Geschlechtergerechtigkeit in Politik und Kultur , € März 3 

Zeitung des Deutschen Kulturrates www.politikundkultur.net In dieser Ausgabe: Kirsten Kappert-Gonther Digitalisierung Dekolonialisierung Autoren in der Türkei Kinoförderung Digitaler Kapitalismus: Welche Demut und Diskurs: Die Auf- Überlebenswille: Türkische Kulturorte erhalten: Das Edgar Reitz gesellschaftspolitischen Auswir- arbeitung des kolonialen Erbes Schriftsteller schreiben sich an Zukunftsprogramm Kino soll kungen der Digitalisierung kann erfordert die Einbeziehung von Zensur und Repression vorbei – den Bestand fördern, kommt Christoph Wulf der Kulturbereich mittragen? Politik und Gesellschaft doch Gerichte verurteilen weiter aber nur langsam voran und viele andere Seite  Seiten  und  Seite  Seite  Neurose Carsten Brosda, der Vorsitzende der neuen Kulturministerkonferenz der Länder, sagte bei unserer Veranstal- tung »Wachgeküsst«, dass unsere ständige Forderung nach einem Bundeskulturministerium auf ihn leicht neurotisch wirke. Ein inte- Heimat – Kunst ressa ntes Bild, das der Hamburger Kultursenator da gebraucht, denn ein neurotisches Verhalten wird be- Zwischen Kulturerbe, Integration kanntermaßen durch eine Neurose und Zukunftsperspektiven ausgelöst, unter der eine leichtgra- dige psychische Störung verstanden Seiten  bis  wird, die durch einen Konfl ikt verur- sacht wird. Genauso ist es. Es gibt seit Jahren vermeidbare Konfl ikte bei der Kulturzuständigkeit auf der Bundesebene, die – zumin- dest auf mich – verstörend wirken. Neben der für die innere Kultur- politik zuständigen Kulturstaatsmi- nisterin Monika Grütters ist Annette Widmann-Mauz Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und In- tegration, Michelle Müntefering für Internationale Kulturpolitik und Dorothee Bär für das Kulturthema Digitalisierung. Die Kulturwirtschaft untersteht Bundeswirtschaftsminis-

ter , kulturelle Bildung ARTCOLOR / ALLIANCE PICTURE FOTO: / HERBSTWOLKEN  NOLDE EMIL BILD: ist im Ressort von Bundesbildungs- ministerin beheimatet. Apropos Heimat, das neue Kulturres- sort Heimat in der Bundesregierung verantwortet Innenminister . Auch der Bundesverkehrs- minister muss nicht Konsum grundsätzlich umstellen gänzlich ohne Kulturverantwortung Nachhaltiges Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl auskommen, er ist für die Computer- spieleförderung zuständig. Sozialmi- KATARINA BARLEY Klar ist damit: Wenn es Politik und Gesellschaft ver- Weitere Lebensbereiche sind umfasst. Z. B. »Ernäh- nister kümmert sich säumen, die notwendigen Schritte zur Erreichung rung sichern – den Hunger beenden, Ernährungs- um die Künstlersozialkasse, Justiz- or Kurzem wurde ausgerechnet im Zusam- dieser Nachhaltigkeitsziele zu gehen, dann ließe sicherheit und eine bessere Ernährung erreichen ministerin Katarina Barley um das menhang mit Digitalisierung breit über sich dieses Nicht-Handeln nicht mit Fahrlässigkeit und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern« oder Urheberrecht und Landwirtschafts- »Milchkannen« diskutiert. Milchkannen entschuldigen. Ein Richter würde in einem Prozess »Nachhaltige Städte und Siedlungen – Städte und ministerin Julia Klöckner um das V sind allerdings in einem anderen Zusam- wohl »Vorsatz« unterstellen, denn durch die Formu- Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und Programm »Landkultur«. Auch die menhang viel interessanter: Milchkannen sind stabil lierung der Ziele als multilateralen Beschluss hat nachhaltig gestalten«. Familienministerin Franziska Gif- und wiederverwendbar, sie werden genutzt und nicht sich die Menschheit »bösgläubig« gemacht, wie wir Wie tiefgreifend die notwendige gesellschaftliche fey und Bundesentwicklungsminister verbraucht und trugen damit zu einem nachhaltigen Juristinnen das nennen. Transformation ist, zeigt auch Nachhaltigkeitsziel Nr. Gerd Müller haben in ihrem Ressort Konsum bei. Eines der wichtigsten Ziele ist Ziel  »Nachhalti- , das mir besonders wichtig ist. Es verlangt Frieden, Verantwortung für Kulturbereiche. »Trugen« deshalb, weil Milchkannen heutzutage ge Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen«. Gerechtigkeit und starke Institutionen. Eigentlich ist das ganze Bundeska- bekanntlich gar nicht mehr genutzt werden. Milch Nur wenn wir Abfallprodukte weitgehend vermeiden Frieden, legitime Regierungsinstitutionen sowie binett ein veritables Kulturkabinett. gibt es heute in Glasfl aschen oder Pappkartons. Wer und den CO-Ausstoß minimieren, können wir ei- eine konstruktive Beziehung zwischen Staat und Es ist erfreulich, welche Bedeu- denkt, dass die Milchverpackung damit ein Beispiel nen Kollaps unserer natürlichen Lebensgrundlagen Gesellschaft sind zentrale Voraussetzungen für tung Kulturpolitik auf der Bundes- für Umweltverschmutzung durch Müllproduktion verhindern. Achtung und Schutz der Menschenwürde. Dieses ebene mittlerweile erreicht hat. Mit geworden ist, liegt falsch. Gut gemachte Milchkartons Es ist unschwer zu erkennen, dass die Ziele nicht Ziel ist die Grundlage zum Erreichen vieler weiterer einem bisschen guten Willen hätte können heute ein Paradebeispiel für das sein, was dadurch erreicht werden können, dass die Länder an Nachhaltigkeitsziele, wie der Armutsbekämpfung, man in dieser Legislaturperiode die- man die »Kreislaufwirtschaft« nennt. einigen kleinen Stellschrauben ihrer Wirtschaftspo- der Gesundheit, der Bildung, der Gleichstellung der sen Bedeutungszuwachs mit einem Viel zu lang ging die Menschheit von einer linea- litik drehen. Nötig ist eine vollständige Transforma- Geschlechter oder der Erhaltung der natürlichen eigenständigen Bundeskulturminis- ren Produktion aus: Rohstoff e wurden zu Materialien, tion unserer Gesellschaft. Und zwar nicht langfristig, Lebensgrundlagen. terium krönen können. diese zu Produkten und diese nach Verbrauch zu sondern schnell. Denn es ist zu erwarten, dass es nach Es gefährdet den Zusammenhalt, wenn Bürgerin- Der Deutsche Kulturrat hatte vor Müll. End e. Inzwischen haben wir erkannt, dass die  nur noch eingeschränkt möglich sein wird, auf nen und Bürger unsere Gesellschaft als ungerecht  Jahren die deutliche Stärkung der Rohstoff e unserer Erde endlich sind und vor allem, die Entwicklungen Einfl uss zu nehmen. empfi nden. Ich denke hier z. B. an die Diskussion Kulturpolitik auf der Bundesebene dass wir mehr Müll in die Luft, Wasser und Böden Diese Transformation bedeutet für die Bürge- über Steuervermeidung durch internationale Kon- gefordert. Die im Herbst  erfolg- eintragen, als diese vertragen. Wer will, dass – man rinnen und Bürger ein Umdenken: Sie werden von zerne oder auch an die zunehmende Ungleichheit te Benennung eines Kulturstaats- muss es so drastisch formulieren – die Menschheit Verbraucherinnen und Verbrauchern zu Gebrauche- der Vermögensverteilung in Deutschland. ministers und die Einrichtung des überlebt, muss deshalb vor allem in den Industrie- rinnen und Gebrauchern. Sie werden zu Nutzerinnen Wenn wir eine nachhaltige Entwicklung weltweit Kulturausschusses im Deutschen ländern Produktion und Konsum grundsätzlich und Nutzern, bei denen der Lebensweg des Produktes durchsetzen wollen, dann geht das nicht ohne ei- waren die unmittelbaren umstellen. Dabei müssen Verbrauchsmaterialien nicht aufhört, sondern weitergeht. Stoff e und Produk- nen klaren rechtlichen Rahmen und ohne Behörden Folgen unserer Forderung. nicht als Müll, sondern als Rohstoff quelle betrachtet te werden nur gebraucht und nach Gebrauch wieder und Gerichte, die das Recht durchsetzen. Der Staat Die deutliche Aufwertung des und wiederverwertet werden. Bei Milchkartons in den Produktionskreislauf zurückgeführt. gibt vor, was legal ist. Eine nachhaltige Gesellschaft Bundeskabinetts zum Kulturkabinett klappt das schon ganz gut, aber das reicht natür- Eine solche fortschrittliche Entwicklung verän- werden wir aber nicht ohne Verantwortungsbewusst- zeigt, dass wir auf einem guten Weg lich nicht. dert die Konsumkultur. Während beim Verbrauchen sein erreichen. Verantwortungsbewusstsein für das sind. Ein Bundeskulturministerium, Die Menschheit, die Weltgemeinschaft, hat die der Fokus auf dem Produkt liegt, das gekauft und Gemeinwohl gibt uns eine gute Orientierung, was spätestens in der nächsten Legisla- Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung er- verbraucht wird, liegt beim Gebrauchen der Zweck richtig ist. Deshalb ist neben Regulierung und Rechts- turperiode, ist nicht mehr aufzuhal- kannt. Notwendigkeit, Rahmen und Ziele der sozial- bzw. Nutzen, der durch das Gebrauchen verfolgt wird, durchsetzung auch Bildung und Aufklärung für das ten: Vielleicht habe ich aber gerade ökologischen Transformation sind in den  globalen ebenso im Vordergrund wie die Weiterverwendung. Erreichen der Nachhaltigkeitsziele notwendig. nur einen neuroti- Nachhaltigkeitszielen, den Sustainable Development Verbraucherpolitisch bedeutet diese Transfor- schen Schub, warten Goals (SDG), abgebildet, die im September  mation daher, bei den Bürgerinnen und Bürgern die Katarina Barley ist Bundesministerin der Justiz und wir es ab. von der Vollversammlung der Vereinten Nationen Bereitschaft und die Fähigkeit zur Diskussion über für Verbraucherschutz beschlossen wurden. Diese  Ziele sind nicht nur Zwecke und Ziele und auch Folgen ihres Verbrauchs- Olaf Zimmermann Leitprinzipien der Politik der Bundesregierung, sie verhaltens anzustoßen und zu führen. Nr. / ist Herausgeber von formulieren auch die Kriterien für jede Fortschritts- Nachhaltigkeit bezieht sich in diesem Kontext ISSN - Politik & Kultur politik. jedoch nicht nur auf ökologische Nachhaltigkeit. B   02 SEITE  www.politikundkultur.net

EDITORIAL

Neurose Frauen in der Filmbranche: Hochschulen in Brasilien: Musikalische Heimatpfl ege: Computerspiele: Virtuelle Olaf Zimmermann 01 Wider die göttliche Ordnung Unter Beobachtung Braunschweich, Braunschweich Heimaten und reale Gefühle Behrang Samsami im Gespräch mit Güzin Kar 06 Martina Schulze 11 Gabriele Schulz im Gespräch mit Felix Zimmermann 24 Christian Eitner 18 LEITARTIKEL Frauen in der Außenpolitik: 40 Jahre Iranische Revolution: Unverzichtbar MEDIEN Heimatfi lm: Bilder und Heimat verlieren, Heimat neu Nachhaltigkeit: Konsum Elisabeth Motschmann 07 Geschichten aus der Provinz schaff en grundsätzlich umstellen Zukunft der Kinos: Ein Spiegel Jürgen Heizmann 19 Behrang Samsami 25 Katarina Barley 01 Frauen in Kultur und Medien: Auf unserer Gesellschaft dem Weg in Führungspositionen Helmut Hartung 12 Immaterielles Kulturerbe: Gemein- Kulturelle Anknüpfungspunkte: Cornelie Kunkat 07 sames Erbe von Natur und Kultur Heimat: Was soll das? SEITE 2 Christoph Wulf 20 Jens Kober 26 Bibliothek der Friedrich- KULTURELLES LEBEN Kulturmensch 02 Ebert-Stiftung: Gedächtnis der Heimatfi lm: Filmische Heimaten Heimatbegriff : Heimat ist für Arbeiterinnen und Arbeiter Die junge jüdische politische Verena Feistauer 21 mich ... Kommentar: Narrativ & Framing Gabriele Rose 08 Stimme Deutschlands – ein Porträt Ausgewählte Statements 27 Hans Jessen 02 von Dalia Grinfeld Heimatkanal: Heimat im Grevens Einwurf: Eingemauert Andreas Kolb 13 Fernsehen Ludwig Greven 08 Theresa Brüheim im Gespräch mit DAS LETZTE AKTUELLES Claussens Kulturkanzel: Gottfried Zmeck 21 Migrantentagebuch, vierter Nach Hause gekommen Kurz-Schluss: Wie einmal Donald Digitalisierung: Pipelines Eintrag: »Zwischen hier und dort« Johann Hinrich Claussen 13 Biennale Bavaria International: Trump fast von selbst auf die Idee Olaf Zimmermann und Gabriele Schulz 03 Marwa Abidou 09 Film kann Heimat und Verständnis kam, am menschengemachten Personennachrichten & schaff en Klimawandel könnte was dran sein Identität in zwei Welten: Rezensionen 14 Theresa Brüheim im Gespräch mit Günther Theo Geiẞler 28 INLAND Ich, Kokosnuss Knoblauch und Peter Syr 22 Malith. C. Krishnaratne 09 Karikatur 28 Kolonialismus-Aufarbeitung: HEIMAT  KUNST Neue Volksmusik: Sounds of Dornröschenschlaf beendet Heimat Die P&K-Trump-Fakes 28 Kirsten Kappert-Gonther 04 EUROPA Kunstblick Heimat Theresa Brüheim im Gespräch mit Wolfgang Olaf Zimmermann 15 Marmulla 23 Impressum 28 Kolonialismus-Aufarbeitung: Schweden: Hochkultur ist subversiv Eine Debatte hat begonnen Arpad A. Sölter 10 Bildende Kunst: Der Ausstieg Schriftsteller im Exil: Daheim in Gabriele Schulz 04 aus der Heimat der Fremde DER AUSBLICK Uwe M. Schneede 16 Regine Möbius 23 4  Kolonialismus-Debatte: Vorschläge INTERNATIONALES zum Umgang mit Sammlungsgut Filmtrilogie »Heimat«: Es sind Kulturland Brandenburg: Zu Die nächste Politik & Kultur aus kolonialen Kontexten Schriftsteller in der Türkei: immer Raum und Zeit Hause zwischen Prignitzern, erscheint am . April . Stellungnahme des Deutschen Literatur vor Gericht Hans Jessen im Gespräch mit Uckermärkern und Lausitzern Im Fokus steht das Thema Kulturrates 05 Constanze Letsch 11 Edgar Reitz 17 Brigitte Faber-Schmidt 24 » Jahre Grundgesetz und Kultur«.

Narrativ & Framing Kulturmensch Überstrapazierte Geschwisterkinder politischer Sinnsuche Lena Falkenhagen

HANS JESSEN das?« – gehört zum lässigen Wort- Informationen, Ideen, Vorstellungen Der Verband deutscher Schriftstelle- Nina George und Eva Leipprand das schatz von Kommunikationsverant- wir positiv aufnehmen oder brüsk rinnen und Schriftsteller (VS) in »Netzwerk Autorenrechte«. In dem In einer Mischung aus Ironie und wortlichen und -beratern. Gemeint ablehnen. Ein Wort wie »Klima- ver.di hat eine neue Bundesvor- im Oktober  in ins Leben Besorgnis hat Olaf Zimmermann ist etwas sehr Ähnliches wie bei der wandel« wird in einem Hirn anders sitzende: Lena Falkenhagen. Die gerufenen Netzwerk haben sich Au- im Editorial der letzten Ausgabe Narrativ-Suche: Mit welchem Bedeu- geframt als in einem anderen, von -jährige Autorin, Lektorin, Über- torinnen- und Autorenvereinigungen Politik & Kultur -/ darauf tungsgehalt sollen die eigenen Bot- »Schicksalsfrage der Menschheit« setzerin und Computerspiele-Au- zur politischen Arbeit zusammenge- hingewiesen, dass die Suche nach schaften aufgeladen werden? »Fra- bis »manipuliertes Lügenwort« rei- torin wurde am . Februar  auf schlossen. »Narrativen« zum Alleskleber der ming« ist ein verführerisches Wort: chen die Einbettungen. Gleichwohl der VS-Bundeskonferenz im Rahmen Falkenhagen studierte Germanistik politischen Kommunikation wird. Wer den sinnstiftenden Rahmen stellen diese »Rahmen« keine eiser- eines viertägigen Jubiläumskongres- und Anglistik an der Universität Sein zentraler Befund: Politisch Ver- nen, unveränderlichen Regelwerke ses in Aschaff enburg gewählt. Herzli- Hannover. Mit  Jahren erschien ihre antwortliche glauben an ein Vermitt- dar, sondern befi nden sich in einem chen Glückwunsch! erste Veröff entlichung: die Kurzge- lungsproblem, wo es sich in Wahrheit permanenten Veränderungsprozess, Anlässlich ihrer Wahl erklärte Fal- schichte »Wolfstränen«. Sechs Jahre um tiefgreifende inhaltliche Proble- Framing kann Mängel der auch durch neu aufgenommene kenhagen, dass sie für eine Generati- später wurden bereits vier ihrer Ro- me ihrer Politik handelt. Wie wahr. der politischen Informationen beeinfl usst wird. Das on schreibender Menschen stehe, die mane publiziert.  erschien Fal- Peer Steinbrück leitete  seine Strategie und neuronal produzierte Rahmenwerk die Themen Internet und Digitalisie- kenhagens erster historischer Roman Bemühungen um die SPD-Kanzler- Zielsetzung nicht ist eine plastische Skulptur. An rung nicht nur als Problem, sondern »Das Mädchen und der Schwarze kandidatur unter anderem mit der dieser Stelle kann dann auch das auch als Chance wahrnehme. Tod«.  gefolgt von »Die Lich- Feststellung ein, Europa brauche kompensieren »Framing« der politischen Kommu- Vor ihrer Wahl zur Bundesvorsit- termagd«, die mit dem DeLiA-Preis »eine neue Erzählung«. »Erzählung« nikation wirksam werden – aber die zenden war Falkenhagen stellver-  ausgezeichnet wurde. Für ihre war seinerzeit der etwas ungelenke Vorstellung, dass durch solches »ex- tretende Landesvorsitzende des VS Arbeit wurde die Wahl-Hamburgerin, Versuch, »Narrativ« in Deutschland setzt, mag glauben, er könne damit ternes Framing« das letztinstanzlich Berlin. Die  in Celle geborene die fünf Jahre lang die Geschichte alltagssprachentauglich zu machen. bestimmen, wie die Information bei entscheidende »interne Framing« Schriftstellerin ist zudem Mitgründe- für das Computerspiel »Drakensang Kandidat Steinbrück führte die »Er- den Empfängern ankommt. Diese gesteuert werden könne, wäre naiv. rin und Zweite Vorstandsvorsitzende Online« von Bigpoint verfasste,  zählung« als Erfolgsrezept zur Stim- verlockende Perspektive ist der Wie inneres und äußeres Framing des Phantastik-Autoren-Netzwerks vom Magazin GamesWirtschaft menmobilisierung oft im Munde. Kern – und oft genug das Geschäfts- zusammenwirken, beschreibt die in (PAN).  gründete Falkenhagen, unter die deutschen Top  Games- Das Wahlergebnis  zeigte dann modell – einer wachsenden Framing- den USA lehrende Neurolinguistin die sich für die Rechte und Hono- Entwicklerinnen gewählt. Politik & allerdings deutlich, dass Wähler Szene. Elisabeth Wehling in zahlreichen rare von Autorinnen und Autoren Kultur wünscht Lena Falkenhagen durchaus unterscheiden können, ob Tatsächlich gilt für »Framing« noch Publikationen. in Deutschland engagiert, in ihrer viel Erfolg in ihrem neuen Amt als ein authentischer, real existierender mehr als für »Narrativ«: Es ist zu- Für die Geschwisterworte »Narrativ« PAN-Funktion unter anderem mit VS-Bundesvorsitzende. Sachverhalt in schlüssiger, nach- nächst mal ein analytischer Begriff . und »Framing«, zu denen als kleine vollziehbarer Form übermittelt wird In der Neurolinguistik, die sich da- Halbschwester übrigens auch noch – oder ob professionelle Erzähler ih- mit befasst, wie sprachliche Inhalte »Wording« zählt, gilt: Je häufi ger sie nen was erzählen wollen. hirnprozessual verarbeitet werden, uns in der politischen Kommunika- Mit anderen Worten: »Narrativ« bezeichnet Framing die Einbettung, tion als Werkzeuge begegnen, mit kann ein hervorragendes analyti- die sprachlich übermittelte Inhalte denen sich gesellschaftlicher Diskurs sches Instrument sein. Mit seiner im Gehirn des Empfängers erfah- angeblich effi zient gestalten lässt, Hilfe lässt sich feststellen, ob eine ren. Wie Worte niemals für sich desto dringlicher ist die Suche nach Gesellschaft – ganz oder in Teilen allein stehen bleiben, sondern in den tiefer liegenden Problemen, die – über einen Fundus sinnstiftender ein begriffl iches Rahmenwerk ein- die Werkzeugbesitzer tatsächlich Zusammenhänge verfügt – als verba- gebunden werden. In blitzschnellen haben. »Framing« als »operatives les Packpapier politischer Kommu- Prozessen, unterhalb der Ebene Tool« kann Mängel der politischen nikation aber ist es von begrenztem bewusster intellektueller Refl exion. Strategie und Zielsetzung so wenig Wert, steht immer unter Authentizi- Die Bedeutungszusammenhänge, die kompensieren, wie schicke Werbung tätsvorbehalt. hier entstehen, sind von ungeheurer aus einem schlechten Auto ein gutes Gleiches gilt für das begriffl iche Ge- Komplexität, sie hängen ab von indi- macht. schwisterkind des Narrativs, das sich viduellen und kollektiven Erfahrun- in jüngerer Vergangenheit ebenfalls gen, von kulturellen Systemen und Hans Jessen ist freier Journalist

wachsender Beliebtheit erfreut: Po- ethisch-moralischen Normierungen. und ehemaliger ARD-Hauptstadt- S. ANTJE FOTO: litisches Framing. »Wie framen wir Hier entscheidet sich auch, welche korrespondent Politik & Kultur | Nr. /  | März  AKTUELLES 03

Pipelines Die kulturelle Dimension der Digitalisierung und die gesellschaftlichen Auswirkungen eines digitalen Kapitalismus

OLAF ZIMMERMANN UND von Künstlerinnen und Künstlern sollte de, die meinen, dass Bekanntheit für Kulturerbes, um das Presseleistungs- gänglich machen können. Sie müssen GABRIELE SCHULZ ein bedingungsloses Grundeinkommen Künstler ausreiche, den Kühlschrank schutzrecht, um die Verlegerbeteili- allerdings die Persönlichkeitsrechte eingeführt werden. Die Zeitungsver- zu füllen. gung an gesetzlichen Vergütungsan- daran haben. m Herbst  führte der Deut- leger in Deutschland legten sich für So richtig hoch kochten die Emo- sprüchen, um faire Vergütung und um Die Urheberrechtsdebatte ist aber sche Kulturrat mit Unterstützung die Einführung eines Presseleistungs- tionen bei den Trilogverhandlungen die Verantwortung der Plattformen nur ein Element in der Diskussion um verschiedener Verwertungsgesell- schutzrechts krumm. Google scherte zur EU-Richtlinie zum Urheberrecht für gehostete Inhalte – siehe Art. . den Umgang mit marktbeherrschen- I schaften in der Bundeskunsthalle sich herzlich wenig darum und kün- im digitalen Binnenmarkt. Der von der Insbesondere letzterer Artikel be- den Plattformen. Ein weiteres ist die in Bonn eine Tagung zu »Multimedia digte an, Zeitungsinhalte, für die eine Kommission vorgelegte Richtlinienvor- herrschte in den letzten Monaten die Frage der Besteuerung. Bekannterma- und Kultur« durch. Im Mittelpunkt Abgabe zu zahlen wäre, nicht mehr zu schlag wurde sowohl vom Europäischen Debatte. Es ging um die Frage, ob die ßen beherrschen diese Unternehmen stand die Frage, mit welchen Inhalten listen. Das führte dazu, dass die großen Rat als auch dem Europäischen Parla- Position der Rechteinhaber gegenüber die Steuervermeidung perfekt. Sie sind die künftig entstehenden Netze gefüllt Verlage einknickten und das deutsche ment an einzelnen Artikeln geändert. Online-Plattformen gestärkt werden Nutznießer des von der Allgemeinheit werden sollen und welche Chancen dies Presseleistungsschutzrecht letztlich ins Seit der zweiten Jahreshälfte  fan- soll, damit sie insbesondere für die zu- durch Steuermittel fi nanzierten Breit- Künstlerinnen und Künstler bietet, mit Leere läuft. Nach der Musikindustrie, den die sogenannten Trilogverhandlun- stimmungsbedürftige Nutzung ihrer bandausbaus, sind selbst aber nicht be- der Verbreitung ihrer Werke Geld zu die als erste davon betroff en war, dass gen statt, in denen sich Kommission, Werke eine angemessene Vergütung reit, ihren Anteil durch Steuerzahlungen verdienen. Zum Zeitpunkt der Tagung, die Netze, also die neuen Pipelines, mit Parlament und Rat auf gemeinsame erhalten. Online-Plattformen sollten zu leisten. Vor wenigen Wochen hat das also Herbst , war das Internet noch attraktiven Inhalten gefüllt sein müs- Formulierungen verständigen müssen. sich nicht mehr auf die Position zu- Bundesarbeitsministerium ein Gutach- sehr langsam. Es konnten nur Texte sen und die nach Kampagnen, Schutz- Nachdem es lange so aussah als würde rückziehen können, dass sie letztlich ten zur Künstlersozialabgabepfl icht von verbreitet werden. Es zeichnete sich fi ltern und anderem mehr nun auf di- es keine Einigung geben, verständigen nur die Pipelines zur Verfügung stellen Online-Plattformen vorgelegt. Hier wird ab, dass eventuell irgendwann einmal gitale Verbreitungswege und Online- sich Anfang Februar dieses Jahres die und daher keine Verantwortung für die aufgezeigt, dass unter bestimmten Vor- Bilder und Töne übertragen werden Portale setzen, war die Filmindustrie Verhandler auf eine gemeinsame Linie. Inhalte übernehmen können. Rechte- aussetzungen wie bei anderen Verwer- könnten. Die Übertragung von Filmen Wenn nun die Institutionen, Parlament, inhaber erhoff en sich eine Schließung tern künstlerischer oder publizistischer war ferne Zukunftsmusik, die irgend- Rat und Kommission, zustimmen, kann des sogenannten Value Gap und die Leistungen auch bei Online-Plattformen wann einmal möglich sein würde. noch vor der Wahl des neuen Europäi- Durchsetzung einer angemessenen eine Künstlersozialabgabepfl icht ent- Überlegt wurde bei der Tagung wie Ökonomisch genutzt schen Parlaments und der Einsetzung Vergütung. Gegner der Regelung be- stehen kann. Es bleibt mit Spannung Künstlerinnen und Künstler an der neu hat die Digitalisie- einer neuen Kommission die Richtlinie fürchten, dass die einzusetzenden abzuwarten, wie eine Abgabepflicht entstehenden Wertschöpfung partizi- rung bisher vor allem verabschiedet werden. Damit würde die Upload-Filter viel zu ungenau sind, durchgesetzt werden kann. pieren können. Diskutiert wurde vor US-amerikanischen Richtlinie Urheberrecht in der Infor- dass sie zwischen einem rechtmäßigen Der Sprecherrat des Deutschen Kul- allem die Frage einer angemessenen mationsgesellschaft aus dem Jahr  Zitat und einem illegalen Upload nicht turrates hat für die Amtszeit  bis Vergütung. Grundlage der Debatte war Konzernen abgelöst werden. Angesichts der oben unterscheiden können und vor allem,  einen Fachausschuss Digitales und dabei die analoge Welt, die darauf ba- beschriebenen technischen Entwick- dass die Informations- und Meinungs- Künstliche Intelligenz eingesetzt. Die sierte, dass die Verwerter künstlerischer lung ist eine Aktualisierung der euro- freiheit massiv eingeschränkt werden. Zusammensetzung dieses Ausschusses Werke die Nutzung vergüten. Diese Ver- als nächste Branche von der digitalen päischen Urheberrechtsgesetzgebung Der Branchenverband der Internetun- wird im März  beschlossen. Wichti- gütungspfl icht an sich war überhaupt Veränderung umfassend betroff en. Fi- bitter nötig. Sie bildet die Grundlage ternehmen, Bitkom, warnt davor, dass ge Themen dieses Ausschusses werden nicht streitig, es ging allerdings darum, nanzierungsmodelle, die darauf auf- für den nationalen Gesetzgeber. Die die Regelung »jungen Künstlern die die kulturelle Dimension der Digita- ob die Vergütung angemessen ist und bauen, dass ein Film in verschiedenen Debatten werden also in Deutschland Möglichkeit nehmen (wird; Anm. d. A.), lisierung, aber auch die gesellschaft- inwiefern bei wirtschaftlichem Erfolg Ländern ausgewertet wird und dafür je- im nationalen Umsetzungsprozess fort- das Internet als unabhängige Platt- lichen Auswirkungen eines digitalen eines Werkes eine Nachvergütung weils Lizenzen erforderlich sind, funk- gesetzt. form zur Optimierung der Reichwei- Kapitalismus sein. Wir freuen uns auf erfolgen muss. Weder die Verwerter tionieren nicht, wenn die Nutzerinnen Im aktuellen Richtlinienentwurf te zu nutzen.« Dabei wird außer Acht die Debatten. künstlerischer Leistungen, bei der Ta- und Nutzer erwarten, jederzeit und an werden diverse Aspekte angesprochen, gelassen, dass es auch in der analogen gung vertreten durch den damaligen jedem Ort auf ein ganzes Portfolio an es geht unter anderem um Schranken- Welt jedem Urheber unbenommen ist, Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer Vorsitzenden des Bundesverbandes der Filmen zugreifen zu können. Dabei geht regeln und die Nutzung von Werken seine Werke zu verschenken und eben- des Deutschen Kulturrates. Gabriele phonographischen Wirtschaft, heute es gar nicht in erster Linie um illegale für Unterrichts- und wissenschaftliche so in der digitalen Welt Künstlerinnen Schulz ist Stellvertretende Geschäfts- Bundesverband Musikindustrie, Tho- Kopien, als vielmehr um die Zugäng- Zwecke, um den digitalen Erhalt des und Künstler ihre Schöpfungen frei zu- führerin des Deutschen Kulturrates mas Stein, noch die Künstlerinnen und lichmachung von Filmen im Ausland. Künstler ließen irgendeinen Zweifel am Ökonomisch genutzt hat die Digita- Grundsatz, dass eine Vergütung erfol- lisierung, die Verbreitung und die Nut- gen muss. Dass ein Geschäftsmodell zung von Inhalten im Internet bisher darauf basieren kann, dass auf eine vor allem US-amerikanischen Konzer- Entlohnung verzichtet wird und als nen. Hier fand ein erheblicher Konzent- Gegenleistung Bekanntheit angeboten rationsprozess statt, sodass Google und wird, war zu diesem Zeitpunkt kaum Facebook mit ihren diversen Unterfi r- vorstellbar. men eine marktbeherrschende Stellung Dies hat sich grundlegend verändert. haben und dies nicht nur in Nordameri- Zunächst fand eine technische Explo- ka, sondern auch in Europa und vielen sion statt. Texte, Töne, Bilder, Filme anderen Weltregionen. Sie verdienen sind heute selbstverständlich online sich die sprichwörtliche goldene Nase. zugänglich. Ehemalige Mobiltelefo- Ihnen gehören die Pipelines. Das Öl ne, die ersten Exemplare waren noch oder das Gold, das durch die Pipelines groß und schwer wie ein Brikett und rauscht, d. h. die Inhalte bzw. der Con- WITTENER TAGE dienten zum Telefonieren außer Haus, tent, braucht ihnen nicht zu gehören. wurden zu Smartphones, die für alles Es fl ießt auch so. Die Pipelines, der Mögliche nützlich sind, unter anderem Verteilmechanismus, die Zugänglich- FÜR NEUE auch zum Telefonieren. Filme werden machung sind das Entscheidende. ebenso selbstverständlich auf Smart- Damit rührt die Digitalisierung auch phones gehört wie Musik, Bilder werden an den Grundfesten des Kapitalismus. KAMMERMUSIK getauscht und wer den Weg von A nach Nicht mehr die Produktionsmittel sind B nicht weiß, nutzt keinen Stadtplan, das Entscheidende, sondern die Infra- sondern lässt sich kinderleicht von sei- struktur zur Verteilung und Verbreitung nem Smartphone führen. Als Hemmnis von Gütern und Dienstleistungen. Diese KONZERTE für die wirtschaftliche Entwicklung in Infrastruktur ist nicht etwa wie Straßen Deutschland wird der langsame Ausbau im öff entlichen, sondern im privaten KLANGKUNST von Breitband ausgemacht und in der Besitz. Der private Besitz der Pipelines PERFORMANCES Bundesregierung wird allenfalls darüber hindert die Unternehmen aber nicht GESPRÄCHE gesprochen, ob der neue Standard G an daran, sich so zu gerieren als würden jeder Milchkanne verfügbar sein muss sie ein öff entliches Gut zur Verfügung 10. – 12. MAI 2019 oder nicht. stellen. Neue Werke u. a. von Grundlegend geändert hat sich die Einige Zeit wurde darüber gespro- Ondřej Adámek / Mark Barden / Sasha J. Bondeau / Mio Auffassung, ob Künstlerinnen und chen, dass das Urheberrecht das Markt- Chareteau / Ann Cleare / Irene Galindo Quero / Malte Giesen / Künstler einen ökonomischen Er- ordnungsrecht der digitalen Welt sei. Sara Glojnarić / Clara Iannotta / Barblina Meierhans / Misato trag aus der Verwertung ihrer künst- Lang und breit wurde und wird über Mochizuki / Mayke Nas / Martin Smolka / Erwin Stache / Lisa lerischen Leistungen ziehen können Veränderungen des Urheberrechts de- Streich / Manos Tsangaris / Mikel Urquiza / Francesca Verunelli müssen. In den mehr als  Jahren seit battiert. Dabei standen und stehen sich der erwähnten Tagung in Bonn wurde nahezu unversöhnlich unterschiedliche Ausführende: u. a. unter anderem über Musikpiraterie Gruppen gegenüber. Auf der einen Seite Quatuor Diotima / Ensemble Eklekto / Neseven / IEMA Ensemble 2018/19 / gesprochen und als eine Lösung de- sind diejenigen zu fi nden, die für eine Ensemblekollektiv Berlin / Titus Engel Leitung / Sarah Maria Sun / battiert, eine Kulturfl atrate einzufüh- faire Vergütung der Künstlerinnen und WDR Sinfonieorchester / Michael Wendeberg Leitung / ensemble ascolta ren, die es ermöglichen sollte, mittels Künstler eintreten, also die Künstler wittenertage.de eines kleinen Obolus so viel Musik selbst und die Unternehmen der Kultur- wdr3.de wie gewünscht zu hören. Eine Partei, wirtschaft. Auf der anderen diejenigen, Die Piraten, zog mit dem Versprechen, die aufgrund eines öff entlichen Auf- den kostenfreien Zugang zu Inhalten trags möglichst viele Inhalte umfassend, Gefördert von: weltweit zu ermöglichen, in diverse kostenfrei zugänglich machen wollen, Landesparlamente und in das Europä- wie Bibliotheken. Und dann gibt es noch ische Parlament ein. Zur Finanzierung Internetunternehmen und ihre Verbän- 04 INLAND www.politikundkultur.net

Dornröschenschlaf beendet Die aktuelle Kolonialismus-Aufarbeitung in Deutschland

KIRSTEN KAPPERTGONTHER haben die vielen lokalen und überre- einem »richtigen Hype in der Restitu- ten und ehemaligen Kolonisatoren nialen Erbes und des antikolonialen gionalen migrantisch-diasporischen tionsproblematik« beigetragen haben. bewusst zu machen. Demut und Dis- Widerstandes in ihren unterschiedli- ie koloniale Fremdherrschaft und zivilgesellschaftlichen Initiativen, Im Auftrag Macrons erstellten Savoy kurs mit den Nachfahren der Koloni- chen Facetten angemessen aufarbeiten über Teile Afrikas, Ozeani- wie z. B. vom bundesweiten Bündnis und Sarr einen »Masterplan«, der die sierten sind daher die zentralen Motive, und diese Epoche multiperspektivisch ens und Chinas ist eines Decolonize, die den Kolonialismus und Rahmenbedingungen für die avisierte die unser Handeln leiten sollten. Aus beleuchten. Eine Erinnerungsstätte hat D der am meist verdrängten dessen Kontinuitäten seit vielen Jahren Rückgabe des afrikanischen Kulturguts diesem Grunde kritisiere ich auch die auch das Ziel, die Versöhnung und die Kapitel deutscher Geschichte. In der adressieren. In Solidarität mit hier le- auff ührt und dabei nicht weniger als von Hermann Parzinger Entwicklung gemeinsamer offiziellen Erinnerungskultur der benden Nachfahren Kolonisierter trei- eine »neue Ethik der Beziehungen« zwi- und einer Initiativgruppe Zukunftsperspektiven zu Bundesrepublik wurden die deutsche ben sie die Debatte um die Provenienz schen europäischen und afrikanischen von Wissenschaftlerinnen unterstützen und somit Kolonialherrschaft, die damit ver- und Restitution von Sammlungsgut aus Gesellschaften fordert. und Wissenschaftlern ins erste Schritte zu einer ge- bundenen Verbrechen und der anti- kolonialen Kontexten, die Etablierung Und tatsächlich: In der Bundesre- Spiel gebrachte Idee eines meinsamen Erinnerungs- koloniale Widerstand bisher kaum von Erinnerungsorten, den Charakter publik ist neben dem zentralen und »Raumes der Stille, der kultur zwischen Deutsch- berücksichtigt. Hartnäckig hält sich des Humboldt Forums und die kritische unabschließbaren Gedenken an die Besinnung« im Humboldt land und den Menschen die Meinung, Deutschland sei eine Diskussion über kolonialpropagandis- Schoah jetzt ein Gelegenheitsfenster Forum. Diese Idee eines in den Nachfolgestaaten unbedeutende und harmlose oder so- tische Straßennamen und Denkmäler aufgestoßen worden, in dem die Auf- Gedenkorts an die Opfer der vom Deutschen Kai- gar positiv wirkende Kolonialmacht maßgeblich voran. arbeitung des Kolonialismus und seiner der deutschen Kolonial- serreich beanspruchten gewesen. So behauptete jüngst der Wachgeküsst aber wurde die bundes- massiven Konsequenzen angegangen verbrechen kommt so non- Kolonien zu etablieren. Gründungsintendant des Humboldt republikanische Politik von dem fran- werden kann. Denn die Restitutionsde- chalant daher, als hätte es die Proteste Nicht zuletzt kann die Entwicklung Forums, Horst Bredekamp, Deutsch- zösischen Staatspräsidenten Emmanuel batte greift viel tiefer als um Fragen der am Humboldt Forum durch die diaspo- eines solchen Orts des Erinnerns und land sei – trotz letztlich erfolgloser Macron, der  vor Studierenden in materiellen oder rechtlichen Rückgabe rischen Communities sowie die große Lernens dazu beitragen, die Debatte um Bestrebungen – keine Kolonialmacht Burkina Faso ankündigte, binnen fünf von Kulturgütern; vielmehr kann sie postmigrantische Szene der Republik die Aufarbeitung der Kolonialherrschaft gewesen. Und der Afrika-Beauftragte Jahren die Voraussetzungen für die über den zentralen Aspekt des »Un- gar nicht gegeben. Ebenfalls führt Jür- und der damit verbundenen Verbrechen der Bundeskanzlerin, Günter Nooke, Rückgabe des afrikanischen Samm- rechtskontexts«, unter dem Kulturgüter gen Zimmerer völlig zu Recht an, dass in der breiten Gesellschaft sowie der argumentierte in der Boulevardzeitung lungsguts zu schaffen – und somit einst in Besitz genommen wurden, den durch einen Gedenkort im Humboldt kulturellen und politischen Bildung zu B. Z. gar, der Kolonialismus habe dazu den Grundstein für die gegenwärtige Weg bereiten für die längst überfällige Forum die Debatte um koloniale Beu- verankern. In einer off enen Auseinan- beigetragen, Afrika »aus archaischen konsequente und breite Aufarbeitung tekunst mit der allgemeinen deutschen dersetzung mit dem deutschen Koloni- Strukturen zu lösen«. der deutschen Kolonialverbrechen. Kolonialherrschaft und der damit ver- alismus kann die oft formelhafte Rede Beide Äußerungen stehen exempla- Die Aufarbeitung unseres kolonialen bundenen Verbrechen – darunter der vom transkulturellen Dialog endlich risch für die mangelnde Auseinander- Erbes muss systematisch angegangen erste Völkermord im . Jahrhundert im mit Leben gefüllt werden. setzung mit unserem kolonialen Erbe Wir sollten alles werden und bedarf der Einbeziehung heutigen Namibia – vermengt würden Auf das Humboldt Forum kommt in- und das Fortbestehen kolonialer Denk- daran setzen, aus der unterschiedlicher politischer und ge- und »in eine Aufmerksamkeitskon- des die zentrale Herausforderung der strukturen. Der derzeit viel diskutierte Vergangenheit für die sellschaftlicher Ebenen. Dies bedeutet kurrenz« träten. Die Verantwortlichen inhaltlichen Dekolonialisierung zu. Die Begriff »Postkolonialismus« weist auf nicht nur eine Überprüfung der bishe- des Humboldt Forums sind selbstver- Verantwortlichen sind vor die große den wesentlichen Sachverhalt hin, dass Zukunft zu lernen rigen Restitutionspraxis und Ausstat- ständlich in kuratorischen Fragen frei. Aufgabe gestellt, dass der Wiederauf- der Kolonialismus in unseren Köpfen tung der Provenienzforschung in Bund Sie wären allerdings gut darin beraten, bau des Stadtschlosses eben nicht mit weiterlebt, und das oft unbewusst. Bis und Ländern. Dringend notwendig sind den avisierten »Dialog der Kulturen« einer Idealisierung der Herrschafts- heute prägen kolonialistische Bilder vielmehr eine grundlegende Erweite- nicht nur zu proklamieren, sondern mechanismen des . Jahrhunderts unser Denken: das Bild vom wilden Debatte um Restitutionen legte. Si- rung der deutschen Erinnerungskultur umzusetzen. einhergeht und Geschichten von Ras- Afrika oder exotistische Vorstellungen cherlich hat sich auch das Humboldt und ihrer Narrative sowie die Einbet- Zum Zwecke der Aufarbeitung des sismus und tradierter Ungleichwertig- des »Fremden«. Sie tragen dazu bei, Forum, dessen inhaltliche Gestaltung tung in den europäischen bzw. globalen kolonialen Erbes plädiere ich daher für keit reproduziert werden. Sie sollten fortbestehende Machtverhältnisse und sowie der damit verbundene Umzug Kontext der Kolonialisierung und des eine zentrale und sichtbare Stätte des alles daran setzen, dass wir aus der tradierte Vorstellungen von Ungleich- der außereuropäischen Sammlungen Imperialismus. Hierfür ist es notwen- Erinnerns und Lernens – unabhängig Vergangenheit für Gegenwart und Zu- wertigkeit zu verfestigen. Doch dieses von der Peripherie ins Zentrum dig, dass sich die Verantwortlichen des vom Humboldt Forum – in Berlin, dem kunft lernen. Bild beginnt sich – wenn auch langsam als Katalysator dieser Debatte erwie- Humboldt Forums über den – wie Jür- politischen Zentrum des deutschen Ko- – zu verändern. sen. Doch ohne Macrons Impuls hätte gen Zimmerer es bezeichnete – »kolo- lonialismus und dem Ort der berüch- Kirsten Kappert-Gonther ist seit Nach jahrzehntelangem Dornrös- es wohl an entscheidender Strahlkraft nialen Kern« des zurzeit bedeutendsten tigten Berliner Afrika-Konferenz von September  Abgeordnete der chenschlaf diskutieren Politik und Öf- in der Frage um Provenienzforschung Kulturprojekts in Deutschland bewusst  bis . Diese Erinnerungs- und Bundestagsfraktion Bündnis / fentlichkeit heute über den Umgang und Restitution gefehlt. Diese Strahl- werden. Lernstätte soll zur Erinnerung an die Die Grünen. Sie ist stellvertretendes mit Kulturgut aus kolonialen Kontex- kraft entsteht entscheidend durch die Diesen »kolonialen Kern« anzuer- deutsche und europäische Kolonial- Mitglied im Ausschuss für Kultur ten und, untrennbar damit verbunden, Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und kennen, heißt eben auch, sich die noch herrschaft, speziell in Afrika, und der und Medien mit Zuständigkeit für über den Umgang mit unserem koloni- den Wirtschaftswissenschaftler Felwine immer bestehenden Machtungleichge- damit verbundenen Verbrechen und Erinnerungskultur/Aufarbeitung des alen Erbe. Einen wichtigen Anteil daran Sarr, die – wie Sarr selbst bemerkt – zu wichte zwischen ehemals Kolonisier- Opfer dienen, die Thematik des kolo- kolonialen Erbes

