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Gebrauchsanleitung zur Zuse gefunden Historischer Relaisrechner | Die Zuse Z4 gilt als der weltweit älteste erhaltene . Die 1945 gefertigte und 1949/1950 überholte und erweiterte Relais­ maschine war von 1950 bis 1955 leihweise an der ETH Zürich in Betrieb. Heute befindet sich der riesige Digitalrechner im Deutschen Museum in München. Die Bedienungsanleitung für die Z4 galt lange Zeit als verschollen.

HERBERT BRUDERER

n Kontinentaleuropa war die ETH Zürich 1950 die einzige Universität I mit einem funktionsfähigen loch- streifengesteuerten Computer, dem Relaisrechner Zuse Z4. Die Z4, der erste kommerzielle Computer welt- weit, ist heute im Deutschen Museum ausgestellt. Aus den 1940er-Jahren hat nur ein einziger weiterer Computer überlebt, der Röhrenrechner Csirac (1949). Er befindet sich im Melbourne Museum, Carlton, Victoria. Die Zuse Z4 wurde am 1948 gegrün- deten Institut für angewandte Mathe- matik der ETH Zürich eingesetzt. Geleitet wurde das Institut vom Mathe- matiker Eduard Stiefel. Seine beiden wichtigsten Mitarbeiter waren der Bild 1 Schweizer Strahlflugzeug P-16. Für dieses von den Flug- und Fahrzeugwerken Mathematiker und ­Altenrhein SG entwickelte Düsenflugzeug wurden mit der Zuse Z4 zwischen 1953 und der Elektroingenieur Ambros Speiser. 1955 Flatterrechnungen und Berechnungen zum Sturzflug durchgeführt. Rutishauser war einer der Väter der Programmiersprache Algol, Speiser wurde Gründungsdirektor des IBM- Dokumenten auch eine Anleitung für zienten» und «Flügel mit Querruder» Forschungszentrums in Rüschlikon am die Z4 und Aufzeichnungen zu Flatter- weisen darauf hin, dass es sich um Flat- Zürichsee. Zu den Mitarbeitern des berechnungen waren. Rauscher, von terrechnungen handelt. Beim P-16 war Instituts für angewandte Mathematik 1950 bis 1974 Professor für Flug- für eine Flugzeit von 2,4 s eine Rechen- gehörten u. a. Urs Hochstrasser (geb. zeugstatik und -bau an der ETH, war zeit von 50 h nötig. Beteiligt waren Urs 1926), Hans Rudolf Schwarz (geb. 1930) laut dem Historischen Lexikon der Hochstrasser, Hans Rudolf Schwarz und Heinz Waldburger (gest. 2015). Schweiz Berater beim P-16, einem Erd- und Heinz Waldburger. Wie mir kampfflugzeug der Flug- und Fahr- Schwarz am 12. Januar 2016 erzählte, Fund dank Berechnungen für zeugwerke Altenrhein, FFA (Bild 1). waren diese Arbeiten damals hochge- Strahlflugzeug P-16 Ein Exemplar des P-16 Mk III befindet heim. Nach der Rückgabe der Z4 an die Evelyn Boesch vom Hochschularchiv sich im Flieger-Flab-Museum Düben- Zuse KG wurden die Berechnungen mit der ETH Zürich teilte mir Anfang März dorf. Das Institut wurde später in Insti- dem an der ETH entwickelten Röhren- 2020 mit, dass ihr Vater René Boesch tut für Leichtbau und Seilbahntechnik rechner Ermeth fortgeführt. (geb. 1929), der ab 1956 unter Manfred umbenannt und schliesslich 2000 Heinz Rutishauser zufolge wurden Rauscher am Institut für Flugzeugsta- geschlossen. Es ist also nicht ganz mit der Z4 von 1950 bis 1955 rund 100 tik und Flugzeugbau der ETH tätig war, zufällig, dass die Anleitung bei den Arbeiten ausgeführt. Davon sind 55 seltene historische Dokumente aufbe- Flugzeugbauern erhalten blieb. Aufträge in einem Verzeichnis des Ins- wahrt hatte. Boeschs erste Anstellung Ebenfalls zum Vorschein kamen tituts für angewandte Mathematik vom war beim Schweizerischen Flugtechni- handschriftliche Unterlagen vom 11. Juli 1955 aufgeführt. Dabei ging es schen Verein, der am erwähnten Insti- 27. Oktober 1953 zu Rechenaufgaben, beispielsweise um Berechnungen zur tut untergebracht war. Die Nachfor- die mit der Z4 gelöst wurden. Die Über- Flugbahn von Raketen für Oerlikon

Bild: Staatsarchiv, St. Gallen Bild: Staatsarchiv, schungen ergaben, dass unter den schriften «Tabelle der Luftkraftkoeffi- Bührle, zu Flugzeugflügeln für die Eid-

