf der „Generell sollten meiner – Großsiedlungen entstanden und Woge der Vorbereitung auf die Olym- prägten – neben dem „Einfamilien- pischen Sommerspiele 1972 wurden Meinung nach all die Gebäude hausbrei“ – das Bild vieler Städte viele Kräfte für Reformen, für ein Um- und Plätze denkmalgeschützt immer stärker. denken, für integrierte Planungen frei. – Die Altbauten mit Standards aus der – Den Abrissstrategien wurde rasch werden, die das Münchner Vorkriegszeit oder aus der Gründer- Einhalt geboten – vor allem nach dem zeit fielen demgegenüber ab. Aufwachen der Stadtgesellschaft an- Stadtbild prägen.“ – Es öffnete sich immer stärker eine gesichts der intendierten Eingriffe in Programmierer, 37 Jahre Schere zwischen Neu- und Altbau. das Stadtgefüge im Zusammenhang – Lag es da nicht nahe, einen Schnitt mit dem damals geplanten Altstadt- gegenüber der überkommenen Zeit ring und dem offenen Dialog mit der zu machen: „Weg mit dem Gründer- Stadtpolitik.2 zeitplunder, moderne Bauten werden – Die Stadt bekannte sich zum Inne­ nachgefragt“. halten gegenüber dem ungebrems- – Von da war es nur ein kleiner Schritt ten Wachstum.3 zu umfassenden Abrissstrategien – – In einer damals für deutsche Verhält- von vielen positiv bewertet, nicht nur nisse neuen Stadtentwicklungspolitik von Grundbesitzern oder Wohnungs- wurden die Entwicklungen der Stadt gesellschaften, sondern auch von in ökologische, soziale, funktionale, weiten Kreisen der Bevölkerung. kulturelle Zusammenhänge und Ver- – Der Blick auf die Stadt als urbanes netzungen gestellt. Gebilde war in den Eliten noch kei- – Der Flächennutzungsplan von 1967 neswegs ausgeprägt. Die Prioritäten wurde korrigiert: lagen anders. > Ganz im Bann der Nachkriegsphi- losophie sah er für weite Teile des Gebiets innerhalb des Mittleren Rings – mit damals etwa 300 000

22 Maximilianstraße – die Baustelle des Altstadtrings vor dem Durchstich, 1967 Der Altstadtring nach dem Durchstich, 1968

Einwohnern – tendenziell eine führen, bleibt der Altbaubestand und gesamt energetisch angepasst wird. Kerngebietsnutzung vor, also für damit die große Mehrheit der Gebäude Über das Einzelgebäude hinausgehen- zentrale Nutzungen, Gewerbe u. a. hinter diesem Standard zurück. Dieser de energetische Maßnahmen auch für > In dessen Vollzug gingen immer Abstand dürfte sich in diesem Jahr- Bestandsbauten sind aber möglich, Wohnungen, aber auch den neuen zehnt sogar noch vergrößern. Unge- ohne dass deren baukünstlerische Nutzungen im Wege stehende Ge- achtet der Möglichkeiten der energeti- Qualität verloren geht. Darunter sind bäude verloren. schen Sanierung ist es jedenfalls nach Maßnahmen zu verstehen, die ohne jetzigem technischen Stand nicht zu größere Eingriffe in das innere und 5. Und so kam es bald zum Schulter- erreichen, dass der Altbaubestand an äußere Gefüge des Bestandes aus- schluss der Stadtentwicklung mit dem diese Neubaustandards herangeführt kommen (z. B. Heizung, Kellerdecken, Denkmalschutz: werden kann. Könnte dies mittel- und Dächer und Fenster), sowie solche, die – Der Erhalt der gewachsenen Stadt- langfristig zu einer Abwertung dieser einen Gebietsbezug aufweisen: Block- viertel wurde zum Anliegen der Bestände führen, was Attraktivität, heizkraftwerke, Photovoltaik für ein Stadtentwicklungspolitik. Kosten, Vermietbarkeit und generell Areal oder für Freiflächen im Gemein- – J ede Aufgabe und Umnutzung einer Marktfähigkeit betrifft? Und muss degebiet, Fernheizung u. a. Wohnnutzung innerhalb des Mittle- man nicht daran denken, dass unsere ren Rings wurde mit einer Zurück- Gesellschaft Ende der Sechzigerjahre 7. Der Blick zurück auf die vergangenen stellung des Baugesuchs und Verän- angesichts dieser Diskrepanz von Alt- 40 Jahre gibt Zuversicht, dass es eine derungssperren belegt.4 Dies kam bau- und Neubaustandards sehr ernst- emanzipierte, offene Gesellschaft errei- ebenso dem Erhalt der historischen haft über Abrissstrategien nachgedacht chen kann, scheinbar sich widerspre- Bausubstanz zugute. hat, ungeachtet der bauhistorischen chende Ziele zu versöhnen und damit – Die Abkehr von einer Abrissplanung Relevanz? Déjà-vu? Die ehrgeizigen Kli- Stadt, Klimaschutz und historischem hin zu einer Modernisierung der Be- maschutzziele werden nur zu erreichen Erbe gleichermaßen eine Zukunft zu stände5 wurde eingeleitet. sein, wenn der Gebäudebestand ins- geben. – Über den Erhalt des baulichen Erbes bestand – auch vonseiten der Stadt- entwicklungspolitik – Einigkeit. – Die Bestrebungen, dem Erhalt des 1 Um ein Bayerisches Denkmalschutzgesetz, in: Bauwelt 63, H. 40, S. 1518–1520 – mit Debold- baukulturellen Erbes durch ein Denk- Kritter, Dehio, Diruf u. a. (Kunsthistorisches Institut der Universität München). malschutzgesetz eigene Kompetenz 2 und Kraft zu geben, wurden unter- Nach der Untertunnelung des Prinz-Carl-Palais und Abrissen im Lehel wurde diese Planung aufgegeben. stützt. 3 Die Veröffentlichung des Club of Rome zu den „Grenzen des Wachstums“ wurde in Form von Stadtratsvorlagen für München in Strategien der Stadtentwicklung umgesetzt. Dass sich ein 6. Und heute, im Zeichen des Klima­ Stadtrat solchen Aufgaben stellte, war sicher nur möglich, weil eine ergebnisoffene, an Wissen- schutzes? Kann eine Allianz von Denk- schaft und Forschung interessierte Stadtspitze danach drängte: der Oberbürgermeister malschutz und Stadtentwicklung wie- Dr. Hans-Jochen Vogel und sein Stadtentwicklungsreferent Dr. Hubert Abreß. der neue Bedeutung erlangen? Wäh- 4 Daraus wurde dann der sog. Rosa-Zonen-Plan entwickelt, der diese Schutzzonen für den rend die energetischen Anforderungen Gebäudebestand bezeichnete. an den Neubau seit Jahren steigen und 5 Der Stadtrat hatte noch 1972 – einstimmig – für die Einführung einer Politik der Wohnungs­ bereits zu „Passiv-“ und „Nullenergie-“ modernisierung votiert, viele Jahre vor dem Beginn der Wohnungsmodernisierungspolitik oder sogar zu „Plusenergiehäusern“ z.B. auch beim Bund.

23 Prof. Dr. Egon Johannes Greipl 40 Jahre Bayerisches Denkmalschutzgesetz

Das schärfste Denkmalschutzgesetz, Schutzbedürftigkeit der Natur und der das jemals ein bayerischer Beamter historischen Bauwerke und Stadtbilder entworfen hat, war das Denkmal- ab. Symptomatisch hierfür waren öko- schutzgesetz für das Königreich Grie- logisch orientierte Bürgerinitiativen und chenland von 1834. Alles, was man Publikationen. So beklagte Alexander sich nur wünschen kann, war darin von Mitscherlich die „Unwirtlichkeit enthalten: Anzeigepflicht, Ausfuhr- unserer Städte“. Sie würden bei so­ verbot und Vorkaufsrecht des Staates genannten Altstadtsanierungen im Zei- bei Altertumsfunden, Anzeigepflicht chen des Fortschritts und der autoge- bei Einsturzgefahr, Ersatzvornahme rechten Stadt ihrer charakteristischen durch den Staat und Enteignung nach- Eigenheiten beraubt, und Rudolf Keller lässiger Denkmaleigentümer, Verbot geißelte das Bauen als Umweltzerstö- eigenmächtiger Restaurierungen und rung, das – bedingt durch das zuneh- Ausgrabungen. Zu dieser Zeit beruhte mende Pendlertum – zur Betonierung in Bayern selbst der Denkmalschutz der Landschaft und zur Auslöschung auf einigen Verordnungen, bezog sich bzw. Urbanisierung der Dörfer führe. in der Regel nur auf Gebäude im öf- Das Bayerische Denkmalschutzgesetz fentlichen Eigentum und im Eigentum von 1973 war Ausdruck dieses Paradig- „Die Neue Maxburg, die in den von Stiftungen oder resultierte aus der menwechsels und sollte den kritisier- staatlichen Stiftungsaufsicht, insbeson- ten Auswüchsen Einhalt gebieten. Fünfzigerjahren mitten in der dere über die Kirchenstiftungen. Nach zerbombten Stadt entstanden mehreren erfolglosen Ansätzen seit Das Bayerische Denkmalschutzgesetz dem Beginn des 20. Jahrhunderts kam wurde ab 1970 von Abgeordneten ist, ist für mich ein ganz bemer- es erst 1973 zur Verabschiedung eines der CSU unter der Führung von Erich eigentlichen Denkmalschutz­gesetzes. Schosser mit größtem Nachdruck kenswerter, geradezu zeitloser In erstaunlicher Konsequenz war der vorangetrieben. Auch die Oppositions­ Bau. Von dieser Zerstörungs­ bayerische Staat bis dahin dem öffent- parteien und der Landesverein für lichen und parlamentarischen Druck Heimatpflege erarbeiteten eigene geschichte erzählt noch heute ausgewichen, im Wesentlichen aus Entwürfe, aus denen einzelne Ele- der hohe, frei stehende Turm, zwei Gründen: Er schreckte vor dem mente schließlich in einen Entwurf der Eingriff in die Rechte des Privateigen- Staatsregierung einflossen. Das Ge- den die Architekten vom tums zurück, und er scheute die aus setz verdankt sein Zustandekommen einem Denkmalschutz resultierenden damit einer breiten politischen und Vorgängerbau erhalten haben.“ finanziellen Folgen für den Fiskus. gesellschaftlichen Koalition, konnte Oliver Betz aber seinen Kompromisscharakter Dass das Denkmalschutzgesetz gera- nicht verleugnen. Erich Schosser mein- de 1973 in Kraft trat, war kein Zufall. In te dazu in seiner Parlamentsrede vom den Jahren des Wiederaufbaus hatten 7. Juni 1973: „(…) fast alle Gesetze die Modernisierung der Industrie und sind unvollkommen, wenn sie mit das wirtschaftliche Wachstum im Vor- dem Maßstab des Idealen gemessen dergrund gestanden. Das Erschrecken werden (…). Es ist mir lieber, ich habe darüber, was nach den Verheerungen wenigstens dieses Gesetz (…). Uns ist des Krieges eine schrankenlose wirt- dieses unvollkommene Gesetz doch schaftliche Dynamik vor allem in den immer noch lieber als gar keins.“ Und Städten angerichtet hatte, verlieh Staatsminister Maier bekannte: „Wir denjenigen gesellschaftlichen Kräften stehen hier vor dem Dilemma, entwe- Auftrieb, die einen gesetzlichen Schutz der ein in der Papierform optimales der Werte und Güter der Umwelt, auch Gesetz zu machen, das aber nicht prak- der gebauten Umwelt, einforderten. tikabel ist, oder aber ein praktikables Seit den späten Sechzigerjahren zeich- Gesetz, von dem ich sehr gern beken- nete sich im Zuge der Diskussion um ne, daß es nicht optimal ist.“ die Grenzen des Wachstums eine zu- nehmende Sensibilität in Bezug auf die

24 Der Max-Joseph-Platz mit dem Nationaltheater um 1860 … … und heute

Das Bayerische Denkmalschutzgesetz Das Denkmalschutzgesetz hat in sei- derungsverboten zu beschreiten. Ganz beschränkt sich in der Hauptsache nem Art. 2 dem Landesamt für Denk- untauglich ist das Denkmalschutzge- darauf, ein Verwaltungsverfahren zu malpflege die Erfassung der Denkmä- setz, um der grassierenden Nutzung regeln. Seine Wirksamkeit hinsichtlich ler als seine vornehmste Aufgabe über- der – in ihrer eigentlichen Bedeutung des tatsächlichen Erhalts von einzelnen tragen. Seit 2006 arbeitet die Fach- oft gar nicht mehr verstandenen und baulichen Anlagen, Ensembles, Orts- behörde mit größter Energie daran, gewürdigten – historischen Straßen- bildern, Bodendenkmälern, Kulturland- das Verzeichnis der 112 000 Bau- und und Platzräume als billig möblierte schaften und beweglichem Kulturgut Kunstdenkmäler und 50 000 Boden- Eventkulissen oder Kommerzflächen hängt maßgeblich davon ab, wie das denkmäler (Bayerische Denkmalliste) entgegenzutreten. Präzedenzfall folgt im Gesetz beschriebene System, wirklich zu erfassen, die Denkmaldaten auf Präzedenzfall. Die Nutzung des Kö- das auf dem Zusammenwirken der transparent und vor allem tagesaktuell nigsplatzes, des Wittelsbacherplatzes, Denkmaleigentümer, der Kommunen, für alle Bürgerinnen und Bürger zur des Max-Joseph-Platzes und der Lud- der Unteren Denkmalschutzbehörden Verfügung zu stellen und das im Ge- wigstraße in München sind extreme bei den Kreisverwaltungen und dem setz vorgesehene Benehmen mit den Beispiele. Landesamt für Denkmalpflege beruht, jeweiligen Kommunen herzustellen. tatsächlich funktioniert. Hier sind ganz Gerade bei den ländlichen Kommunen Zurück in das Jahr 1973: In der Öffent- erhebliche Zweifel angebracht: Der ist es trotz aller Vermittlungsanstren- lichkeit stieß das Denkmalschutzgesetz Rückhalt, den der Denkmalschutz bei gungen unerwartet schwierig, die im auf geteilte Begeisterung. Groß waren den Kommunen genießt, ist bei Wei- Denkmalschutzgesetz doch vorgege- die Besorgnisse wegen der allseits tem nicht so ausgeprägt, wie es die bene Akzeptanz, insbesondere für den erwarteten und gefürchteten finanziel- Bayerische Verfassung vorsieht. Vor Schutz der Bodendenkmäler, zu finden. len Belastungen und Einschränkungen allem aber haben sich im Lauf von 40 Der Anspruch, der Rang, die Bedeu- für Privatleute und Kommunen. Um Jahren insbesondere die Verhältnisse tung und die Vorteile dieses internatio- den ablehnenden Vorurteilen entge- bei den Unteren Denkmalschutzbehör- nal beachteten Vorzeigeprojekts einer genzuwirken, sollte eine umfangreiche den sehr differenziert entwickelt. Nicht Denkmalerfassung auf der Höhe der Öffentlichkeitsarbeit zu einem breiten selten ist die Fachkompetenz eines Zeit (BayernViewer-denkmal) sind in Verständnis für die Anliegen von Denk- Kreisbaumeisters geschwächt oder der Fläche immer noch nicht so recht malschutz und Denkmalpflege führen. sogar entfallen, vielfach auch durch erkannt. Wie fragil auch der politische Rückhalt reine Verwaltungskompetenz ersetzt. für das Denkmalschutzgesetz in Wirk- In Verbindung mit den inzwischen Der Denkmalschutz und sein Gesetz lichkeit war, zeigte sich in den Novellie- erheblich erweiterten kommunalen werden gelegentlich – und dann gerne rungen, die das Denkmalschutzgesetz Zuständigkeiten im Planungsrecht und – instrumentalisiert. Man sagt, es gehe zunehmend stumpfer werden ließen. den Deregulierungen im Bauordnungs- um das historische Erbe und meint 1977 stellte sich vor dem Hintergrund recht ist es im Vergleich zu 1973 immer Nachbarschaftsinteressen. Manche der Schwäche der öffentlichen Finan- schwieriger geworden, den denkmal- Kommune sucht mit dem Instrument zen der Abgeordnete und spätere Mi- fachlichen Belangen zur Geltung zu des staatlichen Denkmalschutzgeset- nisterpräsident Edmund Stoiber an die verhelfen. zes Ziele der Stadtentwicklung oder Spitze der Gegner des Denkmalschut- der Stadtbildpflege durchzusetzen, zes, die insbesondere dem Lager der statt den mühsamen, aber richtigen Kommunen entstammten. Weg von kommunalen Gestaltungssat- zungen, Altstadtsatzungen oder Verän-

25 Die Kritik am Denkmalschutzgesetz Landesamt für Denkmalpflege konnte Was hat das Denkmalschutzgesetz und die immer lauter werdenden Rufe sich zur Novelle öffentlich nicht äußern. gebracht? Hat es den Verlust der Denk- nach dessen Beschneidung signalisier- Die Auswirkungen dieser Gesetzesän- mäler wenigstens verlangsamt? Hat es ten nicht zuletzt den Konflikt zwischen derung wurden 1994 vollkommen un- das restlose Verschwinden der Haus- einer Politikergeneration, die ein auf terschätzt und traten erst im Zuge der landschaften verhindert? Hat es Stra- eine starke Bürokratie gestütztes und Nachqualifizierung und Revision der ßen-, Orts- und Kulturlandschaftsbilder sich in vielen Feldern entfaltendes Denkmalliste ab 2006 erschreckend zu bewahrt, die sonst verloren gegangen staatliches Handeln und Gestalten Tage. wären? Leistet es einen Beitrag dazu, wollte, und jener anderen, die schon die negativen Auswirkungen einer viel damals gerne von Entstaatlichung 2006 schließlich geriet das Bayerische zu wenig gesteuerten Energiewende sprach. Nicht zufällig war mit der Ent- Denkmalschutzgesetz in die Gefahr, auf unsere Orts- und Landschaftsbilder staatlichung das Thema des ersten vollkommen entwertet zu werden. zu begrenzen? Wie sähe Bayern heute Heftes einer neuen Schriftenreihe der Dem Bayerischen Landtag lag ein aus, wenn es nicht seit 40 Jahren das CSU-Landtagsfraktion gefunden. Ab- Gesetzentwurf zur Erweiterung und Denkmalschutzgesetz gäbe? Es wäre geordnete der neuen Generation wie Erprobung von Handlungsspielräumen alles noch viel schlimmer, wird man- Edmund Stoiber, Kurt Faltlhauser oder der Kommunen vor. Hinter diesem Ent- cher sagen. Aber wie schlimm? Um Georg von Waldenfels, welche damals wurf verbarg sich unter anderem, es genau zu wissen, müsste man ein die Entstaatlichung propagierten und zunächst räumlich und zeitlich be- Prophet sein, der die Vergangenheit sich mit diesem Thema profilierten, schränkt, das Vorhaben, dass die voraussagt. Und den gibt es nicht. befanden sich einige Jahre später in Einschaltung des Bayerischen Landes- Schlüsselstellungen des Kabinetts. amts für Denkmalpflege im Ermessen Was wir aber wissen ist, dass gegen- der Vollzugsbehörden liegen sollte. wärtig mehr als 3000 Baudenkmäler Das Bayerische Denkmalschutzgesetz Offen blieb, wer die Auswirkungen in Bayern leer stehen und in ihrem vom 25. Juni 1973 hat bis Juli 2013 der Gesetzesänderung nach Ablauf Bestand gefährdet sind. Um hier eine insgesamt 14 Änderungen erfahren. der Probephase bewerten und wel- Perspektive zu schaffen, ist ein res- Diese Änderungen reichen von redak- ches Verfahren dabei zur Anwendung sortübergreifender strukturpolitischer tionellen Korrekturen bis zu massiven kommen sollte. Praktisch hätte diese Ansatz nötig, und es sind öffentliche Eingriffen in die Gesetzessystematik Gesetzesänderung zur Ausschaltung Finanzmittel im hohen dreistelligen und in den Vollzug. Trotz der zahlrei- des Bayerischen Landesamtes für Millionenbereich erforderlich. Dass ein chen Überarbeitungen kam es kaum zu Denkmalpflege aus der flächendecken- Gesetz hier nicht wirklich weiterhilft, positiven Ergänzungen im Sinne eines den Betreuung des archäologischen wusste schon der Königliche Kultusmi- effizienten Denkmalschutzes. Das Bay- und baulichen Erbes in Bayern geführt. nister Anton von Wehner, als er zum erische Denkmalschutzgesetz verlor Das Bayerische Denkmalschutzgesetz, Entwurf eines – schließlich gescheiter- 1994 entscheidend an Kraft, als der einst als vorbildlich in Europa geprie- ten – Bayerischen Denkmalschutzge- Devolutiveffekt entfiel und das Einver- sen, wäre das Papier nicht mehr wert setzes in der Kammer der Abgeordne- nehmen zwischen Unteren Denkmal- gewesen, auf dem es gedruckt ist. In ten am 4. Juli 1904 erklärte: „Wichtiger schutzbehörden und dem Bayerischen der Anhörung vor dem Ausschuss für als gesetzliche Bestimmungen sind Landesamt für Denkmalpflege als Hochschule, Bildung und Kultur am für die Erhaltung der Kunstdenkmäler Fachbehörde nicht mehr hergestellt 11. Oktober 2006 kam deutlich zum große Mittel.“ werden musste. Die Novelle versteck- Ausdruck, dass diese Gesetzesände- te sich in einem Gesetzentwurf zur rung für den Denkmalschutz und die Vereinfachung und Beschleunigung Denkmalpflege in Bayern insgesamt bau- und wasserrechtlicher Verfah- fatale Folgen haben und die Verluste ren. Ihre grundsätzliche Problematik des baulichen und archäologischen kam aber deutlich zur Sprache, als Erbes völlig außer Kontrolle geraten der SPD-Abgeordnete Großer in der würden. Auf Initiative des Vorsitzenden Plenarsitzung des Bayerischen Land- des Landesdenkmalrats, des Landtags- tags am 9. März 1994 empört ausrief: abgeordneten und späteren Kultusmi- „Meine Kolleginnen und Kollegen der nisters Ludwig Spaenle, beschloss die CSU, zum Ende der parlamentarischen CSU-Fraktion am 8. November 2006 Tätigkeit unseres Kollegen Dr. Schos- mit überwältigender Mehrheit, dem ser, den ich als Vater dieses Gesetzes Gesetzentwurf der Staatsregierung betrachte, fügen Sie ihm hier eine nicht zuzustimmen. Dieser ganz unge- solche Demütigung zu, wenn Sie hier wöhnliche Vorgang war eines der ers­ zu einer Entmachtung des Landesamts ten Anzeichen für das bevorstehende für Denkmalpflege beitragen (…). Statt Ende der Ära Stoiber. dem Votum des Kulturpolitischen Aus- schusses (…) zu folgen, wählen Sie die Konfrontation (…).“ Das Bayerische

26 II. Hintergründe und Geschichte

Dr. Harald Gieß Baudenkmäler der Nachkriegszeit

In München gab es – wie in anderen in der deutschen Architektur zu zeit- Städten auch – nach den kriegsbeding- genössischen Formen und Materialien ten Zerstörungen einen erheblichen werden diese großartigen Bauleistun- Bedarf an Neubauten. Dabei lassen gen heute ganz selbstverständlich in sich für München zwei unterschiedli- ihrem Zeugniswert für die damalige che Vorgehensweisen erkennen. Zum Zeit erkannt und sind demzufolge auch „Mir fallen natürlich viele einen wurden – dem Wunsch nach als Einzelbaudenkmäler in der Denk- Wiederherstellung des historisch ge- malliste verzeichnet. Aber nicht nur in Bauten ein, die ich gerne wachsenen Stadtbildes geschuldet der Außenerscheinung experimentier- erhalten würde. Einer davon ist – viele der großen Leitbauten im Stadt- ten die Architekten mit den so lange bild, die Kirchen etwa, die Residenz, nicht gewollten modernen Formen und das elegante Vordach vor dem das Rathaus und wichtige Adelspalais, Ansätzen. Die große Treppenhalle im rekonstruierend wieder aufgebaut. Querbau zum Lenbachplatz kann hier Hauptbahnhof – ein vermeint- Daneben lassen sich aber auch spek- als großartiges Beispiel dienen. Neben lich unscheinbarer Bau, der takuläre, damals moderne Neubauten der Neuen Maxburg entstanden auch finden. Nach der vom internationalen andere, damals ebenfalls als modern aber ganz viel vom Geist der Baugeschehen weitgehend abgekop- empfundene Großbauten, wie etwa Fünfzigerjahre ausdrückt.“ pelten Architekturentwicklung während das Deutsche Patent- und Markenamt der zwölf dunklen Jahre der nationalso- von Franz Hart an der Zweibrückenstra- Prof. Dr.(I) Elisabeth Merk zialistischen Gewaltherrschaft bestand ße oder die neue Mat­thäuskirche in bei den Architekten ein besonderes den Nußbaumanlagen gegenüber dem Interesse, an die in Deutschland da- Sendlinger-Tor-Platz, eine kongeniale mals kaum wahrgenommenen inter- Leistung von Gustav Gsaenger. nationalen Strömungen des Bauens in den Dreißiger- und Vierzigerjahren anzuknüpfen, das zwangsweise Ver- Neue Maxburg, Blick in die große Treppenhalle säumte nun gleichsam nachzuholen und für die Entwicklung zeitgemäßer Bauten fruchtbar zu machen. Eines der prominentesten Beispiele hierfür ist die Neue Maxburg. Nachdem der aus dem späten 16. und 17. Jahrhundert stammende Bau im Krieg zerstört wor- den war, konzipierten Theo Pabst und Sep Ruf ab 1954 eine Gesamtanlage mit damals modernen Materialien. Weitgehend aufgeglaste Fassaden umhüllen die streng als Rasterskelette errichteten Baukörper, und die extrem schmal ausgebildeten Kanten der weit vorgezogenen Flug­dächer zitieren ame- rikanische Vorbilder aus den Dreißiger- jahren. Die Maxburg in München darf dabei zu Recht als Musterbeispiel für einen pro­grammatischen Ansatz inner- halb der deutschen Nachkriegsarchitek- tur angesprochen werden (Uli Walter). Mit den grünen, an den Ecken offenen Höfen, den Ladenzeilen im Erdge- schoss und der modernen Grund- haltung bot sie ein Beispiel für das damals als modern und zeitgenössisch empfundene Bauen, auch wenn die Gesellschaft daneben die Wiederauf- bauleistungen zur Wiedergewinnung der historischen Großbauten durchaus ebenfalls schätzte. Vor dem Hinter- grund der damals nach dem Krieg schubartig durchlaufenen Entwicklung

27 Dr. Walter Irlinger Was wird unter Denkmalschutz gestellt?

Mit aktuell 6882 Baudenkmälern, 76 Je besser das archäologische und Ensembles und 364 Bodendenkmälern bauliche Erbe bekannt ist, desto bes- zählt die Landeshauptstadt München ser wird es sich erhalten lassen. Aus zu den denkmalreichsten Städten Bay- diesem Grund ist die Denkmalerfas- erns. Hinter diesen Zahlen verbergen sung und Denkmalforschung eine der sich eine erstaunliche Vielfalt und zeitli- wichtigsten Aufgaben des Bayerischen che Tiefe der Objekte. Für alle trifft Landesamtes für Denkmalpflege. Art. 1. Abs. 1 des Denkmalschutzge- Die aus dieser Aufgabe resultierende setzes zu: „Denkmäler sind von Men- Bayerische Denkmalliste bildet die „Es ist schön, dass mein schen geschaffene Sachen oder Teile Grundlage jeder praktischen Denk- davon aus vergangener Zeit, deren malpflege, jeder Instandsetzung und Lieblingsplatz, der Königsplatz, Erhaltung wegen ihrer geschichtlichen, Restaurierung. Entscheidend ist dabei, dank des Denkmalschutzes künstlerischen, städtebaulichen, wis- dass ein Objekt die oben genannten senschaftlichen oder volkskundlichen Kriterien nach Art. 1 DSchG erfüllt. Es für die nächsten Generationen Bedeutung im Interesse der Allgemein- wird damit zum Denkmal, auch wenn heit liegt“. es noch nicht in einer Liste gesondert bewahrt wird, denn er spiegelt verzeichnet ist. für mich das historische Stadt- Man könnte es auch so umschreiben: Es gibt unter den Denkmälern Mün- Das Unsichtbare umschreiben in bild wider.“ chens Unsichtbares und Unscheinba- München die Bodendenkmäler. In den Reiseleiterin, 37 Jahre res, aber auch Markantes und Berühm- Randbereichen der modernen Stadt fin- tes – Zeugnisse von der Vorgeschichte den sich bis heute unbebaute, landwirt- bis in die jüngere Vergangenheit. Alle schaftlich genutzte Bereiche, die nun Objekte werden von der Inventarisa- nach und nach entwickelt und bebaut tion erfasst, geprüft und bearbeitet. werden. Hier gibt es, wie in Frei­ham Wenn die Denkmaleigenschaft erkannt oder Trudering, vorgeschichtliche Sied- ist, gilt das Denkmalschutzgesetz und lungen und Gräber, deren älteste bis in das Objekt wird in die Denkmalliste die Jungsteinzeit zurückreichen. Meist eingetragen. werden sie durch Luftbilder entdeckt.

