Freitag, 12. Juni 2015 GIORGIO'S SPORT-CORNER Seite 11

Frauen und Fussball… (Teil 1)

… ist eine lange Leidensgeschichte. Noch vor 40 Jahren wur- Sion zur Association Romande den fussballspielende Frauen zumeist mitleidig belächelt, de Football Féminin (ARFF) zu- teils beschimpft oder waren sogar verpönnt. Diese (männli- sammengeschlossen und in der chen) Irrungen haben die Frauen zum Glück korrigiert und Saison 1969/70 die erste, aller- ad absurdum geführt. dings inoffizielle Meisterschaft in der Westschweiz organisiert. Fussball ist Männersache. ausgestellt. Sie hatte zunächst Punkt. Diskussionen liess das am Juniorentraining des FC In der Region Basel wurde am angeblich «starke Geschlecht», Sion teilgenommen und danach 12. März 1972 der erste Da- wenn es ums runde Leder ging, den Pass beantragt. Mit dem men-Fussballclub gegründet. erst gar nicht aufkommen. Pass konnte sie am Vorspiel der Und zwar in Therwil, wobei der Denn seien wir ehrlich: Ka- ersten Europacup-Partie des FC DFC Therwil «nur» als Unter- piert eine Frau, was Offside ist? Sitten gegen Galatasaray Istan- sektion des FC Therwil genehm Merkt Frau, wenn es Foul ist? bul teilnehmen. Die Präsenz des war. Und die Leimentalerinnen Erkennt Frau einen technisch Mädchens lockte Journalisten hatten mit allerlei Widerwärtig- versierten Spieler? Mitnichten! aus der ganzen Welt ins Wallis, keiten zu kämpfen. Als Spiel- Oder um es in der «Vox populi» doch der SFV annullierte umge- feld fungierte eine Matte, die im auszudrücken: Wer als Frau hend die Spiellizenz für Made- 99er-Dorf (wie Therwil im Volks- eine Affinität und Interesse am leine Boll. Dank der Medienprä- mund genannt wird) primär Fussball hatte, war keine rich- senz konnte diese wenig später als idealer Ort für Hunde beim tige Frau. Sicher nicht femi- in der damals sehr guten italie- «Gassigehen» (und Verrichten nin, sondern Mann kreierte das nischen Meisterschaft teilneh- ihrer Geschäfte!) diente… Wort «Mannsweib»…

