Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt
Sprung über die Elbe - Stadtumbau West
Bestandsuntersuchung Wilhelmsburg West
Februar 2005
Büro Düsterhöft Architektur und Stadtplanung
Sprung über die Elbe – Stadtumbau West Bestandsuntersuchung Wilhelmsburg West Februar 2005
Auftraggeberin: Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt Amt für Landesplanung / Amt für Wohnen, Stadterneuerung und Bodenordnung
Alter Steinweg 4, 20459 Hamburg Ansprechpartner: Andreas Kellner / Theda v. Kalben fon: 040 – 42840 8252 / 040 – 42840 8465 [email protected] / [email protected]
Auftragnehmer:
BPW Hamburg Elke Pahl-Weber Stadtplanung – Forschung - Beratung Ansprechpartner: Nicoletta Rehsöft Mitarbeit: Jessica Stapel Bahrenfelder Chaussee 49, 22761 Hamburg 040 – 48 40 18 0 fax: 040 – 899 20 30 [email protected]
Büro Düsterhöft Büro Düsterhöft Architektur und Stadtplanung Ansprechpartner: Roswitha Düsterhöft Architektur und Stadtplanung Mitarbeit: Torsten Schibisch Schaartor 1, 20459 Hamburg 040 – 309 709 0 fax: 040 – 309 709 14 [email protected]
in Kooperation mit
Möller – Tradowsky Kontor Freiraumplanung Ansprechpartner: Hans Möller Mitarbeit: Manuela Köhler Bahrenfelder Chaussee 49, 22761 Hamburg 040 – 89 20 51 fax: 040 – 899 20 30 [email protected]
Argus Stadt und Verkehrsplanung Ansprechpartner: Rolf Sachau Schaartor 1, 20459 Hamburg 040 – 309 709 0 fax: 040 – 309 709 14 [email protected]
Bestandsuntersuchung Wilhelmsburg West
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ...... 3
1.1 Untersuchungsgebiet und Ziel des Gutachtens...... 3
1.2 Methodische Hinweise ...... 4
2 Wilhelmsburg West Rahmenbedingungen und Einordnung ...... 5
2.1 Siedlungsstruktur/Stadtbild ...... 5 2.1.1 Hafen, Wasser und Deiche...... 5 2.1.2 Wilhelmsburger Reichsstraße und Bahnlinie ...... 6 2.1.3 Die Mitte ...... 7 2.1.4 Wohn- und Gewerbequartiere...... 8 2.1.5 Grünes Wilhelmsburg ...... 11 2.1.6 Denkmalschutz...... 12 2.1.7 Methodische Hinweise...... 13 Plan 1: Siedlungsstruktur/Stadtbild
2.2 Nutzungsstruktur ...... 15 2.2.1 Bevölkerung und Wohnen ...... 15 2.2.2 Versorgung, Infrastruktur und Freizeit...... 16 2.2.3 Gewerbe und Hafen ...... 17 2.2.4 Grün- und Freiräume ...... 19 2.2.5 Flutschutz...... 22 2.2.6 Methodische Hinweise...... 23
2.3 Erschließung/Verkehr ...... 24 2.3.1 Straßennetz...... 24 2.3.2 Hafenbahn ...... 25 2.3.3 ÖPNV...... 25 2.3.4 Wasserwege ...... 26 2.3.5 Radwege/Fußwege ...... 27 2.3.6 Methodische Hinweise...... 28
2.4 Umweltbelastungen ...... 29 2.4.1 Schutz von Umwelt und Natur ...... 29 2.4.2 Altlasten ...... 29 2.4.3 Gewässerbelastungen/Sedimente ...... 31 2.4.4 Emissionen ...... 31 2.4.5 Methodische Hinweise...... 34 Plan 2: Nutzungen/Infrastruktur/Belastungen
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2.5 Projekte und Planungen ...... 35 2.5.1 „Sprung über die Elbe“...... 35 2.5.2 Stadtumbau West...... 36 2.5.3 Planungen zur IGS ...... 37 2.5.4 Aktionsplan Wilhelmsburger Westen ...... 38 2.5.5 Städtebauliche Sanierung nach BauGB ...... 39 2.5.6 Beteiligungsverfahren Wilhelmsburg Zukunftskonferenz 2002...... 39 2.5.7 Europäische Solar-Bauausstellung...... 39 2.5.8 Ausbauplanungen im Hafen ...... 40 2.5.9 Hafenquerspange ...... 42 2.5.10 Verlängerung der HafenCity-U-Bahn (U4) ...... 43 2.5.11 Methodische Hinweise...... 44 Plan 3: Projekte/Planrecht
3 Vertiefungsbereiche Entwicklungspotenziale und Restriktionen...... 45
3.1 Vertiefungsbereich „Reiherstieg und Veringkanal - Wege ans Wasser“ ....45 Plan 4.1: Reiherstieg/Veringkanal - Nutzungs- und Stadtstruktur Plan 4.2: Reiherstieg/Veringkanal - Flächenzugriff/Erschließung
3.2 Vertiefungsbereich „Spreehafen – Trittstein mit Barrieren“...... 61 Plan 5.1: Spreehafen - Nutzungs- und Stadtstruktur Plan 5.2: Spreehafen - Flächenzugriff / Erschließung
3.3 Vertiefungsbereich „Rubbertstraße - Zwischen Gewerbe und Mitte“...... 69 Plan 6.1: Rubbertstraße - Nutzungs- und Stadtstruktur Plan 6.2: Rubbertstraße - Flächenzugriff/Erschließung
4 Empfehlungen...... 75
Anhang Ansprechpartner/Kontakte Übersicht Gutachten/Unterlagen/Planungen/Literatur Liste der Betriebe in den Vertiefungsbereichen Fachgespräche - Übersicht der Termine
Entwicklungsszenarien/Zielbild-Entwurf für die Vertiefungs- bereiche werden im Extraband "Sprung über die Elbe - Stadtumbau West: Entwicklungsperspektiven" beschrieben.
