SPD – 07. WP Fraktionssitzung: 14. 10. 1975 (Tonbandtranskript)

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14. Oktober 1975: Fraktionssitzung (Tonbandtranskript)

AdsD, SPD-BT-Fraktion 7. WP, 6/TONS000043. Titel: »Fraktionssitzung am 14. 10. 1975«. Aufnahmedauer: 04:51:21. Vorsitz: Wehner.

Sitzungsverlauf: A. TOP 1: Politischer Bericht von Bundesverteidigungsminister Leber über eine Reise nach Portugal. – Aussprache der Fraktion. – Politischer Bericht von Bundeskanzler Schmidt über seinen Besuch in den USA, Beziehung zu Polen, Probleme der EG, Großbritanni- en, das Haushaltsstrukturgesetz. – Aussprache der Fraktion. B. TOP 2: Bericht aus der Fraktionsvorstandssitzung (Radikalenerlass; innere Sicherheit; Paragraph 218 StGB; Orientierungsrahmen ’85; Europäische Gemeinschaften). – TOP 3: Informationen (Stromlieferung nach Berlin; Investitionslenkung; Export von Kern- kraftwerken nach Südafrika; Waffenexporte nach Südafrika; Wirtschaftspolitik gegen- über Südafrika; Schlechtwettergeld und Winterbauförderung; Steuererleichterungen für Unternehmen; Kraftfahrzeugsteuer). C. TOP 4: Aktuelles aus den Arbeitskreisen (Zusammensetzung des Ältestenrates; Ände- rung des Strafrechts: Strafbarkeit des Aufrufs zur Gewalt, Vorbereitungshandlungen). – Aussprache der Fraktion. D. Vorbereitung der Plenarsitzungen: TOP 5: Tagesordnung und Ablauf der Plenarsitzun- gen. – TOP 6: 1. Beratung Haushaltsstrukturgesetz. – TOP 7: 2. und 3. Beratung Ände- rung des Jugendwohlfahrtsgesetzes. – TOP 8: 2. Beratung und Schlussabstimmung Ge- sundheitsabkommen Bundesrepublik/DDR. – TOP 9: 2. und 3. Beratung Änderung des Benzinbleigesetzes. – TOP 10: 2. und 3. Beratung Änderung mietpreisrechtlicher Vor- schriften Berlin. – TOP 11: 1. Beratung CDU/CSU-Entwurf steuerliche Maßnahmen bei Änderung der Unternehmensform. – TOP 12: 2. und 3. Beratung Strafvollzugsgesetz. E. Sonstiges: TOP 13: Arbeitsgruppe »Direktwahl Europäisches Parlament«. – TOP 14: Nächste Termine. – Verschiedenes.

[A.] Wehner: Die Sitzung ist eröffnet. – Liebe Genossinnen und Genossen, heute ist nach einem sehr langen und sehr schweren Krankenlager – neun Monate – zum ersten Mal wieder auch körperlich unser Genosse Helmut Kater bei uns. (Beifall.) Alle wünschen ihm wohl gute Nachgenesung und wollen, soweit wir das fertigbringen, dazu beitragen, dass er noch eine gewisse Schonung hat, die er notwendig hat. Unter denen, die heute wegen Krankheit um Entschuldigung gebeten haben, befindet sich auch wieder und noch Friedel Schirmer, der aber mitgeteilt hat, dass er nach einer er- neuten schweren Operation jetzt hoffen kann, im November wieder hier anfangen zu können. Wir wünschen ihm gute Genesung. (Beifall.) Vor zwei Tagen – am 12. – hat Wolfgang Schwabe das 65. Lebensjahr vollgemacht. (Beifall.) Nachträglich noch Glückwünsche. Die Tagesordnung, Genossinnen und Genossen, liegt vor. Ich erlaube mir, bevor ich den Punkt Politische Berichte aufrufe, ein paar von den Bemerkungen vorzuziehen, die

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ich sonst im Bericht aus dem Fraktionsvorstand gemacht haben würde, womit ich aber nicht den ganzen Bericht konsumiere. Der kommt dann an dem für ihn vorgesehenen Platz. Weshalb ich ein paar Bemerkungen vorziehe, ist kurz zu erklären. Es handelt sich um die schwierige Debatte, die wir in dieser Woche zu bestehen und auf die wir uns zu konzentrieren haben und über die wir bei der Behandlung unserer Tagesordnung durch Andreas von Bülow und andere noch eine ganze Menge auch dessen, was problema- tisch ist und wo wir ganz besonders sorgfältig vorzugehen haben, hören werden. Mit dieser Debatte über das sogenannte Artikelgesetz haben wir die Etappe von Entschei- dungen zu markieren, die sich nach dem Bauinvestitionsprogramm und dem Nach- tragshaushalt 1975 aus den Kabinettsentscheidungen vom 28. August und 10. Septem- ber ergeben. Die Debatte über die Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 17. und 18. September hat das Gesamtprogramm, das sich aus den Kabinettsentscheidun- gen ergibt, umfasst. Wir haben in unseren Fraktionssitzungen am 12. September, am 16., am 23. und auch am 30. jeweils wesentliche Teile des Gesamtprogramms der Kabi- nettsentscheidungen erörtert. Arbeitsgruppen haben sich mit Anregungen und Anträ- gen zu Teilen dessen, was man das Paket nennen kann, befasst und nun kommen wir zu der in der Sache und auch hinsichtlich der Prozedur schwierigen Etappe Behandlung des Artikelgesetzes. Beim Zurücklegen der bisherigen Wegstrecke dieser zusammenhängenden Entschei- dungen ist es die übereinstimmende Auffassung der Fraktion gewesen, Modifikationen, Änderungen im Rahmen des Gesamtpakets, nicht dessen Rahmen sprengen und dessen Kern zerstören zu lassen. Daran haben sich auch alle Arbeitsgruppen gehalten, so schwer dadurch ihre Arbeit geworden ist und noch ist. Die Debatte zum Artikelgesetz nun in dieser Woche stellt uns unter Umständen vor besonders schwere Aufgaben, denn wir müssen diese Debatte zur Verteidigung dieses Gesetzes führen. Wir dürfen uns nicht ablenken lassen von der Erhaltung des Kerns und wir sollten alles daranset- zen, die Opposition zur Darlegung ihrer sogenannten Alternativen – sprich Sparmaß- nahmen – zu nötigen. Was die Opposition in den letzten Tagen hat verlauten lassen, das ist noch nicht oppositions-offiziell, wenn man es überhaupt so sagen darf. Aus der Vorbereitungsarbeit unserer Arbeitsgruppen, und zuletzt besonders intensiv Haushalt, ergeben sich Schwierigkeiten, die aus unterschiedlichen Auffassungen der Koalitions- partner über im Rahmen des Pakets mögliche, respektive notwendige Verlagerungen herrühren und das nun wieder bedingt genaues Akzentuieren in der Debatte, damit man die Koalition, die den Gesamtrahmen, den Kern zu halten sich verpflichtet hat, nicht auseinandermanövriert oder jemand sich davonzustehlen beginnt. In den letzten Tagen hat es vielerlei ankündigungsartige Meldungen und Kommentare zu verschiedenen steuerlichen Maßnahmen in Richtung unternehmerische Investitions- anreize gegeben. Im Fraktionsvorstand sind gestern solche Meldungen und dazu Erläu- terungen diskutiert worden. Bei unterschiedlichen Bewertungen, die es dabei hinsicht- lich der Meldungen und auch der Problematik und ihrer weiteren Behandlung gegeben hat, war es die übereinstimmende Auffassung des Fraktionsvorstands, dass wir die Debatte zum Artikelgesetz nicht zu einer Spielwiese für Ablenkungsversuche von den Notwendigkeiten des Artikelgesetzes machen lassen wollen. Das ist die entscheidende Frage. Die Versuchungen werden groß sein und sie werden uns von manchen Seiten direkt nicht nur vor die Nase gehalten, sondern sozusagen in den Mund hineingescho- ben werden. Aus Agenturmeldungen, die allerdings sehr sparsam in den Zeitungen wiedergegeben worden sind, muss man sagen, ist erkennbar geworden, dass der Bundeskanzler gestern öffentlich hat mitteilen lassen, dass Vorschläge, die dem Staatssekretär Schlecht vom

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Bundesministerium für Wirtschaft und dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen zugeschrieben werden, sorgfältig geprüft werden sollen und geprüft werden müssen, und ich möchte diesen Teil mit meiner Bitte schließen an die Fraktion, sich auf die Debatte zum Artikelgesetz zu konzentrieren und sie so zu unterstützen, dass Haushaltsausschuss und andere mitbefasste Ausschüsse die Termine, bei denen es in vielen Fällen um sehr vieles geht, was die Haushalte ’76 und weitere betrifft, einhalten können. Termine sind hier keine untergeordnete Frage oder gar Formalität. Das war es, was ich vorwegschalten wollte. Ich danke für die Aufmerk- samkeit. (Beifall.) Unter Politische Berichte bitte ich zunächst Schorsch Leber, das Wort zu nehmen zu einem Bericht über seinen Besuch in Portugal. Das war der erste Besuch eines Regie- rungsmitglieds. Leber: Genossinnen und Genossen, dies war eine sehr interessante und eine aufschluss- reiche Reise, die auch die Möglichkeit, wesentliche Eindrücke zu gewinnen, geboten hat. Ich habe Gespräche führen können mit fast allen Persönlichkeiten aus den ver- schiedensten Spektren des Landes, mit dem Staatspräsidenten, mit dem Ministerpräsi- denten, mit Vertretern der Neun, die an der Regierung beteiligt sind, Alves, Lourenço und anderen, mit den Stabschefs der drei Teilstreitkräfte, mit Coutinho, der Sekretär des Revolutionsrates ist, Carvalho, der das bekannte Copcon1 kommandiert, dann mit den Parteiführern Soares und [Sá]2 Carneiro. Das Bild, das ich gewonnen habe, ist im Ganzen ein sehr tragisches. Ich möchte einiges, was man mitbringen kann aus Portugal, vor der Fraktion hier ausbreiten, einen gewissen Teil für mich behalten. Portugal hat Jahrzehnte unter einer Diktatur gelebt und ist in seinen Strukturen Jahrzehnte hindurch fast eingefroren gewesen. Mit der Überwindung der Diktatur sind die alten Strukturen zusammengebrochen und an die Stelle der alten Strukturen hat sich bis jetzt noch nichts Neues gesetzt. Es gibt auch nirgendwo klare Vorstellungen, die auf eine tragfähi- ge Basis oder Mehrheit gestützt werden könnten, die das ankündigen. Portugal befindet sich – und dies ist ein harter Satz, aber der umschreibt die Situation – in einem Zustand fast völliger Desorganisation. Dies gilt für alle Bereiche staatlichen und wirtschaftlichen Lebens, gesellschaftlichen Lebens. Fast alle Gesprächspartner, die nicht zurückhalten – einige mauern, wenn die Frage kommt –, geben zu, dass Portugal es mit einem fast völligen Zerfall aller Autorität zu tun hat. Das ist staatliche Autorität, Autorität in der Armee, sogar die Autorität in diesem Lande der katholischen Kirche. Die Verwaltung ist, von der Ausnahme des Außenministeriums abgesehen, nach der übereinstimmenden Auffassung fast aller Gesprächspartner in einem sehr hohen Maße von linksextremen Kräften durchsetzt. So stark durchsetzt, dass die Regierung, Mini- ster oben drüber sitzen, aber die Verwaltung nicht mitoperiert, nicht mitkoppelt. Wir spüren das hier, dass die Bundesrepublik 70 Millionen Mark Hilfe für Portugal anbietet und bis jetzt über Monate hinweg kaum Projekte auch nur genannt werden, die man damit ausführen könnte. Auf die Frage, wie kommt das, kommt die Antwort des Mini- sterpräsidenten und anderer: Dies liegt daran, weil unser Land eine Bürokratie hat, die vielleicht noch langsamer arbeitet als in anderen Ländern, aber mit Sicherheit auch daher, weil es in der öffentlichen Verwaltung, in den Ministerien große Gruppen gibt, die überhaupt kein Interesse daran haben, Hilfe wirksam werden zu lassen und deshalb

1 »Commando Operacional do Continente«. 2 Bei der Bearbeitung eingefügt. Auf dem Tonband sagt Leber: »La«.

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bremsen und blockieren. Das Land ist damit bis zu einem gewissen Sinne, obwohl es eine neue Regierung hat, eigentlich nicht recht regierungsfähig. Die Massenmedien, vor allen Dingen Rundfunk und Fernsehen, sind völlig in der Hand von Linksextremisten. Das geht so weit, dass eine Erklärung des Regierungschefs oder eine Erklärung von Soares oder anderer, dass die höchstens mit drei Zeilen in den gro- ßen Zeitungen oder mit einem Satz in Rundfunk oder Fernsehen erwähnt werden, dafür aber die Gegenerklärung und den Kontrast dazu, der den Vorstellungen von Cunhal und der Kommunistischen Partei entspricht, in breitester Form wiedergegeben wird. Ein Anlauf, den die Regierung Azevedo in der Zeit der Abwesenheit des Staats- präsidenten in Moskau gemacht hat, die Massenmedien – vor allen Dingen die Rund- funkstationen – hier zu einer ausgeglichenen Berichterstattung zu bringen, ist meiner Auffassung nach gescheitert. Sie geben das nicht zu, aber die Regierung hat die Ausein- andersetzung verloren. Die Radiostationen arbeiten nach wie vor gegen die Regierung. Ein Großteil der Betriebe, die verstaatlicht sind, wird von Räten geleitet, die keine Er- fahrung haben in der Leitung von Industrieunternehmen, sicher nicht böswillig sind, aber nichts mitbringen, was dazu gehört, vor allen Dingen keine Erfahrungen im Ma- nagement. Auf die Frage, ob Investitionen sinnvoll seien, kommt bei den meisten, die die Lage realistisch einschätzen, die Antwort: Investitionen haben wir nötig, aber jetzt wäre es vor allen Dingen viel wichtiger, dass die vorhandenen Kapazitäten ausgenutzt wären, das investierte Kapital produzieren könnte. Dort sitzen natürliche Produkte des Landes wie Sardinen, Tomatenmark und viele andere Dinge, die aus der Landwirtschaft stammen, oder eine Reihe von Industrieprodukten, die traditionell in Portugal herge- stellt werden, in großen Stapeln und können nicht verkauft werden, weil die neuen Leitungen der Unternehmen keine Verkaufspraxis haben und nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. Gegenwärtig hat das Land zwölf Prozent Arbeitslose und die Mehrheit der Gesprächspartner deutet die Entwicklung so, dass im Verlaufe des Win- ters die Arbeitslosenquote auf vermutlich 18, wenn nicht 20 Prozent steigt. Dazu muss

man wissen, dass täglich 3 800 Rückwanderer allein aus Angola nach Portugal kommen. Die ganzen Hafenstraßen entlang türmen große Krane mitgebrachtes Gepäck in großen Kisten. Alle Hotels sind voll. Es gibt keine Unterkünfte für 300 oder 400 oder vielleicht noch mehr Menschen. Dies wird zu einer besonderen Problematik für das Land, weil überhaupt keine Chance besteht, zu den 18 bis 20 Prozent Arbeitslosen, die es im Win- ter vermutlich gibt, noch 300 000 Menschen auch nur ’ne Chance zu eröffnen, dass sie vielleicht dort eine wirtschaftliche Existenz finden können. Die Liquidität des Landes kommt noch im Monat Oktober an einem tragischen Punkt an. Bis zum Jahr 1973 hatte dieses Land erhebliche Währungsreserven, vor allen Dingen Devisenreserven und Gold. Am Ende des Monats Oktober werden alle Devisenreser- ven völlig verbraucht sein. Damit sind die öffentlichen Leistungen vollbracht worden, Gehälter gezahlt worden und so weiter und dann bleibt noch die Goldreserve, die als Deckung für die Währung noch vorhanden ist in der Größenordnung von 2,8 Milliar- den Mark. Die Verantwortlichen denken daran, die zu verkaufen, um laufende Ver- pflichtungen im Inneren des Landes, vor allen Dingen für Löhne und Gehälter, erfüllen zu können. In diesem Zusammenhang drückt sich aus die Auflösung eines großen Ko- lonialreichs mit Quellen, die versiegt sind, und mit hohen Aufwendungen. Mir ist ge- sagt worden, dass allein die Unabhängigkeit von Angola in diesem Jahr die Regierung in Portugal schon mehr als eine Milliarde Mark gekostet hat für die vielen kostenauf- wendigen Dinge, die damit im Zusammenhang stehen. Ein Wort zur Armee. Die Armee ist in einem deprimierenden Zustand. Das sogenannte Copcon, ein zentrales Kommando, das unter der Führung von Carvalho steht, ge-

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horcht der Regierung nicht, sondern geht eigene Wege, ist also für die Aufrechterhal- tung der öffentlichen Ordnung, so wie die Regierung sie will, überhaupt nicht brauch- bar. Deshalb wird gegenwärtig der Versuch gemacht, zwei neue Regimenter aufzustel- len – ein Grenadierregiment und ein Regiment aus Marinefüsilieren. Ich habe diese beiden Verbände besucht und habe dabei einen guten Eindruck gewonnen. Diese bei- den Einheiten sollen direkt der Regierung unterstellt werden, vorbei also an dem übli- chen Kommandostrang. Etwa 70 Prozent der Offiziere stehen – so wird allgemein dargestellt – vermutlich hinter der Regierung, aber die Linksextremisten haben erheb- lich Boden gewonnen mit ihrer Agitation bei den Mannschaften, die den Offizieren und Unteroffizieren den Gehorsam verweigern. Die Armee ist nicht mehr führbar. Das, was führbar ist, sind allenfalls kleinere Einheiten. Die Regierung stützt sich im Wesent- lichen auf die Gruppe der Neun im Revolutionsrat, das sind Antunes, Alves und andere, dazu auf die beiden Parteien, auf Soares und Sá Carneiro und auf einen Teil der Armee, mit dem sie rechnen können. Mir ist von allen Beteiligten gesagt worden, dass sie ent- schlossen seien, Portugal einen demokratischen Weg zu führen. Sie sind sich bewusst, dass sie dazu wesentliche Hilfe von außen brauchen. Sie sind sich auch bewusst, dass diese Hilfe nicht nur Hilfe von Regierungen sein kann, sondern dass sie das Land so aufbereiten müssen, dass es aufnahmefähig wird für privates Industriekapital, das dann seinen Weg dorthin sucht. Portugal möchte im Bündnis bleiben. Ob das Ganze gelingt, das hängt von vielen Umständen ab, die niemand übersehen kann. Ich möchte abschließend sagen, ich habe viel guten Willen angetroffen, aber jeder, der dort Verantwortung trägt, sieht auch die hohen Klippen, über die man noch muss und die Abgründe, an denen das Land nicht vorbei ist. Es ist durchaus damit zu rechnen, dass dort noch Putschversuche gemacht werden und es zu Auseinandersetzungen kommt vor oder nach den Wahlen, die im Frühjahr abgehalten werden sollen. Danke sehr. (Beifall.) Wehner: {…} dazu gewünscht? Ostman von der Leye. Ostman von der Leye: Genossinnen und Genossen, nur eine Frage: Ist vorgesehen, dass nicht abgewartet wird, dass Portugal an den Klippen bereits vorbei ist, bevor wir direkt helfen oder ist vorgesehen, dass wir jetzt sofort direkt an Projekten mit Mitteln einsteigen können? Wehner: Weitere Fragen? Alwin Brück. Brück: Es ist vorgesehen, dass wir, Ostman, dass wir jetzt helfen und wir sind in Ver- handlungen, in Gesprächen mit der portugiesischen Regierung. Erst jetzt wieder hat ein Gespräch mit dem portugiesischen Botschafter hier stattgefunden. Wir wollen ein gro- ßes landwirtschaftliches Projekt machen und Entwicklungsbanken dort helfen. Wehner: Gibt es weitere Fragen oder Bemerkungen? Offenbar nicht. Dann bitte ich den Bundeskanzler, das Wort zu nehmen zu seinem Bericht. Schmidt (Hamburg): Liebe Freunde, seit der letzten Fraktionssitzung habe ich Gele- genheit gehabt, in den Vereinigten Staaten von Amerika eine alte Redeverpflichtung in New York absolvierend, mir dort einen Eindruck zu verschaffen, wie auch dann auf Fords Einladung hin in Washington, von der wirtschaftlichen Entwicklung dieses Lan- des, das von seinem Schwergewicht her wie auch insbesondere von seinem psychologi- schen Gewicht her natürlich für die weltwirtschaftliche Entwicklung nach wie vor die erste Rolle spielt. Um den Eindruck zusammenzufassen in einem Satz: Man kann das mit einem gewissen vorsichtigen Optimismus beurteilen. Der Optimismus in Washing- ton ist größer als bei den Chefs der großen Unternehmungen, will ich hinzufügen. Ich

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habe auch eine Reihe von Sorgen meinerseits formuliert. Ich halte das sehr hohe ameri- kanische Zinsniveau, das ich natürlich unter dem Aspekt seiner internationalen Aus- wirkungen nur kritisieren konnte, für besorgniserregend und ich halte – was ich auch nur unter dem Aspekt der internationalen Auswirkungen öffentlich kritisieren konnte – die bevorstehende Zahlungskrise der Stadt und des Staates New York für bedenklich. Letzteres hat bereits auf europäischen Börsen zu Rückwirkungen geführt. Insgesamt aber ein vorsichtiger Optimismus. Es gab ein großes Fragebedürfnis wie immer bei solcher Gelegenheit, wie es eigentlich die Deutschen machen, dass ihre öko- nomische Entwicklung insgesamt so deutlich oberhalb des Durchschnitts verläuft – das haben wir beantworten können – und insbesondere ein großes Fragebedürfnis wie immer in Bezug auf die Mitbestimmung in Deutschland. Es wird deutlich, dass die internationalen Konzerne durch gewisse Quellen hier in der Bundesrepublik gefüttert werden mit Schauermärchen und mit Befürchtungen und Besorgnissen. Ich hatte zu diesem Zweck zum wiederholten Male nicht nur zwei herausragende deutsche Unter- nehmerpersonen, sondern eben auch zwei hervorragende deutsche Gewerkschafter – Heinz Vietheer und Alois Pfeiffer – dabei, die auf diese amerikanische Unternehmer- welt beide einen nachhaltigen Eindruck gemacht haben. Es ist, [wenn ich] noch einen Satz hinzufügen darf, immer sehr einleuchtend und wird dann von den amerikanischen Unternehmern, die zum Teil Töchterunternehmungen in aller Welt haben und jeden- falls auch in Deutschland, positiv erst mit einem Aha-Zugeständnis und dann positiv kommentierend bestätigt, wenn man ihnen darlegt, dass, wenn es überhaupt irgendei- nen Trick gibt – und es ist ja in Wirklichkeit kein Trick –, wenn es überhaupt irgendei- nen Grund gibt, der dazu führt, der dazu geführt hat, dass die wirtschaftliche Gesam- tentwicklung in diesem Lande hier und die Reallohnentwicklung und die Entwicklung der realen sozialen Sicherheit über die letzten 25 Jahre so viel günstiger verlaufen ist als in vergleichbaren, technologisch, zivilisatorisch, Bildungsniveau et cetera vergleichba- ren anderen Industriegesellschaften, wenn man ihnen darlegt, dass das natürlich zu tun hat mit dem anderen Selbstverständnis der Gewerkschaften in unserem Lande, mit ihrer anderen Verhaltensweise und mit der Tatsache, dass die Gesetzgebung 25 Jahre lang in zunehmender Weise dies nicht nur auf Gewerkschaftstagen, wenn sie zu eröffnen wa- ren in feierlichen Reden, sondern auch in der täglichen Gesetzgebungsarbeit honoriert werden. Von Bedeutung ist, dass während meines Besuches dort de facto die Entscheidung gefallen ist, dass es während dieses Jahres noch ein Treffen geben wird der Präsidenten von Amerika, Frankreich und der Ministerpräsidenten von Italien, England, Japan und des deutschen Bundeskanzlers – begleitet durch die Außen- und Finanzminister aller Wahrscheinlichkeit nach – über die akuten Probleme der Weltwirtschaft. Im Augen- blick wird leider noch gestritten darüber, ob auch Kanada eingeladen werden soll. Mir liegt in dem Zusammenhang daran, darauf hinzuweisen, dass man sich nicht so sehr konkrete, am nächsten Montag dann in die Tat umzusetzende, in Mark und Pfennig berechenbare oder im Beschäftigungsanstieg kalkulierbare Ergebnisse erwarten darf als vielmehr eine wesentliche Vertiefung des gegenseitigen Verständnisses auch im Ver- hältnis zu Ölstaaten, auch im Verhältnis zu Entwicklungsländern, auch hinsichtlich der zukünftigen Gestaltung der Weltwährungsordnung, auch hinsichtlich der zukünftigen Gestaltung der Entwicklungshilfe und der Rohstoffpolitik der industriellen Länder. Natürlich hat auch dann im Gespräch mit Ford und seinem Außenminister – abgesehen vom Nahen Osten, den ich heute mal übergehen will – die Iberische Halbinsel eine Rolle gespielt. Man darf sagen, dass im Lauf der letzten Monate, dabei hat auch der sozialdemokratische Parteivorsitzende einen operativen Einfluss ausgeübt, dass es ge-

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lungen ist im Lauf der letzten Monate, die Regierung, die Administration der Vereinig- ten Staaten von Amerika davon abzubringen, die portugiesische Entwicklung für im Vorwege als verloren anzusehen, zu betrachten und zu behandeln. Im Gegenteil – sie sind jetzt durchaus dabei, ihrerseits ideell, politisch und materiell hilfreich zur Seite zu stehen. Wir haben sie auf der anderen Seite gebeten, in Spanien etwas zurückhaltender zu sein. Dieses versuchen sie. Sie sind nicht in einer ganz einfachen Lage, weil das Stützpunktabkommen ausgelaufen war und sie durchaus auch mit einseitigen Hand- lungen nach Ablauf des alten Stützpunktabkommens von spanischer Seite hätten rech- nen müssen, haben auf Zeitgewinn gespielt, haben letzten Endes nicht sehr viel Zeit gewinnen können. Es bleiben noch einzelne, ich glaube vier einzelne Abkommen zwi- schen Amerika und Spanien ausgehandelt, die, wenn ich es richtig sehe, mit einer gewis- sen Vorsicht und Zurückhaltung behandelt werden. Auch die amerikanische Regierung hat sich innerlich eingestellt darauf, den notwendigerweise bevorstehenden Übergang in Spanien hilfreich zu begleiten und nichts zu tun, was die alte bisherige Herrschafts- struktur dort befestigen würde. Ich will einen Seitenblick werfen auf die entspannungspolitischen Themata, insbeson- dere im Verhältnis zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten von Ameri- ka. Manches von dem, was ich hier sage, ist nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass der Abschluss eines zweiten Abkommens unter der Überschrift SALT3 in diesem Herbst reichlich fragwürdig geworden ist, sowohl aus technisch sehr komplizierten Gründen als wohl auch aus gewissen schwer zu definie- renden politisch-atmosphärischen Gründen. Es könnte sein, dass die Sowjetunion sich zur Lösung dieser technisch sehr schwierigen Fragen, es handelt sich um selbstständig fliegende, über weite Strecken fliegende unbemannte Flugzeuge, wenn ich es mal so ins Laiendeutsch übersetzen darf, über deren Einrechnung man sich streitet und über deren Kontrollierbarkeit man sich streitet. Es könnte sein, dass die Sowjetunion sich zur Lö- sung dieser technisch schwierigen Fragen erst nach dem Parteitag der KPdSU in der Lage sieht, und es könnte sein, dass die amerikanische Administration sich dann im Lauf des Jahres ’76 zur Überwindung dieser Schwierigkeiten erst nach der Präsiden- tenwahl in der Lage sieht. Dies muss nicht, so ist mein Eindruck, notwendigerweise muss es nicht durchschlagen, diese Verzögerung, die hier eintritt. Hoffentlich ist es nur eine Verzögerung. Muss nicht notwendigerweise durchschlagen auf die Wiener 4 MBFR3F -Verhandlungen. – Im Übrigen wird eine ganze Menge Vorbereitung getrieben in den Vereinigten Staaten von Amerika auf diese 200-Jahr-Feier, zu der ja auch die Bundesrepublik Deutschland einiges an Gesten und Freundlichkeiten beizutragen sich seit einer Reihe von Jahren vorbereitet hat. Es wird vermutlich dazu kommen, dass fast alle Staatsoberhäupter oder Regierungschefs der westlichen Regierungen im Zusam- menhang mit dieser 200-Jahr-Feier Amerika ihren Besuch machen. Das wird also auch für uns in der zweiten Hälfte Julei nächsten Sommers der Fall sein. Ich will einen Blick werfen auf Polen. Der Bundesminister des Auswärtigen ist vor wenigen Tagen von seinem Besuch in Warschau zurückgekehrt, wo die Protokolle und auch das ratifikationsbedürftige Abkommen mit Polen nun unterschrieben worden sind. Kabinett wird morgen die formellen Billigungsbeschlüsse fassen, dann alsbald unter zeitlicher Beschleunigung Bundesrat und gleichzeitig das Konvolut der dazu notwendigen Papiere und Begründungen auf den Tisch legen. Wenn ich es

3 Strategic Arms Limitation Talks, Gruppe von Verträgen zur nuklearen Rüstungsbegrenzung. 4 Mutual and Balanced Force Reductions, deutsch: beiderseitige und ausgewogene Truppenverminde- rungen.

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richtig verstehe, kommt es darauf an, einerseits in Polen keine Unklarheit darüber ent- stehen zu lassen, dass dieses hier wirklich gewollt wird, so wie es auch von der polni- schen Führung nach Überwindung wohl nicht unerheblicher Schwierigkeiten im Laden der eigenen Partei wirklich gewollt ist. Auf der anderen Seite ist mir deutlich, dass die Opposition in Bundestag und Bundesrat zu dieser Sache bisher keine einheitliche Mei- nung hat und Herr Kohl kommt ein weiteres Mal vor die Schwierigkeit, wie er an dem Strauß vorbeikommen soll. Es gibt auf außenpolitisch-wirtschaftspolitischem Felde sodann auch in der Europäischen Gemeinschaft {…}5 ein paar Probleme, die vielleicht einmal auch so genannt werden dürfen, nachdem wir in den letzten Fraktionssitzungen, jedenfalls {…} im Wesentlichen auf binnenwirtschaftliche Themen zu konzentrieren hatte. Wir sehen mit einer gewissen Besorgnis, dass es zunächst ein einzelnes Kommissions- mitglied in Brüssel, dann aber eine sehr knappe Mehrheit der Kommission, ohne vorhe- rige Zustimmung der neun Partnerstaaten einzuholen, in Verhandlungen mit Ägypten eingetreten ist, die in gewisser Weise die EG präjudizieren {…} eingetreten ist, die dar- auf hinauslaufen, auf eine längere Zeit von Jahren gewisse Lebensmittel aus der EG an Ägypten zu liefern. Wir haben {…} können sie den Weltmarktpreis nicht bezahlen. Das läuft also darauf hinaus, dass wir zunächst {…} angesetzte EG-Preise {…} damit sie für Ägypten erschwinglich werden und ich habe den Eindruck oder den Verdacht, will ich genauer sagen, dass gewisse Kreise in gewissen {…} der Europäischen Gemeinschaft hier ein neues Instrument entdeckt haben, um auf die Dauer das weitere Produzieren von Überschussproduktion in der Europäischen Gemeinschaft zu legitimieren. Ich habe mich etwas damit beschäftigt und ich habe mich veranlasst gesehen, dem Präsiden- ten der Kommission in dieser Sache einen Brief zu schreiben. Es war vorhergegangen eine ungewöhnliche Steigerung der Haushaltsansätze für 1976, {…} es war vorherge- gangen, drittens, dass {…} auf entwicklungspolitischem Felde neue zusätzliche Instru- mente seitens der EG, anzufangen, anzufassen, anzuführen. Zusätzlichen finanziellen Aufwand. Und ich erwähne das alles hier, um zwei Gedanken noch einmal sehr klar hervorzuhe- ben, die auch in meinen Briefen an die Kommission und an die übrigen europäischen Regierungschefs eine herausgehobene Rolle spielen. Zum einen denke ich, dass man in Übereinstimmung mit allen verantwortlichen politischen Kräften hier in Bonn sagen kann, dass wir, die Bundesrepublik Deutschland, und die diesen Staat tragenden Kräfte, ernsthaft – und nicht nur am Sonntag in Feiertagsreden, sondern auch im täglichen {…} ernsthaft bereit sind, was wir auch gezeigt haben, einen unserer wirtschaftlichen Lei- stungsfähigkeit angemessenen finanziellen Beitrag zu leisten. Und wenn ich sage unse- rer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, sage ich damit gleichzeitig den größten Beitrag von allen. Wir haben das insbesondere gezeigt, als es um die Verwirklichung der seit langer Zeit ins Auge gefassten Regionalpolitik ging, wir haben es gezeigt, als es darum ging, der Labour-Regierung in England zu ermöglichen, für das bevorstehende Refe- rendum in Großbritannien mit einem positiven Regierungsvorschlag herauszukommen, nämlich bei den Verhandlungen für den Finanzausgleich zugunsten Englands {…} das ist der andere tragende Gedanke: Wir können uns nicht {…} dass die europäische Inte- gration gefördert wird, dann am laufenden Band was neues angefangen wird, ohne dass das Alte zum Erfolg geführt oder ganz bezahlt ist. Wir möchten für zusätzliche fi- nanzwirtschaftliche Leistungen auch einen Integrationsfortschritt erkennen können. Es

5 Die Aufnahme ist für etwa 45 Sek. unterbrochen, danach ist Bundeskanzler Schmidt für vier Minuten aufgrund von Störgeräuschen nur schwer zu verstehen.

