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BASKETBALL Bafög für die Vierer-Bande Es war eine Investition in die Zukunft: Vier der größten deutschen Talente wanderten vor Jahren in die USA aus. Gestählt vom harten Wettbewerb in den College-Teams, stehen sie jetzt vor einer kleinen Karriere in der US-Profiliga NBA oder einer großen in Europa.

r war bei 196 Zentimetern angekom- selbst bezogenen teutonischen Sport, vom beim Streetball, sagt der Multimillionär, men, als Alexander Kühl darüber Deutschen Bund (DBB) kräftig „holte ich mir die nötige Härte“. Enachdachte, sich Spritzen geben zu gefördert. Der Verband hilft mit Taschen- Nur mit eisernem Willen geht es, meinen lassen. In Brammer, einem winzigen Dorf geld und Flugtickets aus, Sportdirektor nun auch Schrempfs Enkel.Wenn er nachts in Schleswig-Holstein, machten sie damals Wolfgang Brenscheidt koordiniert Termine aufwacht, steigt Ademola Okulaja, ein in Witze über den „tumben Riesen“, der nie und erkundigt sich nach Heimweh und Lagos, Nigeria, geborener Berliner, darum eine Freundin fand und immer weiter sonstigem Herzeleid, und die Bundestrai- wie programmiert in seinen Nissan und wuchs. Kühl entschied sich gegen die Hor- ner überprüfen die Trainingsprotokolle. fährt über den Campus von Chapple Hill monbehandlung, weil er die Nebenwir- Im Gegenzug erwarten die Herren vom in die Halle der North Carolina Tar Heels. kungen fürchtete. „Dann“, sagt er, „wäre DBB, daß diejenigen, die es zum Millionär Dort läuft er an den Bildern von Michael ich auch noch dick geworden.“ bringen, Patenschaften für neue Talente Jordan vorbei und schaltet das Licht ein. Er Welche Möglichkeiten Körpergröße bie- übernehmen – eine Art Bafög für Basket- schnappt sich einen Ball, dribbelt und tet, hat Kühl, heute 2,15 Meter lang, erst in baller. Vor allem aber geht es Brenscheidt wirft. Fünfzig-, hundert-, fünfhundertmal. den USA begriffen. Dort ist Bis es hell wird und die Ca- er nicht mehr der Lulatsch feteria öffnet. vom Land, dort gehört er zur Als Okulaja das erste Mal Elite der Basketballer. Und die 22000 Zuschauer fassen- weil er sich eine Glatze rasie- de Arena der Tar Heels be- ren und einen Bart wachsen trat, „dachte ich noch, ich fal- ließ, auch weil er nun Tattoo le in den Himmel oder ins und Ohrring trägt und seine Meer“ – hellblau erstrahlt die Stimme sich dem Baß eines monströse Halle. Bären anglich, fürchten die Und nicht nur die Stadien Gegenspieler diesen gewalti- sind anders: Benimmregeln gen Center aus . und Strafen disziplinieren die Der ist zwar einsam, denn Spieler, als wären sie GIs. seine Eltern haben nicht ge- Lassen sie sich nach dem nug Geld, um ihn zu besu- Training im Hörsaal blicken, chen. Aber er hat durchge- warten dort schon wieder die halten. Basketball, das weiß Groupies, die „mit Okulaja, er inzwischen, ist die einzige dem Basketballer, und nicht