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wenn eine bestimmte Bedingung Beitrag zum Gelingen des ersten kom- erfüllt (wahr) ist. Mit bedingten Sprün- merziellen geleistet hat. gen kann man von der linearen Befehls-

folge abweichen und auch von einem Referenzen Hauptprogramm zu einem Unterpro- [1] Herbert Bruderer (Hg.), und die Schweiz. Wer hat den Computer erfunden?, Oldenbourg Verlag, gramm und zurück springen. Es gibt 2012, S. 29–39. bedingte und unbedingte Sprünge. Ers- [2] Herbert Bruderer (Hg.), Konrad Zuse und die Schweiz. tere werden beispielsweise für Pro- Wer hat den Computer erfunden?, Oldenbourg Verlag, 2012, S. 205. grammschleifen verwendet. Der neue Standard, auch in der Schweiz? Die Z4 war somit anfangs kein Literatur JJGebrauchsanweisung Z 4, Institut für angewandte Turing-mächtiger universeller Compu- ­Mathematik, ETH Zürich, Sommersemester 1952, Exemp- ter. Erst nachträglich wurde der lar Nr. 19, 16 Seiten, ETH-Bibliothek Zürich, Hs 1517:1, doi.org/10.7891/e-manuscripta-98601 bedingte Sprung auf Wunsch der ETH JJHerbert Bruderer, Meilensteine der Rechentechnik, Zürich eingebaut. Bei einer Umfrage vor De Gruyter, 3. Auflage 2020, Bände 1 und 2. JJRaúl Rojas, «Konrad Zuse und der bedingte Sprung», einigen Jahren konnten sich die weni- Informatik-Spektrum, Band 37, 2014, S. 50–53. gen noch lebenden Zeitzeugen aller- JJHeinz Waldburger, Nachwort, in Herbert Bruderer (Hg.), Konrad Zuse und die Schweiz. Wer hat den Computer dings nicht mehr daran erinnern, wie er erfunden?, Oldenbourg-Verlag, 2012, S. 205–207 (Zeit- ausgeführt wurde. Die nun wiederge- zeugenbericht)

fundene Betriebsanleitung erinnert auf Autor Seite 8 (Bild 3) daran, wie damals der Herbert Bruderer war Dozent am Departement für ­Informatik der ETH Zürich. bedingte Sprung gehandhabt wurde. JJ9401 Rorschach Bild 2 Erste Seite der Gebrauchsanlei- Und daran, dass auch die ETH ihren [email protected] tung für den Relaisrechner Z4.

genössischen Flugzeugwerke, Emmen, zu Flatterschwingungen für die FFA (800 h Maschinenzeit), zum Sturzflug für die FFA (120 h Maschinenzeit).[1]

Fast ein Unikat Der Erfinder der Z4, Konrad Zuse, war wahrscheinlich selbst der Autor der nun entdeckten Bedienungsanweisung (Bild 2). Heinz Rutishauser hat sie offenbar bearbeitet. Der Zeitzeuge Heinz Waldburger schrieb nämlich in seinem Nachwort zum Buch «Konrad Zuse und die Schweiz» [2]: «Hinzu kamen die 16 Seiten der ‹Bedienungsan- weisung Z 4›, die er [Heinz Rutishauser] gewiss verbessert hatte, und das kurze ‹Reglement für die Bedienung der pro- grammgesteuerten Rechenanlage› vom 20. September 1950». (In einem Brief vom 29. Dezember 1950 hatte Schulrats­ präsident Hans Pallmann dem Instituts- vorsteher Eduard Stiefel mitgeteilt, dass PLPlano der Schweizerische Schulrat am Das PLPlano ist das kleinste, intelli- 2. Dezember 1950 ein Benützungsregle- gente Energie-Monitoring-Modul. ment für die Z4 beschlossen hatte. Diese Vorschrift richtete sich wahr- Für die Platzierung werden ca. 5 mm scheinlich an externe Nutzer). oberhalb des NH-Sicherungslasttrennschalters ETH initiierte «Update» benötigt. Bis zu 16 Geräte können über DIP- Ursprünglich kannte die Z4 den beding- Schalter adressiert und an die ModBus- ten Sprung nicht, der es ermöglicht, die Steuerung gekoppelt werden. Abarbeitung eines Rechenprogramms an zwei unterschiedlichen Stellen fort- zusetzen. Bei einer solchen Verzwei-

gung wird ein Sprungbefehl ausgeführt, Bild 3 Seite 8 des Manuals mit Sprung zwischen Haupt- und Unterprogramm. ETH Bibliothek Zürich Bilder:

80 bulletin.ch 12 / 2020 Jean Müller (Schweiz) GmbH, Industriestrasse 4, 4658 Däniken, 062 288 41 00, [email protected], www.jeanmueller.ch

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