18 SPORT FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 7. APRIL 2013, NR. 14 Am Ende der Skala Auf diesen Moment hatte die Kletterszene gebannt gewartet: Die Erstbegehung von „“. Im freundschaftlichen Wettstreit rangen der Tscheche und der Amerikaner Chris Sharma monatelang darum, die schwerste Route der Welt zu durchsteigen. Nun gelangen dem Zauberlehrling und dem Altmeister dieses Kunststück. Von Annika Müller

ie stark nach vorn geneigte „Es war das spannendste Kletter- „Wir hatten vor allem viel Spaß Route heranzugehen. Tatsächlich fünfzig Meter hohe Fels- ereignis des letzten Jahrzehnts“, miteinander.“ Ondra habe die Erst- habe er, als er vor Jahren die Bohr- wand „Contrafort de Rum- sagte Joe Kinder, amerikanischer begehung verdient, sagt der braun- haken in die fünfzig Meter hohe D Wand setzte und die Route von lo- bau“ im katalanischen Ort Kletterprofi und Augenzeuge des gebrannte, muskulöse Sharma. sticht sofort ins Auge, wenn man Ringens um „La dura dura“: „Es Und man nimmt ihm seine Groß- sem Gestein säuberte, bereits an sich aus der Ebene von kom- war unglaublich zu sehen, wie sich zügigkeit ab. „Er hat sich dieser Adam Ondra oder zumindest ei- mend den Vorpyrenäen und Andor- die beiden ergänzten und einen Route den ganzen Winter über nen Kletterer der „neuen Genera- ra nähert. Steht man am Fuß die- neuen, nie dagewesenen Stil schu- mit einer beispiellosen Ausschließ- tion“ als Erstbegeher gedacht. Sich ses abweisenden Kalksteindachs, fen.“ Die Doppelbegehung war – lichkeit verschrieben.“ selbst ein solches Ziel zu setzen, ist der Eindruck noch gewaltiger. anders als oft dargestellt – nicht In der Tat galt Ondras Aufmerk- schien ihm damals vermessen. Dort, im Mittelteil der Wand, wo das Ergebnis eines Wettstreits, son- samkeit einzig der katalanischen Ende vergangenen Jahres dann nur winzige rauhe Stellen, kaum dern das Gemeinschaftswerk der Kalksteinlinie. Wochenlang stieg war Sharma kurz davor, sturzfrei sichtbare Ausbuchtungen und Ris- beiden wichtigsten Protagonisten er am späten Nachmittag, wenn den Umlenkhaken am oberen se den Finger- und Zehenspitzen der Kletterszene – der Koryphäe sich der Schatten über den Sektor Ende der 45 Meter langen Route einen minimalen Halt ermögli- Sharma und dem vielversprechen- schob, in die Route ein. Licht und zu erreichen. Doch dann – aus ihm chen, verläuft „La dura dura“. Be- den Talent Ondra. Erst indem sie Kraft reichten meist nur für einen unerklärlichen Gründen – scheiter- wertet mit dem Schwierigkeitsgrad ihre unterschiedlichen Ansätze zu- einzigen Versuch, der meist mit te er am leichteren Schlussstück. 9b+. Sie ist die derzeit schwerste sammenführten, konnten sie Zug dem Sturz auf den ersten, den „Es war bizarr: Zuerst rückte mir Sportkletterroute der Welt. für Zug, Tritt für Tritt, Meter für schwersten Metern endete. Seine der Erfolg so nahe, um sich mir Und die flößt selbst Könnern Meter der Route ihren Schrecken Frustration war als markerschüt- dann vollkommen zu entziehen.“ ungeheuren Respekt ein. „Ich hat- nehmen. Der Kletterstil der bei- ternder Aufschrei, gefolgt von wil- Für den Amerikaner ging es bei te nicht damit gerechnet, die „La dura dura“ um die Überwin- Route je klettern zu können, als dung psychologischer Hürden. ich sie vor etwa fünf Jahren ein- Sein unerwarteter Erfolg in der richtete“, sagt Chris Sharma. Der nur geringfügig leichteren 31 Jahre alte Amerikaner hat das 9b-Route „Stoking the fire“ im Sportklettern im vergangenen nordspanischen Ort Santa Linya Jahrzehnt geprägt wie kein ande- Ende Februar machte ihm das Pro- rer. Er hat eine Reihe härtester jekt in Oliana greifbarer. „Auch Erstbesteigungen geschafft, er lo- Adams Begehung hat mir vor Au- tete stets die Grenzen des Men- gen geführt, dass ,La dura dura‘ schenmöglichen im Klettern neu prinzipiell machbar ist.