Schleswig-Holsteinischer Landtag Plenarprotokoll 16/94 16. Wahlperiode 08-09-11

Plenarprotokoll

94. Sitzung

Donnerstag, 11. September 2008

Illegaler Datenhandel...... 6902, Anke Spoorendonk [SSW]...... 6914, Antrag der Fraktionen von CDU und Beschluss: 1. Antrag Drucksache SPD 16/2218 durch die Berichterstat- Drucksache 16/2218 tung der Landesregierung erledigt 2. Überweisung des An- Änderungsantrag der Fraktion trags Drucksache 16/2224 an den BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Innen- und Rechtsausschuss...... 6916, Drucksache 16/2224 Lothar Hay, Innenminister...... 6903, Erste Lesung des Entwurfs eines Dr. [CDU]...... 6905, Gesetzes zur Änderung des Ge- Dr. [SPD]...... 6906, setzes über die Wahlen in den Ge- Wolfgang Kubicki [FDP]...... 6909, meinden und Kreisen in Schleswig- Karl-Martin Hentschel [BÜND- Holstein (Gemeinde- und Kreis- NIS 90/DIE GRÜNEN]...... 6911, wahlgesetz - GKWG -)...... 6916, 6900 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

Gesetzentwurf der Fraktion BÜND- Beschluss: Überweisung an den Wirt- NIS 90/DIE GRÜNEN schaftsausschuss...... 6938, Drucksache 16/2201 Bundesratsinitiative zum besseren Karl-Martin Hentschel [BÜND- Schutz von Berufsgeheimnisträ- NIS 90/DIE GRÜNEN]...... 6916, gern...... 6938, Werner Kalinka [CDU]...... 6917, Klaus-Peter Puls [SPD]...... 6919, Antrag der Fraktion der FDP Günther Hildebrand [FDP]...... 6919, Drucksache 16/2216 Anke Spoorendonk [SSW]...... 6920, Wolfgang Kubicki [FDP]...... 6938, 6943, Beschluss: Überweisung an den In- Wilfried Wengler [CDU]...... 6939, nen- und Rechtsausschuss...... 6921, Klaus-Peter Puls [SPD]...... 6940, Karl-Martin Hentschel [BÜND- Anerkennung von im Ausland er- NIS 90/DIE GRÜNEN]...... 6941, worbenen Abschlüssen...... 6922, Anke Spoorendonk [SSW]...... 6942, Uwe Döring, Minister für Justiz, Antrag der Fraktion BÜNDNIS Arbeit und Europa...... 6943, 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2202 Beschluss: Überweisung an den In- nen- und Rechtsausschuss...... 6944, Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]...... 6922, Gemeinsame Beratung Wilfried Wengler [CDU]...... 6923, Anette Langner [SPD]...... 6924, Dr. Ekkehard Klug [FDP]...... 6925, a) Entwurf eines Gesetzes zur Än- Anke Spoorendonk [SSW]...... 6926, derung des Gesetzes zum Schutz Dr. Werner Marnette, Minister für vor den Gefahren des Pas- Wissenschaft, Wirtschaft und sivrauchens...... 6944, Verkehr...... 6927, Gesetzentwurf der Fraktion Karl-Martin Hentschel [BÜND- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NIS 90/DIE GRÜNEN]...... 6928, Drucksache 16/2205 Beschluss: Überweisung an den Wirt- b) Entwurf eines Gesetzes zum schaftsausschuss und den Bil- Schutz vor den Gefahren des dungsausschuss...... 6929, Passivrauchens...... 6944,

Ermöglichung von kommunalen Gesetzentwurf der Fraktion der Shared-Space-Konzeptionen...... 6929, FDP Drucksache 16/2215 Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Monika Heinold [BÜNDNIS Drucksache 16/2213 90/DIE GRÜNEN]...... 6944, 6951, Dr. Heiner Garg [FDP]...... 6945, 6952, Detlef Matthiessen [BÜNDNIS Dr. Johann Wadephul [CDU]...... 6947, 90/DIE GRÜNEN]...... 6929, 6937, Peter Eichstädt [SPD]...... 6948, 6953, Karsten Jasper [CDU]...... 6930, Lars Harms [SSW]...... 6950, Bernd Schröder [SPD]...... 6931, Dr. Gitta Trauernicht, Ministerin Wolfgang Kubicki [FDP]...... 6932, für Soziales, Gesundheit, Fa- Lars Harms [SSW]...... 6934, milie, Jugend und Senioren...... 6954, Karl-Martin Hentschel [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]...... 6935, Beschluss: Überweisung der Ge- Dr. Werner Marnette, Minister für setzentwürfe an den Sozialaus- Wissenschaft, Wirtschaft und schuss und den Wirtschaftsaus- Verkehr...... 6936, schuss...... 6956, Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6901

Gemeinsame Beratung Hans Müller [SPD]...... 6971, Wolfgang Kubicki [FDP]...... 6972, a) Lehrerausbildung an der Uni- Anke Spoorendonk [SSW]...... 6973, versität Flensburg...... 6956, Ute Erdsiek-Rave, Stellvertreterin des Ministerpräsidenten...... 6974, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beschluss: 1. Antrag Drucksache Drucksache 16/2200 16/2223 von den Antragstellern zurückgezogen b) Die zukünftige Finanzierung der 2. Annahme des Antrags Universität Flensburg und die Drucksache 16/2226...... 6975, Perspektiven für die grenzüber- schreitende Zusammenarbeit Tätigkeit des Petitionsausschusses mit der Syddansk Universitet .... 6956, in der Zeit vom 1. April 2008 bis Antrag der Abgeordneten des 30. Juni 2008...... 6975, SSW Bericht des Petitionsausschusses Drucksache 16/2020 Drucksache 16/2199 Bericht und Beschlussempfehlung Detlef Buder [SPD], Berichterstat- des Bildungsausschusses ter...... 6975, Drucksache 16/2182 Beschluss: Kenntnisnahme des Be- Sylvia Eisenberg [CDU], Bericht- richts Drucksache 16/2199 und erstatterin...... 6956, Bestätigung der Erledigung der Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE Petitionen...... 6976, GRÜNEN]...... 6956, 6967, Anke Spoorendonk [SSW]...... 6958, 6967, Bericht über die Situation am Aus- Susanne Herold [CDU]...... 6960, bildungsstellenmarkt in Schleswig- Jürgen Weber [SPD]...... 6962, Holstein...... 6976, Dr. Ekkehard Klug [FDP]...... 6964, Dr. Werner Marnette, Minister für Bericht der Landesregierung Wissenschaft, Wirtschaft und Drucksache 16/2189 Verkehr...... 6968, Dr. Werner Marnette, Minister für Beschluss: 1. Überweisung des An- Wissenschaft, Wirtschaft und trags Drucksache 16/2200 an den Verkehr...... 6976, Bildungsausschuss Johannes Callsen [CDU]...... 6977, 2. Antrag Drucksache Anette Langner [SPD]...... 6978, 6986, 16/2020 mit Zustimmung der An- Dr. Heiner Garg [FDP]...... 6980, tragsteller für erledigt erklärt...... 6969, Karl-Martin Hentschel [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]...... 6981, 6985, Erhalt der Künstlersozialversiche- Lars Harms [SSW]...... 6983, rung...... 6969, Ute Erdsiek-Rave, Ministerin für Bildung und Frauen...... 6984, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beschluss: Überweisung an den Wirt- Drucksache 16/2223 schaftsausschuss zur abschließen- den Beratung...... 6987, Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Faire Zerlegung der Gewerbesteu- NEN und der Abgeordneten des SSW er beim Betrieb von Windenergie- Drucksache 16/2226 anlagen...... 6987, Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]...... 6969, Wilfried Wengler [CDU]...... 6970, 6902 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

Antrag der Fraktion BÜNDNIS Beginn: 10:03 Uhr 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2221 Präsident Martin Kayenburg: Beschluss: Überweisung an den Fi- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe nanzausschuss und den Wirt- Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die heutige schaftsausschuss...... 6987, Sitzung und begrüße Sie alle sehr herzlich. Erkrankt sind die Kollegin Regina Poersch und Mi- Frauen im Justizvollzugsdienst...... 6987, nister Rainer Wiegard. Beiden von hier aus gute Besserung! Bericht der Landesregierung Drucksache 16/2186 (Beifall) Beschluss: Überweisung an den In- Beurlaubt ist die Kollegin Frauke Tengler. nen- und Rechtsausschuss zur ab- Auf der Tribüne begrüßen wir ganz herzlich Schü- schließenden Beratung...... 6987, lerinnen und Schüler der Heinrich-Heine-Gemein- schaftsschule aus Büdelsdorf mit ihren Lehrkräften, Sammeldrucksache über Vorlagen Angehörige des 2. Spezialpionierbataillons 164 aus gemäß § 63 Abs. 1 a der Geschäfts- Husum und Auszubildende unseres Landtags, und ordnung des Schleswig-Holsteini- zwar auch diejenigen, die ihre Ausbildung gerade schen Landtags...... 6987, begonnen haben. - Ihnen allen ein ganz herzliches Willkommen! Drucksache 16/2220 (Beifall) Beschluss: Annahme...... 6987, Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat im Wege der Dringlichkeit einen Antrag betreffend Künstlersozialkasse eingereicht. Dieser Antrag liegt Ihnen mit Drucksache 16/2223, wie gestern schon **** mitgeteilt, vor. Wird das Wort zur Begründung der Dringlichkeit gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Regierungsbank: Ich weise darauf hin, dass nach unserer Geschäfts- , Ministerpräsident ordnung für die Bejahung der Dringlichkeit eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist. Ich lasse nun über die Dringlichkeit abstimmen und frage, wer Ute Erdsiek-Rave, Stellvertreterin des Minis- terpräsidenten und Ministerin für Bildung und der Dringlichkeit zustimmen möchte. - Gegenpro- Frauen be! - Enthaltungen? - Dann ist es einstimmig so be- schlossen. Uwe Döring, Minister für Justiz, Arbeit und Ich schlage Ihnen vor, den Antrag als Punkt 17 c in Europa die Tagesordnung einzureihen, und bitte die Frak- tionen, mir einen Vorschlag über die Redezeit und Lothar Hay, Innenminister den Zeitpunkt des Aufrufs dieses Punktes zu ma- chen. - Ich höre keinen Widerspruch, dann werden wir so verfahren. Aus dem Kopfnicken ersehe ich Dr. Christian von Boetticher, Minister für Ihr Einverständnis, dass wir diesen Tagesordnungs- Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume punkt dann entweder kurz vor der Mittagspause oder nach der Mittagspause heute Nachmittag auf- Dr. Werner Marnette, Minister für Wissen- rufen. schaft, Wirtschaft und Verkehr Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 17 auf: Dr. Gitta Trauernicht, Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren Illegaler Datenhandel

**** Antrag der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/2218 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6903

(Präsident Martin Kayenburg)

Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Strafantrag beim Landgericht Mönchengladbach. GRÜNEN Die Polizei durchsuchte anschließend eine Firma in Drucksache 16/2224 Viersen in Nordrhein-Westfalen, die die Daten an andere Unternehmen verkauft haben soll. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. In Lübeck wurde am 13. August 2008 ein Callcen- ter durchsucht. Es soll von der Viersener Firma Wir haben zunächst darüber abzustimmen, ob der Kontodaten von Verbrauchern erhalten haben. Die Bericht in dieser Tagung gegeben werden soll. Wer SKL erstattete Strafanzeige wegen Daten- dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzei- missbrauchs. Drei Tage später berichtete der Infor- chen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich sehe kei- mant aus Lübeck von 1,5 Millionen Datensätzen, nen Widerspruch, dann werden wir so verfahren. über die er verfüge. Am 18. August erhielt das Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Innen- ULD Schleswig-Holstein eine CD mit 130.000 il- minister Lothar Hay das Wort. legalen Datensätzen von Verbrauchern. Bei 70.000 lagen auch Kontoangaben vor. Wie gut der illegale Lothar Hay, Innenminister: Datenhandel floriert, wurde klar, als der Ankauf von 6 Millionen Datensätzen im Auftrag der Ver- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und braucherzentrale auf dem Schwarzmarkt zu einem Herren! Ob in London der Verlust einer Festplatte Preis von 850 € gelang. Das heißt, 6 Millionen Da- mit Daten von 5.000 Justizmitarbeitern, bei Lidl die tensätze konnte man auf dem Schwarzmarkt für illegale Mitarbeiterüberwachung oder sonstige Ver- 850 € bekommen. 4 Millionen der Datensätze ent- suche von Einschränkungen von Grundrechten oder hielten zusätzlich auch Kontodaten. Die Staatsan- in Lübeck die illegale CD mit persönlichen Daten waltschaften wurden eingeschaltet. von 17.000 Bundesbürgern: Mangelhafter Daten- schutz alarmiert die Betroffenen und die Öffentlich- Diese Schlaglichter machen die Dimension des Da- keit. Das Thema des illegalen Datenhandels ist aus tenhandels deutlich. Was dies für einzelne Men- meiner Sicht beileibe kein kurzfristiger medialer schen, zum Teil auch ältere Menschen mit gerin- Aufreger, sondern der illegale Datenhandel bedarf gem Einkommen bedeutet, wurde nach und nach langfristig der Aufmerksamkeit von Politik und Ge- deutlich. sellschaft. Wie hat die Landesregierung auf diese Entwicklung (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE reagiert? In der letzten Woche habe ich gemeinsam GRÜNEN) mit der Sozialministerin eine Entschließung im In- nenausschuss des Bundesrats eingebracht. Die Deshalb bin ich für den Antrag der Fraktionen und Entschließung ist in die Beschlüsse des Gremiums dafür, dass wir heute hier im Landtag über den il- bereits eingeflossen. Damit sollen Bürgerinnen und legalen Datenhandel sprechen können, dankbar. Es Bürger vor dem Missbrauch von Daten besser ge- handelt sich hierbei um ein ressortübergreifendes schützt und das Grundrecht auf informationelle Thema. Deshalb spreche ich auch gleichzeitig im Selbstbestimmung gestärkt werden. Gegenstand Namen von Frau Dr. Trauernicht und Herrn Döring. der Entschließung sind Änderungen im Bundesda- Am 12. August dieses Jahres wurde der illegale tenschutzgesetz. Personenbezogene Daten sollen Handel mit Kundendaten in einem für viele Men- für Werbezwecke nur dann weitergegeben werden schen nicht vorstellbaren Umfang bekannt. Wäh- dürfen, wenn der oder die Betroffene vorher aus- rend seit den 80er-Jahren überwiegend die Daten- drücklich zustimmt. Darüber hinaus soll es Firmen sammelwut des Staates im Zentrum der öffentli- untersagt werden, einen Vertragsabschluss davon chen Kritik stand, geht es hier um den sogenannten abhängig zu machen, dass der Kunde oder die Kun- nicht öffentlichen Datenschutz in der Wirtschaft. din der Nutzung von Daten zustimmt, die für die Der Mitarbeiter eines Lübecker Callcenters spielte Abwicklung eines Geschäfts nicht notwendig sind. der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein eine Außerdem sollen die Verbraucherzentralen ge- CD mit Daten von 17.000 Bürgern zu. Die CD ent- stärkt werden. In das Bundesdatenschutzgesetz soll hielt unter anderem Angaben über Namen, Geburts- eine klare Formulierung aufgenommen werden, die datum, Adresse, Kontoverbindung und Telefon- beinhaltet, dass es sich beim Datenschutz um Nor- nummern. Bei allen soll es sich um Kunden der men handelt, die Verbraucher schützen sollen. Ver- Süddeutschen Klassenlotterie handeln. Der von braucherzentralen bekommen dadurch die Möglich- der Verbraucherzentrale informierte Landesbe- keit, zum Schutz der Verbraucher gegen Verstöße auftragte für den Datenschutz stellte daraufhin gerichtlich vorzugehen. Außerdem wurden von 6904 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Minister Lothar Hay)

Frau Ministerin Dr. Trauernicht mehrere Anträge in setzes zum Gegenstand hatten beziehungsweise ha- der Sitzung des Agrarausschusses des Bundesrats ben. Ob in einzelnen Fällen jeweils der Sanktions- eingebracht, um der Problematik der unerwünsch- rahmen ausgeschöpft wurde, kann nur anhand einer ten Anrufe zu begegnen, denn die sogenannten Einzelauswertung der betreffenden Verfahrensakten Cold Calls sind eng mit dem Problem des Daten- beantwortet werden. Dies war in Anbetracht der missbrauchs und der strafbaren Abbuchungen von kurzen Frist leider nicht leistbar. Das ULD weist Konten verknüpft. Ziel der Anträge ist es, dass Ver- daraufhin, dass bei einem Sanktionsrahmen von bis träge nicht bereits am Telefon wirksam werden, zu 250.000 € die durchschnittliche Höhe eines er- sondern erst, wenn der Verbraucher sie durch eine teilten Bußgeldes 2.200 € betrug. Rahmen nachfolgende Erklärung in Textform innerhalb 250.000 €, durchschnittlich 2.200 €; das macht, von zwei Wochen bestätigt hat. glaube ich, auch einiges deutlich. #zur Geschäfts- ordnung (Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW) Nun zu Ihrer Frage hinsichtlich einfacher Meldere- gisterauskünfte! Aufgrund eines Hinweises des Mit dem Erfordernis der schriftlichen Bestätigung ULD auf mögliche Unregelmäßigkeiten ergaben wird es Callcentern mit unseriösen Geschäftsprakti- weitere Nachforschungen, dass Adressvermittler ken deutlich erschwert, allein aus einem Telefonat über umfangreiche eigene Datenbanken verfügen. einen Vertragsabschluss vorzutäuschen und eine Aus diesen haben sie eigenständig und auf eigene Abbuchung bei den Angerufenen vorzunehmen. Rechnung beliebig Auskünfte erteilt. Daraufhin hat Auch diese Initiative ist im zuständigen Ausschuss das Innenministerium den schleswig-holsteinischen des Bundesrats angenommen worden. Meldebehörden empfohlen, diesen Adressvermitt- Justizminister Döring hat die Absicht, zum Bundes- lern solange keine einfachen Melderegisterauskünf- datenschutzgesetz einen Plenarantrag für den Bun- te mehr zu erteilen, bis eine Erklärung vorgelegt desrat vorzulegen. Demnach sollen zukünftig die wird, dass die Daten nicht in einer eigenen Daten- Strafverfolgungsbehörden von sich aus aktiv wer- bank gespeichert und nur an die anfragenden Auf- den können, wenn ein besonderes öffentliches In- traggeber weitergegeben werden. Von den betroffe- teresse an der Strafverfolgung besteht, zum Bei- nen acht Adressvermittlern haben sechs diese Er- spiel wenn eine Straftat bei besonders großen Men- klärung abgegeben. Diese erhalten nun wieder ein- gen personenbezogener Daten erfolgt. Derzeit wer- fache Melderegisterauskünfte. Den anderen den Straftaten nach § 44 Abs. 1 Bundesdaten- Adressvermittlern werden keine Melderegisteraus- schutzgesetz nur auf Antrag verfolgt. künfte mehr erteilt. Die Kontrolle, ob die Erklä- Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Be- rung auch den Tatsachen entspricht, kann nur durch schlüsse des sogenannten Datenschutzgipfels am die zuständigen Aufsichtsbehörden der Länder, für vergangenen Donnerstag bei Innenminister in Schleswig-Holstein ansässige Unternehmen Dr. Schäuble decken sich zum großen Teil mit den durch das ULD, durchgeführt werden. schleswig-holsteinischen Initiativen. Insbesondere Meine sehr geehrten Damen und Herren, um Daten- das Prinzip „Einwilligung statt Widerspruch“ missbrauch in der Privatwirtschaft zu vermeiden, beim Adresshandel zu Werbezwecken liegt mir da- muss auch der Staat dafür Sorge tragen, dass die bei besonders am Herzen. Wie Sie vermutlich den Übermittlung von Daten aus amtlichen Registern Medien entnommen haben, wurde ebenfalls die an Private an strenge Voraussetzungen geknüpft Einrichtung einer länderoffenen Arbeitsgruppe auf wird. Deshalb hat das Innenministerium parallel zu Ebene der Innenministerkonferenz vereinbart, die einer Entschließung zum Bundesdatenschutzgesetz sich mit Verbesserungsmöglichkeiten in gesetzli- auch zum aktuellen Entwurf eines Bundesmeldege- cher Hinsicht sowie darüber hinaus mit Mängeln in setzes folgende Änderungsvorschläge gemacht: Die der Vollzugspraxis des Bundesdatenschutzgesetzes Weitergabe von Meldedaten für Werbezwecke wird beschäftigen soll. Alle regelungsbedürftigen Punkte unter einen ausdrücklichen Einwilligungsvorbe- sollen bereits im November zur Beschlussfassung halt gestellt. Den Betroffenen wird das Recht ein- in das Bundeskabinett gehen. geräumt, einer einfachen Melderegisterauskunft an Bei den Staatsanwaltschaften in Schleswig-Hol- gewerbliche Adresshändler, Auskunfteien oder In- stein wurden im Zeitraum vom 1. Januar 2000 bis kassodienste zu widersprechen. Die Adresshändler, zum 31. August 2008 insgesamt 172 Ermittlungs- Auskunfteien oder Inkassodienste werden ver- verfahren geführt, die den Verdacht des Verstoßes pflichtet, einfache Melderegisterauskünfte nur zu gegen die §§ 43 und 44 des Bundesdatenschutzge- dem vom Auftraggeber genannten Zweck zur Ver- fügung zu stellen und die Daten nicht in eigenen Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6905

(Minister Lothar Hay)

Datenbanken zu speichern. Einfache Melderegister- Geschäftspraktiken genutzt. Dem Bundesverband auskünfte, die an gewerbliche Firmen, zum Beispiel der Verbraucherzentralen liegen zahlreiche Be- Versandhandel, erteilt werden, werden der Zweck- schwerden von Personen vor, bei denen Beträge bindung unterstellt, um eine Datenweitergabe an zwischen 50 und 100 € illegal abgebucht wurden. Adresshändler zu verhindern. Ich gehe davon aus, Im Verlauf der aktuellen Diskussion - der Innenmi- dass durch diese Hürden bei der Erteilung von Mel- nister hat darauf hingewiesen - sind weitere illegale deregisterauskünften einem Datenmissbrauch ent- Datenbestände entdeckt worden. Aufsehen erregte gegengewirkt werden kann. insbesondere - Herr Hay hat darauf hingewiesen - Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein man- der Ankauf von nicht weniger als 6 Millionen Da- gelhafter Datenschutz ist ein Freiheitsverlust für tensätzen zu einem Preis von 850 €. So etwas hätte unsere Gesellschaft. Deshalb bedarf das Bundesda- man sich vorher nicht träumen lassen. Was beson- tenschutzgesetz nach meiner Auffassung dringend ders beunruhigend ist bei diesen Datensätzen: einer Generalüberarbeitung, um der rasanten tech- Zweidrittel beinhalten Kontodaten! nischen Entwicklung im Bereich der Telemedien Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir ste- durch entsprechende Anforderungen an den Daten- hen vor der Frage, was wir gegen den ausufernden schutz gerecht werden zu können. Datenmissbrauch tun können. Zunächst einmal (Beifall) war es absolut richtig und notwendig - ich danke für die konstruktive und aktive Beteiligung der Das 31 Jahre alte Datenschutzrecht im nichtöffent- Landesregierung an dieser Stelle -, dass Bundesin- lichen Bereich wurde seit 1990 nur bruchstückhaft nenminister Schäuble am vergangenen Donnerstag novelliert. Notwendig ist jetzt aber - ich sehe dafür einen Datenschutzgipfel veranstaltet hat. Die Er- gegenwärtig auch in der politischen Öffentlichkeit gebnisse können sich sehen lassen. Wir stehen al- viel Rückenwind - eine Grundinstandsetzung dieses lerdings am Beginn einer wichtigen Diskussion. So Gesetzes. soll - das ist wohl das wichtigste Ergebnis - die Selbstverständlich ist jeder Verbraucher selbst ge- Weitergabe von personenbezogenen Daten durch fordert, in der Öffentlichkeit mit Daten sparsam zu Firmen künftig nur noch bei ausdrücklicher Einwil- agieren. Aber der Staat hat gleichwohl eine Pflicht ligung der oder des Betroffenen erlaubt sein. Einen zum Schutz privater Daten. entsprechen Gesetzentwurf will das Bundesinnen- Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie ministerium bis Ende November vorlegen. Bei Da- mich abschließend Heribert Prantl aus der „Süd- tenmissbrauch sollen zudem Strafen verschärft deutschen Zeitung“ vom 19. August 2008 zitieren, werden. Einzelheiten will nun eine Arbeitsgruppe dem ich absolut nichts hinzuzufügen habe: „Mit unter Vorsitz des brandenburgischen Innenminis- Daten darf nicht herumgeworfen werden wie mit ters Jörg Schönbohm erarbeiten. Bonbons beim Karneval.“ Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte (Beifall) dieses Ergebnis für absolut richtig und sage aber auch - die Politik, glaube ich, muss dies auch par- teiübergreifend erkennen -: Es ist mehr als überfäl- Präsident Martin Kayenburg: lig. Hier ist lange geschlafen worden. Es besteht Für die Fraktion der CDU hat das Wort deren Frak- dringender Handlungsbedarf, meine sehr verehrten tionsvorsitzender, der Abgeordnete Dr. Johann Wa- Damen und Herren! dephul. (Beifall bei CDU und SPD) Dr. Johann Wadephul [CDU]: Wir haben eine lange datenschutzpolitische Diskus- sion, der sich gerade die öffentliche Hand sehr kri- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und tisch gestellt hat, ausgehend vom Volkszählungsur- Herren! Ich danke dem Innenminister für den aus- teil des Bundesverfassungsgerichts, das hohe Aner- führlichen Bericht. Der im August in Schleswig- kennung gefunden hat und sich auch sehr breit Holstein bekanntgewordene Fall von 17.000 illegal durchgesetzt hat. Aber es ist in der Tat ein Unding, gehandelten Daten ist offensichtlich leider nur die dass wir eine Situation in Deutschland haben, wo Spitze des Eisberges. Nach Einschätzung von Da- der Datenschutz gegenüber dem Staat mittlerweile tenschützern sind in Deutschland etwa 10 bis eine sehr hohe Ausprägung gewonnen hat, wo aber 20 Millionen Kontodaten illegalerweise im Umlauf. Unternehmen meinen, die Segnungen dieses Staates Diese werden von einigen Callcentern für dubiose an jeder Stelle entgegennehmen zu dürfen, aber in 6906 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Dr. Johann Wadephul) keiner Weise eine Verpflichtung gegenüber dem in- (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der formationellen Selbstbestimmungsrecht der Bür- SPD) gerinnen und Bürger zu haben. Insgesamt möchte ich abschließend Folgendes sa- (Beifall) gen: Es nützt natürlich das allerschönste Gesetz überhaupt gar nichts, wenn es Menschen und Fir- Dies ist ein Skandal, und an der Stelle müssen wir men gibt, die sich mit krimineller Energie über handeln. Recht und Gesetz hinwegsetzen. Deswegen ist es Ich halte das Einwilligungsverfahren für richtig, aus meiner Sicht von allergrößter Bedeutung, dass und ich glaube, dass es sehr viel sinnvoller ist, so wir alle lernen, mit unseren Daten besonnener um- zu verfahren, als wie bisher mit dem Widerspruch. zugehen. Wir haben es nämlich mit einem Phäno- Denn für die Bürgerinnen und Bürger ist es ein men zu tun. Auf der einen Seite hat es kaum eine großer Unterschied, ob sie sich die Mühe machen Zeit gegeben, in der so viel und so intensiv über müssen, ausdrücklich der Weitergabe zu widerspre- Datenschutz gesprochen, gesendet und geschrieben chen, oder ob man um ihre ausdrückliche Zustim- wurde wie heute. Auf der anderen Seite genügt ein mung bitten muss. kurzer Blick ins Internet um festzustellen, dass of- (Beifall des Abgeordneten Thomas Stritzl fensichtlich Millionen von Menschen bereit sind, [CDU]) Privates und sogar Intimes weltweit der Öffentlich- keit preiszugeben. An der Stelle will ich darauf hinweisen: Es gibt auch Stimmen, die davon reden, dass der Handel Ich wünsche mir an der Stelle ein neues Selbstbe- mit persönlichen Daten generell verboten werden wusstsein und eine neue Zurückhaltung der Bür- soll. Ich bin der Meinung, Augenmaß ist gefordert; gerinnen und Bürger, die vielleicht in Zukunft et- man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. was mehr darüber nachdenken, was sie der Öffent- Aber wer zustimmt und einverstanden ist, dass die lichkeit wirklich preisgeben wollen und in welchem eigenen Daten genutzt werden, wer beispielsweise Umfang es wirklich nötig ist, ihre ganz persönli- Werbesendungen und Angebote unbedingt bekom- chen Dinge im World Wide Web zu veröffentli- men möchte, der soll auch so verfahren können. chen. Ich denke, wir alle sollten darüber kritisch nachdenken. Und jeder, der das in diesem Hohen Das wird man sich in Zukunft wahrscheinlich etwas Haus noch nicht getan hat, möge vielleicht nur ein- besser überlegen als in der Vergangenheit, aber ein mal den Versuch unternehmen und seinen Namen generelles Verbot ist aus meiner Sicht nicht der bei Google eingeben und sehen, was dort alles er- richtige Weg. scheint. Bei Menschen, die in der Öffentlichkeit Was die Verschärfung der Sanktionen anbelangt, stehen, ist das natürlich noch einmal eine ganz be- so können die Bußgelder - der Innenminister hat sondere Angelegenheit, aber das gilt auch für Pri- das gesagt - bisher wohl kaum eine Abschreckungs- vatpersonen. Es sind mittlerweile wahnsinnig viele wirkung entfaltet haben. Zwar sind bis zu Daten im Internet vorhanden, und wir werden mit 250.000 € möglich, aber wenn sie die Unterneh- allen Gesetzen nichts erreichen, wenn wir nicht das men, die sehr viel höhere Gewinne machen, im Bewusstsein der Menschen ändern, dass sie selber Schnitt nur mit 2.200 € betreffen, dann ist das keine hier mit ihren eigenen Daten restriktiver umgehen. ernsthafte Abschreckung. Deswegen müssen wir zu Das heißt: Bewusstsein, Verschärfung der Gesetze anderen gesetzlichen Instrumentarien kommen, die und ein deutlicher Appell an die Wirtschaft, sich an wir ansonsten im Strafrecht mittlerweile auch ken- mindestens dieselben Datenschutzregeln zu halten, nen. Ich bin dafür, dass wir auch an dieser Stelle die für den Staat schon lange gelten. über Gewinnabschöpfung miteinander reden, weil (Beifall bei CDU und SPD) das das Einzige ist, was die Unternehmen wirklich trifft. Das heißt, derjenige, der illegal mit persönli- Präsident Martin Kayenburg: chen Daten gehandelt hat, soll daraus nicht auch noch einen wirtschaftlichen Vorteil ziehen können, Für die Fraktion der SPD hat deren Vorsitzender, sondern ein möglicher wirtschaftlicher Vorteil soll Herr Abgeordneter Dr. Ralf Stegner, das Wort. demjenigen, der hier illegal gehandelt hat, dann auch vollständig entzogen werden können. Hier Dr. Ralf Stegner [SPD]: brauchen die Strafverfolgungsbehörden neue Mög- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und lichkeiten. Herren! Von dem englischen Dramatiker John Os- borne stammt der Satz: „Der Computer ist die logi- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6907

(Dr. Ralf Stegner) sche Weiterentwicklung des Menschen: Intelligenz ständiger Beobachtung, unter permanenter Kontrol- ohne Moral.“ Daran kann man durchaus erinnert le leben. werden, wenn man die jüngsten Datenschutzskan- Zugriff auf informationstechnische Systeme durch dale betrachtet. die Sicherheitsbehörden und die Speicherung von Mein Kollege Konrad Nabel hat vorgestern von ei- personenbezogenen Daten sind kein Alltagsge- ner sehr eindrucksvollen Erfahrung berichtet, die er schäft. Sie bergen möglicherweise gewaltige Ne- bei der NORLA gemacht hat. Er war da nämlich für benwirkungen und können zu Dammbrüchen füh- den Landtag und hat festgestellt, dass es äußerst ren. Eine Einsicht übrigens, die uns Sozialdemokra- schwer war, die Besucherinnen und Besucher da- ten zu großer Vorsicht bei der Einführung neuer von zu überzeugen, beim Gewinnspiel des Landtags Befugnisse wie etwa bei der Online-Durchsuchung mitzumachen. Sie wollten nämlich ihre Adressen und der Ausgestaltung des BKA-Gesetzes bewegt. nicht herausgeben. Ich muss sagen, so ungerecht- Eine dauerhafte Vorratsdatenhaltung von Finger- fertigt das Misstrauen in diesem Fall gerade bei abdrücken von Millionen von Bürgern, die diese Konni Nabel natürlich ist, unter einen Generalverdacht stellen, schießt weit über das Ziel hinaus. Die Speicherung des Lichtbil- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das verstehe ich des im öffentlichen Passregister ist die moderne aber! - Zurufe) und polizeitaktisch wie fachlich vernünftige und - das ist ja anders als bei Ihnen, - so ist es doch be- ausreichende Lösung. Sie ist vor allen Dingen auch merkenswert und verständlich. Denn die Verunsi- verfassungsgemäß. Aber der Aufbau eines Zentral- cherung der letzten Wochen ist bei den Bürgerinnen registers würde alle Bürger als Verdächtige ab- und Bürgern angekommen. Wir müssen gesetzliche stempeln. Auch hier sind also rote Linien einzuzie- Regeln zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger hen und Kontrollmöglichkeiten zu schaffen. schaffen, wir brauchen aber genauso eine größere Aber ich sage auch: So wie ich ein generelles Miss- Vorsicht jedes Einzelnen bei dem Umgang mit sei- trauen gegen alle Bürger ablehne, so wende ich nen persönlichen Daten. Ich will ausdrücklich dem mich gegen ein generelles Misstrauen gegen staatli- beipflichten, was Kollege Wadephul gesagt hat. che Institutionen. Wir haben keinen Überwa- Wenn man sieht, was alles an Unfug im Netz vor- chungsstaat in Deutschland, und wir müssen immer handen ist und wer sich dann auch noch darauf be- den Ausgleich zwischen innerer Sicherheit und ruft - manchmal auch der eine oder andere aus die- Bürgerrechten wahren und uns vor dem einen wie sem Haus -, dann kann man schon daran zweifeln, dem anderen Extrem hüten. ob das alles nur Fortschritt ist und ob das nicht in Teilen einfach Datenmüll ist, der sich da wiederfin- Anders sieht das in der privaten Wirtschaft aus. det. Hier gilt auch die Unschuldsvermutung, aber wir müssen zur Kenntnis nehmen und in unser Handeln Aber unabhängig davon muss man sagen, dass die einbeziehen, welch starke wirtschaftliche Interessen Diskussion um den Datenschutz immer drei Ebenen hier vorhanden sind, Daten und Möglichkeiten der hat. Zum einen geht es darum, welche Daten staat- Kommunikations- und Informationstechnologie ex- liche Stellen erheben dürfen und wie sie mit diesen zessiv zu nutzen. Es ist schwer, bei den modernen Daten dann umgehen. Zum anderen geht es darum, Informations- und Kommunikationstechniken, die was im privaten und im Wirtschaftsbereich mit viele von uns nur im Ansatz verstehen - und ich ge- Daten gemacht wird. Und letztlich geht es um den be zu, ich kann da mit meinen Söhnen nicht mithal- eigenen Umgang mit den Daten. All diese Fragen ten -, abzuschätzen, welche illegalen und halblega- müssen sorgfältig geprüft und beantwortet werden. len Möglichkeiten die Technik eröffnet. Innenmini- Ich will zunächst damit beginnen zu sagen: Der ster Lothar Hay hat in seinem Bericht - wie ich fin- Staat braucht Informationen. Viele Verwaltungsab- de - einiges erhellt, und ich will für die SPD-Frakti- läufe werden so erst möglich und lassen sich effek- on ausdrücklich feststellen, dass die Aktivitäten von tivieren. Vieles übrigens, was das Parlament fragt, Frau Ministerin Trauernicht, Minister Uwe Döring lässt sich nur erheben, wenn man bestimmte Daten und auch von Minister Lothar Hay ausdrücklich un- zum Beispiel durch die Regierung feststellen lässt. sere Zustimmung finden. Wir brauchen auch Informationen, um Verbrechen (Vereinzelter Beifall bei der SPD) vorzubeugen oder Täter zu ermitteln. Denken Sie etwa an Internetkriminalität oder Kinderpornogra- - Da könnt ihr ruhig ein bisschen kräftiger klat- fie. Ich sage aber auch, niemand von uns will unter schen; das ist nämlich richtig. 6908 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Dr. Ralf Stegner)

Der durch das Unabhängige Landeszentrum für Da- bei Werbesendungen die Herkunftsangabe einzu- tenschutz Schleswig-Holstein aufgedeckte Skandal fordern. um illegalen Datenhandel und die davor bekannt Wir müssen die Verbraucherschutzzentralen und gewordenen Spitzel- und Schnüffelattacken bei Lidl die Rechte einzelner Verbraucher stärken. Wir und Telekom gegenüber ihren Arbeitnehmerinnen müssen auch die Möglichkeiten gegen die soge- und Arbeitnehmern sowie Dritten sind ein Skandal nannten Cold Calls verbessern, von denen Minister und offenbar auch nur die Spitze des Eisbergs. Un- Hay gesprochen hat. Das ist für die Absicherung ternehmen haben die Pflicht, Persönlichkeitsrech- der Verbraucher notwendig. Auch eine nachträgli- te und das Grundrecht auf informationelle che schriftliche Bestätigung ist unbedingt erfor- Selbstbestimmung zu respektieren und in ihrer derlich. Ich glaube, es wäre auch gut, zu überlegen, Unternehmenspolitik anzuwenden. Das gebieten inwieweit es richtig ist, dass bisher nur Wettbewer- Rechtsstaat und Moral. Im Übrigen ist der Umgang ber, Abmahnvereine und so weiter im Rahmen des mit Arbeitnehmern, der diese zu Kostenfaktoren de- UWG dagegen vorgehen können. gradiert und ihnen Würde, Privates und Rechte nimmt, für uns niemals akzeptabel. Das gehört für Wir sollten uns aber auch überlegen, inwieweit Un- uns auch in das Kapitel gute Arbeit. ternehmen, die qua Aufgabe mit sensiblen Daten umgehen müssen, überhaupt privat organisiert wer- (Beifall bei der SPD) den dürfen und damit Profitinteressen unterliegen. Viele Menschen - gerade, aber keineswegs nur die Zumindest aber sollten Unternehmen, die mit sensi- älteren - sind oft schon bei normalen Telefonge- blen Kundendaten umgehen, ihre Vertriebswege schäften nicht in der Lage, alle Feinheiten zu durch- und ihren Service stärken. blicken. Geradezu widerlich ist die Praxis, beson- Lassen Sie mich an dieser Stelle auch sagen: Das, ders älteren, leicht zu verunsichernden Menschen, was die Telekom momentan im Zusammenhang mit geschlossene Verträge vorzugaukeln und bei Nicht- den Datenskandalen macht, nämlich den Servicebe- einhaltung Gerichtsvollzieher und Ähnliches anzu- reich zu schwächen, ihre Mitarbeiter zu brüskieren drohen. Deshalb müssen wir andere Maßnahmen und solche Einrichtungen zu schließen, weist aus ergreifen, die das Interesse, sorgfältig mit Daten vielerlei Gründen in die falsche Richtung. Sie sollte umzugehen, erhöhen. durch mehr Transparenz, hö- auf motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter set- here Hürden, höhere Strafen und ein generelles Kli- zen, denen das langfristige Firmeninteresse vor ma, das den illegalen Umgang mit Daten ächtet kurzfristige eigene Erfolgsmeldungen geht, die mit und ein sensibles Umgehen fördert. Ich glaube fragwürdigen Mitteln erreicht worden sind. auch, das Datenschutz-Audit des ULD ist dazu ein guter Beitrag. Lassen Sie mich zum Schluss noch ein paar Sätze zum privaten Bereich sagen. Hier gibt es das wohl (Vereinzelter Beifall bei der SPD) größte Problem. Daher gilt die Aufforderung, bei Zwei Punkte sind meines Erachtens essenziell: Zum aller Bequemlichkeit sensibel mit den eigenen Da- einen müssen wir die Gewinnung und den Handel ten umzugehen. Nicht jeder muss alles wissen. Es mit Daten erschweren. Wir brauchen dazu die Um- gilt auch, sensibel mit den Daten anderer umzuge- kehr der jetzt üblichen Praxis der impliziten Zu- hen. Wir müssen sehen, inwieweit wir im Bundes- stimmung, sodass künftig eine ausdrückliche Zu- datenschutzgesetz in Bezug auf virtuelle Pranger, stimmung zur weiteren Datenverwendung not- Scoring-Listen und ihre Manipulationsmöglichkei- wendig wird. Auf gut Deutsch heißt das: Es soll nur ten bis hin zum Finanzstatus in Internetdateien ak- erlaubt sein, was ausdrücklich gewünscht wird. tiv werden sollten. Wenn Sie sich das ansehen, was Auch hier stimme ich dem Kollegen Wadephul zu. junge Leute dort zum Teil über andere schreiben Das heißt nicht, dass wir die Menschen so weit re- und was man im Internet über andere lesen kann, glementieren sollen, dass das, was sie ausdrücklich dann untertreibt das Wort Pranger in virtueller Ge- wünschen, verboten wird. Das ginge ein bisschen stalt eher. zu weit. Lothar Hay hat es deutlich zum Ausdruck Zum Antrag der Grünen sage ich: Das, was die gebracht: Meldeauskünfte müssen begrenzt werden. Grünen wollen, ist eigentlich in unserem Antrag Ich finde es gut, dass sich Bundesinnenminister enthalten. Ich finde allerdings, dass wir uns nichts Schäuble vom Datenschutz-Saulus zum Daten- vergeben, wenn dieser Antrag an den Ausschuss schutz-Paulus wandelt, denn das, was auf dem Gip- überwiesen wird und dort mitberaten werden kann. fel vereinbart worden ist, ist in unserem Sinne. Ich glaube übrigens, dass die Forderung des Bundesda- Datenschutz ist für uns kein lästiges Übel, sondern tenschutzbeauftragten aufgegriffen werden sollte, er ist konstitutiv für den Rechtsstaat. Ich ahne, was Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6909

(Dr. Ralf Stegner)

Sie nachher dazu sagen werden. Daher sage ich: mal zur Diskussion, übrigens auch aus Ihren Rei- Für mich ist der Abgleich zwischen dem, was der hen. Staat tun muss, und dem, was das Grundgesetz Massenhafter Datenklau und milliardenschwerer beim Abgleich zwischen innerer Sicherheit und den Schwarzmarkthandel, Online-Razzien und Compu- Persönlichkeits- und Verfassungs- und Freiheits- terspionage - nichts scheint mehr sicher, weder rechten gebietet, der eine Punkt. Hier kann man bei Konto- noch Kreditkartennummern, weder Perso- einzelnen Instrumenten unterschiedlicher Meinung nal- noch Krankenakten. Firmen bangen um ihre sein. Im Bereich der Wirtschaft und im privaten Be- Betriebsgeheimnisse, Bürgerinnen und Bürger um reich ist das Problem deutlich größer. Herr Opposi- ihre Privatsphäre. In Bankgeschäften sitzt das Fi- tionsführer, um Ihnen eine kleine Freude zu ma- nanzamt fast immer mit am Tisch. In Supermärkten chen, will ich abschließend Lenin zitieren, weil das stehen Kunden im Visier von Videokameras. Auf in Ihr Klischee passt. In Sachen Datenschutz gilt in dem privaten PC tummeln sich Trojaner. Die der Tat: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Heckenschützen des Informationszeitalters haben (Beifall bei der SPD und des Abgeordneten entsichert und durchgeladen. Dies war der Ein- Lars Harms [SSW]) druck, der sich im Rahmen der Datenmissbrauchs- skandale Mitte August in der Bevölkerung aufgetan Präsident Martin Kayenburg: hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Tribüne Wir erinnern uns: Am 11. August 2008 wurde be- begrüßen wir den Landesdatenschützer, Herrn kannt, dass ein früherer Mitarbeiter eines Callcen- Dr. Weichert, mit seinen Mitarbeitern. - Herzlich ters in Lübeck der Verbraucherzentrale Schleswig- willkommen! Holstein eine Compact Disc - kurz CD - übergeben hat, die mehr als 17.000 Datensätze mit Angaben (Beifall) zu Namen, Adresse, Geburtsdatum und vollständi- Für die Fraktion der FDP hat deren Vorsitzender gen Kontonummern von Bürgerinnen und Bürgern und Oppositionsführer, Herr Abgeordneter Wolf- enthielt. Kurz darauf tauchten weitere 60.000 Da- gang Kubicki, das Wort. tensätze mit Kontonummern auf. Dann wurde in der Presse von vier Millionen Datensätzen berich- Wolfgang Kubicki [FDP]: tet. Das ist ein Skandal ohnegleichen, der in der Be- völkerung zu Recht große Unsicherheit ausgelöst Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! hat, weil er praktisch jeden treffen kann. Wenn es Sehr verehrter Herr Fraktionsvorsitzender Stegner, überhaupt etwas Gutes an den Geschehnissen gab, ich weiß nicht, warum Sie glauben, mir eine Freude so ist das, dass sich in der Folge eine Debatte ent- zu machen, wenn Sie Lenin zitieren. Ich bin heute wickelt hat, die die derzeitigen Mängel im Daten- aber auf Friedfertigkeit aus. schutz aufarbeitet und die auch die Bedeutung des (Zurufe) Datenschutzes abseits von Bundesverfassungsge- richtsentscheidungen für die Bürgerinnen und Bür- - Ich habe gestern einige Genossinnen und Genos- ger wirklich greifbar gemacht hat. sen der Sozialdemokraten getroffen, die mir ihr Seelenleben geschildert haben. Deshalb bin ich Trotzdem war es das Bundesverfassungsgericht, friedfertig gestimmt. Herr Stegner, es juckt mich das im sogenannten Volkszählungsurteil von natürlich schon, einige der Reden, die Sie als In- 1983, dessen Grundlage - ich erinnere daran - von nenminister im Zusammenhang mit dem Daten- den Parteien der Großen Koalition ins Leben geru- schutz auch Schleswig-Holsteins gehalten haben, fen wurde, welches am besten diese Bedeutung in zu zitieren, um daran zu erinnern, dass im Zusam- Worte fasst, die nichts an Aktualität eingebüßt ha- menhang mit der Frage, wer vom Saulus zum Pau- ben. Ich zitiere: lus geworden ist, nicht nur Herrn Schäuble ins Vi- „Mit dem Recht auf informationelle Selbst- sier zu nehmen ist, sondern vielleicht auch Sie. Ich bestimmung wären eine Gesellschaftsord- nehme zur Kenntnis, dass verschiedene Rollen auch nung und eine Rechtsordnung nicht verein- verschiedene Bewusstseinslagen schaffen. Ich bar, in der Bürger nicht mehr wissen können, möchte auch daran erinnern, dass in der Vergan- wer was wann und bei welcher Gelegenheit genheit - was den Datenschutz angeht - sehr darum über sie weiß.“ gerungen werden musste, nicht am Personal in Schleswig-Holstein zu sparen. Auch das stand ein- Diese Aussage, die sich seinerzeit in erster Linie gegen die Beschaffung von Informationen von 6910 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Wolfgang Kubicki) staatlicher Seite richtete, lässt sich heute auch pro- eines Datenklaus bei Behörden ebenfalls möglich blemlos auf unsere aktuelle Diskussion übertragen. ist. Sie bedeutet im Grundsatz nichts anderes, als dass Nein, Datenschutz ermöglicht Bürgerinnen und wir als Parlamentarier eine Rechtsordnung zu Bürgern, ihr Leben unbehelligt so zu gestalten, dass schaffen haben, in der jede Bürgerin und jeder Bür- Informationen über sie ohne ihren Willen weder in ger nachvollziehen können muss, wer zu welchem Behörden noch in der Privatwirtschaft kursieren. Zeitpunkt über ihre oder seine persönlichen Daten Das Datenschutzrecht wird dem bisher unzurei- verfügt. Sie oder er müssen nach diesen Grundsät- chend gerecht. Es besteht mittlerweile Einverneh- zen des Bundesverfassungsgerichts auch jederzeit men darüber, dass das Bundesdatenschutzgesetz da- die Möglichkeit erhalten, eine entsprechende Wei- hin gehend geändert werden muss, dass eine Wei- tergabe zu unterbinden. tergabe von Daten künftig von der ausdrücklichen (Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Einwilligung des Betroffenen abhängt. Bisher Konrad Nabel [SPD]) muss dieser - wenn es sich um eine Weitergabe zu Werbezwecken handelt - ausdrücklich widerspro- Die Geschehnisse der letzten Wochen und Monate, chen werden. Wir brauchen eine Umkehr der Erklä- die Überwachung von Mitarbeiterinnen und Mitar- rungslast, die der Lebenswirklichkeit gerecht wird. beitern bestimmter Einzelhandelsketten und natür- Es wurde angesprochen: Man muss nicht wider- lich auch die Weitergabe persönlicher Daten - unter sprechen, sondern man muss einwilligen. Sonst hat anderem auch von Kontodaten - haben gezeigt, dass die ganze Geschichte keinen Sinn. unsere derzeitige Rechtsordnung in diesem Bereich Mängel aufweist. Unser Landesdatenschützer, Herr Dr. Weichert, hat weitere Änderungen angemahnt, über die wir im In diesem Zusammenhang möchte ich bemerken: Ausschuss diskutieren müssen und zu denen wir Es ist schon etwas merkwürdig, dass ein Staat, der vielleicht auch fraktionsübergreifend eine gemein- heute solche Diskussionen führt, 5,5 Millionen € same Erklärung abgeben. Er fordert eine grundsätz- für die Weitergabe illegal erworbener Daten bezahlt liche Informationspflicht der Betroffenen bei Da- hat. Ich meine die Kontendaten aus Liechtenstein. tenpannen. Das halte ich eigentlich für eine Selbst- Ich will das nicht bewerten, aber die Tatsache, dass verständlichkeit, die auch nach Auffassung von man den illegalen Datenhandel sozusagen finanziell Dr. Weichert so ausgestaltet werden muss, dass ausgestattet hat, wirft einige Fragen und Probleme zum einen keine unnötige Beunruhigung in der Be- auf, denn nicht jeder Zweck heiligt jedes Mittel. völkerung besteht, dass zum anderen der Aufwand Es ist heute rechtlich möglich, ohne die ausdrückli- der Unternehmen im Zusammenhang mit diesen che Einwilligung der Betroffenen ihre persönlichen Zwecken nicht unverhältnismäßig sein darf. Dar- Daten zu Werbezwecken weiterzugeben oder Ver- über hinaus darf künftig ein Vertrag nicht davon träge so aufzusetzen, dass die Möglichkeit zur Wei- abhängig gemacht werden, dass einer Weitergabe tergabe von persönlichen Daten zur Bedingung für von persönlichen Daten zugestimmt werden muss, einen Vertragsabschluss gemacht wird. Dies steht die nicht zur Erfüllung des Vertragszwecks dient. im Widerspruch zu den oben aufgeführten Grund- Es muss also ein sogenanntes Kopplungsverbot sätzen des Bundesverfassungsgerichts, und es ist unbedingt eingeführt werden. richtig und gut, dass sich die Fraktionen und Regie- Durch eine ausdrückliche Aufnahme der Ziele der rungen in der gesamten Bundesrepublik nun der technisch-organisatorischen Maßnahmen - Vertrau- Frage annehmen, wie diese Lücken im Daten- lichkeit, Integrität, Verfügbarkeit, Authentizität, schutzrecht geschlossen werden können. Wir müs- Revisionsfähigkeit und Transparenz - in das Bun- sen einfach feststellen, dass Datenschutz Sicherheit desdatenschutzgesetz erwartet sich der Landesda- bedeutet. Bisher haben wir Sicherheitsdebatten im- tenschützer eine wesentliche Verbesserung des ef- mer im Zusammenhang mit den Möglichkeiten zu- fektiven Datenschutzes. sätzlicher Datenerhebung und -speicherung für Er- mittlungsbehörden besprochen. Ich meine, das war Schließlich müssen wir die offensichtlich bestehen- eine falsch geführte Debatte, denn wer glaubt, dass den Mängel im Bereich der Kontrolle des Daten- Daten beim Staat grundsätzlich sicher seien, muss schutzes aufarbeiten, und wir sollten zumindest den nur einmal sehen, was in Großbritannien mit der Bund und die anderen Länder, in denen der Daten- Vielzahl von personenbezogenen Daten aus dem schutz in den Innenbehörden angesiedelt ist, dazu staatlichen Bereich passiert ist. Der Datenklau bei anregen, dem Beispiel Schleswig-Holsteins zu fol- Banken gibt einen Hinweis darauf, was hinsichtlich gen und eine unabhängige Institution zu schaffen. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6911

