 THEMA STÄRKUNG DER EUROPÄISCHEN DEMOKRATIE: EUROPAWAHL, ENGAGEMENTPOLITIK UND ZIVILGESELLSCHAFT

DOSSIER Nr. 6  BBE DOSSIER NR. 6

STÄRKUNG DER EUROPÄISCHEN DEMOKRATIE: EUROPAWAHL, ENGAGEMENTPOLITIK UND ZIVILGESELLSCHAFT

Europawahl, Engagementpolitik und Zivilgesellschaft stehen im Fokus des sechsten Dossiers, das kurz vor der Europawahl 2019 erscheint. Wie die Spitzenkandidat*innen die Rolle der Zivilgesellschaft und Relevanz der En- gagementpolitik einschätzen lässt sich im Teil I nachlesen. Viele zivilgesell- schaftliche Akteure setzen sich mit Kampagnen lokal, regional, national und europaweit für eine zunehmend gefährdete Demokratie in Europa ein. Positionen der Zivilgesellschaft zur Zukunft Europas sind ein wichtiger Teil des Dossiers. Auch im Jahr 2014 befragten wir die damaligen (Spitzen) Kandidat*innen zur Europawahl zu Engagement- und Demokratiepolitik und haben in den BBE Europa-Nachrichten die Europawahl und Wahlbe- teiligung aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Ein Rückblick doku- mentiert im Vergleich, wie es »damals« war, welche politischen Akzente, Erwartungen und Forderungen 2014 aktuell waren.

ISBN 78-3-948153-00-7 INHALTSVERZEICHNIS

3 Editorial

4 I SPITZENKANDIDAT*INNEN ÜBER DIE ROLLE DER ZIVILGESELLSCHAFT

4 Wieland, MdEP: Das Europa der Bürger wählen! 6 Barley, Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz: Kommt zusammen und macht Europa stark 10 Neumann: Für ein Europa der Herzen 13 Ernst, MdEP: Ohne Zivilgesellschaft wäre EU nur autoritärer Binnenmarkt 18 Beer, MdB: Chancen zivilgesellschaftlichen Engagements nutzen 21 Ripa: Europawahl und Zivilgesellschaft 25 Bordelais: Vereintes Europa mit einer starken Zivilgesellschaft 28 Caspary, MdEP: Europawahl zwischen Parlament, Populismus und Partizipation 31 Noichl, MdEP: EU muss auch ein Projekt der Bürgerinnen und Bürger sein 33 Geier, MdEP: Relevanz bürgerschaftlichen Engagements 36 Kandidat*innen für das Europaparlament wollen eine Intergroup Volunteering des Europäischen Parlaments 44 EBD: Synopse der Europawahlprogramme 2019 der größten deutschen Parteien

58 II POSITIONEN DER ZIVILGESELLSCHAFT ZUR ZUKUNFT EUROPAS FÜHRUNG

58 Heuberger: »Nicht ohne Uns!« 60 Berlin Agenda 68 Nordmann: Europa braucht uns – wir brauchen Europa! 70 Hoffmann: Europa. Jetzt aber richtig! 73 Lilie: UNERHÖRT! Diese Antieuropäer*innen 79 Hatzinger: Die Zukunft der EU als Thema der Kirche 84 Moos: Wer rettet die liberale Demokratie in Europa? 90 Keuchel: Europa und Transformationsprozesse zu einer nachhaltigen Gesellschaft 95 Strachwitz: Kann Zivilgesellschaft Europa? 100 Butt-Pośnik: Kulturkampf Heimat/en in Europa?

103 III RÜCKBLICK: EUROPAWAHL 2014 UND ENGAGEMENTPOLITIK

103 McAllister: Engagementpolitik und Europa 107 Karas, MdEP: EP - DIE Bürgerkammer Europas 109 Ferber, MdEP - Interview zu Europa und Engagementpolitik

BBE DOSSIER NR. 6 | 1 Inhaltsverzeichnis

112 Bullmann, MdEP: Europas Weg aus der Vertrauenskrise: Demokratie, Zivilgesellschaft, Zusammenhalt 116 Harms, MdEP: Europawahl 2014, Engagementpolitik und Zivilgesellschaft 120 Zimmer, MdEP: Europawahl 2014, Engagementpolitik und Zivilgesellschaft 124 Mölzer, MdEP: Ambivalentes Verhältnis der EU zur Zivilgesellschaft 127 Stadler, MdEP: Zivilgesellschaft als Abwehrkraft gegen Bürokratie 131 Wieland, MdEP: Diese Wahl ist anders! 134 Sippel, MdEP: Demokratie braucht aktive Demokraten 137 Keller, MdEP: Der Jugend eine Stimme geben BBE-Newsletter Online

139 Impressum 140 BBE-Newsletter online

2 | BBE DOSSIER NR. 6 EDITORIAL

»Noch wenige Wochen, dann sind wir mengeführt. Dort wurden gemeinsame alle aufgerufen, die Weichen für Europas Forderungen der europäischen Zivilge- Zukunft zu stellen. Die Vorstellungen für sellschaft formuliert und verabschiedet: diese Zukunft könnten kaum unterschied- zu Reformbedarfen der EU, zu mehr licher sein«. Das schrieb Europaabgeord- bürgerschaftlicher Mitwirkung und De- nete Rainer Wieland, Vizepräsident des mokratiestärkung, zur Stärkung des ge- Europäischen Parlaments, im April 2019 sellschaftlichen Zusammenhalts sowie in den BBE Europa-Nachrichten. Diese zur wirksamen Auseinandersetzung mit Unterschiedlichkeit in den Vorstellungen rechtspopulistischen, nationalistischen drückt sich auch in den Beiträgen aus, die Tendenzen. Diese »Berlin Agenda der eu- (Spitzen)Kandidat*innen zur Europawahl ropäischen Zivilgesellschaft« ist ein wich- und der zivilgesellschaftlichen Akteure für tiger Teil des Dossiers. die BBE Europa-Nachrichten und den BBE- Newsletter verfassten und die wir im vor- Auch im Jahr 2014 befragten wir die da- liegenden Dossier zusammenstellen. maligen (Spitzen)Kandidat*innen zur Europawahl zu Engagement- und De- Viele zivilgesellschaftliche Akteure set- mokratiepolitik und haben in den BBE zen sich mit Kampagnen lokal, regional, Europa-Nachrichten über die Europawahl national und europaweit für eine zuneh- und Wahlbeteiligung aus verschiedenen mend gefährdete Demokratie in Europa Blickwinkeln zu betrachtet. Ein Rückblick ein. Sie kritisieren die Gefährdung von dokumentiert im Vergleich, wie es »da- Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und mals« war, welche politischen Akzente, die Einschränkungen bürgerschaftlicher Erwartungen und Forderungen 2014 aktu- Freiheitsrechte. Im Vorfeld der Europa- ell waren. Der Rückblick ermöglicht auch wahlen und der heißen Kampagnenpha- Längsschnitt-Einblicke zur Entwicklung gar se 2019 hat die europäische Konferenz nicht so unwichtig, wenn es darum geht, »Nicht ohne Uns!« – organisiert vom Eu- mit diesem Dossier zu einer sachlichen ropean Civic Forum und vom BBE – Kam- Debatte im Bereich der Engagement- und pagnen, Visionen und konkrete Ideen Demokratiepolitik und ihrer Entwicklung aus vielen europäischen Ländern zusam- beizutragen.

BBE DOSSIER NR. 6 | 3 I SPITZENKANDIDAT*INNEN ÜBER DIE ROLLE DER ZIVILGESELLSCHAFT

RAINER WIELAND, MDEP DAS EUROPA DER BÜRGER WÄHLEN!

Noch wenige Wochen, dann sind wir alle man daher nicht oft genug betonen, wie aufgerufen, die Weichen für Europas Zu- wertvoll eine aktive, eng vernetzte europä- kunft zu stellen. Die Vorstellungen für diese ische Zivilgesellschaft hierfür ist. Wenn wir Zukunft könnten kaum unterschiedlicher gute Lösungen finden und umsetzen wol- sein. Die Europaskeptiker und Nationalis- len, dann brauchen wir breit angelegte Dis- ten trauen Europa nicht viel zu oder lehnen kussionen. Dies kann die Politik allein nicht es gar rundweg ab. Sie wollen sich hinter leisten. Es braucht bürgerschaftliches Enga- ihren nationalen Gartenzaun zurückziehen gement, um Fragen in die Breite der Gesell- und unsere gemeinsamen Fragen mit ih- schaft zu tragen und entsprechende Rück- ren einsamen Lösungen beantworten. Den meldungen auch wieder zu aggregieren Zweiflern und den Demagogen können und und in politische Debatten einzubringen. müssen wir unsere Ideen für ein starkes und geeintes Europa entgegensetzen. Schon heute haben wir hierzu in Europa beste Voraussetzungen. Viele Millionen Dies ist zunächst einmal eine Aufgabe, bei Bürgerinnen und Bürger engagieren sich der die politischen Parteien eine große in der gesamten Europäischen Union auf Verantwortung tragen. Die Erfahrungen unterschiedlichste Art und Weise für die der letzten Jahre zeigen uns, dass dort, wo Zivilgesellschaft. Allein in Deutschland die Parteien sich den Populisten angepasst zeugen die über 31 Millionen im Bundes- haben, die Populisten noch stärker gewor- netzwerk Bürgerschaftliches Engagement den sind. Es macht keinen Sinn, mit diesen vereinten Aktiven davon, welch tragende Akteuren in einen Versprechungswettbe- Säule das bürgerschaftliche Engagement werb einzutreten. Beim Versprechen sind für unser Gemeinwesen ist! die Populisten im Vorteil, denn sie kom- men selten in die Verlegenheit, auch lie- Für eine europäische Bürgergesellschaft fern zu müssen. Unsere Aufgabe ist es, in einen Lieferwettbewerb einzutreten. Wir Im globalen Maßstab ist Europa heute si- müssen Probleme anpacken und gemein- cherlich ein Paradies für eine engagierte sam nach nachhaltigen Lösungen suchen. Zivilgesellschaft. Freiheit, Demokratie und auch der Zugang zu verschiedensten För- Eines muss vor diesem Hintergrund jedoch dermöglichkeiten sind in der EU gegeben auch klar sein: Wenn wir uns allein auf die und setzen damit wichtige Rahmenbe- 96 deutschen Abgeordneten im Europäi- dingungen für bürgerschaftliches Engage- schen Parlament verlassen, dann sind wir ment. Dennoch, und dies erfüllt mich mit verlassen. Für die Gestaltung eines besseren Sorge, mussten wir in den vergangenen Europa sind alle Akteure aus Wirtschaft und Jahren auch in Europa Fehlentwicklungen Gesellschaft gefragt. Aus meiner Sicht kann beobachten. So wurde in einigen weni-

4 | BBE DOSSIER NR. 6 Wieland: Das Europa der Bürger wählen! gen EU-Ländern, Beispiele in Ungarn und auch sprachliche Hürden, die der europä- Rumänien, die Unterstützung für Nichtre- ischen Zivilgesellschaft im Wege stehen. gierungsorganisationen spürbar zurück- Hier können wir politisch noch manches gefahren, die Arbeit von NGOs teils diffa- tun, um diese Hürden abzubauen. Dies al- miert oder es wurden gar gesetzliche Re- lein wird jedoch nicht reichen. Nur wenn gelungen erlassen, die bürgerschaftliches die engagierten Bürger in allen Ländern Engagement erschweren. In diesen Fällen Europas eine solche Stärkung auch wollen war der Rückhalt aus Europa - sowohl poli- und diese aktiv betreiben, kann eine starke tisch als auch von der Zivilgesellschaft an- europäische Zivilgesellschaft entstehen. derer Länder - oft eine wichtige Stütze für Engagierte vor Ort. Damit die EU weiter Dies alles wird jedoch nur möglich sein, ein Anker für diese Werte sein kann, müs- wenn nach der Wahl am 26. Mai eine star- sen wir derartige Entwicklungen auf poli- ke, pro-europäische Mehrheit ins Europä- tischer Ebene klar benennen und dort, wo ische Parlament einzieht. Ich bitte daher europäisches Recht betroffen ist, müssen um Ihre Unterstützung: Helfen Sie mit, wir auf dessen Einhaltung pochen. den Menschen die Relevanz europäischer Fragen näherzubringen und werben Sie Doch auch unabhängig von den angespro- für den Gang zur Wahlurne. Stehen wir ge- chenen Problemen sehe ich die Notwen- meinsam ein für unser Europa und packen digkeit, bürgerschaftliches Engagement wir die vor uns liegenden Herausforderun- im europäischen Sinne zu stärken. Wenn gen an. Nur mit Ihrer Hilfe wird es uns ge- wir wollen, dass sich die Bürgerinnen und lingen, der Europaskepsis unsere konkreten Bürger mit ihren Sorgen und Ideen in die Vorstellungen für eine gute Zukunft Euro- Gestaltung der europäischen Einigung ein- pas und Deutschlands entgegenzusetzen! bringen, dann brauchen wir eine »europäi- schere« Zivilgesellschaft. Wenn wir die Ver- Erschienen in den BBE Europa-Nachrichten netzung aktiver Bürgerinnen und Bürger Nr. 3 vom 10.4.2019 aus den einzelnen EU-Mitgliedstaaten stär- ken und so für einen stetigen Austausch der AUTOR Ideen sorgen, dann erleben die Menschen die Vorzüge der Europäischen Union haut- Rainer Wieland, MdEP ist von Beruf nah. Gleichzeitig ist ein Zusammenwach- Rechtsanwalt und vertritt die Region sen der Zivilgesellschaft die Voraussetzung Stuttgart seit 1997 im Europäischen Par- dafür, dass die Weiterentwicklung der EU lament. Er ist seit 2009 Vizepräsident des nicht nur aus nationalen, sondern auch Europäischen Parlaments und in dieser einer europäischen Perspektive diskutiert Rolle aktuell zuständig für die Gebäude wird. Ich wünsche mir als Abgeordneter und Infrastruktur sowie das Budget des eine gut organisierte Zivilgesellschaft, die Parlaments. Neben dieser Rolle im Präsidi- sich als laute Stimmte in Beratungen auf um ist er Mitglied der Paritätischen Parla- europäischer Ebene einbringen kann! mentarischen Versammlung AKP-EU und jeweils stellvertretendes Mitglied in den Konkret erfordert dies aus meiner Sicht, Ausschüssen für Rechts- und Verfassungs- dass wir grenzüberschreitendes Engage- fragen sowie im Petitionsausschuss. ment noch stärker fördern und so den Austausch in diesem Bereich verbessern Weitere Informationen können. Sicherlich bestehen bis heute ei- ü www.mdep.de nige rechtliche, finanzielle und natürlich ü www.facebook.com/wieland.mdep

BBE DOSSIER NR. 6 | 5 DR. KATARINA BARLEY, SPITZENKANDIDATIN DER SPD ZUR EUROPAWAHL, BUNDESMINISTERIN DER JUSTIZ UND FÜR VERBRAUCHERSCHUTZ KOMMT ZUSAMMEN UND MACHT EUROPA STARK

Europa ist eine einzigartige Gemeinschaft, jeder von seiner oder ihrer Arbeit leben die unserem Kontinent seit mehr als sieb- können, egal, wo er oder sie zu Hause ist. zig Jahren Frieden und wirtschaftlichen Der Schutz der Beschäftigten soll durch Zusammenhalt garantiert. Gerade deshalb europäische Regeln für angemessene Ar- ist für mich die Idee von Verständigung beitsbedingungen sowie Gesundheit und und Freundschaft heute so klar und über- Sicherheit verbindlich festgelegt werden. zeugend wie niemals zuvor. Das verstehe ich unter einem sozialen Europa, das Vertrauen schafft. Vor allem Für mich bedeutet Europa Vielfalt und müssen die Menschen aber stärker an in- Zusammenhalt, Fortschritt und Freiheit. haltlichen Debatten und Prozessen teilha- Europa ist für mich jedoch vor allem eins: ben und Entscheidungen besser nachvoll- Unsere Zukunft. Längst ist aber auch klar, ziehen können. Es geht zum einen um bes- dass ein starkes und friedliches Europa al- sere Informationen der Menschen über les andere als selbstverständlich ist. Die »ihr« Europa, aber auch um einen regel- Europäische Union steht unter großem mäßigen Dialog und um echte Beteiligung Druck von innen und von außen, deshalb über europäische Netzwerke. braucht sie unbedingt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Sie müssen spü- Besonders junge Menschen wollen die ren können, dass Europa für sie da ist Zukunft Europas mitgestalten. Ich finde und ihr Leben konkret verbessert. Die in- es großartig, dass sich so viele von ihnen nerhalb Europas herrschenden, teils gra- engagieren und zum Beispiel für den Kli- vierenden Unterschiede bei der sozialen maschutz demonstrieren. Und die Schüle- Absicherung der Beschäftigung müssen rinnen und Schüler, die Freitag für Freitag abgebaut werden. Wir brauchen faire für ihre Zukunft auf die Straße gehen, vor Löhne: Gleiches Geld für gleiche Arbeit am denen habe ich hohen Respekt. Das zeigt gleichen Ort. Und natürlich die gleiche Be- doch, dass junge Leute politisch aktiver zahlung für Männer und Frauen. Wir for- sind, als es oft heißt. Wir wollen, dass sie dern verbindliche europäische Standards früher über ihre Zukunft mitentscheiden für existenzsichernde Mindestlöhne. Da- können. Dafür wollen wir die Altersgrenze bei geht es um Mindestlöhne, die sich am bei Wahlen auf 16 Jahre absenken. Auch Pro-Kopf-Einkommen oder dem Bruttoin- das gehört für mich zu einem demokrati- landsprodukt des jeweiligen Landes be- schen Europa der Bürgerinnen und Bürger. messen. Wenn 60 Prozent des mittleren Einkommens des jeweiligen Landes als Die EU-Jugendstrategie stellt den Rah- Untergrenze verankert werden, sprechen men, um die Jugendpolitik strukturell und wir in Deutschland von einem Mindest- ressortübergreifend zu stärken. Der EU- lohn von 12 Euro. In Europa soll wirklich Jugenddialog, der federführend von Ju-

6 | BBE DOSSIER NR. 6 Barley: Kommt zusammen und macht Europa stark gendorganisationen umgesetzt wird, muss form für vorhandene öffentlich-rechtliche als Partizipationsinstrument Wirkung ent- Inhalte geschaffen und um genuin euro- falten und junge Menschen verbindlich päische Inhalte ergänzt werden. Passend beteiligen. Die von jungen Menschen er- dazu soll die EU Medienkonzepte fördern, arbeiteten EU-Jugendziele sind eine ein- die zum Ziel haben, die Sprachbarrieren in malige Gelegenheit, die Beteiligung junger Europa zu überwinden und eine europa- Menschen am europäischen Gesetzge- weite Informationsbeschaffung sowie ei- bungsprozess einfließen zu lassen. nen grenzüberschreitenden Dialog zu er- möglichen. Zudem sollten in europäischer Die Anforderungen an politische Bildung Kooperation überzeugende öffentlich- steigen, auch und gerade in Europa. Des- rechtliche Fernsehangebote auf Russisch, halb gilt es, die Angebote der politischen Türkisch und Arabisch entwickelt werden, Bildung zu stärken – in den Schulen, in die sich gleichermaßen an Einwanderer der außerschulischen Jugendbildung und und Einwanderinnen sowie die Staaten auch in der Erwachsenenbildung. Vor al- der europäischen Nachbarschaft richten lem wollen wir hier die Zivilgesellschaft und damit die europäische Wertegemein- stärken, damit sie europäische Debatten schaft befördern. begleiten, kommentieren und einen wich- tigen Beitrag zum Zusammenhalt in Euro- Wir wollen ein Europa, das für die Bürge- pa leisten kann. rinnen und Bürger da ist, das Freiraum, Kreativität und Ideen für alle ermöglicht. Mit der Europäischen Bürgerinitiative Deshalb können wir es nicht zulassen, dass (EBI) können Bürgerinnen und Bürger die in Europa Regierungen den Einfluss und Europäische Kommission auffordern, eine Handlungsspielraum zivilgesellschaftlicher Gesetzesinitiative zu ergreifen. Ich bin da- Initiativen systematisch einschränken. De- für, in Gesetzgebungsverfahren mehr auf mokratie kann ohne eine plurale, kreative die europäische Zivilgesellschaft zu hören. und kritische Zivilgesellschaft nicht funkti- Deshalb wollen wir im europäischen Ge- onieren. Wir brauchen auch Instrumente, setzgebungsprozess zivilgesellschaftlichen mit denen wir unsere Wertegemeinschaft Akteuren wie Vereine, NGOs, Jugendringe präventiv stärken können. Deshalb wollen und –verbände, Projekte und Initiativen wir im EU-Haushalt einen »Fonds für eu- eine transparente und chancengleiche ropäische Grundwerte« einrichten. Damit Einbindung ermöglichen. Uns geht es um könnten Nichtregierungs- und zivilgesell- einen gleichberechtigten Dialog aller Part- schaftliche Organisationen überall dort di- ner und Partnerinnen. Mit der Einführung rekt unterstützt werden, wo Demokratie eines europäischen Vereinsstatuts wollen und Rechtsstaatlichkeit besonders unter wir für verlässlichere Förderstrukturen Druck stehen. sorgen. Die SPD setzt sich zudem dafür ein, dass Wir brauchen mehr europäische Öffent- das Budget für zivilgesellschaftliche Pro- lichkeit, um mehr Informationen über jekte im nächsten siebenjährigen Finanz- Europa und ein stärkeres gemeinsames rahmen 2021 - 2027 aufgestockt wird. europäisches Bewusstsein entstehen zu Wir dürfen nicht zulassen, dass in Europa lassen. Darüber hinaus benötigen wir ei- Regierungen den Einfluss und Handlungs- nen europäischen öffentlich-rechtlichen spielraum zivilgesellschaftlicher Initiati- Rundfunk für das 21. Jahrhundert. Hierfür ven, von Künstlerinnen und Künstlern sys- sollte eine attraktive europaweite Platt- tematisch einschränken.

BBE DOSSIER NR. 6 | 7 Barley: Kommt zusammen und macht Europa stark

Wir wollen, dass in der EU alle Mitglieds- 1994 Eintritt in die SPD staaten einer regelmäßigen Prüfung der Lage der Rechtsstaatlichkeit unterzogen Für mich war früh klar, dass meine poli- werden. Dort, wo demokratische Grund- tische Heimat die SPD werden sollte. So- werte nicht ausreichend geschützt und ziale Gerechtigkeit stand für mich immer gefördert werden, sollen zivilgesellschaft- im Vordergrund. Die Ungerechtigkeit, dass liche Organisationen, die sich dem demo- nach wie vor die soziale Herkunft über den kratischen Dialog verschrieben haben ge- Erfolg im Leben entscheidet, dass Armut zielt direkt unterstützt werden. krank und Krankheit arm macht, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer Eine aktive europäische Zivilgesellschaft weiter aufgeht, treibt mich immer noch ist die Brücke zu den Bürgerinnen und Bür- um. gern, nie war ihre Beteiligung wichtiger als heute. Zivilgesellschaftliches Engagement 1998 Juristische Laufbahn ist für die europäische Integration uner- lässlich. Vielfalt, Erfindergeist und soziale Nach dem Zweiten Staatsexamen und Sicherheit machen uns erfolgreich. Europa meiner Doktorarbeit trat ich 1998 meine ist gut, aber es kann noch besser werden – erste Stelle als Rechtsanwältin in einer wenn wir es gemeinsam machen! Hamburger Großkanzlei an. 1999 wechsel- te ich zum Wissenschaftlichen Dienst des AUTORIN Landtags Rheinland-Pfalz.

1968 Geboren in Köln Bereits 2001 hat es mich nach Trier ver- schlagen – in eine Region, die am Rande Ich bin Europäerin durch und durch. Das Deutschlands, aber im Herzen von Euro- hat mit meiner Familiengeschichte zu tun. pa liegt. Dort, wo Grenzen jeden Tag ganz Ich wurde in Köln geboren und habe dort selbstverständlich überquert werden – meine Kindheit und Jugend verbracht. zum Arbeiten, zum Einkaufen, in der Frei- Mein Vater ist Brite, meine Mutter Deut- zeit – bin ich seitdem zu Hause. sche. Ich habe beide Staatsangehörigkei- ten, fühle mich in erster Linie aber als Eu- Dort erreichte mich 2001 die Anfrage vom ropäerin. Bundesverfassungsgericht, ob ich als wis- senschaftliche Mitarbeiterin tätig sein 1987 Studium der Rechtswissenschaften wollte. Was für eine Frage…?!

Nach dem Abitur 1987 studierte ich Das konnte nur noch auf eine Weise »ge- Rechtswissenschaften in Marburg. Für toppt« werden: Meine Zeit in Karlsruhe mich war immer schon klar, dass ich auch endete mit dem Mutterschutz und der mal im Ausland leben wollte. Das Studium Geburt meines zweiten Sohnes. 2005 ging bot dazu die Chance. Ein Erasmus-Stipen- ich zurück ins Berufsleben und wurde un- dium ermöglichte mir ein Studienjahr in ter anderem Richterin. Frankreichs Hauptstadt Paris. Dort lernte ich den Mann kennen, den ich später hei- 2013 Bundestag ratete und der Vater meiner Kinder wurde. Er ist halb Spanier, halb Niederländer, un- In diesem Jahr wurde ich in meinem Wahl- sere beiden Kinder haben deshalb Großel- kreis Trier erstmals in den Bundestag ge- tern aus vier unterschiedlichen Ländern. wählt.

