4. MAI 2014, NR. 18 FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG SEITE 51

v WWissenschaftissenschaft v

NACHRICHTEN Feuer in der Prinzengruft Schlechter Schlaf Kinder, die von Albträumen ge- Im „Tal der Könige“ in plagt werden, haben häufiger als andere Mobbing erlebt. Das ergab Ägypten fanden sich in eine englische Langzeitstudie mit einem Grab Reste von 6438 Teilnehmern, die nun beim Jahrestreffen der Pediatric Acade- mindestens 50 Mumien, mic Societies im kanadischen Van- darunter viele Kinder. couver vorgestellt wurde. Etwa ein Viertel der befragten 12-Jährigen Wer waren sie? berichtete von Albträumen, ein VON ULF VON RAUCHHAUPT Achtel von Schlafwandeln. Wer beim Mobbing ausschließlich Tä- Was für ein entsetzlicher Anblick! ter sei, schlafe dagegen in der Re- Von der Keramik blieben nur gel ruhig, sagten die Forscher. Scherbenhaufen, von den Textilien zerrissene Lumpen, von den Sär- gen nur einige morsche Holzsplit- Der erste Exo-Tag ter und Fetzen bemalter Kartona- Forscher der Universität Leiden ha- ge. Ganz zu schweigen von den ben erstmals die Rotationsge- Mumien – die Grabräuber hatten schwindigkeit und demnach die sie auf der Suche nach wertvollen Dauer eines Tages auf einem Plane- Amuletten buchstäblich in Stücke ten außerhalb unseres Sonnensys- gerissen. Wer ägyptische Altertü- tems ermittelt. Der 65 Lichtjahre mer liebt und an die sorgsam aufge- von der Erde entfernte Exoplanet stapelten Schätze Tutanchamuns ␤ Pictoris b benötigt nur acht Stun- denkt, der kann verzweifeln ange- den, um sich einmal um die eigene sichts der Bilder, mit denen das Achse zu drehen. Das Ergebnis Team um Susanne Bickel von der passt zu dem Muster, das auch in Universität Basel Anfang der Wo- unserem Sonnensystem (abgese- che ihre Entdeckung der Öffent- hen von Merkur und Venus) zu be- lichkeit bekanntmachte. obachten ist: je höher die Masse Doch das Chaos im Grab mit des Planeten, desto kürzer der der Kennung KV40 (für „Kings’ Tag. ␤ Pictoris b ist ein Gasplanet Valley 40“) ist dennoch ein spekta- und zehnmal schwerer als Jupiter. kulärer Fund. Bis die Baseler sich Die Forscher haben Spektrallinien der Anlage 2010 annahmen, war da- eines Gases in der Planetenatmo- von nur ein mit Müll, Sand und sphäre gemessen und aus deren ro- Steinen fast völlig verschütteter tationsbedingten Verschiebungen Schacht bekannt. Nach der Säube- gefolgert, wie schnell er sich dreht. rung stellte sich heraus, dass er in sechs Meter Tiefe zu einem Kom- Mehrfacher Sprung plex aus fünf Räumen führt, in dem die Reste von mindestens fünfzig Dass Kamele die Quelle des einbalsamierten Körpern lagen. Middle East Respiratory Syndrome Ja, wie sieht’s denn hier aus? Der Fußboden im Grab KV40 nach der Entdeckung Fotos Universität Basel/Matjaz Kacicnik Es ist diese Menge an Toten so- (MERS) sind, gilt seit kurzem als wie die Tatsache, dass auch etliche bestätigt. Nun haben Virologen Kinder und sogar sorgfältig mumi- 21. Dynastie, als das Reich am Nil niger gut wiederverwendbare Stü- nannter Kanopenkrüge. Anschlie- („Geheimlager“), in die man die gen verwendet worden sein soll, er- der Veterinärmedizinischen Univer- fizierte Säuglinge darunter sind, im Niedergang begriffen war. cke.“ Danach wurde auch KV40 ßend legten die Spitzbuben Feuer. Toten etwa in der Zeit der späten scheint uns wenig wahrscheinlich.