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Die Zonenausschusstagung Das Ahlener Programm der CDU der britischen Zone vom 1. bis 3. Februar 1947 Rudolf Uertz und ihre Vorbereitungen

Selten hat ein Parteiprogramm in Deutsch- Programm von Ahlen stets als das ihre; land eine solche Resonanz erfahren wie denn seine Entstehungsgeschichte ist eng das vor sechzig Jahren, am 3. Februar 1947, mit der christlichen Soziallehre und den von der CDU der britischen Zone verab- Interessen der christlich-demokratischen schiedete Ahlener Programm. Zu seiner Arbeitnehmerschaft verbunden. Schließ- Popularität trugen auch SPD und DGB- lich wird das Programm auch in den Düs- Gewerkschaften bei. In den 1950er-Jahren seldorfer Leitsätzen von 1949 gewürdigt, ließen sie das Programm zu Schulungs- wo es heißt: „Die vorwiegend eigentums- zwecken nachdrucken. Der Tenor: Die rechtlichen und gesellschaftspolitischen CDU sei mit diesem aus der christlichen Grundsätze des Ahlener Programms wer- Soziallehre stammenden Programm an- den anerkannt, jedoch nach der markt- getreten, eine sozialgerechte Ordnung zu wirtschaftlichen Seite hin ergänzt und proklamieren. Mit der Sozialen Markt- fortentwickelt.“ Die Düsseldorfer Leit- wirtschaft habe sie ihren programmati- sätze – eine „Fortschreibung“ der Grund- schen Ursprung verraten. sätze von Ahlen? Auch im „Konflikt der Systeme“ zwi- Bei genauerem Hinsehen ist erkennbar, schen Ost und West durfte das Ahlener dass schon in den Ahlener Leitsätzen die Wirtschafts- und Sozialprogramm, so sein Ambivalenz von liberalen und sozialen voller Name, nicht fehlen. Die kommu- Grundsätzen in der Programmatik der nistischen Kaderschmieden in Ostberlin Union angelegt ist. Dieser Umstand war setzten es gerne zu Propagandazwecken es, der dem Manifest eine aufregende Re- ein, um der West-CDU ihren christlichen zeptionsgeschichte sicherte. Auf dieses Sozialismus aus der Frühzeit vorzuhalten Spannungsverhältnis zwischen den Prin- (vergleiche Herbert Bertsch, CDU/CSU zipien der christlichen Soziallehre und des demaskiert, Berlin 1961, Seite 263 ff.). Ordoliberalismus hat dann auch Kurt Biedenkopf zu Beginn der Erneuerung der Ahlen – eine Jugendsünde? Union unter Helmut Kohl Anfang der Kein Wunder, dass das Programm auch 1970er-Jahre hingewiesen. In dieser Span- innerhalb der Union immer wieder zu nung sah Biedenkopf, seinerzeit Gene- Irritationen führte. Berühmt wurde es ralsekretär der Bundespartei, eine wich- eigentlich erst durch die politische Agi- tige Triebfeder der CDU-Programmatik. tation von links. Die CDU-Bundesge- Grundsätze von Ahlen wurden dabei kon- schäftsstelle beantwortete in den 1960er- struktiv in die ordnungspolitische Debatte Jahren Anfragen zum Dokument durch- der Union einbezogen. Das wiederum er- weg formal: Es sei „von Gremien der Ge- zürnte Franz Josef Strauß im Jahre 1975. Er samt-CDU weder behandelt noch ange- sah im Manifest von Ahlen eine „Jugend- nommen worden“. Das wiederum reizte sünde“ und empfahl seinen Parteifreun- die Sozialausschüsse. Sie betrachteten das den, endlich die „Mumie im Grab“ zu las-

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Rudolf Uertz

