Dokumentation

herausgegeben von der Konrad-Adenauer-Stiftung

Berichterstattung zum Ersten Parteitag der CDU

Goslar, 20. bis 22. Oktober 1950

Sankt Augustin September 2000

Ansprechpartner: Günter Buchstab Hauptabteilungsleiter Wissenschaftliche Dienste Rathausallee 12, 53737 Sankt Augustin Telefon: (0 22 41) 2 46-2 10 E-Mail: [email protected]

Konrad-Adenauer-Stiftung, Rathausallee 12, 53757 Sankt Augustin www.kas.de – [email protected] Bericht über den Auftakt des 1. Parteitages der CDU Erster Tag: Freitag, 20. Oktober 1950

Als der Vorsitzende des Landesverbandes Niedersachsen Adolf Cillien, am Abend des 20. Oktobers den Parteitag eröffnete, war der Odeon-Saal bis aufs letzte Plätzchen gefüllt. Die Zahl der gemeldeten stimmberechtigten Delegierten betrug 386. Davon konnten etwa 50 aus beruflichen gründen erst im Laufe des folgenden Tages - Samstag - eintreffen und deshalb an den bereits vormittags stattfindenden Wahlen nicht teilnehmen. Neben ihnen waren rund 600 Gastdelegierte gekommen, und auch die Parteifreunde aus Goslar und der weiteren Umgebung waren aus verständlichem Interesse herbeigeeilt. Die öffentlichen Gebäude der alten Kaiserstadt hatten Fahnenschmuck angelegt, entlang der Straße vom Bahnhof zum Hotel Achtermann, dem Sitz des Parteitagsbüros, flatterten an hohen Masten nicht nur die Fahnen der Bundesländer, sondern auch jene Berlins, der Länder der sowjetisch besetzten Zone und der Provinzen jenseits der Oder-Neiße. Auf der geräumigen Bühne des Odeon- Saales - ihren Hintergrund zierte in großen Lettern der Spruch "Einigkeit und Recht und Freiheit" während von ihrer Höhe ein mächtiges grün-weißes Europa-E prangte - hatte eine Reihe von Bundesministern, Ministerpräsidenten und Länderminister Platz genommen. Zu den Ehrengästen zählten der evangelische Landesbischof Dr. Erdmann und als Vertreter des Bischofs von Hildesheim Generalvikar Dr. Offenstein, drei Vertreter der Hohen Kommission Niedersachsens und eine stattliche Zahl führender Persönlichkeiten der christlich-demokratischen Parteien aus Belgien, Frankreich, Luxemburg, Österreich, Schweiz, Italien und Holland. Nach den Klängen von Beethovens "Egmont"-Ouvertüre erschien Bundeskanzler Dr. Adenauer, von den Versammelten mit stürmischer Herzlichkeit begrüßt. Namens des Landesvorstandes der CDU Niedersachsen entbot Oberkirchenrat Adolf Cillien den Delegierten und Gästen und besonders dem Bundeskanzler herzliche Willkommensgrüße.

Auszug aus: Erster Parteitag der Christlich-Demokratischen Union, Bonn (1950) S. 9 Der erste deutsche Parteitag der CDU Im Zeichen der politischen Spannung

GOSLAR 20. Oktober. Goslar steht im Zeichen des ersten Parteitages der Christlich- Demokratischen Union Deutschlands. Vom Hotel Achtermann, in dem ein Teil der Delegierten untergebracht ist und das für gewöhnliche Sterbliche abgesperrt ist, weht die schwarzrotgoldene Fahne. Zu diesem ersten Parteitag sind Delegierte nicht nur aus der Bundesrepublik gekommen; die Tagung wird zum ersten Male auch von Vertretern der sowjetischen Zone und der Gebiete jenseits der Oder und Neiße besucht. Sie dokumentieren die Zusammengehörigkeit der deutschen Heimat. Den meisten Deutschen wird es nicht gegenwärtig sein, daß die größte Partei Westdeutschlands noch keine Bundespartei ist. Wenn dieser lockere Zusammenhalt der Christlichen Demokraten wenig ins öffentliche Bewußtsein trat, so hatten sie neben dem Verdienst der Bundestagsfraktion das Dr. Adenauer zu verdanken, dem Parteivorsitzenden der britischen Zone und vorläufigem Vorsitzenden der Gesamtpartei. Er wird am Samstag nun das Statut der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands verkünden, die Krönung seiner Arbeit auf parteipolitischem Gebiet. Niemand zweifelt daran, daß er bei der nachfolgenden Wahl der endgültige Parteivorsitzende werden wird.Der erste Parteitag der Christlich- Demokratischen Union Deutschlands fällt in einen Augenblick höchster allgemeiner politischer Spannung. Die Westmächte werden demnächst an Westdeutschland mit der Aufforderung zur Wiederaufrüstung herantreten. Ein Flügel der protestantischen Kirche nimmt das zum Anlaß, schon jetzt gegen den Kanzler Sturm zu laufen. Dieses Verhalten des Niemöller-Kreises wird, wie es heißt, einen Teil hoher Würdenträger der Evangelischen Kirche veranlassen, ihre Posten in protestantischen Spitzenorganisationen zur Verfügung zu stellen. Dieser Zwist im Protestantismus wirft einen gewissen Schatten auf den Parteitag. Auch wirtschaftspolitisch und sozialpolitisch werden von der Bundesregierung, also unter Verantwortung der Christlich-Demokratischen Union, in naher Zukunft Entscheidungen getroffen werden müssen, die Festigkeit verlangen. Vielleicht kann man aus der Auswahl der Redner einiges schließen. Über die soziale Frage, die notgedrungen auch die Mitbestimmung umfaßt, spricht nicht Arnold, der kluge und zähe Widersacher Adenauers vom linken Flügel der Partei, sondern Gockeln, dessen Haltung mehr vermittelnd ist. Am meisten ist man darauf gespannt, ob Erhard und Niklas, wie Bonner Propheten es voraussagen wollen, sich veranlaßt sehen werden, wirtschaftliche Vorsichtsmaßnahmen zu verkünden, die an das Gebiet direkter Kontrollen von Einfuhr und Rohstoffen heranreichen würden. Es entspricht indessen kaum der staatsmännischen geschickten Regie Adenauers bei der Dirigierung einer Tagung, daß die Partei unnötig festgelegt würde. Der Kanzler und Parteivorsitzende legt in einem Vorwort , das er in der Parteikorrespondenz veröffentlicht hat, Wert darauf, daß "die Besinnung auf die Grundsätze und die Gewissenserforschung" die Tagung beherrschen. Aber gerade deswegen wird der Kanzler um schwerwiegende Feststellungen nicht herumkommen und nicht herumkommen wollen. Die Rede, die er heute abend hält, legt davon Zeugnis ab. FAZ, 21. 10. 1950 Bekenntnis zu Europa in Goslar Dr. von Brentano: "Deutschland will seine Freiheit nicht abermals verspielen"