2 BPW Hamburg Stadtplanung · Forschung · Beratung Büro Düsterhöft Architektur und Stadtplanung Bestandsuntersuchung Wilhelmsburg West
1 Einleitung
1.1 Untersuchungsgebiet und Ziel des Gutachtens Untersuchungsgebiet des Gutachtens ist das westliche Wil- helmsburg, begrenzt durch die Bahnlinie Hamburg-Hannover sowie die Wasserflächen Spreehafen, Reiherstieg und Süder- elbe. Wilhelmsburgs Entwicklung ist geprägt durch seine Verknüp- fung mit dem Hamburger Hafen, aus der hohe Standortpoten- ziale und eine besondere stadträumliche Vielfalt mit Wasser als prägendem Identitätsmerkmal hervorgingen. Die Nähe von Stadt und Hafen verursacht aber auch Konflikte zwischen wirt- schaftlichen Anforderungen und Bedürfnissen der Wohnbevöl- kerung; das Image Wilhelmsburgs wurde nachhaltig beschä- digt. Trotz seiner zentralen Lage und umfangreicher Flächen- potenziale konnte der Stadtteil daher von dem gesamtham- burgischen Wachstum bislang nicht profitieren. Gleichzeitig führte eine Vielzahl von Maßnahmen in den letzten Jahren bereits zu einer Aufwertung des Stadtteils und verbes- sert langsam auch dessen Image. Das Rahmenkonzept „Sprung über die Elbe“ bringt diese Vielzahl von Einzelprojekten in ei- nen gesamtstädtischen Kontext; es stellt damit die Weichen für eine dauerhafte Aufwertung Wilhelmsburgs.
Ziel des Gutachtens ist es, die Leitlinien des Rahmenkonzeptes in Hinblick auf ihre Realisierbarkeit und Eignung für den Stadt- umbau West zu prüfen und Grundlagen für Impulsprojekte. zu schaffen. Im Spannungsfeld übergeordneter Planungsüberle- gungen und konkreter Einzelprojekte ergeben sich dabei zwei Betrachtungsebenen: • Der Westen Wilhelmsburgs, mit Betrachtung der über- geordneten Einbindung und Zusammenhänge und • die Vertiefungsbereiche Reiherstieg/Veringkanal, Spree- hafen und Rubbertstraße/Neue Mitte mit Betrachtung von Entwicklungspotenzialen und –restriktionen.
Für eine Bewertung der Entwicklungsoptionen ist darüber hin- aus eine Betrachtung der konkurrierenden Nutzungsansprüche von Stadt(teil) und Hafen notwendig. Dieser Entwicklungskor- ridor wird im Rahmen von Szenarien geprüft und visualisiert, der Fokus dabei auf die Vertiefungsbereiche Reiherstieg und Spreehafen gelegt.1 Bestandsanalyse und Entwicklungsszena- rien legen zusammen den Grundstein für eine qualifizierte Dis- kussion der Entwicklungsleitlinien für das westliche Wilhelms- burg und sind die Basis für ein städtebauliches Konzept Reiher- stieg sowie den Anstoß erster Impulsprojekte.
1 Darstellung der Ergebnisse in „Sprung über die Elbe – Stadtumbau West: Entwicklungs- perspektiven“; Szenarien für die „Neue Mitte“ werden im Rahmen der IGS-Planungen entwickelt.
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1.2 Methodische Hinweise Grundlagen der Analyse liefern neben umfangreichem Gutach- tenmaterial insbesondere die Akteure der Wilhelmsburger Stadtentwicklung, die z.T. über einen langjährigen Wissenshin- tergrund im Stadtteil verfügen. Eine Übersicht der wichtigsten Grundlagendaten und Ansprechpartner soll daher zukünftigen Planungen helfen, an die Ergebnisse dieser Arbeit anzuknüpfen (s. Anhang). Darüber hinaus werden am Ende jedes Kapitels Hinweise zu weitergehenden Untersuchungserfordernissen ge- geben, die notwendig für eine fundierte Einschätzung der Ent- wicklungspotenziale Wilhelmsburgs sind und im Rahmen dieser Arbeit nur angeschnitten werden konnten.
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2 Wilhelmsburg West Rahmenbedingungen und Einordnung
Zeittafel 2.1 Siedlungsstruktur/Stadtbild 1333 erste Eindeichung (Stillhorn) Das Stadt- und Landschaftsbild Wilhelmsburgs ist geprägt von 1388 Bau der ersten Kirche (Kreuzkirche) ca. 1400 erste größere Sturmflut einem vielfältigen Nebeneinander unterschiedlichster Elemente. 14. – 17. Jh. Inseln im Bereich Wilhelmsburg Gründerzeitquartiere haben hier ebenso ihren Platz wie Groß- werden Stück für Stück eingedeicht 1672 Herzog Gerorg Wilhelm kauft große wohnsiedlungen; ländliche Deichidylle wechselt sich ab mit in- Teile der eingedeichten Inseln und dustriellen Großanlagen; grüne Uferwege an Kanälen und Wet- vereint diese mit seinem Besitz zur tern werden durchschnitten von Hauptverkehrsachsen. Diese „Herrschaft Wilhelmsburg“ 1705 Wilhelmsburg wird hannoversches Vielfalt ist eine besondere Qualität Wilhelmsburgs, gleichzeitig Amt zeigt sich aber auch ein großes Bedürfnis nach einem konsi- 1724 Bau des Amtshauses (heute Heimatmuseum) stenten, vermittelbaren Stadtteil-Bild. Während die Wilhelms- 1810-14 Besetzung Wilhelmsburgs durch burger selber insbesondere in den letzten Jahren ein neues Napoleon Wegeverbindung von Hamburg Selbstwertgefühl entwickelt haben, leidet das Image der Elbin- nach Harburg (heutige Georg- sel immer noch unter den vielfältigen Belastungen, denen der Wilhelm-Straße) 1859 Amt Wilhelmsburg wird mit Stadtteil seit über 100 Jahren ausgesetzt ist. Harburg vereint Spätestens seit Aufnahme des Beteiligungsverfahrens „Mitwir- 1868- 72 Bau der Norder-, Süderelbbrücken und der Bahnlinie ken in Wilhelmsburg“ und der Arbeit zahlreicher Beteiligungs- 1888 Errichtung