Die erste Erwähnung weiblicher Fussballaktivität in der Schweiz geht auf das Jahr 1923 zurück. Die Zeitung «Le Sport Suisse» berichtete vom organisatori- schen Zusammenschluss fuss- ballbegeisterter Frauen in Genf. Doch die ganze Sache verlief förmlich im Sand. Danach gab es bis in die 60er-Jahre über- haupt keine mediale Bericht- erstattung über (organisierte) Bilder: zVg fussballerische Aktivitäten von Das Schweizer Nationalteam der Frauen nimmt erstmals an einer Frauen in der Schweiz. Denn Weltmeisterschaft teil und will mindestens über den Einzug in die dieser Sport war ausschliess- Achtelfinals jubeln. lich Jungs und Männern vorbe- Bild: Varadi halten. ist die einzige FCB-Spielerin, welche Aufnahme im 19 belegt und zur erweiter- 23-köpfigen WM-Kader gefunden hat. ten Weltspitze zählt. Und diese In der nächsten Woche, im 2. Offizielle Spielverbote Endrunde wird auch zum Fern- Teil von «Fussball und Frauen», Mag sein, dass diverse Weltwirt- men. Boll spielte in der Zeit von «Wir mussten um alles kämp- seh-Spektakel. In Deutschland werden wir näher auf diese End- schaftskrisen und der 2. Welt- 1970 bis 1974 zuerst bei Gom- fen – auch um Akzeptanz», er- übertragen die beiden öffent- runde in Kanada eingehen und krieg die Entwicklung des Frau- ma-Gomma, dann bei Ambro- innert sich Catherine Kern, wel- lich-rechtlichen Sender ARD über den regionalen Frauen- enfussballes verzögert haben. siana. Ihre Popularität löste in che im Jahre 1972 als Elfjäh- und ZDF alle 52 (!) Matches live. fussball berichten. Der FC Ba- Andererseits war in England der Schweiz einen Boom im rige, zusammen mit ihrer drei Aber auch das Schweizer Fern- sel ist hinter dem Dominator FC der Frauenfussball von 1921 Frauenfussball aus. Jahre älteren Schwester Corne- sehen wird gut 30 Partien direkt Zürich die nationale Nummer 2, bis 1971 offiziell verboten. Aber lia Lauener – Kern zu den Grün- übertragen. während an diesem Sonntag der auch Deutschland, die zweite Romandie war dungsmitgliedern gehörte. FFC Therwil im letzten Heim- grosse europäische Fussball- fortschrittlicher In der Nacht auf den Dienstag spiel der Saison 2014/15 mit Nation, erliess zwischen 1955 Am 21. Februar 1968 wurde in «Heimliches» Länderspiel verlor die Schweiz gegen den einem Sieg gegen den Tabellen- und 1970 ein Verbotsdekret. Zürich der erste Frauenfussball- Das erste inoffizielle Länder- amtierenden Weltmeister Japan letzten FCFF Givisiez (Anpfiff Was heute surreal erscheint, club – der Damenfussballclub spiel fand am 8. Juli 1970 in knapp, und unglücklich, mit ist um 15 Uhr auf der Sportan- war vor 50 Jahren Realität. Wer Zürich (DFC Zürich) – gegrün- Salerno gegen Italien im Rah- 0:1. In den weiteren Gruppen- lage Känelboden) den (Wieder-) als Frau kickte, wurde «straf- det. Am 24. April 1970 wurde im men der «Coppa del Mondo» spielen gegen Ecuador und Ka- Aufstieg in die Nationalliga B rechtlich» verfolgt. Restaurant Bürgerhaus in Bern statt und wurde mit 1:2 verlo- merun gelten die Schweizerin- realisieren kann. ren. Das Spiel wurde aber weder nen als Favorit. Das Erreichen vom Weltverband (FIFA) noch der Achtelfinals (hiezu ist Rang vom nationalen Verband (SFV) 3 nötig) ist ein Muss. Jordi Küng anerkannt respektive gezählt. Denn in Deutschland und Eng- land herrschte zu dieser Zeit noch immer ein Frauenfussball- Verbot… Man musste bis in den Herbst des Jahres 1972 warten, bis unser Land das erste offizielle Frauen-Länderspiel erleben durfte. In Basel trennten sich die Schweizerinnen und die Französinnen 2:2. Überhaupt wurden in den 70er- und 80er- Jahren sehr viele Länderspiele Bild: zVg/Degen in der Regio Basiliensis ausge- gilt aus Aushängeschild im Schweizer Frauenfussball. tragen. Seit Jahren spielt sie in europäischen Topklubs. Zuerst für Olympique Lyon, ab nächster Saison für den Champions-League-Sieger VfL Wolfsburg. WM in Kanada als Spektakel Für Aufsehen erregte im Jahre die Schweizerische Damenfuss- Seit einer Woche wird in Ka- 1965 Madeleine Boll. Sie war die ball-Liga (SDFL) ins Leben ge- nada die 7. Frauenfussball- erste lizenzierte Fussballspiele- rufen, die heutige Nationalliga Weltmeisterschaft ausgetragen. rin der Schweiz. Der Schweize- A. Aber bereits ein Jahr zuvor Erstmals mit 24 Nationen. Und rische Fussballverband (SFV) hatten sich die Klubs Yverdon, erstmals ist auch die Schweiz Unter der früheren deutschen Weltklassespielerin und jetzigen hatte ihr irrtümlicherweise Serrières, Sainte-Croix, Bou- mit von der Partie, welche im Nationaltrainerin Martina Voss – Tecklenburg haben die Schweizerinnen einen offiziellen Spielerpass dry, La-Chaux-de-Fonds und FIFA-Ranking übrigens Platz den Sprung in die erweiterte Weltspitze gechafft. Donnerstag, 18. Juni 2015 GIORGIO'S SPORT-CORNER Seite 11

Frauen und Fussball… (Teil 2)

Während das Schweizer Nationalteam an der Weltmeisterschaft (WM) in Kanada um den Einzug ins Achtelsfinale kämpft, schaffte der FFC Therwil am letzten Sonntag die trium- phale Rückkehr in die Nationalliga B. Und in der kommenden Saison 2015/16 will der FC Basel dem Serienmeister FC Zürich noch mehr Paroli bieten.