DT Goslar, 21.10. (Eigenbericht). Am zweiten Tag des ersten gesamtdeutschen Parteitages der CDU standen Fragen kulturellen Inhalts im Mittelpunkt. Die große Gefahr aus dem Osten, die Dr. Adenauer am Freitag unter dem Gesichtspunkt der nationalpolitischen Sicherung durch gemeinsame europäische Verteidigungsanstrengungen behandelt hatte, zeichnete sich auch diesmal wieder ab. Die wesentlichen Fragen der Kulturpolitik wurden vom Standpunkt einer christlichen Politik von den Referenten erörtert. Mit einer Kritik der geistigen und moralischen Verfassung der heutigen Gesellschaftsordnung wurde die Forderung verbunden, daß es sich heute nicht nur um einen Wiederaufbau aus den Trümmern des Dritten Reiches handeln dürfe, sondern auch um einen neuen Aufbau, bei dem auch manche aus dem vorigen Jahrhundert stammende Hypothek beseitigt werden müsse. Brückenschlag nach Frankreich Die Abendsitzung gestaltete sich zu einer eindrucksvollen europäischen Kundgebung. Dr. , der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, legte ein Bekenntnis für Europa ab. "Wir sind davon überzeugt, daß wir den besten Beitrag zur Erhaltung des Friedens in Europa und in der Welt damit leisten, daß wir zunächst in unserm Vaterland die zerstörte Ordnung wiederherstellen, den inneren Frieden und die soziale Gerechtigkeit wiederaufbauen." Voraussetzung dazu sei ein Brückenschlag zwischen der Bundesrepublik und dem französischen Nachbarn. Da das Wort Krieg für Deutsche einen besonders furchtbaren Klang habe, sei der heißeste Wunsch des deutschen Volkes, die Wunden, die die Vergangenheit schlug, im Frieden auszuheilen und im Frieden den Versklavten die Freiheit und den Vertriebenen die Heimat wiederzugeben. "Wir haben einmal durch falsches Handeln die Freiheit verspielt. Wir wollen sie nicht durch ein falsches Unterlassen ein zweitesmal unwiderruflich verlieren." Die Grüße der freien Völker Europas Dem Referat Dr. von Brentanos gingen die Begrüßungsansprachen der in Goslar anwesenden ausländischen Vertreter befreundeter christlicher Parteien voraus. Der Reihe nach nahmen Gäste aus Luxemburg, Holland, Frankreich, Italien, Österreich und der Schweiz das Wort, die mit herzlichen Worten der freundschaftlichen Verbundenheit und der europäischen Gemeinschaft mit der CDU und dem ganzen deutschen Volk Ausdruck gaben. Stürmischer Beifall erhob sich, als Bundeskanzler Dr. Adenauer und der Sprecher der Christlichen Partei Frankreichs, M.R.P. Professor Bartholomäus Ott, sich die Hände reichten. Die kurzen Ansprachen der Gäste zeigten, wie sehr die freien Völker Europas ihre gemeinsame Aufgabe erkannt und zu ihrer Erfüllung mit Deutschland im Geiste christlicher Demokratie verbunden sind. (DER TAG vom 22. Oktober 1950) Parteitag der Christlichen Demokraten Deutschlands Wahl Adenauers zum Präsidenten Fehler! Textmarke nicht definiert.