“ sität Wien die Augen- und Nasense- die den Fall KV40 so außergewöhn- Damals muss auch das nun in zur Zeit der 22. Dynastie, im 9. Jahr- „Es sieht so aus, als wären vier Fa- 21. oder der 22. Dynastie verbracht Ein weiteres Rätsel ist die Lage krete Dutzender Tiere aus dem lich machen. Denn die Schweizer die Schlagzeilen geratene Grab hundert v. Chr. neuerlich genutzt, ckeln, je eine im Zentralraum und hatte, nachdem ihre ursprüngli- der Grablege. Normalerweise wäre Oman untersucht und berichten in Ägyptologen stießen keineswegs KV40 zum ersten Mal geplündert wovon etwa die Fragmente bemal- den drei Seitenräumen, geworfen chen Gräber beraubt worden wa- der Ort für die Beisetzung von Ver- Eurosurveillance, dass es regionale zum ersten Mal auf zertrümmerte worden sein. Das konnten die Base- ter Mumienmasken aus Kartonage worden, bevor die Räuber das Grab ren. Diente KV40 vielleicht auch wandten des Pharao das drei Kilo- Unterschiede bei den Erregern Grabausstattungen. Seit 2009 un- ler Forscher etwa aus den Holzres- zeugen. Doch anders als Nehemes- verließen“, sagt Bickel. Die Flam- als ein solches Mumien-Versteck? meter entfernte „Tal der Königin- gibt und dass diese auch den Men- tersuchen sie systematisch eine Rei- ten schließen. „In dieser Zeit wur- Bastet in KV64 wurden auch diese men schwärzten alle Räume, loder- Rätselhafterweise nicht. „Wir ge- nen“ gewesen. „Das ist eine Frage, schen befallen. Der Sprung von ei- he von Gräbern in südlichen Teil de auch Holz wiederverwendet“, Toten ausgeraubt, allerdings erst ten heiß, aber nicht lange. „Durch hen davon aus, dass es sich nicht die wir weiter verfolgen wollen“, ner Art zur anderen ist den entspre- jenes Wüstentals nahe Luxor (sie- sagt Susanne Bickel. „Die Särge im späten 19. Jahrhundert. „Da wur- die schnelle Zuschüttung des um eine spätere Cachette, sondern sagt Bickel. „Waren das Tal der Kö- chenden Viren offenbar nicht nur he Karte), das zwischen etwa 1500 wurden vor Ort zerlegt, die großen de primär für den Kunstmarkt ge- Schachtes, mit der die Räuber ihre um eine Sammelgruft handelt“, niginnen und das Tal der Könige einmal gelungen, sie können im- und 1100 vor Christus den Pharao- Bretter mitgenommen, zurück blie- stohlen“, sagt Bickel und erklärt so Spuren verwischten, erstickte das sagt Susanne Bickel. Und diese damals einfach zwei alternative Be- mer wieder übertragen werden – nen der 18., 19. und 20. Dynastie ben lediglich Ecken und runde, we- etwa das weitgehende Fehlen soge- Feuer bald. Daher ist am Boden in Gruft wurde nicht einmal besetzt stattungsmöglichkeiten für Mitglie- durch die Sekrete infizierter Kame- des Neuen Reiches als Begräbnis- unmittelbarer Nähe der jeweiligen und verschlossen, sondern über le. Seit ein MERS-Virus im Juni stätte diente. Doch nicht nur ih- Brandherde fast nur noch Asche, eine gewisse Zeit genutzt. „Dafür 2012 erstmals bei einem Patienten nen. Die geräumigen bis riesigen, gleich daneben hat sich aber vieles spricht primär die Tatsache, dass aus Saudi-Arabien entdeckt wurde, mit Bildreliefs und Hieroglyphen- doch erstaunlich gut erhalten.“ die Aufschriften auf den Gefäßen sind mehr als 300 Menschen an der Darunter auch zahlreiche Auf- Infektion erkrankt. Jeder Dritte texten ausgeschmückten Herrscher- KV 1 zahlreiche Handschriften aufwei- gräber machen gerade mal ein schriften auf Vorratsgefäßen, die in sen und auch die Gefäße selbst eine von ihnen starb. Drittel der Grüfte im sogenannten der jüngsten Grabungssaison genau- Entwicklung andeuten.