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FUSSBALL Die Assistenten Jahrzehntelang war der FC Schalke 04 eine eher folkloristische als sportliche Attraktion. Nun ist der Club auf dem besten Weg, die Meisterschaft zu gewinnen. Verantwortlich für die Wandlung sind zwei bislang unerfahrene Führungskräfte: Manager Andreas Müller und Trainer Mirko Slomka. ANDREAS TEICHMANN ANDREAS Trainer Slomka, Manager Müller: Ein Generationenwechsel in seiner gewagtesten Form

130 der spiegel 13/2007 pielfreie Wochenenden nutzen die geht, auf die sie stoßen, sobald die Mann- ziehbar vertreten, auch wenn er mit Rang- Spitzenkräfte des deutschen Vereins- schaft mehr als zweimal hintereinander nick mal nicht einer Meinung war, und sei- Sfußballs normalerweise für einen nicht gewonnen hat – wenn das alte Schal- ne analytischen Fähigkeiten sind außerge- Kurzurlaub am Mittelmeer. Andreas Mül- ke sich wieder zu Wort meldet mit seinen wöhnlich“. ler und Mirko Slomka aber fliegen nach Beharrungskräften, seinen Empfindlich- Erfahrene Profis wie die Abwehrspieler Nowy Urengoi. keiten und seinen Vorurteilen. Das Schal- Mladen Krstajiƒ, 33, und Darío Rodríguez, Nowy Urengoi ist eine Arbeiterstadt in ke Rudi Assauers. 32, die nur wenig jünger sind als Slomka der Tundra Sibiriens, 2300 Kilometer nord- In Gelsenkirchen ist derzeit eines der selbst, betonen, dass ihnen von Beginn an östlich von Moskau, nur knapp unterhalb spannendsten Experimente der Fußball- die Direktheit des Trainers auffiel. „Er ist des Polarkreises. Die Temperaturen sind zu beobachten. Es geht vor al- frontal, einfach zu verstehen und eiert ruppig, und eigentlich kennt diese Gegend lem um die Frage, wie viel Veränderung nicht herum“, sagt Rodríguez, „ein gebo- nur eine Sehenswürdigkeit: die giganti- möglich ist in einem Verein, der wie kein rener Arbeiter.“ Als Lehramtskandidat mit schen Gasfelder, allesamt im Besitz des Zweiter in Deutschland überwältigt ist von pädagogischen Finessen vertraut, sieht sich Energiekonzerns Gasprom. seiner eigenen Historie. Slomka als „Vermittler und Ideengeber“, Seit Ende vergangenen Jahres sind die Die Zäsur im vergangenen Jahr war ein der seiner Mannschaft „Hinweise mitgibt, Russen der Hauptsponsor von Schalke 04, Generationenwechsel in seiner gewag- bei denen ein Sieg herauskommt, zum Bei- den Vertrag hatte der Aufsichtsratsvor- testen Form. Sowohl Manager Müller als spiel eine punktgenaue Analyse des Geg- sitzende Clemens Tönnies bei einem auch Trainer Slomka hatten niemals zuvor ners und eine zielgerichtete Taktik“. Deutschland-Aufenthalt von Wladimir auf vergleichbarem Niveau gearbeitet. Sie Nur: Für das alte Schalke war Slomka Putin unterschrieben, und der Abstecher waren Assistenten gewesen, ehe sie ihre ein Mann ohne Namen, ohne Epauletten, nach Sibirien samt Hubschrauber-Rund- Chefs ersetzten – Slomka wurde im Ja- ohne Stallgeruch. „Auf die Idee wäre ich flug über die gewaltigen Förderanlagen ist nuar 2006 Nachfolger von , nie gekommen“, lästerte Assauer – damals Teil einer viertägigen Antrittsvisite, zu der Müller zu Beginn dieser Saison Nachfolger noch im Amt, aber schon entmachtet – Gasprom den deutschen Partner eingela- von Assauer. gleich nach der Vorstellung, und die Bou- den hat. levardmedien erweckten Den Zeitpunkt hätte kein PR-Stratege fortan den