“ aus, und sein Können und sein Chris Sharma sieht nun bereits Charisma machten ihn zum Super- einen neuen Schwierigkeitsgrad star der Kletterszene. Doch fünf von 9c am Horizont und Ondra in Jahre sind angesichts des sich ra- der Rolle, diesen zu eröffnen. send schnell verschiebenden Leis- „Wir sollten deutlich größere tungsniveaus im Klettern ein lan- Abstände zwischen den Bewertun- ger Zeitraum. Zwischenzeitlich gen einhalten“, mahnt hingegen hatten der in Katalonien heimisch Ondra – und sein Wort zählt in gewordene Sharma und der elf Jah- der Kletterszene. Er wolle nun rei- re jüngere Tscheche Adam Ondra sen und selbst neue, ambitionierte Projekte eröffnen, sagt der Schul- die Messlatte immer weiter nach Der Zauberlehrling: Foto Annika Müller Adam Ondra abgänger, und in den Augen blitzt oben verschoben. Sharma eröffne- die Abenteuerlust. Freiheit ist für te im Jahr 2008 den Schwierigkeits- ihn eine ganz neue Erfahrung. Seit grad 9b. Ondra zog nach. Beide Ondra 2007 erstmals die European wiederholten seither diese Leis- Youth Series und die Jugend-Welt- tung mehrfach. Die 9b+ markiert meisterschaft gewonnen hatte, war derzeit das Ende der in vielen Län- sein Jahr vom Wettkampfkalender dern gültigen französischen Skala. und Klassenarbeiten bestimmt. Der 7. Februar 2013 brachte dann Noch knapper wurde die Freizeit, schließlich den magischen Mo- als er im August 2009, im Alter ment der Erstbegehung in Oliana. von 16 Jahren, erstmals im Herren- Still fixierte der mit Spitznamen Weltcup siegte. Zweimal wurde er „Zauberlehrling“ genannte Ondra Gesamtweltcup-Sieger, zweimal die Route, die ihm in den vergan- WM-Zweiter. Unter der Woche genen Monaten zur Obsession ge- trainierte er in der Halle, an den worden war. Dann stieg er hinauf. Wochenenden machte sich die Fa- Er siegte. milie auf den Weg, um den begab- Wüsste man es nicht besser, so ten Sohn in möglichst viele Kletter- glaubte man kaum, dass der 20 Jah- gebiete zu bringen. Man schlief im re alte Ondra – rund 1,82 Meter Auto oder legte sich mit dem groß, kaum 58 Kilo schwer und Der Altmeister: Schlafsack direkt an den Felsen. mit der Statur eines Heranwachsen- Chris Sharma Foto Peter O’Donovan Auch Chris Sharma, der mit 14 den – der derzeit stärkste Sportklet- die amerikanischen Meisterschaf- terer am Fels ist. Jeder Muskel sei- den Sportler könnte kaum unter- dem Gejaule, tagtäglich zu hören. ten gewann, daraufhin die Schule nes mageren, aber sehnigen Kör- schiedlicher sein. Der Tscheche Immer wieder kehrte er geknickt verließ und ein Jahr später bereits pers spannt sich an, als er sich über spielt seine extreme Flexibilität aus zurück in die tschechische Stadt alle damals schwierigsten Routen die ersten Meter von „La dura und schraubt sich vorsichtig hin- Brünn, um neue Kraft und Motiva- der Vereinigten Staaten geklettert dura“ hangelt. Es ist ein Nah- auf, wo der kräftigere Sharma sich tion zu schöpfen. war, lebte jahrelang aus dem Ruck- kampf, in dem es ums Ganze geht. mit einem Sprung behilft. „Adam Der schlaksige junge Mann sack – bis er sich im Kletterpara- Der Körper zittert, die Adern tre- faltet sich in