“ Tal der Könige aus. Die übrigen Tal der Könige er untersucht wurden. Dabei fan- Der Befund sei daher eher mit Tauft es endlich! sind deutlich kleiner und vor allem den sich über 30 Namen sowie Ti- KV5 zu vergleichen. Dieser bei wei- tel wie „Prinz“ oder „Prinzessin“ Provisorisch heißt es Ununsepti- undekoriert. Entsprechend gering tem größte Grabkomplex im Tal um, aber nun darf das russisch- war lange das Interesse an ihnen, KV 2 aus der Zeit der 18. Dynastie, mut- der Könige war zu Zeiten der 19. maßlich Angehörige der Pharao- amerikanische Physikerteam, das zumal sich mangels Inschriften KV 3 Dynastie für die Söhne Pharao 2010 die Synthese des überschwe- schlecht feststellen ließ, wer dort nen Thutmosis IV. und Amenho- Ramses II. angelegt worden, der in KV 46 ren Elementes 117 vermeldete bald einst bestattet wurde. KV 4 seiner 66 Jahre währenden Regie- einen endgültigen Namen vorschla- Die moderne Ägyptologie kann KV 41 rungszeit einen Kronprinzen nach gen. Denn Forscher des GSI Helm- aber selbst einer kahlen, besenrein KV 5 KV 44 dem anderen überlebte. In KV40 holtzzentrums für Schwerionenfor- ausgeräuberten Grabkammer noch hingegen haben nach bisherigen Er- KV 45 schung in Darmstadt haben die etwas abgewinnen, und sei es nur KV 28 kenntnissen der Baseler Forscher KV 7 Existenz des Elements bestätigt. durch deren genaue Vermessung KV 6 mindestens acht bis dato unbekann- Mumienmaske aus der Zweitnutzung des KV 27 Die in den Physical Review Letters und Kartierung. Mitunter haben KV 8 KV 55 te Königstöchter, vier Prinzen und Grabes KV40 in der Zeit der 22. Dynastie beschriebene Messung der GSI- die Plünderer aber Scherben oder KV 21 auch etliche ausländische Damen (circa 9. Jahrhundert vor Christus) KV 9 KV 62 KV 16 Forscher enthält aber auch noch Splitter zurückgelassen, die eine KV 18 ihre letzte Ruhe gefunden – und KV 63 KV 17 KV 60 KV 20 eine kleine Sensation: Unter den Datierung ermöglichen. Und zu- KV 56 eben auch Kinder und Säuglinge. KV 11 KV 10 KV 54 KV 19 der der Königsfamilien, oder gab Zerfallsprodukten der weniger als weilen gibt es mehr. In dem Grab Normal ist das nicht. Nach allem, es chronologische oder soziale Un- 100 Millisekunden überdauernden mit der Kennung KV26 etwa fan- was man weiß, wurde im alten Ununseptium-Kerne fand sich ein KV 12 KV 57 KV 58 terschiede? Vorerst zeichnet sich den die Baseler bereits 2009 einen KV 43 Ägypten der Bestattung von Klein- keine einfache Antwort ab.“ neues Isotop namens Lawren- menschlichen Schädel, im Jahr dar- KV 49 kindern und Kindern generell kei- KV 35 Die Baseler hoffen auch, durch cium-266 mit einer Halbwertszeit auf in KV31 die Überbleibsel von ne große Sorgfalt gewidmet, sagt weitere Analyse der Trümmer in von mehreren Stunden. Das ist ein fünf Mumien und ein Stück bunt KV 61 Sylvia Schoske, die Direktorin des KV40 mehr darüber zu erfahren, Hinweis auf eine erwartete erhöh- besticktes Leinen mit dem Namen Staatlichen Museums Ägyptischer te Stabilität besonders schwerer KV 36 KV 29 wann und wie lange hier Familien- Ramses III., zwischen 1194 und 1163 Kunst in München – „wohl auf- mitglieder der 18. Dynastie bestat- Isotope jener exotischen Elemente. v. Chr. zweiter Herrscher der 20. Mumienfunde in tep III. Waren die alle hier zusam- grund der hohen Kindersterblich- tet wurden. „Ein einziges Objekt, KV 64 keit“. Die Föten, die man im Grab Dynastie und letzter großer Pha- KV 13 KV 47 Grabanlage