Einzelpreis 2,- Euro Idee & Tat Zeitschrift für die Leitungskräfte der Kolpingsfamilie

EExxttrraa//22000044 91. Jahrgang

Das Thema:

Geschichte der Sozialbewegung V on der Frühindustrialisierung ins 21. Jahrhundert

Erbe und Auftrag Idee & Tat - Extra /04 2 h t ör

t Liebe Leserin, e: um Donauw

or lieber Leser, elseit it Die Sozialpolitik in Deutschland ist wesentlich von enga- o T gierten katholischen Christen mitgestaltet worden. Dabei t o orientierten sie sich an der Katholischen Soziallehre, die – gemeinsam mit der evangelischen Sozialethik – zur

Christlichen Gesellschaftslehre weiterentwickelt worden olping-Bildungszentr ist. Großes F K Geistliche und Laien haben sie gleichermaßen geprägt: Katholiken, die sich über die durch Trennung von Arbeit und Kapital entstehende „Soziale Frage“ Gedanken machten und gegen die Verelendung der Arbeiter angingen. Über die deutsche Zentrumspartei haben die Katholiken wesentlich auf die Sozialgesetz- gebung im Kaiserreich wie auch in der Weimarer Republik eingewirkt. Nach dem 2. Weltkrieg übernahm die überlebende Führungselite des politischen und sozialen Katholi- zismus öffentliche Verantwortung beim Neuaufbau des Staates. In der Mai-Ausgabe des Jahres 2002 haben wir im Kolpingblatt auf die Geschichte der katholischen Sozialbewegung hingewiesen, die auch von Adolph Kolping und weiteren Auf ein W Mitgliedern des Kolpingwerkes wesentlich mitgeprägt wurde. Inhalt In Idee & Tat wurde anschließend die Geschichte der katholischen Sozialbewegung in einer Serie mit acht Folgen intensiv aufgearbeitet. Diese Beiträge liegen nun als Sonder- 1. Frühindustrialisierung und druck vor. erste Sozialreform S. 3 Unser Titelbild deutet an: Die Geschichte der Menschheit ist kein Produkt von Chaos und Zufall. Sie ist auch nicht nur das Werk von Menschen, sondern zugleich Heilsgeschichte. Immer wieder lassen sich Frauen und Männer von Gott rufen, um nicht zuerst für sich selbst zu leben, sondern um sich in den 2. „Ein großer Umschwung Dienst der Gesellschaft stellen. Wir erleben das im Alltag bei ungezählten Menschen, die sich hinge- hat stattgefunden“ S. 7 bungsvoll für die Formung und Erziehung ihrer Kinder einsetzen, und dafür selten ein Lob erhalten (Muss nicht jeder, der den Vorzug hat, glücklich durch´s Leben zu gehen, für diese erlebte Hingabe 3. Katholiken im dankbar sein?). Kaiserreich S. 11 Wir erleben Heilsgeschichte gerade auch durch solche Menschen, die sich – oft mit Leidenschaft – für Aufgaben in Gesellschaft, Staat und Kirche zum Wohle aller einsetzen. Es ist für uns, die wir davon 4. Die Kirche lobt und profitieren, das Mindeste, sie dankbar zu ehren. verwirft S. 15 Solche Vorbilder regen an, ermutigen und stärken diejenigen, die sich heute für soziale Gerechtigkeit und Wohlstand der Menschen einsetzen. Auf die Zeit der Industrialisierung und Liberalisierung folgten 5. Zwischen den Menschen wie Franz Joseph Buß, Wilhelm Emmanuel von Ketteler, Adolph Kolping, Adam Stegerwald, und Oswald von Nell-Breuning, die jeweils mit ihren Antworten und Initiativen Unge- Kriegen S. 19 rechtigkeit, Leid und Ausweglosigkeit bekämpften – im Sinne einer besseren, christlicheren Welt. Sie erinnern uns daran, dass Gott uns seit unserer Erschaffung nicht verlässt, sondern Heilung schenkt. Das 6. Keine Stunde Null S. 23 gilt für jeden Einzelnen, das gilt auch für die Gesellschaft insgesamt. Dieses Heft fasst ihr Erbe anschaulich zusammen und ist zugleich Auftrag an uns, heute und morgen 7. Das Recht auf an der Umsetzung und Weiterentwicklung dieser Ideen mitzuwirken! Freiheit S. 27

Martin Grünewald, Chefredakteur 8. „Wir sind das Volk“ S. 31

Erbe und Auftrag

Unter diesem Titel hat Idee & Tat eine Serie zur Geschichte der katholischen Sozialbe- wegung in Deutschland von den Anfängen bis zur Gegenwart gebracht. Dabei sind auch die Wurzeln des Kolpingwerkes deutlich geworden, die Teil dieser Bewegung sind. Adolph Kolping war einer ihrer Pioniere. In einer Serie von acht Beiträgen hat Petra Uertz die Geschichte der christlich-sozia- len Bewegung geschildert und mit Zeittafeln angereichert. Die Autorin ist Juristin und Wissenschaftsredakteurin. Sie lebt in Bonn und ist mit dem Sozialethiker Rudolf Uertz verheiratet. Petra Uertz

Idee & Tat Extra/04 3 Neue Frage

Dieser Holzstich zeigt Kinderarbeit in einer optischen Fabrik um 1870. Mädchen und Jun- gen wurden als billige Arbeitskräfte missbraucht. Abb.: bpk 1. Frühindustrialisierung und erste Sozialreform Franz Joseph Ritter von Buß gibt eine neue Antwort auf eine neue Frage

Zehn Jahre nach dem ersten ten der thierischsten Aus- Wolle oder Baumwolle zu hat…” (Die Agrarfrage aus dem sozialreformerischen Pro- schweifung zugebracht; – dass bearbeiten, oder in einem Gesichtspunkte der Nationalö- gramm und 57 Jahre vor ihrem ihrer zartesten Jugend im Websaale die zerrissenen konomie, der Politik und des Verbot legte Peter Reichens- glücklichen Falle anstatt der Fäden anzuknüpfen, – und Rechts [1847]). perger (1810-1892) den Finger mütterlichen Liebe und Pflege endlich am späten Abend auf die schmerzhafteste die Aufnahme in einem Asyl- nach einem hastig verschlun- Nachtseite der Revolution Wunde der industriellen Revo- saale zu Theil geworden, und genen, elenden Mahle er- lution: die Kinderarbeit. dass sie diesen letzern kaum schöpft und betäubt auf ein Die Soziale Frage gehört mit „Oder ist es wohl zu viel fünf oder sechs Jahre alt mit unreines, hartes Lager nieder- den wirtschaftlichen, gesell- gesagt, dass für jene unglückli- den verpesteten Räumen einer zusinken, von dem sie schon schaftlichen und auch religiö- chen, hülflosen Geschöpfe das Fabrik vertauschen mussten, mit dem grauen Morgen nach sen Problemen zur Nachtseite Leben ein Fluch, ja eine Hölle um inmitten einer tief entsitt- kaum wiederhergestellten Kräf- der industriellen Revolution. ist, wenn man bedenkt, dass lichten, aus Personen jedes ten zur nämlichen Arbeit wie- Mit diesem Begriff bezeichnet sie nie die unschuldigen Freu- Geschlechtes und Alters beste- der aufgeschreckt werden. man die gravierenden sozialen, den der Kindheit getheilt, nie henden Genossenschaft zwölf, Kann ein solch bejamme- wirtschaftlichen und techni- einen Vater oder eine Mutter 15, ja nicht selten 18 Stunden rungswerthes Geschöpf an- schen Umbrüche seit dem anders, als dem Namen und lang (!!) in einem mit Fett- und ders, als seinem Daseyn und frühen 19. Jahrhundert. Drei der Furcht nach gekannt, da Wasserqualm und den noch seinem Schöpfer fluchen, da Hauptübel kennzeichnen die auch diese letztern ihr elendes entsetzlichern Ausdünstungen es in jenen Brutnestern aller Frühindustrialisierung: Leben nur in den Fabriken der Mitarbeiter erfüllten, Korruption ohnehin nur flu- 1. Die Arbeitsbedingungen: und abwechselnd in den Stät- erstickend heißen Raume chen, aber nicht beten gelernt extrem hohe Arbeitszeiten, oft

Idee & Tat - Extra/04 4 Neue Frage

Sonntagsarbeit, Kinder- und in denen die arbeitsfähigen Eheerlaubnis durch den Guts- Frauenarbeit, unhygienische Befreit und auf sich Bettler zwangsverpflichtet herrn usw., sondern schaffte und gefahrvolle Betriebsabläu- gestellt wurden. Neben dem Zweck, zugleich die Fürsorgepflicht fe. die Entwurzelten zu „nützli- Letzterer ab. 2. Die Lohnfrage: der Lohn Zwischen 1750 und 1850 chen Gliedern der menschli- Für die Befreiung von nach Angebot und Nachfrage, war die Bevölkerung Europas chen Gesellschaft“ zu erzie- Dienst- und Abgabepflichten Koalitionsverbot, die „Nied- von etwa 150 auf 265 Millio- hen, stand die Absicht, den war den ehemaligen Herren riglohngruppen“ Frauen und nen (Mio.) Menschen ge- ungeliebten (vor-)industriellen sogar eine Entschädigung zu Kinder. wachsen; in den deutschen Werkstätten die notwendigen zahlen, was viele Bauern in 3. Die mangelhafte soziale Ländern lebten 1816 etwa 24,8 Arbeitskräfte zuzuführen. Die den Ruin trieb. Ähnlich zwei- Sicherung der Arbeiterschaft Mio., 1865 bereits 39,5 Mio. Trennung von Wohn- und schneidig wirkte sich die Auf- bei Krankheit, Invalidität, Menschen (+ 59,3 Prozent). Arbeitsstätte und die Arbeits- hebung des Zunftwesens Alter, Schwangerschaft und Weder Landwirtschaft noch bedingungen dieser Häuser durch die Gewerbefreiheit aus. Arbeitslosigkeit. Handwerk konnten im Rah- schreckte jeden anderen ab. Wurden bis dahin von den Diese bedrückenden Zustän- men der alten Agrarverfassung Im Übrigen liegt hier eine einzelnen Zünften die Anzahl de hatten viele Ursachen, und und Zünfte eine ausreichende Wurzel der industriellen Kin- der Betriebe, Gesellen und nur allmählich konnten die Lebensgrundlage bieten. Die derarbeit: Vielfach wurden Lehrlinge sowie Produktions- Anwälte der „Proletairs“ – wie Deklassierten der alten ständi- Manufakturen auch in Waisen- methoden, Rohstoffbezug und die neue Klasse genannt wurde schen Ordnung hatten schon häusern betrieben. Diese Absatzmärkte statisch geregelt, – Erleichterungen und Teilha- im 18. Jahrhundert eine stetig Anfänge prägten für Jahr- so dynamisierte die neue be am wirtschaftlichen wachsende Unterschicht gebil- zehnte die Haltung zu den Berufs- und Niederlassungs- Zuwachs und politische det. Landstreicher, entlassene Besitzlosen. Sie waren Objekte freiheit das Handwerk und die Emanzipation durchsetzen. Söldner, verarmte Kleinbauern strenger Erziehung, Fürsorge technischen Entwicklungen. Denn die traditionell stän- sowie Handwerker, fahrendes und Bevormundung. Damit erwuchs den alten disch und agrarisch geprägte Volk, Prostituierte und verjag- Neben der Bevölkerungsex- Handwerkern eine nie gekann- Gesellschaft wurde von der te Schulmeister waren auf plosion sind wirtschaftliche te Konkurrenz von „zunft- kapitalistisch-industriellen Almosen der Kirchen und Reformen ursächlich für die fremden“ Handwerkern, eben- Gesellschaft eines modernen, Kommunen angewiesen. Diese Auflösung der feudalen Ord- so von Manufakturen und nationalstaatlichen Europas Art Caritas war jahrhunderte- nung. Die Bauernbefreiung in Fabriken. Mit der Zunftord- abgelöst. Die Wechselwirkung lang üblich, konnte aber die den deutschen Ländern zwi- nung verschwanden auch die verschiedener Faktoren erzeug- aufkommenden Massen nicht schen 1765 und 1850 (1807 in Unterstützungskassen der ten nebeneinander Not und mehr bewältigen. Preußen) brachte nicht nur die Zünfte ersatzlos. Was die Wirt- Freiheit, Elend und Auf- Es entstanden kommunale Abschaffung von persönlichen schaftsordnung anbelangt, schwung, Entwurzelung und Arbeits- und Armenhäuser, die und wirtschaftlichen Abhän- bezog der Staat den liberalen Emanzipation, Depression mit den neuen privaten Manu- gigkeiten wie Bindung an die Standpunkt: „Jeder ist seines und Hoffnung. fakturen zusammenarbeiteten, Scholle, Erbuntertänigkeit, Glückes Schmied“.

Freieste Konkurrenz

In einer Instruktion für die Preußischen Provinzialregie- rungen vom 26. Dezember 1808 heißt es: „Es ist dem Staate und seinen einzelnen Gliedern immer am zuträglichsten, die Gewerbe jedesmal ihrem natürlichen Gang zu überlassen, d. h.:

Peter Reichensperger (links), Franz Joseph Buß (rechts), katholische Be- obachter der Sozialen Frage. Abb.: Archiv Idee & Tat - Extra/04 Neue Frage 5

Verfügung schen Zwangsmaßnahmen das zu stellen; Heilmittel suchten, erkannte das fami- Buß die neue Qualität der liär-soziale Massenarmut. Netz war Er verband liberal-aufkläre- zertrennt, rische Ideen seiner Studienzeit die religiö- mit organischen Gedanken, se Bindung um einen Ausgleich zwischen ging für Landwirtschaft, Handwerk viele verlo- und Industrie herbeizuführen. ren. Zu Ziel war ein „geläutertes den ohne- Innungswesen“. hin verarm- Seine Jungfernrede, die ten Un- „Fabrikrede“ von 1837, ist die terschich- erste sozialpolitische Anspra- ten gesellte che in einem deutschen Parla- sich die ment. Elf Jahre vor dem Kom- Massenar- munistischen Manifest von mut der Karl Marx und Friedrich Arbeiter- Engels formulierte Buß einen schaft. Die sozialen Forderungskatalog, Neuartig- der noch 1904 von dem Sozia- keit dieses listen August Bebel als Grund- Die Technik verändert die Jahrhunderte alte Form der Landwirtschaft. So gibt Pauperis- stein parlamentarischer Arbei- es dampfbetriebene Dreschmaschinen. Die Abgase und den Staub in der Luft mus wurde terpolitik zitiert wurde. stellt dieser Stich aus dem 19. Jahrhundert nicht dar. Abb.: Archiv lange nicht Zunächst hebt Buß die Vortei- erkannt. le der neuen „Gewerbsbetrieb- keine derselben vorzugsweise Mit dem deutschen Zollver- samkeit“ hervor: Mehrung des durch besondere Unterstüt- ein (1834) entstand aus den allgemeinen Wohlstandes, zung zu begünstigen und zu politisch zersplitterten 39 Staa- Buß – seiner Zeit voraus Angebot hochwertiger und heben, aber auch keine in ten Deutschlands eine Wirt- billiger Waren, wirtschaftli- ihrem Entstehen, ihrem Betrie- schaftseinheit. Die letzten An England, dem „Mutter- cher Aufschwung in unfrucht- be und Ausbreiten zu inneren Zollgrenzen fielen, land“ der Industrialisierung, baren Regionen und Zuwachs beschränken. … Man gestatte während man nach außen studierte nicht nur Karl Marx an Arbeitsplätzen. Dann wid- daher einem jeden, solange er gemeinsame Schutzzölle for- die Vor- und Nachteile des met er sich den Nachteilen: die vorbemerkte Grenzlinie derte, um vor allem die engli- neuen Wirtschaftssystems, Arbeitslosigkeit durch Ein- hierin nicht verletzt, sein eige- sche Konkurrenz billiger sondern auch Franz Joseph führung neuer Maschinen, nes Interesse auf seinem eige- Tuche von der eigenen Tex- Buß (1803-1878). Sohn einer fehlende berufliche Fortbil- nen Wege zu verfolgen und tilindustrie fernzuhalten. eher ärmlichen, katholischen dung; gesundheitsgefährdende sowohl seinen Fleiß als sein Nun konnten sich nahezu Schneiderfamilie aus dem Arbeitsbedingungen; mangeln- Kapital in die freieste Konkur- ungehemmt unternehmerische Schwarzwald, der aufgrund sei- de Geistesbildung der Jugend, renz mit dem Fleiße und Kapi- Initiativen und technische ner Begabung studieren konn- womit jede Hoffnung auf eine tale seiner Mitbürger zu brin- Entwicklungen ausbreiten. te, befasste er sich als Professor bessere Zukunft obsolet ist; gen. Es ist falsch, das Gewerbe Neue Produktionstechniken für Staatswissenschaft mit der völliges Fehlen eines sittlich- an einem Ort auf eine wie Spinnmaschinen, mecha- Situation seiner Zeit. religiösen Haltes, zerstörtes bestimmte Anzahl von Subjek- nische Webstühle, Verfahren Als jüngster Abgeordneter Familienleben, Trunksucht. ten einschränken zu wollen; zur Eisengewinnung sowie der des Badischen Landtags suchte „So von allen Seiten zurück- niemand wird dasselbe unter- Ausbau der Transportwege er mit seinen Analysen und gedrängt, genießt der Fabrikar- nehmen, wenn er dabei nicht durch Dampfschifffahrt und Vorschlägen die soziale Ord- beiter nicht einmal eine recht- einen Vorteil zu finden glaubt; Eisenbahn beschleunigten den nung zu beeinflussen. liche und politische Sicherstel- und findet er diesen, so ist es Umbau des sozialen Gefüges. Während weite Teile beider lung. Das Fabrikwesen erzeugt ein Beweis, dass das Publikum Die Industriezentren zogen Kirchen das Elend als Folge eine Hörigkeit neuer Art. Der seiner noch bedarf; findet er Scharen von Bauern und der Entchristlichung der Fabrikarbeiter ist der Leibeige- ihn nicht, so wird er das Handwerkern aus den verarm- Gesellschaft, insbesondere der ne eines Brotherrn, der ihn als Gewerbe von selbst aufgeben.“ ten Regionen an, die Groß- Arbeiter selbst, auffassten und nutzbringendes Werkzeug ver- (nach H. Lampert: Sozialpoli- städte expandierten, ohne in althergebrachten Kategori- braucht und abgenützt weg- tik [1980], S. 60 f.) zureichenden Wohnraum zur en von Caritas und erzieheri- wirft. … Der Fabrikarbeiter ist

Idee & Tat - Extra/04 6 Neue Frage aber nicht bloß der Leibeigene eines Herrn, er ist der Leibei- gene der Maschine, die Datum Technik/Wirtschaft, Bewegungen/Parteien Politk und Geistesleben Zubehörde einer Sache. So muss die gefeierte Gesittung 1705 Newcomen erfindet die Dampfmaschine unserer Tage gleichsam als 1762-1775 James Watt verbessert die Dampfmaschine Sühne für ihre Bändigung der 1765-1779 Entwicklung von Spinnmaschinen ¦ Natur die Knechtschaft einer 1786 Friedrich der Große 1784 Mechanischer Webstuhl von Cartwright, ganzen Menschenklasse erle- Puddelverfahren bei Eisengewinnung von Corte gen.“ (Franz Joseph von Buß, 1789 Französische Revolution hg. von F.J. Stegmann [1994], 1792 Baumwolllreinigungsmaschine v. Whitney (USA) S. 39). 1793 Hinrichtung des französischen Königs Buß nimmt den Staat in die 1794 Preuß. Allgemeines Landrecht: ständische Gesell- schaftsordnung bei absolutistischer Staatsform Pflicht, das „drohende Übel 1799 Staatsstreich Napoleon Bonapartes (1804 Kaiser- zu verhüten“ oder wenigstens krönung) zu bändigen, und fordert eine 1797-1809 Napoleon I. unterwirft weite Teile Europas (1812/13 Russlandfeldzug scheitert) „Fabrikpolizeyordnung“ mit 1800 Drehbank von Maudsley Hinneigung eines Teils der deutschen Romantik Beschränkung der Arbeitszeit, zum Katholizismus (christliche Werte, organisch- ganzheitliches Denken gg. „Mechanismus“ von zumal für Kinder, Fabrikin- Aufklärung und bürgerl. wie industrieller Revolution) spektion, Verbot des Trucksy- stems, Regelung der Rechte 1803 Reichsdeputationshauptschluss: mit der Folge der Säkularisation, d.h. Enteignung kirchlicher Güter des „Fabrikherren“, Einrich- (Auflösung der weltlichen Herrschaft der Fürstbis- tung von Kranken- und Unfall- tümer, Klöster etc.) ¦ versicherung sowie von Spar- 1804 Napoleons Code civil, Kant 1805 Friedrich Schiller ¦ kassen, Volksschulpflicht, 1807 erster regelmäßiger Dampfschiffverkehr in USA, berufliche ebenso wie religiös- eingerichtet von Fulton sittliche Bildung und schließ- 1807-1812 Stein-Hardenbergsche Reformen in Preußen: Bau- ernbefreiung (1807), städtische Selbstverwaltung, lich Gründung von Arbeiter- Gewerbefreiheit, Judenemanzipation vereinen. Die engagierte Rede 1808 Wien als Zentrum deutscher Romantik: Friedrich findet im Landtag wohl Bei- Schlegel, Adam Müller und Franz von Baader ent- wickeln Ansätze eines sozialen Katholizismus mit fall, versandet aber in der ständischen Ideen zuständigen Kommission. 1810 Gründung der Berliner Universität Doch hatte Buß mit seinem 1813-1815 europäische Verbündete (Russland, Preußen, Österreich, Großbritannien u.a.) besiegen das sozialpolitischen Ansatz als napoleonische Frankreich („Völkerschlacht“) erster eine Antwort „auf die 1814/15 Stephenson erfindet die Lokomotive Wiener Kongress. Konservative Neuordnung Euro- moderne Staats- und Wirt- pas: Deutscher Bund schaftsentwicklung“ formu- 1817 Wartburgfest 1818 erstes Dampfschiff von New York nach Liverpool liert und so die „katholische 1819 Karlsbader Beschlüsse: Unterdrückung der politi- Sozialreform“ eingeleitet (R. schen Opposition in Deutschland Lange: Franz Joseph Ritter von Gründung der konservativen Zeitschrift „Der Katholik“ Buß und die soziale Frage sei- 1825 erste Eisenbahn in England ner Zeit [1955], S. 107). Dampfschiffe auf dem Rhein Die preußische Regierung 1826 von der Münchener Universität ausgehend ent- erließ 1839 mit dem „Regula- wickelt sich mit Joseph Görres, F.v. Baader und Ignaz von Döllinger neues, konfessionalistisches tiv über die Beschäftigung Selbstbewusstsein jugendlicher Arbeiter in Fabri- 1827 Beethoven ¦ ken“ ein erstes Arbeiterschutz- 1831 Hegel ¦ gesetz. Die Beschäftigung von 1832 Hambacher Fest, Goethe ¦ Kindern unter neun Jahren 1833 J. H. Wichern gründet das „Rauhe Haus“in Hamburg 1834 Deutscher Zollverein wurde verboten, bis zu einem Elektromotor durch Jacobi Alter von 16 Jahren durfte die 1835 erste Eisenbahn in Deutschland Nürnberg-Fürth Arbeitszeit zehn Stunden (Streckennetz in km: 1840: 549, 1860: 11 633, nicht überschreiten, Nacht-, 1880: 33 711, 1900: 51 678) 1836 Bund der Gerechten (Vorläufer des Bundes der Sonn- und Feiertagsarbeit wur- Kommunisten), gegründet von Weitling den untersagt. Kontrolliert 1837/38 Schreibtelegraph von S. Morse Fabrikrede von F. J. Buß, Kölner Kirchenstreit, Ver Fotografie von L. Daguerre haftung des Erzbischofs; Protest des Papstes und wurde praktisch nicht. Anlass Streitschrift Görres (Athanasius) für Kirchenfreiheit des Regulativs war die Feststel- 1839 Beschränkung der Kinderarbeit in Preußen, erste lung, dass die „Fabrikjugend“ Gesetze zur Armenhilfe in Preußen Ranke: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Refor- wehruntauglich war. mation Idee & Tat Extra/04 7 Umschwung