Startseite des „BayernViewer-denkmal“ mit Abbildung der Denkmäler im Zentrum Münchens

28 II. Hintergründe und Geschichte

In oder bei den ehemaligen Dörfern, Die Münchner Stadtlandschaft prägen Bereits 1985 erschien in der Reihe die längst nach München eingemeindet auch eine ganze Reihe von markanten „Denkmäler in Bayern“ ein Band, in wurden, finden sich die Spuren früher und berühmten Baudenkmälern, wie dem die Baudenkmäler, Ensembles Siedlungen, wie z. B. in Obermenzing die Frauenkirche, das Rathaus, Schloss und Archäologischen Geländedenk- oder Pasing, und Reihengräberfelder Nymphenburg mit seinem Park, der mäler der Landeshauptstadt München des frühen Mittelalters. Zu den spekta- Englische Garten oder auch das Hypo- in kurzer Form beschrieben wurden. kulärsten „Neu“-Ent­deckungen gehört Hochhaus und, im Norden der Stadt 1997 folgte in der Reihe „Denkmäler hier sicherlich das seit 1925 bekannte mit entsprechender Fernwirkung, das in Bayern“ als Band IA die Publikation Reihengräberfeld an der Brudermühl- Verwaltungsgebäude und Museum der Ensembles in Oberbayern. Der straße. Wenngleich das Areal seitdem von BMW. Gerade aufgrund ihrer Band wurde Erich Schosser, einem der intensiv genutzt wurde und daher Konstruktion und Gestaltung – der Ver- Väter des Bayerischen Denkmalschutz- kaum mit weiteren Funden zu rechnen waltungsbau spiegelt die Form eines gesetzes, als Festschrift gewidmet. In war, wurden erst 2006 weitere 42 Vierzylinders – prägen diese zwischen derselben Reihe schlossen sich 2004 Gräber mit zahlreichen Beigaben und 1969 und 1972 von Karl Schwanzer er- die Publikation der Denkmäler „Stadt Trachtbestandteilen aufgedeckt. Gera- richteten Bauten den Stadtraum. München Südwest“ und schließlich, de dieses Beispiel macht deutlich, wie 2009, das dreibändige Werk „Landes- wichtig die Inventarisation, Beschrei- Zu den markanten und berühmten hauptstadt München Mitte“ an. In den bung und Kartierung auch altbekannter Denkmälern gehören natürlich auch Bänden sind sämtliche Denkmäler in Bodendenkmäler ist. das Olympiastadion, die Olympiahalle, Text und Bild beschrieben. Zum besse- der mit seiner Gaststätte ren Verständnis der Zusammenhänge Im Zentrum der Stadt, dem Nukleus sowie das Ökumenische Kirchenzen- oder auch regionaler Entwicklungen und Ausgangspunkt der mittelalter- trum im Olympiadorf. Eingebunden und Eigenheiten ist der Katalogteil lichen Stadtentwicklung, begegnet sind diese Bauten in das Ensemble durch umfangreiche Einführungstexte uns fast flächenhaft und in zahlreichen „Olympiapark“. Es enthält neben den ergänzt. Natürlich bilden diese Bände Schichten die gebaute Umwelt frühe- genannten Denkmälern den künstlich nur den momentanen, zum Erscheinen rer Jahrhunderte. Meist reicht der In- gestalteten Landschaftspark mit sei- des Bandes aktuellen Kenntnisstand formationsgehalt der Untersuchungen nen Grün- und Wasserflächen sowie ab. Ihr Wert liegt daher nicht in der weit über das durch Pläne Bekannte die Nebeneinrichtungen und Verkehrs- Aktualität des Katalogteiles, sondern in hinaus, zeigen uns doch die Befunde anlagen sowie das Olympische Dorf. der wissenschaftlichen Durchdringung und Funde die Alltagswelt des Bauens des Themas und der ausführlichen und Wohnens, des Wirtschaftens und Dieser geraffte Überblick verdeutlicht, Beschreibung der Denkmäler. Bereits Handelns sowie der Ernährung. Typisch dass die Inventarisation das Augen- seit 2007 bietet das Bayerische Lan- sind hierfür die Grabungsergebnisse merk darauf legt, anhand der in Art. 1 desamt für Denkmalpflege zudem den am Marienhof oder auch am Ober­ des Denkmalschutzgesetzes genann- „BayernViewer-denkmal“ an (Abb. 1). anger und am St.-Jakobs-Platz. ten Kriterien die Bau- und Bodendenk- Über ihn sind Denkmalinformationen, mäler zu erfassen. Mit der Ausweisung wie kurze beschreibende Texte, Bilder In der Denkmalpflege spielen Begriffe, von Ensembles, einer Mehrheit von und nun erstmals flächenscharfe Kar- die häufig in Bezug auf Denkmäler baulichen Anlagen, werden besondere tierungen, kostenfrei zugänglich: für verwendet werden, wie etwa „schön“, Zusammenhänge beschrieben, die jedermann, zu jeder Zeit, von jedem keine Rolle. Viele Denkmäler sind un- jeweils einem speziellen Thema und/ Ort. Seine Informationen können über scheinbar und damit meist auch nicht oder Zeitabschnitt gewidmet sind. Die die Einbindung in den sogenannten selbsterklärend. Die Häuser der einfa- Denkmalliste ist dabei dynamisch an- „Bayern Atlas“ oder in das „Geoportal chen Leute, Mietshäuser oder auch In- gelegt: Veränderungen und Ergänzun- Bayern“ jederzeit mit anderen Inhalten dustriebauten sind nicht unbedingt auf gen finden laufend Berücksichtigung, korreliert werden. Der BayernViewer- den ersten Blick als Denkmal erkenn- neu erkannte Objekte fließen in die denkmal ist eine schnelle und unkom- bar. Zu den „unbequemen Denkmä- Liste ein. plizierte Methode, über Denkmäler zu lern“ gehören die Hinterlassenschaften informieren und sie im Bewusstsein der NS-Zeit. Teils sind sie, wie die Bau- Wichtig ist auch, dass die Denkmäler der Planerinnen und Planer und der ten am Königsplatz, auffällig; oft aber in ihrer gesamten Bandbreite im öffent­ Bevölkerung zu verankern. Das Wissen sind sie unscheinbar. So bilden im En- lichen Bewusstsein verankert sind über die Denk­mäler ist entscheidend, semble des „ehemaligen Zwangsarbei- und bleiben. Hierauf zielte der Gesetz- wenn es darum geht, sie zu schützen terlagers Ehrenbürgstraße Neuaubing“ geber bereits 1973 ab und gab dem und für künftige Generationen zu er- eingeschossige Satteldachbauten, die Bayerischen Landesamt für Denkmal- halten. um einen zentralen Hofraum gruppiert pflege die Aufgabe, die Inventare zu sind, zusammen mit weiteren bauli- erstellen und fortzuführen. Um diese chen Anlagen das Denkmal. Das En- Vorgaben erfüllen zu können, werden semble dokumentiert mit seiner Dichte unterschiedliche Wege beschritten. an Information dieses dunkle Kapitel München steht hier stellvertretend der Geschichte. auch für andere Städte Bayerns.

29 Ludwig Semmler Das ABC des Denkmalschutzes

Bayerisches Denkmalschutzgesetz Charta von Venedig (DSchG) Eine internationale Vereinbarung „über In Deutschland liegt die Zuständigkeit die Konservierung und Restaurierung für Denkmalschutz und Denkmalpflege von Denkmälern und Ensembles“. Sie bei den Bundesländern. Am 25. Juni wurde 1964 auf einer Tagung in Vene- 1973 beschloss der Bayerische Land- dig verabschiedet. tag das Denkmalschutzgesetz, das dann am 1. Oktober 1973 in Kraft trat. Denkmal Geschützte Denkmäler werden darin Oberbegriff für Baudenkmal, Ensem­ definiert als „von Menschen geschaf- ble, Bodendenkmal. Alle Gruppen müs- fene Sachen oder Teile davon aus ver- sen grundsätzlich die Voraussetzungen gangener Zeit, deren Erhaltung wegen des Art.1 Abs. 1 DSchG erfüllen, wobei ihrer geschichtlichen, künstlerischen, im Einzelfall nicht alle Kriterien gleich- städtebaulichen, wissenschaftlichen zeitig erfüllt sein müssen. Die vom oder volkskundlichen Bedeutung im BLfD erfassten Denkmäler werden Interesse der Allgemeinheit liegt“, wobei nicht alle Kriterien gleichzeitig vorliegen müssen. In Bayern sind mehr als 112 000 Denkmäler und etwa 900 Ensembles in die Denkmallisten der Gemeinden eingetragen; in München sind es ca. 7000 Objekte und 76 En- sembles.

Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) Die staatliche Fachbehörde, die dem Bayer. Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst nachgeordnet ist. Das BLfD ist für alle Fragen der Denkmalpflege zuständig und erstellt z. B. die Denkmallisten in Bayern und Gutachten, berät aber auch Denkmaleigentümer und die UDBs bei deren Entscheidung im Vollzug des Denkmalschutzgesetzes (Art.12 DSchG).

30 II. Hintergründe und Geschichte

nachrichtlich in die Denkmallisten der standhaltung und Instandsetzung von Gemeinden eingetragen. Über den Denkmälern. Dafür ist das Bayerische aktuellen Stand der Eintragungen kann Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) man sich auf der Internetseite des zuständig. Demgegenüber umfasst BLfD über „BayernViewer-denkmal“ der Denkmalschutz alle hoheitlichen informieren. Maßnahmen, die der Erhaltung von Denkmälern dienen, also Erlaubnisbe- Denkmalpflege / Denkmalschutz scheide, Genehmigungen, Ablehnun- Das Begriffspaar beinhaltet die Ober- gen etc. Diese Aufgaben werden von begriffe für alle Tätigkeiten zum Schutz den Unteren Denkmalschutzbehörden und zur Erhaltung von Denkmälern. Un- (UDB) wahrgenommen. In München ter Denkmalpflege werden alle Hand- ist hierfür die Abteilung Denkmalschutz lungen verstanden, die nicht hoheitli- und Stadtgestalt (HA IV/6) im Referat cher Art sind, so z. B. wissenschaftliche für Stadtplanung und Bauordnung ver- Forschung zur Erfassung, Erhaltung, In- antwortlich.

Das Maximilianeum

31 Deutsche Stiftung Denkmalschutz Europäisches Denkmalschutzjahr Eine private Initiative, die sich unter Unter dem Motto „Eine Zukunft für un- dem Motto „Wir bauen auf Kultur“ die sere Vergangenheit“ wurde 1975 vom Bewahrung von Kulturdenkmälern zur Europarat das „European Herit­age Aufgabe gemacht hat und für den Year“ ausgerufen. Dass sich künftig Gedanken des Denkmalschutzes wirbt. der Schutz nicht mehr nur auf Herr- Sie hat ihren Sitz seit 2010 in der denk- schaftsarchitektur, wie Schlösser, Bur- malgeschützten ehemaligen Bayeri- gen oder kirchliche Bauten, beziehen schen Landesvertretung in Bonn. sollte, sondern auch auf Baudenkmäler der bürgerlichen „Alltagsarchitektur“ Denkmaltopografie wie Wohnhäuser oder auf Zeugnisse Eine mehrbändige Publikationsreihe, der Technik und Industriekultur, ver- die vom BLfD erarbeitet wird, um anschaulichte das Plakat. Es zeigte die „Denkmäler in Bayern“ in Wort, eine Reihe von Mietsbauten aus der Karte und Bild vollständig zu erfassen Zeit um 1900 und rüttelte mit dem und vorzustellen. Für München liegen Slogan auf „Haus für Haus stirbt Dein derzeit 5 Bände vor (2 Bände für den Zuhause. Unser Lebensraum braucht Südwesten des Stadtgebietes und 3 Schutz. Denkmalschutz“. Bände für die Stadtmitte).

Die Parkgarage am Salvatorplatz

32 II. Hintergründe und Geschichte

Erlaubnis derzeit ca. 10 400 Denkmäler, Museen, Wer Baudenkmäler beseitigen, verän- Bibliotheken und Archive, die zusätzlich dern oder an einen anderen Ort ver- gekennzeichnet werden dürfen. Für bringen oder aus einem Baudenkmal das Städtische Hochhaus an der Blu- entfernen will, bedarf der denkmal- menstraße wurde das Schutzzeichen schutzrechtlichen Erlaubnis (Art. 6 nicht nur wegen seiner architektoni- Abs. 1 DSchG). Diese wird nach pflicht- schen Bedeutung als erstes Hochhaus gemäßem Ermessen unter Beteiligung Münchens vergeben, sondern auch als des BLfD und des Heimatpflegers Aufbewahrungsort der Baugenehmi- durch die örtlich zuständige UDB erteilt gungen für die Bauten Münchens. oder abgelehnt. HDS Finanzierung Kürzel für die gemeinsame Sitzung des Das Schutzzeichen der Haager Konvention Grundsätzlich ist es die Verpflichtung Heimatpflegers und des Landesamts des Eigentümers, sein Baudenkmal für Denkmalpflege bei der UDB (Hei- instand zu halten, instand zu setzen, mat- und Denkmalpflegesitzung). Dort sachgemäß zu behandeln und vor werden Bauanträge zu Änderungen an Gefährdung zu schützen (Art. 4 Abs. 1 Baudenkmälern, Ensembles und be- DSchG). Die Erhaltungsmaßnahmen deutende Baumaßnahmen in der Nähe können durch Steuererleichterung von Denkmälern den beiden Trägern (§ 7 EStG) indirekt gefördert werden. öffentlicher Belange zur Beurteilung Im Einzelfall sind zusätzlich direkte und Stellungnahme vorgelegt. Die Zuschussmöglichkeiten durch das Beurteilung fließt in die Abwägung der BLfD und andere staatliche Stellen Baugenehmigung oder Erlaubnis ein. möglich. Auch die Landeshauptstadt München fördert denkmalpflegerische Heimatpfleger Maßnahmen an Baudenkmälern oder Ein 1972 vom Stadtrat Münchens ge- Münze zum Europäischen Denkmalschutzjahr in Dorfensembles (Zuschussrichtlinien schaffenes Ehrenamt. Er steht dem 1975 vom 12.04.1989). Auskünfte erteilt das Stadtrat und der Verwaltung beratend, BLfD oder die UDB der Landeshaupt- gutachterlich und unterstützend zur stadt München. Seite und soll helfen, Werte von ge- schichtlicher, wissenschaftlicher, künst- Haager Konvention zum Schutz lerischer und volkskundlicher Bedeu- von Kulturgut bei bewaffneten tung zu bewahren und zu pflegen. Mit Konflikten Einführung des DSchG ist der Heimat- Ein völkerrechtlicher Vertrag, der 1954 pfleger als Träger öffentlicher Belange mit dem Ziel abgeschlossen wurde, auch an denkmalrechtlichen Entschei- Kulturgut während eines Krieges dungen zu beteiligen (Art. 13 DSchG). vor Zerstörungen zu schützen. Der Heimatpfleger der Landeshauptstadt Leitgedanke kommt in der Präambel München: Arch. Alexander Freiherr von zum Ausdruck, „wonach (…) jede Branca (1972 – 1988), Prof. Dr. Dr. Enno Schädigung von Kulturgut, gleichgültig Burmeister (1988 – 2000), Arch. Gert F. welchem Volke es gehört, eine Schädi- Goergens (seit 2000). gung des kulturellen Erbes der ganzen Menschheit bedeutet, weil jedes Volk Höhere Denkmalschutzbehörden seinen Beitrag zur Kultur der Welt In Bayern die Regierungen der Bezirke leistet (…)“. In Deutschland sind es (Art. 11 Abs. 2 DSchG).

33 Ludwig Semmler Kurze Geschichte der Denkmalpflege

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass seinen Planungen für „Das neue Mün- die Geschichte der Denkmalpflege chen“ Folgendes aus: nicht erst mit den Denkmalschutz- „Wir müssen unter allen Umständen gesetzen der Neuzeit beginnt. Dass trachten, die Erscheinungsform und Zeugnisse der Vergangenheit geehrt das Bild der Altstadt zu retten und und geschützt wurden, lässt sich bis in müssen alles erhalten, was vom Guten die Antike zurückverfolgen. und Wertvollen noch vorhanden ist. Wo im Einzelnen von den baukünstlerisch Für München sind als frühes Beispiel wichtigen Bauten noch so große Reste die um 1590 aufkommenden Stimmen stehen, dass das Ganze rekonstruiert gegen die Erhöhung des Turms der werden kann, soll das alte Bild wieder Michaelskirche belegt, da durch seine entstehen; wo nichts mehr vorhanden Errichtung das Bild der Frauenkirche ist, soll nach modernen Gesichtspunk- beeinträchtigt würde. Blieb vielleicht ten, aber im Sinn der Altstadt, neu und deshalb der Turm bis heute ein Torso? frei gestaltet werden“. Darüber hinaus forderte er dass, „möglichst viel von Als bedeutsame Etappe des Denkmal- dem Geist und dem Gefüge der alten schutzes in München kann man die Stadt in die neue Zeit hinüberzuretten“ Wiederherstellung des Isartors durch sei. Heute ist die „Altstadt“ als Denk- König Ludwig I. bezeichnen. Obwohl malensemble des Wiederaufbaus in die Stadtgemeinde das altertümliche die Denkmalliste eingetragen. Tor als abbruchreifes Verkehrshindernis Das vor der Renovierung, betrachtete, forderte der König seinen Die großen Verluste durch Kriegszer- Matthias Heim, Anfang 19. Jahrhundert Architekten, Leo von Klenze, auf: „Be- störungen und die Wiederaufbaupläne wirken Sie, dass gar nichts von dem für die Altstadt hinderten die Eigentü- Isarthor niedergerissen wird. Es wäre mer außerhalb dieses Bereichs nicht mir gar zu leid, wenn mir das Mindeste daran, weiterhin historische Bauten daran wegkäme.“ 1833 wurde schließ- abzubrechen und durch ertragreichere lich Klenzes Konkurrent, Friedrich von Neubauten zu ersetzen. Der Gewinn- Gärtner, mit dessen Wiederherstellung maximierung sollte 1969 auch das in historischer Form beauftragt. Wohnhaus des Bildhauers Adolf von Hildebrand in der Maria-Theresia-Stra- Ein frühes bürgerliches Beispiel für ße (Bogenhausen) zum Opfer fallen. Denkmalschutz und Denkmalpflege Der Abbruchantrag wurde zwar von der ist der Widerstand gegen den Ab- Landeshauptstadt München abgelehnt, bruch der Nikolaikirche in Schwabing. die Genehmigung dafür jedoch vom Nachdem das Leprosenhaus aufge- Bauherrn vor dem Verwaltungsgericht löst worden war, beabsichtigte die erstritten, da es für die Verweigerung Stadt den Abbruch der dazugehörigen keine ausreichende Rechtsgrundlage Schwabinger Nikolaikirche vor dem Abbruch Kirche. Die Schwabinger formierten gab. Dies änderte sich erst vier Jahre 1898 sich dagegen und gründeten 1897 ein später mit Einführung des Bayerischen „Bürger­komitee“. Obwohl sich auch Denkmalschutzgesetzes am 1.10.1973. Prominente wie Stadtbaurat Theodor Damit verlor der Investor das Inte­ Fischer oder Max von Pettenkofer für resse. Um die Künstlervilla endgültig den Erhalt einsetzten, konnte der Ab- zu retten, erwarb die Stadt das Ge- bruch nicht mehr verhindert werden. bäude 1974 für ca. 2,5 Mio DM aus den Mitteln des Bayerischen Denkmal- Die größte denkmalpflegerische Leis­ schutzfonds und sanierte es bis 1977, tung in der Geschichte Münchens um hier die „Monacensia“, das städ- war wohl der Wiederaufbau nach den tische Literaturarchiv unterzubringen. verheerenden Zerstörungen des Zwei- Der jahrelange Kampf der Bürger und ten Weltkrieges. Gegen den Trend der der Stadt München um die Erhaltung Zeit beschloss der Stadtrat Münchens des Hildebrandhauses zeigte die Dring- bereits im August 1945, die Stadt „in lichkeit eines Bayerischen Denkmal- alter Form“ wieder aufzubauen. Stadt- schutzgesetzes so exemplarisch auf, baurat Karl Meitinger führte dazu in dass das Gesetz noch lange als „Lex Hildebrandhaus, 1905 Hildebrand“ bezeichnet wurde.

34 II. Hintergründe und Geschichte

International Council on Oberste Denkmalschutzbehörde Monuments and Sites (ICOMOS) Das für das Denkmalschutzrecht Eine Unterorganisation der UNESCO, zuständige Staatsministerium – in die 1965 als Internationaler Rat für Bayern z. Zt. das Staatsministerium für Denkmalpflege in Warschau gegründet Wissen­schaft, Forschung und Kunst wurde. ICOMOS setzt sich weltweit (Art. 11 Abs. 3 DSchG). für den Schutz und die Pflege von „Mir ist es wichtig, dass das Denkmälern sowie die Bewahrung des Raubgräber historischen Kulturerbes ein. Derzeit Diejenigen, die ohne denkmalschutz- Rathaus erhalten wird. Denn gibt es weltweit ca. 960 Welterbestät- rechtliche Erlaubnis der UDB ein Bo- wie soll ich sonst später mal ten (Deutschland 48, Bayern 7). dendenkmal ausgraben, verhalten sich nicht nur rechtswidrig, sondern zerstö- meinen Kinder den Ursprung Kostenfreiheit ren i. d. R. auch wichtige Zeugnisse der Sie gilt für alle Amtshandlungen, die Vor- und Frühgeschichte, wodurch der der Hausnummerierung im Vollzug des DSchG anfallen (Art.17 Allgemeinheit ein kultureller Schaden zeigen?“ DSchG). Dies gilt z. B. für die Erlaubnis- entsteht. bescheide der UDB, nicht dagegen für Designerin, 32 Jahre die Baugenehmigungsbescheide, die Tag des offenen Denkmals sich auch auf Baudenkmäler beziehen. Der deutsche Beitrag zu den (jährlich) Der Grund für diese weitreichende europaweit stattfindenden European Regelung, die z. B. auch Gutachten des Heritage Days. Ziel ist es, die Öffent­ BLfD und des Heimatpflegers kosten- lichkeit für die Bedeutung des kultu- frei lässt, liegt darin, dass der Vollzug rellen Erbes zu sensibilisieren und des DSchG vor allem im Interesse der Interesse an den Belangen der Denk- Allgemeinheit liegt. malpflege zu wecken. Er wird von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz Landesdenkmalrat durchgeführt und steht 2013 unter Er hat die Aufgabe, die Bayerische dem Motto „Jenseits des Guten und Staatsregierung zu beraten und in Schönen: UnbequemeDenkmale?”. wichtigen Fragen der Denkmalpflege mitzuwirken (z. B. Aufnahme und Strei- chungen von Ensembles). Er besteht aus Vertretern des Landtags, der kom- munalen Verbände und weiteren Ver- tretern aus Kultur- und Denkmalpflege (Art. 14 DSchG).

Nähe eines Denkmals Veränderungen in der Nähe eines Denkmals sind erlaubnispflichtig, wenn sie sich (positiv oder negativ) auf den Bestand oder das Erscheinungsbild eines Baudenkmals auswirken können (Art. 6 DSchG).

Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Renaissance- hof der Alten Münze

35 Hackerbrücke

Hofbrunnwerk im Gebäude der Lokalbaukommission und Städtisches Hochhaus

Technische Denkmäler Welterbe-Konvention der UNESCO Zeugnisse der Industrialisierung wie Eine Übereinkunft zum Schutz des Maschinen, Werkhallen, Brücken etc. Kultur- und Naturerbes der Welt. Maß- geblich für die Erteilung des Titels Untere Denkmalschutzbehörde „Welterbe“ ist die „herausragende (UDB) universelle Bedeutung des Kulturguts Die Behörde, die für alle hoheitlichen aus historischen, künstlerischen oder Verfahren zuständig ist, die sich auf ein wissenschaftlichen Gründen. Bayern Denkmal im Sinne des Art. 1 Abs. 1 ist derzeit mit 7 Welterbestätten ver- DSchG beziehen. Sie trifft, nachdem treten. sie das BLfD und den Heimatpfleger beteiligt hat, nach pflichtgemäßem Ermessen die Entscheidung über die Erteilung einer Erlaubnis oder die Ablehnung des Antrags. Die UDB entscheidet auch darüber, ob und wie ein Denkmal renoviert, umgestaltet, instand gesetzt oder saniert wird. Die UDB München ist eine Fachabteilung im Referat für Stadtplanung und Bau- ordnung, Lokalbaukommission.

36 Harald Scharrer Begriffe der Denkmalpflege

Befunduntersuchung Bezogen auf die Baudenkmalpflege meint „Befunduntersuchung“ die Ana- lyse von Bauteilen hinsichtlich ihrer Ei- genschaften und Merkmale. Gängiges Beispiel hierfür ist die Untersuchung farbig gefasster Bauteile, z. B. durch einen Restaurator in Bezug auf ihre verschiedenen Malschichten. Hauptziel ist dabei, die verschiedenen Erschei- nungsbilder des Bauteils im Laufe der Geschichte zu erkunden. Das Ergebnis der Untersuchung ist der Befund.