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ist schmerzlich in dem Zusammenhang zu beobachten, dass {…} des sogenannten Dia- logs zwischen Industriestaaten, Überschussländern {…} kleinen Entwicklungsländern {…}6 Zwangsläufig verstanden werden {…} als notwendig angesehen. {…} Herbert [Wehner] hat auch angespielt auf eine durch voreiliges Geschwätz einiger auf Regie- rungsseite an der Vorbereitung beteiligter Personen ausgelöste öffentliche Steuerdebat- te. Ich kann nur zustimmen, dass man sich darauf gegenwärtig nicht einlässt. Was mich selber angeht, {…} zum Beispiel ich wäre da keineswegs gegenwärtig in der Lage, mir über die verschiedenen Modelle, Vorschläge, Argumente, Gegenargumente ein auch nur vorläufig-abschließendes Urteil zu bilden. Ihr werdet damals gesehen haben, dass ich bei zwei Gelegenheiten mit Absicht öffentlich hingewiesen habe auf gewisse Rege- lungen, wie sie in {…} gelten {…} dass der nicht entnommene wohl aber reinvestierte Unternehmensgewinn steuerlich durchaus anders gesehen werden muss als der ent- nommene Gewinn oder die Dividende oder auch die Privatbetriebe der Eigentümer oder der {…}. Das ganze Thema, denke ich, verträgt auch, dass man sich im Augenblick {…} vorzeitig die Köpfe heißredet {…} für die gegenwärtige Investitionsbelebung. Wenn hier von Gewinnen die Rede ist, dann müssen die erst mal gemacht werden. Im Augenblick ist das nicht so häufig, mit dem Gewinnemachen {…} Fraktionsvorsitzende vorhin zum Ausdruck brachte, nämlich sich nicht verleiten lassen, hier in eine unvorbe- reitete Debatte hineingezogen zu werden. Es kommt morgen und die nächsten Tage darauf an, das Paket, das gesetzgeberisch auf dem Tisch liegt, auch gesetzgeberisch über die Bühne zu bringen. Herzlichen Dank. (Beifall.) Wehner: Wird das Wort gewünscht? Dietrich Sperling. Sperling: Genossinnen und Genossen, ich möchte dies Steuerthema auch nicht aufgrei- fen, um es in der Tat anzuheizen, aber ich habe nach dem, was ich in den letzten Tagen an Beratungen mitgemacht habe, den Eindruck, dass dieses Thema in der Tat wieder auf uns zurollt und dass es sinnvoll sein kann, sich auf dieses Thema vorzubereiten. Was ja nicht dasselbe ist, wie dies in der Öffentlichkeit zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu dis- kutieren und insofern wäre ich dankbar, wenn wir die Zusage bekommen würden, dass bevor man überhaupt daran geht, dieses Thema von irgendeiner Seite – regierungsseitig oder fraktionsseitig – aufzurollen, wenn wir die Zusicherung hätten, dass eine Arbeits- gruppe der Fraktion sich mit dem Thema noch mal intensiv befasst. Ich habe also vor- hin den Artikel von Rolf Böhme über die Steuerlastverteilung in unserem Land aus dem heutigen Volkswirtschaftsdienst mir angeschaut. Da steht drin, woher eigentlich die Mehrzahl der Steuern kommt und wer im Verlauf der Steuerentwicklung von ’65 auf ’75 schon Entlastungen erfahren hat. Dann taucht die Frage auf, in welcher Richtung denn noch Entlastungen aus bestimmten wirtschaftlichen Gründen möglich sein könn- ten. Und wer verfolgt, wie in der gegenwärtigen Phase wir die Haushaltsrisiken des nächsten Jahres zu betrachten haben und der nachfolgenden Jahre, wird sich klar dar- über sein, dass man nicht ohne weiteres auf Steuereinnahmen verzichten kann, so dass dies in der Tat kein aktuelles Thema werden darf. Wehner: Weitere Wortmeldungen? . Renger: Genossen, darf ich diese Gelegenheit wahrnehmen, um an zwei Punkten hier anzuknüpfen, einmal an dem außenpolitischen und einmal an dem finanziellen. Es ist eine Delegation des Deutschen Bundestages in Zaire gewesen in Afrika, in Zentralafri-

6 Die Aufnahme ist 20 Sekunden lang unterbrochen, danach ist Bundeskanzler Schmidt für zwei Minu- ten aufgrund von Störgeräuschen nur schwer zu verstehen.

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ka, in einem riesigen Land, und ich habe den Eindruck, davon hat kaum jemand Kenntnis genommen. Diejenigen, die dort gewesen sind, haben einen ganz tiefen Ein- druck von einem Land bekommen, das für die Bundesrepublik Deutschland mit Si- cherheit von großer Bedeutung sein kann und noch stärker werden würde. Über die Einzelheiten brauche ich hier nichts zu sagen, weil es darüber einen Bericht gibt. Aber ich möchte sagen, dass die Reisen, und deswegen knüpfe ich daran an, weil hier von finanziellen Dingen die Rede ist, dass die Reisen des Deutschen Bundestages ja gerade bei den Sparmaßnahmen in einem besonders negativen Licht stehen und wenn man von so einer Reise zurückkommt, die sehr erfolgreich war für dieses Land hier, dann ist man natürlich etwas betreten, dass man hinterher diese Dinge auf den Tisch bekommt und dann möglicherweise sich alleine wieder gegen diese Vorwürfe verteidigen muss. Ich wollte dazu sagen, solche Reisen – und ich bitte, dass die Fraktion hierzu einmal Stellung nimmt – sind und bleiben von Bedeutung, denn der Bundestag ist derjenige, der nicht nur zu kontrollieren hat, was die Exekutive tut, auch wenn er keine eigene Außenpolitik zu treiben hat, sondern es gibt zwei Punkte: einmal dass wir alles Interes- se daran haben, dass in unser Land Leute kommen, um unser Land kennenzulernen, wir auf der anderen Seite dort alle Möglichkeiten haben müssen, um Freunde zu ge- winnen auch für internationale Organisationen. Es wäre also gut, wenn bei künftigen Reisen (Unruhe.) – darf ich das zu Ende sagen oder ist das hier nicht angebracht? –, wenn bei künftigen Reisen, liebe Genossen, die in einer ziemlichen Größenordnung noch vor uns stehen, wenn hier die Fraktion hinter diesen Reisen stände und wenn sie das nicht tut, sollte sie hierzu einmal eine Stellung nehmen. (Vereinzelter Beifall.) Wehner: . Ehmke: Liebe Genossinnen und Genossen, ich stimme darin zu, dass es jetzt keinen Zweck hat, eine große Diskussion über die FDP-Pläne zur Steuerfrage – Besteuerung der Unternehmen – zu machen. Es sei denn, dass die FDP uns dazu zwingt. Andererseits sehe ich dieses Sparprogramm, das wir jetzt durchziehen müssen, in einer gewissen Perspektive und möchte sicher sein, dass ich das nicht anders sehe als der Bundeskanzler. Meine Perspektive ist die, dass abgesehen von der sozialen Gleich- gewichtigkeit der Sparmaßnahmen, die ja verschoben werden würden, wenn wir auf der Steuerseite etwas machen würden, im Augenblick es doch in der Wirtschaft so aussieht, dass bei einer Kapazitätsauslastung von 78 Prozent mit Steuervergünstigungen da gar nicht viel geholfen ist. Das würde noch weniger wirken als die Investitionszulage. Die schreiben bestenfalls ab, was sie sowieso an Rationalisierungsmaßnahmen machen. Wenn jetzt die Wirkung von außen, Helmut, nicht so kommt, wie wir uns [er]hoffen und du beurteilst ja auch die amerikanischen Dinge etwa sehr vorsichtig, dann kann es doch sein, dass wir im nächsten Frühjahr in einer Situation sind, wo wir nicht über ein zweites Sparprogramm reden oder wenn wir über eines reden, um überflüssige Dinge wegzuschneiden, unser Hauptproblem auf ganz anderem Gebiet liegt. Da nämlich, dass weder über die Unternehmen im Augenblick zu machen ist bei der Kapazitätsausla- stung noch etwa über Löhne oder Steuergeschenke bei der Sparquote, die wir haben, werden wir uns dann überlegen müssen, was wir auf dem Gebiet öffentlicher Arbeits- beschaffungsprogramme und öffentlicher Investitionen machen. In diese Situation können wir kommen und da wäre es nun ganz unsinnig, heute Steuergeschenke zu machen, die uns dort das Geld nehmen, das wir vielleicht im Frühjahr brauchen. Ich will das jetzt nicht im Einzelnen sehen, aber mich würde interessieren, ob Helmut die

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Perspektive im Gleichen sieht, denn ich bin der Meinung, auch für die Motivation der Partei, für die Möglichkeit, das in der Partei zu vertreten, ist doch die mittelfristige Perspektive nicht ganz uninteressant und mein Eindruck ist – ich lasse mich gern beleh- ren –, dass es ökonomisch überhaupt gar keine Perspektive hätte, wenn wir jetzt auf die sehr weitgehenden Vorschläge der FDP eingingen. Wehner: Genosse Wernitz. Wernitz: Genossinnen und Genossen, Helmut Schmidt hat eben mit Recht gesagt, dass man morgen in die Debatte auch zum Sparprogramm oder gerade zum Sparprogramm vorbereitet gehen soll. Zu dieser Vorbereitung gehört nach meiner Auffassung die Vorklärung einer wichtigen Frage im Verhältnis zwischen uns und den Freien Demokraten. Es geht hier um das Artikelgesetz und das ist auch im Beitrag von und noch einmal von Helmut Schmidt angesprochen worden. Ich will das also nicht vertieft darstellen, aber doch das Grundproblem hier ansprechen. Ich meine, dass das jetzt geschehen muss. Wir haben ursprünglich die Annahme gehabt, dass man den Rahmen des Sparprogramms – ich beziehe mich jetzt auf den öffentlichen Dienst – in jedem Fall einhalten muss. Dies ist auch nach wie vor wohl unstrittig, dass es aber möglich sein muss oder sein soll, einzelne Maßnahmen innerhalb des Rahmens auszutauschen. Und wenn man nun in die Debatte morgen hineingeht und jetzt sagt, man beschränkt sich nur auf eine Grundsatzdebatte, dann mag dies unsere Absicht sein. Die Frage ist aber die, ob wir dies gegenüber der Opposition durchhalten werden, vor allem dann, wenn – wie es hier gesagt wurde – die Absicht dahingeht, auch die Opposition nach ihren Alternativen zu den Sparvorschlägen zu fragen. Das heißt also, schon bei dieser strategischen Frage wird man es nicht durchhalten können, nur im Grundsätzlichen zu diskutieren. Wenn nun es stimmen sollte, dass die FDP bestenfalls bei Marginalien, beim Inhalt des Pakets öffentlicher Dienst bereit ist, von dem abzugehen, was vorgelegt wurde im Gesetzentwurf, im Artikelgesetz, dann sollte man – wenn dies tatsächlich so ist – dann sollte man hier jetzt bereits die Geschichte abbiegen und nicht weiter in einzelne Alternativvorschläge reingehen, und zwar deshalb, weil wir dann gegenüber der Opposition im Plenum und auch in der Öffentlichkeit in eine unhaltbare Position kommen und auch gegenüber unseren Leuten, gegenüber den Bürgern draußen, denn wir wecken dann nur Erwartungen, die wir letztlich aufgrund der Haltung der FDP nicht erfüllen können. Wenn dies so sein sollte, dass da in der Grundsatzgeschichte nichts geht, dann sollte man im Grunde genommen diese Geschichte jetzt vom Tisch bringen und nicht erst übermorgen. Ich meine, dass wir hier keine übermäßige Zeit haben, diese Grundsatzfrage, ob etwas inhaltlich geht oder nicht, müsste genau genommen heute geklärt werden. Sie darf nicht offenbleiben morgen in der Debatte, denn sonst bieten wir ein ausgesprochen schlechtes Bild und das wird mit Sicherheit nicht erreicht werden, was wir politisch erreichen müssen, nämlich die Opposition zu zwingen, ihre Alternativen auf den Tisch zu legen. Ich habe hier große Sorge, wenn diese grundsätzliche Frage zwischen den beiden Koalitionspartnern nicht geklärt ist und über die Woche hinweggeschoben wird, dass wir nach draußen und nach drinnen außerordentlich schlecht aussehen. Wehner: Genosse Wernitz, ich verstehe das nicht nur, sondern finde das richtig, dass das aufgegriffen wird, aber mein Vorschlag, das bei dem Punkt Debatte zu dem Arti- kelgesetz konkret zu behandeln. Ich nehme an, du wirst einverstanden sein. Ich habe das vorweggenommen faktisch mit einer Tendenz, die von deiner nicht entfernt ist, weil wir genau wissen müssen, wie wir morgen operieren in einer Debatte, auch deren zeitli- che Begrenzung wir noch nicht einmal sicher in der Hand haben. Noch Wortmeldun- gen? Kurt Mattick.

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Mattick: Genossinnen und Genossen, da niemand auf die Frage von Annemarie Renger eingegangen ist, würde ich vorschlagen, dass der Arbeitskreis I sich mit dieser Frage der Reisen mal beschäftigt, das heißt der Beziehungen des Bundestages zu anderen Ländern und dann vielleicht der Fraktion einen Bericht darüber gibt, und ich würde dazu alle Genossen einladen, die Kritik an diesen Reisen geübt haben, insbesondere auch denen, die eventuell mit Journalisten über solche Fragen reden, ohne es uns zu sagen. Wehner: Ist da Einverständnis? Einverständnis. Weitere Wortmeldungen zu Helmut Schmidt? Gansel.7 Gansel: Ich hatte mich mit Kurt Mattick zusammen gemeldet, weil ich auch der Mei- nung war, dass man auf die Ausführungen der Präsidentin etwas antworten muss. Ich bin seit langem der Auffassung und das ist ja auch schon ein paar Mal angesprochen worden, dass die exzessive Benutzung der Reisemöglichkeiten des Deutschen Bun- destages in Misskredit gebracht haben die Notwendigkeit von Reisen, die gemacht werden müssen, teilweise zu repräsentativen Zwecken des Parlaments, teilweise im Zusammenhang mit der konkreten Ausschussarbeit. Ich sehe ein, dass wir auch reprä- sentative Pflichten zu erfüllen haben. Ich frage mich aber, ob es notwendig ist wie im Falle Zaire, aus koalitionsarithmetischen Gründen oder fraktionsarithmetischen Grün- den mit fünf Abgeordneten hinzufahren. Vielleicht genügt es dann auch nur, wenn manchmal zwei oder drei oder wenn einer im Auftrag des Parlaments fährt. Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist, dass gerade die Reisen in exotische Länder, nicht die Reisen zu unseren Hauptverbündeten oder zu den Ländern, die im Osten für uns besonders in- teressant sind, und dass die Gestalter der Programme dabei viele berechtigte Kritik hervorgerufen haben und ich halte es für legitim, dass man mit Abgeordneten darüber spricht. Es ist bisher in der Fraktion nie üblich gewesen, dass man das vorher anzumel- den hatte. Das zu den Fragen der Auslandsreisen. Wenn das jetzt geklärt wird, dann halte ich das für eine gute Sache im Sinne der Reisen, die wichtig sind, und im Sinne des Ansehens des Parlaments. Jetzt habe ich noch eine Frage, die ich wohl hier stellen muss, weil sich die Arbeitskrei- se da überlappen und weil das etwas mit dem Sparprogramm zu tun hat. Bei den Spar- maßnahmen im öffentlichen Dienst ist ja einiges auf Kritik gestoßen, weil es tatsächlich untere Einkommensschichten besonders stark traf und manchmal in unzumutbarer Weise. Ich denke Streichung des Fahrgeldes in der Post, nachdem das vor zwei Mona- ten aus dringenden sozialen Gründen erhöht worden war. Es hat aber andere Dinge gegeben, die durchaus in der Öffentlichkeit als ein Stückchen Reform des öffentlichen Dienstes angekommen wären, wenn wir das nicht im Rahmen eines Sparprogramms gemacht hätten. Ich denke an den Vorschlag, dass Beihilfeunwesen zu reformieren. Nun ist es so, dass dieses nicht im Haushaltsstrukturgesetz drinsteckt, sondern über die Rechtsverordnung zu geschehen hat. Ich habe aus Beamtenkreisen gehört, dass man sich über die Vorschläge, die bisher erarbeitet worden sind, lächerlich gemacht hat in dem Sinne, dass man sagt, ihr könnt da noch so viel ändern, wir machen das durch die Gestaltung der privatrechtlichen Versicherungsverträge wieder weg, dass wir nach wie vor unseren Überschuss dabeihaben. Ich möchte darum bitten, dass zu diesem Problem noch einmal Stellung genommen wird, auch deshalb, weil sich dahinter ein gesund- heitspolitisches Strukturproblem verbirgt. Wenn wir über Kostenexplosion im öffentli-

7 Wehner sagt danach leise, offensichtlich zu seinem Sitznachbarn gewendet: »Er kann es nicht lassen, er kann’s nicht lassen«.

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chen Dienst reden, hat es auch etwas damit zu tun, dass aufgrund der Struktur des Bei- hilfewesens die Beamten praktisch darauf angewiesen sind, um ihre Versicherungsbei- träge wieder hereinzubekommen, Leistungen des Gesundheitswesens exzessiv in An- spruch zu nehmen. Das fängt von den Medikamenten an. Das geht über die systemati- sche Verteilung vor allen Dingen von zahnorthopädischen Operationen bis hin zu der Notwendigkeit, die zweite Pflegeklasse im Krankenhaus zu benutzen, nämlich nur dann bekommt man über die Beihilfe etwas zurück. Das ist also eine Frage, die nicht nur ein Problem des öffentlichen Dienstes ist, sondern auch ein Problem des Gesund- heitswesens und da sich die Gesundheitspolitiker heute für nicht so recht zuständig erklären wollten und die Sozialpolitiker, bitte ich doch darum, dass diese Sache mal geklärt wird. Damit auch endlich das Argument vom Tisch kommt, dass eine Aufnah- me der Beamten in die Pflichtversicherung den Staat teurer käme als das jetzige Beihil- feunwesen. Diese Argumentation beruht nämlich ausschließlich auf der augenblickli- chen exzessiven Inanspruchnahme [von] Leistungen des Gesundheitswesens und ich meine, es wäre Zeit, dieses Argument vom Tisch zu kriegen – ein Beitrag zur Reform des öffentlichen Dienstes und ein Beitrag zur Reform des Gesundheitswesens. Es wäre Zeit, das endlich anzupacken und irgendjemand muss sich dafür doch auch einmal als zuständig empfinden. Wehner: Genosse Gansel, nichts dagegen, diese Fragen aufzubringen, aber hier dann die Frage, wer etwas zu den Ausführungen von Helmut Schmidt sagen wollte. Dazwi- schen ist gekommen eine Äußerung von Annemarie Renger betreffend Bundestagsrei- sen ins Ausland. Dazu gab es und gibt es einen meiner Meinung nach vernünftigen Vorschlag zur Vorbehandlung durch den Vorsitzenden des Arbeitskreises I – Kurt Mattick – dieses dort zu beraten und das ist ja genauso offen, wie die anderen Arbeits- kreise offen sind. Jetzt ist nun noch dazugekommen öffentlicher Dienst Gesundheits- wesen. Die Sachen – du wirst sie ja nicht vergessen –, lass sie uns wieder aufbringen, obwohl sie so, wie sie hier jetzt aufgebracht worden sind, ich bitte um Entschuldigung, Arbeitskreisdiskussionsbeiträge sind und sowohl im Arbeitskreis II als auch in dem anderen angesprochenen Arbeitskreis durchaus ihren Platz finden. Nur im Zusammen- hang mit dem Bericht Bülow zu dem Tagesordnungspunkt Nummer 6 kommen wir zu diesen ganzen Punkten und es wäre nicht gut, wenn wir das jetzt sozusagen auseinan- derziehen. Ich habe hier noch zwei Wortmeldungen. Ich nehme an, das ist auch noch zum Thema Reisen. Mein Vorschlag wäre, obwohl ich die Wortmeldungen aufrufe, dass man dem Vorschlag von Mattick entspricht und im Arbeitskreis sich mit den Reisen beschäftigt. Das sind die Wortmeldungen Schachtschabel und Schlaga. Schachtschabel: Genossinnen und Genossen, ich muss leider noch mal auf die Ausfüh- rungen von Helmut Schmidt zurückkommen und auch in Anlehnung daran auf die Ausführungen von Herbert Wehner. Ich glaube, dass durch das Papier von Schlecht/Offergeld doch bereits, und durch die Pressemeldungen, bereits große Erwar- tungen in der Bevölkerung, insbesondere in den Unternehmen erweckt worden sind und ich habe die Befürchtung, dass wir – wie es vorhin auch ausgedrückt worden ist –, dass wir morgen bei der Debatte einfach nicht umhinkönnen, in irgendeiner Weise Stellung nehmen zu müssen, wenn wir nicht den Schwarzen Peter zugespielt haben wollen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass wir bisher immer mit den Konjunk- turprogrammen, mit unseren Hinweisen auf die wirtschaftliche Entwicklung von dem Standpunkt ausgegangen sind, dass die Ertragskraft der Unternehmen gestärkt werden müsste, dass damit eine wirtschaftliche Belebung eingeleitet werden soll und ähnliche Ausführungen. Wenn wir uns jetzt einer Stellungnahme, die, wie ich es sehe – vielleicht

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sehe ich es falsch –, doch auch in erster Linie von der FDP getragen wird, wenn uns einer solchen Stellungnahme entziehen, dann können wir mit Sicherheit annehmen, dass wir den Kredit, den wir in den letzten Wochen doch immerhin erreicht haben, wenn auch nicht sehr stark, aber sichtbar doch und spürbar erreicht haben, dass wir den wahrscheinlich verspielen werden. Und insofern wäre ich dankbar, wenn ich da aus berufenem Munde noch etwas hören dürfte, ob nicht doch sehr bald dazu Stellung genommen werden kann, vor allen Dingen vielleicht zu einigen Punkten, die in dem Steuerpapier drinstehen und wir wissen auch, dass mittelstandspolitische Anliegen damit verbunden sind und man vielleicht aus den Erwartungen, die auf uns zugekom- men sind, dass für unsere Arbeit auf der Basis entsprechend abfangen kann, was mög- licherweise bezüglich der Auswirkungen im Haushalt gefährlich werden könnte. In- sofern stimme ich dem zu, was gesagt worden ist, dass man mit der Stellungnahme von unserer Seite nicht zu lange warten sollte, vielleicht sogar sehr bald eine weitergehende Erklärung abgeben sollte, als die gestern beziehungsweise heute Morgen verlautbart worden ist. Wehner: Georg Schlaga. Schlaga: Genossinnen und Genossen, ich habe in einer der letzten Fraktionssitzungen die Frage der Reisen angeschnitten und nach den politischen Prioritäten gefragt und ich halte es für richtig, dass wir das im Arbeitskreis besprechen. Trotzdem eine Anmer- kung, die auch die Fraktion wohl weitgehend angeht. Denn mir ging es speziell noch darum, dass dem Wunsch – und das ist ja immerhin ein Novum – eines osteuropäischen Landes, des Nachbarstaates, der ČSSR, Rechnung getragen wird, dass die Präsidentin an der Spitze einer Bundestagsdelegation dorthin kommen soll. Denn bisher sah das doch so aus, dass als erste Delegation – Parlamentarierdelegation – eine reisen sollte unter der Führung des CDU-Wirtschaftsausschussvorsitzenden Narjes und das hielt ich ja nun nicht für sonderlich glücklich und das ist inzwischen gestorben und die Prä- sidentin fährt eben im Frühjahr, wenn ich sie richtig verstanden habe, mit einer Delega- tion. Und das halte ich doch für ein politisches Ergebnis. Wehner: Ich halte es für eine politische Vernunft, Genosse Schlaga, dass man dem Vorschlag von Mattick zustimmt und dass im Arbeitskreis I (Vereinzelter Beifall.) über diese Fragen so konkret wie nur möglich gesprochen wird, damit es aufhört, dass mitten in einer Debatte über wesentliche Ausführungen des Bundeskanzlers die Bun- destagspräsidentin plötzlich von Bundestagsreisen anfängt und alle anderen meinen, sie müssten auch über Bundestagsreisen sprechen. (Beifall.) Tut mir leid, das tut mir leid. Irgendwo mussten wir uns konzentrieren können. – An- nemarie Renger. Renger: Genossen, hier ist schon so oft zu Punkten gesprochen worden bei wichtigsten Dingen, dass das schon mal möglich ist, dass man einen solchen Anlass wahrnimmt, und es ist leider so, dass ich bis Punkt Verschiedenes nicht warten konnte, weil ich wiederum eine ausländische Delegation zu betreuen habe. Eine Bemerkung nur zu Schlaga. Schlaga, du weißt ganz genau, ich habe es dir gesagt, dass ich seit langem mit diesem Problem umgehe. Ich habe am 24. September die Einladung aus der ČSSR be- kommen, diese zu besuchen und sie sofort angenommen und nun lass’ endlich die Re- den darüber, dass ich das hinausgezögert habe. Ich bin bisher die einzige Präsidentin, die in allen osteuropäischen Ländern gewesen ist. (Vereinzelter Beifall.)

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Wehner: Gibt es noch Wortmeldungen zu Ausführungen Helmut Schmidts? Das Wort hat Helmut Schmidt. Schmidt (Hamburg): Liebe Freunde, ich will mich noch mal äußern dürfen zu Horst Ehmke und zum Genossen Schachtschabel und dabei nicht die Unterhaltung in der Fraktion über die Gestaltung der morgigen Debatte vorwegnehmen, will zunächst aber doch auf verschiedene Fragen hin klar deutlich sagen, es gibt keine, Gänsefüßchen un- ten, Vorschläge der Freien Demokratischen Partei, Gänsefüßchen oben. Die gibt es nicht. Sondern es haben einzelne Sprecher der FDP Ende August/Anfang September dann bei der Vorbereitung dieses ökonomischen Pakets – zu dem ja auch der Nach- tragshaushalt ’75 gehört und der Haushalt ’76 und die Mifrifi8 und das alles – gesagt, es müsse in der Richtung der steuerlichen Entlastung der Unternehmungen nach ihrer Vorstellung auch angefangen werden zu reden. Wir haben seinerzeit im Kabinett bei der Beratung dieses ökonomischen Pakets einvernehmlich darauf verzichtet, in dieses auf die gegenwärtige konjunkturelle Situation bezogene Paket Derartiges einzubezie- hen. Es gibt auch seither keine Vorschläge der FDP. Es gibt – auf meinen Auftrag hin ist es gefertigt worden – diese gemeinsame Ausarbeitung zweier Staatssekretäre, näm- lich unseres Freundes Offergeld und des beamteten Staatssekretärs Schlecht aus dem Wirtschaftsministerium. Ich selber kenne das erst seit Freitagabend um fünf [Uhr]. Es ist ein sehr kluges Papier. Ich habe vorhin – vielleicht ist das überhört worden, ich wie- derhole es aber gerne – ausdrücklich beanstandet, dass darüber etwas in den Zeitungen zu lesen war. Ich kann hier im Augenblick nicht übersehen, wer dieses Mal der Indis- kreteur war. (Heiterkeit.) Wahrscheinlich waren es wie immer in Bonn mehrere gleichzeitig. Tut mir leid, aber ich lasse mich da auch nicht unter Zeitdruck setzen, sondern ich will das erst mal durchstudieren und sicherlich erfordert das eine Reihe von Gesprächsrunden. Das Papier ist luzide. Die beiden Hauptbeteiligten kommen zu entgegengesetzten Schluss- folgerungen. Keine der Schlussfolgerungen ist wirklich begründet aus dem Papier her- aus und das alleine – (Unruhe.) das alleine lässt erkennen, wie viel Arbeit da noch reingesteckt werden muss. (Heiterkeit.) Luzide heißt auf Deutsch erleuchtet oder erleuchtend – je nachdem. Je nachdem. Horst Ehmke hat nach der mittelfristigen Perspektive gefragt. Ich habe überhaupt kei- nen Zweifel, und das ist nun allerdings nicht eine Erkenntnis aus der gegenwärtigen Wirtschaftsflaute, sondern ich selber habe diese Erkenntnis – da war ich noch Finanz- minister – öffentlich und in Parteigremien, auch in dieser Fraktion vorgetragen, schrift- lich wie mündlich. Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass mittelfristig sowohl die In- vestitionsquote der öffentlichen Haushalte als auch die privatwirtschaftliche Investiti- onsquote in unserem Land gehoben werden müssen. Ich spreche jetzt im Augenblick nicht zu der öffentlichen Investitionsquote, das ist ein Thema für sich, ein langes The- ma für sich, sondern sage nur eine Bemerkung zur privatwirtschaftlichen Investitions- quote. Die privatwirtschaftliche Investitionsquote ist wesentlich mitbestimmt durch die Er- tragskraft der Unternehmungen, das heißt durch das Verhältnis von Kosten und Erlö-

8 Gemeint ist: mittelfristige Finanzplanung.

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sen, und b) sie ist beeinflusst davon, wie weit diese Erträge, die sich aufgrund von Ko- sten und Erlösen ergeben, wie weit sie weggesteuert werden oder wie weit sie zur Ver- fügung stehen für die Investitionen. Da beißt keine Maus einen Faden von ab, und deswegen habe ich ja in der Regierungserklärung am 17. Mai vorigen Jahres hier vor dem Deutschen Bundestag den Vers aufgesagt, den ich viele Male vorher und nachher weiterhin benutzt habe. Er stammt ursprünglich von Walter Hesselbach, aber er ist so richtig, dass ich ihn jedermann nur empfehlen kann, dass, wer Investitionen will, um mit den Investitionen morgen mehr Produktivität oder neue Arbeitsplätze oder zusätz- liche Masseneinkommen zu schaffen, dass der heute für Erträge sorgen muss. Und so stand das in der Regierungserklärung, hat damals auch nicht viel Debatte ausgelöst, Erstaunen ausgelöst, dass ein Sozialdemokrat etwas sich herausnimmt, so was öffentlich zu sagen. In Wirklichkeit ist es eine Binsenweisheit. Gegenwärtig stößt es auf Empfind- lichkeit. Deswegen bin ich auch nicht glücklich darüber, dass einzelne Indiskretins diese öffentliche Debatte herbeigeführt haben, es muss auf Empfindlichkeit stoßen. Richtig aber bleibt, dass in dem Maße, in dem etwa auf die Dauer die Erträge zu klein wären, um eine ausreichende Investitionsquote tragen zu können, in dem Maße müssen dann die reinvestierten Erträge steuerlich entlastet werden. Dies ist mittelfristig richtig und ich sage noch einmal, der Aspekt liegt bei mir auf mittelfristig, das heißt über län- gere Sicht und nicht für den Winter ’75/’76, möglicherweise unter Einschluss von ’76. Ich bin da ganz offen, aber im Augenblick ist es nicht so, dass etwa das - werk und die AEG und die Veba und die was weiß ich, wen ich alles nennen darf, von Erträgen überfließen. Die sind alle in roten Zahlen, die ich hier genannt habe. Ruhrkoh- le nicht zu vergessen. Eisenbahn nicht zu vergessen, die allerdings in anderer Weise besteuert wird als privatwirtschaftliche Aktiengesellschaften. Es ist ein Thema auf die Dauer, mindestens auf mittlere Sicht. Es scheint mir nicht, wenn man von der Begün- stigung a) nicht entnommener, b) reinvestierter Erträge ausgeht, dann scheint mir das kein konjunkturpolitisches Thema zu sein. Man kann die ganze Diskussion auch kon- junkturpolitisch führen. Man kann sie auch führen unter dem Aspekt der sofort angeb- lich notwendigen Begünstigung von normalen Abschreibungen. Man kann sie auch führen unter dem Aspekt, dass möglichst jedes mittelständische Unternehmen vom Finanzamt ’ne Million zurückkriegen soll unter der Überschrift: Carryback. Kann man auch, dann wird es ein konjunkturpolitisches Thema. Dann wird es aber zugleich eben auch ein ganz heißes finanzwirtschaftliches Thema. Ganz abgesehen davon, dass es politisch-psychologisch gegenwärtig nicht gerade der angenehmste Zeitpunkt ist, diese Debatte öffentlich zu führen. (Vereinzelter Beifall.) Aber die, die jetzt klopfen, müssen sich wohl zum Teil auch bei eigenen Genossen für die Indiskretionen bedanken. [B.] Wehner: Kommen wir damit zum dritten Punkt, Genossinnen und Genossen, Fortset- zung des Berichts aus dem Fraktionsvorstand. Noch in dieser Woche werden die Aus- schussberatungen und Entscheidungen zum Gesetzentwurf über die Änderung dienst- rechtlicher Vorschriften – Stichwort Ministerpräsidentenerlass – unter sehr schwere Belastungen gestellt sein, die überwunden werden müssen durch die beiden Koalitions- fraktionen in den Ausschüssen, damit im Plenum in der nächsten Woche der Entwurf in zweiter und dritter Lesung behandelt werden kann, was durchaus möglich ist. Fritz Schäfer wird Weiteres darlegen. Ich will jetzt hier nicht in die Details gehen.

