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FUSSBALL Markenartikel aus Kolbermoor Aus wirtschaftlicher Not haben viele -Clubs ihre Personalpolitik geändert: Sie setzen vermehrt auf Spieler aus dem eigenen Nachwuchs. In wenigen Jahren, so glauben Fachleute, werden deutsche Profis wieder zum Exportschlager taugen.

an kennt den Mann mit dem ak- Deutschland entdeckt seine Nachwuchs- Südamerika, statt hiesigen Youngstern eine kuraten Mittelscheitel aus dem kicker. Nach Jahren des Stillstands in der Chance zu geben. Zeitweise lag der Aus- MFernsehen. Bei Interviews wirkt Nationalmannschaft mit Ramelow, No- länderanteil in der Bundesliga bei 60 Pro- er eher sperrig. Aber wenn keine Kamera wotny und Wörns, nach Jahren, in denen zent – dem höchsten Wert aller großen eu- dabei ist, dann findet Michael Skibbe, vier frische Bundesliga-Kräfte aus den entle- ropäischen Ligen. Und manche Elf trat Jahre Partner von Teamchef Rudi Völler gensten Ecken des Erdballs kamen, nur komplett ohne Spieler mit deutschem und seit kurzem Trainer von Bayer Lever- nicht aus Pattensen oder Kolbermoor, Pass an. kusen, offensichtlich die richtigen Worte. scheinen Vereine, Verband und Fans ganz Statt Transfermillionen für mittelmäßige Neulich etwa redete er seinem hochbe- verrückt nach jungen Gesichtern aus eige- Importe vom Balkan zu verbraten, bedient gabten Mittelfeldspieler Gonzalo Castro, ner Produktion. sich das Gros der Vereine neuerdings ver- 18, ins Gewissen. Es ging darum, das in Am 0:0 der DFB-Auswahl in Frankreich stärkt hiesiger Talente. So ist seit der Sai- Wuppertal geborene Ausnahmetalent, des- waren neulich fünf Spieler beteiligt, die ei- son 2000/2001, einem Spieljahr, als die Liga sen Eltern Spanier sind und der deshalb gentlich noch für die U 21 spielberechtigt dank der Fernsehmillionen des mittlerwei- zuletzt für die spanische U-19-Auswahl sind. Manche, wie der Verteidiger Marcell le untergegangenen Kirch-Imperiums noch kickte, zu überzeugen, künftig doch bitte Jansen, 20, von Borussia Mönchenglad- mit Geld um sich werfen konnte, der An- für Deutschland zu spielen. bach, schafften so schnell den Sprung in teil deutscher Kicker unter 23 Jahren in den Bundesligakadern um 40 Prozent gestiegen. Mehr noch: Die Jungspunde werden nicht, wie vor kurzem noch üblich, als Trainingsdum- mys für die Stammkräfte be- trachtet, sondern dürfen spielen – und setzen immer öfter die Akzente. Beim Hamburger SV etwa beklatschen die Fans die Tempo-Dribblings von Piotr Tro- chowski, 21, wie Zirkusnum- mern. Der Nürnberger Stürmer Stefan Kießling, 21, wird von , dem neuen Trainer beim „Club“, als „Schlüsselspie- ler“ eingestuft. Und beim 1. FC