Eine Debatte hat begonnen

Bericht zur Bundestags- viele meinen, Deutschland habe nur ethnologische Sammlungen verkürzt zeichnete er als dürftig und unzurei- Wertschätzung gegenüber Menschen, debatte zu Sammlungsgut eine unbedeutende Kolonialgeschichte. werden darf. Ebenso sei, so Heveling, chend. Die Verantwortung werde auf den Opfern und den Nachgeborenen Sie lobt, dass die Regierungskoalition nicht allein der Bund, sondern auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz der Kolonisierten gehe. Er sieht als aus kolonialen Kontexten im Koalitionsvertrag vereinbart hat, den die Länder und Kommunen gefordert. abgeschoben. Den in den Museen be- größte Aufgabe und Herausforderung Kolonialismus aufzuarbeiten, kann aber Er ist der Idee einer Erinnerungsstätte fi ndlichen Objekten werde, so Jongen, in Deutschland, die Kontrolle über die GABRIELE SCHULZ derzeit nur wenige Handlungen erken- an den Kolonialismus gegenüber nicht keine Wertschätzung entgegengebracht. Objekte und die Debatten um Kolo- nen. Kappert-Gonther unterstrich, dass abgeneigt, sieht das aber nicht als ers- Damit würde ein »Schuldkomplex der nialismus aufzugeben. Daraus folgt m . Februar fand im Plenum die Rückgabe von Sammlungsgut aus ten Schritt. Heveling führte an, dass im Kolonialgeschichte kultiviert«, der zur aus seiner Sicht, dass die konserva- des Deutschen Bundestages kolonialen Kontexten ein Bestandteil Haushalt  erstmals ein eigener Etat »psychopolitischen Grundlage der Mas- torische Aufbewahrung von Objekten A eine Debatte zu Sammlungsgut der Debatte sei, der aber längst nicht für die Provenienzforschung zu diesem senmigration« nach Deutschland diene. keine Bedingung für Rückgabe sein aus kolonialen Kontexten statt. Grund- ausreiche. Demut und Dialog sind ihres Sammlungsgut im Deutschen Zentrum Es würde sich auf ein hohes moralisches darf. Viele Objekte seien eben keine lagen waren der Antrag der Fraktion Erachtens gefordert und kein Moralis- Kulturgutverluste bereitsteht und seit Ross gesetzt, womit die Leerräumung Kunstgegenstände, sondern in Rituale Bündnis /Die Grünen »Zur kultur- mus. Als wesentlich erachtete sie, einen Oktober letzten Jahres eine Bund- eingebettet. Als Nachfahren der Profi - politischen Aufarbeitung unseres ko- sichtbaren Ort als Stätte des Lernens Länder-Arbeitsgruppe zu dem Thema teure des Kolonialismus sei es nicht an lonialen Erbes« (Drucksache /) und Erinnerns an den Kolonialismus tagt, die sich auf mit der Rückgabe von uns, so Lindh, Bedingungen zu stellen, und die Antwort der Bundesregierung unabhängig vom Humboldt Forum zu Kulturgut einhergehenden rechtlichen Die Haltung gegenüber vielmehr müsse es darum gehen, den auf die Große Anfrage der AfD-Fraktion schaff en. Die Debatte um den Umgang Fragen befasst. Weiter erwartet er Auf- dem globalen Süden Kolonialismus im Kopf zu überwinden. »Aufarbeitung der Provenienzen von mit der Vergangenheit muss ihrer An- schlüsse aus der zweiten Fassung des muss sich grundlegend Hierfür brauche es ein Gesamtkonzept. Kulturgut aus kolonialem Erbe in Mu- sicht nach in Zukunft auf Augenhöhe erwähnten Leitfadens des Deutschen Die Rückgabe von zurückgefordertem seen und Sammlungen« (Drucksache mit den Ländern des globalen Südens Museumsbundes, der in Zusammenar- ändern Sammlungsgut müsse ein Bestand- / und Drucksache /). Fast geschehen. beit mit internationalen Wissenschaft- teil dieses Gesamtkonzeptes sein. Als alle Rednerinnen und Redner unterstri- Auch , MdB (CDU/ lerinnen und Wissenschaftlern erstellt vordringlich erachtet er die Rückgabe chen, dass diese Bundestagsdebatte erst CSU) forderte einen Dialog. Bestandtei- wird. der deutschen Museen gerechtfertigt menschlicher Überreste. Der von Bünd- der Anfang einer intensiven Befassung le dieses Dialoges sind seines Erachtens , MdB (AfD) befürchtet, werde. Jongen stellt nicht in Abrede, nis /Die Grünen geforderten Gedenk- mit dem Thema sein kann und weitere eine verstärkte kulturelle Zusammenar- dass die Bundesregierung Museen und dass im Rahmen des europäischen stätte stehe er positiv gegenüber, sieht Beratungen im Ausschuss für Kultur beit mit afrikanischen Staaten, ein ver- Sammlungen zur Rückgabe von Samm- Kolonialismus schlimme Verbrechen sie aber nicht am Anfang, sondern am und Medien, im Deutschen Bundestag mehrter Austausch mit den Herkunfts- lungsgut bewegen will und sieht in die- begangen wurden, führt aber auch an, Ende eines Prozesses. Aus Sicht von und in der Gesellschaft folgen müssen. gesellschaften und die Digitalisierung ser Rückgabe den Anfang vom Ausver- dass der Kolonialismus zur Stabilisie- Lindh solle die Debatte um Kolonialis- Kirsten Kappert-Gonther, MdB von Museumsbeständen. Er erinnerte kauf des Landes. Seines Erachtens wird rung der Lebensverhältnisse in den Ko- mus nicht so sehr unter dem Aspekt des (Bündnis /Die Grünen) bescheinigte daran, dass im Leitfaden des Deutschen im Antrag von Bündnis /Die Grünen lonien geführt habe. Jongen empfi ehlt, Verlustes von Sammlungsgut, sondern der deutschen Gesellschaft eine kolo- Museumsbundes zu Sammlungsgut aus Moralismus über Recht gestellt. Die AfD, von der moralischen Überfrachtung unter der Perspektive des Gewinns und niale Amnesie. Sie bezeichnete den Ko- kolonialen Kontexten herausgearbeitet so Jongen, wird sich dem entschieden der Kolonialismusdebatte Abstand zu des gemeinsamen Lernens mit den Ge- lonialismus als ein verdrängtes Kapitel wurde, dass unterschiedliche Museen entgegenstellen. Die Antworten der nehmen. Demgegenüber unterstrich sellschaften im globalen Süden gesehen der deutschen Geschichte, das unter an- und Sammlungen vom Thema betrof- Bundesregierung auf die genannte , MdB (SPD), dass es bei der werden. derem darauf zurückzuführen sei, dass fen sind, und die Debatte nicht auf Große Anfrage der AfD-Fraktion be- Diskussion um Kolonialismus um die Fortsetzung auf Seite  Politik & Kultur | Nr. /  | März  INLAND / DOKUMENTATION 05

Vorschläge zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten Stellungnahme des Deutschen Kulturrates

Berlin, den ... Der Deutsche Wissenschaft kontinuierlich in den Dis- Einfuhrrichtlinie für Kulturgut sowie Der Deutsche Bibliotheksverband hat Kommunen, Zivilgesellschaft und Wis- Kulturrat, der Spitzenverband der kussionsprozess um das Gesamtkonzept ihre Umsetzung in nationales Recht sich auf den Weg eines innerverband- senschaft sowie Vertreterinnen und Bundeskulturverbände, begrüßt, dass einbezogen werden. werden dazu beitragen, dass nur Kul- lichen Klärungsprozesses gemacht. Vertretern der Herkunftsgesellschaften nicht zuletzt durch die Debatte um das turgut auf den Markt kommt, dessen Andere Fachverbände von Kultur- und besetzt sein. Humboldt Forum die Diskussion um Provenienz geklärt ist. Wissenschaftseinrichtungen sollten Verantwortung aller Kultur- und den Umgang mit Sammlungsgut aus sich ebenfalls aus ihrer Fachsicht mit Wissenschaftseinrichtungen Wissenschaftlicher Austausch kolonialen Kontexten Fahrt aufnimmt. dem Thema befassen. Fachliche Grundlagen Der Deutsche Kulturrat unterstreicht, Der Deutsche Kulturrat sieht alle Kul- Der Deutsche Kulturrat sieht ferner dass dieses Thema nicht allein die tur- und Wissenschaftseinrichtungen, Der Deutsche Museumsbund hat als die Notwendigkeit, die Fächer an den Provenienzforschung Sammlungen im Humboldt Forum, unabhängig von ihrer Trägerschaft, in Fachverband mit seinem »Leitfaden Universitäten zu stärken und auszu- sondern viele Museen sowie einige der Verantwortung, ihre Objekte auf zum Umgang mit Sammlungsgut aus Damit die Provenienzrecherche ge- bauen, die sich mit kulturellen und Bibliotheken und öff entliche, private koloniale Kontexte zu prüfen. Dies gilt kolonialen Kontexten« bereits aus fach- lingen kann, müssen die betreff enden künstlerischen Objekten sowie gesell- sowie universitäre Sammlungen be- nicht nur für staatliche, kirchliche und spezifi scher Sicht eine sehr wichtige Einrichtungen sowohl personell als schaftlichen Strukturen in kolonialen triff t. Sie werden teils von den Kom- universitäre ethnologische Sammlun- Grundlagenarbeit für die Museen ge- auch hinsichtlich der Sachkosten ent- Kontexten befassen. Hierzu gehören munen, teils von den Ländern, teils gen, sondern für andere Kultur- und leistet, auf die von anderen Fachver- sprechend ausgestattet werden. Hier auch sogenannte Kleine Fächer, die vom Bund getragen. Einzubeziehen Wissenschaftseinrichtungen, in denen bänden aufgebaut werden kann. We- sind Bund, Länder und Kommunen hochspezialisiert sind. An den Hoch- sind auch kirchliche Einrichtungen, sich Objekte aus kolonialen Kontex- sentliche Aspekte sind, gefordert. Der Ausbau des Deutschen schulen werden die Wissenschaftlerin- die nicht zuletzt durch Missionsarbeit ten befi nden oder befi nden können. Zentrums Kulturgutverluste um den nen und Wissenschaftler ausgebildet, und Missionsstationen über einschlä- In allen Einrichtungen und Samm- • dass kolonialer Kontext mehr meint Arbeitsbereich Sammlungsgut aus ko- die die Objekte lesen, interpretieren gige Sammlungen und umfangreiche lungen muss sensibel und angemes- als die ehemaligen Kolonialgebiete, lonialen Kontexten ist ein wichtiger und bewahren können. Der interna- Kenntnisse über koloniales Handeln sen mit den Objekten aus kolonialen • dass ein kolonialer Kontext von erster Schritt in die richtige Richtung. tionale Austausch und Dialog insbe- verfügen. Kontexten umgegangen werden. Alle Sammlungsgut nicht automatisch Hier sollten auch Kapazitäten bereitge- sondere mit Wissenschaftlerinnen und Einrichtungen sind aufgefordert, u.a. eine problematische Herkunft be- halten werden, um kleinere Kulturein- Wissenschaftlern aus den Herkunfts- durch einen langfristigen Austausch deutet, richtungen fachkundig zu unterstützen. gesellschaften sollte intensiviert und Gesamtkonzept mit den Herkunftsgesellschaften zu • dass Transparenz nach innen, d.h. entsprechend unterstützt werden. Der Deutsche Kulturrat appelliert an einer Sensibilisierung sowie zu einem hinsichtlich der Bestände von Kul- Digitalisierung Politik und Verwaltung das Thema angemessenen und zukunftsfähigen tur- und Wissenschaftseinrichtungen Dieser Austausch kann zu Capacity Sammlungsgut aus kolonialen Kon- Umgang mit Objekten aus kolonialen und nach außen, d.h. mit Blick auf Die Digitalisierung von Objekten, bei Building bei allen Beteiligten beitra- texten mit einem abgestimmten Ge- Kontexten zu fi nden. den Dialog mit den Herkunftsgesell- denen ein kolonialer Kontext zweifels- gen. Er ermöglicht Wissenschaftlerin- samtkonzept anzugehen. Der Deutsche schaften, erforderlich ist, frei festgestellt wurde, und ihre Zugäng- nen und Wissenschaftler hier wie dort Kulturrat begrüßt daher, dass sich • dass die Rückgabe von Kulturgut aus lichmachung in einem in öff entlicher den Erwerb neuer Kenntnisse, Blickwei- Verantwortung des Bund und Länder unter Einbeziehung kolonialen Kontexten eine Option Verantwortung stehenden Portal sind sen und Erfahrungen im Umgang mit Kunsthandels der kommunalen Spitzenverbände ge- nach einem Verhandlungsprozess ist, ein wichtiger Schritt zu mehr Transpa- Objekten der Herkunftsgesellschaften meinsam positionieren wollen. Der Um- Der Kunsthandel steht in der Verant- aber auch die Option besteht, dass renz. Neben den Objekten sollten auch – auch im Hinblick auf konservatorische gang mit Sammlungsgut aus kolonialen wortung für die von ihm angebotene die Objekte in Deutschland verblei- wissenschaftliche Zeugnisse und Doku- Aspekte. Kontexten ist ein gesamtstaatliches Ware. Die bestehenden Vorschriften ben, mentationen veröff entlicht werden, um Thema mit jeweils unterschiedlichen des Kulturgutschutzgesetzes gelten • dass die Erschließung der Museums- die Kontexte aufzuzeigen. Dabei sollte Internationale Verständigung Verantwortlichkeiten. Der Deutsche selbstverständlich auch für Samm- bestände und die Erforschung von ih- sich auf ein nationales Portal konzent- Kulturrat fordert, dass die organisierte lungsgut aus kolonialen Kontexten. rer Provenienz energisch angegangen riert werden, damit Vertreterinnen und Die Frage, wie mit Sammlungsgut aus Zivilgesellschaft, die Kirchen und die Die in der Diskussion befi ndliche EU- werden müssen. Vertreter der Herkunftsgesellschaften kolonialen Kontexten umgegangen eine zentrale Anlaufstelle haben. Das wird, betriff t nicht allein Deutschland. von Bund, Ländern und kommunalen Es gilt den bestehenden internationa- Spitzenverbänden getragene Deutsche len Dialog zu verstetigen und zu inten- Fortsetzung von Seite  Zentrum Kulturgutverluste wäre ein sivieren. Die Washingtoner Erklärung geeigneter Träger eines Portals zum zu NS-verfolgungsbedingt entzogenem , MdB (FDP) zeigte für die schulische, kulturelle und po- müsse stärker in internationalen Kon- Nachweis kolonialer Provenienzen. Das Kulturgut könnte ein Vorbild für eine sich erfreut, dass der Raubkunst- litische Bildung zum Kolonialismus texten gedacht werden und die Vielfalt Portal muss über Standardschnittstel- internationale Erklärung zum Umgang thematik mehr Aufmerksamkeit ge- habe und sich hinter der Zuständigkeit afrikanischer Staaten berücksichtigt len mit den Fachportalen von Archi- mit Sammlungsgut aus kolonialen Kon- schenkt wird, bedauerte aber, dass der Länder für diese Fragen verstecke. werden. Bei der in Berlin durchgeführ- ven, Bibliotheken und Museen sowie texten sein. immer die Opposition mit Anträgen Sie forderte ein solches Konzept ein. ten Afrikakonferenz / waren die der Deutschen Digitalen Bibliothek so in Vorleistung gehe und von der Re- Denn bestehender Rassismus sei auch zerstrittenen europäischen Staaten verbunden werden, dass Doppelarbeit Erweiterung des Blicks gierung wenig käme. Er betont, dass eine Folge der fehlenden Aufarbeitung sich laut Ullrich in einer Sache einig, und Mehraufwände begrenzt werden. das Thema Sammlungsgut aus kolo- des Kolonialismus. Die Rückgabe von nämlich dass der afrikanische Konti- Mit der Ausweitung der Aufgaben sollte Aus Sicht des Deutschen Kulturrates nialen Kontexten komplex sei und es Sammlungsgut aus kolonialen Kon- nent kolonisiert werden müsse. Aus der Name des Deutschen Zentrums Kul- geht es bei der Debatte um die Koloni- einer gründlichen Bearbeitung bedür- texten müsse auf einer gesetzlichen der Afrikakonferenz erwachse heute turgutverluste noch einmal überdacht alzeit im Allgemeinen und den Umgang fe. Die Auseinandersetzung mit der Grundlage erfolgen. Freihold hebt ins- die Verpfl ichtung, sich zu erinnern und werden. mit Objekten aus kolonialen Kontexten deutschen Kolonialgeschichte kam besondere die Leistung der Schwarzen nunmehr eine Politik mit und nicht im Besonderen um eine grundlegen- in der deutschen Erinnerungskultur Community in Deutschland hervor, die für Afrika zu entwickeln. Es gehe um de Erweiterung und Veränderung des Rückgabe bislang zu kurz. Als Beispiel führt er eine Diskussion über Kolonialismus gemeinsame Perspektiven. westlich zentrierten Blicks. Jenseits das Deutsche Historische Museum erst angestoßen habe. Die Bundestagsdebatte hat eine Im Rahmen des geforderten Gesamt- der Frage um Restitution stellt sich für an, das dieses Thema zu knapp be- Volker Ullrich, MdB (CDU/CSU) schmerzliche Lücke in der Erinne- konzeptes muss beschrieben sein, wie Kultur, Kunst und Bildung die Aufgabe, handele. Am Antrag von Bündnis / stimmte den Vorrednerinnen und rungskultur off engelegt und zugleich von den Herkunftsgesellschaften zu- mit dem kulturellen Erbe Kolonialismus Die Grünen kritisierte er, dass eine Vorrednern zu, die ausgeführt haben, einige der nun anstehenden Diskussi- rückgeforderte Objekte, die sich in umzugehen. Beweislastumkehr eingeführt würde, dass die Auseinandersetzung mit dem onen aufgezeigt. Fast alle Rednerinnen öff entlichen und kirchlichen Samm- die die gesamten Sammlungen zu- Kolonialismus überfällig sei. Das The- und Redner haben betont, dass es auch lungen befi nden und deren Provenienz Hierzu gehört auch ein besserer Zu- nächst unter Generalverdacht stelle. ma sei zu lang in der Erinnerungskul- um die Rückgabe von Objekten geht. geklärt ist, in angemessener Zeit zu- gang für Künstlerinnen und Künstler Weiter stellt sich für ihn die Frage, tur ausgeblendet gewesen, so Ullrich. Vordringlich ist die Rückgabe mensch- rückgegeben werden. Als vordringlich sowie kulturwirtschaftliche Unter- an wen restituiert werden solle. Was Kolonialismus beschreibt er als Fremd- licher Überreste. Genauso deutlich erachtet der Deutsche Kulturrat die nehmen aus den Ländern des globa- ist unter Herkunftsgesellschaften zu herrschaft und Unrecht, die mit Rassis- wurde aber auch, dass sich des Themas Rückgabe menschlicher Überreste. len Südens zu den Märkten und Podien verstehen? Sind es Individuen, sind mus und Genozid verbunden sind. Das mit der Rückgabe von Objekten nicht der Industrieländer. Dies kommt auch es Religionsgemeinschaften, sind es Unrecht wieder gut zu machen, ist eine so schnell entledigt werden kann. Es Das Deutsche Zentrum Kulturgut- im UNESCO-Übereinkommen zum heutige Staaten? Diesen Fragen müsse Frage der Wertschätzung. Dabei gehe geht vielmehr um die Auseinander- verluste unterstützt die Provenienz- Schutz und zur Förderung der Vielfalt sich gewidmet werden, bevor restitu- es auch darum, mit den Sammlungs- setzung mit dem Kolonialismus und forschung und -dokumentation, die kultureller Ausdrucksformen (kurz iert werde. Ebbing resümierte, dass der gütern Identität zurückzugeben. Inso- seinen Nachwirkungen bis heute. Für rechtliche Expertise und die Restitu- Konvention Kulturelle Vielfalt) zum Antrag von Bündnis /Die Grünen ein fern sei, so Ullrich, die Rückgabe der künftige Debatten wäre zu wünschen, tionsverfahren selbst sind jedoch den Ausdruck. Diese auch von der Bundes- sinnvoller Diskussionsanstoß sei, jetzt grundsätzlich richtige Ansatz, jedoch dass mit Blick auf die Zukunftspers- Unterhaltsträgern vorbehalten. Eine republik und der Europäischen Union aber zunächst vertiefende Diskussio- sei eine jeweilige Einzelfallprüfung pektiven die Frage eines gerechten feste Justiziarstelle am Deutschen Zen- ratifi zierte Vereinbarung gilt es, mit nen anstünden. vonnöten. Nicht jedes in einer Samm- Welthandels als eine veränderte Hal- trum Kulturgutverluste zur fachlichen Leben zu füllen. Auch , MdB (Die lung befi ndliche Objekt ist geraubt tung gegenüber dem globalen Süden Rechtsberatung aller Unterhaltsträger Linke) sprach bei der deutschen Ko- worden. Es geht auch um Objekte, die eine stärkere Rolle spielt. Das hieße, könnte zur Rechtssicherheit und dem In diesen Kontext gehört ebenso der lonialgeschichte von einem verdräng- gekauft oder getauscht wurden. Doch Künstlerinnen und Künstlern sowie weiteren Aufbau von Expertise in die- Einsatz für einen gerechten Welthandel. ten Kapitel deutscher Geschichte, das was heißt Tausch oder Kauf in einer Unternehmen der Kulturwirtschaft sem Feld beitragen. In der genannten Konvention Kulturelle bearbeitet werden müsse. Hierzu ge- Situation der Fremdherrschaft und un- aus den Ländern des globalen Südens Vielfalt wird klargestellt, dass Kultur- höre die Anerkennung, dass ein Teil gleichen Machtverhältnisse? Dies al- einen besseren Zugang zu unseren Für Grenzfälle und Entscheidungs- güter und -dienstleistungen Waren be- der deutschen Kolonialgeschichte les müsse nach Auff assung von Ullrich Märkten zu ermöglichen. Auch gilt es fragen, bei denen die Provenienzre- sonderer Art sind. Sie sind Handels- und der Genozid an den Herero und Nama abgewogen werden. Zudem muss der den Blick über die Museen hinaus zu cherche zwar abgeschlossen ist, aber Kulturgut. Dies muss bei der Aushand- war. Hier müsse eine Wiedergutma- rechtliche Rahmen weiterentwickelt weiten auf Bibliotheken, Archive und Unklarheiten bezüglich des weiteren lung von internationalen Handelsab- chung erfolgen. Freihold unterstrich, werden. Das gilt auch für das Kultur- kirchliche Einrichtungen. Das Gute ist, Verfahrens bestehen, sollte darüber kommen Berücksichtigung fi nden. Der dass der Kolonialismus nicht mit gutschutzgesetz, mit dem die in deut- die Diskussion hat gerade erst begon- hinaus eine Ombudsstelle oder ein Schutz der hiesigen Kulturmärkte darf dem NS-Unrecht verglichen werden schen Museen befi ndlichen Objekte nen. Einmischung ist gefordert. Ethik-Beirat eingerichtet werden. Er nicht zu Lasten der Kreativwirtschaft dürfe. Doch sei der Genozid an den unter Schutz gestellt wurden. Hier sollte in Zweifelsfällen von einer be- aus den Ländern des globalen Südens Herero und Nama die Vorgeschichte stelle sich nun die Frage, was dies für Gabriele Schulz ist Stellvertretende teiligten Seite herangezogen werden gehen. Vielmehr gilt es, entschieden der Schoah. Freihold lastet der Bun- die Restitution von Sammlungsgut aus Geschäftsführerin des Deutschen können und plural mit Vertreterinnen für einen gerechten Welthandel ein- desregierung an, dass sie kein Konzept kolonialen Kontexten bedeute. Auch Kulturrates und Vertretern von Bund, Ländern, zutreten. 06 INLAND www.politikundkultur.net

Wider die göttliche Ordnung Die Schweizer Regisseurin und Drehbuchautorin Güzin Kar über Frauen in der Filmbranche

»Männer und Frauen sind gleichbe- Gibt es weitere Eigenschaften, die machen, weil alles andere bedrohlich einiges geändert. Wir haben viele er- Kulturrates von  melden rechtigt« und »Niemand darf wegen Frauen zugeschrieben oder abge- erscheint. Man glaubt immer noch, folgreiche Frauen, wenn nicht gar in weibliche Versicherte der Berufs- seines Geschlechtes (…) benachteiligt sprochen werden? dass für Männer attraktiv zu sein, das den vergangenen Jahren Frauen viel gruppe Darstellende Kunst in der oder bevorzugt werden«, heißt es in Das Emotionalisieren. Frauen wird höchste Gut einer Frau ist. Sie kann erfolgreicher waren. Ein Beispiel ist Altersgruppe  bis  Jahre ein Artikel  Absatz  und  des Grundge- damit die emotionale, Männern eher künstlerisch noch so erfolgreich sein. Petra Volpe mit »Die göttliche Ord- um mehr als ein Drittel geringeres setzes. Die deutsche Verfassung feiert die intellektuelle Seite zugeschrieben. Solange sie nicht sexy ist, hat sie, auf nung«, die auch international einen Einkommen als männliche Versi- im Mai  den . Jahrestag ihres Das Privatisieren und Biografi sieren Deutsch gesagt, verschissen. cherte derselben Alters- und Be- Inkrafttretens. Betrachtet man die ge- ist aber fast das größere Unglück. rufsgruppe. ringe Zahl von Frauen in Führungs- Man gesteht Männern zu, dass sie Woher rühren diese Zuschreibun- Ich hatte in der zweiten Staff el mei- positionen von großen Unternehmen, unabhängig von ihrer Biografi e aus gen, die wir auch bei Frauen selbst ner SRF-Fernsehserie »Seitentriebe« die Ungleichheit in der Bezahlung von ihren Erlebnissen etwas machen vorfi nden? eine junge Mutter am Set. Die Frage weiblichen und männlichen Beschäf- könnten. Bei Frauen verhält es sich Beim Film merke ich die Auf- und Ab- war: Kann sie mit dem Säugling, der tigten und die MeToo-Debatte um so, als würden wir als Chronistinnen Bewegungen im Umgang mit Frauen mit am Set war, spielen? Wenn ich Sexismus und Machtmissbrauch, ist unseres eigenen Lebens agieren besonders, wenn Jobs oder Förder- dauernd Pause machen muss, damit jedoch noch viel zu tun auf dem Weg, und dann die Erlebnisse aus der Ge- mittel rar werden. Es handelt sich um großen Erfolg hingelegt hat. das Baby gestillt wird, verteuert sich die Gleichberechtigung zwischen den bärmutter heraus schreiben. Dass normale Verdrängungsmechanismen. Trotzdem ist festzustellen, dass gezö- die Produktion. Auch sind Schwan- Geschlechtern tatsächlich zu erreichen. wir also nicht in der Lage seien, sie Man schaut, dass die Töpfe bei seines- gert wird, Regisseurinnen Filme mit gere schwer zu versichern. Für uns Wie sieht die Situation für Frauen in zu intellektualisieren und in eine gleichen bleiben – bei Leuten, mit de- sehr hohen Budgets zu geben. Anders als Team war aber sofort klar, dass sie der Filmbranche aus? Behrang Sam- künstlerische Form zu bringen. Da- nen man sich abgleicht und denkt, da bei Männern. Da winkt man eher mitspielt. Wir mussten halt ein biss- sami spricht darüber mit der Schwei- her werde ich auch bei jedem Werk habe ich noch am ehesten eine Chan- durch und sagt: »Na ja, er denkt halt chen umdenken. Mir fi el auf, wie viele zer Regisseurin und Drehbuchautorin gefragt: »Was hat das jetzt mit Ihrem ce. Meiner Meinung nach sind das groß, wenn er überzieht.« Bei Frauen Alkoholiker es unter Schauspielern Güzin Kar. Leben zu tun?« Meine Antwort: „Alles ganz unbewusste Dinge, aber eben heißt es, sie seien schlicht überfordert gibt, die ohne Umstände in Hauptrol- len besetzt werden. Da muss man alle zwei Stunden Pause machen, damit er trinken oder in die Therapie gehen kann. Da nehmen alle Rücksicht drauf. Aber sobald eine Frau sagt, dass sie stillen müsse, soll es nicht mehr ge- hen. Es geht. Auch hier herrschen wieder Vorurteile – vor allem dass man Frauen sofort mit Problemen as- soziiert. Wir müssen davon wegkom- men, die männlichen Probleme als »naturgegeben« und die weiblichen als Ausnahmefälle zu betrachten.

Durchschnittlich  Prozent be- trägt der Anteil von Frauen an Filmhochschulen laut Studie der deutschen Filmförderungsanstalt. Aber nur  Prozent der Absol- ventinnen im Bereich Regie und Drehbuch sind später aktiv in der Kinobranche tätig. Für die zweite Staff el von »Seitentrie- be« habe ich meine Regieassistentin von der ersten Staff el als Co-Regisseu- rin geholt. Sie, die in der Zwischenzeit ihren Abschluss gemacht hat, hätte sonst jahrelang gewartet. Wir müssen Frauen in die Positionen holen und nicht nur dauernd davon reden. Bei Frauen sagen wir übrigens immer: »Wir geben ihr eine Chance.« Das ist wieder so gönnerhaft. Bei Männern heißt es dagegen: »Wow! Wir haben

FOTO: SRF / NIKKOL ROT NIKKOL / SRF FOTO: ein neues Talent entdeckt.« Man kann In Güzin Kars Serie »Seitentriebe« begibt sich das Paar Nele und Gianni auf kreative Auswege aus einem lustlosen Leben es auch andersherum formulieren. Man kann sagen: »Hey, ich habe bei Behrang Samsami: Frau Kar, im und nichts. Wie bei jedem Künstler.« sehr eingespielt. Es hat viel damit zu und könnten ihr Soll nicht einhalten. mir ein Talent profi liert.« Juli  twitterten Sie: »Der Die Reaktion: »Ja, aber Moment. Das tun, dass Frauen herausgedrängt wer- Richtig ist: Je verantwortungsvoller Film einer Freundin wird vernied- kann doch jetzt nicht sein, dass Sie den sollen. der Beruf, desto anfälliger ist er für Die MeToo-Debatte, die in den USA licht und kleingeredet. Dann läuft das erfunden haben.« Es wird hier ein Fehler. Ich denke aber, dass Frauen entstand, führte dazu, dass welt- er auf internationalen Festivals. Gegensatz reproduziert: Frauen sind Die deutsche Filmförderungs- Fehler viel weniger verziehen werden. weit über Sexismus und Macht- Man lobt nun v.a. ›die starke Natur – Männer sind Kultur. anstalt hat  eine Studie pu- Noch. Denn auch hier spürt man Ver- missbrauch in der Filmbranche Bildsprache‹, die aber natürlich bliziert, laut der in den meisten änderungen. gesprochen wurde. allein dem Kameramann zu Die Darstellung von Künstlerinnen kreativen Schlüsselpositionen der Das Ganze ist hochgekocht, weil wir verdanken sei.« Als Kommentar in Medien haben Sie auf Twitter Filmproduktionen mehr Männer Es gibt Initiativen wie » by als Gesellschaft keinerlei Handhabe fügten Sie noch hinzu: »Als ob einmal ebenfalls kritisch bewertet: als Frauen arbeiten:  Prozent der « in Schweden, die eine An- dafür haben. Auch waren wir völlig die Bildgestaltung nicht maßgeb- »Bei Frauen immer mit der Klei- Kinofi lme werden von Regisseuren, gleichung in der Förderung von überwältigt von der Fülle an Erleb- licher Teil der Regie wäre.« Warum dung, gefolgt vom Erscheinungs-  Prozent von Regisseurinnen in- Drehbüchern und dem Filmema- nissen. Aber das war nötig, um das traut man(n) Frauen nicht zu, bild, beginnen. Immer. Nicht mit szeniert. Drehbücher werden zu  chen von Frauen fordern. Was hal- Ganze im Blick zu haben. Jetzt geht eigenständig und geistreich zu dem, weshalb man sie überhaupt Prozent von Autoren und  Pro- ten Sie davon? es darum, eine Handhabe für sexuelle sein? interviewt (also das Werk), nicht zent von Autorinnen verfasst. Ich wünschte, ich könnte sagen: Es Übergriff e zu fi nden. Manchmal kann Güzin Kar: Das ist die Ausformulie- mit ihren Leistungen, schon gar In der Schweiz gab es eine Untersu- sollen sich die Besten durchsetzen. es reichen, sich zu entschuldigen. rung eines viel größeren Problems, nicht mit ihren gewonnenen Prei- chung von Focal – Stiftung Weiter- Das ist aber ein Fehlschluss. Nicht die Da muss nicht jedes Mal ein Prozess das nicht nur in der Kunst besteht. sen und Auszeichnungen.« bildung Film und Audiovision. Sie Besten, sondern die Überzeugends- stattfi nden. Aber wir brauchen Tools Es wird suggeriert, dass Frauen nicht Ich bin nicht dafür, dass man das Aus- kam auch zum Schluss, dass Filme am ten setzen sich durch. Daher bin ich und mehr Wissen darüber. Auf solche selbst für ihre Leistungen und Er- sehen nicht kommentieren darf. Das Beginn der Entwicklungsphase noch inzwischen der Meinung, dass es eine Dinge reagieren zu können ist ein folge verantwortlich seien, sondern Problem besteht darin, dass man in stärker gefördert werden, wenn Frau- Quote braucht. Ziel sollte sein, die ge- Kulturgut. Ich hatte solche Fälle auch sie einer Kette von Zufällen zu ver- Interviews, in denen es um etwas an- en maßgeblich daran beteiligt sind sellschaftliche Realität zu spiegeln. Bis am Set und weiß, dass es verschie- danken hätten oder Entscheidungen, deres gehen soll, stets damit beginnt. – und dann im Laufe der Entwicklung jetzt gibt es viele schlechte Filme von dene Arten gibt, wie man reagieren die zumindest von außen getroff en Inzwischen hat sich das gebessert. immer weniger. Wenn ich die Zahlen Männern. Ich fi nde, dass es auch viele kann. Wenn es einem gelingt, dass in wurden. So auch bei Maren Ade, der Aber eine Zeit lang war es üblich, dass aus Deutschland höre, hat das off en- schlechte Filme von Frauen geben darf. Teams eine gute Atmosphäre herrscht, Regisseurin von »Toni Erdmann«, Interviews – ob nun ein Mann oder bar wieder nachgelassen. Es braucht solche, bis es einen gibt, hat man wirklich viel gewonnen. bei der ich denke, dass doch jedem eine Frau sie geführt haben – so anfi n- Drehbuchschreiben wird als tenden- der herausragt. Am Ende geht es nicht einleuchten müsste, dass sie eine gen: »Sie schlägt die Beine übereinan- ziell weiblich assoziiert, wohl weil darum, die Besseren zu werden, son- Vielen Dank. Frau mit einer sehr eigenständigen der, die in diesen oder jenen Strümp- es allein am Schreibtisch stattfi ndet. dern dass man bei den Frauen auch die Erzählweise ist. Hier habe ich erlebt, fen stecken ... Der Lippenstift ist so Regie ist dagegen der männlichste schlechteren akzeptiert. Güzin Kar ist Schweizer Regisseurin, dass ihre Leistung kleingeredet und und so.« Nach der Lektüre dachte ich: Beruf überhaupt im Filmwesen. Es Drehbuch- und Romanautorin sowie der Eindruck vermittelt wurde, je- Es gibt doch viele andere Möglich- hat etwas von einer Mischung aus Auch beim Film gibt es teilweise Kolumnistin. Behrang Samsami ist pro- mand hätte sie dahin gepusht. Die- keiten, einen Text zu beginnen. Auf Feldherr und genialer Künstler. Das große Unterschiede in der Bezah- movierter Germanist, freier Journalist ses Gönnertum spielt eine wichtige mich wirkt das wie ein Versuch, die sind zwei klassische Männerberufe in lung von Frauen und Männern. und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Rolle. Person über das Äußerliche kleinzu- einem. In der Schweiz hat sich da aber Laut einer Studie des Deutschen Deutschen Bundestag Politik & Kultur | Nr. /  | März  INLAND 07

Unverzichtbar Frauen in der Außen- und Sicherheitspolitik weitge- sind Expertinnen auf ihrem Gebiet. Ihr hin zu Fragen der Verteidigungspolitik. Im Buch »Female Diplomacy: Frauen in Außenpolitik hend ohne Frauen stattfi ndet. diplomatisches Geschick ist unbestrit- Als relevante Themenfelder kommen der Außenpolitik« habe ich Autorinnen Außen- und Sicherheitspolitik ist so- ten und es ist – wo immer es eingesetzt beispielsweise die aktuelle Türkeipo- versammelt, die es in der Außenpolitik wohl national als auch international wird – friedensstiftend. Frauen können litik Recep Tayyip Erdoğans, die Be- geschaff t haben. Sie haben sich ihren ELISABETH MOTSCHMANN noch immer weitgehend eine Männer- Brücken bauen, auch in schwierigsten ziehungen Deutschlands zu Russland Weg gebahnt. Aber wie viele Frauen domäne. Wenn es um Krieg und Frieden Situationen. Deshalb ist ihr Einsatz in und den osteuropäischen Staaten, Zu- stehen ante portas und suchen nach ünchner Sicherheitskon- geht, sitzen nur vereinzelt Frauen an der Außenpolitik so wichtig, ja unver- kunftsperspektiven der transatlanti- einem Weg in die Männerdomäne Au- ferenz  – mit Mühe den Verhandlungstischen. Ob in den zichtbar. schen Partnerschaft, der aktuelle Stand ßenpolitik? war es mir gelungen, Vereinten Nationen, ob in der Euro- In Parlamenten, Ministerien, in Uni- der Menschenrechte, Ansätze einer Wenn es gelingt für diese Situation M eine Einladung zu be- päischen Union oder in den Medien – versitäten, Stiftungen, in Thinktanks, erfolgreichen Entwicklungshilfepo- zu sensibilisieren, wäre viel erreicht. kommen. Und als ich den Konferenz- wenn es um Außenpolitik geht, sind in Redaktionen findet man Frauen, litik, Perspektiven der Europäischen Außerdem soll Mut gemacht werden, saal betrat, habe ich gestaunt. Die An- Frauen die Ausnahme. Sie bleiben im die sich intensiv und kompetent mit Union nach dem Brexit, die Arbeit in dass sich mehr Frauen in die außen- zahl der Frauen war verschwindend Hintergrund. Es ist schon erstaunlich, Außenpolitik beschäftigen. Sie han- der Flüchtlingshilfe, der Kampf gegen politischen Diskussionen einbringen gering. Im Publikum, auf den Podien, dass in Talkshows zu außenpolitischen deln, sie sprechen und schreiben, sie Rassismus und die Rolle der Frau in der und einbezogen werden. Wenn sie in der in den Arbeitsgruppen, wohin man sah, Themen meist männliche Experten schlichten und entscheiden. Schon Bundeswehr. Außenpolitik nicht so zu Wort und zum Staatschefs und Minister mit großem eingeladen werden. So wird bei Anne  schrieb Helmut Kohl: »Dieses En- Dabei wird deutlich, dass es keine Einsatz kommen, wie es wünschenswert männlichen Anhang, Botschafter, Po- Will Trumps Außenpolitik oder Euro- gagement der Frauen brauchen wir in einzelnen, isolierten Krisen in der Welt wäre, müssen wir die Sache selbst in litiker, Journalisten, Wissenschaftler pas Reaktion auf Trumps Handelszölle Zukunft nötiger denn je bei der Bewäl- gibt, sondern dass wir es mit »zusam- die Hand nehmen, war mein Gedanke. – mehr als  Prozent Männer. Das nur mit männlichen Experten diskutiert. tigung der vor uns liegenden Aufgaben, menhängenden Krisenlandschaften«, kann doch im . Jahrhundert nicht Herrscht wirklich die Meinung, dass zu auf unserem Weg zu mehr Verständi- mit globalisierten Krisen zu tun ha Elisabeth Motschmann, MdB ist Mit- sein, dachte ich. diesem Thema nur Männer etwas zu gung der Welt.« ben. glied im Auswärtigen Ausschuss des hielt eine Rede, Ur- sagen haben? Werden allen Ernstes Wie unverzichtbar ihre Mitarbeit in Alles hängt mit allem zusammen. Deutschen Bundestages und Herausge- sula von der Leyen ein Opening State- keine Expertinnen gefunden? Woran der Außenpolitik ist, ergibt sich unter Die Probleme in Afrika, Syrien oder berin des Buches »Female Diplomacy: ment, einige Frauen waren als Mode- liegt das? Liegt es an den Frauen selbst, anderem auch aus der Tatsache, dass Afghanistan haben durch die dadurch Frauen in der Außenpolitik« ratorinnen eingesetzt. Das waren die ihrer Ausbildung oder an den Struktu- sie z. B. in der islamischen Welt viel ausgelösten Flüchtlingsbewegungen Ausnahmen. Darüber konnte man sich ren? Fehlt ihnen oder den amtierenden leichter mit Frauen reden können als unmittelbar Einfl uss auf Europa, auf Mehr dazu: Das Buch »Female Diploma- freuen, wenn da nicht die ernüchternde männlichen Vertretern der Außenpoli- jeder Mann. Frauen und Kinder sind Deutschlands Innenpolitik. Spannend cy: Frauen in der Außenpolitik« ist  Gesamtbilanz gewesen wäre, die sich tik der Wille, an dieser Situation etwas von den Problemen und Konfl ikten in sind die persönlichen Erlebnisse und im Verlag Herder erschienen. Es enthält auch auf der Sicherheitskonferenz  zu ändern? Wohl kaum. der Welt hart betroff en, und sie haben Erschwernisse von Frauen in der Au- Beiträge von Marielusie Beck, Maria wiederholt hat: kaum Frauen auf dieser Viele Frauen, in Deutschland, in Eu- kaum Möglichkeiten, sich zu wehren, ßenpolitik. Sie müssen sich mehr als Böhmer, , Michel- wichtigen außenpolitischen »Bühne«. ropa und gerade auch in außereuropäi- wenn man ihnen nicht eine Stimme gibt. auf anderen Gebieten ihre berufl ichen le Müntefering und anderen. Es wurde Es ist doch irgendwie deprimierend, schen Staaten, haben sich durchaus in- Das Engagement von Frauen reicht Positionen, die Podien und Experten- von der außenpolitischen Expertin Silke dass eine so wichtige Veranstaltung zur ternational einen Namen gemacht. Sie von der auswärtigen Kulturpolitik bis runden erkämpfen. Tempel unterstützt. Auf dem Weg in Führungspositionen :-Mentoring-Programm für Frauen in Kultur und Medien