8 | BBE DOSSIER NR. 6 Barley: Kommt zusammen und macht Europa stark

2015 Generalsekretärin der SPD gend und nach der Wahl 2017 zusätzlich geschäftsführende Arbeits- und Sozialmi- 2015 wurde ich zur Generalsekretärin der nisterin. Seit März 2018 bin ich Bundes- SPD gewählt. Ich liebe diese Partei! Frei- ministerin der Justiz und für Verbraucher- heit, Gerechtigkeit und Solidarität sind die schutz. Politik ist mein Beruf – und meine wichtigsten Werte der Sozialdemokratie Leidenschaft. Ich lerne immer noch jeden – seit über 150 Jahren schon. Auch in ei- Tag unglaublich viel – und lerne außerdem ner Welt, die sich schnell verändert und viele spannende Leute kennen. Ich finde immer neue politische Lösungen braucht, das großartig und bin sehr dankbar. haben sie Bestand. Erschienen in den BBE Europa-Nachrichten 2017 Verantwortung in der Regierung Nr. 3 vom 10.4.2019

Im Juni 2017 wurde ich Bundesministe- Weitere Informationen rin für Familie, Senioren, Frauen und Ju- ü https://katarina-barley.spd.de/

BBE DOSSIER NR. 6 | 9 DR. FÜR EIN EUROPA DER HERZEN

Ohne das Engagement der Burger*innen und so auch die Politik zu Veränderun- wäre die Europäische Union nicht viel gen treibt. Unterstützt wird es von vielen mehr als das technokratische Brüssel, auf kleinen Initiativen vor Ort, die das Zusam- das sie oft reduziert wird. Um die europä- menleben in den Kommunen, Städten und ische Idee wieder strahlen zu lassen, müs- Regionen so viel schöner machen; sei es in sen wir sie leben. Und dazu brauchen wir der Kleiderkammer, bei der Feuerwehr, im noch mehr europäisches bürgerschaftli- Sportverein, im Kirchenkreis, in der Städ- ches Engagement, effektivere politische tepartnerschaft, beim Naturschutz, und es Beteiligungsformate, und mehr Unterstüt- gibt noch so viel mehr. Ich nenne das gerne zung für die Zivilgesellschaft. das Europa der Herzen und möchte mich bei allen bedanken, die dazu beitragen! Immer mehr grenzüberschreitendes euro- päisches Engagement...... kann mit dem Europäischen Freiwilligen- dienst noch ausgebaut werden Mich persönlich haben im letzten Jahr die Proteste von Frauen – von Warschau, über Besonders wichtig dabei ist der Austausch Berlin, Lissabon und Dublin – sehr beein- zwischen jungen Menschen. Fur Aus- druckt. Diese Frauen haben, oft gemein- tauschprogramme, Trainings zu sozialen sam mit Männern, gegen antidemokrati- und demokratischen Rechten sowie fur sche Entwicklungen in EU-Mitgliedstaaten europäische zivilgesellschaftliche Aktivi- und für das Recht auf Selbstbestimmung täten muss genug Geld im EU-Haushalt gekämpft. Über Nationalgrenzen hinweg, da sein. Ein ganz konkretes Projekt auf und deswegen mit so unglaublicher Wir- europäischer Ebene, das die europäische kung. Ich selbst war ein kleiner Teil davon. Solidarität im bürgerschaftlichen Engage- ment fördert, ist der Europäische Freiwil- Ähnliche Tatkraft erlebe ich seit zwei Jah- ligendienst. Meine Kollegin Helga Trüpel, ren bei Pulse of Europe, die auch jetzt im Mitglied des Europäischen Parlaments Vorfeld der Europawahlen wieder stark seit 2004, hat ihn als Berichterstatterin mobilisieren. Und da ist die unglaubliche maßgeblich voran gebracht. Mit diesem Zivilcourage in der Flüchtlingshilfe, wo viele Projekt ermöglichen wir es jungen Men- Engagierte das Ankommen der Menschen schen zwischen 18 und 30 in den verschie- erleichtert haben und Kommunen und Re- densten Bereichen, beim Theater, in der gionen sich bis heute über den Nationa- Flüchtlingshilfe, im Umweltschutz, in der lismus ihrer Regierungen hinweg setzen Klimapolitik, innerhalb Europas aktiv zu und Menschen aufnehmen. Was wir hier werden. So lernen sie Sprachen, andere sehen, ist bürgerschaftliches Engagement, Länder kennen, Empathie und die Freuden das sich europäisch und global solidarisiert des sozialen Engagements; und sie lernen,

10 | BBE DOSSIER NR. 6 Neumann: Für ein Europa der Herzen die Europäische Union zusammenzuhalten Bevolkerung ausgelost werden und die und gleichzeitig für sich selber etwas zu das vorgelegte Thema ausfuhrlich bera- tun – eine Win-Win-Situation. Ich würde ten und konkrete Handlungsvorschlage mich freuen, wenn auch Sie dieses Pro- in Form eines Burger*innengutachtens gramm nutzen und junge Menschen er- machen. Solche Schritte müssen wir bald mutigen, das zu tun! gehen, um den neuen Beteiligungsformen das nötige Gewicht zu verleihen. Sonst Aber wir brauchen auch effektivere politi- wird es ihnen nicht gelingen, die gegen- sche Beteiligungsformate... wärtige Lücke zwischen Bürger*innen und der EU zu schließen. Neben solchen Austauschformaten brau- chen wir aber auch mehr Beteiligung der ...und eine Stärkung der Zivilgesellschaft in Bürger*innen und der Zivilgesellschaft an europäischen Mitgliedsstaaten der europäischen Demokratie. Das Poten- zial dazu ist groß, es wird aber noch nicht Daneben müssen wir uns mehr um die Zivil- ausgeschöpft, weil die Instrumente noch gesellschaft kümmern und sie gezielt stär- nicht ausreichend sind. Die Europäische ken. In manchen Mitgliedsstaaten der EU Bürgerinitiative (EBI) gibt die Möglichkeit, wird die kritische Zivilgesellschaft gezielt durch 1 Million Unterschriften neue EU- attackiert. Das widerspricht den Grundwer- Gesetze anzustoßen – ein erster kleiner ten der EU zutiefst und muss klar politisch Schritt zu direkter Demokratie in Europa. sanktioniert werden. Aber wir brauchen Wie viel Erfolg das haben kann, haben wir kurzfristig auch Instrumente, mit denen wir beispielsweise bei der Frage der Privatisie- den Fortbestand einer vielfältigen Zivilge- rung der Wasserversorgung oder der De- sellschaft sichern können; in ganz Europa. batte um die Zeitumstellung gesehen. Deswegen fordern wir Grünen, dass es im nächsten Haushalt der EU einen Fonds zur Aber wir müssen die Beteiligungsmög- Stärkung der Zivilgesellschaft gibt, die sich lichkeiten am europäischen politischen für europäische Werte stark macht. Diese Prozess noch effektiver gestalten. Die Mittel sollten zudem nicht vorher durch Bürgerinitiative ein Schritt in die richtige nationale Regierungen freigegeben werden Richtung. Aber wir mussen nun dafür sor- müssen. Der Vorschlag wird gegenwärtig gen, dass die Europäische Kommission sol- im Rat verhandelt und wir werden uns che Initiativen auch ernst nimmt und nicht weiter stark dafür einsetzen. versucht, die von den Burger*innen gefor- derten Gesetzesanderungen auf die lange Wählen ist der kürzeste Weg zur Bank zu schieben. Die Bürgerinitiative soll- Mitbestimmung! te außerdem weiterentwickelt werden, sodass Burger*innen zu wichtigen Ent- Das Europäische Parlament ist der Kern scheidungen auf europäischer Ebene di- der europäischen Demokratie und das rekt und strukturiert mitreden konnen. In einzige Organ, das Sie mit Ihrer Stimme jedem Fall wollen wir, dass das Parlament direkt mitgestalten können. Deswegen zu einer Plenumsabstimmung uber das müssen wir die Rechte dieses Parlaments Ziel der Initiative verpflichtet ist. Auf Hin- ausweiten – es braucht endlich ein eigens wirken einer Bürgerinitiative sollte es auch Budgetrecht, Gesetzesinitiativrecht und möglich werden, ein Burger*innenforum Mitspracherecht in allen Politikbereichen, einzurichten, dessen Mitglieder nach die die EU gestaltet. Auch dafür werden dem Zufallsprinzip aus der gesamten EU- wir Grünen in Brüssel weiter kämpfen.

BBE DOSSIER NR. 6 | 11 Neumann: Für ein Europa der Herzen

Sie werden es auch in diesem Themen- Erschienen in den BBE Europa-Nachrichten heft sehen: Die unterschiedlichen politi- Nr. 3 vom 10.4.2019 schen Parteien haben verschiedene Vor- stellungen von der Weiterentwicklung AUTORIN der europäischen Demokratie und Sie als Bürger*innen haben mit ihrer Stimme Dr. Hannah Neumann ist promovierte in der Hand, wohin die Reise gehen soll. Friedens- und Konfliktforscherin und kan- Einige wollen wieder mehr Entscheidun- didiert auf Platz 5 der Europaliste von gen auf nationalstaatlicher Ebene tref- Bündnis 90/Die Grünen. Vor ihrem Leben fen. andere die EU ganz abschaffen. In in der Politik hat sie demokratisches und einer globalisierten Welt geht beides zu zivilgesellschaftliches Engagement in Bür- Lasten der Beteiligungsmöglichkeiten der gerkriegsregionen erforscht und unter- Bürger*innen. Wir Grüne wollen die euro- stützt. Im Europäischen Parlament will sie päische Demokratie weiter stärken, Par- sich für eine solidarische Außenpolitik, die tizipation ermöglichen, eine europäische Förderung der Menschenrechte innerhalb Öffentlichkeit befördern. Damit neben der EU und global sowie die Stärkung de- der Administration in Brüssel auch das mokratischer Mitbestimmung einsetzen. Europa der Herzen immer stärker wird! Dafür würden wir uns über Ihre Stimme Weitere Informationen freuen. ü www.hannahneumann.eu

12 | BBE DOSSIER NR. 6 DR. CORNELIA ERNST, MDEP OHNE ZIVILGESELLSCHAFT WÄRE DIE EU NUR EIN AUTORITÄRER BINNENMARKT

Was sie nicht ist. Denn die politische De- ressen gebündelt werden, wie bei TTIP, batte in und über Europa findet nicht nur den großen Demonstrationen, die in meh- in den Raumschiffen wirklicher oder ver- reren Mitgliedstaaten stattfanden. Hun- meintlicher Staatenlenker(innen) statt, derttausende gingen auf die Straße, trotz sondern auch vor deren Türen, in den breit gefächerter politischer Unterschie- Denkfabriken der Hauptstädte ebenso wie de, so dass diese Proteste unüberhörbar im ländlichen Raum und auf den Straßen wurden. Für TTIP dann noch offensiv ein- und Plätzen. Sogar in den Mailboxen der zutreten, fiel selbst Hardlinern schwer, Abgeordneten, in Fraktionsräumen, vor wollen doch irgendwie fast alle wieder- und im Parlament, im Umfeld von Stiftun- gewählt werden. So ist es jetzt darum gen, getragen von unzähligen NGO‘s, die stiller geworden, das Abkommen ist auf Input haben und nicht ins Gerede kom- Eis, aber nicht weg vom Tisch, mancher men und verwechselt werden dürfen mit hofft auch auf einen neuen US-Präsiden- der knallharten Lobby von Autokonzer- ten. Andere Freihandelsabkommen konn- nen, der Gas- und Ölindustrie, die für den ten sich durchmogeln, sahen aber auch nächsten Vorteil, auf den sie spekulieren, besser aus, wie das mit Japan. Europäi- am Werkstisch mancher Abgeordneten sche Zivilgesellschaft sammelt sich daher sitzen, um ihnen in die Feder zu diktieren. nicht nur in Brüssel, sondern zuallererst Auch deshalb muss es Normalität werden, in den Mitgliedstaaten. Und wenn zeit- die Transparenz zu erhöhen. Insofern hat gleich in mehreren Mitgliedstaaten zum jede und jeder Abgeordnete auch eine Halali geblasen wird, lässt sich das nicht persönliche Verantwortung, welche Inte- abtun. Neuerdings müssen schon Schüle- ressen sie oder er vertritt. rinnen und Schüler ins Europaparlament kommen, um ihre Forderung nach einer Zivilgesellschaft beruht auf gesellschaftli- radikalen und nachhaltigen Bekämpfung cher Selbstorganisation der Klimaerwärmung vorzubringen. Auch das zeigt, wo wir gerade stehen. Das Ge- Die Stärke einer demokratischen Gesell- zerre neoliberaler Strategen, progressiv schaft zeigt sich darin, wie ihre Fähigkeit zu erscheinen, ohne wirklich was voran- zur Selbstorganisation und die Stabilität zubringen, stinkt viele an und gefährdet ihrer demokratischen Verfasstheit in Ein- die Zukunft unseres Erdballs. Dass Ju- klang gebracht werden. Wie dieses Ver- gendliche das auch noch lang und breit hältnis künftig aussehen soll, auf allen erklären müssen, sollte zum Nachdenken Ebenen, wird heutzutage verhandelt. führen und zum Handeln. Im Übrigen bei allen Parteien, keine könnte ernsthaft be- Welche Macht Zivilgesellschaft haben haupten, genug getan zu haben und zu kann, zeigt sich immer dann, wenn Inte- tun. Das behäbige Bestandsdenken führt

BBE DOSSIER NR. 6 | 13 Ernst: Ohne Zivilgesellschaft ... uns in globalen Fragen faktisch an den bekommen. Wenn sich aber nach der alles Abgrund. Dies aufzubrechen braucht den entscheidenden, leider verlorenen Ab- Druck von außen. Wohl wissend, dass in stimmung im Plenum herausstellte, dass Parlamente immer noch Parteien gewählt einige Abgeordnete »versehentlich falsch werden, muss Zivilgesellschaft »angrei- abgestimmt« hatten, dann fällt es schwer, fen«. Jetzt. So wie die Demonstrantinnen dies zu glauben. Denn diese Abstimmung und Demonstranten gegen das neue Ur- war außerordentlich angekündigt. Und heberrecht, die die Bühne der Öffentlich- das Herumeiern der GroKo in Berlin, man keit nutzten, um Klartext zu reden. Auch könne ja bei der Umsetzung der Reform in auf der Dresdner Demonstration gegen Deutschland die Dinge besser machen ist Artikel 13 gab es die übergreifende Bot- verlogen, so wie ein paar Tage später auch schaft »nie wieder CDU«, logisch, weil die Frau Barleys Pirouetten zwischen Ja und Urheberrechtsreform in Federführung ei- Nein, um schließlich anzukündigen, doch nes CDU-Politikers war. Es ist selten, dass im Rat für die Reform stimmen zu wollen. in Bezug auf europäische Entscheidungen So kann Halbherzigkeit vernünftige Poli- so klar Ross und Reiter benannt werden, tik über den Haufen fahren. Übrig bleibt was die SPD bewogen hatte, noch schnell Katzenjammer und hoffentlich noch Kraft den Beschluss zu fassen, doch nicht für für einen neuen Anlauf, besonders dann, die umstrittene Urheberrechtsreform im wenn es um die Umsetzung der Urhebe- Europaparlament zu stimmen. Zu spät, ihr rechtsreform in den Mitgliedstaaten geht. Mitverschulden war es, in Vorverhandlun- gen, Ausschüssen, zur ersten Lesung, weit- Wieder mal zeigte sich, dass die jetzigen gehend mitgemacht und sich dem Druck Zukunfts- ja Überlebensthemen von jun- in der eigenen Fraktion ergeben zu haben, gen Menschen aufgegriffen werden, weil einzelne Standhafte ausgenommen. Auch vielen von ihnen klar ist, dass es ohne sie wir haben hart kämpfen müssen, weni- einfach nichts wird. Das klingt hart, auch ger in der Partei DIE LINKE, aber massiv mir selber gegenüber, die ich keine jun- in der eigenen GUENGL-Fraktion. Fakt ist ge Frau mehr bin. Aber auch mir macht letztlich: Wir hätten fraktionsübergreifend Angst, dass in unserem Land der Verände- gemeinsam und frühzeitig klar Schiff ma- rungswille viel zu oft dem Bestandsden- chen müssen. Hilfreich wäre für alle gewe- ken weicht. Was mich umtreibt ist die Sor- sen, einfach mal der Sachkompetentesten ge, dass die Zukunft verschlafen wird. Von zuzuhören, in dem Fall der Abgeordne- der Autoindustrie, die keine ernsthaften ten Julia Reda, die sich übrigens nicht zu Schlussfolgerungen aus den Abgasskan- schade war, in unsere Fraktion zu kom- dalen gezogen hat. Von der Energielobby, men, um zu erklären, was das ist, ein Ur- die die Erneuerbaren nur halbherzig nach heberrecht. Hätten ein relevanter Teil der vorn treibt, immer mit Blick auf die Kohle. immer noch großen S&D-Fraktion, aber Ja, auch wir Linken sagen, die Beschäftig- auch andere früher nachgedacht, wäre ten in den Kohleregionen dürfen nicht im eine Abwendung des Desasters denkbar Regen stehen gelassen werden, wie 1989, gewesen. Über Monate wurden wir von wo ganze Teile dieser Regionen entindus- Vertreterinnen und Vertretern der Zivil- trialisiert wurden. Auch wenn jetzt Gelder gesellschaft kontaktiert, zig Gespräche zur Entwicklung der betroffenen Regionen haben wir geführt, die Mailboxen waren gestreut werden, was wir natürlich unbe- übervoll mit Stellungnahmen. Dass da was dingt unterstützen, muss geklärt werden, im Argen lag, musste selbst der Uninter- welche nachhaltigen Perspektiven sol- essierteste unter den Abgeordneten mit- len dort jetzt, aber auch in 10, 20 Jahren

14 | BBE DOSSIER NR. 6 Ernst: Ohne Zivilgesellschaft ... entstehen. Welches Profil, was brauchen gesellschaftliche Akteurinnen und Akteure wir dafür. Strukturentwicklung ist eben einbezogen werden. Außerdem muss das kein Ding, das man dem Markt einfach Gremium ein direktes Mitentscheidungs- überlassen kann. Nichts wird gut werden, recht bei den parlamentarischen Entschei- wenn nicht die Akteurinnen und Akteure dungsfindungsprozessen erhalten. Auch in den Regionen voll einbezogen werden. das Instrument des europäischen Bürge- Selbstverständlich nicht bloß in einem rentscheides gilt es deutlich auszubauen netten Beratungsformat, sondern in die und mit Verbindlichkeiten zu versehen. konkreten Entscheidungen. Was soll das Image z.B. der Lausitzregion künftig prä- Blick auf die gegenwärtigen Institutionen gen? Können wir eine Energieregion etab- lieren, aus der Kohle raus, führend bei der All das verlangt einen ehrlichen Blick auf Entwicklung und Umsetzung erneuerbarer die gegenwärtigen Institutionen. Insbe- Energielösungen? Kann dort der Wissen- sondere der Europäische Rat, der strate- schaftsstandort ausgebaut werden, krie- gisch richtungsgebend ist, erweist sich gen wir internationale Schulstandorte in immer mehr als Bremser moderner Poli- das Dreiländereck? Welche Bedingungen tik. Zahlreiche politische Vorschläge be- sind dafür Voraussetzung? Wann können sonders aus dem Europaparlament, wie wir endlich überall online sein? Dabei geht z.B. zur Asylgesetzgebung oder zur Um- es nicht nur ums Geld. Es geht um einen setzung des Datenschutzes in der Tele- lebenswerten und nachhaltigen Perspek- kommunikation, liegen momentan auf Eis, tivstandort für die kommenden Genera- weil die Regierungschefs und ihre Minister tionen. Was auch immer geschieht, die im Rat lieber um nationale Claims kämp- Leute, die dort heute und morgen leben, fen, als sich gemeinschaftlichen Aufgaben müssen das entscheiden dürfen. Insofern der EU zu stellen. In meinen Augen ist brauchen wir einen tiefgreifenden Demo- der europäische Rat zu einem Nationalis- kratieschub, der die Menschen in die Lage tenstadl verkommen, der rote Faden ge- versetzt, ihre Region, ihre Stadt, ihr Dorf meinsamer Politik ist kaum noch erkenn- so zu entwickeln, dass auch ihre Kinder bar. »Member State First«, egal welcher. und Enkel darin einen lebenswerten und Eine grundlegende Reform der EU, ihre attraktiven Standort sehen. weitere Demokratisierung ist zwingend erforderlich – Stärkung der Rechte des Deshalb müssen grundlegende Überle- Parlamentes, Beendigung der Allmacht gungen gestartet werden, wie die Betei- des Rates, Implementierung direkter Mit- ligung der Bürgerinnen und Bürger, der bestimmungsrechte bei der europäischen Zivilgesellschaft in diesen Prozessen ins- Gesetzgebung durch die Zivilgesellschaft, titutionalisiert werden kann. Mitbeschlie- Verstärkung der europäischen Integrati- ßende Beiträte wie wir sie auf kommuna- on, Transparenz der politischen Prozesse ler Ebene haben, können dazu beitragen. – darum muss es gehen. Gemeint ist eine Ähnliches muss auch auf nationaler und radikale Demokratiereform in der EU – europäischer Ebene geschehen. Sicher, die Balance zwischen Binnenmarkt und es gibt den europäischen Ausschuss der Grundrechten. Denn genau diese Balance Regionen als wirklich wichtiges Gremium, wird gegenwärtig zur Disposition gestellt das beratend wirksam ist. Aber das reicht zugunsten von Nationalismus und Euro- eben nicht. Für meine Begriffe sollte die- paskeptizismus. CDU/CSU trauen sich noch ser Ausschuss zu einer Institution entwi- nicht mal, Victor Orbans Populistenpartei ckelt werden, wo auch unabhängige zivil- aus der EVP-Fraktion rauszuschmeißen,

BBE DOSSIER NR. 6 | 15 Ernst: Ohne Zivilgesellschaft ... weil ihnen wichtiger ist, bei der Wahl von krieg als ein Menschenrecht begründet Weber zum Kommissionschef die Stim- wurde, zu dem sich die EU übrigens aus- men des EU-Hassers nicht zu verlieren. So drücklich verpflichtet hat. werden ständig Konzessionen an Nationa- listen und Autokraten gemacht, eine ver- Es braucht den Zusammenschluss aller hängnisvolle Politik doppelter Standards, Demokratinnen und Demokraten, um der je nachdem, wie es gebraucht wird. Zerstörung zivilgesellschaftlicher Infra- strukturen entgegen zu wirken. In mehre- Umgang mit europäischen Werten ren Mitgliedsstaaten werden NGO´s krimi- nalisiert, nicht nur zur Seenotrettung, in An dieser Stelle etwas zum Umgang mit Ungarn läuft ein hochgefährlicher Prozess europäischen Werten, wie Solidarität und zur Gleichschaltung der Gesellschaft, im Menschenrechte. Richtig ist, dass die mo- Verlaufe dessen kritische Akteurinnen und dernen und liberalen Gesellschaften der Akteure mundtot gemacht werden sollen. 90er Jahre diesen Herausforderungen Unliebsame Journalistinnen und Journa- große Bedeutung beigemessen haben. listen wurden in der Slowakei und in Mal- Damit wurde die EU ein Fortschrittsmo- ta getötet, in Italien kaltgestellt. Und in tor in der Welt, ein Label, das sie immer Deutschland aberkennt man bestimmten mehr verliert und im Falle des Asylrech- Vereinen die Gemeinnützigkeit, weil sie tes bereits verloren hat. Ich habe in den politische Standpunkte beziehen. Das ist letzten 5 Jahren zahlreiche relevante eine schleichende bis offene Entdemo- Schauplätze europäischer Asylpolitik in kratisierung, die wir gegenwärtig erleben. der Welt aufgesucht, Flüchtlingslager und Sie geht einher mit einer Welle politischer -gefängnisse, genug, um zu sagen: der Rückwärtsrollen, angefangen bei den po- Umgang mit Geflüchteten ist ein Schan- litischen Verrenkungen, die die GroKo de. Ihr tausendfacher Tod an den EU-Au- beim Abtreibungsrecht vollzieht und den ßengrenzen, die vielen Kinder, die verlo- immer gröber werdenden Angriffen auf ren gegangen sind. Wir haben unzählige das moderne Frauenbild, das wieder mal Fakten immer wieder in das Parlament, erschüttert werden soll, europaweit. Und in Anhörungen, Debatten, Aussprachen so werden diese politischen Geistesblitze mit Kommissaren gebracht. Wir hätten auch in das Europaparlament gespült, in- das ohne die vielen NGO` s niemals zu- klusive ganze Orgien rassistischer und na- stande gebracht, Frauen und Männer, die tionalistischer Ausfälle, die 1:1 in den Mit- mit Geflüchteten in den übelsten Camps gliedstaaten exklusiv für Brüssel kopiert arbeiten, die obdachlose Migrant*innen werden. unterstützen, die unbegleiteten Kindern helfen, Suchdienste für vermisste Ange- Wo stehen wir jetzt? hörige, Anwältinnen und Anwälte, Ärz- tinnen und Ärzte, alle, die Lebensrettung Da ungefähr stehen wir jetzt, wenn man vornehmen. Gäbe es diese Menschen so will, mitten in einem Kulturkampf. Zu nicht, würde es heute kein individuelles glauben, wir hätten ihn ein für alle Mal Asylrecht mehr geben. Zivilgesellschaft gewonnen, ist eine gefährliche Illusion. rettet. Und unsere Aufgabe ist es jetzt, Nichts ist unumkehrbar. Weder die offene Zivilgesellschaft zu retten. Denn wer heu- Grenze zwischen Deutschland und Frank- te Kapitänen, die Geflüchtete retten, den reich noch der Frieden, der nicht einfach Prozess macht, hat vergessen, warum das so da ist, nur weil wir das selbstverständ- Recht auf Asyl nach dem zweiten Welt- lich finden.