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Der nächste Punkt betrifft die weitere Behandlung des Entwurfs eines Strafrechtsände- rungsgesetzes. Das wird einmal 13., einmal 14. genannt. Das ist jetzt nicht wichtig, hat auch einen Untertitel: Schutz des Gemeinschaftsfriedens. Für diese weitere Behandlung ist notwendig, dass die Fraktion eine Empfehlung beschließt, damit der Regierungs- entwurf aus der politischen Gefahrenzone herausgehalten wird, die dadurch entstehen würde, dass von der Opposition durch Anträge die Wiederherstellung des Regierungs- entwurfs gefordert werden könnte. Ich gebe dazu einige Hinweise. Einige unserer Ge- nossen wollen im Paragraph 130 a nur die Anleitung, nicht aber die Befürwortung schwerer Straftaten unter Strafe stellen und im Paragraph 126 bei der Androhung nicht – wie es im Regierungsentwurf steht – auf die Eignung zur Friedensstörung, sondern erst auf die tatsächlich eingetretene Friedensstörung abstellen. Das wäre alles leichter, hätten wir eine Übersicht. Aber ich bitte um Entschuldigung, die gibt es offensichtlich noch nicht. Die Bundesregierung ist in ihrem Gesetzentwurf ausgegangen vom Programm für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland im Juni 1972, damals von der Stän- digen Konferenz der Innenminister des Bundes und der Länder beschlossen und in der

Vorlage vom November ’74 wird in Paragraph 130 a die Anleitung zu und die Befür- wortung von im Einzelnen aufgezählten schweren Gewalttaten unter Strafandrohung gestellt. Damit will ich es zunächst mit meinen Hinweisen genug sein lassen, aber diese Hinweise mit der Erinnerung an folgende Tatsache beschließen. Ich erinnere nämlich an den Punkt 7 des Entschließungsantrags der Fraktionen der SPD und der FDP, Bun- destagsdrucksache 7/3357 vom 13. März 1975. Dort heißt es wörtlich: »Weder die An- wendung von Gewalt noch die Rechtfertigung von Gewalt dürfen als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele hingenommen werden.« Zitat zu Ende. Das sollte für die Fraktion jedenfalls ein Anstoß sein, hier nicht eine Kluft zwischen dem, was in ihrem eigenen Entschließungsantrag steht und was unter sehr schweren Umständen – es war damals der 13. März dieses Jahres – im Zusammenhang mit Lorenz-Entführung und was wir da noch zu erleben hatten, dass wir hier also plötzlich auf Wege geraten, die politisch nicht erträglich sein würden. Dazu werden noch eingehende Ausführun- gen des Bundesministers der Justiz9 hier gemacht werden. Mein nächster Punkt ist die erste Lesung unseres Gesetzentwurfs zur Änderung des Paragraph 218 im Strafgesetzbuch, wollen wir am 7. November vornehmen. Vorher ist das wegen der Fülle von Punkten, die abgeschlossen werden müssen, nicht möglich, aber da besteht die Aussicht. Nächster Punkt: Im Fraktionsvorstand ist gestern durch ein ge- drängter Bericht über die Arbeiten zur Neufassung des Orientierungsrahmens ’85 in der Vorbereitung zum Parteitag gegeben worden. In der Fraktion möchten wir am 21. Oktober Informationsberichte über die Antragskommission zum Parteitag geben und zur Erörterung stellen. Aus diesem Grund ist auch, damit wir etwas mehr Zeit haben, wenn ihr nachseht auf der Terminliste, am Ende unserer heutigen Tagesordnung der Beginn der nächsten Fraktionssitzung am Dienstag, den 21., auf 14 Uhr festgelegt. Wir denken, dass, was die Antragskommission zum Orientierungsrahmen betrifft, Herbert Ehrenberg und Horst Ehmke sich in den Bericht teilen, und was die Antragskommissi- on zu den anderen Anträgen betrifft, gegebenenfalls Dröscher und ich, der ich dort den Vorsitz geführt habe. Die Texte werden bis dahin allen Mitgliedern der Fraktion zu- gänglich gemacht werden können, nicht dass sie sie dann schon alle gelesen haben wer-

9 Hans-Jochen Vogel.

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den, aber das wird eine Erleichterung sein. Denn sie müssen nach dem Statut sowieso auf den Weg gebracht sein zu den Delegierten spätestens am 20. Letzter Punkt: Zur Prüfung und Änderung des Verfahrens zur parlamentarischen Be- handlung von Vorlagen aus dem Bereich der Europäischen Gemeinschaften – ich denke dabei an die letzte Woche mit den Tagesordnungspunkten 19 und viele folgende – wird unter Alex Möllers Vorsitz eine Arbeitsgruppe, nach dem Vorschlag bestehend aus Peter Reuschenbach, Andreas von Bülow, Alfons Bayerl, , Horst Seefeld und Hermann Schmitt-Vockenhausen – an die Arbeit gehen. Wir haben dann den Ver- such gemacht, die verschiedenen Gebiete, Arbeitskreise und Sachgebiete mit Sachver- stand zusammen zu bringen. Wird das Wort gewünscht? Dieter Lattmann. Lattmann: Genossinnen und Genossen, es ist sehr schwer für jemanden, der nicht Jurist ist, zu dem Regierungsentwurf zum Gesetz zum Schutz des Gemeinschaftsfrie- dens zu sprechen, aber wie so oft sind alle diejenigen in unserer Fraktion, die nicht Fachleute – also Juristen – sind, dennoch in der Situation, hier eine Gewissenabwägung anstellen zu müssen. Ich bitte euch deswegen, dass wir uns darauf einigen, dass für eine ganze Reihe von Mitgliedern der Fraktion dies genauso schwierig ist wie etwa die Ab- wägung beim Paragraphen 218 zwischen Fristenregelung und Indikation. Und da gera- de aus Anlass der Rede des Friedenspreisträgers des Deutschen Buchhandels Alfred Grosser in am Sonntag dieses Problem solcher Gesetzgebungen intensiv dis- kutiert worden ist, im Übrigen, wie ihr gesehen habt, mit einer breiten Resonanz gerade in den Organen der kritischen Öffentlichkeit, sollten wir hier, glaube ich, gegenseitig davon ausgehen, dass unterschiedliche Meinungen von uns respektiert werden können und sozialdemokratische Meinungen sind, denn es geht um schwierigste Abwägungen bis hin zu den Graden, die man an uns in historischer Bewertung eines Tages legen wird. Ich bitte deswegen, es so zu verstehen, dass ich mich hier gemeldet habe, weil ich vielleicht besonders intensiv mit einer Reihe von Gruppen kritischer Wechselwähler der Mitte in Kontakt stehe, gerade solchen Genossinnen und Genossen, die uns ’69 und ’72 intensiv unterstützt haben und die jetzt Sorgen haben. Sorgen, die folgendermaßen aussehen, dass wir uns zwar darin zweifelsfrei einig sind, dass niemand von uns die Befürwortung oder die Anleitung zur Gewalt gutheißen kann, dass wir aber unter dem Druck der Klimaveränderung in der Öffentlichkeit Ge- fahr laufen könnten, Einbrüchen in den Rechtsstaat in der Weise zuzustimmen, dass wir Gesetze machen, die bei anderen Mehrheiten und unter anderen Voraussetzungen extrem missbräuchlich wären. Diese Sorge schließt ein, Genossinnen und Genossen, dass eine Position der radikalen Moral, wie sie etwa Solschenizyn und Sacharow in der UdSSR eingenommen haben und wie sie ein Heinrich Böll in der Bundesrepublik ein- nimmt, natürlich für uns politisch ungemein schwierig ist, weil es keine politisch diffe- renzierten Meinungen sind. Aber es ist notwendig, dass wir damit Schwierigkeiten haben, und ich bitte diejenigen, die am meisten Sachverstand für dieses Gesetz haben, auf die Sorge zu antworten, die folgendermaßen aussieht: Es gibt – und keineswegs nur im Kreis der Schriftsteller, sondern im Kreis kritischer Bürger im Lande, die vielerlei Gruppierungen zugehören – die Sorge, dass dieses Gesetz in Händen eines vielleicht sehr unbedachten oder sehr willkürlich schaltenden Staatsanwalts zu Handlungen füh- ren könnte, die letzten Endes ermöglichen, etwa ein Buch wie Heinrich Bölls »Ehre der Katharina Blum« oder sogar die Verfilmung zu beschlagnahmen und dieses kann ganz gewiss nicht in unserer politischen Absicht liegen. Ich glaube auch, dass es sehr nötig ist, Vergleiche zu Weimar anzustellen, und dass wir Sozialdemokraten vielleicht ein wenig unter Verdacht von den kritischen Wechselwäh- lern der Mitte stehen, dass uns hin und wieder etwas Souveränität mangelt. Genossin-

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nen und Genossen, warum lassen wir uns von reaktionären Kräften im Lande in eine Ecke drängen, so als seien wir gezwungen, Dinge zu erfüllen, die eigentlich schon im Grundgesetz genügend garantiert sind, also nicht zusätzlich formuliert zu werden brauchen? Jedenfalls gibt es auch so etwas wie einen Mangel an Souveränität in unseren eigenen Reihen und da müssen wir uns selber kritisch befragen, denn wir stehen doch auf dem Boden der Tatsache, dass es keine politische Partei in der gesamten deutschen Geschichte und Gegenwart gibt, die für das Herstellen freiheitlich-demokratischer Bedingungen mehr getan, gelitten und geleistet hat als die SPD, und dies sollte uns in die Lage versetzen, souverän genug zu sein, uns von niemandem und nichts in eine Ecke drängen zu lassen, als seien einige von uns etwa Sympathisanten extremer gewalt- tätiger Gruppen. Und wenn ihr nun noch, Genossinnen und Genossen, den eigentli- chen unmittelbaren Anlass nehmt und euch erinnert, dass es ja wenige, sehr wenige Publikationen waren, die eigentlich diese gesetzestechnische Überlegung hervorriefen, die eine oder andere Publikation im Verlag Wagenbach, die so genau wie sie erschien gewiss ebenfalls niemand von uns gutheißt, aber, um mit Alfred Grosser zu sprechen, der in Frankfurt sagte, der innere Friede soll gesichert werden, wer bestreitet das, aber deswegen braucht doch noch nicht die gesamte Staatsordnung bedroht zu sein, deswe- gen braucht man noch nicht zum Schutz des Rechts Rechte anzutasten, zum Schutz der Freiheit Freiheiten zu beschränken. Genossinnen und Genossen, ich bitte euch, dass wir uns gemeinsam prüfen, ob unsere Fraktion und die SPD insgesamt nicht bei einer so ungeheuer schwierigen Gesetzge- bung nach draußen glaubwürdiger dasteht, wenn wir nicht unbedingt auf hundertpro- zentige Einstimmigkeit pochen, sondern wenn auch bis zur Konsequenz eventuell des Plenums, aber darüber müssen wir frank und frei miteinander reden, es einige andere Meinungen geben darf. (Beifall.) Wehner: Kein Zweifel daran, dass das eine wichtige und auch Gegenstand weiterer Erörterungen bildende Diskussionsrede war, Genosse Lattmann. Ich hatte gesagt, dass über die Punkte, zu denen ich lediglich einen Hinweis gegeben hatte, nämlich den Hinweis darauf, dass es einer Empfehlung der Fraktion bedarf, dass die hier dargelegt werden. Wobei es mir lieber gewesen wäre, sie wären auch schriftlich nachlesbar gewe- sen. Das ist leider offenbar nicht geglückt. Hier geht es jetzt nicht – ja, das ist eine so schlechte Sache, dass ich sie niemandem empfehlen kann. Wenn wir schon deutsch reden, sage ich das mal. Das ist keine Synopse. Es tut mir leid. Und wenn es um eine wirkliche Beratung geht, muss für diejenigen, die nicht um- und umblättern können, deutlich sein, worum es hier geht, Genosse Dürr. Um das ging es und das geht jetzt seit drei Wochen hin und her. Aber, Vogel wird referieren zum Sachverhalt, nur jetzt nicht in dem Zusammenhang, sondern wenn der Punkt selbst aufgerufen ist, und deswegen schlage ich vor, dass die Wortmeldungen von Coppik und Oetting, die sicher auch zu diesem selben Punkt sind, dann konsumiert werden. Einverständnis. Ich rufe jetzt auf den Punkt 3. Werden Fragen gestellt? Kurt Mattick. Mattick: Genossinnen und Genossen, die »Welt« bringt heute auf Seite 1 eine Nach- richt, wie sie es darstellt konkret, dass die DDR letztlich einen Block vorgeschoben hat vor die Möglichkeit, dieses Projekt, das Helmut Schmidt in Moskau damals verhandelt hat, Stromlieferungen nach Berlin so zu lenken, dass sie nicht abgeschnürt werden kön- nen, dass hier die DDR endgültig einen Riegel vorgeschoben hat. Da wir sicher in den nächsten Stunden und Tagen konfrontiert werden mit dieser Nachricht, würde ich es für gutheißen, wenn die Regierung in der Lage wäre, den Kollegen der Fraktion dazu etwas Näheres zu sagen, ob das stimmt oder ob es nicht stimmt.

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Wehner: Hans-Jürgen Wischnewski. Wischnewski: Liebe Genossinnen und Genossen, die Frage hat heute Vormittag im Arbeitskreis schon eine Rolle gespielt nach dem Artikel in der »Welt«. Ich habe ver- sucht, die letzten Informationen zu bekommen. Der Bundesregierung ist von einem Veto der DDR zur Frage der Trassenführung in dem deutsch-sowjetischen und in dem deutsch-polnischen Stromprojekt nichts bekannt. Die Frage der Trassenführung spielt seit längerer Zeit eine Rolle in der Diskussion zwischen der Sowjetunion und der DDR. Die Sowjetunion hat der Bundesregierung zugesagt, die Bundesregierung über die Er- gebnisse dieser Verhandlungen zu informieren. Die Tatsache, dass wir bis heute kein Ergebnis vorliegen haben, bringt uns zu der Meinung, dass diese Verhandlungen bis jetzt nicht abgeschlossen sind. Darüber hinaus kommt noch folgendes Wichtige hinzu: Gegenwärtig wird bei der Bundesregierung die Variante einer Trassenführung geprüft, und zwar deshalb, weil im Comecon beschlossen worden ist, eine 750 KV-Ringleitung zu bauen, an die alle Comecon-Länder angeschlossen werden sollen. Die Bundesregie- rung geht davon aus, dass dieses Projekt des deutsch-sowjetischen Kraftwerkes von uns nur weiterverfolgt wird, wenn es dabei bleibt, dass die Stromleitung von der Sowjet- union über West-Berlin führt und Berlin mit Strom versorgt und von da aus unmittel- bar ins Bundesgebiet führt. Bis zu den notwendigen Entscheidungen ist das Projekt eines deutsch-polnischen Stromprojektes zurückgestellt. Wir haben bisher keinen An- lass – es gibt keine Informationen darüber – zu zweifeln an der Durchführbarkeit dieses deutsch-sowjetischen Stromprojekts. Wehner: Gibt’s da Zusatzfragen? Erlaube mir einen ergänzenden Satz, kurz. Das ist eine so langwierige Prozedur, dass die »Welt« noch mehrere Male behaupten wird, es sei alles im Eimer, nicht. Es kann doch gar nicht anders sein, wo es sich um eine Mög- lichkeit handelt, sowohl mit der UdSSR als auch – wenn mit UdSSR – mit Volksrepu- blik Polen und DDR über Trasse oder Bundesrepublik mit Polen und dann auch Trasse DDR oder Bundesrepublik und DDR. Das ist ganz klar, dass es eine langwierige Sache ist, und wer das zum Jahrmarktthema machen will, das sind die Leute, die da sagen, es glückt eben gar nichts bei der sogenannten Ostpolitik. Das ist der alte Filmstreifen, nicht. Sollten wir auch deutlich machen. Weitere Frage Genosse Marschall. Marschall: In den Wochenendausgaben habe ich von der Sorge Helmut Schmidts gele- sen um das Profil der SPD. Es heißt da, es sei zu wünschen, dass sie zu einer stärkeren Einheitlichkeit in ihren öffentlichen Aussagen zurückfindet. Das wünschen wir ja alle. In der öffentlichen Diskussion sind nun Begriffe wie Investitionsplanung und Investiti- onskontrolle besonders umstritten. Innerhalb der SPD wird glücklicherweise zuneh- mend mehr differenziert. Und ich denke daran, dass Herbert Ehrenberg oder Vetter und viele andere öffentlich ja sagen zur Investitionslenkung und differenzieren und sagen, dass es bereits jetzt in unserer Wirtschaftsordnung Instrumente der Investitions- lenkung gibt. Trotzdem stehen wir in der SPD in einer besonderen Gefahr, dass die internen Diskussionsgegensätze gegen uns gewandt werden, dass man von außen ver- sucht, eine sachliche Diskussion zu verhindern in der Partei und darüber hinaus in der Öffentlichkeit und dass man Reizworte negativ auflädt. Damit müssen wir anscheinend leben zwischen den Gegenpolen einer diskussionsfreudigen Partei und einer Partei, die nach außen hin Vertrauen einflößen kann, wie es viele Bürger wünschen. Unverständlich erscheint mir aber, auf welche Weise es hingenommen wird, dass ein Vertreter der Regierung, die ja mehrheitlich von den Sozialdemokraten getragen wird und die von einem SPD-Bundeskanzler geführt wird – ich denke jetzt an Staatssekretär Schlecht –, im Lande herumreist und beispielsweise in Berlin bei der Eröffnung des Betriebswirtschaftertages undifferenziert sagt, Investitionslenkung führe zur Lahmle-

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gung der Wirtschaft, oder etwa in München vor wenigen Tagen bei der Tagung des IFO-Instituts, dass er ebenso undifferenziert wörtlich sagt, für die Regierung erklärt, lassen wir die Finger von allen Formen der Investitionslenkung. Dies ist meines Erach- tens nicht nur gegen den Sprachgebrauch und auch gegen den einfachen Wortsinn, sondern auch gegen die politische Zielsetzung der Sozialdemokraten und im Gegensatz zur Regierungserklärung vom 17. Mai 1974, die ja von der Notwendigkeit ständiger Fortentwicklung der Marktwirtschaft ausgeht. Damit wird den politischen Gegnern willentlich oder unwillentlich zulasten unserer Partei in die Hände gespielt. Was wir jetzt brauchen in dieser Situation ist eine Versachlichung der Diskussion und deshalb zwei Fragen. Die erste Frage an Helmut Schmidt: Ist ein klares Wort des Bundeskanzlers an die Öf- fentlichkeit zu erwarten, aus dem deutlich wird, dass es bereits jetzt Instrumente der Investitionslenkung gibt? Und zweitens die Frage an den Fraktionsvorstand, ob er bereit ist, einen deutlichen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion zu leisten, etwa durch eine Zusammenstellung der bereits existierenden Formen der Investitionslen- kung aus den Bereichen etwa der Energieversorgung und des Umweltschutzes, um zu zeigen, dass wir bereits mit dem gegenwärtigen System von Instrumenten – wir, das heißt Regierung und Parlament – Richtung und Qualität der Produktion in einzelnen Bereichen entscheidend beeinflussen? Wehner: Was die letzte Frage betrifft, Genosse Marschall, ich hatte mir erlaubt zu sagen, dass der Fraktionsvorstand für nächste Woche Berichte – Ehmke/Ehrenberg –, und was die andere Antragskommission betrifft, auch zwei hier erstatten wird und dass wir darüber wohl diskutieren können. Aber hier ist eine Frage an den Bundeskanzler noch gestellt worden. Schmidt (Hamburg): Ich bin nicht sicher, Genosse Marschall, ob ich dich richtig ver- standen habe. Du erwartest, dass ich mich öffentlich äußern soll zu einer Debatte, die ich nicht vom Zaun gebrochen habe. Ich meine, ich darf das nicht übertreiben mit öf- fentlichen Stellungnahmen. Ich habe mich zweimal öffentlich geäußert. Das steht ja auch zur Verfügung, einmal hier vor der Fraktion vor zwei, drei Wochen, einmal auf einem Hamburger Bezirksparteitag. Beides steht öffentlich zur Verfügung. Meine Mei- nung dazu ist völlig klar und ich bin ganz sicher, dass ich insoweit auch die Meinung einer Regierungskoalition vertreten habe. Dass das von anderer Seite, die – wenn sie zunächst in unqualifizierter Weise eine Diskussion und du räumst ja selber ein, dass sie ziemlich undifferenziert begonnen hat – sich provoziert fühlt, dass von anderer Seite daran dann auch mitgestrickt und mitgewirkt wird, ist sehr schwierig zu beanstanden. Ich sehe also für einen disziplinaren Eingriff schlecht eine Möglichkeit, muss ich ehrlich sagen. Meine eigene Meinung steht dir zur Verfügung, das ist ja den Fraktionskollegen in die Fächer gelegt worden. Wehner: Zu dem Punkt noch? Sperling. Sperling: Helmut Schmidt, ich glaube, dies reicht nicht ganz. Der Genosse Marschall will auf etwas anderes hinaus, und zwar auf das, was der Biedenkopf10 nach meiner Ansicht am Beispiel Investitionslenkung vorexerziert hat. Hier ist ein Begriff, der in der Wissenschaft einigermaßen geläufig ist, benutzt worden im Sinne der Verfälschung, damit jeder, der ihn benutzt, dargestellt wird als ein kollektivistischer Halbkommunist. Darauf läuft die Sprachverwendung der Arbeitsgruppe Semantik unter Biedenkopf und ihrer Nachfolger in den verschiedenen Massenmedien hinaus. Da sind auch einige Ge-

10 Kurt Biedenkopf, Generalsekretär der CDU.

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nossen, Sozialdemokraten an führenden Stellungen, hineinmarschiert. Ich komme aus Hessen. Ich beobachte meinen eigenen Ministerpräsidenten dabei, der zwar einerseits das Recht auf Arbeit durchsetzen will, andererseits aber kräftig gegen Investitionslen- kung zu Felde zieht, offensichtlich nicht einmal ausreichend differenzierend, dass man das Recht auf Arbeit nur mithilfe, wenn auch schon indirekter Investitionslenkung durchsetzen kann. Ich meine, wir können gar nicht den Begriff Investitionslenkung räumen, den werden wir nutzen müssen und eigentlich von der verfälschenden Sprech- weise anderer reinigen müssen. Wir kommen um den Begriff gar nicht rum und in die- sem Sinne wäre es wahrscheinlich recht nützlich, wenn die Spitze der Partei oder der Fraktion darauf aufmerksam machen würde, dass man nicht den semantischen Schlin- gen der Biedenkopf-Gruppe nun ausgerechnet hineintapsen soll. Und ich meine, da wir den Begriff nicht räumen können, werden wir ihn auch in differenzierter Form benut- zen müssen. Wehner: Heinz Rapp. Zu dem Punkt Horst Ehmke. Ehmke: Liebe Genossinnen und Genossen, ich weiß nicht, ob es richtig ist, bei diesem Thema so über Biedenkopf zu weinen. Es gibt vier Probleme dabei. Das erste ist die Frage, sollten wir den Begriff überhaupt benutzen? Darüber haben wir ja diskutiert, diesen Terminus technicus benutzen wir. War nicht so klug, würde ich heute meinen, einfach weil es draußen missverstanden ist. Das zweite ist, wir haben ihn nicht offensiv besetzt. Das Thema ist erst hochgeschaukelt worden. Wir hatten keine Strategie in der Darstellung dieser Sache, wenn ich wir meine, meine ich mich mit, ja, nicht dass ihr meint, ich meine andere und das ist dann erst negativ hochgespielt worden. Worauf wir jetzt aufpassen müssen ist, dass in der Auseinandersetzung in der Partei um Dinge, in denen wir hier, glaube ich, ziemlich weitgehend übereinstimmen, dass sie nicht so viel Sinn machen wie etwa Wegnehmen der Entscheidung vom Unternehmen, wir nicht Äußerungen machen, die der CDU helfen, den Gesamtbegriff zu disqualifizieren. Das ist wirklich ein Problem. Da bin ich nicht über alles glücklich, was gelaufen ist. Ein Teil der Diskussion innerhalb der Partei sah aus, als ob da die Partei nur aus Spinnern be- steht, ist die eine Seite und die Reaktion darauf, als ob wir mit der CDU, mit Springer- presse gegen Investitionslenkung sind. Da muss man aufpassen, dass uns das nicht pas- siert. Man darf nicht Dinge, die die CDU gegen uns fährt – hätte sie nicht die Investiti- onslenkung, hätte sie etwas anderes –, zu einem Gegenstand des Streites in der Partei machen. Zunächst muss die Front nach außen da sein und dann die Differenzierung nach innen. Davon ganz getrennt ist die letzte Frage von Schlecht. Ein Mann, den ich sehr schätze. Ein Mann, der seine eigene begründete Meinung hatte. Ich bin allerdings auch der Mei- nung, Helmut, dass es fragwürdig ist, wenn ein beamteter Staatssekretär zum Beispiel in Parteiendiskussionen geht. Ich war neulich in der Diskussion, da war Zeitel für die CDU und dann erschien Schlecht dazu offenbar für die FDP, habe ihn noch hochgezo- gen. Das ist ein Problem. Der Mann kann seine eigene Meinung haben. Ich sage noch mal, ich habe großen Respekt vor dem Mann, aber er hat in der letzten Zeit den Ein- druck erweckt, als wenn er gewissermaßen für die FDP redet und das sollte also ein beamteter Staatssekretär möglichst nicht tun. Das würde ich auch sagen. Wehner: Herbert Ehrenberg. Ehrenberg: Genossen, ich glaube nicht, dass wir die Debatte der nächsten Woche, wo wir ja über den Orientierungsrahmen berichten und darüber diskutieren werden, hier vorwegnehmen sollten. Aber ich würde auch aufgrund der Äußerungen von dem Ge- nossen Sperling auf Folgendes aufmerksam machen wollen. Wir haben in der Neufas- sung, die die Antragskommission jetzt am letzten Wochenende abgeschlossen hat, uns

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möglichst bemüht, aus der Vielzahl der Anträge, die es von sehr verschiedenen Grund- richtungen her grade zu dem Thema Investitionslenkung gab, eine tragfähige Aussage zu finden, die allerdings diesen Begriff weitgehend vermeidet, weil er so missverständ- lich ist und er findet sich lediglich noch in der Fassung an der Stelle, wo gesagt wird, dass die – doch weitgehend, weitgehend, nicht lediglich – weitgehend nur noch dort, wo gesagt wird, dass die in der Öffentlichkeit so weit und so hoch gespielte Unter- scheidung zwischen direkter und indirekter Investitionslenkung keine sinnvolle ist, sondern dass es sich um ein abgestuftes Instrumentarium handelt. Dann wird aber wei- tergehend möglichst von zielorientierter Wirtschaftspolitik, von anderen Auswirkun- gen gesprochen und dieser Begriff wird nicht allzu oft verwendet, weil er so missver- ständlich ist. Und ich möchte jetzt empfehlen, dass wir nun nicht noch versuchen, eine Vielzahl anderer Darstellungen, auch schon Darstellungen, was es alles schon gibt, noch einmal zu verbreiten, das hat es schon öfters gegeben, sondern dass wir jetzt nun wirk- lich den in wenigen Tagen jedem zugänglichen Entwurf – den überarbeiteten Entwurf – der Orientierungsrahmenkommission jetzt zur Grundlage auch der Diskussion in der Fraktion nehmen und nicht noch auf neue Papiere aus sind und etwas Neues erwarten. Wehner: Eine andere Frage Harald Schäfer. Schäfer (Appenweier): In einem anderen Zusammenhang habe ich zwei Fragen an die Bundesregierung. Einmal wollte ich gern erfahren, wie die Bundesregierung sich zur Frage einer möglichen Genehmigung Export von Kernkraftwerken an Südafrika zu entscheiden gedenkt. Wenn ich die Presse recht gelesen habe, hat Hans Matthöfer ge- stern zu erkennen gegeben, dass – falls die Kraftwerk Union den Zuschlag erhielte – einer Exportgenehmigung nichts im Wege stünde. Am Tag zuvor habe ich gelesen, dass Auswärtiges Amt und Entwicklungshilfeministerium Bedenken geäußert hätten. Meine zweite Frage ist, ob es zutrifft, dass Südafrika dabei ist, eine Urananreicherungsanlage zu bauen, dass die Entwicklungsarbeiten dafür mithilfe der staatlichen Gesellschaft für Kernforschung in Karlsruhe erfolgt seien – es geht ums Trenndüsenverfahren – und ob es weiterhin zutreffend sei, dass südafrikanische Atomwissenschaftler in den Jahren ’70 folgende dazu in der staatlichen Gesellschaft für Kernforschung in Karlsruhe ausgebil- det worden seien? Wehner: Die Fragen werden beantwortet vom Staatssekretär Rohwedder. (Zwischenruf.) antwortet. Hauff: Genossinnen und Genossen, es ist zunächst mal so, dass man bei der Erörterung dieser Frage sehr sauber unterscheiden muss zwischen der Lieferung von Atomreakto- ren und der Anreicherungsanlage. Insofern bin ich dem sehr dankbar, wie Harald Schä- fer das formuliert hat, zumal es in der öffentlichen Diskussion nicht richtig behandelt wurde. Was die Lieferung von Kernreaktoren angeht, so ist die Situation folgenderma- ßen, dass es eine Ausschreibung gab in Südafrika, die ja durch ein mehrstufiges Sie- bungsverfahren lief und jetzt in der Endausscheidung stehen noch General Electric, Framatome, das ist die französische Firma, und die Kraftwerk Union und es muss da- von ausgegangen werden, dass über kurz oder lang entsprechende Anträge von den zuständigen Stellen behandelt und entschieden werden müssen. Eine ganz andere Frage ist die Frage der Urananreicherung, weil man hier in Bereiche kommt, die in der Tat militärisch sensitiv sind, und da ist es so, dass es keinerlei Zu- sammenarbeit gibt zwischen Regierungsstellen oder der Regierung zugeordneten Stel-

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len wie der GfK11 und Einrichtungen in Südafrika. Vielmehr ist es so, dass ein Verfah- ren, das unter dem Namen Trenndüsenverfahren zur Urananreicherung von Professor Becker in Karlsruhe in der GfK entwickelt wurde, und zwar seit Anfang der sechziger Jahre dort entwickelt wurde und dann zu mancherlei internationalen Missverständnis- sen geführt hat. Der eine oder andere wird sich noch daran erinnern, dass es in dieser Zeit sehr heftige Pressekampagnen und Vorwürfe aus der Sowjetunion gab, die Bundes- republik baue in Karlsruhe eine Atombombe mit diesem Verfahren. Das hat dazu ge- führt, dass damals entschieden wurde, sämtliche Erkenntnisse im Zusammenhang mit diesem Verfahren wissenschaftlich zu publizieren. Das ist geschehen bis in die jüngste Vergangenheit hinein. Nur produktionstechnische Angaben, die einer Lizenz unterlie- gen, sind nicht veröffentlicht. Seit März 1970 besteht zwischen der GfK und der Steag12 ein Kooperationsabkommen, in dem festgelegt ist, dass die Steag – ein Wirtschaftsunternehmen, das im Bereich der Kohletechnologie und der Förderungstechnik und einigen anderen Bereichen tätig ist – das Trenndüsenverfahren industriell weiterentwickeln wird und notfalls ökonomisch nutzen. Alle Angaben im Zusammenhang mit diesem Verfahren unterliegen seit eh und je keinem staatlichen Geheimschutz. Seit 1973 gibt es Kontakte zwischen der Ucor13 – das ist die entsprechende Organisation in Südafrika – und der Steag. Diese Kontakte gingen von südafrikanischen Stellen aus und hatten zum Ziel, das in Karlsruhe entwik- kelte Verfahren unter Umständen zu übernehmen. Zu dem Zweck wurde ein Antrag auf Option für eine Lizenz gestellt. Dies bedarf der Genehmigung durch die GfK. Die- se Genehmigung ist nicht erteilt worden und auf dieser Grundlage, weil da ein Wirt- schaftlichkeitsvergleich nicht möglich war, bei voller Kenntnis des technischen Kennt- nisstandes wurde ein Wirtschaftlichkeitsvergleich vereinbart, bei dem man bestimmte technische Schnittstellen definiert und sagt, da wollen wir die entsprechenden Kenn- zahlen austauschen. Das heißt, was technisch wirklich, wie das im Einzelnen aussieht, bleibt ’ne Blackbox und man tauscht dann die technischen Daten aus, um ’ne Wirt- schaftlichkeitsuntersuchung zu machen. Im Rahmen dieser Wirtschaftlichkeitsuntersu- chung, so wurde uns auf mehrmaliges Befragen mitgeteilt, sind keine außenwirtschaft- lich relevanten Daten weitergegeben worden. Das heißt keinerlei Daten, die einer Ge- nehmigung unterliegen würden, in dem Fall also einer Lizenz. Dies wurde bestätigt. Das Ergebnis dieses Wirtschaftlichkeitsvergleichs lautet, dass die Südafrikaner darauf verzichten, auf das Verfahren der Steag zurückzugreifen. Sie selbst arbeiten auch seit den sechziger Jahren an entsprechenden Verfahren. Dies war bekannt, auch internatio- nal bekannt. Welchen Stand man dort erreicht hat, dies war allerdings nicht bekannt, weil hier eine sehr weitgehende Geheimhaltung von Südafrika praktiziert wurde. Es ist richtig, es gibt eine Vielzahl von wissenschaftlichen Kontakten zu Südafrika wie zur Volksrepublik China oder der Sowjetunion oder anderen Ländern, keinerlei Zusam- menarbeit in Form von Projekten in diesem Bereich, aber auf vielen wissenschaftlichen Bereichen sind die Entwicklungen in Südafrika so weit fortgeschritten, dass hier durch- aus befruchtende Gespräche stattfinden, in der Kohletechnologie genauso wie in be- stimmten Bereichen der Grundlagenforschung oder der Materialwissenschaften. Keiner derjenigen, die länger als eine Woche in der Bundesrepublik waren und dort in Kern- forschungszentren Zeit verbracht haben, war auf einem Arbeitsgebiet tätig, das in ir- gendeiner Weise in Kontakt steht zum Trenndüsenverfahren. So, und das waren die

11 »Gesellschaft für Kernforschung«, Karlsruhe. 12 »Steinkohle-Elektrizitäts AG«. 13 »Uranium Enrichment Corporation«.