CORNELIE KUNKAT vom Erfahrungsschatz und Netzwerk züglich der Vereinbarkeit von Kind dass es bundesweit viele Frauen mit Hebelwirkung für die Geschlechter- erfolgreicher Berufskolleginnen profi - und Karriere. Wie der erste Durchgang Führungswillen und -anspruch in allen gerechtigkeit erzielen, da es im Kul- as Mentoring-Programm des tieren, damit langfristig mehr Frauen gezeigt hat, verlaufen die Mentorings Kultursparten gibt. Auch in der zweiten tur- und Medienbereich bisher kaum Deutschen Kulturrates für an den Schaltstellen von Kultur- und alle sehr individuell – nicht zuletzt, Runde waren sowohl die Bewerberin- Förderprogramme für Frauen gibt, die D Frauen in Kultur und Medien Medienwirtschaft bzw. -politik vertre- weil jede Kultursparte ganz eigene nenzahl mit rund  Eingängen als explizit in Führungspositionen vorsto- ist in seine zweite Runde gestartet.  ten sind. Gesetzmäßigkeiten mit sich bringt. auch die Bereitschaft von Mentorinnen ßen möchten. Eine Ausnahme bilden neue Tandems konnten gebildet wer- Im Mai  startete die erste Runde Allen Tandems der ersten Runde je- und Mentoren, die Mentees ehrenamt- Programme für angehende Professorin- den – fast doppelt so viele wie in der mit insgesamt  Tandems. Unter den doch war gemein, dass das halbe Jahr lich zu unterstützen, enorm. Viele der nen. Die Resonanz auf das Programm ersten Runde. Den Auftakt bildete ein zwölf Mentorinnen und einem Mentor ausreichend Zeit bot, sich gegenseitig Mentorinnen und Mentoren meldeten ist enorm, sicher auch deshalb, weil das Netzwerktreff en aller Mentees, Mento- waren leitende Persönlichkeiten aus kennenzulernen und eine Gesprächs- sich initiativ beim Deutschen Kultur- Mentoring in einem idealen Zeitfenster rinnen und Mentoren der ersten zwei der Literaturlandschaft und dem The- basis aufzubauen, die es erlaubt, dass rat, weil sie von diesem Programm be- angeboten wird. Die gut zehnjährige Durchläufe: Fast  Kulturschaff ende aterbereich, aus Medien und Kulturma- sich alle Mentees auch langfristig in reits gehört hatten, es überzeugend Berufserfahrung fällt in eine Lebens- aus dem gesamten Bundesgebiet sind nagement. Auch eine Regisseurin und Entscheidungssituationen an ihre fi nden und sich ihrerseits ein solches phase, die besonders wichtig für den Mitte Februar zum Austausch zusam- eine Komponistin konnten gewonnen Mentorin oder ihren Mentor wenden auf ihrem Karriereweg gewünscht hät- weiteren Karriereweg ist. Denn in die- mengekommen werden. Staatsministerin Grütters, de- können – eine wertvolle Bilanz nach ten. Die Tandems der zweiten Runde sen Jahren müssen die richtigen Wei- Doch nicht erst seit Kurzem beschäf- ren Haus das Projekt und somit auch dem ersten Durchgang, dessen Evalu- setzen sich aus den folgenden Sparten chen gestellt werden, um strategisch tigt sich der Deutsche Kulturrat mit das Mentoring-Programm fi nanziert, ation gerade durchgeführt wird. zusammen: Theater (), Medien (), wichtige Positionen auszufüllen und der berufl ichen Situation von Frauen stellte sich ebenfalls als Mentorin in In der ersten Runde bewarben Literatur (), Musik (), Film (), Bil- diese gegebenenfalls auch in die Fa- in Kultur und Medien. Nach zwei vo- der ersten Runde zur Verfügung. sich auf  Mentorinnen und Mento- dende Kunst (), Kulturmanagement milienplanung partnerschaftlich zu rausgehenden Untersuchungen Mitte Während die Mentorinnen und Men- ren knapp  Mentees. Der enorme () sowie jeweils einem Tandem aus integrieren. der er Jahre veröff entlichte der toren – sie alle sind erfolgreich, in ih- Rücklauf ist ein Beleg dafür, dass sich den Bereichen Design, Museum und Deutsche Kulturrat  eine rund  rem Fach exzellent und verfügen über ambitionierte Kulturschaff ende von kulturelle Bildung. Cornelie Kunkat ist Referentin im Seiten umfassende Studie, die detailliert ein weit gespanntes Netzwerk – vom diesem Angebot einen positiven Eff ekt Der Deutsche Kulturrat will mit dem Projekt »Frauen in Kultur und Medien« darlegt, dass von Geschlechtergerech- Deutschen Kulturrat individuell mit auf ihren Karriereweg versprechen und Mentoring-Programm größtmögliche beim Deutschen Kulturrat tigkeit im Kultur- und Medienbereich der Frage angesprochen werden, ob sie immer noch keine Rede sein kann. Die sich eine ehrenamtliche Mitwirkung im Studie stieß auf großes Interesse in Öf- Programm vorstellen können, erfolgt fentlichkeit und Fachkreisen, die Kultur- die Auswahl der Mentees über ein öf- staatsministerin Monika Grütters setzte fentliches Bewerbungsverfahren. Inte- Guten Morgen, als Konsequenz einen Runden Tisch ressierte Frauen, die in anspruchsvolle ein. Hieraus resultierte schließlich die Führungspositionen vorstoßen möch- Dornröschen! Einrichtung des beim Deutschen Kul- ten, einen interessanten Lebenslauf turrat angesiedelten Projektes »Frauen vorweisen und seit mindestens zehn Das Buch »Wachgeküsst. 20 Jahre neue Kulturpo- Wachgeküsst in Kultur und Medien« im Juli . Die Jahren berufstätig sind, können sich litik des Bundes 1998 — 2018« bietet einen Über- 20 Jahre Projektlaufzeit beträgt drei Jahre. Das beim Deutschen Kulturrat als Mentee blick über die wichtigsten Themen der Bundeskul- Projekt zielt darauf ab, den Diskurs zur bewerben. Die Mentees sind aufgeru- turpolitik der letzten 20 Jahre. Urheberrecht, Kul- neue Kulturpolitik Geschlechtergerechtigkeit zu unterstüt- fen, neben der Einreichung üblicher turgutschutz, Sammlungsgut aus kolonialen Kontex- zen und mit der Umsetzung konkreter Bewerbungsunterlagen, auch ihrerseits ten, Provenienzforschung, Filmförderung, Religion, des Bundes Maßnahmen, wie vertiefenden Daten- Erwartungen an das Programm sowie Medien, Stiftungsreform, Künstlersozialversicherung, Reports, Gremien- und Netzwerkarbeit, ihre Karriereziele zu formulieren, um 1998—2018 Kulturwirtschaft, Computerspiele, Erinnerungspoli - umfangreichen Dossiers zum Thema die Passgenauigkeit der Tandems zu und einem bundesweiten Mentoring- optimieren. Nach einer Vorauswahl sei- tik, Reformation, Digitalisierung, Kultur fi nanzierung, Programm, zu unterlegen. tens des Projektbüros haben schließ- Inklusion, Vielfalt und Diversität, das komplizier- Das Mentoring-Programm ist – wie lich die Mentorinnen und Mentoren te Verhältnis zwischen Bund und Ländern in Kultur- eingangs erwähnt – Mitte Februar be- die Möglichkeit, sich eine passende fragen, Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik … reits erfolgreich in seine zweite Runde Mentee auszusuchen. Wer wissen will, was die neue Bundeskulturpolitik gestartet. Das Programm richtet sich an Die :-Konstellation erlaubt es, seit 1998 ausmacht und sich darüber informieren Frauen, die eine Führungsposition im dass die Mentee ihre ganz individu- möchte, wie der Weg für eine sichtbare Bundeskul- Kultur- und Medienbereich anstreben. elle Berufssituation beschreiben und turpolitik bereitet wurde, für den ist dieses Buch Ziele des halbjährlichen Mentorings selber defi nieren kann, ob es ihr beim unverzichtbar. sind strategische Karriereberatung, Mentoring eher um strategische Karri- praxisbezogene Unterstützung, die ereberatung geht, eine Unterstützung Hg. v. Olaf Zimmermann Verortung der Mentees in der Kultur- beim Schritt in die Selbständigkeit, die Community sowie der Aufbau eines Stärkung von Verhandlungsgeschick Fadenheftung · 492 Seiten · 2 Lesebändchen Alumni-Netzwerkes. Die Mentees sollen und Auftreten oder die Beratung be- ISBN 978-3-947308-10-1 · 22,80 Euro www.kulturrat-shop.de 08 INLAND www.politikundkultur.net

Gedächtnis der Arbeiterinnen und Arbeiter Die Bibliothek der sischen Bibliotheken. Als sogenannte lungen der Friedrich-Ebert-Stiftung. erschließen und sie einer überregiona- vor allem solche, die die Geschichte und Friedrich-Ebert-Stiftung »Graue Literatur«, die nicht im Buch- Bisheriger Schlusspunkt ist die Über- len Benutzung zugänglich zu machen. Entwicklung der Sozialdemokratie do- handel angeboten wird und meist nur führung der Bibliothek des Karl-Marx- Dies geschieht inzwischen auch durch kumentieren. dokumentiert deutsche aufwendig und mühsam zu beschaff en Hauses in Trier, einer umfangreichen Digitalisierungsprojekte: In einem bun- Neben diesen Aufgaben als For- und internationale ist, fällt sie in der Regel aus den üblichen Studienbibliothek zur Marx-Engels- desweit beachteten Großprojekt wurde schungsbibliothek dient die Biblio- Arbeiterbewegungen Erwerbungsprofi len heraus. Inzwischen Forschung. Bestätigten diese Zuwäch- etwa das Parteiorgan »Vorwärts« der thek natürlich gleichzeitig der Litera- erscheinen aber auch diese Publikatio- se auch die Rolle als »Gedächtnis der Jahre  bis  digitalisiert und kann turversorgung der weltweit über  nen mehrheitlich digital: Anders als bei Arbeiterbewegung« – entscheidend nun im Volltext über die Internetseiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der GABRIELE ROSE Verlagsveröff entlichungen liegt die He- aus bibliothekarischer Sicht war und der FES-Bibliothek durchsucht und ge- Friedrich-Ebert-Stiftung. Deren Aufga- rausforderung weniger in Lizenzfragen, ist aber, diese reichen, häufi g einzigar- lesen werden. Ähnliche Projekte gingen ben entsprechend, wird Literatur zur Po- rbeiterbewegung? Das gibt es sondern im Auffi nden in den Tiefen des tigen Bestände formal wie sachlich zu dem voraus und weitere werden folgen – litischen Theorie und Ideengeschichte, doch gar nicht mehr! Den Ge- Internets und in der ständig wachsenden zur Wirtschaftsgeschichte, zur Globali- A genbeweis tritt die Bibliothek Menge. sierung und Entwicklungszusammenar- der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) an: Systematisch gesammelt werden beit oder zu Emanzipationsbewegungen Als Spezialbibliothek zur deutschen und Publikationen deutscher Parteien und bereitgestellt. Last but not least nimmt internationalen Arbeiterbewegung birgt Gewerkschaften sowie von Forschungs- die Bibliothek die Funktion als Reposi- sie nicht nur einen reichen historischen institutionen oder Stiftungen, die mit ih- torium für die Stiftung wahr. So wie alle Bestand, sondern ist auch in der Gegen- nen institutionell oder ideell verbunden gedruckten Materialien der FES in ihrem wart und digital unterwegs. sind. Aus den westeuropäischen Ländern Bestand zu fi nden sind, werden die di- In den fünf Jahrzehnten ihres Be- werden Veröff entlichungen des linken gitalen Publikationen in der »Digitalen stehens – die FES-Bibliothek wurde Spektrums aufgenommen, außerdem Bibliothek« gehostet, gesichert und er-  an ihrem Bonner Standort eröff - das Schriftgut internationaler Parteien- schlossen. Die Forderung der Gewerk- net – ist eine bemerkenswerte Samm- und Gewerkschaftszusammenschlüsse. schaften nach dem Mindestlohn? Die lung entstanden: Die Geschichte der Wissenschaftliche Sekundärliteratur Entwicklung tarifl icher Regelungen zu deutschen Sozialdemokratie und der über die deutsche Arbeiterbewegung fl exiblen Arbeitszeitmodellen? Oder die freien Gewerkschaften wird nahezu und die deutsche Sozialgeschichte wird Positionen der SPD zur Energiewende? vollständig abgebildet. Parteitags- und möglichst vollständig erworben und er- Antworten auf diese Fragen fi ndet die Kongressprotokolle, Geschäftsberichte gänzt diesen Sammelschwerpunkt. Forschung in dieser Spezialbibliothek. und Jahrbücher, Statuten, Tarifverträge Als Ergebnis dieser Sammeltätigkeit Eine »Arbeiterbewegung« gibt es näm- und Tageszeitungen seit den Anfängen wird laufend die »Bibliographie zur lich doch noch. der Arbeiterbewegung, aus der Kaiserzeit Geschichte der deutschen Arbeiterbe- und der Weimarer Republik bilden den wegung« (BizGA) erstellt, die die selb- Gabriele Rose ist Bibliothekarin in der historischen Grundstock. Und dabei geht ständig und unselbständig erschienene Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung es nicht nur um Parteipublikationen, deutsche und internationale Literatur und zuständig für den Bereich »Publi- sondern auch um das weite Spektrum zur Geschichte der deutschen Sozial- kationen deutscher Gewerkschaften« der Gewerkschaften, der Berufsverbände demokratie, der deutschen Gewerk- und der Nebenorganisationen, wie etwa schaftsbewegung und der Marxismus- der Arbeitersportbewegung. Die Samm- und Sozialismus-Forschung nachweist. ZUR BIBLIOTHEK lung hütet mit zahlreichen Unikaten Groß geworden ist die Bibliothek, die wahre Schätze: Bürgerliche Bibliotheken rund eine Million Medieneinheiten Die Bibliothek der Friedrich-Ebert- hielten sozialdemokratische Literatur zählt, auch durch die Übernahme ver- Stiftung befi ndet sich in der Godes- für nicht sammelwürdig. Ohne die lan- schiedener Gewerkschaftsbibliotheken berger Allee  in Bonn. Montags ge Tradition der SPD-Parteiarchive und und exzellenter Sammlungen. Allein und mittwochs öff net sie von  bis -bibliotheken, an die die FES-Bibliothek mit der Übernahme der Bestände des  Uhr, dienstags und donnerstags anknüpft, wären viele Primärquellen Deutschen Gewerkschaftsbundes im Jahr bis  Uhr. Am Freitag schließt die verloren gegangen.  wechselten über . Bände von öffentlich zugängliche Präsenz-

Auch heute noch sind die Veröff entli- Düsseldorf nach Bonn. Auch die »Arbei- FRIEDRICHEBERTSTIFTUNG DER BIIBLIOTHEK FOTO: bibliothek bereits um  Uhr. Ihre chungen von Parteien und Gewerkschaf- terwohlfahrt« und die »Naturfreunde Tempelhofer Stimme, die sozialdemokratische Zeitung für den Bezirk Tem- Bestände können kostenfrei im Le- ten kein »normales« Sammelgut in klas- Deutschlands« übergaben ihre Samm- pelhof, wurde von  bis  herausgegeben sesaal genutzt werden.

auch nicht haben. Eine off ene Gesell- Glaubensgemeinschaft defi niert sich schaft lebt jedoch davon, dass sich auch dadurch, dass und wie sie sich Eingemauert die sozialen Gruppen und Schichten von anderen unterscheidet. Und die miteinander auseinandersetzen, wenigsten bestreiten noch, dass wir Grenzen entzweien, aber ganz ohne kommen wir auch nicht aus durchaus auch streitig. Nur so kön- unseren Lebenswandel und das nen am Ende neue Gemeinsamkeiten Wirtschaftswachstum begrenzen LUDWIG GREVEN Wie ihre Wortführer, die Trumps, durch Ausländer haben oder weil sie entstehen, ohne die eine Gesell- müssen, um Gesundheit, Umwelt, Gaulands, Höckes, Orbáns, aber auch Konkurrenz um billige Wohnungen schaft irgendwann auseinanderfl iegt. das Klima und unser aller Überleben »Niemand hat die Absicht, eine Linksnationalisten wie Lafontaine und einfache Jobs durch die Migran- Toleranz und Respekt für Menschen, zu sichern. Mauer zu errichten«, log Walter und Wagenknecht, merken sie jedoch ten fürchten. Auch das sind legitime die anders sind oder von anderem Auf der anderen Seite hing gesell- Ulbricht . Bis  trennte sie nicht, dass sie sich damit selbst ein- Wünsche und Ängste, auch wenn überzeugt sind, schwinden. Immer schaftlicher Fortschritt stets davon die Menschen in Berlin und der mauern. Ihre hoff nungslosen Versu- man sie nicht teilen muss. mehr grenzen sich und ihre jewei- ab, dass Menschen bereit waren, Eiserne Vorhang alle Europäer in che, eine Welt auszusperren, die ih- Gleichzeitig wachsen die Mauern in lige Gruppe rigide ab und schauen Grenzen zu überschreiten. Grenzen Ost und West. Donald Trump will nen nicht gefällt, sind zum Scheitern den Köpfen – nicht nur die zwischen mit Verachtung auf die anderen. Ein des Denkens und Handelns und auch ebenfalls eine Barriere bauen, gegen verurteilt. Früher oder später. Ost- und Westdeutschen selbst  schrecklicher Nährboden für Hass faktische Grenzen – ob in der Wis- Armutseinwanderer aus dem Süden. Viele stehen irgendwo dazwischen. Jahre nach dem Mauerfall, zwischen und Gewalt und für Volksverführer, senschaft, der Technik, im Sport, in Großbritannien will sich gleichfalls Sie wollen einerseits nicht zurück Flüchtlingsfreunden und -gegnern. die beides schüren. der Gesellschaft oder der Politik. abschotten, gegen Migranten aus in die Zeit der National- und Obrig- Sondern bei vielen Themen, auf allen Gerade diejenigen, die für Grenzen- Deshalb: Grenzkontrollen dürfen der EU. Nicht wenige in Deutschland keitsstaaten des . Jahrhunderts mit Seiten, in allen Lagern. losigkeit sind, sollten jedoch nicht sein, wo sie benötigt werden, um wünschten sich so etwas auch. Schlagbäumen, Schutzzöllen und Die Polarisierung des Denkens, Mei- die ausgrenzen und sich über sie er- tatsächliche Gefahren abzuwehren. Wenn Menschen und Regierungen streng reglementiertem Aufenthalts- nens, Redens, ja, der Realitätswahr- heben, die sich davor fürchten. Denn Aber sie dürfen keine unüberwindba- Zäune hochziehen, geschieht das recht; mit engen Grenzen für die nehmung nimmt radikale Ausmaße Grenzen an sich sind nichts Böses. ren Hürden sein: keine Mauern des meist aus ähnlichen Motiven: Sie Meinungs-, Presse- und politische an. Das zeigt gerade wieder der er- Jedes Kind, jeder Jugendliche lernt, Mitgefühls und der Mitmenschlich- wollen tatsächliche oder eingebil- Freiheit und limitierten Lebens- und bitterte Streit um Abgasobergrenzen, sich abzugrenzen, um seine eigene keit. Auch der praktischen Vernunft. dete Gefahren abwehren. Grenzen Überlebenschancen. Vor denen da- Dieselfahrverbote und ein Tempo- Identität zu entwickeln. Wer das Denn, schrieb Friedrich Schiller: »Es und Mauern trennen jedoch nicht mals übrigens Millionen in die USA, limit bei uns. Statt mit Argumenten, nicht schaff t, leidet später unter Um- kann der Frömmste nicht in Frieden nur drinnen und draußen, grenzen das Land der unbegrenzten Möglich- wird mit Emotionen gefochten: Die ständen an einem Borderline- oder leben, wenn es dem bösen Nachbar Völker und Nationen voneinander ab, keiten, gefl ohen sind. Und Millionen einen fürchten um ihre Gesundheit nicht gefällt.« wie Israels Betonwall zu den Paläs- bis heute fl iehen. und die ihrer Kinder, die anderen um Nationalismus, Isolationismus, tinensergebieten, oder teilen Städte, Schon gar nicht möchten sie zurück ihre Freiheit, zum Arbeitsplatz zu Unilateralismus und Fremdenhass wie bis heute in Nordirland und die in Zeiten des Nationalismus und kommen oder zu rasen. Eine Verstän- haben immer nur ins Elend, ins zypriotische Hauptstadt Nikosia. Sie völkischen Denkens, das Menschen digung ist kaum noch möglich – im GREVENS Chaos, oft in Kriege geführt. Selbst spalten Gesellschaften auch in sich. anderer Herkunft, Abstammung oder wörtlichen und im übertragenen EINWURF wo Grenzen und Zäune für eine Wei- Sie trennen die, die für Off enheit, Religion abwertet, im schlimmsten Sinne. le nicht zu verhindern sind, sollten Austausch, Reisefreiheit und freien Fall zu vernichten trachtet wie im Die Spaltung der öff entlichen Debat- sie daher so errichtet werden, dass Handel sind, von denen, die das Land NS-Reich. Viele möchten anderer- te, die Abschottung der jeweiligen Helfersyndrom, an Paranoia oder sie durchlässig bleiben für Menschen am liebsten verriegeln möchten seits aber auch nicht, dass jeder Lebenszirkel stellen das friedliche einer narzisstischen Störung. Eltern und Gedanken – auch im Internet, gegen Fremde und fremde Einfl üsse, unkontrolliert ins Land kommen Miteinander infrage. Die Ängstlichen, und Lehrer sollen, ja müssen auch siehe China oder Iran. Mit dem Ziel, gegen den Verlust von Heimatgefühl kann, wie es Verfechter eines Rechts die um das Vertraute und ihr Aus- deshalb Grenzen setzen. sie irgendwann wieder einzureißen. oder von Jobs. In einer Welt, die auch auf unbeschränkte Einwanderung kommen fürchten, und die besserge- Gemeinschaften geht es nicht an- dank der digitalen Möglichkeiten fordern. Sei es, weil sie sich sorgen, stellten Kosmopoliten, die sich um ders. Seit es Menschen gibt, haben Ludwig Greven ist freier Journalist und kaum noch Grenzen kennt. dass ihr Land damit überfordert wäre. ihr Fortkommen weniger bis keine sie sich, ihre Sippe, ihr Eigentum, Autor. Von ihm stammt das Buch »Die Was jedoch längst nicht alle bejubeln Sei es, weil sie Angst vor Terror und Sorgen machen müssen, haben nicht ihre Herde, ihre Scholle vor anderen, Skandal-Republik. Eine Gesellschaft in – was man durchaus verstehen kann. angeblich zunehmender Kriminalität mehr viel gemein. Und wollen es Fremden gesichert. Jede Kultur, jede Dauererregung« () Politik & Kultur | Nr. /  | März  INLAND 09

Migrantentagebuch, vierter Eintrag: »Zwischen hier und dort« Das Mittelmeer trennt zwei Welten voneinander

MARWA ABIDOU innere mich nicht an dich, vergib mir. Es ist der Fluch der Krankheit, aber mein wei verschiedene und ähnliche Herz erinnert sich an gute Gefühle in Welten. Das Mittelmeer trennt deiner Anwesenheit!« Ein paar Stunden Z sie voneinander und bringt sie danach entschied sie sich, Abschied von manchmal zusammen. Das hartnäckige unserer Welt zu nehmen. Mittelmeer lehnt die Vermittlung da- zwischen ab. Wer zwischen den beiden Dort Welten kreuzen will, hat nur zwei Mög- lichkeiten: entweder den Luxus, den Im Laufe der Zeit verblassten sich nicht jeder hätte, auf eisernen Flügeln die Hintergründe der Bilder meiner darüberzufl iegen, oder den Zwang, mit Kindheit. Sie hinterließen nur wenige der Hoff nung aufs Überleben, sein Le- Spuren in meinen Erinnerungen, die ben auf dem Meer zu riskieren. Dazwi- nicht mehr mit der Realität der jetzi- schen hängen vergessene Bilder und gen Zeit zu tun haben. Sie zerstörten sich wiederholende Szenen, die sich nur meine alte Schule, änderten den Name durch die Farben der Hintergründe, die der Straße, in der ich geboren wurde Stimmen der Akteure und die Farbe des und entfernten den Baum, den meine dominierenden Angstgeruches unter- Mutter vor Jahren vor unserem Haus scheiden. Bei mir blieben die beiden gepfl anzt hatte. Alle Gesichter, die ich Welten in meinen Erinnerungen hän- kannte, verschwanden, sowie die Ge- gen: Manche Bilder von hier und man- rüche meiner alten Stadt dort. Alles,

che von dort – ich stehe dazwischen was ich in meinem Gedächtnis mit mir PHOTO STOCK ADOBE / WEAD FOTO: still, bewegungslos und ohne Zeitgefühl. trage, gibt es nicht mehr: das Gesicht Die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa ist nur knapp  Kilometer von Afrika entfernt und zum Sinnbild zwischen meiner Großmutter, die Zahl der Falten »Hier« und »Dort« geworden im Gesicht meiner Mutter, die alten Bil- Hier der meines Vaters, die ersten Briefe, die der Welt erzählten: An der Grenze Fürchtet euch nicht, meine Kinder. Wir das Bewahren von Interessen weniger Ich erinnere mich an eine neue Art von ich als Mädchen am Strand geschrieben zwischen hier und dort stand ein Va- haben keine Wahl und müssen weiter Menschen, mit denen wir nichts zu Glück, die ich hier erlebt habe, als ich habe und viele Dinge, die nur eine Erin- ter inmitten der Dunkelheit vor seinen gegen den Tod und fürs Leben kämpfen. tun haben. Sie sind deine Feinde, die zum ersten Mal den weißen Schnee vom nerung bei mir hinterließen. Ich muss Kindern. In seiner Hand gab es ein paar Leider ist das Überleben keine Option in du nicht sehen kannst. Sie sind mas- Himmel fallen sah. Das gleiche Gefühl zugeben, trotz der Schmerzen, dass es Schwimmwesten, die nicht genug für unserem Land«. Der Vater erzählte mir, kiert und mit lauter Worten bewaff net. formte sich jedes Jahr wieder, wenn ich meine erste Stadt sie alle waren. Im dass er gezwungen war, Abschied von Sie wissen ganz genau, wo du bist und die Gerüche des Frühlings spürte und nicht mehr gibt! Hintergrund hörte der »Zwischenwelt« zu nehmen. was du machst. Sie folgen dir mit ihren die neuen Farben der Bäume sah so- man die Geräusche Wenige Minuten später »dort« – am Kameras, sehen dich völlig nackt, sogar wie wenn ich die unerwarteten heißen der gewalttätigen selben Strand – zeigte sich ein Bild ei- von deiner Menschlichkeit und führen Dazwischen Sommermomente im Norden erlebte. Wellen des Meeres. nes kleinen Körpers eines Kindes ohne dich professionell in den Zustand des Mein Gedächtnis enthält von hier meh- Es blieb nur das Mit- Der Vater sah seinen Rettungsweste. Sein Kopf war nach Todes. Du bist Opfer der Politik unserer rere Bilder von unbekannten Kindern, telmeer dazwischen, Kindern tief in die Westen gerichtet, seine Augen waren Welt, die beschließt, hier und dort zu die mich unschuldig anlächelten, wenn das ich jedes Mal Augen und kämpfte in einem geschlossenen Winkel nach vereinen oder voneinander zu trennen. wir uns zufällig auf der Straße trafen. sehe, wenn ich die gegen die Worte, die Osten geneigt und hinter ihm gab es Du bist Opfer der Interessen der Rüs- Das Bild meiner alten Nachbarin hier beiden Welten auf ihn verletzten, bevor eine auf den Leichen von Toten ru- tungsverträge, die die Grenze zwischen taucht oft in meiner Erinnerung auf. eisernen Flügeln er sie aussprach. Er hende Heimat. Sein schwacher Körper hier und dort aufbauten und die allein Eine Frau, die mich immer mit einem kreuze. In ihm sah flüsterte ihnen zu: konnte nicht von hier bis dort gelan- entscheiden können, uns hier leben zu Lächeln und vielen Geschichten über ich einige Bilder, die es zwischen den »Macht euch keine Sorgen, wenn ihr gen. Die Wellen hatten ihn in anderer lassen oder dort zu sterben.« ihre Kinder und ihren langen Lebens- beiden Ufern absichtlich versteckte. einen eurer Geschwister ertrinken seht, Richtung gegen seinen Willen ans Ufer weg getroff en hat. Sie war an Alzhei- Das riesige Meer verwandelte sich in schwimmt dann schneller weiter, damit geworfen. Ich verriet ihm: »Höre mir Marwa Abidou ist Theaterwissen- mer erkrankt. Letztes Mal sah ich sie eine blaue Linie, die mehr versteckte wir unsere Verluste minimieren kön- zu, mein Kind. Es gibt kein Leben hier schaftlerin mit zwei Doktorgraden im vor dem Aufzug im Haus. Sie lächelte als zeigte. Off enbar zeigte es nur die nen. Schaut lieber nur auf die andere an dieser Seite des Meeres, sondern Fachbereich Theaterwissenschaften mich wie immer an und sagte: »Ich er- Bilder, die einen Teil der Geschichte Seite des Meeres und nicht hinter euch. einen langsamen Tod deiner Seele, für und Performing Arts Ich, Kokosnuss Reisebericht: Identität nämlich Singhalesisch und Englisch, gungsmittel – aufklärte, dass dies eine mit meiner Geburt in Deutschland of- Beispielsweise war mein exotisch jedoch habe ich nie bewusst und selbst- Bezeichnung für im Westen lebende fensichtlich ein kultureller Neustart klingender Name immer ein hilfrei- MALITH C. KRISHNARATNE ständig Kultur, Religion, Natur oder Sri Lankaner sei, die sich »zu fein« für meiner Familiengeschichte erfolgt war. cher Gesprächsöff ner, denn nach Her- politische Lage der Insel erkundet. Es ihre eigentliche Heimat Sri Lanka sind. Es mag auf Viele naiv wirken, aber kunft und Bedeutung meines Namens itte  entschied ich ging mir bei der Wahl des Reiseziels Kokosnuss soll beschreiben, dass man ich habe bis zu meiner Reise nach Sri werde ich oft gefragt. Ich habe jedoch mich nach Studium und jedoch nicht um das Erforschen meiner nur außen braun ist, innen jedoch weiß. Lanka im Alter von  Jahren noch nie auch Menschen mit Migrationshinter- vier Jahren ununterbro- Wurzeln, was viele meiner deutschen Mich faszinierte dieser Vergleich, so häufig und intensiv über meine grund kennengelernt, die diese Fragen M chener Arbeit im Kunst- Freunde vermuteten. Auf der Reise denn er löste in mir zahlreiche Ge- Hautfarbe und Zugehörigkeit nach- als beleidigend bzw. rassistisch inter- und Kulturbetrieb Berlins für eine Pau- habe ich aber schnell festgestellt, dass danken aus: Basiert die Bezeichnung gedacht. Es war glücklicherweise im pretieren. Es ist immer eine Frage von se vom Alltag und unternahm eine zwei ich um diese Thematik nicht herum- auf Neid? Hat sie mit unverarbeiteten Kontext, Gegenüber und persönlicher monatige Reise. Bei allen politischen komme. Nicht weil ich selbst neugierig Gefühlen der Gesellschaft gegenüber Geschichte, die eine subjektive Wahr- Diskussionen, Bewegungen, Krisen und darauf wurde, sondern weil Sri Lanka den weißen Kolonialmächten zu tun? nehmung von Rassismus defi nieren. Entwicklungen in Deutschland in den mir die Thematik aufdrängte. Denn deren Einfl uss ist noch heute Sollte ich mich Sri Lanka ist ein Teil von mir. J e älter letzten Jahren, die gefühlt in immer Viele meiner Gespräche mit Einhei- maßgeblich für das Leben, die Kultur ich jedoch wurde, desto weniger spielte kürzer werdenden Abständen aufka- mischen drehten sich unfreiwillig um und die Politik in Sri Lanka. Und ich schämen, die Herkunft er eine Rolle. Ich bildete mein ganz ei- men, verspürte ich einen Fluchtdrang, meine Zugehörigkeit. Auf Singhale- fragte mich erstmals: Sollte ich mich meiner Eltern vernach- genes Heimatverständnis. Auch wenn um zu refl ektieren und mich wieder sisch sagte ich ganz selbstverständlich, schämen, die Herkunft meiner Eltern lässigt zu haben? mich der Vergleich mit der Kokosnuss, zu fokussieren. Es fi el mir zunehmend ich sei Deutscher und bereise das Land vernachlässigt zu haben? beladen mit Vorurteilen und rassisti- schwerer, mir eine eigene dezidierte als Tourist. Mich erwartete dann im- Ich erinnere mich gut an meine schem Denken, irritiert und anfangs Meinung zu bilden und diese auch ohne mer eine Wundertüte aus Reaktionen. Zeit im Kindergarten – daran, dass ich beleidigt hat, muss ich nun gestehen, Furcht oder Zurückhaltung zu äußern. Die einen waren begeistert, dass ein in plötzlich von weißen Menschen um- Laufe meines Lebens in Deutschland dass ich ihn in gewisser Weise als zu- Um der Filterblase, in der viele völlig Deutschland Geborener fl ießend Sin- geben war, die alle die mir bis dahin einfach nicht nötig. Meine Eltern, die treff end erachte. unbewusst gefangen sind, zu entkom- ghalesisch spricht; andere fragten, wie fremde Sprache Deutsch benutzten. kurz vor meiner Geburt  nach Zu einem großen Teil erinnert mich men und mich selbst, meine Werte sie auch nach Deutschland kommen Und anders als zu Hause, wo meine Deutschland immigriert sind, haben in meinem Leben lediglich meine »Au- und mein Heimatbild zu kalibrieren, können und ob das Leben dort tatsäch- Eltern, wie in Sri Lanka üblich, mit der ihr Bestes unternommen, um mich ßenschale« an Sri Lanka. Meine Fami- erschien mir eine Auszeit die Lösung lich so schön und unkompliziert sei. Hand aßen, wurde ich nun gezwun- und meine Schwester in die deutsche liengeschichte hat dort begonnen und zu sein. Es gab auch eine Reihe unschöner gen, Besteck zu nutzen. Es wurden Gesellschaft zu integrieren, wofür ich setzte sich woanders fort. Meine Wer- Mein Reiseziel war Sri Lanka, das Reaktionen, die zum Teil rassistisch mir deutsche Lieder vorgesungen, die ihnen heute sehr dankbar bin. te, meine kulturelle Bildung, mein Le- Land in dem beide meiner Eltern ge- waren. Man bezeichnete mich als bei Weitem nicht so schön klangen, Rassismus ist mir auch in Deutsch- bensstandard, meine Sprache, sie sind boren wurden und aufgewachsen sind. »Coconut«, also als »Kokosnuss«. Ich wie die singhalesischen Gute-Nacht- land begegnet, aber er hat meine Ent- deutsch, sie sind europäisch. Ich habe nie dort gelebt, aber Sri Lanka wusste anfangs nicht, was das bedeu- Lieder meiner Mutter. Ich war verwirrt wicklung, mein Denken nicht maß- war mir durch viele Reisen mit mei- ten soll, bis mich ein TukTuk-Fahrer durch die zahlreichen Veränderungen geblich beeinträchtigt. Ich empfand Malith C. Krishnaratne ist Digital- nen Eltern bereits vertraut. Ich spreche – diese Form der Autorikscha ist auch und Umgewöhnungen. Durch all die- meinen off ensichtlich ausländischen und Kreativberater in Kunst und fl ießend zwei der drei Landessprachen, auf Sri Lanka ein beliebtes Fortbewe- se Kontraste realisierte ich früh, dass Hintergrund eher als einen Vorteil. Kultur 10 EUROPA www.politikundkultur.net

Hochkultur ist subversiv Kultur, Bildung und »Du sollst nicht glauben, dass du etwas es in Schweden einen hohen Bedarf Professionalisierungsprobleme. Nicht schwedische Kulturrat  Arbeits- und Gleichheit in Schweden bist.« Die Vision möglichst maximaler an Personal mit Deutschkenntnissen. zuletzt ist die Privatisierung der Schu- Referenzgruppen aufgestellt, die die gesellschaftlicher Gleichheit steht aber Aber Deutsch belegt nach Englisch len in freier Trägerschaft umstritten. jeweiligen Anträge beurteilen. Diese im Kontrast zur Tatsache, dass die öko- und Spanisch nur den dritten Rang bei Im letzten Wahlkampf wurde auch dis- Gruppen bestehen aus Expertinnen und ARPAD A. SÖLTER nomische Ungleichheit in keinem ande- modernen Fremdsprachen an schwe- kutiert, ob es privaten Unternehmen Experten, die dazu beitragen, dass jeder ren OECD-Land seit den er Jahren dischen Schulen. Da Schweden auch als gewinnorientierten Schulkonzer- an Kultur teilhaben kann. Die Politik chweden ist das größte skan- so stark gestiegen ist wie in Schweden. ohne zweite Fremdsprache den Schul- nen untersagt werden sollte, Schulen stellt sich somit hinter die staatliche dinavische Land – im Selbst- Die Dominanz elitärer Institutionen abschluss erlangen können, verringert als Spekulationsobjekt zu betreiben. Förderung der Kultur und schaff t Vor- verständnis gewiss auch das wie der Schwedischen Akademie sig- sich das Interesse, nach Englisch noch Bildung als privater Markt, Profi tori- aussetzungen für Meinungs- und künst- S führende. Insbesondere bei nalisiert einen ähnlichen Deutsch zu erlernen.  entierung, milde Noten, mangelnde lerische Freiheit. Fragen der Gleichstellung, aber auch Gegensatz von Anspruch Prozent der Schüler in der Transparenz und soziale Segregation, der Digitalisierung. Der Premierminis- und Wirklichkeit.  Jahrgangsstufe neun ler- aber auch erzieherische Konzepte re- Initiativen des Goethe-Instituts ter bezeichnete Schweden unlängst als musste die Kulturwelt nen Deutsch. Das sind  ligiöser, insbesondere muslimischer Schweden »humanitäre Großmacht«. Auch von auf ihren Literaturnobel- Prozent weniger als vor  Schulen, werden kontrovers diskutiert. außen dient das Land stets als Projek- preisträger verzichten. Jahren. Und je höher die Auch in Schweden haben Kinder mit In Schweden herrscht großes Interesse tionsfl äche – positiv wie negativ. Mit Seit sexuelle Übergriff e Ausbildungsstufe, desto Migrationshintergrund oft größere Pro- an Kunst im Kontext von Politik. Kul- dem modernen Schweden hat das Ideal und andere Verstöße im weniger wählen Deutsch bleme, die Bildungsziele der Schule zu turprogramme, die dem Eigenwert des aus der Zeit vor der Industrialisierung Umkreis der Einrichtung als Fremdsprache. Falls erreichen. Positiv ist jedoch, dass sie Ästhetischen gerecht werden, ergänzt wenig zu tun. Weder ist Schweden das öff entlich wurden, steckt es nicht gelingt, diese als Nicht-Muttersprachler Anspruch das Goethe-Institut Schweden daher Bullerbü-Paradies noch ein Land im sie in ihrer schwersten Entwicklung umzukeh- auf Unterrichtsstunden in ihrer Her- durch innovative Formate oder Beiträ- Chaos, wie Rechtspopulisten es zeich- Krise. Bereits die umstrittene Preisver- ren, wird es für Unternehmen künftig kunftssprache haben. ge in seinem Online-Magazin, um auf nen. Zutreff end ist: Immer wieder sorg- leihung an den Musiker Bob Dylan galt schwerer, kompetente Mitarbeiter zu die genannten politischen und zivil- ten Verbrechen für Aufsehen – jüngst als Indiz für kulturelle Orientierungslo- fi nden. Doch die oberste Schulbehörde gesellschaftlichen Entwicklungen zu Schwedens Kulturförderung etwa mehrere Morde auf off ener Straße sigkeit, Niveauverlust und Beliebigkeit. lehnt – Gleichheit verbietet Bevorzu- reagieren, welche für Deutschland wie in Malmö. In manchen Vorstädten der Im egalitären Schweden muss jetzt vor gung! – die einseitige Förderung einer Schwedens erst im Januar  nach Schweden gleichermaßen relevant sind. Ballungszentren Stockholm, Göteborg allem die Geschlechterverteilung der Sprache ab. Das Goethe-Institut, die zähen Verhandlungen neu gebildete Die Nachfrage nach Bildender Kunst und Malmö leben über  Prozent der Akademie verbessert und das Vertrauen deutsche Botschaft, die schwedische Regierung »Löfven II« hat noch keine aus Deutschland und an deutschspra- Einwanderer unter schwierigen sozia- zurückgewonnen werden. In der Ver- Wirtschaft und die Medien werben mit klare politische Richtung, die Kultur- chiger Dramatik ist besonders groß. len Bedingungen. Ausschreitungen wie gangenheit waren nur zwei der  akti- Imagekampagnen für Deutsch. Zusätz- politik der neuen Kulturministerin Deutsche Literatur hingegen hat es  sind Ausdruck dieser Problematik. ven Gremiumsmitglieder Frauen. Das lich haben sie die »classa politica«, das Amanda Lind ist unscharf. Es zeichnet in Schweden schwerer. Oft erscheint Heute lebt der Großteil aller Schwe- Durchschnittsalter der Mitglieder liegt Bildungsministerium und die Schulbe- sich aber eine Tendenz zur Abkehr von diese in kleinen Verlagen, die Sparte den in mehr oder minder urbanen Ver- derzeit bei  Jahren. Sexismus, Femi- hörde aufgefordert, stärkere Anreize für bürgerlicher Hochkultur zugunsten von der Übersetzungsliteratur ist insgesamt hältnissen. Besucher bemerken, dass nismus und Genderdiskurs – intensiv junge Schweden zu setzen, Deutsch zu Maßnahmen für bisher vernachlässigte bei großen Verlagen oft unterfi nanziert. Zielgruppen ab und das Bestreben, Kul- Deshalb fördert das Goethe-Institut tur allen Menschen zugänglich zu ma- die Übersetzung deutschsprachiger chen. Das Museum für moderne Kunst in Literatur. Über  Autorinnen und Malmö etwa hat auch arabische Bildbe- Autoren hat es seit  präsentiert, schriftungen. Die schwedischen Grünen darunter Cornelia Funke, Felicitas vertreten multikulturelle Toleranz, aber Hoppe, Lutz Seiler, Marcel Beyer, Durs zugleich Positionen bei Gleichstellung Grünbein, Tamara Bach, Terézia Mora, und individueller Freiheit, die mit dem Katja Petrowskaja, Daniel Kehlmann, kulturellen Verständnis mancher Immi- Abbas Khider und Eugen Ruge. Auch grantengruppen nicht kompatibel sind. deutsche Philosophie von Immanuel Der Wohlfahrtsstaat Schweden be- Kant, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, sitzt eine breit subventionierte kul- Friedrich Nietzsche, Hannah Arendt, turelle Infrastruktur und verfügt über Theodor W. Adorno und Axel Honneth ein reiches Netz staatlich geförderter bis zur Zukunft der Frankfurter Schule Kulturinstitutionen wie Stadttheater, ist Teil des nachfrageorientierten, auch Museen, Kunsthallen, Opern und Kon- durch schwedische Fördermittel kofi - zerthäuser. Das landesweite staatliche nanzierten Programmangebots. Das Kulturfördersystem ist in den letzten schwedische Bibliothekssystem gehört Jahren zunehmend dezentralisiert wor- bezüglich Dichte, Reichweite und Be- den. Dadurch wirken die schwedischen nutzerfreundlichkeit zu den weltbesten. Regionen stärker bei der Verteilung der Insbesondere vom modernen The- entsprechenden Mittel mit. Private ater und Tanz verspricht man sich in Geldgeber sollen vermehrt einbezogen Schweden neue Horizonte und Entde- werden. Kultursponsoring ist jedoch ckungen. Dabei gilt die zeitgenössische schwach entwickelt. Kreativindustrien deutsche Bühnenkunst als richtungs- spielen eine immer wichtigere Rolle, weisend. Von dort erwartet man frische insbesondere in den Bereichen Mode, kulturelle Impulse und hohe künstle- Design und Popindustrie. Der Finan- rische Qualität. Das Goethe-Institut zierungsdruck auf die freie Szene und kopräsentiert Gastspiele moderner auf experimentelle Ausdrucksformen ist Produktionen in Schweden, wie Falk stark. Er führt zu meist unterhaltenden, Richter, Yael Ronens »Roma Armee« ökonomisch erfolgreichen Formaten. vom Maxim Gorki Theater und Tho- Die Anstrengungen von Bildungs- und mas Ostermeiers »Richard III.« an der Kulturprozessen werden, scheint es, Berliner Schaubühne. Zudem positio- allseits durch Schonung, sogenannte niert sich das Goethe-Institut Schwe- niedrigschwellige Angebote, ersetzt. den proeuropäisch. Es kooperiert mit Statt Bildung bloß Ausbildung? Ist im anderen europäischen Kulturinstituten kulturindustriellen Mainstream-Zirkus (EUNIC) beim gemeinsamen Auftritt am Ende der geistige Solitär der in Wirk- auf der Göteborger Buchmesse, zur