RALF POLLER / AVANTI (L.); TOUCHLINE / GETTY IMAGES (R.) / GETTY IMAGES (L.); TOUCHLINE / AVANTI POLLER RALF Köln stellt die junge Fraktion mit Jungstars Jansen, Podolski, Schweinsteiger, Nationalspieler Sinkiewicz*: Freudig beklatscht sechs Spielern der Jahrgänge 1984 bis 1986 bereits einen we- Skibbe erläuterte Castro, der in die- Jürgen Klinsmanns Eliteteam, dass ihn ein sentlichen Mannschaftsteil. Neben den Na- sem Herbst in Leverkusen zum Stamm- TV-Reporter vor kurzem noch mit dem tionalkickern Podolski und Lukas Sinkie- spieler avancierte, die Vorzüge eines Hannoveraner Per Mertesacker verwech- wicz, 20, stehen Christian Lell, 21, Marvin Wechsels: „Die Chancen stehen gut, dass selte, der auch erst 21 Jahre alt ist. Die Matip, 20, Patrick Helmes, 21, und Denis du regelmäßig in der deutschen National- Jungstars Lukas Podolski, 20, vom 1. FC Epstein, 19, für den neuen Jugendstil am mannschaft spielst.“ Und Erfahrung in Köln und Bastian Schweinsteiger, 21, ge- Rhein. internationalen Spielen sei ein „unermess- bürtig in Kolbermoor, beschäftigt beim FC Wächst da eine große Generation heran? licher Schatz“, um sich weiterzuent- Bayern München, werden von der Wer- Ist der deutsche Nachwuchs gar nicht so wickeln. „Wenn du dich mit deiner Hei- bung bereits als Markenartikel aus Ger- schlecht wie sein Ruf? mat identifizierst, kannst du für uns many präsentiert. Fraglos wäre die Bundesliga ohne ihre spielen.“ Klinsmanns Mut zur Jugend wäre frei- Virtuosen aus dem Ausland wie Marce- Der Vortrag wirkte. Vorvergangene Wo- lich nicht möglich gewesen, wenn vorher linho, Johan Micoud oder Rafael van der che gab Castro dem DFB sein Jawort. Be- nicht etliche Bundesligaclubs ihre Ge- Vaart international nicht konkurrenzfähig. merkenswert war aber auch die öffent- wohnheiten geändert hätten. Über Jahre Doch anstatt Personalpolitik nur mit dem liche Reaktion auf den Entschluss des verpflichteten Trainer und Manager lieber Geldkoffer zu machen, sehen moderne Teenies. „Eine gute Nachricht“, so feierte gereifte Profis aus Afrika, Osteuropa oder Manager und Trainer die Herausforderung „Bild“ die Personalie, die nahezu allen ihres Jobs auch darin, einheimische Fach- Sportteilen der Republik eine Meldung * Am 7. September beim Länderspiel gegen Südafrika in kräfte zu formen. Sein „hohes Ziel“ sei es, wert war. Bremen. sagt Peter Pander, Sportdirektor von

112 der spiegel 47/2005 Borussia Mönchengladbach, pro Jahr „vier bis fünf Spieler“ aus der Jugend in den Profikader einzuführen. Für , Trainer beim Hamburger SV, ist das Be- kenntnis zur Talentförderung „fester Be- standteil einer neuen Vereinsphilosophie“. Beim 2:0-Sieg im Uefa-Cup-Spiel gegen Vi- king Stavanger brachte Doll mit Alexander Laas, 21, Mustafa Kucukovic, 19, und Charles Takyi, 21, gleich drei Novizen. Geschuldet ist dieser Paradigmenwech- sel freilich dem Umstand, dass die Clubs von ihren zum Teil obszön hohen Lohn- kosten herunterkommen mussten. leistete sich früher überbezahl- te Exzentriker wie den Brasilianer Marcio Amoroso, der jährlich 4,5 Millionen Euro kassierte. Heute, dem Konkurs so nahe, stehen bei den Westfalen elf Spieler unter 22 Jahren auf dem Trainingsplatz, von de- nen manche nicht mehr als 5000 Euro im