Chance in seinem Leben. M. WEBER W. mit Ademola, dem Men- Und es hat sich gelohnt. Nationalspieler Femerling, Kühl, Okulaja, Malbeck: „Das Große Los“ schen“, ins Bett wollen. Im Kühl, 24, ist in Amerika deut- US-Basketball, das hat er scher Nationalspieler geworden und ein darum, daß die Nutznießer seiner „Elite- schnell gelernt, geht es wilder, greller, hy- kommender Star. Wie seine Kollegen Pa- Topförderung“ auch künftig, wenn sie sterischer zu als in der Bundesliga. Das trick Femerling, 22, Ademola Okulaja, 21, womöglich berühmt sind, treu fürs Vater- Spiel sei schneller, erzählt Okulaja, und und Jürgen Malbeck, 23, hat auch er sich in land spielen. „Rebounds werden hier nicht auf Ring- der US-College-Liga ausbilden lassen. Die Denn ausgerechnet Detlef Schrempf, bis- höhe gefangen, sondern einen halben Me- vier Abenteurer wurden schon vor den lang der einzige Deutsche, der sich in den ter höher“; beim Finalturnier der College- Provinzfürsten der CDU „Junge Wilde“ USA durchsetzen konnte, gilt als lebendi- saison, den „Final Four“, spielte er vor genannt, weil sie sichere Jobs in der Bun- ges Mahnmal für die Folgen sportpoliti- 40000 Zuschauern in Indianapolis und 60 desliga gegen lange Lehrjahre ohne Be- scher Dummheit. Weil sich während sei- Millionen vor den Fernsehern. zahlung eintauschten. ner College-Zeit kein Funktionär für ihn Schon in seinem zweiten Jahr wurde der Nun hat das Quartett prächtige Per- interessierte, interessiert der NBA-Star 2,02 Meter große Deutsche Stammspieler; spektiven: Vielleicht schaffen es alle vier Schrempf sich heute nicht für Funktionäre die Kollegen nannten ihn wegen seiner ef- bis in die Profiliga NBA, mindestens er- und schwänzt alle Länderspiele. fektiven Spielweise „quiet assassin“, stiller halten sie hochdotierte Verträge irgendwo Immerhin hat der Leverkusener der neu- Killer. Zwei weitere Jahre bleiben Okulaja in Europa. Und mit der Nationalmann- en Generation vorgemacht, wie man sich nun, um zum Egozentriker zu reifen, der schaft wähnen sie sich vor schönen Jah- durchsetzt in Amerika.Wenn sein Training mehr Punkte und Rebounds als die eigenen ren, die Ende Juni bei der Europameister- zu Ende war, ging Detlef Schrempf, den Kollegen sammelt. „Wegen kluger Pässe schaft in Spanien beginnen und mit einer die schwarzen Spieler als „dead shrimp“ und Mannschaftsdienlichkeit“, das ahnt er Medaille bei Olympia 2004 enden sollen. (tote Krabbe) verspotteten, in die Hinter- schon, „kommt keiner in die NBA.“ Deshalb wird die Amerika-Expedition, höfe, wo beim Rebound schon mal Arme Doch spätestens seit im vergangenen das ist ungewöhnlich im meist auf sich gebrochen werden, und übte weiter. Erst Herbst der große Jordan an seiner alten

122 der spiegel 24/1997 Schule vorbeischaute, um mit Okulaja zu trainieren, glaubt der an eine NBA-Chan- ce von „mehr als 50 Prozent“. Denn Jor- dan trägt zwar die berühmte Nummer 23 und seine eigene Unterhosenkollektion, aber selbst der „Gott aller Basketballer“, so Okulaja, spielte schlechte Pässe, „und dann entschuldigte er sich“. Wer für North Carolina antritt, lebt ver- gleichsweise gepolstert: Die Uni, von sports illustrated „Hotel Carolina“ ge- nannt, erstattet die 18 000 Dollar Studien- gebühren pro Jahr, Nike stellt Dutzende von Sportschuhen, und weil die Mann- schaft pro Saison 42 Millionen Dollar ein- spielt, werden alle ehemaligen Basketbal- ler, denen im wirklichen Leben nichts mehr gelingt, aus einer Stiftung ernährt, die der Trainer Dean Smith gegründet hat. Die anderen drei Deutschen gingen ei- nen eher steinigen Weg.Weil ihnen die aka- demische Zulassung fürs College fehlte, mußten Kühl und Malbeck zunächst zwei Jahre auf kleinen Junior Colleges überste- hen, ehe Kühl in Charlotte, North Caroli- na, und Malbeck auf Hawaii interessierte Hochschulen fanden. Femerling suchte sich die sportlich durchschnittliche University of Washington in Seattle aus, weil er alles wie sein Vorbild machen wollte – dort hat schon Detlef Schrempf studiert. In der Pro- vinz sehen sich Kühl und Kumpane nun „im Kampf um unsere Zukunft“. Das ist ein riskantes Unternehmen: Wer durchkommt, wird reich; aber wer schei- tert, findet im amerikanischen Sport, der ausschließlich auf Hochleistung ausgerich- tet ist, keinen Halt. Und weil die Auslese gnadenlos ist und keiner, der einmal durch- gefallen ist, eine zweite Chance bekommt, spielen Kollegen stets auch gegeneinander. Jahr für Jahr sortiert das System auf die immer gleiche Weise aus: Zehntausende High-School-Teams treffen die erste Wahl; die Begabtesten rücken vor in die 305 Col- lege-Mannschaften der ersten Division; 58 Spieler werden von den 29 Profiteams in den sogenannten Drafts ausgesucht. Ver- träge in Millionenhöhe bekommen nur die besten elf Kandidaten, und lediglich zwei Dutzend Neulinge halten sich länger als ein Jahr in der NBA. Verlangt wird vor allem Selbstaufgabe, und das bedeutet: Bälle tragen, Mund hal- ten und monatelang auf die ersten drei Mi- nuten Spielzeit warten. Die Deutschen Uwe Blab und Christian Welp harrten über Jahre auf den Ersatzbänken der NBA aus, wurden wieder und wieder verkauft und verdrückten sich schließlich leise in Rich- tung Heimat. Der Berliner Henning Har- nisch, in der Bundesrepublik als Sinnbild des mündigen Basketballers verehrt, hielt nur zwei Wochen im US-College durch. Sehr stolz sind Malbeck und Kühl darum auf eine Einladung nach Portsmouth im Bundesstaat Virginia. Alljährlich spielen