des Freihafens gremien wurden wichtige Schritte getan, dieses Image der 1889-1890 Bau des Rangierrbahnhofes durchaus positiven Innenwahrnehmung der Inselbewohner an- Wilhelmsburg 1891 Eröffnung eines Bahnhofes in zugleichen. Eine Vielzahl von Einzelprojekten vom Spreehafen- Wilhelmsburg für den fest über die Museumsmeile Hansahafen bis zum gerade eröff- Personenverkehr neten Freiluftkino am Fährstieg erhält hamburgweite Ende 19. Jh. Industrialisierung: Bau von Fabriken, Hafengewerbe und Beachtung, mit Olympia-Planungen, IGS und IBA wird die Elb- Arbeiterwohnungen, Bevölkerungs- anstieg von ca. 4.000 auf ca. insel Schauplatz für internationale Projekte. Der „Sprung über 32.000 die Elbe“ ergänzt dieses Bild durch einen visionären Blick in die 1902 Bau des Wilhelmsburger Rathauses Zukunft, in der Wilhelmsburg als Elbinsel eine zentrale Rolle für 1927 Wilhelmsburg und Harburg werden zur Großstadt Harburg- die Hamburger Stadtentwicklung erhält. Wilhelmsburg vereint All diese Aktivitäten vermitteln ein Bild von Wilhelmsburg als 1936 Bau der A1 1937 durch das „Groß-Hamburg-Gesetz“ Ort des Umbruchs und der Erneuerung. Damit dies nicht in wird Harburg-Wilhelmsburg Teil Konkurrenz zu vorhandenen, z.T. mühsam entwickelten Quali- Hamburgs täten geschieht, sondern diese nutzt und ausbaut, damit so- 1951 Fertigstellung Wilhelmsburger Reichsstraße wohl Außen- als auch Innenwahrnehmung von diesem Um- 1962 Flutkatastrophe bruch profitieren können, ist ein fundiertes Verständnis für die Anfang Bau der Hochhaussiedlung in 1970er Kirchdorf Süd Besonderheiten des Wilhelmsburger Stadtbildes grundlegend. Bau des zentralen Kleingartenparks Ende 1970er Bau des Stadtteilzentrums Berta- Kröger-Platz 2.1.1 Hafen, Wasser und Deiche 1980er Jahre Sanierungsmaßnahmen im Rahmen der Stadterneuerung Wasser ist ein zentraler Bestandteil der Wilhelmsburger Identi- 1983 Fertigstellung des S-Bahnhofes tät und Entwicklung – Norder- und Süderelbe begrenzen die Mitte Bau des Berufsschulzentrums und Elbinsel, Häfen und Kanäle waren Grundlage ihrer wirtschaftli- 1980er des Bürgerhauses 1994 Beginn des bis heute aktiven chen Entwicklung, Deichbau und Flutkatastrophen verbinden Bürgerbeteiligungsverfahrens die Menschen nicht nur räumlich. 2003 Internationaler Entwurfsworkshop „Sprung über die Elbe“ Der Osten Wilhelmsburgs vermittelt mit Dove-Elbe, Wettern, historischen Deichlinien und dem Tideauenwald am Heucken- 2013 IGS Insel im Fluss lock ein Bild der bäuerlich geprägten Kultur- und Gewässer- IBA Wilhelmsburg Fertigstellung Containerumschlag landschaft, wie sie noch Anfang des 19. Jahrhunderts auch im Mittlerer Freihafen Westen bestanden hat. Hier ist noch heute erkennbar, dass die 2015 Fertigstellung Ausbau Hafenbahn Elbinsel ursprünglich in mehrere eingedeichte Einzelinseln un- Baubeginn Hafenquerspange 2016 Olympia in Hamburg?
BPW Hamburg Stadtplanung · Forschung · Beratung 5 Büro Düsterhöft Architektur und Stadtplanung Bestandsuntersuchung Wilhelmsburg West terteilt war – dem „Archipel Wilhelmsburg“. Im westlichen Wilhelmsburg wurde dagegen die Entwicklung des Hafens seit Ende des 19.Jhs prägendes Strukturelement. Die ursprüngliche Gewässerlandschaft wurde fast vollständig durch künstliche Wasserwege und Häfen überformt, die eine zentrale Rolle für den Hafen- und Gewerbetransport spielten. Bäuerliche Struktu- ren mussten Hafenbetrieben und Arbeiterwohnungsbau wei- chen, alte Deichlinien verschwanden durch Aufhöhung des Deichvorlandes. Seitdem sind Sperrwerke, Schleusen und Klappbrücken, Fabrikgebäude und Hafenbahngleise identitäts- prägende Bestandteile des Stadtbildes; die Kanäle bieten hochwertige Lagen für Wohnen, Kultur und Gastronomie. Die Hafenindustrie selber beschränkt sich heute auf den Quartiers- rand, hat im angrenzenden Hafengebiet jedoch nicht an Be- deutung verloren: seit über 100 Jahren stellt der prosperieren- de Hafen Hamburgs ökonomisches Herz dar und ist mit mo- dernen Stückgut- und Massengutfrachtern auf dem Reiher- stieg, Schuten am Spreehafen, Silos, Tanks und Kränen eng mit dem Stadtbild Wilhelmsburgs verbunden. Funktional wurde dagegen die traditionell enge Verbindung zwischen Stadt und Hafen mit dem Zollzaun am Spreehafen und unzugänglichen Uferbereichen am Reiherstieg, aber auch dem Rückgang der Hafenarbeitsplätze und dem Einstellen der letzten Fährverbin- dung zur Hamburger Innenstadt deutlich reduziert. Das innere Wilhelmsburg liegt geschützt hinter dem grünen Hauptdeich, der die Wohnquartiere deutlich sichtbar vom Ha- fen trennt. Weidende Schafe bieten einen idyllischen Anblick, sollten jedoch nicht über die Notwendigkeit der Anlage hin- wegtäuschen: Noch heute wird in Erinnerung der Flutkatastro- phe von 1962, bei der 315 Menschen in Hamburg starben und 20.000 obdachlos wurden, Wasser in Wilhelmsburg auch als potenzielle Bedrohung gesehen. Sie ist einer der Gründe für den Wegzug vieler alteingesessener Wilhelmsburger sowie die jahrzehntelange Vernachlässigung ganzer Wohnquartiere; gleichzeitig wird auf diese potenzielle Bedrohung ein ganz be- sonderer Zusammenhalt der Inselbewohner zurückgeführt.