Eindruck, der besser festlegen können. Denn zu Besuch „nette Herr Slomka“ läche- kamen Ende vergangener Woche die Re- le zwar jeden gütig an, be- präsentanten eines Vereins, der sich gera- komme aber mit seiner de neu erfindet und auf dem Weg ist, nach messdienerhaften Ausstrah- 49 Jahren wieder einmal die Meisterschaft lung die Mannschaft nie- zu gewinnen. Jahrzehntelang war der mals in den Griff. Ein FC Schalke 04 eine eher folkloristische als Leichtgewicht. sportliche Attraktion. Nach dem Sieg ge- Hartnäckig hält sich im gen den Konkurrenten VfB Stuttgart steht deutschen Fußball das Kli- die Mannschaft acht Runden vor Saison- schee, wonach ein guter ende mit drei Punkten Vorsprung auf Wer- Trainer zuvor zwingend ein der Bremen an der Tabellenspitze. Sogar guter Profikicker gewesen Franz Beckenbauer, Präsident des nächsten sein muss. Zwar führte Gegners Bayern München, hat alle Hoff- Slomka die Schalker nach

nung fahren lassen: „Schalke packt’s.“ FIRO wenigen Monaten gleich ins Eine Meisterfeier in Gelsenkirchen, das Ex-Manager Assauer: Testosteronhaltige Auftritte Halbfinale des Uefa-Cups war bislang so wahrscheinlich wie ein Sieg und auf Platz vier in der der SPD bei einer Landtagswahl in Bayern. Immerhin: Müller kennt das Innenleben Abschlusstabelle der Bundesliga, doch As- Dabei kann niemand behaupten, auf des Clubs bereits wie kaum ein anderer. sauer maulte: „Das Jahr können wir end- Schalke hätten sie nicht alles probiert. Be- Schon 1988 war der Schwabe, der auch nach gültig in die Tonne kloppen.“ Schon da sonders in der Ära des im Mai zurückge- fast 20 Jahren im Revier seinen Akzent ahnte Müller, „dass die neue Saison mit drängten Managers , ihres nicht abgeschliffen hat, von viel Gegenwind anfangen würde, wenn sich wortgewaltigen Frontmannes, hatten sie zum FC Schalke gewechselt, und seit sei- nicht sofort sportlicher Erfolg einstellte“. mit riskantem finanziellem Einsatz und un- nem Karriereende 2000 arbeitete er an As- Es kam heftiger. Noch in der Vorberei- ter Verschleiß zahlreicher Trainer immer sauers Seite, in den letzten Jahren immer tungszeit hatte sich der gesamte Kader wieder ihre Ansprüche untermauert – und häufiger auch als die treibende Kraft. dem Motivations-Coach Peter Boltersdorf es doch nur einmal zum „Meister der Her- Und Slomka? Er hat als Amateur bei widersetzt. Von dem Diplom-Sportlehrer zen“ gebracht, jenem zweiten Platz nach Vereinen wie Stern Misburg und Fortuna stammte das Saisonmotto von der „totalen dem legendären Saisonfinale 2001, bei dem Sachsenross Hannover gekickt, Sport und Dominanz“, über das sich ganz Fußball- die königsblaue Fangemeinde bereits für Mathematik studiert, und er hat, ehe er Deutschland lustig machte. Zudem hatte wenige Minuten im Glück schwelgte, ehe 2001 bei Hannover 96 Assistent von Rang- Boltersdorf Fragebögen an die Spieler ver- die Münchner doch noch routiniert die nick wurde und diesem dann nach Gel- teilt, in denen er Wertungen zwischen mi- Schale ergriffen. Ein kollektives Trauma. senkirchen folgte, diverse Jugendmann- nus drei und plus drei zu vorformulierten Nun prägt ein Stil den Club, der mit den schaften und kurzzeitig auch den Regio- Sätzen verlangte, darunter Behauptungen testosteronhaltigen Auftritten Assauers nicht nalligisten betreut. wie diesen: „Ich bin das, was man ,sexuell mehr viel zu tun hat. Manager Andreas Nicht gerade der typische Weg auf einen zügellos‘ nennt.