16 | BBE DOSSIER NR. 6 Ernst: Ohne Zivilgesellschaft ...

Insofern geht es bei der kommenden Eu- gen die egoistische Gedanken-und Verant- ropawahl um alles. Wirklich um alles. wortungslosigkeit verteidigen. Wird von der EU Fortschritt und Wohl- standsentwicklung ausgehen oder versa- Europa, mon amour. gen wir in der Armutsbekämpfung? Wer- den Menschenrechte künftig Grundlage Erschienen in den BBE Europa-Nachrichten oder Verschiebemasse sein, werden wir Nr. 3 vom 10.4.2019 die sozialökologischen Herausforderun- gen stemmen oder kapitulieren wir davor? AUTORIN Werden wir gemeinsame Wege gehen oder nur noch eigene? Gilt künftig Solida- Dr. Cornelia Ernst, MdEP, Dresdnerin, rität als Gewinn oder als Schwäche? Die- verheiratet, Beruf: Lehrerin für Geschich- se Entscheidungen werden wir nicht in 20 te und Deutsch, später Mitarbeiterin im Jahren fällen, sondern jetzt. Beileibe nicht Sächsischen Landtag PDS-Fraktion, Land- nur, aber eben auch durch Wahlen, weil tagsabgeordnete, Landesvorsitzende PDS/ es um die Macht geht. Und um uns selbst. später DIE LINKE in Sachsen, ab 2009 Ab- Was damit gemeint ist, sprechen jetzt vie- geordnete im Europaparlament in der le Menschen in Großbritannien aus, insbe- Fraktion GUE/NGL, Mitglied im Ausschuss sondere junge Leute, die im Brexit einen für Bürgerliche Freiheiten, Inneres und großen Schritt zurück sehen, unverzeih- Justiz, dort Koordinatorin für die Fraktion, lich. Man könnte es auch so sagen: Trotz Stellvertretendes Mitglied im Industrie- aller berechtigter Kritik an der EU, haben und Forschungsausschuss und in der in- wir nichts anderes. Und wir haben auch terparlamentarischen IRAN-Delegation. nichts wirklich Besseres mit Blick auf un- Wahlkreisbüros: in Dresden und Mainz. seren Kontinent. Wir müssen eigene Gren- zen überwinden, Dogmen wegwerfen, uns Weitere Informationen mit allen verbünden, die unser Europa ge- ü www.cornelia-ernst.eu

BBE DOSSIER NR. 6 | 17 NICOLA BEER, MDB CHANCEN ZIVILGESELLSCHAFTLICHEN ENGAGEMENTS NUTZEN

Europa – das sind zu allererst wir alle, sei- vilgesellschaft stärker einzubinden, um ne Bürgerinnen und Bürger. Nicht etwa Europas Chancen zu nutzen: seine Gremien, wie die EU-Kommission, die verschiedenen Ministerräte oder die Erstens müssen wir dringend eine ech- Diskussion um Spitzenkandidaten und eu- te europäische Öffentlichkeit herstellen ropäische Parteienfamilien. – und zwar müssen wir mitten hinein in den Marktplatz europäischer Meinungs- Europa ist eine große Idee, geboren nach bildung. Europapolitische Themen dür- den zwei Urkatastrophen des 20. Jahrhun- fen nicht länger nur durch eine nationale, derts in Form der Weltkriege, als Visionäre sondern müssen auch durch eine echte wie Robert Schuman und Jean Monnet die europäische Brille gesehen, analysiert und Gunst der Stunde ergriffen und mit ihren kommentiert werden. konkreten Plänen die Bürgerinnen und Bürger Europas für dieses Projekt begeis- Denn damit die Bürgerinnen und Bürger tern konnten. sich zivilgesellschaftlich einbringen kön- nen, müssen sie leichter und umfänglicher Genau daran müssen wir heute wieder an- europäisch informiert werden. Dies ist setzen. Denn dieses Projekt ist in Gefahr conditio sine qua non für EU-Bürgeriniti- – durch den Nationalismus, die politische ativen und die Aufstellung gesamteuropä- Gleichgültigkeit in vielen Hauptstädten, ischer Listen bei künftigen Europawahlen. die technokratische Administration der EU und das Gebrüll der Populisten von links Zweitens brauchen wir eine starkere Ver- und rechts. Wir Freie Demokraten fordern bindung zwischen den Burgerinnen und einen selbstbewussten und mutigen Konti- Burgern und ihren Mandatstragerinnen nent, der seinen Bürgerinnen und Bürgern und Mandatsträgern im Parlament. Dies nicht nur Frieden, Freiheit und Wohlstand erreichen wir zum einen durch mehr digi- bewahrt, sondern als Innovationsvorreiter tale Beteiligungsformen auf der Basis ei- für jede und jeden Zukunftschancen und nes elektronischen Personalausweises fur die Möglichkeit sozialen Aufstiegs aus ei- alle EU-Burger. So lassen sich Online-Be- gener Kraft schafft. Dazu müssen wir die fragungen und Diskussionsforen effizien- EU – und zwar unter stärkerer Beteiligung ter nutzen. Zum anderen müssen wir Dis- ihre Bürgerinnen und Bürger – grundle- kussionsplattformen – wie Burgerdialoge, gend reformieren. Hausparlamente und demokratische Kon- vente – bereitstellen. Diese Plattformen Hierzu gehört für uns – neben Struktur- müssen regional ausgewogen sein und lo- reformen, welche die EU schneller hand- kale zivilgesellschaftliche Organisationen lungsfähig machen – die europäische Zi- müssen eng einbezogen werden. Nur so

18 | BBE DOSSIER NR. 6 Beer: Chancen zivilgesellschaftlichen Engagements nutzen können wir Reformideen diskutieren, wel- als Verkehrssprache nutzen konnen. Denn che einem klaren Kompass folgen. Denn alle Europaerinnen und Europaer sollen in wir wollen ein einiges, kein vereinheitlich- anderen europaischen Landern einfacher tes Europa. In einem Europa der Bürgerin- mit staatlichen Stellen sprechen konnen. nen und Bürger haben die Geschichte, die Das ist nicht nur eine große Erleichterung Traditionen, die Sprachen, die Heimat und fur Reisen, Arbeit, Ausbildung und Studi- Kultur der Regionen immer ihren Platz – um, sondern ermöglicht auch zivilgesell- und können so ihren ganzen Charme ent- schaftliches Engagement und politische falten. Mit pro-europäische Bewegungen Teilhabe. Geben wir den Europäerinnen wie Pulse of Europe wollen wir dabei zu- und Europäern eine hörbare Stimme. sammenarbeiten. Fünftens wollen wir ein Europa schaffen, Grundlage einer Gemeinschaft ist ihre Ver- in dem sich Menschen begegnen, sich aus- fassung – sie definiert a priori die Werte tauschen und gemeinsam etwas aufbau- einer Gesellschaft, führt die Bürgerinnen en. Ob im Schuleraustausch in Frankreich, und Bürgern zu einer Wertegemeinschaft der Berufsausbildung in Schweden, im Stu- zusammen, die Rechte und Pflichten fest- dium in Polen oder im Freiwilligendienst legt, und dient schließlich den politischen in Malta – Europa soll schon fruh mit all Mandatsträgern als Handlungsgrundlage. seinen Facetten, Kulturen und Eigenhei- Daher fordern wir Freie Demokraten drit- ten erfahrbar sein. Wer andere Lander so tens die Einberufung eines Europäischen erlebt, beginnt sie zu lieben – und Europa Konvents bis spätestens 2022, der den wachst zusammen. Grundvoraussetzung Weg zu einer gemeinsamen Verfassung dafür ist gelebte europäische Mehrspra- einer dezentral und bundesstaatlich orga- chigkeit – jeder Bürger soll neben Englisch nisierten EU ebnet. als ›lingua franca‹ der EU mindestens eine weitere Fremdsprache sprechen können. Der Konvent soll aus Vertreterinnen und Wir setzen uns daher für die Forderung Vertretern der nationalen Parlamente des Sprachenunterrichts und der Sprach- und Regierungen, des Europäischen Parla- kenntnisse von der Kita bis ins hohe Alter ments und der Kommission zusammenge- in der gesamten EU ein. Besonders wichtig setzt werden und die Bürger über Dialoge, sind uns dabei die Sprachen der jeweiligen Befragungen und (Online-)Eingaben direkt Nachbarländer. Ferner fordern wir die beteiligen. Am Ende des Prozesses ent- Einfuhrung der Bildungsfreizugigkeit als scheidet eine gemeinsame europäische neue Grundfreiheit, eine Aufstockung des Volksabstimmung über die Verfassung. Kontingents an kostenlosen Interrail-Ti- Wichtige Vorschläge zur Ertüchtigung der ckets und ein gemeinsames europaisches Strukturen sind ein Gesetzesinitiativrecht Geschichtsbuch unter Berucksichtigung für das Europäische Parlament sowie die der kulturellen und historischen Beson- Verkleinerung der EU-Kommission. derheiten und Gemeinsamkeiten der Mitgliedslander. Zur Stärkung europäi- Als vierten Punkt wollen wir Englisch als schen bürgerschaftlichen Engagements zusätzliche Verwaltungssprache in allen fordern wir die Schaffung eine EU-Binnen- Ämtern in Europa einführen. In einem marktes für gemeinnützige Organisationen ersten Schritt kann dies uber zentrale sowie die Schaffung eines europaischen Anlaufstellen gewahrleistet werden. Ziel Vereinsrechts, um so der Schwierigkeit muss es sein, dass alle Bürgerinnen und der EU-grenzuberschreitenden Anerken- Bürger in jedem EU-Mitgliedstaat Englisch nung des Gemeinnutzigkeitstatus, von

BBE DOSSIER NR. 6 | 19 Beer: Chancen zivilgesellschaftlichen Engagements nutzen

Spendenquittungen und Kooperationen – in ein grundlegend erneuertes Europa zu begegnen. der Freiheit und des Rechts. Diese Reise beginnen die Bürger Europas am 26. Mai Diese Ideen sollen uns dabei helfen, die EU 2019 – lassen Sie es uns gemeinsam Euro- umfassend im Interesse der Bürgerinnen pas Chancen nutzen! und Bürger zu reformieren. Denn die EU ist kein Selbstzweck sondern legitimiert sich Erschienen in den BBE Europa-Nachrichten durch das, was sie ihren Bürgerinnen und Nr. 3 vom 10.4.2019 Bürgern bietet – Freiheit, Friede, Wohlstand und Teilhabe. Klaus Kinkel hat es einmal so AUTORIN formuliert: »Europa wächst nicht aus seinen Verträgen. Europa wächst aus dem Herzen Nicola Beer, MdB, Staatsministerin a.D. der Menschen. Oder gar nicht.« Fragen wir ist seit 2013 Generalsekretärin der FDP. daher nicht, was Europa für uns tun kann – Nach Ihrem Studium (Ausbildung zur sondern was wir als Bürgerinnen und Bürger Bankkauffrau und Studium der Rechtswis- für Europa tun können. Und geben wir allen senschaften an der Goethe-Universität in auch die Möglichkeit, sich wirksam einbrin- Frankfurt. 1997 erstes juristisches Staats- gen zu können. Denn durch mehr Nahe und examen, von 1997 bis 1999 Rechtsrefe- Mitspracherecht gewinnt die Europaische rendariat und 1999 zweites juristisches Union neue Chancen. Staatsexamen) war sie als sselbstständige Rechtsanwältin tätig. Von 2012 bis 2014 Wir Freien Demokraten wissen, dass wir war Nicola Beer Kultusministerin in Hes- die Begeisterung, die wir für Europa emp- sen. Sie ist Spitzenkandidatin ihrer Partei finden, nur dann bei den Bürgerinnen und für die Europawahl. Bürgern voll entfachen können, wenn wir sie mitnehmen auf unsere Reise in einen Weitere Informationen Kontinent der Chancen und des Aufbruchs ü www.nicola-beer.de

20 | BBE DOSSIER NR. 6 MANUELA RIPA EUROPAWAHL UND ZIVILGESELLSCHAFT

Für viele war es eine faustdicke Überra- mittlerweile eine politische Gruppierung schung: das von der Ökologisch-Demokra- entwickelt, die allerdings durch gewalttä- tischen Partei (ÖDP) initiierte Volksbegeh- tige Aktionen gleichzeitig in vielen Berei- ren in Bayern zum Thema »Artenschutz« chen diskreditiert wurde. Ausgangspunkt erreichte innerhalb von nur zwei Wochen war eine höhere Umweltbesteuerung und mehr als 1,7 Millionen Unterschriften. Die der Protest gegen die Willkür der Mächti- Rettung der Bienen, stellvertretend für gen gegenüber einer wirtschaftlich immer tausende von bedrohten Arten, mobili- stärker unter Druck stehenden Mittel- sierte tatsächlich die Massen. Die Men- schicht. Interessant sind auch die Bemü- schen stellten sich trotz widriger Wetter- hungen der britischen Gesellschaft, sich bedingungen in lange Schlagen, um sich für gegen das »Brexit-Chaos« zu erheben, das das Volksbegehren einzutragen. Am Ende ironischerweise durch eine Volksabstim- war es in Deutschland das erfolgreichste mung ausgelöst wurde. Die beeindrucken- Volksbegehren aller Zeiten und hat ge- den Demonstrationen der Bürger Groß- zeigt: die Zivilgesellschaft lebt! Sie fand in britanniens sind gleichwohl als gewaltiger der Biene ihr überzeugendes Symbol und Protest gegen die Unfähigkeit eines poli- in Agnes Becker von der ÖDP Bayern ein tischen Systems zu verstehen, den Volks- Gesicht. Dieses kraftvolle Ausrufezeichen willen auch nur halbwegs adäquat umzu- ist nicht der einzige Ausdruck der neu er- setzen. wachten Zivilgesellschaft: Die Bewegung »Fridays for Future«, ausgelöst von der Da wo es jahrzehntelang eine berechtig- schwedischen Schülerin Gretha Thunberg, te Kritik an nicht oder kaum vorhandener sowie die Massendemonstrationen gegen Zivilgesellschaft gab, da tritt sie uns nun- sogenannte Upload-Filter im Internet im mehr gleich in mehrfacher Ausprägung in Rahmen der EU-Urheberrechtsreform zei- vielen Ländern Europas entgegen. In allen gen deutlich, dass sich politische Themen Fällen kann sie als Aufbegehren gegen das neue Wege der zivilgesellschaftlichen Mit- politische Establishment verstanden wer- bestimmung oder des Protests suchen. den. Offensichtlich haben sich auch durch neue technische Möglichkeiten über die Welche Bedeutung hat bürgerschaftliches sozialen Medien die Bedingungen für ge- Engagement für die Stärkung der europäi- sellschaftlichen Protest so massiv gewan- schen Zivilgesellschaft? delt, dass eine fulminante Organisation innerhalb kürzester Zeit möglich ist. Wäh- Die neuen Formen bürgerlichen und zivi- rend in Frankreich die übergreifende Ge- len Protests machen jedoch nicht an den walt letztendlich zum Reagieren der Politik Grenzen Deutschlands Halt. In Frankreich führte, war es in Bayern die schiere Masse hat sich aus einem »Gelbwesten-Protest« der Unterschriften, die aufgrund der Ver-

BBE DOSSIER NR. 6 | 21 Ripa: Europawahl und Zivilgesellschaft fassungssituation einen Politikwechsel hin Untersuchungen eindeutig nachgewie- zu einem besseren Natur- und Umwelt- sen. Ursächlich hierfür sind der übermä- schutz einleiten kann. ßige Einsatz von Düngemitteln und Pes- tiziden sowie die strukturelle Verarmung Welches Potential hat Zivilgesellschaft als der Landschaft. Jede verlorene Art und beratender Akteur in Europa? jeder gestörte Lebensraum ist nicht nur ein Verlust an Stabilität des natürlichen Bleiben wir beim bayerischen Beispiel, il- Lebensgefüges, sondern auch ein Verlust lustriert es doch anschaulich, dass ein re- an Schönheit der bayerischen Heimat und gional ausgelöster Prozess durchaus eine eine Beeinträchtigung der Lebensqualität Rolle auch auf europäischer Ebene spielen der Menschen. Das Volksbegehren ›Ret- kann. tet die Bienen‹, leistet durch die Verbes- serung und Ergänzung des Bayerischen Am 31. Januar 2019 begann das Sammeln Naturschutzgesetzes einen wirksamen der Unterschriften für einen substanziel- Beitrag zu Erhalt und Stärkung unseres len Artenschutz in Bayern. Nur zwei Wo- Artenreichtums (einschließlich des Boden- chen später, am 13. Februar 2019, waren lebens) im Freistaat Bayern. Dabei stehen knapp 1,8 Millionen Bürgerinnen und Bür- die Bienen stellvertretend für tausende ger in ihrem Rathaus, um dem Anliegen von bedrohten Arten. In einer Landschaft, mit ihrer persönlichen Signatur aktenkun- in der Wildbienen zu Hause sind, fühlen dig Nachdruck zu verleihen. Dadurch nahm sich auch Rebhuhn, Feldhase und Amei- das Volksbegehren den vorgesehenen ge- senbläuling wohl, Kammmolch, Ringelnat- setzlichen Lauf. Nach der bayerischen Lan- ter und Bachforelle profitieren ebenfalls desverfassung muss im Anschluss an ein von reduziertem Pestizid und Düngerein- erfolgreiches Volksbegehren die Staatsre- satz und wertvollen Landschaftselemen- gierung einen Gesetzesentwurf vorlegen. ten.« Sie kann den Entwurf des Volksbegehrens annehmen oder ablehnen, was aber an Die Bürger haben durch ihre Abstimmung sich bereits eine hohe Messlatte ist, da der Politik in Bayern klar gemacht, dass der zur Abstimmung vorliegende Gesetz- sie ein »Weiter so« der aktuellen Umwelt- entwurf mit der Unterstützung von fast politik, die einfach zu wenig am Natur- 20 Prozent der wahlberechtigten Bevölke- schutz und damit auch am Heimatschutz rung ein starkes Mandat hat. ausgerichtet ist, akzeptieren. Die Bürger haben der Politik auf eindrucksvolle Wei- Was hat so viele Menschen dazu gebracht, se gezeigt, wo es langzugehen hat und aktiv zu werden? In der Begründung zum dass man den »Willen des Volkes« nicht Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens weiter ignorieren oder halbherzig verfol- Artenvielfalt & Naturschönheit »Rettet die gen darf. Bienen!« heißt es wörtlich: »Gegenwärtig wird in Bayern ein dramatischer Arten- Auch in Europa konnten Bürger die aktu- verlust verschiedenster Gruppen von Tie- elle EU-Politik beeinflussen. Die Europä- ren und Pflanzen festgestellt. Gerade der ische Bürgerinitiative macht es möglich, drastische Rückgang der Artenvielfalt bei dass sich eine Million EU- Bürger unmittel- den Insekten, insbesondere den Bienen bar an der Entwicklung von Strategien der und Schmetterlingen, den Amphibien, den EU beteiligen, indem sie die Europäische Reptilien, den Fischen, den Vögeln und Kommission auffordern, einen Rechtsakt den Wildkräutern ist durch einschlägige vorzuschlagen.

22 | BBE DOSSIER NR. 6 Ripa: Europawahl und Zivilgesellschaft

Nehmen wir hier als Beispiele zwei der direkt ins Europäische Parlament trans- erfolgreichen Europäischen Bürgerinitiati- portiert werden. Es entsteht demnach ve wie »Right2Water«, also das Recht auf auch ein Anreiz für die ÖDP, im Rahmen sauberes Trinkwasser in ganz Europa, und ihres Wahlkampfes zivilgesellschaftliche die Europäische Bürgerinitiative »Stopp Initiativen noch stärker zu unterstützen Glyphosat«. Bei letzterer haben mehr als und sich zu ihrem politischen Sprachrohr eine Million Bürger aus 22 Mitgliedsstaa- zu machen. Die Europawahl bietet hier ten die Kommission aufgerufen, in den für eine ideale Grundlage, insbesondere Mitgliedsstaaten das Verbot von Glypho- seit dem Wegfall der Fünfprozent-Hürde, sat durchzusetzen und den Pestizideinsatz da somit auch kleinere politische Grup- zu verringern. Auch hier wiederum haben pierungen die Möglichkeit haben, sich re- sich Bürger der EU gegen das Vorgehen alistische Hoffnungen auf ein Mandat in der Regierungen gestellt und zum Wohle der Straßburger Versammlung zu machen aller in Europa gehandelt. Bürger werden und sich somit noch stärker einbringen. immer mehr zum Korrektiv der aktuellen, Für die Demokratieentwicklung in Euro- nicht am Gemeinwohl orientierten Politik. pa ist dies von maßgeblicher Bedeutung, da die Wählerinnen und Wähler die EU Diese Beispiele zeigen somit, wie zivilge- nicht mehr als abstrakt und weit entfernt, sellschaftliche Prozesse in Europa inter- sondern als politische Ebene empfinden, agieren und schlussendlich Wirkung zei- auf die man aktiv Einfluss nehmen kann. gen können. Die ÖDP wird jedenfalls weiter mittels von Volksbegehren und Initiativen für Warum ist die Teilnahme an der Europa- mehr direkte Demokratie kämpfen, damit wahl entscheidend für die Demokratie- auch dem Anliegen der Bürger Gehör ver- entwicklung in Europa? schafft wird. Mit einem erneuten Einzug ins Europäische Parlament würde dem Ohne Zweifel braucht der zivilgesell- geholfen werden. Den Zuspruch, den die schaftliche Protest auch einen politischen »Bienenrettern« an den Info-Ständen er- Arm, um in die Parlamente oder direkt fahren, lässt berechtigterweise den Ein- in die politischen Entscheidungsmecha- druck zu, dass diese Art der direkten De- nismen zu gelangen. Dies erklärt auch, mokratie gewollt ist. warum sich die ÖDP so stark an diesen Initiativen beteiligte oder diese sogar aus- Erschienen in den BBE Europa-Nachrichten löst. Historisch gesehen ist die mit einem Nr. 3 vom 10.4.2019 Mandat im EU-Parlament vertretene ÖDP, die bereits 1982 gegründet wurde, die er- AUTORIN folgreichste politische Partei beim Initi- ieren zivilgesellschaftlicher Prozesse. Ein Manuela Ripa ist Spitzenkandidatin der bekanntes Beispiel war die Stärkung des Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) Nichtraucherschutzes, die ebenfalls durch für das Europäische Parlament. Manuela ein Volksbegehren in Bayern durch die Ripa, Juristin aus Saarbrücken und stell- ÖDP ausgelöst wurde. Auch hat es die ÖDP vertretende Landesvorsitzende der ÖDP- mit einem Volksbegehren geschafft, den Saar, war zuerst Referentin dann Leiterin bayerischen Senat abzuschaffen. Durch eines Abgeordnetenbüros im Europäi- die Teilnahme der ÖDP an den Europa- schen Parlament (Zuständigkeitsbereiche: wahlen, kann der zutiefst demokratische Ausschuss für Industrie, Forschung und Ansatz zivilgesellschaftlicher Initiativen Energie (ITRE), Ausschuss für Umweltfra-

BBE DOSSIER NR. 6 | 23 Ripa: Europawahl und Zivilgesellschaft gen, Volksgesundheit und Lebensmittelsi- ters tätig. Manuela Ripa ist seit 2011 EU- cherheit (ENVI), Ausschuss für Landwirt- Referentin für Landwirtschaft, Energie, schaft und ländliche Entwicklung (AGRI) Umwelt und Gesundheit in Brüssel. und Ausschuss für Haushaltskontrolle (CONT)). Später war sie als persönliche Weitere Informationen Referentin des Bundesgesundheitsminis- ü www.manuela-ripa.eu