2.1.2 Wilhelmsburger Reichsstraße und Bahnlinie Auf der Wilhelmsburger Reichsstraße, mit der Fern- oder S- Bahn kann die Elbinsel innerhalb weniger Minuten durchquert werden. Einblick in die Vielfalt der Stadtteile oder naturräumli- chen Qualitäten bieten sich dem Reisenden dabei nur sehr we- nige; ihm stellt sich Wilhelmsburg als Transitraum zwischen Hamburg und Harburg dar. Während die Bahnlinie bereits 1872 erbaut wurde und ein ent- scheidender Motor der Hafenentwicklung wurde, ersetzte die Wilhelmsburger Reichsstraße als moderne, autogerechte Hauptverkehrsstraße die historische Verbindungsachse Georg- Wilhelm-Straße erst 1951. Der bereits Anfang des 20. Jhs. deutlich erkennbare Unterschied zwischen ländlich geprägtem Osten und industriell überformten Westen wurde damit zu ei-
6 BPW Hamburg Stadtplanung · Forschung · Beratung Büro Düsterhöft Architektur und Stadtplanung Bestandsuntersuchung Wilhelmsburg West ner grundsätzlichen strukturellen Trennung. Aufgrund der kreuzungsfreien Hochlage der Wilhelmsburger Reichsstraße re- duzierten sich die Verknüpfungspunkte zwischen Ost und West auf wenige Brücken und Tunnel. Dazwischen blieb ein stark verlärmter, schwer zu erreichender „Zwischenraum“. Gleichzei- tig stellt dieser wenig einprägsame Bereich für viele Besucher den ersten – und oft einzigen – Kontakt zur Elbinsel dar. Diese Dominanz von Verkehr und Lärm im „Empfangsbereich“ der Elbinsel ist zusammen mit vielfältigen Umweltbelastungen, die insbesondere aus der über 100-jährigen Hafennutzung re- sultieren, ein Grund, dass Wilhelmsburg trotz vielfältiger Auf- wertungsmaßnahmen als Wohnstandort immer noch mit ei- nem Negativimage belegt ist.
2.1.3 Die Mitte Zwischen den beiden Hauptverkehrsachsen liegt das geografi- sche Zentrum Wilhelmsburgs. Bereits 1902 gab es mit dem Bau des Rathauses erste Versuche, hier eine funktionale Mitte für den Stadtteil zu etablieren. Der Standort außerhalb der dama- ligen Siedlungsschwerpunkte wurde in Hoffnung auf ein sprunghaftes Stadtwachstum gewählt, das jedoch infolge einer Stadtentwicklungspolitik, die bis in die 70er Jahre des 20. Jhs Wilhelmsburg primär als Arbeitsstandort sah, niemals in er- hoffter Form einsetzte. Mit dem Bau der Wilhelmsburger Reichsstraße 1951 wurde die Mitte funktional von ihrem Umfeld getrennt, in Verbindung mit der Bahnlinie wurde sie zu einem „Grenzbereich“ zwischen Ost und West. Bis heute ist dieser Bereich geprägt durch eine heterogene Mischung aus Kleingärten, Brachen, öffentlichen Einrichtungen und gewerblichen Nutzungen, die nur wenig räumliche Qualitäten bieten und unzureichend aus den be- nachbarten Quartieren zu erreichen sind. Trotz einer Vielzahl von Infrastruktureinrichtungen - Bürgerhaus, Kombibad, Be- rufsschulzentrum - sowie der direkt angrenzenden S-Bahn und Einkaufszentrum WEZ ist dieser Ort auch für die Wilhelmsbur- ger ein „Niemandsland“. Symbol der „Mitte im Kopf“ ist das immer noch isoliert liegende Rathaus. Dass hier Hauptzugänge zum Stadtteil liegen, lässt sich nicht erkennen. Identitätsprägende Zentrumsqualitäten finden sich bis heute in den historischen Siedlungsschwerpunkten zwischen Vering- straße/Vogelhüttendeich und um St.Bonifatius im Westen, im Bahnhofsviertel und in Kirchdorf im Osten. Am Berta-Kröger- Platz wurde in den 70er Jahren ein weiterer Versuch zur Etab- lierung eines Stadtteilzentrums für die gesamte Elbinsel unter- nommen, das mit WEZ und S-Bahn zwar wichtige Zentrums- funktionen übernimmt, jedoch nur geringe räumliche Qualitä- ten bietet. Eine gemeinsame Identität für Ost und West konnte damit nicht geschaffen werden. Auch deshalb ist der Wunsch der Entwicklung einer „urbanen Mitte“ bei den Wilhelmsburgern ungebrochen groß.