Die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche. Abb.: bpk

2. „Ein großer Umschwung hat stattgefunden“ Die soziale Bewegung und das politische Bewusstsein der Katholiken

Die Weberunruhen des Jah- de die europäischen Nach- größten Teil seines Lebens preußischen Regierung in Ker- res 1844 in Schlesien wurden barn, einschließlich England. einer gerechten sozialen Ord- kerhaft verbracht wurde, ver- zum Sinnbild des Aufstandes Die Gesamtproduktion wurde nung. Die Freiheit der Kirche anlasste Ketteler, den Dienst aus Verzweifelung, des politi- gesteigert, doch öffnete sich und der Gläubigen sowie die aus Gewissensgründen zu schen Erwachens des Proleta- unerbittlich die Schere zwi- Nöte der Unterprivilegierten quittieren. Einige Jahre später riats, aber auch – nach dem schen Arm und Reich. Abhän- waren die Themen seiner Pre- studierte er Theologie in Eich- blutigen Militäreinsatz – zum gigkeit vom Fabrikanten, digten, seiner Reden vor stätt und München und Symbol obrigkeitlicher Partei- unhygienische Wohn- und katholischen Vereinen und sei- wurde 1844 in Münster ordi- nahme für die Besitzenden. Arbeitsstätten sowie familiäre ner Forderungen in den ver- niert. Zu Beginn seiner seel- Während der Hungersnöte in und religiöse Bindungslosig- schiedenen Parlamenten, in sorglichen Arbeit bewegte er den 1840er und 1850er Jahren keit der Arbeiter waren alltäg- die er gewählt wurde. Der spä- sich ganz in der karitativen strömte die verelendete Land- lich. tere Mainzer Bischof stammte Tradition der Kirche. Die bevölkerung in die schlesische „Wollen wir also die Zeit aus einer adeligen Münstera- Quelle der sozialen Übel sah Schwerindustrie sowie ins erkennen, so müssen wir die ner Familie. Zunächst hatte er er in der Gesinnung: in Hab- Ruhr- und Saargebiet; andere soziale Frage zu ergründen Jura studiert und war preußi- gier, Genusssucht und Selbst- wanderten ganz aus, vor allem suchen. Wer sie begreift, der scher Staatsdiener geworden. sucht bei den Reichen, die nach den USA. Die Industria- erkennt die Gegenwart; wer sie Der Kölner Kirchenstreit sich ihrer christlichen Pflich- lisierung Deutschlands, die nicht begreift, dem ist Gegen- (1837) um die Konfession der ten entzogen, wie bei den erst ab den 1850er Jahren in wart und Zukunft ein Rätsel.“ Kinder aus Mischehen, in Armen, die ihren Hass auf die Schwung kam, überflügelte Wilhelm Emmanuel von Ket- deren Verlauf der unnachgiebi- Reichen nährten. Vom Staat, noch vor der Jahrhundertwen- teler (1811–1877) widmete den ge Kölner Erzbischof von der der dem Wirtschaftsliberalis-

Idee & Tat - Extra/04 8 Umschwung

mus Tür und Tor geöffnet trifft er auf ein reges Vereinsle- fen und aufgefrischt werden in 1862 seine Anerkennung aus. hatte, erwartete er keine ben. Aus einem losen Freund- seinem Herzen, indem ihm In einem Referat vor der Lösung. „Hier wird eine neue schaftsbund von Gesellen, der wieder ein lebhafteres Interesse Fuldaer Bischofskonferenz Kraft erfordert zur Heilung beim Schreinermeister Thiel dafür eingeflößt wird“ 1869 empfiehlt Ketteler dieses der Gesinnung, die Kraft des zusammenkommt, formt der (Adolph Kolping: Der Gesel- Modell auch für die Arbeiter- Lebens und der Liebe.“ Wie Lehrer Breuer einen festen Ver- len-Verein, 1848). schaft: „Den größten Erfolg Franz Joseph Buß hoffte Ket- ein mit einem durchdachten Als Domvikar in Köln und dürfte man sich wohl von dem teler auf eine Reform der alten Bildungsprogramm. Nach Redakteur verschiedener Wirken eines Mannes verspre- Stände. einem halben Jahr wird Kol- katholischer Zeitungen sowie chen, der sich zur Lebensauf- ping zum Präses gewählt. des „Kalenders für das katholi- gabe machte, für die Arbeiter „Thätige Liebe Seine Gedanken zur gesell- sche Volk“ initiiert Kolping das zu sein, was der selige Kol- heilt alle Wunden“ schaftlichen Lage und seeli- Gesellenvereine in den deut- ping für die Gesellen gewesen“ schen Verfassung der Hand- schen Ländern und darüber (J. Mumbauer: Kettelers Die althergebrachte Armen- werkergesellen münden in ein hinaus. Zwar obliegt die geist- Schriften III, S. 163). pflege wurde von Orden, ver- Programm zur Förderung des liche Führung einem Kleriker, stärkt auch von neuen kirchli- sozialen Lebens. doch sind es nicht Vereine Entchristlichung chen Laienvereinen wie den „Es fehlt dem jungen Arbei- nach kirchlichem, sondern Elisabeth-Konferenzen (ab ter ein Zufluchtsort außer der nach bürgerlichem Recht. Ziel Wie die Kirche und die mei- 1840) und den Vinzenz-Konfe- Herberge und dem Wirtshau- ist der „tüchtige Bürger“, die sten Bürger seiner Zeit sah renzen (ab 1845) betrieben, se, wo er recht eigentlich eine Integration der Gesellen in die Kolping die Hauptursache für konnte die Missstände aber Weile rasten und Nahrung für bürgerliche Gesellschaft. „In das Elend des neuen Standes nicht an der Wurzel packen. seinen Geist erhalten könnte, kirchlicher Hinsicht fordern zwar auch in der Entchristli- Einen anderen Weg beschritt die auf ihn berechnet, die ihm wir nichts Besonderes, wenn chung der Arbeiter, er wies hingegen Adolph Kolping zusagen müsste. Es fehlt ihm die Mitglieder freundlicher ihnen aber nicht die alleinige (1813–1865), Sohn eines Schä- ferner die Gelegenheit, sich für Einladung folgen, macht uns Schuld an ihrem Zustand zu. fers aus Kerpen bei Köln, der seinen Beruf, für seine das doppelte Freude“ (Zeitge- Vielmehr beklagte er die Hei- sich als Schuhmachergeselle Zukunft gewissermaßen auszu- schichte in Lebensbildern, Bd. matlosigkeit und den Verlust entschloss, Priester zu werden. bilden, abgesehen von der 3, 1979, S. 43). der ehemals erzieherischen Als 24-Jähriger wurde er ins technischen Fertigkeit, welche Die Mischung aus Fürsorge des Meisters durch Kölner Marzellengymnasium ihm die Werkstätte des Mei- Zufluchtsort, Bildung und das entpersönlichte Fabrikle- aufgenommen; nach dem Abi- sters mitgeben soll. Noch Unterhaltung trifft das Bedürf- ben. tur 1841 ging er zunächst an mehr fehlt ihm eine passende, nis der Handwerkergesellen. Die Gesellen seien „tief im die Universität München, wo Geist und Gemüt wahrhaft 1858 gab es 191 Vereine (ca. Boden des Herzens kernge- er unter anderem Joseph Gör- aufrichtende und stärkende 30 000 bis 35 000 Mitglieder), sund“; es gelte jedoch, ihre res begegnete. Am 13. April Unterhaltung und Erheite- 1865 bereits 420 Vereine (über Sprache zu sprechen, an ihren 1845 empfing Kolping in der rung, wie er sie weder zu 60 000 Mitglieder). Zahlreiche Erfahrungen anzuknüpfen Kölner Minoritenkirche die Hause, noch im Wirtshause, Bürger und auch Adelige sind und so die eigenen Kräfte der Priesterweihe. noch an öffentlichen Vergnü- beeindruckt und unterstützen Betroffenen zu fördern. Als Kaplan in der Diaspora- gungsorten erhält. Auch muss das Werk; Papst Pius IX. gemeinde Wuppertal-Elberfeld die Religion wieder wachgeru- spricht dem „Gesellenvater“

Präambel der Statuten des Piusvereins für religiöse Freiheit in Mainz 1848 „Ein großer Umschwung hat stattgefunden; eine allge- meine Neugestaltung der öffentlichen Verhältnisse ist eingeleitet; kostbare, wichtige Freiheiten sind prokla- miert worden. Dieser entscheidende Zeitmoment legt auch den Katholiken bezüglich ihrer Religion eine große Pflicht auf: nämlich die Pflicht, die Freiheit des Gewis- sens, die Freiheit der Rede und der Presse, die Freiheit der Association, welche für alle zugestanden ist, zu Gunsten ihrer Religion und ihrer Kirche mit allem Nach- druck und durch alle gesetzlichen Mittel geltend zu machen und zu wahren, wie sie dieselben kostbaren Rechte und Freiheiten auch zu Gunsten aller anderen Konfessionen in vollem Maße gewahrt wissen wollen." Joseph Görres Wilhelm Emmanuel von (aus: W. Mommsen: Deutsche Parteiprogramme, München 1960, S. 191 f.) Abb.: Archiv Ketteler Abb.: Archiv

Idee & Tat - Extra/04 9 Umschwung

je zuvor, wird die Entschei- Kapitalismuskritik zu und dung der Zukunft bei den beklagte die Missachtung der Massen seyn …“ (H. Raab: Würde der Arbeiter durch die Joseph Görres, 1978, S. 212). hemmungslose „Geldmacht“. Mit Gründung der Piusver- Dem revolutionären Kommu- eine für religiöse Freiheit nismus und der antikirchli- (März 1848 in Mainz; bis chen Sozialdemokratie warf er Oktober 17 Zentralvereine mit allerdings vor, nicht den Aus- 1 200 Ortsvereinen) gewann gleich der Interessen zu die katholische Bevölkerung suchen, sondern Hass und eine erste bürgerlich-rechtliche Klassenkampf zu predigen. Struktur für politische Zwecke. Bereits in seinen berühmten Ziel war es, im protestantisch- Adventspredigten von 1848 preußischen Staat eine einheit- hatte er das Recht eines Jeden liche politische Stimme zu auf privates Eigentum vertre- haben. Zum einen wollte man ten, wobei er – gemäß der für die korporative Freiheit der Lehre des Thomas von Aquin Kirche kämpfen, zum anderen – die Sozialbindung betont für bürgerliche Freiheitsrechte hatte. Mit der Gewerbefreiheit (siehe Kasten S. 8). 1848 fand hatte der Staat eine Rahmen- Das Kolpinghaus in der Breite Straße in Köln. Abb.: Archiv die erste Generalversammlung ordnung für die mittlerweile der katholischen Vereine in florierende Wirtschaft gesetzt. Mainz statt, der erste deutsche In den 1860er Jahren gelangte Pilgernde Kirche (W. Schieder); und nicht Katholikentag. Dessen Präsi- Ketteler zu der Einsicht, dass zuletzt wegen der heftigen dent ist Franz Joseph Buß, es grundsätzlich Aufgabe des Zeitgleich mit der industri- Angriffe wurde sie zur Initi- Hauptredner ist Wilhelm Staates sei, durch entsprechen- ellen Entwicklung änderte sich alzündung eines katholischen Emmanuel von Ketteler, zu de Gesetze das Wohl des auch die politische Welt tief- politischen Bewusstseins. Die der Zeit Pfarrer von Hops- ganzen Volkes, auch das der greifend. Im Jahre 1844 fand wenigen zugelassenen katholi- ten/Westfalen und Mitglied Arbeiter, zu ordnen. Damit ein weithin prägendes Ereignis schen Presseorgane verteidig- der Deutschen Nationalver- gab er die Idee einer Ständere- statt: Die Wallfahrt zum Heili- ten mal sachlich, mal heftig sammlung in der Paulskirche. form auf, akzeptierte das kapi- gen Rock nach Trier. Im die katholische Tradition. In diesen beiden Protagonisten talistische Wirtschaftssystem preußisch regierten Rheinland Auch Joseph Görres (1776 – wird die politische und die und forderte „es zu mildern, – die Wogen des Kölner Kir- 1848), der streitbarste und soziale Dimension der katholi- für alle einzelnen schlimmen chenstreits hatten sich etwas bekannteste katholische Publi- schen Bewegung augenschein- Folgen desselben die entspre- geglättet – stellte der Trierer zist des 19. Jahrhunderts, lich. chenden Heilmittel zu suchen Bischof Arnoldi die als unzer- schrieb auf Anregung August und auch die Arbeiter an dem, trenntes Gewand Christi ver- Reichenspergers über die Sozialpolitisches was an dem System gut ist, an ehrte Reliquie aus. Der preußi- Ereignisse. Görres, Gründer dessen Segnungen Anteil neh- sche Staat erhob keine Ein- des „Rheinischen Merkur“ Ketteler bestand darauf, men zu lassen“. An erster Stel- wände gegen die Wallfahrt. (1814), war vor dem preußi- ohne Berührungsängste alle le stand zwar nach wie vor die Mit der stetig wachsenden schen Staat ins Straßburger Vorschläge, die zur Lösung der Pflicht der Kirche, karitativ Schar der Pilger (über 500 000) Exil geflohen (1819), von wo sozialen Frage beitragen könn- und erzieherisch zu wirken, bedachten jedoch die protes ihn der bayerische König Lud- ten, zu sammeln. Er stimmte doch stellte Ketteler nun sozi- tantische und liberale Presse wig I. an die neue Universität Marx und Lassalle in deren alpolitische Forderungen an sowie die deutschkatholische München berief (1827). Mit den Staat. Bewegung mit ihrer „Los-von- überbordender sprachlicher In einer Ansprache an Rom-Parole“ das Ereignis mit Bildkraft preist er das Zusam- 10 000 Arbeiter auf der Lieb- Unverständnis bis hin zu menströmen der rheinischen schärfster Polemik. Diese Völker als „Symbol der unzer- Frömmigkeitsform galt ihnen reißbaren Einheit“. Einheit als rückständig und „unaufge- bedeutet ihm sowohl Über- Adolph Kolping sah die klärt“, doch weit gefährlicher windung der konfessionellen Hauptursache für das Elend schien die politische Stoßrich- Trennung – im Sinne gegensei- des neuen Standes in der tung, in der man „jesuitische“ tiger Toleranz – als auch der Entchristlichung der Arbei- und „ultramontane“ Ablö- deutschen Kleinstaaterei. Im ter. Weiter beklagte er die sungsversuche der Rheinpro- Strom der Wallfahrer erblickt Heimatlosigkeit und den vinz zu erkennen glaubte. er eine neue Kraft: „An die Verlust der erzieherischen Die Wallfahrt wurde zur Massen haben daher dießmal Fürsorge des Meisters „größten organisierten Mas- die Symbole ihr prophetisch durch das entpersönlichte senbewegung des Vormärz“ Wort gerichtet; denn mehr, als Fabrikleben. Abb.: Archiv

Idee & Tat - Extra/04 10 Umschwung frauen-Heide bei Offenbach (1869) proklamiert er das Datum Technik/Wirtschaft, Bewegungen/Parteien Politk und Geistesleben Recht der Arbeiter, sich zur Vertretung ihrer berechtigten 1840-1842 Elisabeth-Konferenz in Trier Dombaufest in Köln (Dom vollendet 1880) Interessen zusammenzuschlie- Kunstdünger von J. v. Liebig 1844/1845 Weberunruhen in Schlesien Heinrich Heine: „Deutschland. Ein Wintermär- ßen, als „wahre Naturnotwen- chen“ (von der Zensur verboten) digkeit“. Er formuliert die Trierer Heilig-Rock-Wallfahrt: erste kath. „Magna Charta der christli- Massenbewegung Görres: „Die Wallfahrt nach Trier“ (1845) Vinzenz-Konferenz in München, Borromäus- chen Arbeiterbewegung“: 1. verein in Bonn zur Verbreitung guter Bücher gerechter Arbeitslohn (ein- 1846/1847 erster Katholischer Gesellenverein in Wuppertal- Koalitionsverbot Elberfeld; Adolph Kolping wird 1847 schließlich Streikrecht), 2. Ver- Gesellenpräses Öffnung der handwerklichen Versicherungen kürzung der Arbeitszeit, 3. für Arbeiter in preußische Gewerbeordnung Äthernarkose, Bekämpfung des Ruhetage: Sonn- und Feierta- Kinderbettfiebers (I. Semmelweiss) ge, 4. Verbot der Kinderarbeit 1848 Gründung der Piusvereine für religiöse Februar: Revolution in Paris; März: (bis zum Ende der Schul- Freiheit (März) Aufstände in deutschen Staaten pflicht), 5. Verbot der Beschäf- erste Generalversammlung zugleich erster Deutsche Nationalversammlung in der Deutscher Katholikentag (3.-6. Okt. in Mainz); Frankfurter Paulskirche, Grundrechte (27.Dez.) tigung von Müttern und jun- Zusammenschluss aller katholischen Vereine Görres ¦, ihm zu Ehren Glasfenster im Kölner Dom gen Mädchen in Fabriken. erste Deutsche Bischofskonferenz in Würzburg Kommunistisches Manifest von Karl Marx Friedrich Engels erster Evangelischer Kirchentag in Wittenberg; Paulskirchen-Abgeordnete bilden Gleiches Bürgerrecht J. H. Wichern gründet „Innere Mission“ „Katholischen Klub“ 1849 aus dem Piusverein Regensburg heraus Auflösung des Paulskirchen-Parlaments wird der erste Katholische Arbeiterverein Ketteler gehörte mit Buß, (St. Joseph) gegründet den Brüdern August und Peter Bonifatiusverein für Diaspora Reichensperger unter anderem 1850 Adolph Kolping gründet den „Rheinischen oktroyierte Preuß. Verfassung (1848) wird zu den Vorreitern des sozialen Gesellenbund“ revidiert (gültig bis 1918) Entwicklung von Chemiegütern, Bunsen- Wilhelm von Ketteler: Bischof von Mainz und politischen Katholizismus. Brenner, Konverter zur Stahlerzeugung Ein Großteil der Katholiken, 1850-1853 Gründung der ersten Industriebanken Blütezeit der frühen Heimatliteratur Klerus wie Bürger, hing noch (unter anderem Disconto-Gesellschaft) (Idealisierung des „natürlichen Landlebens“ gegenüber dem „verbildeten Städterleben“); lange den alten Vorstellungen Katholische Fraktion in Preuß. illustrierte Familienzeitschrift „Die Gartenlaube“ von fürsorglicher Bevor- Abgeordnetenhaus (anspruchslose „trauliche“ Literatur) mundung des „vierten Standes“ Gewerbeaufsichtsgesetz in Preußen 1854 Auflösung aller Arbeitervereine nach. Größere Einigkeit über (Koalitionsverbot) die Schichten und Stände hin- Dogma von der Unbefleckten Empfängnis weg fand man im Kampf für Mariens (Pius IX.) Brüder Jacob und Wilhelm Grimm: die Kirchenfreiheit. Die Artikel „Deutsches Wörterbuch“ Bd. 1 (letzter für die religiöse Freiheit, die in Band 1961) der Paulskirchenversammlung 1861/62 Telefon von J.Ph. Reis; Dampfpflug Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch liberale Fortschrittspartei in Preußen Verfassungsstreit in Preußen (Heereskonflikt); (1848/49) schließlich verab- Bismarck wird preußischer Ministerpräsident schiedet wurden, kamen nicht 1863 Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein, gegründet zuletzt auf Druck von Petitio- von F. Lassalle nen der Piusvereine zustande. 1864 Siemens-Martin-Verfahren in der Enzyklika Quanta cura und Syllabus: Stahlerzeugung Verurteilung „liberaler Irrtümer“, Pius IX. Zwar trat diese Verfassung nie Genfer Konvention (Rotes Kreuz) in Kraft, doch gingen die 1865 Fraktion katholischer Abgeordneter in Baden USA: Aufhebung der Sklaverei Bestimmungen in die oktroyier- 1866/1867 Nationalliberale Partei preußisch-österreichischer Krieg; Gründung te (aufgezwungene) Preußische des Norddt. Bundes (Kleindeutsche Lösung) Verfassung (1848/50) ein. Stahlbeton (J. Monier); Erfindung des Tatsächlich wurden sie jedoch Dynamit (A. Nobel) Karl Marx: „Das Kapital“ unterlaufen, die protestantische 1868 erster dt. Gewerkschaftskongress Kirche der Hohenzollern wurde Zentralkomitee der Dt. Katholiken in Paderborn als Staatskirche weiterhin privi- 1869/70 Fraktion katholischer Abgeordneter in Bayern Gewerbeordnung des Norddt. Bundes legiert. Ketteler gab sein Reichs- Sozialdemokratische Arbeiterpartei in I. Vatikanum (Pius IX.): Unfehlbarkeit des tagsmandat von 1871 auf, als er Eisenach (Bebel u. Liebknecht) Papstes in Glaubens- und Sittenfragen; Zentralisation der katholischen Kirche feststellen musste, dass sein Ziel Hirsch-Dunckersche Gewerkvereine deutsch-französischer Krieg (1870/71) Freiheit für die Kirche nicht durchsetzbar war. Jahrzehnte- Deutsche Zentrumspartei; Soester Programm: Einigung Italiens: Verlust des Kirchenstaats, Kirchenfreiheit und Arbeiterschutz Papst bezeichnet sich als „Gefangener des Vati- lange Streitigkeiten über Ehe- kan“ und Erziehungsrecht sowie 1871 Zentrumsfraktion im Reichstag, führend: Gründung des Dt. Kaiserreiches Schulfreiheit mündeten schließ- Ludwig Windthorst, Hermann von Mallinckrodt, lich in den Kulturkampf. August und Peter Reichensperger Beginn des Kulturkampfes in Preußen gegen die kath. Kirche (bis 1887)

Idee & Tat Extra/04 11 Kaiser r eich

Der Preußenkönig Wilhelm I. (links) wird 1871 deutscher Kaiser. Sein Kanzler (r.) ist bis 1890 Otto von Bismarck. Neben dem Glanz das Elend, hier die Folgen eines Arbeitsunfal- les 1889. Abbildungen: bpk