sen und „nicht das Gras zu fressen, das vertraten nach 1945 einen christlichen So- längst darüber“ gewachsen sei. zialismus. glaubte, dass die- ser als „Brücke zwischen Ost und West“ Ein Produkt der Nachkriegszeit fungieren könne, mit der die Totalsoziali- Die politische Entwicklung der CDU sierung des Kommunismus abgewehrt zeigt jedoch: Das Programm von Ahlen werden könne (vergleiche Lexikon der war weder eine „Jugendsünde“ noch ein Christlichen Demokratie in Deutschland, „Unfall“. Seine tieferen Konturen zeigen herausgegeben von Winfried Becker/ sich erst in der historischen Betrachtung. Günter Buchstab u. a., Paderborn 2002, Das Programm ist ein typisches Produkt Seite 477 f.). Dieses Konzept 1945/46 war der Nachkriegszeit, genauer des Winters unter maßgeblicher Beteiligung des Sozi- 1946/47, der zu den extremsten in alethikers Eberhard Welty aus dem Do- Deutschland zählte. Kälte und Hunger, minikanerkloster Walberberg erarbeitet Not und Elend sowie die Mangelbewirt- worden. Danach habe der Staat „zur schaftung ließen 1946/47 in Deutschland Stunde das Recht, das Sondereigentum Tausende von Menschen erfrieren und durch geeignete Zwangsmaßnahmen so verhungern. In seiner berühmten Silves- weit in Gemeineigentum zu verwandeln, terpredigt 1946 hat der Kölner Erzbischof als sein eigenes Dasein und seine innen- Joseph Kardinal Frings den Diebstahl von politische Ordnung mit dieser Wandlung zum Überleben notwendigen Gütern in stehen und fallen“ (Eberhard Welty, Was existenzieller Situation sittlich gerecht- nun?, Brühl 1945, Seite 31). Gespeist wur- fertigt, woraufhin die Rheinländer den den die sozialreformerischen Ideen durch Kohlenklau fortan als „fringsen“ bezeich- die Enzyklika Quadragesimo anno Pius’ XI. neten. Die Militärregierung vermochte (1931), die dem Staat als letztes Mittel die ebenso wenig wie die deutschen Stellen Möglichkeit an die Hand gibt, das Privat- die Bevölkerung ausreichend mit Nah- eigentum, wenngleich naturrechtlich ge- rungs- und Gebrauchsgütern zu versor- schützt, hinsichtlich seiner „sozialen Be- gen. An eine funktionsfähige Wirtschafts- lastungen“ einzuschränken. Der General- und Sozialordnung war damals noch sekretär der CDU Rheinland, Karl Zim- nicht zu denken; einzig der Schwarz- mermann, charakterisierte die Lage: „Die markt florierte. Die ohnehin knappen Le- politische Tendenz geht in aller Welt nach bensmittel konnten nur mittels Bezugs- links. Die soziale Not, die im Verfolg des scheinen besorgt werden. Krieges überall entstanden ist, macht dies Pläne wie die Internationalisierung des verständlich. Ebenso zeigt sich aber auch Ruhrgebietes und Varianten des Morgen- überall das Erwachen christlicher Kräfte. thau-Planes, wonach Deutschland ent- Und auch die christlichen Kräfte zeigen industrialisiert werden sollte, geisterten überall die Richtung nach links. Links umher. Die britische Besatzungsmacht nicht im Sinne einer radikalen politischen verfolgte den Plan, die Schlüsselindustrie Umwälzung, sondern im Sinne einer so- in ihrer Zone zu verstaatlichen. Mit einer zialen Reform und einer sozialen Politik“ staatlich gelenkten Wirtschaft hätte sich (nach Klaus Gotto, in: Christliche Demokra- Großbritannien die deutsche Industrie als tie in Deutschland, herausgegeben von der Konkurrenten auf dem Weltmarkt leich- Konrad-Adenauer-Stiftung, Melle 1978, ter gefügig machen können, als dies bei Seite 21 ff.). einer Privatwirtschaft möglich wäre. Teile der CDU in Nordrhein-Westfa- „Christliche Sozialreform“ len, in Hessen sowie in Berlin, der Sow- In die Entwürfe zum Ahlener Programm jetzone und weiteren Landesverbänden sind unzweifelhaft Grundsätze der christ-

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Das Ahlener Programm