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2.1.4 Wohn- und Gewerbequartiere Die Vielfalt seiner Quartiere ist eines der zentralen Stadtbild- merkmale Wilhelmsburgs. Nutzungen, Entstehungszeit und Baustruktur bilden deutlich zu unterscheidende Milieus, die meist durch einen gemeinsamen Bezugspunkt gekennzeichnet sind. Bei den Wohnquartieren handelt es sich i.d.R. um Stra- ßenzüge, Plätze oder Wahrzeichen, während die Gewerbequar- tiere oft durch Wasserwege an ihrem Rand definiert werden. Hintergrund dieser kleinteiligen Vielfalt ist die schrittweise Ent- wicklung der Quartiere, die sich bis in die 70er Jahre des 20. Jhs an den Erfordernissen der Hafenentwicklung orientierte. Woh- nungsbau wurde zunächst für Hafenarbeiter in direkter Nähe der Arbeitsstätte errichtet, im Rahmen des Groß-Hamburg- Gesetzes 1937 zugunsten industrieller Entwicklung vollständig eingestellt und erst in den 60er Jahren mit dem Bau verschie- dener Wohnsiedlungen wieder aufgenommen. Schwerpunkt war seit der Sturmflut von 1962 der Wilhelmsburger Osten; ei- ne Sicherung auch der hochwertigen Quartiere im Westen be- gann erst in den späten 70ern. Die sozialen Folgen dieser jahr- zehntelangen Vernachlässigung sind noch heute zu spüren. Heute konzentrieren sich die Wohnquartiere im Untersu- chungsgebiet auf das sog. „Reiherstieg-Viertel“, das auch stadtstrukturell deutlich von den überwiegend gewerblich ge- nutzten Bereichen südlich der Mengestraße getrennt wird. Die Gewerbequartiere in Wilhelmsburg sind einerseits von einer Konzentration großmaßstäblicher Hafenbetriebe am Reiherstieg gekennzeichnet, die durch den Hauptdeich deutlich vom Stadt- gebiet abgegrenzt sind. Die Uferbereiche sind aufgrund der Nutzung als Schifffahrtsweg nicht zugänglich, bieten jedoch an mehreren Punkten eindrucksvolle Ausblicke auf den gegenüber- liegenden Hafen mit großen Containerschiffen, Klapp- und Hubbrücken, historischen Industriebauten (die „Kathedralen des Hafens“) und modernen Umschlagplätzen. Andererseits hat im Rahmen der Stadterneuerung eine Bündelung kleingewerb- licher Strukturen innerhalb des Stadtgebietes stattgefunden, entweder in der Nähe des Hafengebietes oder entlang der Haupterschließungstrassen. Kleinteilige Gemengelagen mit di- rekter Nachbarschaft von Industriebetrieben und Wohnquartie- ren, wie sie über 100 Jahre lang Wilhelmsburg prägten, sind heute nur noch in Einzelfällen zu finden.
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Wohnquartiere Das Wohnquartier Vogelhüttendeich (1)2 ist mit dem Stü- benplatz als Quartiersmittelpunkt zentraler Marktplatz des westlichen Wilhelmsburgs. Geschlossene Gründerzeitbebauung mit kleinen Läden, Esslokalen und einem hohen Anteil auslän- discher Bevölkerung bilden ein buntes Quartier, das nach um- fangreichen Sanierungsmaßnahmen heute hohe städtebauliche Qualitäten aufweist. Eine Brücke über den Ernst-August-Kanal definiert am Endpunkt der historischen Achse Georg-Wilhelm- Straße einen der Stadteingänge für Wilhelmsburg. Das Wohnquartier Veringstraße (2) mit Fährstraße ist das zentrale Einkaufsgebiet des Stadtteils (historisches Zentrum am „Pudding“ Veringstraße, Ecke Fährstraße). Geschlossene Grün- derzeitbebauung wird ergänzt durch denkmalgeschützte Sied- lungen der 20er Jahre. Der benachbarte Veringkanal erweitert das Quartiersangebot mit dem Kulturzentrum Honigfabrik, Gewerbehöfen und punktuell zugänglichen Freiflächen am Wasser. Die ehemals wasserseitige Erschließung über den Fähr- stieg wurde aufgegeben. Das heterogen bebaute Wohnquartier Rotehaus (3) (Einfami- lienhäuser, Zeilenbauten) bildet eine räumliche Einheit durch den Stadtteilpark Rotenhäuser Feld mit dem Hochbunker als weit sichtbares Merkzeichen. Mit seiner zentralen und ruhigen Lage, grünen Straßen- und Hofräumen und vielen öffentlichen Angeboten ist es ein beliebter Wohnstandort in Wilhelmsburg. Identitätsmittelpunkt des ruhigen und grünen Wohnquartiers St.Bonifatius (4) (Ein- und Zweifamilienhäuser, Zeilenbauten, ehemalige Arbeiterwohnsiedlung der Wollkämmerei), bildet ein städtebaulich einprägsames Ensemble aus Schule und Kirche St.Bonifatius, Krankenhaus Groß-Sand und dem weit sichtbaren Wasserturm der alten Wollkämmerei. Die Lindenallee Bonifati- usstraße zieht sich als grüne Achse durch das Quartier. Das Quartier Zeidlerstraße/Reinstorfweg (5) ist geprägt durch eine homogene, durchgrünte Zeilenbebauung der 50er und 60er Jahre und Wohnhochhäusern an der Mengestraße. Hohe Qualitäten bietet das Naherholungsgebiet Assmannkanal mit Kleingärten, Park- und Sportflächen und neuem gartenbezogenen Wohnungsbau. Die historische Hauptachse Georg-Wilhelm-Str. mit dem Adolf-Menge-Platz kann ihre Po- tenziale als Identitätsmittelpunkt aufgrund räumlicher und funktionaler Defizite nicht wahrnehmen. Mittelpunkt des Wohnquartiers Peter-Beenck-Straße (6) bil- det eine Reihenhaussiedlung, die um 1900 für Arbeiter des Ve- ringkanals errichtet wurde. Die Randbereiche des Quartiers sind dagegen durch heterogene Zeilenbebauung und Blockergän- zungen geprägt. Die benachbarten großflächigen Grünanlagen mit Teichen und Bracks und der Wilhelmsburger Park sind für die Quartiersbewohner der „große Garten“.
