BULLETIN DER BUNDESREGIERUNG

Nr. 85-1 vom 1. Juli 2019

Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier zur Entlassung der Bundesministerin für Justiz und Verbraucherschutz, Dr. Katarina Barley, und der Ernennung von am 27. Juni 2019 in Berlin:

Liebe Frau Barley! Nach fordernden sechs Jahren verlassen Sie Berlin in Richtung Straßburg und Brüssel. So viel können wir wohl bereits heute absehen: Weniger for- dernd wird es dort nicht werden! Aber das dürfte Sie nicht schrecken. Denn wenn eines Ihre politische Arbeit der letzten Jahre gekennzeichnet hat, dann doch das: Sie werden gerufen, wenn es brennt. Sie scheuen keine Herausforderung. Und Sie lassen sich in die Pflicht nehmen, wo es notwendig ist.

2013 wurden Sie in den gewählt; kaum angekommen, wählte Ihre Fraktion Sie zur Justitiarin. Nur wenig später übernahmen Sie das Amt der Generalsekretärin Ihrer Partei, und 2017 wurden Sie Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Nach der Regierungsbildung im Jahr 2018 wechselten Sie in das Amt der Bundesmi- nisterin der Justiz und für Verbraucherschutz – ein Amt, auf das Sie durch Ihr Leben vor der Politik bestens vorbereitet waren durch eine rechtswissenschaftliche Promotion in Münster, Tätigkeiten in einer internationalen Kanzlei, im rheinland-pfälzischen Land- tag, am Bundesverfassungsgericht, als Richterin und im Landesjustizministerium.

Katarina Barley, da wird niemand widersprechen, ist eine selbstbewusste Spitzenpoli- tikerin und erfahrene Juristin. Und so verwundert es nicht, dass viele in Rechtspflege und Justiz, aber auch in der Rechtspolitik ihre Ernennung zur Justizministerin mit Wohl- wollen, aber auch mit großen Erwartungen aufgenommen haben. Diese Erwartungen Bulletin Nr. 85-1 v. 1. Juli 2019 / Bpräs. – Entlassung und Ernennung der Bundesjustizministerin, Berlin

- 2 - haben Sie erfüllt – das habe ich immer wieder aus der Juristenzunft gehört. Sie haben wichtige Gesetze auf den Weg gebracht und rechtspolitische Debatten angestoßen, etwa um das Sorgerecht. Dabei haben Sie immer wieder auch eigene Erfahrungen eingebracht.

Andere wichtige Vorhaben waren die strafrechtliche Rehabilitierung von Homosexuel- len oder das Mieterschutzgesetz. In Ihrer nur relativ kurzen Amtszeit haben Sie 14 Gesetzesvorhaben verwirklicht, viele weitere, die Sie auf die Schiene gesetzt haben, werden von Ihrer Nachfolgerin weiterverfolgt werden müssen.

Ihr Abschied wird von vielen in der Justiz bedauert. Die Interessen von Justiz und Rechtspflege, aber auch die des Verbraucherschutzes waren bei Ihnen in guten Hän- den.

Jetzt also Europa! Was für die deutsche Politik ein Verlust ist, wird für die europäische Integration eine Bereicherung werden. Sie waren schon immer eine Europäerin – nicht nur wegen Ihres britischen und rheinischen Migrationshintergrundes! Wer im Ausland studiert hat, sich wissenschaftlich wie beruflich mit Europarecht und -politik befasst hat, wer in der Gegend von lebt – einer Grenzregion mit tiefen römischen Wurzeln –, der kennt den Wert des europäischen Einigungswerks, aber auch die Probleme Eu- ropas.

In einer Zeit, in der neuer Nationalismus aufkeimt, antieuropäische Strömungen wach- sen und unsere Demokratie angefochten ist, in dieser Zeit ist es besonders wichtig, dass überzeugte Europäerinnen und Demokraten wie Sie sich in den europäischen Institutionen engagieren.