CHAI V.D. LAAGE / IMAGO LAAGE CHAI V.D. Monat verdienen. Akteure wie Marc-An- Mönchengladbacher Nachwuchsspieler Polanski (M.): Gespür fürs Geschäft dré Kruska, 18, sind bereits Publikums- lieblinge. Nuri Sahin,¸ 17, geht zwar noch zur Schule, wird aber bereits regelmäßig von den Einkäufern internationaler Top- vereine beobachtet. Für Manager wie Heribert Bruchhagen von ist das Sparmodell „durchaus richtungweisend“. Obschon der Aufsteiger sieben Spieler aus der eigenen Jugend im Kader hat, waren die Hessen zuletzt das Überraschungsteam der Liga. „Wir merken, dass wir den 28-jährigen Ma- zedonier gar nicht brauchen. Unsere Jungs aus der Region sind gut genug“, sagt Bruchhagen: „Das ist ein Fortschritt.“ Schließlich haperte es über viele Jahre an der Qualität der nachrückenden Ju- gendspieler. Geblendet von den Erfolgen der Nationalmannschaft bei der WM 1990 und der EM 1996, wurde die Förderung des Nachwuchses „vernachlässigt“, sagt der Kölner Manager Andreas Rettig: „Wir saßen auf einem hohen Ross.“ Erst nach dem desaströsen Abschneiden bei der Weltmeisterschaft 1998, als der 24-jährige Jens Jeremies der jüngste Spie- ler im Aufgebot war, wurden Reformen angepackt. Der DFB zwang Proficlubs, In- ternate einzurichten, schrieb die Mindest- anzahl von Trainingsplätzen vor (vier) und wie viele Kopfballpendel zur Verfügung stehen müssen (zwei). Parallel dazu orga- nisierte der Verband seine Nachwuchs- sichtung, bis dato ein Sieb mit riesigen Löchern, neu. Heute werden jährlich 22000 Kicker an 387 Leistungsstützpunkten zum Vorspielen eingeladen. Langsam entwickelt sich nun was in dem frischrenovierten Talentschuppen. Die U 19 brachte es bei der Europameister- schaft im Juli bis ins Halbfinale, die U 21 ist seit 14 Spielen ungeschlagen und qualifi- zierte sich vorige Woche nach zwei Siegen über Tschechien für die EM-Endrunde im nächsten Jahr.

STUART FRANKLIN / GETTY IMAGES FRANKLIN STUART Experten führen den Leistungsanstieg Leverkusener Jungprofi Castro (M.): Deutschland das Jawort gegeben unter anderem darauf zurück, dass die

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Toptalente früher an einen harten Wettbe- gendfußball nicht“, sagt Schaefer. So gilt werb herangeführt werden. Die Tage, da der Jugend-Boom in der Bundesliga In- die Nachwuchsmannschaften des FC Bay- sidern wie Michael Skibbe nicht als flüch- ern sich im Ligabetrieb mit Dorfclubs aus tiges Zwischenhoch, sondern als Beginn dem Münchner Umland abgeben mussten „eines stetigen Flusses“ von Talenten. und Resultate wie ein 27:0 keine Seltenheit Schon in wenigen Jahren werde Deutsch- waren, sind passé. Die Elite ist heute unter land „wieder ein Exportland für Fußballer sich: Es gibt eine dreigeteilte Bundesliga sein wie Ende der Achtziger, Anfang der für die A-Jugend (bis 19 Jahre), fünf Re- Neunziger“. Skibbe prognostiziert: „Un- gionalligen für die B-Junioren (bis 17 Jah- sere Spieler werden wieder nach Italien re), C-Jugendliche (bis 15 Jahre) messen und England gehen.“ sich auf Länderebene, etwa dem Nach- Einer, der das schaffen könnte, ist Eu- wuchs-Cup in Nordrhein-Westfalen. gen Polanski von Borussia Mönchen- Der gestiegene Konkurrenzdruck macht gladbach. Der 19-Jährige, der noch bei aus Knirpsen schneller Kerle. „Vor acht seinen Eltern in Viersen wohnt, spielt Jahren war es für Spieler noch nicht mög- seit 1994 beim Traditionsverein. Neben ei- lich, so schnell so gut zu werden“, sagt nem außergewöhnlichen Talent verfügt Michael Skibbe, der vor seinem Engage- Polanski auch über ein erstaunliches Ge- ment als Leverkusener Trainer Jugend- spür für das Geschäft. Das Angebot, 2003 koordinator des DFB war. zu Chelsea London zu Dass 18-Jährige heute wechseln, lehnte er ab, „bei weitem besser sind“ weil der selbstbewusste als Gleichaltrige „vor 10, Kapitän der U-19-Natio- 15 Jahren“, liege aber nalmannschaft mit dem auch daran, dass die Ver- strähnigen Haar dort kei- eine Nachwuchsarbeit ne Zukunft für sich sah. nicht mehr als lästige Auch dass er bei seinem Pflicht betrachten. Verein jetzt schon so Jugendtrainer bei ei- hoch im Kurs stehe, da nem Bundesligisten ist macht Polanski sich heute kein Feierabend- nichts vor, liege nicht an job mehr. Die meisten seiner Begabung allein, Übungsleiter sind festan- sondern letztlich daran, gestellte Fachleute, deren dass die Vereine derzeit Basisarbeit den Proficlubs ja nicht mehr in der Lage