2 Nummerierungen s. Plan 1.
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Das Wohnquartier Harburger Chaussee (7) stellt ein prägnan- tes Beispiel des Arbeiterwohnungsbaus aus den 20er Jahren mit differenzierter Raumbildung dar („Hamburger Burg“). Es liegt in direkter Nachbarschaft zur S-Bahn Veddel und ist damit einer der wenigen einprägsamen Stadtteileingänge, ist jedoch zwi- schen Bahntrasse, Gewerbegebiet Stenzelring und eingezäun- tem Hauptdeich vom inneren Wilhelmsburg und vom Spreeha- fen räumlich isoliert
Gewerbequartiere Das Hafenquartier Reiherstieg Nord (1) ist gekennzeichnet durch eine Mischung großer, alteingesessener Industriebetrie- be, kleinteiliger hafengewerblicher Firmen, großflächiger Logis- tikbetriebe (Containerlager, Speditionen), aber auch größerer brachgefallener Flächen. Gute Anbindung an den Hafen und das Erschließungsnetz sowie die wasserseitige Erschließung bil- den hochwertige Standortqualitäten. Das Reiherstieg Knie bie- tet mit seinem eindrucksvollen Gegenüber Rethespei- cher/Rethebrücke große Stadtbildpotenziale. Die Neuhöfer Straße stellt in Verbindung von Klappbrücke und Deichlinie ei- nen prägnanten Stadteingang dar. Aufgrund des seeschifffahrtstiefen Wassers befinden sich im Hafenquartier Reiherstieg Süd (2) ein Schwerpunkt klassi- scher Umschlagbetriebe sowie großflächige Hafenindustrie. Die Raffinerie Haltermann ist als alteingesessener Betrieb eng mit der Stadtteilentwicklung verbunden, aufgrund von Umwelt- problemen wird der Standort jedoch kontrovers bewertet. Weit sichtbare Wahrzeichen sind die Plangemühle mit Fabrikanten- villa und die Silos der Firma Habema. Im Gewerbequartier Veringkanal/Industriestraße (3) befin- det sich heute noch die früher für Wilhelmsburg typische direk- te Nachbarschaft von Wohnen und Arbeiten. Kleinteilige ge- werbliche Nutzungen/Handwerk am Veringkanal sowie Logis- tik/Produktion an der Industriestraße sind eng verknüpft mit Stadtquartier und Hafen. Mit der schrittweisen Umnutzung ehemaliger Gewerbeflächen wurde der Veringkanal in den letz- ten Jahren mit Grünflächen, Kultur- und Versorgungsangebo- ten bereits an einzelnen Orten für den Stadtteil geöffnet. Das Gewerbequartier Schmidts Breite/Georg-Wilhelm-Straße West (4) weist seit der Verlängerung der Schmidts Breite gute Standortqualitäten mit kurzer Anbindung an Hafen und über- geordnetes Erschließungsnetz auf. Alteingesessene Betriebe liegen hier neben neuen Dienstleistungen, darunter auch Poll- hornbogen und Gewerbepark Wilhelmsburg. Problematisch sind insgesamt fehlende Erweiterungsmöglichkeiten.3 Die Haupterschließung folgt der Deichlinie und bildet so eine deut- liche Grenze zum benachbarten Hafenquartier.
3 Vgl. Agenda Wilhelmsburg, 1999.
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Das Gewerbegebiet Kornweide Süd (5) stellt sich als kleintei- liges, heterogenes Quartier mit kurzer Anbindung an die Wil- helmsburger Reichsstraße dar. Hierhin wurden im Rahmen der Stadterneuerung seit den 70er Jahren verschiedene Betriebe verlagert. Merkzeichen ist der Turm des Gasthauses Kornweide Ecke Georg-Wilhelm-Straße. Der Funktion eines südlichen Stadteinganges mit direkter Lage an den südlichen Elbbrücken wird dieses Gebiet stadträumlich nicht gerecht. Das Gewerbequartier Dratelnstraße/Rubbertstraße (6) gibt ein vielfältiges Bild unterschiedlichster Nutzer und Baustruktu- ren: Lager, Speditionen und Baustoffunternehmen nutzen die Nähe zum Hafen, Künstler alte Industriegebäude als Gewerbe- ateliers an der Jaffestraße, ein Eisenbahnverein den denkmalge- schützten Ringlokschuppen. Um der zentralen Lage gerecht zu werden, gibt es Bestrebungen für eine Nutzungsintensivierung und Aufwertung im Zusammenhang mit der Stilllegung des Güterbahnhofsgeländes. Das Gewerbequartier Stenzelring (7) wurde erst in den 70er Jahren auf ehemaligen Kleingärten mit guter Anbindung an die Wilhelmsburger Reichsstraße entwickelt. Ein Branchenmix von Speditionen über Kfz-Reparatur bis zur Holzverarbeitung prä- gen dieses vielfältige Gewerbegebiet, das auch außerhalb Wil- helmsburgs einen guten Ruf genießt. Erweiterungspotenziale im Westen müssen zur Zeit noch für die Hafenquerspange frei- gehalten werden. Das Hafenquartier Spreehafeninsel (8) wird geprägt durch Hafenschuppen, eine alte Kopfsteinpflasterstraße und den un- bebauten Inselkopf. Der Spreehafen selber wird von verschie- denen Hafenliegern entlang der Uferbereiche genutzt. Spreeha- fen und Deich befinden sich im Freihafengebiet und sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Über die Spreehafeninsel betritt man Wilhelmsburg aus nördlicher Richtung; Brückenbauwerke bilden hier einen einprägsamen Stadteingang.
2.1.5 Grünes Wilhelmsburg Führte die Aufgabe des westlichen Wilhelmsburgs als Wohn- standort zu einer Vernachlässigung des Wohnungsbestandes, von dem sich die Elbinsel nur langsam erholt, brachte sie auch einen hohen Anteil an Grün- und Freiflächen. Stadtbildprägende Bedeutung hat das zentrale Kleingartenge- biet, das mit Bracks, Wettern und Seen attraktive Freiraum- strukturen aufweist. Südlich der Neuenfelder Straße bilden ein alter Friedhof, Rathauspark und Wilhelmsburger Park ein grü- nes Zentrum. Ehemals gewerblich genutzte Bereiche am Ass- mannkanal wurden zu einer breiten Freiraum- und Naherho- lungsachse ausgebaut. Die Landschaftsachse Ernst-August- Kanal/Dove-Elbe verbindet den Westen Wilhelmsburg mit dem Landschaftsraum im Osten.