(Wolfgang Kubicki)

Ich glaube, niemand kann dafür ein besseres Bei- entsprechende Kunde der Bank überhaupt kirchen- spiel geben als Schleswig-Holstein. steuerpflichtig ist, müssen die Banken natürlich wissen, ob und gegebenenfalls welcher Konfession (Beifall bei der FDP und vereinzelt bei SPD, ihre Kunden angehören, obwohl dies für das eigent- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW) liche Bankgeschäft überhaupt nicht notwendig ist. Ich wiederhole das ausdrücklich: Wo auch immer Wir werden also sehen, ob den hehren Worten der ich bin, wird Schleswig-Holstein für diese Einrich- heutigen Debatte auch Taten folgen. tung gelobt. Man mag das bewerten wie man will, (Beifall bei FDP und SSW) aber wir haben nicht sehr viel, auf das wir stolz sein können. Ich habe meinen großen Zweifel, ob das sozusagen der richtige Weg ist. Aufgrund der Erfahrungen in Lieber Kollege Wadephul, die Vermögensab- diesem Haus habe ich leider keine große Hoffnung, schöpfung gibt es bereits im Strafgesetzbuch. Kollege Sauter - ich muss Sie, da wir in dieser Fra- (Zuruf des Abgeordneten Dr. Johann Wade- ge wesensverwandt sind, Sie sind ja steuerberatend phul [CDU]) tätig, angucken -, dass es bei CDU und SPD wirk- - Das können wir auch im Ordnungswidrigkeiten- lich zu einem großen Umdenken gekommen wäre. bereich. Wir müssen das nur konsequent anwenden Aber seit gestern weiß ich: Die Hoffnung stirbt be- und die entsprechenden Verstöße verfolgen. kanntlich zuletzt. Natürlich hat meine Fraktion es begrüßt, dass wir (Beifall bei FDP und SSW) heute über den Datenschutz in diesem Haus disku- tieren. Wir haben dies an anderen Stellen - aller- Präsident Martin Kayenburg: dings unter anderen Vorzeichen und mit weniger Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Einigkeit - in der Vergangenheit bereits getan. Viel- deren Vorsitzender, Herr Abgeordneter Karl-Martin leicht führt die heutige Debatte aber dazu, dass Hentschel, das Wort. auch wir unsere Hausaufgaben in landesrechtlicher Sicht machen. Wir haben in der Vergangenheit im- Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mer wieder Bereiche angesprochen, die aus Sicht NEN]: des Datenschutzes bedenklich sind und die sich für die Sicherheit in unserem Land als überflüssig er- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und wiesen haben. Man denke in diesem Zusammen- Herren! Ich habe eine Rede vorbereitet, in der auch hang nur an die Rasterfahndung. Was war mit unse- noch einmal dargestellt wird, was alles an Skanda- ren Warnungen zum neuen Polizeirecht? - Diese len passiert ist. Da das jetzt schon dreimal vorgetra- Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen gen worden ist, verzichte ich darauf. Ich denke, das haben erhebliche Erweiterungen der Möglichkeiten ist ausreichend erläutert worden. zur Erhebung und Speicherung von Daten im Ge- Ich möchte an dieser Stelle nur auf einen Punkt ein- fahrenrecht zu verantworten, also ohne, dass eine gehen, nämlich auf die Hauptleidtragenden dieser konkrete Straftat vorliegen muss. Hier ist die Lan- Skandale. Das sind insbesondere ältere Mitbürger. desregierung beispielsweise vor dem Bundesverfas- Mittlerweile ist es so, ich erlebe das immer wieder sungsgericht in der Frage des Kfz-Screenings be- im Kontakt mit älteren Mitbürgern, dass systema- reits gescheitert. tisch auf ältere Mitbürger losgegangen wird. Es Und es ist - das sage ich ausdrücklich; den meisten werden Anrufe getätigt, es wird versucht, ihnen von ist das vielleicht gar nicht aufgefallen - schon eine Callcentern aus Geschäfte anzudrehen. Es werden kleine Krönung, wenn heute auch die Regierungs- nach solchen Anrufen Kontoabbuchungen vorge- koalitionen über die Notwendigkeit eines effektiven nommen, bei denen häufig unklar ist, ob sie über- Datenschutzes philosophieren und zugleich einen haupt bestätigt worden sind. Anschließend werden Gesetzentwurf zur Änderung eines Kirchensteuer- Mahnschreiben mit der Androhung von erheblichen gesetzes einbringen, der künftig dazu führt, dass die Mahngebühren verschickt, die die Leute er- Finanzbehörden Kreditinstitute von der Konfessi- schrecken und zum Teil dazu führen, dass die Leute on ihrer Kunden in Kenntnis setzen. Die Banken aus Angst tatsächlich überweisen - beziehungswei- sollen künftig für die Finanzämter einen Teil der se wenn Abbuchungen erfolgt sind, ist die Sache Kirchensteuer eintreiben, nämlich den Teil, der auf sowieso schon vorbei. die Kapitalerträge entfällt. Um aber zu wissen, ob Das heißt, es geht gezielt gegen ältere Mitbürger, die entsprechende Kundin, beziehungsweise der weil man hofft, dass dort der Widerstand geringer 6912 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Karl-Martin Hentschel) ist oder dass sie nicht mehr den genauen Überblick Das muss auch Folgen für die Speicherung haben. über ihre Konten haben und insofern leichtere Op- Das heißt, wenn persönliche Daten gespeichert wer- fer sind als andere. Das muss man sich klarmachen. den, muss immer mitgespeichert werden, an wen Dieser Skandal hat in den letzten Jahren bereits er- diese Daten übergeben worden sind, also wer der hebliche Auswirkungen in der Praxis gehabt. Wir primäre Empfänger dieser Daten ist - die Firma haben überhaupt keinen Überblick darüber, was oder wer auch immer das war. Das gilt auch für Da- passiert ist. Ich glaube, es ist sehr gut, dass das The- ten von Meldeämtern. Zweitens muss mitgespei- ma jetzt hochgeschwappt und in der Öffentlichkeit chert werden, zu welchem Zweck sie weitergege- ist und dass endlich darüber geredet wird, denn die ben werden. Das heißt, die Weitergabe darf nie ge- Datenschützer reden darüber seit Langem. nerell erfolgen, sondern muss immer einen konkre- ten Zweck enthalten. Zum Beispiel würde dann ei- (Beifall der Abgeordneten Angelika Birk ne Firma, die beauftragt worden ist, Daten für eine [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) bestimmte Mahnung vom Meldeamt zu besorgen, Auch die Verbraucherschützer reden seit Langem diese Daten dann nur für diese bestimmte Mahnung darüber, aber die Politik hat nicht entsprechend rea- bekommen und nicht generell, sodass sie nicht in giert und nur gesagt: Es ist gar nicht so schlimm. - Datenbanken an Dritte weitergegeben werden kann. Gut, jetzt sind wir soweit. Entscheidend ist, dass dieser Zweck in den Daten Ich möchte jetzt auch nicht mehr über die Dinge, auch als Quelle angegeben wird, sodass jederzeit die passiert sind, reden, sondern darüber, was zu nachvollziehbar ist, woher stammen diese Daten, tun ist. Wir haben einen Antrag vorgelegt. Ich bin wann sind diese Daten übergeben worden und zu gern bereit, über ihn im Ausschuss zu reden. Es gibt welchem Zweck sind sie übergeben worden. sicher noch eine ganze Reihe von Punkten, die man Es gibt noch einen weiteren Vorschlag, den ich noch ergänzen und über die man weiter reden kann. nicht in unserem Antrag drin habe, den ich aber für Mir ging es um zentrale Punkte, über die wir reden sehr sinnvoll halte. Alle Daten, die gespeichert wer- müssen und die auch noch keineswegs - auch wenn den, müssen ein Verfallsdatum enthalten. die Stimmung hier so schien - Konsens sind. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und des Abgeordneten Günter Neugebauer Es klang so, als wenn wir uns alle einig wären und [SPD]) jetzt etwas tun würden. Das ist in der Tat aber nicht Das ist eine gute Regelung, um zu verhindern, dass der Fall. sich die Dinge sozusagen immer mehr aufkummu- Entscheidender Punkt ist, dass grundsätzlich, wenn lieren und Daten am Schluss herumvagabundieren. Daten zu kommerziellen Zwecken weitergegeben Wir haben dann noch ein Problem, das auch der In- werden sollen, wenn sie verkauft, aber auch wenn nenminister ausgespart hat, das aber in der Ausein- sie gespeichert werden sollen, ein Einverständnis andersetzung zentral ist und zu dem es auch noch vorzuliegen hat und dass dieses Einverständnis einen Dissens gibt. Das ist die Frage, was mit den auch einen Zweck enthält. Das ist wichtig. Denn Millionen Daten passiert, die bereits existieren. die Frage der Weitergabe von Daten allgemein zu Was passiert mit denen? Wir können jetzt Vor- regeln, führt zwangsläufig dazu, dass Datenbanken schriften zu dem verabschieden, was in Zukunft entstehen und vagabundieren, sodass der Einzelne passieren soll, aber wenn wir Dateien gefunden ha- überhaupt keine Kontrolle mehr darüber hat, wo ben, die bereits 30 Millionen Daten - das heißt, fast seine Daten gespeichert sind. jeder zweite Bürger steht drin - enthalten, wenn sol- Häufig gibt es auch Verträge, wo man irgendwo an- che Dateien bereits existieren, muss man natürlich kreuzen muss: Ich möchte nicht, dass die Daten auch klären, was mit diesen Daten passiert. Deshalb weitergegeben werden, ich bin einverstanden oder sollten wir ein Datum setzen, bis zu dem alle Datei- ähnliche Dinge. Viele Menschen überblicken gar en auf diesen aktuellen Geseztesstand gebracht nicht, was sie damit eigentlich ankreuzen. Deshalb werden müssen. Danach müssen alle Daten ge- muss der Gesetzgeber dort einen entsprechenden löscht werden. Schutz gewährleisten und klarstellen, dass sowohl (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Einzelfall immer ein Einverständnis vorliegen und des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD]) als auch immer der Zweck angeben werden muss. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6913

(Karl-Martin Hentschel)

Nur dann ist zu gewährleisten, dass tatsächlich auch (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, für die Altdaten die entsprechenden neuen gesetzli- SPD sowie der Abgeordneten Manfred Rit- chen Regelungen gelten. zek [CDU] und Anke Spoorendonk [SSW]) Wir müssen uns auch über andere Fragen abstim- Wenn wir Datenschutz brauchen, benötigen wir ein men. Das gilt zum Beispiel für die Frage der Daten- umfassendes Auskunftsrecht. Die Bürger müssen schutzbehörden. Wir hatten interessante Diskussio- dann auch die Möglichkeit haben, Informationen zu nen in den letzten Jahren dazu, ob wir ein Unabhän- bekommen, wie sie zurzeit noch vorhanden sind. giges Datenschutzzentrum brauchen, das so viel Auch das muss in Zukunft geklärt sein. Geld kostet wie hier in Schleswig-Holstein. Diese Wir brauchen eine Regelung bei der Abfrage von Debatte ist mehrfach aufgekommen, insbesondere Adressdaten. Der Innenminister ist schon darauf vonseiten unserer Kollegen von der Union. eingegangen, und auch ich halte es für sinnvoll, Wir haben in Schleswig-Holstein die besondere Si- was da vorgetragen worden ist. Der Staat selber ist tuation, dass unser Unabhängiges Datenschutzzen- nun nicht das Vorbild, bei dem man sagen kann: trum sowohl für den staatlichen Raum als auch für Wir haben alle Probleme gelöst, und jetzt machen die Wirtschaft zuständig ist. Das ist eine besondere wir uns an die private Wirtschaft, und der Staat ist Konstruktion, die wir in Schleswig-Holstein in der ja toll. vorletzten oder letzten Legislaturperiode eingeführt (Beifall bei der SPD) haben. Sie hat sich mittlerweile als sehr gut erwie- sen, weil natürlich ein solches Datenschutzzentrum Denn die Debatten, die wir in den letzten Monaten nicht nur gegenüber dem Staat eine größere Unab- und Jahren geführt haben, gerade auch mit unserem hängigkeit hat, sondern auch gegenüber der Wirt- lieben Herrn Bundesinnenminister, waren nicht ge- schaft eine größere Unabhängigkeit. Die Befürch- rade von einem großen Datenschutzbewusstsein ge- tungen, dass dieser Datenschutz oder Herr Weichert prägt. Auch mit unserem ehemaligen schleswig- jetzt wie wild auf die Wirtschaft losgehen und die holsteinischen Innenminister hatten wir ähnliche Wirtschaft knebeln, hat sich nicht bestätigt. Genau Debatten. das ist nicht passiert, sondern es wurden intelligente (Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist es!) Wege gesucht, mit der Wirtschaft zusammenzuar- beiten und gemeinsam mit der Wirtschaft Daten- Das Bewusstsein in der Politik, dass Datenschutz schutz zu machen. eine hohe Qualität hat, war bei den Innenministern nicht unbedingt verbreitet. Insofern freue ich mich, (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wenn der neue Innenminister hier klare Worte ge- und vereinzelt bei der SPD) sprochen hat. Ich kenne es aus meiner eigenen beruflichen Tätig- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, keit, bei der ich auch sehr viel mit Datenschutz zu FDP und SSW) tun hatte, dass in der Firma immer eine Diskussion entstand. Es gab immer zwei unterschiedliche Auf- Ich hoffe, dass diese Worte auch den Geist der ge- fassungen: Die einen sahen Datenschutz als Hinder- samten Koalition widerspiegeln, und ich hoffe, dass nis, die anderen sahen Datenschutz als Sicherheit es jetzt nicht so ist, wie wir es häufig erleben - es für die Firma, für ihre Daten und auch gegenüber gibt ja immer so einen Zyklus -: Es gibt einen poli- den Kunden als einen Qualitätsstandard. Das ist tischen Skandal, alle regen sich auf, alle sind sich immer so gesehen worden. Diese Diskussionen gab einig, dass etwas getan werden muss. Dann läppert es immer, und deswegen ist die Frage des betriebli- das alles ein bisschen vor sich hin. Das Ganze hat chen Datenschutzes in Firmen, die klug operieren, sich in der Regel nach acht Wochen wieder beru- auch immer eine Qualitätsfrage gewesen. higt, und dann geht man nach ein paar Änderungen wieder zur Tagesordnung über, und alles ist wieder Mit dem Datenschutz-Audit, das in Schleswig- beim Alten. Ich hoffe, dass dieser Zyklus hier nicht Holstein geschaffen worden ist, ist den Firmen ein eintritt und dass wir alle gemeinsam diese Gelegen- ganz wichtiges Instrument an die Hand gegeben heit nutzen, tatsächlich etwas zu ändern und zu dem worden. Die Weiterentwicklung des Datenschutz- zu kommen, was der Innenminister vorgeschlagen Audits oder in bestimmten Bereichen sogar die hat: zu einer grundlegenden Revision des Daten- Vorschrift eines Datenschutz-Audits - darüber muss schutzrechts. man reden - ist eine gute Möglichkeit, um Quali- tätsstandards im Datenschutz, gerade im privaten (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bereich, auszuweiten. 6914 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

Präsident Martin Kayenburg: Bundesgesetzes allein werden aber nicht ausrei- chen, um den Erfordernissen eines modernen Da- Für die Abgeordneten des SSW erteile ich deren tenschutzes gerecht zu werden. Unsere Gesellschaft Vorsitzenden, der Frau Abgeordneten Anke Spoo- steht vor einem Problem, das viel größer ist als rendonk, das Wort. Callcenter und Datenhandel. Es geht ganz allge- mein um die Frage, wie persönliche Daten genutzt Anke Spoorendonk [SSW]: und geschützt werden. Die Fortschritte in der An- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wendung von Kommunikations- und Informations- Mittlerweile haben sich schon viele Menschen mit technologien fordern ständig neue Antworten. Hier dem Pech abgefunden, in die Datensätze der Call- hinken die Gesetzgeber und die Exekutive deutlich center geraten zu sein und penetrant mit Werbung hinterher. Das sehen nicht nur die Experten so, son- oder obskuren Meinungsumfragen belästigt zu wer- dern auch die Bürgerinnen und Bürger selbst. Laut den. Mit der kriminellen Nutzung von Kontoda- Eurobarometer vom Februar 2008 - also noch deut- ten ist das Fass aber übergelaufen. Ganz Deutsch- lich vor den Skandalen, über die wir heute reden - land spricht über den Datenschutz wie seit der haben 86 % der deutschen Verbraucher kein Ver- Volkszählung nicht mehr. Plötzlich geraten auch trauen in die Praxis des Datenschutzes. Es gibt also alltägliche Fälle von Datenmissbrauch und Daten- eindeutig etwas nachzuholen. gebrauch in die Diskussion. Plötzlich besteht ein Natürlich wäre es blauäugig zu glauben, dass wir Konsens, dass dringend etwas geschehen muss. dieser Probleme allein durch staatliche Kontrolle Der öffentlichen Erregung entsprechend hat sich und Sanktionen Herr werden könnten. Staatliche auch die Politik zum Handeln gezwungen gesehen. Stellen können häufig nur die Rolle des Wächters, Ich finde, die Ergebnisse des Bund-Länder-Daten- Aufklärers und Warners übernehmen. Das zeigt schutzgipfels Anfang September können sich sehen schon die aktuelle Diskussion um die Speicherung lassen. Betroffene müssen künftig der Weitergabe von Nutzerdaten durch Google-Programme. Dem ihrer Daten zu Werbezwecken aktiv zustimmen. Bundesamt für Sicherheit in der Informationstech- Dies ist der richtige Ansatz, um den Verbrauchern nik bleibt nur die Empfehlung, den Google-Inter- wieder die Hoheit über ihre persönlichen Daten zu netbrowser nicht zu nutzen. Die Verbraucherinnen geben, zumindest ab jetzt. Bei Geschäften über das und Verbraucher müssen selbst zu der Erkenntnis Telefon oder das Internet soll eine schriftliche gelangen, dass der unbefangene Umgang mit der Bestätigung verpflichtend vorgesehen werden. Es Informationstechnologie schlimme Folgen haben sind jetzt überhaupt viele gute Vorschläge im Um- kann. lauf. Sowohl die Landesminister Hay und Trauer- Am Ende ist es die Verantwortung jedes Einzelnen, nicht als auch die Bundesminister Zypries und See- verantwortungsvoller mit seinen persönlichen Da- hofer haben gute Vorschläge gemacht. Auch der ten umzugehen. Denn es geht ja nicht nur darum, vorliegende Antrag der Grünen enthält wertvolle dass sich übel meinende Zeitgenossen Daten er- Ansätze, die wir unterstützen. schleichen, dass sie gute Abgeordnetennamen bei Ebenso notwendig wie strengere Spielregeln und eBay missbrauchen oder dass sie ihre ungeliebten härtere Sanktionen ist aber eine bessere Kontrolle. Nachbarn, Lehrer oder Ex-Partner im Internet ver- Denn natürlich können wir beim Verbraucherschutz leumden und zur Schau stellen. Heute ist es normal nicht auf das schlechte Gewissen von Callcenter- geworden, dass sich Menschen selbst - im übertra- Mitarbeitern bauen. Der Bund der Kriminalbeamten genen Sinne wie auch buchstäblich - im Internet zum Beispiel hat ebenso wie Datenschützer den ausziehen. Jugendliche stellen unwiderruflich per- Einsatz von Datenschutzfahndern gefordert. Sie sönliche Informationen ins Netz, die ihnen bei einer sollen analog zu den Steuerfahndern nach Sündern späteren Bewerbung zum Verhängnis werden kön- suchen und mehr Kontrollmöglichkeiten bekom- nen. Erwachsene Menschen geben unbefangen ihre men. Diese Idee muss ebenso weiterverfolgt wer- persönlichen Daten preis, um an irgendein Gratis- den. Wer sie von vornherein aus Ressourcengrün- angebot zu kommen. Kaum einem Internetnutzer ist den ablehnt, verkennt die Dimension der Probleme, bewusst, wo er überall persönliche Spuren hinter- vor denen wir heute stehen. lässt. Wir hoffen, dass die Ergebnisse des Gipfels nicht Nur wenn dieses Bewusstsein geschärft wird, sind nur ein Medienspektakel waren und von der Bun- unsere Bürgerinnen und Bürger für das Leben in desregierung tatsächlich umgesetzt werden. Die an- der modernen Datenzeit gewappnet. Dafür brau- gekündigten und vorgeschlagenen Änderungen des chen wir mehr denn je einen ausgeprägten Daten- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6915

(Anke Spoorendonk) schutz, der nicht nur eine Wächterfunktion hat, son- wickeln. Voraussetzung für beides ist ein starker dern auch aufklärt. Dabei gehören zum Datenschutz Datenschutz, der die Politik berät, der Wirtschaft Einrichtungen und Beauftragte genauso wie eine und Behörden beaufsichtigt, der technische Lösun- entsprechende Medienpädagogik als fester Be- gen entwickelt und der dazu beiträgt, persönliche standteil der Allgemeinbildung. Datenschutzstrategien über das Bildungswesen und andere Informationskanäle zu kommunizieren. Trotzdem: Der Staat kann mehr tun als aufklären. Datenschutz gilt nicht nur für den Umgang der Leider sind nicht alle politischen Kräfte in der Ver- Wirtschaft mit Verbrauchern, sondern auch im Ver- gangenheit der Meinung gewesen, dass wir einen hältnis zwischen Staat und Bürgern. Bund und Län- starken Datenschutz benötigen. Ich kann es der der können selbst Vorbild sein. Den Bürgern wird Union nicht ersparen, sondern muss es hier einmal Datenenthaltsamkeit als die beste Vorbeugung ge- sagen: Es wäre in der Vergangenheit manches an- predigt. Diese Mäßigung täte auch dem Staat selbst ders gewesen, hätte man zum Beispiel eindeutig zu gut. In den letzten Jahren hat er aber das Gegenteil einem Unabhängigen Datenschutzzentrum gestan- vorgelebt. den. Wäre es zum Beispiel nach der Union oder auch nach dem Landesrechnungshof gegangen, (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dann hätten wir heute in Schleswig-Holstein keinen Die CDU und die SPD haben nicht erst seit 2001 so gut ausgeprägten, kompetenten und renommier- beim Datenschutz grandios versagt. Sie haben viel ten Datenschutz. zu wenig für den Schutz der Privatsphäre unter- (Vereinzelter Beifall bei der SPD und des nommen. Abgeordneten Lars Harms [SSW]) (Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ Schleswig-Holstein hat eine Vorreiterrolle, wenn es DIE GRÜNEN) darum geht, die Daten der Bürger zu schützen und Sie haben sogar Datenschützer diskreditiert und so den Datenschutz in die private Wirtschaft zu tragen. zum Gegenteil eines verschärften Problembewusst- Diese besondere Stärke, das „Datenschutz-Cluster seins beigetragen. Kiel“, muss weiter gestärkt werden. Es wäre schön, (Widerspruch des Abgeordneten Dr. Johann wenn sich nun alle klar zum ULD und zu seiner Wadephul [CDU]) Stärkung im Interesse der Verbraucher und der Bür- ger bekennen würden. Datenschutz ist nicht nur Verbraucherschutz, er ist auch ein Bürgerrecht. Die Frage der Bürgerrechte Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen eine wurde aber in den Hintergrund gerückt, um den Modernisierung des gesamten Datenschutzrechts. staatlichen Blick in die Privatsphäre der Bürger zu 2001 sollten drei Experten der Bundesregierung ih- erweitern. re Vorschläge für eine Modernisierung dieses Da- tenschutzrechts vorlegen. Schon damals herrschte Zugegeben, man kann einwenden, dass es bei der die Erkenntnis vor, dass das bestehende Recht nicht staatlichen Datensammlung nicht um profane mehr zeitgemäß war. Nach dem wirtschaftliche Interessen geht, dass das Interesse 11. September 2001 hatte die Politik aber verständ- des Staates die Sicherheit der Bürgerinnen und Bür- licherweise erst einmal andere Prioritäten. Leider ger ist. Aber auch staatliche Organisationen ent- hat dies dazu geführt, dass die Fragen des Daten- wickeln ein Innenleben, bei dem nicht immer die schutzes sieben Jahre lang völlig in den Schatten Interessen der Bürger Vorfahrt haben. Deshalb hat gestellt wurden. Es ist daher höchste Zeit, dass die die Politik die Verantwortung, beständig zu fragen, Politik die alten Pläne wieder aufgreift und weiter- ob Maßnahmen der Kontrolle wirklich angemessen entwickelt, um unsere Gesellschaft und unsere Bür- und erforderlich sind. ger umfassend für die neuen Zeiten zu rüsten. Kurz: Der Staat selbst muss auch verantwortungs- Für den SSW hat der Schutz der Verbraucher dabei voller mit den Daten der Bürger umgehen. erste Priorität. Denn es gibt keinen berechtigten (Beifall bei SSW, FDP, BÜNDNIS 90/DIE Anspruch der Wirtschaft auf Konsumentendaten, GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD) aber es gibt ein Recht der Bürgerinnen und Bürger auf Schutz vor ungebetener Werbung und auf Pri- Erst dann können wir erwarten, liebe Kolleginnen vatsphäre. und Kollegen, dass die Menschen den Wert der in- formationellen Selbstbestimmung erkennen und so- (Beifall beim SSW und vereinzelt bei der zusagen eine persönliche Datenschutzstrategie ent- SPD) 6916 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

Präsident Martin Kayenburg: herausgestellt, dass - wenn ich es richtig verstanden habe - von allen Fraktionen vorgeschlagen worden Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich ist, bei einer solchen Änderung auch gleich das schließe die Beratung. Der Antrag Kommunalwahlrecht mit zu ändern, da dort ja die Drucksache 16/2218 hat damit seine Erledigung ge- Probleme ursächlich aufgetaucht waren. Dies gilt funden. auch dann, wenn der Zeitpunkt hierfür erst in fünf Damit wäre auch dieser Tagesordnungspunkt abge- Jahren ist und wir daher etwas mehr Zeit haben als schlossen. Ein hier vorgelegter Änderungsantrag beim Landtagswahlrecht. Wir haben dies daher auf- müsste dann nicht mehr überwiesen werden. Ich gegriffen und haben jetzt also auch einen Vorschlag schlage vor, dass wir diesen Änderungsantrag zur Änderung des Kommunalwahlrechts einge- Drucksache 16/2224 zu einem eigenständigen An- bracht. trag erklären und diesen dann an den Ausschuss Hierfür gibt es im Übrigen auch noch einige aktuel- überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte le Anlässe. Ein Anlass war, dass der Deutsche Bun- ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltun- destag für die im nächsten Jahr stattfindenden Bun- gen? - Ich unterstelle, dass die Überweisung an den destagswahlen ebenfalls das Verfahren nach Sain- Finanzausschuss erfolgen soll. te-Laguë/Schepers eingeführt hat. Das ist neu. Ba- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich würde sagen, den-Württemberg hat das Gleiche getan. Wir haben an den Innen- und Rechtsausschuss, Herr jetzt übrigens auch zwei Kommunal- beziehungs- Präsident! - Unruhe) weise Kreisparlamente, nämlich den Kreistag - Wenn hierüber noch keine Einigung besteht, dann Schleswig-Flensburg und den Rat der Stadt Flens- weise ich darauf hin, dass bei diesem Antrag natür- burg, die beschlossen haben, den Landtag aufzufor- lich auch der Wirtschaftsausschuss und andere Aus- dern, das Kommunalwahlgesetz so zu ändern, dass schüsse mitberatend tätig werden können. das Zählverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers ein- geführt wird. Wir bekommen hier also auch Unter- (Heiterkeit) stützung von den Kommunen. Es tut sich was. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP) Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ich hoffe, weitere Unterstützer werden folgen. Inso- Änderung des Gesetzes über die Wahlen in den fern ist Bewegung in diesem Thema, und ich denke, Gemeinden und Kreisen in Schleswig-Holstein es ist gut, wenn wir uns jetzt damit beschäftigen (Gemeinde- und Kreiswahlgesetz - GKWG -) und dies nun in einem Rutsch gemeinsam in Gang Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE setzen. GRÜNEN Ich denke, wenn sogar die Große Koalition in Ber- Drucksache 16/2201 lin in der Lage ist zu reagieren - das hängt natürlich auch mit der verfassungsrechtlichen Situation zu- Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das sammen - und zu sagen, d’Hondt ist veraltet, wir ist nicht der Fall. Ich eröffne die Grundsatzberatung wechseln jetzt zu Sainte-Laguë/Schepers über, dann und erteile dem Antragsteller, Herrn Abgeordneten könnte sich ja auch die Große Koalition in Kiel Karl-Martin Hentschel, das Wort. einen Ruck geben und sich in Bewegung setzen. In der letzten Sitzung hatte der Kollege Puls noch ge- Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sagt, so etwas müssten kleinere Parteien im Koaliti- NEN]: onsvertrag aushandeln; so etwas machten die Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und großen Fraktionen nicht, da es ihnen ja schaden Herren! Wir hatten in der letzten Plenartagung im würde. Es ist völlig richtig, was Sie sagen: Das jet- Juli eine Änderung des Landeswahlgesetzes vorge- zige Wahlsystem benachteiligt eindeutig kleine schlagen. Dabei ging es um zwei Punkte. Zum Parteien. einen sollte die Sitzverteilung auf die Parteien nicht (Beifall bei der FDP - Günther Hildebrand mehr nach dem Verfahren nach d’Hondt vorge- [FDP]: Richtig!) nommen werden, sondern durch das Verfahren Sainte-Laguë/Schepers. Des Weiteren forderten wir Deswegen schlagen wir natürlich die Änderungen die Streichung der Deckelung der Ausgleichsman- auch vor. Ich meine aber, das Thema hat auch eine date. In dieser Landtagsdebatte von Juli hat sich ja verfassungsrechtliche Komponente, und deswe- gen möchte ich noch einmal aus dem Urteil des Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6917

(Karl-Martin Hentschel)

Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juli 2008 zitie- Wähler gibt. Aber dieses Verfahren liefert doch die ren: bestmögliche Annäherung. Und genau darum geht es ja. „Aus dem Grundsatz der Wahlgleichheit folgt für das Wahlgesetz, dass die Stimme ei- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nes jeden Wahlberechtigten grundsätzlich und FDP) den gleichen Zählwert und die gleiche recht- Zu der Frage der Ausgleichsmandate kann ich, das liche Erfolgschance haben muss. Alle Wähler muss ich sagen, nur den Kopf schütteln. Der Herr sollen mit der Stimme, die sie abgeben, den Innenminister - leider ist er gerade nicht hier - er- gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis ha- klärte am 24. Juli 2008: ben.“ „Das Innenministerium wird nicht gegen Be- Ich finde, das sind ganz klare Worte, die das Bun- schlüsse einzelner Vertretungen zur Gültig- desverfassungsgericht hier gefunden hat. Das be- keit der Kommunalwahlen vom deutet, dass das, was wir zurzeit hier haben, dass 25. Mai 2008 klagen, sofern darin eine höhe- nämlich die für kleinere Parteien abgegebenen re Mandatszahl festgelegt wurde, als sie nach Wählerstimmen deutlich weniger Gewicht haben der Rechtsauffassung des Innenministeriums als die Stimmen für große Parteien, weil nach dem möglich ist.“ d’Hondt-Verfahren die Schranken relativ hoch lie- gen, bevor die ersten Sitze errungen werden kön- Ich finde, das ist ein absurdes Schreiben. Das hat nen, nicht kompatibel mit der Aussage des Bundes- dazu geführt, dass wir in Schleswig-Holstein die Si- verfassungsgerichts ist. Ich warne die Große Koali- tuation haben, dass in einigen Gemeinden und Krei- tion auch davor, noch einmal in eine rechtliche sen Gemeindevertreter Sitze bekommen haben, Auseinandersetzung zu gehen. Vielmehr schlage während andere bei einem vergleichbaren Wahler- ich vor, dass wir im Ausschuss konsensual hierüber gebnis keine Sitze bekommen haben. Das heißt, die beraten und dass wir das, was jetzt mittlerweile die Frage, wie viele Gemeindevertreter in dem jeweili- Mehrzahl der Bundesländer sowie auch der Bund gen Gremium sitzen, entscheiden nicht mehr das machen, auch in Schleswig-Holstein übernehmen Recht und der Gesetzgeber, sondern die Mehrheit und zum Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers im Gemeinderat. Das kann doch nicht Wirklich- wechseln. keit sein. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und FDP) FDP und SSW) Was die Beurteilung nach mathematischen Kriteri- en angeht, so kann ich nur sagen: Es gibt keinen Präsident Martin Kayenburg: Disput darüber, dass alle Mathematiker sich einig Herr Kollege Hentschel, Ihre Redezeit ist abgelau- sind, dass das Verfahren nach Sainte-Laguë/Sche- fen. pers das mathematisch korrekte Verfahren ist. (Günther Hildebrand [FDP]: Richtig!) Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das Hare-Niemeyer-Verfahren liefert fast immer die gleichen Ergebnisse - dieses Verfahren wäre ja Nur noch ein letzter Satz, Herr Präsident: Ich finde, die Alternative -, es führt jedoch in ganz seltenen das muss dringend geändert werden. Sonderfällen zu einem Paradoxon, das ich jetzt (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, nicht erläutern will, weil das relativ kompliziert wä- FDP und SSW) re. Nur so viel: Es kann passieren, dass eine Partei dadurch, dass sie bei einer Wahl mehr Stimmen be- Präsident Martin Kayenburg: kommt als eine andere, anschließend weniger Sitze hat. Dieses Paradoxon, das in seltenen Fällen auf- Für die Fraktion der CDU hat der Herr Abgeordne- treten kann, wird durch das Verfahren nach Sainte- te Werner Kalinka das Wort. Laguë/Schepers vermieden. Deswegen ist dies das mathematisch korrekte Verfahren. Auch hier Werner Kalinka [CDU]: kommt es nicht immer zu einer hundertprozentigen Abbildung des Wählerwillens; das ist nie mög- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wieder lich. Wenn man dies erreichen wollte, müsste man einmal geht es um die Ausgestaltung des Wahl- ebenso viele Menschen im Parlament haben, wie es rechts; Herr Kollege Hentschel hat die zwei konkre- 6918 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Werner Kalinka) ten Punkte genannt. Ich möchte der Fraktion von mich kennen, Herr Kollege Hentschel, sind dies BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dafür danken, dass keine leeren Worte. sie die beantragten Wahlrechtsänderungen sowohl Sie haben recht: Beim Wahlrecht besteht - das ist für das Landes- als auch für das Gemeinde- und auch unsere Auffassung - beim Thema Ausgleichs- Kreiswahlrecht inhaltsgleich umzusetzen gedenkt. mandate Handlungsbedarf - je schneller, desto bes- Ich glaube, es ist richtig, diese Diskussion hier zu ser. Es ist ein untragbarer Zustand, dass wir eine führen. ungleiche Handhabung in Schleswig-Holstein ha- Zu den beiden Punkten! Über die Frage des Sitz- ben. verteilungsverfahrens gibt es schon seit Jahren Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch hierzu et- unterschiedliche Meinungen. Dies führt in der Re- was sagen, damit unsere Position klar ist, Herr Kol- gel dazu, dass die kleineren Parteien das ihnen lege Hentschel. Das Innenministerium hat Anlass, vorteilhafter erscheinende Verfahren im Rahmen in diesem Punkt selbstkritisch nachzudenken. von Koalitionsvereinbarungen durchsetzen. Die CDU-Landtagsfraktion befürwortet nach wie vor (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Beibehaltung des Verfahrens nach d’Hondt, und NEN und SSW) ich denke, dass auch die Diskussion um die Fünf- Das kann man nicht anders bewerten, meine Damen prozentklausel in diesem Zusammenhang gesehen und Herren. Am Wahlabend hieß es, es sei so, wie werden muss. Diese geht in eine bestimmte Rich- es am Wahlabend entweder vor Ort oder - wie heißt tung, die auch hier Eingang gefunden hat. es heute so schön? - „mit Beratung aus Kiel“ fest- (Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE gestellt worden sei. In den nächsten Tagen hieß es, GRÜNEN]: Damit haben Sie auch schon ver- es gebe überhaupt nichts, worüber man diskutieren fassungsrechtliche Probleme gehabt!) müsse. Dann haben sich engagierte Kommunalpoli- tiker, Landtagsabgeordnete und auch der Innen- - Herr Kollege Hentschel, wir haben zügig gehan- und Rechtsausschuss am 4. Juni 2008 intensivst delt. Zügiger konnte man gar nicht handeln. Das dieses Themas angenommen, und wir sind in dieser möchte ich zu diesem Thema ausdrücklich sagen. Sitzung zu aufschlussreichen Ergebnissen gekom- Auch Sie bekommen es nicht hin, das Wahlverfah- men. Das kann man überhaupt nicht bestreiten. ren im Detail mit Gerechtigkeit gleichzusetzen. Dann folgte im Juli eine Erklärung des Herrn In- Denn sonst kämen wir nicht zum nächsten Punkt, nenstaatssekretärs, die Sie hier zitiert haben. Die über den wir gleich zu sprechen haben. Also, ein „KN“ hat dann kommentiert: Lieber sollte man mal Wahlverfahren beinhaltet nie eine hundertprozenti- einen Fehler eingestehen, als so zu tun, als habe ge Gerechtigkeit; das haben Sie eben auch schon man immer recht. - Dies ist eine Weisheit, die im dargelegt. Insofern muss man dies relativieren. Leben grundsätzlich nicht unklug ist. (Dr. Johann Wadephul [CDU]: So ist es!) (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE Hinsichtlich der Zahl von Ausgleichsmandaten für GRÜNEN) erzielte Überhangmandate gibt es inzwischen drei Insofern, meine Damen und Herren, wird dieser mögliche Varianten: Aspekt in der Debatte sehr wohl angesprochen. Wir Erstens. Die Zahl der Ausgleichsmandate darf die müssen und werden im Ausschuss mit dem Ziel be- Zahl der Überhangmandate nicht übersteigen. raten, eine klare gesetzliche Regelung zügig auf den Weg zu bringen. Der jetzige Zustand kann so Zweitens. Die Zahl der Ausgleichsmandate darf nicht bestehen. Ich denke, dass wir aus dem Parla- höchstens doppelt so hoch sein wie die Zahl der ment heraus einen wirkungsvollen Beitrag dazu ge- Überhangmandate. leistet haben, um offen und intensiv über diese Fra- Drittens. Die Zahl der Ausgleichsmandate wird der gen zu diskutieren. Bei diesem Thema besteht un- Höhe nach überhaupt nicht begrenzt und deren Zahl streitig Handlungsbedarf. könnte daher mehr als das Doppelte der Überhang- (Beifall bei CDU, FDP und BÜNDNIS 90/ mandate ausmachen. - Diese Variante, die Sie be- DIE GRÜNEN) vorzugen - Sie haben es dargelegt -, hält die CDU- Landtagsfraktion für eher problematisch, da damit ein unkontrolliertes Ansteigen der Sitze verbunden Präsident Martin Kayenburg: sein könnte. Allerdings werden wir darüber im Für die Fraktion der SPD erteile ich dem Herrn Ab- Ausschuss sprechen, und wie Sie uns und auch geordneten Klaus-Peter Puls das Wort. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6919

Klaus-Peter Puls [SPD]: Kollege Hentschel, dann im zuständigen Fachaus- schuss für Inneres und Recht weiter unterhalten. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich Das gilt auch für das Stimmenzählverfahren. kann mich im Wesentlichen auf meinen Wortbei- trag in der Landtagsdebatte vom 16. Juli dieses Jah- (Beifall bei der SPD) res beziehen. Damals ging es um eine Vorschrift im Wahlgesetz für den Landtag, nämlich um § 3 des Präsident Martin Kayenburg: Landeswahlgesetzes. Heute geht es um eine Vor- schrift im Gemeinde- und Kreiswahlgesetz; § 10 Für die Fraktion der FDP erteile ich dem Herrn Ab- soll geändert werden. geordneten Günther Hildebrand das Wort. Beide Vorschriften sind nahezu wortgleich und sol- Günther Hildebrand [FDP]: len den Ausgleich sogenannter Überhangmandate regeln, zu denen es kommen kann, wenn eine Partei Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! mehr Direktmandate erreicht, als ihr nach dem pro- So sehr wir den Antrag der Fraktion BÜNDNIS zentualen Wahlergebnis zustehen. Beide Vorschrif- 90/DIE GRÜNEN in seiner inhaltlichen Richtung ten sind juristisch nicht eindeutig formuliert. Sie begrüßen, so sehr ist er auch dürftig. Denn es ist na- lassen verschiedene Auslegungen zu, die in be- türlich eine sinnvolle Änderung des Kommunal- stimmten Fällen trotz unstreitiger Stimmenzahlen wahlrechts, die künftige Sitzvergabe in den Ge- für die einzelnen Parteien zu Streit über die Sitz- meinderäten und Kreistagen nach dem Verfahren verteilung in den gewählten Vertretungen führen Sainte-Laguë/Schepers vorzunehmen, aber es ist können. doch vernünftiger, das Kommunalwahlrecht insge- samt einer Reform zuzuführen. Bei den gerade durchgeführten Kommunalwahlen vom 25. Mai des Jahres hätten die unterschiedli- (Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE chen Rechtsauffassungen in insgesamt 15 Fällen zu GRÜNEN]: Habe ich letztes Jahr einge- unterschiedlichen Ergebnissen bei der konkreten reicht!) Zusammensetzung der gewählten Vertretung führen Insofern hat es uns schon ein wenig verwundert, können. In neun dieser insgesamt 15 Fälle ist es tat- warum die Grünen gerade nach den Erkenntnissen sächlich zu Einsprüchen gegen die vor Ort festge- der letzten Kommunalwahl nicht einfach ihren alten stellte Sitzverteilung gekommen. In einem dieser Gesetzentwurf - allerdings handwerklich verbessert Fälle - Bad Segeberg - kam es auch schon zur Kla- - zum Kommunalwahlrecht mitsamt des Kumulie- ge gegen das festgestellte Wahlergebnis vor dem rens und Panaschierens eingebracht haben. So Verwaltungsgericht Schleswig. wird doch wieder nur ein Gesetz an ein oder zwei Das Ziel der Anträge der Grünen, für künftige Stellen leicht verändert. Landtags- und Kommunalwahlen durch eindeutige Im Übrigen greift der Gesetzentwurf auch an ande- Gesetzesformulierung Klarheit zu schaffen, habe rer Stelle zu kurz. Wenn wir die Sitzverteilung in ich für die SPD-Landtagsfraktion bereits unmittel- den Gemeindevertretungen und Kreistagen künftig bar nach der Kommunalwahl in der Sitzung des In- nach Sainte-Laguë/Schepers vornehmen, frage ich nen- und Rechtsausschusses am 4. Juni 2008 sinn- mich, wie dann die Besetzung der Ausschüsse er- gemäß mit den Worten formuliert, dass der offen- folgt. Soll diese - wie es auch nach Ihrem Gesetz- bar vorliegende gesetzgeberischer Murks, der jetzt entwurf weiterhin vorgesehen ist - immer noch zutage getreten sei, dazu führen müsse, dass wir nach d’Hondt erfolgen? - Das wäre ein wesentlicher uns als Gesetzgeber damit beschäftigen und für Systembruch. Klärung sorgen, damit für die Zukunft dieser Para- graf - gemeint war § 10 des Gemeinde- und Kreis- Insofern sollten wir uns eher darüber Gedanken ma- wahlgesetzes - eindeutig und überall im Lande so chen, ob es derzeit nicht angebrachter erscheint, angewendet wird, wie wir es als Parlament und Ge- Änderungen der Gemeinde- und Kreisordnungen setzgeber wollen. vorzunehmen. Denn Ausschussneubesetzungen, Ausschussumbesetzungen und -nachbesetzungen In der Zielsetzung sind wir uns also mit der Land- finden in den Gemeinden und Kreisen öfter statt. tagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einig. Die nächste Kommunalwahl ist hingegen erst 2013. Über die inhaltliche Ausgestaltung der einschlägi- So gibt es in der Gemeindeordnung zunächst drin- gen Vorschriften und konkrete Formulierungen gendere Dinge abzuarbeiten, wie sich nach den sollten wir uns in gemeinsamer Beratung beider letzten Kommunalwahlen gezeigt hat. Gesetzentwürfe der Grünen in einem Rutsch, Herr 6920 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Günther Hildebrand)

Wir haben dazu bereits Vorschläge ausgearbeitet sicht nun alle Interpretationen duldet. Wenn eine und werden diese zur Oktober-Tagung in dieses Kommune also nicht der Auffassung der Kommu- Haus einbringen. nalaufsicht folgt, dann wird nicht eingeschritten. Das mag eine pragmatische Lösung sein. Rechts- (Beifall bei der FDP) staatlich ist sie nicht minder bedenklich, und sie Meine Damen und Herren, der zweite Punkt, der im führt auch nicht zu einer endgültigen Klärung. Gesetzentwurf der Grünen aufgearbeitet wird, ist (Beifall bei der FDP) die Frage, wie viele weitere Sitze nach einer Kom- munalwahl und vorliegenden Überhangmandaten Klärung bringt hier die im Gesetzentwurf vorge- als Ausgleichsmandate verteilt werden dürfen. Die schlagene Lösung, die die Grenze für die Vergabe Grünen greifen damit die Debatte um den Streit weiterer Ausgleichsmandate erst dort setzt, bis die über die Auslegung des geltenden Gesetzestextes dem Wahlergebnis entsprechende verhältnismä- auf. ßige Sitzverteilung erfolgt ist. Das ist so weit in Ordnung. Aber auch hier drängt die Zeit nicht Kurz zur Erinnerung: Das Innenministerium hat bei mehr. In den Kreisen und Kommunen haben die der Sitzvergabe entgegen der geltenden Rechtspre- Wahlprüfungsausschüsse inzwischen getagt und die chung die Auffassung vertreten, dass nur so viele Ergebnisse der Sitzverteilung bereits bestätigt. Ausgleichsmandate verteilt werden dürfen, wie Auch hier: Die nächste Wahl ist erst 2013. Überhangmandate nach einer Wahl entstanden sind. Die Rechtsprechung sagt hierzu klar, dass Wir sollten daher vielleicht noch einmal gründli- nach dem Kommunalwahlrecht die doppelte An- cher an die Aufarbeitung und Änderung des Kom- zahl der entstandenen Überhangmandate als Aus- munalwahlrechts und der Gemeinde-, Amts- und gleichsmandate vergeben werden können. Kreisordnung gehen und nicht in Form von punktu- ellen Schnellschüssen. Hier ist eine handwerkliche Herr Kollege Kalinka, Sie haben gesagt, dass Sie und inhaltlich systematische Arbeit gefordert. Das gegen den dritten Weg sind, nämlich dass die Sitze Ergebnis von Gesetzentwürfen ist wichtiger als der nach dem Verhältnis der Stimmen zu verteilen sind. Absender. Das ist klar, weil Sie durch diese Regelung über- haupt nicht dazugewinnen können, sondern immer (Beifall bei der FDP) einen Vorteil haben. Damit werden Sie der Sache Wir werden in den weiteren Beratungen hierzu er- insgesamt nicht gerecht. Die Rechtsprechung sagt gänzende Vorschläge unterbreiten und insgesamt ganz klar, wie das zu handhaben ist. zur Gemeindeordnung und Kreisordnung in der Ok- tober-Tagung, wie angekündigt, einen Gesetzent- Präsident Martin Kayenburg: wurf einbringen. Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfra- (Beifall bei der FDP) ge des Herrn Abgeordneten Kalinka? Präsident Martin Kayenburg: Günther Hildebrand [FDP]: Für die Abgeordneten des SSW hat die Vorsitzen- Ja, bitte schön. de, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk, das Werner Kalinka [CDU]: Herr Hildebrand, Wort. bestätigen Sie mir, dass ich nicht dagegen ge- sprochen habe, sondern gesagt habe, das sei Anke Spoorendonk [SSW]: problematisch und erörterungsbedürftig? Das Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ist ein kleiner, aber feiner Unterschied. Demokratische Wahlgesetze sind nichts, was durch - Vielen Dank, Herr Kollege. Heute wurde schon Gott oder eine andere höhere Instanz der Gerechtig- einmal gesagt, dass die Hoffnung zuletzt stirbt. In- keit geschaffen wird. Wahlrecht wird von Men- sofern hoffe ich jetzt auf die Ausschussberatungen schen gemacht, und zwar von Menschen, die unmit- und Ihre Einsicht. telbar davon betroffen sind. Das kann auch nicht anders sein. Dies aber gemahnt auch zur Sensibili- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tät. Denn ein zu stark von Parteiinteressen gepräg- Zur Zahl der Ausgleichmandate! Wir alle haben tes Wahlrecht wirkt im Ergebnis willkürlich oder diesen Streit verfolgt und zur Kenntnis nehmen dür- gar manipulierend und kann den Glauben in die Ge- fen, dass das Innenministerium als Kommunalauf- rechtigkeit demokratischer Wahlen schädigen. Das Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6921

(Anke Spoorendonk) oberste Ziel eines Wahlgesetzes muss es daher blei- setzgeber eine ebenso gerechte Verteilung der Sit- ben, die Stimmen der Wählerinnen und Wähler so ze in den Gremien der Kommunalvertretungen si- präzise wie nun einmal möglich in eine Mandats- chern kann. Auch in diesem Bereich muss es Re- verteilung zu übersetzen. geln geben, die kommunaler Willkür entgegenwir- ken. Ich halte es immer noch - ich glaube, ich habe (Beifall bei SSW und FDP) es bereits in der letzten Debatte angesprochen - für Dazu kann der vorliegende Gesetzentwurf beitra- eine deutliche Verfälschung des Wählerwillens. Ich gen. habe das Verteilungsverfahren für Ausschüsse und Durch die von den Grünen vorgeschlagene Man- Gremien am Beispiel Husum genannt, wo der SSW datsverteilung nach Sainte-Laguë/Schepers wird praktisch aus den Ausschüssen herausgedrängt wur- die Stimmabgabe der Wählerinnen und Wähler bes- de. Er ist dort mit 10,5 % der Stimmen nur in zwei ser abgebildet als durch das bisher angewandte Ausschüssen vertreten. Wenn die FDP und die Grü- d’Hondtsche Zählverfahren, das wegen seiner ver- nen trotz 4,3 % beziehungsweise 2,8 % weniger zerrenden Wirkung in vielen Wahlgesetzen wieder Stimmen jeder für sich mehr Ausschusssitze erlan- abgeschafft wurde. Dieser Vorschlag findet also un- gen konnten als der SSW, und wenn die CDU mit sere Zustimmung. rund dreimal so vielen Stimmen wie der SSW zwölfmal so viele Sitze in den Ausschüssen hat, Wahlrecht sollte so klar wie möglich gestaltet sein dann ist der Wurm darin. und eindeutig wirken. Vor diesem Hintergrund ist es sehr bedenklich, dass sich nach der Kommunal- (Beifall beim SSW) wahl im Mai 2008 zwei unterschiedliche Ausle- Da die demokratische Kultur vor Ort derlei Verzer- gungen des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes rungen des Wahlergebnisses offensichtlich nicht verbreitet haben. Die einen gehen davon aus, dass vorbeugen kann, muss auch für diesen Bereich eine bei der Berechnung der maximalen Anzahl der bessere rechtliche Regelung der Sitzverteilung ge- Ausgleichsmandate die Überhangmandate mitge- funden werden. Alles andere kann man niemandem rechnet werden dürfen. Die anderen meinen, dass vermitteln. Ich werde dies in die Ausschussberatun- die im Gesetz genannten „weiteren Sitze“ eben gen einbringen. nicht die überhängenden Mehrsitze umfassen. Ich (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE muss gestehen, dass mir beim Lesen des Ge- GRÜNEN) setzestextes letztere Auslegung richtiger erscheint. Aber wir sind nun einmal in der Situation, dass das Präsident Martin Kayenburg: Innenministerium für die Wahl 2008 de facto auch die zweite Lesart anerkannt hat, indem es auf eine Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich Klage verzichtet. Im besten Fall ist dies Ausdruck schließe die Beratungen. von Pragmatismus, der den Kommunen Arbeitsruhe Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Druck- geben will. Im schlimmsten Fall ist dies das Einge- sache 16/2201 an den Innen- und Rechtsausschuss ständnis, dass das Wahlgesetz schlampig gestrickt zu überweisen. Wer so beschließen möchte, den bit- wurde. Unter allen Umständen bedeutet dies aber, te ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthal- dass die Mandate in den Kommunen nach zweier- tungen? - Es ist einstimmig so beschlossen worden. lei Maß verteilt werden. Das ist alles andere als Rechtsklarheit. Bevor ich den Tagesordnungspunkt 12 aufrufe, be- grüße ich auf der Tribüne zunächst sehr herzlich die (Beifall beim SSW) Damen des Landfrauenvereins Nordstrand und die Deshalb begrüßen wir, dass die Grünen zumindest Besten des Abschlussjahrgangs 2008 der Steuerver- auf eine schnelle gesetzliche Klärung drängen. Den waltung des Landes Schleswig-Holstein. - Seien Sie Weg, die Begrenzung der Zahl der weiteren Sitze uns alle sehr herzlich willkommen! auf das Doppelte der Anzahl der Mehrsitze ersatz- (Beifall) los zu streichen, halten wir für praktikabel. Zwar wird die Kommunalvertretung bei vielen Über- Geschäftsleitend weise ich darauf hin, dass sich die hangmandaten größer, dafür spiegelt sie aber bes- Fraktionen darauf geeinigt haben, den Tagesord- ser die Stimmverteilung und damit den Wählerwil- nungspunkt 17 a heute ohne Aussprache zu behan- len wider. deln. Um 13 Uhr wird der Tagesordnungspunkt 17 c, Künstlersozialversicherung, aufgerufen, und Der SSW meint, dass in diesem Zusammenhang zwar mit jeweils Drei-Minuten-Beiträgen. nochmals zur Sprache kommen muss, wie der Ge- 6922 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Präsident Martin Kayenburg)