FOTO: JOHANNES ERB JOHANNES FOTO: lichkeit gesellschaftlich Marginalisierte? Förderung der Mehrsprachigkeit und Ali Heff etz performt beim interdisziplinären Kunstprojekt »Drone Dancing« Staff an Forssell, Generalsekretär von organisierte internationale Konfe- »Statens kulturråd«, sagte: »Wir haben renzen über die Rolle von Kultur und fast überall ohne Bargeld bezahlt wird werden in Schweden als Folge der Me- lernen, um dem Kultur- und Bildungs- eine nationale Kulturpolitik, die ihren Kulturpolitik in Zeiten des Populismus. und dass Toiletten in Stockholm Unisex Too-Bewegung derzeit die veränderten verlust entgegenzuwirken. Ausgangspunkt in den demokratischen Gleichzeitig orchestriert das Goethe- sind. Erfolgreich war nicht zuletzt die Beziehungen zwischen den Geschlech- Die schwedische Bildungslandschaft Grundprinzipien hat: Meinungsfreiheit, Institut Großprojekte mit anderen Rationalisierung und Zentralisierung tern diskutiert, die  unter anderem ist dezentralisiert und kommunalisiert. die Gleichwertigkeit aller Menschen. Ländern Nordeuropas, die auf die zu- der gesamten Volkswirtschaft, getra- zum »Einverständnisgesetz« führte, das Im internationalen Vergleich ging es in Wir haben auch eine Staatsform, die künftige Bestimmung des politischen gen durch Industrie, Sozialdemokra- vor dem Sex ausdrückliche Zustimmung den vergangenen Jahren für Schweden insbesondere im Kultursektor eine und kulturellen Denkens sowie die tie und Gewerkschaften. Das »Du« als erforderlich macht – sonst gilt der Akt bergab. Seit dem PISA-Schock von , Armlänge Abstand von der Politik hält. Gestaltung unserer Zukunft eingehen. verbreitete Anredeform seit den er als Vergewaltigung. Die Gleichstellungs- bei dem schwedische Schülerinnen Wir haben eine Politik, die sich hinter Beispiele sind Projekte wie »In Tran- Jahren artikuliert Effi zienzdenken und politik fordert off ensiv, dass Zuwanderer und Schüler in allen getesteten Diszi- die öff entliche Finanzierung von Kul- sit« zu Fragen der Stadtentwicklung, Gleichheitsstreben über alle Klassen- über verbindliche schwedische Werte plinen unter dem OECD-Durchschnitt tur stellt, der es schwerfällt, sich aus- »Picture Politics«, digitale Comics ge- schranken hinweg. Das in Schweden und Gesetze informiert werden, wie lagen, gehört Bildung im politischen schließlich durch Publikumseinnahmen gen Xenophobie und Nationalismus wichtige Gesetz des Jante, »Janteloven«, z. B. die Gleichbehandlung von Männern Diskurs zu den wichtigsten Themen. zu fi nanzieren. Auch um sicherzustel- oder das interdisziplinäre Kunstprojekt das der norwegische Schriftsteller Aksel und Frauen. In den letzten Jahren sind sowohl im len, dass mehrere Perspektiven und »Drone Dancing«. Über  Künstlerin- Sandemose entwickelt hat, lautet: Alle Schul- als auch im Hochschulbereich Stimmen Gehör und Austausch fi nden. nen und Künstler aus  Ländern kamen sind gleich! Daraus folgen Umgangs- zahlreiche Reformen umgesetzt wor- Dies ist auch notwendig für eine de- hier zusammen, um künstlerische Zu- Deutsch in Schweden wieder formen, über Konformitätszwang ab- den. Es besteht Lehrermangel und mokratische Gesellschaft.« Ziel des kunftsvisionen zur Frage zu entwickeln, attraktiver machen gesichert, nach denen es verpönt ist, hohe Fluktuation in Lehrerzimmern, staatlichen Kulturrates ist es, Vielfalt wie wir  leben werden. sich selbst hierarchisch zu erhöhen Deutschland ist Schwedens größter weil Lehrende im Schulsystem schlecht zu erhalten, damit nicht nur eine be- und sich gegenüber anderen als besser Handelspartner. Aufgrund der inten- bezahlt werden und über geringen Sta- stimmte Kunstrichtung präsentiert Arpad A. Sölter ist Institutsleiter des oder klüger darzustellen. Der dazu ge- siven wirtschaftlichen und politischen tus klagen. Indizien der Schulmisere wird. Um die Unabhängigkeit der Kultur Goethe-Instituts Schweden in hörige schwedische Satz lautet immer: Verbindungen zu Deutschland gibt sind Rekrutierungs-, Ausbildungs- und von der Politik sicherzustellen, hat der Stockholm Politik & Kultur | Nr. /  | März  INTERNATIONALES 11

Literatur vor Gericht Zur Situation von Schriftstellerinnen und Schriftstellern in der Türkei

CONSTANZE LETSCH das Publikum nicht selten im Stehen und noch in Nebenräumen ausharren chon seit einiger Zeit macht die muss. Auch das seit  existierende Türkei negative Schlagzeilen, Online-Literaturportal K ist bereits S wenn es um die Freiheit des Jour- jetzt eine Institution. nalismus geht. Aber wie geht es dem Man sei sehr glücklich mit dem Pri- Literaturbetrieb in einem Land, in dem vileg, eine Plattform wie K erfolg- Autoren unter grotesken Anklagen zu reich unterhalten zu können, sagt Sibel lebenslangen Haftstrafen verurteilt Oral, Autorin und Chefredakteurin des werden, in dem kritische Texte als Portals. »Gleichzeitig haben wir auch Terrorpropaganda vor Gericht stehen, großes Glück, weil es in der heutigen in dem Meinungsfreiheit nicht einmal Türkei unheimlich schwer ist, kreativ mehr ein Lippenbekenntnis ist und in tätig zu sein. Wir müssen es zu schätzen dem Sprache seit den ersten Tagen der wissen, dass wir unsere Arbeit machen Republik gegen ein starres, nationalis- können.« tisches Konformitätskorsett ankämpfen Denn oft, so fügt sie hinzu, geraten muss? die Worte ins Stocken. »Zensur und Die Antwort auf diese Frage ist Selbstzensur sind ein großes Problem, nicht so einfach, wie es auf den ersten eigentlich fühlt man sich ständig un- Blick scheinen mag. Denn das türki- ter Druck.« Dazu kämen der blutige sche Verlagswesen boomt trotz aller Putschversuch, die brutale, fl ächen- Schwierigkeiten. Schließlich musste deckende Bombardierung kurdischer man sich schon immer in der Türkei Städte nach dem Zusammenbruch der an Zensur, an Repression und an fi nan- Friedensverhandlungen , die vielen Terroranschläge in türkischen Städten, die Verhaftungen so vieler Mitglieder der Opposition, der Notstand, die an- Zensur und Repression haltende Wirtschaftskrise. »Würde man

haben in der Türkei all die Dinge, die seit der Gründung von AA / ALLIANCE PICTURE FOTO: eine lange Geschichte K passiert sind, in einem Roman fest- Besucherinnen an einem Ausstellungsstand der Internationalen Buchmesse in Istanbul im November  halten, würde es jeder Leser für viel zu übertrieben halten«, so Oral. »Die Tür- versuch vom . Juli  hat sich die der vor allem akademische Titel her- band »Ich werde die Welt nie wiederse- kei durchläuft ein schweres Trauma.« Lage deutlich verschärft. Es wurde ein ausbringt. Einige Bücher wurden einge- hen« auch auf Deutsch – geschrieben ziellen Schwierigkeiten vorbeischrei- Noch dazu hat der dramatische Wer- zweij ähriger Notstand verhängt, der es sammelt, noch bevor der Verlag von den im Hochsicherheitsgefängnis in Istan- ben. In der türkischen Literaturszene teverfall der türkischen Lira seit dem dem Staatschef Recep Tayyip Erdoğan Verfahren in Kenntnis gesetzt wurde. bul. Gefängniserinnerungen und der herrscht vor allem auch ein bockiger letzten Jahr die Preise für die Buchher- ermöglichte, per Dekret am Parlament Abdullah Keskin, der Verlagschef von bockige Wille, gegen hohe Steinmauern Überlebenswille. stellung blitzartig steigen lassen, einige vorbeizuregieren. Auf diese Weise Avesta, beklagt die neue Beliebigkeit und das bleierne Grau der Hoff nungs- Die Leserschaft ist in den letzten Verlage mussten den Druck neuer Titel wurden  Verlage wegen angeblicher staatlicher Buchverbote. »Jetzt sehnen losigkeit anzuschreiben, sind Thema zehn Jahren stetig gewachsen, und bereits einstellen. Putschbeteiligung geschlossen, Tau- wir uns fast nach der Zensur von frü- vieler literarischer Werke in der Türkei. laut dem türkischen Verlegerverband Der türkische Schriftsteller Murat sende Angestellte verloren ihre Jobs. her«, sagt er, nur halb im Scherz. »Heute Nicht umsonst nannte Yasar Kemal die Türkiye Yayincilar Birligi ist die Türkei Uyurkulak, der in Deutschland mit Hunderttausende Bücher wurden ein- sind die Regeln willkürlich. Niemand türkischen Gefängnisse »die Schule tür- im internationalen Vergleich der An- den Romanen »Zorn« und »Glut« zu gestampft. Bücher wurden als Beweis- weiß, was verboten ist und warum. Die kischer Literatur«. zahl jährlich veröff entlichter Bücher Bekanntheit gelangte, warnt davor, mittel in Anklageschriften aufgeführt, türkische Justiz hält sich nicht an ihre Einschüchtern lassen wird man sich im letzten Jahr vom elften auf den den Ereignissen der letzten Zeit mit Polizei und Gerichte spürten den Be- eigenen Gesetze.« jedenfalls nicht. Murat Uyurkulak plä- sechsten Platz geklettert. Buchmes- erschrockener Stummheit zu begeg- sitzern der zu »gefährlich« erklärten Autoren fanden sich aufgrund ihrer diert für das Ignorieren staatlich ver- sen im ganzen Land können sich vor nen: »Es passieren so viele Dinge, die Titel noch bis in die Mülltonnen nach. unbequemen Texte und Meinungen ordneter Maulkörbe: »Jetzt muss man Besuchern kaum retten. Auch neue einen sagen lassen: Das ist zu viel, das Auch wenn die Literatur in der Tür- vor Gericht, und nicht selten auch im erst recht so schreiben, dass sie einen unabhängige Verlage entstehen und ertrage ich nicht. Aber in der Literatur kei längst nicht so sehr unter der Knute Gefängnis wieder. So wie der bekannte abstrafen müssen«, sagt er. »Man muss zahlreiche junge Autoren drängeln dürfen die Worte nicht ausgehen, im des Staates zu leiden hat wie der Jour- Autor Ahmet Altan. Am . Februar  sie der beschämenden Lächerlichkeit sich auf den verschiedensten Platt- Gegenteil! Sie müssen schärfer und nalismus, gibt es doch Themen, die in wurde der in der Türkei viel gelesene aussetzen, ein Buch vor Gericht zu formen. In Istanbul öff nete im letzten härter werden«, sagt er. jeder Form ungern gesehen sind. So wie Schriftsteller wegen eines Talkshow- zerren.« Jahr »Kiraathane«, das erste Literatur- In der Türkei haben Zensur und die Kurdenproblematik. Türkische Ge- Auftritts zu »lebenslanger Haft unter haus des Landes. Lesungen und Dis- Repression eine lange Geschichte, richte verboten allein im letzten Jahr  erschwerten Bedingungen« verurteilt. Constanze Letsch ist Journalistin und kussionen sind so gut besucht, dass doch seit dem gewaltsamen Putsch- Bücher des kurdischen Avesta-Verlages, Im letzten Herbst erschien sein Erzähl- Doktorandin Unter Beobachtung Hochschulen und Wissen- schullehrer bei politisch-parteilichen täten längerfristig wieder einer »intel- SwB in der (Hochschul-)Welt bekannt Ende  meldete sich die brasiliani- schaft in Brasilien oder ideologischen Äußerungen zu lektuellen Elite« vorbehalten. Das zielt wurde, so schnell brach das Programm sche Koordinierungsstelle zur Weiter- fi lmen und zu denunzieren. auf das Ende einer Quotenpolitik, die  wieder zusammen. Die Folge war, bildung auf Hochschulebene (Capes) Doch dann kam es nicht ganz so es seit  Schwarzen und Indigenen dass sich viele neu gewonnene Partner mit einem Strukturprogramm (PrInt) MARTINA SCHULZE schlimm wie erwartet: Das Wissen- aus ärmeren, bildungsfernen Schichten im Ausland enttäuscht zurückzogen. für die Universitäten und ihre strategi- schaftsministerium MCTI wurde mit ermöglicht, aus einem unterfi nanzier- Aus der Zeit von SwB datiert auch schen Partner im Ausland auf der inter- ls sich im September  einem ehemaligen Astronauten, Marcos ten, schlechten öff entlichen Schulwe- die Initiative »Sprachen ohne Grenzen« nationalen Bühne zurück. Das Struktur- abzeichnete, dass der ultra- Pontes, besetzt, der bisher den Forde- sen in eine gute öff entliche Hochschule (SoG), die ab  die Hochschulen mit programm PrInt, das nicht zufällig eine konservative Abgeordnete rungen der Evangelikalen, Wissenschaft zu wechseln. Wie störanfällig der durch Online-Englischkursen überzog.  Ähnlichkeit mit der deutschen Exzel- A Jair Messias Bolsonaro das im Sinne der Schöpfungsgeschichte die Quoten angestoßene Inklusionspro- schloss sich der Deutsche Akademi- lenz-Initiative aufweist – sein »spiritus Rennen um das höchste Amt im Staat neu zu defi nieren, widersteht: »Man zess ist, zeigte sich  an der Staatli- sche Austauschdienst (DAAD) dem rector«, der frühere Capes-Chef Abílio machen würde, löste das große Besorg- soll Wissenschaft nicht mit Religion chen Universität Rio de Janeiro (UERJ), Baeta Neves, gilt als großer Kenner des nis, nicht nur bei Frauen, Menschen mit vermischen«. Allerdings ist es gerade eine Vorreiterin in Fragen der Quoten. deutschen Hochschulwesens – stellt unterschiedlichen sexuellen Orientie- die evangelikale Parlamentsfraktion, Sie konnte wegen der Finanzkrise ein für die besten Forschungscluster im rungen und Identitäten, kurz LGBTI, auf die sich die Regierung Bolsonaro Jahr lang keinen Unterricht anbieten. Drei Jahre extremer Land beträchtliche Kooperationsmit- und Indigenen, aus, sondern auch bei neben dem Militär vor allem stützt. Au- Im folgenden Studienjahr fanden nur Einsparungen hatten tel zur Verfügung. Im Zusammenhang den öff entlichen Universitäten. Bolso- ßerdem will sich Pontes dafür einsetzen,  Prozent der früheren Studierenden eine massive Ent- mit PrInt tourten auf Einladung des naros diff amierende, frauenfeindliche dass wieder Geld aus seinem Ressort in den Weg zurück. Für viele endete so der schleunigung der DAAD  zehn Vizepräsidenten der und homophobe Äußerungen machten die Wissenschaft fl ießt. Das ist auch akademische Bildungstraum. forschungsstärksten brasilianischen international Schlagzeilen. Weniger be- dringend nötig: Drei Jahre extremer Zur Wechselhaftigkeit der brasili- Forschung zur Folge Universitäten durch Deutschland, er- kannt ist, dass er im Wahlkampf auch Einsparungen hatten eine massive Ent- anischen Politik gehört, dass sich das neuerten Partnerschaften und warben gegen die öff entlichen Universitäten schleunigung der Forschung, selbst in Land  mit dem Mobilitätsprogramm um Doktoranden. polemisierte: Sie seien überfi nanziert den nationalen Spitzenbereichen Agrar- »Science without Borders« (SwB), das Programm an, was eine enorme Nach- Was immer die neue Regierung vor- und bildeten schlecht aus; mit den und Biowissenschaften, Immunologie, fast . Brasilianer ins Ausland frage nach Deutsch an den Hochschulen hat, von einem Ende der guten deutsch- »Rattennestern«, den studentischen Mikrobiologie sowie Medizin zur Folge brachte, kurzfristig auf den internati- auslöste. In der Pilotphase  bis  brasilianischen Hochschulzusammen- Freiräumen an den Hochschulen, wer- und bedeuteten das Aus für Tausende onalen Hochschulmarkt katapultierte. bewarben sich mehr als . Studie- arbeit ist wohl nicht auszugehen. de er aufräumen. Wenige Tage vor der von Projekten. Allein nach Deutschland kamen . rende auf gerade mal . Onlinekurs- Stichwahl um das Präsidentenamt ord- Auch an anderer Stelle gab es Ent- Stipendiaten und zu den bestehenden Lizenzen. Von den Deutschkursen Martina Schulze leitet seit  die neten einige übereifrige Staatsanwälte warnung: Der neue Bildungsminister,  Partnerschaften zwischen den profi tieren auch die Masterstudieren- Außenstelle des DAAD in Rio de Janei- an, mit Polizeigewalt Veranstaltungen Ricardo Vélez, sieht die »Befreiung« der Hochschulen beider Länder gesellten den am  eingerichteten Zentrum ro. Sie ist gleichzeitig auch geschäfts- und Vorlesungen zu Themen wie »De-  Bundesuniversitäten von linkem sich  neue Abkommen, die seither für Deutschland und Europastudien führende Direktorin des deutschen mokratie und Bildung« zu unterbinden. Gedankengut nicht auf seiner Prioritä- auf eine konkrete Umsetzung warten. (CDEA) in Porto Alegre, dem ersten Wissenschafts- und Innovationshauses Studierende wurden aufgerufen, Hoch- tenliste. Allerdings will er die Universi- Denn so schnell wie Brasilien durch seiner Art in Lateinamerika. (DWIH) in São Paulo 12 MEDIEN www.politikundkultur.net

Ein Spiegel unserer Gesellschaft Kinos sind nur zukunftsfähig, wenn sie »State of the Art« sind

HELMUT HARTUNG nos, die Präsentation der Filme und das zum Stillstand gekommen. Im Vergleich me, dass ein Umbau auf dem Lande ge- es freie und off ene Diskussionen gibt, Marketing müssen sich wandeln und zum Vorjahr ist der Durchschnittspreis nauso viel koste wie in den Großstädten. wo Meinungen geäußert werden und as Kinojahr  war katastro- sicher müssen sich auch die Kinofi lme sogar um ein Prozent auf , Euro Diese aber ein wesentlich höheres Be- wo Ideen Gestalt annehmen. Diese zu phal, so die Meinung zahlrei- den veränderten Sehgewohnheiten gesunken.  hatte er noch bei , sucherpotenzial und Zuzug hätten. Hier erhalten muss das Kernanliegen sein. D cher Kinobetreiber, Verleiher anpassen. Euro gelegen. Einer der Gründe für den könne man Kostensteigerungen noch Schließlich geht es auch um die Vision, und Produzenten. Mit , Millionen Rückgang liegt im rückläufi gen Inter- abdecken, im Gegensatz zu den kleine- in welcher Gesellschaft wir zukünftig wurden  in Deutschland , Pro- esse der Besucher an D-Vorstellungen. ren und mittleren Orten, die entweder leben wollen. Wir glauben an die Not- Seit  Zuschauerverlust von zent weniger Tickets als im Vorjahr »An den Preisen kann nicht mehr ge- Einwohnerschwund oder mindestens wendigkeit kollektiver Kulturräume und  Prozent verkauft, der Umsatz sank um , Pro- dreht werden«, sagte Produzent und Stagnation hätten. »Mit Darlehensför- kämpfen für die Freiheit künstlerischen zent auf , Millionen Euro. Ähnlich Große Sorgen bereiten den Kinos vor Filmverleiher Herbert Kloiber dem derung allein kommt man hiermit nicht Schaff ens und die Unabhängigkeit der schlechte Zahlen gab es zuletzt , allem die Veränderungen in der Besu- Handelsblatt. sehr weit«, so Negele, der selbst Kinos Verbreitungsmedien«, betont der Film- als , Millionen Tickets verkauft cherstruktur. Hier sieht es ähnlich wie Die Kinos sind dennoch nach wie vor enthusiast und Lichtspielbetreiber wurden. Immerhin ist das Jahreser- beim Fernsehkonsum aus: Die Älteren kulturwirtschaftliche Schwergewichte: Christian Bräuer. gebnis am Ende etwas günstiger aus- verbringen mehr Zeit vor dem Fern- So zahlen sie neben der Mehrwertsteu- Der HDF Kino sieht bis  einen gefallen, als es die Halbjahreszahlen seher oder gehen öfter ins Kino und er von ca.  Millionen Euro im Jahr Die Digitalisierung hat Investitionsbedarf von  Millionen  befürchten ließen. Besser lief es die Jüngeren greifen zum Smartphone noch ca.  Millionen an Gewinn-, Einzug in die Licht- Euro, der zu einem großen Teil durch für den deutschen Film: Obwohl unter oder Tablet-PC: Dem Kino sind von Kapitalertrags- und Einkommensteu- spielhäuser gehalten zusätzliche Fördermittel abgedeckt den Top  der erfolgreichsten Filme  bis  in der wichtigen Alters- ern. Von der gesamten Filmförderung werden soll. Die AG Kino erhoff t sich, keine deutsche Produktion war, zeigte gruppe zwischen  und  Jahren über erhalten sie nur , Prozent, zahlen um die Attraktivität der Kinos zu er- sich die Performance des deutschen ein Drittel der Besucher ( Prozent) aber im Gegensatz zu den Produzenten, halten, eine Förderung bis  von Films mit sechs Besuchermillionären, verloren gegangen – während die - die nur ca.  Prozent zahlen, bis zu  betreibt. »Diese Kinos brauchen min- insgesamt mindestens  Millionen einem Marktanteil von , Prozent bis -Jährigen im Vergleich häufi ger Prozent der Förderungen zurück. destens  Prozent Zuschuss, manche Euro. (: , Prozent) und , Millio- (+ Prozent) ins Kino gehen. Nur noch Johannes Klingsporn sieht neben bis zu  Prozent. Wir reden hier von nen Besucher (: , Millionen), knapp vier von zehn Kinobesuchern ( einem großen Investitionsbedarf ca. . Leinwänden oder ca.  Be- Schneckentempo beim »Zukunfts- relativ stabil. Hatten  drei Filme Prozent) waren  unter  Jahre alt, aber auch die Notwendigkeit, dass die triebstätten. Denn in Orten bis . programm Kino« für den Erhalt des zum Teil deutlich mehr als  Millionen mehr als jeder Vierte ( Prozent) ist Kinobetreiber umdenken. »Im inter- Einwohnern benötigt man pro Leinwand Kulturortes Kino Besucher, überschritt  kein Film über  Jahre alt. , im Rekordjahr, nationalen Vergleich mangelt es in mindestens . Zuschauer und/oder diese Schwelle. gab es  Millionen Kinogänger. Das Deutschland an innovativen Ansätzen. . Euro Nettoticketkartenumsatz, Um die Situation der Kinos schnell zu Der Jahrhundertsommer, die Fuß- heißt, dass das deutsche Kino innerhalb Wichtige ökonomische Teilmärkte wie um den Break-even zu erreichen und et- verbessern, wurde im Koalitionsvertrag ball-WM, die Konzentration zugkräfti- von  Jahren mit einem Minus von gut die Imax-Kinoauswertung werden nur was Rücklagen bilden zu können. Diese der Bundesregierung ein »Zukunftspro- ger Titel auf zu enge Zeiträume werden  Millionen über  Prozent an Zu- zaghaft umgesetzt, Kundenbindungs- Leinwände machen ca.  Prozent des gramm Kino« vereinbart. Konkret heißt oft als Gründe für die schlechte Bilanz schauern verloren hat. systeme und digitale Endkundenkom- Gesamtkinoumsatzes aus, der inklusive es dazu im Vertrag: »Damit der kulturell genannt und natürlich die wachsende Mit einem großen Kraftakt wurden munikation sind eher die Ausnahme als Gastronomie, Werbung und Konzession anspruchsvolle Kinofi lm in der Fläche Bedeutung der Streamingdienste. Mög- von  bis  alle Spielstätten in die Regel. Kinos sind nur zukunftsfä- bei knapp  Milliarden Euro Gesamt- wirkt, wollen wir den Kulturort Kino licherweise hat der Klimawandel auch Deutschland digitalisiert. In keinem hig, wenn sie ›State of the Art‹ sind, zu umsatz liegt.« auch außerhalb von Ballungsgebieten für die Kinos Konsequenzen. Die Bran- einzigen Kino sind heute noch Film- viele Kinos sind es derzeit nicht.« Das Christian Bräuer, Vorsitzender der durch ein kofi nanziertes ›Zukunftspro- che müsse sich ernste Gedanken ma- projektoren in Betrieb – außer für digitale Kino erzwinge aber auch eine AG Kinos, eines Verbandes, der vor al- gramm Kino‹ stärken und erhalten.« chen, wie man in Zukunft auf die immer Events. Die Umrüstung der Projekto- andere Denkweise. »Beispielhaft«, so lem die kleineren Kinos vertritt, sieht Doch viel hat sich hier in den ver- heißer werdenden Sommer reagiert, so ren und Leinwände wurde vor allem der Chef des Verleiherverbandes, »sei mit Blick auf Arthouse- und Kleinkunst- gangenen Monaten nicht getan. Die Johannes Klingsporn, Geschäftsführer bei den Arthouse- und Filmkunstkinos auf die Debatte der Theaterverbände kinos die Situation ebenso dramatisch: Länder reagieren auf dieses Vorha- des Verbandes deutscher Filmverleiher von Bund, Ländern und FFA mit ca.  mit dem VdF bei der Einführung des »Anspruchsvolle Arthouse-Filme brau- ben mit großer Zurückhaltung und (VdF-Kino). Millionen Euro gefördert. Mit über  digitalen Tickets verwiesen. Im Zent- chen ein Publikum, das in ausreichender zwischen Bundespolitikern und der Die Jugendlichen sehen sich Filme – Millionen Euro waren zudem die Verlei- rum steht dabei immer wieder die Fra- Zahl für die Produktion und den Verleih Branche wird vor allem darüber dis- am liebsten Serien – vermehrt auf dem her der größte Finanzier der digitalen ge nach der Höhe und Akzeptanz der erst mal in der Großstadt generiert wer- kutiert, ob dieses Programm nur für Smartphone an, spielen Computerspie- Umrüstung. Vorverkaufsgebühr. Viel zielführender den muss. Erst wenn diese Filme hier Lichtspielhäuser in ländlichen Gebie- le. Der Medienkonsum der jungen Men- Doch die digitale Präsentation der wäre die Debatte über eine möglichst reüssieren, sprechen sie sich rum und ten eingesetzt werden soll. Nach einem schen verändert sich dramatisch. Filme bringt den kleineren Kinos nicht breite Nutzung des digitalen Ticketings, fi nden auch in die Spezialprogramme Jahr sind also weder die Kriterien, der Andererseits: Wer zu Hause Filme nur Vorteile für eine flexiblere Pro- da hierüber eine viel bessere Kunden- ländlicher bzw. kleinstädtischer Kinos. Verwendungszweck noch die Summe über ein Streaming-Abo sieht, ist nicht grammgestaltung und schaff t die Mög- kommunikation möglich wäre.« Doch auch die Filmkunsttheater in den klar. Einzig die CDU/CSU-Fraktion hat nur außerordentlich oft auch im Kino, lichkeit, schneller auch Mainstreamfi l- Städten verfügen über keine Erlösstruk- bisher ein Expertengespräch über die sondern gibt dort auch mehr Geld aus me zu zeigen, sondern sie hat auch ne- tur, um grundlegende Modernisierun- Umsetzung durchgeführt. Yvonne Mag- Kinos als kollektive Kulturräume als andere Filmkonsumenten, so eine gative Folgen. So sind marktgetriebene gen zu fi nanzieren. Oftmals fällt es ih- was, MdB, Filmberichterstatterin der aktuelle FFA-Studie. Im vergangenen laufende Investitionen in neue Technik In Deutschland existierten  . nen schwer, wettbewerbsfähige Mieten CDU/CSU-Fraktion empfi ehlt, »einen Jahr hat mehr als jeder zweite Subscrip- erforderlich, die digitalen Projektoren Kinos mit . Leinwänden, Tendenz zu erbringen, wie das Verschwinden breiten Kulturbegriff anzulegen, damit tion-Video-on-Demand (SVoD)-Abon- haben eine verkürzte Nutzungsdauer leicht steigend. Diese Kinos bieten von traditionellen Kinos und anderen die Standorte erhalten werden und sich nent einen Film im Kino gesehen, wäh- im Vergleich zu Filmprojektoren. Zu- . Arbeitsplätze. Vor allem für vie- kulturellen Räumen aus Innenstädten in Zukunft vielseitig aufstellen können«. rend bezogen auf die gesamte deutsche dem sind die laufenden Betriebsausga- le ländliche Gebiete sind die Kinos ein als mahnendes Beispiel zeigt, müsse Die Beauftragte der Bundesregie- Bevölkerung lediglich gut jeder Dritte, ben wie Mindestlohn, Energie, Wartung wichtiger kultureller und wirtschaftli- der Arthouse-Teilmarkt in seiner Ge- rung für Kultur und Medien hat für mindestens einmal im Kino war. Zudem etc. höher und die Amortisationszeit cher Faktor und tragen zur Lebensqua- samtheit gefördert werden. Es müsse  zwei Millionen Euro für das »Zu- gewinnen Events aller Art in kleinen verkürzt sich auf fünf bis sieben Jahre. lität in strukturschwachen Gebieten bei. darum gehen, die Häuser zu erhalten, kunftsprogramm« eingeplant. Wenn das wie in großen Kinos an Bedeutung. »Die Problematik von Kinos in klei- die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern Programm von der Landes- wie von der Während reguläre Vorstellungen in nen Orten bis . Einwohnern liegt und die Innovationskraft zu festigen. Bundespolitik weiter so halbherzig un- Das digitale Kino erzwingt eine den Sommermonaten oft ziemlich leer darin, dass diese, will man die Land- Zugleich, so der Kinobetreiber und terstützt und in diesem Schneckentem- andere Denkweise blieben, waren Sonderveranstaltungen fl ucht bekämpfen, das gleiche Filman- Verbandsvorsitzende, seien die Kinos po umgesetzt wird, werden zahlreiche auch bei fast  Grad gut besucht oder Die größere Attraktivität erkaufen sich gebot und das gleiche Niveau der Groß- dank ihrer Programmauswahl ein Spie- Kinos die Zukunft nicht mehr erleben. sogar ausverkauft. die Kinos durch höhere Aufwendungen städte erreichen müssen«, erklärt dazu gel unserer Gesellschaft. »Sie gehören Die eingangs genannten Gründe für und diese müssen erst einmal verdient Thomas Negele, Vorstandsvorsitzender zu den selten gewordenen kollektiven Helmut Hartung ist Medienjournalist den Besucherrückgang  sind also werden. Die seit  Jahren andauernde des HDF Kino, der nationalen Interes- Räumen, wo sich Kulturschaffende und Chefredakteur des Blogs www. nur die halbe Wahrheit, denn die Ki- Steigerung der Ticketpreise ist  sengemeinschaft der Kinos. Hinzu kom- und Publikum begegnen können, wo medienpolitik.net

KULTURBERATUNG

QBegleitung von Entwicklungsprozessen QBeratung und Begleitung von Führungskräften QEvaluation von Kulturprojekten und Kulturinstitutionen Claus Harten, Thomas Rietschel, QMediation und Konfl iktmanagement Barbara Haack, Peter Landmann www.takepart-kulturberatung.de Telefon 07934 9131-0 Politik & Kultur | Nr. /  | März  KULTURELLES LEBEN 13

Die junge jüdische politische Stimme Deutschlands

Die JSUD-Präsidentin Dalia jüdische Online-Publikation »haGalil« ganz normalen Leben wird von der Grinfeld im Porträt schrieb damals: »Als eine der mitglieds- Wirklichkeit nur allzu oft ignoriert. Das stärksten jüdischen Gemeinschaften in geht los bei scheinbar banalen Proble- Europa hat Deutschland somit wieder men, wie zentrale Prüfungstermine an ANDREAS KOLB eine präsente junge jüdische Stimme.« der Universität, die auf hohe Feiertage Ihre Heimat sei Berlin, sagt Grinfeld. oder auch Sabbat gelegt werden, ohne chlägt man auf dem sozialen Polyglott ist sie, weil die Mutter aus Riga, dass sich jüdische Studierende befreien Netzwerk »LinkedIn« die Seite ehemalige Sowjetunion, nach Berlin lassen können. Wesentlich ernster ist von Dalia Grinfeld auf, dann kam und später Dalias Vater, einen Ar- die messbare Zunahme eines neuen S ist man überrascht, wie viele gentinier, bei einem Israelaufenthalt Antisemitismus. »Auf dem Campus Tätigkeiten und Stationen der Lebens- kennenlernte. Ihren Lebensmittelpunkt mit einer iPhone-Hülle mit einer Israel- lauf einer erst  Jahre jungen Beraterin gründete die multikulturelle Familie Fahne drauf rumzulaufen, ist für mich und Politikwissenschaftlerin schon be- in Berlin, wo Tochter Dalia jüdisch schwieriger, als mit einem Davidstern inhalten kann. Sechs Preise und Aus- und deutsch, aber auch russisch und um den Hals«, sagt Grinfeld. zeichnungen zieren ihre Vita. Grinfeld argentinisch geprägt, aufwuchs. Dalia Als JSUD-Präsidentin ist Dalia Grin-

spricht Deutsch, Englisch, Russisch, besuchte einen jüdischen Kindergarten, JSUD FOTO: feld eine öff entliche Person, sie gibt In- Spanisch und Hebräisch. Und auch den eine jüdische Grundschule, eine jüdi- Dalia Grinfeld terviews und ist in Social Media aktiv. kurpfälzischen Dialekt versteht sie gut, sche Oberschule und natürlich auch das Dafür erhält sie viel positives Feedback, denn mit  nahm sie ein Studium an jüdische Jugendzentrum in Berlin und pro Woche, so schätzt sie, wendet sie len, Bisexuellen und Transgender. aber auch Hunderte von Online-Hass- der Ruprecht-Karls-Universität in Hei- Ferienlager. wöchentlich für die ehrenamtliche Ar- . Der JSUD ist die politische Inte- kommentaren: »Ich kann nicht zählen, delberg in Politischen Wissenschaften »Ich bin Jude«, sagt Grinfeld. »Ich bin beit als Präsidentin der JSUD auf. Die ressenvertretung: »Es geht uns dabei wie oft ich Nachrichten mit ›Judensau‹ und Jüdischen Studien auf. Neben dem auch deutsch. Vor einigen Jahren hätte JSUD sieht sich als bundesweite Ver- darum, mit unserer jüdischen Brille ei- erhalten habe.« Antisemitismus habe Studium war sie als Präsidentin des ich das nicht sagen können.« Und fährt tretung jüdischer junger Erwachsener nen Beitrag zum politischen Diskurs in sich fühlbar verstärkt, meint sie. Israel Bund Jüdischer Studenten Baden e.V. fort: »Ich fühle mich am wohlsten, wenn zwischen  und  in Deutschland. Deutschland zu leisten und unsere Mit- und Juden werden dabei in einen Topf ehrenamtlich tätig. Sie lebte und arbei- ich sagen kann: Ich bin jüdisch. Jüdisch Gemeint ist sowohl eine Vertretung glieder zu vertreten«, sagt Grinfeld. Die geworden. Daran seien auch die BDS- tete für einige Monate in New York und sein ist keine Nationalität. Nur in der der jungen Stimme nach innen in die Mitglieder des Studierendenverbandes Kampagnen – Boycott, Divestment and der Schweiz, studierte an der Academia Sowjetunion gab es diese Abstempelung diversen jüdischen Gemeinden hinein, wollen ihr jüdisches Leben leben und Sanctions – mitschuldig. Dabei ist es de Buenos Aires und ging für ein Aus- entweder jüdisch sein oder sowjetisch. sowie nach außen als junge jüdische es mit Nichtjuden teilen – das bedeutet der JSUD wichtig, nicht als Israels Bot- landssemester an die Privatuniversität Jüdisches Leben ist vielfältig und um- Stimme gegenüber Politik, Hochschule, auch junges jüdisches Leben außerhalb schafter in Deutschland verstanden zu IDC Herzliya in Tel Aviv. fasst von Kultur, über Geschichte und Parteien und Gesellschaft. der Schoah, außerhalb von Antisemi- werden. Im Rahmen des Gemeindetages des Werten mehr als eine Religion. Als Die Arbeit der JSUD stützt sich im tismus und Nahostkonfl ikt. Ein Riesenthema für Grinfeld und Zentralrates der Juden in Deutschland jüdisches Volk sind wir in der ganzen Wesentlichen auf drei Pfeiler: Grinfelds Heimatstadt Berlin ist ihre Jugendorganisation ist die AfD: am . Dezember  in Berlin wurde sie Welt verteilt. Und doch fühlt man sich . Sie ist klarer Ansprechpartner und auch heute noch ein Magnet für junge »Wir sind keine homogene Gruppe, un- mit  Jahren zur Präsidentin der von ihr verbunden und zusammengehörig.« Hilfesteller bei der Vernetzung und Pro- Menschen aller Kulturen, Religionen sere Mitglieder sind über das komplette mitbegründeten Jüdischen Studieren- Heute arbeitet die Politikwissen- fessionalisierung lokaler und regionaler und Nationen. Das triff t insbesondere Parteienspektrum verteilt.« Doch zur den Union Deutschland (JSUD) gewählt schaftlerin als politische Beraterin. jüdischer Studierendenverbände. auf junge Israelis und junge jüdische AfD sagt die JSUD: »AfNee – diese Alter- und somit auch eines von fünf Vor- Ihr Tag müsste eigentlich mehr als  . Sie ist die junge Stimme innerhalb US-Amerikaner zu, denn gerade in native ist nicht koscher«. Zur Alternati- standsmitgliedern des Verbandes. Die Stunden haben, denn gut  Stunden bestehender jüdischer Institutionen in Berlin ist das jüdische Leben extrem ve für Deutschland bezog die JSUD klare Deutschland: »Unsere Generation hat vielfältig. Aber auch in anderen Met- Position in ihren Policies, verabschiedet Themen auf dem Radar, die von den ropolen wie Frankfurt, München, Köln, auf der Vollversammlung . Gemeindevorständen nicht genügend so Grinfeld, gebe es heute wieder ein abstrakt, war aber ein erheblicher wahrgenommen werden«, sagt Grin- reiches Angebot für junge Juden von Andreas Kolb ist Redakteur von Politik Entdeckungsgenuss. Denn eine Fülle feld und zählt auf: Empowerment von säkular bis orthodox. Junge Menschen & Kultur von Exponaten aus dem gesamten Frauen, Einsatz der JSUD für die Rech- suchen in der JSUD insbesondere auch Kontinent zeigte, wie geometrische te und Inklusion von Lesben, Schwu- Normalität. Dieser Wunsch nach dem Weitere Infos unter www.jsud.de Muster der indigenen Kulturen – wie Körperbemalungen, Volkskunst, Kunsthandwerk, Architektur – Gegen- wartskünstler zu neuen Schöpfungen zu inspirieren vermögen. Während ich Nach Hause von Bild zu Skulptur zu Vase zu Instal- lation schlenderte, verloren Schritt für gekommen Schritt die hergebrachten Unterschei- dungen zwischen Tradition und Mo- In Nachbarschaft mit der derne, indigen und westlich, Religion Künstlerin Gego und Kunst an Bedeutung. Dann stand ich vor den Werken von Gego: feinen Drahtgebilden, zau- FINE GERMAN DESIGN JOHANN HINRICH CLAUSSEN berhaften Strukturen aus dünnen Metallfäden. Und ich wurde daran Von »Heimat« ist wieder vermehrt die erinnert, dass diese Künstlerin eigent- Rede, auch in der Welt der Kultur. Bis lich meine Nachbarin war. Gego hieß vor Kurzem waren »Heimat-Dichter« mit bürgerlichem Namen Gertrud oder »Heimat-Filme« etwas, das unbe- Louise Goldschmidt. Geboren wurde dingt zu verachten war, wenn man es sie  in Hamburg. Dort ist sie in der überhaupt wahrnahm. Doch semanti- Heilwigstraße aufgewachsen. Als jun- sche Konjunkturen ändern sich. Jetzt ge Frau fl oh sie  nach Venezuela. sprechen nicht nur Kulturpolitiker, Nach dem Zweiten Weltkrieg begann sondern auch Künstler unbefangen, ja sie, auch angeregt von lateinameri- Fokus Lyrik engagiert von »Heimat«. Sie möchten kanischen Künstlern, eine eindrucks- dieses so besondere deutsche Wort volle Karriere als Künstlerin. Ihre nicht den Rechten überlassen. Das Drahtskulpturen sind so etwas wie Festivalkongress kann ich nachvollziehen. ungegenständliche, dreidimensionale Mir fällt aber bei der Wortkombination Zeichnungen. Gego bog und verknüpf- »Heimat – Kunst« als Erstes eine ehe- te Drähte so miteinander, dass aus 7.– 10. März 2019 malige Nachbarin ein, der ich nie be- dünnen Strichen Raumgebilde wurden. gegnet bin und die ich erst vor Kurzem Ein kurzer Film zeigte, wie sie arbeite- Frankfurt am Main in einem Nachbarland kennengelernt te – immer mit einer brennenden Ziga- habe – was mir zeigt, wie intensiv mich rette in der Nähe – und über ihre Kunst meine eigene Kunst-Heimat angeht mit einem sehr hörbaren deutschen und zugleich, wie gebrochen mein Akzent sprach. So lernte ich endlich Verhältnis zu ihr ist. Ich komme aus in der Fremde eine Künstlerin kennen, Hamburg, einer Kaufmannsstadt, die die fest zu meiner Heimat gehört. Veranstalter Förderer in überschaubarem Ausmaß bedeu- Die heutige Bewohnerin des Hauses, tende Künstler hervorgebracht hat. in dem Gego aufgewachsen ist, hat Der Kaff eehandel liegt den meisten übrigens vor wenigen Jahren eine sehr Bürgern eben näher am Herzen. Aber würdige Tafel anbringen lassen. Zu genau in der Straße, in der ich bis vor deren Einweihung kamen Angehörige Kurzem gelebt habe, ist eine bedeu- aus Lateinamerika angereist. Die Brü- tende Künstlerin aufgewachsen. Doch che im Leben von Gego wurden nicht wahrgenommen habe ich sie erst vor geheilt. Aber immerhin im Gedächtnis Kurzem, und zwar ausgerechnet in ist sie nach Hause gekommen. Paris. Dort habe ich in der »Fonda- www.fokuslyrik.de tion Cartier« eine Ausstellung über Johann Hinrich Claussen ist Kultur- Geometrie und lateinamerikanische beauftragter der Evangelischen Kirche Gegenwartskunst besucht. Das klingt Deutschland (EKD) 14 KULTURELLES LEBEN www.politikundkultur.net

