Samstag, 19. April 2014 | Nordwestschweiz Kultur 19

Schweizer Film im Hauptwettbewerb von Cannes

VON IRÈNE WIDMER (SDA)

Mit Jean-Luc Godards «Adieu au lan- gage» startet erstmals seit elf Jahren Der Favorit wieder ein Schweizer Film im Haupt- Shem Thomas wettbewerb in Cannes. Mit «Sils Ma- ria» von Oliver Assayas ist ausserdem Shem: «Ich bin sehr dankbar für eine Schweizer Koproduktion eben- alle Erfahrungen, die ich sam- falls im Rennen um den Hauptpreis, meln durfte. Es ging mir nie um die Goldene Palme. einen Podestplatz oder ums Ge- Eröffnet wird das Festival mit winnen, sondern ich habe es «Grace de Monaco», einem Film des auf mich zukommen lassen und französischen Regisseurs Olivier Da- egal was kommt, ich werde han über Grace Kelly mit Nicole Kid- weiter Musik machen.» man in der Hauptrolle. Die Jury wird von der neuseeländischen Regisseu- Mit dieser Gelassenheit starte- rin Jane Campion geleitet. te Shem bereits in die Blind- Die Nennung von Godard («Ausser Auditions, man spürte regel- Atem», «Die Verachtung») war wohl recht seine grosse Freude an die grösste Überraschung der Pro- der Musik und sein Gefühl für grammpressekonferenz des künstle- die Musik. Auf der Bühne ist er rischen Leiters Thierry Frémaux. Der präsent und hat eine Energie 39. Spielfilm der 83-jährigen Regie- wie keiner der anderen Final- legende wurde in 3-D gedreht. kandidaten. Seine Stimme Neben Godard findet sich eine Rei- überzeugt mit einem grossen he prominenter Namen im Aufgebot, Range und einem hohen Wie- namentlich auch unter den Darstel- dererkennungswert. lern: Olivier Assayas drehte «Sils Ma- ria» mit Juliette Binoche, Kristen Ste- wart und Daniel Brühl – der Schwei- zer Gilles Tschudi spielt darin den Zürcher Stadtpräsidenten. Bertrand Bonello inszenierte «Saint Laurent» mit Léa Seydoux und Louis Garrel, Michel Hazanavicius («The Artist») arbeitete für «The Search» erneut mit Berenice Bejo, und Jean-Pierre und Luc Dardenne holten für «Deux Jours, Une Nuit» Ma- rion Cotillard vor die Kamera.

Jede Menge Hollywood-Glamour Auch auf Hollywood muss Cannes naturgemäss nicht verzichten: David This is of Switzerland Cronenberg engagierte für «Maps to the Stars» Robert Pattinson, John Cu- Finale Das Publikumsvoting erschwert eine Sieger-Vorhersage – wir wagen sie trotzdem sack und Julianne Moore, Tommy Lee Jones griff für seine neue Regiearbeit «The Homesman» unter anderen auf VON NOËLLE KÖNIG cole Bernegger, Siegerin der ersten Art haben, die bei den Leuten hängen Musikbusiness schaffen.» Laut Herr- Hilary Swank und Meryl Streep zu- Staffel, antreten. Zuerst müssen sie bleibt». Aber eine genauere Vorhersa- mann hat es Stress bereut, sich nicht rück, und Bennett Miller verfügte bei noch einmal ihr Können unter Beweis ge will er nicht wagen. für Shem gedreht zu haben. Dann «Foxcatcher» mit Channing Tatum, stellen. Ein zu grosser Unsicherheitsfak- hätte dieser wie Nicole Bernegger da- Mark Ruffalo und Steve Carell eben- Einen Coversong, ein Duett und tor ist die Abstimmung durch das zumal alle vier Coaches überzeugt. falls über einen Star-Cast. den eigenen Siegersong performen sie Publikum. Das hat sich auch im Aber auch mit nur drei Stühlen sa- Unter den 18 Wettbewerbsfilmen, heute Abend in der Bodensee-Arena in Halbfinale gezeigt. Gleich in zwei gen wir: Shem gewinnt. die Frémaux bekannt gab, befinden Romanshorn. «Bei diesem Finale ist der Teams zog nicht das vom Coach sich auch die neuen Arbeiten der Alt- nd the Voice of speziell, dass wir internationale Stars bevorzugte Talent in den Final ein. Das grosse Finale heute Abend, 20.10 meister Mike Leigh («Mr. Turner») Switzerland in der Show haben. Das heisst, die Ta- Nach welchen Kriterien die Zuschau- Uhr auf SRF 1. und Ken Loach («Jimmy’s Hall»), die is ...» Ja, wer lente müssen bei den Duetten ihre er heute Abend entscheiden werden, kanadischen Werke «Mommy» von wird es sein? Heute ist das Finale der Stimmlage an die der Stars anpassen», wird wohl auch nach der Wahl unge- Xavier Dolan und «Captives» von Azweiten Staffel «The Voice of Switzer- erklärt Fred Herrmann, der mit Pele wiss bleiben. Herrmann sagt: «Das Atom Egoyan sowie «Kis Uykusu» und land». Vier Kandidaten kämpfen um Loriano die musikalische Leitung bei Wichtigste ist, dass man mit seiner Videos zu den Auftritten der Finalisten «Futatsume no mado» der Cineasten- den Titel. Tiziana Gulino, Rahel Buch- «The Voice» inne hat. Im Finale sieht Musik die Menschen emotional be- und die Statements der Coachs finden lieblinge Nuri Bilge Ceylan und Nao- hold, Shem Thomas und Peter Brand- Hermann Tiziana und Shem vorne, da wegt und eine grosse Persönlichkeit Sie nach der Sendung online. mi Kawase. Insgesamt wurden 1800 enberger wollen die Nachfolge von Ni- sie beide «eine spezielle Stimme und mitbringt. Dann kann man es im Spielfilme eingereicht, berichtete Frémaux.