Instandhaltung Zu den wichtigsten Grundprinzipien im Umgang mit Baudenkmälern zählt die „Instandhaltung“. Man bezeichnet damit Pflege- und Reinigungsmaßnah- men, mit deren Hilfe ohne größeren Aufwand Schäden vom Baudenkmal abgehalten werden können. Klassi- sches Beispiel hierfür ist die regelmä- ßige Reinigung von Dachrinnen, die Instandsetzungsarbeiten am Alten Südlichen Friedhof Wasserschäden am Dach und im Mau- erwerk vorbeugt. Originalität Renovierung Instandsetzung Einer der wesentlichen Grundsätze Im Gegensatz zur Konservierung meint Die Reparatur beschädigter Bauteile der Denkmalpflege ist der Erhalt der „Renovierung“, vom lateinischen „reno- und damit die Wiederherstellung eines historischen Bausubstanz als gebaute vare“ = „erneuern“, die Erneuerung von funktionsfähigen Zustands wird in der Urkunde. Nur das Original kann Zeug- Teilen oder einzelnen Schichten, vor al- Denkmalpflege als „Instandsetzung“ nis von Bautechniken und Nutzungs- lem im Sinne einer Wiederherstellung bezeichnet. Dazu zählen auch die Er- verhältnissen sowie städtebaulichen, von Oberflächen. Die einzelnen Bau- gänzung einzelner fehlender Teile und architektonischen und künstlerischen teile eines Gebäudes sind je nach ihrer der Austausch defekter Teile. So kann Umständen der Erbauungszeit und Substanz, ihrem Gebrauch und ihrer z. B. der Austausch einzelner zerstörter späterer Epochen ablegen. Exposition gegenüber der Witterung Ziegel an einer Sichtmauerwerkfas- einem Verschleißprozess unterworfen, sade als Instandsetzung der Mauer Rekonstruktion der eine Erneuerung der Oberflächen bezeichnet werden. Unter „Rekonstruktion“ versteht man unumgänglich machen kann. Ein Fas- die Neuerstellung tatsächlich ver- sadenanstrich z. B. wird durch Witte- Konservierung brauchter oder in der Vergangenheit rungseinflüsse ausgewaschen, sodass Der vom lateinischen „conservare“ = bereits verloren gegangener Bausub- ein Neuanstrich notwendig wird. „erhalten, bewahren“ stammende stanz. Sind z. B. bei einer stuckierten Begriff bezeichnet die Sicherung des Fassade durch frühere Vereinfachun- Restaurierung materiellen Bestands sowie die Vor- gen oder witterungsbedingte Schäden Die „Restaurierung“ dient der Wieder- beugung gegen weiteren Substanzver- einzelne Stuckteile verloren gegangen, herstellung im Sinne von Bewahren lust. Dazu zählen z. B. das Entfernen kann eine Rekonstruktion sinnvoll sein, und Sichtbarmachen der Werte eines aggressiver Ablagerungen und das um der Fassade wieder ihr ursprüngli- Kulturdenkmals unter Erhalt der Bau- Festigen loser Substanz. ches Erscheinungsbild zurückzugeben. substanz. Dabei sind der ästhetische Die Möglichkeit einer Rekonstruktion und der historische Wert eines Denk- hängt von den vorhandenen Quellen mals zu beachten. Ist z. B. bei einer über den zu rekonstruierenden Zu- Skulptur eine Hand angebrochen und stand ab. Liegen die nicht im ausrei- diese Hand wird wieder befestigt, so chenden Maß vor, z. B. in Form von spricht man von einer Restaurierung. Befunden, historischen Fotografien Auch das Schließen von Fehlstellen und Plänen, kann eine Rekonstruktion einer Malerei wird als Restaurierung nicht erfolgen. bezeichnet.

37 Löwenturm am Rindermarkt Zu den geheimnisvollsten Baudenkmälern der Stadt zählt der Löwenturm aus dem 15. Jahrhundert. Trotz intensiver Forschun- gen konnte seine ursprüngliche Zweck- bestimmung noch immer nicht ergründet werden. Lange hielt man ihn für einen Befestigungsturm, was inzwischen aber ausgeschlossen werden kann. Es könnte sich um einen Geschlechterturm, einen Wasserturm oder ein Wasserbauwerk im Zusammenhang mit dem Stadtgraben handeln. Im 5. Geschoss birgt der Turm einen großen Schatz: einen bauzeitlich ausgeschmückten Innenraum mit einem umlaufenden gemalten Fries, der Greifen, pflanzliche Motive und Schriftbänder zeigt.

Baudenkmäler in München

38 III. Baudenkmäler in München

Harald Scharrer Münchner Einzelbaudenkmäler im Überblick

Löwenturm am Rindermarkt (Innenansicht)

Bürgerhaus Sterneckerstraße 2 (später Sterneckerbräu) Unscheinbar in einer Seitenstraße des Tals gelegen, zählt dieses Haus, das in Teilen aus der Mitte des 14. Jahrhun- derts stammt, zu den ältesten Bürgerbauten der Stadt. Heute beherbergt es eine Gaststätte sowie das Bier- und Oktoberfestmuseum, sodass auch das Innere mit seiner über Jahrhunderte gewachsenen Ausstattung – erwähnt sei hier nur die für München typische einläufige Treppe, die „Himmelsleiter“ – besichtigt werden kann.

St. Wolfgang in Pipping, Pippinger Str. 49a In vielen der ehem. Dörfer, die im Münchner Stadtgebiet aufgegangen sind, finden sich kunsthistorisch wertvolle Kirchen, so z. B. St. Wolf- gang in Pipping. Der qualitätvolle Saalbau aus dem späten 15. Jahr- hundert beherbergt kostbare Ausstattungsstücke, wie spätgotische Altäre und Wandmalereien.

39 Derzbachhof, Forstenrieder Allee 179 Zu den wichtigsten Bauernhäusern der Stadt zählt u. a. aufgrund seines Alters der sogenannte Derzbachhof aus dem Jahr 1751. Der Einfirsthof besteht im Wohnteil aus einem gemauerten Erdgeschoss mit darüber liegendem Blockbau, im Wirtschaftsteil aus einer verbretterten Holz­ ständerkonstruktion.

Tarek Kreitner stunde hat München ein hochwirk- sames Instrument, um schwierige, Zahlen und Fakten bedeutende oder denkmalschützerisch sensible Bauvorhaben schnell, kom- petent und umfassend zu würdigen. Bei den denkmalschutzrechtlichen Die beantragten Maßnahmen reichen Sie findet 14-tägig statt. In den vergan- Erlaubnisverfahren lag die Anzahl 1974 von Wohnungsrenovierungen über genen 41 Jahren wurden in über 950 und 1975 noch bei 234 und 266, um Fassadenanstriche bis hin zu Gesamt­ Sitzungen rund 23 000 Tagesordnungs- 1976 bereits auf 428 und Mitte der instandsetzungen, es handelt sich um punkte beraten. Hinzu kommen über Achtzigerjahre auf durchschnittlich 580 archäologische Grabungen, Abbrüche, 4000 Beratungen in der sich anschlie- zu steigen. Nach einem kurzzeitigen Grabmalrestaurierungen, Dachge- ßenden Bauherrnsprechstunde. Dem Absinken ist seit 1993 (511 Fälle) wie- schossausbauten, Mobilfunkantennen, Gutachten der Sitzung für Heimat- und der ein stetiger Anstieg zu verzeich- Aufzugseinbauten, Restaurierung von Denkmalpflege kommt insgesamt für nen. Nach 949 Verfahren im Jahre Kircheninventar und vielem mehr, an die Stadtgestalt und den Umgang mit 2000 wurde 2002 mit 1202 Fällen erst- Vorstadt-, Bauern- und Mietshäusern der wertvollen Münchner Bausubstanz mals die 1000er-Marke überschritten. bis hin zu Villen, Gewerbebauten, eine große Bedeutung zu. Wegen der Die bisher höchste Fallzahl wurde 2010 öffentlichen Gebäuden, Kirchen und hohen fachlichen Qualität der Gut- mit 1534 erreicht. Die Zahl von 1407 Denkmälern, die entweder als Ein- achten in der Sitzung für Heimat- und Erlaubnisverfahren 2012 belegt, dass zelbaudenkmäler in die Denkmalliste Denkmalpflege gelingt es in den aller- sich die Fallzahl auf diesem hohen eingetragen sind, sich in deren Nähe meisten Fällen, Bauherrnschaft sowie Niveau eingependelt hat. befinden oder im Bereich der 75 Architektinnen und Architekten ohne Münchner Ensembles liegen. komplizierte Verwaltungsverfahren Seit 1974 hat die Untere Denkmal- von denkmalgerechten Lösungen bzw. schutzbehörde insgesamt mehr als Mit der Sitzung für Heimat- und Denk- dem notwendigen sorgsamen Um- 29 230 Erlaubnisanträge bearbeitet. malpflege und der Bauherrnsprech- gang mit dem Bestand zu überzeugen.

40 III. Baudenkmäler in München

Erzbischöfliches Palais, Kardinal-Faulhaber-Straße 7 Innerhalb des Kreuzviertels, westlich der Wein- und Theatiner- straße, in dem auch dieses ehem. Adelspalais liegt, befand sich die überwiegende Zahl der Behausungen adeliger Fami- lien in München. Das seit 1818 als Wohnsitz des Erzbischofs genutzte Palais wurde in den Jahren 1735 bis 1737 von François de Cuvilliés d. Ä. im Stil des Rokoko errichtet. Im Gegensatz zu den übrigen, im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstörten Adelspalais der Innenstadt ist hier die Ausstattung glücklicherweise weitgehend erhalten geblieben. Wesentlich für das Gebäude ist die reiche, qualitätvolle Stuckdekoration an der Fassade und im Inneren.

Alter Wirt in Obermenzing, Dorfstraße 39 Der stattliche zweigeschossige Bau mit steil geneigtem, dreigeschossigem Satteldach stammt aus den Jahren 1589/90. 1911 wurde er um ein Türmchen und einen Quer­giebel erwei- tert. Das Gebäude repräsentiert ein typisches Dorfwirtshaus und stellt ein prägendes Element in dem als Ensemble geschützten Ortskern von Obermenzing dar.

41 Dr. Irene Meissner Der Umgang mit den Bauten des Nationalsozialismus

Trotz großer Zerstörungen war die ehe- Verdrängungshaltung: „Gras darüber der ursprünglichen Planung vollendet. malige „Hauptstadt der Bewegung“ wachsen lassen“. Hinweise auf die Entstehungszeit nach Kriegsende mit zahlreichen Kult­ finden sich nirgends an Bauten der stätten, Bauten und Plätzen durch­ Nicht zerstörte Wohnungen, Schulen, NS-Zeit. Die Verdrängung der Erinne- zogen, die architektonisch an den Verwaltungsgebäude und Militäranla- rung im öffentlichen Raum führte dann Nationalsozialismus erinnerten. Auf gen, die in der NS-Zeit errichtet wor- dazu, dass das flächenmäßig größte Anordnung der Alliierten mussten zu- den waren, wurden zumeist einfach NS-Element im Stadtraum, der Gra- erst Namen und Zeichen der NS-Zeit weitergenutzt. In die NS-Repräsentati- nitbelag auf dem Königsplatz, 1988 entfernt und damit die Oberflächen onsbauten zogen zuerst die Alliierten, entfernt wurde. Eine Erinnerung an der Bauten entnazifiziert werden. Da später folgten deutsche Behörden und die Geschichte, wie sie Hans Döllgast manches blieb, lassen sich – auch Institutionen. So kam das Landwirt- exemplarisch mit dem ablesbaren heute noch – NS-Symbole finden wie schaftsministerium in die ehemalige Bombentricher an der Alten Pinakothek beispielsweise die Hakenkreuzgitter Gauleitung an der Ludwigstraße, der vorgeführt hatte, fand bei den Bauten in den Öffnungen der Gartenmauer „Führerbau“ wurde zur Hochschule für aus der NS-Zeit keine Anwendung. des ehemaligen Luftgaukommandos, Musik und das Verwaltungsgebäude Erst in den Neunzigerjahren setzte ein heute Bayerisches Wirtschaftsminis­ der NSDAP zum Haus der Kulturinsti- Umdenken ein. 2001/02 beschlossen terium an der Prinzregentenstraße, tute. Das Haus der Kunst wurde durch die Stadt München und der Freistaat oder die Reichsadler auf dem Dach des Aufteilung der zentralen Ehrenhalle et- Bayern den Bau eines NS-Dokumenta- Kongresssaals des Deutschen Muse- was „entmonumentalisiert“ und durch tionszentrums an der Stelle des ehe- ums. Am Königsplatz, dem ehemaligen Ausstellungen der ehemals verfemten maligen „Braunen Hauses“. Ab 2014 Aufmarschplatz der NSDAP, wurden modernen Kunst „dekontaminiert“. wird am Königsplatz ein historisch- die „Ehrentempel“ bereits 1947 ge- Einige Bauten der NS-Zeit wie der politischer Lern- und Erinnerungsort sprengt, die Sockel blieben jedoch er- Flughafen Riem oder die Juristische über die Rolle Münchens in der NS-Zeit halten, wurden allmählich von Pflanzen Fakultät wurden in alter Form wieder- und über den Umgang mit NS-Bauten überwuchert und verwandelten sich in hergestellt, unvollendete Bauten wie informieren. ein geschütztes Biotop. Ein buchstäb- die Reichsbank an der Ludwigstraße liches Zeichen der vielfach gepflegten oder die Oberlandsiedlung sogar nach

Ehemaliger „Führer­bau“, heute Hochschule für Musik und Theater München

42 III. Baudenkmäler in München

Kleinhaus Am Mühlbach 4a Die hohe denkmalpflegerische Bedeutung des um 1800 errichteten Kleinhauses beruht auf seinem herausragenden bau- und sozialge- schichtlichen Aussagewert. Es gehört zu den wenigen noch erhaltenen Resten der für die östlichen Vororte Münchens im 18. und 19. Jahr­hundert typischen anonymen Behausun- gen unterprivilegierter Bevölkerungsschichten. Für die vorbildliche Instandsetzung des Gebäu- des erhielt der Eigentümer 1997 die Bayerische Denkmalschutzmedaille.

Königsplatz Der Königsplatz zählt zu den bedeutendsten Platzschöpfungen der klassizistischen Stadtbaukunst. König Ludwig I. fasste den Platz mit drei Monumentalbauten – der Glyptothek, der heutigen Staatlichen Antiken- sammlung und den Propyläen, unter der Leitidee, jeden der Bauten in einer der antiken griechischen Bauarten (dorisch, ionisch, korinthisch) zu gestalten. In Verehrung des antiken Griechenland entstand dabei ein idealisie- render Platzraum von fast sakralem Charakter. Nachdem der Platz von den Nationalsozialisten gepflastert und zum Aufmarschplatz herabgewürdigt worden war, wurde er in der Nachkriegszeit als Großparkplatz genutzt und erst 1987/88 in der heutigen Form im Sinne einer Stadtreparatur neu gestaltet.

43 Maximilianstraße Nach der Brienner Straße und der Ludwigstraße stellt die von 1853 bis 1875 erbaute Maximilianstraße Münchens dritten Prachtboulevard dar. Auf Initiative König Maximilians II. wurde für das Projekt im Rahmen eines Architektenwettbewerbs ein neuer Stil, der heute als „Maximilianstil“ be- kannt ist, gefunden. Die Fassaden der Maximilianstraße sind geprägt durch gotisierende Elemente und eine Wiederholung von Strecklisenen.

Wohn- und Geschäftshaus Mariannenplatz 1 Beim größten Teil der Münchner Einzelbaudenk- mäler handelt es sich um Blockrandbebauungen aus der Zeit des Historismus und des Jugend- stils. Das Gebäude Mariannenplatz 1, errichtet in den Jahren 1879/80 im Stil der Neurenaissance, soll diese Gruppe hier exemplarisch repräsentie- ren. Darüber hinaus ist es auch von wirtschafts- geschichtlichem Interesse. Geplant und erbaut von der Firma Osswald & Adam, verkaufte diese das Anwesen gleich nach Fertigstellung des Rohbaus weiter, wie es noch heute bei Bauträ- gern nicht unüblich ist.

44 Monika Mühlenbeck-Krausen Kirchenzentrum wurde als Einzeldenk- mal nachqualifiziert. Denkmalporträt: 1972 wurde erstmalig ein offizieller Ge- staltungsbeauftragter für die Visuelle Kommunikation bei Olympischen Spie- Der Olympiapark len berufen: Otl Aicher. Er bestimmte als Wegbereiter des modernen Corpo- rate Design die Gestaltungsrichtlinien für das visuelle Erscheinungsbild. Als Das höchste Denkmal befindet sich Das Olympische Dorf der Frauen mit Schrift legte er Univers 55 fest, die in einem der jüngsten und zugleich der Alten Mensa hat das Studen- nicht nur in Broschüren, sondern auch größten Ensembles: der 1968 fertigge- tenwerk München im Sinne des En- auf Plakaten, auf Schildern im Park stellte, 291 Meter hohe Olympiaturm sembleschutzes generalsaniert – auch und als Schrift am Bau im Olympiapark steht im Olympiapark – dem Park der energetisch: Das Hochhaus bekam Anwendung fand. Um sich von den „XX. Olympischen Spiele München eine neue Fassade, die beliebten Stu- Spielen von 1936 in Berlin abzugren- 1972“. Unter der weitgespannten Zelt- dentenbungalows wurden kongenial zen, schloss er die Farben Schwarz, dachkonstruktion, die längst zu einem neu gebaut. Rot und Gold aus: Otl Aicher erfand modernen Wahrzeichen der Stadt ge- für die Sommerspiele in München die worden ist, liegen die Einzeldenkmäler Das Olympische Dorf der Männer ist „Olympiafarben“. Der Regenbogen aus Stadion, Schwimm- und Olympiahalle. weltweit der einzige Stadtteil mit ei- blau, grün, hellorange, orange, dunkel- Unter dem Begriff Olympiapark ver- nem Verkehrssystem auf zwei Ebenen: grün, blauviolett, dazu weiß und silber, steht die Öffentlichkeit oft nur diesen unten Autos, oben Fußgänger. Damit repräsentierten die Corporate Identity südlichen Teil, der von der Olympiapark werden 3000 Haushalte in Terras- der „heiteren Spiele“. Fahnenpulks, GmbH betrieben wird. Zu dem seit senhochhäusern, Reihen- und Einzel- Kioske und Sitzgelegenheiten in diesen 1998 unter Denkmalschutz stehenden häusern erreicht. Die Außenanlagen im Farben trugen zur Unverwechselbarkeit Ensemble von 1972 gehören aber auch Olympiadorf werden von den privaten des Ortes Olympiapark bei. Diese Er- das Olympische Dorf und die Zentrale Eigentümern gemeinsam denkmalge- rungenschaften gilt es in nächster Zeit Hochschulsportanlage der TUM im recht unterhalten. Das ökumenische wieder deutlicher herauszuarbeiten. nördlichen Parkteil.

45 Villa Bechtolsheim, Maria-Theresia-Straße 27 Münchens, wenn nicht sogar Deutschlands erstes Gebäude im damals neuen Jugendstil wurde 1897/98 nach Plänen des Archi- tekten Martin Dülfer im Stadtteil Bogenhausen erbaut. Der runde Eckturm und der Flacherker zur Stra- ßenseite des ansonsten schlichten Baukörpers sind mit reichen, in sich verschlungenen floralen Stuckele- menten verziert. Solche Ornamente fanden sich zuvor nur in Innenräu- men, sodass die Villa zu Recht als Wegbereiter der Jungendstilarchi- tektur in Deutschland gilt.

Theodor-Fischer-Siedlung, Laim Die in den Jahren 1910/11 erbaute Siedlung, besteht aus vier parallelen Hausreihen, die durch eine quer dazu liegende Hausreihe mit Tordurch- fahrt abgeschlossen wird. Geplant wurde die aufgelockerte Klein- Wohnhaus-Kolonie von Theodor Fischer im Reformstil – als Antwort auf die damals üblichen „Mietskasernen“ in Blockrandbebauung. Anlässlich des 50. Todestags Fischers im Jahr 1988 legte die Landeshauptstadt München ein Programm zur Revitalisierung der in den Jahrzehnten zuvor stark veränderten Anlage auf und unterstützte die Eigentümer dabei mit Zuschüssen.

Städtisches Hochhaus, Blumenstraße 28b Das Städtische Hochhaus ist Teil des ehem. Technischen Rathauses, das 1924 bis 1929 nach Plänen von Hermann Leitenstorfer als sachlicher Funktionsbau erbaut wurde. Die Lochfassaden des Stahlbetonskelettbaus sind ab dem ersten Obergeschoss mit Hartbrandziegeln verkleidet und suchen eine Anpassung an regionale Bautraditionen. Zu seiner Erbau- ungszeit war das Gebäude mit einer Höhe von 45 Metern eines der weni- gen Hochhäuser in Deutschland.

46 Allerheiligen-Hofkirche, Marstallplatz Im Auftrag König Ludwigs I. entwarf Leo von Klen- ze einen neuen Kirchenbau im neuromanischen Stil für die Residenz der Wittelsbacher. Nachdem die Kirche im Zweiten Weltkrieg vollkommen ausge- bombt worden war, war sie in den Sechzigerjahren so weit verfallen, dass sie sogar abgebrochen wer- den sollte. Erst 1986 entschied sich der Bayerische Landtag für den Wiederaufbau. Heute gilt sie als Musterbeispiel für das Thema „Denkmalschutz und neues Bauen“ und dient als Konzert- und Vortragssaal.

Wohnhochhaus Theresienstraße 46 – 48 Als eine der Inkunabeln der Nachkriegsmoder- ne in München gilt das Wohnhochhaus in der Theresienstraße von Sep Ruf. Die Südfassade des von 1950 bis 1952 erbauten Gebäudes wird von durchgehenden Balkonanlagen, die auf schlanken Metallstützen ruhen, und raum­ hohen Fensterelementen geprägt.

47 Gespräch mit Oliver Betz Denkmalporträt: Das Hypo-Haus

Ganze 113,7 Meter ragt das Hochhaus im Nordosten der Stadt in die Hö- he – eine für Münchner Verhältnisse bemerkenswerte Tatsache, stellten doch lange Zeit die Türme der Frau- enkirche mit knapp unter 100 Metern eine Bauhöhen-Obergrenze dar. In den Jahren 1975 bis 1981 nach Plänen von Walther und Bea Betz errichtet, wurde das „Hypo-Haus“ zu seiner Entste- hungszeit kontrovers diskutiert: es war irgendwie „anders“ – und eben gerade nicht „typisch München“. „So baute man damals sonst nicht“, wie Wilhelm Warning in seiner Rede anlässlich der Verleihung des Architekturpreises der Stadt München an das Architektenpaar im Jahr 2009 betonte. Doch selbst viele Hochhausgegner konnten die- sem außergewöhnlichen Bau etwas abgewinnen. Heute ist er mit seinen zwei niedrigen Flügeln auf versetzten Trapezgrundrissen und dem Hochhaus, dessen drei prismatische, unterschied- lich hohe Baukörper zwischen vier Rundtürme eingestellt sind, längst zu einem Wahrzeichen Münchens gewor- den. Die besondere Form des Hoch- hauses geht, so Oliver Betz – Sohn von Walther und Bea Betz und selbst Ar- chitekt – hervorhebt, „auf den Wunsch und das Bedürfnis zurück, alle Büros mit Tageslicht auszustatten, was da- mals ein sehr moderner Gedanke war – und heute nach wie vor ist. Über die große Gebäudeaußenhaut kann das Licht an alle entscheidenden Punkte im Gebäude geführt werden. Doch auch Konzept entwickelt, das vorsieht, die der Grundriss ist enorm flexibel – es silbrig-glänzenden Fassadenpaneelen, sind sowohl Groß- wie auch Einzelbü- die für den Gesamteindruck von zen- ros möglich. Damit bietet er perfekte traler Bedeutung sind, wiederzuver- Voraussetzungen für Arbeitsplatzfor- wenden; lediglich Rahmenelemente men, wie sie in unserer heutigen Zeit und Fenster müssen erneuert werden. gewünscht werden.“ Anschließend werden sich die Büros beispielsweise optional natürlich belüf- Schon seit 2006 steht der Komplex – ten lassen, was durch die Einbringung als eines der jüngsten Baudenkmäler, von Kastenfenstern möglich wird, deren die die Stadt verzeichnen kann – unter innere Scheibe sich kippen lässt. „Wir Denkmalschutz. Die 2013 beginnende bauen Ansprüche“, so formulierte dies Sanierungsmaßnahme hat das Ziel, Walther Betz einmal. „Mehr als ein Bild ein zertifiziertes „Green Building“ zu muss ein Bauwerk die Vielfalt des Aus- schaffen, das den heutigen Maßstä- drucks erfüllen. Es sollte den Menschen ben von Nachhaltigkeit entspricht. in dem Gebäude immer neue Impulse Das in den Siebzigern entwickelte vermitteln.“ Bestens gerüstet, dies auch Energiekonzept bedarf dringend einer im 21. Jahrhundert zu tun, ist der „HVB- Erneuerung. In enger Abstimmung mit Tower“, wenn er ab 2015 die Zentrale den zuständigen Behörden wurde ein des Konzerns beheimaten wird.

48 III. Baudenkmäler in München

BMW-Hochhaus, Petuelring 130 Das BMW-Hochhaus symbolisiert wie sonst kaum ein Gebäude in der Stadt den Technik- und Fortschrittsglauben der Siebzigerjahre. Karl Schwanzer entwickelte für die Firma BMW eine Vierzylinderkonstruktion, die an einem viergliedrigen Stahlbetonkern aufgehängt und mit Fassadenelementen aus Restaurant Tantris, Johann-Fichte-Straße 7 gegossenem Aluminium verkleidet ist. Das erst seit 11. September 2012 in die Denkmalliste ein- getragene Restaurant „Tantris“ ist eines der „neuesten“ Baudenkmäler Münchens. Der vom Architekten Prof. Justus Dahinden entwickelte Baukörper aus Sichtbeton, zum Teil mit Kupfer verkleidet, ist plastisch aufgefasst und enthält differenzierte Innenräume. Er steht beispielhaft für das Bauen der frühen Siebzigerjahre.

49 Dr. Claudia Denk und Dr. John Ziesemer Der Tod in München – die bayerische Hauptstadt und ihre berühmten Friedhöfe

Friedhöfe bilden heute für die Städte Im europäischen Vergleich weist besondere Orte der Erinnerungskultur. München eine besonders reiche und Als Nekropolen spiegeln sie im Großen vielfältige Friedhofslandschaft auf. Die die gesellschaftlichen Ordnungen ihrer Stadt nimmt in der Geschichte des Be- Zeit wider. Im Kleinen zeigen sie, wie stattungswesens insofern eine heraus- Menschen gelebt und ihr Lebensver- gehobene Stellung ein, als neue Ent- „Alle Parkanlagen sollten erhal- ständnis auch an ihrem Bestattungs- wicklungen hier früh aufgegriffen und ort zum Ausdruck gebracht haben. zukunftsweisende Lösungen für die ten werden, damit unsere Stadt Indem Grabmäler das Andenken an großen Reformprozesse der Bestat- grün bleibt. Solche Flächen sind die Verstorbenen wachhalten, sind sie tungskultur gefunden wurden. Als die gleichermaßen sozialgeschichtliche innerstädtischen Kirchhöfe 1788 aufge- wundervolle Erholungsräume als auch künstlerische Zeugnisse ihrer löst wurden, baute man vor den Toren Zeit. In den letzten 40 Jahren ist der der Stadt einen bestehenden Gottes­ in einer Großstadt wie Wert historischer Friedhöfe zuneh- acker zum alleinigen Friedhof der Stadt München. Zudem finde ich es mend erkannt worden; viele wurden aus – den heutigen Alten Südlichen seitdem in die Denkmallisten aufge- Friedhof, der dieses Jahr nicht nur sein wichtig, alle Münchner Fried­ nommen, inventarisiert und kunst- und 450-jähriges Bestehen feiert, sondern höfe zu bewahren.“ sozialgeschichtlich erforscht. Dies sind auch zu den frühesten „Zentralfried- wichtige Schritte, um die architekto- höfen“ Deutschlands gehört. Er steht Tierärztin, 32 Jahre nischen, skulpturalen und landschaft- am Anfang eines neuen Friedhofs­ lichen Komponenten dieser Orte zu konzepts, in dessen Folge man aus schützen und zu bewahren. Auch in städteplanerischen und hygienischen München wurden in jüngster Zeit die Gründen im Laufe des 19. Jahrhun- Bestände der beiden ältesten Fried­ derts die Bestattungsorte nahezu jeder höfe erfasst; eine tiefer gehende Erfor- Stadt an den Rand verlegte. Seine schung des Alten Südlichen Friedhofs Bedeutung in den Bereichen der Archi- kommt gerade zum Abschluss. tektur und der Grabmäler verdankt er aber vor allem Münchens Entwicklung zu einer der führenden Kunststädte Europas unter Ludwig I. sowie seiner Der südliche Arkadengang des Nordfriedhofs Funktion als erstem öffentlichem Ge- denkort der aufblühenden bayerischen Hauptstadt.