3. Katholiken im Kaiserreich Kirchenkampf und Sozialistengesetz blockieren den sozialen Frieden

Im Spiegelsaal des Versailler 1870/71 formuliert: „Wenn ich den Deutsch-Französischen (1871) ein hartnäckiger Geg- Schlosses wurde am 18. Januar nicht mehr Christ wäre, diente Krieg gezogen. Die katholi- ner. Ludwig Windthorst 1871 der preußische König, ich dem König keine Stunde schen Bürger fühlten national, (1812–1891), seiner Familien- Wilhelm I., zum Kaiser des mehr… Denn warum, wenn es doch ebenso selbstverständ- tradition entsprechend Jurist, Deutschen Reichs prokla- nicht göttliches Gebot ist – lich stand man zur römischen entwickelte sich zum unum- miert. Der Deutsch-Französi- warum soll ich mich dann die- Kirche. Wiewohl Preußen den strittenen Führer von Fraktion sche Krieg um die preußische sem Hohenzollern unterord- Papst als Souverän achtete, und Partei. 1849 war er als Machtstellung in Europa nen?“ misstraute es den Katholiken Abgeordneter der Hannover- mündete in der nationalen So hielt er treu zum preußi- im Lande. In den Augen der schen Ständeversammlung zur Einheit. Otto von Bismarck, schen Monarchen von Gottes Nationalliberalen, mit denen Politik gestoßen. Zwei Jahre der preußische Ministerpräsi- Gnaden, der zugleich oberster Bismarck verbunden war, später wurde er von dem wel- dent, hatte daran größten Bischof der evangelischen Kir- gehorchten sie einem fremden fischen König Georg V. zum Anteil. Als nunmehriger che war, und beargwöhnte die Monarchen „jenseits der Justizminister berufen – der Reichskanzler war er in ständi- Bewegungen, die sich an- Berge“; sie waren „Ultramon- erste Katholik, der in Hanno- ger Sorge, diese Einheit gegen schickten, dem König und tane“. Diese weitverbreitete ver ein Ministeramt bekleidete. äußere und innere Feinde zu Kaiser und dem Vaterland den Ansicht erhielt durch das Zeitlebens widmete er seine sichern. Der Sohn eines alt- geschuldeten Gehorsam zu Dogma von der Unfehlbarkeit politische Arbeit der Freiheit märkischen Landedelmannes verweigern. des Papstes, das von Pius IX. der Kirchen vor staatlicher hatte als junger Mann zum auf dem Vatikanischen Konzil Bevormundung und der pietistisch geprägten Chris- Kulturkampf 1870 verkündet worden war, Gleichberechtigung der Kon- tentum gefunden. Der Kern neue Nahrung. fessionen (Parität). Als Politi- seines Staats- und Glaubens- Zusammen mit den Preußen In der Tat erwuchs Bismarck ker und Rechtsanwalt vertei- verständnisses hat er in einer waren im August 1870 auch mit der Gründung der Zen- digte er die „katholische Rede aus dem Kriegsjahr die süddeutschen Länder in trumspartei im Reichstag Sache“ – aber ebenso auch die

Idee & Tat - Extra/04 12 Kaiserreich

Links: Ludwig Windthorst, einer der führenden Männer der Zentrumspartei und ihrer Fraktion im Reichstag und katho- lischer Gegenspieler Bismarcks im Kulturkampf. Abb.: Archiv

Rechts: Franz Brandts baute auf Partnerschaft mit Arbei- tern. Abb.: Stadt Mönchengladbach

Interessen anderer Minderhei- graph (Verbot für Geistliche, errang es in zehn Jahren 100 überlassen wollte. Manche ten wie der polnischen und sich über staatliche Angelegen- Mandate. Das Zentrum wurde Unternehmer zeigten sich elsässischen Bevölkerung oder heiten „in einer den öffentli- stärkste Fraktion, ein Platz, allerdings so verantwortungs- die religiösen Belange von chen Frieden gefährdenden den es bis 1912 verteidigen bewusst, „ihren“ Arbeitern lutherischen und jüdischen Weise“ zu äußern), Schulauf- konnte. den „gerechten Anteil“ am Bürgern. Das Zentrum, als sicht, Verbot der Jesuiten und Arbeitsergebnis zukommen zu „Verfassungspartei“ konstitu- anderer Orden standen am Soziale Verantwortung lassen – die Auffassungen über iert, verstand sich – zumindest Anfang. Die so genannten in der Praxis das, was gerecht sei, gingen mehrheitlich – nicht als kirch- Maigesetze stellten die Ausbil- allerdings weit auseinander. liche Partei; zwar sammelten dung und Anstellung der Der Kulturkampf band die Carl Ferdinand von Stumm- sich dort fast nur Katholiken, Geistlichen unter staatliche Kräfte des Zentrums. Für sozi- Halberg (1836–1901), führen- doch stand es anderen Konfes- Aufsicht. Die kirchliche Diszi- alpolitische Initiativen blieb der Industrieller des Saarreviers sionen offen. plinargewalt wurde auf einen nur wenig Raum, zumal in und freikonservativer Reichs- Die Auseinandersetzung mit königlichen Gerichtshof über- dem von wirtschaftsliberalen tagsabgeordneter pries sein dem politischen Katholizismus tragen; katholische Vereine, Parteien dominierten Reichs- „System Stumm“ als Modell. wurde von den Nationallibera- Kundgebungen und Zeitungen tag. Andererseits bot die Sozia- Die „Allgemeine Arbeitsord- len und der Fortschrittspartei wurden polizeilich kontrol- le Frage ein Politikfeld, auf nung für das Neunkircher in aller Schärfe vorangetrieben. liert. Windthorst prophezeite dem man beweisen konnte, Eisenwerk“ von 1890 zeigt den Der Berliner Arzt Rudolf im Parlament den Widerstand dass man nicht nur „Kirchen- fürsorglichen, aber strengen Virchow prägte für den Streit der Gläubigen: „An diesem partei“ war. Dies wiederum Paternalismus des evangeli- um die Verweltlichung des passiven Widerstande wird führte zu innerparteilichen schen Christen. Er setzte nicht Staates und seiner Emanzipati- früher oder später alles das zer- Kontroversen, waren im Zen- nur militärische Disziplin bei on von Religion und Kirche schellen, was in diesen Geset- trum doch Abgeordnete ver- der Arbeit durch, sondern griff den Begriff “Kulturkampf“. zen beabsichtigt wird. Gebe schiedenster Schichten und mit großer Selbstverständlich- Gott, dass das Vaterland dabei Anschauungen vertreten. keit auch ins Privatleben ein: „Kanzelparagraph“ keinen Schaden erleide“ (M. L. Dennoch gelang es, mit von der Heiratserlaubnis bis Anderson: Windthorst, 1988, dem „Antrag Galen“ vom zum Lektüreverbot von Tages- Ähnliche Konflikte gab es S. 175). März 1877 einen Meilenstein zeitungen reichte der Arm des auch in katholischen Ländern Klerus wie Gläubige igno- zukunftweisender Sozialpolitik „Herrn im Hause“. Dass poli- wie Österreich und Bayern. rierten die Gesetze, was zur einzubringen. Gefordert wur- tische Betätigung untersagt Das Unfehlbarkeitsdogma war Folge hatte, dass Priester, die den: Schutz der Sonntagsruhe, war, versteht sich von selbst. von Pius IX. trotz erheblicher ohne Zustimmung des Staates Schutz des Handwerkerstan- Für den Tribut des absoluten innerkirchlicher Widerstände seelsorglich tätig wurden, ver- des, Schutz der Fabrikarbeiter, Gehorsams genossen die Arbei- durchgesetzt worden – ein Teil haftet oder vertrieben wurden. insbesondere Vorgaben für die ter die innerbetriebliche Für- der Bischöfe, darunter Kette- Der Entzug der staatsbürgerli- Fabrikordnungen, Verbot der sorge wie Kranken- und Alters- ler, hatte Rom vorzeitig verlas- chen Rechte und die Vermö- Arbeit von Jugendlichen unter vorsorge, Wohnungsbau und sen, um nicht ihrem Gewissen genskonfiszierung waren der 14 Jahren, Beschränkung der betriebliches Schulwesen. entsprechend gegenstimmen Gipfel der Verfolgung. 1876 Frauenarbeit, Einführung Beteiligung der Arbeiter in zu müssen, unterwarf sich aber befanden sich die meisten gewerblicher Schiedsgerichte Form von Selbstverwaltung später. Ein kleiner Teil spaltete preußischen Bischöfe im unter Mitwirkung freigewähl- war im Stummschen Betrieb sich ab – die Kirche der „Alt- Gefängnis oder Exil, 1880 war ter Arbeitervertreter. undenkbar. katholiken“. Diese Situation fast ein Viertel aller Pfarrstel- Die Reichstagsmehrheit Ein völlig konträres Kon- nahm der Staat zum Anlass, len unbesetzt. Doch ließ sich brachte den Antrag zu Fall, zept praktizierte der katholi- mit staatlichen Gesetzen die die Kirche nicht „aushun- zum einen, weil er ständisch- sche Textilverleger Franz innerkirchliche Ordnung zu gern“, Bismarck hatte nicht organische Ordnungsideen Brandts (1834–1914) in seiner regulieren. mit dem Widerstand der enthielt, die mit der modernen Mönchengladbacher Fabrik. In Preußen gerieten die „Massen“ gerechnet. Hatte das Gesellschaft unvereinbar Seine erste Sozialeinrichtung katholische Bevölkerung und Zentrum 1871 mit 63 Sitzen waren, zum anderen, weil man von 1871 war eine Betriebs- der Klerus unter besonders nur halb so viele Mandate wie die Sozialfürsorge weiterhin krankenkasse, in die die Arbei- heftigen Druck: Kanzelpara- die Nationalliberalen, so dem freien Spiel der Kräfte ter einzahlen mussten und

Idee & Tat - Extra/04 13 Kaiserreich

„Bismarck und Leo XIII. spielen Schach“, zum Ende des Kulturkampfes. Abb.: Archiv

Brandts einen Zuschuss von 50 tervorstand, in dem auch Frau- des ehernen Lohngesetzes…, Personen verhaftet und 900 Prozent gab. Die Verwaltung en saßen. Später konnte auch die Beseitigung aller sozialen des Landes verwiesen. oblag neben ihm selbst und die Lohnfrage im Ältestengre- und politischen Ungleich- einem Obermeister vier frei mium behandelt werden. Die heit“. Bismarck waren Pro- Sozialgesetze gewählten Arbeitern. Aus die- Fabrikordnung wurde in der gramm und Agitation der sem Kassenvorstand entwickel- Verbandszeitschrift publiziert; Sozialdemokratie verhasst. Mit Da die materielle Not nicht te sich binnen eines Jahres ein Brandts proklamierte ein part- Hilfe der Liberalen und Kon- zu leugnen war, sollten die „Ältestenkollegium“, das sich nerschaftliches Verhältnis: servativen brachte er das Arbeiter nun durch eine Sozi- um Arbeiterbelange kümmerte. „Wir dürfen nicht die berech- „Gesetz zur Abwehr der algesetzgebung den Staat als 1880 gab es neben einer Spar- tigte Selbstständigkeit der gemeingefährlichen Bestrebun- „wohltätige Einrichtung“ er- kasse, einer „Speiseanstalt“, Arbeiter verkümmern lassen. gen der Sozialdemokratie“ fahren. Eine „Kaiserliche Bot- einer Badeeinrichtung und Keine enge Bevormundung durch. schaft“ kündigte 1881 entspre- einem Instrumentalverein auch darf Platz greifen in den Din- Die Katholiken sahen in der chende Maßnahmen an. Unter ein Hospiz, in dem die Arbei- gen, die von den Arbeitern Sozialdemokratie gleichfalls den Katholiken, sowohl auf terinnen während der Arbeits- allein geführt werden können. eine große Gefahr, da sie die den Katholikentagen als auch zeit in Hauswirtschaft unter- Durch Zugabe der weitgehends- Entchristlichung der Arbeiter im Zentrum, entbrannte ein richtet wurden. ten Selbstverwaltung bei Kran- als offiziellen Programmpunkt Streit um die richtige Fürsorge: Im Mai 1880 wurde von kenkassen, Unterstützungs- vertrat und betont antireligiös christliche Caritas, liberales katholischen Unternehmern und Sparkassen, geselligen agitierte. Doch obwohl das Versicherungsprinzip oder der Verein „Arbeiterwohl“ Verbindungen und was immer, Zentrum scharfer Gegner der Wohlfahrtsstaat. Georg von gegründet. Brandts übernahm wollen wir den Arbeitern zei- sozialdemokratischen Ideolo- Hertling wandte sich als Spre- den ersten Vorsitz, der Sozial- gen, dass wir ihre Freiheit und gie war und überdies Rom cher des Zentrums gegen referent des Zentrums, Georg Selbstständigkeit achten, wäh- wünschte, es möge Bismarck „Staatssozialismus“. Er forder- von Hertling, den zweiten; Sitz rend wir uns in dem Recht, entgegenkommen, stimmte es te, dass der Arbeiter „mit des Vereins wurde München- unsern Einfluss zur Wahrung 1878 gegen das Ausnahmege- Ehren Pensionär der Industrie“ Gladbach. Ziel war, „die zer- der guten Sitten geltend zu setz: „Nur durch große sittli- sein und nicht abhängig von streuten Glieder der katholi- machen, nicht beirren lassen“ che Momente kann man das „staatlichen Almosen“ werden schen sozialen Tätigkeit“ zu (Zeitgeschichte in Lebensbil- Volk zur Umkehr bringen, solle. Nach langem Ringen sammeln und die „religiöse, dern, Bd. 3, 1979, S. 97). durch den Polizeistock nie- wurden die Gesetzesvorlagen sittliche und wirtschaftliche mals“ (Windthorst). Bei späte- Bismarcks mit Hilfe des Zen- Hebung des Arbeiterstandes“ Sozialistengesetze ren Verlängerungen des Geset- trums verabschiedet. Die Sozi- zu fördern. Der frisch einge- zes stimmten einige Zentrums- alversicherungsgesetze gegen stellte Generalsekretär des Ver- Andere Wege beschritten abgeordnete allerdings doch finanzielle Not bei Krankheit eins, Kaplan Franz Hitze die Sozialdemokraten. Das zu. (1883, Beiträge: Arbeiter 2/3, (1851–1921), überarbeitete die Parteiprogramm der 1875 in Die Verfolgung traf alle Arbeitgeber 1/3), Unfall (1884, Brandtsche Fabrikordnung: Gotha gegründeten „Sozialisti- selbstständigen Arbeiterverei- Beiträge: nur Arbeitgeber) Die vielfältigen Aufgaben wie schen Arbeiterpartei Deutsch- ne und Gewerkschaften, auch sowie Invalidität und Alter Streit schlichten und Vergehen lands“ erstrebte „mit allen die christlich-sozialen Vereine. (1889, Beiträge: Arbeiter und bestrafen, aber auch Beratung gesetzlichen Mitteln den freien Versammlungen wurden eben- Arbeitgeber gleich hoch, plus der Fabrikleitung übernahm Staat und die sozialistische so verboten wie Presseorgane; Staatszuschuss) galten als bei- nun ein sechsköpfiger Arbei- Gesellschaft, die Zerbrechung bis 1890 wurden rund 1500 spielhaft in Europa.

Idee & Tat - Extra/04 14 Kaiserreich

Befriedung nach 20 Jahren Jahr Technik, Wirtschaft, Parteiungen Politik und Geistesleben

In seinem Kampf gegen die Sozialdemokratie war Bismarck 1872 Fabrikant Franz Brandts führt Arbeiterrat ein schließlich zum „geordneten Behindertenheimstätte Bethel durch F. von Bodelschwingh (Innere Mission) Rückzug“ gezwungen. Die 1873-74 Wirtschaftskrise in Europa, einheitliches Sozialgesetzgebung hatte die Geld- und Münzwesen in Deutschland Anhänger der Sozialdemokra- erster Tarifvertrag im Buchdruck tie nicht zufriedenstellen kön- 1875 Gründung der „Sozialistischen Arbeiter- Einweihung des Hermannsdenkmals im Teuto- nen. Bis 1890 konnte die SPD partei Deutschlands“, Gotha burger Wald als Nationaldenkmal unter Anwe- ihre Mandate verdreifachen. Steyler Missionare senheit Wilhelms I. 1876 Viertakt-Motor von N. Otto Reichsgesetz über Hilfskassen (Möglichkeit der Auch beim Kulturkampf Milzbranderreger (R.Koch) Kommunen, Kassen zwangsweise einzurichten, musste Bismarck ab 1876 stu- „Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wis- wurde kaum praktiziert) fenweise einlenken. Bis Mitte senschaft“, Gründer u.a. Georg v. Hertling Bayreuther Festspielhaus wird mit Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ eröffnet der 1880er Jahre hatte das Zen- 1877 Christlich-sozialer Verein stellt – gegen das „Antrag Galen“, Zentrum: Arbeiterschutz, Sonn- trum einige kleinere Erleichte- Zentrum – in Essen den ersten, schließlich tagsruhe, Gesundheitsschutz, Arbeitsgerichte rungen erreichen können. erfolgreichen Arbeiterkandidaten für den Doch dann wurden die Katho- Reichstag auf: Gerhard Stölzel (bis 1895); Ketteler fordert im Hirtenbrief „Über die liken und ihre parlamentari- christliche Arbeit“ Gewerkschaften sche Vertretung von Bismarck und der Kurie beiseite gescho- 1878 Christlichsoziale Arbeiterpartei, Gründer Zwei Attentate auf Wilhelm I. Adolf Stoecker, ev. Hofprediger in Berlin Sozialistengesetz (gegen Arbeitervereine) ben. Nachdem sich das Zen- (1881–1918 Christlichsoziale Partei) Obligatorische Fabrikinspektion, beginnender trum verschiedenen Forderun- Gründung des „Augustinusvereins zur Arbeitsschutz für Frauen gen Papst Leos XIII. (1878- Pflege der katholischen Presse“ Leo XIII.: Enzyklika gegen den Sozialismus 1903) verweigert hatte, Bism- 1879 Schutzzollpolitik Deutschlands Friedrich Nietzsche: Menschlich, Allzumenschli- arck zu unterstützen (insbe- Industrielle Nutzung des Thomasverfah- ches (Auseinandersetzung mit dem Nihilismus) sondere im Streit um den rens bei Stahlerzeugung; Glühbirne von Militärhaushalt), lag die Kluft Edison, Straßenbeleuchtung in NewYork zwischen bürgerlich-parlamen- 1880 Synthetischer Farbstoff (A. v. Baeyer) Franz Hitze: „Kapital und Arbeit und die Reor- tarischer Rechtsauffassung Typhus-Erreger (R.Koch); 625 000 Men- ganisation der Gesellschaft“ (Kritik des Wirt- und dem vorkonstitutionellen schen seit 1871 ausgewandert schaftsliberalismus) Gründung des Vereins „Arbeiterwohl“ Duden: „Orthographisches Wörterbuch der Gebaren frei zu Tage. Rom durch katholische Unternehmer deutschen Sprache“ konnte „Sonderrechte“ errei- Fertigstellung des Kölner Doms chen, nahm dafür den Fortbe- 1881 Entdeckung des Leprabazillus (Hansen) „Kaiserliche Botschaft“ vom 17. November 1881: Ankündigung der Sozialgesetzgebung stand einiger Gesetze in Kauf, Zentrum stärkste Fraktion so die Zivilehe, die Schulauf- 1882 Entdeckung des Tuberkelbazillus (R. Koch) Charles R. Darwin ¦ (1859 f.: „Über die Entste- sicht, das Jesuitenverbot (bis Gründung von evangelischen Arbeiterver- hung der Arten durch natürliche Zuchtwahl“) einen, Zusammenschluss 1890 Heinrich Schliemann ¦ (Entdeckung Trojas, 1917), die Anzeigepflicht bei Grabungen ab 1870) Stellenbesetzung, den Kanzel- 1883 Gründung des ev. „Christlichen Vereins Krankenversicherungsgesetz für Arbeiter paragraphen. Die Rückkehr junger Männer (CVJM)“ Karl Marx ¦ zur verfassungsrechtlich abge- 1884 Entdeckung des Diphterie-Erregers (Löff- Unfallversicherungsgesetz ler), Antipyrin als Fiebermittel (Knorr) Franz Hitze wird in den Reichstag gewählt (bis sicherten Grundlage für die Franz Hitze: „Grundzüge für die Organisa- zu seinem Tod 1921) allgemeine Religions- und Kir- tion und Gründung katholischer Arbeiter dt. Kolonien in Afrika und in der Südsee chenfreiheit war damit vorerst vereine“, Rede auf Katholikentag in Amberg 1885/86 Automobile von C. Benz, G. Daimler, W. Verbot von Kinderarbeit in Fabriken bis zum 12. verbaut. Maybach; nahtlose Röhren von R. Man- Lebensjahr, bis zum 14. Lebensjahr begrenzt Immerhin konnte die Ver- nesmann auf 6 Stunden täglich söhnung der katholischen Aseptische Chirugie (E.v. Bergmann) Leopold von Ranke ¦ (Begründer der kritischen Geschichtsschreibung) Bevölkerung mit dem preußi- 1888 Wilhelm I. ¦, Wilhelm II. König von Preußen und schen Staat beginnen. Ab den deutscher Kaiser 1890er Jahren bekam das Leo XIII.: Enzyklika gegen den Liberalismus katholische Verbandswesen 1889 II. Sozialistische Internationale proklamiert Gesetz, betreffend die Invaliditäts- und Alters- neuen Schwung, die Enzyklika den 1. Mai zum Arbeiterfeiertag versicherung „Rerum novarum“ gab dem sozialen Engagement seinen 1890 Tuberkulin (R. Koch) Einrichtung von Gewerbegerichten (Vorläufer 1 342 400 Menschen ausgewandert seit 1881 der Arbeitsgerichte) Segen – doch mit dem Fortfall Gründung der Generalkommission der Aufhebung des Sozialistengesetzes der existentiellen Bedrohung Gewerkschaften unter Carl Legien Entlassung Bismarcks durch Wilhelm II. (März) brachen nun die schwelenden Gründung des „Volksvereins für das ka- tholische Deutschland“ durch Windthorst, Spannungen innerhalb des Brandts und Hitze, Sitz Mönchenglad- sozialen und politischen bach Katholizismus auf. Idee & Tat Extra/04 15 Lob und T

Links: Titel der Zeitschrift des Volksvereins für das katholische Deutschland, die Ende des 19. Jahrhunderts größte Bedeutung für den sozialen und politischen Katholizismus gewann (Jubiläumsausgabe). adel Foto: Stadtarchiv Mönchengladbach

Mitte: Franz Hitze. Er arbeitete das Pro- gramm für einen katholischen Massenverein aus, der Gegengewicht zur sozialistischen Bewegung sein sollte.