Tel. unseres Korrespondenten R.H. Goslar, 22. Oktober Goslar war vom Freitag zum Sonntag Schauplatz des ersten Parteitages der Christlich- Demokratischen Union Deutschlands. Die C. D. U., die als letzte der großen Parteien dazu geschritten ist, ihre in den ersten Nachkriegsjahren auf Länder- und Zonenbasis entstandenen Zweige zur gesamtdeutschen Organisation zusammenzufassen, tat mit der Wahl der wenige Kilometer von der russischen Zonengrenze gelegenen alten Kaiserstadt am Fuße des Harzgebirges eine bewußte Geste nach denjenigen Gebieten Deutschlands, die zurzeit an der freien politischen Mitarbeit verhindert sind, deren Exilvertreter nun jedoch als gleichberechtigte Glieder neben den Delegierten der Landesverbände in den Zentralorganen sitzen. Einzig das eigenwillige Bayern blieb mit seiner Christlich-Sozialen Union (C. S. U.) weiterhin als zwar zugewandter, nicht aber als gleichgeordneter Vorort außerhalb der Reihe. Wenn sich die eigentliche Konstitution der gesamtdeutschen C. D. U. auch erst mit der am Samstag erfolgten Verkündigung des Parteistatuts vollzogen hat, so war auf diesem Parteitag von konstitutionellen Kämpfen doch kaum noch etwas zu merken. Die aus ihren föderalistischen Zellen organisch gewachsene Partei hat ihre politischen und weltanschaulichen Geburtswehen im großen ganzen hinter sich. Die politische Heterogenität, die zeitweise drohte, das primär auf die Gemeinsamkeit des christlichen Glaubens gebaute Gefüge zu erschüttern, besteht zwar weiter. Aber man erhielt in Goslar stärker als zuvor den Eindruck, daß sich die Partei doch auch politisch zusehends einer klaren Linie verschreibt; die nach rechts und vor allem auch nach links ihre Grenzen klar absteckt. Die Mehrzahl der Reden, die gehalten wurden, waren so grundkonservativ wie die würdigen Zeugen romanischer Architektur, die altersgrauen Mauertürme und die malerischen Fachwerkhäuser, die Goslar zu einem - seit dem Verschwinden der Nürnberger Altstadt - einzigartigen Denkmal des deutschen Mittelalters machen. Prof. Stier (Münster), der den geschichtlichen Auftrag der C. D. U. umschrieb, verurteilte jede Revolution als grundsätzlich im Gegensatz zum Christentum stehend und zog selbst die demokratische Legitimierung der Sozialdemokratie in Zweifel. Fast ebenso heftig wie gegen den Marxismus wurde zeitweise gegen den Liberalismus Sturm gelaufen. In den Angriffen eines Referenten gegen surrealistische Malerei und atonale Musik, .die als "wesensfremde und oberflächliche "Afterkunst" im Gegensatz zu "bodenständiger Volkskunst und Brauchtum" gestellt wurden,, klangen Untertöne, die man sonst eher von jenen totalitären Regimen her kennt, die die C. D. U. so leidenschaftlich bekämpft. Wenn man von einem scheinbaren Sieg der konservativen Linie, innerhalb der Partei spricht, so ist allerdings einschränkend zu bemerken, daß das Tagungsprogramm bewußt so angelegt war, daß die möglichen innerpolitischen Streitfragen im Hintergrund blieben. Dem Charakter der konstituierenden Sitzung entsprechend wurde die innen- und außenpolitische, die .soziale, kulturelle und wirtschaftliche Aufgabe der C. D. U. in Referaten umschrieben, die bei der notwendigerweise kurzen Zeit, die zur Aussprache übrig blieb, weitgehend den Charakter von programmatischen Monologen trugen. Eine eigentliche, in die Tiefe der parteiinternen Verhältnisse gehende Aussprache, beispielsweise über die Arbeit der Bundestagsfraktion, wurde einem späteren, Treffen vorbehalten. So fand beispielsweise der linke Flügel, der sich um den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Arnold gruppiert, kaum Gelegenheit, in Erscheinung zu treten. Aber die Möglichkeit einer Parteifronde, die sich beispielsweise am Samstagmorgen bei .der Wahl des Parteivorsitzenden und seiner Stellvertreter geboten. hätte, wurde, nie auch nur andeutungsweise ausgenutzt. Bundeskanzler Adenauer, bisher schon provisorischer Vorsitzender, stand als gegebener Kandidat nie zur Diskussion. Er erreichte denn auch 302 von total 335 Stimmen, also ein 90prozentiges imponierendes und undiskutierbares Vertrauensvotum. Auch die Wahl der stellvertretenden Vorsitzenden und Holzapfel war unbestritten. Das Wort, daß die C. D. U. "die Partei Adenauers ist, gilt nach Goslar womöglich noch nachdrücklicher als bisher. Die außenpolitische Rede, die der Bundeskanzler bei der Eröffnung am Freitagabend hielt, wurde denn auch gleich zum absoluten Höhepunkt der Tagung. Adenauers Ausführungen über Deutschlands Stellung und Aufgabe in der Welt brachten nichts grundsätzlich Neues, aber die Rede bildete doch die erste deutliche Zusammenfassung der Stellungnahme Bonns, wie sie sich aus den Radioreden und Interviews der letzten Zeit erst in groben Umrissen herausgeschält hatte. Der Kanzler konnte es sich nicht versagen, die Gelegenheit zu