lichen Soziallehre eingeflossen, wie sie vor dass nicht nur die allem von der Dominikanerschule vertre- gesamten Programmvorbereitungen ge- ten wurden. Die eigentlichen Programm- steuert hat, sondern am 7. Januar 1947 in vorbereitungen aber oblagen Experten Köln dem Ausschuss einen Entwurf unter- aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. breitet hat, der nach Überarbeitung durch Was zum „Mythos von Ahlen“ sicherlich den Generalsekretär der CDU der briti- beigetragen hat, war der Umstand, dass schen Zone, Josef Löns, in der Sitzung vom von dieser Zonenausschusstagung vom 1. 20. Januar angenommen wurde. Adenau- bis 3. Februar 1947 – sie fand im Kloster St. ers Entwurf ist bis auf geringfügige Än- Michael im westfälischen Ahlen statt – derungen mit dem in Ahlen verabschie- kein Protokoll existiert. Das Treffen war deten Text identisch. Dort wurde trotz allerdings alles andere als eine Geheimta- lebhafter Diskussionen nichts Wesent- gung. Wie üblich waren zu ihm neben den liches mehr revidiert (vergleiche Peter Delegierten aus den Landesverbänden Hüttenberger, Nordrhein-Westfalen und die Hannover, Westfalen, Rheinland, Schles- Entstehung seiner parlamentarischen Demo- wig-Holstein, Braunschweig, Oldenburg, kratie, Siegburg 1973). Hamburg, Bremen und Lippe auch zahl- Der Umstand, dass der Zonenvorsit- reiche Beobachter und Gäste eingeladen zende die Vorbereitung für Ahlen derart worden. Zeitzeugen berichten, dass dabei dominiert hat, war bis zum Auffinden ausgiebig diskutiert und heftig gestritten der Protokolle unbekannt. Hüttenberger wurde. Überraschungen oder eine Sensa- bilanziert: „Nach den vorliegenden tion gab es jedoch nicht. Denn die Vorbe- Unterlagen ist es somit unzweifelhaft, reitungen und die entscheidenden Ab- dass Adenauer das Ahlener Programm stimmungen waren schon so weit gedie- formuliert hat.“ (Seite 73) Diese Darstel- hen, dass in Ahlen nur noch kleine Ände- lung kollidierte allerdings mit der bis da- rungen am Text vorgenommen werden hin vertretenen These, dass das Ahlener mussten. Die eigentliche Vorbereitung Programm auf den linken Flügel der Par- hatte sich zuvor im kleinen Kreise abge- tei, namentlich auf und spielt. Offiziell zuständig war der Wirt- , zurückgehe. Nach Hütten- schafts- und Sozialausschuss der Landes- bergers Version blieb ungeklärt, wie sich und der Zonenpartei unter dem Gewerk- die Sozialausschüsse mit diesem Mani- schafter Johannes Albers und dem Kölner fest so sehr zu identifizieren vermochten, Bankier Robert Pferdmenges. Die Sitzun- wenn sie daran nur marginalen Anteil ge- gen sind protokolliert, sodass der inner- habt haben sollten. parteiliche Willensbildungsprozess gut Im Übrigen widerspricht die These nachgezeichnet werden kann (zum Gan- vom „Adenauer-Programm“ den Ein- zen vergleiche Rudolf Uertz, Christentum schätzungen des CDU-Vorsitzenden. In und Sozialismus in der frühen CDU, Stutt- seinen Erinnerungen dankt Adenauer Jo- gart 1981, Seiten 89 ff., 166 ff.). hannes Albers ausdrücklich für die Eini- gung in der Frage des Wirtschafts- und Adenauer Sozialprogramms, in der innerhalb der und das Ahlener Programm Partei unterschiedliche Auffassungen Im Jahre 1973 hat der Historiker Peter gegeneinandergestanden hätten (Band 1, Hüttenberger erstmals Protokolle und Stuttgart 1965, Seite 54 ff.). Der Stellen- Entwürfe des Programmausschusses der wert des „Kompromisses“ in der Soziali- rheinischen CDU gesichtet und ausge- sierungsfrage hätte von Adenauer kaum wertet. Seine Funde bedeuteten damals höher veranschlagt werden können, bei eine kleine Sensation. Er konnte zeigen, dem es heißt: „Wenn die Einigung nicht