Rechts: Heinrich Pesch. Er schuf ein Theorie- werk, in dem er sich um die Verbindung von Markt und Sozialisierung sowie Individualismus und Gemeinschaft bemühte. Fotos (2): KNA 4. Die Kirche lobt und verwirft Der bevormundete und der mündige Arbeiter

Der Schritt vom 19. ins 20. industrialisierten Osten in den Not des Proletariats oder ist „So wenig das Kapital ohne Jahrhundert war von dem Westen. Die „Massengesell- ein je eigenverantwortliches die Arbeit, so wenig kann die schroffen Nebeneinander alt- schaft“ entstand. Zusammenwirken von Kirche, Arbeit ohne das Kapital beste- hergebrachter und moderner Bis dahin hatte der Klerus Staat sowie den Betroffenen hen.“ Lebensstile, technischem Fort- auf die Soziale Frage zumeist und gesellschaftlichen Grup- Die katholische Position des schritt und überkommener durch seelsorgliche Belehrung pen vonnöten? natürlichen Rechts auf Eigen- Besitzverhältnisse begleitet. Im der Arbeiter und Mahnung tum interpretiert Leo auch als Deutschland Wilhelms II. der Besitzenden zu Werken der „Rerum novarum“ Recht des Arbeiters auf Eigen- gaben Adel, Militär und Nächstenliebe und des Almo- tum. Lohngerechtigkeit bedeu- Großbürgertum den Ton an, sens reagiert. Priester wie „Der Geist der Neuerung“ te, dass der Arbeiter für sich während Arbeiter und Klein- Bischof Ketteler und Adolph sind die Anfangsworte der und seine Familie angemessen bürger um ihre Stellung im Kolping waren trotz ihres viel- ersten Sozialenzyklika, die sorgen und für sein Alter ein Staat zu kämpfen hatten. Die gelobten Engagements Aus- 1891 von Leo XIII. unterzeich- entsprechendes Vermögen Industrialisierung erlebte ab nahmen geblieben. Desglei- net wurde. Der Papst widmete erwirtschaften kann. Damit Mitte der 1890er Jahre einen chen stießen Sozialpolitiker sich hierin ausschließlich der werden Sozialismus und neuen Aufschwung, von des- der katholischen Verbände Arbeiterfrage. Die kapitalisti- Staatsfürsorge ausgeschlossen. sen Früchten die Besitzlosen und der Zentrumsfraktion in sche Wirtschaftsweise wird Galt bisher „alles für den ihren Anteil forderten. ihrem Milieu auf hartnäckigen anerkannt, zugleich zum Arbeiter, nichts durch den Von 1870 bis 1910 vervier- Widerstand. Kampf gegen deren Auswüch- Arbeiter“, wird nun eine gewis- fachte sich die Bevölkerung in Die entscheidende Frage, se aufgerufen. se Mündigkeit zugestanden. den Großstädten; Gründe die sich wie ein roter Faden Die Reichen und die Armen Das Recht auf Vereinsbildung waren geringere Säuglings- durch die Vielzahl der inner- zu versöhnen und den Sinn wird als Menschenrecht propa- sterblichkeit, höhere Lebenser- katholischen Konflikte zieht, der Ordnung der unterschied- giert. wartung und der Zuzug von war: Hat die Kirche die allum- lichen Stände hierbei zu wah- Der Unterschied zwischen Arbeitskräften aus dem wenig fassenden „Heilmittel“ für die ren, ist das Ziel der Kirche: Standesverein und Gewerk- Idee & Tat - Extra/04 16 Lob und Tadel

Links: Papst Leo XIII Rechts: Kolpingmitglied Adam Stegerwald war für Streiks. Fotos (2): KNA

schaft wird nicht gesehen, was durch Pfarrer Lorenz Werth- Brandts und August Pieper tionelle Volksvereinsrede zum später in einen schmerzhaften mann; 1899 der „Verein zum einer der führenden Köpfe. Zu Thema „Papsttum und christli- innerkirchlichen Klärungspro- guten Hirten“/ „Katholischer den Aufgaben des Volksvereins che Demokratie“. Auf die kurz zess führte. Als mitzuständig Fürsorgeverein für Mädchen, zählten sie die Förderung der zuvor verkündete Enzyklika wird der Staat verpflichtet. Er Frauen und Kinder“ durch katholischen Arbeitervereine, „Graves de communi“ bezug- habe Gerechtigkeit gegen alle Agnes Neuhaus; 1903 der die als Standesvereine von Kle- nehmend, in der Leo die zu üben und notfalls durch „Katholische Deutsche Frau- rikern geleitet wurden, und ab „christliche Demokratie“ Schutzgesetze die geistigen enbund“ durch Minna 1893 die Unterstützung der unpolitisch als rein soziale und materiellen Ansprüche zu Bachem-Sieger. christlichen Gewerkschaften. Tätigkeit zum Wohle des sichern; genannt werden etwa Größte Bedeutung für den Kern der Tätigkeit war die Volkes definiert, sieht Lieber Sonntagsruhe, Arbeitszeitrege- sozialen und politischen direkte Hilfe durch Volksbüros diese Form durch den Volks- lung sowie Frauen- und Kin- Katholizismus gewann der und Vertrauensleute, die He- verein verwirklicht. derarbeit. 1890 gegründete „Volksverein rausgabe von Schriften wie Die Ausrichtung des Volks- Bei aller Neuverteilung der für das katholische Deutsch- den „roten Heften“ (Mitglie- vereins war den paternalis- Zuständigkeiten trägt jedoch land“. Im Vorfeld war um die derzeitschrift) und Flugschrif- tisch-konservativen Vertretern weiterhin an erster Stelle die Zielrichtung eines allgemeinen ten (bis 1914 ca. 90 Mio.) und in Zentrum, Klerus und unter Kirche die Verantwortung. Sie Katholikenvereins gestritten schließlich das praktisch-sozia- den Laien ein Dorn im Auge. hat beiden Klassen und den worden. Der Zentrumsführer le und volkswirtschaftliche Die Früchte der Arbeit formu- Staatslenkern die rechte Gesin- Ludwig Windthorst hatte sich Kursangebot. lierte der christliche Gewerk- nung einzuschärfen, denn entschieden gegen einen anti- In Seminaren für Arbeiter, schafter Johannes Giesberts „ohne Zuhilfenahme von Reli- protestantischen Kampfbund Handwerker, Kaufleute, Bau- (1865–1938), ehemals Heizer, gion und Kirche ist kein Aus- ausgesprochen – wie von ern, Beamte, Techniker, Leh- als Redakteur nach München- gang aus diesem Wirrsale zu Bischof Korum (Trier) und rer, Frauen und Kleriker wur- Gladbach geholt und in der finden“. Mitstreitern geplant –, um kei- den tausende Katholiken aus- Weimarer Republik Reichs- Unverkennbar hat Ketteler nen neuen Kulturkampf vom gebildet. Der Berliner „Groß- postminister, in einem Satz: dem Rundschreiben Pate Zaun zu brechen. Statt dessen stadtapostel“ und Studenten- „München-Gladbach hat uns gestanden, den Leo XIII. ein- arbeitete Franz Hitze ein Pro- seelsorger Carl Sonnenschein Arbeiter das Denken gelehrt.“ mal „son grand prédécesseur“ gramm für einen katholischen richtete das „Sekretariat Sozia- – seinen großen Vorgänger – Massenverein aus, der Gegen- ler Studentenarbeit“ ein, um Solidarismus – der genannt hat. Im übrigen hatte gewicht zur sozialistischen die akademische Jugend für „Dritte Weg“ die Union de Fribourg, eine Bewegung sein sollte. die Sozialarbeit zu gewinnen. internationale Vereinigung In der atheistischen und Der Volksverein wurde zur Was vermag die praktische katholischer Sozialwissen- antikirchlichen Agitation sah Kaderschmiede, zum „sozialen soziale Arbeit und Sozialpoli- schaftler, lange Jahre für eine man die weit aktuellere Gefahr Gewissen“ des Zentrums – tik ohne theoretische Fundie- verbindliche katholische Sozi- für die Kirche und die katholi- ohne seine Unabhängigkeit rung? Um auf Dauer wirken allehre vorgearbeitet. schen Arbeiter. Vereinszweck gegenüber Kirche oder Partei zu können, hielt Heinrich wurde „die Bekämpfung der aufzugeben. Pesch (1854–1926) die systema- Schule der Arbeiter Irrtümer und Umsturzbestre- Schon im ersten Jahr konn- tische Auseinandersetzung mit bungen auf sozialem Gebiet ten über 100 000 Mitglieder sozialen Modellen für drin- „Rerum novarum“ wurde zu und die Verteidigung der gewonnen werden (Jahresbei- gend erforderlich. Der Kölner Recht als Anerkennung der christlichen Ordnung in der trag: eine Reichsmark); bis Schneidersohn hatte Theolo- katholischen Sozialbewegung Gesellschaft“. 1914 waren es über 800 000 in gie, Jura und Nationalökono- verstanden, nun gingen von Franz Hitze (1851–1921), ein 6 500 Ortsvereinen mit 60 000 mie studiert; nach seinem Ein- ihr wichtige Impulse aus. von einem Olpener Bauernhof Vertrauensleuten. tritt in den Jesuitenorden Neben neuen Arbeiter- und stammender Geistlicher, So- Auf dem Katholikentag in wurde er nach England Gewerkvereinen entstanden zialwissenschaftler und Reichs- Osnabrück 1901 hielt Ernst geschickt, wo ihm „das Los beispielsweise 1897 der „Cari- tagsabgeordneter des Zen- Lieber, Führer der Zentrums- der Arbeiterklasse … jeden Tag tas-Verband Deutschland“ trums, war neben Franz fraktion, die mittlerweile tradi- vor Augen stand“.

Idee & Tat - Extra/04 17 Lob und Tadel

Bergleute im Ausstand, hier in Durham (Nordengland). Abbildung: bpk

Die liberale Ökonomie, die nische Einheit des Berufsstan- Deren Hoffnungen auf eine Gewerkschaften ihre Unter- sich auf „Naturgesetze“ des des waren die zentralen Anlie- weltanschaulich neutrale Ge- stützung zugesagt. Sie sollten Marktes und den natürlichen gen von Pesch. Sein „christli- werkschaftsbewegung nach die konfessionellen Arbeiter- Egoismus berief, schien ihm cher Solidarismus“, als katho- dem Vorbild der englischen vereine, die keine wirtschaft- ebenso unzulänglich wie der lische Einheitslinie gepriesen, Trade Unions hatten sich liche Interessenvertretung wa- „wissenschaftliche“ Sozialis- prägte über seine Schüler angesichts des antireligiösen ren, ergänzen. mus, der Klassenkampf und Gustav Gundlach und Oswald und klassenkämpferischen Diese „München-Gladbach/ Kollektivismus als vorgezeich- von Nell-Breuning die Enzykli- Programms der Sozialisten zer- Kölner Richtung“ wurde ab netes Entwicklungsgesetz ka „Quadragesimo anno“ schlagen; diese nötigten die 1900 von der „Berlin/Trierer begründete. Pesch, der auch (1931) Pius’ XI. katholischen Arbeiter entwe- Richtung“ scharf angegriffen. Gedanken Kettelers und Hert- Pesch wollte zur Versittli- der zur Aufgabe ihrer Religion Streik galt ihnen als verwerfli- lings aufgriff, bemühte sich chung der Volkswirtschaft bei- oder beschimpften sie als „Ver- ches Klassenkampfmittel, und um eine Synthese von Markt tragen; aber er warnte auch vor räter“ an ihrer Klasse. statt Interkonfessionalität und Sozialisierung, von Indivi- Übertreibungen. Aus der Hei- Der fränkische Schreiner wurde ein „positiv kirchliches dualismus und Gemeinschaft. ligen Schrift sei kein Wirt- Adam Stegerwald (1874–1945), Bekenntnis“ verlangt. Bischof In der „Solidarität“ sah er schaftssystem abzuleiten: „Mit Mitglied des Kolpingschen Korum ließ verlauten: „Auch eine „sittliche Forderung der Religion kann man kein Korn Gesellenvereins und des Arbei- wenn die Gewerkschaften nur vernünftigen Menschennatur“. dreschen.“ terwahlvereins des Zentrums, katholische Mitglieder aufwie- Dabei unterscheidet er drei stieß in München zur Gewerk- sen, die Leitung aber einem Ebenen der Solidarität: 1. die Gewerkschaftsstreit schaftsbewegung. 1902 wurde Arbeiter zuwiesen, müssten wir allgemein menschliche der er zum Generalsekretär des sie bekämpfen. Alles kommt „Gottesfamilie“; 2. die der Das wachsende Selbst- Gesamtverbands der Christli- darauf an, dass die Geistlichen Staatsgenossen und des bewusstsein der Arbeiter war chen Gewerkschaften gewählt. die katholischen Arbeiter in gemeinwohlverpflichteten am Organisationsgrad ihrer Man bewegte sich selbstver- der Hand behalten.“ Staates und 3. die der Berufs- Verbände ablesbar. Hatten die ständlich auf dem Boden der Der so genannte Integralis- genossen untereinander. Letz- sozialdemokratisch orientier- staatlichen Ordnung, doch mus beanspruchte, alle Fragen tere Form soll insbesondere ten „Freien Gewerkschaften“ ebenso selbstverständlich des öffentlichen wie privaten das Verhältnis von Arbeitge- bereits 1869 fast 50 000 Mit- befürwortete man auch den Lebens aus dem Glauben her- bern und Arbeitnehmern ord- glieder und konnten sich trotz Streik – als ultima ratio des aus zu regeln, bis hin zur nen, ist also das Gegenteil der der Sozialistengesetze bis 1895 Arbeitskampfes. Die Christli- kirchlichen Leitung in Lohn- Klassenkampftheorie. verfünffachen, so begannen chen Gewerkschaften waren fragen der Weber und Eisen- Eingeschlossen sind darin die „Christlichen Gewerk- interkonfessionell angelegt, gießer. Stimmführer der Inte- Vorstellungen wie betriebliche schaften“ erst ab 1894 und um mit allen, die nicht antire- gralisten war Georg Kardinal und überbetriebliche Mitbe- erreichten nach einem Jahr ligiös eingestellt waren, zusam- Kopp (1837–1914). Als gebürti- stimmung bis hin zu einem 5 500 Mitglieder. Bis 1913 menarbeiten zu können. ger Hannoveraner trat er für staatlichen Wirtschaftsrat. Der wuchsen die „Freien“ auf rund Auf Anregung Franz Hitzes die nationale Aussöhnung ein, Mensch als Träger wirtschaftli- 2 530 000 an, die „Christli- hatten die Katholikentage der was ihn zum Mittelsmann zwi- chen Handelns und die orga- chen“ auf 340 000. 1890er Jahre den Christlichen schen Rom und Berlin

Idee & Tat - Extra/04 18 Lob und Tadel befähigte und ihm die Unter- stützung der Regierung ver- Jahr Technik, Wirtschaft, Parteiungen Politik und Geistesleben schuf, als es um die Berufung zum Fürstbischof von Breslau ging. Patriarchalisch geprägt, 1891 Erfurter Programm der SPD; erster Ludwig Windthorst † war er dem Adel und den Gewerkschaftskongress, sozialistische Enzyklika Rerum novarum, Leo XIII. schlesischen Großgrundbesit- „Freie Gewerkschaften“ (1892) Arbeiterschutzgesetze: Gefahrenschutz, Sonntagsru- „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“ he, Einschränkung der Kinderarbeit, Arbeitszeit für zern zugeneigt. von christl. und jüd. Bürgern Jugendliche u. Frauen, fakult. Arbeiterausschüsse Er fürchtete eine „Dekatho- 1893 Deutschland überflügelt England in der Stahler- Gerhard Hauptmann: „Die Weber“, Uraufführung lisierung“, deren Wurzeln er zeugung; Dieselmotor zunächst verboten Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdi- Ende der freien Landnahme in den USA, entspr. im Volksverein und in dessen schen Glaubens weniger Einwanderung emanzipatorischer Schulungs- 1894 Diphterieserum (E.A.v. Behring) Bau des Reichstags abgeschlossen (Beginn 1848) arbeit sah. Für die „Verseu- Gewerkverein christlicher Bergarbeiter (Dort- mund) durch August Brust chung des Westens“ drohte er 1895/96 Röntgenstrahlen (K. Röntgen) Erste Olympiade der Neuzeit in Athen August Pieper und anderen Bund deutscher Frauenvereine (Ziel: Gleichbe- Heinrich von Treitschke † (Historiker: „Deutsche mit Verurteilung aus Rom. rechtigung) Geschichte im 19. Jahrhundert“) Kath. Jungmännerverband Deutschlands Simplicissimus (Satirezeitschrift) Die katholischen Arbeiter, 1897/98 Dieselmotor, elektrische Eisenbahn in Berlin Erstes Flottengesetz: Verstärkung der Kriegsflotte angefeindet von den Sozialis- (Siemens), drahtlose Telegraphie (Marconi); Theodor Fontane † (1885: Effie Briest), Richard ten und abgekanzelt von der Entdeckung des Radiums (M. und P. Curie) Strauss, Hofkapellmeister in Berlin (Tondichtung: Also Deutscher Caritasverband Freiburg sprach Zarathustra, nach Nietzsche,1896) Kirche, waren die Leidtragen- Erster Zionistenkongress in Basel den. Trotzig waren Sprüche 1899 Erster Kongress der Christlichen Gewerkschaf- Erste Haager Friedenskonferenz bekannt wie: „Was schert uns ten, Mainzer Leitsätze: interkonfessionell und Technische Hochschulen erhalten das Promotionsrecht parteiunabhängig „Zuchthausvorlage“ (gegen Gewerkschaften) schei- Kopp und Korum? Wir pfei- Verein „Zum guten Hirten“ (Sozialdienst kath. tert fen auf Rerum novorum!“ Frauen) von A. Neuhaus Für das Fuldaer Pastorale 1900 Quantentheorie (Max Planck) Bürgerliches Gesetzbuch und Handelsgesetzbuch; Bevölkerungsentwicklung: zwischen 1800 und Ladenschlussgesetz von 1900 hatte Kopp die 1900 in Deutschland von 24.5 Mio. auf 56,4 Boxeraufstand, Wilhelm II. schickt Truppen in die chi- Bischofskonferenz noch hinter Mio., Verstädterung nesische Kolonie, Friedrich Nietzsche † Beginn d. Jugendbewegung, Ziele: Einfach- Fuldaer Pastorale der Bischofskonferenz gegen inter- sich bringen können; danach heit, Natürlichkeit, Selbst- statt Fremderziehung konfessionelle Gewerkschaften waren nur von Priestern gelei- 1901/02 Bau der sibirischen Eisenbahn; Enzyklika Graves de communi über die christliche tete Arbeitervereine mit ent- Erste Nervennaht (H. Cushing) Demokratie, Leo XIII. Thomas Mann: Buddenbrooks sprechenden Fachabteilungen 1903/04 Deutschland überflügelt England in der Rohei- Verbot der Kinderarbeit, einschließlich der Heim- erlaubt. Zwölf Jahre später sengewinnung arbeit von Kindern erließ Pius X. mit der Enzykli- Gesamtverband Christlicher Gewerkschaften, Gründung von Kaufmanngerichten A. Stegerwald Generalsekretär Pius X. (1903–1914) ka „Singulari quadam“, dass Katholischer Deutscher Frauenbund unter bestimmten, engen Vor- 1905/06 Relativitätstheorie (A. Einstein); Salvarsan Heinrich Pesch: Lehrbuch der Nationalökonomie aussetzungen interkonfessio- [gegen Syphilis] (P. Ehrlich) (fünf Bände, bis 1923) Bergarbeiterstreik unter Beteiligung aller Heinrich Mann: Professor Unrat oder das Ende eines nelle Gewerkschaften „gedul- Gewerkschaften, von ca. 280 000 Arbeitern Tyrannen; Malergruppe „Brücke“ in Dresden mit E.L. det“ werden könnten – was die streiken ca. 220 000 für kürzere Arbeitszeiten Kirchner, E. Nolde, E. Heckel und Einsetzung von Arbeiterausschüssen (in Erste Marokkokrise; erste russische Revolution große Mehrheit der Bischöfe Bayern seit 1900) erleichtert aufnahm. Julius Bachem wendet sich gegen Bestrebun- gen der Integralisten, das Zentrum stärker zu Der unselige Gewerkschafts- konfessionalisieren streit ging schließlich im 1907 Enzyklika Pascendi: Verurteilung des Modernismus, Ersten Weltkrieg unter, erst in Pius X. der Enzyklika „Quadragesimo 1908 Erster Internationaler Kongress der Christlichen Zehn-Stunden-Tag für Frauen und Jugendliche; Öff- anno“ wurde die München- Gewerkschaften in Zürich nung des Hochschulstudiums für Frauen Gladbach/Kölner Richtung 1909 Synthetischer Kautschuk (F. Hofmann) Arnold Schönberg, Komponist (Beginn der atonalen Quickborn (Kath. Jugend, ab 1919 von Musik) bestätigt. Oswald von Nell- R. Guardini geleitet; Liturgische Bewegung) S. Freud: „Über Psychoanalyse“ Breuning stellte dazu rück- 1911 Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Reichsversicherungsordnung (RVO), Sozialversiche- blickend fest: „Als Papst Pius Wissenschaft, heute: Max-Planck-Gesellschaft rung für Angestellte, Gesetz zum Schutz der Heimar- beiter XI. 1931 das ‚tolerari posse’ Zweite Marokkokrise Pius’ X. in ‚approbare’ (gut- Malergruppe „Blauer Reiter“ mit F. Marc und W. Kan- dinsky heißen) umwandelte, war das 1912/13 Atomtheorie (N. Bohr) Enzyklika Singulari quadam, Pius X. (Duldung der Mit- für diejenigen, die sich von Reichstagswahlen: SPD stärkste Fraktion gliedschaft kath. Arbeiter in interkonfessionell-christli- den Integralisten als kirchlich Gründung der „Vereinigung der Deutschen chen Gewerkschaften) nur ‚geduldet’ hatten be- Arbeitgeberverbände“ 1914 Panamakanal Ermordung des österreichischen Thronfolgers in schimpfen lassen müssen, eine Bewilligung von Kriegskrediten durch alle Par- Sarajewo, Ausbruch des Ersten Weltkriegs (bis 1918) späte Genugtuung, aber von teien („Burgfriede“) Benedikt XV. (1914 - 1922) Franz Brandts † keiner praktischen Bedeutung mehr.“ Idee & Tat Extra/04 19 Zwischenzeit

Links: Beim Gesellentag im Juni 1933 müssen Kolpinger ein Zeltlager abbrechen, weil es zu Auseinandersetzungen mit Nazischlägern gekommen war. Foto: Archiv Oben: Heinrich Brauns, Köl- ner Priester und Sozialwissen- schaftler, während der Wei- marer Republik acht Jahre Arbeitsminister. Foto: KNA 5. Zwischen den Kriegen Christlich-Soziale in der Weimarer Republik

Mit dem wirtschaftlichen te, deren Schuldenlast später den. Vergebens. Die vierjährige lich zur Verbitterung in weiten Aufstieg des Deutschen Rei- zur Inflation beitrug. Die Metzelei kostete fast acht Mil- Kreisen des Volkes führt. ches wuchs der Anspruch auf Kriegsbegeisterung war allge- lionen (Mio.) Menschenleben eine beherrschende Stellung in mein. Wie andere vaterlän- und 19,4 Mio. Verwundete Weimarer Verfassung der Weltpolitik. Kaiser Wil- disch gesinnte Vereine förderte und Invalide, davon 1,8 Mio. helm II. schrieb das Ziel „Welt- auch der „Volksverein für das bzw. 4,25 Mio. Deutsche. Reichskanzler Prinz Max macht“ auf seine Fahne und katholische Deutschland“ den Zum Elend des Krieges kamen von Baden verkündete am 9. betrieb den Flottenausbau, der Kampfesmut der Soldaten und Streiks, Aufruhr und bürger- November die Abdankung des ihm in der Zeit von Kolonia- den Durchhaltewillen der kriegsartige Kämpfe hinzu. Kaisers, Philipp Scheidemann lismus und Imperialismus als Daheimgebliebenen. Im November 1918 nimmt (SPD) rief die Deutsche Repu- das Instrument militärischer die deutsche Delegation unter blik aus. Damit konnte die Stärke galt. Das deutsche Volk Elend des Krieges Vorsitz des Zentrumspolitikers Räterepublik verhindert und war ungeachtet innerer Span- Matthias Erzberger das Waf- eine parlamentarische Demo- nungen im Patriotismus Als der Feldzug länger dau- fenstillstandsdiktat der Alliier- kratie aufgebaut werden. Der geeint. Ähnlich waren Lage erte als gedacht und Not und ten entgegen; drei Jahre später Sturz der Monarchie war für und Stimmung in den europä- Tod um sich griffen, sprach wird er von Rechtsradikalen viele Bürger, auch für Katholi- ischen Nachbarländern. Der man von einer „Weltenwende“, ermordet. Die materiellen ken und christliche Gewerk- Wettbewerb der Nationen stei- in der sich der Christ Kriegsfolgen, wie Reparations- schafter, ein Schock. Dennoch gerte sich, bis er 1914 mit den bewähren müsse. Dagegen pflichten und Gebietsverluste, sammelten sich die katholi- Schüssen auf den österreichi- hatte Papst Benedikt XV. werden im Versailler Vertrag schen Mandatsträger und stell- schen Thronfolger in Sarajevo (1914–1922) in seiner ersten festgeschrieben. Begründet ten sich der neuen Situation. in blutigen Kampf umschlug. Enzyklika vom 1. November werden die drückenden Lasten Auch der Vorsitzende der Der Reichstag, einschließlich 1914 an die kriegführenden mit der einseitigen Zuweisung Rheinischen Zentrumspartei, Zentrum und Sozialdemokra- Länder appelliert, den „bru- der Kriegsschuld – eine mora- Carl Trimborn, engagiert im ten, bewilligte die Kriegskredi- dermordenden Streit“ zu been- lische Abrechnung, die zusätz- Gesellenverein, unterstützte