benutzen, um sich noch einmal mit fast überraschender Heftigkeit mit seinem Gegenspieler Niemöller auseinanderzusetzen. Niemöller, so betonte er, sei nicht die evangelische Kirche Deutschlands. Er spräche auch für keine Stelle dieser Kirche. Er habe sich in unverantwortlicher Weise gegen die Ehre und das Ansehen seiner Mitmenschen versündigt und dem deutschen Volk schwersten Schaden zugefugt. Sein Vorgehen habe nur bei der kommunistischen. S. E. D. der Ostzone Beifall ausgelöst. In den unzähligen Zuschriften, die ihm - Adenauer - von evangelischen Christen in dieser Sache zugegangen seien, sei fast ausschließlich nichts anderes als Empörung gegen Niemöller zum Ausdruck gekommen. Die leidenschaftliche Stellungnahme des Kanzlers gegen Niemöller fand derartigen rauschenden Beifall auch von Seiten der anwesenden Protestanten, daß man der später vom Berliner Bürgermeister Friedensburg in der Diskussion gestellten Frage beizupflichten versucht war, ob Adenauer den wirklichkeitsfremden Lehren des hessischen Kirchenpräsidenten nicht zu viel Ehre antue. Friedensburg ließ, ebenso wie die übrigen protestantischen Sprecher, keinen Zweifel darüber, daß auch die große Mehrheit der evangelischen Christen die vom Bolschewismus drohende Gefahr erkennt und nicht gewillt ist, sie als gottgewollte Fügung tatenlos hinzunehmen. Adenauer bekämpft Niemöller offenbar nicht aus Furcht vor einer Spaltung der Meinungen in der eigenen Partei - der Pastor hat sich seit der Verurteilung des gesamten westdeutschen Staatswesens entsprechend nie der C. D. U. angeschlossen - und Heinemann scheint letzten Endes doch kein nennenswertes Gefolge zu finden. Vielmehr scheint der Kanzler um die Reaktion jener protestantischen Wählerschichten besorgt zu sein, die bisher trotz gewissen Bedenken mit der C. D. U. gingen, die sich durch die Argumentation Niemöllers nun jedoch vor neue verwirrende Gewissenskonflikte gestellt sehen, Aus. der bedingungslosen Ablehnung der "Neutralitätslehre" Niemöllers ergab sich in der Rede Adenauers zwangsläufig die eindeutige Parteinahme auf seiten des Westens. Der Kanzler holte historisch weit aus, um den Kontrast zwischen der auf dem Gleichgewicht der europäischen Mächte basierenden weltpolitischen Konstellation vor 1914 und der heutigen Lage darzulegen. Angesichts der Wahl zwischen der sowjetrussischen Diktatur und den zur Verteidigung der Freiheit rüstenden Westmächte darf es seiner Ansicht nach für das deutsche Volk kein Zögern mehr geben. Das Problem der Höhe des deutschen Beitrages zur Verteidigung des eigenen Landes und Europas zeichnete Adenauer nochmals anhand der internationalen Diskussion auf, wie sie sich etwa seit 1947 entwickelt hat. Die Schaffung deutscher Truppenverbände wurde mit dem Augenblick akut, wo nach dem Abschluß des Brüsseler Paktes und des ihm folgenden Atlantikpaktes die Frage auftrat, wo die Verteidigungsfront gegen einen möglichen Angriff aus dem Osten zu errichten sei. Sie hat sich mit der Aufstellung starker russischer Truppenverbände in der deutschen Ostzone, mit der Ausbildung der "Volkspolizei"-Armee und mit der nun offenbar geplanten Einführung der allgemeinen Dienstpflicht in Ostdeutschland zusehends verschärft. Die bisherige Haltung der Bonner Regierung entspricht nach Adenauers Auffassung nur der von der deutschen Delegation beim Straßburger Europarat eingenommenen Haltung. Eine letzte Entscheidung kann, wie der Kanzler nochmals betonte, erst vom in Beantwortung einer präzisen Anfrage der westalliierten Regierungen getroffen werden. Adenauer schloß mit der in seinen Reden immer wiederkehrenden Versicherung an Frankreich, daß Deutschland gewillt sei, dem alten Zerwürfnis zwischen den beiden Völkern für immer ein Ende zu machen. Er wich dabei für Momente vom Manuskript ab, um nachdrücklich zu versichern, daß die derzeitigen Gerüchte über eine Abwendung der Regierung vom Schuman-Plan in keiner Weise den Tatsachen entsprächen. Deutschland stehe nach wie von zu diesem Plan, wie zu allem, was zum Zusammenschluß Europas führen könne. Die vom Versammlungsleiter mit Humor und starker Hand geführte Regie hatte unter den Sprechern, die die Grüße verschiedener Delegationen überbrachten, dem Franzosen Prof. Ott eine zusätzliche Redezeit eingeräumt. Der Vertreter des M. R. P. sprengte den Rahmen der übrigen Sympathiebezeugungen der gleichgesinnten ausländischen Parteien, um seinerseits mit eindrücklichen Worten für die deutsch-französische Verständigung einzutreten. Aber er wies auch nachdrücklich auf die Notwendigkeit hin, die begonnene Annäherung mit jenem Takt und je ner Geduld weiterzuführen, ohne die dieses heikle europäischen Anliegen schwer zu lösen bleibe. (Zürcher Zeitung vom 23. Oktober 1950) Rückblick auf Goslar Unbestrittene Führung Adenauers in der Christlich-Demokratischen Union