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Fehlende Ost-West-Verbindungen, querende Hauptverkehrs- straßen oder schlechte stadträumliche Orientierung führen ins- gesamt zu einer Vereinzelung der Freiflächen, so dass ihr gro- ßes stadträumliches Potenzial auf die angrenzenden Quartiere beschränkt bleibt. Im Rahmen der IGS ist ihre Verbindung, ins- besondere die Anbindung der grünen Mitte über die Kleingar- tengebiete bis zum Reiherstieg-Knie daher eines der zentralen Ziele (s. Kap. 2.5.3). Die Landschaftsachse Reiherstieg markiert die Grenze zwischen Siedlungsbereich im Osten und Hafenindustrie im Westen; sie teilt die Elbinsel in zwei deutlich zu unterscheidende Teile und stellt die kürzeste Wasserverbindung zwischen Norder- und Sü- derelbe, Hamburg und Harburg dar.
2.1.6 Denkmalschutz Vielfältige Überformungen der historischen Strukturen machen einen besonderen Umgang mit historischen Spuren in Wil- helmsburg notwendig, der die historische Topografie des Ortes und die Kulturlandschaft in den Vordergrund der Betrachtung stellt und dabei Bestandteile der Industriekultur integriert. Denkmäler und denkmalwerte Gebäude sind im Hamburger Vergleich nur wenige vorhanden. Schutz und Zugänglichkeit von Wasserflächen und der Erhalt des Wasserwegesystems haben in Wilhelmsburg besondere Bedeutung, ebenso wie Brückenbauwerke, die z.T. jahrhunder- tealte Verbindungsachsen markieren. Dies betrifft z.B. den Spreehafen als historischen Binnenschifffahrtshafen sowie den Veringkanal mit angrenzender historischer Bebauung. Der Rei- herstieg ist aufgrund seiner starken industriellen Überformung der Uferbereiche für die historische Geografie bzw. Industriear- chäologie von Interesse. Den Bracks im Kleingartengebiet, die infolge der Deichbrüche 1962 entstanden sind, wird eine be- sondere Bedeutung für die Kulturpflege zugesprochen; unter Schutz gestellt ist das Uhlenbuschbrack. Im Hafengebiet selber sind nur ein sehr geringer Anteil der er- kannten Denkmäler auch in die Denkmalliste eingetragen (Ver- hältnis ca.10:1). Die Unterschutzstellung baulicher Anlagen im Zusammenhang mit privaten Wasserflächen (z.B. Kaianlagen, Brücken) ist vergleichsweise schwierig und setzt den Denkmal- charakter der Wasserfläche voraus. Im Hinblick auf die zuneh- mend touristische Bedeutung des Hafens gewinnt der Denk- malschutz in jüngster Zeit jedoch an Gewicht. Das Wissen um historische Zusammenhänge und deren Abbil- dungen im heutigen Stadtgefüge ist grundlegend für jede qua- lifizierte Planung und sollte insbesondere bei umfangreichen Eingriffen, wie sie im „Sprung über die Elbe“ vorgesehen sind, in die Abwägung und Planungsentscheidung mit einbezogen werden.
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2.1.7 Methodische Hinweise Mit Entwicklung eines hochwertigen, ortstypischen Stadtbildes wird der Grundstein zur nachhaltigen Aufwertung sowohl der lokalen Identität als auch des Images der Elbinsel Wilhelmsburg gelegt. Neben den besonderen freiräumlichen Potenzialen des durch Wasserwege geprägten Raumes bieten insbesondere der Erhalt und die Nutzung historischer Spuren hierfür hochwerti- ge Potenziale. Derzeit liegt in Wilhelmsburg kein abgeschlossenes Grundla- genmaterial in Form einer Denkmaltopografie vor. Eine Liste der denkmalwerten Objekte und Ensembles wird im Rahmen einer Schnellerhebung für ganz Hamburg erstellt. Dringend angeraten wird von Seiten des Denkmalschutzamtes die Erstel- lung eines Gutachtens, in dem die historischen Strukturen und erhaltenen Reste aufgenommen und bewertet werden, inklusi- ve einer Auswertung zur Einbeziehung der Spuren in die Neu- entwicklung.
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2.2 Nutzungsstruktur Mit einer Ausdehnung von 5,5 km vom Spreehafen bis zur Sü- Datenüberblick Wilhelmsburg derelbe und 2,5 km von der Bahnlinie bis zum Reiherstieg um- WB HH fasst das westliche Wilhelmsburg eine Fläche von ca. 1.000 ha. Fläche in km² 35,3 755,3 Damit ist es z.B. dreimal so groß wie der Hamburger Stadtteil EW je km² 1.357 2.267 Eimsbüttel. Gleichzeitig hat es aufgrund des hohen Anteils von Bevölkerung Gewerbe- und Grünflächen nicht einmal die Hälfte dessen Ein- Bevölkerung 47.857 1.7 Mio 1990 46.686 wohner. Unter 18-Jährige in % der Bev. 22,4 % 16,1 % Der überwiegende Teil des Gebietes gehört zum Bezirk Har- Über 65-Jährige in % der Bev. 13,9 % 17,5 % burg/Stadtteil Wilhelmsburg; Spreehafen inkl. südliches Ufer Haushalte 21.345 Haushalte mit Kindern in % 26,8 % 18,9 % und Spreehafeninsel gehören zum Bezirk Mitte/Stadtteil Ved- Ausländer/innen in % der Bev. 34,7 % 15,5 % del. Randbereiche des Untersuchungsgebiets (Ostufer Reiher- 1990 26,1 % stieg, Spreehafen) befinden sich im Hafengebiet, d.h. sie unter- Zuzüge/Fortzüge 5116/4482 liegen der Planungshoheit der Wirtschaftsbehörde/Amt für 1997 6543/7204