Hundert Jahre später, als im Zuge von Urbanisierungswellen und starkem Bevölkerungswachstum der Alte Süd- liche und der Alte Nördliche Friedhof (geweiht 1869) zu klein geworden waren, wurde der Bauamtmann und spätere Stadtbaurat Hans Grässel 1891 mit der Planung neuer Friedhofsanla- gen beauftragt. Anstelle eines neuen, großen Zentralfriedhofs – eine Lösung, die etwa kurz zuvor nochmals in Wien realisiert worden war – favorisierte er ein innovatives Konzept mit vier Großfriedhöfen am Stadtrand in Aus- richtung nach den Himmelsrichtungen. Grässels zwischen 1894 und 1902 ent- worfene Friedhöfe im Westen, Osten und Norden der Stadt sind weitläufige Anlagen, die im Eingangsbereich durch

50 Der Alte Südliche Friedhof

eine monumentale Trauerhalle als Zen- auf dem symbolischen Handlungsfeld tralbau geprägt werden. Im Anschluss durch aufwendige Grabmäler markiert gestaltete Grässel den weltweit ers- werden. Wie sehr sie Teil des Münch- ten Waldfriedhof (geweiht 1907), bei ner Stadtlebens waren, zeigt sich nicht dem nun nicht mehr architektonische zuletzt darin, dass sie auch zu Orten Elemente, sondern die Einbettung der der Literatur wurden: Josef Ruederer Grabstätten in ein weitgehend natur- verfasste mit seinem „Das Grab des belassenes und durch alten Baumbe- Herrn Schefbeck“ (1909) eine überaus stand gekennzeichnetes Gelände die gelungene Satire auf die Opulenz wirt- Würde des Ortes gewährleisteten. schaftsbürgerlicher Grabmalstrategien in der Prinzregentenzeit, und Thomas Die Münchner Friedhöfe waren und Mann ließ kurz darauf seinen „Tod in sind als Orte der Identitätsstiftung, Venedig“ (1912) auf Grässels neuem der Memoria und der Kunst wichtige Nordfriedhof beginnen. Bestandteile der urbanen Gesellschaft. Auf ihnen wurde Stadtgeschichte ge- schrieben sowie neueste skulpturale und architektonische Entwicklungen umgesetzt. Gesellschaftliche Positio- nen – alte oder neu erlangte – konnten

51 Klaus J. Schulz Der Ensembleschutz für die historischen Münchner Ortskerne

München hat in den vergangenen 200 Qualitäten existieren weiter, obwohl Jahren eine stürmische Entwicklung sie verändert, baulich überformt, nach- durchlaufen. Das Wachsen zur Groß- verdichtet oder von großstädtischen stadt war nur möglich, weil rund 60 Elementen wie Hochhäusern (Beispiel Dörfer mit ihren landwirtschaftlichen Englschalking) oder Klinikbauten (Bei- Flächen eingemeindet wurden. Beson- spiel Großhadern) umstellt sind. Die ders rasant wächst die Stadt seit 1870. historischen Dorfgrundrisse sind in Großflächige Funktionen wie das Woh- mehreren Stadtvierteln sogar formge- nen, Gewerbe, Industrie und bedeu- bend und prägen die städtebauliche tende Infrastruktureinrichtungen (Flug- Struktur. Ohne die historischen Dorf- hafen, Messe, Krankenhäuser) werden kerne wäre das vielfältige Gefüge der in ihrem ländlich geprägten Umland Landeshauptstadt heute nur bedingt gebaut. Trotz des massiven Struktur- zu erklären. wandels bleiben die meisten dörflichen Kerne jedoch weitgehend erhalten. Insbesondere nach 1975, dem Eu- Ihre unverwechselbaren, einmaligen ropäischen Denkmalschutzjahr, gibt städtebaulich-räumlichen und baulichen München in den Achtzigerjahren das

Das Münchner Stadtgebiet 1812 mit den heute als Ensembles ausgewiesenen Dorfkernen

52 III. Baudenkmäler in München

Ziel aus, die anschaulichen Dokumente Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts seiner ländlichen Vergangenheit inten- ist München ein „bis dahin statisch siver unter die Lupe zu nehmen. Mit ruhendes Gebilde“ im agrarischen neuen rechtlichen Mitteln, mit erstmals Umfeld. Der Steindruck „München um „Als ehemaliger Großhaderner ausgewiesenen Ensemblebereichen 1812“ zeigt die Residenzstadt des neu nach Denkmalschutzgesetz werden geschaffenen Königreichs Bayern. Sie wünsche ich mir den Erhalt der his­torische Dorfkerne unter Schutz ge- ist umgeben von einem Kranz von alten Großhaderner Kirche und stellt und unter denkmalpflegerischen Dörfern, die deutlich älter als das Zen- Auflagen weiterentwickelt. Einfache trum sind. Diese sind selbstständige des alten Dorfkerns um die (sog. Baulinienpläne) und qualifizierte Gebietseinheiten, teils weit vor der Bebauungspläne werden aufgestellt, Stadt gelegen und mit dem Zentrum Heiglhofstraße. Dort stehen um den permanent vorhandenen über Chausseen verbunden. noch richtig alte Höfe.“ Veränderungsdruck auf die Orts- und Dorfkerne ohne gravierende Einbrüche Nach dem Schleifen der Stadtbefesti- Bankangestellter, 45 Jahre aufzufangen. Die Reste der Münchner gung öffnet sich die Stadt und wendet Dörfer erblühen so nach und nach in sich ihrem Umland zu; ab 1854 werden neuem Licht. die ersten Dörfer eingemeindet.

Das Münchner Stadtgebiet heute mit den Ensembles ehemalige Dorfkerne

Feldmoching

Allach

Langwied Moosach Lochhausen

Oberföhring Johanneskirchen Obermenzing Schloss Blutenburg Aubing Pipping Englschalking Daglfing

Untersendling

Ramersdorf Großhadern

Perlach

Forstenried Solln

Solln-Bertelestraße

53 Perlach

Moosach Ensemble Dorfkern Aubing mit seinen Baudenkmälern

Knapp 30 Jahre später vergrößert sich Eine weitere Welle der Stadterweite- München um 1870 sprunghaft in die rung verändert im ersten Drittel des Fläche, insbesondere nach Westen 20. Jahrhunderts die neuen Ränder und Süden. Die Grenzen von Stadt und der Stadt und schiebt sie weiter ins Land verwischen immer stärker. Insbe- Umland hinaus. 1938 werden die Stadt sondere die stadtnahen Dorfkerne ver- Pasing, 1942 das große Bauerndorf lieren rasch ihre bäuerlich-wirtschaft- Aubing eingemeindet, die beide im liche Grundlage: Felder, Wiesen und Westen weit vor der Stadt inmitten Wälder verschwinden sukzessive und von Feldern und Wiesen liegen. Die werden an ihren Rändern durch städti- hinzugewonnenen, weiträumigen sche Funktionen (Beispiele Ramersdorf landwirtschaftlichen Flächen können und Thalkirchen) überformt. Entlang der für das Wachstum der Stadt jedoch nur neuen Eisenbahnlinien nach Augsburg, bedingt genutzt werden. In den Dorf- Garmisch und Nürnberg werden rund kernensembles Aubing, Langwied und um die dortigen Dorfkerne großflächig Lochhausen im Westen sowie Johan- Industriekomplexe hochgezogen. Für neskirchen und Perlach im Osten der die Arbeiter der Fabriken entstehen Stadt werden die Gebäude bis heute dicht besiedelte Wohnviertel mit völlig von landwirtschaftlichen, handwerk- Ramersdorf neuen Bauformen wie die „Miets- lichen und Dienstleistungsbetrieben kasernen“ in Geschossbauweise genutzt. (Beispiel Sendling). Die Dorfkerne mit Kirche, Friedhof und Pfarrhaus (Beispiel Moosach) jedoch bleiben.

54 III. Baudenkmäler in München

In den Dorfkernensembles bleiben Ausblick schließlich nur die baulichen Hüllen der vor­industriellen, landwirtschaftli- Die städtebaulich-ländlichen Ortsbilder chen Nutzung übrig, fast durchwegs der historischen Dorfkerne leben in überformt durch gewerbliche Funktio- München weiter. Trotz des enormen Feldmoching nen. Während die Wohngebäude der Veränderungsdrucks sind die typisch Bauern bis heute weiter zum Wohnen ländlichen Strukturelemente noch genutzt werden, sind in Ställen, Remi- erkenn- und ablesbar: das sozioöko- sen und Scheunen vorstädtisch-hand- nomisch-landwirtschaftliche Gefüge in werkliche Nutzungen untergebracht. den Ensembles, die Struktur und die Gelegentlich werden sie mit maßstäb- Nutzung der kleinteiligen, meist eigen- lich angeglichenen neuen Baukörpern willig geformten Parzellen, die ländlich ergänzt. Baudenkmäler stehen neben geprägten öffentlichen Räume mit ortsbildprägenden Gebäuden, die häu- ihren individuell gewachsenen Straßen- fig selbst keine Baudenkmäler mehr und Wegesystemen, die Vorgärten, sind (Beispiel Großhadern), aber in Gartenzäune und der Bewuchs, der ihrem Zusammenklang eine neue Ein- Kanon ländlicher Baumassen, -materi- heit der dörflichen Ensembles bilden. alien und -formen sowie die vielen, die Kirche, Friedhof und Wirtshaus an der Ortsbilder besonders prägenden indi- geschwungenen Dorfstraße, Parzellen- viduellen Gebäude mit ihren ländlichen und Hofstrukturen, Baumassen und Details. deren individuelle bauliche Formen mit Wohnhaus, Remise, Stallungen und Die historischen Orts- und Straßen- Scheunen (Beispiel Langwied) sind fast bilder der ehemaligen Dorfkerne sind immer gut ablesbar erhalten. Selbst wertvolle Zeugnisse längst vergan- die Materialien, Formen und Farben gener Lebens- und Arbeitsformen. In der Gebäude, der Putz, die Hoftore, einer stürmisch weiter wachsenden Großhadern Türen und die Fenster (Beispiel Au- Metropole werden sie nur dann eine bing) erzählen Geschichten aus einer Chance haben, wenn es gelingt, den früheren Zeit. Gelegentlich hat es in Wert zu bewahren und ihre immer den vergangenen Jahrzehnten wegen noch unverwechselbaren, langsam der neuen Funktionen zwar Zwänge gewachsenen Erscheinungsbilder im und problematische bauliche Verände- Bewusstsein der Menschen zu veran- rungen gegeben, die in einem histo- kern, manchmal auch gegen die Ein- rischen Dorfensemble nicht gerecht- schätzung von Fachleuten. fertigt sind. Dennoch empfinden die Menschen die verbliebenen gebauten Die historischen Orts- und Straßenbil- dörflichen Qualitäten als einen Schatz, der der ehemaligen Dorfkerne haben den sie bewahrt haben wollen und in Zukunft dann große Chancen, wenn der für sie unbedingt erhalten werden es gelingt, sie weiter zu pflegen. Die muss. Der historische Dorfkern in der große Herausforderung wird sein, in Perlach Nachbarschaft mit seinen klein­teiligen Zeiten höchster Baulandpreise dem Angeboten an Waren und Dienstleis- enormen Investitionsdruck auch in den tungen ist für viele Großstädter iden- Dorfkernen zu widerstehen. In ihrer titätsstiftend und emotional von weit Gesamtheit und ihrer Individualität sind über das bauliche Gefüge hinausrei- die historischen Dorfkerne Teil der Lan- chender Bedeutung. deshauptstadt München.

Allach

55 Dr. Christian Behrer Archäologie in München

Das heutige München ist überwiegend gerufenen akademischen Kommission geprägt durch das 19. und 20. Jahr- für Erforschung der Urgeschichte Bay- hundert. Sowohl das kunstsinnige und erns bei der Bayerischen Akademie für wissenschaftlich orientierte wittelsba- Wissenschaften durchgeführt. Ab 1899 chische Königshaus als auch das auf- ging diese Aufgabe an die Kommission strebende Bürgertum, welches schnell der Prähistorischen (Staats-)Sammlung zu Reichtum kam, drückten der Stadt über, bis dann endgültig ab 1908 das ihren Stempel auf. Die politischen und neu gegründete Generalkonservatori- wirtschaftlichen Voraussetzungen um der Kunstdenkmale und Altertümer ließen München nach dem letzten Bayerns, das heutige Bayerische Lan- Krieg zu einer weltoffenen Metropole desamt für Denkmalpflege, zuständig mit Hauptsitz vieler weltweit agieren- für die Archäologie war. Ein erstes, der Konzerne werden, was die Frage 1908 vorgelegtes Inventar der vorge- nach der historischen Entwicklung der schichtlichen Denkmäler verzeichnet Stadt eher in den Hintergrund rücken alleine schon 120 Nachweise für den ließ. Vor dem Hintergrund einer guten Stadt- und Landkreis München. Die Quellenlage zur Geschichte Münchens Prähistorische (Archäologische) Staats- spielte die Archäologie, anders als in sammlung München kommt bis heute bayerischen Städten mit römischer Ver- auch für die Archivierung der meisten gangenheit, lange keine Rolle. Funde aus München auf.

Von der Sammelleidenschaft getrieben Eine erste Ausstellung zur Münchner und aus Respekt vor der Totenruhe, Vor- und Frühgeschichte wurde 1927 Ausgrabung frühmittelalterlicher Reihengräber waren es im 19. Jahrhundert zunächst im Festsaal der Alten Akademie ge- in Aubing 1938 durch das Bayerische Landes- spektakuläre Entdeckungen bei Bau- zeigt. Auf Anregung des Stadtarchivs amt für Denkmalpflege maßnahmen, vor allem Gräber, die als wurde aus diesem Anlass ein erster Fundmeldung in den Gazetten der örtli- zusammenfassender Katalog des chen Presse Eingang fanden. Münchner Fundmaterials vorgelegt, welcher dann ab 1958 durch die Staats- Der bisher älteste bekannte archäo- sammlung überarbeitet und ergänzt logische Fund in München war 1753 fortgeführt wurde. Die Inventarisierung zu verzeichnen. Beim Umbau der des Fundmateriales und der Fundmel- Gruftkirche im Bereich des Marienhofs dungen sowie die Listenführung der fand man ein Glasgefäß, welches „mit Bodendenkmäler wird seit 1908 durch aller Sorgfältigkeit“ geborgen wurde. das Bayerische Landesamt für Denk- Der Fund erregte so große Aufmerk- malpflege durchgeführt. 1973 trat das samkeit, dass der zur selben Zeit in Bayerische Denkmalschutzgesetz in München weilende königlich polnische Kraft. In dieser gesetzlichen Kontinui- Kron- und Kurprinz von Sachsen, tät und Aufgabe führt das Landesamt Friedrich Christian Leopold, das Gefäß für das Münchner Stadtgebiet, wie vom damaligen Kurfürsten Maximilian auch bayernweit, die flächenscharfe Archäologischer Stadtkataster, Ausschnitt Joseph bekam und es seiner Kur- Kartierung der Bodendenkmäler weiter Peterskirche und . Rot: Erhal- fürstlichen Antiquitätensammlung in (öffentlich zugänglich unter www.blfd. tenes Bodendenkmal. Schwarz gestrichelt: Dresden einverleibte. Das Gefäß hat bayern.de). Für die Münchner Innen- Stadtmauerverlauf 12. Jahrhundert sich leider nicht erhalten, es muss sich stadt sind die erhaltenen Siedlungs- aber laut Beschreibung um ein spätmit- und Kulturschichten in einem spezi- telalterliches Reliquiengefäß gehandelt ellen archäologischen Stadtkataster haben. erfasst. Archäologie gehört heute zum alltäglichen Bauablauf und ist keine Im 19. Jahrhundert waren es überwie- Überraschung mehr. gend Gräberfelder, die bei Neubau- maßnahmen das Interesse weckten, Die idealen Lebensbedingungen, so zum Beispiel 1833 beim Bau des die die Münchner Schotterebene ehemaligen Blindeninstitutes in der seit dem ausgehenden Neolithikum Ludwigstraße (heute Nr. 25), bei dem (2600 – 2200 v. Chr.) den Menschen ein Skelett mit Scherben der Hallstatt- bot, schlagen sich in einer sehr hohen zeit gefunden wurde. Spätere Unter- Siedlungsdichte nieder. Innerhalb suchungen vor Ort wurden damals der heutigen Stadtgrenzen sind 396 vorwiegend von der 1886 ins Leben Bodendenkmäler bekannt, davon 32

56 III. Baudenkmäler in München

Altorte, die in der Regel urkundlich friedhöfe bekannt, die dazugehörigen günstige Topografie und die natürlichen sehr viel älter sind als München (1158 Siedlungen sind urkundlich erwähnt, Gegebenheiten entwickelte sich die erste Erwähnung), und mehr als 100 zum Teil auch durch Grabungen belegt Münchner Schotterebene, vor allem bekannte Siedlungsniederschläge (z. B. Englschalking). Im Stadtgebiet entlang der Flüsse Amper, Würm, Isar(- mit dazugehörigen Friedhöfen und selbst sind neben den mittelalterlichen Hochufer) und Hachinger Bach, seit der Grabhügelgruppen aller Zeitepochen. Siedlungen mindestens 8 Burgställe frühen Bronzezeit zu einem wichtigen Hierzu gehört auch einer der größ- kartiert. Die seit 1822 erfassten archäo- Dreh- und Angelpunkt im Fernhandel, ten in Süddeutschland gefundenen logischen Maßnahmen, Fundmeldun- an dem die Bewohner maßgeblich be- Bronzebarrenhortfunde (Luitpoldpark gen und Beobachtungen, insgesamt teiligt waren und zu Reichtum kamen. 1928) und eine der größten dokumen- sind dies bis heute 489, belegen eine Die archäologischen Erkenntnisse der tierten bronzezeitlichen Siedlungen sehr dichte, über 4500 Jahre andau- letzten 200 Jahre liefern ein spannen- (Freiham). Römerstraßen kreuzen das ernde Siedlungstätigkeit im heutigen des und komplexes Bild der Geschich- Stadtgebiet (u. a. Augsburg-Wels), an Stadtgebiet Münchens. Der teilweise te des heutigen Stadtgebietes, an des- der sich römische Gräber, Landhäuser hochstehende Grundwasserspiegel, sen Ende eine moderne Stadt steht, (römischer Gutshof Denning, Perlach) die fruchtbaren Böden, die lockere Be- deren Wurzeln tief in der Geschichte und Raststationen reihen. Für das frü- waldung sowie der Reichtum an Wild der Münchner Schotterebene gründen. he Mittelalter (5.–7. Jahrhundert) sind und fischreichen Gewässern boten allein 25 zeittypische Reihengräber- gute Siedlungsbedingungen. Durch die

Geschichte unter dem Pflaster

Unter dem Pflaster hat sich die Ge- schichte der Stadt München erhalten. Ob nur wenige Zentimeter unter dem Asphalt einer viel befahrenen Straße, unter einem Bürgerhaus aus dem 19. Jahrhundert, dem Neubau aus den Fünfzigerjahren oder unter dem Marienhof – immer finden sich wich­ tige Zeugen der Vergangenheit.

Dieses sogenannte Archiv aus Stein und Erde liefert nicht nur wichtige In- formationen zu vor- und frühgeschicht­ lichen Epochen sowie der Zeit direkt vor 1158, aus der wir kaum schriftliche , 2005: Fundamente des herzoglichen Marienhof, 2011/12. Archäologie mitten im Quellen besitzen, sondern auch für Hofbades und ersten Brauhauses unter dem Stadtkern. Aus der Luft wird die Größe des das hohe und späte Mittelalter sowie Neubau der Fünfzigerjahre. Vermutlich ist dies Grabungsareals auf dem Marienhof sichtbar. auch der Ort, an dem Agnes Bernauer Herzog 2 Jahre lang legten die Archäologen die die Neuzeit. Hier können die Funde die Albrecht III. traf. Geschichte eines 1944 zerstörten Stadtviertels Historie ergänzen, vor allem wenn es frei. um Erkenntnisse geht zu Lebens- und Essgewohnheiten, Krankheiten, Sied- lungsentwicklungen und Bauweisen – vermeidbar sein und durch Baumaß- Die einzelnen Untersuchungsflächen, Informationen, die keinen Niederschlag nahmen mit Bodeneingriffen eine die von Archäologen in München do- in den schriftlichen Quellen gefunden Zerstörung drohen, muss dieses Ar- kumentiert werden, sind Teile eines haben. chiv vorher fachgerecht dokumentiert großen historischen Puzzles. Sie liefern werden. Hierbei sind die Archäologen beim Zusammenfügen Informationen, In erster Linie gilt es, dieses Archiv die letzten Zeugen dieser historischen die dazu beitragen, die Geschichte der zu schützen, also nicht auszugraben. Quelle, nach ihnen wird dieses Archiv Besiedlung der Münchner Schotter­ Sollte die Ausgrabung allerdings nicht unwiederbringlich zerstört. ebene möglichst lückenlos zu erzählen.

57 Harald Scharrer Gartenanlagen und Denkmalschutz: Münchner Gartendenkmäler

Dass historische Gebäude, alte Orts- ten. Abweichend von der Systematik kerne oder einheitlich gestaltete der übrigen Baudenkmalpflege, bei Siedlungen früherer Zeiten durch das welcher der Schutz der historischen Denkmalschutzgesetz bewahrt wer- Substanz im Vordergrund steht, ist den, ist sicher vielen bewusst; dass beim Gartendenkmal nicht die einzelne aber auch historische Gartenanlagen Pflanze an sich geschützt, sondern die den Schutz dieses Gesetzes genießen Gartenanlage als Ganzes. Als Lebewe- können, dürfte weit weniger bekannt sen, das dem natürlichen Zyklus von sein. Bei näherer Betrachtung ist dies Werden und Vergehen unterworfen ist, aber nur folgerichtig, da alte Gartenan- wäre dies bei einer Pflanze auch gar lagen eine Facette der von Menschen nicht möglich. Der größere Teil eines geschaffenen Umwelt darstellen und Gartendenkmals ist somit einer ständi- genauso wie Gebäude Zeugnis von gen Veränderung unterworfen. vergangenen Gesellschafts- und Wirt- schaftsformen sowie gestalterischen Innerhalb Münchens finden sich zahl- Vorstellungen der jeweiligen Epoche reiche unterschiedliche Gartendenk- ablegen können. Die Bandbreite der mäler. Am bekanntesten sind sicher verschiedenen Gartentypen ist dabei die großen Parkanlagen, wie z. B. enorm. Sie reicht vom herrschaftlichen der Englische Garten oder der Nym- Schlosspark, Klostergarten oder öffent- phenburger Schlosspark. Aber auch lichen Park bis hin zum Hausgarten, kleine Grünanlagen, wie z. B. der Alte Bauerngarten oder Dorfanger. Wichtig Botanische Garten, sind geschützt. ist hierbei, in Abgrenzung zum Natur- Daneben stellen auch die Gärten klei- schutz, die „künstliche“ Anlage des nerer Schlösser, wie der des Schlosses Gartens durch Menschenhand. Dabei Freiham oder des Schlosses Suresnes schließen sich Naturschutz und Gar- in Altschwabing, Gartendenkmäler dar. tendenkmalschutz keineswegs aus. Der Garten des Lenbachhauses ist Entscheidend für das Gartendenkmal ebenso geschützt wie die Gartenanla- ist dessen erkennbare historische An- ge der Mohr-Villa in Freimann. lage, z. B. in Form von Wegeführungen, Verteilung von Pflanz- und Wasserflä- chen sowie architektonischen Einbau-

58 Borstei Exemplarisch sollen hier drei der Münchner Gartendenkmäler etwas genauer vorgestellt werden. Als erstes die Freianlagen der Wohnsiedlung Borstei (Hengelerstraße 2) aus den Zwanzigerjahren. Die Borstei besticht als Gesamtkunstwerk nicht nur durch ihre Architektur, sondern auch durch die Gestaltung der Gartenflächen. Die verschiedenen Innenhöfe wurden dazu genutzt, unterschiedliche Gärten anzu- legen, die mit einer Vielzahl von archi- tektonischen Elementen, wie Brunnen, Plastiken und Vasen geschmückt sind. Die Anlage dokumentiert die Garten- kunst ihrer Entstehungszeit und die sozialen Vorstellungen ihres Erbauers Bernhard Borst. Dieser schrieb 1951 in einem Brief an seine Mieter: „Vor 25 Jahren, nachdem ich schon die ersten Häuser der Borstei erbaut hat- te, kam mir an einem wundervollen Maisonntag-Morgen im Schleißheimer Schlossgarten der Gedanke: Warum baut man nicht um den Garten, der den Menschen so viel Freude, Ruhe und Entspannung geben kann, Woh- nungen?“

59 Radspieler-Garten Die Münchner Altstadt birgt mit dem sog. Radspieler-Garten (Garten des ehem. Palais Rechberg, Hackenstra- ße 7) einen großen gartendenkmal- pflegerischen Schatz. Zurückgehend auf einen herzoglichen Lustgarten, hat sich hier über Jahrhunderte der letzte große, 64 x 29 Meter messende innerstädtische Privatgarten erhalten. Nur noch anhand dieses Kleinods lässt sich ein Palaisgarten der Münchner Altstadt erleben. Er beherbergt neben zwei Gussfiguren von Toni Stadler – „Sitzende“ und „Liegende“ – aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg einen Rundbrunnen mit einem auf einem Delphin reitenden, wasserspeienden Knaben als Brunnenfigur. Der Brunnen gilt als Werk von Roman Anton Boos. Daneben wird der Garten noch durch einen frühklassizistischen Säulenbrun- nen aus der Zeit um 1780 bereichert. Dieser Brunnen befand sich bis 1873 auf der Straße vor der Westseite des Radspieler-Anwesens.

60 III. Baudenkmäler in München

Von-der-Pfordten-Straße 19 Mauern umfriedetes Gartenparterre Villa und Garten des Anwesens Von- mit einem von Wegen umsäumten der-Pfordten-Straße 19 gehen auf Wasserbecken, das seitlich wiederum den Architekten Alwin Seifert zurück. von Staudenbeeten eingefasst wird. Seifert hatte an der TH München Archi- So entstand eine für die Entstehungs- tektur studiert und beschäftigte sich ab zeit typische Gartenanlage. Die Be- den Zwanzigerjahren zunehmend mit sonderheit an diesem Gartendenkmal der Gartenbaukunst. Für die 1925/26 ist, dass Haus und Garten ganzheitlich errichtete Villa in der Von-der-Pfordten- von einem Planer entworfen wurden. Straße entwarf er einen symmetri- Mithilfe eines „Parkpflegewerks“ lie- schen Südgarten. Er ordnete direkt vor ßen die Eigentümer des Anwesens die dem Wohnhaus eine erhöhte Terrasse historischen Hintergründe ihrer Garten- an, die durch eine Mauer abgeschlos- anlage ermitteln und darauf aufbauend sen wird. Dieser ist eine zweite, nied- ein Konzept zur Pflege des Gartens rigere Mauer vorgelagert. Zwischen entwerfen. Damit ist ein fachgerechter den Mauern legte Seifert eine Stau- Umgang mit der Gartenanlage sicher- denrabatte an. Danach folgt ein von gestellt.