Nunmehr rufe ich Tagesordnungspunkt 12 auf: Wir Grünen haben uns seit Jahren für offensive, hu- mane und realistische Zuwanderungsstrategien Anerkennung von im Ausland erworbenen Ab- und auch für eine vernünftige Greencard-Lösung schlüssen stark gemacht. Wir haben aber immer wieder dar- auf hingewiesen, dass diejenigen, die schon hier Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind, von Behörden, Kammern und Arbeitsagentu- Drucksache 16/2202 ren ermutigt werden sollten. Stattdessen haben sie sich mit Behinderungen und Ausgrenzungen her- Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das umzuschlagen. ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Im Dezember 2007 stellte die Beauftragte der Bun- die Frau Abgeordnete Angelika Birk das Wort. desregierung für Migration, Flüchtlinge und Inte- gration, Maria Böhmer, fest, dass Migrantinnen und Migranten in dieser Gesellschaft nach wie vor ab- Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gehängt sind. Sie belegte dies mit einem Zahlenpa- Sehr geehrter Herr Präsident! Herzlichen Dank für ket. Es heißt eben nach wie vor: Geldbeutel und die Rücksichtnahme auf mein Zeitversäumnis. Ich Herkunft entscheiden über die Bildungskarrieren dachte, der Minister hätte noch das Wort. - Ich und den weiteren Lebensweg. Das wollen wir än- möchte Sie auf ein Thema aufmerksam machen, dern. das auch heute in der „Welt“ aufgegriffen wurde. (Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- Das sehen Sie, wenn Sie in den „Pressespiegel“ schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) schauen. Ich habe es übertitelt mit dem Titel: „Putz- frau mit Doktortitel“. Der Rückzug in die sogenannten Parallelgesell- schaften, der immer wieder vorgeworfen wird, hat Nach Schätzungen der Universität Oldenburg leben seine Ursache aber auch darin, dass die ausländi- heute in Deutschland zurzeit rund 500.000 zuge- schen Bildungswege und Diplome in Deutschland wanderte Akademikerinnen und Akademiker, deren zu selten anerkannt werden. Auf diese Weise kann Abschluss nicht anerkannt wurde und die deshalb sich keine bürgerliche Elite unter den Migranten unqualifiziert oder in nicht ausbildungsadäquaten herausbilden, die Vorbild für andere sein könnte. Tätigkeiten tätig sind. Diese Nichtanerkennung be- Uns selber sind zwar einige wenige Namen im Ge- ruflicher Qualifikation erschwert und verhindert dächtnis. Ich nenne hier beispielweise den Regis- nicht nur individuell die Aufnahme einer dem Bil- seur Fatih Akin und verweise auf Schauspielerin- dungsstand entsprechenden Erwerbstätigkeit, son- nen oder den großen Unternehmer von Öger Tours. dern bedeutet in volkswirtschaftlicher Hinsicht, Diese wenigen Blumen reichen aber noch nicht, um dass erhebliche Qualifikationsressourcen im Er- tatsächlich einen grünen Garten zu bauen, der es werbssystem brachliegen. vielen Migrantinnen und Migranten erlaubt, sich (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) daran zu orientieren und auch selber Erfolg zu ha- Diese langjährige Fehlentwicklung untergräbt ben. Dies gilt auch für die technischen Berufe. Es gleichzeitig die von der Bundesregierung ausdrück- kann nicht angehen, dass Bautechniker zu Anstrei- lich unterstützten Versuche, gezielt technische und chern dequalifiziert werden und Ingenieurinnen und akademische Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern für Ingenieure oder Lehrerinnen und Lehrer sich als Mangelberufe zu gewinnen. Hier verweise ich auf Reinigungskräfte und Haushaltshilfen durchschla- den Artikel vom 11. September 2008 in der „Welt“. gen müssen. Danach mahnt die OECD erneut an, dass sich Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Ar- Schleswig-Holstein leider in „guter Gesellschaft“ beitslosenquote. Das brauche ich nicht näher auszu- befindet. Deutschlandweit nämlich ist es so, dass führen. ausländische Fachkräfte unser Land meiden, we- Ich möchte jetzt auf den aktuellen Debattenstand niger häufig zu uns als in andere Länder kommen. eingehen. Erfreulicherweise ist es so gewesen, dass Offensichtlich hat sich inzwischen herumgespro- sich die Kultusministerkonferenz im letzten De- chen, wie sehr die Qualifikationen der schon früher zember mit den Migrantenorganisationen geeinigt nach Deutschland Eingewanderten oder nach hat, zu neuen Verfahren zu kommen und die Quali- Deutschland Geflüchteten hierzulande mit Füßen fikationen aufzuwerten. Ich möchte in diesem Zu- getreten werden. sammenhang auch den ausgezeichneten Leitfaden des Aktionszusammenschlusses „access“ erwäh- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6923

(Angelika Birk) nen, der deutlich macht, wie der Anerkennungspro- Das Anerkennungswesen in Bezug auf im Aus- zess derzeit in Schleswig-Holstein funktioniert, und land erworbene Berufs- und Hochschulabschlüsse der damit zugleich deutlich macht, wie viel noch zu in Deutschland ist noch unübersichtlich. Auf EU- tun ist. Nicht zufällig kommt ein solcher Leitfaden Ebene wird im Rahmen des Bologna-Prozesses die von einer Nichtregierungsorganisation. Vergleichbarkeit von Hochschulabschlüssen voran- getrieben, und zwar auch für den Bereich der beruf- Ich möchte Sie dafür gewinnen, dass Sie gemein- lichen Abschlüsse. Mit der Einführung eines Euro- sam mit uns unserem Antrag zustimmen. Wir wol- päischen Qualifikationsrahmens, EQR, sollen len endlich Taten sehen. Ich möchte Sie dafür ge- unter anderem die Vergleichbarkeit erreicht und ein winnen, dass wir uns auf realistische Ergebnisse Rahmen für die Anerkennung von Qualifikationen und Zielvereinbahrungen konzentrieren, damit wir im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bil- in fünf Jahren dieselbe Debatte nicht noch einmal dung erstellt und umgesetzt werden. führen müssen. Die Zentralstelle für ausländisches Bildungswe- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sen im Sekretariat der Kultusministerkonferenz ist Insofern richte ich meinen Appell an das ganze die zuständige Stelle für Angelegenheiten der Be- Haus, nicht zuzulassen, dass Migrantinnen und Mi- wertung und Einstufung ausländischer Bildungs- granten unterqualifiziert arbeiten. Tun Sie etwas für nachweise. Sie erbringt beratende und informatori- wirkliche Integration! sche Dienstleistungen für die mit der Anerkennung (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ausländischer Bildungsnachweise befassten Stellen in Deutschland, zum Beispiel für Ministerien, Be- hörden, Hochschulen und Gerichte. Sie hat selbst Vizepräsidentin Ingrid Franzen: keine Entscheidungsbefugnisse. Die Empfehlungen Ich danke der Frau Abgeordneten Angelika Birk. - der ZAB können gelegentlich den Charakter ver- Für die CDU-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter bindlicher Regelungen erhalten, wenn sie durch ei- Wilfried Wengler das Wort. ne gemeinsame Entschließung der Kultusminister- konferenz gebilligt werden. Wilfried Wengler [CDU]: Gesetzliche Vorgaben zu den Anerkennungsver- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! fahren in Bezug beruflicher Abschlüsse gibt es nur Schleswig-Holstein besitzt eine lange und prägende für Spätaussiedler und Spätaussiedlerinnen, die Migrationstradition mit zahlreichen Beispielen er- einen Rechtsanspruch auf Anerkennungsverfahren folgreicher Integration. Integration kann nicht ver- in allen Berufen haben, sowie hinsichtlich bestimm- ordnet werden. Sie erfordert Anstrengungen von al- ter Berufe auch für Unionsbürger und Unionsbürge- len, vom Staat und der Gesellschaft. Maßgebend ist rinnen. In weiten Teilen sind Zuwanderer bezüglich zudem die Bereitschaft der Zuwanderer, sich auf der Anerkennung ihrer Qualifikationen auf den frei- ein Leben in unserer Gesellschaft einzulassen. en Markt und damit auf die Bereitschaft und Fä- higkeit individueller Arbeitgeber verwiesen, Angesichts des demografischen Wandels und des fremdsprachige Zeugnisse zu akzeptieren und aus- globalen Wettbewerbs um die besten Köpfe sind ländische Ausbildungen zu bewerten. Dies ist ange- wir zunehmend auf einen positiven und pragmati- sichts Hunderter von Ausbildungsberufen im dua- schen Umgang mit Zuwanderung und Integration len System insbesondere bei Berufsausbildungen angewiesen. Dafür ist eine nachhaltige Integrati- und Meisterabschlüssen problematisch. Die formale onspolitik dringend erforderlich. Im Zusammen- Vergleichbarkeit von Berufsausbildungen und die hang von Globalisierung und gesellschaftlicher Plu- gegenseitige Anerkennung beruflicher Zeugnisse ist ralisierung ist nicht nur die Wirtschaft immer stär- bilateral zurzeit nur mit Österreich und Frankreich ker auf differenzierte sprachliche und interkulturel- sowie der Schweiz - in letzterem Fall jedoch nur für le Kenntnisse von Beschäftigten angewiesen, son- das Handwerk - geregelt. Die Kammern bieten al- dern auch der öffentliche Dienst, der mit seinen An- lerdings in vielen Fällen informelle Hilfestellungen geboten einer zunehmend differenzierten Nachfrage und Anerkennungsmöglichkeiten an. Hier wird mit nach öffentlichen Dienstleistungen Rechnung zu Hilfe der Einführung des schon erwähnten Europäi- tragen hat. Vor diesem Hintergrund haben sich die schen Qualifikationsrahmens - EQR - nachgebes- Bundesregierung und die Länder im Integrations- sert. plan verpflichtet, ihre Einstellungspraxis zu über- prüfen und eine gezieltere Personalrekrutierung zu Bund, Länder und die Wirtschaft haben sich im Na- betreiben. tionalen Integrationsplan verpflichtet, Anerken- 6924 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Wilfried Wengler) nungsverfahren und Maßnahmen zu optimieren. im Ausland erworbenen Abschlüsse. Deswegen Die Länder betonen, dass im Ausland erworbene greift der Antrag der Grünen eine Problematik auf, Schul-, Bildungs- und Berufsabschlüsse volkswirt- mit der wir uns auf jeden Fall ernsthaft beschäfti- schaftlich besser genutzt werden müssen und in die- gen sollten. sem Zusammenhang auch Teilanerkennungen und (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gezielte Nachqualifizierungen sinnvoll wären. Die Anzahl der Anträge auf Anerkennung im Aus- Eine deutliche Verbesserung der Arbeitsmarktinte- land erworbener beruflicher Qualifikationen ist in gration von Menschen mit Migrationshintergrund Deutschland relativ gering. Gründe hierfür können ist sowohl aus sozial- und gesellschaftspolitischen meines Erachtens die hohen Zugangsschwellen als auch aus volkswirtschaftlichen Gründen gebo- sein. Herr Wengler hat ausführlich berichtet, wie ten. Auch angesichts der demografischen Entwick- viele schwierige Prozesse notwendig sind, um zu lung und des Rückgangs des Arbeitskräfteangebots einer Anerkennung des Abschlusses zu kommen. in Deutschland ist es ein wichtiges Anliegen von Die Vergleichbarkeitsprüfung eines ausländi- Politik und Wirtschaft, die Erwerbsbeteiligung schen Aus- oder Weiterbildungsabschlusses wird der Migrantenbevölkerung gezielt zu erhöhen. von den IHK und Handwerkskammern durchge- führt. Wenn eine Gleichwertigkeit besteht, darf die Vizepräsidentin Ingrid Franzen: deutsche Berufsbezeichnung geführt werden. Aller- Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen. dings ist die vollständige Gleichwertigkeit selten gegeben. Daher nehmen die Kammern Einstufun- Wilfried Wengler [CDU]: gen vor. Diese führen aber in der Regel nicht zur Anerkennung des Berufes und in der Regel auch Ich komme zum Schluss. - Vor diesem Hintergrund nicht zu der gewünschten tariflichen Einstufung bei hat die Bundesregierung beschlossen, im Rahmen einer Beschäftigung. der europäischen Beschäftigungsstrategie bei der Umsetzung des Bundesprogramms zum Europäi- Ein weiterer wichtiger Problempunkt ist meines Er- schen Sozialfonds für die Förderperiode von 2007 achtens, dass die Bedeutung informellen Wissens bis 2013 ein besonderes Augenmerk auf migrati- und informell erworbener Kompetenzen im Berufs- onspolitische Aspekte zu richten und den Nationa- leben zunimmt. Wir alle haben oft über das Stich- len Integrationsplan durch eine Reihe zusätzlicher wort „lebenslanges Lernen“ diskutiert. In Deutsch- Maßnahmen besonders zu unterstützen. Wir sind al- land erfahren aber das lebenslange Lernen und die so auf einem guten Weg, aber es bleibt noch viel zu informellen Kompetenzen leider nicht dieselbe tun. Ich beantrage daher die weitere Beratung des Wertschätzung wie formale Abschlüsse. Um eine vorliegenden Antrags im Innen- und Rechtsaus- Anerkennung informeller Qualifikationen zu erlan- schuss sowie im Bildungsausschuss. gen, gibt es bislang nur das Instrument der Exter- nenprüfung. Und das ist für Bereiche wie soziale (Beifall bei CDU und SPD) Kompetenz oder interkulturelle Kompetenz, glaube ich, ein sehr schwieriges Verfahren. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Soweit in Kürze noch einmal die Situation. Was Ich danke Herrn Abgeordneten Wengler. - Für die sollte man meiner Meinung nach also tun? SPD-Fraktion hat nun Frau Abgeordnete Anette Wegen der besonderen Stellung der Kammern wird Langner das Wort. eine Zentralisierung in der Praxis der Anerkennung kaum möglich sein. Möglich ist jedoch der Zugang Anette Langner [SPD]: zu mehr Informationen, zu mehr Transparenz. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Frau Birk hat dafür wichtige und gute Beispiele ge- und Herren! Bei einem sich abzeichnenden Fach- nannt. kräftemangel in Deutschland muss es natürlich Herr Wengler ist auch auf die EU-Richtlinie zur grundsätzlich in unserem Interesse sein, einerseits Anerkennung von Berufsqualifikationen eingegan- die grenzüberschreitende Mobilität von Arbeits- gen. Ich glaube, die Anwendung des Europäischen kräften zu fördern und andererseits das fachliche Qualifikationsrahmens, der eine bessere Ver- und berufliche Potenzial von in Deutschland leben- gleichbarkeit von Berufsabschlüssen zulässt, geht den Migrantinnen und Migranten zu nutzen. Ein in die richtige Richtung. Allerdings muss man auch entscheidendes Hindernis dabei - darauf ist hinge- hier sagen, dass die europäischen Verfahren Men- wiesen worden - ist in der Tat die Anerkennung der schen mit Abschlüssen, die außerhalb der EU er- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6925

(Anette Langner) worben worden sind, beispielsweise in Afrika, Asi- teresse daran, das Thema im Bildungsausschuss zu en oder den USA, benachteiligen. Die EU-Richtli- diskutieren. Dagegen hätte ich auch nichts. nie überlässt die Regelung der Anerkennung von (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE Bildungsnachweisen aus Drittstaaten den Mit- GRÜNEN) gliedstaaten selbst. Hier besteht sicherlich Hand- lungsbedarf, den wir leider auf Landesebene nicht unmittelbar befriedigen können. Aber sicherlich Vizepräsidentin Ingrid Franzen: kann man in Zusammenarbeit mit anderen Bundes- Ich danke der Frau Abgeordneten Anette Langner. - ländern über Bundesratsinitiativen oder Ähnliches Das Wort für die FDP-Fraktion hat nun der Herr etwas erreichen. Abgeordnete Dr. Ekkehard Klug. Für die akademischen Abschlüsse - das ist hier auch schon angedeutet worden - wird sich die Frage Dr. Ekkehard Klug [FDP]: der grenzüberschreitenden europäischen Anerken- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das nung von Hochschulabschlüssen bald nicht mehr Anerkennungsverfahren für ausländische Bildungs- so konkret stellen, da es künftig durch die Teilnah- abschlüsse muss tatsächlich - da stimme ich den me am Bologna-Prozess mittlerweile schon weit Vorrednern zu - vereinfacht und entbürokratisiert über die Grenzen der Europäischen Union sicher- werden. In diesem Bereich ist noch sehr viel zu tun. lich viel leichter sein wird, im Ausland in Berufen Es hapert hier oft an notwendigen Konsequenzen tätig zu sein, für die ein Universitäts- oder Fach- aus dem ja seit Langem bestehenden Trend zur In- hochschulabschluss erforderlich ist. ternationalisierung von Schule, Studium und Be- Ich würde gern - ich sehe, ich habe sogar noch Zeit rufsausbildung. dafür - noch auf ein, wie ich finde, sehr spannendes Während etwa Auslandssemester, Schul- oder Stu- Modellprojekt des Hamburgischen Welt-Wirt- dienjahre im Ausland, insbesondere natürlich in- schafts-Institutes und des Hanseparlamentes hin- nerhalb Europas, heute die Lebens- und Bildungser- weisen, das auch für uns in Schleswig-Holstein in- fahrungen vieler junger Menschen bereichern, stößt teressant sein könnte. Ziel des Projektes, das im die Anerkennung von Abschlüssen, die im Aus- März 2008 beendet wurde, war es, zwischen den land erworben wurden, oft auf erhebliche Hürden. Kammern und den zuständigen Behörden im Ost- Dies betrifft sogar auch Abschlüsse aus anderen seeraum ein unbürokratisches System der gegensei- Mitgliedstaaten der Europäischen Union. tigen Anerkennung von Berufsabschlüssen zu errei- chen. Die Einführung eines Referenzberufes be- Erst kurz vor der Sommerpause wurde ich in einem schreibt ein virtuelles Berufsbild, das die optimalen solchen Fall um Unterstützung gebeten. Ein junger Qualifikationen des jeweiligen Berufes beschreibt. Kieler hatte Probleme, mit seinem in England er- Dieser Referenzberuf dient dann als Orientierung worbenen Schulabschluss in das Bewerbungsver- und Maßstab für die nationale Strukturierung und fahren für einen Studienplatz an einer hiesigen Anerkennung der einzelnen Berufe. Ich finde, das Fachhochschule hineinzukommen. Obwohl er sich ist ein sehr interessantes, weil auch unbürokrati- mit seinem englischen Schulabschluss ohne Proble- sches Verfahren. Vielleicht lohnt es sich, sich von me für Studiengänge an britischen Universitäten schleswig-holsteinischer Seite her noch einmal da- hätte bewerben können, gab es beim Bewerbungs- mit auseinanderzusetzen. verfahren in Kiel einfach eine Hürde, die erst über- wunden werden konnte, als ich mich mit einem In jedem Fall ist das Thema wert, im Ausschuss Brief an die Bildungsministerin und mit einem noch einmal intensiv diskutiert zu werden. Wir Schreiben an den Wissenschaftsstaatssekretär ge- können dann auch noch einmal darüber diskutieren, wandt hatte. Ich möchte Frau Erdsiek-Rave und wie wir mit Ihrem Antrag umgehen wollen, der in auch Jost de Jager ausdrücklich für ihre Hilfe in der Zielrichtung sehr gut gemeint ist, in der Ausfor- diesem Fall danken; denn im Interesse dieses jun- mulierung zum Teil ein bisschen bunt und für mei- gen Mannes konnte das Problem gelöst werden. nen Geschmack ein bisschen zu undifferenziert ist. Aber ich glaube, in der Zielrichtung wollen wir alle (Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki das Gleiche. Insofern freue ich mich auf eine Bera- [FDP]) tung im Ausschuss. Aber ich finde, es ist ein Unding, dass man in ei- Ich würde die Beratung im Wirtschaftsausschuss nem solchen Fall Abgeordnete, Minister oder vorschlagen, weil es durchaus ein Wirtschaftsthema Staatssekretäre einschalten und beschäftigen muss, ist. Aber ich glaube, es gibt von Ihrer Seite ein In- um eine eigentlich selbstverständliche Bewerbung 6926 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Dr. Ekkehard Klug) mit einem Schulabschluss aus einem anderen euro- nung ausländischer Berufsabschlüsse, sowie die päischen Staat zustande bringen zu können. Frage, wie Migrantinnen und Migranten im hei- mischen Arbeitsmarkt integriert werden können. (Beifall bei FDP und SPD) Um eines vorwegzuschicken: Keines der Themen Dieser Fall macht mir besonders deutlich, dass hier lässt sich im Handumdrehen per Antrag lösen, und in der Tat noch eine unbefriedigende Situation vor- beide Themen sind natürlich höchst relevant für un- liegt und dass hier noch ein erheblicher Handlungs- sere Gesellschaft. bedarf besteht. Wir sind ja nun seit über 50 Jahren Zunächst zur Problematik von im Ausland erworbe- in einer Europäischen Union, und da sollte man je- nen Berufsqualifikationen: Angesichts des anste- denfalls in Europa in punkto wechselseitiger An- henden Facharbeitermangels ist es zur Sicherung erkennung von Bildungsabschlüssen inzwischen unserer Wettbewerbsfähigkeit unumgänglich, Aus- eigentlich ein gutes Stück weitergekommen sein. ländern den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleich- Das geschilderte Beispiel veranlasst mich zu der tern. Im Zuge einer Freizügigkeit der Arbeitskräfte Anregung, in den Antrag der Grünen ausdrücklich ist das natürlich keine Einbahnstraße. Auch deut- auch schulische Abschlüsse mit aufzunehmen. Ich sche Arbeitskräfte leiden darunter, dass ihre Ab- denke, wir können uns im Rahmen der Aus- schlüsse im Ausland in manchen Fällen nur unter schussberatung mit diesem Antrag, der aus Sicht Schwierigkeiten anerkannt werden. Ich warne in der FDP-Fraktion eine gute Grundlage und eine gu- diesem Zusammenhang allerdings vor Diskussio- te Initiative darstellt, noch einmal vertiefend mit nen, die eine Vereinheitlichung der beruflichen dem Thema beschäftigen und vielleicht auch noch Qualifizierung anstreben. Wir wissen aus vielen mit den zuständigen Ministerien über das eine oder europäischen Diskussionen, dass eine Vereinheitli- andere sprechen. Insgesamt, wie gesagt, unterstüt- chung in der Regel die Einigung auf dem niedrig- zen wir die Initiative ausdrücklich. sten Standard bedeutet und langatmige Verhandlun- (Beifall bei der FDP) gen voraussetzt. Der vorhin genannte Europäische Qualitätsrahmen ist ja auch nicht unumstritten, weil Als Letztes möchte ich noch Folgendes kurz anmer- er von manchen auch als eine Einigung auf niedri- ken: Vor wenigen Tagen, am 9. September 2008, gem Niveau kritisiert wird. also vorgestern, gab es eine dpa-Meldung. Von mehreren Experten wurde ausdrücklich darauf hin- Der Antrag verweist meines Erachtens daher zu gewiesen, dass Deutschland bei der Anerkennung Recht auf die EU-Richtlinien, die es zu ändern gilt. ausländischer Bildungsabschlüsse insgesamt einen Doch eine vollständige Harmonisierung - das erheblichen Nachholbedarf hat. Das betrifft also sprach ich vorhin schon an - wird es nicht geben nicht nur das Land Schleswig-Holstein. Wir brau- und auch nicht geben können, dazu sind die Unter- chen - das wissen wir alle - in Zukunft verstärkt schiede in den jeweiligen nationalen Berufssystem- Fachkräfte in vielen Bereichen. Die werden wir en einfach zu groß. Hinzu kommt, dass es auch nur dann gewinnen können, wenn entsprechende nicht in unserem Interesse sein kann, eine Harmoni- Regelungen hinsichtlich der Berücksichtigung ihrer sierung herbeizuführen, denn die EU ist auch nicht Qualifikationen ein flexibles, einfaches, transparen- zuständig für Berufsabschlüsse. Darum sollten wir tes und unbürokratisches Verfahren ermöglichen. unsere Anstrengungen auf die Entwicklung mög- lichst einfacher Anerkennungsverfahren richten. (Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW) Wir brauchen in diesem Zusammenhang nicht zu- letzt verstärkte Bemühungen, zu einer bilateralen Einigung zu kommen. Es wäre auch für grenzüber- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: schreitende Zusammenarbeit im deutsch-dänischen Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Klug. - Das Grenzland von großer Bedeutung, wenn diese bila- Wort für den SSW im Landtag hat dessen Vorsit- teralen Absprachen verstärkt zu Ergebnissen führen zende, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk. könnten. Das Land ist auch nicht allein zuständig in diesem Anke Spoorendonk [SSW]: Bereich. Wo das Land direkt gefragt ist, ist die In- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tegration von Ausländerinnen und Ausländern Der vorliegende Antrag vermischt meines Erach- in den heimischen Arbeitsmarkt. So mancher qua- tens zwei Themenfelder: das Problem nicht kom- lifizierte Akademiker oder Facharbeiter sitzt untätig patibler Berufsqualifikationen, also die Anerken- herum, weil sich die Übersetzung seiner Zeugnisse hinzieht. Oder er ist im Behördendschungel auf der Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6927

(Anke Spoorendonk)

Suche nach der kompetenten Stelle, wo seine Ab- (Beifall bei SSW, FDP, BÜNDNIS 90/DIE schlüsse anerkannt werden. Auf diese Art und Wei- GRÜNEN sowie vereinzelt bei CDU und se werden - wir wissen das alle - eindeutig Ressour- SPD) cen vergeudet. Der schleswig-holsteinische Flüchtlingsrat bietet im Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Rahmen eines Projekts einen mehrsprachigen Ich danke der Frau Abgeordneten Anke Spooren- Wegweiser zur Anerkennung ausländischer Ab- donk. - Das Wort für die Landesregierung hat nun schlüsse an, der im Internet ständig aktualisiert der Wirtschaftsminister Dr. Werner Marnette. wird. Das Ganze nennt sich „access“ und will die Migranten mit einem sicheren Aufenthaltsstatus bei Dr. Werner Marnette, Minister für Wissenschaft, der beruflichen Integration unterstützen. Wirtschaft und Verkehr: (Beifall beim SSW und vereinzelt bei der Meine liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten SPD) Damen und Herren! Ich glaube, in der Beurteilung Es ist die Krux einer projektfinanzierten Vorge- der Lage sind wir uns alle einig. Wir sehen ganz hensweise, dass auch bei nachgewiesener Notwen- klar, dass es zu einer Verknappung von Fachkräf- digkeit eine Maßnahme zeitlich begrenzt ist. Das ten in bestimmten Branchen kommt und dass sich Projekt arbeitete seit 2005 und bot Informationen diese Situation sicherlich auch noch über die Jahre über die Anerkennung von Schul-, Berufs- und aka- verschlechtern wird. demischen Abschlüssen, über zuständige Stellen Ich kann allerdings einige Punkte des Antrags, Frau und den Verfahren zugrunde liegende Regelungen. Birk, nicht so ganz nachvollziehen und möchte dar- Die direkte Beratung endete allerdings im letzten auf kurz eingehen. Sehr viele Verfahren - insbeson- Jahr. Das Projekt ist zwar beendet, der Beratungs- dere im akademischen Bereich - sind einfach zu bedarf endete natürlich nicht. zeitaufwändig. Viele Zuwanderer kommen dabei in Ich weiß, dass die Kammern teilweise sehr enga- erhebliche Schwierigkeiten. Das Grundproblem ist giert die Informationssuchenden beraten und das meines Erachtens nicht eine mangelnde Vereinheit- natürlich kostenlos. Dennoch ist die kleinteilige lichung der Anerkennungsverfahren, sondern ein Struktur sehr unübersichtlich für Ausländer. Sie Problem der fachlichen Bewertung. Die Bildungs- müssen manchmal einen regelrechten Marathon strukturen in den Herkunftsländern, insbesondere durchlaufen, bis der richtige Ansprechpartner ge- in Nicht-EU-Ländern, sind sehr unterschiedlich, funden ist. Ob der dann auch tatsächlich den Ab- und die Zusammenarbeit mit den dortigen Behör- schluss anerkennt, ist dann wieder eine ganz andere den ist oft schwierig und auch sehr zeitaufwändig. Frage. Hier bot „access“ wirklich einen guten und Sie schlagen vor, die Verfahren für die Bewertung niedrigschwelligen Zugang. Diesem Beispiel soll- schulischer, beruflicher und hochschulischer Ab- ten die Arbeitsagenturen folgen. Eine Verbesserung schlüsse in einen Topf zu werfen. Ich halte das für der Beratung ist auf jeden Fall anzustreben. nicht sachgerecht. In Schleswig-Holstein, nicht aber in allen Bundesländern, gibt es über die gesetzli- (Beifall beim SSW) chen Verpflichtungen hinaus Angebote zur Ich denke aber, dass eine Projektfinanzierung dafür Gleichwertigkeitsprüfung. Für die Anerkennung nicht ausreichend ist. Es muss das Ziel sein, ein von im Ausland erworbenen Qualifikationen gibt es dauerhaftes Beratungsangebot zur Verfügung zu nämlich keine allgemeinen Rechtsgrundlagen und stellen. Ich denke, das ist etwas, was wir in der auch keinen allgemeinen Rechtsanspruch. Das gibt Ausschussberatung noch einmal miteinander disku- es nur speziell für die Gruppe der Aus- und Über- tieren sollten. siedlerinnen und -siedler. Die Zentralstelle für aus- ländisches Bildungswesen - kurz ZAB - im Sekreta- (Beifall beim SSW und vereinzelt bei SPD riat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Länder befasst sich zentral mit der Bewertung und Die angeschnittenen Problemfelder sollten wir also der Einstufung ausländischer Bildungsnachweise. wirklich vertiefen, und wir sollten versuchen, auch Frau Birk, es zeigt sich auch, dass dieser Antrag in einer Anhörung zu sehen, wie wir nachhaltige fast wörtlich in Bremen gestellt worden ist, aber Ergebnisse und ein nachhaltiges Angebot aufbauen darauf möchte ich hier nicht eingehen. können. Sie sprachen den Leitfaden an. Ich glaube, der Leit- faden ist nicht von Ihren NGO erfunden worden, 6928 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Minister Dr. Werner Marnette) sondern er ist hier erarbeitet worden und wird vom lung an den Europäischen Qualifikationsrahmen Bundesarbeitsministerium gefördert. Sie finden die- sorgen. sen Leitfaden auch im Internet im Wissensportal Wir brauchen allerdings - davon bin ich fest über- unseres Hauses und dort unter einem ganz speziel- zeugt - keine neuen Papiere wie dies im Be- len Stichwort. Ich möchte hier nochmals betonen - schlussvorschlag gefordert wurde, sondern das kon- weil es meines Erachtens nicht ganz klar heraus- sequente Abarbeiten des vereinbarten Fahrplans. kam -: Der Leitfaden enthält alle wichtigen Infor- Da gilt es, alle Anstrengungen und guten Ideen, die mationen und zuständigen Stellen für die Anerken- wir zu dieser Thematik haben, zusammenzuführen. nung ausländischer Schulabschlüsse, beruflicher Qualifikationen, akademischer Abschlüsse und so (Beifall bei CDU, SPD, FDP und SSW) weiter. Dort wird auch auf die Datenbank „Ana- bin“, das heißt „Anerkennung und Bewertung aus- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: ländischer Bildungsnachweise“ -, ausdrücklich hin- gewiesen, die eine umfangreiche Dokumentation Ich danke dem Herrn Minister. Weitere Wortmel- über das Bildungswesen einer Vielzahl ausländi- dungen liegen vor. - Das Wort für einen Kurzbei- scher Staaten über die verschiedenen Abschlüsse trag hat Herr Abgeordneter Karl-Martin Hentschel. und akademischen Grade sowie deren Wertigkeit anbietet. Und in wie vielen Sprachen ein solcher Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wegweiser erscheint, ist aus meiner Sicht nicht das NEN]: zentrale Grundproblem. Wir reden ja hier über Ich möchte zwei Dinge sagen. Erstens möchte ich Deutschland. Das Problem ist, wie wir es aus den mich bei dem Parlament bedanken. Ich finde es ei- praktischen Fällen wissen, die Schwierigkeit der ne ganz tolle Sache, wenn es möglich ist, eine In- fachlichen Bewertung. itiative zu starten, die von allen begrüßt wird und Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sind ins- auf die alle konstruktiv eingehen, ohne dass man in gesamt in der Bewertung dieser so entscheidenden Parteiengezänk verfällt. Es ein gutes Zeichen für Frage einer Meinung. Ich möchte daher noch ein- das Parlament, dass so etwas möglich ist, und dafür mal kurz zusammenfassen, welche Position wir in möchte ich mich bedanken. diesem zentralen Thema haben. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Im Bereich der Anerkennung von im Ausland er- SPD und vereinzelt bei der CDU - Wolfgang worbenen Abschlüssen ist noch sehr viel zu tun. Kubicki [FDP]: Was heißt das denn? Das Das müsste auch meines Erachtens in den Aus- machen wir nie!) schüssen sachgerecht, sehr konstruktiv und sehr zü- Zweitens. Ich wollte den Wirtschaftsminister doch gig bearbeitet werden. Da gibt es keine Differen- in einem Punkt widersprechen, und zwar bei der zen. Standardisierung. Die Bundesländer kooperieren sehr eng, um be- Ich glaube, wir brauchen eine Standardisierung. rufsspezifische, aber bundeseinheitliche Verfah- Wir müssen weg von den Einzelfällen. Wir müssen ren zu ermöglichen. Die Informationsmöglichkei- zumindest für die wichtigsten Länder von Einwan- ten sind auch im Internet vorhanden, sind aber wie derern Regelungen finden, die zu Standards führen. immer verbesserungsfähig. Es gibt eine Vielzahl Für jeden einzelnen ein Einzelverfahren durchzu- von Maßnahmen auch in Zusammenarbeit mit den führen und im Ausland ein Gutachten anzufordern, Arbeitsagenturen und Arbeitsgemeinschaften. Auch was sehr zeitaufwendig ist, ist unheimlich kompli- hier gilt es wieder, konzentrierter zu arbeiten. Ich ziert. Häufig enden diese Gutachten auch in den habe gerade über diese Thematik mit Herrn Profes- Mühlen der deutschen Bürokratie, das muss man sor Driftmann von der IHK gesprochen. einfach so sagen. Von daher wäre eine Standardi- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Ob das gut war?) sierung sehr hilfreich. Ich bitte darum, diesen An- satz weiter zu verfolgen. - Das mag ja sein, aber zumindest ist es ein Versuch wert, lieber Herr Kubicki. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Anette Langner Die Weichenstellungen werden auf Bundes- und [SPD]) EU-Ebene vorgenommen. Hierfür wird auch die ge- plante Einführung des deutschen Qualifikations- rahmens und seine bis 2010 zu erfolgende Kopp- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6929

Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Shared Space ist ein gemeinsam genutzter Ver- kehrsraum. Dieses Konzept beinhaltet neue Aus- Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich gangspunkte für den Gebrauch, den Entwurf und schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den die Unterhaltung unserer Straßen und öffentlichen Antrag Drucksache 16/2202 federführend an den Räume und hebt die herkömmliche Trennung der Wirtschaftsausschuss zu überweisen. verschiedenen räumlichen Funktionen auf. Das (Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Bildungsaus- entscheidende Merkmal ist, dass Verkehrsschilder, schuss!) Fußgängerampeln, Ampeln und andere Barrieren - Die Antragsteller haben gesagt, federführend solle nicht mehr nötig sind. Im Shared Space fügen sich der Wirtschaftsausschuss sein. Können wir uns dar- die Autofahrer rücksichtsvoll in das menschliche auf einigen, dass mitberatend eine Überweisung an Miteinander von Fußgängern, Radfahrern und spie- den Bildungsausschuss erfolgt? - Herr Wengler, es lenden Kindern ein. gab auch noch den Wunsch nach einer Überwei- Shared Space bedeutet nämlich auch neue Pla- sung an den Innen- und Rechtsausschuss? - Ich nungs-, Entwurfs- und Entscheidungsprozesse als denke, das ist wenig hilfreich. Ich frage also: Wer deren Resultat neue Strukturen für die Teilnahme ist dafür, den Antrag federführend an den Wirt- aller Parteien - also auch der Bürgerinnen und schaftsausschuss und mitberatend an den Bildungs- Bürger - entstehen. Shared Space bietet die Mög- ausschuss zu überweisen? Wer so abstimmen will, lichkeit, unsere Straßen sicherer zu machen, gesell- den bitte ich um sein Handzeichen. - Danke, das ist schaftliche Trennungen aufzuheben - nämlich die so beschlossen. Bevorzugung der Autofahrer auf allen Ebenen - und Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: die Attraktivität unserer Städte und Dörfer zu erhö- hen, damit unserer Wirtschaft nicht zuletzt auch ein Impuls in den besiedelten Räumen gegeben wird. Ermöglichung von kommunalen Shared-Space- Konzeptionen (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Shared Space wurde von Hans Mondermann ent- Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wickelt und in konkreten Projekten weiter ausgear- Drucksache 16/2213 beitet. Mit seinem Expertenteam leitete er auch das Ich habe einmal nachgesehen, das soll Konzeption europäische Projekt Shared Space, das zurzeit von für einen gemeinsam genutzten Raum heißen. sieben Partnern durchgeführt wird. Das sind die Gemeinden Haren und Emmen sowie die Provinz Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das Fryslân in den Niederlanden, die Städte Oostende ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und in Belgien, Bohmte in Deutschland, Ejby in Däne- erteile für die antragstellende Fraktion BÜNDNIS mark und Ipswich in England. Das Projekt wird 90/DIE GRÜNEN Herrn Abgeordneten Detlef vom europäischen INTERREG III B-Programm Matthiessen das Wort. North Sea gefördert. Das Hauptanliegen von Shared Space besteht darin, eine Lösung für eine der vor- Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dringlichsten Herausforderungen in unserer heuti- NEN]: gen Raumplanung zu finden, nämlich den Erhalt Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und die Verbesserung der räumlichen und sozialen und Kollegen! Shared Space heißt auf Deutsch ge- Qualitäten unserer bebauten und unbebauten Umge- meinsam genutzter Verkehrsraum. Das ist ein bung zu erhöhen. neuer Ansatz zur Raumplanung und eine Einrich- Das Projekt zielt nicht vordringlich auf die Ver- tung, die in ganz Europa immer mehr Beachtung drängung des motorisierten Verkehrs ab, der mit findet. all seinen Vor- und Nachteilen immer ein maßgeb- (Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg licher Faktor der Nutzung des öffentlichen Raums [CDU]) bleiben wird. Anstatt jedoch wie bisher die Einrich- tung unserer Städte, Dörfer und Landwirtschaften - Ja, Herr Präsident, ein besseres Wort ist mir bisher aus der Perspektive der Verkehrsplaner zu steuern, noch nicht eingefallen. Hoffentlich können wir das sollte nach Möglichkeiten gesucht werden, den bald auch mit einem deutschen Wort auf den Punkt Menschen und die räumlichen Qualitäten als steu- bringen. ernde Parameter einzusetzen. Das internationale Projekt möchte das Fachwissen von Raum- und Verkehrsplanern, von Soziologen, von Geografen, 6930 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Detlef Matthiessen) von Architekten und von Landschaftsarchitekten in- Karsten Jasper [CDU]: tegrieren, um in Zusammenarbeit mit den Straßen- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! benutzern neue Ansätze zur Verkehrsplanung zu Liebe Kollegen von den Grünen! Detlef Matthies- entwickeln und diese in lokalen Projekten auf ihre sen, ich bin dir außerordentlich dankbar dafür, dass Tauglichkeit in städtischen und ländlichen Räumen du die Drucksache 16/2213 in den Landtag ge- hin zu prüfen und zu entwickeln. bracht hast. Auf dem ersten Entwurf unserer Red- Es gilt, die Lebensqualität und die Sicherheit auf nerliste stand ein dickes Fragezeichen. Ich dachte: unseren Straßen zu verbessern, indem wir statt des Das ist ein wahnsinnig wichtiges Thema, es streiten Verkehrssystems den Menschen in den Vorder- sich wahrscheinlich noch unser Fraktionsvorsitzen- grund stellen. Wenn Kommunen in Schleswig-Hol- der Dr. Johann Wadephul, unser wirtschaftspoliti- stein an zentralen Orten diesen Ansatz umsetzen scher Sprecher Johannes Callsen, unser hochschul- wollen, dann sollten sie auch die Gelegenheit erhal- politischer Sprecher Niklas Herbst und unser Euro- ten, das zu tun. Unser Antrag möchte also den paexperte Manfred Ritzek darüber, wer zu diesem Kommunen empfehlen, das zu tun und es zu er- Thema reden darf. möglichen. Ich war am Dienstag sehr überrascht, als ich mei- Konkret geht es um einen Ansatz in Bad Segeberg. nen Namen auf der Liste gelesen habe. Ich war Wir wollen damit Bürgerinnen und Bürger intensiv überrascht, dass ich zu diesem wirklich staatstra- an Planungsprozessen beteiligen und Projektresul- genden Thema etwas sagen darf. Ich sagte mir: tate auch allen Interessenten zugänglich machen. Karsten Jasper, du redest zur Clusterpolitik des Wie man hört, trifft das in Bohmte in die Praxis Wirtschaftslandes Schleswig-Holstein, über Mee- umgesetzte neue Verkehrssystem auf hohe Akzep- respolitik oder über Medizinforschung. Wichtig tanz. In Hamburg haben sich die Koalitionspartner war für mich: Das gibt in meinem Wahlkreis den Schwarz und Grün gemeinsam auf solch ein Kon- absoluten Urknall. In Dithmarschen wird dann nicht zept verständigt. Man hört, dass der CDU-Ver- mehr über die Verwaltungsstrukturreform, sondern kehrsexperte sehr froh gewesen sei, dass die Grü- über Shared Space diskutiert. Das ist also eine nen mit in die Regierung gekommen sind, sodass er große Herausforderung für mich. endlich dieses Programm starten kann. In Eckern- Ich dachte, 80 % der hier sitzenden Leute haben förde haben wir durch den Umbau der Klarastraße Ahnung, Du gehörst zu den 20 %, die keine Ah- etwas Ähnliches gemacht. Optisch nimmt man nung haben - wie übrigens auch die Landtagspräsi- nicht mehr einen Bürgersteig, einen Fahrradweg dentin, die auch erst im Internet recherchiert hat. und eine Straße wahr, vielmehr fließt alles ineinan- Ich dachte mir, ich frage jemanden, der Ahnung der über. hat, ich frage den Kollegen Hamerich. Der hat et- was mit den Grünen gemeinsam, er ist unser forst- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: politischer Sprecher. Ganz wichtig ist, Kollege Ha- Herr Kollege, die Zeit! merich hat eine Frau, die aus England kommt. Er hat mir erklärt, Space heißt Raum. Shared heißt ge- Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- teilt. Das hat mich auch nicht viel weitergebracht. NEN]: Ich habe daraufhin im Internet recherchiert. Das führt - wie ich meine - zu einem etwas mensch- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Space shuttle!) licheren Verkehrsraum und auch öffentlichen Raum, als wir es bisher gewohnt sind. Ich empfehle - Ich hatte auch erst an Raumfahrt gedacht, aber so- dem Hohen Haus also, dies im Ausschuss zu vertie- weit sind wir in Schleswig-Holstein noch nicht. Ich fen und für Schleswig-Holstein dazu zu kommen, habe mir also die Drucksache herausgesucht, in der dieses moderne und menschenfreundliche Konzept auf Deutsch stand: Verkehrsberuhigung im weite- Wirklichkeit werden zu lassen. sten Sinne. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich habe aber trotzdem noch einmal im Internet re- cherchiert. Herr Matthiessen hat eben Hamburg an- gesprochen. Im „Hamburger Abendblatt“ - da Vizepräsidentin Ingrid Franzen: müssen sie einmal reinschauen, auf die entspre- Ich danke Herrn Abgeordneten Matthiessen. - Für chende Internetseite - wird nach einer vernünftigen die CDU-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Kar- Übersetzung gesucht. Der Siegername wird der sten Jasper das Wort. Stadtentwicklungssenatorin weiterge- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6931

(Karsten Jasper) leitet. Die ersten Vorschläge waren: „Allbahnstra- sicherung? Was ist mit seh- und hörgeschädigten ße“, „Gutwillstraße“, „Geh-Fahr-Straße“ oder Menschen? „Straße für alle“. Ich will also nicht verhehlen, dass dieses Thema Jetzt einmal ernsthaft. Ich habe als Bürgermeister nicht zu den dringlichsten Themen im Schleswig- der Gemeinde Tellingstedt schon 1994 so ein Pro- Holsteinischen Landtag gehört. Das zeigt mir auch jekt gemacht, mein lieber Detlef Matthiessen. Es die Präsenz hier im Haus. Ich habe mich auch ge- gibt bei uns ein Wohngebiet, das dieses Konzept fragt, was eigentlich die Menschen, die dort oben schon umgesetzt hat. auf der Tribüne sitzen, und im Land Schleswig- Holstein denken, wenn wir solche Themen hier im (Heiterkeit bei der CDU) Landtag diskutieren. Ich habe gedacht: Wie weltfremd sind eigentlich Wenn es nach mir ginge, würde ich den Antrag so- die Grünen? - Wie läuft so etwas ab? Als Bürger- fort ablehnen. Die Fraktion hat die Ausschussüber- meister habe ich gesagt, ich suche mir einen Planer, weisung empfohlen, dem schließe ich mich an. Ich der weiß Bescheid, und gehe nicht erst zum Kreis bitte Sie, das in den Ausschuss zu überweisen. und lasse mich darüber aufklären, was Shared Space eigentlich ist. Für mich ist das, was Sie hier (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der machen, ein bisschen sinnlos. FDP) (Wolfgang Kubicki [FDP]: Die Rede hätte ich auch halten können! - Heiterkeit bei CDU Vizepräsidentin Ingrid Franzen: und FDP) Das Wort für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeord- Zusätzlich kommt dazu: Es gibt schon zahlreiche neter Bernd Schröder. Gutachten und Expertisen - was mich erstaunt -, die Quintessenz ist aber eigentlich, dass es keine be- Bernd Schröder [SPD]: lastbaren Zahlen über die Wirksamkeit dieser Maß- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und nahme gibt. Herren! Nach dieser Sternstunde des Kollegen Jas- Zu diesem Thema passt, dass ich heute Morgen in per ist es natürlich schwierig, das noch zu toppen. den „Lübecker Nachrichten“ im Pressespiegel gele- Das ist klar. sen habe, dass die Grünen vorschlagen, in den Städ- (Heiterkeit bei SPD, CDU und FDP) ten Tempo 30 einzuführen, 120 km/h auf der Auto- bahn - das kommt meinem Kollegen Manfred Rit- Eins vorweg, Kollege Kubicki: Welche Bedeutung zek sehr entgegen - das Thema hat, sieht man daran, dass Herr Jasper 29 seiner Kollegen für die inhaltsschwere Aussage (Heiterkeit bei der CDU) befragt hat. Das habe ich nicht gemacht. und dass kein Auto schneller als 160 km/h fahren (Wolfgang Kubicki [FDP]: Nur Stegner!) darf. Mein Kollege Hans-Jörn Arp hat sich als Wirtschaftsfachmann dazu natürlich auch geäußert, - Nein. ganz klar: Diesen Unsinn werden wir ausbremsen! Shared Space heißt auf deutsch sinngemäß: ge- Dem kann ich mich eigentlich nur anschließen. meinsam genutzter Raum. Das ist die Kurzfassung (Heiterkeit bei der CDU) zu dem, was Carsten Jasper erarbeitet hat. Es ist tat- sächlich so, dass das „Hamburger Abendblatt“ eine Man muss einmal überlegen, was das für eine Kon- Umfrage gemacht hat. Sieger war schlicht und ein- sequenz hat. Das wurde von dem Kollegen Matt- fach die Bezeichnung „Gemeinschaftsstraße“. hiessen schon angesprochen. Das Ganze beruht auf Wir haben so etwas Ähnliches in der Qualität schon rechts vor links, denn Bürgersteige, Radwege, Ze- mit verkehrsberuhigten Straßen, Spielstraßen und brastreifen und Verkehrsschilder werden zurückge- Schrittgeschwindigkeit; wir haben Tempo-30-Zo- baut. nen und so weiter. (Zuruf: Sehr gut!) Das ist also ein von der EU finanziertes Verkehrs- Dazu habe ich einmal die Vizepräsidentin der programm, und sieben europäische Städte oder schleswig-holsteinischen Verkehrswacht konsul- Regionen entwickeln Methoden, öffentlichen Stra- tiert. Das ist nämlich unsere Kollegin Heike Fran- ßenraum gemeinsam zu nutzen. Tatsächlich ist es zen - falls Sie das nicht wissen. Sie hat gesagt: Was so, Modellprojekt in Deutschland ist in Nieder- ist mit den kleinen Kindern, was ist mit Schulweg- sachsen die Gemeinde Bohmte. 6932 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Bernd Schröder)

Im Rahmen des Projektes ist nicht beabsichtigt, den vorliegen, jetzt entscheiden, ob wir es hier umset- gesamten Straßenraum eines Landes nach diesen zen wollen. Ideen umzugestalten. Das Konzept gesteht zu, dass (Vereinzelter Beifall bei SPD, CDU und stets Räume benötigt werden, die ausschließlich FDP) Verkehrsfunktionen erfüllen, um den Menschen ein schnelles Vorwärtskommen zu ermöglichen. Die Es kann doch vielmehr nur so sein, dass die Erfah- Idee einer Gemeinschaftsstraße stieß dabei teils auf rungen, die in den verschiedenen Gemeinden im erhebliche Vorbehalte. In Bohmte wurden nicht al- europäischen Raum gesammelt werden, nur die le, sondern ungefähr nur die Hälfte aller Verkehrs- Grundlage dafür sein können, dass wir sagen, das schilder entfernt. Ein 300 m langes Teilstück an der ist eine richtige und wichtige Angelegenheit, das ist Hauptdurchgangsstraße wurde - man höre - für 2,3 eine vernünftige Angelegenheit, um Verkehrssi- Millionen € umgebaut. - Unsere Gemeinden werden cherheit in einem noch größeren Maße zu garantie- begeistert sein, ihr vieles Geld, das sie auf der ho- ren oder nicht. hen Kante haben, dafür einsetzen zu können. Ich sage sehr ernsthaft, weil ich mich mit diesem In Bohmte gelten nur drei Regeln: Tempo 30, Bereich schon einmal intensiv beruflich beschäftigt rechts vor links und die zwischenmenschliche habe: Verkehrssicherheit ist eine sehr subjektive Rücksichtnahme. Dabei ist diese Gemeinschafts- Sache. Tatsächliche Verkehrssicherheit resultiert straße keine neue Erfindung. Seit den 90er-Jahren immer aus der Akzeptanz aller, die am Verkehr setzt sich unter Verkehrsplanern die Erkenntnis teilnehmen. Nur wenn sie akzeptiert wird, bietet ei- durch, dass der öffentliche Raum nicht nur der mo- ne Maßnahme auch ein höheres Maß an Verkehrssi- torisierten Fortbewegung dient, sondern auch ein cherheit. Raum ist, in dem sich Menschen aufhalten und ver- (Beifall des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner weilen wollen. So entstanden auch einmal die soge- [SPD]) nannten Spielstraßen oder auch die Tempo-30-Zo- nen. Deshalb meine Bitte: Lassen Sie uns diese Auswer- tungen abwarten. Dann haben wir die Grundlage Es ist außerdem so, dass wir ständig damit konfron- für die Diskussion, ob wir das zulassen wollen. Das tiert werden, dass Bürgerinitiativen weniger oder kostet nämlich auch - das muss man auch wissen - gar nicht dafür streiten, dass Schilder entfernt wer- sehr, sehr viel Geld. Denn nur durch den Umbau den, sondern sie streiten dafür, dass noch mehr Ver- des gesamten Verkehrsraums in eine ebene Fläche kehrsschilder aufgestellt werden, dass Ampeln und kann das erreicht werden, was ermöglicht werden Zebrastreifen geschaffen werden. Wenn ich an mei- soll. Vor diesem Hintergrund noch einmal meine nen Wahlkreis denke: Dort gibt es den größten Bitte: Wir sollten das in den Ausschuss geben und Kreisverkehr, den wir hier in Schleswig-Holstein dann über die Erfahrungsberichte diskutieren, wenn haben. Es gibt immer noch Leserbriefe dazu, dass sie vorliegen. Menschen sich bei diesem zweispurigen Kreisver- kehr einfach nicht zurechtfinden. Ich frage mich (Beifall bei SPD, CDU, SSW und vereinzelt manchmal, wie es ist, wenn die das erste Mal nach bei der FDP) Frankreich kommen. Dort müssten sie im neun- oder zwölfspurigen Kreisverkehr verhungern. Man Vizepräsidentin Ingrid Franzen: hat den Eindruck, dass wir Deutschen im Gegensatz Ich danke Herrn Abgeordneten Schröder. - Das zu den Dänen und Niederländern vielleicht einfach Wort für die FDP-Fraktion hat deren Vorsitzender, nicht dazu geeignet sind, ohne Verkehrsregeln und Herr Abgeordneter Wolfgang Kubicki. ohne Verkehrsschilder auszukommen. Das ist hier eine ähnliche Situation. Wir werden die Diskussion erleben. Wenn dort Unfälle passieren, und nach Wolfgang Kubicki [FDP]: dem Motto gefragt: Muss erst etwas passieren, be- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! vor Verkehrsregelungen aufgestellt werden, bevor Die Rede des Kollegen Jasper hätte ich natürlich Regeln wieder greifen? nicht so halten können, weil wir keine 29 Abgeord- Es ist durchaus richtig, dass wir Dinge verändern neten haben, die ich hätte fragen können. und weiterentwickeln müssen. Meine Bitte ist aber, (Hartmut Hamerich [CDU]: Aber Mitglieder! dass wir dieses Pilotprojekt, dieses Modellprojekt, - Heiterkeit) das es dort gibt, erst abwarten und nicht mitten- drin, bevor überhaupt irgendwelche Erkenntnisse Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6933