S. ROBERTS / FREEZE FRAME PHOTO S. ROBERTS dort die besten 64 Abgänger kleinerer Basketballer Kühl im Charlotte-College-Team: Sicheren Bundesliga-Job aufgegeben Schulen beim „Portsmouth Invitational

der spiegel 24/1997 123 Tournament“ (PIT) vor. Zwölf von den Auserwählten waren im letzten Jahr auch bei den NBA-Drafts dabei, und das sei ja „keine schlechte Quote“, meint Malbeck. Der junge Mann aus Nördlingen, den sie auf Hawaii „Terminator“ getauft haben, ist derjenige aus dem deutschen Quartett, der am wenigsten an eine große Zukunft geglaubt hatte. Er war vor allem aus touri- stischen Gründen in die USA gegangen, machte dann allerdings im Team der Ha- waii Pacific University 18,7 Punkte pro Ein- satz und wurde zweimal zum Spieler des Jahres in der zweiten College-Liga gewählt. Malbeck und seine Konkurrenten tre- ten in der kleinen Halle der Portsmouth Truckers an; die Kandidaten sind willkür- lich auf acht Mannschaften verteilt. Eine Handvoll Zuschauer ist da, kaum Presse, keine Kamera. Doch auf den hinteren Rän- gen hockt Jerry Krause. Der ist der Mana- ger der Chicago Bulls, und auf Leute wie ihn kommt es hier an. Die beiden Deutschen fallen Krause von Anfang an auf, weil sie eine Lücke füllen könnten: Die NBA braucht zwecks Er- schließung neuer Märkte dringend weiße Spieler; außerdem werden in diesem Jahr große Center gesucht. Kühl und Malbeck, sagt der Kollege Okulaja, hätten zudem den Vorteil, das Spiel zu verstehen: Ande- re Center seien ja „groß und dumm“. Viele Punkte machen die beiden nicht, aber das liegt vor allem daran, daß sie von den Rivalen im eigenen Team nicht viele Pässe kriegen. Die NBA-Agenten sehen solche Feinheiten: „Wenn sich ein Trainer längere Zeit mit ihm beschäftigt“, notieren sie zufrieden über Kühl, „könnte er in der NBA ein guter Reservecenter werden.“ Ob Kühl aber überhaupt Reservecenter werden will, das weiß er noch nicht. Nur auf der Bank zu sitzen und Superstars wie Patrick Ewing bei der Arbeit zuzuschauen mache selbst dann nicht glücklich, wenn es pro Nacht 20000 Dollar einbringe, sagt er. „Außerdem“, meint Malbeck, „haben wir ja unwissend das Große Los gezogen.“ Gegangen nämlich sind sie vor Jahren auch deshalb, weil sie in Deutschland kei- ne echte Chance hatten: Zweitklassige Amerikaner waren in der Bundesliga be- gehrter als einheimische Talente. Jetzt aber sind die vier hervorragend geschult, und in Europa hat das sogenannte Bosman-Urteil den Markt geöffnet. Mögen Alba und Bayer Leverkusen noch so buhlen, die reichen Ligen in Griechenland, Italien und Spanien locken viel mehr. Akademisch, soviel steht fest, hat die Vierer-Bande im fernen Amerika nur mä- ßig reüssiert. Okulaja schrieb sich zwar im- merhin für „International Studies“ ein und möchte mal Diplomat werden. Die anderen drei aber studierten lediglich, um für ihr College Basketball spielen zu dürfen. Alexander Kühl suchte sich gleich jenes Fach aus, das die geringste Kopfarbeit er- forderte. Er studierte Deutsch. ™

der spiegel 24/1997