61 Denkmalschutz in der Praxis

62 IV. Denkmalschutz in der Praxis

Gespräch zwischen den Projektbeteiligten Albert-Roßhaupter-Straße 1 – ein Schmuckstück der Jahrhundert­ wende zu neuem Leben erweckt

Eigentümerin Frau Gillitzer: Meine Architekt Herr Nielsen: Diese Dekora- Großeltern bezogen das Haus im Jahr tionen stammen aus der Erbauungszeit 1907. Davor hatte sich auf dem Grund- des Hauses, also aus den Jahren kurz stück der Bauernhof meiner Urgroß- nach 1904. Die symmetrisch aufge- eltern befunden, der jedoch baufällig baute Fassade war 1956 purifiziert und war und abgerissen wurde. Das Haus dabei großer Teile ihrer neubarocken stand am Anfang ganz allein, inmitten Dekoration beraubt worden. Gleich eines großen Gartens. Den „Harras“, 1973, als man die Denkmallisten wie wir ihn heute kennen, gab es da- erstellte, wurde das Gebäude unter mals noch nicht: Da war eigentlich nur Schutz gestellt. Zum ersten Mal hatte eine Haltestelle, benannt nach einem ich 1999 mit dem Haus zu tun, im Zuge Café mit Gartenwirtschaft, einem be- einer Fassadenrenovierung. Ich be- liebten Ausflugsziel. Ich erinnere mich schäftige mich immer auch mit der Ge- gut an das Haus, wie es aussah, als ich schichte von Häusern und ihrer städte- Kind war – ich besuchte meine Groß- baulichen Situation: Wir befinden uns eltern oft und spielte dort im Garten. in einem früheren Vorort von München, Nun wohne ich seit Langem selbst der einst ländlich geprägt und plötzlich hier, schon seit den Sechzigerjahren. Teil der Stadt geworden war. Durch das Bevölkerungswachstum in München Im Krieg wurde das Haus von Brand- wurden die alten Bauernhöfe mehr und bomben getroffen, dabei aber nur im mehr durch große, städtische Gebäu- Dachbereich beschädigt. Die Oberlich- de verdrängt. Das Haus hat sicherlich ter mit ihren Bleiverglasungen blieben aufgrund seiner Größe am Anfang die auf wundersame Weise erhalten. Die Dimensionen gesprengt. Am Harras bemalten Glasfenster im Treppenhaus standen noch viele ein- bis zweige- fielen allerdings durch die Druckwellen schossige Häuser mit großen Gärten. der Bomben heraus. Meine Großmut- In den frühen Dreißigerjahren kam der ter sammelte die Scherben alle sorg- Neubau des Postamts durch die Ober- fältig auf und wickelte sie in Zeitungen postdirektion unter Robert Vorhoelzer Frau Gillitzer (rechts) mit ihrer Schwester im vom 26. Oktober 1944 ein. Nach dem hinzu, ein Beispiel des Neuen Bauens. Treppenaufgang des Gebäudes Albert-Roß- Krieg wanderten sie erst einmal auf In den Siebzigerjahren, nach dem Bau haupter-Straße 1 den Speicher. 1956 gab es schon der U-Bahn, war es mit dem dörflichen einmal eine Renovierung. Damals, mit- Charakter dann endgültig vorbei. ten in der Wiederaufbauzeit, machte man das aber eher pragmatisch: Die Fassade wurde vereinfacht – die war früher viel reicher geschmückt – und das Treppenhaus bekam einen neuen Anstrich. Dann gab es noch mal einen Anstrich in den Siebzigerjahren, mit einer rosa Lackfarbe. Diese Farbschich- ten mussten bei der letzten Renovie- rung, die 2007 stattfand, erst vorsichtig wieder runtergekratzt werden … Im Familienrat fiel damals der Entschluss, das Treppenhaus möglichst originalge- treu wieder herrichten zu lassen. Im Eingangsbereich gab es Wände mit gemalten Steinimitationen, auch die wurden wiederhergestellt.

63 ben. Es sollten ganz unterschiedliche Oberflächen bearbeitet werden: die Wohnungstüren mit ihrer Holzimitati- on, die Marmorierung im Wandsockel des gesamten Treppenhauses und die Stuckmalerei in der Eingangshalle. Die- se Wiederherstellung war letztlich nur möglich, weil sie aufgrund ihrer großen Bedeutung durch Zuschüsse der Un- teren Denkmalschutzbehörde und des Landesamts für Denkmalpflege sowie vom Bezirk Oberbayern unterstützt wurde. Damals waren die Töpfe glück- licherweise noch ein bisschen besser gefüllt als heute … Schließlich muss ich hervorheben, dass es ohne das gro- ße Engagement der Eigentümer nicht gegangen wäre: Hätte sich die Familie nicht entschieden, das Projekt in dieser Form in Angriff zu nehmen, wäre es so natürlich nicht durchführbar gewesen.

Gillitzer: Darüber bestand absolute Einigkeit innerhalb der Familie. Auch die jüngere Generation, die das Haus ja irgendwann übernehmen wird, stand dem Ganzen positiv gegenüber – und das war uns sehr wichtig! Herr Niel- sen hat mit großer Akribie und einem Untere Denkmalschutzbehörde Auge fürs Detail nach guten Lösungen Frau Betzl: 2003 wurden die Eigen- gesucht. Im Lauf der Zeit haben wir türmer aufgefordert, feuerpolizeiliche gemerkt: Wenn die eine Maßnahme Mängel zu beseitigen: Die Wohnungs- gut läuft, können wir vielleicht doch eingangstüren und die Treppenraum- auch die nächste in Angriff nehmen. fenster waren nur einfach verglast, Die gute Begleitung durch den Archi- was aus Sicherheitsgründen nicht tekten hat uns wirklich Mut gemacht. „In den alten – fast schon dörf­ mehr zulässig ist. Die Ertüchtigung der Überhaupt verlief das ganze Zusam- Türen und Fenster im Treppenhaus ist menwirken mit den Behörden, dem Ar- lichen – Münchner Werkstatt­ so gut gelungen, dass ein Laie nicht chitekten und den Restauratoren sehr höfen und Hinterhofläden erkennen kann, dass die Gläser erneu- harmonisch! ert sind. Und der Brandschutz ist jetzt lassen sich oftmals noch heute gewährleistet. Betzl: Bei der Befunduntersuchung, die an sieben, acht Stellen des Trep- Arbeit, Leben und Wohnen Zu diesem Zeitpunkt konnte man penhauses durchgeführt wurde, miteinander verbinden. Schön schon ahnen, dass es im Treppenhaus kamen florale Motive an den Wandflä- noch Entdeckungen zu machen gibt: chen und überall die gleiche charakte- wäre es, wenn diese erhalten Am Kellerabgang war die Lackschicht ristische Farbigkeit in der Sockelzone blieben und weiter so genutzt an manchen Stellen abgeplatzt. Da­ zum Vorschein. Es war davon auszu- runter kam eine Marmorierung zum gehen, dass ausreichend Substanz würden, um von dieser Tradition Vorschein – zwar nur in kleinen Teil- vorhanden sein würde, dass man das flächen, aber genug um zu sehen, Vorhaben einer originalgetreuen Wie- zu erzählen und weiter zu dass eine wertvolle Wandgestaltung derherstellung angehen konnte. wachsen.“ darunter liegt. Nach einer Befund- untersuchung kannten wir Art und Restaurator Herr Flanderka: Die Tem- Neu-Münchnerin, 40 Jahre Aufbau der ursprünglichen Dekoration. peramalerei aus der Erbauungszeit war Das Landesamt für Denkmalpflege mit mehreren Schichten einer Ölfarbe war in den Prozess eingebunden und übermalt worden, und das lässt sich konnte uns Restauratoren nennen, die gar nicht so einfach wieder voneinan- Erfahrungen mit solchen Arbeiten ha- der trennen. Und ein kleines Risiko

64 IV. Denkmalschutz in der Praxis

bleibt immer: Wie es wirklich darunter Betzl: Es ist schon erstaunlich, was in aussieht, weiß man erst, wenn alles diesem Treppenhaus für Schätze zum freigelegt ist. Es ließ sich vorab nicht Vorschein kamen. Und wir können sagen, ob wirklich an jeder einzelnen davon ausgehen, dass es in München Stelle noch genug Originalsubstanz da diesbezüglich noch einiges unter den sein würde – oder ob wir rekonstru- vielen Farbschichten zu entdecken gibt ierend arbeiten müssen. Aber der Zu- – man sieht es eben nicht unbedingt, stand war so gut, dass wir hauptsäch- es muss nur ein späterer Anstrich lich retuschiert haben. Nur im Bereich drüber sein. Hier hatten wir den glück- der Fenster musste ein wenig ergänzt lichen Fall, dass die Eigentümer ein rie- werden. Mehrere Restauratoren er- siges Interesse an ihrem Haus haben wärmten in mühevoller Kleinarbeit mit und das Ursprüngliche sehr wertschät- einem Fön die alte Lackschicht im Trep- zen. Das Zusammenspiel zwischen penhaus und nahmen sie vorsichtig ab, den Besitzern, uns als Behörde, dem ohne die unterste Schicht aus der Er- Architekten und den Restauratoren hat bauungszeit dabei zu beeinträchtigen. hervorragend geklappt – eine bessere Das war enorm schwierig: Es gab Tage, Konstellation kann man sich kaum vor- da kamen wir nur 20 Zentimeter voran. stellen. Und das Ergebnis bestätigt uns Frau Gillitzer besuchte uns natürlich oft darin, dass sich die vielen Mühen mehr und erkundigte sich über den Fortgang als gelohnt haben! der Arbeiten. Aber es gab nie einen Punkt, an dem sie sagte: „Das wird Gillitzer: Vielleicht sollte ich zum mir zu aufwendig.“ Zuerst hat man das Schluss noch erzählen, wie die Ma- Ganze nur fragmentarisch gesehen, donna in unsere Familie kam, die über aber Stück für Stück hat sich das zu dem Hausportal in einer Nische steht: einem wunderbaren Ganzen zusam- Meine Urgroßeltern lebten in der Blu- mengesetzt. menstraße und hatten einen Laden an der Fleischbank. Meine Urgroßmutter Nielsen: Irgendwann kam Frau Gillitzer Kreszentia Gillitzer stand eben in ihrem auf mich zu und sagte: „Auf dem Dach- Geschäft, als eine Kundin hereinkam boden liegt noch etwas, das muss ich und aufgeregt rief: „Haben Sie das ge- Ihnen zeigen.“ Das waren die in altes hört? Die verkaufen heute die Kopien Zeitungspapier eingewickelten Glas- von der Maria!“ Die Maria von der scherben. Wir packten sie vorsichtig Mariensäule war kurze Zeit zuvor für aus und breiteten sie im Salon auf ei- eine Restaurierung abgenommen nem Tisch aus. Ich fertigte Schablonen worden und bei der Gelegenheit hatte in Originalgröße der Fenster an, auf die man drei Kopien angefertigt. Meine wir die Teile legten. Insgesamt gibt es Urgroßmutter, die sehr kunstliebend vier Fenster, jeweils 1,2 x 1,8 Meter war, schloss sofort ihren Stand zu, groß, und alle mit verschiedenen Mo- rannte da hin und hat sich eine gesi- tiven. Es war wie ein riesiges Puzzle. chert. Leider weiß ich nicht, wie viel sie Wir beauftragten die Mayer’sche Hof- dafür bezahlt hat. Die Madonna stand kunstanstalt, etwas über die ursprüng- dann erst mal in der Blumenstraße, liche Farbigkeit herauszufinden, die im Wohnungsflur. Als mein Großvater sich im Lauf der Zeit durch Licht- und das Haus in Sendling baute, war klar, Wettereinwirkungen verändert hatte, dass die Madonna auch mit umzieht. und die fehlenden Stellen zu rekonstru- Leider hat sie im Krieg ein bisschen ieren. Auch wurde ein Konzept entwi- gelitten, vorher war sie noch schöner. ckelt, wie die Bleiverglasung in Zukunft Aber dennoch: Meine Großeltern vor Witterungseinflüssen geschützt wären sehr glücklich, wenn sie sehen werden kann. Ein Spezialschreiner fer- könnten, dass das Haus jetzt – nach tigte dann für die bestehenden Fens- dieser wechselvollen Geschichte, das terrahmen ein zweites Fensterprofil es erlebt hat – wieder in seinem alten an. Außen wurden Klarglasscheiben Glanz erstrahlt. eingesetzt, innen die alten, bemalten Fenster montiert. Die wunderschönen Gartenmotive sind auf diese Weise von innen und außen sichtbar.

65 Günther Kick Vom Antrag zum denkmalrechtlichen Erlaubnisbescheid

Wer an einem Einzelbaudenkmal Veränderungen oder Instandsetzungs- maßnahmen durchführen will, benötigt eine denkmalschutzrechtliche Erlaubnis oder – wenn es sich um ein baugeneh- migungspflichtiges Vorhaben handelt – eine Baugenehmigung. Da der Denk- malschutz bei Einzelbaudenkmälern nicht nur die Fassade und das Dach, sondern auch das Gebäudeinnere sowie gegebenenfalls Nebengebäude und Nebenanlagen wie z. B. Einfriedun- gen umfasst, gilt dies sowohl für das Äußere wie auch das Innere.

Über die Bayerische Bauordnung hinaus gilt daher:

„Wer 1. Baudenkmäler beseitigen, verändern oder an einen anderen Ort verbringen oder 2. geschützte Ausstat- tungsstücke beseitigen, verändern, an einen anderen Ort verbringen oder aus einem Baudenkmal entfernen will, bedarf der Erlaubnis.

Hinweise:

– Untersuchung der Bausubstanz

– Vorberatung mit der Unteren Denkmalschutzbehörde

– Definition der Ziele

– Planungskonzept mit Beschreibung der geplanten Maßnahme sowie Darstellung des Gebäudes bzw. Gebäudeteils (z. B. mit Plänen, Fotos etc.), Beschreibung der beabsichtigten Änderungen, Zeit- plan, ggf. durch ein Architekturbüro

– Abstimmung des endgültigen Konzepts mit der Unteren Denkmalschutzbehörde

– Denkmalrechtlicher Erlaubnisantrag oder Antrag auf Baugenehmigung

– Erlaubnisbescheid oder Baugeneh- migung durch die Untere Denk- malschutzbehörde oder die Untere Bauaufsichtsbehörde

– Durchführung der Maßnahme, ggf. unter Berücksichtigung der Auflagen der o. g. Behörden.

66 IV. Denkmalschutz in der Praxis

Der Erlaubnis bedarf auch, wer in der Denkmalschutzbehörde zu stellen. In treffen zu können. Schwierige und Nähe von Baudenkmälern Anlagen er- dem Antrag und einer zusätzlichen stadtgestalterisch bedeutsame Fälle richten, verändern oder beseitigen will, Maßnahmebeschreibung sollte das werden in die Sitzung für Heimat- und wenn sich dies auf Bestand oder Er- Vorhaben so detailliert wie möglich be- Denkmalpflege (HDS) eingebracht, scheinungsbild eines der Baudenkmä- schrieben werden. Ist ein Baugenehmi- in der das Bayerische Landesamt für ler auswirken kann. Wer ein Ensemble gungsverfahren (z. B. bei Ausbau des Denkmalpflege, der Heimatpfleger und verändern will, bedarf der Erlaubnis Dachgeschosses) erforderlich, ersetzt die Untere Denkmalschutzbehörde in nur, wenn die Veränderung eine bauli- die Baugenehmigung die denkmal- 14-tägigem Turnus über die Anträge che Anlage betrifft, die für sich genom- rechtliche Erlaubnis bei Baudenkmä- beraten. men ein Baudenkmal ist, oder wenn lern. Ein separater Erlaubnisantrag ist sie sich auf das Erscheinungsbild des dann nicht nötig. Vorberatungen und denkmalrechtliches Ensembles auswirken kann.“ (Art. 6 Erlaubnisverfahren sind kostenfrei. Abs. 1 Bayer. Denkmalschutzgesetz). Zur Abklärung aller Fragen stehen Instandsetzungs- und Restaurierungs- zunächst die Mitarbeiterinnen und Mit- maßnahmen an denkmalgeschützten Sind Bodendenkmäler bekannt, ist vor arbeiter der Unteren Denkmalschutz- Gebäuden können steuerlich absetzbar Beginn von Baumaßnahmen in Abstim- behörde, die in München organisato- sein. Steuerbescheinigungen stellt das mung mit dem Bayerischen Landesamt risch beim Referat für Stadtplanung Bayerische Landesamt für Denkmal- für Denkmalpflege bei Bedarf eine qua- und Bauordnung angesiedelt ist, zur pflege aus. Unter bestimmten Voraus- lifizierte Untersuchung und Dokumen- Verfügung. In vielen Fällen wird zur setzungen können auch Zuwendungen tation vorzunehmen. fachlichen Beurteilung der Gebiets­ z. B. bei der Unteren Denkmalschutz- referent des Bayerischen Landesamtes behörde, beim Bayerischen Landesamt Der Antrag auf denkmalschutzrechtli- für Denkmalpflege hinzugezogen. für Denkmalpflege oder beim Bezirk che Erlaubnis ist rechtzeitig, möglichst Auch kann es erforderlich sein, dass Oberbayern beantragt werden. 8 Wochen vor Aufnahme jeglicher erst Ortseinsichten vorzunehmen sind, Arbeiten, schriftlich bei der Unteren um abschließende Entscheidungen

Denkmalschutzbehörden (Art. 11 DSchG) Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege (Art. 12 DSchG)

Staatliche Fachbehörde für alle Fragen des Denkmal­- Oberste Denkmalschutzbehörde schutzes und der Denkmalpflege, dem Staatsministerium im Bayerischen Staatsministerium für unmittelbar nachgeordnet Wissenschaft, Forschung und Kunst

Höhere Denkmalschutzbehörde in der Regierung von Oberbayern

Untere Denkmalschutzbehörde im Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt München

Landesdenkmalrat (Art. 14 DSchG)

Heimatpfleger (Art. 13 DSchG) Der Landesdenkmalrat hat die Aufgabe, die Staatsregierung zu beraten und in wichtigen Fragen der Denkmalpflege mitzuwirken. Soll eine Mehrheit von baulichen Anlagen Der Heimatpfleger/die Heimatpflegerin berät und (Ensemble) festgelegt werden, so ist der Landesdenkmalrat unterstützt die Denkmalschutzbehörden und das zu beteiligen. Die Mitglieder werden auf Vorschlag der Bayerische Landesamt für Denkmalpflege in Fragen entsendenden Stelle vom Landtag bestellt. der Denkmalpflege und des Denkmalschutzes.

67 Dr. Silvo Schaller Finanzierung und Zumutbarkeit

Manch einen Eigentümer eines Denk- stellt werden. Ansprechpartner sind prognostiziert seine Aufwendungen. mals treibt die Sorge um, dessen Er- hier z. B. der Bezirk Oberbayern, das Dieses Konzept wird bereits in einem halt könnte ihn finanziell überfordern. Bayerische Landesamt für Denkmal- frühen Planungsstadium mit den Neben den in der Regel vorfinanzierten pflege, die Deutsche Stiftung Denkmal- Denkmalschutzbehörden abgestimmt. Kosten für den Erhalt des unter Schutz schutz, die Bayerische Landesstiftung Denn die Rahmenbedingungen aus stehenden Gebäudes muss er be- oder die betreffende Kommune. Die dem Denkmalschutz erweisen sich für achten, dass er dieses auch zukünftig Höhe der insgesamt gewährten Zu- die spätere Nutzung als Vorgaben. Die nicht beliebig nutzen kann. Im Regelfall schüsse kann im Einzelfall bis zu meh- nicht angefallenen, aber aktuell zwin- muss er die dem Gebäude eigene Nut- reren Hunderttausend Euro betragen. genden Kosten eines in der Vergan- zung weiter verfolgen, also etwa ein genheit unterlassenen Bauunterhalts Wohnhaus weiterhin zu Wohnzwecken Trotz zugesagter Zuschüsse und den werden dabei aber nicht als notwen- nutzen. Er kann es keiner ggf. ertrag­ Erleichterungen über das Steuerrecht dige Sanierungskosten anerkannt. Es reicheren Nutzung zuführen, auch kann der Abbruch des Denkmals und müssen ferner alle Möglichkeiten einer wenn dies nach allgemeinem Baurecht ein anschließender Neubau gleichwohl Verwertung auf dem Grundstück (z. B. zulässig wäre. wirtschaftlicher als eine Sanierung ein Neubau in ausreichendem Abstand sein. Nach der Rechtsprechung ist so zum Denkmal) ausgenutzt werden, die Zur Entlastung des Denkmaleigentü- eine vergleichende Betrachtungsweise sich mit dem Denkmalschutz in Ein- mers gewährt ihm das Steuerrecht aber ausgeschlossen. So muss auf ei- klang zu bringen sind. Auf diese Weise Abschreibungsmöglichkeiten von ne (noch) rentierlichere Nutzung durch lassen sich in der Regel attraktive Ge- 7 – 9 % der Herstellungskosten für Abbruch des Denkmals verzichtet wer- samtkonzepte verwirklichen, die zum einen Zeitraum von 10 oder 12 Jahren den, solange der Erhalt des Denkmals dauerhaften Erhalt von Denkmälern (§§ 7 i,11b Einkommenssteuergesetz). nicht dauerhaft zu finanziellen Verlus­ führen, ohne dass der Denkmaleigen- Daneben kann bei verschiedenen ten führt. Dazu legt der Eigentümer im tümer finanziell unzumutbar belastet staatlichen und kommunalen Stellen Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsbe- wird. parallel ein Antrag auf Förderung ge- rechnung ein Nutzungskonzept vor und

68 IV. Denkmalschutz in der Praxis

Gert Goergens Münchner Stadtheimatpflege

Münchner Stadtheimatpflege ist die immer wieder neue und spannende Gratwanderung zwischen Pflege und Bewahren der historischen Bausub- stanz und dem Hinzufügen bzw. dem Ersatz durch jeweils neue, zeitgemäße Baugestaltung. München nimmt im Umgang mit Tradition und Moderne durchaus eine eigenständige Haltung ein. So wurden und werden die großen Brüche und Konfrontationen in aller Regel vermieden, zugunsten eines eher feiner abgestimmten Dialoges zwischen Alt und Neu.

Als dritter Stadtheimatpfleger von München nach Alexander Freiherr von Branca (1972 –1988) und Prof. Dr. Dr. Enno Burmeister (1988 –2000) ver- suche ich diesen Ansatz aufzugreifen und weiterzuführen. Das Bayerische Siemens-Konzernzentrale vom Wittels­ Denkmalschutzgesetz (DSchG), des- bacherplatz aus (Rendering) sen enorme, positive Bedeutung wir Bauherrnsprechstunde. Hier gelingt Architekten: Henning Larsen Architects, heute nach 40 Jahren zu würdigen es immer wieder, festgefahrene oder Kopenhagen versuchen, räumt den Heimatpflegern, strittige Projekte durch einen offenen Das Haus Wittelsbacherplatz 2 – ein ein- abweichend von den Gesetzen aller und konstruktiven Dialog positiv zu fühlsamer Nachkriegsbau an der Ecke zur Finkenstraße­ (auf dem Rendering links der anderen Bundesländer, erhebliche Mit- beeinflussen. Mitte) – steht nicht unter Denkmalschutz. wirkungsmöglichkeiten ein. – Teilnahme an den Sitzungen der Im Zuge des Plangutachtens für das neue Stadtgestaltungskommission mit Siemens-Hauptquartier wurde das Haus zur In den Statuten zur Heimatpflege heißt Vorschlagsrecht, Rolle des Vermitt- Disposition gestellt, um dort einem Neubau mit großzügiger Eingangssituation Platz zu es dazu ganz lapidar: „Der Heimat- lers. Sowohl umstrittene als auch machen. Durch schriftliche Statements, enga- pfleger wird gebeten, auch in Zukunft herausragende Beispiele der bauli- gierte Beratung in den Kolloquien des Archi- dazu beizutragen, unsere Heimat vor chen Stadtentwicklung können hier tektenwettbewerbs sowie im Preisgericht ist Verlusten zu bewahren und den vor- vorgestellt, im Kreis der bestellten es am Ende gelungen, den Bauherrn zu über- handenen Werten neue hinzuzufügen.“ Fachleute diskutiert und dem Stadtrat zeugen, den Wittelsbacherplatz als wichtiges klassizistisches Platzensemble vollständig zu Nach zwölf Jahren Engagement als mit entscheidenden Empfehlungen erhalten und einen Entwurf zu realisieren, der Stadtheimatpfleger habe ich Chancen zur baulichen Gestaltung weitergelei- einen sensiblen, gleichwohl gelungenen und und Gestaltungsmöglichkeiten dieses tet werden. maßstäblich angemessenen Dialog der mo- Ehrenamtes kennen und schätzen ge- – Mit wirkung in Preisgerichten bei re- dernen Konzernzentrale mit dem umgebenden Stadtquartier darstellt. lernt. Zum einen schätze ich die enge levanten Wettbewerben, Einfluss auf Zusammenarbeit mit den Vertretern die stadtbildverträgliche Gestaltung der Denkmalschutzbehörden, zum von Neubauprojekten. anderen ist mir auch die Intervention in – J urymitglied beim „Fassadenwett­ darüber hinausweisende stadtbildrele- bewerb“ sowie beim „Preis für vante Entwicklungen ein besonderes Stadtbildpflege“. Anliegen. Neue Herausforderungen: Die konkreten Gestaltungsmöglichkei- – Das aktuelle Thema Wachstum erfor- ten für den Stadtheimatpfleger dert Nachverdichtung mit Augenmaß, sind folgende: Haltung und Qualität – Identität des Gebauten erhalten – Stellungnahme zu Bauleitplanungen – Umnutzungen und Weiterbauen als als Träger öffentlicher Belange. Beitrag zur Nachhaltigkeit – Teilnahme an der Sitzung der Heimat- – Sc hutz des öffentlichen Raumes und Denkmalpflege (HDS) und schrift- gegenüber zunehmender Werbung, liche Stellungnahme zu relevanten Vermarktung und Verunstaltung Bauvorhaben in Zusammenarbeit mit – B ehutsamer Umgang mit Nach- den Vertretern der Denkmalschutz- kriegsarchitektur, die wir neu zu behörden. Jeweils am Nachmittag bewerten beginnen

69 Ludwig Semmler Fassadenwettbewerb – Münchens schönste Fassaden

Der Münchner Stadtrat beschloss Geschmack als kitschig empfundene 1969 einen Wettbewerb zum Schutz „Zuckerbäckerstuck“ wurde oftmals von Fassaden des Historismus und abgeschlagen und die alten Sprossen- des Jugendstils auszuloben. Erforder- fenster gegen moderne Einscheiben- lich wurde dieser Beschluss, da aus fenster ausgetauscht. Unverstand die Stuckierungen dieser Stilepochen oftmals abgeschlagen wur- Das Ergebnis dieser Purifizierungs- den und dadurch eine Verödung des welle wurde für den Stadtbildpfleger Stadtbildes drohte. Oberbaurat Erwin Pressl und den Architekten Erwin Schleich schnell Die Vergabe der XX. Olympischen sichtbar. Ohne die architektonische „Ich möchte gerne alle Stadt­tore Spiele an München löste ab 1966 eine Gliederung und Fensterteilungen ent- nie dagewesene Aufbruchstimmung standen unproportionierte, monotone, erhalten lassen. Sie dienen mir in der Stadt aus. Der Welt wurden gesichts- und geschichtslose Häuser, immer als Treffpunkt und zur „heitere Spiele“ versprochen. Dazu Straßen und Plätze. Auch Studenten sollte neben den Wettkampfstätten des Kunsthistorischen Instituts erkann- Orientierung.“ auch ein modernisiertes Stadtbild bei- ten dies. Auf Anregung des Ordinarius Abiturientin, 18 Jahre tragen. Trotz aller Aufbauleistungen in für Kunstgeschichte der Universität den zurückliegenden Nachkriegsjahren München, Prof. Dr. Wolfgang Braun- gab es noch zahlreiche Baulücken und fels, nahmen sie sich dieser Entwick- rußgeschwärzte Althausfassaden, die lung an. Ihre Untersuchung ergab, dass das Stadtbild unansehnlich erscheinen durch die falsch verstandene Moderni- ließen. Die Stadt rief deshalb dazu sierung bereits ein Großteil der histori- auf, hässliche Trümmergrundstücke zu schen Fassaden zerstört worden war. bebauen. Die Beseitigung der architek- Eile war geboten, wenn man die Bar- tonischen „Schönheitsfehler“ stand barei stoppen wollte. Unter dem Motto unter dem Motto „München wird mo- „Rettet Münchens Fassaden – Seien derner“. Sie modern, indem Sie erhalten! – Verhunzt Eure Fassaden nicht !“ luden Auch zahlreiche Althausbesitzer sie zu einer Podiumsdiskussion in die modernisierten ihre Häuser im Stil Ludwig-Maximilians-Universität ein. der Zeit. Der gemäß dem damaligen

Hans-Sachs-Straße Untere Grasstraße 6

70 „Persil-Schule“, Landsberger Straße 150, erbaut 1954/55, erhielt 2005 den Fassadenpreis. Als Maßnahme der öffentlichen Hand werden, welche architektonischen und wurde u. a. ein „Ehrenpreis für vorbild- stadtgestalterischen Qualitäten in den liche Instandsetzung eines Münchner Fassaden dieser Zeit stecken und wie Hauses“ gefordert. Der Münchner diese wieder sichtbar gemacht werden Stadtrat griff diese Idee auf und be- können. schloss am 30.7.1969 die Auslobung eines Fassadenwettbewerbs, der dann Während für die Fassadenrenovierung 1970 erstmals durchgeführt wurde. Die älterer Epochen mittlerweile ein breit frisch renovierten Fassaden überstrahl- gefächertes Wissen bei den am Bau ten mit ihren leuchtenden Farben das Beteiligten gewachsen ist, gilt dies Einheitsgrau der Nachkriegszeit und noch nicht für Fassaden der Nach- stießen in der Bevölkerung sofort auf kriegsmoderne. Mit den prämierten breite Zustimmung. Die mit geringem Fassaden kann auch hier anschaulich Aufwand erreichte Wertsteigerung der gemacht werden, wie die technischen Immobilien überzeugte nach und nach und energetischen Probleme der Ge- immer mehr Eigentümer, sodass die bäude aus dieser Architekturphase so renovierten Fassaden 1972 ihren Bei- gelöst werden können, dass die Bau- trag zu den „heiteren Spielen“ leisten ten die neuzeitlichen Anforderungen konnten. erfüllen und trotzdem ihr charakteristi- sches Erscheinungsbild bewahren. Mitte der Achtzigerjahre zeigte sich, dass den Fassaden aus der Zeit vor Seit 1970 wurden aus vielen Tausend 1870 und den Fassaden der Fünfzi- Bewerbern mehr als 800 Hauseigen­ ger- und Sechzigerjahre das gleiche tümer ausgewählt und für ihre Ver- Schicksal drohte wie denen des Histo- dienste um die Verschönerung des rismus und Jugendstils. Die Landes- Stadtbildes mit dem Fassadenpreis hauptstadt München übernahm 1989 ausgezeichnet. Dazu kamen über auch hier eine Vorreiterrolle, indem 120 sog. Lobende Erwähnungen, mit sie diese Stilepoche ebenfalls in den denen seit 1992 die Leistungen der Wettbewerb aufnahm. Auch für diese öffentlichen Hand vom Stadtrat gewür- Stilepochen sollte anschaulich gemacht digt werden.