Tel. unseres Korrespondenten R. H. Frankfurt a. M., 24. Oktober Der Goslarer Parteitag der Christlich-Demokratischen Union ist von in- und ausländischen Beobachtern mit starkem Interesse verfolgt worden. Es war nicht so, daß man von der Tagung, welche die eigentliche Konstituierung der Partei auf gesamtdeutscher Basis brachte, Sensationen erwartet hätte. Alle Anzeichen sprachen von vornherein dafür, daß Goslar trotz den latenten Spannungen zwischen den beiden Parteiflügeln, trotz der weltanschaulichen Opposition seitens der Anhänger Niemollers innerhalb der C. D. U., letzten Endes eher eine Konsolidierung denn eine Schwächung der Stellung Adenauers bringen würde. Wenn man von einer Ueberraschung sprechen wollte, so bestände sie höchstens darin, daß die Richtung Arnold noch weniger als erwartet in Erscheinung trat und daß auch die protestantischen Elemente in der Partei mit einer kaum zu erwartenden Eindeutigkeit von der "appeasement"-Politik Niemöllers und Heinemanns abrückten und sich hinter den Kanzler stellten. Wenn es überdies so etwas wie eine kleine Revolte gab, so richtete sie sich in keiner Weise gegen den Kanzler, sondern höchstens gegen ein ehrgeiziges Mitglied aus der zweiten Parteigarnitur, dessen vorgesehene Wahl auf einen einflußreichen administrativen Posten des Parteiapparats in letzter Stunde hinter den Kulissen an der nicht ganz durchsichtigen politischen Vergangenheit des Kandidaten scheiterte. Aber im ganzen lag Goslars Bedeutung gerade im Fehlen nennenswerter oppositioneller Strömungen. Die Tatsache, daß die stärkste Partei, die seit dem Wiedererwachen demokratischer Institutionen in Deutschland dauernd die politische Verantwortung getragen hat, heute gestärkt und innerlich gefestigt dasteht, fällt in dem Moment doppelt ins Gewicht, wo Westdeutschlands Stimme sich auch im internationalen Gespräch nicht mehr überhören läßt. Die politischen Tendenzen, wie sie in Goslar zutage traten, haben nicht allein für die C. D. U. Geltung; man wird aus ihnen auch Rückschlüsse auf die künftige deutsche Politik überhaupt ziehen müssen. Der demonstrative, die Grenzen konventioneller Höflichkeit weit überschreitende Beifall, den jedes Erscheinen Adenauers. hervorrief, bildete die äußere Bestätigung dafür, daß die Linie, die der Kanzler bei seinen oft kritisierten "einsamen Entschlüssen" verfolgt, letzten Endes doch die Zustimmung seiner Parteifreunde findet. Neben der starken Ausrichtung aller politischen und sozialen Bestrebungen auf die christliche Ethik und neben dem deutlichen Ueberhandnehmen der konservativen Strömungen innerhalb der Partei trat in Goslar als ausgeprägtestes Moment ein starkes, nicht mehr unterdrücktes Nationalgefühl zutage. Die C. D. U. sucht sich heute bewußt von den Komplexen zu befreien, die infolge der Begriffsverwirrung zwischen dem unglücklichen aggressiven Nationalismus der Vergangenheit und einem gesunden Nationalbewußtsein auf den Deutschen lasten. Ob es ihr gelingt, den auf die Dauer bei keinem Volk zu unterdrückenden Patriotismus in jene Bahnen zu lenken, die Deutschland als freies, selbstverantwortliches Glied in die Gemeinschaft der demokratischen Nationen führen, kann nur die Zukunft zeigen. Die außenpolitische Konzeption, wie sie in Goslar dargelegt wurde, geht jedenfalls eindeutig nach der Einschaltung eines selbständigen souveränen Deutschland in die westliche Völkergemeinschaft. Die dritte Strophe des Deutschlandliedes, die "Einigkeit und Recht und Freiheit" als Gebote für das Glück des "deutschen Vaterlandes" nennt, wurde zu Anfang und Ende der Tagung stehend von der ganzen Versammlung gesungen; aber gleichzeitig sollte die über der Rednertribüne prangende grün-weiße Flagge Europas daran erinnern, daß das hier bekundete Nationalgefühl nicht wieder "in den Nationalismus des "Deutsehland über alles" ausarten soll. Die C. D. U. treibt ohne Zweifel geschickte Innenpolitik, wenn sie die Wiedererrichtung der deutschen Einheit als einen der wichtigsten Programmpunkte auf ihre Fahne schreibt. Der erfolgreiche Widerstand Berlins gegen die kommunistische Flut, der Ausgang des Krieges in Korea und die in letzter Zeit erheblich gesteigerte Aufklärungs- und Propagandakampagne des Westens haben bewirkt, daß die westdeutsche Bevölkerung allmählich aus der Apathie herauszutreten beginnt, die sie so lange gegenüber der kommunistischen Herrschaft in den Gebieten östlich der Elbe gezeigt hat. In der am letzten Abend durchgeführten Kundgebung für den deutschen Osten bezeichnete Jakob Kaiser die "Heimführung der achtzehn Millionen echter Menschen der Sowjetzone in einen deutschen Staat und reifer Demokratie" als ein Ziel, das erreicht werden könne und müsse. Darüber hinausgehend sprach er von der Rückgewinnung der deutschen Länder jenseits der Oder und Neisse. Der Minister betonte ausdrücklich, daß es nicht gelte, einen Krieg vorzubereiten. Aber er sprach seine Zuversicht aus, daß das totalitäre Regime im Osten auf die Dauer nicht imstande sein werde, seine Herrschaft angesichts einer starken und entschlossenen freien Welt zu behaupten. Der Widerstand in der Sowjetzone sei heute stärker als jemals; die Bevölkerung sei gegen den Kommunismus bereits immun geworden, und ihre passive Resistenz nehme täglich zu. "Wir sind keine Utopisten", rief Kaiser aus; "wir sind aber überzeugt, daß der täglich erkennbare unüberwindliche Wille, die achtzehn Millionen heimzuführen, von zwingender Kraft für die östliche und für die westliche Welt ist. Die Sowjetunion muß erkennen, daß sie bei dem Versuch, Deutschland zu bolschewisieren, auf Granit beißt." (Neue Zeitung vom 25. Oktober 1950) Das Fazit von Goslar VON PAUL WILHELM WENGER Fehler! Textmarke nicht definiert.