Unsere Chronik vor einer Wo- Schweiz als eine der vier besten nalmannschaft in den Schat- che (Frauen und Fussball… Teil Gruppendritten weiterkäme – ten. Somit stand um 16.47 Uhr 1) hat eine grosse Resonanz be- und dann auf das übermächtige fest: Die Mission wurde bravou- wirkt. Und wurde in Kreisen Deutschland, den WM-Favori- rös erfüllt. von fussballspielenden Mäd- ten schlechthin, treffen würde. chen und Frauen mit grosser Ein Blick auf die Tabelle zeigt, Genugtuung registriert. Denn Im zweiten WM-Match, gegen dass der FFC Therwil (einer der noch immer müssen aktive das inferiore und überforderte ersten Schweizer Frauenver- Fussballerinnen um (mediale) Ecuador, siegten die Schweize- eine übrigens) eine Bilanz auf- Beachtung im Meisterschafts- rinnen gleich mit 10:1 und fei- weist, die nahezu makellos ist. alltag kämpfen. Sicher, die ak- erten so ein seltenes «Stän- 20 Siege, ein Remis und nur tuelle WM in Kanada ist ein Me- geli». Dazu gelang Fabienne eine Niederlage (beim FC Wal- dien- und Fernseh-Ereignis. Die Humm innerhalb von 274 Se- perswil) sowie ein kokettes Tor- Bilder: zVg Frage ist, ob die Media auch da- kunden ein lupenreiner Hat- verhältnis von 122:16 (das sind nach den Frauenfussball beach- trick. Die Stürmerin des FC Zü- über fünf Treffer pro Match) Fabienne Humm (vorne) musste nach ihrem WM-Hattrick viele Autogramme ten und begleiten werden… rich schaffte damit einen inoffi- sind Beweis der Dominanz der geben. ziellen Weltrekord, denn uns ist Elf von Cheftrainerin Tanja Im- nicht bekannt, dass eine Spie- hof. Und doch gab es mit dem FC wird es keine geben», so Tanja gen: «Das ist ein typisches Kli- lerin, aber auch kein Fussbal- Aïre-le-Lignon einen hartnä- Imhof. Und auf die – wohl ty- schee. Nur weil eine Frau Fuss- ler, an einer Endrunde in weni- ckigen Rivalen, der bis zur letz- pisch männliche Frage -, ob sie ball spielt, heisst es nicht, dass ger als fünf Minuten drei Tore ten Runde den Gelb-Schwarzen als Mädchen lieber mit einem sie nicht mit Puppen spielt oder geschossen hat. auf den Fersen blieb. Ball als mit Puppen gespielt lackierte Fingernägel hat…»! Die beste Torschützin der Na- hat, ist die Therwil-Trainerin tionalliga A und FCB-Stürme- Für Nationalliga B gerüstet um eine starke und unmissver- Wir werden vor Saisonbeginn rin Eseosa Aigbogun (welche Baumeisterin des Erfolges und ständliche Antwort nicht verle- (Ende August) auf den FC Basel gegen Ecuador durchspielte Aufstieges ist auch, oder vor al- eingehen, der heuer dem Domi- und das wichtige 2:0 erzielte) lem, Trainerin Tanja Imhof. Die nator und der Übermannschaft sind die einzigen Spielerinnen Leimentalerin war früher sel- FC Zürich den Kampf angesagt in der Stammelf, welche nicht ber Spitzenfussballerin, wurde hat. Wir werden auch den FFC als Profi im Ausland, sondern mehrmals – in der «Fremde» Therwil begleiten und sind si- in der nationalen Liga spielen. (FC Sursee, FC Zuchwil, SC cher, dass die Imhof-Frauschaft Diese Tendenz, dass junge, ehr- LUwin) – Schweizer Meisterin die Etikette als «Liftmann- geizige und erfolgsorientierte und spielte auch in der Cham- schaft» abstreifen wird. Und die Spielerinnen in eine stärkere, pions League. Sie schloss sich Nationalliga B bereichern, viel- ausländische Liga (primär nach aber als Zwölfjährige dem FFC leicht sogar «aufmischen» wird. Deutschland, Frankreich und Therwil an und erlernte bei Am Ehrgeiz von Trainerin und FCB-Stürmerin Eseosa Aigbogun Schweden) gehen, dürfte sich ihrem Stammverein das Fuss- Spielerinnen wird es nicht feh- spielte beim 10:1-Sieg gegen nach der WM noch mehr ak- ball-ABC. Wir gehen davon aus, len. Ecuador über 90 Minuten und schoss zentuieren. Bereits jetzt stehen dass ihre Rückkehr im Sommer Jordi Küng das 2:0 für die Schweiz. 