24 | BBE DOSSIER NR. 6 GILLES BORDELAIS NICHT NUR WAS FÜR »PROFIS«: FÜR EIN VEREINTES EUROPA MIT EINER STARKEN ZIVILGESELLSCHAFT

Beginnen wir mit einer offenen Frage: wir spezifisches Thema konzentrieren, wie als Zivilgesellschaft aus Europäerinnen zum Beispiel die Durchsetzung eines Ini- und Europäern, was möchten wir? Einen tiativrechts für die Bürgerinnen und Bür- möglichst freiheitlichen, konfliktfreien ger Europas2. Das Recht also, gemeinsam Raum, wo wir uns entfalten, miteinander Gesetzte anzustoßen, zu verändern oder austauschen und unser Zusammenleben zu stoppen. Oder die Initiative gegen ein gestalten können. Eben das Schwinden Leistungsschutzrecht3. dieses Raums wurde jedoch vom Europä- ischen Wirtschafts- und Sozialausschuss Den weit größeren Beitrag aber leistet die als einer der fünf Hauptfaktoren genannt, professionelle Lobby der Unternehmens- die die Zukunft der Zivilgesellschaft in der und Industrieverbände. Sie hat mehr Mit- EU gefährden1. tel, mehr Personal und kann mit mehr Ent- scheidungsträgern in Kontakt treten und So gesehen kann uns das europäische Ei- ihre wohlgefeilten Argumenten unterbrei- nigungsprojekt gar nicht teuer genug sein. ten. Sehen lässt sich das sehr gut an dem Die EU ermöglicht nicht nur Wohlstand deutschen Kommissar, Günther Oettinger, und andauernden Frieden innerhalb ihrer der sich, obwohl er schon 2016 vom digi- Grenzen, sie gibt Europäern und Europä- talen Portfolio zum Budget gewechselt ist, erinnen auch eine starke Stimme in der seit seinem Amtsantritt in 85 Prozent der Welt. Die aus diesen Errungenschaften Fälle mit Unternehmensvertretungen und resultierende Stabilität gibt Individuen Consultants trifft4. NRO machen dagegen die Freiheit, sich der Gestaltung der Ge- nur 7 Prozent aus. Nicht von ungefähr sellschaft zu widmen. Es ist also jedem eilt Oettinger der Ruf voraus, besonders von uns daran gelegen, dass Europa wei- industriehörig zu sein. Er ist aber nicht ter zusammenwächst. Aber können denn alleine mit seiner Einstellung. Die oberen die Bürgerinnen und Bürger der EU etwas Etagen der Kommission lassen sich in 70 dazu beitragen? Ja. Nicht nur können sie, Prozent der Fälle lieber von Menschen sie sind dafür sogar unverzichtbar. informieren, die im jeweiligen Bereich nach Profit streben. Bildung? Gesund- Die Macht der Lobbys heit? Arbeitsmarkt? Sicherheit? Internet? Umwelt? Das überlässt man lieber den Die Zivilgesellschaft wird in Brüssel und Straßburg hauptsächlich durch Nichtre- gierungsorganisationen vertreten. Hin- zu kommen Initiativen, die sich auf ein 2 http://www.citizens-initiative.eu/about/the-eci- campaign/ 1 https://www.eesc.europa.eu/sites/default/files/ 3 https://leistungsschutzrecht.info/hintergrund files/qe-04-17-886-en-n.pdf 4 https://www.integritywatch.eu

BBE DOSSIER NR. 6 | 25 Bordelais: Für ein vereintes Europa mit einer starken Zivilgesellschaft

»Profis«.5 Bürgerinnen und Bürger stören Die Bürgerinnen und Bürger Europas sind da nur. Erst recht, wenn sie motiviert sind. mächtiger, als sie glauben. Erst recht, wenn sie sich organisieren. Eindrücklich Chancen für Veränderung wurde das demonstriert, als die Europä- ische Kommission den Plan gefasst hatte, Nicht falsch verstehen. Es ist an sich nichts die Wasserversorgung in der EU zu priva- dagegen zu sagen, dass sich die Politik bei tisieren. Eine Europäische Bürgerinitiative Führungskräften aus Wirtschaft und In- (EBI)9 formierte sich und half, gegen die- dustrie informiert. Wenn sie das jedoch ses Vorhaben zu protestieren. Es war die fast ausschließlich tut, ist die Gefahr erste EBI, welche die erforderliche eine enorm, dass dabei das Gemeinwohl ver- Million Unterschriften einsammelte. Der gessen wird. zuständige Kommissar erkannte darauf- hin, dass die Idee fehlgeleitet war und Ein aktuelles Beispiel ist die derzeitige Ur- ließ den Plan fallen. Wie viele Bürgerin- heberrechtsdebatte. Dabei wird das Recht nen und Bürger der EU braucht man, um der Verlage, aus Nachrichten Geld zu ma- eine Europäische Bürgerinitiative zu star- chen, höher gewertet wird als die für eine ten und so maßgebliche Veränderungen Demokratie unabdingbare Notwendigkeit, zu erwirken? Sieben. ebendiese Nachrichten teilen zu können und sich darüber auszutauschen6. Hier Auch einer einzelnen Person stehen Mög- kann Bürgerengagement ansetzen. lichkeiten zur Verfügung: Sie kann eine Petition an das Europäische Parlament Die europäische Politik, angeblich so weit richten oder bei der Europäischen Bürger- weg im fernen Brüssel, ist eigentlich viel beauftragten (auch »Ombudsmann« ge- erreichbarer als oft angenommen. Mit ei- nannt) Beschwerde einlegen. Die europä- nem Klick finden Sie zum Beispiel die Kon- ische Gerichtsbarkeit steht ebenfalls Pri- taktdaten von Günther Oettingers Stab7 vatpersonen zur Verfügung, um EU-Recht sowie von allen deutschen Mitgliedern durchzusetzen. des Europäischen Parlaments8. Solche Da- ten sind frei verfügbar und machen aus Da viele dieser Möglichkeiten auch online jeder engagierten Bürgerin, jedem moti- wahrgenommen werden können, können vierten Bürger einen nicht zu ignorieren- auch Menschen im hohen Alter oder mit den Lobbyisten: Jede Krankenschwester, Behinderung ganz nach ihrem Rhythmus die eindrücklich und persönlich einer die- die EU mitgestalten. Das ist ein enormer ser Personen ihre Arbeitsrealität schildert, demokratischer Fortschritt. leistet einen Beitrag dazu, dass die nächs- te Reform nicht nur von der Pharmalobby Die Bürgerinnen und Bürger der EU kön- diktiert wird. nen auch ganz ohne institutionelle Werk- zeuge die politische Agenda diktieren. Das Engagement um den Hambacher 5 https://twitter.com/c_lindner/sta- Forst sowie die Schülerstreiks für das Kli- tus/1104683096107114497 6 https://de.wikipedia.org/wiki/Leistungsschutz- ma zeugen davon. Die »klassische« Teil- recht_für_Presseverlegerhb nahme an der Politik, das Wählen, sollte 7 https://ec.europa.eu/commission/commissio- jedoch nicht missachtet werden. In der ners/2014-2019/oettinger/team_en Tat ist das Europäische Parlament, das wir 8 http://www.europarl.europa.eu/meps/de/search/ advanced?name=&groupCode=&countryCode=DE&b 9 https://de.wikipedia.org/wiki/Europäische_Bürger- odyType=ALL initiative

26 | BBE DOSSIER NR. 6 Bordelais: Für ein vereintes Europa mit einer starken Zivilgesellschaft alle Ende Mai wählen, in hohem Maße re- Anmerkung: »Bürgerin/Bürger« in diesem präsentativ. Nicht nur haben auch nicht- Text bedeutet jede Privatperson, die ihren etablierten Parteien oder Wählerverei- Wohnsitz in der EU hat. nigungen eine Chance auf einen Sitz (in Deutschland ab ca. 0,4 Prozent), sondern Erschienen in den BBE Europa-Nachrichten diese können, insoweit sie im europäi- Nr. 3 vom 10.4.2019 schen Parlament Mitstreiterinnen und Mitstreiter finden, auch echte Verände- AUTOR rungen erwirken. Gilles Bordelais ist überzeugter Europäer. Unsere Aufgabe Innerhalb der Piratenpartei Deutschland konzentriert er sich auf die Felder Demo- Die Bürgerinnen und Bürger Europas sol- kratie, Transparenz, Beteiligung und EU- len sich unbedingt in die Gestaltung der Angelegenheiten. EU einmischen. Nur so erhalten wir eine EU, die wir auch wollen. Nur so bleibt uns Weitere Informationen die EU erhalten. ü www.gillesbordelais.eu

BBE DOSSIER NR. 6 | 27 DANIEL CASPARY, MDEP EUROPAWAHL 2019: ZWISCHEN PARLAMENT, POPULISMUS UND PARTIZIPATION

Frieden, Sicherheit und Rechtsstaatlich- und die Errungenschaften der europäi- keit sind Pfeiler jenes Wertegerüstes, das schen Gründerväter in Frage und strapa- unser Haus Europa seit mehr als einem zieren den Zusammenhalt der Mitglied- halben Jahrhundert zusammenhält. Im staaten. Besonders jetzt gilt es daher, Zentrum dieses Hauses stehen seine Bür- dass in den letzten Jahren verloren ge- ger, auf deren Wohlbefinden jede Initia- gangene Vertrauen in Europa zurückzuge- tive, jede Entscheidung und jedes Gesetz winnen. Hierfür ist es wichtig, genügend der Europäischen Institutionen abzielt. Raum für die Zivilgesellschaft zu schaffen Doch funktioniert die Europäische Union und sie in den politischen Prozess einzu- nicht nur für die Gesellschaft, sondern mit binden, denn leider scheint es oftmals, als der Gesellschaft. Bürger sollen nicht Zeu- würden Politiker über die Köpfe der Men- gen des politischen Prozesses sein, son- schen hinweg entscheiden. dern selbst zu Akteuren werden, um unser Europa aktiv mitgestalten zu können. Partizipation muss gestärkt werden

Wir befinden uns in Zeiten des Umbruchs. In der Beziehung zwischen Politik und Die zunehmende Globalisierung stellt uns Gesellschaft besitzt die Zivilgesellschaft vor große Herausforderungen, die oft- bereits eine lange Tradition. Sie wird als mals mit Unsicherheiten und Risiken ein- Bereich betrachtet, in dem gesellschaft- hergehen. Dazu kommen die Konflikte der liche Vereinigungen und Bewegungen letzten Jahre rund um Finanzen, Migrati- ihren Platz finden. Hier werden die Anlie- on oder Brexit, die die Europäische Union gen der Bürger benannt, gesammelt und auf eine harte Belastungsprobe stellen. in die Politik getragen. Sie leistet einen Es steht außer Frage, dass die gegenwär- Beitrag, agiert als Kontrollsystem, stärkt tigen Entwicklungen Wasser auf die Müh- politische Entscheidungen und ist eine len von Populisten liefern, die sich rele- wichtige Maßnahme gegen Politikverdros- vante Zukunftsthemen weltweit zu eigen senheit. Geht es um die Frage, wie aber machen, Informationen aufbauschen und möglichst weite Teile der Gesellschaft zur Unwahrheiten verbreiten, um Ängste zu Partizipation in der Europäischen Union schüren. Geht es jedoch darum, Lösun- bewegt werden können, ist klar: Ein Ap- gen zu finden und richtig zu handeln, sind pell seitens der Politik reicht hierfür nicht sie oftmals überfragt. Dennoch: Obwohl aus. Vielmehr müssen wir funktionierende Europa die höchsten Zustimmungswerte Informations- und Partizipationskanäle für seit über 25 Jahren hat, dürfen sie sich die Menschen zur Verfügung stellen und Hoffnung auf Gewinne bei der kommen- gute Bedingungen schaffen, unter denen den Parlamentswahl machen. Sie stellen sie sich wirksam im politischen Raum en- unser gemeinsames Wertefundament gagieren können.

28 | BBE DOSSIER NR. 6 Caspary: EU-Wahl 2019: Zwischen Parlament, Populismus und Partizipation

Ein bürgernahes Europa Europa, jedoch müssen wir in Zukunft noch mehr tun. So haben wir als CDU/ Mit Artikel 11 des Vertrags von Lissabon CSU-Gruppe in unserem Europawahl- hat die Europäische Union die Zivilgesell- programm festgehalten: Unser Europa schaft berechtigt, ihre Ansichten öffent- hört auf die Menschen. Als Volkspartei lich bekannt zu geben und auszutauschen. werden wir daher auch weiterhin für ein Vor diesem Hintergrund führte die Kom- demokratisches und bürgernahes Europa mission zwischen Januar 2015 und Sep- kämpfen. tember 2017 über 300 Bürgerdialoge in 145 europäischen Städten durch. Diese Die Vertreter des Volkes sollten auch im ermöglichten den Kommissaren, Europa Alltag stets ein offenes Ohr für die Belan- »vor Ort« und zu erleben und Bürgernähe ge der Menschen haben und den konst- zu schaffen und zu nutzen. Auch im Zuge ruktiven Austausch mit der Gesellschaft der Entwicklung und Verhandlung wich- fördern. Besonders freue ich mich des- tiger Handelsabkommen zwischen der halb über persönliche Gespräche mit den Europäischen Union und Ländern wie Ka- Bürgern, aber auch über die zahlreichen nada oder Singapur sind die Bürger stets Zuschriften, die mich erreichen. Ich be- gefragt – schließlich hängt jeder siebte Ar- trachte den Dialog mit ihnen als wichtiges beitsplatz in Europa vom Handel ab. Das Feedback zu meiner politischen Arbeit Handelsabkommen mit Japan, das am 1. und als großartige Chance, um zu erken- Februar 2019 in Kraft getreten ist, sichert nen: Welche Probleme gibt es? Wo muss Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze die Politik anpacken? in ganz Europa. In der Ausarbeitung des Abkommens war es unabdingbar, auch Gemeinsam sind wir stark Vertreter der Zivilgesellschaft miteinzube- ziehen. Ohne die Bürger ist gute Handels- Klar ist: 2019 ist ein Schicksalsjahr für die politik nicht möglich, denn nur umsichtig Europäischen Union. Das Schicksal liegt ausgehandelte Abkommen, die auch die nämlich in den Händen der Bürger Euro- Sorgen der Gesellschaft miteinbeziehen, pas, denn sie entscheiden bei der Wahl können wir als Europäische Union akzep- am 26. Mai, welches Europa sie wollen. tieren. Auch die an der Europawahl teilnehmen- den Populisten setzen auf das europäi- Neben konventionellen Partizipations- sche Volk – allerdings vor allem auf seine formen, wie Bürgerbriefen, brauchen Enthaltung von der Europawahl. In diesen aktive Bürger aber auch neue digitale bewegten Zeiten müssen wir deshalb die Möglichkeiten, damit sie ihre Argumente Gesellschaft in die Europapolitik mitein- und Erfahrungen wahrnehmbar machen beziehen und das Engagement der Bür- und sich gegenseitig vernetzen können. ger aktivieren. Wir müssen uns in Erinne- Ein geeignetes Instrument, um die gesell- rung rufen: Unsere Gründerväter haben schaftliche Teilhabe in der Europäischen das Haus Europa mit seinen Werten und Union zu stärken, ist beispielsweise die Tugenden gemeinsam mit und für die neu reformierte Europäische Bürgerin- Menschen aufgebaut. Nur gemeinsam itiative. Über diese kann die Europäi- können wir es auch in Zukunft aufrecht sche Kommission auch digital zu einem halten. Rechtsakt bewegt werden. Sicherlich ist die Europäische Bürgerinitiative der rich- Erschienen in den BBE Europa-Nachrichten tige Schritt hin zu einem bürgernahen Nr. 3 vom 10.4.2019

BBE DOSSIER NR. 6 | 29 Caspary: EU-Wahl 2019: Zwischen Parlament, Populismus und Partizipation

AUTOR seit 2017 stellvertretender Landesvor- sitzender der CDU Baden-Württemberg, Daniel Caspary, MdEP, Technischer Dip- seit 2011 Mitglied des Präsidiums der CDU lomvolkswirt, ist seit 2004 Mitglied des Baden-Württemberg, seit 2010 Kreisvor- Europäischen Parlaments und seit 2017 sitzender der CDU Karlsruhe-Land und seit Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Eu- 2007 Mitglied im Europaausschuss des ropäischen Parlament. 2014 bis 2017 war Deutschen Bundestags. er Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Par- Weitere Informationen lament. Zudem ist Daniel Caspary, MdEP ü www.caspary.de

30 | BBE DOSSIER NR. 6 MARIA NOICHL, MDEP DIE EU MUSS AUCH EIN PROJEKT DER BÜRGERINNEN UND BÜRGER SEIN

Ohne eine lebendige und diverse Zivil- 2. Über einen institutionalisierten Weg: gesellschaft kann es keine Demokratie Als Teil einer Organisation, sei sie regional, geben. Dies gilt für die einzelnen Mit- national oder auf europäischem Niveau, gliedstaaten sowie es auch für die EU als durch Anruf des Petitionsausschusses des Ganzes gilt. Dass dies wahr ist, wird uns Europäischen Parlaments oder über die immer dann schmerzlich bewusst, wenn Europäische BürgerInneninitiative Demokratie eingeschränkt werden soll und die Arbeit der Zivilgesellschaft er- 3. Als Teil einer thematisch und zeitlich be- schwert und beschränkt wird. Die Lage grenzten Bewegung, die mit Hinblick auf der Zivilgesellschaft ist daher auch immer ein bestimmtes Thema mit mir Kontakt ein Anzeiger für die Lage einer Demokra- aufnimmt tie. Die Entwicklungen der letzten Jahre in Ungarn, einem Land in der Mitte unserer In den letzten Jahren erlebe ich mehr und europäischen Gemeinschaft, machen dies mehr Kampagnen, die in der letztgenann- deutlich. ten Gruppe ihren Ursprung haben. Es gibt in der EU mehr und mehr das Bewusstsein Die meisten der europäischen Mitglied- dafür, dass es möglich und wichtig ist, sich staaten verfügen über eine vom Staat mit den Entscheiderinnen und Entschei- geförderte und institutionalisierte Zi- dern in Brüssel direkt in Verbindung zu vilgesellschaft. Nur so kann garantiert setzen und auf Entwicklungen hier zu re- werden, dass verschiedenste Meinungen agieren. Denn nur, weil die Entscheidun- und Forderungen Gehör und ihren Weg gen in einem gefühlt entfernten Brüssel in den politischen Meinungsbildungspro- gefasst werden, heißt das nicht, dass sie zess finden. Dies müssen wir für die Wei- mit den BürgerInnen in den unterschiedli- terentwicklung unserer Gesellschaft auf chen Ländern und Regionen wenig zu tun nationalem wie auf europäischem Niveau haben. Ganz im Gegenteil. Wir sind auf garantieren. ihre Meinungen angewiesen. Denn einer einzelnen Abgeordneten oder einem ein- Als Abgeordnete des Europäischen Par- zelnen Abgeordneten ist es unmöglich, laments bin ich den europäischen Bürge- alle möglichen Perspektiven zu einem rinnen und Bürgern verpflichtet und be- Thema zu kennen und alle Auswirkungen gegne ihren Wünschen, Forderungen und abschätzen zu können. Wir brauchen dazu Vorstellungen zur EU vor allem auf drei den Dialog mit den Menschen. verschiedenen Wegen: Das Bewusstsein für europäische Themen 1. Als Individuen bei Begegnungen in mei- und ihren Einfluss auf das Leben vor Ort nem Wahlkreis kann ein erster Schritt zu einer tatsächli-

BBE DOSSIER NR. 6 | 31 Noichl: Die EU muss auch ein Projekt der Bürgerinnen und Bürger sein chen europäischen Zivilgesellschaft sein. ligungsrate in einigen Mitgliedstaaten bei Wir müssen begreifen, dass solche The- der letzten Wahl zum Europäischen Parla- men nicht nur national zu diskutieren und ment sehe ich daher mit Sorge. Gleichzeitig betrachten sind, sondern auch grenzüber- dürfen auf Grund der Struktur der EU die greifend diskutiert werden müssen. Nur nationalen Wahlen und ihre Bedeutung für wenn die Menschen in der EU in einen die EU nicht unterschätzt werden: Denn tatsächlichen permanenten Dialog mitei- durch den Europäischen Rat entscheiden nander treten, werden europäische Ent- auch in Brüssel letztendlich die nationa- scheidungen auch wirklich europäisch ge- len Regierungen mit. Deshalb müssen die troffen. Bisher ist unsere Perspektive und Wählerinnen und Wähler auch hier immer Herangehensweise noch national geprägt. ganz genau schauen, wen sie wählen. Die Bisher wägen wir Entscheidungen noch zu EU gestaltet unseren Alltag in vielerlei Hin- häufig in Bezug auf unsere nationalen In- sicht – unsere Aufgabe muss es sein, den teressen ab. Das Voranschreiten des euro- Menschen zu zeigen, dass ihre Stimme den päischen Projekts aber verlangt, dass wir Unterschied macht und dass es in der EU uns mehr in die anderen EU-Bürgerinnen zwar oft um Details geht, aber doch vor al- und -Bürger hineinversetzen, ihre Positio- lem um das große Ganze: ein solidarische- nen kennen, mit ihnen diskutieren und am res und nachhaltigeres Europa für alle. Ende den Weg gehen, der für die EU der Beste ist. Und genau dazu braucht es eine Erschienen in den BBE Europa-Nachrichten offene, lebendige und diskussionsfreudige Nr. 3 vom 10.4.2019 Zivilgesellschaft. Eine Zivilgesellschaft, die sich einmischt und wachrüttelt – bisher AUTORIN gegangene Wege auch mal in Frage stellt. Und die ganz klar die europäische Gemein- Maria Noichl, MdEP ist seit 2014 Abgeord- schaft und die Weiterentwicklung der EU nete im Europäischen Parlament. Sie ist im Sinn hat. Denn die EU ist und bleibt das Mitglied im Ausschuss für die Rechte der Projekt ihrer Bürgerinnen und Bürger. Frau und die Gleichstellung der Geschlech- ter sowie im Ausschuss für Landwirtschaft Dafür sind auch die Europawahlen ent- und ländliche Entwicklung. Seit Juli 2018 scheidend. Denn diese beeinflussen, wer ist sie zudem ASF-Bundesvorsitzende. Vor- im Europäischen Parlament sitzt und wel- her war sie sowohl Abgeordnete im Baye- che Entscheidungen hier getroffen wer- rischen Landtag als auch Stadträtin in ihrer den. Ein paritätisch und divers besetztes Heimatstadt Rosenheim. Europäisches Parlament ist auch die Basis für die Einbindung der Zivilgesellschaft in Weitere Informationen Entscheidungsprozesse. Die niedrige Betei- ü www.maria-noichl.eu

32 | BBE DOSSIER NR. 6 JENS GEIER, MDEP WELCHE RELEVANZ HAT BÜRGERSCHAFTLICHES ENGAGEMENT FÜR DIE STÄRKUNG DER EUROPÄISCHEN ZIVILGESELLSCHAFT?

Ein Instrument der Zivilgesellschaft ist die funktionieren. Wir wollen eine europäi- Europäische Bürgerinitiative. In der Euro- sche Identität fördern, die bei den Europä- päischen Union gibt es seit dem Vertrag erinnen und Europäern stärker neben die von Lissabon erstmals dieses Instrument Verbundenheit mit ihren Mitgliedsstaaten transnationaler partizipativer Demokratie. und Regionen treten soll. Dafür ist die ge- Seit 2012 können mindestens eine Milli- meinsame Kultur ein wichtiger Motor. Wir on EU-Bürgerinnen und Bürger aus min- wollen auch über Kultur, Bildung und den destens sieben EU-Mitgliedstaaten durch Austausch zwischen unseren Gesellschaf- ihre Unterschrift die Europäische Kommis- ten erreichen, dass die Bedeutung dieses sion auffordern, einen Gesetzgebungs- einmaligen Projekts Europa für jeden Ein- vorschlag im Rahmen ihrer Befugnisse zelnen und jede Einzelne deutlich spürbar, vorzulegen und damit ein Thema auf die erlebbar und gestaltbar wird. Wir wollen Agenda der europäischen Politik setzen. ein Europa, das für die Bürgerinnen und Die Zahl der erfolgreichen Initiativen zeigt Bürger da ist, das Freiraum, Kreativität jedoch, dass noch Nachholbedarf besteht: und Ideen für alle ermöglicht. Deshalb Bisher haben von 76 Initiativen erst 4 die können wir es nicht zulassen, dass in Eu- erforderliche Anzahl an Unterschriften er- ropa Regierungen den Einfluss und Hand- reicht. Darunter eine Initiative gegen das lungsspielraum zivilgesellschaftlicher Ini- Pflanzenschutzmittel Glyphosat sowie für tiativen, von Künstlerinnen und Künstlern Wasser als Menschenrecht. Organisatorin- systematisch einschränken. nen und Organisatoren von Initiativen und Bürgerinnen und Bürgern wurden bisher Welches Potential hat Zivilgesellschaft als zu viele Hürden in den Weg gestellt. Das beratender Akteur in Europa? Europäische Parlament hat daher bereits seit längerem eine Überarbeitung der Ver- Eine aktive europäische Zivilgesellschaft ordnung zur Bürgerinitiative gefordert. ist die Brücke zu den Bürgerinnen und Bür- gern. Ihre Beteiligung war nie wichtiger als Seit der Einführung dieses Instruments heute - ist die Europäische Union doch un- vor sieben Jahren haben sich mehr als ter gewaltigem Druck von innen und von neun Millionen Menschen an einer Eu- außen. Zivilgesellschaftliches Engagement ropäischen Bürgerinitiative beteiligt. Das ist für die europäische Integration uner- zeigt, wie stark der Bedarf nach direkter lässlich. Europas Bürgerinnen und Bürger und grenzüberschreitender Demokratie in müssen nicht nur besser über »ihr« Euro- Europa ist. pa informiert werden. Sie brauchen Betei- ligung über ihre europäischen Netzwerke Demokratie kann ohne eine plurale, kre- und müssen in einen regelmäßigen Dialog ative und kritische Zivilgesellschaft nicht einbezogen werden.