(Wolfgang Kubicki)

Aber von der Diktion her hätte ich sie halten kön- (Beifall und Heiterkeit bei FDP und CDU - nen. Ich bin dem Kollegen Schröder außerordent- Zuruf des Abg. Dr. Ralf Stegner [SPD]) lich dankbar für seinen Beitrag. Nachdem ich heute - Der Kollege Stegner brauchte 30 Sekunden, um Morgen gelesen habe, dass die Sozialdemokraten darauf zu antworten. Das zur geistigen Frische heu- Herrn Stegner zum Bundesvorsitzenden küren wol- te Morgen. len, hatte ich schon Zweifel am weiteren Ablauf der Tagung. Was auf den ersten Blick nach Anarchie auf den Straßen klingt, hat seinen Hintergrund in einem (Heiterkeit bei FDP und CDU) EU-Forschungsprojekt. In sieben europäischen Aber ich finde, Kollege Schröder hat einen inhalt- Orten wurde bis Mitte 2008 ein niveaugleicher lich zutreffenden Beitrag geleistet. Ausbau von Straßen, Knotenpunkten und Plätzen in einem stark begrenzten innerörtlichen Verkehrs- Auf Deutschlands Straßen existieren laut Straßen- raum hergestellt. In Bohmte war es übrigens der verkehrsordnung derzeit genau 648 verschiedene Marktplatz. Verkehrsschilder. In der Summe finden sich an den Straßenrändern nach Auskunft des ADAC rund 20 Belastbare Ergebnisse dieser Pilotprojekte liegen - Millionen Schilder, also rund alle 30 m ein Schild. darauf hat der Kollege Schröder zutreffend hinge- Diesen Schilderwald zu lichten, ist ein wichtiger wiesen - allerdings noch nicht vor, sodass es aus und richtiger Schritt. Sicht meiner Fraktion etwas verfrüht ist, jetzt auf die sofortige Umsetzung in den Kommunen zu (Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard drängen. Klug [FDP]) Hinzu kommen die nicht unerheblichen Kosten Er reduziert die Kosten und erhöht gleichzeitig die dieser Maßnahmen. Sinn machen diese Maßnah- Verkehrssicherheit. Aus diesem Grund wurde 1997 men überhaupt nur dann, wenn eine städtebauliche von der damaligen CDU/FDP-Regierung die Stra- Aufwertung sensibler Straßenräume und Platzbe- ßenverkehrsordnung novelliert. Seitdem sind reiche das Hauptziel der Planung ist. Im Rahmen Städte und Landkreise verpflichtet - so der Text, ich von ohnehin durchzuführenden Neubau- und Auf- zitiere -: wertungsmaßnahmen kann Shared Space - man „bei der Anordnung von Verkehrszeichen kann sagen: gemeinsamer Raum oder auch geteilter und Verkehrseinrichtungen restriktiv zu ver- Raum - sicherlich sinnvoll sein. Dann sollte den fahren und stets … zu prüfen, ob die vorge- Kommunen selbstverständlich die Möglichkeit er- sehene Regelung … zwingend erforderlich öffnet werden, diese Maßnahmen umzusetzen. ist“. Herr Kollege Matthiessen, Sie haben es doch selbst Die Straßenverkehrsordnung setzt somit seither be- gesagt: In der Gemeinde, in der Sie zu Hause sind, wusst auf mehr Eigenverantwortung. Denn weiter ist das doch bereits geschehen. heißt es: Verkehrszeichen dürfen nur dort stehen - (Zuruf des Abgeordneten Detlef Matthiessen jetzt wieder der Text des Gesetzes -: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) „wo dies auf Grund der besonderen Umstän- Deshalb wundert es mich, dass Sie platziert Auffor- de zwingend geboten ist“. derungen aussprechen. Auch in Bezug auf den Bestand ist regelmäßig eine Mit großem Kostenaufwand allerdings Bürgersteige Verkehrsschau durchzuführen, bei der geprüft wer- und Ampelanlagen wieder abzubauen, nur um Sha- den soll, wo Schilder entfernt werden können. - So- red-Space-Konzepte umzusetzen, kann nicht sinn- weit zur aktuellen Rechtslage. voll sein. Die Grünen wollen nun einen gewaltigen Schritt Problematisch - das zeigen die ersten Befragungen weitergehen und setzen auf den kompletten bauli- nach der Realisierung der Projekte in den Nieder- chen Rückbau der Verkehrslenkung. Mit Ver- landen - ist auch, dass sich Fußgänger und hier ins- weis auf die niedersächsische Kleinstadt Bohmte besondere Kinder, ältere Menschen und Mobili- sollen Bürgersteige, Radwege, Ampelanlagen, Ze- tätseingeschränkte bei diesem Konzept der Ver- brastreifen und Verkehrsschilder abgebaut werden. kehrsführung unsicher fühlen. Gerade ältere Men- Im Übrigen solle nur noch die Regel rechts vor schen brauchen in komplexen Verkehrssituationen links gelten - ich wiederhole: rechts vor links! mehr Zeit zum Verarbeiten und Reagieren. Für die- 6934 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Wolfgang Kubicki) se Personengruppe erhöht die Komplexität generell Lars Harms [SSW]: das Sicherheitsrisiko. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Die Geh- und Sehbehinderten nannten erhebliche Herren! Wenn wir heute über gemeinsam genutzte Mängel. Für Personen, die sich mit Unterstützung Verkehrsräume sprechen, müssen wir erst einmal eines Langstocks fortbewegen, fehlen geeignete festhalten, dass es nicht Ziel solcher Initiativen ist, Leit- und Warnelemente. Die Kinder bemängelten ganze Städte als gemeinsamen Verkehrsraum um- insbesondere fehlende Schutzräume und gefährli- zugestalten. Vielmehr geht es darum, dass kleine che Situationen. Als Allheilmittel zur Vermeidung Teile eines Verkehrsraumes entsprechend ausge- von Unfällen und Konflikten darf Shared Space da- wiesen werden und nur dort alle Verkehrsteilneh- her nicht gesehen werden. mer gleichberechtigt sind. Wir reden heute also über Straßenzüge oder auch über abgegrenzte In- Liebe Kolleginnen und Kollegen, dennoch sollten nenstadtbereiche. Wir können das Ganze mit ver- wir die Diskussion in den entsprechenden Aus- kehrsberuhigten Zonen oder Spielstraßen verglei- schüssen ergebnisoffen führen. Dabei sollten zu- chen, die man seit den 70er-Jahren ausgewiesen nächst die Ergebnisse der sieben Pilotprojekte des hat. EU-Forschungsprogramms systematisch ausgewer- tet werden. Wenn die Untersuchungen zu einem po- Ziel ist es, ein verträgliches und ruhiges Miteinan- sitiven Ergebnis kommen, dann sollte den Kommu- der aller Verkehrsteilnehmer zu erreichen und da- nen die Genehmigung von Shared-Space-Konzep- durch beispielsweise die Unfallzahl zu senken. ten nicht verwehrt werden. Allerdings sollten sich Für ein solches Projekt sind nicht nur ein paar diese Maßnahmen grundsätzlich nur auf einen klei- Schilder notwendig, die man irgendwo aufhängt nen Verkehrsraum beschränken, da diese Ab- oder auch abschraubt, sondern es müssen umfang- schnitte keine hohe Verkehrsbelastung aufweisen reiche Umbaumaßnahmen erfolgen: Ampeln, und es sich nicht um Stellen mit hohem Durch- Verkehrsinseln und vieles andere müssen abgebaut gangs- und Schwerlastverkehr handelt. Zudem soll- werden, und die Straßen- und Gehweggestaltung ten bei der Planung die Interessen der schwachen hin zu einem gemeinsamen Verkehrsraum muss ge- Verkehrsteilnehmer besonders berücksichtigt wer- ändert werden. Das kostet sehr viel Geld. Daher ist den. es natürlich berechtigt zu fragen, wo eventuelle Für die übrigen von den Grünen in ihrem Antrag er- Fördermittel zur Verfügung stehen. Die EU stellt hobenen Forderungen, verkehrsberuhigende und die hierfür im Rahmen des INTERREG-III-B-Nord- Verkehrssicherheit erhöhende Maßnahmen umzu- see-Programms Fördermittel zur Verfügung. Wir setzen, haben die Kommunen bereits heute alle können also feststellen, dass dies wieder einmal ein Möglichkeiten. Den Schilderwald zu lichten, dazu Baustein einer intensivierten Nordsee-Zusammen- sind sie nach der Straßenverkehrsordnung sogar arbeit sein könnte, wie auch wir sie immer gefor- verpflichtet, sie müssen es nur machen. dert haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS Rund um die Nordsee nehmen mehrere Orte und 90/DIE GRÜNEN, eines bedarf es sicherlich nicht, auch große Städte an diesem Projekt teil, und man eines Aufrufes des Landtages, die Landesregierung tauscht sich international über gemeinsame Ver- möge doch bitte den Kommunen erzählen, wie toll kehrsräume aus. Sogar eine ganze Region ist Teil das Abbauen Ihrer Bürgersteige ist. dieser Zusammenarbeit: Die niederländische Pro- vinz Friesland ist als Provinz diesem Projekt beige- (Peter Eichstädt [SPD]: Konnexität!) treten und fördert nun die Entwicklung von gemein- Warum wir die Landesregierung auffordern sol- samen Verkehrsräumen in der gesamten Provinz. len, sie solle den Kommunen etwas sagen, er- Das wäre vergleichbar mit einem Beitritt des gan- schließt sich mir nicht. Die sind im Zweifel schlau- zen Landes Schleswig-Holstein zu dieser INTER- er als wir. REG-Zusammenarbeit. Dies hätte meines Erachtens (Beifall bei FDP und CDU) sogar einen nicht geringen Charme, wenn man be- denkt, dass man so auch eine sehr gute Zusammen- arbeit mit der Provinz Friesland in den Nieder- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: landen etablieren könnte. Das Wort für den SSW im Landtag hat nun Herr Aber so weit gehen die Grünen gar nicht. Uns liegt Abgeordneter Lars Harms. heute ein Antrag vor, der erst einmal davon aus- geht, dass die Umsetzung solcher Projekte in Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6935

(Lars Harms)

Schleswig-Holstein an der Genehmigungspraxis Deshalb ist es richtig, dass das Land hier eine ko- von Landesbehörden scheitert. Ich kann derzeit ordinierende Funktion einnimmt und zumindest nicht beurteilen, ob dies so ist. mit den Landkreisen sowie den Städten und Ge- meinden spricht, um auch die für solche Maßnah- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Ist nicht so!) men zur Verfügung stehenden INTERREG-Mittel Ich glaube eher, dass im Einzelfall unterschiedlich in unser Land zu holen. Denn um die geht es. Wenn bewertet werden könnte, ob eine Maßnahme ver- schon etwas gemacht werden soll, wenn man diese kehrsberuhigend oder die Verkehrssicherheit erhö- Idee mit einbauen kann, dann sollte man das Geld hend ist oder nicht. Aufgrund dieser unterschiedli- nicht anderen Ländern überlassen, sondern dann chen Sichtweisen mag es dann auch zu Auseinan- sollten wir die INTERREG-Mittel in unser Land dersetzungen kommen. Diesem Problem kann man holen. eigentlich nur dann beikommen, wenn sich die Lan- (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE desregierung und auch die kommunalen Träger der GRÜNEN - Zurufe von CDU und FDP) INTERREG-Zusammenarbeit einig sind, dass sol- che Projekte sinnvoll und förderungsfähig sind. Ob das im Einzelfall so ist, wage ich derzeit zu bezwei- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: feln. Ich danke Herrn Abgeordneten Lars Harms. - Das Deshalb ist der zweite Schritt, den die Grünen im Wort für einen Kurzbeitrag hat nun Herr Abgeord- Antrag anführen, ein wichtiger Schritt. Die interes- neter Karl-Martin Hentschel. sierten Kommunen müssen über solche Konzeptio- nen informiert werden, und die entsprechenden Pla- Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nungsmöglichkeiten müssen aufgezeigt werden. Ich NEN]: gehe sogar einen Schritt weiter: Gemeinsam mit Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen den regionalen INTERREG-Begleitausschüssen und Herren! Anlass des Antrages ist die Diskussi- muss die Landesregierung über die vorhandenen on, dass Bad Segeberg als erste Kommune in Fördermöglichkeiten informieren und aktiv für Schleswig-Holstein ein solches Projekt durchführen ein Pilotprojekt werben. Denn wenn eine Kommu- soll und dass die Verkehrsaufsicht des Kreises da- ne etwas umbauen will, wenn eine Kommune etwas von abgeraten hat, weil die entsprechenden Pla- entwickeln will, kann man diese Idee mit einbauen, nungsvoraussetzungen in Schleswig-Holstein dem und dann kann man die entsprechenden Fördermit- entgegenstünden. Das ist der Anlass. tel mit einwerben. Ich könnte mir zum Beispiel vor- stellen, dass wir nicht nur einzelne Kommunen in Es geht uns nicht darum, wie der Kollege Kubicki diesen Vorhaben unterstützen, sondern dass sich meinte, dass etwas passieren soll. Das ist völliger auch ein Landkreis als Region mit gemeinsamen Blödsinn, das steht im Antrag nicht drin, sondern es Verkehrsräumen profilieren könnte. soll die Möglichkeit geschaffen werden. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW]) Hier könnten kreisangehörige Gemeinden mit ent- sprechenden Ideen gemeinsam unter dem Dach des Solche Diskussionen über neue Ideen sind mir Kreises ihre Projekte vorantreiben. Dies ist insbe- nicht fremd. Ich erinnere mich noch daran, wie wir sondere vor dem Hintergrund notwendig, dass bei vor acht oder zehn Jahren gesagt hatten: Wir wollen uns die Gemeindestrukturen immer noch so klein in Schleswig-Holstein verstärkt Kreisel einführen. sind, dass die Gemeinden allein hier Schwierigkei- Damals wurden hier im Landtag völlig irre Debat- ten bekommen könnten, eine gute Planung auf die ten geführt. Mittlerweile hat sich herausgestellt, Beine zu stellen. dass die Einführung von Kreiseln an den entspre- chenden Kreuzungen dazu geführt hat, dass die Folgt man dem Beispiel der Provinz Friesland in Zahl der Verkehrsunfälle nach einer Untersuchung den Niederlanden, die zugegebenermaßen schon des Wirtschaftsministeriums um 80 % zurückge- jetzt größere Gemeinden hat, so könnten wir hier gangen ist. Außerdem spart es erhebliche Kosten Modelle umsetzen, die möglicherweise auch den für den Betrieb von Ampeln. Tourismus fördern könnten. Die Botschaft, dass sich ein Landkreis übergemeindlich für verkehrsbe- Natürlich kostet auch der Umbau etwas. Wenn eine ruhigende Maßnahmen einsetzt, wäre sicherlich ei- Innenstadt sowieso neu gestaltet wird, dann ist es ne Botschaft, die bei potenziellen Gästen gut an- mittelfristig enorm kostensparend, Verkehrsschilder käme. und Ampeln einzusparen. Das heißt, die Frage der 6936 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Karl-Martin Hentschel)

Kosten ist mittelfristig - auch bei diesen Shared- Außerdem ist nach der Straßenverkehrsordnung Space-Konzepten - durchaus positiv zu bewerten. auch die Anordnung von verkehrsberuhigten Berei- chen, den sogenannten Spielstraßen, wie wir sie ja Ich warne davor, hier Dinge an die Wand zu malen, vielfach haben, möglich, die ebenfalls aus einer die nicht existieren. Den Beitrag von Herrn Jasper Mischverkehrsfläche bestehen. Hierzu eignen sich kann ich nur so interpretieren: Wenn etwas neu jedoch nur kleinräumige Bereiche mit überwiegen- kommt, schürt das erst einmal Ängste und führt zu der Aufenthaltsfunktion. Verunsicherung. Da muss man mit Humor reagie- ren. Das finde ich ganz nett. Das ist besser, als mit Außerhalb solcher Spielstraßen ist die Einrichtung Aggressionen zu reagieren. Das ist in Ordnung, von Mischverkehrsflächen nach dem Shared-Space- aber ich empfehle für die Zukunft, wenn es sich um Prinzip unter Aspekten der Verkehrssicherheit zu- EU-Programme handelt, sich zunächst mit dem mindest problematisch. Programm auseinanderzusetzen, bevor man hier (Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hent- Witze erzählt und damit dokumentiert, dass man schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) von der Sache keine Ahnung hat, Herr Jasper. Wie sieht denn die Realität aus? Bereits in Tempo- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 30-Zonen stößt der Abbau von dann nicht mehr er- Abschließend möchte ich sagen: Bezüglich des forderlichen Verkehrszeichen, Zebrastreifen und Hinweises von Herrn Kubicki, rechts habe Vorfahrt Ampeln oft auf erhebliche Widerstände in der Be- vor links, meine ich, man sollte die Frage der Ver- völkerung. Dies gilt in erster Linie für die Schul- kehrsregelungen nicht so sehr parteipolitisch sehen. wegsicherung. Wenn zudem auch noch auf die Andernfalls müssten wir Grünen natürlich an der wichtige Schutzfunktion von unterschiedlichen Ampel festhalten, denn die Ampel signalisiert ja: Verkehrsflächen verzichtet werden soll, dürfte sich Grün bedeutet Vorfahrt, Gelb deutet auf Langewei- - das ist jedenfalls meine Einschätzung - die Begei- le hin, da man warten muss, Rot steht für Halt, und sterung über solche Vorhaben in vielen Gemeinden Schwarz kommt überhaupt nicht vor. verständlicherweise in deutlichen Grenzen halten. (Günther Hildebrand [FDP]: Und Grün steht Damit möchte ich nicht behaupten, dass Shared- für alle möglichen Richtungen!) Space-Konzepte nach geltendem Recht unzulässig wären. Die Straßenverkehrsordnung fördert sogar Ich sehe das nicht parteipolitisch, sondern rein ver- einen möglichen Schilderabbau, indem die Zuläs- kehrspolitisch. sigkeit von Verkehrszeichen und Verkehrseinrich- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tungen von einer außergewöhnlichen Gefahrenlage abhängig gemacht wird. Angesichts häufiger Wün- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: sche von Bürgern nach zusätzlichen Verkehrszei- chen, Zebrastreifen und Ampeln habe ich jedoch Das Wort für die Landesregierung hat nun Herr starke Zweifel, ob sich der - an sich sicherlich be- Verkehrsminister Dr. Werner Marnette. grüßenswerte - Abbau von Schildern im Straßen- verkehr unter dem Deckmantel eines Shared- Dr. Werner Marnette, Minister für Wissenschaft, Space-Konzepts - also nicht nur in Form einer Wirtschaft und Verkehr: Tempo-30-Zone - verkaufen ließe. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und (Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hent- Herren! Nachdem wir uns jetzt darüber verständigt schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) haben, was „Shared Space“ eigentlich bedeutet, brauche ich mich hierüber nicht mehr näher auszu- Besonders kritisch wird die Sache, wenn in ein Sha- lassen. Wir haben eine gültige Straßenverkehrs- red-Space-Konzept - dieses Wort ist fast schon ein ordnung. Zungenbrecher - auch innerörtliche Hauptver- kehrsstraßen einbezogen werden sollen. Dies wäre (Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist es!) ein Widerspruch. Die Verkehrsfunktion von stark Aus diesem Grund - das ist jedenfalls meine Über- belasteten Straßen verträgt sich nicht mit dem Prin- zeugung - müssen wir das Rad nicht immer wieder zip einer Mischverkehrsfläche ohne Verkehrszei- neu erfinden. Im ländlichen Raum ist ein geteilter chen. Damit kann weder den Erfordernissen eines Verkehrsraum im Übrigen schon längst keine Sel- zügigen Verkehrsablaufs noch den Sicherheitsbe- tenheit mehr. langen von schwächeren Verkehrsteilnehmern Re- chung getragen werden. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6937

(Minister Dr. Werner Marnette)

(Beifall bei der CDU) achtet wird und das erforderliche Augenmaß für die verkehrlichen Notwendigkeiten gewahrt bleibt. Ein flächendeckendes willkürliches Tempolimit wäre nur eine rechtswidrige Mogelpackung zur Au- (Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE ßerkraftsetzung der Bestimmungen der Straßenver- GRÜNEN]: Sagen Sie das bitte Ihren Behör- kehrsordnung - oder, wie ich es heute in den „Lü- den auch einmal, damit sie sich auch so ver- becker Nachrichten“ gelesen habe, das klammheim- halten! Mehr wollen wir nicht! - Beifall bei liche Einführen einer Höchstgeschwindigkeit von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 30 km/h. (Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: NEN]: Das unterstützen wir!) Ich danke dem Herrn Minister. Dies würde meines Erachtens im Übrigen auch den (Vereinzelter Beifall) Grundprinzipien eines - auch von mir positiv be- werteten - Shared-Space-Konzepts widersprechen. Ich will noch einmal zur linken Seite hier sagen, dass es schon nett wäre, wenn man die Leute in Ru- Angesichts sehr unterschiedlicher örtlicher Gege- he reden ließe. benheiten kann die Landesregierung vom Grünen Tisch aus keine Patentrezepte für eine Umsetzung (Wolfgang Kubicki [FDP]: Es wäre auch kommunaler Shared-Space-Konzepte geben. schön, wenn man die Leute in Ruhe lassen würde!) (Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sollten Sie wenigstens Das Wort für einen Kurzbeitrag hat nun Herr Abge- nicht dagegen sein! - Zuruf der Abgeordne- ordneter Detlef Matthiessen. ten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die für den Straßenbau zuständigen Behörden und die Straßenverkehrsbehörden sind durchaus in Vielen Dank, Frau Präsidentin! Herr Minister, nach der Lage - und das betone ich hier -, in eigener Ver- meinen Erfahrungen antwortung objektiv darüber zu entscheiden, wel- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Gott, oh Gott!) che verkehrlichen Konzepte unter Berücksichtigung verschiedener Interessengruppen und der jeweiligen sind Straßenverkehrsbehörden und Straßenpla- räumlichen Gegebenheiten sinnvoll und realisierbar nungen von einem Auto fahrenden Männertypus in sind. den mittleren Jahren geprägt. (Beifall bei der CDU) (Unruhe) Aber eines muss hier unmissverständlich klar sein: Schauen wir doch einmal, gegen welche Entschei- Alle Shared-Space-Konzepte müssen sich im Rah- dungen diese Herren in den letzten Jahren immer men des geltenden Straßenverkehrsrechts des Bun- wieder gewesen sind. Sie waren gegen Kreisel. Die- des bewegen. Ich kann auch nur dringend davor se Herrschaften fahren offenbar alle nicht selbst mit warnen, erste Erfahrungen aus einzelnen Projekten, dem Fahrrad, denn sonst würden unsere Städte wie etwa aus der niedersächsischen Gemeinde fahrradtechnisch nicht so aussehen, wie sie heute Bohmte - die ich im Übrigen kenne - ohne nähere aussehen. Sie waren - das hat Herr Hentschel schon Prüfung voreilig für allgemeingültig zu erklären. erwähnt - gegen die Einführung der berühmten Man muss einmal studieren, wie sich dies dort in Kreisel. Sie waren gegen Fahrradspuren, sie waren der Realität darstellt. gegen Hinweise auf Gaststätten und Ähnliches, wie sie inzwischen auf vielen Schildern in grüner Bei der Realisierung von Shared-Space-Konzepten Schrift zu finden sind et cetera. Man kann sagen, wird es sich stets um maßgeschneiderte Lösungen dass Neuerungen für diese Bediensteten im öffent- handeln müssen, die in gemeinsamer Verantwor- lichen Dienst offensichtlich stets ein Gräuel sind. tung von Gemeinden, Straßenbaulastträgern sowie Straßenverkehrsbehörden zu erarbeiten sind. Das zeigt sich auch bei dem offenbar bekannt ge- wordenen Schriftverkehr, den das Ministerium Das Verkehrsministerium wird solchen Projekten - führt. In der Presse war zu lesen, dass laut einem und hier bitte ich, zuzuhören - grundsätzlich nicht Schreiben des Verkehrsministeriums die Einrich- im Wege stehen, wenn dabei das Bundesrecht be- tung von Mischverkehren nach dem Shared-Space- 6938 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Detlef Matthiessen)

Prinzip besonders in Kiel „unter Verkehrssicher- tungsvoller Themen mit so wenig wichtigen Fragen heitsaspekten als äußerst problematisch“ beschrie- beschäftigen sollten, wie es der Schutz der Privat- ben wird. sphäre von Berufsgeheimnisträgern ist. Wir ha- ben heute Morgen eine ausgiebige Debatte über den (Martin Kayenburg [CDU]: Wo ist das Pro- Datenschutz geführt. Dass Datenschutz und das blem?) Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung Wir sind als Grüne dafür, ab und zu doch etwas Parallelen aufweisen, ist auch jedem Nichtjuristen Neues zu wagen. bekannt. Wenn jemand seinen Arzt oder seinen (Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber es muss Rechtsanwalt aufsucht, dann handelt es sich dabei auch sinnvoll sein!) meist um höchst persönliche und private Sachver- halte, die keinem Dritten zu Ohren kommen sollen. Ich darf noch einmal etwas zum innerstädtischen Voraussetzung ist eine absolute Vertraulichkeit, die Shared-Space-Konzept sagen: Es ist eine Ent- in der strafbewehrten Schweigepflicht der Anwäl- schleunigung der Verkehre, und es führt zu einer te und Ärzte mündet. erhöhten gegenseitigen Rücksichtnahme. Das sind die ersten, aus meiner Sicht sehr positiven Bei- Der Bundesgesetzgeber hat erkannt, dass es Ver- spiele, Auswertungen und Erfahrungen aus diesen trauensverhältnisse gibt, die von so überragender Projekten. Ich will, dass unsere zentrale Verkehrs- Natur sind, dass es sie zu schützen gilt. Er zählt behörde, wenn Kommunen sich dafür entscheiden, nicht ohne Grund in § 53 der Strafprozessord- dort voranzugehen und solche Konzepte umzuset- nung bestimmte Berufsgruppen wie Strafverteidi- zen, ihnen zumindest keine Knüppel zwischen die ger, Rechtsanwälte, Geistliche, Abgeordnete, Jour- Beine wirft. nalisten und Ärzte, aber auch andere Berufsgruppen wie Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendpsycho- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN therapeuten oder Hebammen auf, denen aufgrund und SPD - Martin Kayenburg [CDU]: Das des bestehenden Vertrauensverhältnisses zu einem sind Spekulationen! Das müssen Sie erst Beschuldigten ein Zeugnisverweigerungsrecht zu- noch beweisen!) steht. Diese Systematik wird nun in § 160 a der Straf- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: prozessordnung durchbrochen. Seit dem 1. Januar Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich 2008 gibt es in der Strafprozessordnung den neuen schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den § 160 a. Dieser enthält eine Schutzvorschrift für Antrag Drucksache 16/2213 an den Wirtschaftsaus- Berufsgeheimnisträger und umfasst ein Erhebungs- schuss zu überweisen. Wer so beschließen möchte, und Verwertungsverbot für alle Informationen die- den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist mehr- ser Berufsgruppen - allerdings nicht für alle Be- heitlich so beschlossen. rufsgeheimnisträger. Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 15: Für Strafverteidiger, Abgeordnete und Geistliche gilt, dass eine Ermittlungsmaßnahme, die sich ge- Bundesratsinitiative zum besseren Schutz von gen eine der genannten Personen beziehungsweise Berufsgeheimnisträgern gegen einen von ihnen betreuten Mandanten oder Klienten richtet, grundsätzlich unzulässig ist. Den- Antrag der Fraktion der FDP noch erlangte Erkenntnisse dürfen nicht verwendet Drucksache 16/2216 werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüg- lich zu löschen. Die Tatsache ihrer Erlangung und Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das der Löschung der Aufzeichnungen ist aktenkundig ist nicht der Fall. zu machen. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile für die Für Ärzte, Journalisten, sonstige Rechtanwälte und antragstellende FDP-Fraktion das Wort Herrn Ab- auch die weiteren in § 53 genannten Berufsgeheim- geordneten und Fraktionsvorsitzenden Wolfgang nisträger gilt dieser Schutz nicht. Für sie wird im Kubicki. Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung fest- gestellt, ob sie dem gleichen Schutz unterfallen sol- Wolfgang Kubicki [FDP]: len wie Abgeordnete oder Strafverteidiger, wobei diese Verhältnismäßigkeitsprüfung von der Ermitt- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! lungsbehörde vorgenommen wird. Ich weiß gar nicht, ob wir uns angesichts so bedeu- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6939

(Wolfgang Kubicki)

Aus Sicht meiner Fraktion ist diese Regelung nicht Wir wollen, dass die Landesregierung im Bundesrat ausreichend. Sie verkennt die herausgehobene Stel- unseren Vorschlag unterbreitet, der einen einheitli- lung eines Arzt-Patienten-Verhältnisses. Sie chen Schutz aller Berufsgeheimnisträger ermög- schränkt die Pressefreiheit ein und wird auch der licht und der aus unserer Sicht ungerechtfertigte Bedeutung der weiteren Berufsbilder nicht gerecht. Ungleichbehandlungen verschiedener Berufsgrup- Ich möchte dies am Beispiel der Pressefreiheit ein- pen beseitigt. mal näher erläutern. (Beifall bei FDP, SPD und SSW) Die Pressefreiheit ist für das Funktionieren eines demokratischen Staates unverzichtbar, und unteil- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: bar mit einer funktionierenden Presse sind auch die Vorbereitung und Recherche verbunden, zu denen Ich danke dem Herrn Abgeordneten Kubicki. - Be- selbstverständlich auch die Beschaffung von Infor- vor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich ei- mationen zählt. Als zentrales Element der Recher- ne geschäftsleitende Anmerkung machen. Die Frak- che ist das Vertrauensverhältnis zwischen Infor- tionen haben sich darauf geeinigt, dass der Tages- manten und der Presse grundrechtlich geschützt ordnungspunkt 30, Frauen im Justizvollzugsdienst, und dies muss seine effektive Ausgestaltung auch ohne Aussprache erledigt wird. in den einfachen Gesetzen finden. Eine Vorschrift, Darüber hinaus bitte ich die Geschäftsführer zu klä- die hier kein absolutes Erhebungs- und Verwer- ren, ob wir Tagesordnungspunkt 17 C wie verabre- tungsverbot regelt, sondern es vielmehr von einer det in der Mittagspause aufrufen. Ich habe nämlich Verhältnismäßigkeitsprüfung abhängig macht, ob Signale bekommen, dass in der Mittagspause Sit- Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt oder etwaig zungen stattfinden. bereits gewonnene Erkenntnisse verwertet werden, kann bereits abschreckend auf potenzielle Infor- (Dr. Ekkehard Klug [FDP]: So ist es!) manten für die Medien wirken. Dass dies aber not- Nun hat der Herr Abgeordnete Wilfried Wengler wendig ist, wissen wir nicht erst seit dem Skandal für die CDU-Fraktion das Wort. um die Durchsuchungen bei „Cicero“. Aber auch die Differenzierung zwischen Rechts- Wilfried Wengler [CDU]: anwalt und Strafverteidiger ist nicht gerechtfer- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In tigt. Häufig ergibt sich für einen Anwalt erst im Ge- dem Antrag der FDP-Fraktion geht es im Kern um spräch bei der Übernahme eines Mandates, dass die Frage, ob es aus strafprozessualer Sicht zwei ebenso strafrechtlich relevante Sachverhalte betrof- unterschiedliche Gruppen von Berufsgeheimnis- fen sein können. Es kann nicht sein, dass Ermitt- trägern geben darf oder nicht. Das ist, wie Herr lungsmaßnahmen in einem Stadium möglich sind, Kubicki schon ausführte, in § 160a der Strafpro- in dem ein Rechtsanwalt noch nicht formal als zessordnung so vorgesehen. Strafverteidiger bestellt ist. Wie gesagt: Strafvertei- diger wird man nicht durch Ernennung, sondern Ich möchte in diesem Zusammenhang auf eine Ent- Strafverteidiger wird man durch die Übernahme ei- scheidung des Bundesverfassungsgerichts vom nes strafrechtlichen Mandats. Das kann dazu füh- 12. März 2003 hinweisen. In dem zugrunde liegen- ren, dass im Zweifel gewisse Informationen durch den Fall hatte die Erhebung von Verbindungsdaten einen Mandanten zunächst entweder gar nicht mit- bei einer Journalistin dazu geführt, dass man einen geteilt werden oder gegen ihn verwendet werden Topterroristen festnehmen konnte. In der Urteilsbe- können, obwohl das Vertrauensverhältnis zwischen gründung heißt es wörtlich: Anwalt und Mandant eigentlich laut Verfassung in „Dass das Strafverfolgungsinteresse grund- einen absoluten Schutzbereich fällt. sätzlich hinter dem Rechercheinteresse der (Beifall bei FDP und CDU) Medien zurückzutreten hat, lässt sich verfas- sungsrechtlich nicht begründen. Darauf aber Nein, was wir brauchen, ist ein konsequenter liefe ein allgemein und umfassend veranker- Schutz von Berufsgeheimnisträgern, die § 53 ter Schutz von Journalisten hinaus, von Maß- StPO aufführt, also von Abgeordneten genauso wie nahmen der Erhebung von Informationen von Journalisten, von Strafverteidigern wie auch über den Telekommunikationsverkehr bei der von Rechtsanwälten, von Geistlichen wie auch von Aufklärung von Straftaten verschont zu blei- Ärzten. Dies gilt insbesondere für Ärzte, weil man ben.“ gerade mit Informationen über psychosoziale Daten sehr viel anfangen kann. 6940 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Wilfried Wengler)

Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt die Eine weitere Anmerkung: Journalisten etwa haben unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Straf- sich bei der Neuregelung der hier diskutierten straf- verfolgung hervorgehoben, das öffentliche Interesse prozessualen Vorschriften gegenüber dem beste- an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermitt- henden Zustand deutlich verbessert. § 108 Abs. 3 lung im Strafverfahren betont und die wirksame StPO legt nämlich fest, dass die Verwertung von Aufklärung gerade schwerer Straftaten als einen Zufallsfunden bei Journalisten nur in deutlich ein- wesentlichen Auftrag eines rechtsstaatlichen Ge- geschränktem Maße zulässig ist. Insgesamt kann meinwesens bezeichnet. ich daher zunächst keinen Handlungsbedarf erken- nen. Wir sollten die Thematik dennoch noch einmal Insofern - so heißt es in dem Urteil - sei es Sache gründlich im Innen- und Rechtsausschuss erörtern. des Gesetzgebers, über die Anlässe und Reichweite einer Freistellung von Journalisten oder Medienun- (Beifall bei der CDU) ternehmen von strafprozessualen Maßnahmen zu entscheiden. Es bedürfe der Abwägung durch den Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Gesetzgeber, ob und wie weit die Erfüllung der pu- blizistischen Aufgaben einen Vorrang der Medi- Ich danke dem Herrn Abgeordneten Wengler und enfreiheit gegenüber dem Interesse an einer erteile als nächstem Redner Herrn Abgeordneten rechtsstaatlich geordneten Rechtspflege rechtfer- Klaus-Peters Puls von der SPD-Fraktion das Wort. tigt und inwieweit die Presse- und die Rundfunk- freiheit ihrerseits an diesem Interesse ihre Grenzen Klaus-Peter Puls [SPD]: findet. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Angesichts dieser Ausführungen des Bundesverfas- Antrag der FDP-Fraktion bezieht sich auf eine nicht sungsgerichts relativiert sich die in dem Antrag ent- ganz einfache juristische und rechtspolitisch in der haltene Äußerung, die beanstandete Regelung ver- Tat gewichtige und bedeutsame Materie. kenne die demokratische Kontrollfunktion der frei- Nach - in diesem Fall erst seit dem 1. Januar 2008 - en und unabhängigen Medien. Der absolute Schutz geltendem Strafprozessrecht befindet sich in § 160a für Seelsorger, Strafverteidiger und Abgeordnete der Strafprozessordnung eine Regelung für straf- ergibt sich aus dem Grundgesetz und stellt eine prozessuale Ermittlungsmaßnahmen gegenüber Be- Ausnahme dar, aber eben keine allgemeine Regel rufsgeheimnisträgern, denen im Strafverfahren ein für sämtliche Berufsgeheimnisträger. Natürlich Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Die Regelung muss es auch einen wirksamen Schutz von nicht enthält ein absolutes Beweiserhebungs- und Be- privilegierten Berufsgeheimnisträgern wie Ärz- weisverwertungsverbot - das ist hier dargestellt ten, Anwälten und Journalisten geben. worden - gegenüber Geistlichen, Strafverteidigern Das Bundesverfassungsgericht sieht - wie bereits und Abgeordneten sowie ein lediglich relativiertes ausgeführt - vor, dass in solchen Fällen ein Abwä- Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot ge- gungsprozess stattzufinden hat. genüber zum Beispiel Anwälten, die keine Verteidi- ger sind, Ärzten und Journalisten. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber vom Ge- setzgeber!) Staatliche Überwachungsmaßnahmen bei Geistli- chen, Strafverteidigern und Abgeordneten sind da- Ich bin der Auffassung, dass §160a der Strafpro- nach absolut unzulässig. Die Überwachung von zessordnung den verfassungsrechtlichen Vorgaben Rechtsanwälten, die keine Strafverteidiger beschul- entspricht. digter Personen sind, die Überwachung Angehöri- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Sie haben doch ger insbesondere ärztlicher Heilberufe und die gerade vorgelesen, dass es der Gesetzgeber Überwachung Angehöriger medialer, journalisti- machen muss!) scher Berufe mit entsprechender Verwertung der gewonnenen Informationen im Prozess sollen nur Die Interessen der nicht privilegierten Berufsge- dann zulässig sein, wenn das öffentliche Interesse heimnisträger werden in Fällen, in denen eine Er- an der Strafverfolgung die schutzwürdigen Inter- mittlungsmaßnahme Erkenntnisse ergeben würde, essen der Anwälte, Ärzte und Journalisten über- über die sie das Zeugnis verweigern dürften, durch wiegt. eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall gewahrt. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens Das aber kann ausdrücklich nur der Fall sein, wenn wurden im Übrigen die Voraussetzungen für diese das Verfahren eine Straftat von erheblicher Be- Verhältnismäßigkeitsprüfung nochmals verschärft. deutung betrifft § 160a Abs. 2 wörtlich: Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6941

(Klaus-Peter Puls)

„… betrifft das Verfahren keine Straftat von und dass es wichtig ist, dass wir das Berufsgeheim- erheblicher Bedeutung, ist in der Regel nicht nis von Journalisten besser schützen und uns Ge- von einem Überwiegen des Strafverfolgsin- danken machen, wie wir das rechtlich fassen kön- teresses auszugehen. Soweit geboten, ist die nen. Maßnahme zu unterlassen oder, soweit es Bei Ärzten sehe ich das Problem eher nicht. Ich nach der Art der Maßnahme möglich ist, zu kenne auch keine Fälle, bei denen das akut ist. Viel- beschränken.“ leicht können Sie das nachtragen. In meiner Rede Das gilt nicht nur für die Informationsbeschaffung, steht: Wäre ein Arzt von einer Ermittlungsmaßnah- sondern auch für die Verwertung gewonnener Er- me betroffen ist, ist zu beachten, dass viele Arztge- kenntnisse zu Beweiszwecken. spräche dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzuordnen sind, sodass in diesen Fällen immer das Die FDP-Fraktion möchte nun auch gegenüber An- absolute Erhebungs- und Verwertungsgebot eintritt. wälten, Ärzten und Journalisten Ermittlungsmaß- Das heißt, Ärzte könnten nur insofern von einer nahmen gänzlich und vollständig ausschließen und Maßnahme betroffen sein, als es sich um allgemei- auf diese Weise einen einheitlichen Schutz aller ne Kenntnisse handelt, die sie aus ihrer Tätigkeit er- zeugnisverweigerungberechtigten Berufsgeheimnis- halten, zum Beispiel in Krankenhäusern, aber nicht träger vor staatlichen Überwachungsmaßnahmen aus Patientengesprächen. Von daher glauben wir, erreichen. dass dies bei Ärzten durch die jetzige Regelung Als SPD-Landtagsfraktion halten wir die vom Bun- ausreichend geregelt ist. desgesetzgeber gerade erst vorgenommene Diffe- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Nein!) renzierung für angemessen und wohl auch ausrei- chend. Die Interessen der Anwälte, Ärzte und Jour- Mir ist auch kein Fall bekannt. nalisten, Berufsgeheimnisse über Mandanten, Pati- Bei Journalisten sehen wir das Problem ganz wo- enten und Informanten nicht preiszugeben, werden anders. Da die Pressefreiheit und das Recht der frei- unseres Erachtens durch das geltende Recht hinrei- en Meinungsäußerung ein Verfassungsrecht ist, gibt chend geschützt. Die von der FDP-Fraktion vorge- es bei uns das Problem, dass sich jeder zum Journa- schlagene Bundesratsinitiative aus Schleswig- listen erklären kann. Jeder ist in der Lage, eine Pu- Holstein wäre bei den derzeitigen Mehrheiten im blikation herauszubringen. Da gibt es keinerlei Ein- Bundesrat und im mit Sicherheit nicht schränkungen. Damit ist jeder in der Lage, sich sel- durchsetzbar. Gleichwohl sollten wir Näheres noch ber zum Journalisten zu machen. Das ist auch das einmal im Ausschuss miteinander besprechen, Herr Problem mit den Presseausweisen, die es immer Kollege Kubicki, und zwar aus der Sicht meiner gibt. Jeder Rechtsradikale kann in irgendeinem Fraktion und aus meiner persönlichen Sicht rechtsradikalen Blättchen einmal einen Beitrag durchaus ergebnisoffen. schreiben und ist damit Journalist. Damit unterläge er sozusagen dem absoluten Berufsgeheimnis. Das Vizepräsidentin Ingrid Franzen: kann nicht gewollt sein. Ich sehe hier also ein prak- Ich danke dem Herrn Abgeordneten Klaus-Peter tisches Problem, mit der Frage so umzugehen, wie Puls. - Das Wort für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie das vorgeschlagen haben, Herr Kubicki, weil hat nun deren Vorsitzender, Herr Abgeordneter die Abgrenzung des Berufes nicht gegeben ist und Karl-Martin Hentschel. keine Voraussetzungen existieren. Das gilt übrigens auch für große Teile der Bera- Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tungsberufe, von denen wir eine unheimliche Viel- NEN]: zahl haben. Es gibt diplomierte Berufe; das ist klar, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und beispielsweise Psychologen. Es gibt aber gerade im Herren! Ich begrüße den Vorstoß der FDP-Fraktion, Beratungsbereich unzählige Leute, die tätig sind, auch wenn ich Zweifel bezüglich des Vorschlages ohne dass sie Diplome besitzen, aber durchaus ent- habe. Ich halte es grundsätzlich für richtig, einen sprechende Tätigkeiten - auch angemeldet - durch- vernünftigen Schutz von Berufsgeheimnisträgern führen dürfen. Ich kann nicht unterscheiden zwi- zu haben. Das betrifft für mich insbesondere die schen einem Arzt, der studiert hat, und einem Heil- Journalisten, bei denen es in der Vergangenheit er- berater, der freiberuflich, ohne Qualifikation tätig hebliche Probleme gegeben hat. Ich denke nur an ist. den „Cicero“-Fall, der hier schon zitiert worden ist. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Selbstverständ- Das ist ein Beispiel dafür, dass es Probleme gibt lich!) 6942 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Karl-Martin Hentschel)

Ich kann das rechtlich nicht grundsätzlich trennen. Sicht unerträglich. Darum kann ich sagen, dass der Antrag der FDP unsere volle Unterstützung hat. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Es steht in der Strafprozessordnung drin!) (Beifall bei der FDP) - Nein, das kann ich nicht. Vielleicht ist die kleinteilige Taktik der FDP, die sich zunächst nur mit einer einzigen Gruppe von (Zuruf des Abgeordneten Peter Eichstädt Berufsgeheimnisträgern beschäftigt, letztlich er- [SPD]) folgreich, erfolgreicher zumindest, als darauf zu - Wie? - Es gibt im Beratungsbereich eine ganze hoffen, dass die Änderung der Strafprozessordnung Menge Tätigkeiten, die nicht einfach abzugrenzen aufgehoben oder das BKA-Gesetz verhindert wird. sind. Ich bin davon überzeugt, dass der Antrag erfolg- Wenn man einen solchen Vorschlag macht, muss reich sein wird. Denn bei der völlig willkürlichen dies geregelt werden. Deswegen glaube ich, dass es Unterscheidung der Arbeit der Rechtsanwälte sinnvoll ist, das Ganze im Innen- und Rechtsaus- wurde gesetzestechnisch schlecht gearbeitet. schuss zu beraten und zu überlegen, wie wir für die Dass formal bereits die besten Chancen bestehen, Zielgruppen, insbesondere die Journalisten, zu bes- diese Neuregelung zu kippen, ergibt sich daraus. seren Regelungen kommen können, die adäquat Eine Trennung der Tatsachen ist in der Praxis eines und praktikabel sind. Ich habe das ausführlich auch Anwalts eben nicht möglich. Häufig gibt ein Man- mit Juristen, also Vertretern Ihrer Berufszunft, Herr dat Anlass dazu, sich mit strafrechtlichen Fragen zu Kubicki, diskutiert. Ich gebe zu, dass ich nicht dazu befassen. Denken wir nur an das Steuerrecht. Wenn gehöre. Aber sie haben mir alle gesagt, dass sie bei ein Rechtsanwalt ein Mandat übernimmt, ist diese Ihrer Regelung ein Problem sehen. Deshalb halte Entwicklung nicht vorauszusehen. Darum ist die ich es für gut, das im Innen- und Rechtsausschuss Neuregelung völlig realitätsfremd. zu beraten. Außerdem steht zu befürchten, dass das Zeugnis- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Nennen Sie mir verweigerungsrecht bereits ab einer niedrigen Er- einmal einen Berufskollegen, der damit Pro- heblichkeitsschwelle nicht mehr gegeben sein bleme hat!) wird. Dieses Fällen einer der Säulen unseres demo- - Die Probleme werden nicht dadurch beseitigt, kratischen Systems gilt es zu verhindern. Wir wis- dass Sie dazwischenrufen. - Ich glaube, dass wir sen, dass die FDP-Bundestagsfraktion im letzten dann zu einer vernünftigen Lösung kommen. Monat eine gleichlautende Gesetzesinitiative im Bundestag eingebracht hat. Ich hoffe, dass - auf (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) welchem Weg auch immer, über Bundestag oder Bundesrat - die geplante Verschlechterung der Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Rechte von Berufsgeheimnisträgern gestoppt wird. Das ist wichtig und passt zu dem, worüber wir heu- Ich danke dem Herrn Abgeordneten Karl-Martin te Morgen debattiert haben. Hentschel. - Das Wort für den SSW im Landtag hat deren Vorsitzende, die Frau Abgeordnete Anke (Beifall bei der FDP) Spoorendonk. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Anke Spoorendonk [SSW]: Ich danke der Frau Abgeordneten Anke Spooren- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! donk. - Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat der Ich lasse das Grundsätzliche einmal weg; dazu habe Herr Abgeordnete Wolfgang Kubicki. ich heute Morgen schon das Meiste gesagt. Wir se- hen die geplante Einschränkung elementarer Bür- ger- und Grundrechte mit großer Besorgnis. Aus diesem Grund möchte ich ausdrücklich nicht nur über die Arbeit von Rechtsanwälten sprechen, die in nicht nachvollziehbarer Art und Weise einge- schränkt werden. Der SSW fordert den Schutz al- ler Berufsgeheimnisträger, denn diese Zweitei- lung der Berufsgeheimnisträger ist aus unserer Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6943

Wolfgang Kubicki [FDP]: sondern sich Zettel zuschiebt, dann leben wir in ei- ner Gesellschaft, die wir nicht wollen können. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur weil mir das Schwadronieren wirklich langsam (Beifall bei FDP und SPD) auf den Sack geht, Herr Kollege Hentschel - im Weil die Differenzierung dogmatisch nicht zu wahrsten Sinn des Wortes -, sage ich Folgendes: rechtfertigen ist, muss der Gesetzgeber bei allem Herr Kollege Hentschel, wenn Sie einmal ins Ge- Verständnis, das ich für Strafverfolgung habe, hier setz geguckt hätten und meinem Redebeitrag ge- die ursprünglich einmal eingezogenen Schranken lauscht hätten, wüssten Sie, dass der Gesetzgeber wiederherstellen. bereits in § 53 Strafprozessordnung diejenigen Berufsgeheimnisträger definiert hat, um die es Herr Kollege Wengler, ich empfehle Ihnen § 160 a auch in § 161 a StPO geht. Da brauchen wir nichts Abs. 4 StPO zur Lektüre. Immer dann, wenn einer auszuweiten oder zu ergänzen. Wir müssen nur die der Berufsgeheimnisträger - dies gilt übrigens auch Frage klären, warum der Gesetzgeber die Berufs- heute schon - selbst in den Verdacht gerät, Täter gruppe in § 53 in § 160 a differenziert. Dafür gibt oder Teilnehmer an einer Straftat zu sein, können es keine sinnvolle und logische Begründung außer gegen ihn selbstverständlich Ermittlungsmaßnah- der, dass er auch gern die Strafverteidiger ins Visier men durchgeführt werden. Ich sage es aber noch genommen hätte, aber weiß, dass das europarechts- einmal: Für uns muss es darum gehen, den Raum widrig und verfassungswidrig wäre und er das des- des Vertrauensverhältnisses, den der Gesetzgeber halb nicht machen kann, und weil er weiß, dass das schützen will, auch tatsächlich schützen zu lassen. bei Abgeordneten schon wegen des Immunitäts- Ich will keine Situation wie in der ehemaligen und Indemnitätsprizips nicht geht. Nur deshalb. Die DDR, in der die Menschen nicht mehr kommuni- Geistlichen hat er mit reingenommen, weil der zieren. Krach mit der katholischen und der evangelischen (Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE Kirche sonst nicht auszuhalten gewesen wäre. Das GRÜNEN und SSW) ist der Grund, warum es die Differenzierung gibt. Sonst wären nämlich alle erfasst worden. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Ich will hier mit einem Missverständnis aufräumen. Es geht nicht um den Schutz der Berufsgeheimnis- Ich bitte den Kollegen Kubicki bei Verärgerung, träger. Es geht um den Schutz der Mandanten, der die verständlich ist, parlamentarischere Vergleiche Klienten und des Vertrauensverhältnisses. Herr zu wählen, als er es eben getan hat. Kollege Hentschel, ich finde es sehr bedauerlich, Für die Landesregierung hat Herr Justizminister Dr. dass Sie nicht zur Kenntnis genommen haben, dass Uwe Döring das Wort. sich beispielsweise der Verband der Psychothera- Bevor er das Wort ergreift, möchte ich geschäftslei- peuten und Psychiater bereits mit der Erklärung tend noch darauf hinweisen, dass Punkt 17 c vor an die Öffentlichkeit gewandt hat, dass Patienten der Mittagspause nicht mehr aufgerufen wird. mittlerweile nicht mehr anrufen, nachdem die Kom- munikationsdaten aufgezeichnet werden. Die Pati- enten befürchten, dass die Tatsache des Anrufs no- Uwe Döring, Minister für Justiz, Arbeit und Euro- tiert wird und irgendwann einmal gegen sie ver- pa: wandt werden kann. Wenn sie jetzt auch noch das Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit Gefühl haben müssen, sie könnten nicht mehr zu ih- dem Dr. ist es bei mir noch nicht so weit, aber wer rem Arzt oder Psychotherapeuten gehen, weil sie weiß, es gibt ja Spätentwickler. möglicherweise belauscht werden, dann gibt es die einschlägigen Gespräche nicht mehr. Reden Sie Angesichts der fortgeschrittenen Zeit und ange- einmal mit Ärzten und Psychiatern! sichts dessen, dass die wesentlichen Inhalte schon angesprochen wurden, möchte ich mich kurz fas- Es gibt heute bereits Anwaltskanzleien, die damit sen. Herr Kubicki, Sie wissen, dass wir in vielen werben, dass in ihren Räumen nicht abgehört wer- Bereichen übereinstimmen, was Abwehrrechte ge- den kann. Ich kenne Leute, die sich abhörsichere genüber dem Staat anbelangt, was den Schutz der Räume geschaffen haben. Ich kenne eine Anwalts- Privatsphäre anbelangt. Auch mich treibt die Sorge kanzlei in Würzburg, in der das geschehen ist. um, dass der gerechte Ausgleich zwischen einem Wenn es in einer Gesellschaft so ist, dass sich An- öffentlichen Interesse an Strafverfolgung und wälte nicht anders als in totalitären Staaten wehren den schutzwürdigen Interessen der Betroffenen können, dass man nicht mehr miteinander redet, aus dem Gleichgewicht gerät. 6944 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Minister Uwe Döring)