Idee & Tat - Extra/04 20 Zwischenzeit

Links: Helene Weber. Rechts: Bernhard Letter- haus. Fotos: KDFB, KNA den Aufruf des Zentrums vom Eingang in den Grundrechts- entwicklung des Arbeits- und ruf. Brauns wirkte ab 1900 im Dezember 1918: „Durch ge- teil und in die Kirchenartikel: Sozialrechts. Volksverein für das katholische waltsamen Umsturz ist die alte Vereinsfreiheit, Glaubens- und Die sozialpolitische Umge- Deutschland für die Arbeiterbil- Ordnung Deutschlands zer- Gewissensfreiheit sowie soziale staltung ging zu einem guten dung, 1919 wurde er in die stört.“ Eine neue Ordnung ist Rechte wie Freiheit und Sozi- Teil von der organisierten Nationalversammlung und auf dem Boden der gegebenen albindung des Eigentums, Arbeiterschaft aus. Schon 1920 in den Reichstag gewählt. Tatsachen zu schaffen; diese Koalitions- und Tarifrecht, während des Krieges konnte Als Abgeordneter widmete er Ordnung darf nach dem Sturz Mitbestimmung und Recht eine funktionsfähige Wirtschaft sich gemeinsam mit Franz der Monarchie nicht die Form auf Fürsorge. Aber eine der nur mit und nicht gegen die Hitze der Sozialpolitik. Den der sozialistischen Republik Schwächen der WRV bestand Arbeiter aufrechterhalten wer- Räteartikel (165 WRV) formu- erhalten, sondern muss eine darin, dass die Grundrechte den. Erste gesetzliche Regelun- lierten sie mit und traten für ein demokratische Republik wer- durch einfache Gesetze außer gen der betrieblichen Mitspra- gemäßigtes Betriebsrätegesetz den. An der großen und Kraft zu setzen waren. che, die Anerkennung der ein, dass den radikal-sozialisti- schweren Aufgabe mitzuarbei- Gewerkschaften als Verhand- schen Rätegedanken ausschloss. ten, ist in erster Linie die deut- Arbeiter treibende Kraft lungspartner der Arbeitgeber Auch die Möglichkeit der sche Zentrumspartei berufen und der Acht-Stunden-Tag Sozialisierung von Produktions- und bereit.“ Im so genannten Die wirtschaftlichen Voraus- waren die Folge. Um den Ein- mitteln konnte die katholische Verfassungsstreit, in dem mon- setzungen für eine moderne fluss zu erhöhen, schlossen sich Seite bejahen. Ihre traditionelle archistische Katholiken die Sozialgesetzgebung waren die christlichen Gewerkschaf- Kapitalismuskritik firmierte in „Verfassung ohne Gott“ denkbar schlecht. Bis 1923 ten auf ihrem Zehnten Kon- den 1920er Jahren unter dem ablehnten, beriefen sich die herrschten hohe Arbeitslosig- gress 1920 in Essen zum Deut- Schlagwort „christlicher Sozia- republikanisch Gesinnten auf keit und eine galoppierende schen Gewerkschaftsbund lismus“, der allerdings nicht im Papst Leo XIII., der jede Inflation, die nicht nur das (DGB) zusammen, der die Sinne des sozialdemokratischen Staatsform als hinnehmbar private Geldvermögen zunich- nichtsozialistischen Arbeitneh- oder kommunistischen Sozialis- erklärt hatte, soweit sie Ord- te machte, sondern auch die merorganisationen vereinte. mus, sondern aus der katholi- nung stiftet, das Gemeinwohl Sozialversicherungen an den Auf dem Kongress rief der schen Soziallehre heraus im zum Ziel hat und das christli- Rand der Zahlungsunfähigkeit Gewerkschaftsführer Adam Sinne des Solidarismus inter- che Sittengesetz achtet. brachte. 1924 bis 1928 ent- Stegerwald – erfolglos – zur pretiert wurde. Die Nationalversammlung spannte sich die wirtschaftli- Gründung einer interkonfessio- beschloss am 11. August 1919 che Lage, bis es 1929 zur Welt- nellen christlichen Partei auf, Arbeitnehmerschutz in Weimar die Reichsverfas- wirtschaftskrise kam. die „deutsch, christlich, demo- sung (WRV). Die Katholiken Damit einher gingen eine kratisch, sozial“ sein sollte. Heinrich Brauns Leitidee waren durch das Zentrum und unheilvolle politische Radika- Tragende Säule der republika- war es, die Arbeit nicht als die Bayerische Volkspartei ver- lisierung und Gewalttätigkei- nischen Neuordnung war die Ware zu behandeln, sondern treten. Langjährige Forderun- ten. Zunächst jedoch bot die Arbeitsgesetzgebung, die in den „arbeitenden Menschen gen des Katholizismus fanden WRV die Basis für die Weiter- achtjähriger Amtszeit – unter als solchen zu erfassen und zwölf Regierungen – von Hein- seine Eingliederung und Stel- rich Brauns (1868–1939) lung im Wirtschafts- und nzyklika Quadragesimo anno, Nr. 79: „Wie dasjenige, was geprägt wurde. Der Arbeitsmi- Rechtsleben menschlich zu Eder Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen nister, Sohn eines Schneiders ordnen“ (Brauns: Katholische eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der aus Köln, war Priester und Sozialpolitik, 1976). Unter sei- Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es Sozialwissenschaftler. Nach ner Ägide wurden der Arbeit- gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und unterge- einer Begegnung mit dem nehmerschutz und die Sozial- ordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen Gründer der Gewerkschaft versicherung weiterentwickelt; können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in christlicher Bergarbeiter, Au- arbeitsmarktpolitische Gesetze Anspruch nehmen zu wollen; zugleich ist es überaus nachteilig gust Brust, warb er für die inter- (z.B. Arbeitsvermittlung) sowie und verwirrt die ganze Gesellschaftsordnung. Jedwede Gesell- konfessionellen christlichen Ausbau des Schlichtungswe- schaftstätigkeit ist ja ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär: Gewerkschaften; dadurch geriet sens, der Arbeitsgerichte und sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber er bei den preußischen Behör- der Sozialfürsorge rundeten niemals zerschlagen oder aufsaugen.“ den als „roter Kaplan“ in Ver- die Reformarbeiten ab.

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Kolpings Wandernde Gesel- len (KWG) beim Kolpingtag 1933. Foto: Archiv Zum 40. Jahrestag von Freiheit, eine Form nach tik offen. Helene Weber setz, beugte sich aber wie die „Rerum novarum“ erschien ihrem Gefallen zu wählen, (1881–1962) hatte als Tochter anderen bei der Reichstagsab- die wohl bedeutendeste Sozia- wenn nur der Gerechtigkeit eines Volksschullehrers in stimmung der Fraktionsdiszi- lenzyklika: „Quadragesimo und den Erfordernissen des Elberfeld selbst eine Ausbil- plin. Als „politisch unzuverläs- anno“ von Pius XI. (1931). Das Gemeinwohls Genüge getan dung zur Gymnasiallehrerin sig“ wurde sie im Sommer Prinzip des solidarischen wird“. Sozialistische Klassen- genossen. Seit 1911 in Köln 1933 aus dem Beamtendienst Gesellschaftsaufbaus wird ent- kampf- und Kollektivierungs- tätig, engagierte sie sich neben- entlassen, später klagte sie, faltet und über die Arbeiterfra- ideen werden ebenso ausge- her im Katholischen deut- dass sie sich nicht alle „wie ge hinaus auf die gesamte schlossen wie faschistische schen Frauenbund für die eine Mauer gegen den Natio- staatliche Ordnung ange- Korporationsideologien. Schulung von Arbeiterinnen. nalsozialismus“ gestellt hätten. wandt. Zustände- und Gesin- Die Enzyklika war 1930/31 Sie war so erfolgreich, dass der nungsreform werden ange- im „Königswinterer Kreis“, Frauenbund 1916 eine Soziale Widerstand mahnt. Der individualistische einer losen Verbindung katho- Frauenschule gründete und ihr Geist im Gefolge der Französi- lischer Sozialwissenschaftler, die Leitung übertrug. Im glei- Zu den bedeutenden katho- schen Revolution habe die alte vorbereitet worden. Neben chen Jahr war sie Mitgründe- lischen Vereinen dieser Zeit Gliederung der Gesellschaft Gustav Gundlach SJ und rin des Berufsverbandes katho- gehört der Verband der Katho- zerschlagen, ohne eine neue Oswald von Nell-Breuning SJ lischer Fürsorgerinnen, dessen lischen Arbeiter- und Knap- zuzulassen. Damit seien politi- gehörten u. a. Theodor Brauer, Vorsitzende sie wurde. 1919 penvereine Westdeutschlands. sche und wirtschaftliche Kräf- Götz Briefs, Paul Jostock und gehörte sie der Nationalver- Verbandssekretär Bernhard te rücksichtslos entfesselt wor- Heinrich Rommen dazu, die sammlung an, ab 1924 saß sie Letterhaus (1894–1944) war ein den, wodurch dem Staat wie aber alle nicht wussten, dass im Reichstag. Mit Christine politisches Talent. Der Textil- dem einzelnen zuviele Aufga- die Jesuiten von Pius XI. als Teusch, gleichfalls Lehrerin facharbeiter aus Barmen, der ben aufgeladen worden seien. Redakteure einer Enzyklika und erste Frauen-Verbandsse- gerne Priester geworden wäre, Diesem Zustand sei der berufen waren. kretärin im Gesamtverband musste mit zwanzig Jahren in „höchst gewichtige“ Grund- Wegen der Machtergreifung der Christlichen Gewerkschaf- den Krieg, aus dem er wohl als satz der Subsidiarität entgegen- der Nationalsozialisten und ten, zählte sie zu der handvoll Patriot, aber als Anti-Nationa- zuhalten: Zwischen dem Staat dem II. Weltkrieg konnte die weiblicher Zentrumsabgeord- list zurückkehrte. Ab 1928 war und dem Einzelnen müssen Enzyklika erst nach 1945 Wir- neter; 1925 kam sie in den Par- er Mitglied des Preußischen die natürlichen Gliederungen kung entfalten. teivorstand. Ihre Kenntnisse Landtags (Zentrum), wo er zugelassen und gefördert wer- und Erfahrungen führten sie gegen Kommunisten und den, die je nach Vermögen die Frau und Politik in das preußische Wohlfahrts- Nationalsozialisten stritt. Auf notwendigen Gemeinschafts- ministerium, dem Adam Ste- dem Katholikentag in Müns- aufgaben übernehmen (siehe Zu den Gliederungen, die gerwald als Minister vorstand. ter 1930 warnte er vor „dem Kasten Seite 20). Die Über- dem Gemeinwohl dienten, Jugendfürsorge und das beruf- falschen Kreuz“ und versuchte windung der Klassengesell- zählten die katholischen Ver- liche Fortkommen der Frauen erfolglos, eine „Volksfront“ schaft verspricht sich die Kir- bände. Nachdem das Recht waren hier ihre Schwerpunkte. aus christlichen Gewerkschaf- che von den Berufsständen. auf allgemeine, gleiche, gehei- Im März 1933 votierte sie in ten, katholischen Arbeiter- Die Enzyklika betont hinsicht- me und direkte Wahl durchge- einer Probeabstimmung des und Gesellenvereinen gegen lich der berufsständischen setzt war, stand speziell den Zentrums mit Christine die SA zu schmieden. Als Hit- Körperschaften (Nr. 85), „die Frauen neben der sozialen Teusch und Heinrich Brüning ler 1933 Reichskanzler wurde, Menschen haben die volle Arbeit auch das Feld der Poli- gegen das Ermächtigungsge- beschwor Letterhaus die Zen-

Idee & Tat - Extra/04 22 Zwischenzeit trumsfraktion zur Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes. Jahr Technik, Wirtschaft, Parteiungen Politik und Geistesleben Prälat Ludwig Kaas erklärte jedoch für die Zentrumsfrakti- 1916 Haber-Bosch-Verfahren: Stickstoffgewinnung Sozialversicherung: Erhöhung der Hinterbliebenen- on, angesichts der „brennen- für Sprengstoffproduktion renten; Hilfsdienstgesetz: Hilfsdienstpflicht der Män- den Not“ von Volk und Staat Grundsatzprogramm des Deutschen Arbeiter- ner, Betriebsverfassung und Arbeitsvertragsrecht, reiche die Zentrumspartei „in kongresses: u.a. Wahlrechtsreform gefordert Koalitionsfreiheit, paritätische Ausschüsse dieser Stunde allen, auch 1917 Richtungsgewerkschaften bilden „Volksbund Friedensresolution der Reichstagsmehrheit im Sinne früheren Gegnern, die Hand, für Freiheit und Vaterland“, treten für Verständi- M. Erzbergers; Georg von Hertling, erster vom Zen- gungsfrieden ein; Massenstreiks trum gestellter Reichskanzler, Wahlrechtsreform, um die Fortführung des natio- Kriegseintritt der USA; Russische Oktoberrevolution nalen Rettungswerkes zu si- 1918 Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften ver- Streik, Meuterei und Revolution, Abdankung des Kai- chern“. Am 2. Mai wurden die einbaren Zentralarbeitsgemeinschaft; Christl. sers, Ausrufung der Deutschen Republik in Berlin (9. Gewerkschaftshäuser besetzt, Gewerkschaften: Frauensekretariat, Ltg. Chris- November); Waffenstillstand tine Teusch; Jugendabt., Ltg. Wirtschaftsgesetze der Volksbeauftragten: 8-Stun- Gewerkschaftsführer verhaf- Gründung der KPD (Karl Liebknecht, Rosa dentag, Arbeitslosenunterstützung, Tarifverträge tet, das Vermögen beschlag- Luxemburg); Nobelpreise für Max Planck (Phy- Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen nahmt. Die „Deutsche Ar- sik) und Fritz Haber (Chemie) beitsfront“ (DAF) wurde als 1919 Deutscher Gewerkschaftsbund (nicht-sozialis- Versailler Vertrag (tritt 1920 in Kraft); Nationalver- tisch); Neudeutschland (ND): Kath. männl. sammlung in Weimar beschließt Reichsverfassung, Zwangsvereinigung der Arbeit- Schüler höherer Lehranstalten Georg von Hertling † nehmer und Unternehmer ein- gerichtet. In diese Zeit fiel der 1920 Gründung der Int. Vereinigung der Christl. Betriebsrätegesetz (9.2.); Heinrich Brauns Arbeitsmi- Gewerkschaften; 10. Kongress der Christl. nister (ab Juni): Schlichtungsordnung, Arbeitszeitver- Abschluss des Konkordats der Gewerkschaften in Essen, Stegerwald-Rede ordnung; Kapp-Putsch in Berlin Katholischen Kirche mit dem 1921/22 Görlitzer Programm der SPD: Bekenntnis zur Franz Hitze † Deutschen Reich (20. Juli). demokratischen Republik Pius XI. (1922–1939) Die katholische Kirche knüpf- 1923/24 Inflation: 1 Pfd. Brot kostet 260 Mrd. Papier- Arbeitszeitordnung te an das Konkordat die Hoff- mark, Währungsreform: Rentenmark, Ein- Besetzung des Ruhrgebiets durch die Franzosen; nung, ihre Existenz im Staat führung der Reichsmark Hitler-Putsch in München sichern zu können. Auch im 1925 Hitler gründet im Münchner Bürgerbräukeller Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund (8. 9.) Falle des Reichskonkordats die NSDAP neu (nach zeitweiligem Verbot) Enzyklika über Königsherrschaft Christi, Pius XI. hatte Letterhaus vergeblich 1926/27 Arbeitsgerichtsgesetz; Arbeitsvermittlung und versucht, über hohe Geistliche Arbeitslosenversicherung zu intervenieren. Er sah in 1928/29 Weltwirtschaftskrise; Prälat Ludwig Kaas: Vor- Bertolt Brecht: Die Dreigroschenoper dem Vertrag weniger den sitz der Zentrumspartei, Stegerwald: Vorsitz der Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz Schutz der Kirche als vielmehr Zentrumsfraktion im Reichstag eine Aufwertung der NS-Regie- 1930 Bruch der Weimarer Koalition von SPD und Zentrum rung. u.a.; Minderheitskabinett H. Brüning (Zentrum); Not- Trotz Repressalien wirkte verordnungen des Reichspräsidenten Letterhaus für die katholi- 1931/32 Vorstand des Gesamtverbandes der Christl. Enzyklika Quadragesimo anno über die christliche Gewerkschaften: „Nationalsozialismus verstößt Gesellschaftsordnung, Pius XI. schen Arbeitervereine, durch gegen die christl. Weltanschauung“; Banken- Rücktritt von Reichskanzler H. Brüning, F. von Papen die im Herbst 1938 verbotene krach: Schließung der Banken und Börsen, bildet „Kabinett der nationalen Konzentration“ Verbandszeitschrift „Ketteler- 6 Mio. Arbeitslose Wacht“, bis er 1939 kurz vor 1933 Essener Richtlinien der Christl. Gewerkschaften Hindenburg beruft Hitler zum Reichskanzler Entfesselung des II. Weltkrie- fordern berufsständische Ordnung gegen Klas- Reichstagsbrand in Berlin (27.2.), erste Konzentrati- senkampf (17.3.), Zerschlagung der Gewerk- onslager, letzte freie Reichstagswahlen (5.3.), Bildung ges einberufen wurde. Durch schaften (2.5.), Selbstauflösung der bürgerli- der GESTAPO, Ermächtigungsgesetz (24.3.), Jakob Kaiser hatte er – wie die chen Parteien, Verbot der SPD (22.6.), NSDAP Boykott jüd. Geschäfte (1.4.), Bücherverbrennungen einzige Partei (14.7.) (10.5.), Deutsche Arbeitsfront (DAF); Konkordat (20.7.) Verbandskollegen Nikolaus Groß und Prälat Otto Müller 1935 Augustinusverein (kath. Presse) aufgelöst – Kontakt zu Widerstandskrei- 1937 Enzykliken Pius’ XI.: Mit brennender Sorge gegen sen. Nach dem fehlgeschla- Nationalsozialismus, Divini Redemptoris gegen Kom- genen Attentat auf Hitler am munismus 20. Juli 1944 wurden Letter- 1938 „Anschluss“ Österreichs, Sudetenkrise haus und Groß verhaftet, vom Reichspogromnacht (9.11.) Volksgerichtshof zum Tode 1939 Überfall Hitlers auf Polen, Entfesselung des Zweiten verurteilt und hingerichtet; Weltkriegs (1.9.1939) Pius XII. (1939–1958) Otto Müller starb im Polizei- gewahrsam. Auf der ersten Ver- 1944 Erster Einsatz von Düsenflugzeugen und Rake- Hitlerattentat missglückt (20.7.): Verhaftungen und tengeschossen Hinrichtungen sammlung christlicher Politi- Weihnachtsbotschaft Benignitas Pius’ XII. über die ker und Arbeiterführer nach Demokratie

Kriegsende am 17. Juni 1945 1945 Abwurf us-amerik. Atombomben über Japan Bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches im Kölner Kolpinghaus (8.5.); Gründung der UN gedachte man ihrer als Blut- zeugen.

Idee & Tat Extra/04 23 Kolpinger ziehen 1949 beim Kolpingtag durch das Neuanfang zerstörte Köln. Foto: Archiv

6. Keine Stunde Null Politischer Neuanfang aus christlichen Wurzeln

Die nationalsozialistische Ziel der dauerhaften wirt- 40 Prozent der Bevölkerung Der 1944 von den Nazis Herrschaft endete mit der schaftlichen und politischen bekamen als Witwen oder Wai- ermordete Nikolaus Groß bedingungslosen Kapitulation Entmachtung Deutschlands. sen, Invalide, Ausgebombte, wandte sich mit anderen der deutschen Wehrmacht am Die Gewaltherrschaft Hit- Flüchtlinge oder Heimatver- katholischen Arbeiterführern 8. Mai 1945. Das Deutsche lers hatte Millionen Opfer triebene die unmittelbaren und Gewerkschaftern des Ket- Reich wird von den Alliierten gefordert: Juden, Sinti und Kriegsfolgen am eigenen Leib teler-Hauses an die Dominika- besetzt und in vier Zonen auf- Roma, Behinderte, politische zu spüren. ner des Klosters Walberberg geteilt. Gegner wie Kommunisten, Das wirtschaftliche, soziale bei Köln, um Rat bezüglich Die ersten Monate stehen Sozialdemokraten und Chris- und politische Leben war in der ethischen Grundlagen im Zeichen der Vergeltung. ten. einem katastrophalen Zu- einer christlichen Staats- und Auf der Potsdamer Konferenz Im Zweiten Weltkrieg wur- stand: Wohnungsnot, Ratio- Gesellschaftsordnung einzuho- einigen sich die Siegermächte den rund 55 Millionen (Mio.) nierung der Lebensmittel und len. auf den Umgang mit Deutsch- Menschenleben vernichtet, da- Unterernährung, Zerstörung Zur Kölner Gruppe gehör- land: alliierte Kontrolle der runter 20,6 Mio. Sowjetbürger, vieler Familien, Heimatlosig- ten neben Groß u.a. Karl deutschen Verwaltung, Dezen- 4,25 Mio. Polen, rund 2,5 Mio. keit, geistige Orientierungslo- Arnold (Kolpingmitglied), tralisierung der Wirtschaft, Bewohner des Balkan, hundert- sigkeit, Angst vor einer Johannes Albers (später Vorsit- Entmilitarisierung und Entna- tausende Franzosen, Briten Zukunft unter Fremdherr- zender der Sozialausschüsse zifizierung. und Amerikaner. Sechs Mio. schaft. der CDU) und Andreas Her- Juden waren umgebracht wor- mes (ehem. Reichsminister). Kriegsfolgen den. Christliche Werte Sie hatten Verbindung zu Deutschland hatte 5,25 Mio. den katholischen Widerständ- In Nürnberg wird ein Inter- Menschen verloren, 1,7 Mio. Die Suche nach einer lern aus Berlin Bernhard Let- nationales Militärtribunal ein- gerieten in Kriegsgefangen- gerechten und humanen terhaus (mit Groß 1944 hinge- gerichtet, das 22 Hauptkriegs- schaft. Die Mehrzahl der Nachkriegsordnung begann richtet) und Jakob Kaiser (Kol- verbrecher zur Rechenschaft großen Städte war zerstört, ein nicht erst nach dem Zusam- pingmitglied, später Bundes- zieht. Industrieanlagen werden Viertel des Reiches wurde unter menbruch. Verschiedene minister für gesamtdeutsche demontiert, Kohle- und Stahl- polnische bzw. sowjetische Ver- Widerstandskreise hatten Fragen), ebenso zum sozialde- reviere ausgebeutet – zum waltung gestellt, fast zwölf Mio. schon in den frühen 1940er mokratischen Gewerkschafter einen als Reparationsleistun- Vertriebene strömten nach Mit- Jahren über eine Neuordnung Wilhelm Leuschner (1944 hin- gen, zum anderen mit dem tel- und Westdeutschland. debattiert. gerichtet) und zu Eugen Gers-