der Route oft zusam- scherzt im Nachhinein über seine dies Katalonien ein Häuschen kauf- ten hervor, die Unterarmmuskeln men wie eine Brezel“, sagt Sharma Verbissenheit. „Es war wie ,Und te. Hier will er sich in den kom- scheinen zu bersten. Ein Schrei über Ondras Hang zu äußerst kom- täglich grüßt das Murmeltier‘“, er- menden Jahren einiger seiner visio- der Erleichterung besiegelt schließ- plexen Bewegungsabläufen. Allein innert er sich. „Doch mit jedem nären Routen widmen, die er in lich die Erstbegehung. Wieder am an einem Projekt zu arbeiten, be- Tag, den ich es nicht schaffte, den vergangenen Jahren in der Pro- Boden angekommen, ist Ondra stätigt Ondra, führe oft in eine schien meine Kraft zu schwinden.“ vinz Lleida eingerichtet hat und noch ganz benommen von dem Sackgasse. „Man übersieht sogar In „La dura dura“ musste sich der die nach dem heutigen Stand des Gefühlscocktail, den er mit „reines Fingerlöcher und Tritte.“ Ohne erfolgsverwöhnte Ondra erstmals Kletterns noch nicht begehbar Glück, Erschöpfung und Erleichte- den inspirierenden Ideenaustausch ernsthaft mit der Möglichkeit des sind. „,La dura dura‘ hat mir ge- rung – aber eigentlich nicht in mit dem um ein Jahrzehnt Kletter- Scheiterns auseinandersetzen. zeigt, dass auch ich noch Entwick- Worte zu fassen“ umschreibt. We- erfahrung reicheren Sharma wäre „Dass er dennoch nicht aufgab, lungspotential habe“, sagte er. Viel- nige Wochen später, am 23. März, er nie so weit gekommen, sagt der zeugt von seiner besonderen Wil- leicht werden sich der Altmeister konnte Sharma die weit weniger Tscheche bescheiden. Er und Shar- lensstärke“, sagt Sharma, der sich und der Zauberlehrling ja noch ein- prestigeträchtige Zweitbegehung ma hätten auf keinen Fall in Kon- bis zuletzt darum bemüht habe, mal zusammentun, um scheinbar Wie eine Obsession: Adam Ondra bezwingt „La dura dura“. Foto Annika Müller für sich verbuchen. kurrenz zueinander gestanden. nicht mit Erfolgserwartung an die Unmögliches zu schaffen.

Manchmal muss man sich wirklich sich später – ganz professionell – ser Woche eine ganz Menge. Die Joey Barton zu sein. Der Englän- ner Frau einen Passanten zusam- dafür schämen, ein Mann zu sein. per Videobotschaft – ob aus freien SCHLUSS FÜR HEUTE Fans des 1. FC Köln, die nur allzu der, den auf der Insel niemand mengetreten. Sperren, Geldstrafen, Es trieb uns glatt die Schamesröte Stücken, ist nicht bekannt, aber gern „Viva Colonia“, den Schun- mehr haben wollte und der zu Suspendierungen und ein Gefäng- ins Gesicht, als wir dieses Foto des auch nicht zu vermuten. Denn kel-Hit der „Höhner“ singen, wer- Olympique Marseille abgeschoben nisaufenthalt pflastern seinen absur- Radprofis Peter Sagan während der schon bei der Tour de war den es Bohlen übelnehmen, wie er wurde, kann es nicht lassen, Kolle- den Karriereweg. Und Joey Barton Siegerehrung der Flandernrund- er mit einer plumpen Anmache auf- mit kölschem Lied- und Fan-Gut gen via Twitter zu beschimpfen ist erst 30 – da ist noch viel Raum fahrt sahen. Das schelmische, man gefallen. Er signierte ungefragt das umgegangen ist. Die inoffizielle und zu beleidigen. Den brasiliani- für den ein oder anderen Skandal. könnte auch sagen: dämliche Grin- Vereinshymne des FC, bei RTL in- schen Nationalspieler Thiago Silva Dekolleté einer Frau – die ihm frei- Und nun die gute Nachricht sen verriet: Ich will auch! Weil der lich ein unterschriftsreifes Plakat terpretiert vom DSDS-Kandidaten von Paris Saint-Germain bezeichne- dieser