71 Die Siemens-Siedlung in Sendling, Zielstattstraße 139 –143

Der seit 1969 eingeleitete Sinnes- wandel brachte es mit sich, dass heute insbesonders die Gebäude des Historismus und des Jugendstils zu den begehrtesten Immobilien zählen. Es kommt immer häufiger vor, dass der vor 40 Jahren abgeschlagene Stuck wieder rekonstruiert und die einscheibigen Kunstofffenster gegen stilgerechte Holzfenster ausgetauscht werden, um nach der Renovierung eventuell mit dem Prädikat des Fassa- denpreises ausgezeichnet zu werden.

Mittlerweile ist es auch unbestritten, dass der Fassadenwettbewerb nicht nur oberflächliche Fassadenmaskerade war, wie Kritiker noch lange behaupte- ten, sondern das Bewusstsein für die Bedeutung historischer Gebäude als Ganzes stärkte. Damit zählt er auch zu den Wegbereitern des Bayerischen Denkmalschutzgesetzes. Die mehr als 8000 Einzelbaudenkmäler und über 70 Ensembles, die München diesem Gesetz verdankt, tragen heute ganz wesentlich zum unverwechselbaren Flair der Stadt bei.

72 IV. Denkmalschutz in der Praxis

Prof. Michael Gaenssler Preis für Stadtbildpflege – der Wettbewerb „Bauen und Sanieren in historischer Umgebung“

Seit 1979 lobt die Landeshauptstadt wie die Arbeiten der Preisträger des Ähnlich war die Aufgabenstellung – München den Wettbewerb „Denkmal- Jahres 2012 zeigen: Sanierung eines Denkmals und Erwei- schutz und Neues Bauen“ aus, der das terung durch einen Neubau – bei ei- Ziel hat, hervorragende Beispiele von Bei der Sanierung und Erweiterung des nem Bankgebäude für die LfA Förder- Baumaßnahmen auszuzeichnen, die im Gisela-Gymnasiums in Schwabing von bank Bayern in der Königinstraße. Die Zusammenhang mit Einzeldenkmälern Fischer+Steiger ist dies in vorbildlicher Architekten Auer+Weber+Assoziierte oder denkmalgeschützten Ensembles Weise geschehen: Der Neubau setzt verbanden das neubarocke Baudenk- innerhalb Münchens entstanden sind. sich zwar in seiner Sprache deutlich mal über ein Sockelgeschoss mit dem Seit 2012 wurde der Rahmen etwas und selbstbewusst vom Altbestand neuen Rückgebäude, das als Kubus weiter gesteckt, indem gelungene ab, bleibt aber in seiner Erscheinung mit einer Metallfassade in hoher tech- ener­ge­tische Sanierungsmaßnahmen insgesamt bescheiden gegenüber dem nischer Präzision mit der reich geglie- an historischen Gebäuden ebenso mit Denkmal mit seinem großen Volumen derten Architektur des historischen einbezogen wurden wie Umbauten und reichen Fassadenschmuck. Dank Hauptbaues Zwiesprache hält. Hier oder Erweiterungen von Bauten der intelligenter Organisation der Funk- wurde die Erweiterung so auf dem Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjah- tionen gelang es, einen zeitgerechten Grundstück platziert, dass sie von der re des vorigen Jahrhunderts, die nicht Schulstandard zu erreichen und gleich- Straße nicht sichtbar ist; der solitäre in der Denkmalliste aufgeführt sind. zeitig den Altbau denkmalgerecht zu Charakter des Denkmals mit seiner sanieren. Symmetrie im Straßenraum bleibt er- „Bauen und Sanieren in historischer halten. Umgebung“, wie der Wettbewerb jetzt heißt, bedeutet für die Architekten, Das Gisela-Gymnasium am Elisabethplatz die in einer Stadt wie München bauen, tägliches Brot.

Das Bewusstsein um den Wert des Bestandes in historischer wie auch in ökonomischer Sicht und um die Qualität der gebauten Ressource be- stimmen das Planen der vielfältigen Bauaufgaben in diesem Bereich. Dazu zählen Umbauten, Erweiterungen, Anbauten bis hin zu städtebaulichen Eingriffen.

Nicht der Kontrast und die Distanzie- rung sind das Kriterium für eine gelun- gene Symbiose von Alt und Neu, viel- mehr ist eine ausgewogene Balance zu finden, bei der keiner der beiden Teile in den Vordergrund tritt.

Eine sinnvolle Nutzung des histo- rischen Bestandes berücksichtigt dessen bauliche Struktur und typo- logischen Charakter, während die Reduktion auf morphologische Ele- mente immer zu oberflächlicher oder plakativer Architektur führt. Werden die Qualitäten des Bestandes erkannt und weiterentwickelt, kann zusammen mit dem Neuen ein selbstverständliches Ganzes im Gleichgewicht einer gegen- seitigen Rücksichtnahme entstehen,

73 Der Erweiterungsbau eines Bankgebäudes in der Königinstraße „Der genius loci verlangt immer nach Beim Umbau eines Geschäftshauses neuen Interpretationen, um überleben zu einem Hotel am Viktualienmarkt zu können. Er kann nicht ‚eingefroren’ wurde die neue Funktion klug in die werden, sondern er muss in Beziehung bestehende Struktur integriert. Durch zu den Forderungen der Gegenwart ein zurückhaltendes, großstädtisches verstanden werden. Solch ein dynami- Formenvokabular gelang die Einfü- sches Konzept für den Begriff ‚Ort’ ist gung in das heterogene Ensemble der die einzige Grundlage für eine schöpfe- Randbebauung des Viktualienmarktes rische Anpassung an eine vorhandene beispielhaft. Bei der Turnhalle bediente Umgebung.“ Dieses Zitat von Christian sich der Architekt bodenständiger und Norberg-Schulz trifft auf zwei weitere spartanischer Details, die zusammen ausgezeichnete Projekte zu, das Hotel mit der intelligenten Umwandlung des von Hild und K Architekten sowie die Stadels in eine Sporthalle dem ehema- Umnutzung eines Stadels zu einer ligen bäuerlichen Anwesen eine leben- Turnhalle mit Vereinsheim in Mitter- dige Zukunft beschert. sendling von Albrecht Thalmann. Zur Olympiade 1972 entwarf Werner Das Frauendorf im Olympiapark Wirsing das Frauendorf als temporäre Anlage, die dann 40 Jahre als Studen­ tendorf weitergenutzt wurde. Da der Bedarf an Studentenwohnungen stieg, entschied man sich in Anbetracht der wachsenden Baumängel zum Abbruch des Bestandes und zu einem Neubau der Anlage. Bogevischs buero und Werner Wirsing gelang es, die ge- wünschte Verdichtung der Anlage und die bautechnischen Anforderungen von heute so umzusetzen, dass sowohl die städtebauliche Struktur mit ihren Gas- sen und Plätzen wie auch die sympa- thische Architektursprache der Details sich wiederfindet. Der „Genius Loci“ ist hier wieder auferstanden.

74 IV. Denkmalschutz in der Praxis

Ludwig Semmler Kritik an Außenwerbung hat in München Tradition

Münchner „Allgemeine Zeitung“ vom 21.04.1881: „Es ist gut, dass aus dem Lande Jenseits kein Wanderer wiederkehrt. Ludwig I. würde bei einem heutigen Besuche der von ihm eigentlich erst geschaffenen Königsstadt manchen Verdruss erleben. Ganz besonders aber müsste ihn die Impietät ergrim- men, die man neuestens gegen die nach ihm benannte Prachtstraße an den Tag legt. Allbekannt, und wenig- stens in Deutschland kaum ein zwei- tesmal zu treffen, ist das Bild, das sich dem Auge darbietet, wenn man von der Staatsbibliothek gegen das Sieges­ thor hinabgeht. Kein Missverständnis störte bisher die classischen Linien, und selbst der ungebildetste Wanderer empfindet die Wirkung eines wahr- haft schönen Anblicks. Und nun stellt man links und rechts an den Ecken der Universität und des Georgianum zwei jener scheußlichen Placatsäulen, deren Harlekinsüberzug die ganze Die Litfaßsäule am Geschwister-Scholl- Umgebung so recht gründlich schän- Platz damals … det. Wenn Bauämter derlei gestatten, so möchte man sich fragen, wozu an unseren Akademien und Hochschulen Collegien über Ästhetik gelesen wer- den. Hoffentlich aber hat die entschei- dende Oberaufsichtsbehörde noch „Bei der bodenständigen Kultur, auf nicht gesprochen. Ganz München war die sich der Münchner Bürger etwas zu vor einigen Wochen über den Buben- Gute hält und die vielseits und gern an- streich empört, der an dem Monument erkannt wird, muss auf die besonders des unvergeßlichen Königs verübt auch von Fremden so sehr geschätzte wurde, und nun soll seine gelungen- Eigenart Münchens Rücksicht genom- ste Schöpfung jahraus - jahrein eine men werden. […] es wird in München Verunzierung erleiden, die das Auge nicht mit „provinziellen Maßstäben“ nicht viel weniger beleidigt […] Bleibe gemessen, wenn die Verwaltung der die moderne Marktschreier-Industrie Bayer. Landeshauptstadt, die seit 150 doch wenigstens unseren classischen Jahren anerkanntes Zentrum der Kul- Stätten fern. Widrigenfalls bilden diese tur und Kunst ist, die Eigenart dieser beiden Carnevalscylinder wahrlich kei- Stadt wahren und diese nicht zu einer ne Ehrensäulen für die Consuln, unter genormten Großstadt internationalen … und heute immer noch denen sie errichtet wurden“. Gepräges werden lassen will.“

Die Säulen stehen zwar noch heute, Dieser Leitsatz hat seine Aktualität bis aber die von der Bevölkerung ge- heute nicht verloren. wünschte restriktive Haltung hat sich tradiert und wurde durch Urteil des Bayer. Verwaltungsgerichtshof vom 7.10.1958 bestätigt:

75 Gespräch zwischen Susanne Ritter und Cornelius Mager Der Einfluss des Denkmalschutzes auf Stadtplanung und Baugenehmigungen

Susanne Ritter: Der Einfluss des dieses Gebäude gefordert – haben Denkmalschutzes auf die Bebauungs- aber auf seine wichtige stadträumliche planung ist – natürlich abhängig davon, Funktion hingewiesen. Für den dann in welchem Stadtviertel geplant wird – ausgelobten Wettbewerb wurden die groß, in der Innenstadt sogar erheb- Teilnehmer zur Abgabe von zwei Alter- lich. Viele unserer Denkmäler und En- nativentwürfen aufgefordert: einem sembles befinden sich in der Altstadt unter Einbeziehung des Gebäudes, ei- bzw. innerhalb des Mittleren Rings. Sie nem ohne. Die aufgezeigten Optionen stellen für uns in der Stadtplanung eine boten eine ausgezeichnete Basis für wichtige Grundlage dar, weil sie von die Diskussion innerhalb der hochka- der Geschichte unserer Stadt erzählen. rätig besetzten Wettbewerbsjury. Es Sie sind die Spuren, das Gedächtnis zeigte sich, dass das später prämierte unserer Stadt. Mit diesem baukultu- Büro Henning Larsen Architects eine rellen Erbe setzen wir uns sowohl im hervorragende Lösung gefunden hat, Großen – in der Stadtplanung – als wie dieser Fünfzigerjahre-Bau doch er- auch im Kleinen – der Objektplanung – halten bleiben kann und sehr stimmig täglich intensiv auseinander. in die neu zu bebauenden Bereiche da- hinter integriert werden kann. Am Ende Es gibt einige aktuelle Beispiele, die konnten sowohl Siemens, das Landes- eine Vorgehensweise zeigen, wie man amt für Denkmalpflege und die Untere mit Denkmälern und Ensembles umge- Denkmalschutzbehörde wie auch der hen kann. Ein sehr gelungener Fall ist Heimatpfleger und andere Beteiligte die Siemens-Konzernzentrale am Wit- gut mit dieser Lösung leben. Das Bei- telsbacherplatz, zu der mehrere Gebäu- spiel zeigt für mich exemplarisch, dass de gehören: allen voran das Wohnhaus es sich auszahlt, wenn man bei der Leo von Klenzes, das ehem. Palais Betrachtung eines solchen Falls in die Ludwig-Ferdinand, das als Einzeldenk- Tiefe geht und das intensive Gespräch mal in der Liste verzeichnet ist. Das sucht. Immer wieder kommt man da- Gebäude westlich davon am Wittels- bei auch zu einfachen Lösungen, die bacherplatz 2, das eine wichtige Funk- sich auf den ersten Blick vielleicht nicht tion bei der Arrondierung des Platzes unbedingt erschlossen haben. spielt, ist hingegen kein Denkmal. Es stammt aus der Wiederaufbauzeit, aus Cornelius Mager: Das ist in der Tat den Fünfzigerjahren, weist eine hohe ein schönes Beispiel. Noch vor dem Qualität auf und ist Teil des Ensembles. Wettbewerb haben wir die Diskussion Als Siemens mit dem Anliegen zum geführt, wie mit dem Wittelsbacher Neubau seiner Zentrale an uns heran- Platz als Ganzem umzugehen ist. Nach trat, haben wir zwar nicht den Erhalt dem Wettbewerb ging es im nächsten Schritt um eine Weiterbearbeitung des prämierten Entwurfs. Als Teil des Baugenehmigungsverfahrens kam der Denkmalschutz verstärkt ins Spiel. Auch in dieser Phase lief der Prozess vorbildlich ab: Siemens hat einen 14-tägigen Jour fixe mit den Denkmal- behörden im Baubüro eingerichtet. Wir konnten die Planung so von Anfang an begleiten und dafür sorgen, dass der denkmalpflegerische Aspekt in der Ein- gabeplanung entsprechend gewürdigt wurde. Es zeigte sich, dass sowohl das Unternehmen als auch das Architektur- büro sehr sensibel an den Gebäudebe- stand herangegangen sind. Fast kann man sagen, dass sie das Gebäude, das nicht als Einzeldenkmal unter Schutz Das neue Siemens-Hauptquartier (Rendering) steht, aber doch wichtig für den Platz

76 ist, inzwischen so schätzen, dass sie es wie ein Baudenkmal behandeln. Und auch wenn wir dort eigentlich für die Umgestaltung der Innenräume nicht beteiligt werden müssten, wer- den wir trotzdem zu Rate gezogen, weil man den Sinnzusammenhang mit dem Ganzen, mit dem Palais Ludwig- Ferdinand, versteht.

Bei einer so engen Begleitung können wir zu ganz anderen, viel besseren Ergebnissen kommen, wie in Fällen – die es auch gibt –, in denen ein Bau- herr erst einmal sehr lange „vor sich hin plant“, den Denkmalschutz aber in dieser Phase noch nicht einbindet. Wir bekommen dann eine Eingabeplanung, in der sehr viel Kraft, Geld und Energie stecken – und dennoch gibt es Friktio- nen, weil wesentliche Aspekte nicht rechtzeitig Berücksichtigung gefunden haben.

Ritter: Ein zweites Beispiel, das im Moment prominent in der Presse ist: die Hofstatt. Auch hier fand ein Wettbe- Hofstatt, ehemaliges Druckereigebäude werb statt, den Meili Peter Architekten gewonnen haben. Auf dem großen Gelände stehen Denkmäler aus ganz Investor hatte das Areal jedoch unter z. B. erhebliche Altlasten – besonders unterschiedlichen Epochen: das histo- der Prämisse erworben, dass dieses durch das Druckereigebäude auf dem rische Gebäude des Süddeutschen Haus kein Baudenkmal sei und den Gelände. Wie hoch diese tatsächlich Verlags an der Sendlinger Straße sowie ganzen Planungsprozess darauf abge- waren, war nicht vorhersehbar. Der die Druckerei im rückwärtigen Teil. Und stimmt. Zu diesem späten Zeitpunkt denkmalgerechte Umgang mit dem dann gibt es dort auch alte Münchner wären gravierende Umplanungen sehr heterogenen Baubestand war ei- Bürgerhäuser, und es gab – so muss nötig geworden, die auch den Vertikal­ ne riesige Herausforderung. Mitten im ich sagen – ein Gebäude aus den Sieb- anschluss des Bauwerks tangiert Prozess, zu einem späten Zeitpunkt, zigerjahren, das sogenannte Schwarze hätten. kam dann die Unterschutzstellung Haus von Detlev Schreiber, das im des Schwarzen Hauses hinzu. In der Zuge der Gesamtplanung abgerissen Der jetzt ausgeführte Entwurf reagiert Baugenehmigung mussten wir dazu werden musste. Es konnten hier also auf unterschiedliche Weise und sehr Stellung beziehen: Beantragt waren, viele Denkmäler erhalten werden, aber schön auf die verschiedenen Denk- wie dies immer wieder besprochen eben leider nicht alle! Die Überplanung mäler dieses heterogenen Areals. Es worden war, der Abbruch des Hauses des Areals hat eine enorm lange und entstanden im vorderen Bereich eine und eine Neubebauung. In intensiver schwierige Vorgeschichte. Erst als die Passage mit Geschäften und hinten, Auseinandersetzung – und im Konsens Überlegungen und Planungen schon zur Hotterstraße hin, auch Wohnnut- mit dem Ministerium für Wissenschaft, relativ weit fortgeschritten waren, kurz zung. In der Sendlinger Straße schafft Forschung und Kunst – kamen wir zu vor Erteilung der Baugenehmigung, das neue Eingangsgebäude eine sehr dem Schluss, dass hier der Rechtsge- kam das Landesamt für Denkmal- ausgewogene, aber auch originelle danke des Vertrauensschutzes greift. pflege aufgrund einer differenzierten Verbindung zwischen Denkmälern aus Dem Investor war über viele Jahre hin- Neubewertung der Epoche, in der dem 19. Jahrhundert und dem frühen weg immer wieder mitgeteilt worden, das Gebäude entstanden ist, zu dem 20. Jahrhundert. dass das Haus keine Denkmaleigen- Ergebnis, dass das Schwarze Haus ein schaft besitze, er hatte darauf seine Baudenkmal sei: Es orientierte sich bis Mager: An diesem Projekt kann man ganzen Planungs- und Wettbewerbs- ins Detail an den Prinzipien Mies van sehr gut ablesen, welch komplexen schritte aufgebaut – und musste sich der Rohes, und dies auf einem sehr Fragestellungen eine Baugenehmigung auch darauf verlassen können, dass hohen baukünstlerischen Niveau. Der berücksichtigen muss. Hier gab es dem so sein würde. Daraus ergab sich,

77 Tonnenhalle und Jutierhalle an der Dachauer Straße dass die Untere Denkmalschutzbehör- ben gehalten werden können – durch de zu diesem viel zu späten Zeitpunkt eine ihrem Charakter entsprechende leider keine andere Möglichkeit hatte, neue Nutzung. Beim städtebaulichen als dem Abbruch zuzustimmen. Im Ideenwettbewerb spielten die Hallen Baugenehmigungsverfahren wurde eine wichtige Rolle und der prämierte dies genau geprüft und dokumentiert, Entwurf setzt sich auf geradezu ex- damit die Entscheidung für spätere Ge- emplarische Weise mit dem Bestand nerationen nachvollziehbar ist. auseinander­ . Natürlich geht es uns nicht da­rum, wahllos Dinge aus frühe- Bei einem großen Projekt ist es im Üb- ren Zeiten zu erhalten. Vielmehr steht rigen praktisch nie so, dass am Anfang bei diesem Projekt im Vordergrund, ein Bauantrag eingereicht wird, der auch die soziokulturellen Entwicklun- dann genau so auch umgesetzt wird. gen, die sich dort in den vergangenen Innerhalb eines komplexen Bauprozes- Jahren ergeben haben, behutsam in ses, der sich oft über viele Jahre hin- eine neue Struktur zu überführen. Auch „Ich finde die Maßstabssprünge zieht, kann es – gerade wenn man mit hier sehen wir – aus vielerlei Blickwin- Altbestand umgehen muss – immer keln – ganz genau hin. Insofern ist das ganz spannend, die es an wieder zu neuen Rahmenbedingungen „Kreativquartier“ ein äußerst spannen- vielen Stellen in der Stadt gibt – kommen: An der Sendlinger Straße des Beispiel, das sich gerade erst im beispielsweise kam in einem Nach- Prozess des Entstehens befindet. besondere stadträumliche kriegsgebäude eine spätmittel­alterliche Mauer zum Vorschein, die als wichti- Mager: Bei diesem Projekt befinden Situationen, die von anderen ges Zeugnis aus dieser frühen Phase wir uns noch nicht in der Phase der geschichtlichen Epochen er­ der Stadt zu erhalten war. Baugenehmigung, gleichwohl bringen sich Lokalbaukommission und Denk- zählen und uns zeigen, dass Ritter: Mittlerweile legen viele Inves­ malschutz beratend im Vorfeld ein. Sie sich unsere Stadt historisch toren auf eine Individualisierung ihrer wirken an der Auslobung des Wettbe- Projekte großen Wert – und hierbei werbs mit und sind in der Regel als Be- aus vielen verschiedenen werden „Spuren aus der Geschichte“ rater im Wettbewerb dabei. Es ist sehr sehr geschätzt. In den nächsten Jah- wichtig, bei solchen Projekten schon in Einzelteilen zusammensetzt.“ ren wird entlang der Dachauer Straße einer frühen Phase aufzuzeigen, was Susanne Ritter das „Kreativquartier“ entstehen. Die für ein Potenzial in den Denkmälern beiden großen Hallen – die Tonnen- steckt – und auch den Wert des Denk- und die Jutierhalle – auf dem Gelände mals zu definieren. Prüft man dies erst sollen, als zwei der wenigen Indu- während des Baugenehmigungsver- striedenkmäler in München, erhalten fahrens, ist es leider oft schon zu spät. bleiben, worüber wir sehr froh sind! Aber von Anfang an klar war das nicht, Ritter: Da das Stichwort Wettbewerbe weil diese Industriebauten riesig sind fiel: Hier klären wir die Inhalte, die Kon- und sich die zentrale Frage nach der zeption und die Rahmenbedingungen Nachnutzung stellte. Das Kulturreferat mit den Beteiligten schon im Vorfeld ist an diesem Prozess intensiv betei- ab. Wenn ein Denkmal tangiert wird, ligt. Der Erhalt solcher Bauten ist nur sitzen immer ein Vertreter des Landes- dann wirklich sinnvoll, wenn sie am Le- denkmalamts sowie der Heimatpfleger

78 IV. Denkmalschutz in der Praxis

und die Untere Denkmalschutzbehörde als bei einem Schloss oder einem Pa- in der Jury. Aus Erfahrung lässt sich lais. Es ist sehr eindrucksvoll zu sehen, sagen, dass es enorm wichtig ist, das mit wie viel Herzblut diese kleinen, Wissen dieser Instanzen mit im Boot eher unscheinbaren Denkmäler von zu haben. Der fachliche Austausch ihren Eigentümern behandelt werden. in der Jury ist unerlässlich, gerade Das verdanken wir zweifelsohne dem angesichts der oft sehr komplexen Denkmalschutzgesetz: dass sich auch Planungsaufgaben. Diese Verfahrens- Siedlungen wie diese erhalten ließen. weise hat sich sehr bewährt und führt Ich schätze eigentlich ganz besonders zu guten Ergebnissen. die Denkmäler, die uns noch daran er- innern, wie unsere Stadt vor 100 oder Mager: Natürlich gibt es Planerin- 150 Jahren ausgesehen hat. Eines nen und Planer, die mit Fragen des meiner Lieblingsdenkmäler steht an Denkmalschutzes nicht viel anfangen der Rosenheimer Straße. Ein ganz un- können. Aber ich habe den Eindruck, scheinbares Haus, das jetzt wunderbar Der Kriechbaumhof dass sich das in den letzten Jahren in eine Neuplanung integriert ist. Plötz- sehr stark gewandelt hat. Die Archi- lich gibt es dort einen Sprung von fünf tektinnen und Architekten erkennen Geschossen auf zwei. Hier lässt sich inzwischen die Chancen, die in einem noch ablesen, wie die Rosenheimer sensiblen Umgang mit Denkmälern Straße vor 200 Jahren ausgesehen stecken, in der Regel sehr gut. Es gibt hat. Die Stadtsanierung hat natürlich viele Architektinnen und Architekten, eine ganz wichtige Rolle gespielt, al- die genau das sogar als Mehrwert se- len voran bei den Herbergshäusern in hen: den Dialog zwischen Alt und Neu. Haidhausen oder der Au. Um diese zu Wie setzt man einen Ergänzungsbau erhalten, haben viele an einem Strang behutsam an ein historisches Gebäu- gezogen. Es wurden in mühevoller de, welche Bezüge ergeben sich mög- Kleinarbeit einzelne Eigentumsanteile licherweise? Viele können mit solchen zusammengekauft, da die Häuser Prämissen hervorragend umgehen geschichtlich bedingt viele Einzelei- – und sehen sie überhaupt nicht als gentümer hatten. Heute sind wir froh, Einschränkung an, sondern als Chance dass wir die Häuser, die auch aus äs- Rosenheimer Straße für neue Architektur. thetischen, aber vielmehr aus stadtge- schichtlichen Gründen unter Denkmal- Ritter: Bei der Hofstatt ist das im Detail schutz stehen, noch haben. Das hätten sehr gut gelungen: Das neubarocke wir ohne ein Denkmalschutzgesetz Wohngebäude in der Hackenstraße er- wohl nicht geschafft! hielt eine moderne Ergänzung. Es ent- den Straßen, das Abwasser – das ist standen dort Wohnungen, die vorne ei- Mager: Es ist sicher die große Errun- ja alles weg. Und die heruntergekom- nen denkmalgeschützten, neubarocken genschaft des Denkmalschutzgesetzes menen Häuser sind inzwischen saniert. Bestand haben – und im hinteren Teil von 1973, dass es sich vom Monumen- Trotzdem vermitteln sie immer noch viel eine moderne Fassade. Die Architek- taldenkmalschutz gelöst hat. Der hatte über die beschwerlichen Bedingungen ten haben sich sehr intensiv mit dem ja eine lange Tradition, man denke an der Menschen, die hier gelebt haben. Bestand auseinandergesetzt – und des- König Ludwig I., der ein sehr aktiver Es ist enorm schwierig, wenn dann ein halb konnte hier am Ende mehr entste- „Denkmalschützer“ war. Die Pflege Bauantrag gestellt wird zum Abbruch hen als die Summe der Einzelteile. von Denkmälern beschränkte sich eines dieser Häuser. Natürlich wäre bei aber auf Bauten wie Kirchen, Klöster, der Neubebauung eine ganz andere Das ist natürlich ein prominentes Bei- Schlösser und Stadtbefestigungen. Grundstücksausnutzung möglich. spiel. Es gibt auch andere, die man Erst im Denkmalschutzgesetz ist der vielleicht nicht unbedingt kennt: Bau- Gedanke verankert, dass alle Arten Ritter: Gerade das Zusammenwirken ten, die weniger aufgrund ihrer bauge- und alle Schichten von Denkmälern es der zwei Regelwerke für Denkmal- schichtlichen Bedeutung unter Denk- wert sind erhalten zu werden. Es gibt schutz und Stadtsanierung hat sich malschutz stehen, sondern wegen ih- wohl kaum ein besseres Beispiel als die als sehr geeignetes Instrumentarium rer sozialgeschichtlichen Relevanz. Ein Herbergshäuser, um sich heute noch erwiesen. Wir ringen natürlich immer Beispiel, das mir sehr am Herzen liegt: vorstellen zu können, wie die Lebens- um die bestmögliche Lösung, in jedem die Feldmüllersiedlung in Obergiesing, realität in den Münchner Vorstädten im individuellen Fall. Je mehr Beteiligte – die um 1850 für Arbeiter gebaut wor- 19. Jahrhundert aussah. Auch wenn die- und dies schon zu einem möglichst den ist. Hier ist natürlich eine ganz se natürlich noch viel dramatischer war, frühen Zeitpunkt innerhalb eines Pro- andere Vermittlungsarbeit hinsichtlich als es die Häuser heute zeigen können: jekts – an einem Strang ziehen, desto denkmalpflegerischer Belange nötig Der Geruch, der Dreck und Müll auf stimmiger wird das Ergebnis.