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erreicht worden wäre, so fürchte ich, wäre gramm zu überführen. Antweilers Pa- unsere Partei auseinandergefallen. […] piere bieten somit gute Einblicke in die Die CDU ist ihm (Johannes Albers, An- Vorbereitungsarbeit des Programmaus- merkung des Verfassers) zu großem schusses im Herbst und Winter 1946/47. Dank verpflichtet.“ Allerdings konnte die Im Übrigen korrespondiert sein Grund- Einigung nicht, wie Adenauer behauptet, satzpapier eng mit dem Entwurf, den Al- am 1. März 1946 in Neheim-Hüsten er- bers als Alternative zu Adenauers Kon- folgt sein, da die Sozialisierungsfrage zept ausgearbeitet hatte. Nach Antweilers dort vertagt wurde. Die förmliche Zu- Gutachten, das den Diskussionsstand des stimmung von Albers zum gemeinsamen Programmausschusses widerspiegelt, Programm erfolgte vielmehr erst im Ver- wollte man mit dem Wirtschafts- und laufe der Sitzungen des Programmaus- Sozialprogramm einen gangbaren Weg schusses und der Zonenausschusstagung beschreiten zwischen Manchesterlibe- in Ahlen. ralismus und Staatssozialismus bezie- Jüngere Archivfunde gestatten es, de- hungsweise „zwischen Kapitalismus und ren Vorbereitungen genauer zu rekons- Marxismus“, wie es später programma- truieren. Danach ist Adenauers Entwurf tisch hieß (Gutachten im Archiv für Christ- eine modifizierte Kompilation von Ideen lich-Demokratische Politik der Konrad- aus Papieren von Mitgliedern des zustän- Adenauer-Stiftung). Seine Leitsätze konn- digen Programmausschusses. Die Sozial- ten nicht zuletzt deshalb für die CDU von ausschüsse der CDU Nordrhein-Westfa- Interesse werden, weil die Vergesell- lens hatten schon am 8. und 9. November schaftungsideen behutsam vorgetragen 1946 in Herne Leitsätze zur Wirtschafts- wurden und die Leitideen in hohem Maße ordnung entwickelt, die teilweise auch christlich-demokratischen und -sozialen im Entwurf Adenauers zu finden sind. Grundsätzen entsprachen. Für „normale Autor dieser Leitsätze ist Bruno Antwei- Zeiten“ favorisierte Antweiler die we- ler von den Deutzer Motorenwerken in sentlich effizientere Marktwirtschaft. Köln. Dem Programmausschuss der CDU Rheinland gehörte er als Berater an. In Machtverteilendes Prinzip Herne sprach er über „Wirtschaftslage Die „gemeinwirtschaftliche Ordnung“, die und Wirtschaftsgestaltung“. Von Antwei- den Begriff „christlicher Sozialismus“ aus ler stammen auch ein Grundsatzpapier so- dem Parteijargon verbannen sollte, sah eine wie ein (bisher unbekanntes) 34-seitiges Vergesellschaftung nur in dringenden Fäl- Gutachten Zur künftigen deutschen Wirt- len vor. Als leitender Gesichtspunkt wird schaftsverfassung. Diese Dokumente geben die „Vermeidung der Zusammenballung über die programmatischen Ziele der übergroßer wirtschaftlicher Macht in den CDU vor dem Hintergrund der wirt- Händen Einzelner“ genannt. Das macht- schafts- und besatzungspolitischen Kon- verteilende Prinzip war auch von Ade- stellationen im Nachkriegsdeutschland nauer zum Kernsatz des Programms von Auskunft. Ahlen erhoben worden. Dieses Prinzip in- tendiert nämlich unter anderem eine Kar- Vorbereitung des Programms tellgesetzgebung, die ihrerseits eine markt- Auf der Herner Tagung betonte Ant- wirtschaftliche Ordnung voraussetzt. Leit- weiler, dass es nunmehr darum gehe, stern in Antweilers Konzept ist der Grund- Grundsätze einer christlichen Sozialreform satz: „So viel Freiheit wie möglich, so viel vor dem Hintergrund der konkreten wirt- Bindungwie nötig.“ Die Wirtschaftsfreiheit schaftlichen und politischen Lage in ein aber verbürge höhere Leistungen und da- brauchbares Wirtschafts- und Sozialpro- mit eine bessere Versorgung des Volkes.