Goslar, auf dem halben Weg von Bonn nach Berlin, Bastion des Reiches und glanzvolle Pfalz der salischen Kaiser vor neunhundert Jahren, Vorort in den dreißiger Jahren jener "Harzburger Front", die mit ihrem Angriff auf die Weimarer Republik zugleich die deutsche Freiheit und Selbständigkeit überwand - diese im Kreis unserer Trümmerstädte wie ein altdeutsches Museum konservierte Stadt war der in vielen Bezügen symbolische Tagungsort für den ersten Parteitag der CDU Deutschlands. Im Schatten des Eisernen Vorhangs schlossen sich hier die Landesverbände der Regierungspartei organisatorisch zusammen und holten damit reichlich spät eine Entwicklung ein, die staatspolitisch seit der Gründung der Bundesrepublik vorweggenommen war, Dieser im modernen Parteiwesen einzigartige Vorgang des organischen Hineinwachsens in die politische Führung an Stelle der Okkupation des Staates durch einen vorweg konstruierten Parteiapparat, dieses zögernde Herantasten an die eigene Form ist der eigentliche Schlüssel zum Verständnis all dessen, was in Goslar gelang, in der Schwebe oder steckenblieb. Der feierliche Fahnenschmuck der Stadt und die im Vergleich zu den Parteimacht demonstrierenden Kongressen der SPD so bescheidene, ja fast allzu bescheidene Form der Delegiertentagung im Odeonsaal setzt die sinnbildlichen Akzente für dieses anhaltende Ringen der CDU um ihre innere und äußere Form. Daß es in Goslar nicht zum Abschluß kam, entspricht jenem eigentümlichen Schwebezustand unseres Volkes, den der universale Zuschnitt der CDU in seiner spannungsreichen Schichtung so unverkennbar widerspiegelt. So gelang zwar vieles, aber fast noch mehr blieb ungelöst. An der Spitze der weit über die CDU hinausgehenden politischen Bilanz von Goslar steht die mit überwältigender Mehrheit und ohne ernsthafte Gegenstimmen vollzogene Wahl Dr. Adenauers zum Ersten Vorsitzenden der Union. Diese Wahl, der nach der großen Rede des Kanzlers die echte Akklamation durch nicht enden wollende Ovationen vorausging, war ein für die innere Struktur der Union bezeichnendes Bekenntnis, das in gleichem Maße der unbestrittenen Persönlichkeit wie dem in schwerer Zeit sicher führenden Staatsmann galt. Diese Entscheidung von Goslar erhält ihr innen- und außenpolitisches Gewicht vor allem dadurch, daß der Heinemann- Konflikt nicht nur den Kardinalpunkt des Kanzlers, sondern zugleich den Fortbestand der Union überhaupt in Frage gestellt hatte. Die mit einem Bekenntnis zur Politik des Kanzlers und zum Unionsgedanken beendete gesonderte Beratung der evangelischen Delegierten war der archimedische Punkt des Kongresses und der derzeitigen deutschen Politik. Wäre es hier zu einer die Möglichkeit gemeinsamer christlicher Politik verneinenden "itio in partes" gekommen, so hätte die CDU statt des Zusammenwachsens ihren Untergang erlebt! Daß die evangelischen Delegierten aus ihrem von Heinemann und Niemöller in absentia erzwungenen Konklave mit einem klaren Bekenntnis zur Politik des Kanzlers und zur Idee der Union zurückkehrten, ist die augenfälligste und bedeutsamste Ernte der Goslarer Tage. Eine seit Monaten schwelende und geschickt geschürte Krise, deren Durchbruch außenpolitisch den Sieg des Kremls, innenpolitische aber die Vernichtung der christlichen Mitte durch die SPD bedeutet hätte, ist damit überwunden, und der Kanzler kehrt mit verstärkter Legitimation nach Bonn zurück. Diese Stärkung der Mitte, die so überzeugend an der personalen Spitze der CDU sichtbar wurde, ist im inneren Organismus leider nicht in gleichem Maße eingetreten. Es lag nicht nur an der Kürze der Tagung, daß keine offene Diskussion über die unleugbare Problematik konkreter Einzelfragen der CDU-Politik zustande kam, sondern vor allem an der zu einer europäischen Krankheit gewordenen Kongreßtechnik, die Teilnehmer durch eine Überfülle von Referaten gewissermaßen erschlagen. In dieser dem zukunftsträchtigen Bewegungscharakter der CDU zuwiderlaufenden Regie offenbarte sich das Schwanken zwischen reformatorisch- evolutionärer Bewegung und dem Funktionärshang zur Verparteiung, mit anderen Worten: der endlich entbrannte Kampf der konservativen Rebellion gegen Geistesträgheit und revolutionären Fortschrittswahn endete auf Anhieb unentschieden. Die CDU würde ihren geschichtlichen Auftrag verfehlen, wenn sie diesen Kampf nicht zu Ende führen würde, und wir verbuchen es als ein besonders ermutigenden Zeichen, daß der einzige Redner, der die vieldiskutierte "Blutarmut der CDU" durch den Rat zu konsequenter "Versorgungspolitik" beheben zu wollen schien, kein Ohr gefunden hat. Erfolgte so eine instinktsichere Absage an die im allgemeinen Rentner-Staat endende Massenverführung durch massive Futterkrippenpolitik, so blieb jedoch auf der anderen Seite der hoffnungsvoll begonnene Anlauf zu einer organischen und elastischen Konzentration leider auf halbem Wege stecken. Dieses Versagen vor der über die Zukunft der Union entscheidenden Aufgabe ist um so betrüblicher, als die Klärung der inneren Problematik vor allem durch die vorzüglichen Referate von Prof. Dr. Stier und Kultusminister Dr. Stein im Sinne einer echten geistigen, politischen und sozialen Mitte ganz erheblich vorangetrieben worden ist. Um so dringlicher wäre es gewesen, sofort jenen politischen Führungsstab zu schaffen, den die CDU endlich benötigt, um aus den mehr oder weniger routinierten Monologen über unbestrittene Leitsätze herauszukommen und diese dem Fluß des Lebens und den konkreten Erfordernissen der Stunde formgerecht, werbend und wirksam anzupassen, damit ihre künftige Politik auf allen Gebieten aus der Lähmung des Abwehrens und bloßen Reagierens herauskommt und - wie bisher vor allem in der Außen- und Wirtschaftspolitik - vorausplanend und vorausgestaltend wirkt. Ihre innere Abkehr von den veralteten Parteiformen wird nur dann fruchtbar werden, wenn der vorwiegend als bündische Repräsentation der Landesverbände fungierende Gesamtvorstand sich in kürzester Zeit mit einem geistigen Organisationsstab umgibt, der unverzüglich an die Fülle der ungelösten Aufgaben herangeht. Die Aufgabe dieses Führungsstabes wird es sein, die abstrakte Funktionärsdemokratie in eine auf den konkreten Lebensordnungen der Familie, des Berufs und der Gemeinde gegründete und auf allen Ebenen organisch zusammenwirkende demokratische Gesamtordnung umzuwandeln und vor allem die an ihrer Überkompetenz erstickenden Parlamente für ihre Hauptaufgaben der Grundliniengesetzgebung und der Verwaltungs- und Haushaltskontrolle freizumachen, damit der derzeitige Belagerungszustand der Bürokratie gegen die verschüchterten und verärgerten Bürger beendet wird, ehe es zu spät ist. Diese dringend nötige Reform unseres politischen Stils muß im Schoß der Parteien selbst beginnen. Sollte sie noch länger auf sich warten lassen, so wird das tiefe Unbehagen des Volkes zu einem neuen Weimarer Débacle führen. Diejenige Partei aber, die den Mut und die Kraft zu dieser inneren Reform findet, wird die Erneuerin unseres politischen Lebens sein. Keine hat auf Grund ihrer Entstehungsgeschichte und ihrer universalen Struktur hierfür günstigere Ansätze als die CDU. Die Zeit der Deklamationen ebenso schöner wie unbestrittener und mißachteter Grundsätze ist vorbei. Das Volk, nicht zuletzt aber die bis ins reife Mannesalter reichende junge Generation will Taten sehen, und die CDU wäre übel beraten, wenn sie darauf vertraute, das große Prestige des Kanzlers und die unleugbare Kette ihrer - dem Volke allerdings längst nicht gebührend vor Augen geführten - Erfolge werde dazu ausreichen, die tiefe Skepsis der Abseitsstehenden zu überwinden oder die Zurückgestoßenen wiederzugewinnen. Die in Goslar außerhalb des offiziellen Forums reichlich geführten Diskussionen haben gezeigt, daß diese Probleme von einer großen Schar sehr klar gesehen werden. Hätte der Vorstand sich zu der Wahl eines sofort ans Werk gehenden Generalsekretärs entschlossen und so den tatwilligen Kräften einen Kristallisationsmittelpunkt gegeben, so wäre das Fazit von Goslar noch erheblich positiver, zumal der schmerzliche Stachel zurückbleibt, daß die zahlenmäßig so großzügig bedachte Exil-CDU - teils als Claque und teils als Clique in Erscheinung tretend - hierbei der Hemmschuh gewesen ist. Der nicht nur unter der Oberfläche spürbare Wille zur Erneuerung war die kräftigste Widerlegung all derer, die da - nicht zuletzt aus ängstlicher Sorge um ihre eigenen Positionen - von der Armut des christlichen Mutterbodens der CDU sprechen, und wir wagen zu prophezeien, daß die ,,Blutarmut" fast von heute auf morgen behoben sein könnte, wenn die allerorts zur Mitarbeit bereiten Kräfte herangeholt würden. Das Gesetz, nach welchem die CDU angetreten und in ihre staatspolitische Rolle hineingewachsen ist, würde ein Zögern auf halbem Wege zur tödlichen Gefahr werden lassen. Noch hat sie organisatorisch sich selbst nicht eingeholt. Ein schneller Sprung ist vonnöten. Nur wenn sie ihn entschlossen und ganz macht, wird sie in der drohenden Krise des äußeren Schwundes zu neuem Wachstum gelangen und zu jener echten politischen Mitte werden, an der das Schicksal unseres Volkes, seine soziale Befriedung, seine kulturelle Erneuerung und seine europäische Sicherung hängt. (Rheinischer Merkur vom 28. Oktober 1950) Arbeitnehmer in der Hinterhand Betrachtungen zum CDU-Parteitag 1950 Fehler! Textmarke nicht definiert.