ZUR PERSON ... Israel im Blick Angela Dorn-Rancke ist neue hes- Drei Bücher über das Land im Nahen Osten sische Staatsministerin für Wis- senschaft und Kunst ls oft verdruckst bezeichnet persönlichen Blick auf Israel. Das Land, Wer nach Israel reisen will, dem sei Nach der Landtagswahl in Hessen Wolf Iro in seinem Buch in dem er über ein Jahrzehnt lebte und ein anderes Buch ans Herz gelegt:  wurde Angela Dorn-Rancke im »Nach Israel kommen« aus dem er berichtete. Er schrieb dieses Ruth Kinets »Israel. Ein Länderpor- neuen Kabinett Bouffi er III am . A Menschen, die nach Israel Buch nach seiner Rückkehr nach Tel trait«. Das Buch ist inzwischen in der Januar  zur Staatsministerin für kommen und nicht so richtig wissen, Aviv von seiner Tätigkeit in Rom. Nach . Aufl age erschienen und zeigt, wie Wissenschaft und Kunst ernannt. Seit wie sie Israelis am besten begegnen. einem kurzen Abriss zur -jährigen beschwingt über Israel geschrieben  gehört Dorn-Rancke dem Hessi- Schade, dass Iro selbst an einigen Stel- Geschichte des Staates Israel wendet werden kann. Kinet lebte von  bis schen Landtag an. Seit November  len verdruckst wirkt und eben nicht sich Schneider fünf großen Themen-  in Tel Aviv und berichtete von ist sie gemeinsam mit Kai Klose Vor- aufzeigt, wie eine Begegnung mit Is- komplexen zu: Der erste befasst sich dort. Im Mittelpunkt ihres Buches sitzende von Bündnis /Die Grünen raelis gelingt. Iro, Leiter des Goethe- mit der Frage, wie Israelis sind und steht das Leben in Israel. Die Laut- Hessen. Bei der Amtsübergabe am . Instituts in Israel – Jerusalem und Tel welche Bedeutung die Schoah und die stärke, die Hektik, die auf den ersten Februar  betonte sie, dass gerade Aviv – konzentriert sich in seinem Kriege für Israelis haben. Der zweite Blick vorhandene Unhöfl ichkeit und in Zeiten, in denen Populisten und Essay auf künstlerische Begegnun- widmet sich den Trennungslinien in das auf den zweiten Blick gelebte Ach- Fundamentalisten die Wissenschafts- gen und Veranstaltungen im Goethe- der israelischen Gesellschaft, dem sä- ten aufeinander. Es werden Alltags- freiheit angreifen und kritisches Den- Institut. Spannend zu lesen ist, wel- kularen Tel Aviv und dem orthodoxen szenen dargestellt und anhand derer ken in der Kunst bedrohen, Wissen- che Gedanken hin und her gewendet Jerusalem, den Aschkenasim gegen die die »großen« Themen, wie das Zusam- schaft und Kunst klaren politischen werden, bis eine Künstlerin bzw. ein Sephardim und weiter den Ultraortho- menleben von Religiösen und Nicht- Rückhalt brauchen: »Wir brauchen Künstler eingeladen wird und in ei- doxen, die in den Traditionen aus fer- Religiösen, die Bedeutung der Familie, starke Hochschulen und die klugen nem zweiten Schritt, welches Werk nen Zeiten leben, gegen die Start-ups. das Scheitern und immer wieder neu Köpfe ihrer Lehrenden, Forschenden präsentiert werden soll. Wie wirkt die- Im dritten Oberkapitel geht es um die Aufstehen und Beginnen beschrieben. und Studierenden, damit sie weiter ses Werk in Israel? Kann es präsentiert rungskultur, das Reden über die Scho- israelische Regierung und hier beson- In Kinets Buch scheint eine Welt auf, Lösungen für soziale, ökologische werden oder wird der Protest zu groß ah und die Vermittlung des Grauens ders das Prinzip Bibi. Im vierten befasst in der das Leben in Israel sich Tag für und ökonomische Herausforderungen sein? Ein großer Gewinn sind auch an die junge, plurale, migrantisch sich Schneider mit den besetzten Ge- Tag abspielt, ohne den Krieg oder die fi nden.« die Ausführungen von Iro zur Erin- geprägte deutsche Gesellschaft in bieten und schließlich der Frage, ob Schoah direkt zu thematisieren. Wer nerungskultur. Wie soll und kann an den kommenden Jahren prägen wird. und wenn ja, wie sie zurückgegeben lesen will, dass es in Israel auch ganz Eliah Sakakushev-von Bismarck ist die Schoah erinnert werden, wenn die Eine Fragestellung, die an Bedeutung werden können. Im fünften geht es unbeschwert zugehen kann, sollte un- neuer künstlerischer Direktor der Zeitzeugen sterben? Ein Thema, das gewinnen wird. Wer mehr darüber aus um Antisemitismus und Israelkritik bedingt dieses Buch lesen. Villa Seligmann nicht nur in Israel relevant ist, son- einer Perspektive von außen lesen will, in Europa. Abschließend behandelt Gabriele Schulz Seit Herbst  ist der Cellist Eliah dern insbesondere in Deutschland sollte zu diesem Buch greifen. Schneider die Frage, ob man als Jude Sakakushev-von Bismarck neuer intensiv reflektiert wird. Deutsch- Wer mehr über Israel erfahren will, überhaupt objektiv aus Israel berich- Wolf Iro. Nach Israel kommen. Berlin künstlerischer Direktor der Villa land steht ohnehin im Mittelpunkt dem seien zwei andere Bücher ans ten kann und beschreibt dies als sehr  Seligmann. Er hatte im vergangenen des Buches. Es gibt weniger Auskunft Herz gelegt. Vor gut einem Jahr er- deutsches Problem. Schneiders Buch Herbst die Leitung des Hauses von über das Leben in Israel, über seine schien von Richard C. Schneider das ist von großer Sachkenntnis und Liebe Richard C. Schneider. Alltag im Aus- Musikprofessor Andor Izsák übernom- verrückte, laute, am Mobiltelefon fest- Buch »Alltag im Ausnahmezustand. zu diesem verrückten kleinen Land, das nahmezustand. Mein Blick auf Israel. men. Jetzt trat er mit seinem ersten getackerte Bevölkerung, als vielmehr Mein Blick auf Israel«. Schneider, die Welt bewegt, geprägt. Die teilweise München  Programm für das einzigartige Haus über Deutsche und ihre Erinnerung. vielen noch vertraut als langjähriger vorhandenen kleineren Längen wer- für jüdische Musik an die Öff ent- Iro greift mit Blick auf den letzteren ARD-Korrespondent aus Israel und den durch immer wieder neue Aspekte Ruth Kinet. Israel. Ein Länderportrait. lichkeit. »Wir möchten es zu einem Aspekt ein Thema auf, das die Erinne- den besetzten Gebieten, wagt einen schnell verziehen. . Aufl age. Berlin  wahren Ort der Begegnung machen, zu einem Think Tank über deutsch- jüdische Freundschaft«, sagte der gebürtige Bulgare. Zu den mehr als  Veranstaltungen in diesem Jahr zäh- Wer sind wir? Regieren len moderierte Konzerte, musikalische Lesungen, Ausstellungen, Workshops, Politische Bildung im besten Sinn Salongespräche und Gartenfeste. Der Und wie viele? neue Direktor will jüdische Musik als egieren« heißt das Buch von globales Phänomen vorstellen. The- Thomas de Maizière, in dem er matisiert werden soll auch das jüdi- Identitätspolitik ist Ursa- Europa. Diese Bewegungen und im R über Innensichten der Politik sche Leben in Deutschland heute. che und Lösung zugleich Speziellen die Integrationsfrage sind berichtet. De Maizière beschreibt sehr Auslöser der aktuellen Krise der De- gut verständlich, sachlich und klar, was Agnès Varda gewinnt Berlinale ichts weniger als die Entwick- mokratie. Die Lösung der Krise muss das Regieren ausmacht. Wie die Me- Kamera lung und Entfaltung einer folgerichtig in der Entwicklung einer chanismen des Regierens funktionie- Bei der Berlinale  zeigte die Fran- N größeren, inklusiven und ein- neuen Identität liegen. Mögliche öko- ren, welche Bedeutung die eingeübten zösin Agnès Varda ihren neuen Film heitlichen nationalen Identität, unter nomisch motivierte Beweggründe und Verfahren haben, wie viel Abstimmung »Varda par Agnès« – und erhielt den Berücksichtigung der Vielfalt liberaler Lösungsansätze der Krise rückt er in im Hintergrund stattfi ndet und vor al- Ehrenpreis des Festivals, die »Ber- demokratischer Gesellschaften, fordert den Hintergrund und ordnet sie der lem, welche Relevanz Verlässlichkeit linale-Kamera«. Viermal war Agnès Francis Fukuyama in seinem aktuellen Identitätsfrage unter. Somit stellt und Vertraulichkeit für das Regieren Varda – die einzige Frau der Nouvelle Buch »Identität: Wie der Verlust der Identitätspolitik nach Francis Fuku- haben. Wer Indiskretionen in dem Buch Vague – schon mit ihren Filmen im Würde unsere Demokratie gefährdet «. yama sowohl Ursache als auch Lösung erwartet, wird enttäuscht. Wettbewerb.  hatte sie in Berlin Sein Buch »Das Ende der Geschich- dar. Das Buch ist geprägt von dem nüch- den Großen Preis der Jury für »Le te«, in dem er den Sieg der liberalen Die Voraussetzung für die Erfüllung ternen Stil, mit dem de Maizière seine Bonheur«, deutscher Titel: »Glück aus Demokratie verkündete, wurde  dieser These besteht in der Möglich- Ämter ausgeübt hat. Deutlich wird, dass dem Blickwinkel des Mannes«, be- zu einem Bestseller und verhalf dem keit der Formbarkeit von Identität. das Regieren und das Ausfüllen eines kommen. »Varda par Agnès« ist eine Politikwissenschaftler zu internatio- Beginnend von Platon bis zur Neu- Ministeramts sehr viel mit Handwerk sehr persönliche Dokumentation über naler Bekanntheit. Die Wahl von Do- zeit erläutert Fukuyama die begriff s- und Übung und weniger mit großer ihr Leben und Werk. nald J. Trump zum Präsidenten der geschichtliche Entwicklung und sein Intuition und der Umsetzung großer USA veranlasste ihn, ein neues Buch Verständnis von Identität. Sonach ist Würfe zu tun hat. Das Verhältnis zwi- Wilfried Schulz bleibt bis  am zu schreiben. Identität nicht statisch, sondern kul- schen Minister, Leitungsstab und den Düsseldorfer Schauspielhaus In diesem konstatiert er den Verlust turell und politisch formbar. Fachabteilungen wird ebenso beleuch- Das Buch ist politische Bildung im bes- Nach der vorzeitigen Verlängerung nationaler Identität sowie die fehlen- Kategorisch abgelehnt wird die tet wie das Zusammen- bzw. Gegenei- ten Sinn, da aus erster Hand berichtet seines Vertrags bleibt Wilfried Schulz de Anerkennung von Identität(en) als religiöse und nationale Formung nanderspiel von Bund und Ländern. Es wird, wie teils normal und teils spekta- bis zur Spielzeit / General- Nährboden populistischer Bewegun- von Identität. Die Omnipräsenz und kommen sowohl die Zwänge als auch die kulär der Regierungsalltag ist. Wer dafür intendant am Theater der Landes- gen, insbesondere in den USA und Bedeutung von Identitätspolitik ver- Spielräume und ganz besonders die Ver- ein Sensorium hat, dem sei dieses Buch hauptstadt. NRW-Kulturministerin anschaulicht er anhand kurzer und antwortung des Regierens zur Sprache. ans Herz gelegt. Isabel Pfeiff er-Poensgen sagte bei der teilweise sprunghaft wechselnder ge- Deutlich wird in dem Buch, dass es für de Gabriele Schulz Bekanntgabe der Personalie, es sei sellschaftspolitischer Ereignisse. Die Maizière eine Zweiklassengesellschaft wichtig, dem Leitungsteam und den abschließend skizzierten Maßnahmen an Ministerien gibt, die mit dem »der« Thomas de Maizière. Regieren. Innenan- herausragenden Künstlern am Schau- zur Aufrechterhaltung einer liberalen im Titel wie das Bundesministerium der sichten der Politik. Freiburg im Breisgau spielhaus frühzeitig eine Sicherheit Demokratie beinhalten neben dem in- Finanzen, der Justiz oder des Innern,  für die Planung zu geben. Das Land klusiven auch einen nationalen As- sowie den anderen, die mit einem »für« trägt mit der Stadt zu gleichen Teilen pekt, der insbesondere für Linke ein auskommen müssen. Eine Ausnahme das Theater; in der laufenden Spiel- pessimistisches Zukunftsszenario von dieser Regel bildet das Bundesmi- PERSONEN & zeit kann das Haus mit , Millionen darstellen wird. nisterium für Verteidigung, das aufgrund REZENSIONEN Euro wirtschaften. In der Spielzeit Grundsätzlich fasst das Buch die seiner sicherheitspolitischen Bedeutung / kamen . Besucher in aktuellen weltpolitischen Entwick- ganz klar zu den A-Ministerien gehört. Politik & Kultur informiert an dieser die Spielstätten, so viele wie seit  lungen sehr anschaulich zusammen De Maizière lässt keinen Zweifel daran, Stelle über aktuelle Personal- und Stel- Jahren nicht. Und das, obwohl das und ermöglicht einen guten Überblick. dass er das Regieren als Dienst an der lenwechsel in Kultur, Kunst, Medien Stammhaus im Düsseldorfer Zentrum Antonia Schütte Gemeinschaft versteht und dass dieser und Politik. Zudem stellen wir in den seit Jahren wegen Renovierungsar- Dienst seine Zugeständnisse, etwa im Rezensionen alte und neue Klassiker beiten nur eingeschränkt benutzt Francis Fukuyama. Identität: Wie der Privatleben, fordert. Abgerundet wird der kulturpolitischen Literatur im wei- werden kann. Ab Herbst soll der denk- Verlust der Würde unsere Demokratie das Buch mit Vorschlägen für gutes Re- testen Sinne vor. Bleiben Sie gespannt malgeschützte Bau wieder bezogen gefährdet. Übersetzt von Bernd Rull- gieren und Fragen, die sich diejenigen – und liefern Sie gern Vorschläge an werden. kötter. Hamburg  stellen sollten, die regieren wollen. [email protected]. Politik & Kultur | Nr. /  | März  HEIMAT  KUNST 15 FOTO: DPA FOTO: Matt Damon im Film »Promised Land«, der sich mit dem umstrittenen Fracking und dessen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt auseinandersetzt Kunstblick Heimat Der Gegensatz von Gemütlichkeit ist Heimat-Kunst

OLAF ZIMMEMANN mehr so ist, wie es in der Erinnerung diejenigen, die verharren. Heimat ist Anknüpfen an die Vergangenheit und nach dem Vertrauten, ein Infragestellen war. Es ist der Ort der nicht in Erfüllung komplexer und verstörender. Die Ausei- das Gewinnen von etwas Neuem. Es ist des Bekannten. Wahrscheinlich ist dar- er Kunstblick auf die Heimat gehenden Sehnsucht. Dies wird insbe- nandersetzung mit Heimat in der Kunst der genaue Blick auf das vermeintliche um der Kunstblick auf die Heimat auch lebt von Reibung. Wenn man sondere daran deutlich, auf welche Art ist wahrscheinlich darum auch ein so Bekannte, um das Irritierende daran zu so spannend. D es sich gerade so richtig in den und Weise Reitz die Veränderung von spannendes Thema, weil es genau die entdecken. Heimatgefühlen gemütlich gemacht hat, Schabbach und der in Schabbach le- erwähnte Reibung erzeugt. Es ist eine Die künstlerische Auseinanderset- Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer dann bricht die Kunst das Heimatbild. benden Menschen erzählt. Damit wird Auseinandersetzung mit dem Nicht- zung mit Heimat ist alles andere als des Deutschen Kulturrates und Heraus- Überhaupt gemütlich. Gemütlich oder aufgelöst, dass Heimatverlust oder Hei- Mehr und dem Noch-Nicht. Es ist ein Kitsch, sie ist vielmehr ein Nachspüren geber von Politik & Kultur gefällig ist der Kunstblick auf die Hei- matveränderung eben nicht nur dieje- mat selten und wenn, handelt es sich nigen betriff t, die ihre Heimat räumlich eher um Kitsch als um Kunst. verlassen, sondern ebenso diejenigen, Der Gegensatz zum Gemütlichen ist die am selben Ort bleiben. ZUM SCHWERPUNKT ein Kernelement der Auseinanderset- Ähnliches triff t auf »Stopfkuchen. zung vieler Künstlerinnen und Künstler Eine See- und Mordgeschichte« von Die Auseinandersetzung mit Heimat seinem Artikel auf Seite  gibt er auf Seite , der ein Festival für neue mit Heimat. In Edgar Reitz’ Filmepos Wilhelm Raabe zu. Raabe kontrastiert in Politik & Kultur geht in die zweite Einblick in Geschichte und Gegenwart Volksmusik, genannt »Sounds of Hei- »Heimat« ist es einer der männlichen in seinem Roman das Leben des in der Runde. Bereits Ausgabe -/ setzte des internationalen Heimatfi lms. Den mat«, auf die Beine stellt. Hauptprotagnisten, Paul Simon, an Heimat gebliebenen Heinrich Schau- sich unter dem Titel »Heimat – Identi- geschichtlichen Aspekt von Heimatfi l- Heimat ist natürlich auch in der Lite- dem exemplarisch die Verbindung zur mann, der hinter der Hecke auf der Ro- tät« mit politischen und traditionellen men greift auch Verena Feistauer auf ratur ein wichtiges Thema – besonders Heimat, die Reibung an der Heimat und ten Schanze lebt, mit Eduard, der seinen Aspekten auseinander. Der Schwer- Seite  auf, indem sie die Darstellung für im Exil lebende Schriftsteller. Re- der Verlust der Heimat gezeigt werden. Heimatort verließ, studierte, Schiff sarzt punkt »Heimat – Kunst« geht nun auf von Integration von Gefl üchteten und gine Möbius schreibt auf Seite  über Paul Simon kehrt  als Soldat aus wurde und sich schließlich im Oranje- die kulturell-künstlerische Dimension Vertriebenen im Heimatfi lm der Nach- den Leipziger Autor Erich Loest und dem Ersten Weltkrieg in sein Heimat- Freistaat niederließ. Heinrich Schau- von Heimat in Bildender Kunst, Film, kriegszeit unter die Lupe nimmt. Wie- dessen Exilerfahrungen in Deutsch- dorf Schabbach zurück, das im Mittel- mann wurde in seiner Kindheit und Ju- Musik, Literatur, Computerspiel und derum der internationalen Gegenwart land-West. Mit diesem Thema beschäf- punkt des Heimat-Epos steht. Gleich gend als »Stopfkuchen« gehänselt, da er mehr ein. des Heimatfi lms widmet sich das neu tigt sich auch Behrang Samsami auf in den ersten Szenen, in denen Paul in dick und vermeintlich faul war. Bei sei- Zu Beginn berichtet der Kunsthisto- gegründete Festival »Biennale Bavaria Seite  – allerdings vor einem ande- der Wohnküche seiner Eltern sitzt, ent- ner Rückkehr lernt Eduard einen ganz riker Uwe M. Schneede auf Seite  International«, das neue Heimatfi lme ren Hintergrund: dem . Jahrestag faltet Reitz den inneren Konfl ikt von anderen Stopfkuchen kennen, einen vom Freiheitsmotiv in der Bildenden im bayerischen Land zeigen will. The- der Iranischen Revolution. Zuhause- und zugleich Fremdsein. Paul, Mann, der selbstbewusst auf der Roten Kunst, das für zahlreiche Künstler des resa Brüheim spricht mit den Grün- Die Auseinandersetzung mit Heimat der spätere Radiobastler, der fernweh- Schanze, dem Anwesen seines des Mor- . Jahrhunderts Heimat bedeutete – dern auf Seite . fi ndet aber nicht nur in den traditio- getrieben den Sender Hilversum hört, des angeklagten Schwiegervaters, lebt, Heimat in Freiheit sozusagen. Er geht Heimat kommt aber nicht nur im Film, nellen Kunstformaten statt. Auch in verlässt eines Tages Schabbach. Ein- den viele Jahrzehnte zurückliegenden unter anderem auf Leben und Werk sondern auch im Fernsehen häufi g vor: Computerspielen wie »Red Dead Re- fach so. Er geht und geht und geht. Erst Mord aufklärt und seinen Schwieger- von Vincent van Gogh, Max Beckmann Es gibt sogar einen eigenen »Heimat- demption « ist dieses Thema zentral, später erfährt der Zuschauer, dass sein vater rehabilitiert. Raabe entlarvt in und Emil Nolde ein – von letzterem kanal«. Theresa Brüheim fragt bei weiß Felix Zimmermann auf Seite . Weg ihn bis nach Amerika geführt hat. seinem Roman das biedermeierliche stammt auch unser Titelbild »Herbst- Gottfried Zmeck auf Seite  nach, wer Weitere Beiträge rund um Kulturländer, Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrt Paul Bürgertum. Der Außenseiter Stopfku- wolken« von  auf Seite . den denn so schaut. immaterielles Heimatgut und vieles als erfolgreicher Geschäftsmann nach chen wird zum wahren Helden, der zur Anschließend folgt ein Interview mit Musikalische Heimatpfl ege geht weit mehr fi nden Sie auf den nachfolgen- Schabbach zurück. Indirekt erfährt der Wahrheit vordringt, und der weltläu- Edgar Reitz, der wie kein anderer Re- über deutsche Wanderlieder wie das den Seiten. Am Ende des Schwerpunk- Zuschauer von seiner Sehnsucht nach fi ge Abenteurer Eduard stellt sich als gisseur für den modernen deutschen »Rennsteiglied« oder den Musikan- tes steht ein individueller Ausblick auf der Heimat, obwohl er all die Jahre kein derjenige heraus, dessen Blick an der Heimatfi lm steht. Hans Jessen spricht tenstadl hinaus. Gabriele Schulz Heimat, mit der sich Politik & Kultur Wort von sich hören ließ. Und ebenso Oberfl äche bleibt. auf Seite  mit ihm über seine Tri- spricht mit dem Musiker und Kom- auch weiterhin beschäftigen wird. indirekt wird Paul vermittelt, dass seine Beide beispielhaft genannten »Hei- logie »Heimat« sowie die Bedeutung ponisten Christian Eitner auf Seite Die Bilder stammen von Heimatfi lmen Heimat eben nicht mehr die ist, die er materzählungen« zeigen Spannungsfel- und Verwendung des Heimatbegriff es  über Musikproduktionen in ihrer aus aller Welt. Denn »Heimat – Kunst« verlassen hat und dass er nicht einfach der von Heimat auf. Diejenigen, die fern heute. Heimatfi lme gibt es aber schon Heimatstadt »Braunschweich«. Rund – so unterschiedlich sie sein mag – war so seinen alten Platz wieder einnehmen der Heimat sind, sind nicht unbedingt immer auch auf der ganzen Welt, weiß um die musikalische Heimat dreht und ist schon immer international. kann. An der Filmfi gur Paul Simon wird die Weltläufi gen. Diejenigen, die in der Jürgen Heizmann, der Autor des Bu- sich auch das Interview mit Wolfgang Alle Beiträge rund um das Thema Hei- deutlich, dass Heimat das ist, was nicht Heimat bleiben, sind nicht unbedingt ches »Heimatfi lm international«. In Marmulla vom Theaterhaus Stuttgart mat lesen Sie auch unter kulturrat.de . 16 HEIMAT  KUNST www.politikundkultur.net

Der Ausstieg aus der Heimat Freiheit als wiederkehren- Ambiente angesiedelten, gefährlich Die Vorstellung von Heimat war für Städte, deren Vorzüge sie durchaus zu sozialismus, wie sie etwa Josef Albers des Motiv in der Bildenden anmutenden surrealen Szenerien von bildende Künstler immer wieder mit nutzen wussten. Es ging ihnen um die und George Grosz in den Vereinigten Franz Radziwill. Als wir vor  Jahren dem Gefühl von bedrückender Enge eigene Freiheit jenseits aller gesell- Staaten, Max Beckmann und Heinrich Kunst in der Hamburger Kunsthalle eine Aus- verbunden. Im späten . und im frühen schaftlichen Zwänge, auf dem Land Campendonk in den Niederlanden, Lea stellung zu den Landschaften von Max . Jahrhundert hielten sie sich deshalb wie in der Stadt. Gängige Heimatvor- Grundig in Palästina, Ludwig Meidner UWE M. SCHNEEDE Beckmann machten, gaben wir ihr den gern anderswo auf, vorzugsweise in und stellungen hatten darin keinen Platz. in England, Rudolf Belling in der Tür- Titel »Landschaft als Fremde«. Diese um Rom. Statt der deutschen Wälder, So stellte sich der Hang zur Freiheit kei, Felix Nussbaum in Belgien, Kurt ls Caspar David Friedrich vor fast Werke, heißt es im Katalog, zeugten sel- Seen und Berge zog sie der sonnige als Gegenpol zum Anschein des Ein- Schwitters in Norwegen oder Anton  Jahren eine menschenlee- ten von Harmonie und Glück. Mit Be- Süden an. Dort fanden sich die soge- engenden der Heimat heraus. Edvard Räderscheidt in Frankreich schmerz- A re, unattraktive, durchwässerte fremden habe Beckmann die vertraute nannten Deutsch-Römer künstlerisch Munch siedelte auf der Spur der Geis- lich erfahren mussten. Ebene nahe der Elbe malte, widmete er Umgebung gestaltet – die Fremde habe heimisch, dort entdeckten sie eine äs- tesfreiheit vom Oslofjord nach Berlin in Und wer noch nicht zwangsweise sich einem Motiv aus dem heimatlichen seine Landschaftsmalerei überhaupt thetische Heimat. So ließen sie sich zu einen Kreis von Gleichgesinnten über; entwurzelt war, ging in die innere Dresden. Eine gute halbe Stunde war erst motiviert. leichten, durchlichteten Landschaften Ernst Ludwig Kirchner suchte auf Dauer Emigration, wich in vermeintlich si- es von seinem Atelier – am heutigen Tatsächlich stellt sich in dieser Ge- inspirieren. Heilung an Leib und Seele in den Da- cherere Gegenden aus. Um nur an vier Terrassenufer – zu diesem sogenann- neration die grundlegende Frage, was Der bürgerlichen Enge – der Heimat voser Bergen; Paul Gauguin fl oh in der Lebenswege von vielen zu erinnern: ten Großen Ostragehege. Seltsam op- angesichts der Zeitläufe eigentlich – entzogen sich auch alle Künstlerinnen Die Stuttgarter Oskar Schlemmer und tisch verzerrt gab er die permanente von der Heimat geblieben sei. Beck- und Künstler der Moderne, die auf bür- Willi Baumeister suchten Unterschlupf Überschwemmungszone wieder, un- mann war in Leipzig geboren, lebte gerlichen Widerstand stießen, daher auf in einer Wuppertaler Lackfabrik; Otto heimlich in ihrem unwiderstehlichen aus praktischen Gründen in Weimar sich gestellt waren und sich deshalb Der Ausstieg aus Dix zog sich in die liebliche, aber un- Sog. Die vertraute Gegend präsentiert und dann in Berlin, wurde durch den gern unter Gleichgesinnte mischten; der Heimat bedeu- geliebte Bodenseelandschaft zurück; sich nicht im landläufi gen Sinne als Ersten Weltkrieg nach Frankfurt am Künstlerkolonien wurden beliebt. Ein tet für die Künstler Otto Pankok versteckte sich in der behagliche Heimat, sie erscheint als Main verschlagen, zog sich angesichts gutes Beispiel ist Paula Modersohn- möglicherweise einen Eifel. etwas Entferntes, Befremdliches. Aus des Nationalsozialismus in der Hoff - Becker. Sie war nirgendwo heimisch, Anders erging es Künstlern, über die dem aber die Kunst durch Perspektive nung auf Anonymität nach Berlin zu- doch in Worpswede konnte sie unter Gewinn an Freiheit man politisch verfügte. Otto Freund- und einzigartige Farbstimmungsma- rück, emigrierte nach Holland, wo die Gleichgesinnten ihrer Kunst ungestört lich wurde in Frankreich interniert und lerei das Besondere, nämlich eines der deutsche Besatzung die Zugänge zum nachgehen: eine Art Künstlerheimat. von Lager zu Lager geschleppt, neun schönsten und aufregendsten Bilder geliebten Meer untersagte, und ging Griff sie aber Motive aus der Gegend Hoff nung auf ein anderes Leben nach waren es allein /, nach einer Friedrichs machte. Der Romantiker ver- schließlich wegen Lehraufgaben in die auf, waren es vorzugsweise von den Tahiti. Das Resultat all dieser Revire- Verhaftung kam er in weitere Lager, be- stand sich auf den ästhetischen Reiz des Vereinigten Staaten, wo er starb, ohne Winden gequälte, nackte Birkenstämme ments war die weitgehende Ortlosigkeit vor er ins Vernichtungslager Sobibor distanziert betrachteten Gewöhnlichen, je nach Deutschland – in die Heimat und keine netten heimatlichen Bau- der Künstler in der Moderne. verbracht wurde. Was blieb da noch von er verstand sich nicht auf das Anhei- – zurückgekehrt zu sein. ernhäuser oder schützende, stärkende Der Ausstieg aus der Heimat bedeu- der Heimat? melnde der heimatlichen Gefi lde. Und Beckmann malte überall, auch Land- Bäume. »Gestehen wir es nur«, schrieb tete also für die Künstler möglicherwei- Längst war sie in den Kitsch abge- die nachfolgenden Kollegen? schaften, und zwar mit dem ihm stets Rainer Maria Rilke in seinem Buch über se den Gewinn an Freiheit, auf jeden rutscht. Aus der noch soliden Form der Im südfranzösischen Arles suchte eigenen distanzierten Blick, aber seit die Worpsweder, »die Landschaft ist ein Fall aber war damit die Ortlosigkeit Idylle des . Jahrhunderts wurde die Vincent van Gogh, der holländischen der Emigration geschah es tatsächlich Fremdes für uns und man ist furchtbar verbunden. Freiwillig wurde sie überall völkische »Heimatkunst«. Heimat wur- Heimat entfl iehend, eine Zufl ucht, fand allein unter Bäumen, die blühen, und dort eingegangen, wo Künstlerinnen de politisch funktionalisiert, vollstän- sich aber bald der gnadenlosen südli- unter Bächen, die vorübergehen.« Das und Künstler sich für wechselnde Orte dig zu Zeiten des Nationalsozialismus, chen Hitze ausgeliefert. Sie setzte den Den Modernen galt war ein maßgebliches Zeitgefühl. entschieden, die ihnen für ihr Wei- also in jenen Zeiten, in denen die Kunst Nerven zu, mobilisierte jedoch auch das Haften am Ver- Als sich Heerscharen von Künstlern terkommen viel wichtiger erschienen der Moderne verfemt war, ihre Schöp- seine letzten schöpferischen Kräfte. am Ende des . und zu Beginn des . als die angestammte, vertraute Ge- fer verjagt und ihre Sammler verfolgt Nur wenn der Künstler, meinte er nun, trauten, Heimischen Jahrhunderts für Monate oder Jahre gend. Wechselnde Orte, weil sie dort wurden. sich ins Innere der Natur einfühle und als kleinlich und nach Paris aufmachten, erhoff ten sie die jeweils attraktive Akademie, die Den Modernen aber galten das Haf- zugleich als Fremder unter ihr leide, sei hindernd sich in der Weltstadt der Kunst jene wirkungsvollsten Galerien und enga- ten am Vertrauten, Heimischen als er imstande, an ihr, der Natur, ein Bild Freiheit, die ihnen das abweisende Bür- giertesten Sammler vermuteten, sich in kleinlich und hindernd. Die Distanz vom Menschen zu formulieren. Aus der gertum zu Haus versagte. Gerade nicht einem Kreis von Kollegen aufgehoben und das Fremdmachen des Vertrauten Nähe wurde für ihn die Einfühlung nur weit entfernt von dem, was man als die Heimat, das Eingewöhnte, sondern wähnten oder sich als Heimatlose auf sowie die Einlassung auf das Fremde, im Leiden wirksam. Heimat bezeichnen könnte, nämlich das Gegenteil, die fremde Welt der dem Land Ruhe vor den städtischen Entfernte öff neten ihnen den Blick auf Oder Emil Nolde. Ende der er in der Fremde: französische, holländi- Neuerer, versprach fruchtbare schöp- Umtrieben und Machenschaften erhoff - das Eigentliche, das Unheimliche der Jahre zog er mit seiner Frau Ada auf die sche, später amerikanische Motive. Als ferische Auseinandersetzungen und ten. Kontroverse Entscheidungen: Max Natur sowie die Zerrissenheit der Welt deutsche Seite der Grenze nach Däne- er nicht mehr von Holland ins Ausland Anregungen auf dem je individuellen Ernst ging aus künstlerischen Gründen und gab ihnen die Freiheit, die dazu mark, weil ihn die Landschaft an seine reisen durfte, malte er sich an Hand von Weg in die Moderne. von Köln nach Paris, Heinrich Vogeler nötigen Bildmittel immer wieder neu dänische Heimat erinnerte. Mit einem Postkarten und Fotos die früher gern Die Künstler der »Brücke« und des aus politischen Gründen von Worpswe- zu erfi nden. Ein vielsinniges Weltgefühl eigens entworfenen Wohn- und Atelier- besuchten Orte an der französischen »Blauen Reiter« genossen unmittelbar de in die UdSSR. leitete sie. haus, das sie Seebüll nannten, schufen Côte d’Azur aus: Bilder der Sehnsucht, vor dem Ersten Weltkrieg das Landle- Schwerwiegender waren die poli- sich die Noldes ihr eigenes Reich. Aber indes nicht nach Heimat, sondern nach ben und pfl egten gern ein zwangloses tisch erzwungenen Ortswechsel, Exil Uwe M. Schneede leitete  bis  als er bald darauf von seinem Anwe- Zeiten der Freiheit. Dasein, jedoch bewusst in der Nähe der und Emigration während des National- die Hamburger Kunsthalle sen aus einen benachbarten Hof, den »Hülltoft Hof«, malte, war nichts hei- misch oder gar heimelig. Das Bild wird bestimmt von einem gewaltigen, düste- ren, Unwetter ankündigenden Himmel, dem der nun winzig wirkende Hof mit seinen weißen Scheunentoren völlig ausgesetzt scheint. Das Unheimliche stülpt sich über die Nachbarschaft. Nichts, aber auch gar nichts erinnert an das Wohlgefühl, das man mit der Vorstellung von Heimat verbindet. Bei Nolde nicht, nicht bei van Gogh und auch nicht bei Friedrich. Im . Jahrhundert hatte man in der Malerei eine eigene Gattung entwi- ckelt, die dem gängigen Heimatbegriff unmittelbar zu entsprechen schien: die Idylle. Die Idylle zeigte bei Ludwig Richter oder Moritz von Schwind das Glück in der Beschränkung auf Familie, das eigene Heim und die Tradition. Ein begrenzter Ausschnitt aus der Wirklich- keit wurde verklärt. Dagegen traten die Neuerer an. Sie verwarfen solche Denkschemata, über- haupt alles Wohlbekannte – und zu- gleich auch noch die herkömmlichen Bildmittel. Alles wollte auf unterschied- lichste Weisen neu erdacht und ermalt werden. Gemütlichkeit war gestern. Ungemütlich sollte die Kunst sein, bei den erregbaren Expressionisten, bei den tabubrechenden Dadaisten wie bei den zeitkritischen Veristen. So zog in die moderne deutsche Malerei mit Motiven aus heimischer

Umgebung das Bedrohliche ein. Man ALLIANCE PICTURE FOTO: denke nur an die Weltuntergänge von Federico Fellinis »Amarcord« gilt als stimmiges Sittengemälde des Vorkriegs-Italien der er Jahre – besonders weil die Grenzen Realität, Erinnerung und Erfi n- Ludwig Meidner oder die im eigenen dung fl ießend sind Politik & Kultur | Nr. /  | März  HEIMAT  KUNST 17

Es sind immer Raum und Zeit Edgar Reitz über seine Verbindung, wie an einem Ort mitein- vor Augen zu haben, mit dem ich sucht ist ein mit romantischen Vor- Als Sie mit der Arbeit an der Hei- Trilogie »Heimat« ander gewesen zu sein. freier umgehen kann. Ich habe meine stellungen erfülltes deutsches Wort. mat-Trilogie begannen, war das persönlichen Erinnerungen und Er- Auch nicht so leicht zu übersetzen in ein gesellschaftlicher Aufbruch. Ist für Sie »Heimat« ein Erlebnis- fahrungen verwurstet, wie es mir in andere Sprachen. Es gibt dazu kaum Bis dahin herrschte ein zum Teil Die Filmreihe »Heimat« hat Filmge- und Erfahrungszusammenhang im den Kram passte, um die Geschichte Analogien. revanchistischer, reaktionärer, schichte geschrieben und Edgar Reitz Menschen – mehr geistige Dimen- zu entwickeln. Bei alledem werde ich verlustbesetzter Heimatbegriff vor. hat mit ihr den deutschen Heimatfi lm sion als materielle Verortung? mit meinem kleinen Schabbach-Uni- Menschen verlassen endgültig die Wie nehmen Sie es wahr, dass in maßgeblich geprägt. Doch was bedeu- Dahinter steht ein ganz anderer Be- versum zum Abbild der Geschichte alte Heimat, man kommt nicht der jüngeren Vergangenheit im Zu- tet Heimat über die fi lmische Ausei- griff , oder sagen wir, eine Erfahrung. oder der Realität des Lebens, weil wir so eben mal von Brasilien zurück. sammenhang mit Globalisierung nandersetzung hinaus für ihn? Hans Da geht es um die Frage der Zugehö- den gleichen Gesetzen unterliegen Sie haben festgestellt, dass in der und Migration wieder eine Hei- Jessen hat nachgefragt. rigkeit zu anderen, nicht nur Perso- wie das Leben selbst. Wir müssen uns Distanz sich die alte Heimat in ge- matdebatte einsetzt, die zum Teil nen, sondern auch Lebensverhältnis- verteidigen, wir müssen uns Raum wisser Weise zu einer geronnenen sehr aggressiv und angstbesetzt Hans Jessen: Herr Reitz,  kam sen, Orten und konkreten Dingen wie schaff en, wir müssen überleben, wir Vorstellung verfestigt. geführt wird? der erste Teil Ihrer Trilogie »Hei- Familie und Haus. Sich dazugehörig müssen sehen, dass wir durchkom- Das verband mich mit diesen Brasili- Das ist ein Abgrenzungsbedürfnis. mat« in die Kinos und Fernsehge- zu fühlen erzeugt ein Basisgefühl men, wir müssen mit Widersprüchen anern. Auch ich hatte eine geronnene Dieses Abschottungsbedürfnis ist räte. Kurz zuvor hatte der dama- der Sicherheit oder Geborgenheit. leben … So entsteht ein lebendiger Vorstellung. Den Hunsrück, aus dem eine Mischung aus Angst und Un- lige Bundeskanzler Helmut Kohl Genauer, ein Gefühl der Erinnerung Filz. Das war bis zum Ende der Pro- ich komme, gibt es nicht. Das war im- wissenheit. Aber wer sich mit Heimat gesagt: »Heimat ist der Ort oder an Ähnliches, aber auch der immer zess. mer wieder meine schmerzhafte Er- beschäftigt, darf keine Angst haben. das Land, wo man geboren und Heimat ist kein Ort des Besitzes und aufgewachsen ist … Dazu gehört der Zufl ucht. Heimat ist immer etwas, die Bindung an Werte und die ur- was wir verlieren. Als Kindheitserfah- tümlichen Lebensformen unserer rung verlieren wir es dadurch, dass Heimat.« Heimat wäre demnach wir erwachsen werden, dass wir den vor allem ein geografi scher Ort, Horizont ausweiten und mit jedem und/oder ein Ort normativer Set- Hinzugewinn an Wissen und Handeln zung. Stimmen Sie damit überein? über den Rahmen, den wir schon Edgar Reitz: Was er sagte, ist nicht kennen, hinausgehen. Irgendwann falsch. Obwohl bei einem Politiker sind wir nicht mehr die Bewohner immer eine politische Haltung und unserer ursprünglichen Heimat, son- bestimmte Moral mitschwingt. Wenn dern wir sind hinausgewachsen oder ich von Heimat spreche, habe ich in hinausgegangen. Was da bleibt, ist dem Zusammenhang keine morali- Erinnerung. Und was in der Erinne- schen Vorstellungen, sondern meine rung bleibt, sind diese sehr schwer etwas ganz Reales, Konkretes. Etwas, benennbaren Empfi ndungen, die ich was man erlebt und erfährt. Meine versucht habe als eine emotionale wichtigste Erfahrung mit dem Leben Hintergrundfl äche zu beschreiben. ist, dass wir den Ort, an dem wir gebo- Wenn wir uns diesem Sehnsuchtsge- ren werden und den Horizont unserer bilde »Heimat« wieder nähern wollen, Kindheit weder örtlich noch zeitlich machen wir die Erfahrung, dass es selbst bestimmen können. D. h., im diese Heimat konkret und real nicht Heimatbegriff ist zunächst einmal mehr gibt. Sie ist immer ein Teil der keine Freiheit enthalten. Heimat ist Erinnerung, aber niemals so, wie wir eine Haut, ein Gehäuse. Die Freiheit sie suchen, konkret vorhanden. Was besteht immer darin, sich aus dieser in vieler Hinsicht Gründe hat. Es Haut hinauszubegeben und dieses muss auch so sein. Wir würden ja al-

kleine Universum, das wir sozusagen DPA FOTO: len, die uns nicht auf dem Lebensweg von Geburt an wie einen Uterus mit- »Die andere Heimat« ist Edgars Reitz‘ letzter Heimatfi lm. Er zeichnet die Schabbacher Familiengeschichte in Cinema- begleiten, jegliche Entwicklung ver- bringen, zu verlassen. Wir müssen scope und Schwarz-Weiß bieten, wenn wir von ihnen verlangen, eine Distanz entwickeln, aus der he- dass ich mich ändere, die aber nicht. raus wir entscheiden können, ob wir wiederkehrenden Angst, diese Zuge- Nachdem Sie in drei großen Film- fahrung, selbst bei dieser innigen Be- Selbst die Mutter, selbst die nächsten die Verhältnisse so lassen oder nicht, hörigkeit zu verlieren, also Verlust folgen das . Jahrhundert in rührung, mit einem Riesen-Filmteam Angehörigen haben eine eigene Le- ob wir uns fügen oder nicht fügen der Geborgenheit. unterschiedlicher Chronologie dort anzukommen und zu sagen: Ich bensgeschichte und sind nicht mehr in die Traditionen und Verhältnisse. durchmessen hatten, kam  der erzähle euch eure eigene Geschichte, genau gleich. Die Emotionen können Heimat war immer eine Haut, aus der Heimat ist ohne den Begriff des Film »Die andere Heimat«. Sie grei- indem ich meine Geschichte erzähle das sehr fein unterscheiden, was sich ich ausbreche. Verlustes nicht vorstellbar? fen weiter zurück in die Geschichte, und bin somit einer von euch. Und verändert, und bekommen ein Gefühl Nicht vorstellbar, weil es uns immer- ins . Jahrhundert, als Hunsrücker doch war ich keiner von ihnen. Ich der Fremdheit. Bei jedem Versuch der Hat Ihr Heimatverständnis auch zu in dieser Form begegnet. Sobald in erheblicher Zahl nach Brasilien erzählte ihnen auch nicht ihre eigene Heimkehr wird Fremdheit erfahren. mit Zeit zu tun? Alle drei Teile wir Heimat denken, denken wir an auswanderten. Ist dieser Stoff ver- Geschichte. Sie haben die Geschichte Deswegen sage ich, es gehört Mut der fi lmischen Trilogie heißen Verletzungen, Abschiednehmen, Ver- woben mit dem Heimatbegriff der des Films, als er Erfolg hatte, gern mit dazu, denn das tut weh. »Chronik«: »Heimat – Eine deut- luste von bestimmten emotionalen ersten drei Folgen? ihrer eigenen Geschichte verwechselt. sche Chronik«, »Die zweite Heimat Brennpunkten usw. Heimat ist ein Die Erinnerung an diese große Aus- Aber Heimkehr in diesem Sinne gibt Ist unter den Bedingungen einer – Chronik einer Jugend«, »Heimat Schlachtfeld der Gefühle. wanderungswelle lebte im Hunsrück es nicht. fortschreitenden Globalisierung Drei – Chronik einer Zeitenwende«. schon immer. Mir war als Kind be- und Allgegenwärtigkeit von Kom- Chronik ist ein Zeitbegriff . Die erste Heimat-Staff el ab  kannt, dass es in der eigenen Familie Wie geht das zusammen, alte und munikationsmöglichkeiten, Hei- Es sind immer Raum und Zeit. Sie führte zu einem völlig unvorher- solche Auswanderer gegeben hat, mit neue Heimat? Kann man mehrere mat in dem Sinn, wie wir sie noch kommen getrennt voneinander nicht gesehenen und unvorhersehbaren denen zum Teil auch nach mehreren Heimaten gleichzeitig in sich tra- kennengelernt haben, zukünftig vor. Wir haben ein Bild vor Augen, Erfolg. In Deutschland sahen  Generationen noch Kontakte be- gen? möglich? Oder ist ein ganz anderer das ist z. B. Landschaft, das Gesicht Millionen Zuschauer jede Folge, standen. Diese Geschichte steckte in »Zweite Heimat« ist der Begriff , den Heimatbegriff möglich? Heimat als der Mutter, ein Haus, ein familiäres Übersetzungen in über  Spra- mir. Und während der Dreharbeiten ich über die zweite große Staff el Ort im Internet, in Social Media? Umfeld usw. Alles Ortswahrnehmung chen. Wieso stößt Schabbach, ein von »Heimat Eins« tauchten ganz gesetzt habe. Das ist die Zugehörig- Das bezweifl e ich. Ziemlich vage kann – aber überhaupt nicht trennbar von fi ktives Dorf im Hunsrück, welt- gegen Ende, bei den Dreharbeiten der keit, die wir selbst wählen. Zu Beginn ich mir vorstellen, dass die Mensch- unserer Zeitwahrnehmung. Es ist von weit auf solche Resonanz? Was Schlussepisode, zwei Brasilianer im dieser Geschichte sagt Hermann heit ein Heimatgefühl zu ihrem Pla- Anfang an unverwechselbar, wie die haben Sie da angetippt? Dorf auf. Sie waren auf der Durchreise. Simon: »Man wird zweimal geboren. neten entwickelt. Wenn man von der Dinge nacheinander und auch zeit- Das war für mich zunächst auch völ- Ich fand es erstaunlich, dass die sofort Das erste Mal aus seiner Mutter, und Raumstation ISS aus dem Orbit her- gleich mit anderen sind. Allein schon lig rätselhaft. Ich hätte diesen Film anfi ngen, die Steine des Mauerwerks da kann man nichts dran ändern. Das aus Bilder und Nachrichten bekommt die Abwesenheit des Vaters in einer so gar nicht machen können, wenn zu untersuchen und sich die Frage zu zweite Mal aus einem eigenen Kopf.« oder unser deutsche Astronaut Alex- bestimmten Zeit: Bei uns waren die ich das geahnt hätte. Ist dieses Ver- stellen: Was sind Schiefersteine? Das Die Heimat, die wir uns da schaff en, ander Gerst mitteilt: »Die Dürre über Väter während des Krieges abwesend, hältnis zwischen Geschichte und ist das Wort, was der Opa in Brasilien setzt sich aus immer mehr Einzel- Norddeutschland ist erschreckend, da ist das Gesicht des Vaters verbun- Ort eine universell-menschliche immer gesagt hat, aber in Brasilien heiten und Zugehörigkeiten, auch von hier oben aus gesehen«, bekom- den mit der Erinnerung an die Zeit vor Sicht oder Erfahrung? Dieser Frage gab es keine Schiefersteine. Das wa- Widersprüchlichkeiten zusammen zu me ich ein planetarisches Gefühl. Die dem Krieg. Das Vatergesicht ist das hätte ich mich nicht gewachsen ren persönliche Erinnerungen. etwas, was wir letztendlich unsere Entfernungen schrumpfen zusammen. Friedensgesicht. Als Krieg gibt es nur gefühlt. So war ich in meinen Erzäh- In der Zeit nach den drei großen Biografi e nennen. Diese Heimat ist Das Ding rast in anderthalb Stunden die Mutter, die am Krieg nicht teil- lungen ganz ungehemmt in der Lage, Filmblöcken hatte ich das Gefühl, etwas wesentlich anderes als die einmal rundum. Da ist es so weit wie nimmt, sondern sich ums Überleben meine persönlichen inneren Bilder diese Geschichte bedarf noch einer erste, nicht gewählte Herkunfts- von Schabbach nach Simmern, einmal kümmern muss. Sehr merkwürdige zu verarbeiten, meine Erfahrungen Erzählung. Ich fragte mich: Was ist heimat. Aber die Sehnsucht stammt um die Welt. Es wäre ein Traum, dass Erfahrung. aufzugreifen und Familiengeschichte der tiefste Grund für diese Auswan- aus der ersten. Die Sehnsucht nach die Menschheit sich als Bewohner des in gewissen Verwandlungen einfach derungswelle? Warum wollten die unaussprechlichen, ich würde sagen, Planeten fühlt und eine Heimatliebe Eine Heimaterinnerung, die in einzubringen. Ich fühlte mich frei in alle weg aus der Heimat? Wo ich doch kindlichen, zumindest in einer ge- zu diesem blauen schönen Planeten Kriegszeiten wurzelt, ist eine an- der Fiktion. Ich konnte bei der Ent- auch weg wollte aus der Heimat – auf wissen Weise unschuldigen, frühen entwickelt. dere? wicklung der Charaktere hemmungs- eine ganz andere Weise. Erfahrungen, die mit dem Gefühl der Sie ist eine vollkommen andere als los herumspielen. Leute, an die ich Grenzenlosigkeit und Geborgenheit Vielen Dank. die in sogenannten Friedenszeiten. mich aus der Kindheit erinnere, habe Sie sind als junger Mensch nach verbunden sind. Auch wenn wir ins Ich denke, es gibt eine Art Zeitheimat, ich zum Teil einer »Geschlechtsum- München gegangen. Neue aufbrechen. Da bleibt immer Edgar Reitz ist Autor und Filmregisseur. durch die Zeitgenossenschaft. Eine wandlung« unterzogen. Aus einem Da kam ich auf den Begriff der Sehn- diese assoziative Verbindung mit Hans Jessen ist freier Journalist und bestimmte Zeit miteinander erlebt Onkel wurde eine Tante, um ihn sucht. Deswegen heißt es ja auch einem unbewussten früh gemachten ehemaliger ARD-Hauptstadt- zu haben erzeugt eine ebenso starke mir fremd zu machen, um ein Bild »Chronik einer Sehnsucht«. Sehn- Erfahrungshintergrund. korrespondent 18 HEIMAT  KUNST www.politikundkultur.net