Ist Godard Cannes verleidet? Der letzte Schweizer Beitrag im Hauptwettbewerb war 2003 die Ko- produktion «Ce jour-là» des Chilenen Raoul Ruiz. Jean-Luc Godard, der als Sohn von Schweizer Eltern in Paris geboren und 1953 in Gland VD einge- bürgert wurde, war 2010 mit «Film socialisme» in die zweitwichtigste Wettbewerbssektion «Un certain re- gard» eingeladen. Der damals knapp 80-Jährige ver- weigerte allerdings sein persönli- ches Erscheinen. Als Grund nannte er «die Strapazen und eine gewisse Lustlosigkeit». Für ihn war und ist Platz 2 Platz 4 Cannes ja alles andere als Neuland. Tiziana Gulino 2001 ging er mit «Eloge d’amour» Rahel Buchhold ins Rennen und 1990 mit «Nouvelle vague». Die Goldene Palme blieb Tiziana: «Beim Singen kann ich die ihm verwehrt, ebenso wie zuvor sei- Leute mit Gefühlen berühren, die Rahel: «Musik ist mein Leben, mein La- nen Filmen «Sauve qui peut (la vie)» überhaupt nicht erzwungen sind. chen. Nun möchte ich das, was ich ma- (1980), «Passion» (1982) und «Détéc- Ich liebe es einfach, Musik zu ma- che, gerne einmal in professionelle tive» (1985). chen.» Platz 3 Hände legen. Ich habe viel zu sagen Eine Goldene Palme gab es für die und die Musik ist ein guter Weg, mich Peter Brandenberger Schweiz zwar nie, dafür eine Hand- Diese Gefühle spürt man auch aus mitzuteilen.» voll andere Preise: 1946 den Grossen dem Fernseher heraus – bis auf Preis für «The Last Chance» von Leo- die Couch. Bei der erst 17-jährigen Peter: «Im Finale möchte ich einfach eine gute Leistung abliefern, die Rahel hat eine schöne soulige Stimme pold Lindtberg, 1958 einen Spezial- hört man, dass sie extrem musika- rechtfertigt, dass ich hier dabei war. Vor einem möglichen Sieg habe ich und auf der Bühne grosse Präsenz, je- preis für «Bronze Faces» von Bern- lisch ist. Sie hat eine grosse Präzi- sehr grossen Respekt.» doch fehlte an manchen Stellen das hard Taisant, 1973 den Preis der Jury sion beim Singen, sowohl was die Gefühl. Leider war auch keine deutli- für «L’invitation» von Claude Goretta Töne als auch was das Timing an- Peter hat wohl von der Blind-Audition bis in die Live-Shows die grösste che Steigerung erkennbar. Ein Grund und 1981 denselben für «Light Years belangt. Jedoch ist ihre Stimme Entwicklung gemacht. Er legt viel Gefühl in die Lieder, hat eine sehr an- dafür könnte die Songauswahl sein. Away» von Alain Tanner. (jetzt noch) eher eingeschränkt auf genehme, warme und sympathische Stimme. Jedoch hat sie nicht eine Während sie ihr Blind-Auditions-Stück ruhige Songs, wirkt manchmal ein so grosse Vielfalt und einen so hohen Wiedererkennungswert wie die mit Lockerheit sang, wirkten ihre Bei- Internationales Filmfestival Cannes bisschen mädchenhaft. Stimme von Shem. Auch an Präzision fehlt es manchmal noch. träge danach oft angestrengt. 14. bis 25. Mai.