Zur Christlich-Demokratischen Union bekennen sich Angehörige aller sozialen Schichten unseres Volkes. In ihr sind neben den Arbeitnehmern die Unternehmer, neben den Mietern die Haus- und Grundbesitzer und neben den Verbrauchern die Produzenten vertreten. Es ist daher ohne Zweifel schwierig, in allen politischen Fragen zu einer einheitlichen Auffassung in dieser Partei zu kommen. Aber ebenso wie eine Staatspolitik die Interessen des gesamten Volkes berücksichtigen muß, müßte auch die CDU, die eine Volkspartei sein will, den richtigen Mittelweg finden, um den Interessen aller in ihr vertretenen sozialen Schichten gerecht zu werden. Es ist aber kein Geheimnis, daß die von Erhard und der Mehrheit der CDU vertretene Wirtschaftspolitik, "infolge der Ungleichheit der Kräfte die stete Tendenz zur Entwicklung von Spannungen und Krisen und damit von sozialer Ungerechtigkeit" in sich hat. Feststellungen dieser Art wurden verschiedentlich von Arbeitnehmervertretern auf dem ersten Parteitag 1950 der CDU Deutschlands in Goslar getroffen. Mit Recht wurde gefordert, daß besonders in einer freien Marktwirtschaft die soziale Wohlfahrt bewußt gewollt werden muß. Das Fehlen dieser Zielstrebigkeit wurde mit einem Hinweis, auf die "ungleiche Einkommensverteilung" und die "großen sozialen Mißstände", die noch bestehen, kritisiert. Der Vorsitzende der "Katholischen Arbeiterbewegung" Westdeutschlands, , erinnerte an die Verpflichtung des Staates, mit allen Mitteln dann einzuschreiten, wenn die Wirtschaftsgruppen mit den ihnen überlassenen Rechten Mißbrauch treiben. Er forderte noch mehr! Wo in der Privatwirtschaft die Spielregeln der Vertrags- und Wettbewerbswirtschaft aufhören, sei eine Überführung in Gemeinwirtschaft durchaus gerechtfertigt, ja sogar eine moralische Notwendigkeit. Und überall da, wo sich in Institutionen der Wirtschaft eine Aufsichtspflicht oder die Grundlage einer wirtschaftspolitischen Entscheidungsbefugnis sowie einer staatlichen Kontrollfunktion ergebe, sei eine gleichberechtigte Mitbestimmung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern erforderlich. Diese Ausführungen Gockelns waren ein erneutes Bekenntnis zum "Ahlener Programm" der CDU, in dessen wirtschaftspolitischen Grundsätzen die Überführung des Bergbaus in Gemeineigentum als vordringlich und auch als Weg der in der eisenschaffenden Großindustrie zu beschreiten ist, gefordert wird. Die Meinung der CDU-Sozialausschüsse gab (Köln) wieder. Er kritisierte die unverständliche Haltung einiger Unternehmerkreise zu den Forderungen der Gewerkschaften nach dem Mitbestimmungsrecht. Eine Regelung, wonach es auch den Gewerkschaften möglich ist, ihre Vertreter in die Aufsichtsräte zu entsenden, hielt er für durchaus richtig. Er warnte davor, einen Gegensatz zwischen Arbeitnehmern und Gewerkschaften aus durchsichtigen Gründen konstruieren zu wollen. Auch Albers bekannte sich zu den Grundsätzen des "Ahlener Programms", als er sagte: "Unsere Zukunft liegt nicht in der Restauration einer liberalistischen Wirtschaftsform. Wir wollen ebensowenig einen Kultur- als einen Wirtschaftsliberalismus, noch einen Klassenkampf." Diese Ausführungen der Arbeitnehmer-Vertreter in der CDU waren alles andere als eine Liebeserklärung an die Erhardsche Wirtschaftspolitik. Leider war Professor Erhard, als der Sozialauftrag der CDU behandelt wurde, nicht zugegen. Später setzte er sich in seiner Rede für eine konsequente Durchführung seiner bisherigen Politik ein. Wenn er auch die Notwendigkeit anerkannte, auf verschiedenen Wirtschaftsgebieten planend einzugreifen, so dürften alle diese Maßnahmen nicht ausreichen, um eine gerechte Verteilung des Sozialprodukts in absehbarer Zeit zu garantieren. Als Gewerkschafter hat man mit Genugtuung die erfrischenden Ausführungen der Arbeitnehmervertreter in der CDU auf diesem Parteitag vernommen. Allein, die parlamentarischen Abstimmungsergebnisse zu wichtigen wirtschafts- und sozialpolitischen Gesetzen haben gezeigt, daß der Einfluß dieser Männer weitaus geringer ist als derjenige der Unternehmer. Auch die Zusammensetzung des neugewählten Vorstandes dieser Partei wurde von dem ehemaligen hessischen Arbeitsminister Arndgen kritisiert, da in ihm außer Jakob Kaiser kein Arbeitnehmer vertreten ist. Auch dieser Umstand gibt freilich nicht zu der Hoffnung Anlaß, zu glauben, daß nach diesem "Parteitag der Besinnung" eine entschlossenere soziale Zielstrebigkeit die Politik der CDU bestimmen wird. L.D. (Handelsblatt) Die Situation der CDU