BBE DOSSIER NR. 6 | 33 Geier: Welche Relevanz hat bürgerschaftliches Engagement

Gemeinsam müssen wir verhindern, dass Europa. Europawahlen müssen tatsächlich die Demokratie zu einer Diktatur der europäisiert und europäische Parteien ge- Mehrheit wird. Wenn mit rechtspopulisti- stärkt werden. schen parlamentarischen Mehrheiten der Kernbestand demokratischer Grundprin- Europa braucht das Vertrauen der Bürge- zipien geschleift wird, muss die Europäi- rinnen und Bürger in eine starke, funktio- sche Union die Rechtsstaatlichkeit schüt- nierende Demokratie. Sie muss dringend zen. Die Meinungs- und Pressefreiheit, die bürgernäher und noch verständlicher wer- Gleichstellung der Geschlechter, das Ver- den. Dieses Vertrauen gewinnen wir nur, sammlungsrecht, die Unabhängigkeit der wenn die Entscheidungsfindung in Europa Justiz, die Freiheit und Gleichheit der Wahl, mehr Mitsprache ermöglicht, gute Ergeb- Rechte Andersdenkender, der Schutz ei- nisse und den sozialen Fortschritt für alle ner pluralen Zivilgesellschaft. Es wird Zeit, bringt. Das Herzstück der europäischen dass Europa wehrhafter wird und nicht Politik muss das Voranbringen des europä- zaudert und zusieht, wie die Demokratie ischen Einigungsprojektes sein. Wir wollen ihren Feinden auch noch die Mittel liefert, deshalb die europäische Demokratie und sie letztendlich abzuschaffen. die Gemeinschaftsinstitutionen stärken, denn sie sind die Garanten dafür, dass nicht Wir wollen im europäischen Gesetzge- nationale Egoismen, sondern das gemein- bungsprozess zivilgesellschaftlichen Ak- same europäische Interesse im Vorder- teuren wie Vereine, NGOs, Projekte und grund steht. Bürgerinnen und Bürger sollen Initiativen eine transparente und chancen- mitentscheiden, das Parlament muss stär- gleiche Einbindung ermöglichen. Uns geht ker werden und eine europäische Öffent- es um einen gleichberechtigten Dialog al- lichkeit soll über politische Entscheidungen ler Partnerinnen und Partner. streiten. Damit legen wir die Grundlage für einen friedlichen Kontinent, der Demokra- Warum ist die Teilnahme an der Europa- tie lebt und der nicht gegeneinander, son- wahl entscheidend für die Demokratieent- dern miteinander handelt. So tragen wir wicklung in Europa? das große Erbe Europas ins 21. Jahrhun- dert. Zukünftige Generationen sollen dann Das Europäische Parlament ist der zentra- nicht nur wie Europäerinnen und Europäer le Ort für die Vertretung der Menschen in reisen, sondern selbstverständlich wie Eu- Europa, für politische Debatten und Ent- ropäer fühlen, denken und leben. scheidungen. Seit 40 Jahren wird es alle fünf Jahre direkt von den Bürgerinnen und Wir kämpfen weiter für ein starkes Europa Bürgern der EU gewählt. Als Vertretung und dazu ist die Beteiligung an der Wahl dieser ist es endlich an der Zeit, dass das ein wichtiger Beitrag der Bürgerinnen und Europäische Parlament auf gleicher Höhe Bürger. mit dem Rat der Ministerinnen und Minis- ter steht. Erschienen in den BBE Europa-Nachrichten Nr. 3 vom 10.4.2019 Eine Augenhöhe, die sich auch beim The- ma Transparenz wiederspiegeln muss. AUTOR Wir setzten uns dafür ein, dass das Par- lament die Vielfalt Europas repräsentiert Jens Geier, MdEP vertritt seit dem 14. und dazu gehört für uns auch ein starkes Juli 2009 als Abgeordneter im Europä- Signal für die Gleichstellung von Frauen in ischen Parlament die Städte Duisburg,

34 | BBE DOSSIER NR. 6 Geier: Welche Relevanz hat bürgerschaftliches Engagement

Essen, Mülheim und Oberhausen, sowie im Europäischen Parlament und in dieser die Kreise Kleve, Viersen und Wesel. Jens Funktion ständiger Gast im Vorstand und Geier ist stellvertretender Vorsitzender im Präsidium der SPD. Jens Geier ist Kan- des Haushaltsausschusses und stellver- didat für die Europawahl 2019, Listen- tretendes Mitglied im Ausschuss Indust- platz 4. rie, Forschung und Energie. Seit Anfang 2017 ist Jens Geier Vorsitzender der Eu- Weitere Informationen ropaSPD, also der 27 SPD-Abgeordneten ü www.jens-geier.de

BBE DOSSIER NR. 6 | 35 KANDIDAT*INNEN FÜR DAS EUROPAPARLAMENT WOLLEN EINE INTERGROUP VOLUNTEERING DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS

Das Europäische Freiwilligenzentrum Gerade auch aus der Perspektive der Er- (CEV)1 macht, wie schon 2014, eine eu- fahrungen des BBE über einen Zeitraum ropaweite Kampagne bei Kandidat*innen von nunmehr 15 Jahren können wir kon- für das Europaparlament, um nach der statieren, welch herausragende Bedeu- Wahl eine Parlamentariergruppe für bür- tung die Konstitution des Unterausschuss gerschaftliches Engagement im Euro- Bürgerschaftliches Engagement im Deut- paparlament zu etablieren (»Intergroup schen Bundestag im deutschen Kontext Volunteering«). Für Deutschland hat das hatte. Vom Bund bis in die Kommunen BBE2 als Mitglied des CEV für diese Kam- hinab haben sich seitdem Engagementin- pagne aussichtsreiche Kandidat*innen für frastruktur und politische Strukturen im das Europäische Parlament angeschrie- Engagementbereich herausgebildet und ben. Im Unterschied zur Europawahl 2014, unterhalten einen ständigen Dialog über in der vorab nur Kandidat*innen aus an- Herausforderungen und etablieren Lösun- deren europäischen Ländern dem CEV gen. Die Etablierung eines regulären Aus- eine Unterstützung signalisierten, lässt die schusses, in dem die Themen von Engage- aktuelle und gewichtige positive Resonanz ment- und Demokratiepolitik im notwen- aus Deutschland darauf hoffen, dass die digen engen Zusammenhang behandelt Intergroup Volunteering 2019 ins Leben werden, steht freilich noch aus. gerufen wird. Eine Intergroup Volunteering im Eu- Was kann eine Intergroup Volunteering ropäischen Parlament scheint uns für leisten und wie stellen sich im Überblick eine solche Institutionalisierung wegen die Reaktionen aus Deutschland dar? der Querschnittigkeit des Themas an- gezeigt. Hinzu kommt, dass auf euro- Warum eine Intergoup Volunteering? päischer Ebene nach wie vor eine Zu- ständigkeit oder Berührung mit freiwil- Warum wollen das CEV und das BBE eine ligem, bürgerschaftlichem Engagement Intergroup Volunteering? Es geht uns um immer noch inselartig verstreut ist: eine institutionelle Verankerung des The- Europäisches Solidaritätskorps, Euro- mas Volunteering in der Agenda des Euro- päische Bürgerinitiative, Ehrenamt im pa-Parlaments, damit ein stabiler Diskurs- Sport, zivilgesellschaftliche Vermittler anker zwischen Europäischem Parlament in der Wissenschaftskommunikation, und Europäischer Zivilgesellschaft einer- Ehrenamt und DSGVO sind einige dieser seits und den nationalen Zivilgesellschaf- Inseln. Andere führen direkt in inner- ten andererseits möglich wird. europäische Menschenrechts- und De- 1 https://www.europeanvolunteercentre.org/ mokratiepolitik: Shrinking spaces der Zi- 2 http://www.b-b-e.de vilgesellschaft oder der Umgang mit en-

36 | BBE DOSSIER NR. 6 Kandidat*innen für das EP wollen eine Intergroup Volunteering gagierten Bürger*innen in Europa, etwa ¾¾Europäische Bürger*innen brauchen, mit George Soros, oder die Verfolgung wenn sie als Unionsbürger*innen im von Menschenrechtsaktivist*innen. europäischen Horizont handeln, ange- messene, handhabbare europäische Eine Intergroup Volunteering könnte sich, Rahmenbedingungen, die in die Agen- in Verbindung mit Akteuren aus der euro- da einer Intergroup gehören: passende päischen Zivilgesellschaft, daran machen, europäische Rechtsformen der Selbst- Strategien der Verknüpfung einiger dieser organisation etwa. Inseln zu entwickeln. Das wäre der Beginn ¾¾Es bedarf eines sensibilisierenden Dis- eines europaweit sichtbaren Agenda-Set- kurses etwa über die Unterschiede von tings seitens des Europäischen Parlaments Freiwilligenarbeit und Arbeitsmarkt- zu den Themen der Engagement- und De- qualifizierung, zwischen Freiwilligen- mokratiepolitik. dienst und Berufsausbildung auf eu- ropäischer Ebene – aber auch für die Wie nachhaltig erfolgreich eine Intergroup Unterschiede zwischen den Mitglieds- Volunteering sein kann, zeigt eine der äl- staaten. testen Intergroup, die sich mit Fragen des ¾¾Es bedarf einer Stärkung der Civic Edu- Tierschutzes befasst: die 1993 errichtete cation, um demokratische Werte und »Intergroup for Animal Welfare and Con- Haltungen in den Handlungsräumen servation of Animals«, in der sich tier- der Zivilgesellschaft zu stärken und mit schutzinteressierte Abgeordnete aus allen menschenfeindlichen Einstellungen Parteien treffen. Aus ihr entstehen immer und Handlungen in den eigenen hand- wieder Initiativen, die europäisches Recht lungsräumen entsprechend umzuge- werden, wie jüngst etwa in Form einer hen. strengeren Regulierung von Tiertranspor- ¾¾Eine europäische Anerkennungskultur ten. Sie geht zurück auf eine Initiative der für Volunteering und bürgerschaftli- »Eurogroup for Animals«, in der sich die ches Engagement steckt noch in den führenden Tierschutzorganisationen in Anfängen. Europa zusammengeschlossen haben. Die ¾¾Soziale Bürgerrechte sind als Voraus- Eurogroup organisiert seither auch die Sit- setzung eines freiwilligen und unent- zungen der Arbeitsgruppe und leistet für geltlichen Engagements in ganz Europa die Parlamentarier die entsprechende wis- zu stärken. senschaftliche Beratung. ¾¾Wie kann man es ermöglichen, dass EU-Programme auch die besonderen Diskurs über Volunteering und Bedarfe stark oder ausschließlich eh- Ausgestaltung von Uninonsbürgerschaft renamtlich geprägter Initiativen ange- messen Rechnung tragen? »Seit seiner Gründung setzt sich das Bun- ¾¾Wie kann man ein wechselseitiges desnetzwerk Bürgerschaftliches Engage- Voneinander-Lernen und Kennenler- ment (BBE) für ein Europa auf Grundlage nen der Freiwilligenkulturen in den eu- gemeinsamer Werte ein, das zivilgesell- ropäischen Staaten und Regionen vor- schaftliche Beteiligungsräume öffnet und anbringen? die europäischen Bürgerinnen und Bürger ¾¾Für welche neuen europaweiten The- mit ihrem Engagement einbezieht.« Diese men und Herausforderungen lassen Aussage der Mitgliederversammlung des sich ehrenamtlich geprägte Zusammen- BBE zur Europapolitik enthält einige Ele- schlüsse als europäische Sachwalter mente, um was es inhaltlich geht: gewinnen bzw. deren Aufbau unterstüt-

BBE DOSSIER NR. 6 | 37 Kandidat*innen für das EP wollen eine Intergroup Volunteering

zen. Wikipedia als weltweites globales stark zu machen, sind in zweierlei Hinsicht Ehrenamtsprojekt dokumentiert, was besonders wertvoll. Einerseits werden möglich ist. Diesem Zusammenhang ist alle vier Kandidat*innen nach aktuellem es gelungen, selbst durch Spenden eine Stand der Dinge sicher ins neue Europa- Unterstützungsstruktur mit Hauptamt- parlament einziehen – und das für vier lichen zu organisieren. Doch wie sieht verschiedene Parteien. Das ist wichtig, das in anderen Feldern aus, in denen weil der Erfolg einer Intergroup wie auch möglicherweise eine unterstützende In- von Engagementpolitik von einem Grund- itiative aus der Mitte des Europäischen konsens unterschiedlicher politischer Parlamentes dazu beitragen könnte, Richtungen abhängt. Andererseits handelt Ansätze aus einzelnen Ländern zumin- es sich um Kandidat*innen, die erwartbar dest zu europäisieren? eine bedeutende Rolle in ihren Fraktionen im Europäischen Parlament spielen wer- Das sind einige der Fragen und Themen, den oder, wie MdEP Verheyen, schon jetzt um die es gehen kann. Entscheidend diese Rolle innehaben. scheint uns zu sein, dass das Europäische Parlament eine eigene diskursive Sichtbar- Ermutigend waren auch die Reaktionen keit in diesem Themenbereich entfaltet. derjenigen Kandidat*innen, die sich nicht dazu entschließen konnten, diese Initia- Reaktionen aus Deutschland von tive proaktiv zu unterstützen. Durchweg Kandidat*innen für das EP waren die Reaktionen geprägt von einer positiven Würdigung der Rolle bürger- Bisher haben vier Kandidat*innen aus drei schaftlichen Engagements und auch der Fraktionen ihre Bereitschaft ausdrücklich Arbeit des BBE in diesem Feld. Mehrere erklärt, für die Institutionalisierung einer aktuelle Europaabgeordnete wiesen dann Intergroup Volunteering im neuen Par- darauf hin, dass sie durch Ausschussarbei- lament einzutreten. In der Reihenfolge ten und andere Themenpfade, die sie ver- der Zusagen sind dies: Delara Burkhardt folgen, schon so weit gebunden sind, dass aus Schleswig-Holstein, Platz 5 der SPD- für eine Initiierung und Teilnahme an ei- Europawahlliste3; MdB Marlene Mortler ner Intergroup Volunteering die Zeit fehlt. aus Lauf an der Pegnitz (Kreis Nürnberger Teilweise wurde dies ergänzt mit dem Hin- Land), Platz 6 der CSU-Europawahlliste4; weis, schon im Rahmen ihrer jetzigen Aus- MdEP Sabine Verheyen aus Aachen, Platz schusstätigkeiten auch engagementpoliti- 3 der CDU-Europawahlliste Nordrhein- sche Akzente setzen zu können. Westfalen5; aus Berlin, Platz 8 der Europawahlliste von Bündnis Das bedeutet aber auch, positiv gewen- 90/ Die Grünen6. det, dass künftige Abgeordnete, die in eine Intergroup Volunteering Arbeitskraft Diese ausdrücklichen Zusagen, sich für die und Zeit investieren wollen, in ihren Frak- Einrichtung einer Intergroup Volunteering tionen auf Kolleg*innen treffen, die dem positiv gegenüber stehen. 3 Information zu Delara Burkhardt: https://www.spd- schleswig-holstein.de/personen/delara-burkhardt/ 4 Informationen zu MdB Marlene Mortler: https:// Erklärung von CDU und CSU marlenemortler.de/ 5 Informationen zu MdEP Sabine Verheyen: https:// Im Rahmen unserer Kampagne haben www.sabine-verheyen.de/ 6 Informationen zu Erik marquardt: https://gruene. wir, wie gesagt, Kandidat*innen für das berlin/Erik-Marquardt Europaparlament angeschrieben. Umso

38 | BBE DOSSIER NR. 6 Kandidat*innen für das EP wollen eine Intergroup Volunteering erfreuter waren wir über die positive Re- Ausblick aktion von CDU und CSU in Form einer gemeinsamen Erklärung: »Antworten der Deutlich besser als vor fünf Jahren stehen Christlich Demokratischen Union Deutsch- daher die Zeichen für die Etablierung einer lands (CDU) und der Christlich-Sozialen Intergroup Volunteering und damit für die Union in Bayern (CSU) auf die Fragen vom Etablierung einer nachhaltigen, systema- Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Enga- tischen Engagementpolitik auch auf euro- gement (BBE) zur Wahl zum Europäischen päischer Ebene. Das BBE und das CEV wer- Parlament 2019.« Darin sprechen sich bei- den die Abgeordneten aus Deutschland de Parteien dafür aus, nach der Wahl eine und anderen europäischen Ländern dabei Intergroup Volunteering einzurichten, um unterstützen, diesen aus unserer Sicht bürgerschaftliches Engagement als enga- wichtigen Schritt nach der Wahl zu gehen. gementpolitisches Thema im Europaparla- ment zu etablieren. Erschienen in den BBE Europa-Nachrichten Nr. 3 vom 10.4.2019 In ihrer gemeinsamen Erklärung begrün- den CDU und CSU ihre Unterstützung mit AUTOR*INNEN dem Verweis auf unterschiedliche Ver- ständnisse von bürgerschaftlichem Enga- Nino Kavelashvili ist Europareferentin des gement in Europa, mit der gewachsenen BBE und Mitglied der Redaktion BBE Euro- Bedeutung etwa des Europäischen Freiwil- pa-Nachrichten. ligencorps und der Aufgabe der Entbüro- kratisierung. Insgesamt soll die Intergroup Dr. Rainer Sprengel ist Leiter des Arbeits- Volunteering beitragen »zur schnelleren bereichs Information und Kommunikati- Überwindung noch bestehender Hürden on des BBE und befasst sich seit über 20 für mehr bürgerschaftliches Engagement Jahren mit dem Thema bürgerschaftliches in Europa«.7 Engagement.

Weitere Informationen 7 Gemeinsame Erklärung von CDU und CSU: https:// www.b-b-e.de/fileadmin/inhalte/aktuelles/2019/03/ ü https://www.b-b-e.de/themen/euro- erklaerung-intergroup-volunteering-cdu-csu.pdf pa1/intergroup-volunteering/

BBE DOSSIER NR. 6 | 39 Kandidat*innen für das EP wollen eine Intergroup Volunteering

40 | BBE DOSSIER NR. 6 Kandidat*innen für das EP wollen eine Intergroup Volunteering

BBE DOSSIER NR. 6 | 41 Kandidat*innen für das EP wollen eine Intergroup Volunteering

The creation of a Intergroup on Volunteering is necessary to Candidate MEPs are encouraged to ensure an on-going commitment of the complete the pledge for a European Parliament towards the further Volunteering Intergroup. development of a comprehensive EU agenda on volunteering.

A cross-cutting issue as volunteering, needs an official and structured intergroup, in order to have the financial resources to facilitate the activities.

The intergroup will be a crucial cross-party and cross-Committee framework for ensuring the good implementation of the European Solidarity & Voluntary Service (European Solidarity Corps).

I (name) Delara Burkhardt MEP candidate for Social Democratic Party () in the event of my election in the 2019 European Parliament elections, commit to supporting and promoting the establishment of an EP intergroup on volunteering.

Signed: Contact Details Telephone:

[email protected] Email: Stamp: @delarabur Social media:

Date and place: Kiel, 05.03.2019

Produced by the European Volunteer Centre (CEV) in preparation of the 2019 EP Elections. Produced by the European Volunteer Centre (CEV) in preparation of the 2019 EP Elections. CEV is supported by Europe for Citizens Programme. CEV is supported by Europe for Citizens Programme.

42 | BBE DOSSIER NR. 6 Kandidat*innen für das EP wollen eine Intergroup Volunteering

Antworten der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) und der Christlich-Sozialen Union in Bayern (CSU) auf die Fragen vom Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) zur Wahl zum Europäischen Parlament 2019

BBE DOSSIER NR. 6 | 43 EBD: SYNOPSE DER EUROPAWAHLPROGRAMME 2019 DER GRÖSSTEN DEUTSCHEN PARTEIEN

Am 26. Mai wird in Deutschland das Euro- in Stichpunkten zusammenfasst und sie päische Parlament gewählt. Wo liegen die den Politischen Forderungen der EBD ge- großen Herausforderungen für Europa? genüberstellt, soll Wähler*innen zeigen, Wo muss Europa Lösungen bieten? Wie für welche Inhalte sie sich bei der Europa- kann grenzüberschreitende Demokratie wahl entscheiden können. Auch Interes- gestärkt werden? Welche europäische sengruppen sollen für ihre Einzelanliegen Klima-Politik verfolgen die Parteien, was den großen Überblick behalten. fordern sie zum Thema Gleichstellung und wie wollen sie Europas Sicherheit, Wett- Weitere Informationen bewerbsfähigkeit und Solidarität gewähr- ü https://www.netzwerk-ebd.de/nach- leisten? Die Synopse, erstellt von der Eu- richten/wofuer-stehen-die-einzelnen- ropäischen Bewegung Deutschland (EBD), parteien-bei-der-europawahl-synopse- die die einzelnen Positionen der Parteien der-ebd-veroeffentlicht/

44 | BBE DOSSIER NR. 6 EBD: Synopse der Europawahlprogramme 2019 Alle Angaben ohne Gewähr, April 2019. www.netzwerk-ebd.de • @NetzwerkEBD + 49 (0)30 30 36 20-110 © Europäische Bewegung Deutschland e. V. Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien entlang der politischen Forderungen 2018/19 EBD: #WerteEU Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien Die Europäischen Werte und Grundrechte achten Regelmäßige Überprüfung • und Expertenrat unabhängigen Expertinnen- Mitgliedstaaten durch einen Rechtsstaatlichkeit in den von Freiheit und

• gekürzt werden dem EU-Haushalt spürbar sollen Zuwendungen aus rechtsstaatliche Standards Mitgliedstaates gegen Bei Verstößen eines

• • • • • ner Menschenfeindlichkeit Straftaten gruppenbezoge- systematische Erfassung von Europaweite, ständige, gewürdigt werden einem arbeitsfreien Feiertag Fundament der EU mit rechtecharta sollen als Europas Werte der Grund- können besser verteidigen zu einklagbar zu machen und werden, um Grundrechte nationaler Ebene verbindlich rechtecharta soll auch auf Die Europäische Grund- Mitgliedstaaten kratischer Grundsätze in den fung der Einhaltung demo- zur regelmäßigen Überprü- expertinnen und -experten bestehend aus Verfassungs- „Kopenhagener-Kommission“ Einrichtung einer den Grundwerte gebunden wer- tischer und rechtsstaatlicher an die Einhaltung demokra- Fördermittel der EU

sollen

https://www.netzwerk-ebd.de/aktivitaeten/politik-2018-19/ • • • • werden stärker von der EU gefördert minierung einsetzen, sollen NGOs, die sich staaten aufgewertet werden rechtslage in den Mitglied- Bewertung der Menschen- ein Mandat zur politischen Grundrechte (FRA) soll durch Die Agentur der EU für den Mitgliedstaat eingeführt wer- Verfahren gegenüber einem zur Bündelung spezifischer Ein systemisches Werte abhängig zu machen der Beachtung europäischer an die Mitgliedstaaten von Verteilung finanzieller Mittel seln gestärkt werden, um die durch Konditionalitätsklau- nismus nach Art. 7 EUV soll Der Rechtsstaatsmecha- verletzungsverfahren gegen Diskri- Vertrags- soll • • • • unterstützen europäischer Grundwerte zu teidigerinnen und Verteidiger genutzt werden, um die Ver- in den Mitgliedstaaten sollen Kontakte zur Zivilgesellschaft halb und außerhalb der EU gegenüber Ländern inner- europäischen Grundwerte Stringente Einforderung der können EU-Fördergelder streichen zu geschaffen werden, um Sanktionen im EU-Haushalt Grundwerte sollen finanzielle Mitgliedstaaten gegen die Bei Regelbrüchen einzelner werden gestärkt einzelne soll Der bei Rechtsstaatsmechanismus Verstößen und Mitgliedstaaten strikt durch angewandt

weiter

• • • • bereitstellen und Diskriminierung Projekte gegen Rassismus die Mittel für Initiativen und europaweiter Programme, Finanzielle Stärkung werden umgesetzt und sanktioniert sen in den Mitgliedstaaten für Grundrechte der EU müs- Intoleranz und der Agentur sion gegen Rassismus und Empfehlungen der Kommis- klagbar sein von einzelnen Personen ein- Europäischen Gerichtshof Soziale Rechte müssen beim sanktioniert werden evaluiert und bei Verstößen regelmäßig länderspezifisch Grundrechten in der EU soll Rechtsstaatlichkeit und Die Lage von Demokratie,