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Das Ahlener Programm

Die wirtschafts- und sozialpolitischen sozialen Zusammenbruch als Folge einer Maßnahmen, die ähnlich auch im offiziel- verbrecherischen Machtpolitik kann nur len Programm anklingen, weisen weit eine Neuordnung von Grund auf erfol- über ein Aktionsprogramm hinaus. Die gen.“ Danach konnte das Programm, das Einzelmaßnahmen, so heißt es, könnten auch Forderungen nach Entflechtung der nur im Rahmen eines Gesamtbildes der Konzerne, Vergesellschaftung von Berg- Wirtschaft richtig beurteilt werden. Das bau und eisenschaffender Großindustrie, Gesamtbild aber müsse auf die heutigen den Ausbau des Genossenschaftswesens deutschen Verhältnisse und Erforder- und Kontrolle der Banken, betriebliche nisse abgestellt werden. Jetzt gehe es um Mitbestimmung der Arbeitnehmer und die „Überwindung der gegenwärtigen ihre Beteiligung am Ertrag enthielt, auch Notlage“; aber das dahinterstehende Ziel stärker im sozialreformerischen Sinne sei die Schaffung einer „zentralen deut- interpretiert werden. schen Wirtschaftspolitik für alle vier Zo- nen“. Die Weitsicht der Programmplaner Abwehr von Verstaatlichung zeigt sich nicht zuletzt in der Forderung: Der Programmausschuss der Landespar- „Aufbau der deutschen Wirtschaft […] tei unter Albers und Pferdmenges hatte, als Teil der europäischen Wirtschaft“, um das geht aus den Dokumenten Antweilers die „Gefahr einer geheimen Wiederauf- hervor, schon bis zur Herner Tagung im rüstung“ für die Zukunft unmöglich zu November 1946 wichtige Vorarbeiten ge- machen. leistet, auf denen Adenauers Entwurf und Die Grundsätze des Programmaus- die Redaktionsarbeiten von Löns auf- schusses stimmen in hohem Maße mit bauen konnten (vergleiche Neues Wollen – Adenauers privatwirtschaftlichen Ideen neue Ordnung, herausgegeben von Karl überein, die schon in seinem Neheim- Zimmermann, Gummersbach 1947, Seite Hüstener Programm vom 1. März 1946 13 ff.). Die häufig vertretene These, Ade- enthalten sind und auch vom liberal-pro- nauer habe mit dem Ahlener Programm testantischen Wuppertaler Kreis mitge- „taktiert“, erscheint angesichts der Unter- tragen wurden, der an den Vorbereitun- lagen des Programmausschusses in etwas gen für Ahlen ebenfalls beteiligt war: anderem Licht: Es ist erkennbar, dass nicht „Ausgangspunkt aller Wirtschaft ist die nur für Adenauer, sondern auch für Teile Anerkennung der Persönlichkeit.Freiheit der der Programmkommission (unter ande- Person auf wirtschaftlichem und Freiheit ren Antweiler) die gesamten Vorberei- auf politischem Gebiet hängen eng zu- tungen unter dem Vorbehalt standen, dass sammen. Die Gestaltung und Führung der die deutsche Wirtschaft und Politik nicht Wirtschaft darf dem einzelnen nicht die frei gewesen sind. Entsprechend konnten Freiheit seiner Person nehmen.“ Diese deutsche Stellen erst nach der Übertra- Passagen wurden wörtlich ins Ahlener gung der politischen Kompetenzen eigen- Programm übernommen. In der Präambel verantwortlich über ihre Wirtschafts- und bilden sie den Interpretationsschlüssel für Sozialordnung befinden. Den Verstaatli- eine liberalere Lesart. chungsideen der Militärbehörde taktisch Die einleitende Passage der Präambel zu begegnen war ein bedeutendes Motiv. formulierten Karl Arnold und Johannes Adenauer, der im Düsseldorfer Landtag Albers: „Das kapitalistische Wirtschafts- 1946 bis 1949 Vorsitzender der CDU-Frak- system ist den staatlichen und sozialen tion war, machte während der Sozialisie- Lebensinteressen des deutschen Volkes rungsdebatte keinen Hehl daraus, dass die nicht gerecht geworden. Nach dem furcht- Beschlüsse der CDU zur Neuordnung der baren politischen, wirtschaftlichen und Schlüsselindustrien, der Verhältnisse in