Im vorliegenden Fall meine ich aber, dass die ge- Gemeinsame Beratung troffene Regelung vertretbar ist. Lassen Sie uns im Ausschuss im Einzelnen darüber reden. Ich bin nicht unbelehrbar. Politisch muss ich allerdings sa- a) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ge- gen, dass ich, nachdem das Gesetz zum 1. Januar setzes zum Schutz vor den Gefahren des Pas- 2008 gerade erst in Kraft getreten ist und ein ent- sivrauchens sprechender Vorstoß der FDP im Bundestag keinen Erfolg hatte, nicht annehme, dass eine Bundesrat- Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE sinitiative inhaltlich erfolgreich sein wird. Lassen GRÜNEN Sie uns darüber aber im Ausschuss im Einzelnen Drucksache 16/2205 beraten. Von der justizpolitischen Grundhaltung her habe ich viel Sympathie für das hier zur Debatte stehende Anliegen. Wir müssen uns bemühen, eine b) Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor den vernünftige Regelung zu finden. Ich meine, die hier Gefahren des Passivrauchens getroffene Regelung ist noch vertretbar. Lassen Sie Gesetzentwurf der Fraktion der FDP uns, wie gesagt, im Einzelnen aber noch darüber re- Drucksache 16/2215 den. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das (Beifall bei der CDU) scheint nicht der Fall zu sein. Dann erteile ich zu- nächst einmal dem Vertreter der Fraktion von Vizepräsidentin Ingrid Franzen: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als derjenigen Frakti- Ich danke dem Herrn Minister. - Weitere Wortmel- on, die zuerst einen Gesetzentwurf eingereicht hat, dungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. das Wort. - Das Wort hat Frau Abgeordnete Moni- ka Heinold. Es ist beantragt worden, den Antrag auf Drucksa- che 16/2216 dem Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: um das Handzeichen. - Das ist mehrheitlich so be- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der schlossen. Nichtraucherschutz beschäftigt den Schleswig-Hol- Ich frage das Parlament und den Vorsitzenden des steinischen Landtag seit nunmehr drei Jahren. 2005 Petitionsausschusses, ob Einverständnis besteht, haben wir einen Landtagsantrag „Rauchfreier öf- Punkt 21 der Tagesordnung, der die Tätigkeit des fentlicher Raum“ eingebracht. 2006, nachdem die Petitionsausschusses betrifft, nach der Mittagspause Föderalismuskommission die Zuständigkeit für das aufzurufen. - Das wird so gewünscht. Gaststättengesetz in die Verantwort der Länder ge- legt hatte, hatten wir vorgeschlagen, hier ein Dann wünsche ich allen jetzt eine gute Mittagspau- dementsprechendes Nichtraucherschutzgesetz in se. Die Sitzung ist unterbrochen. Form eines Gaststättengesetzes zu verabschieden. (Unterbrechung: 13:05 bis 15:02 Uhr) Dies ist gescheitert. Nach drei Jahren Diskussion haben es dann CDU und SPD endlich geschafft, ein Nichtraucherschutzgesetz für Schleswig-Holstein Präsident Martin Kayenburg: zu verabschieden. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Schon bei der Verabschiedung war aber klar: Die Kolleginnen und Kollegen! Ich darf die Sitzung vielen Koalitionskompromisse in Form von Aus- wieder eröffnen. nahmeregelungen würden in der Praxis Probleme Auf der Tribüne begrüßen wir herzlich die Mitglie- mit sich bringen. Raucherräume durchlöchern den der der Senioren-Union Kappeln und Schülerinnen legitimen Schutzanspruch vor den Gefahren des und Schüler der Kardinal-von-Galen-Realschule Passivrauchens, auch den von Arbeitnehmerinnen aus Mettingen nahe bei Münster. - Ihnen allen ein und Arbeitnehmern in der Gastronomie. Konse- herzliches Willkommen! quenter Nichtraucherschutz, meine Damen und Herren, sieht anders aus! (Beifall) (Beifall der Abgeordneten Angelika Birk Die Schüler begrüße ich als gebürtiger Westfale [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ganz besonders herzlich. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 und 9 auf: Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6945

(Monika Heinold)

Deshalb haben wir dem damaligen Gesetz nicht zu- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gestimmt, obwohl es - das habe ich auch immer und SSW) wieder deutlich gesagt - für den Gesundheitsschutz nicht, weil wir die Volkserzieher der Nation sind, in Schleswig-Holstein ein großer Fortschritt im sondern weil nur ein konsequentes und ausnahms- Vergleich zu früher war. Wenig ist besser als gar loses Rauchverbot einen wirklichen Schutz vor den nichts. Gefahren des Passivrauchens für die Gäste und für Bei der Verabschiedung des Gesetzes war auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer garan- klar, dass die vielen Ausnahmetatbestände zu unge- tiert. Wir fordern eine klare und einfache Regelung, rechtfertigten Wettbewerbsverzehrungen führen welche Missverständnisse, Interpretationsmöglich- würden. Dies ist nun vom Bundesverfassungsge- keiten und Wettbewerbsverzerrungen ausschließt. richt bestätigt worden. Das höchste deutsche Ge- Leider hat die Große Koalition in Berlin es nicht richt hat festgestellt, dass der Gesetzgeber ein strik- geschafft, über das Arbeitsschutzgesetz eine bun- tes, ausnahmsloses Rauchverbot verhängen kann. deseinheitliche klare Regelung zu finden. Und (Dr. Heiner Garg [FDP]: Kann!) nicht nur das; die CDU-geführten Bundesländer ha- ben sogar eine gemeinsame Gesundheitskonferenz - Kann, ja. Habe ich doch gesagt. Habe ich etwas boykottiert, auf der nach einer gemeinsamen Lö- anderes gesagt? Nein, habe ich nicht. sung gesucht werden sollte. Gesundheitsministerin Der Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsgefah- Trauernicht, die zu dieser Konferenz eingeladen ren durch das Passivrauchen ist ein überragend hatte, kam ohne Erfolg nach Hause. wichtiges Gemeinwohlziel, das eine derartige Meine Damen und Herren von der CDU in Schles- Maßnahme rechtfertigt. wig-Holstein, schauen Sie einmal nach Bayern, wo (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ihre Schwesterpartei den Nichtraucherschutz konse- und SSW) quent umsetzt. Ein konsequenter, ausnahmsloser Nichtraucher- (Unruhe bei der CDU) schutz ist mit der Verfassung vereinbar. Hier lässt sich doch vom Freistaat etwas lernen. Vom ersten Tag des Inkrafttretens an gab es Pro- Schließen Sie sich unserer grünen Position an. Sie bleme mit dem schleswig-holsteinischen Gesetz. ist einfach, sie ist unmissverständlich, sie ist verfas- Gastwirte mahnten eine massive Bedrohung ihrer sungskonform. Existenz an und boykottierten ganz öffentlich den Vollzug. Findige Kneipiers widmeten kurz ent- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schlossen ihre Räumlichkeiten zu Vereinen um. und SSW) Andere taten sich zusammen; aus zwei wurde eins, und so konnte dann eine Gaststätte als Nebenraum Präsident Martin Kayenburg: deklariert als Raucherlokal gelten. Sie alle erinnern sich an die Gaardener Kneipe „Zum Brook“. Der Für die Fraktion der FDP erteile ich Herrn Abge- Ministerpräsident, volksnah wie er ist, hat diese ordneten Dr. Heiner Garg das Wort. höchst persönlich besucht, um dem Inhaber zu ver- sichern, dass er schon alles regeln würde. Das hat er Dr. Heiner Garg [FDP]: zwar nicht getan, aber die Ordnungsbehörden fas- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! sten dies anscheinend als Aufforderung auf, den Das gilt auch für den Vorschlag der FDP-Fraktion. Nichtraucherschutz locker anzugehen. Er ist einfach, er ist verfassungsgemäß und man Das Bundesverfassungsgericht hat nun Handlungs- kann ihn sofort umsetzen, wenn man will. Ich gebe bedarf aufgezeigt. Die Bundesländer müssen sich allerdings zu, er ist natürlich nicht volkserziehe- entweder für ein konsequentes Verbot ausspre- risch wie der Vorschlag von BÜNDNIS 90/DIE chen oder aber Ausnahmeregelungen verabschie- GRÜNEN. Also, liebe Kolleginnen und Kollegen den, welche nachvollziehbar und gerecht sind. insbesondere von der Union, mal gucken, wo ihr li- Meine Fraktion plädiert für einen konsequenten berales Herz, das Sie angeblich ab und zu ent- Nichtraucherschutz und bringt deshalb heute dazu decken wollen, tatsächlich schlägt, ob für Volkser- erneut unseren Gesetzentwurf ein. Wir wollen, dass ziehung und Komplettverbote oder für eine Lösung, die Ausnahmeregelungen im Nichtraucherschutzge- die auf Selbstbestimmung und auf Toleranz einer setz gestrichen werden, Gesellschaft setzt. 6946 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Dr. Heiner Garg)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf von uns Erstens. Die Ausnahmeregelung für sogenannte kämen wir einer Gesetzesharmonisierung in den Einraumgastronomiebetriebe. norddeutschen Bundesländer relativ nahe. In Da fällt mir ein: Erzählen Sie doch dieses Märchen Hamburg regieren die Grünen mit, Frau Kollegin vom Mitarbeiterschutz nicht weiter. Es geht Ihnen Heinold, da gibt es - wenn ich das richtig sehe -, doch gar nicht um den Mitarbeiterschutz. Sie wol- kein totales Rauchverbot in gastronomischen Ein- len doch sogar in den inhabergeführten Einraum- richtungen. Da gibt es keine Initiative Ihrer Frakti- kneipen das Rauchen verbieten, wo gar keine Mit- on. arbeiter da sind. (Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der FDP - Zuruf der Abgeordne- NEN]: Das Leben ist hart!) ten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE - Ja, genau, das Leben ist hart. Ich finde Ihren An- GRÜNEN]) trag auch hart. Ich finde ihn auch hart an der Gren- Verschonen Sie uns mit Ihrer volkserzieherischen ze des Erträglichen, um einmal ganz deutlich zu Ideologie, dass Menschen so zu leben haben, wie sein. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sich das vorstellen. (Beifall bei FDP und CDU) (Lebhafter Beifall bei FDP und CDU) Ich will Ihnen auch gleich sagen, warum er hart an In unserem Gesetzentwurf wird das Bundesverfas- der Grenze des Erträglichen ist. Wir haben ein sungsgerichtsurteil eins zu eins umgesetzt: Gastro- Nichtraucherschutzgesetz verabschiedet - meine nomiebetriebe mit einer Gastfläche von 75 m2 oder Fraktion hat aus gutem Grund nicht dafür ge- weniger, ohne Nebenraum, ohne Angebot an zube- stimmt -, das den Wirten, die mehr als einen Gas- reitenden Speisen. traum zur Verfügung haben, die Möglichkeit lässt, den kleineren Raum als Raucherzimmer auszu- Wenn ich dann mit dem einen oder anderen Kolle- weisen, in dem geraucht werden darf. gen von der Seite diskutiere, dann finde ich das im- mer sehr originell, nicht wahr, Herr Eichstädt? Mittlerweile sind etliche Investitionen getätigt Dann diskutieren Herr Eichstädt und ich ernsthaft worden, um einen solchen Raum entsprechend aus- darüber, ob Tortilla-Chips, Salzstangen oder Bulet- zustatten. Und nun wollen Sie ernsthaft einen Ge- ten zubereitete Speisen sind oder nicht. Deswegen setzentwurf vorlegen, der das alles wieder einkas- könne man eine so komplizierte Regelung, wie die siert und der ein komplettes Rauchverbot in sämtli- FDP sie vorschlägt, gar nicht bringen. Demnächst chen gastronomischen Betrieben verfügt. Liebe gehen wir zu Taufveranstaltungen, weil Herr Eich- Frau Kollegin Heinold, ich kann Ihnen sagen, was städt Buletten und fertige Schnitzel tauft. Man kann passiert. Die Wirte werden das Land zu Recht mit eine Geschichte wirklich komplizierter machen, als Schadensersatzklagen überziehen. Bei den Haus- sie ist. Gucken Sie einfach einmal in das Bundes- haltsberatungen erwarte ich dann Ihre Deckungs- verfassungsgerichtsurteil. Lesen Sie das, und dann vorschläge. werden Sie sehen, mit unserem Vorschlag, den wir (Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der Ihnen heute vorgelegt haben, kriegen Sie die Um- CDU - Zuruf der Abgeordneten Monika Hei- setzung des Urteils eins zu eins auf die Reihe. Ich nold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) denke, es geht um Rechtsklarheit und Rechtssicher- heit für Gäste und Wirte. - Sie haben doch Ihren Gesetzentwurf verursacht, diesen Unsinn. Unser Gesetzentwurf ist ein ganz Ich sage das immer wieder gern, liebe Kollegin pragmatischer Ansatz. Es soll bei uns nicht um Heinold: Ich versuche, Respekt zu haben und Ihre Volkserziehung gehen, wie bei Ihrem Antrag, der Auffassung zu respektieren, dass Sie allen und mit vollständigen Verboten ein gastronomisches überall das Rauchen verbieten wollen. Dann erwar- Angebot mit einem Krankenhaus, einer Kinderta- te ich von Ihrer Bundestagsfraktion eine Initiative, gesstätte oder eine Schule gleichsetzt. die den Tabakkonsum in der Bundesrepublik kon- sequent verbietet, (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP - Monika Heinold Unser Gesetzentwurf beseitigt Abgrenzungsproble- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Gefal- me, um das auch deutlich zu sagen, und er gibt len werden wir Ihnen nicht tun!) Rechtssicherheit. Dabei sind folgende Neurege- lungen vorgesehen: dass Sie auf die vierzehneinhalb Milliarden € Ta- baksteuereinnahmen jedes Jahr verzichten, mit de- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6947

(Dr. Heiner Garg) nen die Grünen verkünden, gute Dinge tun zu wol- Dass sich der Kollege Garg dafür gerade den Nicht- len, und ich erwarte natürlich auch, dass der Ta- raucherschutzbereich ausgesucht hat, ist eben seine bakanbau in der Europäischen Union keinen Tag ganz persönliche Note. Aber ich muss schon sagen: länger aus Steuermitteln subventioniert wird. Herzlichen Glückwunsch zu der gelungenen Rede gerade eben! (Beifall bei der SPD - Zuruf der Abgeordne- ten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE (Günter Neugebauer [SPD]: Aber zulasten GRÜNEN]) des Adrenalinspiegels! - Heiterkeit) Wenn Sie ernsthaft an einer Diskussion, wie man - Da sprechen 39 Jahre Parlamentserfahrung in das Bundesverfassungsgerichturteil im Sinn der Schleswig-Holstein. Herr Kollege Garg, das sollten Bürgerinnen und Bürger - und wir sind Volksver- Sie sich vielleicht zu Herzen nehmen. treter und keine Volkserzieher - sehen muss, inter- In der Sache ist der Gesetzentwurf der Freien De- essiert sind, lade ich Sie herzlich ein. Sie haben mokraten gar nicht so verkehrt, auch wenn die Rede zwei diametral unterschiedliche Vorschläge auf ein wenig den Blick auf den Kerngehalt verstellt dem Tisch liegen. Ich würde mich natürlich am En- hat. Ich kann mir vorstellen, dass wir uns in der Ko- de über eine Zustimmung zu unserer pragmatischen alition in diese Richtung einigen. Lösung freuen. (Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei FDP und CDU - Zurufe der Ab- GRÜNEN]: Er ist 29 Jahre im Parlament!) geordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Angelika Birk - Entschuldigung. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber er wirkt wie 39 Jahre!) Präsident Martin Kayenburg: Für die Fraktion der CDU hat deren Vorsitzender, Präsident Martin Kayenburg: Herr Abgeordneter Dr. Johann Wadephul, das Das Wort hat Herr Dr. Wadephul, und die Dialoge Wort. können im Flur geführt werden.

Dr. Johann Wadephul [CDU]: Dr. Johann Wadephul [CDU]: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Jawohl, Herr Präsident. Ich nutze die Gelegenheit Herren! Die „Kieler Nachrichten“ haben heute mor- trotzdem für eine Entschuldigung gegenüber dem gen in einer Überschrift den Eindruck zu erwecken Kollegen Neugebauer, so alt sieht er auch wirklich versucht, es gebe möglicherweise eine Krise in der nicht aus. Koalition und da könnte irgendetwas geschehen. Angesichts des Zustands der völligen Zerstrittenheit (Heiterkeit) der Opposition kann ich sagen: Sie wissen alle, dass die CDU-Landtagsfraktion bei (Zuruf: Das ist doch keine demokratische der jetzigen Regelung, die eine Benachteiligung Auffassung! - Weitere Zurufe) für die Eckkneipen bedeutet, von vornherein Bauchschmerzen hatte. Die sind auch in diesem Dagegen, lieber Herr Kollege Kubicki, ist es in die- Haus artikuliert worden. Es sind auch Bemühungen ser Koalition harmonisch und vertrauensvoll. vorhanden gewesen, schon im Vorweg vielleicht (Beifall bei CDU, SPD und des Abgeordne- die dänische Regelung mit 40 m2 aufzunehmen. ten Wolfgang Kubicki [FDP]) (Holger Astrup [SPD]: 75 m2 sind besser!) Das ist ein Beitrag zur Stabilität. Es gab maßgebliche Stimmen in der SPD-Land- Ich wundere mich etwas über die noch vorhandene tagsfraktion, Herr Kollege Astrup, die Sympathien Fröhlichkeit des Kollegen Kubicki, denn wenn ich haben erkennen lassen, die sich aber, wie auch in versuche, den Auftritt von Herrn Garg zu interpre- anderen Fragen, in Ihrer Fraktion nicht haben tieren, dann kann er nur ein Angriff innerhalb der durchsetzen können, was ich an dieser Stelle aus- FDP sein. drücklich bedauere. Deswegen ist es zu dieser Ge- setzgebung gekommen. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist bei uns anders als bei der CDU!) Wir haben jetzt das Bundesverfassungsgerichts- urteil zur Kenntnis zu nehmen und umzusetzen. Ich 6948 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Dr. Johann Wadephul) bin - um es kurz zu machen - im Ergebnis der Auf- lung gegeben hat, die immer negativ als Flicken- fassung des Kollegen Garg, dass wir uns natürlich teppich betitelt worden ist. Wer im Ernst der Auf- an den 75 m2 orientieren müssen. fassung ist - und ich bin der Auffassung -, dass Fö- deralismus etwas Gutes ist, der muss damit automa- Frau Kollegin Heinold, es macht in der Tat keinen tisch in Kauf nehmen, dass es von Bundesland zu Sinn - so sinnvoll an sich das Ziel des Nichtrau- Bundesland unterschiedliche Regelungen geben cherschutzes ist; und es gibt überhaupt keinen An- kann. lass, die Gefahren des Passivrauchens zu verharm- losen -, an dieser Stelle eine Volkserziehung per (Beifall bei CDU und FDP) Gesetz zu betreiben, die über das hinausgeht, was Und dieses von vorneherein als Flickenteppich zu wir bisher schon an Aufklärungsmaßnahmen haben. diskreditieren, stellt ein Stück weit unser Selbstbe- Auf jeder Zigarettenschachtel und bei jeder Wer- wusstsein als Landesgesetzgeber infrage. Deswegen bung wird mit großen Lettern auf die großen Ge- sage ich: Wir haben ganz unterschiedliche kulturel- fahren des Rauchens hingewiesen. Es ist gerade in le Gegebenheiten in Deutschland, auch innerhalb diesen kleineren Kneipen jedem, der dort arbeitet, einiger Bundesländer, die etwas größer sind als der dort Bier oder andere Getränke ausschenkt, Schleswig-Holstein. Deshalb können wir durchaus oder der sich dort bewusst hineinbegibt, klar, in auch etwas variierende Regelungen zum Nichtrau- welche weiteren Gefahren er sich begibt. cherschutz in Deutschland vertragen. Daran geht Ich würde es einmal so sagen, ohne das Rauchen die Welt nicht zugrunde. oder das Passivrauchen zu verharmlosen: Es gibt im (Beifall bei CDU, SPD und FDP) positiven Sinne in diesen Kneipen auch eine Art Kultur des Tabakkollegiums, die man auch nicht allen Menschen per Gesetz austreiben sollte. Wir Präsident Martin Kayenburg: müssen nicht allen Menschen sagen, wie sie sich in Für die Fraktion der SPD hat Herr Abgeordneter jeder Lebenslage optimal gesundheitsbewußt ver- Peter Eichstädt das Wort. halten müssen. Täten wir das, müssten wir über vie- le andere Dinge miteinander reden. Peter Eichstädt [SPD]: (Beifall bei CDU, SPD und FPD) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Beispielsweise müssten wir vor einer McDonalds- Herren! Die Rede, die wir eben von dem geschätz- Gaststätte eine Waage aufstellen, den Bodymaßin- ten Kollegen Wadephul gehört haben, vermittelt dex ermitteln und dem Einzelnen sagen: „Geh jetzt den Eindruck, als hätten wir während der vergange- lieber nicht hinein, kein Hamburger! Du kriegst nen drei Jahre überhaupt nicht über die Gefahren drinnen vielleicht gerade ein Mineralwasser.“ des Passivrauchens diskutiert. In dieser belehrenden Art und Weise sollten wir (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht vorgehen; jedenfalls stehen wir dafür nicht Einiges wird jetzt wieder so simplifiziert, als stün- zur Verfügung. den wir erneut am Anfang. Gott sei Dank tun wir (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der das nicht. Kollege Wadephul, das, was Sie eben zu SPD) dem Flickenteppich gesagt haben, wundert mich. Das war immer ein tragendes Argument des Herrn Ich will abschließend nur Folgendes sagen: Ich den- Ministerpräsidenten, dem Sie sich bis heute eigent- ke, wir werden die Regelung im Wesentlichen um- lich immer angeschlossen haben. Wir sind aber setzten, und wir werden die Hinweise des Bundes- lernfähig. verfassungsgerichts natürlich ernst nehmen, Min- derjährige zu schützen, auch in den Bereichen, in (Dr. Heiner Garg [FDP]: Er kann sich nicht denen wir jetzt schon das Rauchen in Nebenräumen wehren, das ist unfair!) und in anderen Bereichen, zum Beispiel in Zelten, Unser Gesetz zum Schutz vor den Gefahren des erlauben. Natürlich ist der Schutz Minderjähriger Passivrauchens ist ein großer Erfolg. Überall im öf- eine wichtige Angelegenheit, und ich denke, darauf fentlichen Bereich hat der Nichtraucherschutz wird man sich, Herr Kollege Garg, ebenfalls mit Ih- Vorrang. Die Menschen akzeptieren dies. Selbst rer Fraktion verständigen können. Raucher genießen in Gaststätten die Speisen gern Ich möchte abschließend eine Bemerkung zu den ohne den beeinträchtigenden blauen Dunst. Ich Überlegungen und zur Kritik machen, die es hin- glaube, das habe ich sogar einmal von Herrn Garg sichtlich einer bundesweit uneinheitlichen Rege- gehört. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6949

(Peter Eichstädt)

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ich rauche doch gar es sei erwähnt. Diese Diskussion haben wir jetzt ab- nicht!) geschlossen. - Das ist richtig, noch nicht. Sie machen so viel Ein Blick in unsere Nachbarländer zeigt: Eine ein- Dampf und so viel Wind, dass man manchmal auf heitliche Regelung im norddeutschen Raum, die die Idee kommen könnte, dass da etwas raucht. wir immer gern wollten und die der Ministerpräsi- dent im Gegensatz zur CDU auch immer gern woll- Umstritten war von Anfang an die Frage, wie die te, wird sich nun wohl auf der Basis dieser Ausnah- Regelung in Gaststätten aussehen soll. Wir haben meregelungen für Eckkneipen herausbilden und so uns seinerzeit dafür entschieden, das Rauchen in zustande kommen. Nebenräumen zu gestatten. Gaststätten, die über keinen Nebenraum verfügen, mussten das Rauchen Unsere Novellierung wird sich sehr eng an der danach verbieten. Nun hat das Bundesverfassungs- Übergangsregelung orientieren, die es durchaus in gericht festgestellt, dass das Rauchen wegen der sich hat. Da gibt es eine Reihe von Details zu re- hohen Bedeutung des Gesundheitsschutzes in Gast- geln. Dieser Weg ist jedenfalls schwieriger, als es stätten grundsätzlich verboten werden kann. Wenn die Umsetzung von flotten Gesetzentwürfen, die es aber - wie bei uns - Ausnahmen gibt, dann müs- wir heute von den Grünen und vor allen Dingen sen diese begründet und ausgewogen sein. Sie müs- von der FDP vorliegen haben, vermuten lässt. sen auch wirtschaftliche Interessen mit abwägen. Herr Garg, zur FDP möchte ich anmerken: Wenn Wir als Gesetzgeber haben somit nur zwei Mög- wir damals Ihrem Gesetzentwurf gefolgt wären, den lichkeiten, den Nichtraucherschutz in Gaststätten Sie noch Mitte dieses Jahres als Änderung unseres verfassungskonform zu regeln. Entweder gilt das Gesetzes vorgelegt haben, dann hätten wir heute die absolute Rauchverbot in allen Gaststätten oder aber gleichen Probleme, weil Ihr Entwurf auch nicht mit eine folgerichtige und gleichheitsgerichtete Aus- dem kompatibel gewesen wäre, was das Bundesver- nahmeregelung. Meine Fraktion hat sich nach län- fassungsgericht uns gesagt hat. Sie haben damals gerer Diskussion nunmehr dazu entschieden, den nämlich auch von inhabergeführten Gaststätten bei zweiten Weg zu gehen. Ich hoffe, Sie reden auch Einraumkneipen gesprochen. Dies hätte uns heute noch mit uns. Eben hörte es sich so an, als wollten die gleichen Probleme gebracht. Sie das Gesetz zusammen mit der FDP machen. (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold Wir werden uns mit unserem Koalitionspartner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) über die Ausgestaltung einer Novellierung unterhal- ten, die das Rauchen in Eckkneipen unter bestimm- Frau Kollegin Heinold, damit Sie nicht zu zufrieden ten Bedingungen gestatten wird. Wir werden uns mit dem sind, was Sie gemacht haben, sage ich, dabei eng an dem Urteil des Bundesverfassungsge- dieser Gesetzentwurf hat mich wirklich gewundert. richts und an der dort getroffenen Übergangsrege- Der jetzt vorliegende Entwurf der Grünen, den lung orientieren. Unser Ziel bleibt ein möglichst selbst ernannten Gralshütern des Nichtraucher- weitgehender Schutz von nicht rauchenden Men- schutzes, ist so schnell gestrickt, dass danach zwar schen vor dem Passivrauchen. in allen Gaststätten das Rauchen verboten ist, wie Sie es eben laut vorgetragen haben, dass die Aus- (Vereinzelter Beifall bei der SPD) nahmeregelung aber in Zelten in Kraft bleibt, weil Wir wollen auch eine möglichst hohe Akzeptanz sie es schlicht und ergreifend vergessen haben, den unseres Gesetzes. Wir wollen aber keiner Seite - Punkt 5 auch zu streichen. Sehen Sie Ihren Entwurf weder den Interessengruppen der Raucher noch den an. Danach dürfte in Gaststätten nicht mehr ge- Nichtraucherorganisationen - einen Grund dafür ge- raucht werden, in Zelten würden Sie es weiter er- ben, erneut vor das Bundesverfassungsgericht zu lauben. Frau Heinold, das war von Ihnen sicher ziehen. Dies sollte nicht unterschätzt werden. nicht so beabsichtigt. (Beifall bei der SPD) (Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wie in Bayern!) Die Ordnungsbehörden sollen die Ausnahmerege- lung auch tatsächlich überprüfen und ihre Einhal- - Das würde mich wirklich sehr wundern. Das ha- tung durchsetzen können. ben Sie immer anders erklärt. Es kann aber passie- ren, dass so etwas einfließt, wenn man ein Gesetz Dass sich viele in meiner Fraktion gut hätten vor- schnell auf populistische Beine stellt, statt solide zu stellen können, aus gesundheitspolitischen Ge- arbeiten. sichtspunkten zu einem konsequenten Rauchverbot zu kommen, sei hier nur am Rande erwähnt, doch (Vereinzelter Beifall bei der SPD) 6950 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Peter Eichstädt)

Einige Punkte sind schon angerissen worden, über gehe davon aus, dass zum Ende des Jahres weißer die wir nachdenken müssen, damit wir ein sauberes Rauch aufsteigt. Gesetz hinkriegen. Da ist zum einen die Frage der (Beifall bei der SPD) zulässigen Größe von 75 m2. Was gehört dazu? Zählt dazu nur der Gastraum? Zählen dazu auch der Tresenbereich, WC und Garderobe? Das muss so Präsident Martin Kayenburg: geregelt werden, dass eine Überprüfung möglich Für die Abgeordneten des SSW erteile ich Herrn ist. Weiterhin gilt die Frage, was zubereitete Spei- Abgeordneten Lars Harms das Wort. sen sind. Der Kollege Garg hat sich schon darüber lustig gemacht. Trotzdem werden wir regeln müs- Lars Harms [SSW]: sen, ob Erdnüsse oder Salzstangen darunter fallen. Gehören auch Buletten dazu? Ist die Abgrenzung Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und zwischen warmen und kalten Speisen sinnvoll? Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat die Län- Was ist, wenn kalte Speisen in der Sonne warm derregelungen zum Nichtraucherschutz in Gaststät- werden? Was ist, wenn warme Speisen kalt wer- ten wieder einkassiert. Die Begründung ist recht den? All dies müssen wir so regeln, dass die Ord- einfach: Durch den Staat darf in den Wettbewerb nungsbehörden damit auch sicher umgehen können. nicht so eingegriffen werden, dass der Wettbewerb Ein weiterer Punkt ist uns wichtig: Wenn wir in verzerrt wird. Wir haben dies als SSW ebenfalls Einraumkneipen den Zutritt von unter 18-Jähri- deutlich gemacht. Es kann nicht sein, dass Gaststät- gen untersagen, dann muss dies natürlich auch für ten bevorzugt werden, indem sie Sonderregelungen Nebenräume gelten, in denen geraucht werden darf, erhalten, die das Rauchen wieder ermöglichen. Es wenn es sich bei diesem Lokal um eine Mehrraum- kann nicht sein, dass andere diese Regelungen nicht gaststätte handelt. nutzen können. Der Staat hat in den Wettbewerb eingegriffen, indem er die großen Restaurants be- (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold vorzugt hat. Diese können einen Raucherraum aus- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) weisen und den Gästen damit den altbekannten Zu- stand anbieten. Einraumgaststätten konnten dies Präsident Martin Kayenburg: beispielsweise nicht und fielen deshalb hinten run- Herr Kollege, bitte achten Sie auf die Redezeit. ter. Der Gaststättenverband hat diese ungleiche Si- tuation unter den Anbietern paradoxerweise durch seine Lobbypolitik selbst heraufbeschworen. Nun Peter Eichstädt [SPD]: muss alles wieder korrigiert werden, wir sind wie- Das Bundesverfassungsgericht hat ebenfalls etwas der beim alten Stand angekommen. Allerdings ha- kaum Beachtetes zu den Diskotheken gesagt, in ben wir nicht nur eine, sondern zwei Möglichkeiten denen wir in Nebenräumen durchaus das Rauchen zur Auswahl, wie wir das Problem angehen könn- erlaubt haben. Das Gericht sagte: Wenn ihr das ten. macht, dann müsst ihr sicherstellen, dass in diesem Wir brauchen eine transparente, für alle gleich- Raum keine Tanzfläche ist. Wenn man sich also das lautende und praktikable Lösung. Wir müssen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Herzen uns zwischen einem Ja zur Raucherlaubnis und ei- nimmt und es zum Maßstab macht, dann muss man nem Nein zur Raucherlaubnis entscheiden. Schaf- auch dies beachten. fen wir wieder komplizierte Lösungen, dann schaf- fen wir mehr Bürokratie und mehr Konflikte. Das Präsident Martin Kayenburg: wollen wir als SSW nicht. Deshalb ist es ein ver- Herr Kollege Eichstädt, Ihre Redezeit ist abgelau- kehrter Weg, den Nichtraucherschutz durch kom- fen. plizierte Ausnahmen wieder auszuhöhlen. Ehrlicher wäre es, wenn man deutlich sagen würde, dass man Peter Eichstädt [SPD]: andere Rechte und individuelle Freiheiten höher an- siedelt als den Gesundheitsschutz nicht rauchender Herr Präsident, ich komme zum Schluss. - Wir Mitmenschen. Zu diesem Schluss kann und darf müssen diskutieren, wie wir mit der Regelung für man kommen. Man sollte aber nicht auf ein Gesetz Festzelte umgehen. Wir werden über all dies mit den Titel „Gesetz zum Schutz vor den Gefahren des unserem Koalitionspartner diskutieren. Wir werden Passivrauchens“ schreiben und dann massenhaft auch mit dem Sozialministerium diskutieren. Ich Ausnahmen zulassen, wie es die FDP macht. Ent- weder ist der Schutz eines jeden Menschen im öf- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6951

(Lars Harms) fentlichen Raum gleich viel wert oder eben nicht. (Beifall des Abgeordneten Detlef Matthies- Wenn wir aber feststellen, dass der Gesundheits- sen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) schutz ein so hohes Gut ist, dass wir handeln müs- Wollen wir diesen konsequenten Schutz nicht, wäre sen, dann muss dieser Gesundheitsschutz in großen kein Gesetz zu beschließen immer noch besser und und in kleinen Kneipen, in Restaurants und auch ehrlicher als der Schweizer Käse, den uns die FDP auf Zeltfesten gelten. Nur aufgrund der Tatsache, vorgelegt hat. dass ein Fest ein sogenanntes Traditionsfest ist, dürfen wir nicht vom konsequenten Gesundheits- Wir als SSW stehen zum Schutz der Gesundheit der schutz abweichen. Sonst sind wir inkonsequent, Menschen in unserem Land, und wir können mit ei- und die Bürgerinnen und Bürger würden dies mit nem konsequenten Gesetz dazu beitragen, dass es Sicherheit nicht verstehen. vielen Menschen besser geht und alle Betriebe die gleichen Bedingungen vorfinden. Das müsste auch Lieber Kollege Garg, für uns als SSW galt immer im Interesse der FDP sein. Das hat nichts mit Be- die folgende Maxime: Im öffentlichen Raum wird vormundung von Gästen oder Betrieben zu tun, der Nichtraucherschutz konsequent durchgeführt. sondern mit politischer Verantwortung für die Ge- Rauchen im privaten Kreis bleibt dagegen unbe- sundheit der Menschen, und dazu stehen wir. rührt. Der SSW hat diesen klaren, eindeutigen und für alle nachvollziehbaren Nichtraucherschutz im- (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE mer unterstützt. Lieber Kollege Garg, die Vorteile GRÜNEN) liegen auf der Hand. Trotzdem möchte ich sie - wie schon in einer vorangegangenen Debatte zu diesem Präsident Martin Kayenburg: Thema - noch einmal vortragen. Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Ge- Erstens. Die Zahl derjenigen, die durch Passivrau- schäftsordnung erteile ich der Frau Abgeordneten chen belästigt und möglicherweise gesundheitlich Monika Heinold das Wort. geschädigt werden, sinkt durch ein Rauchverbot im öffentlichen Raum drastisch. Das gilt für Kellner, (Zurufe) Serviererinnen und Köche gleichermaßen wie für die Gäste. Damit wird also das Ziel des Gesund- Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: heitsschutzes umfassend erfüllt. Ich kann es Ihnen nicht ersparen. - Herr Präsident! Zweitens. Eine eindeutige Regelung erleichtert den Meine Damen und Herren! Herr Garg, ob Sie uns Ordnungsbehörden die Umsetzung des Nichtrau- nun Volkserzieher nennen oder nicht, ist mir relativ cherschutzes. wurscht. Darum geht es nicht. Wenn Sie sich aber hier hinstellen und behaupten, Sie würden für die Drittens. Ein konsequenter Nichtraucherschutz ge- Mehrheit der Bevölkerung sprechen, ist das Unsinn. währleistet die gleichen Konkurrenzbedingungen für alle gastronomischen Anbieter. Es spielt weder (Dr. Heiner Garg [FDP]: Das habe ich gar eine Rolle, wie viele Quadratmeter eine Kneipe nicht gesagt!) oder ein Restaurant hat, noch welche Art von Fest - Sie haben gesagt: Sie sprechen für die Bevölke- gerade veranstaltet wird und welche Speisen dort rung, Sie vertreten das Volk, wir nicht. Die meisten gereicht werden. Menschen in unserem Land sind heilfroh, dass in Viertens: Die konsequente Regelung ist unschlag- Gaststätten, in Speiselokalen nicht mehr geraucht bar in Sachen Gesundheitsschutz. Denn allen Betei- wird. So wird mir das widergespiegelt. Das sagen ligten wäre deutlich geworden, dass es die Politik auch die Umfragen. mit einem wirkungsvollen Nichtraucherschutz ernst (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN meint. und SSW) Leider hat sich die Große Koalition noch nicht auf Diese Regelung haben wir hier vor drei Jahren zum eine solche vernünftige Regelung einigen können. ersten Mal angesprochen. Ich erinnere daran, dass Es besteht aber jetzt die Möglichkeit, die Fehler der wir damals relativ allein standen. Von der FDP kam Vergangenheit zu korrigieren. Wir haben die Wahl, keine Unterstützung dafür, dass wir den Nichtrau- ob wir einen konsequenten Nichtraucherschutz wol- cherschutz in unserem Land konsequent verankern. len oder nicht. Wenn wir ihn wollen, dann brauchen wir ein Gesetz, das klar und eindeutig das Rauchen (Dr. Heiner Garg [FDP]: Rede doch keinen in gastronomischen Betrieben untersagt. Blödsinn! - Wolfgang Kubicki [FDP]: Wir haben doch einen Antrag gestellt!) 6952 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Monika Heinold)

Was haben Sie sich darüber lustig gemacht, dass Dr. Heiner Garg [FDP]: hier vorn in der Lobby nicht mehr geraucht werden Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sollte! Alle Fraktionen haben mir gesagt: Das wer- Liebe Kollegin Heinold, wenn Sie hier die Historie den Sie nicht durchkriegen. des Nichtraucherschutzes, der ganz groß von den (Peter Eichstädt [SPD]: Das stimmt nicht!) Grünen ausgegangen sei, erzählen, dann sollten Sie der Vollständigkeit halber erwähnen, dass die FDP- Wir haben es durchgekriegt. In der Lobby wird Fraktion einen ganz konsequenten Gesetzentwurf nicht mehr geraucht, in öffentlichen Gebäuden wird zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens nicht mehr geraucht, in Speisegaststätten wird nicht eingebracht hat. mehr geraucht. (Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Wir haben einen NEN]: Zwei Jahre später!) Antrag dazu gestellt! - Dr. Heiner Garg [FDP]: Toll!) - Von wegen zwei Jahre später! - Der einzige Un- terschied, über den wir uns, wenn es sein muss, mit - Ja, ich finde das toll, Herr Garg. Sie finden das Ihnen noch ein weiteres halbes Jahr streiten, besteht nicht toll. Ich finde es gut. Wir bekommen viel, viel darin, dass wir sagen: Ein gastronomischer Be- Zuspruch dafür. Wir sind weit gekommen. trieb ist kein öffentlicher Raum in dem Sinn, wie (Hans-Jörn Arp [CDU]: Und die Gastwirte ein Finanzamt, ein Krankenhaus, eine Kindertages- gehen pleite!) stätte oder eine Schule ein öffentlicher Raum ist. Nun geht es darum, zu gucken, was das Bundes- Ein gastronomischer Betrieb gehört einem Unter- verfassungsgericht sagt und wo geraucht werden nehmer, der selbst entscheiden können muss, ob darf und wo nicht. Zurzeit sind in den Nebenräu- und welches Angebot er seinen Gästen darbietet men, in denen geraucht werden darf, sowohl Mitar- und ob die Gäste dieses Angebot in Anspruch neh- beiterinnen und Mitarbeiter als auch Kinder betrof- men wollen. fen. Es sind ja nicht inhabergeführte Gaststätten, (Beifall bei FDP und CDU) die einen Nebenraum haben, sondern das sind Gast- Frau Heinold, tun Sie doch nicht so, als ob die gan- stätten mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. In zen Gastronomen alle blöder wären als die Fraktion den Nebenräumen haben wir bei der Bedienung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wenn die mer- noch immer die Situation, dass der Arbeitsschutz, ken, dass sie mehr Umsatz machen, weil sie in ih- der Gesundheitsschutz nicht greift. In den Neben- ren Betrieben ein Angebot für Nichtraucher vorhal- räumen sind auch Kinder unter 18 Jahren, die die- ten, weil dort nicht mehr geraucht wird, dann wären sem tödlichen Passivrauch ausgesetzt sind. Auch die doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn das muss man hier einmal sagen, wenn wir die Dis- sie genau dieses Angebot nicht schaffen würden, kussion führen. wenn sie mehr Umsatz machen. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und SSW - Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist NEN]: Dann hätten Sie einen Gesetzentwurf doch kein Problem der Gastronomen!) einbringen müssen!) Präsident Martin Kayenburg: - Frau Heinold, Sie wollen allen Menschen bis ins kleinste Detail erklären, was sie zu tun und wie sie Zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 zu leben haben. Genau dagegen verwahren wir uns. der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordne- Ich finde es unredlich, an der Stelle so zu tun, als ten Dr. Heiner Garg das Wort. - Ich möchte darauf ob es Ihnen nur um den Schutz von Mitarbeitern aufmerksam machen, dass das Rauchverbot in den und kleinen Kindern ginge. Dann müssten Sie auch öffentlichen Teilen dieses Hauses durch den Land- das Rauchen in den elterlichen Wohnungen verbie- tagspräsidenten im Einvernehmen mit dem Älte- ten, in denen kleine Kinder groß werden, denn dort stenrat durchgesetzt wurde. halten sie sich länger auf als in einer Einraumknei- (Beifall - Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist pe. es!) (Vereinzelter Beifall bei FDP und CDU - Wolfgang Kubicki [FDP]: Die dürfen keine Kinder mehr kriegen!) Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6953

(Dr. Heiner Garg)

Mein Fraktionsvorsitzender hat mich mühsam auf Herr Garg, bei Ihrer Argumentation hat man dem Platz gehalten manchmal den Eindruck, als ob wir im Landtag über ein Eckkneipenrauchgesetz diskutierten. Wir (Zurufe: Halten wollen!) dürfen doch nicht vergessen, dass wir ein Gesetz und gesagt: Halt dich zurück! gemacht haben, das Nichtraucherschutz in vielen Frau Heinold, tun Sie doch nicht so, als ob jeder in Bereichen sichert. Bei den Eckkneipen reden wir dem Haus dafür sorgen wollte, dass Gastwirte über einen Anteil von 10 %, in den anderen Teilen selbst entscheiden können, welches Angebot sie ih- waren wir uns doch einig. ren Gästen machen, als ob die Volksgesundheit der Kollegin Heinold, diese Einigkeit sollte doch so Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holstei- weit reichen, dass man jetzt nicht auf so plumpe ner Schaden nehmen würde. Das ist ein so albernes und billige Art und Weise versucht, das Thema Argument, dass es eigentlich schon wieder richtig Nichtraucherschutz für sich zu reklamieren. ist, wenn mein Fraktionsvorsitzender mir sagt, ich (Vereinzelter Beifall bei der SPD) solle mich darüber nicht aufregen. Das sind doch nicht Sie gewesen! Sie blicken ja im- Gucken wir einmal, wohin die Mehrheit in diesem mer nur nach vorn, drehen Sie sich einmal um, und Haus geht! Wenn Sie das Volk wirklich erziehen zählen Sie durch, wie viele Abgeordnete Sie haben! wollen, erwarte ich von Ihnen demnächst eine In- Sie werden das doch nicht mit fünf Abgeordneten itiative, dass am Ende der Landtagssitzung kein durchgesetzt haben. Glas Wein mehr getrunken werden darf, dass kein Handy mehr benutzt werden darf, dass möglicher- (Zurufe: Vier Abgeordnete!) weise in Diskotheken die Musik verboten wird oder - Vier, ja, es sind nie alle da. Ich muss mal wieder dass Menschen ab einem bestimmten Körperge- nachzählen. - Da haben doch auch andere mitge- wicht im Verhältnis zur Körpergröße nicht mehr macht und mitgewirkt, die sich nicht hier hinstellen Kaffee und Kuchen zu sich nehmen dürfen. und sagen: Ich war’s. Darum geht es doch über- haupt nicht. Präsident Martin Kayenburg: (Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold Herr Kollege Dr. Garg, achten Sie bitte auf Ihre Re- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dezeit. - Ja, ich sehe Sie hier noch sitzen mit Ihren tollen Dr. Heiner Garg [FDP]: T-Shirts. Wenn Sie das als Initiative bezeichnen, bin ich gern bereit zu sagen: Da waren Sie die Er- Herr Präsident, da gucke ich nicht nur auf Ekki sten und die Einzigen. Ich neide Ihnen diesen Sieg Klug, sondern auch auf Wolfgang Baasch. Ich will aber auch nicht. nämlich, dass die weiterhin ihren Kuchen essen können. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das sah auch nicht so aus!) Präsident Martin Kayenburg: - Es sah wirklich nicht gut aus, aber es muss ja je- der selbst wissen, wie er sich anzieht. Zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Peter Ich möchte noch einmal betonen: Wir haben hier Eichstädt das Wort. einen Punkt zu regeln, der jetzt geregelt wird, wo uns das Bundesverfassungsgericht einen Weg vor- Peter Eichstädt [SPD]: gewiesen hat. Auch ich bin nicht nur glücklich mit dem, was da gesagt worden ist. Aber wir haben Nachdem wir jetzt auch noch ein bisschen in den jetzt eine Orientierung. persönlichen Bereich vorgedrungen sind, möchte ich ein paar Anmerkungen machen, auch wenn es Nun so zu tun, als ob alle Leute vorher gewusst hät- vielleicht nicht ganz angemessen ist, denn es ist ja ten, dass das Bundesverfassungsgericht so entschei- ganz nett, wie sich die Oppositionsfraktionen hier det, finde ich nicht fair. Es hat immerhin zwei Rich- gegenseitig die Argumente um die Ohren hauen. Da ter gegeben, die eine andere Auffassung vertreten sollte man sich vielleicht gar nicht einmischen. haben. Auch das darf man nicht vergessen. Aber nachdem es dem Vorsitzenden der FDP nicht Ich glaube, es hat uns bei diesem schwierigen The- gelungen ist, Herrn Garg zurückzuhalten, nach vorn ma auch nicht geschadet, dass Nichtraucherschutz zu kommen, möchte auch ich noch etwas sagen. plötzlich auch in der Öffentlichkeit ganz anders dis- 6954 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Peter Eichstädt) kutiert und wahrgenommen wurde, dass wir hierzu Ich habe nun am vergangenen Freitag meine Län- eine öffentliche Diskussion hatten, die hochgradig derkolleginnen und -kollegen und die Bundesge- sensibilisiert hat. sundheitsministerin zu einem Gespräch eingeladen, um die Chancen für eine einheitliche Regelung Ich glaube, es ist bisher noch nicht dagewesen, dass auszuloten. Eines war ganz offensichtlich: Obwohl ein Verfassungsgerichtsurteil um 10 Uhr morgens die Diskussion neu in den meisten Ländern noch gleich auf zwei Kanälen des öffentlich-rechtlichen nicht beendet sind, lässt sich sagen, dass es in kei- Rundfunks übertragen worden ist. Das zeigt, dass nem der anwesenden Länder ein vollständiges sich die Menschen mit diesem Thema beschäftigt Rauchverbot geben wird. Das Gespräch war aber haben. Aber wir haben sie bundesweit mit diesem dennoch überaus wichtig und hilfreich. Denn es Thema und der Diskussion hierüber auch ein Stück zeichnete sich ab, dass es unter Umständen doch zu weit mitgenommen. Das war vielleicht auch not- unterschiedlichen Auslegungen des Bundesverfas- wendig. Wir werden die Dinge jetzt regeln, und sungsgerichtsurteils im Einzelnen gekommen wäre, vielleicht schaffen wir es dann ja auch, es bei den und das wäre den Menschen in der Tat nicht ver- letzten 10 % etwas einvernehmlicher zu regeln. ständlich zu machen. Es wäre nicht zu vermitteln, Ich denke, die Zeit des Streites ist nun vorbei. Las- dass 75 m2 in einem Land etwas anderes sein sollen sen Sie uns die Angelegenheit nun gemeinsam in als dieselbe Fläche in einem anderen Land und dass Ordnung bringen! eine zubereitete Speise unterschiedlich definiert (Beifall bei SPD und CDU) wird. Insofern gab es hier Abstimmungsbedarf, und daher war diese Veranstaltung auch ausgespro- chen erfolgreich. Präsident Martin Kayenburg: Lassen Sie mich zunächst auf die nun vorliegenden Für die Landesregierung hat die Ministerin für So- Gesetzentwürfe eingehen. Grüne und FDP haben ziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren, nun Gesetzentwürfe für eine Novellierung vorge- Dr. Gitta Trauernicht, das Wort. legt. Für beide Entwürfe spricht ohne Frage, dass sie mögliche Schlussfolgerungen aus dem Karlsru- Dr. Gitta Trauernicht, Ministerin für Soziales, her Urteil vom 29. Juli ziehen. Dennoch sage ich Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren: ganz klar und deutlich - und das ist hier auch schon Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ausdruck gekommen -: Es bestehen Bedenken ge- Nach den Debatten, die wir in diesem und im ver- gen beide Ansätze. gangenen Jahr bereits hatten, möchte ich vorweg ei- Zunächst zum Gesetzentwurf der FDP! Sie haben nes sagen: Anlass für die erforderliche Neuregelung sich auf die sogenannte „getränkegeprägte Klein- der Nichtraucherschutzgesetze in den Ländern, gastronomie“ bezogen. Man muss dabei jedoch ein- auch bei uns in Schleswig-Holstein, ist nicht, dass deutig bestimmen, welche Gaststätten als klein zu das Verfassungsgericht im Nichtraucherschutz ei- bezeichnen sind. Ich meine in Übereinstimmung ne unbotmäßige Volkserziehung gesehen hätte. Das mit der großen Mehrzahl meiner Kolleginnen aus ist ganz wichtig. den anderen Bundesländern, dass es für den Nicht- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN raucherschutz nicht hilfreich ist, die Gaststättenflä- und dem SSW) che anders zu definieren, als dies bereits jetzt im Gaststättenrecht der Fall ist. Genau das tun Sie aber Im Gegenteil: Das Gericht hat einen ausnahmslosen mit Ihrem Entwurf. Das würde bedeuten, dass es - Nichtraucherschutz in Gaststätten explizit für zu- gelinde gesagt - sonderbar wäre, dass die Gaststät- lässig erklärt und dessen hohe gesundheitspolitische tenfläche wächst oder aber schrumpft, je nachdem, Bedeutung auch verfassungsrechtlich unterstrichen. wie man die Tische und Stühle jeweils aufstellt. In- Das war nicht immer allen so klar, und deswegen sofern muss die Gaststättenfläche so definiert wer- begrüße ich dieses Urteil an dieser Stelle auch aus- den, dass das genaue Ausmaß ihrer Fläche auch drücklich. überprüfbar ist. Ohne Häme kann man feststellen, dass es erst die Im Übrigen, kann man sagen, haben Sie das Bun- Ausnahmeregelungen waren, die der Bewertung desverfassungsgerichtsurteil eins zu eins umgesetzt; des Verfassungsgerichts zufolge den Konflikt mit keine Frage. Aber Sie haben sich dabei auf die Re- dem Gleichbehandlungsgrundsatz verursacht ha- gelung der DEHOGA bezogen, und diese bezieht ben. sich auf einen Gastflächenbereich ohne Theke. Je nachdem, wie die Theke aufgebaut ist, würden sich Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6955