Idee & Tat - Extra/04 24 Neuanfang

Kolping-Mitglied Karl gegründet worden. Eine Welle onsreichen Partei anknüpften. Arnold war der erste von derartigen Parteigründun- Immerhin gelang 1947 die gewählte Ministerpräsi- gen ging durch das Land. Die Gründung des Deutschen dent des neugebildeten neue Partei hatte verschiedene Gewerkschaftsbundes als Ein- Nordrhein-Westfalen. Prägungen und war zumeist in heitsgewerkschaft, in der sich Foto: Archiv der Zeit des Dritten Reichs alle weltanschaulichen Rich- konspirativ vorbereitet wor- tungen zugunsten der Arbei- den, Schwering sprach vom terrechte zusammenfinden „Katakombengeist“. sollten. Die hierin angelegten Spannungen brachen aller- Gegen Materialismus dings zum Nachteil der kleine- ren Gruppe christlicher Ge- Gemeinsam war allen die werkschafter immer wieder Ablehnung des Materialismus auf. sowohl im Sinne des Kapitalis- Karl Arnold (1901–1958), mus als des Marxismus und CDU-Gründer in Düsseldorf tenmaier (ev. Theologe, später Aquin ab. Mit dieser sozial- der Wille, die neue Ordnung und der erste gewählte Minis- Bundestagspräsident). philosophischen Begründung christlich zu begründen. terpräsident des neugebildeten konnten sie sich auch deutlich Christlich hieß nicht mehr Nordrhein-Westfalen, teilte die Gemeinschaft und vom Nationalsozialismus wie nur katholisch, sondern über- Befürchtung, dass angesichts Einzelmensch vom marxistischen Kollektivis- konfessionell, so wie es schon der großen Not ohne Wirt- mus abgrenzen. Julius Bachem 1906 („Wir schaftskontrolle die Gesell- Pater Eberhard Welty ent- Die Vorstellungen einer müssen aus dem Turm her- schaft in wenige Reiche und wickelte in Diskussionen mit christlich-sozialen Neuord- aus“) und Adam Stegerwald ein Heer von Proletariern den Kölner Arbeiterführern nung der Gesellschaft wurden 1920 (Essen) gefordert hatten. gespalten würde. ordnungstheoretische Leitlini- nach Kriegsende unter dem Die Gruppe der katholi- Bei der schwierigen Bildung en, die von der päpstlichen Titel „Was nun“ gedruckt. schen Arbeiterführer und der ersten Großen Koalition in Soziallehre (u.a. „Quadragesi- Zusammen mit der Erweite- Gewerkschafter verfocht im NRW 1947 mit SPD, Zentrum mo anno“, 1931) geprägt rung von 1946, „Die Entschei- Einklang mit den Beratern aus und Kommunisten konnte er waren. Der Westfale Welty dung in die Zukunft“ enthielt dem Kloster Walberberg einen sich gegen die Vorbehalte des (1902–1965) war schon jung die Broschüre die wichtigsten „christlichen Sozialismus“. zwar die katholische Sozial- Dozent für Ethik und Moral- sozialethischen Leitlinien der Damit wurden die Ziele wie ethik schätzenden, aber liberal- theologie an der Ordenshoch- Christlich-Sozialen nach dem Bedarfsdeckungswirtschaft, bürgerlichen Konrad Adenau- schule in Walberberg, parallel II. Weltkrieg. genossenschaftliche Organisa- ers durchsetzen. promovierte er an der Univer- tion, Mitbestimmung, Soziali- sität zu Köln mit der Arbeit Partei aus dem sierung von Produktionsmit- Christliche Union „Gemeinschaft und Einzel- Kolpinghaus teln korrekt umrissen. Die mensch“ (1935). „Kölner Leitsätze“ vom Juni Die zahlreichen Parteigrup- Ihre Kernthese ist die orga- Im Kölner Kolpinghaus tra- 1945, das Programm der frisch pierungen einigten sich Ende nische Verbindung des Einzel- fen sich am 17. Juni 1945 gegründeten „Christlichen 1945 auf den gemeinsamen nen mit dem Ganzen der christliche Gewerkschafter Demokraten Kölns“, und das Namen „Christlich Demokrati- Gemeinschaft. „Richtung- und und ehemalige Zentrumspoli- „Ahlener Wirtschafts- und sche Union Deutschlands“. maßgebend sind das Wohl tiker zur Gründung einer Sozialprogramm“ der CDU Bleibende Ausnahme war die und die Erfordernisse des neuen Partei. Alle 18 Teilneh- der britischen Zone vom gleichfalls überkonfessionell Ganzen. Vom Ganzen her wer- mer waren katholisch, die Februar 1947 nahmen diese ausgerichtete „Christlich den Stellung und Tätigkeit der Hälfte waren Kolpingmitglie- Ordnungsvorstellungen auf. Soziale Union“ Bayerns, zu Einzelnen bestimmt.“ Welty der, unter anderen Dr. Leo Die christlichen Arbeiter deren Gründern in Würzburg wandte sich gegen den Indivi- Schwering, Dr. Karl Zimmer- meinten – wie manche katho- Adam Stegerwald gehörte. dualismus der liberalen Wirt- mann, Bernhard Günther und lische Intellektuelle – das kon- Die im Oktober 1945 in schafts- und Gesellschaftsord- Clemens Hastrich. servativ-liberale Bürgertum Soest/Westfalen neugegründe- nung. Die Broschüre Weltys wurde und der Kapitalismus lägen in te Deutsche Zentrumspartei Selbst der christliche Solida- allen ausgehändigt, um den den letzten Zügen, manche hatte als überlebte Form der rismus der von Heinrich Pesch wichtigsten Punkt der Tages- liebäugelten gar mit der Idee (praktisch überwiegend) ka- geprägten Schule der Jesuiten ordnung, Programmatik und einer „Labour Party“ bzw. tholischen Partei keine Chan- (O. von Nell-Breuning, G. Ausrichtung der Partei, zu einer nichtmarxistischen Ar- ce mehr. Nach anfänglichen Gundlach) war ihm zu indivi- debattieren. Unabhängig von beiter- und Bauernpartei. regionalen Erfolgen verlor sie dualistisch. den Kölnern war schon tags Dies scheiterte jedoch an bis Ende der 1950er Jahre ihre Demgegenüber leiteten die zuvor in Berlin von Andreas der weiterhin antikirchlichen Anhängerschaft. Walberberger Dominikaner Hermes und Jakob Kaiser die Ausrichtung der großen Mehr- Die Union praktizierte von die Gemeinschaftsbezogenheit erste christlich-demokratische heit der Sozialdemokraten, die Anfang an die Idee der Volks- aus der Lehre des Thomas von überkonfessionelle Partei selbstbewusst an ihrer traditi- partei. Neben dem starken

Idee & Tat - Extra/04 Neuanfang 25

Flügel der christlichen Ge- Betätigung durch die britische dung der Klassengesellschaft Oben: werkschafter fanden sich der Militärregierung begann Ade- durch „Wohlstand für alle“ Mitte: politische Katholizismus bür- nauer ab Dezember 1945 seine fanden sich hier als tragende Links: die zerstörte Minori- gerlicher Herkunft, der eher parteipolitische Karriere, stets Säulen für die Lösung der tenkirche in Köln. deutsch-nationale Protestantis- bemüht, den Charakter der sozialen Frage und für eine Fotos: Archiv mus sowie Teile des liberalen CDU als Volkspartei auszu- produktive Wirtschaftsord- Bürgertums. Wie das alte Zen- bauen. Dazu gehörte seine nung wieder. trum schichtenübergreifend Ablehnung des „christlichen lichen Wertvorstellungen auf die Katholiken an sich binden Sozialismus“ und die entspre- Der katholische Beitrag innen- und außenpolitischem konnte, so gelang es den Uni- chende Auseinandersetzung Gebiet fruchtbar machen. Der onsparteien, die Kräfte zu sam- mit den katholischen Arbeiter- Der Verbände-Katholizis- Parlamentarische Rat unter meln, die ungeachtet der Her- führern Arnold, Albers und mus, der fast 100 Jahre eine Vorsitz Adenauers verabschie- kunft und Konfession nach Kaiser. wesentliche Rolle gespielt dete am 8. Mai 1949 in Bonn christlichen Wertvorstellungen Mit der von hatte, zog sich in den vorpoli- ein Grundgesetz, in dem viele Politik betreiben wollten. (1897–1977) vorbereiteten tischen Raum zurück. Der Forderungen der Kirche ver- In der sowjetischen Zone Währungsreform, die ein maß- Wiederaufbau des kirchlichen wirklicht wurden. hatte die christliche Partei geblicher Teil der von den Lebens war stark an die Pfarrei Die Aussöhnung mit den keine Chance, die politische Westalliierten durchgesetzten und Diözese gebunden und europäischen Nachbarn sowie und wirtschaftliche Entwick- Wirtschaftsreform war, begann entsprach so eher dem Bedürf- mit Israel basierte auf dem lung zu beeinflussen. Sehr ab Juni 1948 die Abkehr von nis der Orientierungssuche christlichen Schuldverständnis schnell waren die Vertreter des planwirtschaftlichen und die und des innerlichen Glaubens- und Verantwortungsbewusst- sozialen Katholizismus ver- Hinwendung zu marktwirt- lebens. sein für die Zukunft. Der femt. Jakob Kaiser saß schließ- schaftlichen Ideen. Die neuen christlichen Par- soziale Katholizismus schlug lich einer Exil-CDU vor, In den „Düsseldorfer teien verschufen sich einen sich nicht nur in dem Behar- während die Ost-CDU sich Leitsätzen“ der CDU (1949) eigenen Unterbau, zumal sie ren auf eine theoretische Sozi- mit der sozialistischen Gesell- fand die Kombination von sich auf einen konfessionellen albindung des Kapitals nieder, schaftsordnung arrangierte. freiem Wirtschaften und sozi- Beistand – wie durch den sondern in einer Reihe maß- Der ehemalige Zentrumspo- alpolitischer Flankierung „Volksverein für das katholi- geblicher Gesetze von Kriegs- litiker, Katholikentagspräsi- schließlich die Mehrheit der sche Deutschland“ – nicht opferversorgung, Lastenaus- dent und Kölner Oberbürger- Partei. Adenauer gewann den mehr hätten stützen können. gleich für Heimatvertriebene meister Konrad Adenauer parteilosen Erhard, dessen Gleichwohl waren kirchlich und die so genannte dynami- (1876–1967) hatte der Neu- Konzept der „Sozialen Markt- gebundene Kreise bis Anfang sche Rente über Montanmit- gründung zunächst abwartend wirtschaft“ die Spannung von der 1970er Jahre eine verlässli- bestimmung, Betriebsver- gegenübergestanden, ließ sich Liberalismus und Gemein- che Wählerschaft der Unions- fassung, Kündigungsschutz, aber im September in den Vor- wohlbindung in ein fruchtba- parteien. Mutterschutz, Kindergeld usw. stand der Christlichen Demo- res Gleichgewicht brachte. Die Der politische Katholizis- Auf anderen Feldern erwies kraten Kölns wählen. Nach Kernforderungen der katholi- mus, der sich nach 1945 vor- sich der katholische Stand- einem knapp drei Monate schen Sozialethik wie Solida- zugsweise in der CDU/CSU punkt als eher hinderlich: Die währenden Verbot politischer rität, Subsidiarität, Überwin- sammelte, konnte seine christ- Gleichberechtigung von Mann

Idee & Tat - Extra/04 26 Neuanfang und Frau gehörte zwar zum Grundrechtskatalog, die Durch- Jahr Technik, Wirtschaft, Parteiungen Politik und Geistesleben setzung in einfaches Recht kostete allerdings viel Energie. 1945 Demontage von Industrie, Enteignung von Bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches Kohle- und Stahlindustrie (8.5.), oberste Regierungsgewalt liegt beim „Alliierten Während Helene Weber Gründung überkonfessioneller christlich-demo- Kontrollrat“ (ab 5.6.) noch die klassische Unterord- kratischer Parteigruppierungen, Godesberger „Nürnberger Prozesse“ (18.10.45–1.10.46); Aufhe- Reichstreffen: Einigung auf Parteinamen bung nationalsozialistischer Gesetze nung der Frau unter das „Christlich Demokratische Union Deutsch- Adam Stegerwald † männliche Oberhaupt der lands“ (Dezember)

Familie akzeptierte, ging die 1946 Gründungskongress FDGB in SBZ Zusammenschluss von KPD und SPD zu SED in SBZ nächste Generation doch wei- Eingliederung des Saarlandes in franz. Wirt- (21./22.4.) ter. Mit Vehemenz vertrat schaftsgebiet Aenne Brauksiepe (1912–1997) 1947 „Ahlener Programm“ der CDU (1.–3.2.): „Über- Auflösung Preußens durch Kontrollratsgesetz (25.2.); ein partnerschaftliches Ver- windung von Kapitalismus und Marxismus“ „Marshall-Plan“ Aufbauprogramm für Europa, einschl. Gründung DGB brit. Zone, Bildung des Wirt- Deutschlands ständnis, denn „die Last der schaftsrates der Bizone Deutscher Volkskongress in Ost-Berlin Geschichte ist Männern und Gründung des Bundes der Deutschen Katholi- Schriftsteller gründen „Gruppe 47“, schen Jugend Wolfgang Borchert † (Draußen vor der Tür) Frauen gleichermaßen aufer- legt“. Sie selbst war Mitgrün- 1948 Streiks wegen schlechter Versorgungslage, Berlin-Blockade und „Luftbrücke“ (bis 1949) Währungsreform in den Westzonen (20./21.6.), Konstituierung des Parlamentarischen Rates in Bonn derin der CDU in Duisburg, L. Erhard: „Soziale Marktwirtschaft“ (berät Grundgesetz) nachdem sie als Erzieherin H. Weber: 1. Vorsitzende der Frauenarbeitsge- Verfassung der EKD als öffentlich-rechtliche Vereini- meinschaft CDU/CSU gung der ev. Kirchen aller Zonen, Vorsitz: Martin behinderter Kinder und enga- 72. Dt. Katholikentag in Mainz (der erste seit Niemöller giert in der katholischen Frau- 1932); Gründung der „Gesellschaft kath. Publi- enbewegung praktische soziale zisten Deutschlands“ Arbeit geleistet hatte. In ihrer 1949 Petersburger Abkommen beendet Demontagen Tarifvertragsgesetz, Soforthilfe 24 Jahre währenden Arbeit als „Düsseldorfer Leitsätze“ der CDU Grundgesetz (8.5.) und Konstituierung der Bundesre- DGB als Einheitsgewerkschaft (im Gegensatz publik Deutschland, 1. Bundestagswahl am 14.8.: Bundestagsabgeordnete wid- zu Richtungsgewerkschaft) Konrad Adenauer Bundeskanzler mete sie sich vor allem den „Arbeitsgemeinschaft kirchliche Presse“ Verfassung der SBZ (19.3.), Gründung der DDR (7.10.) Belangen der Jugend, der 1950 Gründung der Bundes-CDU mit Adenauer als Wohnungsbau, Bundesversorgung (Kriegsopfer) Familie und der Frauen, denen Vorsitzenden DDR: Gesetz der Arbeit die Gestaltung von Politik, Charta der Heimatvertriebenen Heinrich Böll: Wanderer kommst du nach Spa… Gesellschaft und Wirtschaft 1951 Montanunion, Berliner Abkommen zum Interzo- Selbstverwaltung der Sozialversicherung, ermöglicht werden sollte. nenhandel, Aufhebung des Ruhrstatuts Montanmitbestimmung, Kündigungsschutz Exil-CDU der SBZ, J. Kaiser: 1. Vorsitzender; Westalliierte: formelle Beendigung des Kriegszustan- Fast zwei Jahrzehnte lang Ost-CDU: „Thesen des Christlichen Realis- des mit Deutschland wurde die christlich-demokra- mus“ (sozialistische Gesellschaftsordnung) tische und soziale Politik von der Mehrheit der Bürger 1952 Evangelischer Arbeitskreis der CDU/CSU Mindestarbeitsbedingungen, Mutterschutz, DDR: Beginn der Zwangskollektivierung Wohnbausparer, Lastenausgleichsgesetz, Betriebs- bestätigt. Die neue Samm- der Landwirtschaft (bis 1960) verfassung lungspartei der christlichen Stalin-Note (Wiedervereinigung); Deutschlandvertrag zwischen Bundesrepublik und den drei Westmächten Kräfte hatte den Nerv der Wiedergutmachungsabkommen mit Israel Nachkriegszeit getroffen, die 1953/54 Kath. Nachrichtenagentur (KNA) Schwerbeschädigtengesetz, Sozialgericht, Arbeits- wirtschaftliche sowie innen- gericht, Kindergeldgesetz und außenpolitische Bilanz Josef Stalin †, Volksaufstand in Berlin und DDR waren anerkannt. Die Erfolgs- 1955 Christliche Gewerkschaftsbewegung Deutsch- Personalvertretungsgesetz kurve begann zu bröckeln, als lands (CGB) in Essen Sowjetunion: formelle Beendigung des Kriegszustan- der patriarchalische Stil der erste „Jugendweihe“ in der DDR, gegen des mit Deutschland; Warschauer Pakt Kirchenbindung gerichtet Hallstein-Doktrin; Bundesrepublik Deutschland sou- „Kanzlerdemokratie“ sich verän (5.5.), BRD wird NATO-Mitglied überlebte. Thomas Mann † Die SPD schloss mit ihrer 1956 Wehrpflichtgesetz Vergangenheit als Klassenpar- Suez-Krise, Ungarnaufstand tei ab und schlug mit dem Bertolt Brecht † „Godesberger Programm“ 1957 Bund der Vertriebenen dynamische Rente, Gleichberechtigung Römische Verträge (EWG, EURATOM) Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik 1959 das Kapitel der Volkspar- erster Satellit („Sputnik“), Sowjetunion (Abstimmung 1955) tei auf. Die katholische Kirche Eisenhower-Doktrin öffnete sich nach gut 15 Jah- 1958 DDR: Abschaffung der Lebensmittelkarten, Atomwaffentaugliche Trägersysteme für Bundes- ren demokratischer Nach- Festlegung der Preise für Grundbedarf wehr; sowj. Berlin-Ultimatum unter Chruschtschow J. R. Becher † (DDR-Hymne Auferstanden aus Ruinen) kriegsordnung der pluralisti- Papst Johannes XXIII. (1958 bis 1963) schen Welt. Papst Johannes 1959–61 Christlicher Gewerkschaftsbund Deutschlands Arbeitslosenversicherung, Bundessozialhilfe, Vermö- XXIII. gab der Eigenverantwor- (CGB) in Mainz gensbildung für Arbeitnehmer, Jugendwohlfahrt tung der Katholiken mehr „Godesberger Programm“der SPD Mauerbau, Berlinbesuch von J.F. Kennedy (1961) Raum denn je. Der politische Privatisierung des Volkswagenwerkes Enzyklika Mater et Magistra, Johannes XXIII. und soziale Katholizismus trat in eine neue Phase.

Idee & Tat Extra/04 27 Im November 1961 schaut das Kolping- blatt – noch unter altem Namen – auf

den Beginn Fr der fast 30 Jahre währen-

den strikten eiheit Trennung von Ost- und Westdeutsch- land durch die Berliner Mauer. Foto: Hölting

7. Das Recht auf Freiheit Wohlstand, Sicherheit und Unruhe

Die junge Bundesrepublik wurde durch den Bau der Ber- Auseinandersetzungen um den modernen Menschen, in das Deutschland war nach fünf- liner Mauer und entsprechen- „wahren“ katholischen Stand- Hier und Heute übersetzt wer- zehn Jahren als sozialer und de Sicherungen der Zonen- punkt gegeben, so war das den. Die Perspektive wechselte demokratischer Rechtsstaat grenze 1961 gestoppt. Die Bewusstsein des katholischen von einem eher statischen zu fest in der westlichen Wertege- Amerikaner zogen mit Pan- Milieus davon unberührt einem mehr dynamischen Ver- meinschaft verankert. Der zern in der Berliner Westzone geblieben. ständnis von Kirche und griff Wiederaufbau war durch auf, beließen es aber aus Sorge War dieses Milieu Anfang damit eine allgemeine Bewe- grundlegende politische Ent- vor einem Kriegsausbruch bei der 1960er Jahre noch relativ gung des (westlichen) Lebens- scheidungen der ersten Jahre der Drohgebärde. stabil, so löste es sich im Laufe gefühls auf. und durch Fleiß und Gemein- Die Katholiken in West- der folgenden zwei Jahrzehnte Technischer Fortschritt, sinn der Bevölkerung rascher deutschland fanden sich erst- auf. Die Pluralisierung, die internationale wirtschaftliche gelungen als je erhofft werden mals seit der Säkularisation Vielfalt gesellschaftlicher, poli- Verflechtungen und demokra- konnte. von 1803 als gleichberechtigte tischer und weltanschaulicher tische Entscheidungsverfahren Maßgeblichen Anteil am Bürger ihres Staates wieder. Sie Überzeugungen, breitete sich änderten das Bewusstsein der wirtschaftlichen Erfolg wie an stellten führende Politiker und im säkularen wie im kirchli- Bürger und Gläubigen. der politischen Stabilisierung konnten mit ihren sozialethi- chen Leben aus. Die soziale Frage sprengte hatten der „Marshallplan“, schen Überzeugungen über die nationalen Grenzen und aber auch die Nothilfen der die eigene konfessionelle Aggiornamento erstreckte sich auf die Ent- US-Amerikaner und anderer Gemeinschaft hinweg politi- wicklungsländer, die teilweise Länder. Im sowjetisch besetz- sche Mehrheiten gewinnen. Im Januar 1959, kurz nach noch bis in die 1960er und ten Teil des Landes wurde hin- Damit löste sich zugleich seiner Erhebung zum Papst, 1970er Jahre als Koloniallän- gegen mit Enteignung und der 150-jährige Druck, der kündigte Johannes XXIII. ein der unter Fremdherrschaft Kollektivierung der planwirt- eine Minderheit zu besonderer Konzil an. Die Botschaft der standen. Entwicklungsarbeit schaftliche Weg erzwungen. Einheit zusammenschweißt. Kirche sollte in die Sprache wurde als sozialethische Die Welle von Flüchtlingen Hatte es auch früher heftige und die Erfahrungswelt des Pflicht ausgerufen.