Braunschweich, Braunschweich Musikalische che nicht mehr ins ganz große Klar. Braunschweig ist in den befreit und in verjazzter Versi- oder »alte« Braunschweiger? sind. Dann ist das ein Moment, Heimatpfl ege Tonstudio nach Berlin oder Jahren des Kalten Krieges in on gespielt. Das ist eine Art zu Wenn ich zurückdenke, in an dem man Menschen zum Hamburg. Inzwischen kann eine Art Niemandsland, Zo- zeigen: Ich liebe meine Heimat meiner Kindheit und Jugend Nachdenken bringt – und zwar ich aus meinem Home-Studio nenrandgebiet, wie es hieß, ab- und ich liebe meine Heimat- hing in vielen Fenstern ein jedermann, auch den Typen im Gabriele Schulz spricht mit alles machen. Und ich hatte gerutscht. Daraus, zusammen stadt. Ich liebe die Schrullig- Glasbild von Königsberg Eintracht-Schal, der ansonsten dem Musiker und Komponisten immer schon eine große Liebe mit einer schlimm zerstörten keiten, den Lokalkolorit und oder anderen Städten. Viele nicht off en für solche Themen Christian Eitner über das Bepin- zu Braunschweig, habe mich Altstadt und dem ewigen Zwist auch die alten Lieder. Das ist hatten Verwandte z. B. in ist. Und diesen Kontakt bekom- seln der Heimatseele, Alleinstel- hier immer wohlgefühlt, war mit Hannover, entstand ein mir wichtig, gerade mit Blick Magdeburg. Sind das inzwi- me ich in einem Theaterstück lungsmerkmale und Musiker als immer schon großer Fan von Komplex. Das ist ein guter auf die vermeintlich großen schen auch Braunschweiger? gut hin, wenn ich die Leute ein Botschafter. Eintracht Braunschweig und Nährboden, aber auch eine Themen wie Digitalisierung Ich teile Ihre Beschreibung Stück weit »weichkoche« oder vom Theater. Außerdem habe Herausforderung, hier Theater oder Globalisierung. und ich denke, viele, die durch die Stadtgeschichte vor- Gabriele Schulz: Herr Eitner, ich gesehen, dass es ein Vorteil zu spielen und die regionalen durch Krieg und Vertreibung bereite. Wenn ich es vorbereite wie kommt man eigentlich ist, dieses Netzwerk in einer Aspekte mit einzubringen. Ich Typisch für Braunschweig in Braunschweig gelandet und dem Publikum so erkläre, als Musiker dazu, sich mit Stadt mittlerer Größe nutzen merke, dass das Publikum das ist auch die Sprache, wie z. B. sind, sind inzwischen genauso wie facettenreich, wie bunt un- seiner Heimatstadt Braun- zu können. Die Wege sind klein, wirklich aufsaugt und irgend- der alles dominierende Vo- Braunschweiger wie jene, die sere Stadt ist und wie schön es schweig zu befassen? man kennt sich. wie Identität sucht. In meinen kal »A«. Das greifen Sie auch nach  hierher zogen, oder ist, dass es eben diese Facetten Christian Eitner: Zum einen Augen ist es eine Riesenchance in Stücken auf. Ist das auch die vielen Menschen, die seit gibt, daraus entstehen starke ist mein Vater so ein richtig Und wie ging es dann mit für Kulturschaff ende, genau eine Art Heimatpfl ege? den er Jahren als Arbeits- Momente. Und ich glaube waschechter Braunschweiger dem Theater los? diese Sehnsüchte zu bedienen, Absolut. Das gilt für Worte, wie migranten kamen. Daraus ent- schon, dass Pop-, Jazz-, Rock- gewesen, der in der Klinter- Der Anfang war  »Braun- oder, wenn man in dieser Stadt z. B. »gatschen« für regnen, stehen interessante Diskussio- künstler tolle Multiplikatoren klater-Gegend groß geworden schweich, Braunschweich! Ein groß geworden ist, die Seele aber auch für die Aussprache, nen, gerade auch mit Blick auf und Partner für all diese wich- ist. Für Nicht-Braunschweiger: Heimatabend mit der Jazz- ein Stück weit zu bepinseln, wie das von Ihnen erwähnte das Flüchtlingsthema. tigen Themen sind, ob es jetzt Unter Klinterklater wurden kantine«, eine Zusammenar- aber auch alte Lieder, alte Tex- »A«, das andere Vokale ersetzt. ein Live-Aid-Konzert ist oder insbesondere im . Jahrhun- beit der Jazzkantine mit dem te rauszukramen und damit Ich spüre das besonders in der Bei Stücken wie »Spiel mir Rock gegen rechte Gewalt. dert jene Wohngegenden be- Staatstheater Braunschweig. eine Art musikalische Heimat- Rolle der Harfen-Agnes, einer das Lied vom Löwen« oder zeichnet, in denen Arme lebten. Wir haben »Braunschweich, pfl ege zu machen. Bänkelsängerin, die als Braun- auch »Winterklater« spre- Sie hatten eingangs unter Von daher habe ich sehr viel Braunschweich!« als Heimat- schweiger Original gilt. Har- chen Sie gesellschaftliche anderem gesagt, dass Braun- Braunschweigisches mitbe- Musical auf die Bühne gebracht Wie kann ich mir die musi- fen-Agnes trat in einem immer Themen wie z. B. Migration, schweig als Großstadt den- kommen. Gleichzeitig bin ich und hatten einen tollen Erfolg. kalische Heimatpfl ege vor- gleichen »Kostüm« bei Volks- Flucht und Vertreibung an. noch eine gewisse Übersicht- einer derer gewesen, die nicht Das war für uns der Moment, stellen? Wie kommen Sie an festen auf und trug ihre selbst Sind diese Stücke eine Chan- lichkeit hat, sodass man sich unbedingt wegwollten aus der an dem wir gemerkt haben: die Melodien? gedichteten, teils frivolen ce, an ein breites Publikum immer wieder über den Weg Heimat. Also, als Musiker nach Boah, das ist ja ein Thema, Es gibt aus den er und Lieder vor. Im Stück »Mensch gesellschaftspolitische Bot- läuft. Ist dies ein Vorteil von Berlin, Köln, München, wo die was die Stadt anscheinend er Jahren durchaus ein Agnes!«, das im Staatstheater schaften zu adressieren? der Heimat Braunschweig? großen Medien oder die Plat- sehr, sehr interessiert. In den paar alte Schallplatten. Man- gespielt wurde, haben wir Klar. Wenn ich bei »Spiel Ja, das fi nde ich schon. Es ist tenfi rmen sind. Ich war zwar Jahren ist es mehr und mehr ches gibt es notiert im Staats- aber zugleich thematisiert, mir das Lied vom Löwen«, eine Stadt in einer Größenord- als Musiker mit einem Elekt- gewachsen. Denn wir haben theater- oder im Stadtarchiv. dass Harfen-Agnes im Zuge das in zwei Jahren . nung, in der einem in einschlä- ronikprojekt viel in den USA zunehmend gemerkt, dass das Ansonsten fahre ich zum der Euthanasie während des Zuschauer hatte, von Wirt- gigen Kneipen, Gaststätten, auf Tour, war im Studio und eine Marktlücke ist, die ein Heimatverein, z. B. nach Ölper, Nationalsozialismus nach Kö- schaftsfl üchtlingen spreche, Diskos, Theatern und Kinos hatte einen Achtungserfolg. Staatstheater so nicht bedie- oder ich gehe in einen Alten- nigslutter zwangseingewiesen die Braunschweig verlassen eine Schnittmenge an Leuten Dann war ich in Deutschland nen kann. Damit sind wir quasi stift mit einem Diktiergerät wurde und dort noch vor der haben, um in den USA Jobs immer wieder über den Weg mit der Jazzkantine unterwegs. Spezialisten im Regionalthea- und frage nach, was es für Lie- Deportation verstarb. Heimat zu suchen, dann entsteht bei läuft und dann gemeinsam was Mir reichte irgendwann das ter geworden. der gibt. Wenn wir die Lieder kann also auch alles andere als vielen ein Aha-Erlebnis. Oder auf die Beine stellt. Ich habe Unterwegssein. Ich brauchte spielen, spüre ich, wie ange- eine heile Welt sein. wenn ich feststelle, dass nach das immer als sehr angenehm die kontinuierliche räumliche Wenn Sie auf die Stadt gu- rührt das Publikum ist. Daraus dem Zweiten Weltkrieg nicht empfunden. Es ist auch eine Veränderung nicht mehr. Mit cken, stellen Sie eine Verän- entsteht ein emotionales Hin Braunschweig ist eine Stadt, eine Million Flüchtlinge in Stadt, die ihre Wunden hat. der Jazzkantine wurde mir klar, derung durch die Wiederver- und Her. Mit der Jazzkantine die sehr stark durch Flucht Deutschland Zufl ucht gesucht Wenn man das kapiert, wird dass man durchaus auch aus einigung fest? Braunschweig haben wir eine ganze CD über und Vertreibung gekenn- haben, sondern es zwölf Mil- dies ein Nährboden für viele der Region heraus erfolgreich war lange Zeit letzte Groß- Volkslieder gemacht. Wir ha- zeichnet ist. Wer ist denn lionen Gefl üchtete waren und Themen, die gesellschaftlich Musik machen kann. Ich brau- stadt vor der Grenze. ben sie vom Nazi-Missbrauch überhaupt der »richtige« viele in Braunschweig gelandet relevant sind und zugleich an der Lebensrealität der Menschen anknüpfen. Schon mit der Jazzkantine haben wir nach etwas Besonderem gesucht, einem Zwischending zwischen Jazz, Hip-Hop und deutschen Texten. Was die Stücke angeht, gibt es nicht so viele, die etwas Vergleichba- res hier in der Stadt machen. Das betriff t das musikalische Niveau, das »Surrounding«, die Stücke und dann die In- teraktion, wie Außenszenen bei »Spiel mir das Lied vom Löwen« oder im Wintertheater die Verpfl egung mit Brot und Wurst oder Braunkohl und Bre- genwurst. Das ist sehr aufwen- dig, oft sehr nervenraubend und auch teuer, aber gleichzei- tig bietet es einen besonderen Mehrwert. Wir versuchen, For- mate zu erfi nden, die Allein- stellungsmerkmale haben.

Dem kann ich nur zustim- men. Herzlichen Dank für das Gespräch.

Christian Eitner ist Musiker, Komponist, Musikproduzent und Künstlerischer Leiter von »Pop meets Classic« sowie der Produktionsfi rma monofon, die für das Wintertheater im Spiegelzelt sowie diverse Theaterproduktionen in den Sommermonaten in Braun- schweig verantwortlich ist. Im Juni  hat die Neuprodukti- on »Hyper Hyper« im Staats- theater Braunschweig Premiere. Gabriele Schulz ist Stellvertre-

FOTO: PICTURE ALLIANCE / EVERETT COLLECTION EVERETT / ALLIANCE PICTURE FOTO: tende Geschäftsführerin des »Eine Schwalbe macht den Sommer« ist nicht nur ein französischer Heimatfi lm, sondern auch ein Gesellschaftsdrama, das das Miteinander von Generationen, Kollegialität Deutschen Kulturrates. Beide und Zusammenhalt thematisiert sind Braunschweiger Politik & Kultur | Nr. /  | März  HEIMAT  KUNST 19

licher Veränderungen aktuell erscheinen lassen: Ein Zugriff auf »das Ganze« ist uns Bilder und Geschichten aus verwehrt, aber der Heimatfi lm kann Denk- weisen, sozialen Wandel und Auswirkun- gen politischer Entscheidungen in einem konkreten Erfahrungsraum präsentieren, der Provinz kann zeigen, wie Bewohner eines Ortes Arbeitslosigkeit, Flüchtlingsproblematik, Der Heimatfi lm Diversität oder technische Veränderungen erleben und verstehen. Aufgrund seiner JÜRGEN HEIZMANN derungen entstand eine zum Teil durch geschnitzter und gemalter Volkskunst in Der prototypi- geringeren Dichte semantischer Elemente die Romantik inspirierte Literatur, die den Breisgau kommen, um den Schauplatz ist das provinzielle Setting dafür besser ilme sind massenwirksame kul- Heimat als Schutzraum zelebrierte und folkloristisch herauszuputzen, die ewig sche Heimat- geeignet als das urbane, die Grenzlinien turelle Produkte, die unsere sie gegen die Bedrohungen durch Technik blühenden touristenfreundlichen Berg- fi lm ist im länd- zwischen Tradiertem und Neuem, Eige- Vorstellungen von der Welt, von und Industrie verteidigte. Der Gegensatz und Heidelandschaften entstanden alle lichen Raum nem und Fremdem, Integration und Aus- F Gemeinschaft und Identität be- vom gesunden, »echten«, auf Traditionen am Schneidetisch und leuchteten nur des- angesiedelt und schluss können im ländlichen Kontext viel einfl ussen. Sie greifen Diskurse des po- fußenden Leben auf dem Land und der halb in so herrlichen Farben, weil sie mit deutlicher hervortreten. litischen und gesellschaftlichen Lebens krankhaften, verderbten und wurzellosen der neuesten Technik von Agfacolor ge- eines seiner Reitz’ Chronik hatte internationale auf und prägen diese zugleich. In diesem Existenz in den Städten wurde zu einer fi lmt wurden. Sicher: Wer nicht entwurzelt grundlegenden Wirkung, so wurde die  angelaufene Sinn haben Heimatfi lme, neben anderen wichtigen Konstellation in der deutschen wurde, ermisst nicht, was Heimat bedeu- Themen ist der Serie »The Village« von der BBC als Groß- Medien, maßgeblichen Anteil daran, mit Kulturgeschichte, die auch den Heimat- tet. Dieser Satz, ausgesprochen in »Grün Konfl ikt zwi- britanniens Antwort auf »Heimat« ange- welchen Bildern, Stimmungen und Fan- fi lm bestimmte. Dessen Programm war, ist die Heide«, fängt ein Stück Wirklichkeit kündigt. Auch außerhalb des deutschspra- tasien das so komplexe Wort Heimat ver- kurz gesagt, Eskapismus vor der Moder- ein, hatte doch jeder fünfte Deutsche da- schen Tradition chigen Kulturraums gab und gibt es Filme, bunden wird. Begreift man Filmgenres als ne. Wenig verwunderlich, dass die Nati- mals einen Migrationshintergrund und und Moderne die – mal im Gewand der Komödie oder der säkulare Mythen, die Erklärungsmuster onalsozialisten sich dieses Filmgenre für musste seinen Platz im geschrumpften Va- Coming-of-Age-Story, mal in jenem des Sozialdramas oder der Satire – Themen und Anliegen des Heimatfi lms aufgreifen. Das amerikanische »small town cinema«, das »prairie cinema« und schon der Wes- tern; der schwedische »Landsbygdsfi lm«; das französische »cinéma rurale«, das »ci- néma paysan« und, modernste Variante, das »cinéma du métissage«: Sie alle sind mit dem Heimatfi lm vergleichbar, die- nen wie dieser der Mythenbildung und der Konstruktion von Gemeinschaften. So stellt der Gegensatz von Natur und Zivili- sation eine Konstante im amerikanischen Selbstverständnis dar. Hollywood feierte in vielen Filmen die Tugenden des einfa- chen Lebens in der Provinz und zeichne- te die Stadt als Sündenbabel. Während der Agrarkrise in den er Jahren, als im Mittleren Westen jede zehnte Farm Bankrott ging, ergriff en mehrere Filme Partei für die Farmer und präsentierten die Arbeit auf dem Land als den wahren »American way of life«, gleichbedeutend mit Freiheit und Unabhängigkeit. Dieser amerikanische Traum wird nun nicht mehr von den Gefahren der Wildnis bedroht, sondern von Banken und Staatsbeamten. Die Farm als Herz der Demokratie: Mit der Realität hatte das kaum noch etwas zu tun, der immense Reichtum der USA kam aus den Städten, die Filme repräsentierten nur den Traum einer längst verlorenen Unschuld. Auch das französische Kino kennt Sublimation dieser Form. Der Er- folg von Dany Boons »Bienvenue chez les Ch’tis« hat auch damit zu tun, dass hier eine von der Globalisierung unberührte, simple, aber sympathische Region mit kauzigem Dialekt und merkwürdigen lo-

FOTO: PICTURE ALLIANCE / KEYSTONE / ALLIANCE PICTURE FOTO: kalen Bräuchen präsentiert wurde, in der »Grün ist die Heide« von  gilt als Inbegriff des Heimatfi lms und ist mit geschätzten  Millionen Zuschauern einer der erfolg- es weder Wirtschaftskrisen noch Integra- reichsten deutschen Kinofi lme tionsprobleme gibt. In einer Zeit, in der sich alle Orte im- für eine widersprüchliche Wirklichkeit ihre Blut-und-Boden-Ideologie zunutze terland fi nden. Doch kam Zeitgeschichte mer mehr gleichen und sich die Kultur bereithalten, kann man dem Heimatfi lm machten. auf solche Weise momenthaft in den Blick, zusehends entmaterialisiert, scheint die bescheinigen, dass er Einblick in die See- Der Heimatfilm der Adenauerzeit gab es immer nur Opfer, niemals Täter. Die Sehnsucht nach Dialekt, regionalem Ei- lenlage einer Gemeinschaft gewährt und knüpfte nahtlos an die Tradition der Vor- traditionellen Heimatfi lme waren Flucht gensinn und Überschaubarkeit zu wach- dieser ein Narrativ über ihr Woher und ihr kriegszeit an, nur ging es jetzt um den vor jeder Realität und geschichtlichen sen. Der heutige Heimatfi lm ist, wie der Wohin, über ihre Anliegen, Ängste und reibungslosen Aufbau der Bundesrepu- Verantwortung, waren Regression in eine Engel Benjamins, oft einer Vergangen- Hoff nungen bietet. blik. Das Genre erreichte in dieser Zeit kindliche Traumwelt und zugleich Ersatz heit zugewandt, die längst in Trümmer Schon in der Frühzeit des Kinos gab seine größte Popularität, rund  Filme für den schwer beschädigten National- zerfallen ist. Doch vermag er manchmal, es Heimatfi lme. Sie gingen hervor aus wurden in den er Jahren produziert, stolz, der durch das Unheil, das man selbst aktuelle Lebenswirklichkeit auf die Lein- Volksfilmen, Adaptionen der Dorfge- und ein Millionenpublikum ließ sich von in die Welt gebracht hatte, obendrein zum wand zu bringen wie »Normandie nue«, schichten von Ludwig Anzengruber und ihnen zu Tränen rühren. Es gab in diesen Tabu geworden war. der die Nöte von Bauern angesichts der Ludwig Ganghofer, sowie aus Bergfi lmen, Filmen keine zerstörten Städte, keine Erst der kritische Heimatfi lm der spä- EU-Agrarpolitik und der Dumpingpreise die durch spektakuläre Naturaufnahmen Kriegsschuld, keinen Zivilisationsbruch, ten er und er Jahre, die sechstei- deutscher und rumänischer Fleischgroß- des Regisseurs Arnold Fanck und die bald Heimat wurde als paradiesischer Ort prä- lige österreichische Fernsehserie »Alpen- händler zum Ausgangspunkt nimmt. Oder legendären Darsteller Leni Riefenstahl sentiert, wo Politik und soziale Probleme saga« und schließlich die elfteilige Chro- der in einem schwäbischen Dorf ange- und Luis Trenker zu besonderer Popula- unbekannt waren und wo sich das Wirt- nik »Heimat« des Regisseurs Edgar Reitz siedelte Film »Landrauschen«, der zeigt: rität gelangten. Dieser Herkunft verdankt schaftswunder ganz ohne Fabrikschlote fanden den Weg zur sozialen, politischen Die eigene Kultur ist selbst heterogen, die sich der Umstand, dass der prototypische vollzog, da kam neben Pferdedroschken, und historischen Realität, von denen die Jugendlichen sprechen zwar Dialekt und Heimatfi lm im ländlichen Raum angesie- Kirchen und Trachtenumzügen allenfalls Vorläufer nichts hatten wissen wollen. Sie engagieren sich in Vereinen, doch sie su- delt und der Konfl ikt zwischen Tradition einmal eine Benzinzapfsäule ins Bild, so befreiten die Darstellung des Landlebens chen andere Lebensformen als die Eltern. und Moderne eines seiner grundlegenden sanft wurde den Zuschauern der Übergang von den bisher geltenden Klischees und Wenn von den somalischen Flüchtlingen Themen ist. Denn die Industrialisierung, in die freie Marktwirtschaft präsentiert. Es setzten den Topos der unschuldigen Natur am Ort gefordert wird, sich anzupassen, die im . Jahrhundert in Deutschland wirft ein bedenkliches Licht auf deutsche nicht länger ein, um die darin lebenden fragt sich, an wen? An welche Werte? Dies mit Verspätung, aber dann mit Rasanz Mentalität, dass diese Filme noch heute Menschen zu entlasten. Reitz’ Epos ist könnte Thema zukünftiger Heimatfi lme einsetzte, hatte enorme Umwälzungen von den Fernsehanstalten ausgestrahlt Ortsgeschichte im emphatischen Sinn, im sein. zur Folge: Wachsende Städte, Fabriken werden und sich großer Beliebtheit er- Mikrokosmos eines Dorfes spiegelt sich und Eisenbahntrassen vernichteten länd- freuen, denn sie sind, wie jede Volksmu- die Geschichte Deutschlands von  Jürgen Heizmann ist Professor für lichen Raum. Hinzu kam eine neue ge- siksendung, nicht nur erzreaktionär, son- bis . Dabei zeigt sich eine der Mög- Literatur- und Filmwissenschaft an der sellschaftliche Mobilität: Auf der Suche dern täuschen auch eine Wirklichkeit vor, lichkeiten und Stärken des Heimatfi lms, Univer sité de Montréal und war  nach Arbeit verließen mehr und mehr die es so nie gegeben hat. So ließ Hans die das Genre auch und gerade heute in Jurymitglied in der Kategorie Spielfi lm Menschen den Ort, an dem sie bisher ge- Deppe, der Regisseur von »Schwarzwald- Zeiten der Globalisierung, der Diversität beim internationalen Filmfest »Der neue lebt hatten. Als Reaktion auf diese Verän- mädel«, mehrere Lastwagenladungen mit und zunehmender Dynamik gesellschaft- Heimatfi lm« in Freistadt in Österreich 20 HEIMAT  KUNST www.politikundkultur.net

Gemeinsames Erbe von Natur und Kultur Praktiken Immateriellen Kulturerbes als Formen der Beheimatung

CHRISTOPH WULF zur Beheimatung der Menschen liefern Ausdrucksformen, Wissen und Fer- der hier anzutreff enden hohen Mo- rung einer sozialen Praxis ist jedoch können. Um diese Möglichkeiten auszu- tigkeiten – sowie die dazu gehörigen bilität ist es häufi g für Immaterielle neu aufgeführt und bietet die Möglich- mmaterielles Kulturelles Erbe ist dehnen, bedarf es der Zusammenarbeit Instrumente, Objekte, Artefakte und kulturelle Praktiken nicht einfach, keit zur Veränderung und Innovation. ein wichtiger Bestandteil des Er- zwischen den verschiedenen Program- kulturellen Räume – zu verstehen, die die erforderliche zeitliche Dauer zu Kinder wachsen in Praktiken hinein, die bes der Menschheit, das nicht nur men. In deren Rahmen ist die Off enheit Gemeinschaften, Gruppen und gegebe- erreichen. Schließlich schaff t die »Su- bereits ihre Eltern als Kinder vollzogen I unterschiedliche Kulturen, son- für neue Herausforderungen wie die In- nenfalls Einzelpersonen als Bestandteil perdiversität« der Menschen mit mehr haben. Betont der Begriff der Inszenie- dern auch die Natur umfasst, in die der klusion neuer Bevölkerungsgruppen mit ihres Kulturerbes ansehen«. Das Imma- als  unterschiedlichen Migrations- rung das traditionelle, fokussiert der Mensch immer stärker verändernd ein- unterschiedlichen Migrationshinter- terielle Kulturerbe umfasst folgende hintergründen neue Bedingungen für Begriff der Auff ührung das jeweils neue greift. In einer durch die Globalisierung gründen eine wichtige Aufgabe. mit Beispielen aus Deutschland kon- die Entstehung von Praktiken Imma- Element jeder Auff ührung. Wenn sich gekennzeichneten Zeit, in der viele In der Öff entlichkeit ist die Welt- kretisierte fünf Bereiche: teriellen Kulturerbes in den urbanen Migranten an immateriellen kulturellen Entwicklungen auf die Herstellung ei- erbe-Konvention besonders bekannt, . mündlich überlieferte Traditionen Zentren. Praktiken beteiligen, kann dies sie in ner homogenen Welt ausgerichtet sind, auf deren Liste die Einschreibungen und Ausdrucksformen, einschließ- dem Prozess unterstützen, Mitglieder kommt den Praktiken Immateriellen »Teile des Kultur- und Naturerbes von lich der Sprache als Träger des Im- der jeweiligen Gemeinschaften zu wer- Beheimatung durch Immaterielles Kulturerbes erhebliche Bedeutung zu. außergewöhnlicher Bedeutung sind materiellen Kulturerbes; dazu gehö- den. So kann ein Muslim z. B. Schüt- Kulturerbe Sie fokussieren partikulare kulturelle und daher als Bestandteil des Welter- ren in Deutschland unter anderem zenkönig und damit ein anerkanntes Praktiken und unterstützen dadurch bes der ganzen Menschheit erhalten Märchenerzählen, Poetry-Slam im Prinzipiell leisten alle Konventionen Mitglied einer Gemeinschaft werden. die Erhaltung und Weitergabe kultu- werden müssen«, wie es in der Präam- deutschsprachigen Raum, Erfor- und Programme der UNESCO, die der Die performative Seite eines Rituals, reller Diff erenz und Vielfalt. Indem sie bel der Welterbekonvention von  schung und Dokumentation von Bewahrung und Weitergabe des Kul- Festes und Brauchs stellt sicher, dass den Menschen die Möglichkeit geben, heißt. Hinzu kommen die UNESCO- Flur- und Hausnamen in Bayern; tur- und Naturerbe der Menschheit nicht nur rationale, sondern auch kör- sich in ihrer Unterschiedlichkeit aus- Konvention zum Weltdokumenten- . darstellende Künste, z. B. Nieder- dienen, durch die Vermittlung von perliche und emotionale, soziale und zudrücken, darzustellen und sichtbar erbe »Memory of the World« und die deutsches Theater, Passionsspiele Sinn und Gemeinsamkeit einen Bei- ästhetische Aspekte eine Rolle spielen. zu machen, können sie auch Verluster- UNESCO-Programme »Der Mensch und Oberammergau, Posaunenchöre, trag zur Beheimatung der Menschen. fahrungen kompensieren, die infolge die Biosphäre« und die »Geoparks«, die die deutsche Theater- und Orches- Beim Immateriellen Kulturerbe ist dies Ritual und Ritualisierung der Homogenisierungs- und Universa- alle einen kreativen Umgang der Men- terlandschaft; aus folgenden stichwortartig skizzier- Viele immaterielle Kulturpraktiken lisierungstendenzen der Globalisierung schen mit dem gemeinsamen Erbe von . gesellschaftliche Bräuche, Rituale ten Gründen in besonderem Maße der bestehen aus Ritualen oder haben entstehen. Natur und Kultur fördern wollen. und Feste, wie Rheinischer Karneval, Fall. rituelle Komponenten. Sie sind In- Die UNESCO-Konvention zur Er- Die Liste des Weltdokumentenerbes Schwäbisch-Alemannische Fastnacht, szenierungen und Auff ührungen, die haltung des Immateriellen Kulturer- enthält z. B. die Göttinger Gutenberg- Lindenkirchweih Limmersdorf; Der menschliche Körper wiederholt werden. Ihre Lebendigkeit bes von  zielt darauf, die Bedeu- Bibel, die frühen Schriften Luthers, die . Wissen und Bräuche in Bezug auf Im Immateriellen Kulturerbe spielt lebt davon, dass Wiederholungen je- tung der weltweit unterschiedlichen Archive des Warschauer Ghettos, die die Natur und das Universum wie der plastische menschliche Körper die des Mal produktive Neuschöpfungen Praktiken Immateriellen Kulturerbes Kolonialarchive Benins, Senegals und das Kneippen, das Hebammenwesen, zentrale Rolle. Wenn Menschen an im- sind, deren Auff ührung sich von vor- deutlich zu machen, sie als Ausdruck Tansanias, die Sammlung indigener die Tradition des Schäferlaufs und materiellen Kulturpraktiken teilneh- ausgegangenen unterscheidet. Rituale kultureller Eigenart a) zu erhalten, b) Sprachen in Mexiko und das Benz- Schäferhandwerks in Markgröningen, men, so bedienen sie sich dazu ihres sind performativ, repetitiv, ostentativ. anzuerkennen und wertzuschätzen, c) Patent als Geburtsurkunde des Auto- Bad Urach und Wildberg, Hochalpine Körpers. Dadurch schreiben sich diese Sie drücken etwas aus und bringen ihre Bedeutung für die jeweilige Gesell- mobils von . Das Biosphärenpro- Allgäuer Alpwirtschaftskultur in Bad kulturellen Praktiken in den Körper ein. zur Darstellung, was für die Gemein- schaft und Kultur bewusst zu machen gramm umfasst weltweit  Reservate Hindelang; Im Tanzen werden diese Praktiken Teil schaft konstitutiv ist. Rituale haben und sie d) zur internationalen Zusam- in  Ländern, davon  mit drei Pro- . traditionelle Handwerkstechniken seiner Bewegungsmöglichkeiten. Im die Möglichkeit, durch gemeinsames menarbeit zu nutzen. Unter dem Motto zent der Landfl äche in Deutschland. Zu wie Orgelbau, Köhlerhandwerk und Körper entsteht eine Matrix mit den Auff ühren und Handeln kulturelle und »Wissen. Können. Weitergeben« wird ihnen gehören z.B. der Spreewald, der Teerschwelerei, Porzellanmalerei. entsprechenden Bewegungspotenzia- soziale Diff erenzen zu bearbeiten und diese Konvention, der die Bundesre- Schwarzwald und die Flusslandschaft Im Unterschied zum Welterbe, dessen len, die bei der Auff ührung bestimmter liefern dadurch einen wichtigen Bei- publik Deutschland  beigetreten Elbe. Die weltweit  Geoparks mit Gegenstände sich nach festgelegten Praktiken aktiviert werden. Entspre- trag zur Entstehung, Bestätigung und ist, in mehreren Schritten umgesetzt. ihren bedeutenden Fossilfundstellen, Kriterien klar bezeichnen lassen, ist chendes gilt für Gesänge oder rituelle Modifi kation von Gemeinschaften. Sie In ihr werden lebendige Praktiken z. B. Höhlen, Bergwerken oder Felsforma- das Feld des Immateriellen Kulturer- Bewegungen und Bräuche. Indem diese erzeugen das Soziale und tragen dazu aus den Bereichen Musik, Tanz, The- tionen befi nden sich in  Ländern. bes trotz der obigen Untergliederung kulturellen Praktiken Teil des Körpers bei, Identitäten zu entwickeln. Ritua- ater, soziale Praktiken und Handwerk Davon liegen sechs mit sechseinhalb nicht so leicht bestimmbar. Dafür und des Imaginären werden, vollzieht le können Fremde dabei unterstützen, als Träger von Kultur ausgewählt und Prozent der Landfl äche in Deutschland. gibt es viele Gründe. Einer liegt in der sich eine Enkulturation des Körpers sich in Gemeinschaften zu integrieren ausgezeichnet. Bisher sind im Rahmen Zu ihnen gehören z. B. die Vulkaneifel, fehlenden Eindeutigkeit des Kulturbe- und des Imaginären. Dies gilt nicht nur und zu beheimaten. dieser Konvention  Beiträge aus  die Schwäbische Alb und die Bergstra- griff s. Dieser changiert zwischen Kul- für die darstellenden Künste, sozialen Ländern auf den UNESCO-Listen ausge- ße-Odenwald-Region. Sie bieten die tur im engeren Sinne und der damit Praktiken, Rituale und Feste, sondern Beheimatung als mimetischer Prozess zeichnet worden. Auf der bundesweiten Möglichkeit, auf den Spuren der Ver- verbundenen Bezeichnung vielfältiger auch für orale Traditionen, Wissen und Immaterielle kulturelle Praktiken Liste, der in Deutschland ausgezeich- gangenheit den Planeten Erde und die künstlerischer Praktiken und Kultur Bräuche in Bezug auf die Natur und das werden mimetisch erworben. In mi- neten Praktiken, befi nden sich zurzeit Bedingungen des Lebens besser kennen im weiteren Sinne, wie er in der Kul- Universum sowie für die traditionellen metischen Prozessen erfolgen eine  Eintragungen. und verstehen zu lernen. turanthropologie verwendet wird. Je Handwerkstechniken. kreative Nachahmung, Anähnlichung Diese Übereinkunft muss im Kontext nachdem, welcher Kulturbegriff zu- und Aneignung. Mimetische Prozesse anderer Konventionen und Programme grunde gelegt wird, fallen die Auswahl- Der performative Charakter beginnen in der frühen Kindheit und Immaterielles Kulturerbe der UNESCO gesehen werden, denen es entscheidungen unterschiedlich aus. Die Praktiken des Kulturerbes sind per- vollziehen sich während des ganzen ebenfalls um die Bewahrung des Kul- Unter Immateriellem Kulturerbe sind Ein weiterer Grund ergibt sich bei der formativ. Sie beruhen auf traditionellen Lebens. Am Beispiel des Chorsingens tur- und Naturerbes der Menschheit gemäß Artikel  der UNESCO-Konven- Auswahl von Praktiken des Kulturer- Inszenierungen, die Kontinuität und lässt sich ihre Bedeutung verdeutli- geht und die ebenfalls einen Beitrag tion von  »Bräuche, Darstellungen, bes in den großen Städten. Aufgrund Sicherheit vermitteln. Jede Auffüh- chen. Die Fähigkeit zum Chorsingen entwickelt sich zunächst dadurch, dass Jugendliche sich auf Erwachsene bezie- hen, sich ihnen gegenüber mimetisch verhalten und sich im gemeinsamen Singen ihnen anähneln. In diesem Prozess nehmen sie gleichsam einen »Abdruck« der kulturellen Praxis der Erwachsenen und machen ihn zu einem Teil ihrer selbst. Auch um das Gelin- gen einer gemeinsamen Chor-Praxis sicherzustellen, ist eine wechselseitige mimetische Bezugnahme erforderlich. Ein solcher Prozess kann zur Integrati- on in eine Gemeinschaft und damit zur Beheimatung beitragen.

Kulturelle Diversität und Alterität Die Praktiken immateriellen kulturellen Erbes sind wie Fenster, durch die man in die Tiefenstrukturen der eigenen und der fremden Kulturen blicken und diese besser verstehen kann. Sie lassen eine kulturelle Diversität und Alterität im Vertrauten und im Fremden erfahren und bieten dadurch einen wichtigen Beitrag zur Bildung und Beheimatung der Menschen.

Christoph Wulf ist Professor für Erziehung und Anthropologie an der Freien Universität Berlin, Vizepräsi- dent der Deutschen UNESCO-

FOTO: PICTURE ALLIANCE / MARY EVANS PICTURE LIBRARY PICTURE EVANS MARY / ALLIANCE PICTURE FOTO: Kommission (DUK) und Vorsitzender Der Film »Local Hero« von Bill Forsyth ist ein Vertreter des New Scottish Cinema. Es ist bekannt für die ironische Refl exion der geographischen und narrativen der Expertenkommission »Immateriel- Schottlandmythen aus historischen Romanen les Kulturelles Erbe« der DUK Politik & Kultur | Nr. /  | März  HEIMAT  KUNST 21

Filmische Heimaten Die Integration von Gefl üchteten und Vertriebenen im Heimatfi lm der Nachkriegszeit

VERENA FEISTAUER nahmefall – etwa in dem heute weitge- hend vergessenen Film »Heiße Ernte«. as wir uns aufgebaut ha- Eheschließungen zwischen Einheimi- ben? Eine neue Heimat, schen und Flüchtlingen sind genauso du Trottel, du. Und wenn selbstverständlich wie deren Teilnah- W du das nicht kapierst, me an den heimatfi lmtypischen Trach- dann kannst du mir gestohlen bleiben!« tenfesten: Sie gehören hier prinzipiell So weist in »Waldwinter« die Gefl ohene »dazu« und werden grundlegend anders Marianne den Heimkehrer Martin zu- behandelt als Ausländer oder »Fremde« recht, als der nicht anerkennt, dass die unklarer Provenienz. übrigen Dorfbewohner ihre schlesische Dass sie – den typischen Schauplät- »Heimat« – mitsamt der patriarchalen zen des Heimatfi lms entsprechend – in Sozialstruktur, der Folklore und des ländlichen Regionen neu anfangen traditionellen Kunsthandwerks – im müssen, korrespondiert mit der Tat- Bayerischen Wald rekonstruiert haben. sache, dass auch die realen Gefl üchte- Wenn die Integration der Flüchtlinge ten und Vertriebenen überwiegend in und Vertriebenen auch nur in we- den großen Flächenstaaten Schleswig- nigen Filmen derart umfassend be- Holstein, Niedersachsen und Bayern handelt wurde wie hier, so ist dieses angesiedelt wurden. Während deren gesellschaftspolitisch hoch relevante Integration in der sozial eher starren, Thema doch ein fester Bestandteil des homogeneren und stärker an Hierarchi- Heimatfi lms, des beliebtesten bundes- en und Traditionen orientierten länd- deutschen Filmgenres der er Jahre. lichen Gesellschaft jedoch wesentlich Ein idealtypisches Muster der In- konfl iktreicher und langwieriger verlief tegration von Gefl üchteten und Ver- als in der sozial eher durchlässigen, fl e- triebenen im Heimatfi lm existiert zwar xibleren und pluralistischeren Stadt- nicht, dennoch lassen sich einige Ge- gesellschaft, erleichtert die »schöne«, meinsamkeiten der fi lmischen Integ- als Idylle inszenierte Landschaft des

rationsverläufe feststellen, die oft in Heimatfi lms den Filmfl üchtlingen sogar COLLECTION EVERETT FOTO: krassem Gegensatz zu den Erlebnissen die Integration, indem sie den Schmerz Der Erfolg des französischen Kassenschlagers »Bienvenue chez les Ch’tis« führte zu mehreren Adaptionen des Filmes in der realen Betroff enen stehen. So ge- über den erlittenen Verlust lindert und anderen Kulturen z. B. in eine italienische, US-amerikanische und chinesische Variante lingt die alltagspraktische Integration die neue Umgebung lebenswert erschei- der Filmfl üchtlinge in der Regel völ- nen lässt. den Filmen schon zu Beginn der er weder in mythisch-verklärender Weise Heimatfi lme der er Jahre erzählen lig unproblematisch: Sie sind immer Geflüchtete und Vertriebene im Jahre außer Frage. Gefl üchtete und Ver- oder aber völlig beiläufi g gesprochen von der Integration aller in eine neue angemessen gekleidet und adäquat Heimatfilm hegen weder Rückkehr- triebene werden im Heimatfi lm positiv wird. Mit dieser Enthistorisierung und Gesellschaft. Dabei entwerfen sie Fan- untergebracht; häufi g sogar verhält- wünsche, noch zeigen sie sich revan- überhöht und als Leistungsträger der Dekontextualisierung geht ein Viktimi- tasien eines idealtypischen Nachkriegs- nismäßig luxuriös auf einem Schloss chistisch, wenn es auch immer wieder sich neu formierenden Nachkriegsge- sierungsdiskurs einher, der zwar nicht deutschland, das die »Heimat«-Ideo- oder Gutshof. Keine der Figuren leidet kleinere revisionistische »Angebote« sellschaft inszeniert: Sie sind hilfsbe- in jedem Film so deutlich auf den Punkt logie des . Jahrhunderts erfolgreich Hunger, es mangelt nicht an Lebensnot- an das Publikum gibt, wie das in »Grün reit, tatkräftig und bescheiden, erschei- gebracht wird wie in »Grün ist die Hei- mit der Moderne verknüpft, das sich wendigem. Gefl üchtete und Vertriebene ist die Heide« und »Heimat – Deine Lie- nen weder frustriert noch traumatisiert, de«, wo es unter anderem heißt: »Aber deutlich vom »Dritten Reich« unter- im Heimatfi lm sind niemals arbeitslos der« intonierte »Riesengebirgslied«, in sondern versuchen klaglos, das Beste wir sind ja am härtesten gestraft«, un- scheidet, und das allen Flüchtlingen, und müssen bestenfalls vorübergehend dem es heißt »Riesengebirge, deutsches aus der Situation zu machen. terschwellig aber immer mitschwingt. Vertriebenen und sonstigen durch den einer unangemessenen Tätigkeit nach- Gebirge, meine liebe Heimat du«. Die Dem damaligen Zeitgeist entspre- Das Genre Heimatfi lm leistet eine Krieg Entwurzelten eine neue »Heimat« gehen. Figuren verwenden ihre gesamte Ener- chend, ignorieren die Heimatfi lme den Vermittlung und Versöhnung zwischen bietet. Auch gelten die fi lmischen Betroff e- gie darauf, die neue Lebensumgebung ursächlichen Zusammenhang zwischen »Tradition« und »Moderne« – und ist nen nicht als »Fremde«, sondern wer- zur »Heimat« zu gestalten. Exempla- Nationalsozialismus, Zweitem Welt- insofern eine Reaktion auf die erheb- Verena Feistauer ist Referendarin an den von den Einheimischen als ihres- risch dafür steht die Relokalisation der krieg und Flucht und Vertreibung: Die lichen gesellschaftlichen, technischen der Zentral- und Landesbibliothek Ber- gleichen behandelt; kulturell bedingte Kirche Wang in Waldwinter. Jegliches Flucht – die Vertreibung wird generell und wirtschaftlichen Umbrüche der lin. Sie ist Verfasserin des Buches »Eine Diff erenzen werden nicht thematisiert. Klagen über den Verlust ist rein senti- nicht thematisiert – erscheint grund- Nachkriegszeit. In diesem Kontext ist neue Heimat im Kino – Die Integration Die Diskriminierung von Flüchtlingen mentaler Natur: Dass die »alte Heimat« sätzlich als ebenso bitteres wie unver- auch die Thematisierung von Flucht von Flüchtlingen und Vertriebenen im ist im Heimatfi lm ein absoluter Aus- unwiederbringlich verloren ist, steht in meidbares »Schicksal«, über das ent- und Integration zu verstehen: Die Heimatfi lm der Nachkriegszeit« Heimat im Fernsehen Der Heimatkanal weckt auf dem Sofa Heimatgefühle