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht) die 75 m2 jeweils anders darstellen. Wir haben dies wie Sie angesichts der Existenz von über sehr genau geklärt, und es ist daher vernünftig, sich 2.000 Raucherclubs in Bayern von einem konse- am Gaststättenrecht zu orientieren. quenten Rauchverbot sprechen können. (Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber daran (Wolfgang Kubicki [FDP]: Die kommen aus kann man sehen, wie kompliziert das ist!) der Pfadfinderbewegung! Die wollen zelten!) - Das ist kompliziert, und deswegen überlassen Sie Was daran konsequent sein soll, kann ich nicht uns das ruhig! nachvollziehen. Die Große Koalition in Schleswig-Holstein hat Präsident Martin Kayenburg: sich für einen anderen Wege entschieden. Wir ha- Ich schlage vor, die Beratung in den Ausschuss zu ben hier vor gerade einmal zehn Monaten das Rau- verlegen, Frau Dr. Trauernicht. chen in Gaststätten untersagt, aber wir haben die Möglichkeit abgetrennter Raucherräume zuge- Dr. Gitta Trauernicht, Ministerin für Soziales, lassen. Daher können die Menschen ein Mindest- Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren: maß an Kontinuität von der Politik erwarten. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil wird also so um- Im Übrigen sorgt die von der FDP vorgelegte Rege- gesetzt werden, dass Rauchen in Räumen bis ma- lung nicht nur für unnötige Schwierigkeiten bei der ximal 75 m2 möglich ist, wenn kein Essen gereicht Kontrolle - die Kommunen würden sich für den wird, der Zugang für unter 18-Jährige verboten ist entsprechend höheren Vollzugsaufwand sicherlich und diese Schankwirtschaften als Raucherkneipen bedanken -, sondern die Regelung wird auch für gekennzeichnet sind. reichlich neuen Streit darüber sorgen, wie die Flä- chen denn in korrekter Weise zu messen sind. Hier- (Dr. Heiner Garg [FDP]: Na also!) für würden sich wiederum die Verwaltungsgerichte Diese Regelungen werden sich auf das Gaststät- bedanken; da bin ich sicher. Wir brauchen hier also tengesetz beziehen. Damit wird die Konzession eine eindeutige Regelung. zum klaren Kriterium für die Größe und auch für Auch zum Zutrittsverbot für unter 18-Jährige die Frage der Speisen. Mein Ziel - und das ist of- möchte ich etwas sagen. Wenn unter 18-Jährige ei- fensichtlich auch das Ziel der Mehrheitsfraktionen - ne Raucherkneipe nicht betreten dürfen, dann fragt ist es, den Gesundheitsschutz für Jugendliche kon- sich, warum das für Raucherräume in Mehrraum- sequenterweise auszudehnen. gaststätten nicht ebenfalls gelten soll. Dies wäre Ich denke, wir sollten uns vergegenwärtigen, eine neue Ungleichbehandlung, für die es keinen worum es eigentlich geht. Es geht um etwa 5 bis Grund gibt. Dagegen - und das ist hier schon zum 7 % der insgesamt 9.000 bis 10.000 Gaststätten hier Ausdruck gekommen - wäre eine für alle Raucher- in Schleswig-Holstein. Nicht einmal diese 5 bis 7 % bereiche einheitliche Zugangsregelung rechtlich un- werden von der Möglichkeit Gebrauch machen, zu- angreifbar. Dies wäre zugleich eine wünschenswer- künftig eine Rauchergaststätte zu sein. Denn das te Stärkung des Gesundheitsschutzes für Kinder würde bedeuten, auf das Verabreichen von Speisen und Jugendliche. gänzlich verzichten zu müssen. Insofern wird der (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE Anteil, über den wir hier reden, noch kleiner wer- GRÜNEN und) den. Deswegen wollen wir diese Chance für einen ver- Also auch mein Appell: Lassen Sie die Kirche im besserten Jugendschutz auch nutzen. Dorf. Wir sind enorm weitergekommen mit dem Gesundheitsschutz, mit dem Schutz der Menschen Im Übrigen möchte ich noch auf einen Aspekt hin- hier in Schleswig-Holstein vor den Gefahren des weisen, der in den anderen Bundesländern noch gar Passivrauchens. Wir haben eine breite Akzeptanz nicht auf der Tagesordnung stand - deswegen waren bei allen gefunden, und nun werden wir das Urteil die Kollegen letzte Woche auch für diesen Hinweis des Bundesverfassungsgerichts umsetzen und dar- außerordentlich dankbar, und es wird in den Lan- über hinaus dafür Sorge tragen, dass unsere grund- desgesetzen aufgegriffen werden -: Der Antrag der sätzliche Linie auch tatsächlich Praxis ist. Grünen zielt auf ein ausnahmsloses Rauchverbot; das ist schon gesagt worden. Dennoch darf in Zel- (Beifall bei SPD und CDU) ten weiterhin geraucht werden. Sie führen das Bei- spiel Bayern an. Ich kann wirklich nicht verstehen, 6956 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

Präsident Martin Kayenburg: rung der Universität Flensburg und die Perspekti- ven für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich der Syddansk Universitet zu berichten. Diesen Be- schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, die richt hat Minister Austermann am 24. April dem Gesetzentwürfe Drucksachen 16/2205 und 16/2215 Landtag gegeben, und die Fraktionen haben darüber dem Sozialausschuss zu überweisen. bereits debattiert. (Zuruf: Mitberatung im Wirtschaftsaus- In der Sitzung des Bildungsausschusses am 10. Juli schuss!) hat Staatssekretär de Jager vorgetragen, dass die - Bei Mitberatung durch den Wirtschaftsausschuss! Zuweisungen an die Hochschulen im neuen Dop- - Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das pelhaushalt um insgesamt 3,3 % steigen sollten Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es und dass für die Universität Flensburg eine über- ist einstimmig so beschlossen. proportionale Erhöhung vorgesehen ist. Denn nur Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 11 und durch eine Verbesserung der Personalausstattung 20 auf: könne die Universität die Auflagen für die Akkredi- tierung erfüllen. Weiter teilte der Staatssekretär mit, dass es bei der grenzüberschreitenden Zusammen- Gemeinsame Beratung arbeit mit der Syddansk Universitet Schwierig- keiten bei der Fortführung des Kooperationspro- jekts „Collegium Mare Balticum“ gebe. Mit Zu- a) Lehrerausbildung an der Universität Flens- stimmung der Antragstellerin empfahl der Aus- burg schuss dem Landtag einstimmig, den Berichtsan- Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- trag des SSW für erledigt zu erklären. NEN Drucksache 16/2200 Präsident Martin Kayenburg: Ich danke der Frau Berichterstatterin. - Gibt es Wortmeldungen zum Bericht? - Das ist nicht der b) Die zukünftige Finanzierung der Universität Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort Flensburg und die Perspektiven für die für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Frau Abgeordnete Angelika Birk. der Syddansk Universitet Antrag der Abgeordneten des SSW Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Drucksache 16/2020 Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen Bericht und Beschlussempfehlung des Bildungs- und Kollegen! Das „Handelsblatt“ vom 10. Septem- ausschusses ber titelt: Drucksache 16/2182 „Erneut schlechte Noten von der OECD - Die Bundesrepublik droht endgültig den An- Zu diesen Tagesordnungspunkten begrüßen wir auf schluss zu verlieren. Andere Nationen inve- der Tribüne den Präsidenten der Christian-Al- stieren massiv in die Bildung, Deutschland brechts-Universität, Herrn Professor Dr. Fouquet. - aber spart. 1995 gab Deutschland noch 5,4 % Herzlich willkommen! des Bruttoinlandsprodukts für Bildung aus, (Beifall) zehn Jahre später waren es nur 5,1 %. Das Wird das Wort zur Begründung der Anträge ge- politische Ziel von Bund und Ländern, die wünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann darf ich das Akademikerquote auf 40 % zu steigern, liegt Wort der Berichterstatterin des Bildungsausschus- in weiter Ferne.“ ses, der Frau Abgeordneten Sylvia Eisenberg, ertei- Dies sind Ausschnitte aus dem „Handelsblatt“. len. Ausgerechnet vor einem solchen Hintergrund gerät diejenige Hochschule in Schleswig-Holstein, die Sylvia Eisenberg [CDU]: maßgeblich für die Lehrerausbildung an den all- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gemeinbildenden Schulen Verantwortung trägt, in Im April dieses Jahres hat der SSW die Landesre- eine existenzielle Notlage. In den Sommerferien gierung aufgefordert, über die zukünftige Finanzie- wurde öffentlich, dass die Zentrale Evaluations- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6957

(Angelika Birk) und Akkreditierungsagentur Hannover das Akkre- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ditierungsverfahren für den Bachelor-Studiengang Hinzu kommt ein noch viel gravierender Fehler: „Vermittlungswissenschaften“ - dies ist ein wichti- Die Universität Flensburg bildet Lehrkräfte für ger Baustein für die Lehrerbildung - ausgesetzt hat. Schularten aus, die es in Zukunft zumindest in Davon sind die jetzt im Wintersemester erstmals Schleswig-Holstein, aber auch in der Mehrheit an- angebotenen Master-Studiengänge für die derer Bundesländer nicht mehr geben wird. Haupt- Lehrämter an Grund- und Hauptschulen, Real- und Realschulen sind inzwischen in den meisten schulen und Sonderschulen betroffen. Die Agentur Bundesländern in neuen gemeinsamen Schularten begründet dies mit der unzureichenden Personal- zusammengefasst. In Hamburg und Schleswig-Hol- ausstattung der Universität. stein als Gemeinschafts- oder Stadtteilschulen füh- Dies ist nicht überraschend. Denn zum einen war ren sie sogar zum Abitur. im Bildungsausschuss seitens des Bildungsministe- Vor diesem Hintergrund ist es ein Skandal, dass die riums wiederholt berichtet worden, dass die Kultus- Koalition in Kiel nicht den Mut aufbringt, endlich ministerkonferenz für den Master bei den Grund- eine Stufenlehrerausbildung zu schaffen, die sich und Hauptschullehrern eine höhere Leistungsanfor- am Alter der Kinder anstatt an formalen Schulab- derung, das heißt ein umfangreicheres Studium er- schlüssen orientiert. wartet, als es das Bildungsministerium in Flensburg genehmigt hat beziehungsweise zu genehmigen (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vorsah. Unser entsprechender Gesetzentwurf zur Lehrer- Zum anderen haben die Antworten auf meine zahl- ausbildung wurde ohne Alternativen abgelehnt. reichen Kleinen Anfragen zur Finanzsituation der Gemeinsames Lernen und individuelle Förderung Universität Flensburg ergeben, dass diese deutlich verkündet die Bildungsministerin als neues Schul- schlechter ausgestattet ist als andere Hochschulen paradigma. In Flensburg an der Universität hinge- mit einem vergleichbaren Profil. Es sind sehr diffe- gen gibt es nur Ausbildungsabschlüsse nach der al- renzierte Kennziffern genannt worden; ich bin dem ten ständischen Schulhierarchie. Gerade diejenigen Ministerium für die Offenlegung dieser Zahlen sehr Lehrenden und Forschenden, die sich in Flensburg dankbar. für Schulreformen stark machen und die Zusam- In den vergangenen beiden Legislaturperioden hat menarbeit mit Dänemark und anderen internationa- die rot-grüne Landesregierung mit erheblichen Lan- len Hochschulen suchen, haben es besonders des-, Bundes- und EU-Mitteln einen modernen schwer. Nicht umsonst hatte der SSW den Berichts- Campus in Flensburg errichtet. Allerdings wurde in antrag gestellt. Denn immer wieder wird die Zu- den letzten Jahren versäumt, endlich die Personal- sammenarbeit mit Dänemark als etwas Luxuriöses ausstattung der drastisch vergrößerten Anzahl Stu- dargestellt. Es gibt Fragezeichen, und daher sind dierender und dem erweiterten Aufgabenfeld an- wir sehr froh, dass der Minister klargestellt hat, zupassen. dass wenigstens diese Zusammenarbeit nicht auf der Kippe steht. Wiederholt hat meine Fraktion in den Landtagsde- batten darauf hingewiesen, dass beispielsweise bei In der Vergangenheit wurden gerade die interna- dem Wechsel der Lehramtsstudierenden für Real- tionale Ausrichtung und das moderne Studium der schulen und für Förderpädagogik von Kiel nach Vermittlungswissenschaften von der Bildungs- und Flensburg nicht genug Planstellen von der Christi- Wissenschaftsbürokratie nicht ernst genommen. So an-Albrechts-Universität an die Universität Flens- unterblieb auch die dringend notwendige Einrich- burg mitverlagert wurden. Der Präsident der CAU tung von Lehrstühlen für Schul- und Unterrichtsfor- hört es sicherlich nicht gern, aber in diesem Fall schung, die angesichts der begonnenen Schulre- mussten wir von einer Ungleichbehandlung ausge- form unverzichtbar ist und von der insbesondere hen. Wir wünschen uns natürlich für beide Hoch- die Zusammenarbeit mit Dänemark profitieren schulen eine ausreichende Finanzausstattung. Es könnte. Es ist notwendig, dass dieser Arbeitsbe- kann aber nicht sein, dass die schwächere Hoch- reich in der Hochschule endlich eine entsprechende schule - in diesem Fall die Uni Flensburg - um jede Verankerung findet, dass also Forschung, Unter- einzelne Stelle kämpfen muss. Hier ist ausgleichen- richtssituation und Schulentwicklung evaluiert wer- de Gerechtigkeit durch das Wissenschaftsministeri- den, wie wir es beispielsweise von der Gesamtuni- ums gefordert, damit es nicht zu einer Ungleichbe- versität Lüneburg kennen, wo es eine hervorragen- handlung kommt. de Arbeit zu diesem Thema gibt. 6958 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Angelika Birk)

Es ist einerseits erfreulich, dass sich die wirtschaft- schwerpunkt ernst meint, so darf sie die Universität lichen Akteure im Norden eindeutig hinter die Uni- Flensburg nicht im Regen stehen lassen. Für die versität Flensburg stellen - Sie haben das auf einer Haushaltsberatungen im Landtag heißt dies, dass Pressekonferenz der IHK erleben können -, dass der wir die Verpflichtung haben, für den Aushand- Wissenschaftsminister allen Versuchen, die Univer- lungsprozess zwischen Universität und Landesre- sität zu einer Pädagogischen Hochschule herabzu- gierung einen angemessenen Rahmen bereitzustel- stufen, entgegentritt und immerhin auch sofortige len. Da schließe ich meine eigene Fraktion nicht Finanzspritzen zugesagt hat. aus. Denn ich weiß: Niemand hier im Hause kann Geld drucken. Aber wir können nicht sehenden Au- Doch dies reicht nicht aus. Ein paar Hunderttausend ges zulassen, dass hervorragende räumliche Rah- sofort menbedingungen, die hier geschaffen wurden, kon- (Jürgen Feddersen [CDU]: Was habt ihr denn terkariert werden, weil die notwendige Personalaus- gemacht?) stattung fehlt. Ich hoffe, dass wir hier Unterstüt- und 3,1 Millionen € für das Jahr 2009 können kei- zung aus dem ganzen Haus erfahren. nesfalls die angemahnten sieben Professuren und (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 13 Mitarbeiterstellen gewährleisten - - (Johannes Callsen [CDU]: Wo war denn ihr Präsident Martin Kayenburg: Engagement?) Für die Abgeordneten des SSW erteile ich deren - Ich weiß, das ist aufregend, Vorsitzender, der Frau Abgeordneten Anke Spoo- rendonk, das Wort. (Johannes Callsen [CDU]: Nein, das tut weh!) Anke Spoorendonk [SSW]: aber hören Sie doch erst einmal zu. Wir sind in die- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ser Frage immer wieder tätig geworden. Insofern Die Diskussion um die Zukunft der Universität können Sie uns hier nicht Untätigkeit vorwerfen. Flensburg in den Sommerferien war dramatisch. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Trotzdem kann man ihr auch Positives abgewinnen. Susanne Herold [CDU]: Sie haben aber Seit Jahren weisen wir nun schon in diesem Haus nichts erreicht!) darauf hin, dass die nördlichste Universität des Landes hoffnungslos unterfinanziert ist. Noch einmal: Ein paar Hunderttausend sofort und 3,1 Millionen € für das Jahr 2009 können keines- Obwohl diese Einsicht wohl längst bildungspoliti- falls die angemahnten sieben Professuren und 13 sches Allgemeingut ist, hat diese Regierung ebenso Mitarbeiterstellen gewährleisten, die die Agentur wie ihre roten und rot-grünen Vorgänger wenig un- gefordert hat. Das möchte ich an dieser Stelle noch ternommen, um Abhilfe zu schaffen. Vor diesem einmal betonen: Die Universität Flensburg hat fast Hintergrund ist es eine große Hilfe gewesen, dass überhaupt keinen Mittelbau. Das ist sehr unge- sowohl die Akkreditierungsstelle in Hannover als wöhnlich für eine Universität und nicht gerade auch der Universitätsrat - beide der regionalpoliti- nachwuchsfreundlich. Hier muss etwas passieren, schen Rücksichtnahme völlig unverdächtig - nun und zwar unabhängig davon, wie man diese Hoch- auch Klartext reden und Konsequenzen anmahnen. schule nennt. Kein Bildungsexperte konnte über die Aussetzung In seiner Mitteilung vom 2. September 2008 ver- der Akkreditierung des vermittlungswissenschaft- weist das Wissenschaftsministerium darauf, dass lichen Studienganges wirklich überrascht sein. Die die Verhandlungen, die den Finanzrahmen für die strukturellen Probleme der Hochschule sind seit nächsten fünf Jahre festsetzen sollen, noch laufen. Jahren bekannt und bereits im Bericht der Erich- Um der Universität Flensburg in diesen Verhand- sen-Kommission nachzulesen. lungen den Rücken zu stärken, aber auch das Bil- Die dramatische Unterfinanzierung der Uni resul- dungsministerium zu ermutigen, für die Lehrerbil- tiert aus der historischen Entwicklung. Die Flens- dung an der Uni Flensburg angemessene Bedingun- burger Universität konnte den Geburtsmakel als gen einzufordern - schließlich um die Schulreform Pädagogische Fachhochschule nicht abstreifen, weil zu befördern -, stellen wir unseren Antrag. die dafür nötigen Investitionen und Stellenpläne nie Wenn die Landesregierung ihren gestern in den vollständig umgesetzt worden sind. Haushaltsberatungen angekündigten Bildungs- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6959

(Anke Spoorendonk)

Die mit der Bachelor/Master-Umstellung der Stu- aus der Øresund-Region immer gern als Vorbild ge- diengänge erreichte Transparenz hat im Sommer meldet wird. In Schleswig-Holstein haben wir mit die Probleme ins Licht gerückt. Die Prüfagentur hat diesen internationalen Studiengängen wirklich et- genau hingesehen, hat nachgerechnet und ist zu was ganz Besonderes. Das wird leider immer noch dem Ergebnis gekommen, dass die Universität er- gern vergessen und nicht genügend gewürdigt. hebliche Ausstattungsmängel hat. Der völlig un- Nicht ohne Grund hat die regionale Wirtschaft terdimensionierte Mittelbau und die Probleme in längst die wissenschaftliche Aufbereitung betriebs- der wissenschaftlichen Buchversorgung sind für die wirtschaftlicher, personaltechnischer und verfah- angehenden Lehrerinnen und Lehrer und für die zu- renstechnischer Fragen an der Universität Flens- künftigen Erwachsenenbildnerinnen und -bildner burg schätzen gelernt. ein massives Problem. Das Gleiche gilt übrigens für alle anderen Studierenden an der Flensburger Uni- Gerade weil die Uni Flensburg ohne die beiden versität, die gleichfalls Probleme in der Bibliothek Standbeine Wissensvermittlung und grenzüber- haben und zu geringe Beratungskapazitäten bekla- schreitende Studiengänge nicht denkbar ist, warne gen. ich sehr davor, Teile und Leistungen dieser Univer- sität gegeneinander aufzurechnen und gegeneinan- Dass die Universität Flensburg mit Ihren Studien- der auszuspielen. gängen so lange überlebt hat und Absolventen pro- duziert hat, die sowohl in der Wirtschaft als auch (Beifall der Abgeordneten Susanne Herold im Staatsdienst gern gesehen sind, liegt nicht an der [CDU]) Landesregierung, sondern an dem enormen Enga- Die Universität ist als Gesamtkomplex zu verste- gement der Menschen vor Ort. hen, nicht als eine Ansammlung von Instituten. (Beifall der Abgeordneten Angelika Birk Nicht ein Teil der Universität hat ein Problem, wie [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) der Antrag der Grünen unterstellt, sondern die ge- samte Universität wird in ihrer Existenz infrage ge- Die anderweitig bekannte Spezies des Di-Mi-Do- stellt. Professors, der außerhalb der festen Sprechzeiten allenfalls im Golfclub oder im Yachthafen anzutref- Die Universität ist, wäre sie ein Auto, zu schwach fen ist, hätte in Flensburg extrem schlechte Lebens- motorisiert. Es reicht nicht, an einen Kleinwagen bedingungen. Das hohe Aktivitätsniveau an der Uni einfach ein Porsche-Emblem zu schrauben. Viel- Flensburg konnte nur deshalb gehalten werden, mehr muss es darum gehen, durch erhebliche Inve- weil die Lehrenden ein außerordentlich großes En- stitionen dauerhaft und nachhaltig dafür zu sorgen, gagement zeigen. Sie haben nicht auf Arbeitszeiten dass der Wagen, immerhin mit mehr als 4.200 Stu- und Gehälter geschielt, sondern Zeit und Herzblut dierenden voll besetzt, einen leistungsstarken Mo- in den Aufbau von Studiengängen engagiert. Sie tor und ein stabiles Fahrwerk bekommt, damit er haben mehr Lehre angeboten, als sie mussten. Sie nicht gleich bei der kleinsten Steigung aus der Pu- erledigten selbst Aufgaben, für die es an anderen ste kommt. Der Antrag der Grünen stellt vor diesem Hochschulen besonderes Verwaltungspersonal gibt. Hintergrund eine isolierte Einzellösung dar. Ohne Zweifel weist die Universität Flensburg allerbeste Dieses besondere Engagement wurde nicht zuletzt Kompetenzen in den Vermittlungswissenschaften in die Entwicklung von Kooperationsprojekten auf, die bundesweit nachgefragt werden; aber die gesteckt. Mit Bordmitteln hat die Universität Flens- Wissensvermittlung darf niemals die einzige Kom- burg eine breite Zusammenarbeit mit der Syddansk petenz der Uni bleiben. Sie muss ein breites Profil Universitet entwickelt und sich durch diese ge- haben, um den Hochschulstandort Flensburg nach- meinsame Plattform mit der dänischen Nachbaruni- haltig zu sichern. versität einen exzellenten Ruf erarbeitet; zuletzt mit der gemeinsamen Entwicklung des neuen, interdis- Sowohl der Universitätsrat als auch die Akkreditie- ziplinären Masterstudiengangs „Kultur-Sprache- rungsstelle haben klar zu verstehen gegeben, dass Medien“, der interkulturelle Wissensvermittlung es für die Universität nur zwei Optionen gibt: Ent- und Medienarbeit verknüpft. weder sie wird zur reinen Lehrerbildungsanstalt zu- rückgestuft und kommt dann mit den vorhandenen (Beifall der Abgeordneten Angelika Birk Mitteln aus, oder sie wird konsequent zur lehr- und [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und verein- forschungsstarken Universität ausgebaut und erhält zelt bei der SPD) dafür die entsprechenden Ressourcen. Eigentlich ist Diese Studiengänge können ohne Weiteres - so fü- dieser Beschluss ja schon einmal gefällt worden. ge ich in Klammern hinzu - mit dem mithalten, was Nachdem die Erichsen-Kommission ihr Gutachten 6960 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Anke Spoorendonk) vorgelegt hat, in dem sie gerade diese vermittlungs- tige Entwicklung zu sichern. Dieser Bitte kommen wissenschaftliche Schwerpunktsetzung vorschlägt, wir selbstverständlich auch in Zukunft gern nach. hat sich die Landesregierung dieses Ziel zu eigen (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gemacht - bei gleichzeitiger Berücksichtigung der internationalen Studiengänge. Präsident Martin Kayenburg: Die Reaktionen im Sommer haben deutlich ge- macht, dass nach wie vor niemand die Rückstufung Für die Fraktion der CDU hat die Frau Abgeordnete zur PH wünscht. Deshalb gibt es in dieser Situation Susanne Herold das Wort. nur eine Konsequenz: Butter bei die Fische! Die Landesregierung hat bereits 600.000 € Soforthilfe Susanne Herold [CDU]: für das Wintersemester versprochen und will ab Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau 2009 1,4 Millionen € mehr auf den Tisch legen, um Birk, zunächst einmal bedanke ich mich herzlich die Lehrerausbildung abzusichern. Das ist ein dafür, dass Sie Ihr Herz für die Flensburger Uni- wichtiger Schritt, aber er ist zu kurz. versität entdeckt haben. (Beifall der Abgeordneten Angelika Birk (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das glauben Sie [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) doch nicht im Ernst!) Der SSW fordert eine dauerhafte solide Finanzie- Es hätte mich sehr gefreut, wenn das schon zu Zei- rung der gesamten wissenschaftlichen Arbeit der ten Ihrer Regierungsbeteiligung passiert wäre. Uni Flensburg. Nur auf einem breiten personellen Dann stünde die Flensburger Universität heute Fundament können die Institute und Abteilungen nicht so da, wie sie zurzeit dasteht. langfristig den Anforderungen des Wissenschafts- betriebes genügen. Der SSW stimmt dem Landes- (Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE rechnungshof vorbehaltlos zu, der ein langfristiges GRÜNEN]: Ohne uns wäre sie keine Univer- und tragfähiges Konzept für die anstehenden Inve- sität! - Wolfgang Kubicki [FDP]: Sie ist ei- stitionen an der Flensburger Universität einfordert. gentlich auch keine!) Die Universität benötigt eine langfristige Perspekti- Die Universität Flensburg bleibt Universität und als ve, nicht nur aus Verantwortung gegenüber den solche eigenständig. Studierenden. Aber wenn die Uni Flensburg die gleiche Ausstattung haben soll wie andere ver- (Beifall bei der CDU) gleichbare Hochschulen, dann müssten nach Aussa- Der Landeszuschuss von jährlich 13,6 Millionen € ge der Universität zum bisherigen Landeszuschuss wird ab 2009 um etwa 10 % erhöht. Des Weiteren von rund 14 Millionen € pro Jahr zwischen 2,7 und stellt das Wissenschaftsministerium sofort 6 Millionen € hinzukommen. 600.000 € zur Verfügung, um notwendige personel- Es wäre an der Zeit, dass der Landtag und die Lan- le Veränderungen vor Ort einleiten zu können. Der desregierung klar beschließen, dass es eine Gleich- geplante Erweiterungsbau auf dem Campus soll stellung der Universität Flensburg mit anderen ver- 2010 beziehungsweise 2011 fertig gestellt sein. gleichbaren Hochschulen in Norddeutschland ge- Flankierend wird die Stadt Flensburg 2010 mit der ben muss. Das wäre die richtige Basis, um gemein- Errichtung eines neuen Hallenbades auf dem Cam- sam mit der Uni zu ermitteln, wie groß die Lücke pus beginnen, was zu einer besseren Ausbildungssi- ist. Wir werden uns im Rahmen der Haushaltbera- tuation der Sportlehrer führen wird. tungen dafür einsetzen, dass wir diesem Ziel in den Das sind die Ergebnisse, die im guten Zusammen- nächsten Jahren - wir können es nicht auf einmal; spiel des Wissenschaftsministeriums, der Universi- das steht fest - einen deutlicher Schritt näher kom- tät und der regionalen Wirtschaft auf einer gemein- men. samen Uni-Konferenz der IHK in Flensburg erzielt Der SSW wird weiterhin für die Universität Flens- wurden. Deshalb, Frau Birk, hinkt Ihr Antrag den burg kämpfen. Dabei freut es uns besonders, den tatsächlichen Entwicklungen hinterher. Segen des ehemaligen Wissenschaftsministers Diet- Uns allen ist seit langem bekannt, dass die schles- rich Austermann zu haben. Er hat mir in Verbin- wig-holsteinischen Universitäten unterfinanziert dung mit seinem Abgang geschrieben, dass die sind. Hier ist die Universität Flensburg besonders Universität Flensburg ihm Sorge bereitet und dass stark betroffen. Das wurde schon gesagt. Im April sie engagierte Vorkämpfer braucht, um ihre zukünf- dieses Jahres wurde deshalb bereits ein mündlicher Bericht der Landesregierung zur zukünftigen Finan- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6961

(Susanne Herold) zierung der Universität Flensburg und die Perspek- Landesseite allein im investiven Bereich in den tiven für die grenzüberschreitende Zusammenar- Flensburger Standort geflossen. Das Land wird beit mit der Syddansk Universitet gegeben. Der auch weiterhin investieren, wie von einem Sprecher Wissenschaftsminister hat sich bereits im Frühjahr des Ministeriums auf der Konferenz bestätigt wur- ganz deutlich für die Stärkung des Hochschulstand- de. ortes Flensburg ausgesprochen, was von allen Par- Auch die im Zusammenhang mit der Unterfinanzie- teien in diesem Hohen Haus begrüßt wurde. Auch rung erneut aufkeimende Forderung des Universi- die mit der Uni Flensburg bestehenden finanziellen tätsrats nach einer Zurückstufung auf das Kern- Probleme wurden benannt. Gestatten Sie mir hier, geschäft der Lehrerausbildung, also in Richtung ei- den ehemaligen Wissenschaftsminister Austermann ner PH, hätte für die Flensburger Universität fatale zu zitieren: Auswirkungen, denn dies würde das Aus für die „Meine persönliche Einschätzung ist, dass grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit der das Hochschulsystem in Schleswig-Holstein Syddansk Universitet bedeuten. Gerade die nicht ausreichend finanziert ist. Mein Ziel deutsch-dänische Hochschulkooperation ist eines besteht darin, die finanzielle Grundausstat- der Leuchtturmprojekte, auf die auch unser Minis- tung der Hochschulen zu verbessern ... Dabei terpräsident immer zu Recht mit Stolz verweist. ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Hoch- Wir werden dafür sorgen, dass die wichtige und gu- schulen unterschiedlich gestützt werden müs- te Zusammenarbeit mit der Syddansk Universitet sen. Die finanzielle Lage der einzelnen Uni- auch weiter bestehen kann. versitäten ist nämlich unterschiedlich. Die (Beifall bei CDU und SSW) Sorgen sind groß, aber in Flensburg sind sie besonders groß. Daher streben wir für die Die Flensburger Universität ist fest in der deutsch- Universität mehr als .. eine fünfprozentige dänischen Region verankert. Studiengänge der Zuschussanhebung an.“ Wirtschaftswissenschaften und wissenschaftliche Projekte werden seit Jahren erfolgreich mit der Das Land hat Wort gehalten. Syddansk Universitet durchgeführt. Diese Koopera- (Beifall bei der CDU) tion gilt es auch zukünftig zu stärken und auszubau- en. Dafür möchte ich mich als Flensburger Abgeordne- te an dieser Stelle ganz besonders bedanken. (Vereinzelter Beifall bei der CDU) Für uns Flensburger ist die Universität ein unver- Seit über 60 Jahren werden in Flensburg Lehrerin- zichtbarer Standortfaktor, und zwar sowohl in nen und Lehrer ausgebildet. Unsere Universität be- struktureller und kultureller als auch in wirtschaftli- sitzt profunde Erfahrungen in der Lehrerbildung. cher Hinsicht. Lassen Sie mich das kurz erläutern. Das steht so übrigens auch im ZEvA-Gutachten ge- An der Flensburger Universität studieren zurzeit schrieben. Frau Birk, aufgrund der Akkreditie- 4.200 Studenten. Seit 1991 hat sich die Studieren- rungsprobleme werden die Studenten keinen denzahl damit vervierfacht. Insgesamt leben und ar- Nachteil erfahren. Bei den Vermittlungswissen- beiten durch die Universität mehr als 4.500 Men- schaften handelt es sich um staatlich genehmigte schen in unserer Stadt. Allein daraus bemisst sich Studiengänge, deren Wertigkeit vollständig erhal- der immens hohe Stellenwert, den die Hochschule ten bleibt. Das Aussetzen des Akkreditierungspro- für die Stadt und die gesamte Region hat. Umsatz- zesses bedeutet also keinesfalls, dass die Abschlüs- effekte von circa 40 Millionen €, gepaart mit 500 se an der Flensburger Universität nicht anerkannt zusätzlichen Arbeitsplätzen, machen deutlich, wie werden und somit wertlos sind. sehr die Region auf ihren Hochschulstandort ange- Die CDU wird sich auch weiterhin für den Univer- wiesen ist. Dann ist es wenig hilfreich, wenn der sitätsstandort Flensburg einsetzen. In unserer Uni Universitätsrat mit einer in der Außendarstellung steckt eine Menge Potenzial. Es lohnt sich, in diese verheerenden Kritik diesen Standort nicht nur kriti- Hochschule zu investieren. Für das Wintersemester siert, sondern sogar eine Schließung in Betracht 2008/2009 liegen bereits 6.000 Bewerbungen für zieht. So kann man es unseres Erachtens nicht ma- rund 1.000 Studienplätze vor. Das zeigt, dass die chen. Flensburger Universität auf dem richtigen Weg ist Wir Flensburger wissen sehr wohl um die und es wert ist, unterstützt zu werden. Unser Wis- Schwachpunkte unserer Universität; wir wissen je- senschaftsminister Marnette hat das erkannt, der doch auch um ihre Stärken. Letztere gilt es auszu- Landesrechnungshof offensichtlich nicht, denn er bauen. Über 114 Millionen € sind seit 1995 von kritisiert die geplanten Investitionen scharf. Er er- 6962 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Susanne Herold) dreistet sich sogar, die Politik aufzufordern, die ich den Haushaltsentwurf der Landesregierung, Richtungsentscheidung zum Ausbau der Universität auf den Frau Kollegin Herold schon eingegangen Flensburg zu kippen. Ich sage hier ganz deutlich: ist und den ich heute hier nur kurz streifen will. Es ist nicht die Aufgabe des Landesrechnungshofs, Zum Dritten gibt es - ich denke, das kann man nicht aktiv in politische Entscheidungsprozesse einzu- beiseitewischen - allerdings auch die Stellungnah- greifen. Ich appelliere an alle Parlamentarier, sich me des Universitätsrats zu den Ziel- und Lei- nicht manipulieren zu lassen und den in den Haus- stungsvereinbarungen. Frau Kollegin Herold, der halt eingestellten Mitteln für die Hochschulen zuzu- Universitätsrat ist ja das Kind des von Ihnen schon stimmen. mehrfach zitierten Ex-Ministers Austermann, was ich hier nebenbei erwähnen möchte. Es kann und darf doch nicht sein, dass die chroni- sche Unterfinanzierung unserer Hochschulen von (Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Manchmal holt uns weiterhin hingenommen wird. Man kann nicht einen so etwas ein!) auf der einen Seite ein Wissenschaftsland sein wol- Den Hintergrund bei unserer Debatte bilden natür- len und auf der anderen Seite die Hochschulen am lich auch andere hochschulpolitische Probleme, mit ausgestreckten Arm verhungern lassen. Wer Quali- denen die Uni Flensburg, aber natürlich auch viele tät will, muss auch Geld dafür in die Hand nehmen. andere Hochschulen konfrontiert sind. Ich will das Lassen Sie mich noch eines sagen: Es muss endlich hier nur anmerken, ohne dazu in der Kürze der Zeit Schluss damit sein, den Universitätsstandort Flens- detaillierte Ausführungen zu machen. Die Unterfi- burg immer wieder infrage zu stellen. Man kann nanzierung der Hochschulen ist kein spezifisches einen Standort auch kaputtreden. Das wäre aber ein Flensburger Problem und noch nicht einmal ein nicht wieder gutzumachender Schaden für die ge- spezifisches schleswig-holsteinisches Problem. Es samte nördliche Region. Ich bitte um Überweisung gibt in Flensburg aber natürlich besondere Proble- der Vorlage an den Bildungsausschuss. me, die wir beheben müssen. Wir haben Probleme bei der Einführung konsekutiver Studiengänge in (Beifall bei CDU, SPD und SSW) vielfältiger Art und Weise, die ich hier auch nicht im Einzelnen darlegen will. Ich will aber sagen, Präsident Martin Kayenburg: dass ein Teil dieser Probleme wahrscheinlich dar- Gestatten Sie mir, auch wenn dies ein bisschen un- aus resultiert, dass manche Aspekte bei der Einfüh- höflich ist, darauf hinzuweisen, dass der Landes- rung konsekutiver Studiengänge nicht ausreichend rechnungshof seine Pflicht getan hat. Ich würde bedacht worden sind. noch einmal überprüfen, ob „erdreisten“ und „ma- Wir haben - dies muss man, wie ich denke, in einer nipulieren“ in diesem Zusammenhang die richtigen solchen Phase auch einmal auf den Prüfstand stel- Formulierungen sind. len - eine ungenügende Umsetzung des Hoch- (Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der schulpaktes I zu registrieren. Das Letzte, was ich SPD) aus Berlin gehört habe, ist, dass es wahrscheinlich nur drei Bundesländer schaffen, die vereinbarten Nunmehr hat Herr Abgeordneter Jürgen Weber das Zielzahlen nach dem Hochschulpakt I zu erreichen. Wort. Wir haben in Schleswig-Holstein zudem nach wie vor die überkommene Form der schulartgebunde- Jürgen Weber [SPD]: nen Lehrerausbildung, also eine Ausbildung, die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sich an Schularten orientiert, die es bald gar nicht Die Finanzierung der Uni Flensburg und natürlich mehr geben wird. Darüber muss jetzt nicht mehr besonders die Lage der Lehrerausbildung beschäfti- ausführlich diskutiert werden, weil jeder weiß, dass gen uns hier im Parlament regelmäßig. Es gibt al- es Vereinbarungen für die laufende Legislaturperi- lerdings in der Tat einen Anlass, dass wir uns heute ode gibt. Pacta sunt servanda. Wir halten uns natür- mit diesem Thema beschäftigen, denn es hat in den lich an den Koalitionsvertrag. letzten Wochen und Monaten wichtige neue Fakten Das dringlichste Problem, das gelöst werden muss, beziehungsweise Konzepte gegeben, über die man ist ohne Frage die Sicherstellung der Lehrerausbil- reden muss. dung. Im August wurde erneut deutlich, dass die Erstens nenne ich hier den Bewilligungsbericht Akkreditierungsagentur in Hannover die vermitt- zum Akkreditierungsantrag der Uni Flensburg, der lungswissenschaftlichen Studiengänge unter die schon mehrfach zitiert worden ist. Zweitens nenne Lupe nahm und die Akkreditierung erfreulicher- weise nur ausgesetzt und nicht abgelehnt hat. Hier Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6963

(Jürgen Weber) gilt der besondere Dank sowohl der Leitung der erhebliche zusätzliche Finanzmittel wird die Uni- Hochschule als auch dem Wissenschaftsministeri- versität Flensburg ihre Aufgaben in der Lehreraus- um, die dafür gesorgt haben, dass immerhin ein sol- bildung nicht bewältigen können. Da ist mit dem ches Moratorium möglich war. Es hätte ja auch Haushaltsentwurf der Landesregierung ein wichti- schlimmer ausgehen können. Die Verweigerung der ger positiver Schritt eingeleitet worden. Wie weit Akkreditierung wird in erster Linie mit dem Fehlen das reichen wird, werden wir sehen. einer professoralen Mindestausstattung in vielen Meine Damen und Herren, die Forderung der Grü- Fächern begründet. Es wurde darauf hingewiesen, nen nach einer Neuausrichtung der Lehrerbildung dass beispielsweise in Fächern wie Philosophie will ich jetzt nicht noch einmal ausführlich disku- oder Heimat- und Sachkunde überhaupt keine eige- tieren. Wir haben das an vielen Stellen getan. Sie nen Professuren bestehen. Nichtsdestotrotz muss kennen die Verabredung, die es da gibt. man darauf hinweisen, dass der Bericht der Agentur noch ein paar andere Kriterien erwähnt, beispiels- Die Aussetzung der Akkreditierung schlug hohe weise dass nicht feststellbar sei - ich zitiere -, in Wellen, es gab öffentliche Schlagzeilen. Das haben welchem Umfang die Defizite im Bereich der Lehr- alle gelesen. In den Medien wurden bereits Szenari- erbildung durch interne Stellenumwidmungen der en an die Wand gemalt, die Universität völlig zu Universität Flensburg beziehungsweise durch Im- schließen oder sie zumindest wieder zu einer Päd- porte aus anderen Instituten ausgeglichen werden agogischen Hochschule zu machen. Und, was legi- können. tim ist, der Landesrechnungshof hat auch auf die- se Option hingewiesen. Ich will aber für unsere So gibt es, heißt es in dem Text der Agentur weiter, Fraktion noch einmal deutlich sagen: Diese beiden im Bereich Management sogar ein eigenes Institut, Wege sind für uns nicht diskutabel. Außer Baden- dessen Kompetenz jedoch überhaupt nicht genutzt Württemberg hat kein Bundesland mehr das Modell wird. Das ist ein Hinweis, den man zumindest nicht einer Pädagogischen Hochschule, und gar eine überlesen sollte. Schließung der Universität Flensburg wäre aus ei- Man kann sicherlich auch nicht bestreiten, dass es ner ganzen Reihe von Gründen absurd. in Flensburg hausgemachte Probleme gibt. Der Über die Notwendigkeit - das will ich gern hinzufü- Agenturbericht spricht von Mathematikklausuren gen, ohne missverstanden zu werden - der Eigen- mit einer teilweise 80-prozentigen Durchfallquote. ständigkeit einer Hochschule kann man sprechen, Auch die Tatsache, dass es in Flensburg noch nicht wenn die Hochschullandschaft insgesamt neu auf- gelungen ist, einen Präsidenten zu wählen, spricht gestellt wird. Heute allerdings, meine ich, kann das nicht gerade für eine besonders hohe Funktionalität kein Thema sein. der Strukturen. Ich will anfügen, meine Damen und Herren: Der Nichtsdestotrotz darf man nicht aus dem Auge ver- Rektor der Universität Flensburg, Professor Dun- lieren, dass die inhaltliche Arbeit in Flensburg an kel, hat sich erfreulicherweise den öffentlichen vielen Stellen hervorragend ist. Die Agentur weist - Alarmismus nicht zu eigen gemacht, als er vor der ich nenne einfach drei Beispiele - einige positive Presse noch einmal deutlich die Bedeutung der Beispiele auf. So erhalten die Bachelor-Studieren- Hochschule für die Stadt Flensburg und die Region den in den Vermittlungswissenschaften verpflich- umriss. Er hat auch auf die mehrsprachigen Stu- tend eine Ausbildung in Methoden der empirischer diengänge in Kooperation mit Syddansk Univer- Sozialforschung. Das wünschte man sich an anderer sitet hingewiesen, die eine tragende Säule sind. Wir Stelle auch. Die Praktikumsstruktur sei beson- haben das hier im Plenum mehrfach diskutiert, erst ders gut durchorganisiert. Und es werden Beispiele kurz vor der Sommerpause in einer Plenarsitzung. gut studierbarer Fächer hervorgehoben, wie zum Beispiel die Geschichte, weil „es eine theoriegelei- Ich möchte deswegen noch auf einen zweiten Stein tete Konzeption der Vergangenheitsbetrachtung zu sprechen kommen, der in den letzten Wochen und der gegenwärtigen Kommunikation über Ge- ins Rollen gebracht worden ist, nämlich das Per- schichte mit einer überzeugende Abfolge von Mo- spektivpapier des Universitätsrats. Der schreibt, dulen gibt“. die Universität Flensburg stelle das größte Teilpro- blem dar. „Sie verblieb nach einer nur regionalpoli- In jeder derartigen lobenden Formulierung mag tisch motivierten Entscheidung zur Umwandlung in auch der Hinweis auf Mängel in anderen Bereichen eine Universität weitgehend auf dem Ausstattungs- enthalten sein. Deswegen würde ich sagen, nicht al- zustand und Leistungsniveau einer PH.“ Der Uni- le Mängel, die behoben werden müssen, kosten zu- versitätsrat kommt auch zu dieser Alternative er- sätzliches Geld. Es gilt aber auch umgekehrt: Ohne 6964 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Jürgen Weber) heblicher Ausbau oder Schließung beziehungsweise Das sollten wir gar nicht ins Auge fassen. Wir müs- Rückstufung. sen schon sagen, was profilbildend ist. Anders als die Universität Flensburg selbst und Politik muss - das soll mein letzter Satz sein, Herr auch anders als der bisherige Konsens hier im Haus Präsident, meine Damen und Herren - auch auf den hält der Universitätsrat in gewisser Anlehnung an Prüfstand stellen, ob die bisherigen Wege richtig das Gutachten der Erichsen-Kommission die Ko- beschritten worden sind. Ich sehe zum jetzigen operation mit Syddansk Universitet für nicht so zu- Zeitpunkt keine Notwendigkeit, von den Beschlüs- kunftsträchtig. Er schreibt, sie bilde kein zukunfts- sen Abstand zu nehmen. Wir werden es aber in Ru- trächtiges überzeugendes Universitätsprofil und he diskutieren müssen. Wir haben - das muss auch habe eine schwache Forschungsbilanz. Der Univer- gesagt werden - eine Reihe anderer Hochschulen in sitätsrat schlägt erhebliche zusätzliche Finanzmittel Schleswig-Holstein, und man muss die Profile, die vor, um die Uni Flensburg lehr- und forschungs- sich in Flensburg entfalten, natürlich vor dem Hin- stark zu machen durch den Ausbau zu einer tergrund der weiteren Entwicklung der Hochschul- „Schwerpunktuniversität für empirische Bildungs- landschaft in Gesamt-Schleswig-Holstein sehen. wissenschaften“, und er erwartet in dieser Frage ei- Das alles zusammen bietet hinreichende Grundla- ne politische Richtungsentscheidung. gen für eine intensive Diskussion im Ausschuss, auf die ich mich schon freue. Ich will nur so viel sagen: Wir können und sollten das Papier des Universitätsrats nicht einfach beisei- (Beifall bei der SPD) te legen, sondern es durchaus ernsthaft diskutieren. Die Forderungen und Wünsche, die darin aufge- Präsident Martin Kayenburg: schrieben sind, sind sicherlich an vielen Stellen überdimensioniert und begrenzt realistisch für das Für die Fraktion der FDP hat Herr Abgeordneter Land. Man muss das allerdings zu Kenntnis neh- Dr. Ekkehard Klug das Wort. men; wenn man einen Universitätsrat hat, muss man dieses Instrument zumindest entsprechend zu Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Kenntnis nehmen. Er spricht natürlich weniger eine Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Sprache des Regionalraumes, sondern orientiert den Feststellungen der Zentralen Evaluations- und sich an europäischen Standards für die Weiter- Akkreditierungsagentur Hannover - ZEvA - sind entwicklung von Hochschulen und Forschungs- die zum Wintersemester 2005/06 eingerichteten landschaften und trägt eher wissenschaftsimmanen- Flensburger Lehramtsstudiengänge heute, also te Argumente vor. drei Jahre später, nicht akkreditierungsfähig. Ihre Für die aktuelle Diskussion will ich für meine Frak- personelle Ausstattung sei, so die ZEvA, „nicht ge- tion zusammenfassen: Zur Sicherung und Weiter- eignet, die Studiengänge mit hinreichender Lehrka- entwicklung der Lehrerausbildung in Flensburg pazität zu versorgen und auf dem notwendigen wis- müssen erhebliche Haushaltsmittel bereitgestellt senschaftlichen Niveau anzubieten“. Die Akkredi- werden. Dazu gibt es keine Alternative. Zu den tierung ist daher jetzt vorerst ausgesetzt worden, Zielzahlen, die im Haushalt stehen, ist einiges ge- damit die beanstandeten Mängel im Laufe der näch- sagt worden. Das ist zumindest eine gute Grundla- sten anderthalb Jahre ausgeräumt werden können. ge. Diese Entscheidung und die ihr zugrunde liegende Ich will hinzufügen, dass es bei aller Notwendigkeit Bewertung ist eine ziemlich heftige Ohrfeige, aller- der Stärkung der Hochschulen - da werden wir über dings nicht eine Ohrfeige für die Flensburger Uni- Flensburg hinaus sicherlich noch über viele Dinge versität, sondern für das Land Schleswig-Holstein, zu reden haben - natürlich kein Wunschkonzert ist. das ja für eine sachgerechte Ausstattung seiner Es kann additiv logischerweise nicht einen Ausbau Hochschulen Sorge zu tragen hat. Weder im Zuge einer Kooperation mit Syddansk Universitet im der Umwandlung der früheren Bildungswissen- Wirtschaftswissenschaftlichen Managementbereich schaftlichen Hochschule zur Universität noch im geben und obendrauf sozusagen ein empirisches Zuge der Verlagerung des größeren Teils der Leh- Bildungsforschungsinstitut mit einem zusätzlichen reramtsstudiengänge nach Flensburg hat das Land Profil. Das sind wirklich Wolkenkuckucksheime. Schleswig-Holstein der Flensburger Universität die Mittel gegeben, die sie zur Erfüllung der ihr über- (Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard tragenen Aufgaben dringend benötigt. Klug [FDP]) Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6965

(Dr. Ekkehard Klug)