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Bereiche, die ich jetzt eben genannt habe, also Grundlagenforschung, Kohletechnologie und Materialwissenschaft, nicht im Institut von Professor Becker. Zur Frage der Lieferung des Reaktors und den wirtschafts- und außenhandelspoliti- schen Teil wird sicherlich – falls es gewünscht wird – Detlev Rohwedder noch Stellung nehmen. Mir liegt daran, auf eines hinzuweisen. Die Lieferung eines Reaktors in dem Umfang, wie es hier zur Debatte steht, liegt bei einem Auftragsvolumen von 1,3 bis zwei Milliarden Mark. Dies ist eine Größenordnung, die auch unter dem Aspekt Siche- rung der Arbeitsplätze durchaus von Bedeutung ist. Ich sage nicht, dass dies alleiniger Gesichtspunkt sein muss. Aber man kann nicht – und dies sehr deutlich einigen ins Stammbuch geschrieben –, man kann nicht zugleich fordern, dass unsere Volkswirt- schaft energiesparende, wenig Rohstoff verbrauchende Technologien exportieren soll und dann beim Export eines Reaktors hier von vornherein zurückschrecken, dass dies ’ne Möglichkeit ist. Und das ist es, was Hans Matthöfer gesagt hat, dass er gesagt hat, unter technologiepolitischen und außenwirtschaftlichen Gesichtspunkten sieht er kein Argument, das gegen die Lieferung eines Reaktors stattfindet. Ich war letzte Woche bei der Kernkraftwerksunion und ich habe mich da mal informiert. Bei einem Reaktor ist es so, dass da drinstecken als Arbeitskapazität der KWU eine Million Arbeitsstunden

Ingenieure und Wissenschaftler, Forschung, Entwicklung und Engineering und 360 000 Arbeitsstunden Produktion. Das zeigt, dass hier genau jener Struktureffekt in unserer Wirtschaft vorhanden ist, den wir ja unter dem Aspekt Modernisierung der Volkswirt- schaft im Zusammenhang mit dem OR ’85 diskutieren und diesen Aspekt, der in der öffentlichen Diskussion über diese Frage meines Erachtens bis jetzt zu kurz gekommen ist. Wehner: Zusatzfrage Lenelotte von Bothmer. von Bothmer: Ich möchte diese Frage in den Gesamtkomplex stellen, wie wir über- haupt unsere Politik Südafrika gegenüber handhaben, denn auf der einen Seite steht deutlich und immer wiederholt und auch in der letzten Woche während der Tagung der afrikanischen Politiker mit der Friedrich-Ebert-Stiftung hier die These, wir wollen Handel und Politik nicht mischen. Auf der anderen Seite macht unsere Wirtschaft Schritt für Schritt Politik und kümmert sich keine Bohne darum. Ich meine jetzt nicht, ich will niemand in der Wirtschaft speziell anklagen, sondern das, was wir als Wirt- schaft, als Wirtschaftsmacht tun. (Unruhe.) Und nun sind ja einige Indiskretionen passiert, aufgrund derer Briefe und Auszüge aus Gesprächen an die Öffentlichkeit gekommen sind und darunter war auch eine Äuße- rung von Detlev Rohwedder, dem Staatssekretär Sole aus Südafrika gegenüber, es gäbe zwei Möglichkeiten des Handelns Südafrika gegenüber. Entweder man würde nun auf volle Linie Kooperation mehr oder weniger in kurzer Zeit umscheren oder man müsse eben weiter vorsichtig sein. Leider sei ja das Zweite im Augenblick noch notwendig. So etwa war der Tenor und das ist nicht nur eine Äußerung, sondern diese Äußerung, die finde ich auf Schritt und Tritt, und ich weiß, da ich mich mit Südafrika nun politisch beschäftige, wirklich nicht mehr, wie man sich da verhalten soll. Warum, wenn wir offen mit Südafrika kooperieren wollen beziehungsweise keine Hemmungen mehr haben, warum geht dann nicht die Präsidentin zum Beispiel, die schon seit Jahren gela- den ist, offiziell nach Südafrika? Warum gehen nicht Regierungsdelegationen offiziell hin? Warum sagen wir bis jetzt noch, das geht nicht? (Unruhe.)

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Und wenn ich im letzten Jahr gefragt habe, was Militärpersonen in Südafrika tun, dann habe ich damit nicht nur den General Rall gemeint. Er ist es wirklich nicht nur alleine. Auch auf diesem Gebiet ist eine breite Skala von Tätigkeiten, die bisher unter der Hand gehandhabt wird. Rall ist nun an die Öffentlichkeit gekommen und hat dafür büßen müssen. Ich frage wirklich hier, wie wollen wir das handhaben, und ich frage das hier in der Fraktion, denn es ist peinlich, von außen, von allen Seiten her die Prügel zu kriegen, dass hier was nicht sauber gehandhabt wird. Und darf ich vielleicht noch eine andere Frage, da ich nun einmal vorm Mikrofon stehe, anfügen? Einer unserer Jungsozialisten hat bei einem Privatbesuch – ich habe das nur aus einer Zeitungsmeldung entnommen –, bei einem Privatbesuch in Brasilien erfahren, dass deutsche Polizeioffiziere dort an einer Folterschule seien. Ich weiß gar nicht, was dran ist. Ich will das auch nicht öffentlich fragen. Ich will auch jetzt keine Antwort darauf haben. Ich bitte euch nur, Genossen, wenn etwas daran sein sollte, diejenigen, die damit befasst sind, prüft das wirklich, bevor ihr mir oder anderen eine Antwort gebt. Denn man kann mit diesen Dingen nicht leichtfertig umgehen. Ich bitte, das also nur jetzt einmal diejenigen, die das angeht, zu prüfen und vielleicht später darüber eine vertrauliche Auskunft zu geben. Wehner: Detlev Rohwedder. Rohwedder: Genossinnen und Genossen, ich möchte zunächst einmal etwas sagen zu dieser Indiskretion, die im »Spiegel« stand. Es ist natürlich unerträglich für die prakti- sche Arbeit, dass Gespräche, die man mit einem ausländischen Botschafter unter vier Augen führt, ein halbes oder ein Dreivierteljahr später im »Spiegel« wiederauftauchen. Ich kann nur hoffen, dass so etwas nicht Schule macht. Man spricht ja nicht nur mit südafrikanischen Botschaftern. Der zweite Punkt ist nun der Inhalt dessen, was im »Spiegel« stand. Zunächst einmal zum Punkt der Waffenpolitik. Ich glaube, wer das liest, was dort wiedergegeben ist als Wiedergabe des Gesprächs durch den südafrikanischen Botschafter, der kann nur zu dem Ergebnis kommen, dass die Antwort von mir auf den Wunsch nach einer Zusam- menarbeit auf waffentechnischem oder rüstungswirtschaftlichem Gebiet glatt negativ war. Anders ist es nicht zu verstehen, wenn ich gesagt habe, dass man keine Zusage machen könnte, dass es Verpflichtungen gegenüber der UNO gäbe und dass es Ver- pflichtungen gegenüber der NATO gäbe. Alles sei von uns zu respektieren. Nun zu dieser Alternative, die sich ebenfalls hier im »Spiegel« wiedergegeben fand. Die Alternative, wie man sich auf wirtschaftlichem Gebiet in unserem ganzen Handeln gegenüber Südafrika einstellen könnte. Ich habe bereits gesagt, dass das, was im »Spie- gel« stand, eine verballhornte Fassung des folgenden Gedankens ist. Etwas verkürzt kann man sich gegenüber Südafrika so einstellen, dass man eine Politik betreibt, [die] der Politik nahekommt, die wir gegenüber Rhodesien etwa verfolgen, also die Politik des totalen Embargos. Etwas abgeschwächt könnte man sich vorstellen, dass man ge- genüber Südafrika die Flamme des wirtschaftlichen Verkehrs gegen null stellt. Vielleicht nicht ganz auf null, aber jedenfalls nicht annähernd das an wirtschaftlichem Austausch praktiziert, was wir jetzt praktizieren. Das ist die eine Möglichkeit, und ich bin der Meinung, dass man sich, wenn man diese Möglichkeit wahrnimmt, wenn man diese Politik verfolgt, sich nachgerade jeder Einflussmöglichkeit begibt auf eine Änderung der rassenpolitischen Zustände in Südafrika. Und die andere Alternative, die ich darge- stellt habe, ist die, dass die Bundesrepublik das Gewicht ihrer Wirtschaft, ihrer wirt- schaftlichen Politik, der Handelspolitik und Außenwirtschaftspolitik überhaupt und die technologischen Möglichkeiten, die wir haben auf friedlichem Gebiet, auch auf dem Gebiet etwa des Exports der Kernenergie, dass man diese ganze Palette auch dazu

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nutzt, um in Südafrika eine Änderung der dortigen Verhältnisse zu bewirken. Es ist eben ein großer Unterschied, ob man nicht da ist oder ob die Firma Siemens dort in

Pretoria ein Werk von 6 000 Menschen hat und sowohl in der Lohnpolitik als auch was die Ausbildung der Bantus angeht an der Spitze des Fortschritts dort marschiert, soweit es dort möglich ist. Man kann sich auch vorstellen, dass die Firma Siemens und andere deutsche Firmen solche Aktivitäten unterlassen, dann unterbleibt natürlich auch jede Einflussmöglichkeit, jede Politik, auch Firmenpolitik der Wendung zum Guten und zum Besseren und jede Möglichkeit, zum Beispiel junge Leute, junge schwarze Leute auszubilden. Das war der Gedanke, den ich ausgedrückt habe, den ich für richtig halte, zu dem ich stehe und der in sehr grober Weise vom Botschafter offenbar weitergegeben worden ist in seine Hauptstadt und dann vielleicht in noch gröberer Weise im »Spiegel« wiederaufgetaucht ist. Wehner: Hans-Jürgen Wischnewski. Wischnewski: {…} ist gefragt worden nach unserer Politik gegenüber Republik Süd- afrika insgesamt. Ich möchte vier Punkte nennen, und zwar die vier Punkte, die wir – die der Bundesaußenminister – anlässlich des Besuchs des Außenministers der Republik Südafrika ihm gegenüber gemacht hat. Er war hier zu einem privaten Besuch in der Bundesrepublik, nämlich um eine Botschaft oder Residenz zu eröffnen. Erstens. Wir haben ganz klar die Auffassung vertreten, dass die Bundesregierung ein Gegner der Apartheidpolitik ist, und wir haben die Regierung der Südafrikanischen Republik auch ausdrücklich vor dieser Politik gewarnt. Zweitens. Wir haben ihm gesagt, dass der Pro- zess der Herbeiführung der Unabhängigkeit von Namibia erheblich beschleunigt wer- den muss und die Bundesregierung hat auch Kontakte mit der SWAPO14, mit der Un- abhängigkeitsbewegung aufgenommen. Der Bundesaußenminister hat anlässlich der Afrika-Reise mit der SWAPO Gespräche geführt und wird auch jetzt in den nächsten Tagen weitere Gespräche führen. Drittens. Der Regierung der Südafrikanischen Repu- blik ist ganz klar und eindeutig gesagt worden, dass Waffenlieferungen oder Rüstungs- zusammenarbeit mit der Bundesrepublik nicht infrage kommt. Ich weiß, dass es hier ein etwas schwieriges Gebiet gibt, auf das wir aber keinen Einfluss haben, Genossen, nämlich es werden von Frankreich Waffen geliefert, und zwar in erheblichem Umfang auch solche Waffen, die zustande gekommen sind durch eine deutsch-französische Kooperation. Viertens. Es gibt keine Beschlüsse – im Gegensatz zu Rhodesien – in Bezug auf Boykott des Handels. Es gibt solche Beschlüsse gegenüber der Republik Südafrika nicht. Um zahlenmäßig das ein bisschen zum Ausdruck zu bringen, der Handel mit der Südafrikanischen Republik vonseiten der Bundesrepublik ist ungefähr so groß wie der Handel mit allen anderen afrikanischen Ländern zusammen, um sich ungefähr eine Größenordnung zu machen. Wer also verlangt, dass wir den Handel einstellen sollen, wie das ja mit Rhodesien in sehr korrekter Weise geschieht, der muss wissen, er verzichtet auf zwei Prozent, knapp zwei Prozent, genau 1,8 Prozent des Außenhandels der Bundesrepublik Deutschland. Dieses ist die Politik der Bundesregie- rung zu dieser Frage. Wehner: Genossen, ich habe jetzt hier noch drei Wortmeldungen und möchte die Red- nerliste schließen. Ich weiß nicht, welches Zusatzfragen sind. Harald Schäfer wahr- scheinlich. Schäfer (Appenweier): Ich habe zwei Zusatzfragen. Frage Numero 1: Trifft es zu, dass auf einer interministeriellen Staatssekretärsbesprechung von Vorgänger-Einrichtungen,

14 South-West Africa People’s Organisation.

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Forschungsministerium, Bundeswirtschaftsministerium und Auswärtigem Amt sowie Bundeskanzleramt zunächst einmal eine Zusammenarbeit zwischen der südafrikani- schen Atombehörde und der Steag befürwortet wurde? Das ist die erste Frage. Die zweite Frage: Es ist nicht beantwortet worden, ob es zutrifft, dass im Kabinett vom Auswärtigen Amt und vom BMZ Bedenken gegen eine mögliche Exportgenehmigung für Kernkraftwerke nach Südafrika geäußert wurden. Denn, Genosse Rohwedder, das Problem kann man sicher nicht nur sehen, dass man damit vielleicht die Apartheidpoli- tik auf Dauer gesehen überwinden kann. Das ist ein politisches Problem und wie das übrige Afrika darüber denken kann, ist uns ja zum großen Teil bekannt. Im Übrigen habe ich eine Dokumentation des Afrikanischen Nationalkongresses Südafrika. Das werde ich der Bundesregierung zuleiten mit der Bitte, zu den einzelnen dort getroffe- nen Feststellungen konkret Stellung zu nehmen. Ich glaube, es ist im Interesse der Öf- fentlichkeitswirkung der Partei notwendig, dass alles, was hier angesprochen wird, nach Möglichkeit Punkt für Punkt eindeutig geklärt werden kann. Ich sehe da einen gewis- sen politischen Sprengsatz sonst drin, wenn das nicht gelingt. Wehner: Zusatzfrage Lenelotte von Bothmer. von Bothmer: Die Grundsätze des Auswärtigen Amtes, Hans-Jürgen [Wischnewski], sind mir bekannt und die sind tatsächlich ausgezeichnet. Nur was eben damit nicht im Einklang steht, ist das Handeln, was man auf wirtschaftlichem Gebiet tut. Und Genosse Rohwedder, wenn du sagst, dass das Vorhandensein von Siemens und so weiter dort die Apartheid auflöst, ist das ein kompletter Irrtum. Das kann man nur sagen, wenn man die Verhältnisse in Südafrika nicht kennt. Ich bin nicht – (Zwischenruf.) oder dass es hilft, dass es verbessert. (Unruhe.) Es ist doch so, Genossen, die meisten unserer Tochterfirmen in Südafrika sind zum Teil – ja, nun hört mir doch bitte zu, wenn ihr schon protestiert gegen das, was ich gesagt habe –, die meisten unserer deutschen Firmen dort sind zum Teil mit südafrikanischem Management oder/und mit südafrikanischem Kapital dazu ausgestattet. Und so ist es außerordentlich schwer für sie, wenn nicht gar unmöglich, die Verhältnisse dort zu ändern. Eine Ausbildung der Schwarzen ist überhaupt verboten, die darf es gar nicht geben, eine Lehrlingsausbildung. Natürlich wird in den einzelnen Firmen der eine oder andere angeleitet. Das ist selbstverständlich, aber so einfach ist das Problem nicht, dass nur die Anwesenheit deutscher Firmen das politische Klima dort oder die Apartheid dort ändern oder verbessern könnte. So darf man es nicht sehen. Ich rede nicht dagegen – Wirtschaft mit Südafrika –, das will ich hier ganz klarstellen. Auch mir ist völlig deut- lich, dass wir das brauchen, und ich vertrete das auch überall. Aber wir sollten es dann sauber tun und sollten wirklich sagen, was wir machen und wir müssen dabei wissen, dass unsere deutschen Wirtschaftsleute zum Teil – ich sage wirklich nicht alle, aber zum Teil – dort politisch wirklich für uns eine Belastung sind, wenn sie in einer Weise der Apartheid helfen, indem sie die Augen zumachen und nur eben ihre Sache da betreiben. Das dürfen wir und können wir uns eigentlich nicht leisten und vielleicht ist noch nie- mand darauf aufmerksam geworden, dass zum Beispiel die Ausweisung des Journali- sten Gunter Péus geschehen ist auf Betreiben Deutscher dort, die das lästig finden, wenn dort an Südafrika herumkritisiert wird. Das ist doch ein merkwürdiges Verständ- nis von Pressefreiheit durch Deutsche. So komplex ist das nun mal, und man kann nicht einfach sagen, das läuft ganz gut und wir können schon zufrieden sein, wenn unsere Firmen da sind. Nur darauf möchte ich die Aufmerksamkeit unserer Regierung lenken

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und möchte bitten, dass man auch diesen Punkt etwas genauer sieht und womöglich differenzierter vorgeht. Danke. Wehner: Zusatzfrage Manfred Coppik. Ja, Genossen, ich schlage vor, dass dieses Do- kument oder Schriftstück, das Harald Schäfer hier angekündigt hat, im Arbeitskreis behandelt wird, eingehend. Aber zu der Beantwortung der Fragen Volker Hauff und Rohwedder. Hauff: Ich möchte gerne nur zu der Fragestellung von Harald Schäfer über die Staats- sekretärsbesprechung: Man muss das im Zusammenhang sehen mit dem Antrag der Steag an die GfK, eine Option auf eine Unterlizenz zu bekommen. Dies konnte die Steag nicht geben ohne Zustimmung durch die GfK und dies ist ’ne Entscheidungs- kompetenz, die auch nicht der Vorstand der GfK Karlsruhe fällen kann, sondern wo er den Aufsichtsrat fragen muss, dessen Vorsitzender der beamtete Staatssekretär im Bun- desministerium für Forschung und Technologie ist. Im Rahmen dieser Diskussion war es notwendig, ’ne Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung herbeizuführen über die Frage, ob diese Option auf eine Unterlizenz erteilt werden soll oder nicht. Im Zusammenhang damit war klar, dass eine Kabinettvorlage zu machen ist, die dem Ka- binett die Möglichkeit gibt, bei entsprechender sachkundiger Vorbereitung zu ent- scheiden. Darauf bezieht sich diese Aussage. Insofern ist sie zutreffend. Sie ist nicht zutreffend im Hinblick auf die Entscheidung, die im Kabinett gefallen ist. Dort gab’s ’ne intensive Diskussion, die dann dazu geführt hat, dass der zuständige Minister oder die zuständigen Minister – es waren mehrere –, die die Kabinettsvorlage eingebracht haben, die wieder zurückgezogen haben. Das heißt, die Hälfte der Wahrheit wird in der Dokumentation genannt. Insofern ist sie wahr, sie ist auch dann noch ein bisschen verzerrt, aber der zweite Teil, der politisch entscheidende, wird dann weggelassen. Wehner: Detlev Rohwedder. Rohwedder: Genossinnen und Genossen, der Stand des Verfahrens zur Ausfuhr dieses Kernkraftwerks ist der, soweit es Aktivitäten der Bundesregierung angeht, es gibt einen Antrag der KWU15 auf Gewährung einer Kreditversicherung. Die wird im Hermes- Ausschuss behandelt. Eine Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem Antrag ist bisher nicht erfolgt. Es gab weiter einen Antrag der KWU auf Genehmigung der Aus- fuhr eines solchen Kernkraftwerks. Im Laufe dieses Verfahrens ist dieser Antrag zu- rückgezogen worden. Ich rechne damit, dass die KWU diesen Antrag alsbald wieder stellen wird. Zu dem ersten Antrag und zu diesem zweiten Antrag auf Genehmigung der Ausfuhr muss die Bundesregierung, sprich in diesem Fall vermutlich das Kabi- – (Zwischenruf: Zum Mikrofon, bitte.) Zu beiden Anträgen muss zu gegebener Zeit das Kabinett Stellung nehmen, das heißt einen Beschluss fassen. Das ist der gegenwärtige Stand der Dinge. Es gibt zu beiden Anträgen zur Stunde keine Beschlussfassung der Bundesregierung. Und zur Lenelotte von Bothmer will ich nur sagen, ich habe das hier ein bisschen ver- kürzt dargestellt. Ich will hier in der Fraktion keine allgemeine Philosophie über diese Dinge zum Besten geben. Ich bin nur eben der Meinung, dass wir ein bisschen Einfluss auf Veränderung zum Guten haben, wenn wir dort präsent sind. Ich habe nicht gesagt, dass wir durch die Firma Siemens oder andere Firmen, die ja auch natürlich ökonomi- sche Interessen vertreten, die Apartheid abschaffen können. Da wäre ich missverstan- den worden. Nur glaube ich, dass, wenn wir überhaupt nicht uns in diesem Land prä-

15 Kraftwerk Union AG.

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sent machen, wir auch noch weniger Einfluss haben, die Dinge dort zum Besseren zu wenden. Wehner: Ich habe dann noch zu anderen Fragen zwei Wortmeldungen. Horst Haase. Haase (Fürth): Auf einer Konferenz von Betriebsräten ist mir gesagt worden, dass das Schlechtwettergeld eine Zulage gehabt hat für Bauarbeiter von 30 Pfennig. Dieses soll nun abgeschafft werden im Rahmen der Maßnahmen, die, glaube ich, über die Bundes- anstalt für Arbeit laufen. Meine Frage geht also nun dahin, ist dieses beabsichtigt und wenn ja, dann frage ich mich, ist es denn notwendig, dieses hier zu tun? Gibt es dafür eine Begründung? Ist denn diese Schlechtwettergeldzulage von 30 Pfennig pro Stunde bisher unberechtigterweise gezahlt worden? Wehner: . Arendt: Richtig ist, dass in dem Strukturverbesserungsgesetz die Streichung der 30- Pfennig-Zulage beim Schlechtwettergeld vorgesehen ist und dieser Vorschlag wurde gemacht, weil wir in der Zwischenzeit Maßnahmen eingeleitet haben, die eine ganzjäh- rige Beschäftigung des Bauarbeiters ermöglichen sollen. Deshalb haben wir auch die produktive Winterbauförderung Wirklichkeit werden lassen und hier wird ein Zu- schlag von zwei Mark pro Stunde gezahlt. Unter diesen Aspekten ist es nicht mehr zu rechtfertigen, so war die Meinung, dass hier zum Schlechtwettergeld noch eine Zulage von 30 Pfennig gezahlt wird pro Stunde. Ganz besonders deshalb nicht, weil wir dazu übergehen wollen, ab 1. Januar nächsten Jahres den Beitrag zur Arbeitslosenversiche- rung um ein Prozent zu erhöhen. Wehner: Zusatzfragen Haase und dann Schwabe. Haase (Fürth): Zunächst: wenn das Schlechtwettergeld wegen der Dauerbeschäftigung nicht mehr gezahlt werden muss, dann braucht man ja die Sache auch nicht abschaffen. Das ist aber nur eine Vorbemerkung. Das ist ja wohl kein Argument, mit dem wir hier zufrieden sein können. Nur die konkrete Frage, die geht doch dahin: Hat man sich denn überlegt, ob nicht die Bereitschaft der Bauarbeiter, arbeitsbereit zu sein und dar- auf zu warten, dass man jetzt arbeitet, und diese 30 Pfennig dann also zu bekommen, wenn es nicht klappt mit der Arbeit, ob diese Bereitschaft nicht sinken wird und dann unter Umgehung dieses Tatbestandes eher stark zur Kasse gebeten wird über die Ar- beitslosenunterstützung? Wehner: Walter Arendt. Arendt: {…} nur ist die Annahme, dass durch den Wegfall der 30 Pfennig eine höhere Arbeitslosigkeit entsteht, irrig. Denn die Auslösung von Zahlung der Bundesanstalt im Falle der Arbeitslosigkeit setzt ein gekündigtes Verhältnis voraus und hier wird ja das Arbeitsverhältnis bei Schlechtwettergeld nicht gekündigt. Insofern ist die Annahme, dass es eine höhere Zahl von Arbeitslosen gäbe, irrig. Wehner: Zu einer weiteren Frage Dietrich Schinzel. – Ich habe gesagt zu einer weiteren Frage.

[N. N.]: Dann ist es gut. Schinzel: Ich möchte vermeiden, dass es über eine Frage zu Missverständnissen hier kommt. Und zwar hat Helmut Schmidt oder ist vorhin gefragt worden von einigen aus der Fraktion, wie das denn nun sei eigentlich mit einer eventuellen Entscheidung über Steuererleichterungen im Unternehmensbereich. Die Frage ist nicht beantwortet wor- den, deswegen will ich nicht die Debatte im Inhalt wiederaufnehmen, da habe ich kein Interesse dran, aber doch um eine Antwort bitten, nämlich um die, ob es zugesagt wer- den kann, dass diese Entscheidung erst nach einer möglichen Debatte in dieser Fraktion gefällt wird oder aber ob wir vor eine Situation gestellt werden, wie das oft der Fall

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war, dass schon entschieden worden ist inzwischen und wir in der Fraktion dann ge- zwungen sind, nur noch zu klopfen. Wehner: Hier ist überhaupt keiner gezwungen worden zu klopfen. (Heiterkeit.) Wir haben uns sehr – nein, das kann man sehr verschieden auffassen. Alle diese Sachen, liebe Genossen, laufen doch nach draußen, nicht. Wenn ihr die Fraktion so diskreditie- ren wollt, in Ordnung, nicht. Ich werde nämlich am Montag zum Beispiel ein soge- nanntes Profil der Fraktion in »Monitor« vorgeführt bekommen und bin vor die Frage gestellt worden, ob ich bereit wäre, mich Fragen zu stellen. Ich habe gesagt, ich bin nur dann bereit, dann aber bin ich bereit, wenn ich live alles vorher sehen kann und dann die Fragen beantworten kann, damit ich mich wenigstens stellen kann. Da kommt dein Klopfen und diese Sachen alle hoch. Irgendwo müssen wir, Genossen, da bin ich ehr- lich erregt, irgendwo müssen wir dafür sorgen, dass die Leute uns nicht einfach für einen sich in Diskussion, die eigentlich Diskussion in dem Sinne nicht mehr ist, sich gefallenden Verein auseinanderdifferenzieren. Das ist die Frage. (Beifall.) Und ich habe Helmut Schmidt so verstanden und so habe ich ihn vorweg interpretiert und er hat ausdrücklich auf das Bezug genommen, was ich einleitend mir die Freiheit genommen hatte zu sagen, dass wir die morgige Debatte nicht auf eine solche Spielwie- se ablenken, abgleiten lassen dürfen und wollen, weil wir morgen das Paket im ent- scheidenden Punkt zu verteidigen und für die Fertigstellung in den Ausschüssen auch unbeschädigt weiterzugeben haben. In den Ausschüssen wird es verdammt schwerer werden. Das hat eine Frage, an die ich erinnern will, von Wernitz deutlich gezeigt. Er- fordert für uns auch morgen ziemlich viel Selbstzucht. Man braucht sich nur anzuse- hen, was inzwischen Franz Josef, der Strauß, an Äußerungen verbreitet hat in diesem Nachmittag. Das ist ganz gezielt auf – bitte um Entschuldigung – dieses Thema, von dem du jetzt sagst, wir werden ja hoffentlich nicht nur dann mit der Entscheidung konfrontiert werden, um zu klopfen. Dessen bin ich sicher und ich nehme an, dass Leute wie Ehrenberg und andere und die Genossen des Wirtschaftsausschusses auf keinen Fall meinen, dass ihnen hier etwas aufgedrückt und sie dann klopfen werden müssen. Aber um Himmels willen macht doch nicht Entscheidungen dadurch schwie- rig, dass wir – bevor wir morgen eine wesentliche Sache, die nur wir durchboxen kön- nen, denn wer kann uns denn das abnehmen, niemand kann es uns abnehmen – bevor wir die durchgeboxt haben, Genossen. Aber vielleicht sagt der Bundeskanzler noch etwas dazu. Ich habe jetzt hier meins gesagt. Schmidt (Hamburg): Nur Genossen, weil ich die letzte Bemerkung von Herbert als eine Aufforderung verstanden habe, möchte ich ihm ausdrücklich beipflichten. Es hat bisher kaum je ökonomische Entscheidungen von Bedeutung gegeben, übrigens auch kaum je außenpolitische Entscheidungen von Bedeutung, die das Kabinett ohne vorhe- rige Fühlungnahme mit den jeweiligen Fachleuten der Fraktion getroffen hätte. Auf der anderen Seite glaube ich, dass wir einen tiefgreifenden Fehler machen wollten, wenn in Zukunft jeder Kabinettsentscheidung eine Plenarversammlung dieser Fraktion vorge- schaltet würde. (Vereinzelter Beifall.) Wehner: Ich habe jetzt hier noch zwei Wortmeldungen: Reuschenbach und Schwabe, der sich gemeldet hat. Reuschenbach. (Zwischenruf.)

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Dann bitte ich um Entschuldigung, ich hatte gefragt, ob das Zusatzfragen waren. Schwabe. Schwabe: Ich habe, Genossinnen und Genossen, eine finanzielle Frage, habe sie be- wusst vorhin nicht in den großen Rahmen der Darstellung des Bundeskanzlers gestellt. Die ist so wichtig und muss so unterstützt werden morgen, dass das, was ich zu sagen habe, in anderer Richtung für die hier Anwesenden von Interesse sein könnte. Es be- zieht sich, um es ganz kurz zu sagen, um die Entwicklung der Kraftfahrzeugsteuer. Ich habe aus jüngstem Anlass und aus Beschäftigung mit dem Thema hier feststellen müs- sen, dass wir in einer unglückseligen Entwicklung sind. In den Finanzämtern stapeln sich die Akten von nicht mehr gezahlter Kraftfahrzeugsteuer, und zwar beschränkt sich das nicht mehr nur auf mobile Personen wie Gastarbeiter, Studenten, Soldaten und andere, sondern ganz allgemein wird die Kraftfahrzeugsteuer nicht mehr gezahlt, ist nicht mehr beitreibbar. Es sind mehr und mehr größte Rückstände, die einfach nieder- geschlagen werden müssen, und es wird überhaupt nur noch vollstreckt dort, wo so- wieso andere Steuern, Mehrwertsteuer, Einkommensteuer und so weiter vollstreckt werden muss, da geht einer hin und vollstreckt auch. Warum sage ich das? Ich weiß, dass heute und morgen das nicht geändert werden kann. Ich weiß aber auch, dass wir alle wissen, dass eine Regelung kommen muss, und ich sage es heute einmal hier, damit diejenigen, die sich seinerzeit bei der Diskussion des Themas so sehr auf humane und soziale und andere Dinge hier berufen haben, sich einmal örtlich zuhause bei ihren Finanzämtern ein bisschen damit befassen und nachher feststellen, dass wir einen neuen anderen Weg brauchen und dass wir es dann den Ver- antwortlichen der Regierung nicht übermäßig schwer machen, zum gegebenen Zeit- punkt Lösungen zu finden, die gangbar sind und die nicht dazu führen, dass eine we- sentliche Steuer lächerlicherweise einfach unter den Tisch gefegt wird. Im Augenblick ist die Situation – und ich habe mich ernsthaft darüber informiert – so, dass wirklich diese Aufgabe auf die Dauer nicht vom Tisch gebracht werden kann. Wehner: . Apel: Genossen, ihr werdet euch darin erinnern, diejenigen wenigstens, die der letzten Fraktion angehört haben vor den letzten Bundestagswahlen, dass dies eines der Themen war, die uns sehr eingehend beschäftigt haben. Die Bundesregierung ist dann weitge- hend den Vorschlägen der Fraktion gefolgt und hat ein Plakettenverfahren vorgeschla- gen, drei Stufen und das ist dann in den Bundesrat gegangen. In Vorbereitung auf die morgige Debatte, und Strauß hat ja vorige Woche zu diesem Thema etwas gesagt, als ein möglicher Einsparungsweg habe ich mir dann die Stellungnahme der Bundesländer – und die Kfz-Steuer ist eine reine Ländersteuer – angeguckt und dabei wird deutlich, dass die Kfz-Steuerreform schlimmer ist als Glaubenskrieg im 14. und 15. Jahrhundert. Dies war im Übrigen dann der Grund dafür, dass die Koalition, Wolfgang [Schwabe], schon vor Monaten beschlossen hat, dass wir bereit sind, jeden Vorschlag der Bundes- länder zu akzeptieren und umzusetzen in Gesetzgebung, dass wir aber nicht bereit sein können, folgende Arbeitsteilung zu akzeptieren: wir die Reform und den Ärger, die Bundesländer den Ertrag, und darauf wäre es genau hinausgelaufen. Was man hier auch immer macht, ob man die gesamte Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer oben draufpackt und dann den Benzinpreis unerträglich plötzlich hochschnellen lässt, ob man zwei, drei, vier Steuerklassen macht: Es gibt immer eine ganz massive Unruhe, weil diejeni- gen, das kennen wir ja von der Steuerreformdebatte, die weniger Kfz-Steuer bezahlen, nichts sagen, aber die Millionen – und das ist die andere Hälfte – die mehr bezahlen müssen, sich zu Wort melden. Dies war der Grund dafür. Dieses werden wir auch morgen zu sagen haben. Jeder ist herzlich aufgefordert, uns hierzu einen Beitrag des