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der Wirtschaft und des Verhältnisses zwi- in: Helmuth Pütz [Bearbeiter], Konrad schen Arbeitnehmern und Arbeitgebern Adenauer und die CDU der britischen Besat- unter dem Vorbehalt stünden, dass „die zungszone 1946–1949, Bonn 1975, Seiten deutsche Wirtschaft zur Zeit nicht frei“ sei. 657 ff., 838 ff.). In der Landtagssitzung am 23. und 24. Ja- nuar 1947 kündigte er an, dass die CDU in Politischer Neuanfang dieser wichtigen Frage im Februar in Ah- Das ist aber kein Grund, nicht auch das len ein geeignetes Dokument zur Abstim- Ahlener Programm als Vorstufe dieser mung vorlegen werde, das „vom linken Entwicklung in Erinnerung zu rufen, das und vom rechten Flügel einmütig“ erar- freilich noch stärker die Folgen der Welt- beitet worden sei. kriegskatastrophe und die politischen, Für die Sozialausschüsse unter Johan- ökonomischen und sozialen Hinterlas- nes Albers und diejenigen, die für die Ver- senschaften des Nationalsozialismus spie- breitung der Gemeinwirtschaftsideen des gelt. Es ist daher sicherlich keine Ironie, Ahlener Programms im Frühjahr 1947 wenn Adenauer die Tagung des Zonen- beim Wahlkampf in Nordrhein-Westfa- ausschusses am 3. Februar 1947 in Ahlen len so energisch die Werbetrommel ge- als „Markstein in der Geschichte des deut- rührt hatten, war das Manifest sicherlich schen Wirtschafts- und Soziallebens“ be- mehr als ein Wahlprogramm. Die CDU zeichnet hat. Denn das Programm steht wurde mit 37,6 Prozent stärkste Partei nicht nur für einen Neuanfang der deut- und bildete mit SPD (32,0 Prozent), Zen- schen Wirtschafts- und Sozialpolitik nach trum (9,8 Prozent) und bis 1948 KPD (14,0 1945, sondern auch für die legitime In- Prozent) unter Karl Arnold eine Koali- teressenvielfalt der CDU als Volkspartei. tionsregierung. Aber ein halbes Jahr spä- Es artikuliert stärker die statische Seite ter war dieses in wichtigen Teilen bereits (Besitzverhältnisse und Sozialreform) als überholt. Auf der Londoner Konferenz die dynamische Seite einer freien, pro- im Juni 1947 hatten die drei Westmächte duktiven, leistungsfähigen Wettbewerbs- die Gründung der Bundesrepublik in die ordnung, die mit dem Konzept der Sozia- Wege geleitet. Über Nacht hatten sich die len Marktwirtschaft erst nach der Über- Determinanten für die deutsche Politik tragung wirtschaftspolitischer Kompe- geändert. Schon Ende 1947 nahm ein tenzen auf deutsche Stellen 1948/49 in An- Kreis unter Beratungen für griff genommen werden konnte. Da das ein neues Wirtschaftsprogramm auf. Jetzt Ahlener Programm ordnungspolitische war der Weg frei für einen eigenverant- Grundsätze jedoch keineswegs außer wortlichen deutschen Weg, zunächst in Acht ließ, konnte es – so Franz Etzel – weit- Frankfurt, ab 1949 in Bonn. Mit dem er- gehend widerspruchsfrei in die Düssel- folgreichen Programm der Sozialen dorfer Leitsätze einbezogen werden. Marktwirtschaft, den Düsseldorfer Leit- Die „Wirtschaftsfreiheit“, so heißt es in sätzen vom 15. Juli 1949, deren wirt- Antweilers Gutachten, „entspricht eher schaftspolitischer Teil ordoliberaler Prä- der Natur des Menschen. Sie bedeutet: gung ist und von erfolg- mehr Arbeitsfreude, höhere Leistung, reich umgesetzt wurde, wurden der größerer Ertrag und damit bessere Ver- Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft sorgung des Volksganzen.“ Dieser klassi- und der Aufstieg Deutschlands in die sche Grundsatz christlicher Sozialethik Reihe der führenden Wirtschaftsnationen galt 1946/47 ebenso wie 1948/49. Und er eingeleitet (vergleiche Programmdebatte gilt auch heute noch.

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