79 Chancen und Herausforderungen

80 V. Chancen und Herausf­orderungen

Stadtbaurätin Prof. Dr.(I) Elisabeth Merk im Gespräch Das Denkmalschutzgesetz – Chancen für München

Das Bayerische Denkmalschutzge- setz wird 40 Jahre alt. Anlass für eine kurze Bestandsaufnahme: Wie sehen Sie als Stadtbaurätin die Wirksamkeit dieses Gesetzes?

Elisabeth Merk: Das Gesetz bietet aus unserer Sicht eine gute Arbeitsgrund- lage, im Sinne von: die Leute an einen Tisch bringen und über Veränderungs- prozesse auf einer bestimmten Grund- lage verhandeln können. Es schützt Baudenkmäler, die sonst vielleicht keine „Überlebenschance“ hätten. In- sofern bietet uns das Denkmalschutz- gesetz fachlich gesehen eine große Chance. Unser bauliches Erbe stellt wenn man an Denkmäler aus den Fünf- einen wichtigen Teil unserer Geschich- ziger-, Sechziger oder Siebzigerjahren te und gleichzeitig ein großes Potenzial denkt – bei diesen ist das Verständnis für die Zukunft dar. Naturgemäß haben nicht immer von vornherein gegeben. es Objekte, die aufgrund ihres Alters Wir müssen dann erst einmal eine vielleicht nicht „quadratisch, praktisch Möglichkeit erhalten, das überhaupt er- und schön“ sind, erst einmal schwerer. klären zu können. Denkmalschutz be- Das Gesetz ermöglicht uns, hier einen deutet nicht, dass Gebäude oder ganze sorgfältigen Blick einzufordern und Ensembles unter eine Glas­glocke gemeinsam zu überlegen, wie wir mit gestellt oder musealisiert werden. ihnen umgehen sollen. Wir wären heu- Das gilt auch für unser vielleicht spek- te um einiges ärmer, wenn wir dieses takulärstes Denkmalensemble, den Gesetz nicht hätten! Olympiapark, bei dem heute wohl nie- mand mehr überzeugt werden muss, Die positiven Erfahrungen, die wir ma- dass er in seiner besonderen Gestalt chen, bestätigen uns darin: Die Stadt erhalten bleiben muss. Aber es gibt München lobt alle vier Jahre einen viele andere Bereiche, die sich diesem Preis für Stadtbildpflege aus, „Bauen direkten Blick erst einmal entziehen und Sanieren in historischer Umge- und in denen wir sehr dafür werben bung“. Häufig kommen Bauherren bei müssen, dass nicht nur ein einzelner der Preisverleihung auf uns zu und Bau, sondern das gesamte Ensemble betonen, dass sie am Anfang mit gro- eine große Bedeutung hat. ßen Schwierigkeiten gerechnet haben, sich das Innehalten und gemeinsame Das Schwierige an Veränderungspro- Überlegen im Rück­blick aber wirklich zessen in historischen Städten ist, gelohnt habe. Das Denkmalschutzge- dass sie oft schleichend voranschrei- setz liefert uns eine Grundlage, auf ten. Gesetze oder andere Richtlinien deren Basis wir anfangen können mit wie Satzungen, die sich eine Stadt Argumenten zu überzeugen. gibt, sorgen dafür, dass man nicht nur selbst genauer hinsieht, sondern die- Das heißt, es bietet auch ausreichend se differenzierte Auseinandersetzung Raum für individuelle, manchmal auch von der anderen Seite einfordern auch pragmatische Lösungen? kann. In der Stadtentwicklung geht es um die Stadt als Ganzes, nicht nur um Merk: Aus meiner Sicht schon, beson- das einzelne Objekt. Deshalb muss ders wenn man sich gemeinsam die sich auch ein Haus, das Teil eines Mühe gibt, die Dinge sehr sorgfältig Ensembles ist, selbst wenn es nicht anzusehen. Keiner würde wohl be- als Einzelobjekt auf der Denkmalliste streiten, dass ein Barockhaus erhalten steht, bei einem Umbau – oder auch bleiben soll, und auch die Gründerzeit Neubau – an den Gesetzen des Denk- hat mittlerweile viele Liebhaber. Aber malschutzes orientieren.

81 Hierbei geht es vermutlich darum, hinzukommen kann. Wir müssen eine den „Charakter“ oder die „Identität“ Auseinandersetzung darüber führen, der Stadt zu bewahren? in welcher Form sich ein historisch gewachsenes Stadtbild weiterentwi­ Merk: Genau. Um beim Beispiel des ckeln darf. Und darüber, wie weit wir Olympiaparks zu bleiben: Der Park die Stadt den Gesetzen des Marktes, ist unbestritten ein Architektur- und momentanen Trends oder Einzelinte­ Landschaftsensemble von sehr hohem ressen überlassen dürfen. Wir sehen Rang. Diese Art von Zeltdachkonstruk- Denkmalschutz und Stadtbildpflege tion wurde hier zum ersten Mal in nicht als etwas Statisches, sondern im diesen Dimensionen realisiert. Neben besten Fall als Impulsgeber für eine der Authentizität der Materialien ist für Weiterentwicklung der Stadt. Selbst die Denkmalpflege ein entscheiden- Neubauprojekte – seien sie auf den er- des und ganz wichtiges Kriterium die sten Blick noch so abstrakt – entstehen Der Olympiapark Authentizität des Ortes, die auch einen aus der konkreten Auseinandersetzung immateriellen Wert mit einschließt: mit der Geschichte eines Ortes. Oft Die Olympiade von 1972 war die erste, hört man den Einwand, an einem die nach dem Krieg in der jungen Bun- bestimmten Ort ließe sich aufgrund desrepublik stattfand. Die „heiteren der vielen Beschränkungen „nichts Spiele“ hatten für unser Land eine gro- Gescheites“ entwerfen. Aber ist es ße symbolische Bedeutung, die dann nicht so, dass man auf ein DIN-A4- noch einmal „überlagert“ wurde durch Blatt, das einen extrem beschränkten das schreckliche Attentat während Raum darstellt, entweder einen totalen der Olympiade. So hat das Ensemble Schmarrn schreiben kann, aber genau- heute sehr vielschichtige immaterielle so gut auch Poesie, die selbst in vielen Bedeutungen, die in ihrer Gesamtheit Jahren noch genial sein wird? In histo- „Ich mag die Donnersberger seine Identität ausmachen. risch gewachsenen Städten sind Be- schränkungen eine Tatsache. Natürlich Brücke. Von dort hat man einen Zuerst einmal ist das Gebäude selbst stellen sie eine Herausforderung dar – tollen Blick stadtein- und stadt- als das originäre Dokument zu erhal- aber eine schöne und spannende! ten, in dem man „lesen“ kann wie in auswärts. Man spürt die Groß- einem Buch. Eng damit zusammen Die Fünf Höfe beispielsweise biedern hängen die Ensemblestrukturen, das sich im Kontext der Theatinerstraße stadt, es ist einer der urbansten „große Ganze“. Wenn man jetzt an die nicht historisch an. Hier wurden auf Orte in München.“ Debatte über die Dorfkernensembles ei­ne sehr interessante Art und Weise in München denkt – die entzündete die Themen Häuserblocks, Durchwe- Journalistin, 35 Jahre sich genau an diesem Punkt. In allen gung, auch Fassaden aufgegriffen. diesen Dorfkernen, die heute Teil der Das Ergebnis ist keine traditionelle Stadt sind, gibt es noch originale Bau- Lochfassade, aber eben auch keine substanz. Man hätte also sagen kön- verspiegelte Vollglasfassade. Die Ar- nen: Wir haben eine Reihe von Einzel- chitekten Herzog & de Meuron haben denkmälern, aber das Ensemble exis­ sich auf diesen Ort eingelassen und tiert nicht mehr. Erstaunlicherweise seine verschiedenen Atmosphären neu wollten das die dort lebenden Bürger interpretiert. Das ist in meinen Augen nicht. Ich fand das sehr beeindruckend, sehr gut gelungen. dass dies aus der Bürgerschaft heraus so deutlich artikuliert wurde. Der Lan- Auch die 2013 fertiggestellte Hofstatt desdenkmalrat – eine wichtige Instanz kann ich in diesem Zusammenhang innerhalb des Denkmalschutzes – hat nennen: Ich bedaure es sehr, dass dem dann auch Rechnung getragen. das sog. Schwarze Haus abgerissen wurde, ich hätte es gerne erhalten. Ab- Wie gelingt es, die Identität gesehen davon kann man sagen, dass Münchens zu erhalten und gleich­ Meili Peter Architekten etwas geschaf- zeitig dem Neuen ausreichend fen haben, das sich sehr schön in die Raum zu geben? gewachsene Struktur der Sendlinger Straße einfügt. Zum Sattlerplatz haben Merk: Indem man die Stadt als le- sie eine ganz andere Art der Fassaden- bendigen Organismus begreift. Das gestaltung gewählt. Nach anfänglichen schließt auch mit ein, dass Neues Bedenken hat die Denkmalpflege der

82 großflächigen Livestream-Wand an einem der Geschäfte zugestimmt. Da das Unternehmen ansonsten nach außen keine Werbung macht, ersetzen die Videos die klassische Außenwer- bung. Auch das alte Druckereigebäude im Inneren des Komplexes wurde sehr stimmig einbezogen. Angenommen, man hätte das alles nicht erhalten müs- sen, dann wäre hier möglicherweise eine neue, vielleicht auch gut gemach- te, aber irgendwie langweilige, weil austauschbare Einkaufspassage ent- standen. Insofern stellen Projekte wie dieses eine Riesenchance dar, wenn man die Gegebenheiten annimmt und sie als Chance begreift.

In einer Stadt wie München haben wir Wie schätzen Sie den Rückhalt für allerdings auch nicht dieselben Proble- den Denkmalschutz in der Bevölke- me wie in anderen Gegenden Bayerns, rung ein? in der es oftmals keine Nutzungsoptio- nen für Denkmäler gibt. Ganz im Ge- Merk: Als das Denkmalschutzgesetz genteil: Hier kämpfen wir eher mit der 1973 in Kraft trat, hatte es bei den Schwierigkeit, dass der Nutzungsdruck Menschen einen sehr großen Rück- so extrem groß ist und Baudenkmäler halt. Für alle offensichtlich, wurden die deshalb in Gefahr geraten. alten Häuser in großer Zahl abgerissen, die Viertel durch Neubauten überformt. München besitzt ein in großen Auch heute spüren wir noch viel Rück- Teilen wiederaufgebautes Altstadt­ halt, haben aber keine starke Lobby, ensemble. Worin sehen sie die die sich dafür einsetzt, beispielsweise großen Herausforderungen in den die Strukturen der Siebzigerjahre zu nächsten Jahren? erhalten. Das gelingt uns in Ausnahme- fällen wie dem Olympiapark, ist aber Merk: Die Münchner Altstadt steht als schon bei Bauten wie der Architektur- Ensemble unter Denkmalschutz. Auch fakultät von Franz Ruf in der Karlstraße die Gebäude, die nicht als Einzeldenk- schwierig. Oder ein weiterer ganz mäler unter Schutz stehen, sind für das aktueller Fall: die Alte Akademie in der Ganze, das Ensemble, sehr wichtig – Neuhauser Straße, die der Freistaat an selbst wenn sie eher unscheinbar einen Investor verkauft hat. Der Gebäu- Die Hofstatt und baukünstlerisch nicht immer von dekomplex stammt aus der Wiederauf- bester Qualität sind. Der immaterielle bauzeit – wobei man ihm das nicht auf Wert dieser Nachkriegsmoderne liegt den ersten Blick ansieht, weil er außen jedoch gerade darin, dass die Architek- weitgehend dem historischen Vorgän- ten sie damals aus der Erinnerung an gerbau nachempfunden ist. Wenn man eine Stadt, die nunmehr in Trümmern genauer hinschaut, zeigt sich seine lag, wieder erschaffen haben. Es han- hohe Qualität. Hier nun einzufordern, delt sich also um eine Interpretation sensibel mit dem Bestand umzuge- dessen, was es hier einmal gegeben hen, ist mit viel Überzeugungsarbeit hat. Dies geht uns heute völlig ab: Die verbunden. meisten von uns besitzen keine eigene Anschauung Münchens vor den Zer- Ich bin der festen Auffassung, dass wir störungen des Krieges mehr. Letztend- einen gesellschaftlichen Diskurs brau- lich geht es hier um das Gedächtnis chen. Denkmalpflege und Stadtbild- unserer Stadt. Die Transformation der pflege kann man nur dann erfolgreich Nachkriegsmoderne ist meiner Mei- betreiben, wenn man die Bürgerinnen nung nach im Denkmalschutz eine der und Bürger „mitnimmt“. Für so etwas ganz großen, schwierigen Fragen für sind die Preise, die wir vergeben – wie München im nächsten Jahrzehnt. beispielsweise der Fassadenpreis –

83 einzelnen Objekt realisieren, sondern sie erfordern einen größeren Rahmen. Wenn man es schafft, ein Stadtquartier mit Geothermie und Fernwärme ener- getisch besser aufzustellen, dann ist das kein so großer Eingriff, als wenn man an jeder Fassade eine Isolier- schicht aus Styropor anbringt. Wenn wir kein gutes Konzept für die Stadt- entwicklung insgesamt haben, dann hilft es uns auch wenig, das einzelne Objekte zu schützen. Das geht beides Hand in Hand.

Gibt es weitere Möglichkeiten, die Idee und die Ziele des Denkmal- schutzes noch stärker in der Gesell- Die Fünf Höfe schaft zu verankern?

enorm wichtig. Sie machen die An- Merk: Wir sollten schon Kinder für den strengungen um die Bewahrung des hohen Wert unseres baukünstlerischen kulturellen Erbes in ihrer Fülle sichtbar. Erbes sensibilisieren. Mit unserem Wenn man sich vorstellt, das alles gä- Schulwettbewerb zur Stadtentwicklung be es nicht mehr, versteht man sofort: machen wir den Versuch, Schüler mit Unsere Stadt wäre dann viel ärmer! unseren Themen zu erreichen. Auch Projektwochen in Schulen bieten diese Nicht einmal acht Prozent des gesam- Möglichkeit. Eine andere Form der ten Baubestands in Deutschland steht Vermittlung baukünstlerischer – also unter Denkmalschutz. Selbst wenn auch denkmalpflegerischer – Werte ist man es schaffen würde, diese acht der „Tag des offenen Denkmals“, den Prozent energetisch zu ertüchtigen, die Deutsche Stiftung Denkmalschutz könnte man – überspitzt gesagt – den jährlich im September veranstaltet. Klimawandel nicht aufhalten. Ganz Auch die Stadtrundgänge zählen dazu, davon abgesehen gibt es mittlerweile die wir für ein breites Publikum konzi- hervorragende Beispiele, wie man pieren und in Form von Booklets veröf- auch Baudenkmäler mit großer Sensi­ fentlichen: so der Leo-von-Klenze- und bilität energetisch ertüchtigen kann. der Gabriel-von-Seidl-Pfad. Bestimmte Ziele kann man nicht am

84 V. Chancen und Herausf­orderungen

Natürlich haben auch die Städtebauför- kollektiven Gedächtnis einer Stadt, derung und die klassische Stadtsanie- eines Dorfes beitragen. Insofern ist es rung viel zu einem besseren Verständ- tragisch und sehr zu beklagen, dass die nis beigetragen: Hier treten wir vor Mittel nicht nur in der Städtebauförde- Ort, in den Quartieren, mit den Leuten rung, sondern auch im Denkmalschutz in einen Dialog. in den vergangenen 20 Jahren kontinu- ierlich gesenkt wurden. Gerade weil sich heute viel im Internet abspielt, ist es für Kinder wie auch für Was wünschen Sie dem Bayerischen Erwachsene umso wichtiger, das Ge- Denkmalschutz zum 40. Geburtstag? spür für das konkret Gebaute und die Raumwahrnehmung zu schulen. Unser Merk: Das möchte ich mit zwei Be- Auftrag besteht darin, das bauliche griffen umschreiben: Kontinuität und Erbe – die gebaute Geschichte – für die Aufbruch. Kontinuität im Hinblick auf folgenden Generationen „lesbar“ zu die Dinge, die der Denkmalschutz erhalten. In dieser Hinsicht bin ich eine auf Basis des Gesetzes von 1973 er- Überzeugungstäterin! Ich bin in Re- folgreich verteidigt hat. Ich wünsche gensburg aufgewachsen, einer Stadt, mir aber auch eine Bereitschaft zur in der das etwas Selbstverständliches Weiterentwicklung im Sinne von: sich ist. Erst als ich später an anderen Or- auf Zukunftsfragen einlassen. Die in „Hoffentlich werden später mal ten gelebt habe, spürte ich, dass mir den Siebzigerjahren entwickelten Kri- dort etwas fehlt: Bis ich realisiert habe, terien für die Unterschutzstellung von ausgefallenere U-Bahn-Statio- dass das an den Brüchen und Zerstö- Denkmälern gelten auch heute noch. nen wie der Candidplatz oder rungen lag, die es in vielen Städten Nun müssen wir zusätzlich Bauten in gibt. Auch München ist im Krieg sehr unsere Überlegungen einbeziehen, die Münchner Freiheit unter schwer zerstört worden, aber im Wie- die damals noch gar nicht zur Debatte deraufbau wurde hier stark auf die ge- standen, weil sie gerade erst gebaut Denkmalschutz gestellt, denn schichtlich gewachsene Grundstruktur wurden. für mich spiegeln sie das Bezug genommen. Auch das Thema der Bürgerbeteiligung moderne, heutige München Wie viel Neues verträgt eine Stadt steht heute weitaus stärker im Fokus und sein Transportwesen wider.“ wie München in seinem Altstadt­ als früher. Hierdurch werden wir einen ensemble und welche Kriterien viel größeren Rückhalt bei den Bürge- Studentin, 19 Jahre sollte dieses erfüllen? rinnen und Bürgern gewinnen für das, was wir auf Basis unseres gesetzli- Merk: Das lässt sich immer nur im chen Auftrags einfordern. Es ist für Einzelfall beurteilen. Ich bin kein unser Anliegen sehr wichtig, auf einen Freund von Satzungen, die Neues möglichst breiten gesellschaftlichen restriktiv ausschließen – gleichwohl Konsens aufbauen zu können. Unsere sollte das Neue bestimmten Orten Aufgabe ist es, hierfür die richtigen Ar- vorbehalten sein und muss von hoher gumente zu liefern. Qualität sein. Eine 2012 bundesweit durchgeführte Studie über denkmalge- Letztendlich muss jede Generation im- schützte Immobilien hat ergeben, dass mer wieder aufs Neue definieren, wie es – übrigens gerade bei den jungen sie mit dem überlieferten Erbe umge- Menschen – eine große Zustimmung hen will – und was sie glaubt, für eine für Denkmalschutz gibt. Eine deutliche zukünftige Entwicklung aufgeben zu Mehrheit sprach sich für Sanierungen müssen. Dass es hierbei auch zu Fehl- statt Neubauten in den Innenstädten entscheidungen kommt, wird sich nicht aus. Allerdings wurde auch gefragt, ganz vermeiden lassen, schließlich hat ob man bereit wäre, aufgrund höherer jede Generation immer nur den Blick Energiekosten in denkmalgeschützten aus ihrer Zeit heraus. Wir werben da- Altbauten erheblich mehr Miete zu zah- für, dass möglichst viel erhalten bleibt, len. Dies verneinten die meisten. Das um es dann mit der richtigen Dis­tanz zeigt, dass hier eine Förderung von objektiver beurteilen zu können. Diese staatlicher Seite nötig ist – schon allein zeitliche Dimension ist ein ganz wich- deshalb, weil die Besitzer denkmalge- tiges Moment für die Denkmalpflege schützter Gebäude mit Erhaltungsmaß- generell – und gleichermaßen ihre nahmen einen wichtigen Beitrag zum Konfliktlinie.

85 Dr. Bernd Vollmar Endliche Ressourcen: Energiewende und Denkmalpflege

Denkmalschutz verhindert Klima- saubere Gewässer oder ungestör- schutz. So oder ähnlich auf einen po- te Flora und Fauna. „Umwelt“ als pulistischen Nenner gebracht, werden menschlicher Lebensraum ist auch bisweilen zwei wichtige und gleich- (und bei näherer Betrachtung vor al- berechtigte Belange gegen­einander lem) gebaute Umwelt. Und Qualität ausgespielt. Gerne werden dazu als ereignet sich auf verschiedenen Ebe- mahnende Beispiele historische Kir- nen, auf ökologischer und ökonomi- chen herangezogen, deren Dächer sich scher ebenso wie auf der Ebene der für die Installation großflächiger Solar­ Gestaltqualität. Bei der energetischen anlagen eignen würden. Selbst für Optimierung von Gebäuden oder En- Münchens Wahrzeichen, die Frauen­ sembles, von denkmalgeschützten zu- kirche, wurden solche Möglichkeiten mal, sollte bis hin zur Nutzung erneu- durchgespielt. Bleibt hier die Nutzung erbarer Energien eine ästhetische Ka- erneuerbarer Energien durch „den tegorie berücksichtigt werden. Zudem Denkmalschutz“ verwehrt, stehen stehen auch hier das Gemeinwohl vor andererseits die Baudenkmäler selbst dem Einzelinteresse und die Bürger- im Ruch Energieverschwender zu vor der Antragstellerfreundlichkeit. sein. Gepflegte Vorurteile gehen von (wärme-)verlustreichen Schwachstellen Fotovoltaik- oder solarthermische Anla- „Der Viktualienmarkt, der Tier- historischer Baukonstruktionen aus. gen in denkmalgeschützten Bereichen, Fassaden mit Schnörkeln eignen sich in Ensembles, auf Kulturdenkmälern park und der Flaucher sind gemeinhin nun gar nicht für das von bzw. in deren Umgebung unterliegen wunderschöne Stadtoasen, die Dämmstoffherstellern und tüchtigen zwar keiner Genehmigungspflicht im Vertriebsfirmen so gepriesene, weil Sinne der Baugesetze, bedürfen jedoch ich unbedingt für meine Enkel flott aufklebbare Wärmedämmver- einer sog. Erlaubnis nach dem Bay- bundsystem. Richtig ist aber auch: erischen Denkmalschutzgesetz. Nicht erhalten möchte. Ebenso wie Baudenkmäler und mit diesen die Bau- jede historisch-städtebauliche Situation Kleingartenanlagen und Bier- kultur überhaupt beanspruchen Quali- ist für die Installation von Solaranlagen tät und eignen sich somit nur selten für geeignet. Regelmäßig gilt dies für gärten machen sie den Charme Standardlösungen. Einzelbaudenkmäler. Die frühzeitige Münchens aus und sollten auch Beteiligung und (kostenlose) Beratung Schränkt der Denkmalschutz also doch der Denkmalbehörden kann aus der für folgende Generationen den Klimaschutz ein? Drastischer ge- Einzelfallbetrachtung heraus zu Lö- fragt, könnten es einmal mehr die – sungsansätzen führen. In historischen bestehen.“ nach landläufiger Meinung überzoge- Siedlungsbereichen beispielsweise Rentnerin, 68 Jahre nen – Forderungen der Denkmalpfleger gehören dazu vom öffentlichen Raum sein, die jetzt auch noch die Energie­ nicht einsehbare Installationsorte, wende be- oder gar verhindern? etwa auf Nebengebäuden, oder mit Antwort: nein! dem traditionellen Erscheinungsbild zu vereinbarende Gestaltungslösungen, Bemüht man die Statistik, zeigt sich wie in die Dachfläche im Traufbereich zunächst, dass der Anteil an Kirchen- integrierte Solarmodule. Bei der Frau- bauten mitsamt der Wegkapellen am enkirche allerdings war in Sachen Gesamtbaubestand in München wie Solaranlagen nun tatsächlich keine in Bayern bei gerade mal 0,1 Prozent Lösung zu finden. Gleichwohl war es liegt und der Anteil an Einzelbaudenk- möglich, auf prominenten wie stadt- mälern, die ja auch nicht sämtlich über bildprägenden Baudenkmälern wie „verschnörkelte“ Fassaden verfügen, Maximilianeum oder Staatskanzlei bei um die 1,5 bis max. 2 Prozent anzu- hohem gestalterischen Anspruch an setzen ist. Allein die Quantität des die Solarmodule einen Beitrag zur Nut- Denkmalbestandes kann den Belangen zung alternativer Energien zu leisten. Klimaschutz und dem so elementaren Zukunftsziel „Energiewende“ nichts Energetische Sanierung wird nicht anhaben. Die Qualität hingegen schon. selten ausschließlich unter dem Ein- „Umwelt“ und damit „Umweltschutz“ sparungseffekt der Energiekosten ge- ist eben mehr als schadstofffreie Luft, sehen. Ergebnis sind dann erneuerte

86 Vielfältige gesellschaftliche Veränderungen

Die Solaranlage auf der Bayerischen Staatskanzlei

Fenster, vorzugsweise in Kunststoff- rezept Fassadendämmung stützen. materialien und eine möglichst dicke Die günstigste Lösung wie auch das Außendämmung auf den Fassaden. Kosten-Nutzen-Verhältnis sind am Ein­ Mit „sanieren“ im Sinn von „gesund zelfall, an den spezifischen energeti- machen“ hat dies noch nicht viel zu schen Defiziten und der Verträglichkeit tun. Auch bleibt der Beitrag zur „Ener- mit dem historischen Baubestand giewende“ vordergründig, weil dabei auszuloten. Dabei steht das authenti- selten eine Gesamtbilanz eröffnet ist. sche Erscheinungsbild einer Fassade Offen bleibt regelmäßig der Zeitraum, und nicht deren Abbild in Kunststoff- bis sich eine so geartete Fassaden- materialien als denkmalfachliches Ziel. dämmung amortisiert. Ebenso wird die Das Maßnahmenspektrum kann dann Umweltbelastung vernachlässigt, die von der Verbesserung der haustech- bei der Herstellung der Dämmstoffe nischen Anlage, etwa der Heizung, bzw. der Montagematerialien ent- oder deren Leitungsführung bis hin zu steht, oder die künftige Entsorgung, Dämmmaßnahmen im Übergangsbe- wenn diese meist schon nach einer reich von Kalt- und Warmzonen, u. a. Generation verbraucht sind und aus- der Geschossdecken, reichen. Die aus getauscht werden müssen. Dies gilt theoretischen Rechenmodellen ermit- vor allem für Polystyrole, die bei den telten Vorteile werden am Ende an den Dämmmaterialien noch immer die Spit- realen Energiekosten, die wesentlich zenstellung einnehmen und aus nicht auch an das Nutzerverhalten gebunden regenerativen Rohstoffen hergestellt sind, zu messen sein. werden. Hinzu kommt möglicherweise ein – durch eine zu intensive „Ver- Wenn schließlich Energieeinsparung packung“ der Fassaden – negativer noch mit Energiesparen einhergeht, Einfluss auf das Raumklima. Abhängig kann die gebaute Umwelt als ma- auch vom Nutzerverhalten, kann z. B. terielle wie emotionale Ressource eine gesundheitsschädigende Schim- genutzt und geschont werden und die melbildung eine Folge sein. Konzepte Baudenkmäler können nachfolgenden zu einer energetischen Verbesserung Generationen in einem authentischen sollten sich nicht allein auf das Patent- Überlieferungszustand vererbt werden.