Strom- und Hafenbau und befinden sich im Geltungsbereich Wohnen Wohnfläche je EW in m² 28,5 36,1 des Hafenentwicklungsgesetzes. Der Spreehafen ist Teil des Wohnungen 20.388 866.646 Freihafens, also Zollausland. WE in Ein-/Zweifamilienhäusern 14,1 % 20,5 % in % aller Wohnungen (1997) Sozialwohnungen in % der WE 37,7 % 17,3 % 2.2.1 Bevölkerung und Wohnen Immobilienpreise (2003) in Euro 1.466 2.199 Ein- / Zweifamilienhäuser je m² Die Einwohner Wilhelmsburgs bilden eine heterogene Mi- Eigentumswohnungen je m² 1.291 1.969 schung in Bezug auf Herkunft und Kultur, Alter, Bildung, Fami- Sozialstruktur lienstand und Einkommensniveau; über ein Drittel der Bevölke- Arbeitslose (März 2003) in % der 10,7 7,3 15- bis < 65-Jährigen rung sind Ausländer. Diese Vielfalt wird zum einen als beson- 1995 / 1999 8,4 /12% dere Qualität gewertet, führt aber auch zu Konflikten. Im Un- Sozialhilfeempfänger/innen in % 13,2 7,1 tersuchungsgebiet westlich der Bahnlinie leben mit 23.363 der Bevölkerung
Menschen ungefähr die Hälfte der Bevölkerung des Stadtteils Kriminalität Straftaten je 1000 EW 170 157 Wilhelmsburg. Der Bevölkerungsschwerpunkt liegt mit 19.521 Infrastruktur Einwohnern nördlich der Mengestraße. Kindergärten (2003) 29 1.051 Trotz vielfältiger Maßnahmen zur Stabilisierung ist Wilhelms- Grundschulen 8 262 burg immer noch ein sozial benachteiligter Stadtteil: Das Ein- Weiterführende Schulen 7 218 EW pro niedergelassenen Ärzten 886 473 kommensniveau liegt ein Viertel unter dem Hamburger Durch- Apotheken (2003) 11 461 schnitt, jeder Achte lebt von der Sozialhilfe. Der Anteil von Ar- Verkehr beitslosen in Wilhelmsburg ist hoch – der Stadtteil ist dabei be- Private PKW je 1.000 EW (2003) 303 372 sonders von dem Verlust von Arbeitsplätzen im Hafen und im Die Zahlen beziehen sich sofern nicht anders angegeben produzierenden Sektor betroffen. auf 2002 Quelle: Regional Stadtteil-Profile 2003 und Agenda Wil- Ursache sind Abwanderungsprozesse, denen Wilhelmsburg bis helmsburg, 1999 heute unterworfen ist. Nach der Flutkatastrophe 1962 verlie- ßen viele der alteingesessenen Bewohner die Elbinsel. Die Ver- nachlässigung des historischen Wohnungsbestandes und ein großer Anteil von Sozialwohnungen führten zu einem Zuzug v.a. von sozial benachteiligten Bevölkerungsschichten. Soziale Probleme, damit verbunden ein niedriges Bildungsniveau und ein Mangel an passendem Wohnraum veranlassen heute noch viele junge Familien, die Elbinsel zu verlassen. Insgesamt ist die Fluktuation in den letzten Jahren jedoch gesunken und auch die soziale Lage scheint sich in vielen Bereichen zu stabilisieren; die Menschen beginnen, die Qualitäten ihres Wohnortes zu schätzen.
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Die vielfältigen Wohnquartiere bieten ein breites Spektrum un- terschiedlicher Wohnformen, der Schwerpunkt liegt im Westen im Bereich des Geschosswohnungsbaus, mit einem hohen An- teil kleiner Wohnungen. Nach umfangreichen Sanierungsmaß- nahmen bieten die historischen Arbeiterwohnquartiere heute einen attraktiven, vergleichsweise günstigen Mietwohnungsbe- stand; die sanierten Wohnungsbestände der Nachkriegszeit haben wie z.B. am Assmannkanal hohe freiräumliche Qualitä- ten. Der Anteil an Ein- und Zweifamilienhäuser liegt dagegen – anders als im ländlichen Osten - weit unter dem Hamburger Durchschnitt. Der Raum zur Erweiterung des Wohnungsange- botes, wie z.B. in der Reihenhaussiedlung Zeidlerstraße, ist be- grenzt; die Freiflächen liegen zu dicht an störenden Gewerbe- betrieben oder lärmenden Hauptverkehrstrassen (im Wohnbau- flächenkataster sind zur Zeit nur drei Flächen von 0,4-0,7 ha ausgewiesen). Positiv fällt in Wilhelmsburg auch das hohe Engagement der Bevölkerung auf. Es gibt eine Vielzahl aktiver Gruppen, ver- schiedene Religionsgemeinschaften, Initiativen und Einrichtun- gen, die sich für die Verbesserung ihrer Lebensqualität einset- zen. Im Rahmen des Beteiligungsverfahrens „Mitwirken in Wil- helmsburg“ haben seit 1994 viele Wilhelmsburger die Zukunft ihres Stadtteils selber in die Hand genommen und eine Vielzahl von Projekten initiiert.
2.2.2 Versorgung, Infrastruktur und Freizeit Wilhelmsburg bietet ein vielfältiges Angebot an Versorgung, öffentlichen Einrichtungen, Freizeit und Kultur, dem seine in- ternationale Bevölkerung eine ganz besondere Prägung gibt. Infolge der historisch bedingten Entwicklung mehrerer lokaler Stadtteilzentren sind die verschiedenen Angebote räumlich auf die einzelnen Quartiere verteilt und spielen hier nicht selten ei- ne wichtige Rolle als Mittelpunkt und Identitätsgeber (z.B. Stü- benplatz, Bonifatiuskirche, Rotenhäuser Feld). Eine quartiers- übergreifende Funktion können sie jedoch nur in Einzelfällen übernehmen. Kleinere Versorgungszentren insbesondere in den Wohnquartieren der 60er/70er Jahre können oft ihre Versor- gungsfunktion aufgrund von Ladenschließungen und Leer- ständen nicht aufrechterhalten (z.B. am Adolf-Menge-Platz). Angebote mit übergreifender Bedeutung für die gesamte Elb- insel sind: Wilhelmsburger Einkaufszentrum (WEZ) und Berta- Kröger-Platz, mit S-Bahn, ZOB, P+R; kann seiner Funk- tion als C1-Stadtteilzentrum aufgrund stark einge- schränkten Angebotes und stadträumlicher Defizite nicht gerecht werden; Ort Vorbereitender Untersu- chungen historisches Rathaus mit heutigem Ortsamt und Bera- tungsstellen, isoliert zwischen Ost- und Westteil
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