BBE DOSSIER NR. 6 | 45 EBD: Synopse der Europawahlprogramme 2019 oder

Nationen vom Europäischen Parlaments Keine Abkehr Einstimmigkeitsprinzip der Ein Europa als Wirtschafts- und Interessengemeinschaft souveräner Staaten Austritt Deutschlands geordnete Auflösung der EU, sofern Reformansätze der AfD nicht in angemessener Zeit verwirklicht werden Abschaffung des • • • • Wirtschafts- Mitsprache- einer Verfassung EU-Bürgergesetz - Initiativrecht für das Europäische Parlament Im Bereich der und Währungsunion soll das Parlament gleichberechtigt zu Rat und Eurogruppe entscheiden können Alleiniges Haushaltsrecht des Europäischen Parlaments für seine Zuständigkeiten Ausbau der Europäischen Bürgerinitiative zu einer vollgültigen gebung Verbindliches recht der Regionen in EU-Investitions-, Struktur- und Förderpolitik Entwicklung für Europa durch einen Ver- fassungskonvent • • • • • • Volksent- Initiativrecht für das Europäische Parlament Beibehaltung des Spit- zenkandidatenprinzips bei den Europawahlen Ergebnisoffene Bürgerdia- loge zur Zukunft Europas mit repräsentativen Quer- schnitten der Gesellschaft durchführen Stärkung der Europäischen Bürgerinitiative und Mög- lichkeit verbindlicher euro- paweiter Bürgerentscheide schaffen Enge Absprache mit Frank- reich, aber auch die Partner- schaft zwischen Deutschland und Polen durch den Ausbau des Dialogs zwischen den Zivilgesellschaften stärken von Einführung scheiden zu europapoliti- schen Fragen auf Bundese- bene mittels eines digitalen Abstimmungssystems Verschiedene Geschwin- digkeiten der Integration: verstärkte Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik • • • • • • •

eines des Europäischen Initiativrecht für das Europäische Parlament Wahl Parlaments nach einem einheitlichen Wahlrecht mit staatenübergreifenden Listen und Spitzenkandida- tinnen/Spitzenkandidaten als Der Rat soll transparent zweite Kammer agieren Bürgerdialoge, Hausparla- mente und demokratische Konvente sollen von der EU gefördert werden, wobei eine regionale Ausgewogen- heit berücksichtigt und lokale Organisationen einbezogen werden sollen Verschiedene Tiefen und Geschwindigkeiten der Integration ermöglichen: verstärkte Zusammenarbeit in der Außen- und Vertei- digungspolitik sowie der inneren Sicherheit Vertiefung der deutsch-französischen Zusammenarbeit und gleichzeitige Stärkung des Weimarer Dreiecks zwischen Frankreich, Deutschland und Polen Einberufung Europäischen Konvents für eine neue Europäische Verfassung • • • • • • • https://www.netzwerk-ebd.de/aktivitaeten/politik-2018-19/

im

Bür - die die

Euro -

Jahre trans - und Geset - und Design wie 16 Konsul -

von Bundes -

zu dem werden zweite und europäi - in Europa - Diskussion Initiative bei werden, werden auf Parlament Regionen beim das mit führen der eine Europäische Parlament den sollen Gesetzgebungs - der für Parlament Europäische und Europäischen werden in Staaten breite in bilden Listen die sowie bei Anhörungen Ziel geführt überführt abzustimmen soll föderativen und eine regelmäßig Spitzenkandidatinnen/ oder verpflichtet Unionsmodelle das zusammen Europawahlen Förderprogrammen Rat Europäische den soll pa, über Vereinigten staat Republik Initiativrecht Plenum Kommunen einbezogen Es Europäische Unterstützung schen Spitzenkandidaten nationaler den dazu über sollen tationen, Feedbacks verfahren von Wahlalter wahlen und Bürgerinitiativen herabsetzen Der Kammer Europäischen Legislative Erfolgreiche gerinitiativen zesvorschlägen das • • • • • • • rung europäischer

Initiativrecht für das Europäische Parlament Echte europäische Spitzenkandidatinnen/ Spitzenkandidaten Einfüh Wahllisten und eines Zweistimmen-Wahlsystems Wahlalter bei den Europa- wahlen und Europäischen Bürgerinitiativen auf 16 Jahre herabsetzen Mehrheitsprinzip bei allen Entscheidungen im Ministerrat • • • • • Europäische Parlament Spitzenkandidatenprozesses soll bindend sein unabhängigen Europäischen Normenkontrollrates zur Abschätzung der Kosten Bürokratie und der Wahrung des Subsidiaritätsprinzips im Vorfeld von neuen Regelungen Rüge bei Verletzung der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit ausbauen Stärkung des Ausschusses der Regionen und Kommunen Enge Abstimmung in europapolitischen Fragen mit Frankreich Augenhöhe mit ost- und mitteleuropäischen Partnern Zusammenarbeit in Grenzregionen • Initiativrecht für das • Das Ergebnis des • Einsetzung eines • • • • Zusammenarbeit auf • Stärkung der europäischen Europäische Demokratie und Parlamentarismus stärken Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien #DemokratieEU Synopse der Europawahlprogramme 2019 der wichtigsten Parteien entlang der politischen Forderungen 2018/19 EBD: Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien © Europäische Bewegung Deutschland e. V. www.netzwerk-ebd.de • @NetzwerkEBD + 49 (0)30 30 36 20-110 Alle Angaben ohne Gewähr, April 2019.

46 | BBE DOSSIER NR. 6 EBD: Synopse der Europawahlprogramme 2019 Alle Angaben ohne Gewähr, April 2019. www.netzwerk-ebd.de • @NetzwerkEBD + 49 (0)30 30 36 20-110 © Europäische Bewegung Deutschland e. V. Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien entlang der politischen Forderungen 2018/19 EBD: #PluralismusEU Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien Pressefreiheit und demokratischen Wettbewerb europaweit stärken Nutzung der deutschen • • • Bessere Vernetzung der • den EU-Institutionen stärken Sprache in Europa und Europa schützen Vielfalt aller Sprachen in Digitalplattformen zu europäischen Einfacherer Zugang Digitalplattformen Partnern zu europäischen ihren europäischen Rundfunkanstalten mit öffentlich-rechtlichen Medienplattformen der • • • Arabisch entwickeln Russisch, Türkisch und Fernsehangebote auf öffentlich-rechtliche In europäischer Kooperation Inhalte ergänzen und um genuin europäische rechtliche Inhalte schaffen vorhandene öffentlich- Europaweite Plattform für stärken Öffentlich-rechtliche Medien

• • politik Medien Förderung -verteidiger rechtsverteidigerinnen Demokratie- schaft Unterstützung Journalismus einen Wettbewerbs Fonds durch durch in der unabhängiger innerhalb für einen und Förderung oder EU-Förder - der investigativen Menschen - Zivilgesell - Fonds durch der und des

für EU

https://www.netzwerk-ebd.de/aktivitaeten/politik-2018-19/ • mehrsprachig senden aufgestellter Medien, die bedarf es europäisch Öffentlichkeit für Europa Für mehr Medien- • • ihren Fortbestand zu sichern Minderheitensprachen, um Bereich der Regional- und für Sprachenvielfalt im europäischen Zentrums Aufbau eines Internetmedien Fernsehsender sowie lokaler lokaler Rundfunk- und regionaler Tageszeitungen, Medienlandschaft und Erhalt Stärkung der regionalen • • Mitgliedstaaten reagiert Journalisten gegenüber gegen Journalistinnen und Pressefreiheit und Gewalt das bei Verletzung der europäischen Systems, Schaffung eines mehrsprachigen Inhalten rechtlichen Anstalten mit verschiedenen öffentlich- EU-weiten Mediathek der Einrichtung einer föderierten

BBE DOSSIER NR. 6 | 47 EBD: Synopse der Europawahlprogramme 2019 ausländischer Abschlüsse muss den Nationalstaaten vorbehalten bleiben Wiedereinführung der Diplom- und Magisterstudiengänge Die Anerkennung • • Jugendgarantie Gelder für Erasmus+ verzehnfachen Mittel der erhöhen Ausbau der EU- Förderprogramme für den Austausch von Lehrenden und Lernenden über Landesgrenzen hinweg • • • besser Erasmus+ finanziell ausstatten und strukturell vereinfachen Ausbau der beruflichen Bildung und der Erwachsenenbildung EU-Jugendstrategie stärken und mehr Chancengleichheit für junge Menschen im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt schaffen Europaweites duales Ausbildungssystem und bessere Mobilität junger Menschen in Europa Stärkung europäischer Jugendverbände und des grenzübergreifenden Austauschs der Zivilgesellschaft • • • • •

und Europäi- Bildungs-

den Mitgliedstaaten zur Ver- mittlung von Jobangeboten und arbeitsmarktorientierten Weiterbildungsmaßnahmen europä- Einrichtung eines ischen Jugendwerks zur Förderung des bi- und mul- tilateralen Austauschs von Kindern und Jugendlichen mindestens sechsmonatiger Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat für alle Schülerinnen und Schüler Gegenseitige Anerkennung von Bildungsabschlüssen, Ausbildungen, Praktika und Traineezeiten Gemeinsamer Berufsausbil- dungsmarkt zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit einer Gründung schen Ausbildungsagentur Aufbau effektiver Systeme in Erasmus+ und den Europäischen Freiwilligendienst ausbauen der Einführung freizügigkeit als neue Grundfreiheit: Möglichkeit der beruflichen Ausbildung in jedem EU-Land • • • • • • • https://www.netzwerk-ebd.de/aktivitaeten/politik-2018-19/

- von

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berät das sollen sowie un -

Bildung Weiter - Europas gewährt das der EU einem Universi - Europäische besser finanziellen

Berufsaus - und zu der der von Eltern

europäischen der Entlohnung Ausbildungen und Parlament politische Menschen eines Instrument Fort- Europäischer innerhalb und von Land ihrer für und faire einer jungen eine jedem Erasmus+ Jugendfreiwilligendienst allen abhängig in Aufbau Zentrale Gründung Universitäten Weiterentwicklung Jugendgarantie nanzierten Situation werden Anerkennung tätsabschlüssen, bildungen, bildungen dauerhaften für Praktika Einrichtung Europäischen Jugendparlaments, Europäische • • • • • • Europäischen ck“ zur Prüfung

Erasmus+ und Solidaritätskorps strukturell ausbauen und Erasmus+ auch für Auszubildende öffnen Jugendgarantie mit einem Sofortprogramm, das Menschen unter 25 Jahren einen Ausbildungsplatz garantiert, aufstocken „Europäischer Kulturscheck“ für Jugendliche in Form eines Gutschein-Systems für besseren Zugang zu Kultureinrichtungen „Jugend-Che geplanter Gesetzesvorhaben hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf junge Menschen einführen • • • • Mittel für Erasmus+ Ausbildungsgarantie für Jugendliche Werbung für die flächendeckende Einführung der dualen Ausbildung in den Nachbarstaaten Bildungsangebot auch für ältere Menschen und lebensbegleitendes Lernen Kostenloses Interrail-Ticket für alle 18-Jährigen Bildung europäischer Hochschulnetzwerke Bessere Vernetzung der europäischen öffentlichen National- und Staatsbibliotheken unter dem Dach einer europäischen digitalen Bibliothek • Deutliche Erhöhung der • Fortführung der • • Europäisches • • Unterstützung der • Europäisches Bewusstsein stärken, Europa bilden Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien #BildungEU Synopse der Europawahlprogramme 2019 der wichtigsten Parteien entlang der politischen Forderungen 2018/19 EBD: Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien © Europäische Bewegung Deutschland e. V. www.netzwerk-ebd.de • @NetzwerkEBD + 49 (0)30 30 36 20-110 Alle Angaben ohne Gewähr, April 2019.

48 | BBE DOSSIER NR. 6 EBD: Synopse der Europawahlprogramme 2019 Alle Angaben ohne Gewähr, April 2019. www.netzwerk-ebd.de • @NetzwerkEBD + 49 (0)30 30 36 20-110 © Europäische Bewegung Deutschland e. V. Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien entlang der politischen Forderungen 2018/19 EBD: #GenderEU Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien Vorreiterin bleiben: Gleichstellung auf allen Ebenen • • • • • • Paritätische Besetzung der beschlossen werden dem Jahr 2012 soll endgültig Frauen in Aufsichtsräten aus Die EU-weite Quote für Rentenlücke zur Behebung der Lohn- und Lohngerechtigkeitsgesetz und ein EU-weites Verbindliche Ziele und Chancen von LGBTIQ zum Schutz gleicher Rechte EU-Gesetzgebungsagenda gegen Frauen Bekämpfung von Gewalt samt EU-Richtlinie zur Verbindliche Strategie angewandt werden ratifiziert und konsequent soll in allen Mitgliedstaaten Die Istanbul-Konvention Europäischen Kommission

• • • • • familien Ehen ten, eingetragener Europaweite werden Geschlechter auf sollen Alle der Umsetzung Institutionen Führungsgremien verpflichtende zu Kommissare der Besetzung über Tätigkeiten zur Europaweite 50% Vergleichbarkeit die Istanbul-Konvention EU-Kommissarinnen/ politischen gleichgeschlechtlicher Löhne und auf Gleichstellung mit Regenbogen- ihre des Frauen und und und mindestens Anerkennung Richtlinie überprüft Partnerschaf - Auswirkungen Parität Kollegiums Maßnahmen Transparenz Einhaltung Gehälter der und von der für

EU-

alle

https://www.netzwerk-ebd.de/aktivitaeten/politik-2018-19/ • • soll eingesetzt werden Beauftragte für Frauenrechte unabhängige Europäische Parlament angesiedelte, Eine beim Europäischen erörtern Gewalt gegen EU und die strukturelle Lage der Frauenrechte in nern soll künftig auch die lung von Frauen und Män- Kommission zur Gleichstel- Der jährliche Bericht der Frauen • • • • Überwindun Recht integriert werden hoben und in bestehendes soll als Sondergesetz aufge- Das Transsexuellengesetz werden als Asylgrund anerkannt folgung und Gewalt müssen Geschlechtsspezifische Ver- Zwangsprostitution von Menschenhandel und Besserer Schutz für Opfer Frauen ten Lohndiskriminierung von g der europawei -

• • Forschungsmittel, die bisher noch zu fördern aber weder gleichzusetzen sind zu respektieren, damit zwischen Mann und Frau Zusammenlebens als die Ehe Andere Formen des gestrichen werden vorgesehen wurden, sollen für die Genderforschung auf europäischer Ebene

BBE DOSSIER NR. 6 | 49 EBD: Synopse der Europawahlprogramme 2019 - Kindergeld- Ablehnung einer versicherung und Arbeits- agentur Die Höhe von zahlungen für Kinder, die nicht in Deutschland leben, ist an die Verhältnisse des Herkunftslandes anzupassen Der Anspruch auf Sozialleis- tungen für EU-Bürgerinnen und Bürger soll von einer mindestens zehnjährigen, durchgängig sozialversiche- rungspflichtigen Beschäf- tigung abhängig gemacht werden • europäischen Arbeitslosen • •

die zum eine armuts- Mindestlöhne, Leben und für feste Rente reichen europäi- Einrichtung einer schen Arbeitslosenversiche- rung, die im Krisenfall Sozial- und Arbeitslosen- systeme eines Krisenlandes stützt Kürzung Ablehnung einer des Kindergeldes für die im Heimatland verbliebenen Kinder von außerhalb ihres Heimatlandes Beschäftigten Stärkung der Europäischen Arbeitsbehörde mit Initiativ- und Sanktionsrechten bei Verstößen gegen Beschäftig- ten-Rechte EU-weite Mindeststandards zur Beteiligung der Beschäf- tigten in Unternehmen Stärkung Europäischer Be- triebsräte Die Umsetzung der Entsend- erichtlinie muss konsequent kontrolliert und durchgesetzt werden Soziale Rechte müssen von jedem Menschen in der EU individuell einklagbar sein Fonds Einrichtung eines für soziale, inklusive, soli- darische und ökologische Investitionen von über 500 Milliarden Euro im Jahr • • • • • • • • • mehr sondern gemeinsame Koordinierung ohne Kompetenzabgabe Rechte Es sollen soziale als Mindeststandards geschaffen werden, die allen europäischen Bürgerinnen und Bürgern zustehen Ablehnung einer Europäisierung der Sozialsysteme, • • sowie Forschung und massive öffentliche

Arbeitsmarktpolitik und soziale Sicherungssysteme weiter den Mitgliedstaaten überlassen Es sind und private Investitionen in Bildung in Kommunikations- und Verkehrsinfrastruktur nötig • • https://www.netzwerk-ebd.de/aktivitaeten/politik-2018-19/

festlegt

der in der einklagbar von europäi - Mindeststan - Land sollen europäische und werden, einer Arbeitslosenver - und jedes werden soziale Rechte Menschen Grundsicherungs-Richt - für einführen die Verhinderung alle garantiert Einführung schen linie, dards Mindestlohnrichtlinie zur Lohndumping Rückversicherung nationalen sicherung Basis-Arbeitslosenversiche - rung Soziale für EU durchsetzbar gemacht • • • •

von in min - Trans - durch (EIC) wer - sozialer Mitbe - sowie verbind - von Soziala -

Euro

Grundsi - Rechts faire zur Unterneh - werden Europäi - länderspezi - europä - Rahmens

12 nationalen Rückversiche - Säule Sicherheit unterstützen Mindestlöhne stehen, für einer bahnbrechen - Konzepte sozialpolitische Mindeststan - tiefgreifenden alle Betriebsräte Regeln als zu Rechte des und von Finanzierung und eines eines eines allgemeingültiger mit für eingerichtet und und nationale der Fonds Wirtschaftszweige, die 60% soll einem Fonds umgesetzt europäischen Innovationsrates Mindestlöhne für

für europäischen um adäquate Ideen Europäische Förderung vor armutsfeste angemessene sollen Deutschland fische cherungssysteme Mindestlohn destens Medianlohns Einführung ischen rung verbindlicher für und dards Sozialleistungen Festlegung für Arbeitsbedingungen Einführung Gesundheit Mindeststandards stimmung men Stärkung europäischer Die Rechte lichen genda Einrichtung schen zur der Es den, die Strukturwandel industrie- Investitionen formation • • • • • •

• • • aus Eltern für Kindergeld Mitgliedstaaten sollen für die sozialen Sicherungssysteme, Regulierungen zum Mindestlohn oder die Altersvorsorge selbst verantwortlich bleiben Arbeitslosenversicherung wird abgelehnt anderen Mitgliedstaaten der EU soll auf dem Niveau des Landes, in dem ihre Kinder leben, gewährt werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der EU soll verbessert und unbürokratisch gestaltet werden „Horizont Europa“ soll zu einem Innovationsbudget mit dem Label „Future made in Europe“ weiterentwickelt werden Innovation in Bereichen wie Klimaschutz, Medizin, Mobilität und Landwirtschaft entwickeln • • Eine gemeinsame • Das • Die Mobilität von • • Soziale und wirtschaftliche Konvergenz stärkt Wettbewerbs- Innovationsfähigkeit Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien #FairnessEU Synopse der Europawahlprogramme 2019 der wichtigsten Parteien entlang der politischen Forderungen 2018/19 EBD: Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien © Europäische Bewegung Deutschland e. V. www.netzwerk-ebd.de • @NetzwerkEBD + 49 (0)30 30 36 20-110 Alle Angaben ohne Gewähr, April 2019.

50 | BBE DOSSIER NR. 6 EBD: Synopse der Europawahlprogramme 2019 Alle Angaben ohne Gewähr, April 2019. www.netzwerk-ebd.de • @NetzwerkEBD + 49 (0)30 30 36 20-110 © Europäische Bewegung Deutschland e. V. Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien entlang der politischen Forderungen 2018/19 EBD: #HaushaltEU Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien Haushalt an gesamteuropäischen Prioritäten bürgernah ausrichten • Gemeinsamen Agrarpolitik finanziellen Ausstattung der Beibehaltung der • • halt Deutschlands Zu men Schaffung höheren bereit Eurozonenhaushalts

eines Beiträgen zum gemeinsa - EU-Haus -

• • • • • in des Gleichberechtigungs-Check Haushaltslinien keits-Check Verpflichtender barungen und übergeordneten rahmens des Einnahmen landsprodukts des Den chen päischen Legislaturperiode Der ting Form jährlichen Mehrjährigen europäischen EU-Haushalt internationalen EU-Haushalt werden von Parlaments sollen orientieren der und Gender-Budge - EU-Haushalts festlegen einzelnen sich Nachhaltig - Ausgaben Politikzielen soll auf des Finanz - Bruttoin - an Verein - an 1,3% angegli - Euro - den die

https://www.netzwerk-ebd.de/aktivitaeten/politik-2018-19/ • • erhöht werden Verteidigungspolitik sollen tionspolitik, Außen- und tion, Digitalisierung, Migra- Mittel für Forschung, Innova- dern und Rabatte abschaffen in den EU-Haushalt einglie- Sämtliche Sonderhaushalte • Lobby-Budget sollen unabhängig von ihrem Akteurinnen und Akteure Alle gesellschaftlichen einbezogen werden in die Haushaltsberatungen gleichermaßen • • • • Der deutsche Anteil an begrenzt werden Europäischen Parlaments jeweilige Wahlperiode des Finanzrahmen soll auf die Der Mehrjährige in den Haushalten der EU des Gender-Mainstreaming Budgeting zur Durchsetzung Ablehnung von und des EU-Haushalts Mehrjährigen Gegen eine Aufstockung des werden Bundeshaushalt eingestellt Einnahmen soll jährlich im den EU-Ausgaben und Finanzrahmens Gender-

BBE DOSSIER NR. 6 | 51 EBD: Synopse der Europawahlprogramme 2019

der Zuständigkeit Zuwanderungspolitik und nationale Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und verbindlicher Aufnahmequoten Begrenzung Einwanderung nach Europa in zurückgeben aus Ausstieg Deutschlands dem Migrationspakt und dem Flüchtlingspakt der Vereinten Nationen wieder Entwicklungspolitik auf nationaler Ebene der Mitgliedstaaten Öffnung der EU-Märkte für Güter und Dienstleistungen der Entwicklungsländer und Beendigung der Ausfuhr von subventionierten Produkten in die Entwicklungsländer Asyl- Ablehnung eines

• • • • • •

Schutz- Ausweisun- EU-Deals mit legale Flucht- EU-weite einheitliche standards auf hohem Niveau für Asylsuchende Faire Verteilung von Geflüchteten in der EU mittels europäischer Fluchtumlage Sichere und und Einreisewege schaffen Umfassende Visa-Liberalisierung Legalisierungsinitiativen und effektive Bleiberechtsreg- lungen für Menschen, die in einem unsicheren Aufent- haltsstatus leben Ablehnung von gen und Abschiebungen aus der EU Recht auf Verbindliches Familiennachzug bereits während des Asylverfahrens Kündigung des der Türkei und Libyen Abbruch entsprechender Vertragsverhandlungen „Europä- Einrichtung eines ischen Fonds für Willkom- menskommunen“ zur Unter- stützung von Kommunen bei der Integration • • • • • • • • • EU- Dublin-

und Systems Gemeinsame Mitgliedstaaten über die EU-Asylagentur EASO Standards Einheitliche der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten Einrichtung europäischer Asylzentren in Afrika Abschaffung des gerechte Umverteilung der Geflüchteten auf alle • • • •

die

ar - – und

der und mit in techni - Auf - poli - Europa

klar einem Sprach - Ein - Zuflucht und finanziel - sowie Staaten, und neuen für der auf das von Punktesys - Sinne nach und und/oder für Werten Asyl und Registrierung,

Einwanderung im bessere Flüchtlingen Europäisches Integrationskur - Verteilungs - und Asylverfahren einen Standards Umfang unter operative, europäisches die und verbindlichen humanitärer für Entwicklungszu - von ein Rechtsstaatlichkeit, Flucht, für Einreise UNHCR Fluchtwege Marktwirtschaft für auf Vermittlung Krisensituationen Flüchtlings- personelle vor einem Verfolgte des Regierungsführung beruht EU in zur Unterstützung Einheitliches Asyl-, wanderungsrecht, kenntnissen zwischen UN-Nachhaltigkeitsziele Fokus soziale Verpflichtende se beitsbezogener unterscheidet kriterienbasierten tem Asylsystem gemeinsame Prozesse Antragsbearbeitung bescheidung, Krisenmechanismus Verteilung noch Kohärente sammenarbeit gute Gemeinsames nach gewähren Sichere tisch Einrichtung Schutzzonen sicht der europaweiten schlüssel Umfassende sche, le die besonderem • • • • • • • https://www.netzwerk-ebd.de/aktivitaeten/politik-2018-19/

zur

lega - zur sowie

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für auf Kommu - sozialöko - bei finanzier - und

Augenhöhe kommu - Fluchtursa - Integration solidarischem von europäisches auf Fokus und europäisch von Europäisches durch legale Agrarwende wirtschaftliche eines schaffen mit und Seenotrettungssys - mit Handelspolitik Regionen Investitionen und eines Integrationsfonds ökologische und Geflüchteten Afrika zivilen (Arbeits-)Migration ökologische Bekämpfung chen Partnerschaft nachhaltige mit Entwicklung logische Aufbau Gemeinsames Einwanderungsrecht le Einheitliches Asylsystem Verteilmechanismus Sichere Fluchtwege Faire, gerechte organisierten ten tems Einrichtung nalen Unterstützung nen Aufnahme von • • • • • •

kom - Han - legale Be - vollum - ankom - und für faire und Fluchtur - Asyl

europäi - Fischereipo - humanitäre wirkungsvolle eine auf von von und für Dublin-Systems, Regeln eines Verteilung eine Entwicklungsfonds Menschen gewährt des Recht durch zur Integrations-

Agrar- erstellen sowie das Konzept dels-, litik Entwicklungszusammenarbeit Einführung schen munalen fänglich Regeln mender Vereinheitlichung sachen die schleunigung Asylverfahren Einheitliche Zuwanderung Ein Visa Bekämpfung Reform • • • • • • • Europäisches Asylrecht mit gemeinsamen Standards für die Anerkennung von Asyl und eine EU-weite Harmonisierung der Aufnahmebedingungen Fehlanreize sollen beseitigt und Asylbewerberleistungen europaweit angeglichen und auf ein Minimum beschränkt werden Europäische Transitzentren sollen den Asylgrund prüfen Aufnahmezentren in Nordafrika Tunesien, Algerien, Marokko und Georgien sollen zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden abkommen mit Staaten Afrikas sowie des Nahen und Mittleren Ostens nach dem Vorbild des EU-Türkei Abkommens geschlossen werden Einführung eines Migrationsmonitorings Entwicklungs- zusammenarbeit auf Augenhöhe Marshallplan für Afrika und faire Handelsabkommen • • • • Einrichtung regionaler • • Es sollen Flüchtlings- • • • Asylstandards gewährleisten, Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtenden helfen Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien #MigrationEU Synopse der Europawahlprogramme 2019 der wichtigsten Parteien entlang der politischen Forderungen 2018/19 EBD: Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien © Europäische Bewegung Deutschland e. V. www.netzwerk-ebd.de • @NetzwerkEBD + 49 (0)30 30 36 20-110 Alle Angaben ohne Gewähr, April 2019.