Fehler! Textmarke nicht definiert.Von Horst Flügge

Die Goslarer Demonstration eines Parteitages der Einheit, hat die Auseinandersetzung in der CDU um Struktur und Programm nicht lange aufgeschoben. Auswirkungen der Landtagswahlen auf die Position der Länderregierungen, auf Bonn und nicht zuletzt auf die einzelnen Richtungen in der CDU sind einige der Faktoren, die heute die Auseinandersetzung erzwingen. Die Entwicklung der FDP zu einer betonten Rechtspartei, die innen- und außenpolitische Problemstellung für die Regierung Adenauer sind weitere Faktoren, zu denen noch das einer Sammelpartei von der Größe der CDU eigene fortwährende interne Kräftespiel kommt. Es ist längst nicht mehr möglich, die CDU mit dem Ahlener Programm zu kennzeichnen oder sie mit dem Namen Adenauer gleichzusetzen. Die CDU von 1951 ist das Ergebnis verschiedener Programme, unterschiedlicher christlicher Grundhaltungen, landsmannschaftlicher Interessenvertretung, der Regierungsarbeit der nicht einander gleichzusetzenden "CDU-Kabinette" in den Ländern, der Regierungsarbeit in Bonn, des Kräfteein-satzes zahlreicher Persönlichkeiten und ein Ergebnis der taktischen Fähigkeiten Adenauers, seinen Willen zu konkretisieren. Adenauer ist die Kraft, die immer wieder eine Einheit herbeiführt. Der Preis für diese Einheit ist der Verzicht auf die letzte Austragung der Gegensätze, auf eine Entwicklung der Partei. In der letzten Zeit haben die Stimmen, die in der CDU diese Entwicklung fordern, zugenommen. Es muß etwas geschehen, wenn die CDU eine der beiden großen Parteien bleiben soll. So läßt sich die Mehrheit der Stimmungen in der CDU zusammenfassen. Aber was? Welcher der zahlreichen Flügel soll die Richtung bestimmen? Wie kann eine weitere Abwanderung der Wähler zu FDP und BHE verhindert werden? CDU-Mitglieder, die der "Aktionsgruppe linker Christen" angehören, sind da ganz anderer Meinung als jene CDU-Politiker, die sich der "Ersten Legion" verschrieben haben Manche CDU-Politiker glauben und fürchten eine nachteilige Beeinflussung der Entwicklung ihrer Partei durch den Bundeskanzler. Es sind nicht nur Kreise um Arnold, sondern Männer, die bisher treue Verfechter der Politik Adenauers waren und jetzt skeptisch sind. Die Auseinandersetzung geht ja nicht nur darum, was unter der Formulierung "so sozial wie möglich" zu verstehen ist, sondern die Meinungsverschiedenheiten in der CDU schließen nahezu alle Probleme ein, die heute in der Bundesrepublik gestellt sind. Das beginnt bei den akademischen Auseinandersetzungen über den Föderalismus und führt u. a. über die praktische Stellung einer Alternative in der Frage der Mitbestimmung bis zum Ja und Nein gegenüber einem deutschen Verteidigungsbeitrag. Der Duisburger Parteitag mit der Kontroverse Adenauer-Arnold zeigte, daß die Auseinandersetzung konkretere Formen angenommen hat. Auf der Konferenz der CDU-Prominenz des Rheinlandes am 13. Januar in Bonn wurde das bestätigt. Mag die Abwehrstellung' der in der Regierungsverantwortung stehenden Partei gegenüber SPD und auch FDP immer noch die Einheit unter Adenauer herbeiführen, die Auseinandersetzung in der CDU ist eine Realität. Es wäre freilich falsch, sie mit einer Aktivierung des Kampfes der "Frondeure" gleichzusetzen. Nicht die Bildung einer Fronde gegenüber Adenauer kennzeichnet die Situation der CDU, sondern die auf allen Seiten verbreitete Ansicht, daß die CDU einen gemeinschaftlichen Nenner für die verschiedenen Auffassungen und Kräfte finden muß. Das Dilemma liegt nicht in einem Mangel an Erkenntnissen über die Position der CDU, sondern in der Schwierigkeit der Aufgabe, einer Partei, von der großen Spannweite der CDU eine Einheit im Programm zu geben. Daß diese Einheit notwendig ist, haben 1950 weniger die Erfolge der SDP, als die der FDP bewiesen. Wie sie herzustellen ist, weiß niemand. Die Christlich-Soziale Partei aufbauen, wäre die Formel des gesunden Menschenverstandes. Sie deutet die Möglichkeit an, wie aus der Stagnation der liberalistischen CDU Adenauers eine echte soziale Partei der Mitte werden könnte. In der allein entscheidenden Wirklichkeit dominiert in der Auseinandersetzung in der CDU der Zug nach "rechts". Die Personalunion zwischen Bundeskanzler, dessen Partner FDP und DP sind, und CDU-Vorsitzenden tut das ihre. um es vorerst in der "amtlichen" Linie der CDU bei diesem Kurs zu belassen. Die Folge ist, daß sich die Gegner dieser Linie in der CDU auf der Ebene der Länder die Unabhängigkeit schaffen, die notwendig ist, um ihre Auffassung von der CDU zu praktizieren. Es fällt schwer, in dieser Situation eine andere Perspektive als die Spaltung in der fernen Zukunft zu sehen. Adenauers Machtstellung reicht noch zu einheitlichen CDU- Beschlüssen in Bonn, aber nicht mehr zu einer einheitlichen CDU-Politik in allen Ländern. Sein ungebrochener Wille wird weiter alles tun, um die Einheit der CDU in Bonn zu erhalten und die letzten Konsequenzen der Auseinandersetzung in der Partei zu verhindern. (Schwäbisches Tageblatt vom 26. Januar 1951)