Idee & Tat - Extra/04 28 Freiheit

Oswald von Nell-Breuning. für die deutsch-polnische Aus- Trier geboren, stieß bereits Der Sozialethiker war von söhnung. Nach dem Krieg pro- während seiner Studentenzeit 1948 bis 1965 auch Berater pagierte er die Sozialpartner- auf die Soziale Frage. Mit 21 der westdeutschen Regie- schaft von Arbeitern und Jahren trat er in den damals rung. Unternehmern als Forderung verbotenen Jesuiten-Orden ein Foto: KNA der katholischen Soziallehre. und hielt sich bis zur Aufhe- Mitte der 1960er Jahre, als die bung des Verbots zumeist in ersten großen Zechen geschlos- den Niederlanden auf. sen wurden, stellte er sich Nach seiner Promotion 1928 schützend vor die Arbeiter. ging er als Professor für Moral- Sie sollten nicht die Haupt- theologie und Gesellschaftswis- last der Umstrukturierungen senschaften an die Ordens- tragen müssen. Immer wieder hochschule Sankt Georgen bei initiierte er Gespräche mit Frankfurt. Die Sozialenzyklika Unternehmern, Arbeitnehmer- „Quadragesimo anno“ Pius’ In seiner ersten Sozialenzy- internationaler Dimension, vertretern und Politikern aller XI. (1931), die er gemeinsam klika „Mater et Magistra“ gewürdigt. Parteien. Mit der evangeli- mit seinem Ordensbruder (1959) schlug Johannes XXIII. Der Person, die das Richtige schen Kirche schloss er sich Gustav Gundlach entworfen bereits den neuen Ton an. Der erkennen und tun, aber auch zwecks Sozialarbeit zusam- hatte, konnte unter der Herr- abstrakte Ordnungsbegriff irren kann, werden nunmehr men. Bei aller Ortsverbunden- schaft der Nazis nicht wirksam „Gemeinwohl“, sofern er sich individuelle Menschenrechte heit schaute er über den Ruhr- werden. auf eine formelhafte organische zuerkannt. Nicht mehr der pott hinaus und gründete mit Nach dem Krieg engagierte Einheit und ebensolche Defini- katholische Glaubensstaat ist „Adveniat“ die neben „Misere- er sich in zahlreichen katholi- tionen der neuscholastischen das Ideal, vielmehr werden die or“ erfolgreichste Spendenak- schen Vereinen, in Arbeitneh- Sozialdoktrin stützte, trat Staaten aufgefordert, Glau- tionen für die Entwicklungsar- merorganisationen, in Wirt- zurück und schob das „gesell- bens- und Meinungsfreiheit zu beit – ganz im Sinne Johannes’ schaftsverbänden sowie im schaftliche Leben“ in seinen garantieren sowie Teilhaberech- XXIII. und Pauls VI. Beirat des Bundeswirtschafts- konkreten Bezügen und seiner te zu gewährleisten. Die Religi- ministeriums. Sein wichtigstes Vielgestaltigkeit nach vorne. onsfreiheit wird als Grundlage Die Freiheit des Nestors Ziel war es, die Marktwirt- Es sei Aufgabe des Christen, der Mission wie auch des fried- schaft mittels einer „leis- dieses Leben, wie es ist, in lichen Nebeneinanders der Kir- Als das II. Vatikanische tungsgemeinschaftlichen Ord- Übereinstimmung mit der chen und Religionsgemein- Konzil 1965 von Paul VI. fei- nung“ zu kanalisieren. Lehre Jesu Christi zu gestalten. schaften anerkannt. erlich beendet wurde und statt Mit Leidenschaft forderte er Der Kernsatz, der später im eines verbindlichen Sozialkate- die Gleichberechtigung und Konzilsdokument „Gaudium Gerechtigkeit und Frieden chismus die Verantwortung Teilhabe der Arbeiter. In sei- et spes“ wiederholt wird, lau- der Laien in den Kultursachge- nem Beitrag zum heftig tet: „Der Mensch ist In der Kommission zum bieten verkündet wurde, kom- umkämpften Thema „Kirche Ursprung, Träger und Ziel Laienapostolat saß Franz mentierte Oswald von Nell- und Arbeiterschaft“ auf der aller gesellschaftlichen Ein- Hengsbach (1910-1991), der Breuning: „Pluralistische Würzburger Synode (1975) richtungen.“ erste Bischof von Essen. Er Gesellschaft und pluralisti- zitierte er Pius XI., es sei ein Die „relative Autonomie der war als Reformer im Zentral- scher Staat sind hier einfach „Skandal“, dass die Kirche auf- Kultursachgebiete“ zieht die komitee der deutschen Katho- als Tatsache vorausgesetzt…“. grund eigener schwerwiegen- Verantwortung des Gewissens liken hervorgetreten, der nicht Daraus ergebe sich die der Versäumnisse die Arbeiter des einzelnen nach sich – nur die alten eigenständigen Unterscheidung zwischen dem verloren habe. Noch heute selbstverständlich ist das gebil- Verbände, sondern vor allem Handeln der Katholiken „im werde die Arbeiterschaft ver- dete, sich an den kirchlichen die Laien der pfarrlichen und eigenen Namen als von ihrem letzt, indem berechtigte sozia- Maximen orientierende Gewis- diözesanen Ebene einbinden Gewissen geleitete Staatsbür- le Forderungen als atheisti- sen gemeint. wollte. ger“ und dem Handeln „im scher Sozialismus gebrand- Die Sachgesetzmäßigkeit Der Bauernsohn aus dem Verbund mit ihren Hirten im markt würden. wirtschaftlicher Regeln hatte Sauerland hatte seine erste Namen der Kirche“. schon Pius XI. in „Quadragesi- Stelle während der Naziherr- Ersteres wurde im deutschen „Mehr Demokratie mo anno“ eingeräumt. Aus schaft in einer Bergarbeiter- Sprachgebrauch dem politi- wagen“ der Erkenntnis der Eigenge- siedlung im Ruhrgebiet verse- schen und sozialen Katholizis- setzlichkeit weltlicher Abläufe hen, wo er sich der Katholi- mus zugeordnet. Die neue Sozi- Umgekehrt lobte er das wird nun in „Gaudium et schen Arbeiterbewegung allehre billigte damit die Viel- Godesberger Programm (1959), spes“, im Kapitel über das anschloss. Zudem widmete er zahl möglicher Auffassungen mit dessen Hilfe die Sozialde- Apostolat der Laien, die Rolle sich der Seelsorge eingewan- im sozialen und politischen mokraten begonnen hatten, des Laien als Fachmann für derter, später auch zwangsre- Bereich und damit auch die sich von der Klassen- zur Volks- politische, soziale, wissen- krutierter Polen. Wahl des politischen Standorts. partei zu entwickeln. Es sei ein schaftliche und technische Auf dieser Erfahrung grün- Oswald von Nell-Breuning „kurzgefasstes Repetitorium Fragen, einschließlich deren dete sich sein späterer Einsatz (1890-1991), wie Karl Marx in der katholischen Soziallehre“. Idee & Tat - Extra/04 Freiheit 29

Das Gespräch zwischen absetzten, um nicht den alten Unionsparteien ab. Doch die Oben: Kardinal Hengsbach. katholischen Sozialethikern Klerikalismusvorwurf zu ern- Enttäuschung durch die sozi- Mitte: Heiner Geißler. und gemäßigten Sozialdemo- ten, geriet sie bei einem Teil al-liberale Koalition ließ nicht Links: Die Bischöfe bei der kraten war nie ganz ver- der Kirchenvertreter und lange auf sich warten. Vor Eröffnung der vierten Sessi- stummt. Im Zuge der Verbür- Katholiken in die Kritik. Die allem die Reformen des Ehe- on des II. Vatikanischen gerlichung der SPD verstärk- Frage nach dem „C“ begleitet rechts, des Sexualstrafrechts Konzils in der Peterskirche. ten sich diese Kontakte. die Christdemokraten seit und der Abtreibung rührten Fotos: CDU; KNA (2) Aufsehen erregend und ihrer Gründung. an den Kern traditioneller zum Unmut der katholischen Hingegen wurden die Sozi- katholischer Positionen. Das Anspruchdenken wuchs. Unionspolitiker veranstaltete aldemokraten, nachdem sie Die gesellschaftliche Debatte Gleichzeitig verschärfte sich die katholische Akademie in Kirche und Religion nicht führte einerseits zur Sammlung die Gesellschaftskritik, seit Bayern 1958 in München eine mehr feindlich gegenüberstan- christlicher Bürger: Es wurden 1968 griffen Studentenproteste erste öffentliche Tagung mit den, für Katholiken wählbar. Arbeitskreise zum Schutz des um sich. führenden SPD-Funktionären Die Hirtenbriefe vor Bundes- ungeborenen Lebens gebildet, Erste größere gesellschaftli- zum Thema „Kirche und und Landtagswahlen enthiel- Großkundgebungen veranstaltet che Krisen und Umbrüche demokratischer Sozialismus“. ten keine Negativliste mehr, und Hilfsaktionen organisiert. zeichneten sich ab: Ölkrise Gustav Gundlach fragte sondern mahnten die Gläubi- Katholische und evangelische und Energieverteuerung, Kern- nach dem Platz, den die SPD gen nur noch, ihre Stimme Kirche gaben erstmals eine kraftwerke und Umweltschutz, der Kirche in der Gesellschaft solchen Parteien zu geben, die gemeinsame Denkschrift heraus, Einbrüche in der Schwerindus- einzuräumen bereit sei. Eine christlichen Werten nicht die „den sittlichen Wertvorstel- trie und Aufstieg Asiens, Ent- Antwort fand sich im Godes- widersprächen. lungen von allgemeiner Gültig- wicklung der Kommunikati- berger Programm und in spä- keit“ Gehör verschaffen sollte. ons- und Computertechnolo- teren Reden Willy Brandts: Umbruch Doch mussten die Kirchen gie als Wachstumsmotor. Zur Zusammenarbeit mit den feststellen, dass sie nicht mehr Kirchen und Religionsgemein- Die Vollversammlung des Einfluss hatten als andere Neue Soziale Frage schaften im Sinne einer „freien Zentralkomitees der Deut- gesellschaftliche Gruppen und Partnerschaft“ sei man stets schen Katholiken schickte dass es für sie schwerer wurde, Bis in die 1980er Jahre band bereit. Soziales Handeln und 1967 mit Bundesverkehrs- eine Sprache zu finden, die schließlich das atomare Übernahme von gesellschaftli- minister Georg Leber erstmals eine zunehmend pluralistische- „Wettrüsten“ Gelder und ver- cher Verantwortung aufgrund einen Sozialdemokraten ins re, emanzipatorischer gesinnte breitete ein diffuses Gefühl religiöser Bindung werde oberste Gremium. Bevölkerung – einschließlich von Kriegsgefahr. Die westli- begrüßt. Der politische Katholizis- der Gläubigen – erreichen chen Sozialstaaten gerieten Während die Katholiken der mus rückte sichtbar von festen konnte. durch Konjunktureinbrüche, überkonfessionellen Unions- Parteizuordnungen ab und Die Aufbaujahre waren vor- wachsende Arbeitslosigkeit, parteien ihrer Politik das repräsentierte seit den 1970er bei. Bis in die 1970er Jahre den Beginn der demographi- christliche Menschenbild als Jahren zunehmend die ver- hinein wurden die sozialpoliti- schen Verschiebung und die selbstverständlich unterlegten schiedensten politischen Rich- schen einschließlich der ver- Kostensteigerung im Gesund- und sich andererseits deutlich tungen. Eine Regierung von mögens- und bildungspoliti- heitswesen in finanzielle Eng- von Ansprüchen der Kirche SPD und FDP löste 1969 die schen Leistungen ausgebaut. pässe, die durch öffentliche

Idee & Tat - Extra/04 30 Freiheit

Schulden aufgefangen wurden. Die organisierte Arbeiterschaft Jahr Technik, Wirtschaft, Parteiungen Politik und Geistesleben stand nicht mehr in scharfem Klassengegensatz zum Unter- 1962 EWG: Gemeinsamer Markt in der Landwirt Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils; nehmertum, sie war in die schaft „Spiegelaffäre“, Rücktritt Verteidigungsminister F.J. Gesellschaft integriert. Die alte Kath. Sozialwiss. Zentralstelle, Mönchenglad- Strauß (CSU) bach: berät dt. Bischöfe und kath. Verbände Kuba-Krise, Abrüstungsverhandlungen Soziale Frage war gelöst. Mit Hermann Hesse † Koalitionsfreiheit, Arbeits- 1963 EWG: Assoziierungsabkommen mit 18 afrikani- Reform Unfallversicherung, Urlaub kampf und Tarifautonomie schen Staaten und Türkei Rücktritt Adenauers, Kanzler Ludwig Erhard gab es Instrumente, für nach- Egon Bahr (SPD): „Wandel durch Annäherung“, Ermordung J.F. Kennedys propagiert neue Ostpolitik Paul VI. (1963 bis 1978) drückliche Forderungen. 1964 Andere Gruppen hatten , Vorsitzender der SPD Bundeskindergeldgesetz; USA zieht in Vietnam-Krieg 1965 Wirtschaftskrise, Europäische Sozialcharta 2. Vermögensbildungsgesetz aber keine Stimme: die kinder- Beginn der „Außerparlamentarischen Oppositi- Aufnahme diplomatischer Beziehungen BRD – Israel reichen Familien, allein stehen- on“ (APO) Abschluss des II. Vatikanischen Konzils de Mütter, alte Menschen, 1966 SPD gewinnt Landtagswahl NRW Behinderte und Nichterwerbs- Große Koalition nach Bundestagswahl, Kanzler Georg Kiesinger (CDU), Vizekanzler Willy Brandt (SPD) fähige. Das alte Schema des 1967 Beginn des ersten Vollstudiengangs „Informa- Rentenversicherung für Angestellte Konflikts von Arbeit und tik“ (TU München) Konrad Adenauer † Kapital war offensichtlich Bildung der Europäischen Gemeinschaft nicht geeignet, denjenigen zu 1968 Einführung der Mehrwertsteuer Gerätesicherheit ihrem Recht zu verhelfen, die EWG: Freizügigkeit der Arbeitnehmer (freie Notstandsverfassung Arbeitsplatzwahl, Gleichbehandlung) DDR: Verfassungsreform (Recht und Pflicht zur Arbeit, am Produktionsprozess nicht Unruhen in Berlin u.a. Großstädten nach Streikrecht entfällt) teilnehmen konnten. Anschlag auf Rudi Dutschke (APO) Invasion des Warschauer Pakts in Tschechoslowakei Heiner Geißler legte den Fin- 1969 Mondlandung der Amerikaner Arbeitsförderung (AFG), Lohnfortzahlung im Gründung des Bundes Evangelischer Kirchen in Krankheitsfall, Kündigungsschutz, Berufsbildung ger auf eine neuentdeckte der DDR (= Ende der Einheit der Ev. Kirche in Koalition von SPD und FDP, Bundeskanzler W. Brandt Wunde. Auf dem CDU-Partei- Deutschland) tag 1975 rückte er die „Neue 1970 Treffen W. Brandt und W. Stoph in Erfurt; Ost-Ver- träge, Kniefall Brandts am Mahnmal des Warschauer Soziale Frage“ ins Bewusstsein. Ghettos Die Union mahnte, der Staat, 1971 DDR: Anstieg der Subventionen (bis 1985: Woh- Bundesausbildungsförderung, Mieterschutz, dem das Gemeinwohl anver- nungsbau: 2 127 auf 14 050, Grundbedarf und Unfallversicherung für Schüler und Studenten traut ist, habe für die „Nichtor- Tarife: 8 527 auf 40 622, Sozialversicherungen: DDR: Erich Honnecker löst Ulbricht ab 6 191 auf 15 211 Mio. Mark Transitabkommen ganisierten“ zu sorgen. 1972 EG-Erweiterung: Großbritannien, Irland, Däne- Rentenreform (ab 63 Jahre; Öffnung für Heiner Geißler, geboren mark; Freihandelszone mit 16 europ. Staaten Selbstständige und Hausfrauen), Betriebsverfassung 1930, hatte an der Jesuiten- Club of Rome warnt vor Umweltzerstörung (erweiterte Mitbestimmung); Arbeitnehmer-Überlas- hochschule in Pullach bei Olympische Spiele in München sung; Grundlagenvertrag mit DDR München Philosophie und in 1973 Europ. Fonds für währungspolitische Zusam- Arbeitssicherheit (betriebliche Fachkräfte für menarbeit; Helmut Kohl Vorsitzender der CDU Arbeitssicherheit); Beginn der Konferenz über Sicher- Tübingen Jura studiert, wo er heit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) über das Recht auf Kriegs- 1974 Herabsetzung des Volljährigkeitsalters von 21 Gesetze: Reform Schwerbehinderte, Konkursausfall- dienstverweigerung aus Gewis- auf 18 Jahre geld, betriebliche Altersversorgung Rücktritt W. Brandts, Kanzler (SPD) sensgründen promovierte. 1975 Terroristen besetzen dt. Botschaft in Stock- Zusammenfassung des Sozialrechts in Sozialgesetz- Seit 1965 nahm er als CDU- holm, Prozess gegen Baader-Meinhof buch, Sozialversicherung für Behinderte; Abgeordneter des Bundestages, „Würzburger Synode“ Strafrechtsreform (u.a. Abtreibung gelockert) Anstieg der Reisen von Bundesrepublikanern in KSZE-Schlussakte in Helsinki als rheinland-pfälzischer Sozial- DDR von 2,7 Mio. (1972) auf 7,7 Mio. minister sowie ab 1977 als Gene- 1976 Gründung der „Europäisch Demokratischen Jugendarbeitsschutz, Mitbestimmung in ralsekretär der CDU, später Union“: 20 christdemokratische und konserva- Kapitalgesellschaften, 1. Ehe- und Familienrechtsre- auch als Bundesminister für tive Parteien aus 13 Ländern form; DDR: Ausbürgerung von Wolf Biermann Jugend, Familie und Gesundheit 1977 Höhepunkt des RAF-Terrors: Ermordung von S. Gesetze zur Kostendämpfung: Renten, Krankenver- besonders auf die Sozial- und Buback, J. Ponto, H.-M. Schleyer sicherung Gesellschaftspolitik Einfluss. 1978 Rente ab 60 Jahre für Schwerbehinderte Volker Schlöndorff/Günter Grass: Die Blechtrommel Orientiert an der katholi- Johannes Paul II. schen Sozialethik und mit tak- 1979 Europäisches Währungssystem (EWS) tritt in Mutterschaftsurlaub, Reform Arbeitsgerichte; tischem Geschick vermochte Kraft, Währungseinheit ECU; erste Direktwah- Warschauer Pakt: SS-20-Raketen; NATO-Doppel- len zum Europäischen Parlament beschluss (Nachrüstung und Verhandlungsbereit- er öffentlichkeitswirksam dar- schaft zu Abrüstung) zustellen, dass die Themen 1980 Gleichbehandlung am Arbeitsplatz soziale Gerechtigkeit ebenso 1981 EG-Erweiterung: Griechenland; Gründung der Künstlersozialversicherung, Kostendämp- wie Frieden und Sicherheit die Bundespartei „Die Grünen“ in Karlsruhe fung Krankenversicherung, Schwarzarbeit, AFG-Kon- Hauptanliegen christlich- Friedensdemonstration in Bonn solidierung Enzyklika Laborem exercens, Johannes Paul II. demokratischer Politik sind. 1982 DDR: „Friedensforum“, Jugendliche fordern Gesetze: Krankenversicherungspflicht der Rentner (in zivilen Ersatzdienst Kraft ab 1984), Beschäftigungsförderung; Helmut Kohl (CDU) nach konstruktivem Misstrauensvotum gegen H. Schmidt Bundeskanzler, Koalition mit FDP

Idee & Tat Extra/04 31 Papst Johan- nes Paul II. 1980 am Grab Adolph Kol- pings in der Minoritenkir- Ausblick che. Mit dem Besuch kurz nach seiner Wahl ehrte das Ober- haupt der katholischen Kirche den Gesellenvater als einen der Gründer der katholischen Sozialbewe- gung. Foto: Archiv

8. „Wir sind das Volk“ Verantwortung für die soziale und demokratische Ordnung

Die Bundesrepublik Deutsch- globale Auswirkung von Risi- finden waren als in SPD oder Wunde. Erst mit der Neurege- land profitierte von der Dyna- ken vor Augen, denen der gar FDP. Und hatten bei den lung im Zuge der deutschen mik der wirtschaftlichen Ver- Nationalstaat allein nicht Bundestagswahlen 1965 insge- Wiedervereinigung wurde sie flechtungen wie vom Schutz gewachsen ist. samt 68 Prozent (%) aller wieder aufgegriffen. Nun wird der militärischen Nato-Partner- Katholiken für die Unionspar- zwar mit der Beratungspflicht schaft. Als Mitglied der westli- „Geistig-moralische teien gestimmt, waren es 1969 der Schwangeren ein morali- chen Wertegemeinschaft nahm Wende“ noch 65%, 1972 nur 57%; scher Einfluss ermöglicht – das Land auch an der Individu- 1980 gab es mit 53% einen eine Aufgabe, derer sich auch alisierung und Pluralisierung Die sozialliberale Koalition Tiefpunkt. Die Regierung Kohl kirchliche Beratungsstellen bis der Industriegesellschaften teil. wurde 1982 durch ein kons- konnte im März 1983 wieder zum Veto des Papstes 1999 Sozialpolitische Forderun- truktives Misstrauensvotum 65% der Katholiken mobilisie- engagiert annahmen –, doch gen, die wirtschaftliche, kultu- gestürzt. Helmut Kohl, Vorsit- ren (Zahlen nach Th. Gauly: wurde durch die Formel relle und politische Teilhabe zender der CDU/CSU-Bundes- Katholiken, 1991, S. 317 ff.). „rechtswidrig, aber straffrei“ des Einzelnen zu garantieren, tagsfraktion, bildete mit Hans- Die Erwartungen an eine und die Kostenübernahme der verbanden sich mit Misstrauen Dietrich Genscher (FDP) eine christliche Politik waren bei Weg zur Abtreibung faktisch gegenüber dem übermächtigen neue Regierung. Unter dem kirchlich engagierten Katholi- erleichtert. Staat. Großdemonstrationen Schlagwort „geistig-moralische ken hoch. Sie konnten nicht Die Sozialpolitik musste der 1980er Jahre hatten Wende“ hatte die Union vor eingelöst werden, insofern sich seit dem Ölpreis-Schock Wettrüsten, Atomkraftwerke, allem auch den katholischen wenig finanzieller Spielraum der 1970er Jahre mit dem Datenschutz und 35-Stunden- Wähleranteil zurückgeholt. für Familien- und Sozialpolitik Erhalt des bestehenden Siche- Woche zum Thema. Zugleich Der politische Katholizismus vorhanden war. Und auf eine rungssystems befassen. Die so führten Ereignisse wie der hatte sich seit Ende der 1960er ideelle geistige Umkehr waren genannte Sockelarbeitslosig- Reaktorunfall in Tscherno- Jahre in katholische Politiker weder die Union noch die keit wächst kontinuierlich an, byl/UdSSR, die neue Epide- vereinzelt, die als bekennende säkularisierte Gesellschaft vor- was zu mangelnden Einnah- mie AIDS und der Skandal Christen aber immer noch bereitet. Zumal die Abtrei- men der Versicherungen bei um die Rinderseuche BSE die eher in den Unionsparteien zu bungsfrage blieb eine offene steigenden Ausgaben führt.