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Bundesrates auf den Tisch zu legen, aber so können wir die Sache nicht debattieren, wie sie zurzeit debattiert wird draußen. Deswegen wird es mit Sicherheit keine Initiative der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode zu dieser Frage mehr geben. [C.] Wehner: Damit kommen wir zum nächsten Punkt, und ich bitte, dass wir uns da sehr konzentrieren, damit wir zu unserem eigentlichen Punkt kommen, nämlich zum Arti- kelgesetz. Hugo Collet wird kurz aus dem entsprechenden Arbeitskreis berichten zu dem Anschreiben, das alle bekommen haben, ob sie es alle schon angesehen haben, weiß ich nicht, so wichtig war es auch nicht, des CDU-Abgeordneten Lenz in Fragen Zusammensetzung des Ältestenrats. Hugo Collet. Collet: Genossinnen und Genossen, ich kann leider nur aus der Arbeitsgruppe, nicht aus dem Arbeitskreis berichten, weil der erst heute Abend tagt. Aber im Einvernehmen mit dem Arbeitskreisvorsitzenden haben wir das heute an uns gezogen. Wenn jemand sich beschwert, dass wir es nicht auf der Einladung, auf der Tagesordnung hatten, so deshalb, weil zum Zeitpunkt der Einladung der Brief noch nicht vorlag und Herbert Wehner durch Notiz an gesagt hat oder hat wissen lassen, er sei interes- siert, dass das eilig behandelt wird. Da geht es also um , der scheinbar einen Weg sucht, darf ich das mal so sagen, in den Ältestenrat zu kommen. Ich nehme an, die Mehrzahl hat es bereits gelesen. Und er schlägt hier vor, dass die Ausschussvor- sitzenden automatisch in den Ältestenrat kommen, außer dem Präsidium dann noch ein Vertreter jeder Fraktion. Darüber hätte man noch reden können in der 5. Legislaturpe- riode, als wir zwei Gremien hatten, nämlich einen Ältestenrat und einen Bundestags- vorstand. Die sind zusammengelegt worden durch die damalige Reform, (Unruhe.) so dass eine Vielzahl von Aufgaben neben der Festlegung der Tagesordnung fürs Ple- num und der Vorschläge für Ausschussüberweisungen nun auf den Ältestenrat zuge- kommen sind, Haushalt 02, die Baufragen, die Raumfragen, ich will sie nicht – Wissen- schaftlicher Dienst und so weiter. Ich will sie nicht alle aufzählen. Es wäre aber sicher- lich nicht sinnvoll, wenn in Zukunft die Fraktionen mit ihren Entscheidungen, wen sie als Ausschussvorsitzenden empfehlen, gleichzeitig mit überlegen sollten, ob sie auch gleichzeitig die Aufgaben im Ältestenrat alle wahrnehmen können, zumal nach diesem Vorschlag dann nur noch praktisch ein Geschäftsführer da hineinkommen könnte und die Fraktionen keinen Einfluss darauf hätten, wer nun in den Ältestenrat käme zusätz- lich zu denen, die nun Ausschussvorsitzende sind. Wir sind also einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, den Genossinnen und Genossen der Fraktion vorzuschlagen, dieses Ding von Carl Otto Lenz nicht zu unterschreiben und zurückzuschicken. Wir sind gerne zu Antworten auf Rückfragen bereit. Wehner: Danke. Wird das Wort dazu gewünscht? Ich mache nur noch eine Fußnote dazu. Das heißt auch, ohne dass das ausdrücklich gesagt wird, dass, weil die FDP einen einzelnen Ausschussvorsitz hat, sie entsprechend amputiert in diesem sogenannten Ältestenrat wäre. Kann auch nicht unser Interesse sein. Das nur nebenbei. Dann: Ich hatte angekündigt, dass Fritz Schäfer einiges sagen wird zu diesen Erschwernissen, unter denen in dieser Woche durchgebracht werden muss und so, dass es in der näch- sten Woche plenarverabschiedungsreif wird, jene Gesetzentwurfsänderung dienstrecht- licher Vorschriften. Stichwort Ministerpräsidentenerlass. Fritz Schäfer. Schäfer (Tübingen): Liebe Genossinnen und Genossen, ich hatte darüber berichtet, dass wir in einer ganztägigen Sitzung am Mittwoch, den 15. Oktober, diese Gesetze behandeln wollen und im Innenausschuss verabschieden wollen, damit sie nächste Wo-

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che ins Plenum kommen. In der Zwischenzeit ist ja der morgige Termin belegt und wir haben die Beratung auf den 16. gelegt. Wir haben zwei Berichterstatter, den Freund Karl Liedtke und den CDU-Abgeordneten Vogel. Der CDU-Abgeordnete Vogel schreibt mir in meiner Eigenschaft als Innenausschussvorsitzender, er könne am Don- nerstag nur bis 12 Uhr da sein, denn er sei Mitglied des Richterwahlausschusses und sei dort Obmann und da sei mittags eine Sitzung und deshalb könne er nicht kommen. Außerdem kündigte er an, er werde Anfang dieser Woche noch einen Antrag stellen, einen Antrag auf Hearing wahrscheinlich. Der Antrag ist bis jetzt nicht da. Ein deutli- ches Zeichen, dass die Opposition den Versuch macht, eine Beratung in dieser Woche zu verhindern. Wir werden mit geeigneten Mitteln im Innenausschuss – notfalls unter Einschaltung einer Nachtsitzung – versuchen, das diese Woche zu verabschieden. Wehner: Wird das Wort dazu gewünscht? Nicht der Fall. Dann bitte ich Hans-Jochen Vogel zu der Erläuterung des Punktes, auf den ich vorher hingewiesen hatte, zu dieser Vorlage Gemeinschaftsfrieden. Vogel: Genossinnen und Genossen, ich bin dem Genossen Dieter Lattmann dankbar für die Diskussionsrede, die er schon vorweg zu diesem Punkt gehalten hat. Ich glaube, wir sollten die Frage, die hier ansteht, sehr leidenschaftslos behandeln, genauso wie es den Befürwortern der einen Lösung fernliegt, den anderen zu unterstellen, sie würden mit den hier in Rede stehenden Äußerungen sympathisieren, genauso, glaube ich, wird umgekehrt zuzugestehen zu sein, dass diejenigen, die sich für diese Lösung einsetzen, den Rechtsstaat hochachten und nichts vorschlagen, was den Rechtsstaat in Gefahr bringen soll. Es geht um folgenden Sachverhalt: Ende der sechziger Jahre, Anfang der siebziger Jahre sind in der zunehmenden Polarisierung in zunehmendem Maße (Unruhe.) verbale Drohungen und Befürwortungen von Gewaltanwendung üblich geworden. Ich darf ein paar dieser Gewaltdrohungen nennen, die zunächst 1969 und 1970 und dann in steigendem Maße in den folgenden Jahren verwendet wurden. Zum Beispiel: » an die Wand«. »Deutsches Land wird nicht verschenkt, eher wird der Brandt gehängt«. »Hängt die Verräter«. »Natürlich kann auf Bullen« – gemeint sind Polizeibe- amte – »geschossen werden«. »Wir behaupten, dass die Organisierung von bewaffneten Widerstandsgruppen richtig, möglich und gerechtfertigt ist.« »Es ist immer noch bes- ser, ein Warenhaus anzuzünden, als ein Warenhaus zu betreiben.« Schon im Jahre 1970/’71 haben die Innenministerkonferenz und der damalige Bundesinnenminister – Bundesminister Genscher – gefordert, dass derartige Äußerungen, die nach dem gelten- den Strafrecht nicht strafbar sind, unter Strafe gestellt werden. Er hat darauf hingewie- sen, dass solche Äußerungen geeignet sind, das Klima zu vergiften und eine allgemeine Neigung und Bereitwilligkeit zur Anwendung von Gewalt in der politischen Ausein- andersetzung zu fördern. Genscher hat auch auf Vorgänge in den zwanziger Jahren hingewiesen. Er hat damals die Redewendung in Erinnerung gebracht, die furchtbare Redewendung, die in den Jahren 1919/’20 verwendet wurde und die lautete: »Knallt ihn ab, den Rathenau, die gottverfluchte Judensau.« Ein Wort, an das sich die Älteren aus der Republik sicher noch erinnern. Genscher hat dann den Entwurf eines Programms für die Innere Sicherheit vorgelegt, das von der Bundesregierung unter Willy Brandt gebilligt wurde. Dieses Programm, das im Juni 1972 verabschiedet wurde, hatte als einen wesentlichen Bestandteil die Forderung, dass derartige Befürwortungen von Ge- waltanwendungen unter Strafe gestellt werden. Mein Vorgänger Gerhard Jahn und dann ich haben in langen Beratungen eine Tatbestandsformulierung erarbeitet, die ei- nerseits solche Äußerungen unter Strafdrohung stellt, andererseits aber den von Dieter

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Lattmann befürchteten und durchaus ernst abzuwägenden Missbrauch verhindern sollen. Im Herbst 1974 ist die entsprechende Vorlage von der Bundesregierung als 13. Strafrechtsänderungsgesetz16 eingebracht worden. Sie stellt unter Strafe Äußerungen in Wort oder Schrift, die die Befürwortung einer der in 126 des Strafgesetzbuches genann- ten schweren Gewalttaten oder die Anleitung zu einer solchen Tat enthält und be- stimmt sowie nach den Umständen geeignet ist, die Bereitschaft anderer zu fördern, solche Taten dann auch tatsächlich zu begehen. Für diese Vorlage hat sich in der von Herbert Wehner schon erwähnten Regierungserklärung vom 13. März 1975 auch Hel- mut Schmidt ausdrücklich ausgesprochen. Bei den Beratungen in der Arbeitsgruppe, die dafür zuständig ist, ist die Sache zunächst unter juristischen Gesichtspunkten erör- tert worden. Es sind Sorgen aufgetreten, ob nicht die hier vorgeschlagene Bestimmung doch eine missbräuchliche Anwendung zulassen würde. Ich möchte diese Debatte im Einzelnen jetzt nicht wiederholen. Sie würde wahrschein- lich auch die Fraktion, soweit es um juristische Details geht, überfordern. Ich möchte nur auf drei Gesichtspunkte hinweisen, die diesen Missbrauch nach der Begründung der Regierungsvorlage verhindern. Erstens wird gefordert, nicht einfach Drohung mit irgendeiner Gewalttat, sondern mit sechs im Katalog des Gesetzes aufgezählten beson- deren Gewalttaten: Mord, Totschlag, Sprengstoffverbrechen, Geiselnahme, Entführung und noch zwei oder drei andere. Über diesen Katalog kann man übrigens durchaus reden. Der Katalog braucht so nicht endgültig sein. Er ist Veränderungen zugänglich. Die zweite Einschränkung liegt darin, dass die Äußerung nur dann mit Strafe bedroht wird, wenn sie bestimmt und nach den Umständen geeignet ist, die Bereitschaft anderer zu fördern, solche Taten zu begehen. Und die dritte Einschränkung ist, dass in diesem Tatbestand die Bestimmung des Paragraphen 86 Absatz 3 für anwendbar erklärt wird. Hier heißt es: Die Strafbestimmung gilt nicht, wenn die Handlung im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen oder ähnlicher Zwecke vorgenommen wird, und als ähnliche Zwecke sind insbesondere wissenschaftliche oder auch künstlichere Zwecke angeführt. Ich glaube, Genossinnen und Genossen, dass diese drei Eingrenzungen den Missbrauch verhindern und dass infolgedessen bei ruhiger Beurteilung diese Gefahr des Missbrauchs nicht besteht. Es ist abzuwägen gegeneinander, Genossinnen und Genossen, ob die Gefahr des Missbrauchs trotz dieser Einschränkungen höher zu veranschlagen ist als ein Zustand, bei dem sol- che Äußerungen, wie ich sie genannt habe, ohne staatliche Reaktion bleiben. Genossinnen und Genossen, es ist nicht eine Frage unseres ruhigen Selbstbewusstseins, es ist nicht eine Frage der primär politischen Verteidigung unserer Rechtsordnung, sondern es ist die Frage, ob das Nichtantworten des Staates mit seinen Mitteln auf Äu- ßerungen, wie ich sie verlesen habe, nicht letzten Endes eine Klimavergiftung ermög- licht, eine Klimavergiftung, bei der solchen verbalen Äußerungen dann eines Tages auch Handlungen und Taten folgen. Das ist der entscheidende Gesichtspunkt und das geschützte Rechtsgut ist der innere Friede, das heißt das Freihalten der politischen Auseinandersetzung von der Gewaltanwendung. Genossinnen und Genossen, die An- knüpfung an das, was 1919/1920 gelaufen ist, an einen Zustand, wo man solche Äuße- rungen zunächst auch als relativ harmlos erachtete, bis man ihren furchtbaren Gehalt und ihre furchtbare Auswirkung voll erkannte, ist nicht völlig von der Hand zu weisen. Denn der Äußerung, es ist besser, ein Kaufhaus anzuzünden, als es zu betreiben, natür- lich kann auf Polizeibeamte geschossen werden, diesen Äußerungen sind ja nicht litera-

16 Gemeint ist der Entwurf eines Dreizehnten Strafrechtsänderungsgesetzes, der am 23. Dezember 1974 von der Bundesregierung eingebracht wurde. Vgl. BT-Drs 07/3030.

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rische Auseinandersetzungen gefolgt, diesen Äußerungen sind exakt diese Handlungen mit einer Zeitverzögerung von drei oder vier Jahren gefolgt. Das ist die eine politische Abwägung. Die zweite politische Abwägung hat Herbert Wehner schon angesprochen, das ist die Frage, Genossinnen und Genossen, ob es poli- tisch sinnvoll und vertretbar ist, dass eine gesetzgeberische Lösung, die unter Willy Brandt vor der Bundestagswahl angekündigt worden ist im Programm für die innere Sicherheit, die Helmut Schmidt aufgegriffen hat, die die Bundesregierung zum Gegen- stand ihrer Vorlage gemacht hat, ob die in diesem Punkte abgeändert werden soll mit der erkennbaren Folge, dass in diese sich öffnende Flanke der politische Gegner hinein- stößt, und zwar ganz klar abzusehen mit einem Antrag, der wortgleich ist mit der ur- sprünglichen Regierungsvorlage. Ich möchte bitten, Genossinnen und Genossen, dass dieses gegeneinander gewogen wird. Ich darf noch einmal sagen, ich unterstelle nie- mandem, der hier Sorge äußert, der hier anderer Meinung ist, dass er auch nur die ge- ringste Sympathie mit diesen Äußerungen hat. Aber ich bitte, wenn ich jetzt in meiner Verantwortung als Justizminister euch bitte, bei dieser Abwägung zum Ergebnis zu kommen, es bei der Regierungsvorlage in diesem Punkt zu belassen, dass ich mit dem Rechtsstaat nicht sorglos umgehe, dass ich nicht gefährlichen Bestrebungen Vorschub leisten will, sondern dass ich dazu beitragen möchte, dass zwischen den Erklärungen, die wir jeweils vor Wahlen oder nach einem Anschlag abgeben, und der tatsächlichen Gesetzgebung ein Höchstmaß an Übereinstimmung besteht. Deswegen bitte ich bei aller Würdigung der Bedenken, die andere in der Fraktion haben, eine dahingehende politische Empfehlung zu geben. Danke für die Aufmerksamkeit. (Vereinzelter Beifall.) Wehner: Manfred Coppik. Coppik: Liebe Genossinnen, liebe Genossen, ich möchte zunächst einmal zu der Ge- schichte des Werdegangs dieser Diskussion noch hinzufügen, dass der Arbeitskreis Rechtswesen sich mit zwölf gegen vier Stimmen dafür ausgesprochen hat, diesen Punkt Befürwortung aus dem Regierungsentwurf zu streichen. Nun, sicherlich spielt bei der ganzen Geschichte die Abwägung, die Jochen Vogel ange- sprochen hat, nämlich die Abwägung einerseits zwischen der Gefahr des Missbrauchs und andererseits zwischen der Gefahr, wenn solche Äußerungen gemacht werden, eine ganz entscheidende Rolle. Und ich will auch gar nicht bestreiten, dass es Fälle gibt, die man für strafwürdig zu Recht hält und die nicht voll durch das bestehende Strafrecht erfasst sind. Allerdings sollte man dabei nicht vergessen, und das muss man für diejeni- gen sagen, die ja nun nicht das Strafgesetzbuch auswendig kennen, dass die Aufforde- rung zu Straftaten unter Strafe gestellt ist, die Anstiftung ist unter Strafe gestellt, die Billigung von Straftaten ist unter Strafe gestellt. Wir haben das jetzt noch erweitert in dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Insoweit bestanden auch keine Bedenken. In dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, den wir im Ausschuss auch insoweit schon verabschiedet haben, wird die Androhung von Straftaten unter Strafe gestellt und wird die Anleitung zu Straftaten unter Strafe gestellt. Das muss man vorab wissen, bevor man über den Begriff der Befürwortung spricht. Nun ist es so, dass diese Diskussion insofern sehr schwierig zu führen ist, weil natürlich wer ist oder wer wollte von uns für Befürwortung von Gewalt sein, doch mit Sicherheit niemand und deswegen ist es auch so schwierig, ohne dass Missverständnisse in der Öffentlichkeit entstehen, hier klarzumachen, weshalb man dennoch [dafür] ist, dass das gestrichen wird. Der Grund ist einfach derjenige, dass eine Abgrenzung der Fälle, die wir für strafwürdig halten, von den Fällen, die sonst erfasst werden könnten und einen tiefen Eingriff in die Meinungsfreiheit und in Wissenschaft und Politik und Literatur in

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diesem Land bedeuten würden, einfach eine solche Abgrenzung nicht machbar ist. Und ich habe als Berichterstatter gerade für dieses Gesetz mich darum bemüht und ich räu- me ein, dass der Versuch, den die Bundesregierung unternommen hat, von allen, die dazu bisher unternommen wurden, sicherlich derjenige ist, der das am ehesten noch versucht, in den Griff zu kriegen, aber er kriegt es eben einfach nicht in den Griff. Denn auch die Bundesregierung kommt um bestimmte Fragen nicht herum und in ihrer eige- nen Begründung wird deutlich, dass Schriften, die scheinbar wissenschaftlich unter anderem Gewalt auch nur als unvermeidbar darstellen und geeignet und bestimmt sind, die Bereitschaft anderer zu fördern, diese bestimmten Straftaten zu begehen, unter Strafe gestellt werden sollen und bei den verschiedenen Straftaten sind auch Straftaten wie etwa Landfriedensbruch, um nur mal einen Fall zu erwähnen. Und nun bedeutet das ganz konkret, Genossinnen und Genossen, deswegen möchte ich auf die Bedeutung dieser ganzen Geschichte doch noch mal eure ganze Aufmerksam- keit lenken, einen Einstieg in die gesamte philosophisch-moralische Gewaltdiskussion, die es in der Geschichte gegeben hat. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift – und dazu muss ich noch eine Vorbemerkung machen, dass natürlich, und das ist auch das gute Recht der Regierung, dass sie die Vorschrift so interpretiert, dass Missbräuche nicht möglich seien. Ich interpretiere sie zunächst einmal so, wie ich sie lese und ich habe inzwischen durch Zufall gerade heute auf meinen Schreibtisch ein Gutachten von eini- gen Marburger Rechtswissenschaftlern gerade zu dieser Vorschrift bekommen, was daraus alles entnommen werden kann. Dazu werde ich nachher ein paar Zitate auch noch bringen. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift fallen darunter Schriften von Friedrich Engels, von Karl Marx, von Karl Kautsky. Es fallen darunter Gedicht von Ferdinand Freiligrath, wie etwa das Loblied der Revolution. Es fallen Gedichte von Georg Herwegh, »Das Lied vom Hasse«, ein Beispiel. Wenn man’s exakt nimmt, fallen unter diese Vorschrift Dramen von Schiller wie »Wilhelm Tell«, (Unruhe.) wie »Wilhelm Tell«, weil das eindeutig Befürwortung einer Straftat, Befürwortung einer Straftat ist, und die Abgrenzungen, die dazu vorgenommen wurden, dazu werde ich nachher etwas sagen. Die Abgrenzungen, die dazu vorgenommen wurden, sind nicht ausreichend, sind nicht ausreichend, um hier das abzugrenzen, Genossinnen und Genossen, bis in die heutige Zeit hinein. Hier ist bereits die Geschichte mit Heinrich Böll und der »Verlorenen Ehre der Katharina Blum« angesprochen worden, bis Pablo Neruda Loblied der kubanischen Revolution, das mit dem Satz endet: Öffnet die Au- gen, misshandelte Völker, allerorts ist eine Sierra Maestra. Das alles würde unter diesen abstrakten Begriff von Befürwortung fallen, Genossinnen und Genossen. Zwar sind Einschränkungen gemacht worden und Jochen Vogel ist auf sie eingegangen, aber diese Einschränkungen grenzen diesen Bereich nicht ab. Und nun muss ich sagen, ich kann mir nicht vorstellen, dass man ein Gesetz, das die Gefahr einer solchen Interpretation mit sich bringt, so verabschieden kann. Ich kann mir das nicht vorstellen, dass man so etwas macht, dass nachher zum Schluss so etwas passiert, dass Buchhandlungen nach Büchern von Karl Marx durchsucht werden oder ein Strafver- fahren gegen Heinrich Böll aufgrund einer Strafvorschrift eingeleitet wird, die wir mit unseren Stimmen hier beschließen. Und ich glaube nicht, dass, wenn das dann passiert und wir sagen, ja, das haben wir aber nicht gewollt, wer garantiert uns das, dass nachher nicht aus dem Wortlaut der Vorschrift herausgelesen wird und nicht nur aus unserem guten Wollen heraus. Ich glaube nicht, dass dann mehr Ordnung und mehr Frieden in diesem Land hergestellt werden. Genossinnen und Genossen, das geht so weit, dass zum Schluss manchmal sogar so etwas passiert wie mir heute, als ich dieses Aktions-

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handbuch für alle, die etwas für die Dritte Welt tun wollen, auf meinem Schreibtisch gefunden habe, herausgegeben von der Bundesregierung und auf Seite 77 steht: Was sie lesen sollten, und auf Seite 79 kommt dann Frantz Fanon »Die Verdammten dieser Erde. Das Kommunistische Manifest der antikolonialen Revolution«. Ja, das sollte man lesen. Ich habe es gelesen. Nur, ich fürchte, wenn wir dieses Gesetz machen, dann wird das Vorrätighalten dieses Buches unter Strafe stehen. Nun, Genossinnen und Genossen, jetzt wird sicherlich jemand kommen und sagen, das ist alles Unsinn, diese Auslegung ist völliger Blödsinn, das wollen wir selbstverständlich alle nicht und das ist auch in dieser Vorschrift ausgeschlossen. Schön wär’s, wenn es so wäre. Ich muss zunächst mal von der Auslegung ausgehen, die sich aus der Vorschrift so ergibt und ich habe vorhin schon erwähnt, dass mir heute durch Zufall eine Stel- lungnahme von Wissenschaftlern auf den Tisch gekommen ist unter Federführung von Professor Ridder. Man kann natürlich zu ihm, zu seinen politischen Auffassungen unterschiedlicher Meinung sein, aber dass er nicht in der Lage ist, eine strafrechtliche Vorschrift auch mal auszulegen oder eine mögliche Auslegung darzulegen, das wird man doch wohl nicht behaupten können. Da will ich einige Zitate bringen, damit jeder hier genau weiß, worum es bei dieser Sache geht. Und er schreibt: Alle drei Entwürfe begegnen schwersten verfassungsrechtlichen Bedenken, weil sie insgesamt die Gefahr der Kriminalisierung wissenschaftlicher, künstlerischer und politischer Systemkritik begründen und damit eine Bedrohung des seit der Französischen Revolution in allen westeuropäischen demokratischen Staaten ebenso wie unter der Geltung des Grundge- setzes in der Bundesrepublik anerkannten und Verfassung wegen anzuerkennenden zu schützenden Rechts auf Opposition darstellen. Weiter schreibt er: Diese Bedrohung ist umso ernster, als die nach allen Entwürfen im Anschluss an Paragraph 130 StGB einzu- fügende Strafandrohung für die Befürwortung von Straftaten beziehungsweise Befür- wortung von Gewalttätigkeiten der Öffentlichkeit als ein die Gewaltlosigkeit der politi- schen Auseinandersetzung sicherndes und damit problemloses Vorhaben erscheinen mag. Dem ist aber nicht so. Und nun kommt einige Zeilen weiter: Die Begründung der Bundesregierung weist ausdrücklich darauf hin, dass auch scheinbar wissenschaftliche Abhandlungen, in denen Gewalttätigkeit auch nur als notwendig oder unvermeidbar dargestellt wird, von der Strafbarkeit nicht ausgenommen sind. Friedensforschung, die ihren Ansatz in dem Begriff der bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen inhärenten strukturellen Gewalt sucht, die gesellschaftliche Entstehungsbedingungen von Gewalt problematisiert und die agierenden Subjekte zu entschuldigen scheint, droht damit zu einem das Risiko der Straffälligkeit laufenden Unternehmen zu werden. Nicht geringe- rer Bedrohung ist die künstlerische Literatur ausgesetzt. Heinrich Bölls Erzählung »Die verlorene Ehre der Katharina Blum« mit dem bezeichnenden Untertitel »Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann« lässt sich zwanglos als Befürwortung von Ge- walttätigkeit verstehen, kann doch die Tötung des Sensationsjournalisten durch die Titelfigur in der durch das Regime dieses Gesetzes reduzierten juristischen Apperzep- tion als begrüßenswert notwendig oder unvermeidbar erscheinen. Weiter, zwei Zitate noch zum Abschluss. Nur noch zwei Zitate, Genossen. Die mit den vorstehenden Hinweisen verdeutlichte Problematik dieses Gesetzesvorhabens wird weder durch die Bezugnahme auf die vage Sozialadäquanzklausel des Paragraphen 86 Absatz 3 StGB noch dadurch ausgeräumt, dass nach dem Entwurf der Bundesregierung Schriften auch bestimmt sowie nach den Umständen geeignet sein müssen, die Bereit- schaft anderer zu fördern, solche Taten zu begehen. Und dann geht er auf die Schriften von Marx und Engels ein und sagt dazu: Wie ist das denn nun mit dem geeignet und bestimmt zu verstehen? Wie wird das ausgelegt werden? Sind sie auch heute noch be- stimmt und geeignet, die Bereitschaft zu Gewalttätigkeiten im Sinne des 130 a StGB zu

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fördern? Diejenigen, die damals revolutionäre Gewalt forderten, wollten doch sicher- lich, waren ihre Schriften doch sicherlich geeignet und bestimmt, geeignet und be- stimmt, Bereitschaft revolutionäre Gewalt anzuwenden und das ist es doch wohl min- destens Landfriedensbruch. Sind sie auch heute noch bestimmt und geeignet, auf wes- sen Absicht soll es dabei ankommen, auf Marx’ und Engels’ Absichten oder die ihrer gegenwärtigen Anhänger und welche Anhänger und welche Marx-Interpretation? Die- se Reihe dieser ganzen Fragen müssen Staatsanwälte und Richter in Strafgerichtsverfah- ren beantworten. Und ich möchte hier nur noch mit einem Satz, einem Zitat abschließen. Die Reihe die- ser Fragen könnte beliebig verlängert werden, aber schon die bisher aufgeworfenen Fragestellungen sind jedenfalls bestimmt und geeignet, die These zu belegen, dass der Kontrolle politischer Meinungs- und Willensbildungsprozesse in einer Demokratie sehr enge Grenzen gesetzt sind. Grenzen, die nur unter dem Risiko der Institutionali- sierung einer auch explizit politischen, wissenschaftlichen und literarischen Richtig- keitskontrolle durch die Strafgerichtsbarkeit durchbrochen werden können – und Ge- nossinnen und Genossen, das wäre eine sehr gefährliche Sache. Und deswegen war nach langer Diskussion und es hat sich sicherlich niemand die Sache einfach gemacht, nach sehr langer Diskussion diese überwiegende Mehrheit im Arbeitskreis Rechtswesen der Meinung, dass man diesen Punkt rausstreichen sollte. Damit wird das Gesetz in seiner Gesamtheit keineswegs und der Regierungsentwurf in seiner Gesamtheit keineswegs irgendwie entstellt, denn dieser Entwurf besteht ja aus einer ganzen Reihe von Punkten und die allermeisten davon haben wir – wenn dann mit geringfügigen Änderungen – aber im Ausschuss bereits behandelt. Ich weiß, dass das jetzt sehr problematisch ist, nachdem das jetzt nun einmal vorliegt. Nur, glaube ich, dass es schlecht wäre, wenn wir allein aus dieser Begründung heraus die Sache nun jetzt einfach laufen ließen und nach- her, nachdem das gelaufen ist, davor stehen würden, welche Auswirkungen das hat. Wehner: Herta Däubler-Gmelin. Däubler-Gmelin: Ich darf – und ich werde versuchen, es kurz zu machen – einiges Weitere noch anführen. Ich darf zunächst einmal natürlich mich auf das beziehen, was Manfred Coppik sagte, nur noch hinzufügen, wir haben die Verherrlichung von Gewalt ebenso unter Strafe gestellt, wie auch die Verharmlosung bereits jetzt unter Strafe steht. Mich hat bei meiner Überlegung, dass ich die Hineinnahme der Befürwortung in den

130 a ablehnen muss und auch weiter ablehnen werde, jedoch eigentlich Folgendes bestimmt. Einmal: Dieser sehr vage Begriff der Befürwortung wird zudem noch ge- koppelt mit dem Landfriedensbruch im Sinne von 125 Strafgesetzbuch. Wenn wir uns mal überlegen, was alles als Landfriedensbruch strafrechtlich angesehen werden kann, und als Grundlage dieser Überlegungen nehme ich nicht nur mein eigenes Hirn, son- dern auch den Kommentar hier von Schönke/Schröder, so stelle ich fest, dass es hier ’ne ganze Reihe von Grauzonen gibt, die mich erschrecken lassen. Darunter kann ein Sitz- streik, der sehr ruhig verläuft, von dem aus ein einziger Steinwurf gegen ein Gebäude gezielt und dieses nicht treffend gestützt wird {…} verstanden werden. Darunter kann weiterhin eine Betriebsbesetzung verstanden werden wie Erwitte17. Es kann weiter darunter verstanden werden eine Betriebsbesetzung wie Lip.18 Es kann weiterhin ohne Zweifel verstanden werden zum Beispiel Hungerrevolten in Süditalien, gar kein Zwei-

17 Gemeint ist die Besetzung des Zementwerks Seibel und Söhne durch Beschäftigte von März bis Mai 1975 in Erwitte. 18 Gemeint ist der französische Uhrenhersteller Lip in Besançon und die viel beachtete Werksbesetzung 1973.