Das Medienunternehmen Mainstream aterstücke und mehr rund um das heimatliche Farbe dynamisch in wenden uns an ein breites Publikum, Hörbiger, Theo Lingen, Hans Moser, Media AG betreibt den Heimatkanal, Thema Heimat zeigt. Welche Idee die Gegenwart, in ein zeitgemäßes das nach Alternativen zur Programm- Gunther Philipp bis hin zu Peter Alex- einen im Pay-TV verfügbaren Fernseh- steckt dahinter? Lebensgefühl transportieren. Das ist welt mit vielen Gewaltszenen sucht. ander. Aber natürlich gehören Serien sender. Filmklassiker aus der Goldenen Wir haben eine unverwechselbare uns wichtig. Entsprechend haben wir Das hat alles seinen Platz. Ich will wie »Der Landarzt« mit Wayne Car- Ära des Heimatkinos werden dabei mit Positionierung: Schaut man sich Eigenproduktionen wie die Kurzfi lm- das nicht problematisieren. Um es pendale oder »Der Bergdoktor«, »Die neueren Produktionen gemischt. The- die Programmlandschaft insbeson- reihe »Kleine Sünden«, die Kabarett- plastisch zu sagen, der Heimatkanal Bergretter« und »Forsthaus Falkenau« resa Brüheim fragt bei dem Mitgründer dere im Pay-TV an, dann ist diese sendung »Ottis Aquarium« mit Ott- braucht niemals eine Jugendschutz- bei uns zu den wichtigen und gern Gottfried Zmeck nach, wie Heimat im im Unterhaltungsbereich durch fried Fischer oder Musikreportagen vorsperre. Wir haben uns dazu ent- gesehenen Programmen. TV aussieht. überwiegend US-amerikanische Se- wie »Lieder, Land und Leute«. Das schlossen, den Sender Heimatkanal rien, Spielfi lme und natürlich Sport Maß an Eigenproduktionen bei uns mit GoldStar TV und Romance TV in Welches Bild von Heimat wollen Theresa Brüheim: Was bedeutet geprägt. Das eröff net den Bedarf an ist hoch, im Gegensatz zu vergleich- dem Angebot »Fernsehen mit Herz« Sie mit dem Heimatkanal vermit- für Sie Heimat, Herr Zmeck? Local Content. Man weiß, Local Con- baren Spartensendern. Man sieht zu bündeln. Dieses eigenständige teln? Gottfried Zmeck: Ach, das ist eine tent schlägt jeden anderen Content, dabei, dass diese Programmfarbe sehr Bouquet ist auch über Streaming- Wir haben nicht den Ehrgeiz, ein be- Vielfalt von Empfi ndungen. Heimat wenn er gut gemacht ist. Dahinter aktuell ist. Man hat ein Lebensgefühl Dienstleister wie Amazon, TV.de und stimmtes Heimatbild zu vermitteln. hat mit Sprache, Menschen, Land- steht natürlich ein Kalkül. Man muss (wieder-) entdeckt, das eine moderne Zattoo verfügbar. Das zeigt, dass wir Denn jeder hat seine eigenen Asso- schaft, gesellschaftlich-kulturellen es ja wirtschaftlich betreiben können. Bodenständigkeit ausdrückt. Das ist es mit einem Publikum zu tun haben, ziationen zur Heimat und soll sich Wurzeln zu tun. In der Heimat muss Das Kalkül ist, dass der Heimatkanal eine gewisse Sehnsucht nach Au- das mit modernen Medien umgehen seinen eigenen Heimatbegriff bilden. man nicht erklären, wer man ist. Man unverwechselbar, nicht austauschbar thentischem, nach Bekanntem. Und kann. Wir versuchen, eine Brücke vom kennt einander und fühlt sich gebor- ist und damit zum Angebot einer je- eine Neugierde, wie man eine Brücke Traditionellen zum Modernen gen. Vielleicht ist Heimat auch ein den Plattform im deutschsprachigen von Tradition in das heutige Leben Welche sind die Publikumslieb- zu schlagen. Uns geht es vor allem Heimathafen, also ein dynamischer Raum gehören sollte. Dafür haben schlagen kann. linge Ihrer Zuschauerinnen und darum, dass sich das Publikum Bezugspunkt, von dem aus man sich wir ein Unterhaltungsprogramm ent- Zuschauer? beim Heimatkanal wohl und zu in andere Bereiche begeben kann wickelt, das eine Mischung aus tradi- Welche Zielgruppe haben Sie mit Ich weiß nicht, ob Sie so lang Zeit Hause fühlt. – gleichzeitig mobil und trotzdem tionellen Klassikern und modernen dem Heimatkanal im Blick? haben. sicher. Formaten verschiedenster Genre be- Unsere Zielgruppe defi niert sich Gottfried Zmeck ist Vorstandsvorsit- dient – vom traditionellen Spielfi lm weniger demografi sch. Als Sparten- Ein, zwei Beispiele ... zender der Mainstream Media AG, die Sie haben einen Fernsehsender über Serien, aber auch Musikrepor- sender bedienen wir eine gewisse Gefragt sind die traditionellen Stars den Heimatkanal produziert. Theresa mitgegründet, den Heimatkanal, tagen bis hin zu Komödie und Kaba- Nische, diese ist allerdings die Masse. des klassischen Heimatfi lms. Das Brüheim ist Chefi n vom Dienst von der vorwiegend Filme, Serien, The- rett. Wir wollen diese bodenständige Wir wenden uns an die Familie, wir spannt sich von Romy Schneider, Paul Politik & Kultur 22 HEIMAT  KUNST www.politikundkultur.net

»Film kann Heimat und Verständnis schaffen« Das Festival Biennale schauspielern, den Besuchern. Und likum war, aber keine Breitenwirkung der Neue Heimatfi lm schließt auch Aber bei der Suche nach Sponsoren Bavaria International zeigt wir wollen ein Flair kreieren. Wir hatte. Helmut Dietl hingegen machte fremde Kulturen nicht aus. haben wir festgestellt, dass die gesell- stellen uns ein Festival an verschie- mit seinen »Münchner Geschichten« schaftspolitische Bedeutung von dem Neue Heimatfi lme denen Orten mit jeweils einem für populäre Neue Heimatfi lme. Dann Brüheim: Ein Festival in der Re- neuen Begriff Heimat noch nicht rich- diesen Ort spezifi schen Genre bzw. kam Ottfried Fischer, eine ganz wich- gion macht bei dem Thema Hei- tig in der Bürgerschaft angekommen Ab  ist Deutschland um ein Film- Schwerpunktthema vor. Das sollen tige Figur für den Heimatfi lm, mit »Ir- matfi lm Sinn, ist sicher aber eine ist. Früher spielte beim Sponsoring festival reicher. Die Biennale Bavaria sein: Spielfi lm/Fernsehfi lm, (inter-) gendwie und sowieso« und »Der Bulle große logistische Herausforderung. das Gesellschaftspolitische eine Rolle. International ist ein Publikumsfestival, religiöser Film, Retrospektiven, Frem- von Tölz«. Da wurde etwas erfunden, Wie gehen Sie diese an? Das hat sich viel zu sehr gewandelt das Neue Heimatfi lme auf dem baye- de Heimat – Heimat in der Fremde, was es bisher nicht gab: der Heimat- Syr: Wir beziehen für das Festival die in überwiegende marktwirtschaftli- rischen Land zeigt. Wer jetzt an baye- Dokumentarfi lm, Nachwuchsproduk- krimi, der durchaus sozialkritisch war. gesamte Planungsregion  im süd- che Überlegungen. Sponsoring muss rische Lederhosen, Dirndl und Jodeln tionen und Jugendfi lmarbeit. Allgemein hat der Heimatfi lm mit ostbayerischen Raum ein. Dazu zäh- sich bezahlt machen. Für uns ist es denkt, liegt eher falsch. Zwar schließt Dabei soll jeweils eine Diskussion mit meiner näheren Umgebung zu tun. len als Festivalorte Mühldorf am Inn, momentan ein gewisses Problem, das Filmfestival diese drei Punkte im den Zuschauern angeregt werden. Es Ich erkenne mich wieder. Es hat in Waldkraiburg, Altötting, Burghausen, größere Partner zu fi nden, die sagen: Rahmen eines off enen Heimatbegriff es sollen essenzielle Fragen rund um Deutschland oft mit Dialekt zu tun. Trostberg, Wasserburg und Haag in »Das ist so ein wichtiges Thema, da nicht aus, aber die Kernidee ist viel tief- Heimat diskutiert werden, wie: »Was Ich habe ca.  Jahre in Schweden Oberbayern. Die Absprachen mit den bin ich als Firma oder Organisation greifender am Gedanken der kulturellen ist eigentlich das Thema, das der Film gelebt. Mir hat in erster Linie nicht Kommunen sind sehr gut gelungen. aufgerufen mitzumachen und mei- Vielfalt orientiert: Es soll ein realisti- aufgezeigt hat? Wie berührt mich der die deutsche Sprache gefehlt, sondern Wir haben diese nämlich gebeten, das nen Beitrag zu leisten, weil das darf sches, modernes und weltoff enes Ver- Film? Welche Rolle spielen vermeint- vielmehr mein bayerischer Dialekt. Festival mitzufi nanzieren, was sie nicht in eine falsche Richtung gehen, ständnis von Heimat durch Filme ange- lich Fremde in der Heimat? Was trage Nun bin ich seit drei Jahren wieder in auch tun. Die Details organisieren was zu Heimat gehört.« Und dieses regt werden. Dabei soll ein Austausch ich zur Heimat bei? Wie könnte das Bayern. Wissen Sie, Sie wollen einen wir gerade. Ein Filmfestival in einer weltoff ene Leben in einer Gegend, in über Heimat und verbundene Themen weitergehen? Was hat der andere für Stadtrat von einem Filmfestival über- ganzen Region ist neu. Denn bisher der ich mich auskenne, ist eigentlich mit dem internationalen Zielpublikum Probleme oder was hat er für Freu- zeugen, alle reden Bayerisch und Sie hat niemand ein Filmfestival in der der Neue Heimatfi lm. Das kann auch entstehen. Theresa Brüheim spricht mit den?« können auch Dialekt sprechen. Meine Region gemacht. Das ist wirklich ein touristisch für Deutschland interes- den Initiatoren Günther Knoblauch und Mein Wunsch wäre natürlich, dass wir Sprache ist für mich ganz wesentlich logistisches Problem. sant sein. Peter Syr über Neue Heimatfi lme, Her- darauf kommen, dass alle Menschen Heimat. Aber es bietet viele Vorteile – nicht Dankbar sind wir für unsere pro- ausforderungen eines Festivals fernab den gleichen Wunsch haben, dass Aber auch die Heimat der anderen nur was die Publikumsansprache minenten Unterstützer: Mit dabei der Großstadt und ihre Ideen. es ihnen und der Familie gut geht, spielt in Neuen Heimatfi lmen eine betriff t. Für das Genre des interreli- sind unter anderem Schauspieler dass sie happy und gesund sind. Wir Rolle. Wir planen z. B. den Bereich giösen Films bietet sich großartiger- und Kabarettisten wie Lisa Fitz, Ott- Theresa Brüheim: Biennale Bava- wollen das normale Leben zeigen »Fremde Heimat – Heimat in der weise als Festivalort der Wallfahrtsort fried Fischer, Karl Merkatz, Werner ria International, ein Festival für und sind überzeugt, dass die Rück- Fremde«, der in Trostberg stattfi n- Altötting an. Wann ist so etwas schon Schmidbauer, Johanna Bittenbinder, Neuen Heimatfi lm – was ist das meldung außerhalb einer Großstadt den soll. Da kann man vieles zeigen: einmal möglich: interreligiöse Filme Heinz Joseph Braun und Helmfried genau und welcher Ansatz steht intensiver ist. wegfahren, wiederkommen. Oder die im Wallfahrtsort! Wir arbeiten dort von Lüttichau. dahinter? ganze Migrationsgeschichte – Immi- mit der katholischen Diözese zusam- Peter Syr: Aktuell gibt es weltweit Brüheim: Was verstehen Sie ge- gration und Emigration. »Schwaben- men, aber auch mit der evangelischen Brüheim: Zwei Punkte habe ich in wieder zahlreiche Filme, die einen nauer unter Neuen Heimatfi lmen? kinder« war z. B. so ein Film, bei dem Landeskirche. Kontakt möchten wir unserem Gespräch immer wieder lokalen Bezug haben – sogenannte Was unterscheidet sie von Klassi- Kinder als Kaminkehrer nach Italien gern noch zu islamischen und jüdi- rausgehört. Das ist zum einen der Neue Heimatfi lme. Aber es gibt kein kern? verkauft wurden. Ich glaube, Film ist schen Einrichtungen aufbauen. Wir Austausch mit anderen über den namhaftes Festival für diese. Das Syr: Der Heimatbegriff ist verkom- ein tolles Mittel, Dialoge zu initiieren. wollen diesen Bereich in das Festival Heimatbegriff und zum anderen wollen wir ändern, denn Produzenten men, was vor allen Dingen durch den integrieren, da wir denken, dass Re- die Darstellung einer mit Heimat und Filmemacher brauchen den Aus- deutschen traditionellen Heimatfi lm Günther Knoblauch: Durch die Glo- ligion für viele Menschen Heimat ist. verknüpften modernen Weltoff en- tausch. Außerdem wollen wir mehr geschehen ist. Nach dem Zweiten balisierung ist der Wunsch, dort, wo Da fühlen sie sich geborgen, das brau- heit. Sind das Ziele des Festivals? Leute mit Neuen Heimatfi lmen errei- Weltkrieg versuchte man an die Filme ich lebe, Rückhalt zu bekommen und chen sie. Dem muss man Rechnung Oder streben Sie anderes an? chen. Neue Heimatfi lme gibt es welt- von Arnold Fanck, Leni Riefenstahl das im täglichen Leben umsetzen zu tragen. Und da gibt es eine ganze Knoblauch: Beides ist uns wichtig, weit. Sie beziehen sich nicht nur auf und anderen mit irgendwelchem können, größer geworden. Denn viele Reihe spannender Filme und Diskus- aber wir wollen eine realistischere sionen. Heimat zeigen.

Knoblauch: Wenn wir über ein Fes- Syr: Vor allem wollen wir den Zu- tival in Bayern sprechen, ist es uns schauern Türen und Sichtweisen wichtig zu betonen, dass es kein bay- eröff nen. Nehmen Sie z. B. die Stadt erisches Filmfestival ist. Wir sind im Waldkraiburg in der Nähe von Mühl- Kontakt mit Österreich, mit Südtirol. dorf am Inn. Diese Stadt gab es An- Nehmen Sie z. B. das Burghausener fang des . Jahrhunderts noch nicht. Jazzfestival, das ist ein Weltfestival in Sie wurde nach dem Krieg von Flücht- einer Kleinstadt. Das wollen wir auch lingen gegründet. Heute zählt sie schaff en. Dabei werden wir von der knapp . Einwohner. Viele stam- Festivalstadt Burghausen unterstützt. men von Flüchtlingen ab und Wald- Wir wollen das Gefühl für Heimat mit kraiburg hat einen AfD-Wähleranteil weltoff ener Freiheit etablieren, denn von knapp  Prozent. das fi nden wir fantastisch. Ich denke, dass Film für solche Leute, die zweifeln, die unsicher sind, die Brüheim: Wir sprechen direkt über Ängste haben, eine gute Möglichkeit Ihre Planungen.  soll die erste ist, sich damit auseinanderzusetzen. Biennale Bavaria International stattfi nden. Was steht bis dahin Brüheim: Da wären wir bei der noch an? Zielgruppe. An wen soll sich Ihr Knoblauch: Wir suchen gerade nach Festival richten? den entsprechenden Preisen oder Knoblauch: An alle. Jung, alt – ein- deren Benennung. Mindestens wol- fach alle. len wir folgende Preiskategorien

FOTO: PICTURE ALLIANCE / UNITED ARCHIVES UNITED / ALLIANCE PICTURE FOTO: auszeichnen: Bester Spielfi lm, Bester Syr: Für junge Leute planen wir die »Urga« ist ein prototypischer Heimatfi lm, in dessen Mittelpunkt eine mongolische Viehzüchterfamilie steht Dokumentarfi lm, Publikumspreis, Sektion »Heimat on YouTube«. Viele Beste/r Schauspieler/in. Wir hoff en junge Leute gehen nicht mehr ins bayerische oder deutsche Geschich- Förster-vom-Silberwald-Zeug anzu- Menschen fühlen sich nicht mehr auch auf gestiftete Spezialpreise. Da Kino und sie schauen schon gar keine ten. Um die Leute bei einem Film- knüpfen. Das hat nicht funktioniert. verstanden. Früher hieß es: »Mein sind wir sehr kreativ, aber wir sind Fernsehsendungen. So möchten wir festival mit dem Thema Heimat zu Anfangs waren die Leute noch in- Chef versteht mich, der kümmert sich unter Zeitdruck, weil wir im Oktober jüngere Generationen ansprechen, erreichen, bedarf es unserer Meinung teressiert an den Landschaften, die um uns. Die Politik versteht schon  starten wollen. Danach soll die die Heimat toll fi nden. nach auch eines verstärkten Rah- gezeigt wurden. Viele hatten die noch was. Meine Partei weiß, was los ist.« Biennale Bavaria International alle menprogrammes mit bildender Kunst, nicht gesehen, da man viel weniger Inzwischen heißt es, dem Chef ist zwei Jahre durchgeführt werden. Das Vielen Dank. Musik, Literatur u.v.m., das sich vor, reiste. Irgendwann sind sie selbst es vollkommen egal. Hauptsache, er Bayerische Staatsministerium der während und nach dem Festival mit hingefahren, dann ging das Interesse verdient sein Geld. Politik versteht Finanzen, für Landesentwicklung und Günther Knoblauch ist stellvertreten- dem Heimatbegriff beschäftigt. am Heimatfi lm runter. Man versuchte manchmal nicht, um was es bei Hei- Heimat unterstützt uns. Ministerprä- der Landrat des Landkreises Mühldorf Das ist auch ein Grund dafür, das es mit Erotik aufzupeppen: »Jodeln in mat geht. sident Markus Söder ist Schirmherr am Inn und erster Vorsitzender des Festival nicht in München abzuhalten. der Lederhose« und wie das alles hieß. Daraus ergibt sich die Gefahr, dass des Festivals. Die Bürgermeister der Vereins Biennale Bavaria International. Sie kennen es aus Berlin: Große Fes- Woanders hat das besser funktioniert die Sehnsucht nach Heimat und Festivalorte sind dabei. Wir haben Zuvor war er Bürgermeister von tivals schaff en große Presseaufmerk- – z. B. in Italien im »Neorealismo« verstanden werden von populistisch- mit den Landräten gesprochen, die Mühldorf am Inn und Abgeordneter samkeit, aber was bleibt danach? Wir oder in Amerika im »New Hollywood«. nationalen Bewegungen besetzt wird. unter bestimmten Umständen dabei der SPD-Fraktion im Bayerischen wollen ein Publikumsfestival schaff en In den er Jahren kam eine Wende Umso wichtiger ist es, in Neuen Hei- sind. Die Bayerische Filmförderung Landtag. Peter Syr ist Ausstellungs- – fernab der großen Stadt. mit Regisseuren wie Peter Fleisch- matfi lmen Situationen darzustellen, hat gesagt: »Wir machen mit.« Es gibt macher, Kulturmanager und Grafi k- mann oder Rainer Werner Fassbinder. die zeigen, dass auch von anderer erste Sponsoren, sage ich mal vor- designer. Er leitet die Biennale Bavaria Günther Knoblauch: Uns ist der Nehmen Sie z. B. »Katzelmacher« von Seite verstanden wird, um was es geht. sichtig. Bisher unterstützen uns die International. Theresa Brüheim ist Austausch wichtig – der Austausch Fassbinder. Das ist ein Heimatfi lm, Film kann da Heimat und Verständnis Volks- und Raiff eisenbanken als eine Chefi n vom Dienst von Politik & zwischen den Regisseuren, den Film- der interessant für cineastisches Pub- schaff en, wo es manchmal fehlt. Denn Regionalbank sehr. Kultur Politik & Kultur | Nr. /  | März  HEIMAT  KUNST 23

Daheim in der Fremde Schriftsteller im Exil – Bürger beider Staaten?

REGINE MÖBIUS Nach dem Fall der Mauer, in den frü- hen er Jahren kommt Erich Loest as habe ich hier zu su- zurück nach Leipzig. Ausbruch aus chen/ In diesem Land/ innerer Emigration? Nicht nur »sei- Dahin ich gekommen ne« Stadt ist angefüllt mit Ost-West- W bin/ Aus freien Stücken/ Auseinandersetzungen, bei denen die Mit grünen Träumen um die Stirn« Weggegangenen und Hiergebliebenen So beginnt Adel Karasholis Gedicht sich gegenseitig erklären. Da ist der »Daheim in der Fremde«, das er nach kritische Blick von außen oft unbe- seiner Flucht aus Syrien  in Leipzig quem. Erich Loest hat das Gefühl neuer schreibt. Von Beginn an spürt er einen Kräfte. Er ist unentwegt gefragter Ge- Riss, der Reibungsfläche ist, den er sprächspartner in politischen Diskus- aushalten möchte. Da kommen zwei sionen, auf literarischen Symposien, Erfahrungsbereiche zu Wort. »Meine Lesungen und kulturpolitischen Fo- zwei Länder und ich/ Wir sind vermählt/ ren, wird nicht müde, energisch seinen Bis daß der Tod uns scheidet…«. Standpunkt zu vertreten. Auch außer  Jahre später geht ein Leipziger sich ist er bei sich, ist er wieder in »sei- Schriftsteller einen nur scheinbar leich- ner« Stadt. teren, anderen Weg nach Deutschland- Am . Februar  verleiht der West. Hinter ihm liegen sieben Jahre Leipziger Stadtrat im Festsaal des Zuchthaus in Bautzen und nicht enden Alten Rathauses ihm das Ehrenbür-

FOTO: PICTURE ALLIANCE / EVERETT COLLECTION EVERETT / ALLIANCE PICTURE FOTO: wollende Bespitzelungen. gerrecht. Guy Maddin zollt seiner Heimatstadt in »My Winnipeg« von  Respekt, in dem er Einblick in das dunkle Unterbewusst- Am . März  verlässt Erich Loest Rückblickend lässt er in seiner Dan- sein der eigenen Heimat gewährt Leipzig, nicht wissend, ob und wann er kesrede seine vergangenen Jahre und die Stadt wiedersehen wird. In einem die der Stadt Revue passieren: »Dreimal Essay für die Süddeutsche Zeitung, der bin ich nach Leipzig gekommen,  den Untertitel »Besuch bei den Nord- aus meiner Geburtsstadt Mittweida, lichtern« trägt, fragt er den aus der DDR  aus dem Osten (Anm. d. A.: aus Sounds of Heimat hinausgedrängten Schriftsteller Günter dem Zuchthaus Bautzen),  aus dem Kunert: »Hast Du Heimweh, Günter?« Westen.  trugst Du eine verschlis- Ein Festival für neue in sich gekehrt ist. Heimat und somit viele Teile unseres Kulturgutes zu Und er selbst bekennt: »Heimweh – da sene Wattejacke, in Deiner Mütze aus Volksmusik und eine viel- auch Volks- und Heimatmusik haben entdecken und dabei zu erkennen, sage ich ihm, daß es in mir manch- Löwenfell hatten die braunen Motten mit Herkunft zu tun und mit Zukunft. dass mich das nicht wie eine Fuß- mal brennt, beißt, zwackt. Mittweida, genistet.  kamst du obenherum fältige Heimat Das wollten wir mit dem Festival fessel an die Scholle binden muss. Leipzig, Verwandte. Eine Ausstellung ganz proper daher, aber Deine Stiefel- zeigen. Sondern Heimat kann etwas sein, in der Galerie am Sachsenplatz, ich bin chen hatten Löcher. Ich fragte: Geht’s Bayerische Polkas erklingen mit kuba- dem man verbunden ist und das nicht dabei. Am Völkerschlachtdenkmal, aufwärts mit uns oder pleißeabwärts? nischem Son, die Saz wird mit der Tuba Die Volksmusik, die »Sounds of trotzdem den Blick für das Ganze lese ich, hat’s die Stufen unterspült, ich Du zucktest die Schultern.« gespielt, das Alphorn groovt zu exoti- Heimat« präsentiert, ist keine nicht verbietet. Wir Menschen aus möchte mal wieder von oben über die An die Freunde und Kollegen erin- schen Rhythmen. So klingt die neue typische deutsche Heimatmusik verschiedenen Kulturen können Stadt schauen. Ihr lieben Freunde dort, nert er, an Gespräche und Auseinander- Volksmusik, die das Festival »Sounds à la Musikantenstadel. Es ist eine miteinander leben, miteinander wie geht es euch wirklich?« setzungen, an politische Feinde und an of Heimat« des Stuttgarter Theater- Heimatmusik, die sich aus ver- kommunizieren, ohne dass man da- Fühlte er sich fremd im westlichen die unsäglichen Spitzeleien der Staats- hauses präsentiert. Dabei soll ein viel- schiedenen Kulturen speist. zwischen  Kilometer Entfernung Teil seines Landes? Leser in der Bun- sicherheit. Wehmut durchstreift seine fältiger Heimatbegriff entstehen, der Genau. Die beim diesjährigen Festi- braucht, um sorglos der eigenen desrepublik kennen ihn kaum und ver- Rede, aber auch Zorn: »Vom Rheine her im Lokalen verwurzelt und zugleich val vertretenen Projekte sind nicht Tradition zu frönen. Das ist Vielfalt – halten sich abwartend. Das Interesse an klagte ich über Deutschlandfunkwellen off en für die Welt ist. Theresa Brü- in der eigenen Volksmusik und Tra- auch in der Heimat. den Verhältnissen jenseits der Mauer in manchem Beitrag mein Leid; als ich heim spricht mit Wolfgang Marmulla, dition hängen geblieben, sondern sie ist schwach. endlich wiederkehrte, kamst Du mir, dem Programmverantwortlichen von suchen alle das jeweils andere. Planen Sie eine Fortsetzung von Umso mehr freut es Erich Loest, auf liebe Lipsia, zerzaust und abgemagert »Sounds of Heimat«, über diese neuen Ein Beispiel sind »Die CubaBoari- »Sounds of Heimat«? generell positive Beurteilung durch vor. Damals saß ich mit Dir lange auf Klänge der Heimat. schen«. Das ist ein bayerischer Es gibt unglaublich viel Material für die Literaturkritik seiner in der DDR einer Bank am Völkerschlachtdenkmal, Musikverein, der vor einiger Zeit mehrere Fortsetzungen. Z. B. gibt verhinderten Bücher zu stoßen. Loest und wir fragten uns, ob denn Leipzig Theresa Brüheim: »Sounds of Hei- eine Reise nach Kuba gemacht hat es in der Bluegrass-Szene in den ist nun der Mann mit den zwei Päs- noch zu retten sei.« mat« – was ist das? und dort fasziniert von kubanischer USA große Veränderungen. Das ist sen, einem aus der DDR, einem aus Vier Jahre nach der Ausreise Erich Wolfgang Marmulla: »Sounds of Musik war. Sie haben Freundschaft auch für uns spannend. Früher war der Bundesrepublik – »Bürger beider Loests aus der DDR, verlässt  der Heimat« ist ein Festival. Im Mo- mit Musikern vor Ort geschlossen das eine sehr weiß und männlich Staaten«, so nennt er sich beklom-  Jahre jüngere Schriftsteller Wolfgang ment konzentriert es sich noch und diese über viele Jahre gepfl egt. dominierte Szene. Jetzt spielen men, halb ironisch. Loest arbeitet und Hilbig mit einem Reisevisum das um- ausschließlich auf Musik, die sich Daraus ist ihre Musik, eine Mischung immer mehr Frauen und Afroameri- kämpft: Reiseberichte, Erzählungen. mauerte Land. Dem in der sächsischen als Heimat- und Volksmusik versteht aus bayerischer und kubanischer kaner mit. Da tut sich gewaltig viel. Er sucht die Begegnung mit Kollegen, Braunkohlelandschaft Verwurzelten – aber nicht in einem selbstisolieren- Volksmusik, ganz organisch gewach- Das ist eine Volksmusiktradition, möchte, dass die Kontakte zwischen hängen die in der DDR gelebten  den Sinn, sondern in einem höchst sen. Jetzt beginnt auch die zweite die weitergeführt wird, aber mit den Schriftstellern aus der Bundes- Jahre wie die lehmige Erde der Tage- aufgeschlossenen, auf andere Kultu- Generation des Vereins ein neues mehr Farbe. Oder warum nicht eine republik und der DDR nicht abreißen, bauränder an den Füßen. Das Leben ren zugehenden Sinn. Dabei bleiben bayerisch-kubanisches Musikprojekt. tuvinische Kehlkopfgesangsforma- aber auch Gespräche der Schriftsteller im westlichen Deutschland bleibt die eigenen Wurzeln dennoch beste- Jung, hip und mit viel Groove ... tion einladen, die hier vor Ort mit aus der DDR untereinander hält er für unwirklich für ihn trotz wichtiger Bü- hen. In dieser Form gibt es aktuell Ein weiteres Beispiel ist die »Un- Künstlern aus der Volksmusikszene dringend notwendig. Fast alle Wegge- cher und schriftstellerischer Erfolge nichts Vergleichbares. Gerade in den terbiberger Hofmusik«. Das ist eine ein gemeinsames Projekt entwi- gangenen fühlen sich heimatlos. Jeder – ein jahrelanger bunter Urlaub, nicht heutigen Zeiten halte ich das für ein bayerische Familie, die Himpsls, die ckelt? Denn es sollten nicht nur Einzelne von ihnen war von Konfl ikten mehr. Heimat, der Begriff taugt nicht ausgesprochen wichtiges Signal. fasziniert von türkischer Musik ist. »fertige« Produktionen eingeladen und innerer Zerrissenheit gezeichnet. für diese Zeit.  erscheint bei S. Fi- Sie reisen seit Jahren immer wieder werden. Das darf nicht das Ziel sein. Darzustellen, vor welch menschlichen scher die Erzählung »Die Weiber«. In Wie kam die Idee zu »Sounds of in die Türkei. Vater Himpsl spricht Wir würden gern einen Schirmherrn wie künstlerischen Problemen die aus ihr fi ndet er ein großartiges Bild für Heimat« zustande? und singt fl ießend Türkisch. Macht wie Reinhold Messner gewinnen, der DDR Vertriebenen, mit Lang- oder seine Verlustängste: Einem Ich ist die Die Idee hat sich aufgedrängt. Ich man die Augen zu, steht gefühlt ein der lokal verortet ist und gleich- Kurzzeitvisa ausgereisten, aus Gefäng- Welt zerfallen. Es beginnt zu halluzi- bin Programmverantwortlicher für Türke vor einem. Macht man sie zeitig wie kein anderer den ganzen nissen freigekauften oder »freiwillig« nieren, verliert seine Arbeit und gerät den Gastspielbereich im Theater- wieder auf, sieht man aber einen Globus erforscht hat. Diese lokale übergesiedelten Schriftsteller im west- an den Rand seiner Existenz. Für diesen haus Stuttgart. Da bekomme ich deutschen Mann in Tracht. Eine Verbundenheit gemeinsam mit dem lichen Deutschland stehen, ist Erich Mann sind »sämtliche Weiber aus der sehr viele Zusendungen, einige be- deutlichere Aussage kann man nicht Wissen, was in der Welt draußen Loests vorrangiges Anliegen, intensiv Stadt verschwunden«. Erst am Ende schäftigten sich mit diesem Thema. treff en, ja? Und das alles aber auch vorgeht, ist ein Weg, der wirklich zu unterstützt von Wolf Biermann. des Buches, nach einer verzweifelten Hinzu kamen direkte persönliche nicht parodierend, ein ganz wesent- einem Heimatbegriff führt, der zeit- Die sprachlichen Zwischentöne, der Suche, schreibt Wolfgang Hilbig: »I ch Begegnungen, besonders bei Wande- licher Faktor. gemäß ist. Aber für die nächste Aus- Lebensstil der Menschen, die gesell- wusste nun, wo sie zu fi nden waren, ich rungen im alpinen Bereich, Treff en Ist auch keine Kunst, sich über gabe braucht es die Unterstützung schaftlichen Verhältnisse und Spannun- hatte sie wiedergesehen und in mei- von Musikern usw. Ich merkte, dass Volksmusik lustig zu machen ... Cul- seitens der Öff entlich-Rechtlichen gen im Westen seien fremd für sie und nem Herzen bewahrt, ich konnte auf da was zugange ist, was es bis dato turbashing aus den er Jahren. – die war leider äußerst mager – und verwirrend. Man sehe zwar interessante sie warten.« noch nicht gab: eine neue Volks- Das alles ist Volksmusik in einer den einen oder anderen Förderpart- Themen, könne sie aber nicht behan- musik. Diese neue Volksmusik hatte neuen Form. Deutlich wird dabei, das ner. deln, ohne ins Klischee abzurutschen, Regine Möbius ist Schriftstellerin noch kein Forum, keinen Platz in Statement von »Sounds of Heimat«: erklären die Autoren aus der DDR den und Vizepräsidentin des Deutschen den gängigen Medien. Am Theater- Wir wollen einen vielfältigen Hei- Vielen Dank. oft naiv fragenden Zuhörern. Deutlich Kulturrates haus Stuttgart sind wir stark in der matbegriff vermitteln. spürbar ist der tiefe Graben zwischen Vermittlung von Kultur tätig und ha- Wolfgang Marmulla ist Programm- den Illusionen westlicher Kollegen und Dieser Beitrag enthält Auszüge aus dem ben so der neuen Volksmusik einen Und wie sieht dieser vielfältige verantwortlicher für den Gastspiel- den bitteren, ernüchternden Erfahrun- Buch »Schneisen der Zeitgeschichte: Erich Raum gegeben. Wir wollten deutlich Heimatbegriff genau aus? bereich im Theaterhaus Stuttgart. gen aus dem Osten. Fast alle haben Loest als politischer Mensch« von Regine machen, dass diese neue Volksmusik Es ist wichtig, die eigenen Wurzeln Theresa Brüheim ist Chefi n vom DDR-Gefängnisse von innen kennen- Möbius; erschienen im Mitteldeutschen nicht reaktionär, nicht rechts, nicht nicht zu verleugnen. Es gibt so Dienst von Politik & Kultur gelernt. Verlag, Halle . 24 HEIMAT  KUNST www.politikundkultur.net

Virtuelle Heimaten und reale Gefühle Inszenierungen von Heimat Computerspiele als Heimat im Computerspiel Der Übergang zu diesem nächsten As- pekt von Heimat im Computerspiel ist FELIX ZIMMERMANN fl ießend. Prinzipiell kann jedes Com- puterspiel zur Heimat werden, wenn enn schwarzer Rauch aus es bestimmte emotionale Reaktionen den meterhohen Schloten hervorruft. Auf zwei Aspekte möchte W der Fabrikanlagen dringt ich an dieser Stelle allerdings genau- und den sonst so unwahrscheinlich er eingehen. Erstens können Compu- schönen blauen Himmel verdunkelt terspiele soziale Räume sein und sich und wenn ein Meer aus enthaupteten damit besonders gut dafür eignen, als Bäumen nur noch entfernt an das Grün Heimat wahrgenommen zu werden. erinnert, das hier mal gestanden ha- Online-Rollenspiele wie »World of ben könnte, während die abgehackten Warcraft« von Blizzard Entertainment Baumstämme schon in die Sägewerke  ermöglichen es, Teil einer Welt geschoben werden, was steht dann auf aus abertausenden Spielerinnen und dem Spiel? Heimat. »Red Dead Red- Spielern zu sein, an gemeinsamen emption « von Rockstar Games , Aktionen teilzunehmen, sich in Clans

FOTO: PICTURE ALLIANCE / UNITED ARCHIVES UNITED / ALLIANCE PICTURE FOTO: der Computerspiel-Blockbuster des oder Gilden zu engagieren. Aber auch In »Ein Sommer auf dem Lande« von  schlagen sich zwei Freunde durch das Leben in der Sumpfl andschaft Marais. vergangenen Jahres, macht jedenfalls eSport-Titel wie »Overwatch« von Bliz- Das Leben ist nicht leicht, aber doch angenehm – meint der Film keinen Hehl daraus, dass er die unbe- zard Entertainment  fußen auf rührte Natur als Ur-Heimat gegen die sozialer Interaktion im gemeinsamen zerstörerische Zivilisation mit all ihren Spielen. So sind es nicht nur die Spie- Regeln stellt. Wer sich als Gesetzloser le, sondern auch und besonders deren gegen die Zwänge des Rechtsstaates Communities, die zur Heimat werden Zu Hause zwischen Prignitzern, stellt, der braucht ja etwas, für das er können. Zweitens erlauben viele Com- kämpfen möchte. puterspiele das aktive Aufbauen einer Diese Art der Instrumentalisierung Heimat, wobei sich die starke Verbun- Uckermärkern und Lausitzern von Heimat, um Motivation für Spiele- denheit dann durch die eigene Arbeit rinnen und Spieler zu produzieren, ist am Ort erklären lässt. Eine Aufbau- und Heimat und Identität im Kulturland Brandenburg im Reich der Computerspiele nichts Lebenssimulation wie »Die Sims« von Ungewöhnliches. Doch natürlich ist Maxis  ist ein gutes Beispiel da- BRIGITTE FABERSCHMIDT kulturelle Projekte, die im Rahmen der schen sehr bewegt, eine ganze Menge damit die Bandbreite des Begriffs für, wie ein virtueller Ort, den man mit Themenjahre und Landeskampagnen zu tun haben. Gerade in diesem Jahr »Heimat« im Computerspiel lange nicht Couch und Fernseher ausstattet, und dentität und Heimat haben Kon- zusätzliche öff entliche Wahrnehmung waren auch Projekte wichtig, die sich erfasst. Ich möchte daher schlaglicht- eine virtuelle Familie, deren Leben man junktur und stellen teilweise und Wertschätzung erzeugen und da- mit den polnischen Nachbarn und artig verschiedene Arten und Weisen begleitet, zur Heimat werden können. missbrauchte Begriff e dar. Insbe- mit wiederum die kulturelle Identität Partnern auseinandersetzten, denn vorstellen, wie das Konzept der Heimat Einen besonderen Vorteil haben diese I sondere rechte Kräfte versuchen und das Engagement vor Ort stärken. diese Nachbarschaft, ehemals harte im Computerspiel präsent wird, ohne virtuellen Heimaten außerdem: Wäh- aktuell, diese Begriff e einseitig ideo- Persönlichkeiten, die regiona- Grenze und besondere geteilte und dabei natürlich Vollständigkeit zu be- rend die reale Heimat allzu oft zurück- logisch zu besetzen. Es ist daher für le Identität herzustellen vermögen, mit Brüchen versehene Geschichte anspruchen. gelassen werden muss, weil Verpfl ich- kulturelle Akteure wichtig und vielen sind in Brandenburg z. B. Friedrich II. ist ebenso Bestandteil der branden- tungen es verlangen, sind die virtuellen auch ein Anliegen, sich mit Themen in Potsdam oder im Oderbruch, sein burgischen Identität. Heimat als emotionale Aufl adung Heimaten immer und überall verfügbar. wie Heimat und Identität auseinan- Bruder Heinrich in Rheinsberg, Theo- Wo man sich zuordnet, Identität Heimat ist ein schwer greifbares Kons- derzusetzen und zu positionieren. Die- dor Fontane, Heinrich von Kleist in fi ndet, ist jedoch immer eine Frage der trukt, das aber – so viel scheint sicher – Heimat als Thema se Themen haben nicht automatisch Frankfurt an der Oder, Hermann Fürst Perspektive. Wenn man auf anderen ganz erheblich mit spezifi schen, häufi g Computerspiele können sich anfühlen etwas mit Revanchismus zu tun, mit von Pückler-Muskau in Branitz, Cott- Kontinenten unterwegs ist, verstärkt sehr intensiven Emotionen verbunden wie Heimat und Heimat sein – der Über- verengter Perspektive oder mit der bus, Königin Luise in Paretz, Bettina sich unter Umständen die eigene euro- ist, die bestimmte Orte, soziale Grup- gang ist, wie erwähnt, fl ießend – doch Abwehr des vermeintlich »Fremden«, und Achim von Arnim in Wiepersdorf, päische Identität, ist man in Europa, so pen oder Tätigkeiten auslösen können. können sie Heimat auch explizit disku- das von außen kommt. Bertolt Brecht und Helene Weigel in sieht man sich als Europäer, aber auch Diese Eigenschaft von Heimat können tieren. Häufi g sind Heimatlosigkeit und Kulturland Brandenburg, die lan- Buckow, aber auch Schriftsteller wie als Franzose, als Pole, als Deutscher sich Computerspielentwicklerinnen die Suche nach einer neuen Heimat zen- desweit agierende kulturelle Dach- Erwin Strittmatter oder Günter de – was nicht gleichbedeutend mit Na- und -entwickler zunutze machen. Wie tral und damit auch wichtiger Antrieb marke des Landes Brandenburg, setzt Bruyn bis hin zu heutigen Autoren, tionalismus ist. In Deutschland dann häufi g und absolut zu Recht kritisiert, für die Spielerinnen und Spieler – so z. jedes Jahr ein anderes Thema, zu dem die Brandenburg und seine Bewohner versteht man sich als Brandenburger, geht es in Computerspielen allzu oft B. in »Mass Eff ect Andromeda« von Bio- in Kooperation mit unterschiedlichen refl ektieren, wie Antje Rávic Strubel Thüringer oder Bayer. Und in der bran- um kriegerische Auseinandersetzun- Ware . Auch fi nden sich Erzählun- Partnern im Land Brandenburg kultu- oder Juli Zeh. denburgischen Perspektive, wo es star- gen, d. h. Gewalt wird als primäres Mit- gen über das Nach-Hause-Kommen, also relle Projekte umgesetzt werden, auch Im Jahr  hat Kulturland Bran- ke Prägungen durch die gewachsenen tel der Problemlösung inszeniert. Da- über eine Rückkehr in die irgendwann an den Schnittstellen zu Wissenschaft, denburg das europäische Kulturerbe in Kulturlandschaften gibt, ist man dann mit sich Spielerinnen und Spieler nun zurückgelassene Heimat, in Spielen kultureller Bildung und Tourismus. Brandenburg in den Blick genommen natürlich z. B. Prignitzer, Uckermärker nicht nur gezwungen fühlen müssen, wie »Gone Home« von The Fullbright Kulturland Brandenburg fördert die und sich an das European Cultural oder eben Lausitzer. Gewalt anzuwenden, sondern selbst Company  oder »What Remains of Projekte unter anderem mit Landes- Heritage Year unter dem Motto »Sha- Die nächste kulturelle Jahreskam- an die Notwendigkeit dieser Gewalt Edith Finch« von Giant Sparrow . mitteln, koordiniert und vernetzt die ring heritage« angedockt. In diesem pagne des Landes Brandenburg ist glauben können, ist es hilfreich, eine Als besonders wichtig im Angesicht Akteure und ist für das übergreifende Kontext gab es einige Projekte, die, dem . Geburtstag von Theodor Bedrohungssituation zu kreieren, in der andauernden Kriege im arabischen Marketing verantwortlich. durchaus auch mit Blick auf das viel Fontane gewidmet, der wohl wie kein der Gewaltanwendung vermeintlich Raum erweisen sich wiederum Spiele Bei den Themenjahren geht es stets zitierte und beschworene Toleranz- anderer über mehrere Generationen notwendig wird. Im oben genannten wie »Begrabe mich, mein Schatz« von um zwei Perspektiven, zum einen Edikt von , verdeutlicht haben, identitätsstiftend gewirkt und das »Red Dead Redemption « wird die The Pixel Hunt  oder »This War of um die Kommunikation nach innen dass Integration und die Gestaltung Brandenburg-Bild bis heute in den schwer greifbare Heimat »Natur« mit Mine« von  Bit Studios , die vom und die Stärkung regionaler und lo- eines friedlichen Miteinanders im- Köpfen der Menschen, Einheimischen den ihr zugeschriebenen Freiheiten Verlust von Heimat durch Krieg und Ge- kaler Identität, zum anderen um die mer ein herausfordernder Prozess wie Besuchern der Region, geprägt und Schönheiten in Gefahr gebracht, walt und von der Flucht in eine unge- Kommunikation nach außen, auch war. Dieser gestaltete und gestaltet hat. Die Akteure haben sich vorge- woraus sich das Handeln der Spiele- wisse Zukunft berichten. Robert Seifert unter kulturtouristischen Aspekten. sich teilweise mühevoll. Andererseits, nommen, den Autor in allen Facetten rinnen und Spieler legitimieren lässt. regt an, nicht mehr nur von einer Hei- In beiden Dimensionen gilt die Ein- so zeigt auch die Geschichte, lohnt es zu beleuchten, insbesondere auch in Vielfach wird die schützenswerte Hei- mat, »sondern von einer als konvergent ladung, das Land Brandenburg unter sich jedoch, sich diesen Herausforde- den weniger bekannten Feldern seiner mat dabei romantisch verklärt, um den und fl uide erlebten, sich immer wieder den verschiedensten Themen immer rungen zu stellen. Die Projekte zeigten, journalistischen Arbeit, wie z. B. als Gegensatz Gut gegen Böse ganz deut- verändernden Heimat« auszugehen. wieder neu zu entdecken, größere dass Migration durchaus kein neues Theaterkritiker oder Kriegsberichter- lich zu machen. Computerspiele bieten mannigfaltige Zusammenhänge in den Geschichten, Thema darstellt und diese für eine statter. Ebenso wird die Arbeitsweise Doch auch wo nicht der Kampf um Anknüpfungspunkte, um Heimatgefühle Persönlichkeiten, historischen Zeug- Gesellschaft Bereicherung und Wei- Theodor Fontanes genauer betrachtet: die Heimat im Vordergrund steht, sind zu stimulieren oder gar selbst zur Hei- nissen und der Baukultur vor Ort zu terentwicklung bedeuten kann. wie er seine Sujets und Worte gefun- solche Romantisierungen verbreitet. mat zu werden; sie sind »heimatfähig«, erkennen und letztlich den Bogen Die Erkenntnis, dass man, vom den hat, welche Quellen und Infor- Der höchst erfolgreiche »Landwirt- schreibt Seifert. Sie profi tieren sicherlich zu schlagen zwischen Vergangenheit, kulturellen Erbe ausgehend, sehr oft manten er nutzte, wie er seine Texte schafts-Simulator« von Giants Software vom unsicheren Status der Heimat in der Gegenwart und Zukunft, aber auch zu ganz aktuellen Fragestellungen jahrelang immer wieder überarbei- seit  oder auch der Überraschungs- realen Welt, in der der Begriff in ideo- zwischen der globalisierten Welt und kommt, war im Europäischen Kultur- tete, Material mehrfach verwendete erfolg »Stardew Valley« von Eric Barone logisch aufgeladenen Grabenkämpfen den Strukturen und Möglichkeiten vor erbejahr eine vielfach geteilte Erfah- und neu zusammenfügte. Es gilt, den  zeigen verklärte, weil konfl iktbe- Verwendung fi ndet. An diesen Graben- Ort. Dabei kommt den Initiativen die rung. In vielen Projekten gab es einen scheinbar so bekannten, identitäts- freite landwirtschaftliche Arbeit in lieb- kämpfen sind allerdings gewiss auch Kompetenz und Kreativität zahlrei- interessanten Entwicklungsprozess. stiftenden Autoren neu kennenzu- lichen Umgebungen, womit ebenfalls Computerspiele nicht unbeteiligt. Wo cher Künstler und Kulturakteure zu- Zunächst wurde gefragt, wo das eu- lernen, um selbst neue Impulse und das Bedürfnis nach einer Heimat befrie- Heimat nur romantisierter Wohlfühlort gute, die international vernetzt, aber ropäische Erbe und die europäischen Perspektiven zur Erkundung seines digt wird, die frei ist von Unsicherheit, ist, da fi ndet keine produktive Ausei- mittlerweile lokal verwurzelt sind und Wurzeln vor Ort, quasi vor der eigenen Werkes und des Landes Brandenburg Unüberschaubarkeit und Beschleuni- nandersetzung mit ihr statt. Doch an agieren. Haustür, zu fi nden wären. Um dann zu erhalten. gung unserer Zeit. Diese romantisierten der Diskussion darüber, was Heimat in Insbesondere authentische Orte zu der Erkenntnis zu gelangen, dass Heimaten befriedigen eine »Sehnsucht Zukunft bedeuten soll, werden sich auch und einschlägige Persönlichkeiten, dieses Erbe und die entdeckten Zu- Brigitte Faber-Schmidt ist Geschäfts- nach Ursprünglichem«, wie sie der Me- Computerspiele beteiligen müssen. verbunden mit dem damit häufig sammenhänge mit unserer heutigen führerin der Brandenburgischen diensoziologe Robert Seifert in seinem verknüpften bürgerschaftlichen En- Situation, mit dem, was aktuell in den Gesellschaft für Kultur und Geschichte, Aufsatz »Orientierungssuche im Virtu- Felix Zimmermann promoviert in Köln gagement, bieten Schnittstellen für Medien diskutiert wird und die Men- Kulturland Brandenburg ellen« nennt. zu Atmosphären im Computerspiel Politik & Kultur | Nr. /  | März  HEIMAT  KUNST 25