15 der 23 Kaderspielerinnen bei 2014 zu Therwil auch eine lei- einem ausländischen Topklub denschaftliche Herzensangele- «Stängeli» und unter Vertrag! genheit war, ist und bleibt… Rekord-Hattrick In der Nacht von Dienstag auf Freude herrscht Sie bezeichnet sich selber als Mittwoch (nach Redaktions- im 99er-Dorf «Perfektionistin, sehr erfolgs- schluss) trugen die Schwei- Am letzten Sonntag herrschte hungrig und zielorieniert». Tu- zerinnen an der WM ihr drit- in Therwil, das im Volksmund genden, welche sie vorlebt und tes Gruppenspiel gegen Kame- auch als «99er-Dorf» bekannt ihren Mädchen und Frauen ver- run aus. Die Ausgangslage war ist, der fussballerische Ausnah- mittelt, wohl sogar «eingeimpft» denkbar einfach – und delikat mezustand. Die Männer schaff- hat. Denn Therwil ist ein wun- zugleich. Mit einem Sieg oder ten mittags den (Wieder-)Auf- derbarer Mix aus Routiniers Remis würde die Schweiz den stieg in die regionale 2. Liga, (wie Captain Maja Hügin) und 2. Rang hinter Weltmeister Ja- doch der Saison-Höhepunkt sehr jungen Spielerinnen, die pan erreichen. Und somit im stand erst noch bevor. Die Erst- erst am Anfang ihrer Entwick- Achtelsfinale dem WM-Favori- liga-Frauen, welche im August lung stehen. «Und noch viel ten Deutschland aus dem Weg 2014 mit der Mission «Aufstieg Potenzial und Luft nach oben gehen. Bei einer – durchaus in die Nationalliga B» angetre- haben», so Imhof trocken. denkbaren – Niederlage gegen ten waren, standen unmittel- Die Leimentalerin ist über- die Afrikanerinnen könnte die bar vor der Promotion. Und sie zeugt, dass «wir bereits jetzt, Equipe von Nationaltrainerin liessen im letzten Heimspiel mit der aktuellen Equipe, für Martina Voss – Tecklenburg be- gegen den Absteiger FCFF Givi- die Nationalliga B tauglich sind. reits ausscheiden und die Heim- siez nichts anbrennen und ka- Aber wir werden uns noch mit reise antreten. Was eine herbe men zu einem 14:0-Kantersieg. zwei oder drei Spielerinnen ver- Enttäuschung wäre. Wahr- Dieses Resultat stellt sogar das stärken. Abgänge, bis auf den Baumeisterin des Erfolges ist Cheftrainerin Tanja Imhof, die junge scheinlicher ist es aber, dass die «Stängeli» der Schweizer Natio- Rücktritt von Luana Castellano, Spielerinnen zu Leistungsträgerinnen geformt hat.

Frauen. 1. Liga (Gruppe 1) 1. FC Therwil 22 20 1 1 (13) 122 : 16 61 2. FC Aïre-le-Lignon 22 19 2 1 (10) 75 : 25 59 3. FC Walperswil 22 15 0 7 (4) 75 : 29 45 4. BSC Old Boys 22 13 2 7 (12) 57 : 49 41 5. FC Yverdon Féminin 22 9 2 11 (18) 35 : 49 29 6. FC Courgevaux 1 22 8 2 12 (2) 41 : 55 26 7. FC Sion 22 8 1 13 (29) 47 : 66 25 8. FC Erlinsbach 22 7 3 12 (6) 41 : 60 24 9. FC Zollikofen 22 7 2 13 (17) 36 : 62 23 10. Frauenteam Thun Berner-Oberland 22 7 2 13 (29) 36 : 77 23

Bilder: zVg (H. Kuppelwieser) 11. FCFF Givisiez 22 5 0 17 (10) 40 : 83 15 12. FC Baden 22 4 3 15 (13) 47 : 81 15 Freude herrscht! Der FC Therwil kehrt in die Nationalliga B zurück.