52 | BBE DOSSIER NR. 6 EBD: Synopse der Europawahlprogramme 2019 Alle Angaben ohne Gewähr, April 2019. www.netzwerk-ebd.de • @NetzwerkEBD + 49 (0)30 30 36 20-110 © Europäische Bewegung Deutschland e. V. Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien entlang der politischen Forderungen 2018/19 EBD: #EuropaGrenzenlos Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien Für den Abbau von Grenzen innerhalb Europas • • Frontex zu einer operativen • • Bindung der Staaten des • • • vollem Außengrenzschutz nicht in solange der EU- Binnengrenzkontrollen, Beibehaltung temporärer sollen Mitgliedstaaten verbleiben Befugnisse bei den wobei die polizeilichen einem Europäischen FBI, Ausbau von Europol zu ausbauen europäischen Außengrenze Grenzpolizei an der Partnerschaft Türkei, sondern eine enge Keine Vollmitgliedschaft der fortführen Westbalkans an die EU terien wirtschaftlichen Beitrittskri- Erfüllung der politischen und diger und dauerhafter Beitritt erst nach vollstän- Jahren Länder in den nächsten 5 Keine Aufnahme weiterer ist Umfang gewährleistet • • Kriterien sobald Staaten Erweiterung eingestellt gen-Raumes Binnengrenzen halb Die Grenzkontrollen der

sie des EU erfüllen die werden sollen Westbalkans, der schnellstmöglich festgelegten des EU an Schen - um inner - den die

• • • • • • ten Einführung fung schen Einrichtung Staatsanwaltschaft eine Zusätzliche eigenen ischen Einrichtung Nordmazedonien handlungen Eröffnung prozesse staltung des Akteurinnen lichst Zusammenarbeit Engagierte Polizistinnen Austauschprogramms Westbalkans künftige von vielen Behörde Kriminalamtes Ermittlungsteams der Geldwäsche der und eines Kompetenzen einer eines gesellschaftlichen nötigen mit und und Europäische EU-Beitrittsver - zur tiefgreifende Albanien zur Akteuren europawei - europäi - Polizisten mit Europä - Bekämp - Reform - Mitge - mög - mit

und

für für

https://www.netzwerk-ebd.de/aktivitaeten/politik-2018-19/ • • • • Westbalkans spektive Erhaltung Schengen-Raum Rückkehr Kriminalamt Europol Weiterentwicklung schaftspflichtig Parlament hörde, europäischen Frontex Weiterentwicklung die zu zum für zur einer dem gegenüber einer die Europäischen Reisefreiheit Grenzschutzbe - sein Europäischen Länder Beitrittsper - echten von von soll rechen -

des

im

• • • • • • • • Westbalkanstaaten Verhandlungen mit den Fortführung der weiteren EU-Beitritten Volkabstimmungen bei Interessengruppen und aller gesellschaftlichen Intensiver Einbezug Erweiterungsfragen Mehrheitsentscheidung in Einführung das Europäische Parlament Sicherheitsagenturen durch der europäischen Kontrolle Parlamentarische Rahmen von CEPOL Fortbildung der Polizei im grenzübergreifende Aus- und Gemeinsame statten Handlungsbefugnissen aus- Eurojust mit weitreichenden turen OLAF, Europol und Europäische Mitgliedstaaten und Justizbehörden der zwischen den Polizei- Bessere Kooperation den Ausbau von Frontex Außengrenzschutzes durch europäischen Stärkung des der Sicherheitsagen - gemeinsamen

• ersetzen Seenotrettungsprogramm ein ziviles europäisches Frontex auflösen

und

durch

• Heranführungshilfen • • • • Für die Sicherung der EU- Einstellung der finanziellen der EU mit Türkei und Beitrittsverhandlungen Sofortiger Abbruch der Staatsangehörigkeit Ablehnung einer EU- Staatsanwaltschaft europäischen Ablehnung einer Grenzkontrollen einführung nationaler Dauerhafte Wieder- selbst zuständig sein betroffenen Staaten national Außengrenzen sollen die

BBE DOSSIER NR. 6 | 53 EBD: Synopse der Europawahlprogramme 2019

des Gemeinsa- der Einsatz- der Wehrpflicht

Bundeswehr Zügige Anpassung deutschen Wehretats an das 2%-Ziel der NATO Aussetzung aufheben men Außen- und Sicherheits- politik und des europäischen Auswärtigen Dienstes, dafür mehr zwischenstaatliche Abstimmung europäi- Ablehnung eines schen Verteidigungsfonds und einer europäischen Friedensfazilität Erneuerung Ablehnung der der und Bündnisfähigkeit • • • • • ab- konventionel- Verteidi- Auflösung der gungsagentur der EU und der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit Abrüstung der len Streitkräfte EU-Rüstungsagentur schaffen und durch Abrüs- tungsagentur ersetzen Stopp aller Rüstungsexporte in Krisen- und Kriegsgebiete der EU auf Beschränkung zivile Konfliktlösungska- pazitäten und Einrichtung eines europäischen zivilen Friedensdienstes Internationale Ächtung voll- autonomer Waffensysteme Austritt der Bundesrepublik aus den militärischen Struk- turen der NATO • • • • • • •

Europäischen Aufbau einer Armee unter vollständiger Kontrolle des Europäischen Parlamentes euro- einer/eines Einführung päischen Wehrbeauftragten mit vergleichbaren Zustän- digkeiten wie die/der Wehr- beauftragte der Bundeswehr Ausbau der Ständigen Strukturierten Zusammen- arbeit durch ein formales Gremium der europäischen Verteidigungsminister und -ministerinnen auf EU-Ebene und einen Ausschuss für Fragen der Verteidigung im Europäischen Parlament Gemeinsames Aus-, Fort- und Weiterbildungskonzept multinationaler Verbände in Europa Gemeinsames Cyberabwehr- zentrum der EU in enger Zusammenarbeit mit dem NATO-Cyberabwehrzentrum in Tallinn • • • • •

und

der Si -

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einem/ als Bereit -

Ausbau parla - und zivilen Europa der Rüs - zu Wei - zivilen in und Vertreterin und Frankreich, Europäi - „Hohen Krisenprä - von der

soll unter die der werden Niederlanden Fähigkeiten mit Außen- Kontrolle Entwicklung europäischer zur Europäischen in sicherheitspoliti - gemeinsamem „EU-Außenminis - von Instrumenten und eines den für für des/der Konfliktbearbeitung von einer unter Sicherheitsrat Nationen gestärkt Sicherheitsrates Verteidigungsunion und echten Verzahnung Zusammenarbeit Debatten Friedensförderung Amt im Union Finanzierung ständiger der cherheitspolitik“ einer ter/in“ Aufbau Armee Oberbefehl mentarischer Enge gemeinsamer Streitkräfte Gemeinsame Beschaffung Das Vertreters/Hohen der Waffensystemen Harmonisierung tungsexportregeln Investitionen terentwicklung Friedensexpertise stellung sche zur schen Plattform Ein Sitz einten Maßnahmen vention, und Enge Deutschlands Polen in Einrichtung • • • • • • • • • https://www.netzwerk-ebd.de/aktivitaeten/politik-2018-19/

mit EU Union für das EU Ausbau Verein - der Vertei - der Kontrolle Rüstungs - Mittel der und durch in Zusammenar - Krisengebiete europäische der Parlament Europäische Rüstungsexporten und Streitkräfte die von Krisenprävention gemeinsame der für gemeinsamen verstärkten Nationen Sicherheitsrat Kriegs- im ten in und exportkontrolle Gemeinsame Sicherheitsunion der beit der digungsprojekte Europäische Stopp Sanktionsmöglichkeiten Verdopplung zivile Sitz Parlamentarische • • • • •

zivilen wer - zivilen für keine Entschei - 2019

der Krisenge - zu Vertreterin und in

„Hohen europäische kontrollierten Verteidi - neuen europäischen Stabilisierungs - gestaltet Armee Außen-und als Mitgliedschaft gemeinsamen, gemeinsamen Regelung Cyber-Sicherheit europäischen und eines Stärkung für einer soll für des/der abschaffen einer einer zur

2020 Amt Einstimmigkeitsprinzip Union deutsche außenpolitischen UN-Sicherheitsrat und Mitgliedschaft den im der Sicherheitspolitik“ „Europäischen corps“ Sicherheits- gungspolitik Erstellung Strategie Die Das Vertreters/Hohen einem/einer parlamentarisch Außenminister/in fortentwickeln Das bei dungen Aufbau europäischen Aufbau Rüstungsbeschaffungspolitik Europäische Rüstungsexporte Rüstungsexporte biete Schaffung • • • • • • • •

Sicherheitsrat Nationen im gemeinsamer Sitz Vereinten der Mehrheitsentscheidungen in der Außen- und Sicherheitspolitik statt des Einstimmigkeitsprinzips Ausbau der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit Gemeinsame europäische Streitkräfte bis 2030 Rüstungsprojekte und Rüstungsbeschaffung fördern Aufbau einer europäischen Eingreiftruppe mit den europäischen Partnern, die dazu willens und fähig sind Cyber-Brigade zur Abwehr von Cyber-Attacken, Terrorismus, Bedrohung kritischer Infrastruktur und Desinformation Schaffung eines europäischen Sicherheitsrates unter Einbezug Großbritanniens ständiger • • • • Gemeinsame • • Aufbau einer schlagkräftigen • • Zusätzlicher, Europäische Außen- und Sicherheitspolitik stärken Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien #VerteidigungEU Synopse der Europawahlprogramme 2019 der wichtigsten Parteien entlang der politischen Forderungen 2018/19 EBD: Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien © Europäische Bewegung Deutschland e. V. www.netzwerk-ebd.de • @NetzwerkEBD + 49 (0)30 30 36 20-110 Alle Angaben ohne Gewähr, April 2019.

54 | BBE DOSSIER NR. 6 EBD: Synopse der Europawahlprogramme 2019 Alle Angaben ohne Gewähr, April 2019. www.netzwerk-ebd.de • @NetzwerkEBD + 49 (0)30 30 36 20-110 © Europäische Bewegung Deutschland e. V. Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien entlang der politischen Forderungen 2018/19 EBD: #BinnenmarktEU Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien Für einen Binnenmarkt der Zukunft • • • • • • • • • • • • Neuer Handelshemmnisse weiteren Welthandelsorganisation grundverordnung intelligenten und fonds Neue Start-Up-Finanzierung Zukunftsfonds Einrichtung Mercosur-Staaten Neuseeland, sabkommen Abschluss kommen Überarbeitung Einrichtung beitung Weiterentwicklung Steuersatz tions-Boards Entwicklung einem schen sungsgrundlage onssteuer rin schen Europäische er-Bemessungsgrundlage Gemeinsame union Weiterentwicklung Einsetzung müssen sowie Stabilitäts- Verstöße Strikte

wird Instrumenten

Verhandlungsrunde und des Stabilitätsmechanismus Finanzministers/-ministe Anlauf Europäischen Einhaltung

von abgelehnt

Abbau sanktioniert mit

Fiskalvertrags, weiterer mit der und eines/einer eines eines Daten

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Finanztransakti und Vietnam mit auf den für Körperschaftssteu - breiter Kapitalmarktunion zur der Wachstumspakts

internationaler und Plattformen Australien, EU-Ebene ein sicheren europäischen Innova USA der der zur besseren des Datenschutz Handel Handelsab Währungs niedrigem Bemes - und werden Regeln effektiven, Banken europäi Europäi - wobei zum den in Verar - zur

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• • • • • • • • Körperschaftssteuer grundlage gierung Einrichtung Welthandels tische transparente eine Verbindliche Mehr erfragen Einstimmigkeitsprinzip Modell Europa Finanztransaktionssteuer digitalen Europäische Mindeststeuersätzen Einführung nehmen Europäische Finanzministers/-ministerin europäischen politischer soziale,

gemeinsame Modellprojekte

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den von einer Rat ökologische Besteuerung Bemessungs Regelungen dem Gestaltung die Wirtschafts-

Euro-Raum abschaffen Wirtschaftsre Erhebung französischen industriepoli eines/einer bei bei Unter - des und für - in der und Steu

unter der

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• • • • • • • • fairer Unternehmenssteuer Einheitliche Vollendung des Klimaschutzabkommens Verankerung verhandelt transparent Handelsabkommen Up-Visa Start-Up-Pass Gründerförderung Währungsfonds Stabilitätsmechanismus Einführung Handelsverträgen vollwertigen Überführung Finanztransaktionssteuer Einführung Digitalsteuer orientierten Vorsorgeprinzips Mindeststeuersätze werden einer einer der europäische und europäischen Europäischen des des und Bankenunion

demokratisch am Pariser Europäischen der durch durch müssen Umsatz in inklusive EU allen in

Start- und einen

einen

https://www.netzwerk-ebd.de/aktivitaeten/politik-2018-19/ • • • • • schungsmittel Einsatz Rahmenbedingungen und von intergouvernementaler Europäischen Start-Ups Einführung an der Finanztransaktionssteuer Ablehnung Energie marktes des Binnenmarktes, Vollendung die Zuweisung gemeinsamen Datenschutztechnologien -infrastruktur europäische europäischer für verbessern einer eines des Digitales

Währungsfonds zur eigener Europäischen insbesondere

europäischen Erforschung Binnen- Ebene und For für Steuern Natur -

und

• • • • • • •

fonds nachhaltigen Abkommen Afrika hin zu fairen und tik der europäischen Handelspoli Wertbasierte Neubegründung EU-Gesetzen stand-Tauglichkeit Sicherstellung einer Mittel fördern ausrichten und Start-Ups EU-Förderung am Mittelstand schen tauschs für den Schutz des Datenaus ren Effektive Abkommen mit ande einem Europäischen Währungs keine Weiterentwicklung zu Stabilitätsmechanismus und Auflösung des Europäischen Finanztransaktionsabgabe Einführung einer europäischen men international tätigen Unterneh Angemessene Besteuerung von Binnenmarktes Vollendung des digitalen insbesondere im Handel mit Ländern und Weltregionen und Internetkonzernen Niveau abschließen auf hohem europäi- bei ------• • • • • • müssen gestoppt werden und pazifischen Staaten mit afrikanischen, karibischen Freihandelsabkommen (EPAs) Mindeststandards tischen men Europäische lichkeitsrechte schutz Stärkerer europäischer Daten für Fördermittel der EU-Fonds chen Industriestrategie mit einheitli Koordinierte europäische Europäische Digitalsteuer chen für Unternehmen mit einheitli EU-weiter Mindeststeuersatz mit sozialen, demokra- Vorgaben für den Rahmen Bemessungsgrundlagen zum Schutz der Persön- und ökologischen Handelsabkom - - - - • • abzuschließen • • • • nationalen Währung • •

ren kungen Ausbau von Importbeschrän- Welthandelsorganisation vorzugsweise im Rahmen der Handelsvereinbarungen sind sukzessive Beendigung Währungsfonds, sondern eine nismus Europäischen Stabilitätsmecha Keine Weiterentwicklung des aktionssteuer Einführung einer Finanztrans- Wiedereinführung der nistischen Entgegenwirken bei protektio- Förderung des Freihandels und Unternehmenssteuer Ablehnung einer europäischen der Bankenunion Gegen eine Weiterverfolgung Bereich zu einem Europäischen der EU im nichttarifä- Bestrebungen -

BBE DOSSIER NR. 6 | 55 EBD: Synopse der Europawahlprogramme 2019

Handels mit Pariser und

CO2-Zertifikaten von Beschränkung Tiertransporten auf eine Dauer von 6 Stunden Verbot des Exports lebender Schlachttiere in Länder außerhalb der EU- Außengrenzen Klimavereinbarung Kohle-, Kern- Gaskraftwerke sollen in Betrieb bleiben EU-Maßnah- Ablehnung aller men, die Reduzierung von CO2-Emissionen mit dem Schutz des Klimas be- gründen Einstellung des Ablehnung der • • • • • •

bis der für Kohlen- rung einer 2040 auf 100% erhöhen Kohleausstieg europaweit 2030 abschließen Anteil erneuerbarer Energien bis Sofortiger Ausstieg aus der Atomenergie Einfüh stoffsteuer Umsetzung Verbindliche Nachhaltigen Entwicklungs- ziele der Agenda 2030 Vereinten Nationen Die EU-Plastikstrategie soll die Verwendung von Kunst- stoffen so weit wie möglich gegen Null führen und die Verwendung von Mikroplas- tik verbieten Keine Verlängerung der Zu- lassung für Glyphosat Kriterien Verbindliche eine tier- und umweltgerech- te Tierhaltung und drastische Einschränkung von Lebend- tiertransporten • • • • • • • •

Europäische Energiewende und keine weitere Förderung von Atom- und Kohlestrom Konsequente Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele und des Pariser Klimaschutzab- kommens Deutliche Reduzierung der Menge der Kunststoffabfälle • • • Europäische Klimapolitik, die sich zur Nachhaltigkeits- agenda 2030 der Vereinten Nationen und zum Pariser Klimaabkommen bekennt Vollendung des Europäi- schen Energiebinnenmarktes Gemeinsame europäische Energieaußenpolitik: Energi- einfrastrukturprojekte sollen von der Kommission verhan- delt werden einheitlicher Einführung europäischer Tierschutzstan- dards • • • • https://www.netzwerk-ebd.de/aktivitaeten/politik-2018-19/

in

in Pfle -

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und von und Energie und Kunst - recycle - des Atomkraft und abbaubar Ausstiegs - Programms, EU-weiten Wegwerf - alle Kohleaus - Ende transeuro - intelligente erneuerbare unterstützt Ziele Außen-, in wiederver - fossiler in auf Kohle, das Friedens- einer für einer eines Körper- Glyphosat Mikroplastik der Einweggetränke - der Berücksichtigung einheitliches komplett einen Netzausbau für aus müssen in Pestiziden für Klimaschutzabkom - von von und kosteneffizient sonstiger Arbeitnehmerinnen/ sein 2050 2030 system flaschen Verbot giftigen Entwicklung strategie Tierversuchen Stromnetze Energien, päischen Energiespeicher Verbot Kosmetika, geprodukten Ab stoffprodukte wendbar, oder bar Einführung Plastiksteuer produkte EU-weites Pariser mens selbiger Sicherheits-, Entwicklungspolitik Investitionen Ausstieg und bis das Arbeitnehmer stiegsregionen Einhaltung Einführung • • • • • • • • • •

vom

Plas -

bis der sind von 45% und der von nicht 2030 Tier - auf CO2-Preises erfasst besserer die Ausbau bis Kosmetika europäischen Internet Energiebin - Verbot stärken in eines im des Tiertransporten durch Treibhausgasneut - 2050 Reduzierung Verkaufsverbot bei Sektoren, bis

europäische und ein die Infrastruktur 50%-ige tikmülleinträge Europaweites Einwegplastikartikeln Mikroplastik Neue Emissionshandel Europäischen nenmarkt schutz-Strategie: Schutz und Haustieren Anhebung 2030 ralität Einführung für Klimaschutzzieles Treibhausgasminderung • • • • • • Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 in Europa Umsetzung der Ergebnisse der UN-Klimakonferenzen von Paris und Kattowitz Treibhausgasemissionen, notfalls zunächst auf Ebene der G20-Staaten zur Vermeidung von Plastik auflegen und internationale Abkommen zur Plastikvermeidung abschließen • Umsetzung der • Konkretisierung und • Globale Bepreisung der • Europaweite Strategie EU-Politiken fit machen für die Umsetzung der Nachhaltigkeitszie le und des Klimaabkommens Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien #UmweltEU Synopse der Europawahlprogramme 2019 der wichtigsten Parteien entlang der politischen Forderungen 2018/19 EBD: Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien © Europäische Bewegung Deutschland e. V. www.netzwerk-ebd.de • @NetzwerkEBD + 49 (0)30 30 36 20-110 Alle Angaben ohne Gewähr, April 2019.

56 | BBE DOSSIER NR. 6 EBD: Synopse der Europawahlprogramme 2019 Alle Angaben ohne Gewähr, April 2019. www.netzwerk-ebd.de • @NetzwerkEBD + 49 (0)30 30 36 20-110 © Europäische Bewegung Deutschland e. V. Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien entlang der politischen Forderungen 2018/19 EBD: #TransparenzEU Synopse der Europawahlprogramme 2019 wichtigsten Parteien Gute EU-Rechtsetzung braucht Transparenz und Gründlichkeit • für Verbindliches alle

EU-Institutionen Lobbyregister

• • • • renzverordnung umfassenden Alle stattgefunden öffentliche werden, sollen Bei Dokumenten Zugang henden Weiterentwicklung striktere für Verbindliche Brüssel Rat alle Gesetzgebungsverfahren offenlegen, Mitgliedstaaten Fristen EU-Institutionen eintreten der Verordnung bis Karenzzeiten Debatte Öffentlichkeit zu Lobbyregister der eingeführt EU-Transpa - haben denen wofür EU der im sollen über zu muss eine sie Rat beste - einer und

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https://www.netzwerk-ebd.de/aktivitaeten/politik-2018-19/ • schen Alle licht Dokumente deren live staatlichen und übertragen Sitzungen aller werden Rates, Sitzungsprotokolle anderen EU-Gremien online des des werden Ministerrats zwischen - Europäi - veröffent - und sollen und

• • machen und Ministerrat transparent Europäisches Parlament sengruppen auf Kommission, Einflussnahme von Interes- Schlupflöcher renz gefordert terrat ist höchste Transpa- EU-Kommission und Minis- In den register Verhandlungen mit schließen und die im EU-Lobby-

• • • Parteien nehmen und Lobbyisten an ring und Spenden von Unter- Verbot von Parteiensponso- Unternehmen wirtschaftlich organisierte einem Wechsel in privat- glieder der Kommission vor Strikte Wartezeit für Mit- Transparenzregister Verbind liche

Lobby- und

• und Funktionsträger • • • Verpflichtendes Funktionsträgerinnen Abgeordneten und EU- Nebentätigkeiten der Veröffentlichung der Uneingeschränkte Transparenzgesetzes Vorbild des Hamburger anfallenden Daten nach aller in den EU-Institutionen Veröffentlichungspflicht Mehr Transparenz durch Politik und Wirtschaft Funktionsträgern zwischen Funktionsträgerinnen und Abgeordneten und EU- beim Wechsel von Dreijährige Karenzzeit Lobbyregister

BBE DOSSIER NR. 6 | 57 II POSITIONEN DER ZIVILGESELLSCHAFT ZUR ZUKUNFT EUROPAS FÜHRUNG

DR. FRANK HEUBERGER »NICHT OHNE UNS!«

»Not without us«, nicht ohne uns! Mit politischen Reformbedarf der EU. Sie zeig- diesem Motto fand die europäische Kon- ten, wie eine Mobilisierung für die anste- ferenz der Zivilgesellschaft zur Zukunft Eu- hende Europawahl gelingen kann, verbun- ropas im Vorfeld der Europawahl am 21.- den mit einer Vision von Europa, in dem 22. März 2019 im Berliner Roten Rathaus Wirtschaftsinteressen und BIP nicht über statt. Sie hat deutlich gemacht, dass die Demokratie, Freiheit, Recht und Nachhal- Zukunft eines sozialen und solidarischen tigkeit stehen. Diskutiert wurde auch, wie Europas, eines wirklichen Europas der den erstarkenden populistischen und nati- Bürgerinnen und Bürger, nicht ohne die onalistischen Bestrebungen der Wind aus enge Einbindung der europäischen Zivil- den Segeln genommen werden kann. gesellschaft in Entscheidungen der EU zu haben ist. Über Präsentation und strategische Zu- sammenführung der Kampagnen hinaus Nicht ohne uns! - Auch die jüngste Vergan- wurde am zweiten Tag eine Agenda zur genheit zeigt, dass es ohne sofortigen und Europawahl 2019 verabschiedet, in der die selbstlosen Einsatz der Zivilgesellschaft an gemeinsamen Positionen und Forderungen vielen Orten Europas zu massiven huma- der Zivilgesellschaft zur Zukunft Europas nitären Katastrophen gekommen wäre. formuliert wurden. Vertreterinnen und Die unzähligen spontanen und organisier- Vertreter aus vielen europäischen Ländern ten Kräfte standen bereit, um den Strom waren sich einig im Eintreten für mehr De- der Geflüchteten nicht am bürokratischen mokratie, Gleichheit, Solidarität und Inklu- und administrativen Chaos eines überfor- sion. So wurde eine klare politische Agenda derten Staates scheitern zu lassen. entworfen, die über die Europawahlen hi- nausreicht. Sie artikuliert ein Bürgerenga- Die gemeinsam von dem BBE und dem gement, das echte Partizipation und zivilen European Civic Forum (ECF) organisierte Dialog schafft, mit dem die Rechte der eu- Konferenz war ein Höhepunkt im Rahmen ropäischen Bürgerinnen und Bürger auch der #MEGA-Kampagne, die das European eingefordert und gestärkt werden können. Civic Forum 2018 startete. Es fanden vor der Berliner Konferenz bereits Events und Drei Themen, an denen wir gemeinsam Großveranstaltungen in Dänemark, Lett- arbeiteten, hatten sich bereits in vielen land, den Niederlanden, Frankreich und Stellungnahmen, Forderungen, Appellen Rumänien statt. und Manifesten der europäischen Zivilge- sellschaft als zentral herauskristallisiert: Am ersten Tag der Konferenz präsentier- Die Zukunft der europäische Demokratie, ten sich nicht weniger als 30 Initiativen und Civic Space und Nachhaltigkeit und soziale Kampagnen mit konkreten Themen zum Gerechtigkeit.