Heimat verlieren, Heimat neu schaffen  Jahre Iranische heit und Sicherheit aufzubauen. Vie- schen Pass bekommt, nicht heimisch enna« () von Houchang Allahyari, erst, als durch ein Missverständnis der Revolution: Beispiele le hoff en indes, nach dem baldigen werden. Torkan hat mit »Tufan« einen Jahrgang , und »Salami Aleikum« Eindruck entsteht, Mohsen wäre reich Sturz der geistlichen Herrschaft zu- stark autobiografischen Familienro- () von Ali Samadi Ahadi, geboren und könnte den nach der Wiederverei- literarischer und fi lmischer rückzukehren. Doch die Islamische man und ein präzises Psychogramm der . Beide Filme nehmen das Aufei- nigung  stillgelegten VEB »Textile Verarbeitung Republik konsolidiert sich. Proteste iranischen Gesellschaft der er bis nanderprallen von Menschen aus ver- Freuden« wieder ins Leben rufen. Als wie der von Studenten  oder der er Jahre in einem geschrieben. Der schiedenen Kulturen und ihrer Werte- seine Eltern aus Köln anreisen, werden BEHRANG SAMSAMI der »Grünen Bewegung«  werden Leser lernt das Leben eines Menschen maßstäbe mit Humor – trotz oder ge- sie vom Dorf als potenzielle Investoren niedergeschlagen. Und allen, die fern kennen, das von Lieblosigkeit, Gewalt rade wegen der daraus resultierenden empfangen. Erst spät klärt Mohsen, der chah raft«, melden die Zeitungen der Heimat leben, wird bewusst, dass und fehlender Kommunikation, von Spannungen und Missverständnisse. Ana heiraten will, den Dorfwirt über die am . Januar  auf Persisch. ihr Leben im Ausland – das Pendeln patriarchalischen Strukturen, religiö- »I love Vienna« handelt von dem ira- wahren (Besitz-)Verhältnisse seiner El- S Das heißt auf Deutsch: »Der zwischen mindestens zwei Sprachen sen Geboten und den Folgen der Mo- nischen Deutschlehrer Ali Mohammed, tern auf, die durch die Einwanderung Schah ist gegangen«. Der Jubel auf Te- und Kulturen – dauerhaft sein wird. dernisierung des Iran unter dem Schah der mit seiner Schwester Maryam und in die Bundesrepublik – genauso wie herans Straßen ist groß. Die Bevölke- geprägt ist. Vor allem Frauen bleibt hier seinem Sohn Kurosh nach Wien kommt, die Eltern von Ana durch die Wende – rung feiert die Abreise von Mohammed Ringen um Sprache und kaum Raum für ein selbstbestimmtes damit der jugendliche Sohn nicht zum gezwungen wurden, sich quasi neu zu Reza Pahlavi Richtung Ägypten. Nach Identität Leben. Militär muss. Zugleich erfüllt sich für erfi nden. einer kurzen Flucht nach Rom  Endet der Roman »Tufan« kurze den Vater ein alter Traum, denn nun »Salami Aleikum« arbeitet stark mit infolge des Machtkampfes mit Premi- Im Folgenden blicken wir auf vier Zeit nach der Iranischen Revolution, lernt er Wien, das er in den »Sissi«- Übertreibungen. Mohsens Vater wirkt erminister Mohammed Mossadegh ist Beispiele literarischer und fi lmischer schildert Mehrnousch Zaeri-Esfahani, Filmen gesehen hat, endlich kennen. fast wie eine Karikatur. Es gibt Tanz- es damit bereits das zweite Mal, dass Auseinandersetzung mit diesen Ereig- Jahrgang , in ihrer Autobiografi e Doch die Stadt entspricht nicht seinen und Gesangseinlagen auf Persisch. der Schah außer Landes fl ieht. Doch nissen. Die Autoren und Regisseure » Bogen und ein Teehaus« von  Vorstellungen. Und auch das beeng- Orientalische Märchenelemente tau- eine erneute Rückkehr ist mehr als stammen aus dem Iran, gehören un- off en die an dramatischen Erlebnissen te Leben in einem kleinen Hotel mit chen auf. Dies alles unterstreicht aber unwahrscheinlich. Auf der Konferenz terschiedlichen Generationen an und reiche Geschichte ihrer Familie vor und anderen Neuankömmlingen und der letztlich die Hoff nung des Films auf ein von Guadeloupe Anfang Januar  erzählen ihre Geschichten auf Deutsch. nach der Zäsur des Jahres . Die Ich- fremde Lebensstil überfordern den friedliches Zusammenleben der Men- entscheiden die Regierungen der USA, Ihre Einzel- und Familienporträts, die Erzählerin berichtet, wie auch ihr Vater, religiösen Iraner. Ein Lichtblick ist schen. So heißt es am Ende aus dem Großbritanniens, Frankreichs und der durch Migration und Neuanfang in der ein säkularer Arzt aus Isfahan, von der Marianne, die Wirtin des Hotels, mit Off : »Eine verloren gegangene Heimat Bundesrepublik, ihn fallen zu lassen. Fremde gebrochen sind, bieten »Innen- Revolution mitgerissen wird. Wir erfah- der Ali eine »Zeitehe« eingeht. Als er kannst du nur dann wiedergewinnen, So kann Ayatollah Ruhollah Khomeini, ansichten«, wie sie Autoren und Re- ren von der Ernüchterung der Menschen erfährt, dass sie die Ehefrau des Hote- wenn du sie dir neu erschaff st. Eine Hei- einer der schärfsten Widersacher des gisseuren westlicher Herkunft so eher – etwa infolge des Schreckens, den die liers ist, trennt er sich von ihr. Und da mat, in der du dich als Teil des Ganzen Monarchen, am . Februar  aus dem selten gelingen. Diese (auto-)biografi - Pasdaran, die Revolutionsgarden, nach gibt es noch Djamshid, Alis Neff en, der fühlst, in der du sein kannst, wie du Exil zurückkehren. schen Darstellungen dienen zudem als Errichtung der Islamischen Republik in Wien aufgewachsen ist und seinem bist, und in der du dich mit all deinen Doch mit Khomeinis Rückkehr er- Folie, um über größere politische und verbreiten, so wenn sie junge Frauen Onkel hilft, eine Aufenthaltsgenehmi- Schwächen und Stärken einbringen lischt die Hoff nung auf Demokratie, auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle festnehmen, weil ihnen deren Kleidung gung für Österreich zu erlangen. Weil darfst. Wenn du das geschaff t hast, ja, ein Leben in Freiheit und Sicherheit. Zusammenhänge aufzuklären, die das als unislamisch erscheint. Es folgen im- die Chancen nicht gut sind, versucht dann bist du wirklich zu Hause ange- Die Revolution, die  als eine linke Leben der Menschen im Iran bis heute mer mehr Verbote. Dazu kommen die Ali ein Visum für die USA zu erhal- kommen.« beginnt und zahlreiche Proteste und prägen. Auswirkungen des Iran-Irak-Krieges. ten. »I love Vienna« pendelt gekonnt Kontrastierend zu den zwei litera- rischen und zwei fi lmischen Arbeiten soll zum Schluss noch eine Autorin genannt sein, deren Werk zuletzt in der Bundesrepublik mit Recht einige Aufmerksamkeit und mit dem LiBe- raturpreis  auch eine Würdigung erfahren hat: Fariba Vafi , geboren , ist nicht ausgewandert, sondern lebt mit ihrer Familie in Teheran. In ihren ins Deutsche übersetzten Romanen »Kellervogel« () und »Tarlan« () schildert sie mikroskopisch und nüchtern das bedrückende Leben meist junger, starker Frauen vor dem Hinter- grund der Islamischen Revolution, in kleinbürgerlichen Verhältnissen und in »Tarlan« auch das Leben als Nicht- Perserin. Vafi gehört der Ethnie der aserbai- dschanischen Türken an, die mit den anderen turksprachigen Menschen im Land  Prozent der iranischen Bevöl- kerung stellen. Es ist Vafi s Verdienst, in »Kellervogel« die alltäglichen Anforde- rungen und Schwierigkeiten aufzuzei- gen, die die Ausreise einer Mutter und ihrer Kinder verhindern. In »Tarlan« gelingt es ihr, den Blick zusätzlich auf die Probleme zu lenken, die im Vielvöl- kerstaat Iran für die nicht-persischen Ethnien bestehen. Ihre Sprachen und Kulturen zu pfl egen garantiert ihnen zwar die Verfassung der Islamischen Republik. Die Wirklichkeit sieht jedoch

FOTO: PICTURE ALLIANCE / AKGIMAGES / ALLIANCE PICTURE FOTO: anders aus. »Der heilige Berg«, den Arnold Fanck  unter anderen mit Leni Riefenstahl in der Hauptrolle drehte, ist ein Paradebeispiel des Bergfi lms in seiner Hochzeit Betrachtet man die hier vorgestell- ten Romane, Autobiografi en und Filme, Tote fordert, wird von den Geistlichen Der Roman »Tufan. Brief an einen is- Als die Gefahr akut wird, dass auch ein zwischen komischen Begebenheiten geht es ihnen primär um ein Rekonst- okkupiert. Khomeini ruft im April lamischen Bruder« () der Autorin Bruder der Ich-Erzählerin als (Kinder-) und der Darstellung des tristen Alltags ruieren und Vergegenwärtigen dessen,  die Islamische Republik aus. Bald Torkan, geboren , ist ein frühes Soldat an die Front muss, fl üchtet die von Menschen, deren Neuanfang stark was Individuen – stellvertretend für herrscht wieder Zensur. Hochschulen Beispiel für eine schonungslose Aus- Familie  ins Ausland. Sie wird zehn von Entscheidungen anderer abhängt. eine größere Gruppe von Iranerinnen schließen. Kopftuch tragen für Frauen einandersetzung mit der eigenen Le- Monate unterwegs sein und über die »Salami Aleikum« stellt Parallelen und Iranern – vor, während und nach wird Pfl icht. Politische Gegner werden bens- und Familiengeschichte sowie Türkei, die DDR und Westberlin nach zwischen den Erfahrungen von Mig- der Revolution beziehungsweise ihrer ausgeschaltet. Auch außenpolitisch den kulturellen und religiösen Traditio- Heidelberg gelangen. Wir lesen von Zu- ranten und denen früherer DDR-Bür- Auswanderung widerfahren ist. Wir ler- spannt sich die Lage massiv an. Im nen und Konventionen. Weil Asar nicht, ständen, die noch immer aktuell sind: ger her. Mohsen Taheri lebt, obschon nen Menschen kennen, die Opfer von April  bricht Washington seine wie erhoff t, einen Brief von ihrem jün- von der erniedrigenden Behandlung Ende Zwanzig, noch bei seinen Eltern Diktatur, Umwälzung und Krieg gewor- offi ziellen Beziehungen zu Teheran geren Bruder Tufan erhält, schreibt sie durch Mitarbeiter in deutschen Heimen; in Köln, wo der Vater eine Fleischerei den sind. Zugleich sind es Menschen, nach der Botschaftsbesetzung und ihm selbst. Die Ich-Erzählerin schildert von den Konfl ikten in den Heimen zwi- besitzt. Als diese wegen eines behörd- die die Kraft aufbringen, Heimat, Fa- der Geiselnahme von US-Diplomaten darin ihr Leben als Tochter eines Arztes, schen den Angehörigen verschiedener lichen Verbots geschlossen werden milie und Freunde zu verlassen, in der ab. Sehr viel dramatischer wirkt sich der in der Provinz lebt und sich für sie Ethnien; von der Angst der Familie der soll, übernimmt Mohsen das Geschäft, Fremde ein zweites Leben zu beginnen der im September  vom Irak ent- ebenso wenig interessiert wie ihre Mut- Ich-Erzählerin, in der neuen, fremden obwohl er kein Blut sehen kann und und im besten Fall ein neues Zuhause fachte Krieg gegen den Iran aus. Acht ter, die ihren Frust auf Asar wälzt und Umgebung die eigene Identität zu ver- der Vater auch nicht viel von seinem zu fi nden. Insofern stellen diese Werke Jahre später sind fast eine Million Tote Tufan auf sie hetzt. Doch Asar gelingt lieren, und der Strategie der Eltern, sich sensiblen Sohn hält. Da kommt das An- in ihrer Art (Selbst-)Therapien und Er- zu beklagen, die Infrastruktur beider der Ausbruch. Sie geht zum Studium zu assimilieren, indem sie und ihre Kin- gebot, fertig geschlachtete Schafe aus folgsgeschichten in einem vor, zeigen Länder ist stark beschädigt und ihre nach Teheran und wandert später in der sich unsichtbar machen. Polen zu kaufen. Mohsen fährt los, hat sie Bewältigungsstrategien mit Ernst Schuldenlast gegenüber dem Ausland die Bundesrepublik aus. Hier fi ndet sie im ostdeutschen »Oberniederwalde« und Witz auf. enorm. zwar den nötigen Abstand, um sich ihrer Lerne lachen, ohne zu weinen eine Autopanne und lernt Ana, eine Es sind Millionen von Menschen, Traumata bewusst zu werden und sich Automechanikerin und frühere DDR- Behrang Samsami ist promovierter die den Iran seitdem auf legalem und wieder- und zurechtzufi nden. Doch die Eine andere Strategie, diese existen- Kugelstoßerin, kennen und lieben. Die Germanist, freier Journalist und illegalem Weg verlassen haben. Ihr Kälte, die sie im Alltag empfi ndet, lässt ziellen Erfahrungen zu verarbeiten, Einwohner, vor allem Anas Vater, der wissenschaftlicher Mitarbeiter im Ziel: sich ein Leben in Frieden, Frei- sie hier, wo sie ein Kind und den deut- verfolgen zwei Spielfi lme: »I love Vi- Dorfwirt, lehnen ihn ab. Das ändert sich Deutschen Bundestag 26 HEIMAT  KUNST www.politikundkultur.net FOTO: PICTURE ALLIANCE / EVERETT COLLECTION EVERETT / ALLIANCE PICTURE FOTO: Benh Zeitlins »Beasts of the Southern Wild« zeigt das Band zwischen Menschen und Land: Hushpuppy und ihr Vater erleben die letzten Atemzüge ihrer Heimat bevor diese im Golf von Mexiko untergeht Heimat: Was soll das? Oder: Warum sich der Deutsche Kulturrat mit dem Heimatbegriff beschäftigt

JENS KOBER Aber warum beschäftigt sich der Deut- greifende Verankerung nachhaltigen Aber nicht nur die Mitglieder des Deut- del ein, wenn auch in einem anderen sche Kulturrat mit dem Thema Hei- Denkens und Handelns notwendig schen Kulturrates haben den Anspruch, Bereich und mit anderen Mitteln. Aber rmut und Hunger beenden, mat? sind. Heimat lebt auch vom baukul- Heimat zu gestalten. Dafür bedarf es ohne die vielen aktiven Mitstreiter aus die Ungleichheit innerhalb Naheliegend scheinen die unglaub- turellen Erbe, denn dieses stärkt den Vieler. Deshalb haben der Bund für Kunst und Kultur ist die Geschichte des und zwischen Staaten min- lich vielen Anknüpfungspunkte, die sozialen Zusammenhalt, basierend auf Umwelt und Naturschutz Deutschland BUND nicht denkbar. Heute sind dort A dern und zugleich die na- sich für die Mitglieder ergeben. So einer gemeinsamen Identität, Stolz und (BUND) und der Deutsche Kulturrat mit über . Gruppen vor Ort aktiv und türlichen Lebensgrundlagen weltweit gehört Musik zu unserem Leben und Verbundenheit mit einem Ort. Die Art, Unterstützung des Rates für Nachhal- tragen mit dazu bei, Heimat aktiv zu bewahren: Diese und weitere »Sustain- verbindet Menschen, egal welcher wie wir den historischen Bestand heute tige Entwicklung Ende letzten Jahres gestalten und Zukunft Realität werden able Development Goals« will die sozialen oder ethnischen Herkunft nutzen, pfl egen, schützen und weiter- ein Kooperationsprojekt ins Leben zu lassen. Und sie machen der Politik Weltgemeinschaft bis  erreichen. sie sind. Musik als grenzenlose Welt- entwickeln, ist entscheidend für die Druck: für eine intakte Umwelt, die Doch dies kann nur gelingen, wenn sprache ist geeignet, Geist, Körper und Zukunft unserer Heimat. Architekten Bewahrung der biologischen Vielfalt, wir unseren Ressourcen-, Energie- und Seele des Menschen zu erreichen. Das und Stadtplaner gestalten unsere ge- Kunst und Kultur wenig Ressourcenverbrauch und eine Flächenverbrauch absolut begrenzen. bürgerschaftliche Engagement der Mu- samte Umwelt unmittelbar. Design können Innovationen hohe Lebensqualität für die Menschen. Entscheidend ist dafür eine Änderung sizierenden ist unverzichtbarer Teil gestaltet unsere Gesellschaft und be- Um diese Ziele gemeinsam zu verfol- unserer Wirtschafts- und Lebenswei- des kulturellen Lebens – selbst in den einfl usst unser soziales Miteinander. anregen und mora- gen, wurde beim Deutschen Kulturrat sen hier, in unserem Umfeld, in unserer kleinsten Gemeinden. Die einzigarti- Design bewusst auch als Kulturerbe lische Ressourcen ein Projektbüro eingerichtet. Eine Ver- Heimat. Doch wie kann das gelingen? ge Vielfalt der (freien) Theater- und zu verstehen bedeutet, den Blick zu mobilisieren netzungsgruppe, in der das Präsidium Für den Deutschen Kulturrat ist die Idee Orchesterlandschaft macht Kreativi- schärfen, gestalterische Fähigkeiten und die Geschäftsführung beider Ver- der nachhaltigen Entwicklung im Kern zu fördern und Inspiration für wegwei- bände vertreten sind, begleitet diese ein kulturelles Projekt. Die  globalen sende Fragen und Lösungen zu vermit- gerufen. Ziel dieser auf zwei Jahre an- Kooperation und bringt die nötigen Nachhaltigkeitsziele sind dabei gleich- Diskussionen um teln. Durch Medien wird Wirklichkeit gelegten Kampagne ist es, eine Brücke Entscheidungen auf den Weg. zeitig Kompass und Motor einer kultu- Heimat sind nicht transportiert. Nicht nur die weite Welt zwischen dem Nachhaltigkeitsdiskurs Ein Workshop mit dem Titel »Hei- rellen Veränderung, die auf ein gutes wird in den Wohnzimmern und Kinos des Natur- und Umweltbereiches und mat: Was soll das?« war der Auftakt Leben aller Menschen auf unserem Hei- rückwärtsgerichtet, erlebbar, sondern auch Heimat. Die kulturpolitischen Debatten zu schla- dieses besonderen Kooperationsprojek- matplaneten zielt. Die Kraft von Kunst sondern weisen in die Vielfalt der Medien und der Anspruch gen. Gemeinsam mit Interessierten tes. Aktive aus beiden Verbänden haben und Kultur kann Innovationen anregen, Zukunft von Macherinnen und Machern, ihrem aus beiden Verbänden konzipieren wir beschlossen, noch stärker zusammen- moralische Ressourcen mobilisieren Publikum gerecht zu werden, frei von eine Veranstaltungsreihe zum Thema zuarbeiten und zivilgesellschaftliche und die Grundlage für einen kulturel- Einfl ussnahme unterschiedliche Sicht- »Heimat: Was ist das?«, mit dem Ziel Diskurse zu gestalten. Mit vielfältigen len Wandel schaff en. Deshalb hat der tät und Freude vor Ort erlebbar. Die weisen darzustellen, tragen zu unse- zu zeigen, dass die aktuellen Debatten Aktionen werden wir gemeinsam noch Deutsche Kulturrat im letzten Jahr eine Literatur ermöglicht die erzähleri- rem Verständnis von Heimat bei. In der um den Begriff keine rückwärtsgerich- mehr Druck auf die aktuelle Politik Arbeitsgruppe initiiert, die sich intensiv sche und dichterische Verarbeitung kulturellen Bildung wird nachhaltige teten Diskussionen sind, sondern sich ausüben. Denn es braucht Mut zu Ver- mit dem Themenbereich Nachhaltigkeit gemachter Erfahrungen, Traum und Entwicklung aktiv gelebt, Diversität an- vielmehr um die Zukunftsfrage drehen, änderung! Mut zu kulturellem Wandel! und Kultur befasste. Die Stellungnahme Ahnung, warnende und hoffnungs- erkannt und Inklusion umgesetzt. Sie in was für einem Land wir leben wollen. »Umsetzung der Agenda  ist eine volle Vorgefühle für Kommendes. Mit leistet einen Beitrag dazu, dass alle die Denn wie wir setzt sich der BUND Jens Kober ist Referent für kulturelle Aufgabe« wurde Anfang  Mitteln der Bildenden Kunst werden Möglichkeit der Beheimatung haben, für nachhaltige Entwicklung und für Nachhaltigkeit und Kultur beim vom Sprecherrat verabschiedet. Potenziale erweckt, die für eine tief- damit ein »Dazugehören aller« gelingt. einen gesellschaftlich-kulturellen Wan- Deutschen Kulturrat Politik & Kultur | Nr. /  | März  HEIMAT  KUNST 27

… der Ort, wo ich mich … identitätsstiftend, Heimat ist für mich ... wohlfühle und zu Hause bin. Es transportiert über Kultur, Medi- ist der Ort, wo die Menschen und en und gesellschaftliche Werte. die Umgebung angenehm sind. Diese sind ein wichtiger Teil … sowohl ein Ort, an dem … Vertrautheit und Sehn- … der Ort, an dem ich Heimat hat etwas mit Wurzeln einer vielfältigen und off enen ich mich verwurzelt fühle, wo sucht. geboren und aufgewachsen zu tun: Wenn die Kindheit an- europäischen Gesellschaft. ich aufgewachsen bin und mei- Juliane Wenzl, Vorstandsmitglied bin. Sie prägte meine Kindheit genehm war, dann ist es der Ort. Hans Demmel, Vorstand von VAU- nen Lebensmittelpunkt habe, des Deutschen Designtages und Jugend durch vertraute Es können auch weitere Orte NET – Verband Privater Medien als auch ein Gefühl, wenn ich an Menschen, Orte, Sprache bzw. hinzukommen. Eben dort, wo ich diese Parameter denke. Dialekt und Landschaften. In liebe Freunde, nette Nachbarn, Lukas Kerecz, Inhaber der Agen- … ein Gefühl, das ich an … etwas Bindendes, der Heimat wohne ich schon meine Arbeitsstelle, Natur, Ar- tur Formlos Berlin Orten erlebe, die mir vertraut Konstantes und zugleich sehr lange nicht mehr, sie ist aber als chitektur und Lebenskultur habe. und lieb geworden sind. Das Dynamisches, sich Verändern- »Sehnsuchtsort« geblieben. Je Ich habe zwei »deutsche« Hei- Gefühl ist, diese Orte zu schät- weiter weg ich mich heute von des – es speist sich aus Gefühlen, maten, da, wo ich geboren bin zen, mich für sie verantwortlich der Heimat bewege, umso grö- Erfahrungen, Sprache, geteilten … Familie und Freunde, und die ersten  Jahre meines zu fühlen und auf sie achtzu- ßer wird die Region, die ich als Erinnerungen, Haltungen und meine Sprache(n) (bilingualer Lebens verbracht habe, und der geben. Und dazu gehören die Heimat bezeichne. kulturellen Vorlieben. Heimat ist Hintergrund), die Kirche und Ort, wo ich bis jetzt die anderen Menschen, die Bauten und die Dorothee M. Meister, Professorin dabei kein Widerspruch zu Plu- Orte, an denen ich mich zu Hau-  Jahre verbringe … Landschaften, die diese Orte für Medienpädagogik und empi- ralismus, sondern setzt ihn vor- se fühle (das sind bei mir meh- Annette Schulte, Schatzmeisterin prägen und immer auf ihre Wei- rische Medienforschung an der aus. In einem eher persönlichen, rere). des Deutschen Designtages se unverwechselbar machen. Universität Paderborn privaten Gebrauch, auch in- Guido Schröer, Geschäftsführer Martin Bredenbeck, Geschäfts- nerhalb von Gruppen, kann der des Borromäusvereins führer des Rheinischen Vereins vergangenheitsbelastete Begriff für Denkmalpfl ege und Land- … der Ort bzw. die Ge- … ein Gefühl von Wärme Heimat – milieu- und alters- schaftsschutz e.V. gend, wo ich mich verstanden und Vertrautheit, das einen übergreifend – heute durchaus … ein schillernder Begriff , fühle. Sowohl im wörtlichen ein Leben lang begleitet, selbst positiven und unbeschwerten dem eine positive Beziehung Sinne der sprachlichen Verstän- wenn der Abstand zu ihr groß ist. Sinn stiften. Immer dann aber, zwischen Mensch und Raum zu- … kein Ort, sondern ein digung als auch im metaphori- Zu Hause bin ich in München, wenn dem Begriff Heimat eine grunde liegt. Wenn sich innere Zustand mit Bedingungen, in schen Sinne gemeinsamer Werte. dort werde ich wohl für immer gesamtgesellschaftliche Funk- Ruhe einstellt, die eigene Iden- denen ich mich persönlich wohl Karin Schmidt-Friderichs, Verle- bleiben. In der Pfalz, meiner tion zugeschrieben werden soll, tität im Einklang steht mit den fühle, d. h. die mir vertraut sind, gerin im Verlag Hermann Schmidt Heimat, möchte ich nicht für kommt die Schwere zurück und umgebenden Orten und Men- in denen ich mich auskenne und immer bleiben, aber die wohlig- ist der positive Sinn fl üchtig. schen und sich ein (Lebens-)Ge- zu denen ich Vertrauen habe, weiche Luft in der Nase und die Jan Herchenröder, Geschäfts- fühl von Vertrautheit, Sicherheit meine Meinung (angst-)frei sa- … anlass- und stimmungs- glühende Pfälzer Sonne auf der führer des Verbandes deutscher und Zugehörigkeit ausbreitet, gen kann, in dem bestimmte kul- bezogen: meistens da, wo meine Haut, der warme Spargelacker- Drehbuchautoren dann ist Heimat Zustand und Ort turelle und demokratische Werte Liebsten sind. Manchmal aber Sandboden unter den Füßen zugleich. gelten. Heimat ist für mich vor auch ganz tief drinnen da, wo und der Blick auf den Speyerer Daniel Mark Eberhard, Professor allem anderen kein Begriff der ich aufgewachsen bin, wo man Dom am Horizont werden ewig Heimat war früher – für Musikpädagogik und Musik- Ausgrenzung und Abgrenzung, meine Sprache spricht und ich meine Sehnsucht sein. heute ist anders. didaktik an der Katholischen sondern einer persönlichen Zu- jedes Steinchen kenne. Michael Grill, Beauftragter des Rein Wolfs, Intendant der Kunst- Universität Eichstätt-Ingolstadt ordnung, mehr nicht. Anne Gentes, Kundenmanagement Vorstandes des Bundes der Thea- und Ausstellungshalle der Bun- Joachim Reiss, stellvertretender bei Ullstein Buchverlage GmbH tergemeinden e.V. desrepublik Deutschland Sprecher des Rats für darstellende … ein vergangener und Kunst und Tanz im Sprecherrat doch immerwährender Sehn- des Deutschen Kulturrates suchtsort, der mich an meine Kindheit erinnert; eine fortwäh- rende Sinnsuche meines Lebens … das Haus, der Ort, die und eine geistliche Heimat Region, die Landschaft, in der (»Wir haben hier keine bleiben- ich aufgewachsen bin. Heimat kultur de Stadt, sondern die zukünftige ist der Raum, der Ort, das Land, suchen wir« – Hebräer ,); in dem ich lebe und lebte. Hei- meine Muttersprache mit ver- mat ist eine tiefe Verwurzelung, trauten Texten und Melodien, Vertrautheit, soziale Bindung Sprachmelodien, die mich von und ein starkes Gefühl. Heimat stellen klein auf bis ins Alter tragen, geben mir Menschen, die mir auch wenn ich nicht (mehr) sehr nahe stehen. Heimat ist lesen kann; das wunderbare Ge- nicht eindeutig, Heimat ist dy- fühl des Ankommens, wenn ich namisch und mehr als nur eine unterwegs bin – wenn auch nur markt Sprache. Der Begriff Heimat be- geliehen und für kurze Zeit; we- inhaltet daher immer auch das www.nmz.de/stellenmarkt niger Orte – mehr Menschen. Fremde, den Verlust und damit Print & Online Martina Hergt, Fachbeauftrag- einhergehend den Schmerz. seriös – aktuell te für Chor- und Singarbeit der Heidi Sill, Bildende Künstlerin seit 68 Jahren Evangelisch-Lutherischen und Sprecherin des BBK Berlin Landeskirche Sachsen

… im übertragenen Sinne … ein Gefühl der Gebor- das geistige Land der »Dichter genheit und der Zugehörigkeit. und Denker«, indem sich Gleich- Volker Kutscher schreibt in sei- gesinnte treff en, die Freude da- nen Krimis über Gereon Rath in ran haben, gedanklich zu expe- etwa: »Heimat ist Kindheit« und rimentieren, zu streiten und zu- ich fi nde, das triff t es ziemlich gleich Gedanken in Einklang zu genau. Bestimmte Orte, Klänge, bringen und weiterzuentwickeln. Gerüche oder das Zusammen- Ich fi nde diese Landsleute im sein mit bestimmten Menschen Geiste in meiner Nachbarschaft, können dieses Gefühl auslösen in der Region, in meinem Land, und sie haben meist mit der in Büchern, in anderen Ländern Kindheit zu tun. und Städten – analog und digital. www.nmz.de Constanze Guhr, Illustratorin und Susanne Keuchel, Direktorin der Sprecherin des Beirates Politik der Akademie der Kulturellen Bildung neue musikzeitung Illustratoren Organisation des Bundes und des Landes NRW 28 DAS LETZTE www.politikundkultur.net

Kurz-Schluss Wie einmal Donald Trump fast von selbst auf die Idee kam, am menschengemachten Klimawandel könnte was dran sein

THEO GEIẞLER faltig-bleicher alter Männer und der ei- gessen. Die Demokratin Pelosi hätte es ein Leichtes, auch ihren Vater von der bomben-Explosionen schmelzen. Das nen oder anderen ebenbürtigen Grand- den Bräuner unmittelbar vorher unge- Realität dieser Bedrohung zu überzeu- würde für ausreichend Kühlung sorgen. Manchmal sind es überraschende Ein- ma sich ganz elend mopste, zumal sich waschen genutzt. gen. Blut sei eben dicker als theoreti- Er sei bereits in der Kommandozentrale zelschicksale, allenfalls noch im Ver- unter ihren zehn Securityboys aus gu- All diesen Gerüchten widerschrieb sches Geschwafel. seiner »Donald One« und würde in zehn bund mit nahestehenden Menschen, tem Grund nur von Muttern handverle- Ivanka energisch – aufgrund multipler Und in der Tat: Donald Trump zwang Sekunden starten: »America First. God die das Weltgeschehen verändern. sene Hundert-Prozent-Gays befanden. Verrunzelungen und Verbrennungen Twitter – noch immer herrschte ja nati- bless you«. Zum Beweis schildere ich in gebotener Nach einer recht erfolglosen Shop- zweiten Grades an für sie bedeutenden onaler Notstand und somit jede Menge Tja, irgendwas scheint beim Start des Kürze eine entsprechende Situation: pingtour – Münchens Modehäuser Körperteilen war sie unter anderem Vollmachten für den Präsidenten – jeg- Spaceships schiefgegangen zu sein. Es Soeben sitze ich mit meinem alten hatten im Superior-Segment noch auf auch noch sprachunfähig. Vielmehr liche Buchstabenzahlbeschränkung für rammte noch die Freiheitsstatue und Schulkameraden Ischinger (genannt Burkas, Kopftücher sowie Dirndl und sei sie – um konkrete Lösungsmög- seine Verlautbarungen aufzuheben. schoss dann in den Riesen-Tsunami, Isch, der Fisch – ich hab ihn nie wirklich Lederhosen in bekannt zwergenhaften lichkeiten für die umfassenden welt- Augenblicklich veröff entlichte er kom- dessen Wucht sich bis hin zu Münch- gemocht) ganz oben im linken Zwiebel- Chinesenmaßen umgestellt – begab politischen Konfl ikte mit freiem Kopf plexe Verdikte: Alle Motoren, egal ob ner Sicherheitskonferenz ergoss – und turm der Münchener Liebfrauenkirche. sich Ivanka reichlich frustriert in den wohlformuliert vorzutragen – kurz Diesel, Benzin und aus Paritätsgründen dessen langsamen Rückzug wir gerade Wir hatten ein Interview für RTL  in luxuriös-üppigen Spa-Bereich des Bay- durch den kleinen Lustgarten des Hotels auch elektrische, seien in den USA und beobachten, der Ischi-Fischi und ich. der Mache. Dank seiner Ortskenntnis erischen Hofes. Zu Beginn eine zarte spaziert. Die Securitys hatten sich mit den Nato-Staaten binnen einer Stunde Hoff entlich gibt es hier noch genug und seines überlegenen Kommunika- Peitschenmassage mit frisch gerupf- ihrer Erlaubnis gerade im »Jazzkeller« zu stoppen. Nämliches gelte für Flüge arme Kirchenmäuse, damit wir wenigs- tionssystems konnten wir uns gerade ten Steinadlerfedern, gefolgt von einem genannten Darkroom des Hauses erholt. bis auf die Lang- und Mittelstrecken- tens ein bisschen was zu essen haben … noch vor der Trump-Flut retten. Jetzt Bad in Murmeltier-Steinbock-Milchmix Da sei sozusagen der Himmel aufgeris- raketen zur Verteidigung der USA. Er hocken wir vor einem Glasziegel, gu- und abgerundet durch das klassische sen, durch klimatische Verzerrungen – selbst habe natürlich schon immer von cken auf den langsam sinkenden Was- Trockenreiben mit noch leicht blutigem Einheimische hätten dem an den Alpen der Gefahr gewusst, aber geschwiegen, serspiegel, der gerade den unteren Rand Babyrobbenfell – ein akzeptabler Start gelegentlich auftretenden grausamen um keine weltweite Panik auszulösen. der Turmuhr freigibt. Sie möchten wis- in die Wellness. Phänomen den bezeichnenden Namen Allerdings hätte er bei Perry Rhodan sen, wie das kam? Bitte! Als Krönung sollte jetzt noch die »Föhn« gegeben –, es wäre stellenweise gelesen: Wenn die Gefahr am größten Es dürfte allgemein bekannt sein, Ganzkörpersanftbräunung in der exqui- das den Globus schützende Magnetfeld ist, sei die Rettung am nächsten. Des- dass Donald Trump aufgrund von siten UV-Tonne des Bayerischen Hofes zerfallen – und sie sei von einem Ener- halb habe er seinen Trump-Tower seit Mauerbau, Ächtung jeglicher Klima- folgen. Ein ursprünglich israelisches giestrahl höchst zerstörerischer Kraft Jahren in ein Spaceship umbauen lassen, abkommen und Erklärung des staat- Modell mit Kräuterpökelsalz aus dem gottlob nur gestreift worden. Eines sei um mit seiner Familie, seinen Anwäl- lichen Notstandes zum Schutz der Roten Meer. Über das, was nun geschah, allerdings glasklar – nachdem russische, ten und einigen Generälen die partielle amerikanischen Bauindustrie Tochter gibt es die wildesten Vermutungen. iranische, deutsche oder nordkoreani- Rettung der Erde direkt aus dem Weltall Ivanka an seiner statt zur Münchener Der Mossad hätte – den Verdacht auf sche Übergriff e wissenschaftlich zu  beobachten zu können. Sicherheitskonferenz in das Luxushotel islamische Attentäter lenkend – die Prozent ausgeschlossen werden konn- Als erste Maßnahme habe er dafür »Bayerischer Hof« entsandte. Da ist es Strahlungsintensität vertausendfacht. ten: Es hätte sich um ein menschenge- gesorgt, dass die glücklicherweise kaum eigentlich kein Wunder, dass Ivanka an Eine Putzfrau hätte aus Versehen eine machtes, nahezu tödliches Phänomen besiedelten Pole und die russischen Theo Geißler ist Herausgeber von dieser wichtigtuerischen Versammlung Flasche Rohrreiniger in der Tonne ver- der Erderwärmung gehandelt. Nun sei Permafrostgebiete dank Wasserstoff - Politik & Kultur

TAUBENSCHISS  DIE P&KTRUMPFAKES

Berlin: Als neuen Chef der Berlinale hat Bogen einzusetzen. Das für den Bogen- sich der deutsche Mime Til Schweiger strich nötige Kolophonium setze un- ins Gespräch gebracht. »Ich gebe unserer glaubliche Mengen giftigen Feinstaubes Kulturstaatsministerin Monika Grütters frei, was nicht zuletzt dank des Gehustes völlig recht, dass der deutsche Film viel in Konzertsälen eindeutig bewiesen sei. mehr internationale Akzeptanz braucht«, so Schweiger bei einer Koks-Testparty Passau: Die Sanierung der Anlage des im Berghain. »Endlich macht der alte ehemaligen Gasthauses »Zur Fels’n« Kulturzausel Kosslick Platz für Innovati- in Passau wird mit rund . Euro on. Die designierte Holländerin und den aus dem Entschädigungsfonds unter- Italiener beiß ich schon noch weg. Mit stützt. Das gab Kunstminister Bernd Sib- zwei Blockbustern werde ich  selbst ler bekannt: »Zur Fels’n zählt in Pas- antreten: Drei-D-Remakes von Ketten- sau zu den ältesten Wirtschaften. Das sägen-Massaker und Deep Throat.« frühere Gasthaus ist vielen bis heute ein Begriff – es ist Teil der Identität der Amsterdam: Im Rahmen des soeben Stadt. Indem wir dieses Baudenkmal eröff neten Rembrandt-Jahres schlägt mit neuem Leben füllen, bewahren wir der Kurator der Ausstellung im Rij ks- unsere Hoheit über die Stammtische.« museum Hinterding vor, den Wert der Das Geld stammt aus der gestrichenen  Ölgemälde zu multiplizieren. Man Förderung der Anonymen Alkoholiker. müsse sie nur in die Häckselmaschine spannen, die bei der Sotheby’s-Auktion Berlin: Auch Rocker dürfen weinen – das Banksys eher triviales Blatt »Love is in ist die feste Überzeugung des Duos The the Bin« zu einem Millionenobjekt ge- BossHoss. »Natürlich dürfen Männer schreddert hat. wei nen«, sagte Alec Völkel in einem In- terview, »ich fi nde das voll angemessen«. München: Bayerns Umweltminister Thor- Auch sein Kollege Sascha Vollmer sieht sten Glauber von den »Freien Wählern« das so: »Angesichts der Qualität unserer hat die in den weißblauen Landesgren- Songs hätten wir auch Verständnis für zen auftretenden Orchester angewiesen, Verzweifl ung, Wut oder gar Mordgelüs-

KARIKATUR: KLAUS STUTTMANN KLAUS KARIKATUR: ihre Streichinstrumente nur noch ohne te«. (thg)

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Politik & Kultur – ANZEIGENREDAKTION LAYOUT UND SATZ VERKAUFSSTELLEN HINWEISE Zeitung des Deutschen Kulturrates Martina Wagner Petra Pfaff enheuser Politik & Kultur ist im Abonnement, in Der Deutsche Kulturrat setzt sich für c/o Deutscher Kulturrat e.V. ConBrio Verlagsgesellschaft ConBrio Verlagsgesellschaft Regensburg Bahnhofsbuchhandlungen, großen Kiosken Kunst-, Publikations- und Informations- Taubenstraße ,  Berlin Telefon:  .  - sowie an Flughäfen erhältlich. Alle Ausgaben freiheit ein. Offi zielle Stellungnahmen Telefon:  .    Fax: .-- Politik & Kultur erscheint zehnmal im können unter www.politikundkultur.net des Deutschen Kulturrates sind als solche Fax:  .    [email protected] Jahr. auch als PDF geladen werden. Ebenso kann gekennzeichnet. Alle anderen Texte geben www.politikundkultur.net der Newsletter des Deutschen Kulturrates nicht unbedingt die Meinung des Deutschen [email protected] VERLAG ABONNEMENT unter www.kulturrat.de abonniert werden. Kulturrates e.V. wieder. Aus Gründen der ConBrio Verlagsgesellschaft mbH  Euro pro Jahr (inkl. Zustellung im Inland) besseren Lesbarkeit wird manchmal auf HERAUSGEBER Brunnstraße  HAFTUNG die zusätzliche Benennung der weiblichen Olaf Zimmermann und Theo Geißler  Regensburg ABONNEMENT FÜR STUDIERENDE Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte Form verzichtet. Wir möchten deshalb Telefon:  .  -  Euro pro Jahr (inkl. Zustellung im Inland) und Fotos übernehmen wir keine Haftung. darauf hinweisen, dass die ausschließliche REDAKTION www.conbrio.de Alle veröff entlichten Beiträge sind urheber- Verwendung der männlichen Form expli- Olaf Zimmermann (Chefredakteur v.i.S.d.P), BESTELLMÖGLICHKEIT rechtlich geschützt. Politik & Kultur bemüht zit als geschlechtsunabhängig verstanden Gabriele Schulz (Stv. Chefredakteurin), DRUCK Politik & Kultur sich intensiv um die Nennung der Bildau- werden soll. Theresa Brüheim (Chefi n vom Dienst), Freiburger Druck GmbH & Co. KG Taubenstraße  toren. Nicht immer gelingt es uns, diese Andreas Kolb www.freiburger-druck.de  Berlin ausfi ndig zu machen. Wir freuen uns über FÖRDERUNG Tel.:  .   , jeden Hinweis und werden nicht aufgeführte Gefördert aus Mitteln Der Beauftragten REDAKTIONSASSISTENZ GESTALTUNGSKONZEPT Fax:  .    Bildautoren in der jeweils nächsten Ausgabe der Bundesregierung für Kultur und Medien Maike Karnebogen Ilja Wanka und S Design [email protected] nennen. auf Beschluss des Deutschen Bundestages.