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fel. Alles dieses geschildert in Wort oder Schrift würde in die Gefahrenzone der Befür- wortung von diesem 130 a fallen können. Ich sage mit Absicht fallen können, weil ich hier die Interpretation, die uns Jochen Vogel gegeben hat, in ihrer Harmlosigkeit in keinster Weise teilen kann. Für mich stellt sich doch folgendes Problem dabei und ich bitte euch, das wirklich ernst zu nehmen. Wer bestimmt denn darüber, ob die Schilderung einer dieser Vorgänge, die ich genannt habe, nun eine positive Schilderung ist – also unter Umständen, wenn es sich um eine wissenschaftliche, um eine künstlerische oder um eine im Sinne der Volks- aufklärung erfolgende handelt –, ob diese eine scheinbare Befürwortung ist, die dann der Strafe unterliege, oder ob es eine echte Befürwortung wäre, eine echte Befürwor- tung unter Distanzierung wäre. Also ob hier ein Straftatbestand vorliegt oder ob kein Straftatbestand vorliegt, das werden nicht etwa wir oder liberale Bundestagsabgeordne- te zu entscheiden haben, sondern wir werden beobachten, dass es auch da wieder ein ganzes Heer von Staatsanwälten gibt, die sich hier hervortun werden, Anstoß zu erre- gen. Wir haben das Anstoßerregen in Vorläufern wie früher bei der Pornographie gese- hen. Wir wissen, wie man mit dem Geist der Illiberalität hier arbeiten kann und wir wissen vor allen Dingen, und deswegen bitte ich euch auch wirklich, dieses Problem ernst zu nehmen, wir wissen vor allen Dingen, wie ungeheuer disziplinierend im Vor- beugungsraum dieses wirken kann. Das kann provinzlerisch und muffig in einem Maße gemacht werden, dass wir uns alle davor erschrecken. Ich möchte noch einen letzten Punkt hinzufügen. Ihr wisst, wir haben in Baden- Württemberg Wahlkampf. Deswegen kann ich in keinster Weise das Argument, das Herbert Wehner vorher sagte, nicht ernst nehmen, nämlich die Tatsache, dass uns gro- ßer politischer Schaden entstehen würde, wenn die CDU kommt und diese Befürwor- tung per Antrag wieder in die Regierungsvorlage hineinnehmen will. Bloß entschuldigt, Genossen, wir in Baden-Württemberg bemühen uns zurzeit, die Identifikation aufzu- brechen, die auf dem Sektor der Inneren Sicherheit besteht, nämlich die, dass CDU gleich Innere Sicherheit deshalb gesetzt wird, weil sie das Vorurteil der Leute bestätigt, Innere Sicherheit könne also gewährleistet werden, wenn nur hinter jedem Baum ein Polizist stünde und wenn man nur stark genug einen Hammer in die Gegend werfe in der Hoffnung, er werde dann auch ein paar Ungerechte treffen. Wir bemühen uns, diese Identifikation aufzubrechen, indem wir sagen, dass rechtsstaatliche innere Sicher- heitspolitik Vertrauen in den Rechtsstaat voraussetzt und dass wir deswegen auf Ge- zieltheit, genaue Abgrenzung der Tatbestände und ganz genaue Erfassbarkeit der Tat- bestandsmerkmale ungeheuer großen Wert legen bei den Sozialdemokraten. Wenn wir dieses Tatbestandsmerkmal der Befürwortung hier vorführen würden, in 130 a hinein- bringen würden, dann wäre dieser Art der Diskussion in Baden-Württemberg praktisch das Genick gebrochen, weil wir uns sagen lassen müssen, ihr redet ja von dieser Art Innerer Sicherheitspolitik, aber wenn ihr dann Gesetze macht, dann schreibt ihr so was auch noch in eure Regierungsvorlagen hinein und meint, ihr könnt euch in Zugzwang bringen lassen, wenn dann euch schon mal die Einsicht kommt, dass es so ungerichtet doch wohl nicht gehe. Deswegen bitte nehmt diesen Punkt ernst. Er ist mir sehr ernst und ich bin nicht in der Lage, in dieser Form zuzustimmen. Danke schön. Wehner: Weil ich hier apostrophiert worden bin, zwei Feststellungen. Es ist komisch, mich zu identifizieren mit den Auffassungen der CDU, hinter jedem Baum ein Schutzmann. Ich berufe mich auf eine Entschließung, die diese Fraktion zusammen mit der der FDP eingebracht hat am 13. März dieses Jahres und erlaube mir die Frage, ob nur dann, wenn Entführung und Geiselnahme akut sind, und wir dann deutlich machen müssen, wir seien jemand, der das verhindern, verhüten oder wiedergutmachen will,

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solche Entschließung gefasst wird. Da stand: Weder die Anwendung von Gewalt noch die Rechtfertigung von Gewalt dürfen als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele hingenommen werden – Bundestagsdrucksache 7/3357. Und das andere war das Pro- gramm Innere Sicherheit. Das war die Grundlage für die Wahl nicht der CDU, sondern unserer Regierung Brandt/Scheel und es war das Programm der Konferenz der Innen- minister des Bundes und der Länder und das liegt hier auch. Das Wort hat Günther Metzger. Metzger: Liebe Genossinnen und Genossen, ich habe durchaus Verständnis dafür, dass wir in dieser Frage kontrovers diskutieren und dass wir dieses Problem, über das wir diskutieren, ernst nehmen und das, was der Genosse Lattmann hier ausgeführt hat, habe ich in den vielen Diskussionen, die wir im Arbeitskreis Rechtswesen geführt ha- ben, die der Abstimmung vorausgegangen sind, auch überlegt. Ich bin aber im Verlauf der Diskussionen im Arbeitskreis Rechtswesen und auch im Verlauf der Überlegungen zu dem Ergebnis gekommen, dass wir die Befürwortung von Gewalttaten nicht aus dem Strafgesetzbuch weglassen können. Ich will versuchen, das in wenigen Sätzen zu erläutern. In der Diskussion bisher wurde ja immer wieder der Eindruck erweckt, als würde es sich hier um ein Sondergesetz handeln, das geschaffen werden soll gegen so- genannte Linke. Aber wir müssen ja sehen, dass die politische Szene keineswegs nur beherrscht wird von sogenannten politischen Linken, sondern dass die Szene auch beherrscht wird von politischen Rechten und ich habe in unmittelbarer Nähe meines Wahlkreises in Bensheim anschaulich erlebt im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Rechtsanwalt Roeder, was auf diesem Gebiete möglich ist und in Zukunft auch noch möglich sein wird. Im Zusammenhang mit diesem Prozess traten Gruppierungen auf im Vorraum dieses Prozesses, aber auch bei diesem Prozess, die in übelster Weise nicht nur Juden be- schimpft haben, bestimmte Gruppierungen beschimpft haben, sondern auch diejenigen beschimpft haben, die unseren demokratischen Staat nach 1945 unter großen Mühen aufgebaut haben, und diese Beschimpfungen gipfelten dann in der Feststellung, dass man gegen diese Gruppierungen Juden und Demokraten, Handlanger der Demokraten, dass man gegen diese Gruppierungen mit Gewalt vorgehen soll und dass Gewalt gegen die Gruppierungen zu tolerieren sei. Das, was ich da erlebt habe, publizistisch ausge- schlachtet vor allen Dingen in den Regionalzeitungen bei uns in Hessen, hat mich letz- ten Endes veranlasst, im Arbeitskreis Rechtswesen der Vorlage der Bundesregierung, der Gesetzesvorlage der Bundesregierung zuzustimmen. Ich räume ein, ich möchte das noch einmal betonen, dass man durchaus unterschiedli- cher Auffassung sein kann über die Frage der Wirksamkeit einer solchen Bestimmung, dass man auch unterschiedlicher Auffassung sein kann über die materielle Bedeutung einer solchen Bestimmung. Aber ich glaube, es geht hier bei dem Ergebnis der Diskus- sion – und wir müssen ja am Ende dieser Diskussion auch ein Votum abgeben –, geht es nicht so sehr um die rechtliche und wissenschaftliche Abwägung. Ich glaube, wir soll- ten wirklich die Bedeutung dieser Vorschrift nicht überbewerten und es ist sicher nicht richtig, dass es hier um Einbrüche in den Rechtsstaat geht, wie der Genosse Lattmann formuliert hat, oder wie es der Genosse Coppik formuliert hat, um tiefe Eingriffe in die Meinungsfreiheit, denn wir sind uns ja doch darüber im Klaren, dass das, was wir in der letzten Wahlperiode in das Strafgesetzbuch aufgenommen haben, dass nämlich die Verherrlichung von Gewalt unter Strafe gestellt wird, in unmittelbarer Nähe zu dem steht, was wir heute hier diskutieren: Befürwortung von Gewalt, Verherrlichung von Gewalt. Es geht heute vielmehr um eine politische Abwägung. Hierauf haben Herbert Wehner und Jochen Vogel bereits hingewiesen. Es geht um die Frage, ob wir es uns in

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der jetzigen politischen Situation und im Hinblick auf die bevorstehenden Auseinan- dersetzungen im Bundestagswahlkampf und auch darüber hinaus, ob wir es uns leisten können, all das, was wir bisher in Resolutionen, in Entschließungen festgelegt haben, all das, was die Bundesregierung in diesem Programm zur Inneren Sicherheit, was die Bundesregierung durch Helmut Schmidt in der Regierungserklärung verkündet hat, das, was die Bundesregierung in diesem Gesetzentwurf festgelegt hat, ob wir das des- avouieren können und damit eine Flanke öffnen in der politischen Diskussion, die nach meiner Auffassung verhängnisvoll werden kann. Wir sollten das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Was machen wir – Herbert Wehner hat bereits darauf hingewiesen –, was machen wir, wenn die CDU/CSU in der zweiten und dritten Lesung den Antrag stellt – wenn wir dem Beschluss des Arbeitskreises Rechtswesen folgen –, den Antrag stellt, den Regierungsentwurf wiederherzustellen und dann mit den Argumenten kommt, die bisher von uns, nicht nur von der Bundesregierung, sondern von der sozial- liberalen Koalition in der Diskussion vorgetragen worden sind? Diese Frage sollten wir uns überlegen, aber es gibt noch eine zweite Frage, die nach meiner Auffassung von Bedeutung sein müsste. Können wir es uns als Sozialdemokra- ten denn überhaupt leisten, die Befürwortung von Gewalt – es geht um die Befürwor- tung von Gewalt – so zu verharmlosen, dass wir hier jetzt mit einer Handbewegung darüber hinweggehen und sagen, die Befürwortung von Gewalt, das Propagieren von Gewalt nehmen wir nicht in diesen Gesetzentwurf auf beziehungsweise streichen es aus dem Gesetzentwurf? Manfred Coppik hat eine Reihe wissenschaftlicher Stimmen zi- tiert. Wissenschaftler in Ehren, aber wir wissen ganz genau, wenn zwei Juristen zu- sammen sind, gibt es drei Auffassungen und das gilt natürlich auch für diese Wissen- schaftler. Ich bin überzeugt davon, wir können, (Unruhe. Zwischenrufe.) wir können mit Sicherheit auch wissenschaftliche Stimmen für das Gegenteil anführen. Mir ist nur heute nicht zufällig eine Stellungnahme von Wissenschaftlern auf den Tisch gekommen, die genau das Gegenteil behauptet haben. Ich wehre mich dagegen, dass hier die Behauptung aufgestellt wird, diese Strafbestim- mung, so wie sie vorgesehen ist, würde gegen die Prinzipien unseres Rechtsstaates ver- stoßen. Jochen Vogel hat bereits auf den sogenannten Kunstvorbehalt und Wissen- schaftsvorbehalt hingewiesen. Ich will darauf nicht noch mal näher eingehen. Aber liebe Genossinnen und Genossen, wir beklagen uns doch – nach meiner Auffassung mit Recht – darüber, dass in Fernsehsendungen immer wieder Gewalt propagiert wird und auch verherrlicht wird und wir fragen uns, warum besteht keine Möglichkeit, das zu verhindern, obwohl wir in der letzten Wahlperiode eine Gesetzesbestimmung aufge- nommen haben, Verherrlichung von Gewalt wird unter Strafe gestellt, doch einfach deshalb nicht, weil diese ganzen Produkte angeblich künstlerische Darstellungen sind und weil wir nicht die Möglichkeit haben, gegen solche – in diesem Fall in Anfüh- rungszeichen – Kunstwerke vorzugehen. Ich glaube, dass wir in dieser Frage politisch entscheiden müssen und die politische Entscheidung kann nur bedeuten, dass wir hier unsere bisherige Haltung beibehalten und den Regierungsentwurf der Bundesregierung unterstützen. Wehner: Hermann Dürr. Dürr: Liebe Genossinnen und Genossen, ihr habt sicher im Verlauf eurer parlamentari- schen Tätigkeit schon öfters bemerkt, dass bei der Ausformulierung von Programmsät- zen sich gelegentlich herausstellt, dass der Deubel im Detail liegt, und das ist hier ein ausgesprochenes Beispiel dafür. Es dreht sich hier nicht nur um die von Manfred Coppik außerordentlich breit dargestellte Missbrauchsgefahr, wo ich übrigens einige

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seiner Beispiele nicht mitmache, weil sie unter den Kunstvorbehalt fallen und nicht strafbar sind, da dreht es sich nicht um den Schiller, aber es dreht sich bei denen, bei denen noch nicht entschieden ist, ob sie ’en Schiller oder ’en Heinrich Böll mal nach Jahrhunderten sein werden. Hier dreht es sich bei einer meiner Entscheidung, ich gehö- re auch zu den Zwölfen im Arbeitskreis, die diesen Teil des Paragraphen nicht haben wollen, eben darum, dass nach meiner festesten Überzeugung die Praktikabilität einer solchen Vorschrift gleich null und die Abgrenzungsschwierigkeiten nahezu unüber- windlich sind. Und jetzt schaut mal, beim Strafrecht und bei der Strafprozessordnung weiß ich durch- aus, welche Idealvorschriften die Polizisten haben wollen. Das sind andere als die, die die Staatsanwälte haben wollen, das wieder andere als die, die die Richter haben wollen und die Rechtsanwälte hätten am liebsten ein ganz anderes Strafrecht und ’ne ganz andere Strafprozessordnung. Bloß wir blöden Rindviecher von Rechtspolitikern und das gesamte Parlament haben die Aufgabe, Vorschriften zu machen, die für alle gelten. Hier kann man wirklich in guten Treuen19 verschiedener Meinung sein, ohne dass wir uns den Kittel anziehen müssten, die einen seien mehr, die einen seien hier weniger für eine Förderung der Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben im Ar- beitskreis Rechtswesen, das nehme ich für den Arbeitskreis in Anspruch, so ein eini- germaßen durchschnittliches Soll an Solidarität im Laufe der Jahre durchaus erfüllt. Wir haben auch das Schlucken von einigen Kröten durchaus hinter uns. In der Geschichte sagten wir in der Mehrheit, da können wir mit unserem Sachverstand eben dem net zustimmen, weil es Steine statt Brot geben würde und weil schon fast kaum mehr eine Lücke vorhanden ist, die nicht durch geltende Strafbestimmungen oder im gleichen Gesetz noch zu schaffende weitere Strafbestimmungen abgedeckt sind. Aber jetzt wird dagegen gesagt, das ist nicht nur eine fachjuristische, das eine politische Frage. Ich würde es vielleicht verdeutlichend sagen: eine Frage der politischen Optik. Das kann ich nicht leugnen und da müsst ihr drüber entscheiden. Eins muss ich noch der Wahrheit halber hinzusagen. Es könnte möglicherweise gegen meine eigene Stel- lungnahme gehen. Es kann sein, dass wir uns fragen müssen, was strapazieren wir uns so in der Angelegenheit, spätestens im Bundesrat werden nicht nur die Länder, die CDU/CSU-geführt sind, sondern möglicherweise auch einzelne SPD-geführte Länder gegen die Fassung stimmen, die die Mehrheit des Arbeitskreises euch vorschlägt. Das ist allerdings zu erwarten. Ich bitte aber, es ist ’ne Sache, über die man wirklich sachlich reden kann, so dass also etwas zu viel Emotion nach der einen oder anderen Richtung hier in dieser Geschichte wenig angebracht wäre. Wehner: Ich habe jetzt hier noch elf Wortmeldungen. Gerhard Jahn. Jahn: Genossinnen und Genossen, ich denke, es ehrt unsere Fraktion, wenn wir bei einer Frage, bei der immerhin das Grundrecht aus Artikel 5 in Anspruch genommen sein kann, so sorgfältig und genau darüber nachdenken, ob wir eine solche Regelung haben wollen oder nicht. Aber wir müssen in dem Zusammenhang auch zunächst ein- mal versuchen, uns Klarheit darüber zu schaffen, ob wir eigentlich jene Form der öf- fentlichen Diskussion, die in den letzten Jahren immer mehr um sich gegriffen hat in Form solcher gewalttätiger Parolen und Aufforderungen zur Gewalt, auf die Dauer hinnehmen können, vor allen Dingen dann, wenn wir unter dem Eindruck der Erfah- rung stehen, auf die Jochen Vogel mit Recht hingewiesen hat, dass dieses ja nicht nur mit Worten vorgenommene Gewaltanstrengungen sind, sondern dass sie auch zu An-

19 Schweizerisch für »im guten Glauben«.

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wendungen und zu entsprechenden Verhaltungsweisen führen. Hier ist von denjenigen, die vor allen Dingen Bedenken haben, mit Recht darauf hingewiesen worden, dass wir eine ganze Reihe von Vorschriften haben, die die Verherrlichung von Gewalt, die Auf- forderung zu Gewalt, die Anstiftung zu Gewalt, die Billigung von Gewalt unter Strafe stellen. Nur, Genossinnen und Genossen, als vor einigen Jahren diese Dinge zum ersten Mal in der öffentlichen Auseinandersetzung in massiver Form vorkamen, da hat sich herausge- stellt, dass keine der beteiligten und in Frage kommenden Strafverfolgungsbehörden sich in der Lage gesehen hat, mithilfe des geltenden Rechtes in nur einem einzigen Falle einzugreifen. Ich habe damals als Bundesminister der Justiz einige Anstrengungen un- ternommen, über die Landesjustizminister auf die Staatsanwaltschaften einzuwirken und zu sagen, selbst wenn ihr aus der Rechtsprechung und eurer Interpretation der Strafbestimmungen heraus Schwierigkeiten habt, versucht es wenigstens zu einer ge- richtlichen Entscheidung kommen zu lassen, damit wir in der Diskussion weiterkom- men. Auch dieses war nicht möglich, und ich meine, diese Form der öffentlichen Auf- forderung zur Gewalt kann nach alledem, was wir an Erscheinungsformen gesehen und an Folgen erlebt haben, nicht in diesem praktisch, trotz aller vorhandenen Vorschriften praktisch rechtsfreien Raum verbleiben. Nun wird eingewandt, die Abgrenzung, die Abgrenzung sei so außerordentlich schwie- rig und wenn man eine solche Bestimmung mache, dann sei das provinzlerisch oder muffig, was dabei am Ende herauskomme. Ich muss sagen, diese Einwendungen ziehen nun wenig, um nicht zu sagen gar nicht. Denn wird denn wirklich die Freiheit in die- sem Lande ernsthaft infrage gestellt, die Freiheit in diesem Lande, wenn wir uns dage- gen wehren, dass unter Missbrauch der Freiheit öffentlich zu Gewalttätigkeit aufgefor- dert wird. Ich meine, diese Form von Missbrauch der Freiheit, die muss nicht in dieser Weise und mit solchen Argumenten geschützt werden. Und sicher ist es richtig, dass es im Einzelfalle Streit geben kann darüber, ob dieses ein Fall öffentlicher Gewaltauffor- derung ist oder nicht. Dann muss dieser Streit aber ausgetragen werden und ich muss daran erinnern, ich muss daran erinnern, dass im Zusammenhang mit der Pornogra- phie-Diskussion in früheren Jahren lange vor dem 4. Strafrechtsreformgesetz in einer ganzen Reihe von schwerwiegenden Fällen eine sinnvolle Abgrenzung durch die Recht- sprechung sich durchaus als möglich erwiesen hat. Hier von einem versteckten Miss- trauen gegenüber der Fähigkeit der Justiz auszugehen, auch mit schwierigen Fragen fertigzuwerden, halte ich als Voraussetzung für die Beurteilung der eigenen Entschei- dung nicht für eine gute Position. Und nun hat Manfred Coppik hier eine lange wissenschaftliche Begründung zitiert. Die ist ganz interessant. Sie lässt nur einen entscheidenden Punkt völlig außer Acht. Jochen Vogel hatte vorsorglich bereits darauf hingewiesen. Ich wundere mich etwas, weshalb Manfred Coppik auf diesen Punkt nicht eingegangen ist, denn auch ohne ausdrückliche Gesetzesvorschrift haben wir ausdrücklich den vom Grundgesetz im Artikel 5 verbürg- ten Kunst- und Wissenschaftsvorbehalt. Hier heißt es im Absatz 2 des Artikels 5, dass die Rechte auf Meinungsfreiheit und so weiter ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze und so weiter finden und danach heißt es im Absatz 3 ausdrück- lich, dass Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre frei sind. Dieses, dieses ist zunächst einmal ganz eindeutig vom Grundgesetz verbürgt, zweitens durch eine lang- jährige gefestigte Rechtsprechung abgesichert und wird drittens ausdrücklich noch einmal im Gesetzeswortlaut aufgegriffen und zusätzlich bestärkt. Genossinnen und Genossen, alle Beispiele, alle Beispiele, die Manfred Coppik – und ich habe dabei sehr genau zugehört – sowohl hinsichtlich künstlerischer Ausgestaltung wie hinsichtlich

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wissenschaftlicher Veröffentlichungen gebracht hat, alle diese Beispiele fielen unter den Kunstvorbehalt, würden also von einer solchen Strafbestimmung überhaupt nicht er- fasst werden können. Es bleibt eine Frage, dieses räume ich hier freimütig ein. Es bleibt eine Frage. Die Frage, ob es nicht im Einzelfall Streit geben kann darüber, ob eine solche Äußerung von die- sem notwendigen Kunstvorbehalt erfasst wird oder nicht. Nun gut, dann muss dieser Streit eben ausgestanden werden. Ich meine, dieses ist allemal das geringere Risiko, auch für die Bewahrung der Meinungs- und Redefreiheit in diesem Land das geringere Risiko, als das tatenlose Hinnehmen jener ausufernden und unerträglichen Diskussion, in der permanent zu Gewalttätigkeit aufgerufen wird und dies in einer Form, die bei einem Missverständnis der im Übrigen weit gesteckten Freiheitsräume in unserem Lan- de doch offenbar immer wieder von einem, wenn auch geringen Teil, meinetwegen nur von Einzelnen, in unserem Lande dann so wörtlich genommen wird, dass die Folgen schrecklich genug sind. Hier muss eine Lücke geschlossen werden, die sich in der Pra- xis herausgestellt hat, in einer Form, die wir vertreten können. Ich meine die Vorlage, die die Bundesregierung dazu erarbeitet hat, ist eine Form, mit der wir dieser Notwen- digkeit angemessen Rechnung tragen können. Wehner: Bevor ich dem Nächsten das Wort gebe, frage ich die Fraktion, ob wir die Redezeit begrenzen können. (Zwischenrufe: Ja.) Fünf Minuten? (Zwischenrufe: Drei!) Drei? (Zwischenrufe: Drei Minuten.) Ist das die Meinung oder gibt’s gegenteilige Meinungen? Hans de With. de With: Genossinnen und Genossen, es ist in der Tat richtig, dass diese Frage einen juristischen und einen politischen Aspekt hat. Nachdem mir nur drei Minuten zur Verfügung stehen, zum Juristischen Folgendes: Der derzeitige Straftatbestand der Auf- forderung, den es schon immer gab, erfasst nicht die Beispiele, die Hans-Jochen Vogel vorgelesen hat, erfasst nicht das Beispiel in Bezug auf Walter Rathenau, erfasst nicht das Beispiel in Bezug auf Willy Brandt. Dies ist ausgestanden von Würzburg und dann von Bamberg entschieden worden. Dieses ist und muss ganz klar sein und diese Lücke wird, wenn man die Literatur zu diesem Feld betrachtet, ganz brutal ausgenutzt und es erhebt sich die Frage, will ich dieses Loch stopfen oder will ich dieses Loch nicht stop- fen. Wir meinen, dass wir dies stopfen können mit der angezogenen Vorschrift. Die Beispiele in Bezug auf Marx, Engels und »Tell« können aus folgenden Gründen nicht ziehen: Einmal gibt es dort in unserer Vorschrift die Sozialadäquanzklausel und diese erfasst nach dem Bericht des Bundestages eindeutig wissenschaftliche und künst- lerische Abhandlungen. Das steht in jedem Kommentar, das kann nicht drunter fallen. Zudem gibt es noch den Kunstvorbehalt des Artikels 5 Grundgesetz und zudem müs- sen etwaige Beispiele, wenn sie nicht darunterfallen, bestimmt sowie nach den Umstän- den geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu gefährden. Dies bedeutet, dass hier ein ausgesprochener Gegenwartsbezug vorhanden sein muss. Es muss zweckgerichtet sein und zum Teil jedenfalls konkretisiert sein. Das schließt nach meinem Dafürhalten nach Menschenmöglichkeit Missbräuche aus. Was Landfriedensbruch anlangt, haben wir ja den Landfriedensbruch reformiert und Landfriedensbruch ist nur strafbar, wenn es Teilnahmehandlungen, regelrechte Hand- lungen und Anheizung zu Gewalttaten gibt und sonst nicht. Die Vorschläge der Union,

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die dies ändern wollen, bügeln wir mit dieser Novelle eindeutig runter, obwohl es auch sozialdemokratische Polizeipräsidenten gibt, die eine gewisse Sehnsucht nach solchen Bestimmungen haben. Deswegen schon kann die Aufforderung, wenn der Landfrie- densbruch in Bezug genommen wird, niemals die Beispiele treffen, von denen du re- dest. Außerdem muss es bestimmt und geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu ge- fährden. Damit ist das, meine ich, einfach weggewischt. Wenn ihr – (Zwischenruf.) ja, ich bin sofort fertig. Wenn ihr von dem Juristischen weggeht, dann könnte man ja sagen, na schön, dies gefällt mir nicht. Ich bitte euch aber zu bedenken, welche Auswir- kungen dies politisch hat. Hier stehen zwei Bundeskanzler von uns dahinter. Wir haben dies schriftlich als unseren Willen in Resolutionen deutlich gemacht, rücken davon ab und müssten uns sagen, (Unruhe.) wenn es kracht, kommt ihr mit harten Resolutionen, die ja Leerformeln sind, weil ihr es im entscheidenden Moment nicht wagt, dies auch wie versprochen auszufüllen. Deswe- gen meine ich, müssen wir aus politischen Gründen zu dieser Vorschrift, die abgeklopft ist, Ja sagen. Wehner: Willfried Penner. Penner: Es ist natürlich eine ernste Sache, wenn man von einer Regierungsvorlage ab- weicht, zumal wenn sie solche Vorgaben hat, wie sie hier Hans-Jochen Vogel, Hans de With und Herbert Wehner geschildert haben. Ich will jetzt auch nicht auf das eingehen, was man unter dem Stichwort Abgrenzungsprobleme verstehen kann. Ich will nur etwas sagen zur rein praktischen möglichen Auswirkung dieser Vorschrift. Ich glaube, dass diese Vorschrift sehr leicht geeignet ist, umgangen zu werden. Ich könnte dazu ’ne Dienstanweisung schreiben, aber das will ich mir lieber verkneifen. Ich will euch nur ein Beispiel sagen. Nehmen wir mal an, ein Terrorist hat sich besonders mit den Pro- blemen der Gewalt beschäftigt und dabei allerlei geschrieben. Jetzt kann man die Erfül- lung dieses Straftatbestandes dadurch unmöglich machen, dadurch der Erfüllung des Tatbestandes ausweichen, indem man ein Vorwort schreibt, das so aussieht, als ob man sich vom Inhalt dieser Schrift distanzierte. Das wird sicherlich große Auslegungs- schwierigkeiten bringen. Und ein Zweites möchte ich sagen. Ich glaube, die praktische Bedeutung dieser Vor- schrift darf man nicht überbewerten. Nach meinen Erfahrungen wird es auch dann, wenn es zu solchen Äußerungen kommt, wie sie hier geschildert worden sind, in der Regel zu Geldstrafen kommen. Und was das bedeutet angesichts des öffentlichen In- teresses, die solche Äußerungen erregen, das könnt ihr euch ja vorstellen, wenn die Justiz sagt, solche Äußerungen sind meinetwegen 20 Tagessätze à 50 D-Mark wert. Und ein drittes Problem bitte ich, in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen und das ist dies: Es ist sehr leicht möglich, gerade bei der Tätergruppe, die Gerhard Jahn angesprochen hat, bei diesen hartnäckigen Tätern, nicht bei den Zufallstätern, dass sie mit geschickter anwaltlicher Hilfe eine Fülle von Beweisanträgen stellen können, die dem Beleidiger oder dem Auffordernden das gewünschte Forum dafür bieten, seine Ansichten loszuwerden. Ich erinnere nur in diesem Zusammenhang daran, das bezieht sich zugegebenermaßen auf ein anderes Gebiet, unter welchen Umständen Friedrich Ebert damals in den Beleidigungsprozessen zu leiden hatte, wie die Beleidiger das Forum der Justiz geradezu gesucht haben, um dann später mit billigen Geldstrafen davonzukommen. Das sind alles Dinge, die man im Rahmen dieser Vorschrift, wenn man sie verabschieden will, berücksichtigen muss.

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Und zum Abschluss noch eine Information. Mich hat vorhin Herr von Schoeler ange- rufen und er hat mir mitgeteilt, dass der Arbeitskreis Recht und Inneres der FDP über dieses Problem gesprochen hat und einstimmig zu einer Entscheidung gekommen ist, die der des Arbeitskreises Rechtswesen der SPD entspricht. Er ist daraufhin zu Herrn Mischnick gegangen und Herr Mischnick hat gesagt, er wolle die Sache noch nicht in die Fraktion bringen, sondern der Arbeitskreis möge sich mit Herrn Maihofer auseinan- dersetzen, um dann zu einer Einigung zu kommen. So weit der Sachstand. Wehner: Dietrich Sperling. Sperling: Genossinnen und Genossen, es ist wohl klar, dass dies eine Vorschrift ist, die von Staatsanwälten und Richtern gehandhabt werden wird und nicht unbedingt vom Justizminister. Deswegen nutzt der gute Wille des Justizministers oder derjenigen, die als Gesetzgeber dies verabschieden, wenig, wenn Staatsanwälte und Richter anders damit umgehen. Wenn also »Willy Brandt an die Wand« 20 Mark Geldstrafe bringt, aber der Genosse Carlos Ossorio, der im Stil Hemingway einen Sprengstoffanschlag in der Zeitschrift der IG Metall für spanische Gastarbeiter verherrlicht oder dasselbe emp- findet wie Hemingway damals im Bürgerkrieg, der kriegt dann eine ganze Menge an den Hals. Er kann mit Gefängnis bestraft werden, wenn er nur schildert, was also heute ein Sprengstoffanschlag in Spanien im Baskenland bedeutet. Er ist sozialdemokratischer Genosse, veröffentlicht dies in der Zeitschrift der IG Metall, die wird natürlich be- schlagnahmt, und wir wissen, wie das dann läuft. Die deutsche Justiz hat mein volles Vertrauen, was ihren guten Willen angeht, aber sie hat nicht mein volles Vertrauen, was ihre Fähigkeit angeht, nach allen Seiten gerecht und abwägend und vorurteilslos zu sein. Deswegen meine ich, sei diese Vorschrift wunderbar geeignet, den inneren Frieden in der Bundesrepublik eigentlich weiter zu stören und das, woran wir nicht nur denken müssen, ist, wie diese Vorschrift morgen oder übermorgen durch den Bundestag gebracht werden kann, sondern wie die sich nachher – und bitte nicht in der juristischen Praxis, das kann ich mir leider recht gut vorstellen, sondern in den politischen Folgen der juristischen Praxis – für uns auswirkt. Ich glaube, dass all die guten Absichten, die die Bundesregierung verfolgt hat, nicht eingelöst werden durch das, was die Justiz mit diesem Ding machen kann. Dies ist halt nichts für Politoptiker, sondern es ist etwas für Leute, die bei von der Heydte ausgebil- det werden in Bayern, wo der spanische Botschafter kommt, wenn da also Journalisten Beiträge über Länder schreiben, in denen Gewaltanwendung von allen Seiten sozusagen dazugehört. All dies kann uns dann passieren, dass im Binnenland das, was draußen geschieht und was wir also mit so vielen Ausländern im Land unmöglich unterdrücken können, dass all dies dann unter diese Strafvorschrift fällt. Ich bin dafür, Jochen Vogel, dass du uns ein Gutachten lieferst, das all dies ausschließt, das auch ausschließt, dass Erwitte etwa – falls da zufällig ein Stein geworfen worden wäre – zu einem Darstellungsproblem werden kann. Denn die Frage ist ja nicht, ob etwas Kunst oder Wissenschaft in der Darstellung ist, sondern dass Staatsanwälte und Richter entscheiden werden, ob etwas künstlerisch oder wissenschaftlich ist, und da werden sie also allemal in bestimmter Richtung entscheiden. Dies ist die eigentliche Problemfrage und zweitens, dass dies auch gilt, wenn es um die Schilderung ausländi- scher Verhältnisse in Zeitungen der Bundesrepublik geht. Deswegen bitte ich also: Gutachten her und dann brauchen wir eine neue Diskussion, die eindeutig auf der Fra- ge, wie sind denn die Probleme, die heute hier angeschnitten wurden, geklärt, wenn man diesen Wortlaut verabschiedet, die dann damit sauber umgehen kann. Dass da was anderes hinmüsste, gut, sehe ich ein, aber dass wir uns solche Folgen einladen, das kann ich nicht mitvollziehen.

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Wehner: C.-C. Schweitzer.

Schweitzer: Auch meinerseits drei Kurzbemerkungen zu 130 a. Erstens. Ich stimme ihm grundsätzlich zu und folge insbesondere deiner Begründung, Hans-Jochen Vogel, hier. Aus meiner eigenen Lehrtätigkeit in Berlin in den sechziger Jahren könnte ich dir eine Fülle von weiteren höchst erschreckenden, höchst folgenschweren Beispielen hier zitieren, die diesen Tatbestand hier erfüllen. Das ist Punkt 1. Punkt 2: Ich nehme aber natürlich auch sehr ernst die Bedenken, die Dieter Lattmann hier vorgetragen hat, die wir ja alle sicherlich sehr ernst nehmen. Für mich konzentrie- ren sich diese Bedenken im Hinblick auf einen möglichen Missbrauch dieser Bestim-

mung eigentlich auf den zweiten Halbsatz in 130 a (1) hier, der ja beginnt mit: »sowie nach den Umständen geeignet ist« und so weiter. Meine dritte Bemerkung wäre in Form von Fragen an Jochen Vogel hier. Erstens, was spricht eigentlich dagegen, dass wir diese zweieinhalb Zeilen streichen: »sowie nach den Umständen geeignet ist«? Zweite Frage hier: Mein Rechtsberater, mein Rechtsberater hier, Adolf Müller-Emmert, (Unruhe.) hat mir eben versucht klarzumachen, dass gerade dieser Zusatz eine Einschränkung, eine Einschränkung im Hinblick auf einen potenziellen Täter hier bedeutet. Dritte Frage noch mal an Jochen Vogel: Wäre es nicht sinnvoll, die Bestimmungen des Grund- gesetzes Artikel 5 hier, Wissenschaft und Kunst doch noch stärker hier im Gesetz an- zusprechen, um entsprechenden Bedenken zu begegnen? Und die letzte Frage: Ist nicht doch der Paragraph – das mag jetzt auf Widerstand stoßen, was ich jetzt sage, Wider- spruch – der 130 a (2) der CDU sogar eher noch vorzuziehen unserem (3) hier? Weil, ich rede immer von 130 a. Zu Manfred Coppik nur: Also den Ridder, den Kollegen Ridder aus Marburg würde ich nun auch nicht hier als Kronzeugen der Wissenschaft hier – (Unruhe.) nein, das mag ja sein, aber der überparteilichen Wissenschaft hier heranziehen. Wehner: Herta Däubler-Gmelin. Däubler-Gmelin: Ich will mich jetzt bei meiner zweiten Wortmeldung ganz kurz be- grenzen. Hans de With, es tut mir leid, dass ich dir widersprechen muss. Ich habe mich in der Sache wirklich gründlich vorbereitet. Die Rechtsprechung ist wirklich gegen dich. Wenn es diese Bedenken mit dem kollektiven Arbeitsrecht in diesem Bereich – (Zwischenrufe.) Entschuldigung – nicht gäbe, dann hätte ich es nicht gebracht. Ich wäre aber als Kom- promiss insofern damit einverstanden, wenn die Lösung, die gerade Dietrich Sperling vorgeschlagen hat, dieses Gutachtens mit den verbindlichen Äußerungen der Zusam- menstellung der Urteile in den vergangenen Jahrzehnten hierzu gebracht werden könn- te, dann bin ich gerne bereit, meinen Einwurf zurückzunehmen. Ich befürchte nur, es wird euch nicht gelingen. Ich darf nur noch jetzt einmal eines sagen. Die Abgrenzungsschwierigkeiten, dass Staatsanwälte darüber entscheiden müssen, ob »Katharina Blum« Kunst ist oder nicht, die Abgrenzungsschwierigkeiten, ob es sich bei einem neuen Schriftsteller um Literatur handelt ja oder nein, die sehe ich problematisch auf uns zukommen – und auch im Be- reich der Satire. Bei uns im Arbeitskreis ist die Diskussion gefallen, es geschehe einer Satire ganz recht, dass sie beanstandet werde, wenn der Zensor sie verstehe. Ich bin der Meinung, eine sozialdemokratische Fraktion braucht sich für derartige Gesetze nicht herzugeben.