KV 40 men bestattet worden? ein kleines Fayencegefäß mit dem rao Ägpytens. Anfang 2012 schließ- KV 40 KV 26 Nun gibt es einen von der Perso- des Tutanchamun fand, seien eine Nahrhafte Tränen KV 14 KV 59 Namen Thutmosis IV., könnte lich entdeckte Bickels Team sogar nenzahl her ähnlich umfangreichen Ausnahme, betont auch Dietrich auch als Andenken ins Grab gekom- Beim Menschen haben Krokodils- KV 30 ein bis dahin gänzlich unbekanntes KV 31 Mumienfund. In einem ursprüng- Wildung, der frühere Direktor des men sein“, sagt Susanne Bickel, tränen einen schlechten Ruf – sie KV 38 Grab, das daraufhin die Nummer KV 32 KV 37 lich für einen Amun-Hohepriester Ägyptischen Museums in Berlin. „und alle Bestattungen in die Regie- gelten als Anzeichen für ein Mitge- KV64 bekam. Darin fanden sie die KV 15 KV F „Prinzen und Prinzessinnen in fort- fühl, das bloß geheuchelt ist. Dass KV 33 der späten 21. Dynastie angelegten rungszeit Amenhotep III. fallen.“ zerfledderten Reste der Bestattung KV 42 Grab im nahegelegenen Deir el-Ba- geschrittenem Alter und als Er- Im Herbst werden dann Patholo- Schmetterlinge und Bienen sie da- einer Dame aus der Zeit der 18. Dy- hari kamen 1881 Dutzende weitge- wachsene erhalten schon im Alten gen die Mumienfragmente in Au- gegen schätzen, beobachtete der nastie – und darauf den unberühr- KV 34 hend intakter Leichname zum Vor- Reich kostbare Gräber nahe den Py- genschein nehmen, etwa um Ver- Wasserökologe Carlos de la Rosa ten Sarg samt Mumie der „Sänge- schein, darunter etliche der bedeu- ramiden ihrer Väter. Aber da waren wandschaftsgruppen zu identifizie- nun auf einem Fluss in Costa Rica. rin des Amun“ Nehemes-Bastet tendsten Pharaonen des Neuen Rei- sie schon Persönlichkeiten des öf- ren. Auch DNA-Analysen sind ge- Die Insekten ließen sich in den Au- Meter KV 39 fentlichen Lebens.“ Laut Schoske aus der Zeit der 22. Dynastie. Vier- 50 100 ches. Und 1898 wurden in dem ur- plant. Daneben geht es mit der Un- genwinkeln eines Krokodilkaimans

0 F.A.Z.-Grafik Döring hundert Jahre nach der ersten Be- sprünglich für Amenhotep II. ange- und Wildung ist KV40 als eine tersuchung weiterer Gräber weiter. nieder, um von seiner Tränenflüs- stattung war das Grab also wieder- 64 Grabanlagen sind heute bekannt, von kleinen Gruben bis hin zur monströsen legten Grab KV35 mehr als ein Dut- Sammelgruft königlicher Familien- Als nächstes ist KV61 dran. Als es sigkeit zu trinken und dabei die verwendet worden, nachdem es Gruft KV5. Manche (rot) liegen auch über anderen. Das Baseler Teamerforscht zend weiterer größtenteils königli- mitglieder ein Einzelfall, an dem 1910 zuerst untersucht wurde, no- dort enthaltenen Salze und Protei- zwischendurch von Räubern heim- die undekorierten Gräber KV 26, 29, 30, 31, 32, 33, 40, 59, 61 und 64. Die Grund- cher Mumien gefunden. In beiden noch etliches merkwürdig ist. tierte der Ausgräber, „nicht eine ne in sich aufzunehmen, schreibt gesucht worden war, wahrschein- risse stammen aus dem und erfassen noch nicht Anla- Fällen handelte es sich um soge- „Dass über mehrere Generationen Scherbe“ habe er gefunden. Mal se- der Forscher in Frontiers in Ecology lich zu Zeiten der späten 20. und gen wie KV40 und KV64, deren Vermessung noch nicht abgeschlossen ist. nannte „Caches“ oder „Cachettes“ dasselbe Grab für Kinderbestattun- hen, wie genau er geguckt hat. and the Environment.

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