Dieser Sachverhalt ist auch im Landtag wiederholt gnal dafür, dass das Land die Universität Flensburg thematisiert worden, zuletzt im April dieses Jahres jetzt unterstützt und sie nicht im Regen stehen lässt. aufgrund eines Antrages des SSW. In der damals Ohne die Landesregierung und ihre Vorgänger für geführten Landtagsdebatte habe ich unter anderem die Versäumnisse der Vergangenheit freizuspre- auf Folgendes hingewiesen: Die Universität Flens- chen, ist daher auch aus Sicht der FDP-Landtags- burg erhält derzeit einen Landeszuschuss in Höhe fraktion anzuerkennen, dass nunmehr - wenigstens von jährlich rund 13,7 Millione €. Sie hat etwa jetzt - konsequent und entschlossen gehandelt wird, 4.200 Studierende. Dividiert man das Jahresbudget um zu retten, was zu retten ist, was gerettet werden durch die Zahl der Studierenden, erhält man einen muss. Über das weitere Verfahren und die folgen- Pro-Kopf-Betrag von rund 3.262 €. Für einen Schü- den Schritte werden wir uns sicherlich im Detail ler an einer Grund- und Hauptschule hat das Land noch im Bildungsausschuss austauschen. hingegen 2005 im Durchschnitt jährlich 3.905 € ausgegeben, also gut 20 % mehr als für einen Stu- Einer zügigen Klarstellung bedarf allerdings die dierenden an der Universität Flensburg. Dieser Ver- Frage - und ich bitte Herrn Minister Marnette, in gleich wirft, denke ich, ein Schlaglicht auf die un- seiner Rede darauf nachher möglichst noch einzu- zulängliche Ausstattung der Flensburger Uni. gehen -, welche Konsequenzen sich aus der entstan- denen Sachlage für die Studierenden und Absolven- Dabei ist das Land - das ist auch schon von anderen ten der Flensburger Bachelor-Studiengänge für Kolleginnen und Kollegen hier gesagt worden - auf Vermittlungswissenschaften ergeben, denn die er- den Lehrernachwuchs, der zum größten Teil in sten Absolventen dieses dreijährigen Bachelor-Stu- Flensburg studiert, heute und auch in Zukunft drin- dienganges stehen jetzt vor der Tür. gend angewiesen. Es gibt deshalb gar keine anderen Möglichkeit, als jetzt so schnell wie möglich die Hier hat es eine große Verunsicherung gegeben, die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaf- sich in öffentlichen Stellungnahmen und übrigens fen. Das Wissenschaftsministerium hat die dazu nö- auch in Schreiben an Landtagsabgeordnete nieder- tigen Schritte auch zügig eingeleitet. schlägt. Der Rektor der Flensburger Universität hat - wie es einem Bericht des ,,Flensburger Tage- Es soll eine externe Strukturkommission einge- blatts“ vom 26. August zu entnehmen ist - deutlich richtet werden, die möglichst innerhalb eines halb- gemacht, ,,dass die Studenten durch die Akkreditie- en Jahres ein Personalentwicklungskonzept für die rungsprobleme nichts zu befürchten hätten“. Ein erforderlichen Nachbesserungen erarbeiten soll. wörtliches Zitat lautet: ,,Das ist ein staatlich geneh- Die Besetzung zusätzlich benötigter Professuren migter Studiengang, die Studienabschlüsse sind soll dann ebenfalls durch überwiegend oder aus- nach wie vor wertvoll.“ Ähnlich hat es auch Frau schließlich mit externen Mitgliedern besetzte Beru- Kollegin Susanne Herold vorhin betont. fungskommissionen erfolgen. Das ist ein recht un- gewöhnliches Verfahren. Der Flensburger Uni wür- Staatssekretär de Jager hat in seinem Schreiben an de damit de facto die Personalhoheit aus der Hand den Bildungsausschuss vom 21. August dargelegt, genommen. Angesichts des Zeitdrucks und des dass die bisher - seit 2005 - erteilten Genehmigun- Umfangs der abzuarbeitenden Probleme ist dies gen jeweils allerdings immer nur zeitlich befristet aber wohl der einzige erfolgversprechende Weg, für ein Jahr erteilt worden sind. Daher stelle ich mir die entstandene Krisensituation zu bewältigen. Und jetzt die Fragen: Wie verhält es sich jetzt und für ich füge hinzu: Es ist sicherlich auch eine Siche- den bevorstehenden 18-monatigen Übergangszeit- rung dafür, dass die Personalverstärkung, die die raum mit der Frage der Genehmigung dieser Stu- Uni Flensburg bekommen muss, tatsächlich auf das diengänge? Zweitens. Gilt die Zusage, dass ein in Kerngeschäft der Lehrerbildung ausgerichtet Flensburg in diesen Studiengängen erworbener Ba- wird, und dass es keine Umlenkungsaktivitäten in chelor-Abschluss auch zur Aufnahme eines Master- Richtung auf andere, sicherlich auch vorhandene studiums berechtigt, nur für den Masterstudiengang Wünsche geben wird. Darauf hat Jürgen Weber der Universität Flensburg, oder gilt diese Zugangs- eben schon mit relativ drastischen Worten, aber zu- berechtigung bundesweit? treffend, hingewiesen. Ich kann ein Schreiben zitieren, das mir der Vater (Beifall bei der FDP) einer Studentin aus Flensburg zugesandt hat. In die- sem Schreiben wird erklärt, die dortigen Bachelor- Außerdem ist die von der Landesregierung bewil- Absolventen könnten ausschließlich in Flensburg ligte Soforthilfe für einige Professurvertretungen in den Masterstudiengang aufgenommen werden, und befristete Stellenbesetzungen ein wichtiges Si- da andere Universitäten einen akkreditierten Bache- 6966 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Dr. Ekkehard Klug) lor-Abschluss als Aufnahmekriterium vorgeben. Ist Studium erhalten, mit dem sie dann auch in die La- das so, oder ist das nicht so? Hier bitte ich um eine ge versetzt werden, ihren Schülern diese Themen Klarstellung, weil man natürlich auch als Abgeord- sachgerecht zu vermitteln. Das heißt, es geht hier neter wissen muss, was man im Zweifelsfall Frage- auch neben den kostenträchtigen Fragen der Perso- stellern, die einem Briefe schreiben, dann auf eine nalausstattung um eine ganze Reihe von Punkten, solche Zuschrift antworten kann und muss. Es geht wo inhaltlich in den Studiengängen, in den Stu- hier immerhin um 1.300 Studierende. Und man dienordnungen in den Curricula erheblich nachge- rechnet im ersten Absolventendurchgang mit 250 bessert werden muss. Das ist die eigene Aufgabe bis 300 Absolventen. Für diesen recht großen Per- der Universität, die sich da auch zügig an die Arbeit sonenkreis muss jetzt einfach in diesen Fragen, die machen muss. die Leute beschäftigen, auch eindeutige Klarheit (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE herbeigeführt werden. Das muss ad hoc deutlich ge- GRÜNEN) macht werden. Es kommt jetzt darauf an - damit will ich dann auch (Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schließen -, den entstandenen Schaden so rasch wie NEN und des Abgeordneten Jürgen Weber möglich auszuräumen und der Flensburger Univer- [SPD]) sität die zu Erfüllung ihrer Aufgabe unverzichtba- Im Rückblick muss ich noch Folgendes sagen: In ren Grundlagen zu verschaffen. Wir werden diese den letzten Jahren ist wiederholt auch hier von Ver- Entwicklung mit einer positiven Haltung zu dem tretern anderer Fraktionen im Landtag - ich erinnere von der Regierung eingeleiteten Prozess allerdings mich zum Beispiel an entsprechende Äußerungen auch kritisch begleiten. Ich denke, wir werden uns des Kollegen Hentschel - die Uni Flensburg für ih- mit diesem Thema auch im Bildungsausschuss in ren frühzeitigen Umstieg auf die konsekutiven Ba- den kommenden anderthalb Jahren wiederholt zu chelor/Masterkonzepte sehr gelobt worden, wäh- beschäftigen haben. rend man die Uni Kiel immer dafür kritisiert hat, Was den Antrag der Grünen angeht, empfehle ich dass sie so lange brauche, bis sie die entsprechen- Überweisung an den Bildungsausschuss bis auf den den Konzeptionen entwickelt und eingeführt hat. dritten Punkt. Der dritte Punkt ist das Thema Stu- Im vorletzten Wintersemester ist das in Kiel auch fenlehrer-Ausbildung. Da haben wir die bekann- der Fall gewesen. Im Nachhinein muss man aber ten Dissense, die hier schon wiederholt ausgetragen sagen, dass die Uni Kiel vielleicht gut beraten war, worden sind. Der Antrag ist in den drei anderen anders als die kleine Flensburger Universität, eben Punkten aus unserer Sicht durchaus zustimmungs- nicht hopplahop in diese neuen Bachelor/Master- fähig. Aber vielleicht wird man sich im Austausch konzepte einzusteigen. Eine größere Sorgfalt bei im Ausschuss noch über einiges andere austauschen der Entwicklung der neuen Studienangebote hätte können und Einvernehmen erzielen können. Sinn- sicherlich auch Flensburg gut getan. Denn es gibt in voll wäre es in der Tat, wenn es ein gemeinsames Flensburg nicht nur Personalprobleme, also eine Signal des Landtags und aller Fraktionen zu den fehlende Personalausstattung, sondern der Bericht hier einvernehmlich bestehenden Positionen zugun- der Akkreditierungsagentur zeigt in einer ganzen sten der Universität Flensburg geben kann. Vielzahl auch sehr kritische Punkte, was inhaltliche Konzepte in Studiengängen, in den Curricula und in (Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Prüfungsordnungen betrifft. Es gibt positive Bei- NEN und SSW) spiele. Jürgen Weber hat vorhin eben das Beispiel des Studiengangs Geschichte genannt. Aber ich will Vizepräsidentin Ingrid Franzen: einen Satz aus dem Evaluationsbericht für das Fach Wirtschaft/Politik Bachelor-Studiengang zitieren: Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Klug. - Bevor wir in der Abarbeitung der Wortmeldungen weiter- „Für das Schulfach relevante Themenberei- gehen, darf ich sehr herzlich auf der Besuchertribü- che wie volkswirtschaftliche Gesamtrech- ne den Landfrauenverein aus Schafflund begrüßen. nung, Privathaushalt im Wirtschaftsprozess, - Seien Sie uns sehr herzlich willkommen! Konsumentenverhalten, Preisbildungprozesse wurde im Curriculum und den Modulbe- (Beifall) schreibungen bisher noch nicht sichtbar.“ Ich habe Meldungen zu Kurzbeiträgen. Zunächst Ich will hier nur sagen: Angehende Lehrer für das hat Frau Abgeordnete Angelika Birk das Wort. Fach Wirtschaft/Politik sollten schon in diesen in- haltlichen Themenbereichen eine Ausbildung, ein Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6967

Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe mich darauf verlassen, dass das Ministeri- um es schon wissen wird. Ich dachte, vielleicht hät- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle- te ich mich geirrt. Wir müssen jetzt handeln. Daher ginnen und Kollegen! Meine Redezeit habe ich vor- lautet mein Appell an das Haus: Wenn wir den An- hin nicht ganz ausgenutzt, deshalb erlaube ich mir trag - wie deutlich wurde - an den Bildungsaus- ein paar Kommentare zu meinen Vorrednerinnen schuss überweisen, dann sollten wir die Beratung und Vorrednern. dort nicht auf den Sankt Nimmerleinstag vertagen. Frau Spoorendonk, ich glaube, Sie haben den An- Mir wäre es lieber, wir würden heute in der Sache trag nicht richtig gelesen, denn der erste Absatz be- abstimmen. Ich wäre auch dazu bereit, gegebenen- deutet ganz eindeutig, dass wir schnellstmöglich die falls auf eine Formulierung zu verzichten, wenn wir Voraussetzungen schaffen müssen, dass die Univer- heute ein gemeinsames Signal in der Sache hinkrie- sität die ihr übertragenen Aufgaben auf hohem Ni- gen könnten. Vielleicht können sich die einzelnen veau wahrnehmen kann. Das bezieht sich nicht nur Redner dazu noch einmal äußern? auf ein Studiengang, sondern es geht um die Ge- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) samtuniversität. Die darauffolgenden Abschnitte allerdings beziehen sich genau auf das Thema, was nun zu den Problemen geführt hat, nämlich, dass Vizepräsidentin Ingrid Franzen: die Akkreditierung in einigen Studiengängen - Zu einem weiteren Kurzbeitrag hat Frau Abgeord- glücklicherweise nicht in allen - für 18 Monate aus- nete Anke Spoorendonk das Wort. gesetzt wurde. Da handelt es sich nun mal um Stu- diengänge, die mit Vermittlungswissenschaften und Anke Spoorendonk [SSW]: Lehrerbildung zu tun haben. Deshalb haben wir uns erlaubt, auch hier den Fokus zu setzen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Birk, es mag sein, dass ich mich in (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) erster Linie auf Ihre Pressemitteilung bezogen habe. Frau Herold, das tun wir nicht erst seit heute. So- Ich fand durchaus, dass dieser Tenor dort enthalten wohl in meiner Funktion als Regierungsmitglied als war. Es ist aber richtig, dass sich Ihr Antrag auf die auch bei entsprechender Auseinandersetzung in un- Universität als Ganzes bezieht. serer Partei um die zunehmende Polarisierung Zu dem Redebeitrag der Kollegin Herold fiel mir Flensburg oder Kiel habe wir immer eindeutig zur ein, dass ich angesichts der Forderung des Landes- Universität Flensburg gestanden und haben uns rechnungshofs, ein tragfähiges Konzept für die sehr - auch in der Koalition - dafür eingesetzt, dass Universität zu erarbeiten, noch einmal deutlich ma- die Rahmenbedingungen angemessen sind. chen sollte, was ich schon in meinem Redebeitrag (Zuruf des Abgeordneten Jürgen Weber gesagt hatte. Natürlich teilen wir die Konklusion [SPD]) des Landesrechnungshofs nicht. Ich denke, das war deutlich. Sie wissen, wir waren der kleinere Koalitionspart- ner. Wir haben nicht den Finanzminister, die Bil- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dungsministerin oder die Wissenschaftsministerin Aus unserer Sicht ist es nicht zukunftsfähig zu sa- gestellt, aber an dieser Stelle sei deutlich darauf gen, wir stufen die Universität zurück. Ich will hingewiesen, dass das Thema Flensburg für uns mich nicht weiter zur Politikberatung des Landes- kein neues Thema ist. Es hätte nicht so sein müs- rechnungshofs äußern. Ich wollte das nur noch ein- sen, dass wir in die Lage kommen, in der wir sind. mal klarstellen. Ich habe die Landesregierung schon im Februar dieses Jahres im Rahmen einer Kleinen Anfrage Ich möchte auch klarstellen, dass die grenzüber- darauf hingewiesen, dass die Agentur die Studien- schreitenden Studiengänge häufig immer noch als gänge für das Lehramt für nicht ausreichend hält. etwas Exotisches wahrgenommen werden. Sie wer- Die Landesregierung hat geantwortet, ihr sei eine den als etwas wahrgenommen, was wie ein kleines solche Äußerung der Akkreditierungsagentur nicht Sahnehäubchen ist, auf das man auch verzichten bekannt. Es ist schön, wenn wir manchmal ein kann. Das klang bei dem Redebeitrag des Kollegen bisschen schlauer sind. Es ist aber schade, dass wir Weber ein wenig an. Darum sage ich noch einmal nicht schon vorher handeln konnten. aus Sicht des SSW: Die grenzüberschreitenden in- ternationalen Studiengänge sind Alleinstellungs- (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold merkmal der Universität Flensburg. Sie haben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) einen anderen Inhalt als die Kooperationen, die es 6968 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Anke Spoorendonk) zum Beispiel zwischen der CAU und der Syddansk schend aufgetretenen Probleme reagiert haben, als Universitet gibt. die Entscheidung des Akkreditierungsverfahrens bekannt wurde. Eines ist ganz klar: Wenn man die deutsch-dänische Region zu einer Wissens- und Wirtschaftsregion Zunächst ist mir jedoch wichtig, die Bedeutung der weiterentwickeln will, dann braucht man so ein Entscheidung der Zentralen Evaluations- und Ak- Wissenszentrum. Das hat man in Sonderburg und kreditierungsagentur noch einmal kurz einzuord- auch in Flensburg. Man hat dort langjährige Erfah- nen. Die Akkreditierung der Studiengänge ist ein rungen mit der Erarbeitung von internationalen Stu- Verfahren der Qualitätsprüfung. So muss man es diengängen. Auch hier haben wir aber ein Finanzie- auch nutzen. Das ist eine Prüfung, die wir zusätz- rungsproblem. Es gibt INTERREG-Projekte, die lich zur Genehmigung der Studiengänge eingeführt aus finanziellen Gründen nur schwer zustande kom- haben. Die Konsequenz ist Gott sei Dank, dass sich men. für unsere Bachelor-Studierenden aus diesem Ur- teil keine negativen Konsequenzen ergeben haben. Eine letzte Bemerkung: Ich finde auch, dass es Wir können also in die Zukunft schauen, darauf wichtig ist, daran festzuhalten, dass das, was von ausbauen und einiges neu gestalten. der Akkreditierungsagentur gesagt wurde, für uns auch zu etwas Positivem führen wird. In der Ver- Mit der Akkreditierung sollten folgende Effekte er- gangenheit wurde die Universität Flensburg oft als zielt werden: Die Qualität der Ausbildung sollte die leicht behinderte Tochter der anderen Universi- auf den Prüfstand gestellt werden, und es sollte täten wahrgenommen. Transparenz geschaffen werden. Es ist eben schon angeklungen: Auch wenn das Ergebnis derzeit nicht (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das war sie bis- erfreulich ist, so stellt es doch eine verlässliche her auch!) Grundlage für eine notwendige Qualitätsverbesse- - Ja, aber das muss geändert werden. Das ist der rung der Lehramtsausbildung dar. Bereits wäh- Punkt. rend der April-Tagung des Landtags in diesem Jahr (Beifall bei der FDP) wurden einige Eckpunkte für die Entwicklung der Universität Flensburg benannt, die diese Qualitäts- Wir müssen endlich begreifen, dass das mitleidige verbesserung einleiten. Diese will ich noch einmal Streicheln ein Ende haben muss. Die Universität bekräftigen. Das ist sozusagen unsere Geschäfts- Flensburg ist für die Hochschullandschaft in grundlage: Erstens. Die Universität Flensburg wird Schleswig-Holstein wichtig. Sie hat eine eigenstän- nicht in eine PH umgewandelt. Sie wird Universi- dige Berechtigung und eine wichtige Funktion. Von tät bleiben. daher muss sie auch im Vergleich mit anderen Hochschulen gleichberechtigt gefördert werden. Ich (Beifall der Abgeordneten Angelika Birk denke, das müsste die Konklusion sein. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall beim SSW und der Abgeordneten Zweitens. Die Universität Flensburg ist im Ver- Susanne Herold [CDU]) gleich zu den anderen Hochschulen im Lande fi- nanziell deutlich schlechter ausgestattet. Wir wer- den deshalb im Haushalt 2009/2010 und in den Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Zielvereinbarungen ab 2009 einen gewissen Aus- Der Wissenschaftsminister, Herr Dr. Werner Mar- gleich vornehmen und eine Erhöhung des Landes- nette, hat das Wort. zuschusses für die Universität Flensburg um etwa 10 % vorsehen. Dr. Werner Marnette, Minister für Wissenschaft, Drittens. Auch innerhalb der Universität muss klar Wirtschaft und Verkehr: sein, dass das Profil der Hochschule in erster Linie Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! durch die Erziehungs- und Vermittlungswissen- Wir haben viel über die Vergangenheit geredet. Wir schaften und die sie einschließende Lehramtsausbil- sollten über die Zukunft reden, denn wir reden über dung bestimmt wird. Das bedeutet nicht, dass ande- die Bildung, über die Ausbildung und über junge re Bereiche aufgegeben werden sollen. Wir werden Menschen. Für mich steht fest, dass die Planungs- aber darauf achten, dass die Vermittlungswissen- fehler mit der Zielvereinbarung aus dem schaften auch hochschulintern nicht geschwächt Jahr 2004 begangen wurden. Das muss irgendwann werden. einmal ein Ende haben. Ich glaube, dass wir im Das Aussetzen des Akkreditierungsverfahrens Sommer sehr schnell auf die auch für mich überra- hat weitere darüber hinausgehende Maßnahmen er- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6969

(Minister Dr. Werner Marnette) forderlich gemacht. Entsprechend dem Vorschlag (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der der Zentralen Evaluations- und Akkreditierungs- SPD - Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE agentur werden wir gemeinsam mit der Universität GRÜNEN]: Da besteht Handlungsbedarf!) Flensburg eine Strukturkommission einsetzen. Diese Kommission soll ihre Arbeit sehr schnell auf- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: nehmen. Wir suchen zurzeit einen Vorsitzenden. Das soll noch im September erfolgen. Diese Struk- Ich danke dem Herrn Minister. Weitere Wortmel- turkommission soll innerhalb eines halben Jahres dungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. abgeschlossen werden. Das ist eine vordringliche Ich habe etwas divergierende Anträge gehört, aber Arbeit, die geleistet werden muss. Die Struktur- ich meine, der weitestgehende Antrag zu Punkt a) kommission hat die Aufgabe, ein Personalentwick- ist Ausschussüberweisung. Sind wir uns da einig? - lungskonzept für die Universität zu entwickeln und Ich weiß, Frau Birk, dass Sie auch andere Dinge an- zu prüfen, in welchen Fächern der Bedarf an zu- gesprochen haben, aber es hat dazu keine Rück- sätzlichen Stellen am dringendsten ist. kopplung gegeben. Die Universität Flensburg hat am 30. August 2008 Ich gehe davon aus, dass zu a), Antrag der Fraktion die Vereinbarung über das weitere Vorgehen zum BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache Erreichen der Akkreditierung unterschrieben. Das 16/2200, Ausschussüberweisung beantragt ist, und ist ein wichtiger Punkt. Um den Studierenden, die zwar an den Bildungsausschuss. Wer so beschlie- zum Wintersemester das Masterstudium beginnen, ßen will, den bitte ich um sein Handzeichen. Dann bereits ab sofort bessere Studienbedingungen zu ge- ist das so geschehen. währleisten, hat das Land einen Feuerwehrfonds in Höhe von 600.000 € eingerichtet, aus dem Pro- Zu b): In seiner Beschlussempfehlung Drucksache fessurvertretungen, Lehraufträge, Tutorien und so 16/2182 empfiehlt der Bildungsausschuss mit Zu- weiter finanziert werden können. Die vordringli- stimmung der Antragsteller, den Antrag Drucksa- chen Probleme sind damit aufgegriffen. Ich denke, che 16/2020 für erledigt zu erklären. Ich denke, dass damit für die Universität die Weichen richtig dem schließt sich der Landtag sicherlich an. - Ich gestellt sind. bedanke mich. Eine weitere Frage ist, wie das Thema Bildungs- Ich rufe jetzt den ein bisschen verschobenen und er- forschung an der Universität Flensburg unter reali- sehnten Tagesordnungspunkt 17 c) auf: stischen Bedingungen gestärkt werden kann. Dies füge ich ausdrücklich hinzu. Realistisch bezieht Erhalt der Künstlersozialversicherung sich unter anderem auch auf die finanziellen Mög- lichkeiten. Da die Erarbeitung eines Personalent- Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wicklungskonzepts ohne Vorklärung dieses Punk- Drucksache 16/2223 tes nicht möglich sein wird, erwarten wir auch hier- Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP, zu Aussagen von der Strukturkommission. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordne- Es tut mir leid: Die Grünen greifen in ihrem Antrag ten des SSW - das wird die Insider nicht überraschen - auch das Drucksache 16/2226 Thema Stufenlehrer erneut auf. Der Landtag hat - so habe ich recherchiert - diese Diskussion bereits Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das im letzten Jahr geführt. Ich denke nicht, dass wir sie ist nicht der Fall. Da BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erneut aufgreifen sollten. die ursprünglichen Antragsteller sind, bekommen sie zunächst das Wort. Ich erteile der Frau Abge- (Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE ordneten Angelika Birk das Wort. GRÜNEN]: Wir werden sie mit Sicherheit wieder aufgreifen!) Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hierzu gibt es im Koalitionsvertrag eine eindeutige Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Aussage, die lautet: Die bestehende Lehramtsstruk- und Kollegen! Laut dpa-Meldung von Dienstag, tur wird beibehalten. dem 9. September, wurde überraschend bekannt, Wir sollten uns daher auf die Themen konzentrie- dass mehrere Bundesländer, darunter auch Schles- ren, in denen Handlungsbedarf und Handlungs- wig-Holstein, am 19. September im Bundesrat die spielraum besteht. Künstlersozialkasse abschaffen oder zumindest unternehmerfreundlich reformieren wollen. Die Be- 6970 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Angelika Birk) schlussempfehlung steckte ganz tricky, unsichtbar Wilfried Wengler [CDU]: in einer Beratung zum Dritten Mittelstandsentla- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir stungsgesetz. Deshalb wurde die Brisanz erst kurz- haben hier ein ernstes Thema. Liebe Frau Birk, was fristig öffentlich, nachdem die ersten Fachausschüs- Sie hier - ich glaube, ich habe es richtig verstanden se dieses Gesetz beraten und mit der zusätzlichen - als tricky bezeichnen und damit eine Täuschungs- Empfehlung versehen hatten. absicht unterstellen, möchte ich doch direkt zurück- Weil sich der Deutsche Kulturrat, der Deutsche weisen. Denn das, was Sie hier zitiert haben, steht Musikrat, die Dienstleistungsgesellschaft ver.di und in den Empfehlungen der Ausschüsse zum Entwurf andere Organisationen mit Brandbriefen zwischen- eines Dritten Gesetzes zum Abbau bürokratischer zeitlich an die Ministerpräsidenten gewandt hatten, Hemmnisse insbesondere der mittelständischen forderten wir, dass unser Antrag dringlich im Land- Wirtschaft. Ihr Zitat ist zwar korrekt und auch die tag behandelt wird. Wir fordern die Landesregie- Zitate des Kulturrates und all derjenigen - - rung mit unserem Antrag auf, gegen die Empfeh- (Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE lung der Bundesratsfachausschüsse zu stimmen, GRÜNEN]: Aha! - Zuruf der Abgeordneten wie es die Länder Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sach- NEN]) sen und Thüringen schon getan haben. - Lassen Sie mich doch einmal zu Ende reden, liebe Ich freue mich sehr, dass unser Dringlichkeitsantrag Frau Heinold! von allen Fraktionen ohne große Diskussion positiv aufgenommen wurde und dass inzwischen auch die Eine Nachfrage hat ergeben, dass diejenigen Minis- Landesregierung klargestellt hat, dass das Abstim- ter und die Frau Ministerin, die Schleswig-Holstein mungsvotum in den Fachausschüssen offensichtlich in den Ausschüssen vertreten haben, zwar einer Re- nicht das letzte Wort war. form der Künstlersozialversicherung zugestimmt haben, aber nicht ihrer Abschaffung, und ich glau- (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold be - - [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Zurufe) Inzwischen zeichnet sich ab, dass sich auch Schles- wig-Holstein hinter die Künstlersozialversicherung - Den Satz kann ich zitieren. Ich habe es hier auch stellt. vorliegen: Warum halten wir es dennoch für notwendig, mit (Zuruf) einer Resolution als Landtag ein Zeichen zu set- - Das ist ja eine Mehrheitsabstimmung, wenn ich zen? Es hat in den letzten Jahren wiederholt aus das richtig verstehe. einzelnen Strömungen der Wirtschaft und sogar von einzelnen Kommunen Druck auf die Wirt- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Weiter! - Zurufe) schaftsministerien und die Kultusbürokratie gege- - Ach so, Entschuldigung. Dann ist die Information, ben, die Künstlersozialversicherung aufzuweichen die ich hier vorliegen habe, falsch. oder sogar ganz abzuschaffen. Der Versuch, den wir hier mit dem Mittelstandsentlastungsgesetz er- „Der Bundesrat fordert, dass die Künstlerso- leben, ist nicht der erste. Deshalb halten wir es für zialversicherung abgeschafft oder zumindest wichtig, ein deutliches Signal zu setzen und ge- unternehmerfreundlich reformiert wird.“ meinsam zu sagen: Wir stehen hinter der Absiche- Und über die Probleme - - rung. Wir wollen, dass es weiter Kulturschaffende in diesem Land gibt. Wir wissen, wie schwierig die (Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Einkommenssituation vieler Kulturschaffender ist. NEN]: Das ist doch die Abschaffung!) Ich freue mich, wenn wir hier zu einem gemeinsa- men Beschluss kommen. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie doch bitte den Redner zu Ende reden!

Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Wilfried Wengler [CDU]: Ich danke der Frau Abgeordneten Birk. - Für die Frau Heinold, wie Sie das interpretieren, ist Ihre CDU-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Wilfried Sache, ich interpretiere das auf meine Weise. Wengler das Wort. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6971

(Wilfried Wengler)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, in Angesichts der überaus problematischen sozialen Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, Lage vieler Künstlerinnen und Künstler in Deutsch- dem Land der Komponisten und Künstler, fehlt es land dürfen wir politisch Verantwortliche uns nicht vielerorts noch an einem grundsätzlichen Bekennt- in das romantisch verklärte Bild vom zwar armen, nis zur Kultur. aber schönen Künstlerleben flüchten. Verantwor- tungsvolle Politik heißt für mich und die CDU- (Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE Fraktion, die Rahmenbedingungen der sozialen Ab- GRÜNEN]: Vor allem der Landesregierung!) sicherung der Künstler zu stärken und fortzuführen. - Die Zeit ist schon etwas fortgeschritten, aber viel- Wir lehnen daher den Vorstoß zur Abschaffung der leicht können Sie sich noch ein bisschen konzen- Künstlersozialversicherung - wie viele andere Bun- trieren, lieber Herr Hentschel. desländer und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion Die deutsche Politik hat im Vergleich zu anderen ebenfalls - ab und fordern die Weiterführung der Staaten in Europa und der Welt sehr frühzeitig die Künstlersozialversicherung. notwendige soziale Absicherung der Künstlerin- (Beifall bei der CDU) nen und Künstler sichergestellt. Das 1983 verab- schiedete Künstlersozialversicherungsgesetz ist bis heute europaweit einmalig. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Seitdem können sich selbstständige Künstlerinnen Ich danke dem Herrn Abgeordneten Wengler. - Das und Künstler sowie Publizistinnen und Publizisten Wort für die SPD-Fraktion hat nun der Herr Abge- im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung ordnete Hans Müller. kranken-, pflege- und rentenversichern. Vor der Einführung des Gesetzes hatten sie keinerlei soziale Hans Müller [SPD]: Absicherung. So wurde für sie ein eigenes Versi- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! cherungssystem geschaffen, und das aus gutem Nicht immer lösen sich Konflikte so schnell in Grund. So sagte es auch das Bundesverfassungsge- Wohlgefallen auf wie die Auseinandersetzung um richt in einer Entscheidung. den Erhalt der Künstlersozialversicherung. Auf Bundesebene haben sich CDU/CSU und SPD (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in ihrem Koalitionsvertrag deshalb ausdrücklich zur und des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner Künstlersozialversicherung als einem wichtigen In- [SPD]) strument der Kulturförderung und der sozialen Si- cherung der Künstlerinnen und Künstler bekannt. Ich bin sehr dankbar dafür, dass es gelungen ist, in Es wurde aber auch Handlungsbedarf gesehen. kürzester Zeit diesen interfraktionellen Antrag auf den Weg zu bringen, und ich danke auch der Lan- Der Finanzbedarf der Künstlersozialversicherung - desregierung für ihre Klarstellung, die sie am und jetzt komme ich zum Thema Reform - hat sich Dienstag Abend vorgenommen hat. Ich hätte mir in den letzten Jahren massiv erhöht. Die Ursachen eine solche Klarstellung ein wenig eher gewünscht, sind vielfältig. Das durchschnittliche Jahreseinkom- aber sie ist dann immerhin gekommen. Die Landes- men von Künstlerinnen und Künstlern liegt bei nur regierung hat erklärt, dass sie der Abschaffung der 11.000 € - für viele von uns unfassbar wenig. Zu- Künstlersozialversicherung widerspricht. dem nimmt die Anzahl der Versicherten seit Jahren zu. Der Anteil der selbstständigen versicherten Jede unserer Fraktionen und Parteien führt regelmä- Künstlerinnen und Künstler steigt. Die Selbststän- ßig kulturelle Veranstaltungen durch, seien es Aus- digkeit birgt aber sowohl für die Unternehmen als stellungen, Lesungen oder Musikveranstaltungen. auch für die Tätigen auch die Möglichkeit, Beiträge Im Durchschnitt verfügen Künstler, die dort auftre- an die Sozialversicherung zu sparen. Zudem drän- ten, über ein Monatseinkommen von vielleicht gen auch Tätige in die Künstlersozialversicherung, 1.000 €; manchmal ist es auch weniger. Eine Pri- die die Voraussetzung dafür nicht immer erfüllen. vatversicherung ist aus diesen Mitteln so gut wie ausgeschlossen. Das heißt, dass eine soziale Absi- Der dadurch erhöhte Finanzbedarf hat seinerseits cherung im Umlageverfahren unverzichtbar ist. Folgen: Der Bundeszuschuss und auch die Künst- lersozialabgabe mussten erhöht werden. Dies wirkt Was mich allerdings erschreckt hat, ist das Zustan- sich auf die Wettbewerbsfähigkeit in der Kultur- dekommen dieses Konflikts. In dem viel zitierten und Medienwirtschaft aus. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Bürokra- tieabbau wird die Künstlersozialversicherung gar 6972 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Hans Müller) nicht thematisiert. Die Forderung nach einer Ab- (Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE schaffung fand sich erst in der Stellungnahme meh- GRÜNEN und der Abgeordneten Anke rerer Bundesratsausschüsse - bezeichnenderweise Spoorendonk [SSW]) nicht des Kulturausschusses; der war dabei gar nicht beteiligt. Hierzu der Bremer Bürgermeister Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Jens Böhrnsen erklärt, es habe sich offenbar um einen Fehler Ich danke dem Herrn Abgeordneten Hans Müller. - Das Wort für die FDP-Fraktion hat jetzt deren Vor- (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki sitzender, der Herr Abgeordnete Wolfgang Kubicki. [FDP]) - Herr Kubicki hilft mir dabei - auf der Arbeitsebe- Wolfgang Kubicki [FDP]: ne gehandelt. Wenn das so ist, dann war es ein gra- Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kol- vierender Fehler! leginnen und Kollegen! Da wir uns in der Sache ei- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nig sind, will ich zur Sache selbst gar nichts sagen. Ich habe aber darauf bestanden, dass wir über die- Ich bin nun der Letzte, der die Mitarbeiterinnen und ses Thema heute debattieren, weil ich es der Regie- Mitarbeiter der Parlamente und der Fraktionen un- rung doch nicht so einfach machen will - bei aller ter irgendeinen Generalverdacht stellt. Wir haben Harmonie, die wir gern unser eigen nennen -, hier mit unseren Mitarbeitern hier sehr gute Erfahrun- vom Acker zu kommen. gen. Zunächst einmal freue ich mich natürlich darüber, (Wolfgang Kubicki [FDP]: Parlamente und dass die Pressemitteilungen der FDP, wie bereits in Fraktionen haben damit nichts zu tun!) der Vergangenheit, gelegentlich auch bereits von den Grünen zu Anträgen umfunktioniert werden. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Worüber ich mich jedoch am Dienstag in besonde- Es ist keine Zwischenfrage zugelassen. Das Wort rer Weise geärgert habe - ich sage als Jurist, dass hat Herr Abgeordneter Müller. wir uns hier in einem Bereich bewegen, der recht- lich wirklich bedenklich ist -, ist die Stellungnahme Hans Müller [SPD]: der Landesregierung durch den Pressesprecher der Regierung, die die FDP-Fraktion erst kurz nach Aber mir wird doch etwas unheimlich bei der Vor- 18 Uhr erreichte. Ich zitiere daraus den folgenden stellung, wie schnell es ganz offensichtlich passie- Satz: ren kann, dass spontane Ideen aus der Verwaltung zu Stellungnahmen der politischen Ebene werden - „Die Medien-Information des Deutschen obwohl diese offensichtlich eine ganz andere Rich- Kulturrates sowie die daraus resultierenden tung hat. Insofern bin ich dem Deutschen Kultur- Agenturmeldungen sind in diesem Punkt rat ausdrücklich dankbar dafür, dass er am Diens- schlicht falsch.“ tag so laut und vernehmlich Alarm geschlagen hat. Nämlich, dass Schleswig-Holstein einer entspre- (Beifall bei der SPD und BÜNDNIS 90/DIE chenden Initiative zugestimmt hat. GRÜNEN) „Durch eine Nachfrage in der Staatskanzlei Denn wer hätte uns anderenfalls garantiert, dass die hätten es sich die Berichterstatter ersparen Stellungnahme der Ausschüsse nicht zur Grundlage können, eine Ente in die Welt zu setzen. Ab- einer Veränderung des Gesetzentwurfes der Bun- geordnete hätten es sich ersparen können, desregierung geworden wäre? diese Ente zu kommentieren ...“ (Zurufe) Nun bin ich ja für Belehrungen aus der Staatskanz- lei darüber, was Abgeordnete tun oder lassen sol- Ich gehe davon aus, dass die Landesregierung den len, immer sehr dankbar. Bildungsausschuss über den weiteren Gang der Dinge informieren wird. (Zurufe von der SPD: Ja!) Ich bitte um Zustimmung zu dem interfraktionellen Aber ich will einmal Folgendes sagen: Wenn diese Antrag und danke für die Aufmerksamkeit. Chaostruppe einmal in der Staatskanzlei nachge- fragt hätte, dann hätte sie feststellen können, dass Schleswig-Holstein zugestimmt hat. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6973

(Wolfgang Kubicki)

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/ (Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Lieber Herr Kollege Wengler, man kann ja alles Mögliche auslegen. Aber auch die Juristen wissen, Vizepräsidentin Ingrid Franzen: dass Auslegung dort ihre Grenze hat, wo der Wort- Ich danke dem Herrn Abgeordneten Wolfgang Ku- laut eindeutig ist. bicki. - Das Wort für den SSW im Landtag hat de- (Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ren Vorsitzende, Frau Abgeordnete Anke Spooren- NEN und SPD) donk.

Der Wortlaut ist sehr eindeutig. Der lautet: Anke Spoorendonk [SSW]: „Der Bundesrat fordert, dass die Künstlerso- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! zialversicherung abgeschafft oder zumin- Ein paar Bemerkungen möchte auch ich zu diesem dest“ gemeinsamen Antrag machen. In der Sache sind - in Klammer: wenn sie nicht abgeschafft werden wir uns einig, und wir machen mit diesem gemein- kann - samen Antrag ja auch deutlich, wie ernst es uns in diesem Hause mit dem Anliegen ist, dass die „unternehmerfreundlich reformiert wird.“ Künstlersozialkasse erhalten bleibt. Die Begrün- Das erste Ziel war also die Abschaffung, und wenn dung dafür leuchtet jedem von uns ja auch ein. diese nicht erreicht werden kann, dann sollte diese Der Versuch, die Künstlersozialkasse über den Versicherung „unternehmerfreundlich reformiert“ Bundesrat abzuschaffen, beleuchtet aber aus Sicht werden. Dem hat Schleswig-Holstein im Wirt- des SSW auch noch ein anderes Problem. Denn die schaftsausschuss zugestimmt. Tatsache, dass dieser Vorschlag aus den Reihen des (Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE Wirtschaftsausschusses unter der Überschrift „Bü- GRÜNEN]: Unglaublich!) rokratieabbau“ diskutiert und entschieden worden ist, macht deutlich, wohin die Reise eigentlich ge- Dazu muss man auch noch Folgendes sagen: Hätte hen sollte. Hier ging es darum, eine soziale Errun- Schleswig-Holstein in diesem Ausschuss nicht zu- genschaft unter eben dieser Überschrift „Bürokra- gestimmt - diese Entscheidung ist mit sieben gegen tieabbau“ einzustampfen. sechs Stimmen bei drei Enthaltungen ergangen -, dann hätte es die Empfehlung gar nicht erst gege- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Unglaublich!) ben. Das heißt, wir hätten gar nicht erst darüber dis- - Das ist, lieber Kollege Kubicki, wirklich unglaub- kutieren müssen. lich. (Beifall der Abgeordneten Anke Spooren- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN donk [SSW]) und des Abgeordneten Wolfgang Kubicki Ich halte es für sehr bedenklich, dass in einer so [FDP]) zentralen Frage offensichtlich ohne jede Rückkop- Der Kollege Kubicki hat ja auch Folgendes deutlich pelung - wie ist diese Regierung eigentlich organi- gemacht: Würde die Abschaffung nicht erreicht, siert? - eine Entscheidung getroffen wird, für die dann sollte diese Künstlersozialkasse jedenfalls wir als Land dann ja auch gegenüber den Betroffe- doch „unternehmerfreundlich“ gestaltet werden. nen in die Verantwortung genommen werden. Nun Was heißt das eigentlich? Es heißt, dass Unterneh- stellt man sich hier hin und sagt: Man soll das nicht men doch Druck ausgeübt haben, um dies zu errei- so ernst nehmen; das war ein Versehen. chen. Der Kollege Wengler hat ja auch schon ange- (Zuruf des Abgeordneten Hans Müller deutet, woher dieser Druck denn kommen könnte. [SPD]) Dieser Druck könnte zum Beispiel von den Verla- gen, den Zeitungsverlagen kommen. Denn wie vie- - Um Himmels willen, wie viele „Versehen“ - da le freie Journalisten sind dazu gezwungen, ihre so- haben Sie natürlich recht, Herr Kollege - werden ziale Absicherung über die Künstlersozialkasse vor- denn noch passieren? Ich würde mir wünschen, zunehmen? Und wie viele Zeitungsunternehmen dass die Staatskanzlei besser organisiert wäre, und hätten ein Interesse daran, dass eine solche Sozial- ich würde mir wünschen, dass Herr Hauck nicht kasse „unternehmerfreundlich“ gestaltet wird? Es den Eindruck erweckt hätte, als stimme das, was mag sein, dass ich hier etwas zusammendichte, aber gemeldet wurde, nicht. Denn es stimmte. 6974 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Anke Spoorendonk) ich glaube, ganz ohne einen Anflug von Wahrheit Es ist richtig: Die Reform der Künstlersozialver- ist das, was ich sage, nicht. sicherung im letzten Jahr - diese ist an uns allen wahrscheinlich ziemlich vorbeigegangen, weil sie (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN keine parlamentarische Beratung hier im Lande er- und des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner fahren hat - hat dazu geführt, dass die Abgabe- [SPD]) pflicht, die die Unternehmen für künstlerische Lei- Darum noch einmal: Nicht alles, was wie Bürokra- stungen haben, erstens deutlich besser kommuni- tie aussieht, ist auch Bürokratie. ziert, zweitens besser wahrgenommen und drittens (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE besser kontrolliert wurde und wird. Oft sind die Un- GRÜNEN) ternehmen erst durch solche Kontrollen überhaupt darauf aufmerksam geworden, dass sie einer Abga- Nun sind wir bei dem, was ja auch für uns von In- bepflicht unterliegen, und zwar auch rückwirkend teresse ist, nämlich bei der Stellungnahme des Lan- für den Zeitraum von fünf Jahren. Das war in der des Schleswig-Holstein. Hier hat die eine Hand an- Tat der Punkt. Das kann man doch ruhig offen aus- scheinend nicht gewusst, was die andere wollte. sprechen. Auf jeden Fall stehen wir jetzt da und sind immer noch nicht sehr viel klüger geworden. Wir können (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- froh darüber sein, dass jetzt offiziell gesagt wird: NEN und SSW) Das Land steht zu der Künstlersozialkasse. Wir Aber dies zum Anlass zu nehmen, die Künstlersozi- brauchen keinen Untersuchungsausschuss einzu- alversicherung generell infrage zu stellen, geht an richten. dem Gedanken einer Kulturgesellschaft voll und Lassen Sie uns dies nun doch eine Lehre sein. Es ganz vorbei. zeigt, dass es wichtig ist, auch bei dem, was ober- (Beifall) flächlich betrachtet möglicherweise richtig aussieht, Selbstständige Künstlerinnen und Künstler sind einmal näher hinzuschauen. Leistungsträger unserer Gesellschaft, und alle, die Vielen Dank für den Antrag und für die Pressemit- etwas einzahlen, bekommen durch die Arbeit der teilung. Ich fand, das ist eine gute Sache. Künstler etwas zurück. (Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ Der Wirtschaftsausschuss des Bundesrats hat vor- DIE GRÜNEN) gestern das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Hier hat es in der Tat im Rahmen des Ressortprinzips ein Vizepräsidentin Ingrid Franzen: schleswig-holsteinisches Votum gegeben; dieses zi- tiert Frau Birk in ihrem Dringlichkeitsantrag. Die- Ich danke der Frau Abgeordneten Spoorendonk. - ses Votum teile ich nicht, Das Wort für die Landesregierung erhält nun die stellvertretende Ministerpräsidentin, Frau Ute Erd- (Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki siek-Rave. [FDP]) und ich sage auch im Namen des Ministerpräsiden- Ute Erdsiek-Rave, Stellvertreterin des Minister- ten - auch er teilt dieses Votum nicht -, dass wir uns präsidenten: dafür einsetzen, dass die Künstlersozialversiche- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein rung erhalten bleibt. Ich bin mir sicher, dass das ge- klares Wort der Landesregierung zum Ablauf und samte Kabinett diese Haltung teilt. zur Zielsetzung: Die Künstlersozialkasse ist Aus- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das muss nur druck einer gesellschaftlichen Verabredung zwi- noch der Staatskanzlei mitgeteilt werden!) schen den Künstlern und den Publizisten auf der einen Seite und den Verwerten und den Nutznie- Wir werden entsprechend beschließen. ßern auf der anderen Seite. Zugleich ist sie ein In- (Beifall) strument der Kulturförderung und der sozialen Si- cherung von Künstlerinnen und Künstlern, auf das Vizepräsidentin Ingrid Franzen: wir weder verzichten wollen noch verzichten dür- fen. Das betrifft in Schleswig-Holstein übrigens Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass 4.000 Künstlerinnen und Künstler und Publizisten. ich die Beratung schließe. Es ist Abstimmung in der Sache beantragt worden. Der Antrag Drucksache 16/2223 ist vom Antrag- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6975

(Vizepräsidentin Ingrid Franzen) steller zurückgezogen worden. Ich lasse damit nun derte Kinder die gleichen Chancen an der Schule über den interfraktionellen Änderungsantrag erhalten wie ihre nicht behinderten Mitschüler. Drucksache 16/2226 abstimmen. Wer diesem An- Auf dieses bewährte Konzept der Integration haben trag zustimmen will, den bitte ich um das Handzei- auch zwei Familien aus den Kreisen Rendsburg- chen. - Danke. So beschlossen. Eckernförde und Nordfriesland ihre Hoffnung ge- Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf: setzt und sind bitter enttäuscht worden und haben zum letzten Mittel, dem Hinwenden zum Petitions- Tätigkeit des Petitionsausschusses in der Zeit ausschuss, gegriffen. vom 1. April 2008 bis 30. Juni 2008 Von Chancengleichheit in den Grundschulen konnte für die schwerbehinderten Kinder der Pe- Bericht des Petitionsausschusses tenten keine Rede sein. Die betreffenden Grund- Drucksache 16/2199 schulen haben den Kindern trotz nachgewiesener Ich erteile dem Vorsitzenden des Petitionsausschus- beziehungsweise durch mehrere ärztliche Gutach- ses, dem Herrn Abgeordneten Detlef Buder, das ten dokumentierter schwerer Behinderungen kei- Wort. nerlei Nachteilsausgleich gewährt. Das heißt, kör- perliche Einschränkungen wie Schwerhörigkeit, motorische Entwicklungsverzögerung oder eine Detlef Buder [SPD]: eingeschränkte Belastbarkeit sind nicht berücksich- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tigt worden, was sich auch auf die Benotung ausge- Ich freue mich, Ihnen heute noch druckfrisch - an- wirkt hat. In einem Fall hätte zudem ein sonderpäd- ders als in der Vergangenheit - den aktuellen Tätig- agogischer Förderplan erstellt werden müssen. keitsbericht des Petitionsausschusses für das 2. Auch dies ist nicht geschehen. Quartal 2008 vorstellen zu können. Erst nachdem die Eltern den Petitionsausschuss ein- Der Ausschuss hat in der Zeit vom 1. April bis zum geschaltet hatten, ist mit einer umfangreichen Auf- 30. Juni 95 Petitionen abschließend beraten und arbeitung der Versäumnisse begonnen worden. Zu einen Ortstermin durchgeführt. Rund 34 % der Peti- diesem Zeitpunkt - das möchte ich betonen - waren tionen konnten ganz oder teilweise im Sinn der Pe- die Schüler bereits in der 4. Klasse, hatten ihre tenten entschieden werden. Das bedeutet, auch in Grundschulzeit also fast beendet. diesem Quartal hat sich für rund ein Drittel der Pe- Trotzdem konnte der Petitionsausschuss den Schü- tentinnen und Petenten die Hinwendung zum Petiti- lern helfen. In einem Fall hat das Petitionsverfahren onsausschuss gelohnt. Ich finde, mit diesem Ergeb- zu einer Revidierung der Schulübergangsempfeh- nis können wir durchaus zufrieden sein. lung geführt. Die Empfehlung ist von „Haupt- Wie schon häufiger möchte ich Ihnen zwei Beispie- schule“ auf „Realschule“ korrigiert, und die Grund- le aus dem aktuellen Bericht nennen. schulen dürften für die Zukunft viel über den Um- Stellen Sie sich einmal vor, Sie sind Vater oder gang mit behinderten Kindern gelernt haben. Die Mutter eines Kindes, das seit seiner Geburt mit negativen Erfahrungen allerdings, die die Kinder schweren gesundheitlichen Problemen zu kämp- während ihrer Grundschulzeit gemacht haben - er- fen hat. Sie haben Ihr Kind nach allen Kräften un- lauben Sie mir diese persönliche Bemerkung -, wer- terstützt, Tage und Nächte im Krankenhaus ver- den sich vermutlich nicht so leicht korrigieren las- bracht und wünschen sich nichts mehr, als dass Ihr sen. Vielleicht konnten wir als Petitionsausschuss Kind eines Tages in der Lage sein wird, ein mög- erreichen, dass anderen Kindern ähnliche Erfahrun- lichst normales und unbeschwertes Leben zu füh- gen an den betroffenen Schulen erspart bleiben. ren. In einem anderen Fall hat sich der Petitionsaus- Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg zur Integra- schuss für den Schutz der Privatsphäre von tion ist die Einschulung - so sollte es jedenfalls Strafgefangenen eingesetzt. Ich möchte hierzu an- sein. So haben wir es uns hier auch zum Beispiel merken, dass der Petitionsausschuss nach wie vor mit dem neuen Schulgesetz vorgenommen: Kombi- ein wichtiger Ansprechpartner für die Strafgefange- klassen in den Grundschulen, sonderpädagogische nen in den schleswig-holsteinischen Vollzugsan- Förderangebote in Kooperation mit spezialisierten stalten ist, und wir haben als Petitionsausschuss Förderzentren, Nachteilsausgleich und andere ge- auch schon Strafanstalten besucht. zielte Maßnahmen sollen dafür sorgen, dass behin- In dem betreffenden Petitionsverfahren hatte die JVA Lübeck Schreiben eines Strafgefangenen an 6976 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Detlef Buder) seine Verlobte angehalten, weil diese beleidigende in allem erfreulich. Die von der Bundesagentur für Äußerungen gegen Vollzugsbeamte enthielten. In Arbeit veröffentlichten Zahlen lassen vermuten, seinem Beschluss hat der Petitionsausschuss un- dass sich in diesem Jahr der positive Trend aus missverständlich klargestellt, dass dieses Vorgehen 2007 auf dem Ausbildungsmarkt fortsetzen wird. nicht der geltenden Rechtsprechung entspricht. Da Der Ihnen vorliegende Bericht stellt allerdings nur davon auszugehen ist, dass Briefe, die an enge Ver- eine Momentaufnahme dar, da das neue Ausbil- trauenspersonen gerichtet sind, von der Öffentlich- dungsjahr erst am 1. Oktober beginnen wird. keit gänzlich abgeschirmt sind und nur den rein pri- 2008 gehen etwa 32.160 Jugendliche aus allge- vaten Bereich betreffen, wiegt der Schutz der Pri- meinbildenden Schulen ab. Das ist erstmals ein vatsphäre stärker als der Aspekte der Ehrverlet- Rückgang gegenüber dem Vorjahr. Daneben ist mit zung. einer hohen Zahl von Bewerberinnen und Bewer- Der Petitionsausschuss hat der Justizvollzugsanstalt bern aus berufsvorbereitenden Maßnahmen der Lübeck daher empfohlen, dem Schutz der Privat- Agentur für Arbeit und aus den Bildungsgängen der sphäre der Strafgefangenen in Zukunft entspre- Beruflichen Schulen zu rechnen. Insgesamt ist die chend Rechnung zu tragen. Nachfrage nach Ausbildungsplätzen auch in die- sem Jahr hoch, auch wenn die Bewerberzahlen im Das war ein kurzer Auszug aus dem mehrseitigen August um 12,1 % im Vergleich zum Vorjahr zu- Bericht, der jederzeit als Lektüre empfohlen werden rückgegangen sind. Bei den gemeldeten Stellen ist kann. Ich bitte Sie zum Schluss, die Erledigung der ein erfreulicher Zuwachs von 759 oder 5,3 % zu Petitionen für das 2. Quartal 2008 zu bestätigen. verzeichnen. (Beifall) Aus der Zahl der gemeldeten Berufsausbildungs- stellen kann man nicht direkt auf die Ausbildungs- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: bereitschaft schließen der Betriebe schließen, denn Ich danke dem Ausschussvorsitzenden. - Gibt es die Betriebe sind nicht zur Meldung der zu beset- Wortmeldungen zum Bericht? - Das ist nicht der zenden Ausbildungsplätze an die Arbeitsagenturen Fall. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. verpflichtet. Ein besserer Gradmesser für die Aus- bildungsbereitschaft ist die Zahl der tatsächlich neu Der Ausschuss empfiehlt, den Bericht Drucksache abgeschlossenen Ausbildungsverträge. Hier konn- 16/2199 zur Kenntnis zu nehmen und die Erledi- ten die großen Kammern im Vergleich von August gung der Petitionen zu bestätigen. Wer so beschlie- 2008 zu August 2007 einen Zuwachs von 1,3 % er- ßen will, den bitte ich um sein Handzeichen. Dann zielen. ist das so geschehen. Auch die berufsbildenden Schulen in Schleswig- Bevor ich Tagesordnungspunkt 33 aufrufe, habe ich Holstein tragen mit ihren Bildungsgängen zur Ent- die fröhliche Mitteilung zu machen, dass Tagesord- lastung des Ausbildungsmarktes bei. Das lässt sich nungspunkt 34, Unterrichtssituation im Schuljahr zurzeit noch nicht genau beziffern, dürfte allerdings 2007/08, auf Oktober vertagt worden ist. Ende September feststehen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 33 auf: Ende August standen 16.448 Bewerbern 14.987 ge- meldete Stellen gegenüber. Das entspricht einer Re- Bericht über die Situation am Ausbildungsstel- lation der gemeldeten Ausbildungsstellen zu den lenmarkt in Schleswig-Holstein gemeldeten Bewerbern von 0,91. Im Länderver- gleich lag Schleswig-Holstein in dieser Relation Bericht der Landesregierung hinter Hamburg, Bremen, Baden-Württemberg und Drucksache 16/2189 Bayern an fünfter Stelle. Unter den Bewerbern sind Dazu erteile ich dem Herrn Minister für Wissen- 891 unversorgte Altbewerber, eine inzwischen schaft, Wirtschaft und Verkehr, Herrn Dr. Werner vergleichsweise geringe Zahl gegenüber den Vor- Marnette, das Wort. jahren. Hinter dem fast ausgeglichenen Gesamtbild verber- Dr. Werner Marnette, Minister für Wissenschaft, gen sich jedoch erhebliche Unterschiede in einzel- Wirtschaft und Verkehr: nen Berufen. Viele Firmen klagen, dass sie keine geeigneten Bewerber finden. Viele Bewerber insbe- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und sondere aus Hauptschulen schreiben eine erfolglose Herren! Noch etwas Erfreuliches: Die Situation am Bewerbung nach der anderen. Sie konzentrieren Ausbildungsmarkt in Schleswig-Holstein ist alles Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6977