“ „Ich will jeden Sex, den Müller, 44, und Trainer Mirko Slomka, 39, der begehrtesten Chefsessel in der Bun- ich bekommen kann.“„Ich habe viele ero- sprechen lieber über individualisierte Trai- desliga. tische Phantasien.“ Ärger hatte Slomka ningsarbeit, taktische Variabilität, wissen- Er habe Slomkas Beförderung prote- auch mit Nationalspieler schaftlich fundierte Leistungsdiagnostik giert, sagt Müller, „weil der Mirko schon als – vom WM-Urlaub zurückgekehrt, for- und die Kraft des positiven Denkens. Co-Trainer eine kritische Nähe zu den derte der Angreifer einen Stammplatz. Zugeknöpft und ausweichend antwor- Spielern aufgebaut hatte“. Slomka habe Die Konflikte an sich schienen für Slom- ten sie nur, wenn es um die Widerstände seine Position immer „offen und nachvoll- ka beherrschbar, Boltersdorf musste später

der spiegel 13/2007 131 Sport gehen, der Streit mit Asamoah wurde bei- keit verleihen, der gerade noch die Puste Nach außen begründet Müller die De- gelegt. Problematisch war allerdings, dass ausgegangen war. gradierung Rosts ausschließlich mit sport- ständig neuer Kabinentratsch an die Me- Mirko Slomka traf solch eine Entschei- lichen Motiven. Neuer, aufgewachsen in dien weitergereicht wurde. „Müller und dung vor dem von Fanprotesten begleite- Gelsenkirchen-Buer, sei ein moderner Tor- sein Slomka: Wie viele Fehler dürfen sie ten Spiel gegen Bayern München, als seine hüter, der wie mit seinen noch machen?“, fragte „Bild“. Ablösung als Trainer nur noch eine Frage Abwürfen das Spiel beschleunige, „quasi Nachdem die Mannschaft dann in DFB- von Stunden schien: Er ersetzte den ein Feldspieler, der seine Hände benutzen Pokal und Uefa-Cup frühzeitig ausschied Stammtorhüter Frank Rost, 33, durch den darf und dessen besonnene Art die Mit- und in der Liga die Spiele in Leverkusen Nachwuchsmann , 20. Ein spieler schätzen“. und in Stuttgart verlor, reagierten die Fans radikaler und riskanter Schnitt. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. „mit Liebesentzug“, wie Manager Müller Manager Müller sagt: „Er hat mich erst Tatsächlich repräsentierte Rost wie kein sagt. Die Anhänger entschieden sich, aus am Abend davor informiert, und ich habe anderer in der Mannschaft auch weiterhin Protest zu Beginn des nächsten Spiels zu ihm gesagt: Ich stehe dahinter, wenn du das alte Schalke. „Als Assauer gehen muss- schweigen, 19 Minuten und 4 Sekunden es für richtig hältst.“ te“, sagte Rost trotzig vor seinem Wechsel lang. Gegen Bayern München. Das klars- Trainer Slomka sagt: „Ich habe das be- zum Hamburger SV, „hatte ich keine te Zeichen von Abgrenzung und Ent- wusst ganz alleine durchgezogen. Ich muss Rückendeckung mehr.“ fremdung. als Trainer die Verantwortung für einen Der aufbrausende, verbissen wirkende Das alte Schalke, so schien es, hatte sich solchen Schritt übernehmen. Wäre das Keeper, Oliver Kahn nicht unähnlich, wieder durchgesetzt. Der frühere Club- schiefgegangen, wer weiß, ob ich dann konnte sensiblen Naturen wie dem Brasi- präsident Günter „Oskar“ Siebert, 76, kö- heute noch hier wäre.“ lianer Lincoln oder dem Georgier Levan nigsblaues Urviech und Tanzpub-Betrei- Der Wechsel von Rost zu Neuer war Kobiaschwili mit seinem Einzelkämpfer- ber auf Gran Canaria, flehte öffentlich: der Wendepunkt in dieser Saison, in der gehabe wochenlang das Leben vergällen. „Holt Ex-Manager Rudi Assauer zurück!