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Und ein letztes Argument, das Günther Metzger gebracht hat mit der Gewaltdarstel- lung im Fernsehen, veranlasst mich noch zu folgender Bemerkung: Wir alle lesen im- mer wieder – und es gibt auch Sozialdemokraten, die dieses sehr deutlich sehen und sagen –, wir alle lesen immer wieder darüber, dass es Zusammenhänge zwischen dem Anstieg der Gewaltkriminalität bei Jugendlichen und der Darstellung von Gewalt im Fernsehen gebe. Wir haben uns schon häufig darüber Gedanken gemacht, ob wir nicht Richtlinien vorschlagen sollten, die auch nur eine Identifikation des Zuschauers mit dem Opfer hier möglicherweise anregen sollten. Alle diese Vorschläge, die wir gemacht haben, sind daran gescheitert, dass man uns gesagt hat, um einen möglichen Eingriff in die Gewerbefreiheit vornehmen zu können, bräuchten wir einen sicheren Zusammen- hang zwischen dem Anstieg der Gewaltkriminalität bei Jugendlichen und Gewaltdar- stellungen. Ich frage mich nur, warum dieser sichere Zusammenhang auf der einen Seite, wo es einfacher wäre, hier verlangt wird und auf der anderen Seite man des Zug- zwanges wegen und der politischen Optik wegen man die Frage der Befürwortung in ein Strafgesetz hineinbringen will. Danke schön. Wehner: Wolfgang Schwabe. Schwabe: Keine Angst, wenn ich mich in eine juristische Sache einfüge, das hat einen ganz besonderen Grund. Günther Metzger hat, und das zu Recht, in seinen Darlegun- gen und auch, soweit ich weiß, zum ersten Mal in der Fraktion, zumindest wenn ich dabei bin, die Stadt Bensheim genannt und die Vorgänge im Prozess Roeder (Wiesen- tal). Bensheim ist die größte Stadt meines Wahlkreises. Ich bin dort ebenso wie im Kreis mit absoluter Mehrheit in den Bundestag gewählt. Ich möchte ausdrücklich sa- gen, dass die ganze Meute, die dort aufgetreten ist, nichts mit Bensheim zu tun hat, zusammengelaufenes Mistvolk war, nicht wahr, und dass für mich der Herr Roeder eine absolute Mischung zwischen Strolch und Idiot ist. Die Frage, ob er ein richtiger Idiot ist, wird zurzeit psychiatrisch geklärt, von daher sollen die weiteren Konsequen- zen kommen. Mehr habe ich mich mit Roeder nicht befasst, weil ich mich mit Leuten nicht befasse, mit denen ich mir die Hände dreckig mache. Ich wollte das bei der Gele- genheit hier mal gesagt haben. Wehner: Alfred Emmerlich. Emmerlich: Genossinnen und Genossen, erlaubt mir eine allgemeine Bemerkung über die Funktion von Straftatbeständen. Zunächst einmal bilden sie ja die Rechtsgrundlage dafür, dass jemand durch Gerichte zu einer Kriminalstrafe verurteilt werden kann. Das steht immer im Vordergrund der Betrachtung. Wir sollten aber auch berücksichtigen und insoweit ist meine Bemerkung vor allem in diesem Zusammenhang relevant, dass Straftatbestände die Rechtsgrundlage für Eingriffe der Strafverfolgungsbehörden sind, für Eingriffe, die darauf hinauslaufen, festzustellen, ob denn ein Tatbestand vorliegt, der eine Verurteilung vor einem Kriminalgericht ermöglicht, und der Spielraum, der sich im Rahmen dieser strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eröffnet, ist ganz erheb- lich breiter als der, der hinterher bei der Anwendung vor dem Strafgericht übrigbleibt. Ich kann euch aus meiner eigenen beruflichen Erfahrung sagen, dass insbesondere in diesen kritischen Bereichen ich es immer wieder erlebt habe, dass zahlreiche Ermitt- lungsverfahren angestrengt worden sind und nicht zu einer Anklage geführt haben, dass aber die von diesen Ermittlungsverfahren Betroffenen ganz erheblichen Repressalien ausgesetzt waren. Und wir müssen diese Möglichkeit, die wir hier eröffnen könnten zu Repressalien im Bereiche polizeilicher Eingriffe, nicht nur staatsanwaltschaftlicher Eingriffe, sondern auch im Bereiche polizeilicher Eingriffe zu gelangen, im Auge behal- ten. Und bei den Gesetzmäßigkeiten, unter denen polizeiliches Handeln, präventives polizeiliches Handeln steht, immer steht bei allem guten Willen derjenigen, die polizei-

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lich tätig sein müssen, kann man nicht ausschließen, dass Übereifer in einen Bereich hineinwirkt, der von äußerster Sensibilität ist, nämlich in den Bereich Wissenschaft und Kunst. Dieses kann man einfach nicht außer Betracht lassen, wenn man diese Vorschrift und ihre Wirkung sich vergegenwärtigt. Und noch eine Bemerkung: Ich glaube, dass das Bestreben, lückenlosen Strafrechts- schutz zu finden, von vornherein ein solches ist, was zum Scheitern verurteilt ist. Es ist unmöglich, zu einem lückenlosen Strafrechtsschutz zu gelangen und es besteht die Gefahr, wenn man ein solches Ziel anstrebt, dass man dann überzieht, und zwar über- zieht mit den Wirkungen, die insbesondere Willfried Penner hier dargestellt hat. Ich bin aufgrund meiner beruflichen Erfahrung zu dem Ergebnis gelangt, dass durch diese Vorschrift kein Mehr an Innerer Sicherheit gewonnen wird, aber ein Weniger an Rechtssicherheit und ein Mehr an Verunsicherung in den Bereichen Wissenschaft und Kunst. (Vereinzelter Beifall.) Wehner: Bruno Friedrich. Friedrich: Ich hätte von Hans-Jochen Vogel mal gerne gehört, wie das bei der FDP gelaufen ist, die ja in der Rechtspolitik zumindest eine gewisse liberale Tradition hat. Wir sollten hier nicht so tun, als ob wir das in der Koalition nur für uns allein entschei- den können. Sicher – (Zwischenruf.) reg’ dich doch nicht auf! Ich hab’ hier ganz sachlich eine Frage an den Minister gestellt. Das wir doch noch in dieser Fraktion möglich sein, dass man das darf. Im Übrigen ist es für juristische Laien – und ich bin einer – natürlich schwierig, wenn hier Genossen mit juristischem Sachverstand so leidenschaftlich gegeneinander argumentieren. Aber vor einem habe ich Angst, Genosse Coppik. Wenn hier argumentiert wird, dass ein Zensurgesetz auf dem Tisch liegt, das in Europa seinesgleichen nicht hat, kommunisti- sche Staaten ausgenommen – ja, aber die Beweisführung, wie sie vorgetragen worden ist, die war nun einmal so –, dann fürchte ich, dann fürchte ich in der Art, wie so etwas sich bei uns entwickelt hat, dass hier eine kleine Notstandsdebatte in der Öffentlichkeit entstehen könnte. Ich möchte nur sagen, vielleicht überziehe ich jetzt, aber ich nehme es ernst, wenn ein Mitglied hierher tritt und sagt, dann muss man uns im Plenum auch die Möglichkeit geben, anders zu stimmen. Eine in dieser Frage im Plenum auseinan- derbrechende SPD-Fraktion lässt mich hier nicht gleichgültig. Dies muss man dann auch entsprechend begründen, vor allem von einer solchen Position her. Aber ich wollte etwas ganz anderes sagen. Mich würde interessieren, wenn dies ’72 vorgeschlagen war und heute diese Kritik ist, dann muss doch das, was heute auf dem Tisch liegt, entweder anders sein als das, was man damals angestrebt hat, oder man muss sagen, heute ist eine andere Situation, so dass wir das nicht brauchen. Auf beide Fragen habe ich keine Antwort und ich möchte an den Parteivorsitzenden, der damals Kanzler war, die Frage und die Bitte richten, hier zu sagen, wie er dies sieht, weil dies ein Thema des Parteitages wird, wenn wir dies heute so verabschieden, wie die Regie- rung dies vorschlägt. Wir haben nun, sind von der Thematik überrascht worden. Ich möchte hier auch einmal die Bitte aussprechen, nachdem wir ein Parteipräsidium haben, in dem sich Regierung und Fraktion und Partei koordinieren können, dass wir [es] uns bei der Situation in der Partei wohl kaum leisten können, dass wir in Fragen von sol- cher Brisanz plötzlich von einer Stunde auf die andere in der Fraktion vor eine Ent- scheidung gestellt werden. (Beifall.)

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Dies müsste einmal etwas (Unruhe.) besser koordiniert werden. Und um zum Schluss zu kommen: Es sind hier ganze Reihe Beispiele gekommen, was man negativ daraus machen könnte. (Unruhe.) Ich habe in meiner Stadt die Sache mit der »Aktion« Widerstand erlebt und ganz, ganz schlimme Freisprüche, was Richter daraus machen, wenn sie keine Gesetze haben, die sie binden. (Unruhe.) Das ist eine andere Seite und da gebe ich den Genossen gerne mal die Dokumentation, was passiert ist und was Richter daraus gemacht haben. Wehner: Hellmut Sieglerschmidt. Sieglerschmidt: Genossinnen und Genossen, zu den Sachargumenten des Für und Wider ist nicht mehr viel hinzuzufügen. Ich teile die Bedenken derjenigen, die mit gro- ßem Unbehagen den Regierungsentwurf in diesem Punkt sehen, und will das nicht weiter begründen, mich insbesondere hier nur auf die Ausführungen des Genossen Willfried Penner beziehen. Aber eins möchte ich gerne sagen: Jochen Vogel und andere haben, so wie die Situation nun einmal ist, verständlicherweise darauf hingewiesen, dass es jetzt seine großen Schwierigkeiten habe, nun also gewissermaßen die Regierung öf- fentlich zu desavouieren. Ich möchte die dringende Bitte an die Bundesregierung rich- ten, die Fraktion und insbesondere den hier besonders zuständigen Arbeitskreis Rechtswesen in zukünftigen Fällen nicht in diese Zwangssituation zu bringen, wo man sich nur entscheiden kann, will man nun als altgedienter und disziplinierter Sozialde- mokrat hier die Regierung in diese Situation bringen oder will man das nicht. Das heißt mit anderen Worten, Genossinnen und Genossen, in einer so brisanten Frage erwarte ich, dass in Zukunft die Bestimmungen – bevor sie von der Regierung veröffentlicht werden – im Arbeitskreis Rechtswesen so ausführlich diskutiert werden, dass aufgrund dieser Meinungsbildung dann weiter verfahren werden kann. Wehner: Letzte Wortmeldung Coppik. Coppik: Genossinnen und Genossen, ich möchte nur ganz kurz zu zwei Punkten etwas sagen. Zum einen zu dem Hinweis aufs Wahlprogramm und auch auf diese Erklärung, die im Frühjahr abgegeben wurde. Was beide Punkte betrifft, so kann es ja nicht um dieses juristische Wort Befürworten gehen, sondern darum, dass positive Aussagen, Aufforderungen, Rechtfertigungen von Gewalt strafrechtlich stärker verfolgt werden. Das ist in diesem Regierungsentwurf in anderen Punkten enthalten. Diese Punkte ge- hen durch. Es ist keineswegs so, dass dieses Versprechen nicht eingelöst würde. Das muss ich als Erstes sagen. (Beifall.) Das Zweite ist die Sache mit Roeder. Da muss ich nur einen Satz sagen. Ich halte es für außerordentlich bedenklich, wenn man diesen Einzelfall nun hier heranholt, um daraus gesetzgeberische Konsequenzen zu ziehen. Es werden gegen Roeder eine ganze Fülle von Strafverfahren geführt und in einem Fall oder in einigen Fällen können sie nicht geführt werden, weil die Bundesregierung ihre Einwilligung zur Strafverfolgung nicht gegeben hat. Also ich meine, das ist allerdings dann ein Widerspruch in sich. Aktenzei- chen kann ich angeben, wenn das {…} Wehner: Schlusswort Hans-Jochen Vogel.

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Vogel: Genossinnen und Genossen, ich knüpfe zunächst an das an, was Manfred Coppik bei seinem ersten Beitrag gesagt hat, dass im Arbeitskreis Recht mit großer Sorgfalt und Ernsthaftigkeit beraten worden ist. Ich möchte das ausdrücklich auch von mir aus unterstreichen. Allerdings, Genossinnen und Genossen, die ernsthafte Beratung hat nicht in dieser Sitzung des Arbeitskreises Recht begonnen, die ernsthafte Beratung geht zurück bis in das Jahr 1969/1970. Die ernsthafte Beratung ist über Jahre hin ge- führt worden und schon das Programm zur Inneren Sicherheit ist das Ergebnis einer solchen ernsthaften Beratung gewesen. Genosse Sieglerschmidt, da darf ich an der Stelle gleich auf deine Bitte eingehen. Die verstehe ich gut, aber die Bundesregierung hat ja nichts Neues vorgelegt im Herbst 1974. Sie hat das, was schon 1972 erklärt worden war, was immer wieder bekräftigt worden war, in einem langen und mühsamen Prozess in eine Fassung gebracht, die eben – und darauf werde ich noch zu sprechen kommen – den Missbrauch ausschließt. Es ist ja nicht so, dass wir ad hoc neu und plötzlich hervorgetreten sind, sondern wir haben etwas – und ich sage, es ist zu Recht 1970/’71 aufgegriffen worden, es ist zu Recht in das Programm für die Innere Sicherheit genommen worden – das haben wir verfeinert und präzisiert. Infolgedessen glaube ich nicht, dass man sagen kann, die Bun- desregierung habe die Fraktion in Zugzwang gebracht oder habe den Arbeitskreis über- rascht. Und jetzt zu den Einwendungen, die im Einzelnen gebracht worden sind. Ich gehe zunächst auf die rechtlichen ein und dann auf die politischen. Mit Recht ist gesagt wor- den, dass schon heute die Aufforderung im alten Sinne, die Anstiftung und die Verherr- lichung strafbar sei. Nur die Beispiele, die ich nannte, Genossen, die ich aufgeführt habe, sind Beispiele auch aus jenem Würzburger Fall, sind eben keine Aufforderung, weil das Gesetz und die Rechtsprechung verlangt, dass zu einer ganz konkreten bereits bestimmbaren Tat aufgefordert wird. Sie sind erst recht keine Anstiftung, weil dann auch die Person dessen feststehen muss, der die Tat begehen soll. Sie sind keine Ver- herrlichung, weil bei diesen Wendungen nicht eine Straftat gepriesen und gelobt wird. Diese Bestimmung war beispielsweise anwendbar auf Fälle, wo Ermordungen, insbe- sondere die Ermordung der Juden nachträglich gepriesen und gelobt worden ist. Das alles ist nicht einschlägig. Richtig ist, Manfred Coppik, dass jetzt die Anleitung auch nach dem Beschluss in das geltende Recht aufgenommen werden soll. Aber all die Fälle, die ich vortrage, Manfred, treffen ja nicht den Fall der Anleitung. Unter Anleitung versteht man das genaue Beschreibungen über die Herstellung von Bomben, genaue Beschreibungen über die Auslösung von Sprengladungen mithilfe drahtloser Einrich- tungen, Herstellung von Sprengpulver aus E 605 und Puderzucker, derartige Dinge sind Anleitungen, weil den Leuten klargemacht wird, wie sie die Tat begehen können. Das – (Unruhe.) Genossinnen und Genossen, ich habe jetzt nicht erkannt, an welchem Punkt – ja, Ent- schuldigung, Entschuldigung, ich habe den Eindruck, dass hier dieser Personenkreis mich nicht in den Verdacht einer strafbaren Handlung bringt, weil diese Äußerung bei euch weder bestimmt noch geeignet ist, dass ihr es nachmacht mit E 605 und mit Puder- zucker. (Unruhe.) Genossinnen und Genossen, ich komme also zu dem Ergebnis, ich komme zu dem Ergebnis, dass die hier aufgeführten Beispiele – und das ist ernsthaft nicht bestritten worden – nicht unter diese Tatbestände fallen und die Ankündigung hat ja gerade diese Fälle, die als Beispiele damals genannt worden sind, im Auge gehabt, dass gerade auf diesem Gebiet wir ohne die genannte Reaktion bleiben.

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Nun zu deinen Beispielen, da hat das Richtige schon Gerhard Jahn gesagt. Wir haben ausdrücklich die Bestimmung drin, dass der Straftatbestand nicht gilt, wenn es sich um eine wissenschaftliche, um eine künstlerische oder um eine der staatbürgerlichen Bil- dung dienenden Darstellung handelt. Alle Beispiele, die du gebracht hast, sind eindeutig Kunst oder sind eindeutig Wissenschaft. Im Übrigen aber, Genossen, das ist doch ein- fach falsch. Wir haben doch zu der Frage des Kunstvorbehalts und zu der Frage des Wissenschaftsvorbehalts bereits eine breite Rechtsprechung. Der wird ja hier nicht erstmals eingeführt. Den haben wir an soundso viel Stellen. Natürlich ist Kunst nicht nur das, was nach 100 Jahren als Kunst erachtet wird, sondern auch die gegenwärtige Produktion. Das ist völlig unstreitig und ist auch durchs Verfassungsgericht wiederholt bekräftigt worden. Herta Däubler-Gmelin hat eine Sorge geäußert wegen des Landfriedensbruchs. Ich bin der Meinung und das habe ich schon bei meiner ersten Intervention gesagt, dass man den Katalog noch einmal ansehen kann. Wenn ein Bedenken in dieser Richtung sich tatsächlich als unüberwindlich herausstellt, in der Frage des Landfriedensbruchs, dann sehe ich eine Möglichkeit, dass man bei dem Katalog, der ja im Wesentlichen Mord, Totschlag, Sprengstoffverbrechen enthält, diesen Landfriedensbruch herausnimmt. Damit würde nicht der Kern der Sache berührt. Damit würde nicht das, was in dem Programm ’72 angekündigt worden ist, zurückgenommen und unterlassen. Wenn du sagst, man ist nicht sicher, wie die Richter Bestimmungen auslegen, und ein Gutachten zitierst, natürlich kann man Gegengutachten bringen und ich fürchte, Herta, dein Vor- schlag führt nicht weiter, denn es ist ein Leichtes, Gutachten zu bringen, die die Auf- fassung, die ich hier vortrage, untermauern. Wir haben ja auch nicht aus der hohlen Hand gearbeitet. Wir haben ja eine Fülle von solchen Äußerungen herbeigezogen. Nur, Manfred Coppik, was du da schilderst, das ist nicht Auslegung von Gesetzen, sondern das wäre ganz glatter Bruch von Gesetzen und vor der Frage, Manfred Coppik, dass möglicherweise Richter Gesetze brechen, vor dieser Frage steht jeder Staat, der mit einer unabhängigen dritten Gewalt arbeitet. Mit der Begründung nenne ich dir noch viel gefährlichere Bestimmungen, die dann zu einer schrecklichen Waffe werden, wenn die dritte Gewalt sich aus der rechtsstaatlichen Ordnung herauslöst. Mit diesem Argu- ment können wir hier an dieser Stelle nicht isoliert arbeiten. Ein weiterer Gesichts- punkt war der von dir, ein rechtlicher, dass es für den Betreffenden eine schlimme Sa- che sei, wenn er in eine solche Geschichte deswegen verwickelt werde, weil ein Straf- verfahren eingeleitet wird. Genosse Coppik, das kann ich nicht anerkennen. Geschützt wird hier nicht der Einzelne, gegen den sich die Drohung richtet. Der ist nicht der Zentrale bei dieser Strafbestimmung. Geschützt wird das Recht, das Anrecht der Ge- meinschaft, dass unser politisches Leben nicht durch Gewaltdrohungen vorbereitet wird für eine neue Phase ständiger Gewalttätigkeiten und ständiger gewaltsamer Aus- einandersetzungen. Es ist der Schutz der Gemeinschaft, nicht der Schutz des Einzelnen, der hier in Rede steht. Der Einzelne ist ja durch den Beleidigungsparagraphen und durch andere Bestimmungen bereits geschützt. Dann hat Hermann Dürr gesagt und Alfred Emmerlich ist ihm beigetreten, auch Will- fried Penner habe ich so verstanden, dass die praktische, dass die praktische Wirksam- keit dieser Bestimmung, wenn man sie in Kraft setzt, Bedenken unterliegen könnte. Genossinnen und Genossen, ich will das gar nicht in Abrede stellen. Ich will nicht in Abrede stellen, dass man damit bei weitem nicht alle Fälle tatsächlich treffen kann. Aber der Sinn einer Strafbestimmung besteht ja nicht nur in ihrer konkreten Anwen- dung allein, der Sinn einer Strafbestimmung besteht auch darin, dass die Gemeinschaft über ein bestimmtes Handeln ein Unwerturteil spricht und sagt, dieses Handeln ist

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sozialschädlich und wird von der Gemeinschaft missbilligt. Gerade darum geht es ja auch in diesem Punkt, dass wir klar und eindeutig machen durch diesen Straftatbestand, dass die Gemeinschaft, dass der Gesetzgeber ein solches Tun, solche Gewaltandrohun- gen verurteilt, missbilligt und als sozialschädlich bezeichnet. Und nun noch einmal zur politischen Frage: Haltung der FDP. Genossinnen und Ge- nossen, ich muss noch einmal darauf verweisen, dass bis in die letzten Tage hinein diese Forderung gerade vonseiten der FDP, von Innenminister Maihofer erhoben worden ist. Ich habe hier einen Brief dabei, den damals Genscher an Gerhard Jahn geschrieben hat, wo er es als unverständlich und unverantwortlich bezeichnet hat, dass die Prüfungen im Justizministerium, um einen vernünftigen Tatbestand zu finden, so lange gedauert ha- ben. Und mir ist auch bekannt, aber da will ich Herbert nicht vorgreifen, dass die Sache im Koalitionsgespräch erörtert worden ist und dass sich bei der FDP eben auch zwi- schen der Erörterung im Arbeitskreis Recht und zwischen der politischen Beurteilung ein Bogen spannt, der wahrscheinlich dem unsrigen in etwa vergleichbar ist. Genossinnen und Genossen, ich weiß nicht, ob wir uns einen guten Dienst tun, wenn wir noch weitere Gutachten einholen. Die entscheidende Frage ist nicht die Frage, die Gutachter beantworten können. Die entscheidende Frage ist die politische Frage, ob wir nach Abwägung wirklich zu dem Ergebnis kommen können, wir wollen eine Situa- tion durchstehen, in der die Opposition diesen vorliegenden Antrag selber sich zu eigen macht und dann schaut, wie die Minister dieser Regierung und die Parlamentarischen Staatssekretäre gegen die eigene Vorlage der Bundesregierung in einem seit ’72 ange- kündigten Vorhaben stimmen. Das nimmt uns kein Gutachter ab. Das, glaube ich, müssen wir selber entscheiden. Ich fasse also zusammen: Lasst uns noch mal darüber reden, ob in diesem Katalog der Landfriedensbruch drinbleiben muss oder ob man den Landfriedensbruch herausnehmen kann. Damit wäre ein Teil der Bedenken der Genos- sin Herta Däubler-Gmelin erledigt und im Übrigen bitte ich, dass wir jetzt hier eine politische Entscheidung treffen. Wehner: Genossen, wir müssen zu einer Abstimmung kommen. Ich schlage vor, die Empfehlung – (Zwischenruf.) ja, Moment, aber ich werd’ wohl erst mal ’ne Empfehlung aussprechen – so haben wir nämlich angefangen – Empfehlung der Fraktion, im zuständigen Ausschuss dem Regie- rungsentwurf gemäß zu entscheiden in dieser Frage Befürwortung und dabei diese Prüfung, die eben hier noch einmal herausgehoben worden ist mit anzustellen. Horst Ehmke. Ehmke: Herbert, du hast mich verwirrt. Dies habe ich nicht eben verstanden. Ich habe verstanden, wir sollen jetzt über die Frage entscheiden oder soll die noch mal geprüft werden? Das habe ich jetzt eben nicht verstanden. Wehner: Hier geht es um eine Empfehlung. So fing es an. Ich hatte das als Bericht aus dem Fraktionsvorstand gesagt. Es ist im Fraktionsvorstand auch so beschlossen worden und dann ist hier referiert worden. Jetzt ist ausführlich diskutiert worden und jetzt habe ich formuliert, worüber abzustimmen wäre. Die Empfehlung der Fraktion, im zuständigen Ausschuss dem Regierungsentwurf gemäß zu entscheiden, in dieser Frage Befürwortung. Das war es. Ehmke: Herbert, meine Frage war, nach dem, was wir aus dem Rechts- – also ich selbst neige mehr der Mehrheit der Genossen im Ausschuss Rechtswesen zu, aber das ist eine schwierige Frage, im Arbeitskreis Rechtswesen. Wenn jetzt bei der FDP, wie der Will- fried Penner eben berichtet, dort auch noch Überlegungen sind, müssen wir heute ent-

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scheiden oder kann man nicht noch mal – Augenblick mal, ich frage ja nur –, kann man nicht dann noch mal sehen, was sich bei der FDP entwickelt? Würde dort ’ne gleiche Tendenz laufen, brauchen wir uns hier nicht in eine Entscheidung zu stürzen, die nach beiden Seiten schwerfällt. Das ist ganz klar. Das hätte ich gerne noch mal gewusst. Wie ist die Geschäftslage zeitlich? Kann man noch mal, nach dem, was mitgeteilt ist aus dem Arbeitskreis Rechtswesen, mit der FDP sprechen oder ist die Zeit nicht mehr da? Hätte ich gerne noch gewusst. Wehner: Lieber Horst, die Frage, wie will man denn mit der FDP sprechen, wenn man vorher nicht entschieden hat, in welche Richtung man mit der FDP sprechen will? (Vereinzelter Beifall.) Das ist die einzige Frage. Dass wir wohl mit der FDP, und da kennst du sie wohl so auch, wie ich sie kenne, in dieser Frage eher lieber gar nichts machen, lieber gar nichts machen, ist klar. Dass aber der Fraktionsvorsitzende der FDP seinen Leuten gesagt hat, dann muss wohl vorher auch mit dem Innenminister gesprochen werden, ist auch klar. Nur, soll die SPD-Fraktion ohne jede Auffassung reingehen? Das kann ja hier eine mehrheitlich festzustellende sein, die heißt doch auch nicht Genickbruch, sondern soll feststellen, was nach dieser Diskussion bei den weiteren Erörterungen im Ausschuss – und wahrscheinlich und notwendigerweise wird man vorher noch einmal Arbeitskreis mit den Kollegen des Koalitionspartners machen – erörtert werden kann. Also ich schlage vor, dass wir abstimmen über diese Empfehlung mit all diesen Vorbehalten. Wer für die Empfehlung ist, bitte ich ums Handzeichen. (Zwischenruf.) Habe ich gesagt, dass das einschließlich ist Landfriedensbruch, wenn es geht und so weiter herauszuoperieren. Wer für die Empfehlung ist, bitte ich ums Handzeichen. Bitte auszuzählen.20 Die gegenteilige Meinung bitte.21 Die ausgezählten Stimmen ergeben 76 zu 39. Das Erste war die Mehrheit. [D.] Wehner: Ja, Genossen, wir kommen jetzt zum Punkt 5. Das Wort hat Konrad Porzner. Porzner: Genossinnen und Genossen, lauft bitte jetzt nicht weg. Wir haben eine schwierige Woche vor uns, und ich bitte zuerst gleich mal um Verständnis, dass für den Freitag, für den Freitag, natürlich neben dem, was am Donnerstag zu tun ist, um 9 Uhr zwei Entscheidungen schon zu treffen sind. Erstens: Wir wollen das Strafvollzugsgesetz auf die Tagesordnung setzen, so wie wir in den nächsten Wochen das Gesetz, das die Extremisten betrifft, und den Paragraphen 218 im Plenum behandeln wollen. Wir müs- sen entgegen früheren Verfahren am Freitag manches Wichtige tun, weil wir den Mitt- woch und Donnerstag jeweils für die Beratung des Artikelgesetzes in den Ausschüssen und in dieser Woche im Plenum unbedingt brauchen. Deswegen also am Freitag die Entscheidung. Zweitens ist am Freitagvormittag ein Gesetz um 9 Uhr zu verabschie- den, bei der festgestellt werden muss, dass die Mehrheit der Mitglieder des Bundestags – also 249 – zugestimmt haben. Da müssen alle hier sein. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die CDU/CSU, die diesem Gesetzentwurf voraussichtlich auch zu- stimmt, mit ihrer Anwesenheit uns zur Mehrheit verschafft.

20 Die Auszählung dauert ca. eine Minute. 21 Die Auszählung dauert etwa 40 Sekunden.

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Zum Haushaltsstrukturgesetz hat Herbert Wehner einleitend das gesagt. Das kann viel länger dauern, als wir uns das ursprünglich vorgestellt haben. Hängt davon ab, wer von der CDU redet, das steht bis jetzt noch nicht fest. Es ist mir bis jetzt noch nicht mitge- teilt worden, wer von denen redet. Es ist am Freitag dann das Gesetz über das Gesund- heitsabkommen mit der DDR, ein erstes wichtiges Folgegesetz, auf der Tagesordnung, das wir begründen. Es gibt eine Runde Debatte. Tagesordnungspunkt 5 und 6 ohne Debatte. 7 wie vorhin schon gesagt am Freitag um 9 Uhr mit Debatte. Punkt 8 entgegen der ursprünglichen Absicht ohne Debatte, die Berliner haben sich einvernehmlich dar- auf verständigt, dass keine Debatte stattfinden soll. 9 ohne Debatte und 10 Begründung und eine Runde Debatte. Ich höre eben, dass der Bundesrat begründen will den Tages- ordnungspunkt 11. Die Bayerische Staatsregierung möchte das begründen. Ob sie es dann am Freitagmittag Mittag noch tut, wissen wir nicht. Ich bitte aber darum, sich darauf vorzubereiten. Von 12 ab ohne Debatte. Nun zum Verfahren: Die CDU/CSU hat ursprünglich abgelehnt, am kommenden Freitag den Gesetzentwurf erste Lesung 218 zu beraten, weil ihr Sprecher nicht anwe- send ist und der Geschäftsführer hat zugestimmt, das Strafvollzugsgesetz auf die Ta- gesordnung zu nehmen. Die CDU/CSU ist jetzt dagegen, deswegen haben wir heute draußen während der Sitzung so viel verhandelt. (Unruhe.) Die CDU/CSU – ihr habt es gehört – versucht alles Mögliche im Rahmen der Ge- schäftsordnung, auch das Gesetz, von dem Fritz Schäfer vorhin gesprochen hat – Dienstrecht –, zu verzögern. Wir haben in allen Ausschüssen und im Plenum bei allen Gesetzen den Versuch der Opposition, die Gesetzgebungstätigkeit dieses Parlamentes zu behindern. Deswegen müssen wir am Freitag um 9 Uhr alle anwesend sein, damit wir auf die Tagesordnung nehmen können den Tagesordnungspunkt Strafvollzugsge- setz, ein Gesetz, das von weittragender Bedeutung ist und das von Sozialdemokraten seit Jahrzehnten gefordert wird, dass es kommt. Es ist endlich fertig geworden. Wehner: Wird das Wort gewünscht? Also, ich sage auch noch mal: Freitagfrüh geht es darum, ob das Strafvollzugsgesetz draufkommt oder nicht draufkommt. Wir haben genug Schwierigkeiten mit ihm an anderen Stellen gehabt und haben sie jedenfalls überwunden. Die werden wir hoffentlich auch überwinden. Nun zum entscheidenden Punkt Andreas von Bülow: Haushaltsstrukturgesetz erste Lesung. von Bülow: Liebe Genossinnen und Genossen, wie immer bei entscheidenden Punkten bleibt zu wenig Zeit. Wir werden morgen lesen die erste Lesung des Haushaltsstruk- turgesetzes, eingebracht von Hans Apel, mit dem eine langfristige Konsolidierung des Bundeshaushalts in die Wege geleitet werden soll. Es soll erreicht werden über dieses Gesetz 1976 7,9 Milliarden einzusparen, 1977 12,2, 1978 11,5, 1979 12,6 Milliarden. Dabei sind enthalten die Gelder, die eingehen dadurch, dass der Arbeitslosenbeitrag um ein Prozent erhöht wird in einer Größenordnung zwischen vier und fünf Milliarden D- Mark. (Unruhe.) Ihr werdet alle mit diesem Haushaltsstrukturgesetz bereits betroffen gewesen sein. Jeder wird von bestimmten Gruppierungen aus der Bevölkerung angegangen. Zufrie- denheit herrscht über dieses Gesetz nicht und kann nicht herrschen. Es nehmen teil an Einsparungsmaßnahmen der öffentliche Dienst in Höhe von 1,1 bis 1979 1,4 Milliar- den, Landwirtschaft ansteigend von 260 auf eine Milliarde D-Mark, Arbeitsförderungs- gesetz von 900 Millionen auf ansteigend ’79 1,8 Milliarden, Forschung und Technologie von 50 auf 105, wobei nicht berechnet ist die Zuwendungsempfänger, die einen erhebli-

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chen Teil ausmachen, Bildung und Wissenschaft durch Nichtanpassung von Bafög und anderen Maßnahmen 343 ansteigend auf 510 Millionen D-Mark, Gemeinschaftsaufgabe rund 750 Millionen Sparförderungen, Steuervergünstigungen, Subventionen. Das sind die Stichworte, die in diesem Gesetz in 44 Artikeln angesprochen sind. Die Arbeitsgruppe Haushalt hat sich an diesem Wochenende mit diesem Haushalts- strukturgesetz beschäftigt. Das Fazit, was darunter zu ziehen ist, dass es außerordent- lich schwer sein wird, (Unruhe.) in diesem Paket nennenswerte Veränderungen zustande zu bringen. Ich weiß, dass es große Bestrebungen gibt etwa beim Arbeitskreis Inneres, Veränderungen durchzufüh- ren gegen eine sehr sich hartnäckig verweigernde FDP. Ob es dann noch gelingen wird, die Ungerechtigkeiten in unserem Sinne bei der Ortzuschlagsregelung, bei der Behand- lung etwa Lediger ab dem 40. Lebensjahr und so weiter, Fahrtkostenzuschüsse zustan- de zu bringen, dies kann morgen in optimistischer Form auf keinen Fall angekündigt werden. Unsere Linie muss sein, den Rahmen an Einsparungen müssen wir erreichen. Innerhalb dieses Rahmens sind wir offen für alle Anregungen und Gespräche und Dis- kussionen, aber der Erwartungshorizont sollte nicht allzu hochgezogen werden. Wir haben versucht, in der Arbeitsgruppe Haushalt die Frage zu diskutieren, ob man nicht den Vorschlag des DGB aufnehmen könnte: Absenkung der Gehaltssumme bei Beam- ten um 0,5 Prozent, um dort Manövriermasse bei Ortszuschlag und anderen Dingen zu haben. Ist abgelehnt worden in der Arbeitsgruppe kategorisch von den Mitgliedern der FDP. Das gilt selbst für die Frage 13. Monatsgehalt einfrieren auf der jetzigen Höhe mit dem Hinweis, es gäbe ja auch einen Tarifbereich und der Tarifbereich, da kann nicht eingefroren werden, so dass da Ungleichgewichte entstehen. Wir haben versucht, haben sogar eine Mehrheit mit der FDP zustande gebracht in der Arbeitsgruppe Haushalt oder in den Arbeitsgruppen Haushalt bei der Frage Ministerialzulage von 12,5 auf zehn Prozent herunterzubringen. Dies ist gescheitert am Veto von Genscher. Wie ich jetzt gehört habe, hat die Fraktion der FDP ebenfalls entschieden: Regierungsvorlage – keine Änderung daran. Dasselbe gilt für die ebenfalls mit Mehrheit beschlossenen Anregung, die Schlüsselung der Positionen A 16/B 3 nicht mehr zwei Drittel : ein Drittel, zwei Drittel B 3 : ein Drittel

A 16 oder ein Viertel vorzunehmen. Auch das wird – wir wollten auf 50 : 50 gehen. Dies ist ebenfalls nachträglich abgelehnt worden. Daraus mögt ihr sehen, wie schwer es die Fachausschüsse haben werden an dieser Sache und auch der Haushaltsausschuss, an der ganzen Angelegenheit noch etwas zu ändern. Wir werden aufnehmen müssen die Diä- tenanpassung in das Artikelgesetz. Dabei wird ebenfalls eine Rolle spielen, wie die Mitglieder der Bundesregierung zu behandeln sein werden. Ich hoffe, wir werden bis dahin eine Äußerung aus dem Schoße der Bundesregierung haben, wie das zu behan- deln ist. Ich hätte es nicht gerne, dass die Abgeordneten dies entscheiden. Wir werden aufnehmen müssen die Kindergeldregelung, erstens die Frage Weiterbezahlung des Kindergeldes durch die öffentlichen Körperschaften. Wobei noch offen ist die Frage, ob sie sie auch tragen müssen finanziell. Das würde dann vermutlich am Bundesrat scheitern. Darüber muss noch zu verhandeln sein. Wir werden auf jeden Fall aufneh- men die Anregung, die aus dem Kreis der Regierung und der Fraktion kam, eine 700- oder 750-Mark-Grenze beim Kindergeld einzuführen. Wenn also das Kind bezie- hungsweise der betroffene Jüngling oder die Dame mehr als 750 Mark monatlich Ei- genverdienst hat, soll das Kindergeld wegfallen. Diese Regelung gibt es bisher nicht, wie ihr wisst.