Repräsentation heißt auch im Europäischen Parlament, die Probleme und Interessen der Menschen in den Blick zu nehmen und in die europäische Politik einzubringen. Es bedeutet aber auch, für die europäische Idee zu werben. Nur ein vereintes, demokra- tisches Europa kann in einer komplexen, von neuen Konflikten geprägten Welt das Versprechen von Frieden, Sicherheit und Wohlstand erfüllen. Bulletin Nr. 85-1 v. 1. Juli 2019 / Bpräs. – Entlassung und Ernennung der Bundesjustizministerin, Berlin

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In Ihren verschiedenen Ämtern haben Sie mit großem Nachdruck dafür gearbeitet, die Kluft zwischen Politik und Bürgern, zwischen Regierenden und Regierten nicht größer werden zu lassen. Sie haben immer wieder betont, dass wir verständliche Sprache brauchen, aber auch Durchlässigkeit für die Fragen und Probleme, die die Menschen wirklich bewegen. Wenn ich eine Bitte äußern darf: Nehmen Sie dieses Anliegen, neh- men Sie diesen Nachdruck mit nach Brüssel und Straßburg! Das kann Europa nur guttun.

Liebe Katarina Barley, ich bin mir sicher, Sie werden die neuen Herausforderungen angehen, ganz wie es Ihre Art ist: mit Mut und Elan, mit der richtigen Mischung aus Offenheit und Humor, Nachdenklichkeit und Selbstreflexion. Ich wünsche Ihnen für Ihre neue Arbeit Energie, Erfolg und einen langen Atem!

Liebe Frau Lambrecht, eines Ihrer Geburtstagsgeschenke in diesem Jahr werden Sie nicht vergessen. Ausgerechnet an Ihrem Geburtstag haben Sie erfahren, dass Sie die Nachfolgerin von Katarina Barley im Bundesministerium der Justiz und für Verbrau- cherschutz werden sollen – und sich nach diesem „Gänsehautmoment“, wie Sie selbst gesagt haben, gleich in die Arbeit gestürzt.

Das Feld, das Sie nun als Ministerin bestellen, ist für Sie keine Terra incognita, ganz im Gegenteil: Sie sind studierte Juristin und haben sich im Deutschen Bundestag viele Jahre intensiv mit Rechtspolitik auseinandergesetzt, waren Mitglied im Rechtsaus- schuss und rechtspolitische Sprecherin Ihrer Fraktion.

Das Amt der Justizministerin übernehmen Sie in wahrlich herausfordernden Zeiten. Die Verteidigung des Rechtsstaats, nicht zuletzt der Kampf gegen rechten Terror, aber auch ein ausgewogenes Verhältnis von Freiheit und Sicherheit, all das sind Themen, die die Menschen in unserem Land bewegen.

Unser demokratischer Rechtsstaat steht in der Verantwortung, auch diejenigen wirk- sam vor Beleidigungen, Bedrohungen, Verleumdungen und gewaltsamen Angriffen zu schützen, die sich tagtäglich für die Demokratie und ein gutes Miteinander in unserem Land engagieren, auch und gerade in der Kommunalpolitik. Hier muss der Rechtsstaat Bulletin Nr. 85-1 v. 1. Juli 2019 / Bpräs. – Entlassung und Ernennung der Bundesjustizministerin, Berlin

- 4 - klare Grenzen ziehen und deutliche Zeichen setzen: Gemeinderäte, Kreisräte, Ober- bürgermeister, Bürgermeister sind kein Freiwild und nicht der Fußabtreter der Frus- trierten, weder im Internet noch auf den Straßen und Plätzen unserer Republik. Im Gegenteil: Zehntausende von ehrenamtlichen Mandatsträgern – Gemeinderatsmitglie- dern, Stadtratsmitgliedern, Bürgermeistern – sind das Fundament, auf dem das Ge- bäude unserer Demokratie politisch ruht. Sie verdienen Respekt und Anerkennung und, wo nötig, auch Schutz.

Ich weiß, liebe Christine Lambrecht, wie sehr das auch Ihr Anliegen ist und im neuen Amt bleiben wird – als Teil eines breiten und vielfältigen Aufgabenspektrums in Ihrem künftigen Ministerium. Aber Sie sind nicht nur eine erfahrene Rechtspolitikerin, son- dern haben in vielen Positionen, zuletzt als parlamentarische Staatssekretärin im Fi- nanzministerium, Verhandlungsgeschick und Führungsstärke gezeigt. Für Ihre neue, verantwortungsvolle Aufgabe wünsche ich Ihnen eine glückliche Hand und gutes Ge- lingen.

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