“ Schalke nun alle Chancen auf die Meister- Mit den meisten seiner südamerikanischen Assauer selbst bollerte, Schalke würde schaft hat. „Wir sind jetzt der Favorit“, sagt Kollegen lag Rost im Clinch, vor allem mit geradewegs wieder „der alte Popelverein“, Slomka, „wir haben alles in der Hand.“ Kapitän Marcelo Bordon, der sich mehr- und Günter Netzer machte sich zum An- Seit jenem Sonntagabend im Novem- mals intern über den Torhüter erregte. walt des Stammtischs: „Die Zeit für Chris- ber, als Sekunden nach dem Ende der Fan- Erschwerend kam hinzu, dass ein guter toph Daum ist reif.“ Revolte das zweite Tor gegen Bayern Teil der Mannschaft Rost zuletzt für den Es gibt Entscheidungen, die Bewegung fiel, hat sich die Mannschaft gefunden. Sie Informanten hielt, der die Boulevardjour- in eine Situation bringen, in der Bewe- zeigt Teamgeist, und eindrucksvoll de- nalisten immer wieder mit pikanten De- gung nicht mehr möglich scheint; die das monstriert sie ihre fußballerischen Qua- tails versorgte – was dazu führte, dass die Schwierige plötzlich einfach machen; die litäten – nur der verletzungsbedingte Aus- Schalker Spieler nach ihrem Erweckungs- einer Karriere Dynamik und Geradlinig- fall von Schlüsselspielern wie Peter Lö- erlebnis gegen den FC Bayern sechs Wo- venkrands, Gustavo Varela oder Christian chen lang die Medien mieden. Den Ver- Pander sorgte dafür, dass der Liga-Spit- dacht, Interna weitergereicht zu haben, * Mit Torschütze Mladen Krstajiƒ (r.) nach dem 1:0 gegen den VfB Stuttgart am vorvergangenen Samstag in Gel- zenreiter unlängst zwei Heimniederlagen wies Rost allerdings entschieden zurück. senkirchen. in Folge kassierte. Der Presseboykott, den Manager Müller „das Schweigen der Spieler“ nennt, war auf Schalke wohl das zweite Schlüssel- erlebnis der Saison. „Die Spieler haben sich gesagt: Kritik ja, Respektlosigkeit nein, und ihre Wagenburg errichtet“, sagt Müller. Ganz ähnlich hätten er und Slomka sich verhalten, „als es ständig noch die Stör- feuer gab. Wir standen Schulter an Schul- ter, und der Mirko hat nie die Ruhe verlo- ren. Das hat mich beeindruckt. Er hat ge- sagt: Andi, wir sind nur dafür da, uns auf den Punkt zu konzentrieren“. Müller erzählt die Episode in seinem Büro im dritten Stock der Schalker Geschäftsstel- le. Es ist der Tag, nachdem der Club die Verlängerung des Vertrags mit Slomka bis Ende Juni 2009 bekanntgegeben hat. Das Fenster ist gekippt, man hört Verkehrslärm. In diesem Raum arbeitete Müller bereits als Assistent. Assauer saß nebenan, in einem größeren Zimmer mit unverstelltem Blick auf den Trainingsplatz der Profis und auf das neue Schalker Stadion. Der Duft von Assauers Zigarren liegt noch immer irgendwie in der Luft. Nach dem Abgang des Alten war das Büro frei für Müller. Doch jetzt sitzt dort der Fi- nanzvorstand Josef Schnusenberg. Einen Satz wollte Müller auf keinen Fall in der Zeitung lesen: „Armer Rudi –

CHRISTINA PAHNKE / SAMPICS / AUGENKLICK / SAMPICS PAHNKE CHRISTINA jetzt sitzt sein früherer Assi in seinem Schalker Spieler beim Torjubel*: Erweckungserlebnis nach der Fan-Revolte Sessel!“ Michael Wulzinger

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