Slowake aber nur Zweiter wurde hingehalten hatte. Der Mann hat Timo Tiggeler, wurde ratzfatz aus te er als „Pussy“ und „übergewichti- Woche: Paolo di Canio ist ab so- und der neben ihm stehende Sie- echt nichts dazugelernt. der Castingshow gewählt. Viel- gen Ladyboy“. Zuvor hatte er Sil- fort kein Faschist mehr. Der neue ger, der Schweizer Fabian Cancella- leicht auch, weil Bohlen zuvor in ge- vas Landsmann Neymar ange- Trainer des englischen Fußball- ra, die Küsse der Hostessen abbe- Gar nicht galant war auch eine wohnter Manier geätzt und Anti- macht. „Neymar ist der Justin Bie- Erstligaklubs AFC Sunderland, kam, griff er einer der beiden Da- Handgreiflichkeit, zu der sich Milo- Köln-Stimmung verbreitet hatte. ber des Fußballs. Brillant auf You- der, als er noch Spieler von Lazio men an den Po. Wir hätten es be- rad Pilipovic hat hinreißen lassen. Hände weg, Klappe zu! Er habe sich wie „in der Irrenan- tube, in Wahrheit Katzenpisse.“ Im- Rom war – was also fast ein Jahr- grüßt, wenn die Begrabschte, eine Der Mann ist Trainer der Fußball- VON VOLKER STUMPE stalt“ gefühlt. „Die Nummer ge- merhin: Mr. Barton hat sich gebes- zehnt her ist –, schon mal mit dem belgische Sekretärin namens Maja spielerinnen des SC Freiburg und hört in den Karneval, die ist so ge- sert, früher schlug er nämlich lie- römischen Gruß salutierte und mit Leye, das getan hätte, was ihr litt offenbar fürchterlich darunter, zu fest!), sondern eher in Schraub- denn beim nächsten Mal mit: Küss schrieben, dass man sie mit sechs ber zu. Die Liste seiner Erfolge ist Sprüchen wie „Ich bin ein Faschist, durch den Kopf gegangen war: dass sein Team neulich gegen den stock-Manier. Das gab die Unpar- die Hand, gnädige Frau ... Promille noch singen kann.“ Wie kurz, die seiner Fehltritte sehr lang. aber kein Rassist“ genervt hat, er- hieß gleich noch mal Bohlens letz- „Ich habe seine Hand gespürt, und VfL Wolfsburg durch einen Gegen- teiische zu Protokoll. Der Grobian Dass Dieter Bohlen ein unangeneh- Um es kurz zu machen: einem Ge- klärte seine braune Vergangenheit ich wollte mich umdrehen und ihm treffer in der Nachspielzeit verloren soll ihr starke Schmerzen und ein ter Hit? Und war der Song (wie genspieler die Faust in die Rippen jetzt für beendet. „Ich bin nicht der mer, arroganter Schnösel ist, weiß alle vorherigen) nicht so schlicht, eine scheuern. Ich habe das dann hat. Rache! Also schritt der Mann Hämatom zugefügt haben. Das gerammt, einem Jugendspieler bei Mann, als der ich dargestellt werde. jeder, der sich mal beim Zappen dass man ihn mit zehn Promille nicht gemacht, weil es Millionen zur Tat und gab der Schiedsrichte- DFB-Sportgericht gab ihr recht: Pi- einer Weihnachtsfeier eine Zigarre Ich bin kein Rassist und unterstüt- auf RTL verirrt hat und bei noch hätte trällern können? von Leuten gesehen hätten. Mir rin Christina Biehl die Hand – aller- lipovic muss sich drei Spiele lang „Deutschland sucht den Superstar ins Auge gedrückt, einen Mitspie- ze keine faschistischen Ideologien. war es lieber, mich professionell zu dings nicht so, wie es sich ziemt vom Innenraum fernhalten und 500 (DSDS)“ gelandet ist. Was Bohlen Eine der größten homophoben ler krankenhausreif geschlagen, zu- Ich respektiere jeden.“ Dann ist ja verhalten.“ Sagan entschuldigte (laut Knigge: weder zu sanft noch Euro Geldstrafe zahlen. Wie wär’s im Sportteil zu suchen hat? Seit die- Dumpfbacken des Fußballs scheint sammen mit einem Mann und ei- alles in Butter, Paolo.