87 Muck Petzet Graue und sonstige Energien – Potenziale des Bestandes

Denkmalpfleger, die gestalt- und sub- eine vergleichbare Haltung gerade im stanzverändernde Maßnahmen an Ge- Umgang mit „ungeschützten“ und oft bäuden – wie z. B. das Anbringen einer auch ungeliebten Gebäuden der Nach- Außendämmung an Fassaden – oder kriegszeit zum Vorbild zu nehmen: Die gar den Abbruch eines „ineffizienten“ Wertschätzung des Vorhandenen ist die Baus ablehnen, sehen sich immer beste Voraussetzung für dessen effekti- wieder dem Vorwurf ausgesetzt, Um- ve Transformation. Dabei kann in einem weltbelange zu vernachlässigen. Dabei nicht in der Denkmalliste geführten Ge- tragen diese „restriktiven“ Bemühun- bäudebestand natürlich viel freier und gen einiges zu einer ganz anderen weiter gedacht und entwickelt werden. Energie- und Umweltbilanz bei: Bauen Aber wenn es gelingt, die vorhandenen ist per se Umweltzerstörung, Energien Energien zu potenzieren, kann aus Alt werden aufgewendet und große Men- und Neu ein Mehr entstehen. Gerade gen an Ressourcen verbraucht, um die Sperrigkeit des Bestandes kann zu Gebäude zu errichten. Je länger also überraschenden, attraktiven und inno- ein Gebäude besteht, je länger sein vativen Lösungen führen: Die Reibung Lebenszyklus ist, umso besser für die wischen Alt und Neu kann zur Hebung Umwelt – zumindest hinsichtlich der des architektonischen Niveaus genutzt Herstellungsenergien und dem Res- werden. „Ich hätte gerne die Theresien­ sourcenverbrauch. Die Betriebsenergi- en wiederum können – durchaus auch Energetisch betrachtet besitzt jede wiese inklusive der Bavaria in denkmalgerechter Weise – durch bestehende Architektur eine „einge- unter Denkmalschutz, da es sinnvolle Maßnahmen wie Überarbei- baute“ Existenzberechtigung – alleine tung der Fenster, Innendämmung oder schon dadurch, dass sie vorhanden ist. die größte unbebaute Fläche in Dämmung der Kellerdecken bzw. Dä- Vor Jahren, Jahrzehnten oder Jahrhun- cher reduziert werden. derten hat jemand eine Menge Energie München ist.“ Dass dabei im Bereich des Denkmal- in die Herstellung und Errichtung dieser Lehrer, 52 Jahre schutzes kein Zwang zur Einhaltung aufwendigen und materialintensiven aller EnEV-Vorschriften besteht und ein Konstruktionen gesteckt. Gerade bei ganz bewusstes Augenmerk auf die Entscheidungen, ob eine Modernisie- gestalterischen Konsequenzen und die rung sinnvoll ist oder doch ein Neubau, Qualität solcher Maßnahmen gelegt spielen energetische Argumente eine wird, ist durchaus von Vorteil: Statt gewichtige Rolle. Solche Entscheidun- gedankenlos billige Standardlösungen gen zu treffen, ohne dabei die sog. anzuwenden, besteht hier der Zwang, graue Energie zu berücksichtigen, ist individuelle und intelligente Konzepte falsch. Die Betonbauten aus der Nach- zu erarbeiten, die die Potenziale des kriegszeit, aus denen unsere Städte Vorhandenen in einen zukunftsfähigen zum großen Teil bestehen, sind gigan- Aggregatzustand zu versetzen. Zu tische Energiespeicher: Das damals für diesen Potenzialen zählen – neben den die Zementproduktion freigesetzte CO² gespeicherten physikalischen Energien lässt sich auch durch noch so effiziente – auch soziale, geschichtliche und kul- Neubauten nicht mehr zurückholen – turelle Energien, deren „Ladung“ viele und selbst „verrufene“ Gebäudetypen Möglichkeiten für Identität und Identifi- wie die industriell gefertigten Platten- kation bietet. bauten (in Ost und West) sind erstaun- lich flexibel und veränderbar. Dass eine Learning from Denkmalpflege Sanierung immer „teurer“ ist als ein Der sorgfältige, empathische Umgang Neubau, ist eine weitverbreitete Mär: mit dem Bestand, das Denken in länge- Der Rohbau macht ca. 60 Prozent der ren Zeiträumen, das bei der Arbeit mit Kosten eines Hauses aus. Selbst wenn Denkmalsubstanz zum Tragen kommt, man durch notwendige Adaptionen führt letztlich auch zu technisch, ma- und Schwierigkeiten davon 20 Prozent teriell und gestalterisch nachhaltigen verlieren würde, bleibt ein großer Lösungen. Statt also die Denkmalpfle- Preisvorteil – immer vorausgesetzt, die ge aus Umwelterwägungen zu kriti- Umwandlung ist nicht gewaltsam. Im sieren, wäre es viel zielführender, sich Zweifel muss sich eine Nutzung eben

88 Abbruch Oberanger 16

auch mal an den Bestand anpassen schaftlichen Akzeptanz eines „leben- 2013: „Jenseits des Mangels“). – und nicht umgekehrt. In Zeiten, in digen“ Erhalts der Nachkriegsbausub- denen es kaum mehr möglich ist, alle stanz könnte in einer Anerkennung Doch gerade in den wenigen nicht Standards zu erfüllen, um bezahlbaren ihres energetischen und materiellen schrumpfenden Städten wie München neuen Wohnraum zu schaffen, wird Wertes liegen, d. h. in einer Wahrneh- sind die Entwicklungen rasant. Die umbauen statt neu bauen auch wirt- mungsänderung, wie wir sie ähnlich seit Mitte der Achtzigerjahre stagnie- schaftlich immer interessanter. in den Siebziger- und Achtzigerjahren rende Diskussion um die Qualitäten bei der Umwertung von „Müll“ zu und den Schutz der Architektur der Upcycling: Architektur als „Wertstoff“ erlebt haben. Obwohl Fünfzigerjahre zeigt die Gefahr eines ideelle und materielle Ressource das Baugeschehen heute sehr stark „Überflussdenkens“: Christoph Ha- Es ist sicher unstrittig, dass weitere von energetischen Überlegungen be- ckelsberger konnte in seinem 1985 er- herausragende Gebäude der Jahre zwi- stimmt wird, findet die in Architektur schienenen Essay „Die aufgeschobene schen 1960 und 1985 unter Denkmal- und Infrastruktur gebundene graue Moderne“ noch mutmaßen, die Denk- schutz gestellt und möglichst unverän- Energie in Energiebilanzen bisher malpfleger würden jetzt jede beliebige dert erhalten werden sollten. Die Denk- keine Berücksichtigung. Wenn man Betonpilz-Tankstelle der Fünfzigerjahre malbehörden übernehmen dabei eine die Klimaziele, d. h. die Reduktion von unter Schutz stellen – doch heute gibt konservativ-avantgardistische Rolle CO²-Emissionen, wirklich ernst nimmt, es tatsächlich kaum mehr eine Zeugnis – indem sie Gebäude als schutzwürdig muss die heutige verbrauchszentrierte dieses beliebten Typus. Die Kultur des einstufen, die oftmals noch als wertlose Betrachtung durch eine Lebenszyklus- „Mangels“ hat sich durchgesetzt. Abbruchobjekte angesehen werden. betrachtung ersetzt werden, welche Die Sechziger- und Siebzigerjahre mö- Die Wertschätzung des Vorhandenen die Herstellungsenergien ebenso gen auf den ersten Blick – mit Ausnah- ist jedoch sich unmerklich wandelnden berücksichtigt wie die Betriebsenergie me der Olympiabauten – in München Moden unterworfen: In den Sechziger- und die vom Objekt ausgelöste Mobi- nicht viel Wertbeständiges hinterlassen jahren galt der Historismus als Kitsch, litätsenergie. Das Zugeständnis einer haben, doch unter- und nebengründig erst in den Siebzigern stufte man Ju- aus energetischer Betrachtung gewon- bilden die Bauten dieser Zeit den „mo- gendstilgebäude allmählich als wertvoll nenen generellen Existenzberechtigung dernen“ Teil von „Laptop und Leder- ein und in den Achtzigerjahren wurden des Bestandes könnte in Bezug auf die hose“. Genannt seien exemplarisch die erste Versuche unternommen, die Nachkriegsarchitektur zu einem ganz U- und S-Bahnhöfe, die leider selten so Architektur der Fünfziger kunsthisto- entspannten Denkmalpflegeselbstver- kongenial erneuert werden wie der am risch einzuordnen und hierfür Bewer- ständnis führen: Es ginge nicht mehr Stachus, oder der Stadtteil Neuperlach, tungsmaßstäbe zu entwickeln. Danach um die „Rettung“ der „nackten“ Exi- dessen beste Teile, wie das Quidde- ist die Diskussion – trotz mancher stenz einzelner Zeugnisse vergangener zentrum, nun abgerissen und durch Siebzigerjahre-Revivals – irgendwie ein- Epochen, sondern um die Auswahl, „zeitgemäße“ Shoppingmöglichkeiten geschlafen. Ein gesellschaftlicher Kon- welches Zeugnis qualitativ eine re- ersetzt werden sollen. Den Bestand sens, eine ganz grundsätzliche, positive striktiv konservierende Behandlung als kreative Ressource zu betrachten, Haltung dem Bestand gegenüber, die verdient und welches Zeugnis kreativ sinnlose Zerstörung zu verhindern, aber eine Unterschutzstellung überflüssig weiterentwickelt werden kann – eine gleichzeitig Veränderungen zu ermög- machen würde, existiert – noch – nicht. völlig neue Herausforderung für eine lichen, die die „Wahrheit“ des Bestan- Die Sechziger- und Siebzigerjahre gel- aus dem Mangel, der unmittelbaren des weiter in die Zukunft transportieren ten als Epochen, in denen austauschba- Bedrohung des Verlustes letzter Zeug- – das ist die schwierige Aufgabe der re Massenware entstanden ist. nisse von Epochen geborenen Bewe- zeitgenössischen Denkmalpflege. Der erste Schritt hin zu einer gesell- gung (siehe auch „der architekt“, H. 2,

89 Alexander Fthenakis Bauten der Wiederaufbauzeit – Plädoyer für ein sorgfältiges Abwägen

Die Leopoldstraße, der Marienplatz, Bahn-Haltestellen, Tunnel, Unterführun- die Sonnenstraße, der Sendlinger-Tor- gen und Passagen, die neue Formen Platz, das Bahnhofsviertel, Schwabing, des öffentlichen Raumes geschaffen die Theatinerstraße, die Residenz: haben? Orte, Stadträume, Quartiere, die untrennbar verbunden sind mit dem All diese Bausteine des Stadtbildes, Bild, der Stimmung, der Lebensquali- authentische Ausdrucksformen ihrer tät Münchens. Orte, Stadträume und Zeit, fallen sowohl durch das Netz des Quartiere, deren heutigen Charakter klassischen Denkmalschutzes als auch wir zum großen Teil Bauten und Pla- durch das der öffentlichen Diskussion nungen der Nachkriegszeit verdanken. über Stadtentwicklung. Nach 40, 50 oder gar 60 Jahren der Nutzung stellen Die Jahre des Wiederaufbaus bis 1958 energetische, brandschutztechnische und die anschließende intensive Bau- und repräsentative Anforderungen ne- aktivität der Sechziger- und Siebziger- ben einem ungeheuren Vermarktungs- jahre markieren einen tief greifenden druck den Fortbestand dieses architek- Veränderungsprozess von Stadtbild tonischen Substrats der Stadt in Frage und Stadtraum. Das bauliche Erbe – und mit ihm wesentliche Züge des der Jahre 1945 bis 1979 ist dement- Münchner Stadtbildes und seines Cha- sprechend umfangreich und prägt das rakters. Als handele es sich um aus- Stadtbild Münchens nachhaltig und auf tauschbare Provisorien, wird tagtäglich vielschichtige Weise. Bislang sind es auf Kosten der Alltagsarchitektur der vor allem herausragende Einzelleistun- Nachkriegszeit die Modernisierung der gen jener Jahre, welche ihren Weg ins Stadt vollzogen. Zu beobachten ist die kollektive Bewusstsein und schließlich schleichende Erosion einer baulichen in die Denkmallisten fanden: Die olym- Epoche, deren Funktion für Struktur pischen Bauten, Architektenwerke wie und Ausprägung des Stadtbildes oft- die eines Hans Döllgast oder Sep Ruf mals unberücksichtigt bleibt. oder vereinzelte Bauten, denen das Prädikat der „eleganten Fünfzigerjah- München muss sich der Herausforde- re“ angeheftet werden kann. rung stellen, seine Nachkriegsarchitek- tur mit ihren Spielarten als einen es- Doch wie steht es beispielsweise um senziellen Bestandteil des Charakters die „anonyme Architektur“ des Wie- der Stadt und als einen potenziellen deraufbaus? Jene unzähligen und un- Wert anzuerkennen. Diesen gilt es in Amalienstraße aufdringlichen Häuser, die ganze Stra- die Konzepte der Stadtentwicklung und ßenzüge der Maxvorstadt, Schwabings des Denkmalschutzes bewusst einzu- oder der Ludwigvorstadt mit ihren beziehen. Gewiss haben uns die Jahre wiederkehrenden architektonischen 1945 bis 1979 auch eine Vielzahl ganz Elementen und Proportionen prägen? konkreter baulicher, planerischer und Wie steht es um die allgegenwärtigen zum Teil sozialer Probleme und Frage- Zwitterformen des Wiederaufbaus, stellungen hinterlassen. Diese können welche vielfach die Grenzen zwischen jedoch im Sinne eines respektvollen Rekonstruktion und baulicher Neu- Umgangs mit dem baulichen Erbe und schöpfung verwischen? Um die vielen der Bereitschaft zu einem Weiterbauen Plastiken, Mosaike, Sgraffiti und Reli- an der Stadt angegangen und gelöst efs, die Straßen- und Platzräume prä- werden – nicht durch den beinahe re- gen? Um die experimentellen Gegen- flexartigen Griff zur Abrissbirne. entwürfe zur his­torischen Stadt, um Neuperlach, den Arabellapark oder das Voraussetzung ist die Bereitschaft zur Geschäftszentrum Schwanthalerhöhe? Überwindung einer Vielzahl von Vor- Um die großen Verkehrsbauwerke, U- urteilen und oberflächlichen Betrach-

Neureutherstraße

90 Friedrichstraße, Ecke Franz-Josef-Straße

tungsweisen zum Gebauten dieser Epoche: Ist der Mittlere Ring ein Denk- mal? Sind es die Görresstraße oder das ehemalige Fina-Parkhaus am Hof- bräuhaus? Es ist eine Überprüfung der bisherigen Instrumente und Kategorien nötig, um der Bedeutung solcher Stadtbausteine in Zukunft Rechnung tragen zu können.

Dem Denkmalschutz kommt hier die schwierige Aufgabe zu, ein differen- ziertes und bewusstes Handeln von den beteiligten Akteuren einzufordern. Es wird mutiger Entscheidungen be- dürfen, um das oftmals sperrige, aber Marienplatz Südseite dennoch vielschichtige und komplexe bauliche Erbe nach 1945 vor seiner leichtfertigen Verwertung kurzfristig zu bewahren, ohne jedoch die Erneuerung der Stadt und die Anpassung des Be- standes zu behindern, wo sie Not tut. Aber gerade das denkmalpflegerische Vakuum, welches die Nachkriegsstadt noch umgibt, ist auch eine Chance zur Erprobung neuer Strategien des Um- gangs mit dem Baubestand jenseits rein konservierender Maßnahmen.

91 Dr. Ilka Backmeister Collacott Bürgerschaftliches Engagement – Denkmalpflege als Gemeinschaftsaufgabe

Als zu Beginn der Siebzigerjahre Pläne der Fußball-WM 2006 ein entstellender zum Abbruch der Seidlvilla am Schwa- Umbau erspart. (Man denke an den binger Nicolaiplatz an die Öffentlichkeit sicherlich nicht ganz ernst zu nehmen- drangen, schlug dies hohe Wellen: Die den Ausspruch, irgendjemand „lasse 1906 fertiggestellte Villa, nach mehrfa- sich sicher finden“, der das Stadion „in chem Besitzerwechsel zum Spekulati- die Luft jage“.) onsobjekt geworden, sollte – so wurde befürchtet – einem Büro- oder Kauf- In seinem Kern aus den Bürgerbewe- hauskomplex und damit einer kom- gungen des 19. Jahrhunderts hervor- merziellen Nutzung weichen, die sich gegangen, ist die Erhaltung von wich- auf die ganze Umgebung auswirken tigen baukünstlerischen Zeugnissen würde. Aus dem Protest der Anwoh- vergangener Epochen seit dem Inkraft- nerinnen und Anwohner heraus fanden treten des Denkmalschutzgesetzes „Jedes Mal, wenn ich das alte sich Initiativen zusammen, die sich 1973 in der Bayerischen Verfassung vehement gegen den Abriss des herr- verankert: In Art. 1 DschG wird festge- Bahnhofsgebäude in Pasing schaftlichen Gebäudes wehrten: mit legt, dass die Bewahrung der Denkmä- sehe, freue ich mich darüber, Unterschriftensammlungen und Einga- ler im „Interesse der Allgemeinheit“ ben ebenso wie mit Bürgerfesten und liegt. Jedoch: „Wer dieses Interesse dass es so etwas in München nicht zuletzt konkreten Ideen für eine wo, wann und wie vertritt, wird in der neue Nutzung. Aus heutiger Sicht kann Regel nicht gesagt. Dass es in einem noch gibt. Deshalb sollte es man sagen: Das große Engagement demokratischen Gemeinwesen nicht unter Denkmalschutz stehen. aller Beteiligten hat sich ausgezahlt, einfach von der Exekutive wahrgenom- die Villa blieb erhalten und ging in den men werden kann, liegt auf der Hand, Schülerin, 17 Jahre Besitz der Stadt über. Seit 1991 dient aber auch an eine Diktatur der Denk- die Seidlvilla als Stadtteilkulturzentrum malpfleger werden die Gesetzgeber und vereint verschiedene kulturelle und kaum gedacht haben. Ebenso klar ist, soziale Nutzungen unter ihrem Dach. dass über das wohlverstandene, lang- Bis heute kann der Prozess als erfolg- fristige Interesse der Allgemeinheit reiches Beispiel für das Engagement nicht populistisch entschieden werden der Münchner Bürgerinnen und Bürger kann. Ein Diskurs tut vielmehr not, gelten. der rechtzeitig und öffentlich geführt werden muss, nicht erst dann, wenn Die beachtliche Zahl baukünstlerisch wieder einmal ein Abriss bevorsteht.“ oder stadtgeschichtlich bedeutender (N. Huse, Unbequeme Baudenkmale, Bauten, die in München in den ver- 1997). gangenen Jahrzehnten auch trotz des Protests aus Teilen der Bürgerschaft Die Bewahrung und die Pflege unseres und aus Fachkreisen der Abrissbirne baukünstlerischen Erbes – als elemen- oder einer wie auch immer gearteten tarer Bestandteil von Baukultur – ist „Optimierung“ zum Opfer gefallen eine Gemeinschaftsaufgabe, die umso ist, lässt gerne in den Hintergrund erfolgreicher zu erfüllen sein wird, je treten, dass die Münchnerinnen und weiter sie in die Gesellschaft hinein- Münchner mit ihrem Handeln vielfach wirkt und je fester sie in ihr verortet ist. erfolgreich Prozesse angestoßen ha- Ohne einen breiten gesellschaftlichen ben, die zu einem Umdenken führten: Konsens über das öffentliche Interesse für den Erhalt von Bauten oder bei der an der Erhaltung der Denkmäler, das Suche nach alternativen, geeigneteren sich eben nicht nur gesetzlich fest- Nutzungskonzepten. Durch das Enga- schreiben lässt, ohne die Menschen, gement von Bürgerseite blieb – um die in diesen Bauten leben und diese nur einige herausragende Beispiele zu von einer Generation in die nächste nennen – dem Hildebrandhaus der be- tragen, und ohne die Bürgerinnen und reits sicher scheinende Abbruch, den Bürger, die sich konstruktiv und mit kleinen Herbergshäuser in Haidhausen kreativen Ideen für eine angemessene und der Au die Luxussanierung (bzw. Weiternutzung von Baudenkmälern ebenfalls der Abriss) und dem welt- einsetzen, kann die staatliche Denk- berühmten Olympiastadion im Vorfeld malpflege auf längere Sicht nur bedingt

92 erfolgreich agieren. Die zuletzt immer geringer werdenden finanziellen Mittel, die für die Erfüllung des Gesetzesauf- trags bereitgestellt werden, sowie der tief greifende gesellschaftliche Wandel allgemein machen es immer schwieri- ger, diesem noch im selben Maße zu entsprechen wie zu jener Zeit, als das Gesetz formuliert wurde. Planungsbe- hörden sehen sich überdies – gerade in Städten wie München, in denen es einen enormen Druck hinsichtlich Erneuerung und Nachverdichtung gibt – zunehmend mit anonymen Investo- Seidlvilla am Nikolaiplatz ren konfrontiert, die keine persönlichen Bindungen an den über viele Jahrhun- derte gewachsenen Ort und an seine einen am Gemeinwohl orientierten, Bewohner haben. behutsamen Wandel alter Stadtviertel kämpfen – ebenso wie Bürgerinitia- Zunehmende Bedeutung gewinnen tiven zur Rettung alter Wirtshäuser, daher der – kontinuierlich geführte und Pfarrgärten oder Schulhäuser. Das in konkreten Fällen rechtzeitig intensi- Netzwerk hat es sich auf die Fahnen vierte – Dialog und die Einbindung von geschrieben, Lobby- und Bildungsar- Interessensgruppen wie Förderver- beit für das bedrohte baukulturelle Er- einen, Bürgerinitiativen und anderen be zu betreiben, mehr Transparenz und Netzwerken vor Ort, die sich in immer eine stärkere Beteiligung an Planungs- größer werdender Zahl zusammen- verfahren einzufordern und die gegen- finden und ihren Anliegen Gehör ver- seitige Unterstützung der Initiativen zu schaffen. Ausdrücklich geht es dabei vereinfachen. nicht – jedenfalls nicht im ersten Schritt – um die Generierung neuer Finanzie- Doch das private Engagement der Bür- rungsquellen, sondern vielmehr darum, gerinnen und Bürger für das kulturelle die Identifikation für das bauliche Erbe Erbe benötigt staatliche Unterstützung: und die Akzeptanz für den Denkmal- in Form von finanziellen oder auch schutz in der Gesellschaft zu fördern ideellen Anreizen (Fassadenpreis der sowie dem „Paradigmenwechsel in der Stadt München, Denkmalschutzme- gesellschaftlichen Einordnung von Kul- daille u. a.) ebenso wie in Form von tur“ (Rupert Graf Strachwitz) Rechnung Expertise (Beratung, Forschung und zu tragen. Vermittlung). „Keine Seite kann die Aufgabe allein bewältigen, und keine In diesem Kontext heraus kam es im Seite sollte sich von dieser Aufgabe Januar 2012 zur Gründung des „Denk- zurückziehen“, so heißt es in der Pres- malnetz Bayern“. Diesem gehören semitteilung „Denkmalpflege darf kein derzeit knapp 100 Initiativen und viele Luxus werden“ des Bundes Heimat Einzelpersonen an, die sich im wei- und Umwelt (BHU) im Juni 2013. Zu teren Sinne für Denkmalpflege und hoffen bleibt, dass die Denkmalpflege Denkmalschutz engagieren. Auf der in Zukunft noch stärker als bisher dort Plattform www.denkmalnetzbayern.de beheimatet sein wird, wo sie als Idee informieren die Mitglieder über ihre im vorletzten Jahrhundert einmal ent- Anliegen und den aktuellen Stand ihrer standen ist: in der Mitte einer bürgerli- Bemühungen. Allein die Bandbreite der chen Gesellschaft. für München verzeichneten Initiativen ist groß: So gibt es Bündnisse, die sich gegen die unkontrollierte Nachverdich- tung von Stadtvierteln mit Gartenstadt- charakter wenden, und solche, die für

93 Autorinnen, Autoren und Gesprächspartnerinnen und -partner

Dr. Ilka Backmeister-Collacott Architekturhistorikerin, Autorin und Lektorin

Dr. Harald Gieß Gebietsreferent Praktische Denkmalpflege – Bau- und Kunstdenkmäler Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege

Dr. Christian Behrer Mittelalterarchäologe Büro für Denkmalpflege, Regensburg

Gert Goergens Dipl.-Ing. Architekt, Stadtplaner, Stadt­heimatpfleger Landeshaupt- stadt München seit 2000

Oliver Betz Dipl.-Ing Architekt, Absolvent der HFF, Leiter Büro „Betz Architekten“ und Dozent an der Hochschule München

Prof. Dr. Egon Johannes Greipl Generalkonservator Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege

Dr. Claudia Denk Kunsthistorikerin und Lehrbeauf- tragte der TU München

Dr. John Ziesemer Kunsthistoriker und wissenschaft- Dr. Walter Irlinger licher Mitarbeiter beim Deutschen Nationalkomitee von ICOMOS Leiter der Abteilung Denkma­l­ erfassung und Denkmalforschung Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege

Alexander Fthenakis Dipl.-Ing. Architekt

Günther Kick Referat für Stadtplanung und Bauordnung Denkmalschutz und Werbeanlagen

Prof. Michael Gaenssler Dipl.-Ing. Architekt BDA, Professor an der Hochschule München für Entwerfen und Baukonstruktion Prof. Dr. Michael Krautzberger Ministerialdirektor a.D., Honorar­ professor an der TU Dortmund und an der Humboldt-Universität zu Berlin, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Stiftung Denkmalschutz

94 Tarek Kreitner Referat für Stadtplanung und Bauordnung Denkmalschutz und Werbeanlagen

Dr. Silvo Schaller Referat für Stadtplanung und Bauordnung Zentrale Dienste

Cornelius Mager Referat für Stadtplanung und Bauordnung Leitung Lokalbaukommission

Harald Scharrer Referat für Stadtplanung und Bauordnung Denkmalschutz und Werbeanlagen

Dr. Irene Meissner Architektin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Architektur­ museum der TU München

Dr. Erich Schosser MdL a.D., Ehrenmitglied des Landesdenkmalrats

Prof. Dr.(I) Elisabeth Merk Stadtbaurätin der Landeshauptstadt München

Klaus J. Schulz Dipl.-Ing. Architekt, Stadtplaner, Bauforscher, Büro für Städtebau und Freiraumplanung

Monika Mühlenbeck-Krausen Dipl.-Ing. Architektin, lebt seit 30 Jahren im Olympiadorf

Ludwig Semmler Referat für Stadtplanung und Bauordnung Leitung Denkmalschutz und Werbeanlagen

Muck Petzet Dipl.-Ing. Architekt BDA, Visiting Professor Lehrstuhl für Entwerfen und Denkmalpflege Fakultät für Architektur Dr. Bernd Vollmar Technische Universität München Landeskonservator Leiter der Bau- und Kunstdenkmalpflege Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege

Susanne Ritter Referat für Stadtplanung und Bauordnung Leitung Stadtplanung

95 Impressum

Die in der Broschüre abgedruckten Beiträge stellen nicht unbedingt die Meinung der Herausgeberin dar.

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