vorvergangene Saison 57 MIS / IMAGO seien, „unendlich zu in- Millionen Euro wert ge- Talentförderer Skibbe vestieren“. wesen ist. Schafft jede „Besser als vor 10, 15 Jahren“ Die zurückhaltende Spielzeit ein Jugendlicher Selbsteinschätzung könn- den Sprung zum Profikicker, kann der Auf- te helfen, mit Rückschlägen klarzukom- wand leicht Millionen einbringen. men. Denn trotz verbesserter Karriere- Frank Schaefer, 42, gehört zu den Spit- möglichkeiten ist die Konkurrenz aus der zenkräften der Zunft. Der Diplomsport- Fremde natürlich noch immer schier über- lehrer ist seit 15 Jahren Nachwuchscoach mächtig – zumal es Bundesliga-Funktionä- und trainiert derzeit die A-Jugend des re gibt, die die geplante Reduzierung der 1. FC Köln, wo er zuletzt Spieler wie Ausländerquote verhindern wollen, wo- Podolski und Sinkiewicz formte. nach künftig statt vier nur noch drei Kicker Schaefer arbeitet mit seinen Auszubil- aus Nicht-Uefa-Ländern eingesetzt werden denden bis zu siebenmal pro Woche, er dürfen. behandelt sie wie Profis. „Die Rolle des Vor allem aber arbeiten im Profigeschäft Jugendtrainers hat sich in den letzten Jah- weiterhin Trainer, die „keine Antenne für ren verändert. Er muss jeden Spieler in den Nachwuchs“ haben, wie Kölns Mana- seinem Kader individuell betreuen. Er ger Rettig warnt. „Die sagen: Was nützt muss Werte wie Professionalität und Team- mir ein talentierter 17-Jähriger? Bis der mir geist vermitteln und vorleben. Er muss helfen kann, bin ich entlassen.“ Spielern zeigen, wie man mit Misserfolgen Und so werden einige Vereine, die in oder Verletzungen umgeht. Er muss die akuter Abstiegsgefahr stecken, in der Win- Spielweise der Profiteams kennen. Das ist terpause doch in alte Reflexe verfallen und die Messlatte.“ laut Rettig hektisch „ein paar Millionen für Über Kritiker, die behaupten, die heuti- erfahrene Ausländer raushauen“ – oftmals ge Jugend sei schlechter als frühere Gene- aus „reinem Populismus“, um ihre Kund- rationen, kann Schaefer „nur lachen“. Nie schaft zu beruhigen. sei die Spielintelligenz höher gewesen als „Fußball ist und bleibt ein globaler gegenwärtig, die Verteidigungsstrategie mit Markt“, sagt Bruchhagen. Auch in Frank- einer Vierer-Kette werde bereits bei Zwölf- furt, räumt der Vorstandschef ein, halte jährigen eingeübt. Dass „ein Libero ir- man sich für den Notfall „Optionen“ offen. gendwem blind hinterherrennt“ oder ein Derzeit sondiert der Chefscout der Ein- Spieler „den ihm zugewiesenen Raum ver- tracht den Markt in Brasilien. lässt“, so etwas „gibt es im heutigen Ju- Maik Großekathöfer, Gerhard Pfeil

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