Idee & Tat - Extra/04 32 Ausblick

Bischof Josef Homeyer. Er Die Einheit Deutschlands das heißt in ihrer Teilhabe an arbeitete am Gemeinsamen und der Fall des „Eisernen der geistigen Berufung des Wort „Für eine Zukunft in Vorhangs“ 1989/90 schenkten Menschen. Konsequent ver- Solidarität und Gerechtig- Millionen von Menschen Frei- weist der Papst auf „das Prin- keit“. heit von totalitärer Herrschaft zip des Vorranges der Arbeit Foto: Bistum Hildesheim und atheistischer Staatsdok- gegenüber dem Kapital“. Kapi- trin. Das Zusammenwachsen tal wird als bloßes Instrument der europäischen Länder angesehen, insofern wird die ermöglicht den wirtschaftli- Tätigkeit des abhängigen chen Aufstieg der Transforma- Arbeitnehmers auch nicht in tionsländer, mit allen Chan- Gegensatz zur Arbeit des cen und Risiken für ihre Unternehmers gebracht. Bewohner wie auch für die Die Enzyklika „Centesimus Westeuropäer. Die mentalen annus“ (1991), die anlässlich Fremdheiten und die wirt- des 100. Jahrestages der ersten schaftlichen Kosten der Wie- Sozialenzyklika, „Rerum no- dervereinigung sind späte varum“ von Leo XIII., veröf- Obwohl in den 1980er Jahren Er hatte nach einer Werkzeug- Kriegsfolgelasten. Nicht zu- fentlicht wurde, steht ganz im neue Arbeitsplätze entstanden, macherlehre bei Opel in Rüs- letzt sind sie fatale Folgen Zeichen der gesellschaftlichen ist der Arbeitsmarkt dem An- selsheim das Abendgymnasi- eines Gesellschaftsmodells, das und politischen Umwälzun- drang der geburtenstarken um besucht und Philosophie, eine so einfache wie radikale gen. Nach dem Niedergang Jahrgänge, der Zuwanderung Germanistik und Theologie Lösung der „Arbeiterfrage“ des Kommunismus warnt die und der steigenden Zahl quali- studiert. Als Hauptgeschäfts- vorgab, aber – wie es Johannes Kirche nun vor einem materia- fizierter Frauen nicht gewach- führer (1968–1975) und Bun- Paul II. ausdrückte – gerade listischen Kapitalismus. Die sen. Daneben ist seit 1967/68 desvorsitzender (1977–1987) jenen schadete, denen es zu Marktwirtschaft wird aner- ein stetiger Geburtenrückgang der Sozialausschüsse der helfen vorgab. kannt, doch zugleich eine zu beobachten. Die lange ver- Christlich-Demokratischen Ar- soziale und gerechte Rahmen- drängte und gegenwärtig viel- beitnehmerschaft prägte er das Der Mensch ist Person ordnung gefordert: Angestrebt diskutierte Folge, dass künftig „soziale Gewissen“ der Union. wird eine „Gesellschaftsord- immer weniger Erwerbstätige Familienpolitische Akzente Die Sozialenzykliken des nung der freien Arbeit, der zunehmend höhere Unterhalts- setzte er mit der Einführung eminent politisch denkenden Unternehmen und der Beteili- leistungen für nicht und nicht von Erziehungsgeld und -urlaub Papstes haben die existentielle gung“. mehr aktive Mitbürger aufbrin- sowie der höheren Bewertung Lage des Menschen im Blick. gen müssen, zeichnet sich von Kindererziehungszeiten in Karol Wojtyla, geboren 1920 Das Gemeinsame Wort schon seit Jahrzehnten ab. der Rente. Mit der Pflegeversi- in Wadowice/Polen, hat früh cherung (1995) als fünfter seine engste Familie verloren Bezogen auf die Lage in Sozialpolitische Säule des Systems wurde der und die Okkupation durch Deutschland äußerten sich die Kärrnerarbeit längeren Lebensdauer des Ein- Deutschland erlebt. Im Okto- katholische und die evangeli- zelnen und der notwendigen ber 1978 zum Papst erhoben, sche Kirche im Gemeinsamen Norbert Blüm war in der Entlastung von Familienan- nahm er den Kampf für Reli- Wort „Für eine Zukunft in gesamten Regierungszeit von gehörigen bzw. der Selbstver- gionsfreiheit, Menschenrechte Solidarität und Gerechtigkeit“ Union und FDP Arbeits- und sorgung Alleinstehender Rech- und Gerechtigkeit auf. (1997). Als gravierende Proble- Sozialminister. In den Jahren nung getragen. Norbert Blüm In „Laborem exercens“ me werden die Krise des Sozi- zwischen 1970 und 1982 war war überzeugt, dass das (1981) reflektiert Johannes alstaats, die ökologische Krise, die Sozialleistungsquote von gewachsene Sozialversiche- Paul II. über die menschliche die europäische Integration 26 auf 33% gestiegen – bis rungssystem tragfähig und fle- Arbeit angesichts des techni- und die Globalisierung ge- zum neuerlichen Regierungs- xibel ist. Nicht Systemwechsel, schen Fortschritts und der nannt. Als Hauptübel wird die wechsel 1998 widmete er sich sondern Reform war daher naturwissenschaftlichen Er- Massenarbeitslosigkeit gekenn- vor allem der Sicherung des seine Devise: demographischer kenntnisse. Ausgangspunkt ist zeichnet. Zu den Langzeitar- bestehenden Sozialsystems Faktor bei den Renten, neue der Mensch als Person, als sol- beitslosen und Jugendlichen und konnte sogar einige Zumutbarkeitsregeln für Ar- cher ist er Subjekt der Arbeit. ohne Lehrstelle kommen die Lücken schließen. beitslose und weitere Anpas- Materialistische und ökono- Arbeitslosen der neuen Bun- Mit dem 1935 geborenen sungen sollten die Grundsi- mistische Denkweisen, die die desländer. Wohl streben die Blüm amtierte wieder ein cherung stabilisieren. Dazu Arbeit ausschließlich als Ware Kirchen an, dass die „Domi- zutiefst von der christlichen gehörte auch die vorsichtige verhandeln, werden ebenso nanz der Erwerbsarbeit“ über- Soziallehre geprägter Politiker, Flexibilisierung des Arbeits- abgelehnt wie die Frontstel- wunden und familien- und der seine Linie offensiv vertrat. marktes. Bis 1989 sank die lung von Arbeit und Kapital. ehrenamtliche Tätigkeit aner- Aus gleicher Wurzel stammt Sozialleistungsquote auf 29%, Die Würde der menschlichen kannt werden, doch stellen sie sein weltweites Engagement mit den sozialen Lasten der Arbeit liegt in ihrem „schöpfe- die Schaffung von Arbeitsplät- für Menschenrechte und Wiedervereinigung schnellte rischen, erzieherischen und zen ins Zentrum: Den Arbeit- Bekämpfung der Kinderarbeit. sie wieder auf 33% (1994). verdienstlichen Charakter“, suchenden „sollen die mit der

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Links: In den Kolping Berufs- bildungswerken, wie hier in Donauwörth, erhalten Men- schen mit Förderungsbedarf den nötigen Schub für den Start ins Berufsleben.

Oben: Norbert Blüm. Fotos: Archiv

Erwerbsarbeit verbundenen promoviert. Seit 1972 Sekretär um an dieser Gesellschaft teil- gesamt – einerseits pluralisiert. Chancen der Teilnahme, der der Deutschen Bischofskonfe- zuhaben. Soziale und ökono- Andererseits wurden die viel- sozialen Integration, der Exis- renz, bemühte er sich beson- mische Ungleichheiten müssen fältigen Dienste professionali- tenzsicherung und der persön- ders um die Zusammenarbeit deshalb begrenzt werden. … Je siert, was die Qualität der lichen Entfaltung eröffnet wer- mit den Bischöfen in der DDR pluralistischer und individua- Arbeit sicher verbessert hat, den“. und die Verständigung mit listischer unsere Gesellschaft aber Gefahr läuft, das „unpro- den polnischen Bischöfen. wird, desto wichtiger wird die fessionelle“ ehrenamtliche Strukturelle Reform 1983 wurde er Bischof von Beteiligungsgerechtigkeit, und Engagement zurückzudrängen. Hildesheim. umso mehr müssen Menschen Zudem tun sich die Laienrä- Die Soziale Marktwirtschaft Homeyer schrieb das ihre Fähigkeiten entwickeln te schwer, mit fundierten und die Sozialversicherungs- Gemeinsame Wort mit dem und ihre Bereitschaft entfalten Stellungnahmen den öffentli- systeme werden gewürdigt, Papier „Das Soziale neu den- können, zum Gelingen des chen Raum zu erobern. Das aber deren strukturelle und ken“ (2003) fort, in dem er Ganzen beizutragen.“ kirchliche Amt mit seinen moralische Erneuerung ange- zusammen mit führenden Enzykliken und bischöflichen mahnt. Zum einen sollen Katholiken aus Politik, Wirt- Neue Solidarität Schriften macht auch bei poli- Anspruchsrecht und Leistungs- schaft und Wissenschaft Eck- tischen Kontroversen seine pflicht spürbarer miteinander punkte für eine langfristige Es wird ein „integrales Ver- Autorität geltend. Das ist gut verbunden werden, zum ande- Reformpolitik formulierte. ständnis von sozialer Politik“ so, aber der Aufgabenbereich ren wird die Sozialpflichtigkeit Als zentrale Herausforderun- entwickelt: Erstens sind sozial- der Laien und die Zuständig- des Eigentums in Erinnerung gen werden neben der struktu- politische Maßnahmen an keit der Amtsträger ist nicht gerufen und eine breitere Ver- rellen Arbeitslosigkeit der ihren Folgen für die Ausge- klar abgegrenzt. mögensstreuung gefordert. In demographische Wandel und schlossenen und die kommen- Bernhard Sutor, Sozialethi- Anbetracht der europäischen die Erosion alter Solidaritäts- den Generationen zu messen. ker an der Katholischen Uni- Erweiterung und des großen formen aufgeführt. Subsi- Zweitens sind die Felder, die versität Eichstätt und lang- globalen Austauschs werden im diarität und Solidarität sind nicht zur traditionellen Sozial- jähriger Laienratsvorsitzender, Gemeinsamen Wort der Kir- die Leitbilder für die notwen- politik zählen, zum Sozialen fordert daher ein rechtlich chen solidarische und frieden- digen Reformen. Sie beinhal- in Bezug zu setzen, vor allem institutionalisiertes Forum für sichernde Maßnahmen als ten Eigenverantwortung als die Familien- und Bildungspo- Amt und Laien, um das selbstverständliche Bestandteile Recht und Pflicht, Hilfe zur litik. Die Fixierung auf Trans- Nebeneinander zu einem der Sozialpolitik herausgestellt. Selbsthilfe und Förderung der ferleistungen soll zugunsten gleichberechtigten Miteinan- Seitens der katholischen Kir- solidarischen Netzwerke wie der Förderung von Ausbil- der zu verknüpfen. che war der Vorsitzende der Familie, gemeinnützige Ein- dung und sonstiger zukunfts- Wie die Kirche als Ganze, Kommission für gesellschaftli- richtungen und Nachbar- orientierter, produktiver Berei- müssen auch die Verbände in che und soziale Fragen der schaftshilfen. „Das Selbstver- che aufgebrochen werden. einer zunehmend entchrist- Deutschen Bischofskonferenz, ständnis einer demokratischen Der Sozialkatholizismus lichten Gesellschaft leben. Die Josef Homeyer (geb. 1929), Gesellschaft verlangt, ihren Deutschlands ist im Wesentli- Milieus haben sich im Zuge beteiligt. Der westfälische Bau- Mitgliedern dasjenige materiel- chen in den katholischen Ver- von wirtschaftlicher und tech- ernsohn hat nach dem Theo- le Auskommen zu ge- bänden beheimatet. Sie haben nischer Entwicklung, gesell- logiestudium in Soziologie währleisten, das sie brauchen, sich – wie die Gesellschaft ins- schaftlicher Mobilität und

Idee & Tat - Extra/04 34 Ausblick einer Pluralisierung der Lebensstile weitgehend aufge- löst. Der Abstand zur Kirche Jahr Technik, Wirtschaft, Parteiungen Politik und Geistesleben wächst. Mit der deutschen 1983 „Die Grünen“ erstmals in vertreten Entlastung der Arbeitslosen-, Renten- und Kranken- Einheit haben sich überdies (5,6 %) versicherung (Selbstbeteiligung) die Bevölkerungsanteile von DDR: kath. Bischöfe gegen Militarisierung, Frie- Stationierung von US-Mittelstreckenraketen densdemonstration in Dresden Christen und Nicht-Christen 1984 Immunschwäche Aids, HIV-Virus entdeckt Vermögensbildung, Vorruhestand verschoben. Gehören im 1985 DDR: Entstehung oppositioneller Gruppen (Frie- Beschäftigungsförderung (Befristung, Teilzeitarbeit), Westen 76% der Bevölkerung den, Umwelt, Menschenrechte) Renten (Kindererziehungszeiten) einer christlichen Kirche an, Michail Gorbatschow Generalsekretär der Heinrich Böll † (Literaturnobelpreis 1972) KPdSU der Sowjetunion so sind es im Osten nur 28% 1986 Reaktorunfall in Tschernobyl/UdSSR Erziehungsgeld und -urlaub, Neutralität der Bundes- (4% kath.). Im gesamten Bun- erstmals Bundesministerium für Umwelt, Natur- anstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen desgebiet leben jeweils ca. schutz und Reaktorsicherheit 32% Katholiken und Protes- 1987 Grundsatzpapier von SPD und SED Versicherungsschutz bei Arbeitslosigkeit und Kurzar- beit verbessert tanten und 35% Nicht-Chris- Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Johannes Paul II: ten (2002). 1988 DDR: Demonstration oppos. Gruppen am Strukturreform Gesundheitswesen, Arbeitsteilzeit, Rande offizieller Kundgebung (Todestag R. Mitbestimmung (zugunsten der Betriebe) Luxemburg und K. Liebknecht) Franz Josef Strauß † Erbe und Auftrag 1989 Montagsdemonstrationen in Leipzig („Wir sind Einführung eines Dienstleistungsabends, Sozialversi- das Volk“), Besetzung dipl. Vertretungen der cherungsausweis Je nach Problem und eige- Bundesrepublik in Ost-Berlin, Prag, Warschau, Öffnung der ungarischen Grenze (18.8.), DDR: Feier ner Betroffenheit (z. B. Ar- Budapest; es flüchten ca. 225 000 Bürger zum 40. Jubiläum (6.10.), Öffnung der innerdeutschen Lothar de Maizière, Vorsitzender Ost-CDU Grenze (9.11.) beitslosigkeit) erwartet nur ein 1990 Schengener Abkommen: Einschränkung von BRD–DDR: Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion Drittel bis die Hälfte der Personen- und Warenkontrollen an EG-Binnen- (18.5.), Vereinigung Deutschlands (3.10.); erste Bevölkerung eine Antwort der grenzen (ab 1992) gesamtdeutsche Bundestagswahl (2.12.) Kirchen auf sozial- und wirt- 1991 Gemeinschaftswerk „Aufbau Ost“ Kinder- und Jugendhilfe RAF-Terroristen ermorden Präsidenten der Treu- Auflösung der UdSSR, Gründung der GUS; Golfkrieg schaftspolitische Fragen. So- handanstalt D. Rohwedder um Kuwait zialethische Kompetenz wird Enzyklika Centesimus annus, Johannes Paul II. offenbar weniger dem Klerus 1992 Maastricht-Vertrag: „Europäische Union“ als Renten: Formel auf Nettolohnbasis, höhere Alters- als vielmehr Wissenschaftlern, neue Stufe der Europäischen Gemeinschaft; grenzen, Verlängerung der Kindererziehungszeiten, Wirtschafts- und Währungsunion Novellierung des § 218 StGB Vertretern von Verbänden und 1993 EU-Binnenmarkt tritt in Kraft gleiche Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestell- Interessengruppen sowie Poli- Vereinigung von „Bündnis 90/Die Grünen“ in te, Gesundheitsstrukturgesetz tikern zugetraut. Leipzig deutsche Soldaten in UN-Kampfeinsätzen (Bosnien) Das Ringen um das soziale 1994 Arbeitszeit (Flexibilisierung, Beschäftigungsverbote Gleichgewicht ist zudem eine für Frauen aufgehoben) Erich Honecker † Machtfrage zwischen den Organisierten und Besitzen- 1995 EG-Erweiterung: Österreich, Finnland, Schwe- Pflegeversicherung; Solidarpakt (Solidaritäts- den zuschlag) den (auch Arbeitsplatzbesit- zenden) und den Nicht-Orga- 1996 4,3 Mio. Arbeitslose, „Bündnis für Arbeit und Altersteilzeit, Renten: Zeiten ohne Beitragsleistung Standortsicherung“ von Bundesregierung, wie Ausbildung u. Arbeitslosigkeit eingeschränkt; nisierten, Nicht-Besitzenden Arbeitgebern und Gewerkschaften gegründet; Senkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall; (wie Erwerbslose, künftige scheitert; EU-Gipfel Dublin: Stabilitätspakt für Reform Arbeitslosenhilfe; Änderung Ladenschluss; Generationen). gemeinsame Währung „Euro“ Europäische Betriebsräte; Krankenhausfinanzierung Angesichts der Globalisie- 1997 Renten: Kindererziehungszeiten höher bewertet, freie rung, des technischen Fort- Wahl der gesetzlichen Krankenversicherung schritts, der Migrationen und 1998 RAF erklärt sich für aufgelöst rot-grüne Koalition nach Bundestagswahl, Kanzler Gerhard Schröder (SPD); Korrekturgesetz: Einschrän- der Neuformierung Europas kungen rückgängig: Lohnfortzahlung, Kündigungs- stehen wir vor geschichtsträch- schutz, demographische Formel bei Renten tigen, tief greifenden Umbrü- 1999 Einführung des Euro im bargeldlosen Zahlungs- Rentenerhöhung für 2 Jahre gekürzt, Neuregelung chen. Es ist es notwendig, verkehr; Umzug Bundestag nach Berlin geringfügige Beschäftigung; Krieg Jugoslawien – einen sozialen Konsens herzu- Kosovo; Günter Grass: Literaturnobelpreis stellen, der für einen neuen 2000 BSE-Krise (Lebensmittelsicherheit); Vereinte Gesetz über Zusammenarbeit von Arbeitsämtern Gesellschaftsvertrag taugt. Ver- Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und Trägern der Sozialhilfe antwortung für die soziale und 2001 Terroranschlag auf World Trade Center in New Erwerbsminderungsrente; Schwerbehinderte (Reha- demokratische Ordnung kön- York (11.9.), NATO ruft Verteidigungsfall aus, bilitation und Eingliederung); Betriebsverfassung nen die Katholiken wahrneh- US-Angriff auf Afghanistan (Stärkung des Betriebsrats) men, indem sie versuchen, die 2002 Einführung des Euro als Barzahlungsmittel „Riester-Rente“, Neuregelung Witwen-/Witwerrente bewährte christliche Sozial- 2003 erster Ökumenischer Kirchentag in Berlin Gesundheit (Selbstbeteiligung), Renten: demographi- ethik auf die neuen Gegeben- sche Komponente, Haushaltsbegleitgesetz (Subventi- onsabbau), Zeitarbeit, Minijob, „Ich-AG“ heiten anzuwenden. Golfkrieg USA gegen S. Hussein 2004 Terroranschlag auf Bahnlinien in Madrid (11.3.) Umbau der Bundesanstalt für Arbeit zur Bundes- EU-Beitritt von 10 Neumitgliedern (1. 5.) agentur; Bekämpfung der Schwarzarbeit 2005 Arbeitslosengeld II

Idee & Tat Impressum: LITERATURTIPPS Herausgeber: Deutsche Kolpingsfamilie e.V., Kol- pingplatz 5-11, 50667 Köln. Verantwortlich: Dr. Zeitgeschichte in Lebensbildern. Aus dem deutschen Katholizismus des 19. und 20. Jahr- Michael Hanke, Martin hunderts, hg. von Jürgen Aretz / Rudolf Morsey / Anton Rauscher, Bde. 1–11, Mainz und Grünewald. Münster 1973–2004.

Redaktion: Idee & Tat, Hürten, Heinz: Kurze Geschichte des deutschen Katholizismus 1800–1960, Mainz 1986. Kolpingplatz 5-11, 50667 Köln Schatz, Klaus: Zwischen Säkularisation und Zweitem Vatikanum. Der Weg des deutschen E-Mail: ideeundtat@kol- Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1986. ping.de Tel. (0221) 20701 -195, Morsey, Rudolf (Hg.): Katholizismus, Verfassungsstaat und Demokratie. Vom Vormärz bis Fax (0221) 20701 -186. 1933 (Quellentexte zur Geschichte des Katholizismus, Bd. 1), Paderborn 1988. Autorin dieser Extra- Ausgabe: Petra Uertz Geschichte der christlich-demokratischen und christlich-sozialen Bewegungen in Mitarbeit: Andreas Hölting Deutschland. Grundlagen, Unterrichtsmodelle, Quellen und Arbeitshilfen für die politische (-197) Bildung, hg. von Günther Rüther, Bonn, 3. Aufl. 1989.

Druck: Druckerei Lutz Heitzer, Horstwalter (Hg.): Deutscher Katholizismus und Sozialpolitik bis zum Beginn der GmbH, Köln Weimarer Republik (Quellentexte zur Geschichte des Katholizismus, Bd. 6), Paderborn 1991.

Die Redaktion bittet um Hürten, Heinz (Hg.): Katholizismus, staatliche Neuordnung und Demokratie 1945–1962 Vorschläge, Anregungen, (Quellentexte zur Geschichte des Katholizismus, Bd. 7), Paderborn 1991. Kritik und Zusendung von Erfahrungsberichten. Für Texte zur katholischen Soziallehre. Die sozialen Rundschreiben der Päpste und andere unverlangt eingesandte kirchliche Dokumente. Einführung von Oswald von Nell-Breuning / Johannes Schasching, hg. Manuskripte wird keine vom Bundesverband der Katholischen Arbeitnehmerbewegung Deutschlands, Köln, 8. Aufl. 1992. Haftung übernommen. Ockenfels, Wolfgang (Hg.): Katholizismus und Sozialismus in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert (Quellentexte zur Geschichte des Katholizismus, Bd. 11), Paderborn 1992.

Sutor, Bernhard: Politische Ethik. Gesamtdarstellung auf der Basis der Christlichen Gesell- schaftslehre, Paderborn, 2. Aufl. 1992.

Bestelladresse: Klein, Gotthard: Der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet: Der Volksverein für das Katholische Materialabteilung des Kol- Deutschland 1890–1933. Geschichte, Bedeutung, Untergang, Paderborn 1996. pingwerkes Deutschland, Kolpingplatz 5-11, 50667 Langner, Albrecht: Katholische und evangelische Sozialethik im 19. und 20. Jahrhundert. Köln, Tel. (02 21) 20 701- Beiträge zu ideengeschichtlichen Entwicklungen im Spannungsfeld von Konfession, Politik 130/ -128, Fax -38. Bestel- und Ökumene, Paderborn 1998. lungen sind auch im Inter- net-Kolping-Shop unter Euchner, Walter / Grebing, Helga / Jähnichen, Traugott / Langhorst, Peter / Fried- www.kolping.de möglich. rich, Norbert / Stegmann, Franz Josef: Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland. Sozialismus – Katholische Soziallehre – Protestantische Sozialethik. Ein Handbuch, hg. von Der Versandkostenanteil Helga Grebing, Essen 2000. beträgt innerhalb Deutsch- lands 4,60 Euro. Ab einer Lexikon der Christlichen Demokratie in Deutschland, hg. von Winfried Becker / Gün- Bestellsumme von 150 ter Buchstab / Anselm Doering-Manteuffel / Rudolf Morsey, Paderborn 2002. Euro erfolgt die Lieferung versandkostenfrei. Muschiol, Gisela (Hg.): Katholikinnen und Moderne. Katholische Frauenbewegung zwi- schen Tradition und Emanzipation, Münster 2003.

Lampert, Heinz / Althammer Jörg: Lehrbuch der Sozialpolitik, Berlin, 7. Aufl. 2004. Kolping in zwölf Sätzen

• Wir laden ein und machen Mut zur Gemeinschaft.

• Wir handeln im Auftrag Jesu Christi.

• Wir nehmen uns Adolph Kolping zum Vorbild.

• Wir sind in der Kirche zu Hause.

• Wir sind eine generationenübergreifende familienhafte Gemeinschaft.

• Wir prägen als katholischer Sozialverband die Gesellschaft mit.

• Wir begleiten Menschen in ihrer persönlichen und beruflichen Bildung.

• Wir eröffnen Perspektiven für junge Menschen.

• Wir vertreten ein christliches Arbeitsverständnis.

• Wir verstehen uns als Anwalt für Familie.

• Wir spannen ein weltweites Netz der Partnerschaft.

• Wir leben verantwortlich und handeln solidarisch.