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Die Debatte wird so laufen oder man kann sie noch nicht voll voraussagen: Einbrin- gung durch Hans Apel, danach entweder Strauß oder Leicht, das ist bis jetzt noch nicht festzustellen. Wahrscheinlich wird es doch auf Leicht hinausgehen. Darauf soll ich sprechen. Vonseiten der CDU wird vorgeschlagen, drei fachbezogene Sprecher noch zu bringen, also einen zum öffentlichen Dienst, einen zu Landwirtschaft, einen zu Arbeit und Soziales. Die Arbeitsgruppe Haushalt möchte euch vorschlagen, dass dazu die jeweiligen Berichterstatter im Haushaltsausschuss sprechen. Das sind also Rudi Walther, Claus Grobecker und Lothar Löffler. Zum Verfahren, liebe Genossen: Der Haushaltsausschuss hat ja nun zum ersten Mal in einem Gesetzgebungsverfahren die Federführung und in einem sehr komplizierten Verfahren. Wir möchten gerne, dass ihr zu euren Beratungen die jeweiligen Fachar- beitsgruppen unsere Berichterstatter hinzuziehen, so dass die informiert sind mit der Materie. Wir werden uns zeitlich so disponieren, dass diese Berichterstatter bei den jeweiligen Arbeitsgruppen, teilweise auch in den Ausschüssen anwesend sein können. Es sollte angestrebt werden oder es ist fast zwingend, wenn wir am Freitag der nächsten Woche die Operation durchgezogen haben sollen, dass die Fachausschüsse spätestens bis Mittwochabend ihre Voten abgegeben haben. Denn der Haushaltsausschuss braucht den Donnerstagnachmittag und Freitag den ganzen Tag, um das Paket fertigzumachen. Den Donnerstagsvormittag hätte ich gerne reserviert für eine Arbeitsgruppensitzung der Arbeitsgruppe Haushalt, in der ja all diese Anregungen dann zusammenfließen müssen. Also bitte drängt darauf, dass die Mitberatung möglichst Mittwochmittag, wenn es anders nicht geht, aber Mittwochabend abgeschlossen – (Zwischenruf.) nein, nächster Woche! –, nächster Woche abgeschlossen sein wird. Morgen haben wir Mittwoch. Morgen diskutieren wir, haben wir die erste Lesung. Wehner: Danke. Wer wünscht das Wort? Axel Wernitz. Wernitz: Ja, Genossen, ich will nicht noch einmal das wiederholen, was ich zu Beginn der heutigen Sitzung schon gesagt habe. Aber der Andreas hat mit Recht, meine ich, noch einmal herausgearbeitet und herausgestellt, dass der Spielraum für Änderungen, und zwar speziell im Bereich öffentlicher Dienst bei dem Paket der 500 Millionen sehr begrenzt ist. Aber du hast gleichzeitig noch einmal gesagt oder angedeutet, dass man vielleicht in der Plenardebatte am Mittwoch andeuten sollte oder sagen sollte, dass man für Anregungen offen sei. Ich warne vor dieser Taktik. Wir haben hier, wenn tatsäch- lich es sich ja so herausstellen sollte, dass die FDP nicht wesentliche Veränderungen, Auswechslungen mitmacht, warn’ ich davor, dieses weiter fortzusetzen, weil wir nur tiefer in die Misere reinkommen dabei nach drinnen in die Partei und nach draußen. Das hat wirklich keinen Zweck, und zwar auch im Hinblick auf die Beratungen in den einzelnen Fachausschüssen und letztlich auch im Haushalt. Man müsste also am besten noch vor der morgigen Debatte, aber mit Sicherheit vor den Beratungen in den mitbe- ratenden Fachausschüssen und dann auch vor der Endberatung im Haushaltsausschuss wirklich abklären, was trägt die FDP mit und was geht nicht. Wir dürfen um Gottes willen keine zusätzlichen Erwartungen hier wecken, wenn die Liberalen nicht mitma- chen. Im Übrigen dann ein Bereich, der hier uns nicht unmittelbar betrifft, der aber politisch von uns sehr genau gesehen werden muss, das ist der Tarifbereich. Einige Genossen oder das Gros weiß vielleicht hier, dass der Bund unter den Tarifvertrag seine Unter- schrift bisher nicht geleistet hat im Gegensatz zu den beiden anderen Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes. Dies ist aus der Perspektive der Gewerkschaften eine problemati- sche Geschichte. Das wird auch das atmosphärische Verhältnis nicht gerade erleichtern.

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Das bietet natürlich auch einen gewissen Hebel, um manches synchron zu schalten mit dem, was im Gesetzesbereich passieren soll. Aber da darf man wohl auch, meine ich, nicht überdrehen, hier liegen manche Probleme drin. Genossen, ich bitte darum, dass in der Spitze der Fraktion noch einmal mit der Spitze der FDP gesprochen wird, was mitgetragen wird und was eben nicht mitgetragen wird. Es ist auf die Dauer für die nächsten Tage nicht haltbar, dass man da ins Blaue hinein marschiert. Hier muss jeder wissen in der Fraktion und auch diejenigen, die draußen vor Ort gefragt werden und die dann einfach nicht schwimmen können und Fragezei- chen verteilen, dass hier eine halbwegs klare Strategie so oder so herauskommt. Denn haben diese nicht, dann können wir die Opposition nicht zur notwendigen Nagelprobe zwingen, was sie denn nun eigentlich für Vorschläge bringt, sondern dann dividieren sie uns auseinander und sagen, was wollt ihr denn nun eigentlich, so dass eine völlig ver- kehrte und verdrehte Schlachtordnung herauskommt, die wir, wenn wir rechtzeitig schalten, vermeiden können und die, so meine ich, wir auch vermeiden müssen. Wehner: Weitere Wortmeldungen? Genossen, bei dieser Debatte kommt es, um das auch noch mal zu sagen, darauf an, jeder Versuchung zur Zerfaserung zu widerstehen. Die kann schon darin bestehen, dass plötzlich von CDU wegen irgendjemand, weil er ein entsprechendes Profil – wie man heute gerne sagt – braucht, auf irgendein Teilgebiet ausschert und meint, das zum zentralen machen zu können. Es kann uns auch passie- ren, dass also diese Strauß-Weise vorgetragen wird, ob von ihm selbst oder nicht, das war ja bis heute nicht zu erfahren, wo nun diese steuerlichen Fragen von ihm in ziemli- cher auch zwar Verschwommenheit, aber Gewichtigkeit dargebracht werden. Und ich glaube, in dem Punkt muss man Axel Wernitz unterstützen, keine zusätzlichen Erwar- tungen erwecken, wo keine Aussichten sind. Aber ich halte es für durchaus angemes- sen, mit gebotener – erstens mal offen zu lassen, wo wir es wissen, das ist noch erörte- rungsfähig –, mit gebotener Distanz und ohne, dass wir den Eindruck erwecken, wir wären hier diejenigen, die man also ausgebootet hätte, in einigen Punkt nicht verhehlen, dass wir bei Aufrechterhaltung des Rahmens und des Kerns eine Verlagerung für denk- bar und für wünschbar halten. Das muss nicht nur möglich sein, das kann auch mit Kunst so deutlich gemacht werden, dass man also etwas von unserer Schraffur dabei sieht. Also, wir müssen uns da sehr verständigen auch wegen der Debattenführung, dass ihr immer, immer aufpasst, dass wir nicht plötzlich auf Abwege von anderen ge- lockt werden. Claus Grobecker. Grobecker: Ich hab’ noch eine Frage zur Debattenführung. Ich hab’ gehört und ver- nommen, dass die Minister, die jeweils einen Artikel zu vertreten haben, also meinet- wegen Inneres oder dann Arbeit und Sozialordnung oder was es sonst noch gibt, Agrar, in diesem Artikelgesetz, dass die jeweils, als ob sie ein Gesetz einbringen, eröffnen jeweils und sich beteiligen wollen an dieser Debatte. Ist da was dran, kann das geklärt werden? Wehner: Nein, bis jetzt ist das nicht – ich schließe nie was aus, das gebe ich zu –, aber bis jetzt sieht die Sache sich für uns so an, dass der Bundesminister der Finanzen den Einstieg macht. Über alles andere muss man sich dann verständigen, denn das wäre ja nicht vorteilhaft. Das könnte nur notwendig sein, wenn eine unmittelbare Antwort vom Ressortminister erforderlich ist, auch nach unserer Meinung erforderlich ist. Die könnte sein, könnte sich zum Beispiel dann bei Arendt herausstellen, wenn da wieder diese Geißlerei22 hochgebracht wird und der Schatten dann darüber hängen soll, als ob

22 Gemeint ist vermutlich Heiner Geißler, Minister für Soziales, Gesundheit und Sport in Rheinland- Pfalz für die CDU.

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hier schon Modelle und so weiter und so weiter. Das gibt solche Fälle, aber über die müssen wir uns verständigen können. Noch Wortmeldungen? Nicht der Fall. Dann kommen wir zu Änderung Jugendwohlfahrtsgesetz, Günter Tietjen. Tietjen: Genossinnen und Genossen, das, was am Freitag, wenn der größte Teil von euch sicher nicht mehr hier sein wird, wir zur Änderung des Jugendwohlfahrtgesetzes beschließen wollen, will ich euch in ostfriesischer Kürze, aber dennoch, hoffe ich, prä- zis kurz zu erläutern versuchen. Mit der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters wurde in das Jugendwohlfahrtgesetz ein neuer Paragraph 75 a eingefügt. Es wurde seinerzeit einmütig nicht für notwendig erachtet, den Paragraphen 6 zu erweitern. Mit dem neuen

Paragraphen 75 a wurde die Weitergewährung von Hilfen in der freiwilligen Erzie- hungshilfe und in der Fürsorgeerziehung untermauert, und zwar untermauert über das neue Volljährigkeitsalter hinaus. Inzwischen hat sich in einigen Fällen gezeigt, dass die Jugendämter unterschiedlich die Auslegung der Weiterführung über das 18. Lebensjahr hinaus handhaben, und das war für die Opposition, aber auch für den Bundesrat Ver- anlassung, Gesetzesentwürfe vorzulegen. Diese Entwürfe sind im Ausschuss für Ju- gend, Familie, Gesundheit beraten worden. Wir haben eine nichtöffentliche Anhörung durchgeführt und die Stellungnahmen vor dieser nichtöffentlichen Anhörung haben unsere Mitglieder des Ausschusses veranlasst, Änderungsanträge einzubringen, es sieht jetzt also so aus – und diese Änderungsanträge wurden einstimmig angenommen –, es sieht jetzt also so aus, dass ein neuer Absatz 3 zum Paragraphen 6 eingefügt wird, in dem es heißen soll, dass bereits eingeleitete Maßnahmen zur schulischen oder berufli- chen Bildung einschließlich der Berufsvorbereitung über den Zeitpunkt der Volljährig- keit hinaus fortgesetzt werden kann, wenn der Volljährige dies beantragt und sich be- reit erweist, am Erfolg der Maßnahmen mitzuwirken. Wir sind über das, was die Op- position im Bundestag, aber auch im Bundesrat wollte, hinausgegangen. Diese beiden Gesetzentwürfe sagen aus, dass mit Erreichung des 21. Lebensjahres eine Weiterfüh- rung der Hilfe nicht als erforderlich angesehen wurde. Wir meinen, dass es durchaus notwendig sein kann, diese Hilfe auch über das 21. Lebensjahr hinaus zu gewähren. Wir bitten, diesem einstimmig angenommenen Gesetzentwurf im Ausschuss auch am Freitag die Zustimmung zu geben. Debattenredner in der kurzen Runde darf ich sein. Danke. Wehner: Wird das Wort gewünscht? Wird nicht gewünscht. Einverständnis also. Dann Rudi Hauck: Gesundheitsabkommen. Hauck: Es handelt sich beim Gesundheitsabkommen um das erste Folgeabkommen nach dem Grundlagenvertrag. Es wird die Zusammenarbeit zwischen der DDR und der Bundesrepublik auf dem Gebiete der medizinischen Versorgung beim Reise- und Be- suchsverkehr geregelt, Informationsaustausch, wissenschaftliche Spezialbehandlungen und auch das Zusammenwirken bei der Rauschmittel- und Drogenbekämpfung. Berlin ist voll mit einbezogen. Das ist eine wichtige Voraussetzung und im Laufe des Gesetz- gebungsverfahrens haben wir dieses zunächst auf Verwaltungsbasis zustande gekom- mene Ratifizierungsgesetz zu einem Geldleistungsgesetz gemacht. Es wird also ge- nannt, wer die Leistungen erbringen muss und was sie kosten. Und es ist vielleicht noch von Interesse, dass die Delegationsleiter in einer Zusatzerklärung zum Protokoll erklärt haben, dass auch die örtliche Zusammenarbeit in besonderen Gefahrenbereichen in Berlin, an der Zonengrenze und so weiter durch dieses Gesetz abgedeckt ist. Wehner: Wird das Wort gewünscht? Wir sollten das ein wenig herausheben, Rudi. Das brauche ich dir ja nicht zu sagen, das muss man wirklich machen. Nicht, das wird alles, solche Sachen werden totgeschwiegen. Werden sie dann zwar auch noch, aber das kann man dann verwenden. Jetzt kommen wir zu dem Gesetz, das – ich sage das hier an

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dieser Stelle auch noch mal – 249 Stimmen erfordert. Keine weniger! Aber ein paar mehr kann es auch aushalten. Klaus Konrad. Konrad: Genossinnen und Genossen, das Gesetz ergänzt, wie sein Name sagt, das Benzinbleigesetz. Im Benzinbleigesetz ist festgelegt, dass ab 1. Januar ’76 nur noch 0,15 Gramm Blei je Liter Kraftstoff beigemischt sein dürfen. Weil sich bei der Einführung der ersten Stufe gewisse Schwierigkeiten ergeben hatten, will man mit dem Ergän- zungsgesetz diese Schwierigkeiten vermeiden. Zwei Regelungen: Erstens, es muss an den Tankstellen bekanntgemacht werden, welchen Kraftstoff man braucht, so einfach will ich das hier sagen. Zweitens, für eine Übergangszeit von zwei Jahren darf höher verbleites Benzin eingeführt werden und auch abgesetzt werden. Dafür wird eine Aus- gleichsabgabe erhoben. Das alles ist unstreitig. Darüber wird es keine wesentliche Dis- kussion geben. Es könnte sein, dass bei der CDU/CSU-Fraktion mittelständische In- teressen vorgebracht werden. Aber da alle mitberatenden Ausschüsse sich auch dem Gesetzesvorschlag angeschlossen haben, könnte man eigentlich mit wirklichen Überra- schungen nicht rechnen. Die Notwendigkeit, dass das Gesetz 249 Stimmen braucht, ergibt sich daraus, dass den Hauptzollämtern – also unteren Bundesbehörden – eine neue Aufgabe übertragen worden ist. Für unsere Fraktion soll ich kurz etwas zum Gesetz sagen. Man kann ja nichts Neues mehr sagen, nachdem vor einem Jahr der Bun- destag einstimmig sich zu den Zielen des Benzinbleigesetzes bekannt hat. Es gibt also wie üblich in Umweltschutzsachen Friede, Freundschaft, Eierkuchen. Wehner: Und dennoch sage ich, das stimmt nicht, denn wenn wir nicht dafür sorgen, dass die 249 Stimmen aufgebracht werden, werden am Freitag die CDU-Leute sich einen feuchten Schmutz darum kümmern, trotz Umwelt, ob diese Stimmen da sind. Das hängt ganz von uns ab. Konrad: Ich habe nicht mal in Gedanken gewagt, von deiner vorher verkündeten An- sicht abzuweichen. Ich habe dazu gar nichts gesagt. Wehner: Nein, es geht doch nicht darum, Klaus. Aber du weißt doch ganz genau, wie die menschliche Natur ist – deine, meine auch und so weiter –, plötzlich fehlen die. Konrad: Ja, ich meinte, nach dir nicht auch noch zur Anwesenheit auffordern zu dür- fen. Dein Wort gilt doch hier. Wehner: Nee. (Heiterkeit.) Das habe ich kürzlich mal in der »Süddeutschen Zeitung« gelesen, dass das infrage nicht nur gestellt sei, sondern tatsächlich nicht so sei. Dann kommen wir, Rolf Schwedler, zu mietpreisrechtlichen Vorschriften Berlin. Schwedler: Genossinnen und Genossen, Konrad Porzner hat schon gesagt, dass die drei potenziellen Berliner Sprecher aus den Fraktionen sich geeinigt haben auf eine Diskus- sionsrunde, die ja eventuell noch da auf dem grünen Zettel stand, zu verzichten, so dass das also kurz geht. Ich kann mich hier auch kurzfassen. Über den Inhalt dieses Gesetz- entwurfs habe ich vor der ersten Lesung hier bereits gesprochen. Es sind auf Anregung des Justizministers zwei kleine, drei kleine Änderungen, die aber fast nur redaktionellen Charakter haben, mit eingearbeitet worden. Die beiden mitberatenden Ausschüsse haben einstimmig zugestimmt. Der Bauausschuss hat in der letzten Sitzung, musste die Schlussabstimmung noch aussetzen, bis die mitberatenden Ausschüsse votiert haben. Er wird diese nachholen, hat aber bei der Einzelabstimmung auch einstimmig zuge- stimmt. Er wird also die Schlussabstimmung morgen Nachmittag nachholen. Wehner: Wird das Wort gewünscht? Keine Widersprüche. Dann kommen wir zu steu- erlichen Maßnahmen Unternehmensformen, CDU/CSU-Entwurf.

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Huber: Genossinnen und Genossen, 30 CDU-Abgeordnete haben eine Vorlage einge- bracht, in der sie das Umwandlungsteuergesetz wieder aufleben lassen wollen, das von 1969 bis ’72 gegolten hat. Es dreht sich dabei um die Befreiung in zwei Steuerarten, nämlich der Grunderwerbsteuer und der Gesellschaftsteuer. Das Gesetz war damals befristet, weil man schon fürchtete, dass es mit erheblichen Kosten verbunden ist. Nunmehr will die CDU zur Stärkung der mittelständischen Bemühungen, in Kapital- gesellschaften umzuwandeln, wiederum erneut befristet, aber ohne Nennung von Fri- sten dies selbe Gesetz wieder einführen. Diesmal ist nur eine Einbahnstraße konzipiert in puncto Umwandlung, denn früher wurde jede Umwandlung begünstigt. Jetzt sollen nur die in eine Kapitalgesellschaft begünstigt werden. Damit hofft man, Mitbestim- mungsprobleme auszuklammern. Was die Gesellschaftsteuer betrifft, so gibt es insbesondere beim ersten Punkt der Ein- bringung von Vermögen in Gesellschaften gegen Überlassung von Gesellschaftsrechten erhebliche Bedenken in der Kostenfrage. Wir haben zwischen 1970 und ’74 ein

Wachstum gehabt von 80 000 auf 112 000 GmbH. Hier dürfte ein erheblicher Anteil Umwandlung sein und hier sind also jetzt die Kosten verborgen. Die Einbringung und auch die Umwandlung sind beide nach neuem EWG-Recht von 1969 nicht mehr statt- haft. Der dritte Punkt, die Verschmelzung einer AG mit einer anderen AG oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien, ist zwar nicht von der EG her nicht statthaft, je- doch ist sie schon jetzt, ist sie schon jetzt mit dem halben Steuersatz sozusagen begün- stigt. Die Mittelform, nämlich die zweite, die Umwandlung, ist übrigens, fällt voll- kommen aus dem Rahmen. Das hat die CDU wohl offenbar übersehen, denn bei dieser Art Umwandlung entsteht sowieso keine Steuerpflicht, da es sich hier nur um eine formwechselnde Umwandlung handelt. Also Kostenbedenken und EG-Richtlinien. Die zweite Steuer, nämlich die Grunderwerbsteuer stößt auf keinerlei Bedenken bei der EG-Frage, jedoch geht es hier um dieselben Probleme. Die Frage bei der Umwandlung ist genauso wie dann im ersten Punkt, entfällt eigentlich, weil schon steuerbefreit und bei der letzten Frage, der Verschmelzung, muss man eigentlich fragen, warum dem Mittelstand dann ausgerechnet mit der Verschmelzung von Aktiengesellschaften gehol- fen werden soll, denn der Fall GmbH AG ist völlig ausgeklammert. Auch bei dieser Steuer bestehen erhebliche Bedenken hinsichtlich der Kostenfrage. Und also sagen wir, dass diese Vorlage von uns wohl nicht akzeptiert werden kann. Wehner: Wer wünscht das Wort? Nicht der Fall. Dann kommen wir zu dem Gesetz, das wir am Freitagfrüh mit Mehrheit, mit großer Mehrheit auf die Tagesordnung brin- gen müssen, nachdem es aus anderen Gründen schon so lange liegen geblieben ist. Hugo Brandt. Brandt (Grolsheim): Genossinnen und Genossen, soweit es den Inhalt, den wesentli- chen Inhalt des Gesetzes betrifft, habe ich euch in die Fächer eine Darstellung legen lassen. Ich brauche im Einzelnen darauf nicht mehr einzugehen. Es geht um folgende Prinzipien dabei: Konrad Porzner hat schon darauf hingewiesen, dass dies ein altes Anliegen ist, ein Strafvollzugsgesetz zu haben, und wir im Übrigen auch dabei unter dem Druck des Bundesverfassungsgerichts noch stehen und das Problem darin bestand, nicht nur hier ein Rechtsstellungsgesetz zu machen, sondern, sagen wir einmal vorsich- tig, dieses Gesetz mit Reformelementen zu verbinden, die entwicklungsfähig sind und auch einer langfristigen Entwicklung bedürfen. Dies alles ist nicht kurzfristig zu ma- chen. Es geht dabei, vielleicht sollte man das auch einmal noch kurz erwähnen, nicht etwa um mehr Freiheiten innerhalb des Strafvollzuges. Da gibt es eine gewisse Propa- ganda, der man entgegentreten muss. Ich hoffe, dass dies gelingt, das in der Lesung – in der zweiten und dritten Lesung – am Freitag deutlich zu machen, wobei wir dort si-

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cherlich auch vermeiden müssen, allzu sehr in die Details, sehr komplizierten Details dieses Gesetzes einzugehen, sondern die große Linie der Gedankenführung deutlich zu machen und die dann auch nach draußen zu vertreten. Es geht dabei erstens um die Frage, ob die Strafe, die von den Gerichten ausgesprochen worden ist, die Freiheitsstrafe, innerhalb des Vollzugs zu mehr wird als Freiheitsent- zug. Der Grundsatz, dass das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen angeglichen wird, hat, wenn man ihn ernst nimmt, Konsequenzen für die Vollzugsge- staltung. Dies ist im Einzelnen dann dort ausgeführt. Wenn man will, dass die Zeit des Freiheitsentzugs sinnvoll genutzt wird, um die Zeit nach der Entlassung vorzubereiten, ein möglichst straffreies Leben zu führen, hat das ebenfalls Konsequenzen für die Voll- zugsgestaltung. Im Zentrum der Überlegungen stehen nicht die Fragen der Hafterleich- terungen, sondern vor allen Dingen die Fragen der Ausbildung, der Weiterbildung, der Arbeit, der Arbeitsentlohnung und der Einbeziehung in die Sozialversicherung. Wer von dem sinnlosen und überdies sehr teuren Verwahrvollzug wegkommen will, auch im Verhältnis zu dem, was er erreichen kann, der muss solche Konsequenzen ziehen. Wir haben das versucht auf der Grundlage des Entwurfs der Bundesregierung, der seinerseits wieder auf der Grundlage der Kommission, die damals von Gustav Heine- mann 1967 eingesetzt wurde, erarbeitet worden ist. Zu dem Verfahren noch einige Worte. Bei dem eingeschlagenen Verfahren hat es dazu geführt, dass über einen komplizierten Einigungsprozess Opposition und Regierungs- koalition sich in allen Punkten geeinigt haben. Darüber hinaus ist aber auch in einem, wenn man so will, vorgeschalteten Vermittlungsausschussverfahren Einigkeit, volle Einigkeit erzielt worden mit dem Bundesrat. Dort waren die Beauftragten, dort waren die Beauftragten des Bundesrates Posser, Theisen, Hillermeier und Klug beteiligt. Es gibt also von der justizpolitischen und vollzugspolitischen Seite keinen Punkt mehr, der im Streit wäre. Dies ist alles im Vorfeld erledigt worden. Dies Gesetz kann also ein- stimmig verabschiedet werden. Umso bedauerlicher ist es für mich, es mag dafür sehr gute Gründe geben, dass es streitig auf die Tagesordnung gesetzt werden muss. Ich kann dies nicht beurteilen, ob dies so sein musste. Wenn es sein muss, muss es halt sein. In der Sache, hoffe ich, wird sich das nicht niederschlagen. Wenn ich vorhin sagte, justizpolitisch ist das nicht im Streit und vollzugspolitisch, gilt das keineswegs für die finanzpolitische Seite. Ich bin sicher, dass uns hier noch einige Schwierigkeiten bevorstehen werden, die wir allerdings dann abzuwarten haben. Im- merhin, ohne das im Einzelnen aufzuschlüsseln, wird es einen Kostenaufwand jährlich geben für die Länder insgesamt von meiner Schätzung nach aufgrund von einigen Zah- len, die alle nicht sehr hart sind, aber doch zwischen 40 und 50 Millionen liegen dürf- ten. ’77, ’78, ’79 und 1980 wird sich das sicherlich noch erhöhen, weil dann einige ande- re Maßnahmen getroffen werden müssen. Sollte es auf finanzpolitische Bedenken sto- ßen seitens der Finanzminister der Länder, dann wird man sehen müssen, ob man bei den Befristungen und bei den Einführungsterminen zu einem Kompromiss kommt. Zunächst einmal geht es aber darum, das Gesetz in seinem Sinngehalt zu verdeutlichen und auch vielleicht einen Appell an die zu richten, die von der finanzpolitischen Seite gefragt sind, denn hier muss eine Entwicklung eingeleitet werden. Wir können damit nicht mehr abwarten. Ich hoffe, dass wir am Freitag dann mit einer Runde klarkom- men. Aber dies wird die Geschäftsführung auch besser wissen, als ich das im Augen- blick beurteilen kann. Ich selber werde dann wohl für die Fraktion dazu sprechen. Ich denke, dass man in 20 bis 25 Minuten alles Wesentliche zu diesem Gesetz sagen kann. (Vereinzelter Beifall.)

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Wehner: Danke. Um noch mal zurückzukommen mit einer Bemerkung auf diese Schwierigkeit, dass wir das auf die Tagesordnung bringen müssen. Ursprünglich waren die einverstanden, als zum Beispiel eine Diskussion war, ob man 218 auch oder statt- dessen, waren sie auch noch dafür, Strafvollzugsgesetz. Warum sie jetzt plötzlich umge- schaltet haben, das hat sich noch niemand erklären können. Das ist vielleicht einfach ihre Taktik, alles schwierig zu machen. Bitte. Brandt (Grolsheim): Es gibt zwei Punkte, die angeführt worden sind in der Diskussi- on, weshalb sie’s nicht haben wollen. Ich will das nur der Vollständigkeit halber dann sagen. Der eine Punkt war, dass der Haushaltsausschuss bis jetzt noch nicht nach 96 sich dazu geäußert hat. Dies wird der Haushaltsausschuss, so wie ich [von] von Bülow erfahren habe, morgen Nachmittag tun. Und die zweite Begründung war, dass es wohl einige in der CDU-Fraktion gibt, die eine – na, Junktim ist abgestritten worden –, aber jedenfalls eine gewisse Verbindung herstellen wollten zu dem Gesetz zur Entschädi- gung der Opfer von Gewalttaten. Wehner: Ja, dies haben sie auch gesagt. Brandt (Grolsheim): Dies waren also die offiziellen Begründungen in Gesprächen. Dies war auch mit den Leuten, mit denen wir sonst sehr gut zusammenarbeiten, nicht weg- zuschaffen. Wehner: Aber das Letzte ist erst neu von ihnen ins Feld geführt worden, vorher haben sie das gar nicht beachtet. Gut, wir werden sehen, dass wir durchkommen. [E.] Wehner: Dann zu Punkt 13 gibt’s eine Arbeitsgruppe. Vorlage ist in euren Händen. . Timm: Ja, Genossen, die Frage der Direktwahl des Europäischen Parlaments wird ja jetzt auch dringlich für uns alle hier im Bonner Parlament und wir müssen dazu recht rasch für unsere politische Diskussion eine Stellungnahme erarbeiten. Deshalb diese kleine Ad-hoc-Arbeitsgruppe, in der verschiedene Mitglieder aus verschiedenen Ar- beitskreisen mitarbeiten wollen, die heute auch schon ihre erste Sitzung gehabt haben und den Auftrag haben, uns spätestens bis 1. Dezember eine Diskussionsgrundlage zur Entscheidung hier in der Fraktion mit vorzulegen. Wehner: Also das sind Seefeld, Schäfer, Männing, Schulte, Corterier. – Schweitzer. Schweitzer: {…} eine Frage, Helga, ich habe sie eben schon angeschnitten. Es gibt ja schon eine Arbeitsgruppe der Fraktion zu diesem Thema. Frage: Was ist aus der ge- worden unter Alfons Bayerl? Existiert sie noch? Soll sie daneben existieren und wenn ja, könnte man ja vielleicht die irgendwie koordinieren oder aber den Mitgliedern der schon bestehenden Arbeitsgruppe die Möglichkeit bieten, sich von der neuen Arbeits- gruppe, sofern sie das wünschen, kooptieren zu lassen. Timm: Sicherlich hat die andere Arbeitsgruppe, von der ich also nie Resultate gehört habe und die ja auch mehr im europäischen Bereich gearbeitet hat, nicht in die Fraktion direkt zurückgewirkt. Das war das Problem, vor dem wir direkt standen, und was sie erarbeitet hat, müsst ihr schon mit einspeisen. Wehner: Also es ist ja kein Hindernis, dass diejenigen, die hier genannt sind, mit denen, die da eventuell etwas dazu beitragen können, zusammenarbeiten. Dann mache ich noch mal aufmerksam, was die Termine betrifft, nächsten Dienstag 14 Uhr. Wird das Wort zu Verschiedenem gewünscht? Nicht. Tut mir leid, dann danke ich und schließe.

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