(Minister Dr. Werner Marnette) sich oft zu sehr auf einige wenige Berufe. Dies gilt die Chancen der Altbewerber mit Hauptschulab- insbesondere für junge Frauen. Bei Mädchen und schluss verbessern wird. Zurzeit liegen uns hierüber jungen Frauen sind es Erzieherin oder Medizinische allerdings noch keine Daten vor. Fachangestellte, bei Jungs sind es vor allen Dingen Es bedarf noch erheblicher Anstrengungen, um das Kraftfahrzeuginstandsetzer oder - neudeutsch - Ziel des Bündnisses für Ausbildung im Jahr 2008 Kraftfahrzeugmechatroniker. Das sind die Modebe- zu erreichen. Ich bin aber auch optimistisch, dass rufe. die Bündnispartner es wieder gemeinsam schaffen, Abhilfe kann nur durch eine Verbesserung der Be- allen ausbildungsfähigen und -willigen Jugendli- rufsorientierung an Schulen schaffen. Die Partner chen ein Angebot auf einen Ausbildungsplatz oder im Bündnis für Ausbildung bemühen sich kontinu- eine Qualifizierung zu machen. ierlich, die Ausbildungssituation zu verbessern und Einen wichtigen Beitrag dazu leisten die Nachver- die Bedeutung der Berufsausbildung zur Vorbeu- mittlungsaktionen der Kammern und der Agentu- gung gegen den Fachkräftemangel herauszustel- ren, die Bestandteil des Bündnisses für Ausbildung len. Hierbei helfen die zahlreichen Maßnahmen der Schleswig-Holstein und des Nationalen Paktes für Landesregierung wie die Teilzeitausbildung für jun- Ausbildung sind. ge Mütter, die Förderung der Ausbildung für und von Migranten, die Förderung von Ausbildungs- Ich möchte an dieser Stelle allen Organisationen, platzakquisiteuren und so weiter. die dazu beigetragen haben, ganz herzlich danken. Vor allem aber gilt mein ganz besonderer Dank je- Der vielfach bemängelten Ausbildungsreife der dem Unternehmen, das ausbildet und vielleicht Schulabgänger wollen wir durch zwei Maßnahmen mehr ausbildet als früher. begegnen: (Beifall bei CDU und SPD) Erstens. Durch die intensivere und systematischere Zusammenarbeit von Betrieben und Schulen sollen die Kenntnisse über das Berufsleben und die Viel- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: falt der Berufe verbessert werden. Ich nenne hier Ich danke Herrn Minister Dr. Marnette. - Da Sie ein als Stichwort den sogenannten Praxislerntag. Die bisschen mehr Zeit verwendet haben, werden wir von unserem Ministerium geförderten regionalen bei den Redezeiten der Fraktionen entsprechend Fachberaterinnen bringen kooperationswillige Be- großzügiger sein. triebe und Schulen zusammen. Das ist ganz wich- tig. Mit ihrer Hilfe wurden bereits über 250 Koope- Für die CDU-Fraktion darf ich den Herrn Abgeord- rationsverträge geschlossen. Ich kann hier erfreuli- neten Johannes Callsen aufrufen. cherweise sagen: Tendenz steigend! Johannes Callsen [CDU]: (Beifall bei der CDU) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit - Ich finde es gut, dass Sie da klatschen. Das ist Jahresanfang 2005 ist die Zahl der Arbeitslosen in nämlich eine tolle Leistung. Schleswig-Holstein deutlich gesunken, die Zahl Zweitens. Das Arbeits- und das Bildungsministeri- neuer sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze um arbeiten mit ihrem Handlungskonzept „Schule ist seitdem im Land um über 50.000 gestiegen. Die und Arbeitswelt“ daran, mittels Essesments und positive Wirtschaftsentwicklung in Schleswig-Hol- Coachings - das sind die modernen Ausdrücke - die stein bringt den Menschen also neue Perspektiven. Zahl der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss An dieser Stelle ist besonders erfreulich und posi- zu reduzieren. Dieser präventive Ansatz ist ein rich- tiv, dass hiervon auch die jungen Menschen in un- tiger und wichtiger Schritt, um den Übergang in das serem Land profitieren. Erwerbsleben zu erleichtern. Wir fangen in den (Beifall bei der CDU) 8. Klassen an, die Situation zu klären, den Entwick- lungsstatus der jungen Menschen zu überprüfen Stagnierte die Zahl der neu eingetragenen Ausbil- und schon frühzeitig Gegenmaßnahmen einzuleiten. dungsverträge 2005 noch bei rund 18.600, ging sie Auch dies ist ein ganz wichtiger Schritt. Jahr für Jahr auf rund 22.600 im September vergan- genen Jahres deutlich nach oben. Die bisher für Abgesehen von diesen Aspekten bin ich zuversicht- 2008 vorliegenden Zahlen lassen erwarten und hof- lich, dass der zum 1. August wirksam gewordene fen, dass Schleswig-Holstein erneut einen Spitzen- Ausbildungsbonus der Bundesregierung zu zusätz- platz bei der Ausbildung belegt. lichen Ausbildungsplätzen führen und insbesondere 6978 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Johannes Callsen)

Maßgeblichen Anteil hieran haben natürlich die der Haushaltsdebatte gesprochen haben, hat die Unternehmen, die mit ihrem hohen Ausbildungsen- Landesregierung hierfür weitere Akzente gesetzt. gagement Verantwortung für die Schulabgänger do- Ein besonderes Augenmerk muss auf die Qualifika- kumentieren. Die Wirtschaftspolitik der Landesre- tion der Altbewerber gelegt werden, denn auch gierung flankiert dieses Engagement durch gezielte diese verdienen es - wenn sie im letzten Jahr nicht Förderung und die Schaffung wirtschaftsfreundli- zum Zuge gekommen sind -, jetzt durch ergänzende cher Rahmenbedingungen. und flankierende Qualifizierungsmaßnahmen eine Der soeben von Wirtschaftminister Dr. Werner weitere Chance für eine sinnvolle Ausbildung zu Marnette gegebene Bericht ist zwar - wie er selbst bekommen. Mit den Maßnahmen aus dem Zu- gesagt hat - „nur“ eine Bestandsaufnahme zum kunftsprogramm Arbeit stehen uns hierfür Instru- Zeitpunkt August, er unterstreicht aber durchaus mente zur Verfügung, die geeignet sind, die Altbe- diese positive Entwicklung. So ist es erfreulich, werber für einen Neustart auf dem Ausbildungs- dass - wie erwähnt - Schleswig-Holstein derzeit in markt erfolgreich zu qualifizieren. Der vorliegende der Relation der Ausbildungsstellen zu den Be- Bericht führt dazu eine Vielzahl von Möglichkeiten werbern bundesweit den fünften Platz einnimmt. auf. Ebenfalls stellt sich das Verhältnis der aktuell unbe- Daneben gibt es im Übrigen höchst anerkennens- setzten Ausbildungsstellen zu den nicht vermittel- werte regionale Initiativen wie die Ausbildungs- ten Bewerbern sehr gut dar. coaches zum Beispiel am Berufsbildungszentrum Ich bin daher optimistisch, dass wir auch in diesem in Schleswig, das ich nicht nur deshalb erwähne, Jahr wieder allen ausbildungsfähigen und -willigen weil es im Wahlkreis von Holger Astrup und mir Jugendlichen ein Angebot für einen Ausbildungs- liegt. Dort werden intensiv noch unversorgte Aus- platz oder für eine Qualifizierungsmaßnahme bildungsbewerber beraten und unterstützt; dort wird machen können. ihnen geholfen. Auch in Nordfriesland gibt es ver- gleichbare Initiativen. Die demografische Entwicklung und der Fach- kräftemangel sorgen für eine weitgehende Ent- Sicherlich kann in diesem Zusammenhang auch der spannung auf dem Ausbildungsmarkt. Statt einer neu eingeführte Ausbildungsbonus - er wurde Ausbildungslücke auf der Angebotsseite werden schon angesprochen - Impulse für den Ausbil- wir es künftig mit zu wenig qualifizierten Bewer- dungsmarkt geben. Allerdings - darauf muss man bern zu tun haben. Diese Entwicklung ist bereits in achten - ist die Gefahr von Mitnahmeeffekten der Kredit- und Versicherungswirtschaft, bei den durchaus vorhanden. steuer- und wirtschaftsberatenden Berufen sowie in (Beifall bei CDU und BÜNDNIS 90/DIE der Hotel-, Gaststätten- und Lebensmittelbranche GRÜNEN) zu spüren. Die Schulabgänger werden deutlich mehr wählen können, welchen Ausbildungsplatz sie Es muss absolut sichergestellt werden, dass die ge- annehmen wollen. Sie müssen aber auch flexibler förderten Ausbildungsplätze auch wirklich zusätz- sein. Der Wettbewerb um die Schulabgänger wird lich eingerichtet werden. sich verschärfen, da die Unternehmen stärker ver- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gehe davon suchen werden, ihren Fachkräftebedarf durch eige- aus, dass wir auch in diesem Jahr ein erfolgreiches ne Ausbildung zu decken. Ausbildungsjahr haben werden, denn Ausbildung Ich kann nur sagen: Das ist richtig und klug. Die ist eine Investition in die Zukunft der Jugendlichen, Statistik liefert einen Hinweis auf diese Entwick- der Gesellschaft und der Unternehmen. lung: Während per Ende August die Zahl der bei (Beifall bei CDU und SPD) den Agenturen für Arbeit gemeldeten Ausbildungs- stellen um 5,3 % angestiegen ist, beläuft sich der Anstieg bei den neuen Ausbildungsverträgen auf Vizepräsidentin Ingrid Franzen: 1,3 %. Das heißt, die Betriebe haben Ausbildungs- Ich danke Herrn Abgeordneten Callsen. - Für die und Fachkräftebedarf, finden aber offenbar nicht SPD-Fraktion hat nun Frau Abgeordnete Anette immer geeignete Bewerber. Wir müssen daher da- Langner das Wort. für Sorge tragen, dass alle Schulabgänger ausrei- chend qualifiziert sind, um eine Ausbildung erfolg- Anette Langner [SPD]: reich aufnehmen und abschließen zu können. Mit der Reform des Schulgesetzes und den Investitio- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen nen in die Bildung, über die wir gestern während und Herren! Ich danke dem Minister und seinen Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6979

(Anette Langner)

Mitarbeitern für den vorliegenden Bericht, der nach Dem in dem Bericht angesprochenen Widerspruch meiner Einschätzung ein sehr differenziertes Bild von angebotenen Ausbildungsstellen und Wün- über die Ausbildungsplatzsituation in Schleswig- schen der Bewerber muss man dringend mit besse- Holstein gibt. Bei einer zunehmenden Zahl an Be- ren Beratungsangeboten und neuen Formen der Be- werbern aus den Vorjahren und aus berufsvorberei- rufsorientierung begegnen. tenden Maßnahmen ist die Nachfrage nach Aus- (Beifall des Abgeordneten Lars Harms bildungsplätzen auch bei leicht rückläufigen [SSW]) Schulabgängerzahlen in diesem Jahr nach wie vor sehr hoch. Auch wenn die Relation zwischen ge- Gerade für den ländlichen Raum spielt das Problem meldeten Bewerbern und gemeldeten Ausbildungs- der Mobilität eine große Rolle. Dem muss die Be- stellen in Schleswig-Holstein im Bundesvergleich rufsberatung mit Lösungsangeboten Rechnung tra- gut ist - das ist sicherlich ein Erfolg des Bündnisses gen. für Ausbildung; ich will mich hier dem Dank des Die von Betrieben und Unternehmen immer wieder Ministers an alle Akteure anschließen, die dazu bei- beklagte Ausbildungsunfähigkeit von Schulabgän- getragen haben -, gibt es nach wie vor zu viele Ju- gern ist ein weiteres Problemfeld, bei dem wir gendliche, die keinen Ausbildungsplatz haben. ebenfalls in der Verantwortung stehen. Wir haben Wir stehen also nach wie vor in der Verantwortung, auch schon viele Maßnahmen ergriffen, um etwas alles dafür zu tun, um jungen Menschen in Schles- zur Lösung dieses Problems zu tun. Die Botschaft wig-Holstein einen guten Start ins Berufsleben zu an die jungen Menschen in unserem Lande kann ermöglichen. natürlich nicht lauten: Wir können euch nicht ge- Bei einem zunehmenden Bedarf an Fachkräften brauchen, weil ihr unsere Anforderungen nicht er- gibt es, glaube ich, keinen Zweifel daran, dass die füllt. Die Botschaft muss im Gegenteil lauten: Jeder Wirtschaft, also Unternehmen und Betriebes in er- junge Mensch in diesem Land ist wertvoll und wird ster Linie in der Verpflichtung sind, auszubilden dringend gebraucht, damit wir auch in Zukunft aus- und für ihren Fachkräftenachwuchs selbst zu sor- reichend qualifizierte Arbeitskräfte haben. gen. Das haben sie in der Vergangenheit getan, und (Beifall bei SPD, CDU und SSW) das werden sie auch in der Zukunft tun. Trotzdem betrachte ich die Entwicklung bei den neu abge- Deshalb begrüße ich außerordentlich die in dem schlossenen Ausbildungsverhältnissen seit 2006 Bericht aufgeführten und hier auch schon beispiel- mit etwas Sorge. Im Jahre 2006 hatten wir noch haft genannten vielfältigen Maßnahmen und För- einen Zuwachs von 6,9 %, im Jahre 2007 sogar derprogramme der Landesregierung, die das Ziel einen Zuwachs von 7,5 %. Für 2008 ist nur noch haben, Jugendliche besser auf die Anforderungen ein Plus von 1,3 % zu registrieren, wobei das zuge- einer Ausbildung vorzubereiten und den Übergang gebenermaßen der Stand vom August ist. Ich den- von der Schule zur Arbeitswelt zu erleichtern. Da ke, es müsste noch ein bisschen mehr an positiver die Landesprogramme oftmals leider aber nur ein Entwicklung da sein, um wirklich optimistisch in Tropfen auf den heißen Stein sein können und der die Zukunft blicken zu können. Bedarf immer größer ist, als es die Möglichkeiten sind, wäre es meiner Ansicht nach wünschenswert, (Vereinzelter Beifall bei der SPD) mit der Bundesagentur für Arbeit und den ARGEn Wenn ich positiv unterstelle, dass die von den über eine stärkere Beteiligung an präventiven Pro- Kammern und Verbänden immer wieder betonte jekten ins Gespräch zu kommen. Auf der Bundes- Ausbildungsbereitschaft der Betriebe nach wie ebene hat das der Bundesarbeitsminister auf der vor gut ist, könnte eine Begründung für den Rück- Agenda. Das ist von Lothar Späth in einem Beitrag gang sein, dass Betriebe Ausbildungsstellen anbie- im „Handelsblatt“ gerade kritisiert worden. Man ten, dafür aber keine geeigneten Bewerberinnen muss ja aber nicht immer gut finden, was Lothar und Bewerber finden. Bedenkenswert sind dabei al- Späth sagt. lerdings die im Bericht genannten Zahlen über die Auch das Instrument des Ausbildungsbonus - dar- Qualifikationsstruktur der bislang unversorgten Ju- in gebe ich dem Minister recht - kann sicherlich ei- gendlichen. Offensichtlich haben wir mitnichten ne Chance darstellen. Ich teile aber die Skepsis des ausschließlich ein Hauptschulabgängerproblem. Kollegen Callsen: Wir müssen auf jeden Fall dafür Immerhin 51 % der Jugendlichen ohne Ausbil- sorgen, dass der Ausbildungsbonus nicht zu Mit- dungsplatz haben einen Realschulabschluss oder nahmeeffekten führt, denn davon hätten wir, wie sogar die Fachhochschul- oder Hochschulreife. ich glaube, alle nichts. 6980 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Anette Langner)

Der Bericht gibt noch vieles her, worüber es sich Waren im Jahr 2004 noch 504 Stellen unbesetzt, so lohnt, ausführlich zu diskutieren. Deshalb beantrage waren es im Jahr 2007 bereits 785. Das entspricht ich die Überweisung an den Wirtschaftsausschuss. einer Steigerung von über 50 %. Besonders auffal- Für die Nachvermittlungsaktion gilt es jetzt, im lend ist, dass in den nicht handwerklichen Ausbil- Bündnis für Ausbildung noch einmal alle Kräfte zu dungsberufen bei Weitem nicht genügend Bewer- bündeln, damit wir noch möglichst vielen bisher ber gefunden werden. Dramatisch ist diese Tendenz unversorgten Jugendlichen ein Angebot machen bei den Bankfachleuten, den Versicherungsfachleu- können. ten, den Verkäufern im Nahrungsmittelgewerbe und den Restaurantfachleuten. Die Betriebe haben, (Beifall bei SPD, CDU und SSW) gemessen an der Zahl der Bewerber, einen doppelt bis dreimal so hohen Bedarf an Auszubildenden. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Immer mehr Betrieben gelingt es mittlerweile nicht Ich danke der Frau Abgeordneten Langner. - Für mehr, geeignete Auszubildende zu finden. Einzel- die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Dr. Heiner ne zweifeln sogar schon daran, überhaupt neue Garg das Wort. Lehrlinge einstellen zu können. Die Begründung ist bei den Unternehmen fast immer die gleiche: Es Dr. Heiner Garg [FDP]: werden nicht ausreichend qualifizierte Bewerber gefunden, die die gestellten Anforderungen erfül- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- len. Die schulischen Leistungen der Jugendlichen gen! Im Jahr 2006 stieg die Zahl der neu abge- insbesondere an den Haupt- und Realschulen seien schlossenen Ausbildungsverträge bundesweit um zum Teil dramatisch schlecht. Wir haben hier ein 4,7 %, im Jahre 2007 um 8,6 % und in diesem Jahr ganz gravierendes Problem. Dass die Politik dieses registrierten allein die Industrie- und Handelskam- Problem in den letzten 20 Jahren nicht beseitigen mern bis Ende Juni 2008 gegenüber Juni 2007 konnte, ist schlicht ein Skandal, liebe Kolleginnen einen weiteren Zuwachs um 7,1 %. Der konjunktu- und Kollegen! relle Aufschwung der vergangenen drei Jahre schlägt sich also auch auf dem Ausbildungsmarkt (Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- positiv nieder. Schleswig-Holstein lag im Jahr 2007 NEN und SSW) mit einem Anstieg bei den neu abgeschlossenen Eine gute Schulbildung ist der wichtigste Schlüssel Ausbildungsverträgen um 7,7 % zwar deutlich un- zur Schaffung neuer Ausbildungsplätze. Ich sage ter dem Durchschnitt; allerdings ist dies trotzdem hier ganz deutlich: Bei all den kontroversen Diskus- der höchste Anstieg seit 1992. Der Trend für 2008 sionen in der Vergangenheit über dieses neue zeigt in dieselbe Richtung. Dafür ist an allererster Schulgesetz, ich wünsche im Sinne der jungen Stelle den vielen Unternehmen und insbesondere Menschen bei der Umsetzung dieses neuen Schul- den vielen Mittelständlern zu danken. Sie erfüllen gesetzes fern jeder dogmatischen und ideologischen damit eine bemerkenswerte soziale Aufgabe in un- Debatte viel Erfolg, damit wir uns in den nächsten serer Gesellschaft. Jahren hoffentlich über genau diese Probleme, die Zugleich zeigt sich, dass die Wirtschaft so stark ist jedes Unternehmen angibt, wie lange nicht mehr und dass sie auf den eigenen (Zuruf des Abgeordneten Dr. Johann Wade- Nachwuchs setzt, um die Zukunft der Betriebe zu phul [CDU]) sichern. Gerade vor dem Hintergrund der demogra- fischen Entwicklung ist zu sagen, dass die Ausbil- in dieser Form, Herr Kollege Wadephul, vielleicht dung das beste und nachhaltigste Instrument zur nicht mehr unterhalten müssen. Unternehmenssicherung ist. Die ausbildungswilli- (Beifall bei der FDP) gen Unternehmen in Schleswig-Holstein bekom- men jedoch immer mehr Schwierigkeiten, denn die Frau Ministerin Erdsiek-Rave, ich bitte Sie wirklich Anzahl der Ausbildungsplätze, die unbesetzt blei- herzlich, auf Einwände oder auch Appelle von der ben müssen, steigt seit Jahren an. Das ist für mich GEW zu reagieren oder dazu Stellung zu nehmen. kein Indikator, der Freude auslöst, sondern ein Indi- In „Erziehung und Wissenschaft in Schleswig-Hol- kator, darüber nachzudenken, wenn man den Unter- stein“ muss ich lesen: „Abgeschrieben und ver- nehmensstandort wirklich langfristig sichern will. nachlässigt, Hauptschüler nicht mehr auf der Rech- nung.“ (Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW]) Wenn wir uns ernsthaft Sorgen machen müssen, dass die nächsten vier Hauptschuljahresabgänge Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6981

(Dr. Heiner Garg) genau mit dem selben Problem zu kämpfen haben, - Zum Beispiel gegen diejenige, die jetzt gerade da- dass sie keine ausreichende schulische Ausbildung zwischenquakt! bekommen, um den Erfordernissen der Unterneh- In unserer Gesellschaft wird nicht nur der materiel- men tatsächlich gerecht zu werden, dann schieben le Wohlstand durch den Erfolg in der Erwerbsarbeit wir dieses Problem die nächsten vier Jahre vor uns bestimmt, sondern auch Selbstwertgefühl und An- her. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das kann es erkennung durch andere. Eine solide Berufsausbil- doch nicht ernsthaft sein! dung ist für die meisten Menschen einer der ent- (Beifall bei der FDP) scheidenden Schritte auf dem Weg in ein erfolgrei- ches Berufsleben. Genau diese Chance müssen wir Bei allen erfreulichen Zahlen, die hier genannt wur- den jungen Menschen geben. den, denke ich, ist das ein ganz gravierendes Pro- blem für die Chancengleichheit junger Menschen, Ich freue mich auf die Ausschussberatung mit Ih- die heute noch auf die Hauptschulen gehen. nen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was die vielen (Beifall bei der FDP) Sonder- und Einzelmaßnahmen anbelangt, bin ich skeptischer als meine Vorredner. Aus meiner Sicht Vizepräsidentin Ingrid Franzen: hat ein Arbeitgeber relativ wenig von den 6.000 € staatlichen Förderungen, wenn er einen Lehrling Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Garg. - Das einstellt, der nicht in der Lage ist, die einfachsten Wort für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat deren Rechenoperationen durchzuführen oder der deut- Vorsitzender, Herr Abgeordneter Karl-Martin Hent- schen Sprache nicht mächtig ist. Auch die Nach- schel. qualifizierungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit, die die Beitragszahler im Übrigen allein im Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jahre 2007 fast 350 Millionen € gekostet haben, NEN]: können die Defizite, die in der Schule durch nicht Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! ausreichende schulische Bildung erzeugt wurden, Ich bin froh darüber, dass wenigstens Herr Garg ein nicht beseitigen. Diese fast 350 Millionen € hätte bisschen kritisches Wasser in den Wein gekippt hat; ich dann lieber an die Schulen gegeben. Da wären denn was wir hier vonseiten des Ministeriums an sie deutlich besser investiert gewesen. Zahlen vorliegen haben, spiegelt die Realität in kei- Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht sollte ner Weise wider. man sich - jedenfalls der eine oder die andere - (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch einmal darüber Gedanken machen: Wer per- und SSW) manent Zielstrebigkeit und Leistungsbereitschaft als Tugenden abqualifiziert oder sich darüber lustig Wir haben gerade den Nationalen Bildungsbericht- macht, der darf sich natürlich auch nicht darüber bekommen. Der Nationale Bildungsbericht sagt, wundern, dass es einige wenige junge Menschen dass der Übergang von der Schule in das Berufs- gibt, die auch dort Defizite haben, was die Ausbil- bildungssystem in Deutschland das größte Problem dungsbereitschaft und die Ausbildungsfähigkeit an- unseres Bildungssystems ist. Es ist nicht so, dass belangt. Schleswig-Holstein besonders gut abschneidet. In Schleswig-Holstein sind im letzten Jahr - ich rede (Beifall bei der FDP - Zuruf der Abgeordne- jetzt vom letzten Jahr - 42,8 % der Jugendlichen ten Anette Langner [SPD]) nicht in eine Ausbildung gekommen, sondern sind - Ach, Frau Langner, Sie zwar nicht, aber Sie wis- in das Übergangssystem gekommen. Das Über- sen doch auch, dass es im Rahmen der Schuldebatte gangssystem mit Warteschleifen ist im Grunde ein Töne gab, einen Grundtenor, der Zielstrebigkeit System, in dem keine Qualifikationen erworben und Leistungsfähigkeit als Tugenden ernsthaft in- werden. Diese Übergangssystem kostet bundesweit frage gestellt hat. Sie sprechen doch mindestens so 3 Milliarden €. Zurzeit sind 500.000 Jugendliche in häufig wie ich mit Betrieben. Auch darauf legen der Bundesrepublik im Übergangssystem; in Betriebe schlicht und ergreifend wert. Ich glaube Schleswig-Holstein überproportional viele. Das auch nicht, dass das Tugenden sind, die man ein- sagt der Nationale Bildungsbericht. fach unter den Tisch kehren sollte. Die Integration der Jugendlichen in die Berufsaus- (Zurufe) bildung klappt nicht. Das ist die Aufgabe über- haupt, die uns der Nationale Bildungsbericht, den 6982 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Karl-Martin Hentschel) die Bundesregierung vorgestellt hat - Frau Scha- teur oder Zimmermann beispielsweise, wo es ja van -, gestellt hat, damit wir damit fertig werden. auch durchaus Abiturienten gibt -; die sind mittler- Es nützt überhaupt nichts, wenn wir uns bei 42,8 %, weile vier Jahre länger zur Schule gegangen. Das die im letzten Jahr nicht untergekommen sind, dar- ganze System ist völlig verrückt. über freuen, dass es in diesem Jahr 1,4 % in Schles- Der Nationale Bildungsbericht sagt auch: Wir wig-Holstein mehr sind. Das ist ein Tropfen auf müssen endlich dahin kommen, weil wir gar keine dem heißen Stein. Die Realität wird meiner Ansicht Arbeitsplätze mehr für Unqualifizierte in Deutsch- nach von einem großen Teil der Politiker an dieser land haben - wir haben wirklich kaum noch solche Stelle nicht wahrgenommen. Arbeitsplätze -, was in den OECD-Staaten überall (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angestrebt wird, dass alle Jugendliche eine berufli- und SSW) che Ausbildung bekommen. Wenn wir ähnliche Verhältnisse an den Gymnasien (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) oder ähnliche Verhältnisse an Universitäten hätten, Wir müssen die Wege dazu konstruieren. würden wir einen Aufschrei in der Gesellschaft ha- ben. Dann würde die gesamte Mittelschicht prote- Wir von den Grünen haben Anfang dieses Jahres stieren. Aber in der Berufsausbildung nimmt man einen Handlungsplan dazu vorgeschlagen. Der ist das so hin und redet es noch schön und sagt, es hier im Landtag abgelehnt worden; er ist nicht ein- werden ja jetzt mehr Lehrstellen angeboten als im mal an den Ausschuss überwiesen worden. Ich wer- letzten Jahr, es kommt ja hin, wir werden jedem et- de ihn noch einmal einbringen, weil ich glaube, was anbieten. Aber so, wie die Zahlen aussehen, dass es dringend notwendig ist, dass wir uns mit wird auch in diesem Jahr mehr als ein Drittel aller dieser Frage intensiver beschäftigen. Jugendlichen aus Schleswig-Holstein entweder von Ich bin der Überzeugung: Wir müssen die Schul- der Schule oder, weil sie schon vorher in der War- pflicht verlängern. Die Schulpflicht muss so lang teschleife waren, erneut in der Warteschleife lan- sein, bis man entweder ein Abitur oder eine Berufs- den. Das kann doch nicht wunderbar sein. Das kann ausbildung hat. Es kann nicht sein, dass immerhin man doch nicht schönreden, sondern das ist eine 15 % der Jugendlichen in Deutschland überhaupt Katastrophe, mit der wir es zu tun haben. keine Ausbildung machen, nicht einmal eine Kurz- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ausbildung. Wir müssen an diesem Punkt etwas än- und SSW) dern. Meine Damen und Herren, es ist dringend notwen- Wir müssen auch die Kontrolle verbessern. Es dig - das sagt der Nationale Bildungsbericht -, dass kann nicht sein, dass eine ganze Reihe von Jugend- wir endlich diese Schnittstelle systematisch an- lichen verschwindet und niemand merkt überhaupt, packen. Das Problem besteht darin, dass wir mitt- dass sie die Schulpflicht gar nicht wahrnehmen. lerweile über ein Drittel der Jugendlichen für unfä- hig erklären, eine Ausbildung zu beginnen. Das Vizepräsidentin Ingrid Franzen: liegt natürlich daran, dass viele Jugendliche, wenn sie von der Schule kommen, nicht die Qualifikatio- Herr Kollege, wir sind nicht bei der Schulpflicht; nen, die erwartet werden, haben, zumindest nicht das sind wir wirklich nicht. die Qualifikationen, die man sich vorstellt. Das ist ein Problem, aber da müssen wir uns aufeinander Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zubewegen und müssen gucken, wie wir damit um- NEN]: gehen. Der einzige Kreis, der in dieser Hinsicht vorbildlich Ich bin der Überzeugung, dass es absolut unsinnig ein Überwachsungssystem aufgebaut hat, ist der ist, heute noch Hauptschüler nach der 9. Klasse in Kreis Schleswig-Flensburg. Den möchte ich aus- Konkurrenz um Lehrstellen zu schicken mit Real- drücklich loben. Das ist wirklich ein großer Fort- schülern, die zehn Klassen hinter sich haben, die schritt in Schleswig-Holstein. aber nicht die Schwächeren sind - man könnte ja Ich meine, wir werden noch viel zu tun haben. Lei- meinen, die kriegen ein Jahr mehr, weil sie die der kann ich das jetzt nicht weiter ausführen. Aber Schwächeren sind, aber sie kriegen ein Jahr mehr, wir werden auf das Thema zurückkommen. obwohl sie die Stärkeren sind -, oder in Konkur- renz mit Gymnasiasten, die sich um Lehrstellen be- Ich bedanke mich zumindest für das Zuhören. werben, zum Beispiel auch im Handwerk - Installa- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6983

Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Unterschrift unter dem Ausbildungsvertrag bereits die berufliche Zukunft gesichert ist. Fast jeder vier- Ich danke dem Herrn Abgeordneten Karl-Martin te Ausbildungsvertrag wird vor Ende der Ausbil- Hentschel. - Das Wort für den SSW im Landtag hat dung aufgelöst. Herr Abgeordneter Lars Harms. (Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE Lars Harms [SSW]: GRÜNEN]: So ist es!) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Schauen wir also auf die Wirklichkeit hinter den Herren! In Deutschland kommt, so wie in anderen Statistiken. Allein das Konstrukt des gemeldeten europäischen Ländern auch, eine Ausbildung einer Bewerbers zeigt die ganze Problematik des Ausbil- Grundlage für die Zukunft gleich. Ohne Ausbil- dungsstellenberichts. Gemeldete Bewerber sind dung steigt das Risiko der Arbeitslosigkeit auf mitnichten alle Bewerber, die sich auf eine offene 18 %, mit liegt sie dabei nur bei 4 %. Nicht ohne Stelle bewerben, sondern diejenigen, die sich vor- Grund gibt es so viele Anstrengungen, deshalb jun- her bei einer Arbeitsagentur des Landes angemeldet gen Menschen eine Ausbildung zu ermöglichen. haben. Alle anderen werden statistisch nicht erfasst. Somit ergibt sich eine Statistik, die eigentlich zu Mittlerweile allerdings erscheint die Schwelle, gar nichts taugt. einen Ausbildungsplatz zu bekommen und tatsäch- lich mit einer Ausbildung beginnen zu können, (Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- ziemlich niedrig. In einigen Bereichen gibt es sogar schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ausbildungsplätze, die nicht besetzt werden kön- Ich will mich nicht damit abfinden, dass wir sehr nen. Schauen wir uns im Bericht den Bereich der viele, gute Ausbildungsplätze haben, die nicht an Bankfachleute an - ein Ausbildungsberuf, der gut den geeigneten Bewerber vermittelt werden kön- bezahlt ist, Aufstiegschancen verspricht und zudem nen, das kann ich weder als sozial engagierter keine körperliche Anstrengung erfordert. Hier ste- Mensch noch als arbeitsmarktpolitischer Sprecher hen laut Tabelle Nr. 2 im Bericht 194 Bewerber des SSW. 585 Stellen gegenüber. Da kann eigentlich irgendet- was nicht stimmen. Sind die Anforderungen zu Gern möchte ich Maßnahmen empfehlen, um die- hoch oder die Bewerberprofile unzureichend? sem Missstand beizukommen. Doch dieser Bericht Liegt eine regionale Fehlallokation vor? Oder gibt versetzt mich nicht in die Lage dazu. Ich hätte mir es möglicherweise nicht genügend Männer oder ge- qualifizierte Zahlen über die sogenannten Altbe- nügend Frauen, die so etwas machen wollen? werber gewünscht, also Schulabgänger aus den vergangenen Jahren. Wie sieht es mit den Schulab- Das sind nur die Fragen, die sich angesichts einer schlüssen aus? Drängen mehr oder weniger Abituri- Tabellenzeile stellen! Ich könnte problemlos noch enten auf den Ausbildungsmarkt? Bewerben sich mehr Fragen anführen, die sich aus diesen Tabellen inzwischen noch Hauptschüler, obwohl sie wissen, ergeben. Der Bericht wirft bedauerlicherweise mehr dass sie kaum eine Chance haben, überhaupt zu ei- Fragen auf, als er tatsächlich beantwortet. Er legt nem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden? weder regionale, qualifikationsgewertete, noch ge- Der Bericht sagt nichts dazu. schlechtsbezogene Zahlen vor, sodass wir als Land- tagspolitiker weiterhin im Dunkel tappen, warum es Mädchen sind gut qualifiziert, haben durchschnitt- trotz Lehrstellenproblem offene Stellen gibt. lich die besseren Schulnoten. Warum entschließen sich trotzdem so viele von ihnen für Berufe, die (Beifall der Abgeordneten Angelika Birk keine oder nur geringe Aufstiegschancen bieten? [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zusammenfassend ist deutlich geworden, dass der Aus diesem Bericht können keine politischen Maß- Bericht genau die Defizite widerspiegelt, die wir nahmen entwickelt werden, dazu bedarf es einer auch auf dem Ausbildungsmarkt finden. vertieften und qualifizierten Betrachtung. Diese fehlt in dem Bericht. (Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt für den Ausbildungsstellenmarkt keine ak- tuellen und regionalen Zahlen, solange das Neben- Ausschlaggebend ist letztlich, wie viel Schleswig- einander von Kammern und Arbeitsagenturen wei- Holsteiner und Schleswig-Holsteinerinnen ihre terhin Bestand hat. Sichere, verwertbare Zahlen Ausbildung erfolgreich absolvieren. Wir lügen uns gibt es erst im Nachhinein, nämlich dann, wenn doch in die Tasche, wenn wir denken, dass mit der 6984 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Lars Harms) man die Ausbildungsverträge zählen kann. Dann ist reich. Wahr ist natürlich, dass aus der Mischung der Zug allerdings schon weitgehend abgefahren. zwischen demografischer Entwicklung und Fach- kräftebedarf in den nächsten Jahren bessere Ausbil- Kammern und Arbeitsagenturen stehen in einem dungschancen für diejenigen, die ausreichend qua- routinierten Kontakt. Dennoch fehlt eine zentrale lifiziert sind, entstehen. Wahr ist aber natürlich Erfassungsstelle für Ausbildungsplätze in Schles- auch, dass in Zukunft der Bedarf an Geringqualifi- wig-Holstein mit aktuellem Datenmaterial. Weder zierten mit einem niedrigen Ausbildungsstand ins- Ausbildungsbetriebe noch Schulabgänger, ge- gesamt niedriger werden wird und das natürlich schweige denn die Berater, haben einen Überblick diejenigen, die so auf den Arbeitsmarkt kommen, über die Situation. Das finde ich sehr bedauerlich, immer schlechtere Chancen haben. Herr Kayenburg. Wahr ist aber auch, dass wir uns um dieses Problem Wir bekommen mehr oder weniger seit Jahren kümmern. Es ist immer so, dass in solchen Situatio- einen Ausbildungsbewerberbericht. Ich halte diesen nen das, was an anderer Stelle geschieht, überhaupt nicht für ausreichend. Die Zahlen sind, wie gesagt, gar nicht zur Kenntnis genommen wird. Das spielt unbrauchbar, und die Schlussfolgerungen des Wirt- in der Debatte dann plötzlich gar keine Rolle und schaftsministers erscheinen willkürlich. In dem Be- wird ausgeblendet. Hier sitzen drei Minister, die richt heißt es beispielsweise: ,,Die Anforderungen sich intensiv um die Frage der Verbesserung der in die Ausbildung steigen, die Ausbildungsfähigkeit Ausbildungsfähigkeit von schwierigen Jugendli- der Jugendlichen dagegen sinkt seit einigen Jah- chen befassen - und dazu zählen nicht generell alle ren.“ Hauptschüler. Das will ich hier auch einmal sagen. Ich möchte angesichts dieses dramatischen Befun- (Beifall bei SPD und CDU) des schon gern wissen, was die Bildungsministerin dazu sagt, schließlich trägt sie die politische Ver- Ich bin es einfach leid, dass hier eine ganze Gruppe antwortung für die schulische Qualifikation, die von jungen Menschen derartig abqualifiziert wird. hier vom Wirtschaftsminister - nicht von mir - kriti- Das darf man nicht tun, denn damit motiviert man siert wird. sie nun wirklich nicht, ihre eigene Leistungsbereit- schaft vielleicht noch etwas zu fördern. Mit der Verzahnung schulischer und betriebli- cher Wirklichkeit scheint es also nicht so weit her Wir haben in ganz Deutschland ein Problem mit zu sein, das legt zumindest der Bericht nahe. Daran jungen Menschen, die aus schwierigen sozialen muss sich schleunigst etwas ändern. - wir haben uns angewöhnt zu sagen „bildungsfer- nen“ - Elternhäusern kommen, und wir haben ein (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE riesiges Problem mit Migranten, weil wir die Inte- GRÜNEN) gration dieser Menschen über Jahrzehnte in Allerdings gilt auch hier wie beim ganzen Bericht Deutschland vernachlässigt haben. Da müssen wir die Devise: Nichts Genaues weiß man nicht. Das ist uns alle an die eigene Nase fassen. angesichts der Wichtigkeit dieses Themas viel zu Was tun? Ich habe eben gesagt, hier sitzen drei Mi- wenig. nister, die sich um dieses Problem kümmern - nicht (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE nur um die Frage der besseren Integration von Mi- GRÜNEN) granten, sondern auch um die Verbesserung ihrer Ausbildungsfähigkeit, um mehr Ausbildungsplätze, Vizepräsidentin Ingrid Franzen: gerade für und auch von Migranten. Wir haben hier in der Vergangenheit - und das wird hier gar nicht Ich danke dem Herrn Abgeordneten Harms. - Das zur Kenntnis genommen - ein Riesenprogramm mit Wort für die Landesregierung hat nun die Bildungs- Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds, mit ministerin, Frau Ute Erdsiek-Rave. Mitteln der Arbeitsverwaltung aufgelegt. Das haben inzwischen auch die Berliner zur Kenntnis genom- Ute Erdsiek-Rave, Ministerin für Bildung und men. Frauen: Herr Scholz wird demnächst nach Schleswig-Hol- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist stein kommen und sich angucken, wie man das ma- zwischen Herrn Marnette und mir vereinbart, dass chen kann, was jetzt von allen gefordert wird, dass ich paar Sätze zu dem sage, was hier zum schuli- jetzt nämlich Mittel der Bundesagentur für Ar- schen Bereich angesprochen worden ist. Die Wahr- beit schon in den Schulen eingesetzt werden, um heit hat wie immer viele Facetten in diesem Be- Berufsvorbereitung und Ausbildungsvorbereitung Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6985

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave) dort zu verbessern. Das sind die Programme Es ist auch nicht wahr, dass das Übergangssystem „Schule und Arbeitswelt“ und „Niemanden zurück- generell etwas ist, was wir mal eben so als schlecht, lassen“. Das haben wir inzwischen an über 100 unqualifiziert und nichts bewirkend abtun sollten. Schulen. Das ist kein Mini-Modellprogramm, das Das ist einfach nicht der Fall. wir irgendwo fahren, sondern das ist ein breit ange- Ich bleibe dabei. Wir müssen mehr tun. Das ist legtes Programm, was auch wirklich Wirkung zei- ganz klar. Das ist das größte nationale Problem. gen wird. Da bin ich mir ziemlich sicher. Nicht umsonst beschäftigen sich alle damit, denn (Beifall bei SPD und CDU) daraus wird eine riesige sozialpolitische Verwer- fung erwachsen, wenn wir nicht massiver etwas da- Ich habe in den Sommerferien ein Feriencamp auf gegen tun. Das ist aber beileibe nicht nur ein schuli- Sylt besucht. Da waren ungefähr vierzig Haupt- sches Problem. Das ist eine sozialpolitische und ei- schüler aus dem Flensburger Raum, die dort vier- ne integrationspolitische Herausforderung. Darüber zehn Tage lang eine Art kollektive Nachhilfe be- in breiterer Form zu reden, statt hier Schuldzuwei- kommen haben, getragen als Projekt von der Lüne- sungen zu machen, finde ich diesem Problem ange- burger Universität, durchgeführt mit schleswig-hol- messener. steinischen Schülern. Wenn sie mit diesen jungen Schülern reden, oder auch mit den Schülern, die in (Beifall bei SPD und CDU) den Berufseingangsklassen in den Beruflichen Schulen sind, dann lernen Sie etwas über Schicksa- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: le von jungen Menschen. Da bekommen Sie Zwei- fel, ob man es so stehen lassen kann, dass das an Herr Abgeordneter Karl-Martin Hentschel hat das der mangelnden schulischen Versorgung oder am Wort. Unterricht liegt. Das sind zum Teil Kinder, die Schicksale hinter sich haben, die sich keiner von Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- uns wirklich ausmalen kann. Die brauchen mehr als NEN]: nur zwei Unterrichtsstunden mehr in der Woche. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Die brauchen wirklich intensivste Förderung, auch Herren! Es hat mich noch einmal an das Rednerpult außerhalb der Schule und über die Schule hinaus. getrieben. Ich bestreite nicht, dass sich drei Minis- Da muss man auch die Eltern einbeziehen. Ich glau- ter darum kümmern und dass sich Mühe gegeben be, wir müssen uns davon lösen, dass die Schule wird. Das ist aber ein Bericht, der die Probleme diese Probleme allein lösen kann. Das soll jetzt kei- praktisch ignoriert. Im letzten Jahr sind genau ne Entschuldigung sein, das ist aber so. 42,8 % aller Jugendlichen im Übergangssystem gelandet. Wenn dann gesagt wird, es gebe einen (Beifall bei der CDU und des Abgeordneten ausgeglichenen Lehrstellenmarkt, dann ist das ei- Detlef Buder [SPD]) ne völlige Verkennung der Realität. Es gibt Eltern, die sich überhaupt nicht um ihre (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kinder kümmern, bei denen das Bewusstsein dafür und FDP) - man muss auch sagen, bei manchen Migrantenfa- milien - überhaupt nicht da ist, dass Bildung wert- Frau Erdsiek-Rave, Sie brauchen nicht den Kopf zu voll ist, Familien, die sich im Grunde schon im schütteln. Das steht im Nationalen Bildungsbe- Transfersystem eingerichtet haben. Das ist richt der Bundesministerin. Sie können sagen, es schwierig, aber da muss Hilfe von Anfang an erfol- sei alles Unsinn, was da drinsteht. Hier wird genau gen. zwischen den verschiedenen Sektoren unterschie- den. Sie können das im Nationalen Bildungsbericht Eines will ich zum Schluss noch zurückweisen. Die nachlesen. Da steht, dass 42 % der Jugendlichen in Beruflichen Schulen und das Übergangsystem hier einem Übergangssystem sind, das keine Qualifika- pauschal abzuqualifizieren, das empfinde ich den tion liefert. Das steht im Nationalen Bildungsbe- Anstrengungen der Beruflichen Schulen gegenüber, richt. Das sind Zahlen für Schleswig-Holstein. Das diese Schüler noch ausbildungsfähig zu machen ist etwas, mit dem ich erst einmal umgehen muss. und in eine Anschlussqualifikation zu geben, als In diesem Jahr gibt es eine Verbesserung um 1,4 %. zutiefst ungerecht. Damit ist die Welt noch nicht in Ordnung. Das (Beifall bei CDU sowie vereinzelt bei SPD muss ich zur Kenntnis nehmen. Wenn vom Minis- und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) terium dann ein Bericht vorgelegt wird, in dem auf 6986 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008

(Karl-Martin Hentschel) diese Frage überhaupt nicht eingegangen wird, - Ich bin gern bereit, über die Lösungen zu reden. dann ist es berechtigt, zu sagen, das geht so nicht. Ich habe schon angekündigt, dass ich den Antrag, den ich Anfang des Jahres gestellt hatte, gern wie- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der zur nächsten Tagung in den Landtag einbringe. FDP und SSW) Dann können wir uns darüber unterhalten. Ich habe Wir haben große Probleme. Wir haben insbesonde- es aber satt, dass an den Problemen vorbeigeredet re in den Migrantenmilieus große Probleme. Das wird. wissen wir. Wir wissen, dass es bei zwei Migran- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tengruppen - nämlich aus russischen und aus türki- und SSW) schen Elternhäusern - der Fall ist, dass praktisch die Hälfte der Jugendlichen keine Ausbildung macht. Das ist gravierend. Das liegt teilweise auch daran, Vizepräsidentin Ingrid Franzen: dass dort die Ausbildungskultur nicht bekannt ist. Frau Abgeordnete Anette Langner hat das Wort. Wir brauchen deshalb Systeme, die direkt von der Schule in die Ausbildung führen. Wir müssen end- Anette Langner [SPD]: lich das System der Produktionsschulen anpacken. Frau Präsidentin! Ich will gern über die gesamte Das steht im Nationalen Bildungsbericht, der von Problematik diskutieren. Wir haben auch gesagt, einer konservativen Ministerin geschrieben wurde. dass wir den Bericht an den Ausschuss überweisen. Dort steht explizit, dass dieses Thema angepackt Wir haben in dem Bericht eine ganz bestimmte Fra- werden muss. Es ist ein großer Fortschritt, dass dies gestellung verfolgt. Wir haben gesagt, es geht um auch von dieser Seite so gesehen wird. den Ausbildungsstellenmarkt. Ich finde, der Herr (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Minister hat differenziert zu dem Stellung genom- men, was dort an Zahlen genannt wurde. Wir haben Ich finde es sehr erfreulich, dass Frau Schavan das nicht nach den verschiedenen Formen in Ihrem so- hineingeschrieben hat. Ich finde, es ist dringend genannten Übergangssystem gefragt. Dass diese notwendig, dass wir diese Debatte in Schleswig- Frage ein völlig neues Fass aufmacht, ist - so glau- Holstein führen. Nachdem wir sie eingebracht ha- be ich - allen, die hier sind, völlig klar. Ich glaube, ben, ist diese Debatte zweimal abgeblockt worden. aus allen Redebeiträgen, die hier gemacht wurden, Wir müssen das Thema anpacken. ist deutlich geworden, dass keiner von uns das Pro- Frau Erdsiek-Rave, zum Schluss möchte ich noch blem kleinredet. Wir alle sind uns sehr darüber be- etwas zu den Berufsschulen sagen: Ich bin in der wusst, dass wir es mit einem großen Problem zu tun letzten Zeit sehr oft in Berufsschulen gewesen. haben. Wir wissen, dass wir alle an einem großen Dort habe ich mich mit Berufsschullehrern unter- Rad drehen, und wir versuchen, das Problem ent- halten. Ich kann Ihnen eines sagen: Die Berufs- sprechend zu lösen. schullehrer machen eine sehr gute Arbeit und en- Wir versuchen immer, das Bild differenziert darzu- gagieren sich, daran gibt es überhaupt keinen Zwei- stellen. Wir versuchen, durchaus auch positive fel. Die Probleme, die ich hier geschildert habe, Aspekte zu benennen. Ich finde, das ist auch wich- sind aber die Probleme, die ich jedes Mal geschil- tig. Das ist auch für die Jugendlichen wichtig, die dert bekomme, wenn ich an den Berufsschulen bin. sich in positivem Sinne in diesem System bewegen. Das heißt, ich gebe hier das wieder, was ich vor Ort Sie stellen sich trotz all der Landesprogramme, höre. Da können Sie nicht mit Polemik dagegen re- die wir auf den Weg gebracht haben, und trotz all den und sagen, die Berufsschullehrer würden eine der Dinge, die wir aus meiner Sicht in Schleswig- tolle Arbeit machen. Ja, die machen eine tolle Ar- Holstein in den letzten drei bis vier Jahren kon- beit, aber sie sind auch verzweifelt, weil die Instru- struktiv und konzentriert angegangen sind, immer mente nicht in Ordnung sind und weil das System hier hin und kritisieren das. Das ist mir zu sehr eine nicht in Ordnung ist. Wir haben einen chaotischen Unterteilung in Schwarz und Weiß. Ich bin gern be- Übergang von den Schulen in die Berufsausbil- reit, ein bisschen differenzierter über das Thema zu dung. Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten diskutieren. Das können wir im Ausschuss machen. und Stränge an Fördermaßnahmen, dass kaum Sie können auch erneut einen Antrag einbringen. noch jemand durchblickt. Sie müssen sich einmal Dass aber die Quintessenz der Debatte am heutigen die Grafiken angucken, die da gemalt werden. Abend sein soll, dass wir das Problem nicht erkannt (Zuruf der Abgeordneten Jutta Schümann haben und es nicht lösen wollen, das kann ich so [SPD]) nicht stehen lassen. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 94. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2008 6987

(Anette Langner)

(Beifall bei SPD und CDU) Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen. Ich schlage vor, den Bericht Drucksache 16/2186 an Vizepräsidentin Ingrid Franzen: den Innen- und Rechtsausschuss zur abschließen- den Beratung zu überweisen. Wer so beschließen Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich will, den bitte ich um sein Handzeichen. - So be- schließe die Beratung. Es ist Ausschussüberwei- schlossen! sung beantragt worden. Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesregierung, Drucksache Ich rufe nunmehr auf: 16/2189, zur abschließenden Beratung an den Wirt- schaftsausschuss zu überweisen. Wer so beschlie- Sammeldrucksache über Vorlagen gemäß § 63 ßen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Es ist Abs. 1 a der Geschäftsordnung des Schleswig- so beschlossen. Holsteinischen Landtags Wir haben jetzt noch über die Tagesordnungspunk- Drucksache 16/2220 te ohne Aussprache abzustimmen. Bevor ich die Sammeldrucksache aufrufen kann, muss ich die Ta- Ich weise noch einmal darauf hin, dass über die Ta- gesordnungspunkte aufrufen, die wir im Verlauf der gesordnungspunkte ohne Aussprache in Gesamtab- Tagung „geschoben“ haben. stimmung zu beschließen ist. Voraussetzung ist, Zunächst rufe ich Tagesordnungspunkt 17 a auf: dass kein Abgeordneter und keine Abgeordnete wi- derspricht. Die Tagesordnung ist mit den entspre- chenden Voten der Ausschüsse und der Fraktionen Faire Zerlegung der Gewerbesteuer beim Be- in der Sammeldrucksache vermerkt. trieb von Windenergieanlagen Da ich keinen Widerspruch höre, kommen wir zur Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abstimmung. Wer mit der Annahme der Empfeh- Drucksache 16/2221 lungen entsprechend der Sammeldrucksache 16/ 2220 einverstanden ist, den bitte ich um sein Hand- Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Da- ist nicht der Fall. Eine Aussprache ist nicht vorge- mit ist das so geschehen. sehen. Ich schlage vor, den Antrag federführend an den Finanzausschuss und mitberatend an den Wirt- Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der schaftsausschuss zu überweisen. Wer so beschlie- Sitzung. Ich gebe bekannt, dass die nächste Tagung ßen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Das des Landtags am Mittwoch, dem 8. Oktober 2008, ist so geschehen. um 10 Uhr beginnen wird. Ich wünsche Ihnen einen schönen Feierabend. Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 auf: Die Sitzung ist geschlossen. Frauen im Justizvollzugsdienst Schluss: 18:10 Uhr Bericht der Landesregierung Drucksache 16/2186

Herausgegeben vom Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags - Stenographischer Dienst und Ausschussdienst