58 | BBE DOSSIER NR. 6 Heuberger: »Nicht ohne Uns!«

Wer etwa beim Thema Civic Space glaub- zu wählenden europäischen Kommission te, dass Zivilgesellschaftsorganisationen vorgelegt werden wird. Eine Agenda, die nur in anderen europäischen Ländern, vor- fortgeschrieben auch in die Vorbereitun- nehmlich in Mittel- und Osteuropa, nicht gen zur deutschen Ratspräsidentschaft aber in Deutschland massiv unter Druck 2020 Eingang finden soll. Gelingt uns gesetzt werden können, der wurde spä- dies, gehören wir mit Sicherheit nicht zu testens seit dem jüngsten Urteil des Bun- den »Schlafwandler(n) in einem erschlaff- desfinanzhofs zur Aberkennung der Ge- ten Europa«, vor denen der französische meinnützigkeit von attac eines Besseren Präsident Macron in seinem Brief an alle belehrt. Und das scheint erst der Anfang Mitgliedstaaten der EU warnte. Ganz im zu sein, nimmt man die Drohungen gegen Gegenteil demonstrieren wir ein proeuro- die Deutsche Umwelthilfe und Campact päisches Engagement für eine echte De- ernst. Allerdings wiesen pressewirksame mokratie, zu der auch eine starke Zivilge- Klagen eines Bundesministers über »Asyl- sellschaft gehört. tourismus« und eine angebliche »Anti-Ab- schiebe-Industrie« für Flüchtlinge bereits Erschien in den BBE Europa-Nachrichten in die gleiche Richtung. Die Debatte um Nr. 4 vom 9.5.2019 den »shrinking civic space« ist damit auch in Deutschland angekommen. AUTOR

So entstand eine Agenda, die die Posi- Dr. Frank Heuberger ist Beauftragter des tion der Zivilgesellschaft zu diesen für BBE-Sprecher*innenrates für Europäische die Zukunft Europas so wichtigen Anlie- Angelegenheiten. gen unmissverständlich formuliert und die als Prüfstein den Kandidatinnen und Weitere Informationen Kandidaten zur Europawahl, dem neu- ü https://www.b-b-e.de/veranstaltun- en europäische Parlament und der neu gen/not-without-us/

BBE DOSSIER NR. 6 | 59 BERLIN AGENDA EUROPEAN CIVIL SOCIETY DEMANDS TOWARDS THE EUROPEAN ELECTIONS 2019 AND BEYOND

WE, CIVIC ACTORS, share the vision and The Berlin Agenda is not intended to be a believe that Europe is our common future, new position paper replacing existing ones; but another Europe is necessary, urgent rather it aims to draw from existing mani- and possible. festos and policy proposals in order to give more visibility and strength to civil society WE call upon citizens all across Europe to campaigns and initiatives in the light of the reclaim and practice together, by raising upcoming European Elections in May 2019 our voices and strengthening our alliances and beyond, showcasing civil society‘s visi- and common work, democracy, equality, on for the future of Europe. It will serve as solidarity and inclusion, which should be an open document to be worked on bey- at the core of the debate on the future of ond the 2019 European Election. We will Europe and our societies. We need an in- also, track the implementation of propo- novative and courageous plan for Europe sals, campaigns and initiatives. in common. A Europe based on democracy and freedom, rights and equality, social and European Elections and beyond: what is at climate justice, solidarity and inclusiveness, stake? peace and environmental sustainability. The winners and losers of the European This agenda was drawn up in the frame- promise work of the European Conference »Not wi- thout Us!«1 on 21-22 March 2019 in Berlin Out of the ashes of war, sixty years ago, Eu- organised by BBE - Bundesnetzwerk Bür- rope grew as a promise of peace, freedom, gerschaftliches Engagement with the sup- well-being and democracy. Today, many Eu- port of the European Civic Forum as part ropeans benefit from free movement, che- of the European campaign »Make Europe aper flights and no more roaming fees. EU Great for All - #MEGA«2. The »Berlin Agen- workers are entitled to four weeks paid ho- da« compiles positions, proposals and de- lidays a year. We can live, work or retire any- mands previously adopted and published where in the EU. The EU is meant to be a dri- by numerous civil society networks, asso- ver of economic progress. Yet, despite overall ciations, foundations and think tanks, lis- long-term economic growth, the European ted under our core common issues: A truly promise is challenged by rising and intolerab- democratic Europe, with a vital Civic Space le inequalities between the rich and the poor. and based upon the paradigms of Sustai- A quarter of Europeans face poverty or social nability and Social Equality. exclusion. The number of people »left-be- hind« is rising and the many that fear being 1 https://megacampaign.eu/events/berlin-confe- rence/ left behind are anxious about their future 2 https://megacampaign.eu/ and have lost trust in the political system.

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The challenge to democracy when people based on the values we mentioned, to re- fear for their future gain primacy over technocracy and parti- cular economic and financial interests. In The European project is built on advance- order to transform Europe and recapture ments in rights and democracy, on victo- lost voices, technical policy debates are ries against dictatorship and authoritarian insufficient: citizens need to have a say on regimes, on struggles to overcome coloni- European political life. Business as usual is alism, patriarchy and racism. But unifying not an option. A truly democratic society the markets without upscaling rights and needs open and responsive institutions and equality has been a great mistake and the a strong and recognized civil society. Peop- price we risk paying for it is high. The gro- le power and informed citizens are key to wing audience for and electoral success of the democratic functioning of our societies. regressive populist agendas across Europe shows more than ever that current poli- Civil society is crucial in order to organi- cies do not properly address people’s ex- ze and channel citizens’ needs and aspi- pectations. More and more people think rations as well as to represent their frus- that Europe is not an answer to their prob- trations and grievances to institutions. lems. Nationalism, xenophobia, and iden- Associations can be drivers in promoting tity politics based on exclusion are beco- and upholding European values but also ming substitutes for a shared future. in challenging the institutional and politi- cal frameworks to put the common good There is no alternative but to change the at the forefront of decision making. This course of policies requires recognition of associations’ role and legitimacy to do so. Positive, fragile but real winds seem to be back in the ’s sails, with Create an open and enabling environment recessions replaced by some economic for civil society growth and plans to increase investment.. The question is then: who is to benefit At a time when civil society space is atta- from these winds? The current model has cked everywhere in Europe and is in real led to fragmentation, social and inter-ge- danger in some countries, it is crucial to nerational competition, tensions between publically support and recognize the added creditor and debtor countries, fear and value that civil society brings to European tensions between natives and migrants, democracies by acting everyday to make competition between people facing po- rights effective for all, educating citizens verty and precarious situations. The chal- on EU values and alerting about breaches lenge is to bring more democracy, equality to the rule of law. Organised civil society is and solidarity for all in order to break the a sustainable actor for the defence of the- vicious circle of unjust policies and regres- se values and for social justice for the long sive populist responses. term. Alongside, issue-driven and short- lived citizens’ movements emerge. They Changing Europe from the bottom up: can be very impactful on short-term de- a democracy that gives voice to all mands. The potential of all these different forms of engagement to revive democracy The socio-economic, environmental, in- depends on the institutions’ capacity and stitutional and political crises reveal the willingness to recognize them, to engage need for politics for the common good, in dialogue and answer their claims.

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¾¾Freedom of association and assembly ¾¾The new strand of funding to support should be recognised, alongside the free- the promotion and protection of funda- dom and pluralism of media, among the mental values, as part of the Rights and indicators for democracy while assessing Values funding programme, needs ambi- the implementation of EU values, the Rule tious resources. The Commission should of Law and the Charter of Fundamental ensure that in the implementation of this Rights. strand of the programme, the fund is ac- ¾¾The mandate of the European Agency cessible to European, national and local for Fundamental Rights should be expan- CSOs across the Member States, including ded and strengthened in order to develop human rights defenders aiming to pro- more values-based policies and ensure mote and protect the EU’s fundamental that European legislation does not down- values. In order to reach its aim, the fund play rights. Crucially, the mandate should should cover operational costs as well as allow the agency to carry out in-depth litigation, capacity building and watchdog country by country assessments about activities. the respect and implementation of funda- ¾¾The should re- mental rights both by EU institutions and act promptly with relevant measures, in- Member States and to receive and investi- cluding infringement procedures against gate complaints. Such assessment should Member States, when national adminis- be set up and implemented in coordinati- trative or legal provisions restrict the ac- on with other relevant institutions in the cess of national civil society organisations monitoring of human rights and with civil to EU funds, including when funding con- society actors. ditions are imposed that restrict their ad- ¾¾The institutional monitoring should be vocacy activities. linked to a more effective sanctioning sys- tem. The EU cannot become complacent Foster a culture of active participation about breaches of its values: it should con- demn and have the tools to hold govern- ¾¾The European Union and member sta- ments to account for them. A reflection on tes should empower citizens of all ages, positive conditionality and new forms of genders and social conditions to fully par- sanctioning which target governments and ticipate in social, cultural and democratic simultaneously engage societies is needed. life and promote life-long learning to fa- ¾¾For countries covered by the Instru- cilitate their active involvement in all as- ment for Pre-Accession, the EU should pects of life. assist the consolidation of democracy by ¾¾Social inclusion and active citizenship enhancing the role of civil society to achie- are strongly connected. A culture of active ve sustainability. participation requires specific attention to ¾¾A robust, independent and diversified ensure that no citizen residing in the EU is organised civil society is underpinned by excluded, and that no citizen is at risk of adequate public financing. Strengthening exclusion or discrimination due to the lack civil society means improving access to fi- of respect for their social and economic nancing for the smallest organisations and rights. the most disadvantaged sectors of society ¾¾Citizenship education and the promo- as well as for national organisations and tion of critical thinking should empower European infrastructural organisations people to actively participate in public de- that allow for the creation of a European bates and in voting for elections. To this civic space. end, the EU should support and encoura-

62 | BBE DOSSIER NR. 6 Berlin Agenda ge reforms to education systems to help witnessed rising inequality and growing young people become active citizens and precariousness. Today there is a need to ensure they are involved in societal pro- move towards a truly democratic Union, gress. While recognising degrees in formal inspired by the principles of representati- education, in addition to employability, ve democracy, participation and accoun- set a focus on providing quality citizen- tability that not only delivers on the eco- ship education for all, so that young peo- nomic but also on the social dimension. ple practice critical thinking and enhance political and media literacy. Activism and Make EU democracy more representative non-formal education experiences provi- of people’s needs and diversity ded by CSO should be recognised for their educational and societal value. The contri- The European Union institutions should butions of youth work, volunteering and reinforce representative democracy and non-formal education to people’s lives restore the legitimacy of the European and to society more broadly should be for- Union by increasing democratic accounta- mally recognised. bility and control of decisions by the citi- ¾¾The revival of a free, trusted and plura- zens. listic media in Europe is also a crucial com- ponent of a culture of active participation. ¾¾Within the current institutional and Legislation must be enforced against me- legal framework, strong political weight dia monopolies and dominant market po- should be given to the European Parlia- sitions to guarantee transparency of me- ment; as the sole European institution dia ownership and management. Member directly elected by European citizens: it States should be called to ensure indepen- is unacceptable that its role is reduced dent oversight and effective compliance to co-decisionwith the Council and that mechanisms in order to prevent conflicts its power is restricted to the capacity to of interests, ensure editorial indepen- block or amend. Transnational lists for EU dence and safeguard the media’s role as elections should be established in order public watchdog. The protection of whistle to give concrete substance to a European blowers should also be safeguarded. constituency and to move towards a Euro- pean Parliament that makes decisions for Democratising European democracy to the European common good. serve European common good ¾¾Make it easier for underprivileged groups including young people, women, In order to rebuild trust in democracy and poor people, migrants, disabled people, universal values that a growing part of the LGBTI people, Roma… to vote in elections European population has lost, there is no or run as candidates. Encourage political other way than to demonstrate that de- parties to promote them within their own mocracy is delivering for social cohesion. structures. ¾¾Make laws that ensure transparency in The idea of »Europeaness« with a demo- political campaign funding and spending. cratically engaged citizenry, cannot simply Reform European and national electoral be promoted from the top and should be laws to ensure that every vote counts, driven by European citizens themselves. seats elected match the votes they recei- The European Union project has been ved. developed by unifying the single market. ¾¾The EU must guarantee the right to During the last decades, citizens have information, participation and justice for

BBE DOSSIER NR. 6 | 63 Berlin Agenda all, as well as greater transparency in de- Europe more citizen-powered. They can cision-making and lobbying activities, and be given concrete substance through the improve restrictions on »revolving doors« following processes: practices. ¾¾Put an end to lobbying secrecy: a Man- ¾¾Organise randomly-selected Citizens’ datory EU transparency register for all Assemblies at the national and/or EU-level lobbyists is essential for institutions to be- to develop concrete recommendations on come more accountable and for journa- the democratic future of Europe. lists and citizens to be able to understand ¾¾Tap into the potential of European Ci- who influences EU politics. It is an essen- tizens’ Initiative’s (ECI) to make citizens tial and necessary step towards making agenda setters: with the recent reform, EU policy-making more transparent and ECI becomes a more user-friendly tool closer to citizens and the common good. of participatory and direct democracy in Europe. Yet, its political impact on the EU agenda remains the weakest point in the Give citizens and their organisations real new regulation. say in EU decision-making processes ¾¾Improve the framework of public con- sultations towards more user-friendliness, Participatory democracy is a democratic accessibility for the general public, trans- imperative that helps strengthen repre- parency and responsiveness of the Euro- sentative democracy and ensure effective pean Commission to the contributions re- scrutiny of decision-making, including the ceived and the way they have been taken appropriate and sustainable articulation into account in drafting legislation. of the economic, social and democratic ¾¾All EU institutions must review their components of the European project. terms of engagement with civil society or- ganisations to avoid box-ticking, one-way The Treaty on the Functioning of the Euro- and one-off consultations, and ensure that pean Union has introduced a major innova- organisations can contribute in a timely tion: the concept of citizens’ participation and informed manner to EU policy making. through its Article 11. Yet, 10 years after ¾¾Adopt an inter-institutional agreement its adoption, its provisions have failed to on civil dialogue, for EU institutions to be implemented apart from the European engage in open, regular and transparent Citizens Initiative and with limited results. dialogue with civil society organisations, The ability of citizens to be part of decisi- granting NGOs participatory status within ons beyond voting in elections is still very EU policy making processes following the limited resulting in double dissatisfaction example of international institutions such with the policies themselves and with the as the UN or the Council of Europe. lack of possibilities to influence decisions. ¾¾The mandate of the new first Vice- president of the European Commission in In order to establish a consistent frame- charge of the rule of law and fundamental work defining the relations between ci- rights should include a specific objective vil society and the European Union and to respect, protect and promote the role of concrete participatory mechanisms, Ar- civil society. The mandate should include ticle 11’s provisions in its four dimensions a requirement to coordinate work across – developing a European public sphere, the Commission and ensure all EU leaders Civil Dialogue, Consultation, and Citizen’s systematically engage into dialogue with participation – have the potential to make civil society.

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¾¾Civil dialogue should be implemented determination and human dignity, free by all relevant EU and national institutions from discrimination. at all levels of decision-making. In order ¾¾To restore citizens’ trust in a Union that to restore confidence, it is important that is willing and has the capacity to meet their citizens have on the one hand easy ac- needs, EU institutions should ensure equal cess to information concerning the decis- access to socio-economic rights for all and ion-making process both at EU level and ensure citizens’ involvement through civil through their elected representatives and and political rights. their government, but on the other hand ¾¾Harmonise social policies upward and they should also be able to take part in a promote universal access to social servi- meaningful way in such decision-making. ces and adequate safety nets, as well as Making Europe socially just and sustainab- an inclusive, fair and equal labour market. le for present and future generations ¾¾Ensure equal representation of women and men in political decision-making in EU We need a democratic Europe where the bodies, including in the EU »top jobs«. common good and social and environmen- ¾¾Adopt European targets for care infra- tal rights come before particular economic structures for dependent, elderly and disa- interests. Europe should implement ambi- bled persons. Adopt a ‘care guarantee’ to tious socio-economic convergence poli- address care needs throughout the life-cyc- cies to curb the great imbalances between le, as a valuable part of functioning of society countries and territories, social groups and invest in the care economy by directing and people, men and women in Europe, investments in the EU budget in this area. in our neighbourhoods, regions and in the ¾¾Adopt a European Disability Strategy whole world. Europe is not just the EU, the 2020-2030 based on the establishment future of Europe will also be determined of a structured dialogue with people with at its fringes. disabilities and their representative orga- nisations with an independent budget line. We call for a truly inclusive European so- cial model beyond the GDP indicator, Adopt a people-centred response to migra- that combines economy and well-being, tion. Asylum seekers should be welcomed a model that serves the people and the in Europe and treated in the spirit of the environment. The EU, nation states, local UN Conventions. authorities and communities should be co-active parts of this fairer, inclusive, sus- Towards social and environmental sustai- tainable solution. nability in Europe

Ensure equal access to fundamental rights ¾¾The European Social Model should for all provide full and fair protection to all citi- zens, while alleviating poverty and provi- ¾¾Public policies and legislative measures ding opportunities for everyone to thrive. should ensure that, in line with European Social inclusion and protection, decent and international human rights law, all work, gender equality, public health and European citizens and residents enjoy the health care, access to affordable and qua- same level of protection and can exercise lity housing, environmental justice, quali- their fundamental rights and freedoms, al- ty education and equal access to culture, lowing them to live according to their own must be the main principles driving natio- convictions under the principles of self- nal and European political agendas.

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¾¾Support measures that ensure a quali- ¾¾The EU Budget should use its potenti- ty school-to-work transition. Invest stron- al to catalyse sustainability and economic gly in the Youth Guarantee and in impro- justice and wellbeing, through investment ving its effectiveness, so that it can offer in social infrastructure, education, culture, a future for all young people, in particular and climate action. This includes phasing the most vulnerable. out unsustainable investments and subsi- ¾¾Effective and coordinated taxation dies as well as strengthening accountabili- measures should ensure that all compa- ty mechanisms. In other words, it should nies pay their fair share of taxes and con- be a budget made for and with people and tribute to national and European public the planet. budgets for access to socio-economic rights and wellbeing. The EU must commit to effectively fighting tax evasion world- Make Europe great for all: the way forward wide and shut down European tax havens. ¾¾The Paris Agreement for climate should The present agenda is a living document be fully implemented and reflected in the collecting civil society proposals for an alignment of the EU’s emissions reduction ambitious vision of the European project. targets for 2030 and 2050 with the com- mitment to limit temperature increases to We, civic actors are committed to: 1.5°C and through ambitious EU climate po- licies, including a rapid phase-out of all fos- ¾¾Reclaiming our political voice and de- sil fuels, and moving from energy efficien- liberative space to point at the failures of cy towards an absolute decrease of energy current policy and political frameworks use. The EU should accelerate the just and and to contributing to the rebuilding of a sustainable transition to a 100% renewab- European project for a society based on le energy supply, which is clean, affordable the values of inclusivity, equality and so- and supports community ownership and lidarity. does not lead to energy poverty. ¾¾Raising awareness on the indivisibili- ¾¾The new European Parliament should ty of all rights: political, civil, economic, mandate a Commission President to be in social and environmental, because when charge of implementing the Sustainable one category of rights is under attack, the Development Goals, which should serve whole body of rights is shrinking. as the overarching framework for the EU’s ¾¾Building convergence of our struggles development up to 2030. for democracy and social justice in order ¾¾Reform of the Common Agricultural to bring about systemic change. Policy is imperative to produce healthier ¾¾Developing a European civil society food and give fair prices for European strategy that discusses not only the me- small scale and organic farmers. This chanisms and functioning of democracy, should mean more environmental and na- but also its capacity to deliver inclusive ture protection, increased food sovereign- policies for all. ty, regional farmers’ markets, healthier ¾¾Following European civil society gathe- food systems, less food waste and the hal- rings and debates beyond the European ting of dumping in the Global South. The elections continuing to develop this vision EU should prioritise the transition towards into concrete proposals. organic, small scale agriculture, and refo- ¾¾Working together with all institutions restation as key measures for fighting cli- and political forces willing to make this mate change. agenda a reality.

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BBE DOSSIER NR. 6 | 67 DR. ANJA NORDMANN EUROPA BRAUCHT UNS – WIR BRAUCHEN EUROPA!

»Denk ich an Deutschland in der Nacht. der noch gelten wird. Doch immerhin war Dann bin ich um den Schlaf gebracht.« die Europäische Union über 70 Jahre und Beim Nachdenken über Europa ist mir die- bis heute meist erfolgreich darin, Interes- ses Zitat von Heinrich Heine aus meiner senkonflikte zwischen einer wachsenden frühen Zeit am Gymnasium wieder einge- Zahl europäischer Nationen auf dem Weg fallen. Nicht, dass Europa mir den Schlaf der Verhandlungen und Verträge friedlich raubt. Noch nicht. Aber Sorgen bereitet auszutragen und nicht durch Waffenge- es mir: Die tiefen Gräben in der Asyl- und walt. »Als Voraussetzung für eine freie Migrationspolitik, der Brexit, der Versuch Zukunft braucht dieses versöhnte Europa konkurrierender Wirtschaftsnationen, die ein dauerhaftes Fundament, das auf zwei EU zu zerschlagen, die Wahlerfolge rech- Pfeilern beruht: Weitergabe der Erinne- ter, demokratiefeindlicher Parteien und rung und Demokratie,« mahnte die ehe- deren Angriff auf die Selbstbestimmungs- malige EU-Parlamentspräsidentin Simone rechte von Frauen oder die Attacken ge- Veil, eine Überlebende des Holocausts, gen »Gender-Politik« – das alles zusammen anlässlich des Gedenktages für die Opfer nährt die Befürchtung in uns, dass die EU des Nationalsozialismus am 27. Januar tatsächlich vor ihrer größten Herausfor- 2004 im Deutschen Bundestag. Ein un- derung seit Gründung steht. Doch gibt es missverständlicher Auftrag. für diese Herausforderung keine einfachen und schon gar keine nationalen Lösungen. Die Europäische Union ist gewiss keine Wir brauchen europäische Antworten. Insel der Glückseligen. Dennoch ist sie neben einer starken Wirtschafts-, auch Nur geeint wird sich die Europäische Union eine Wertegemeinschaft, für die sich vor gegen die Kräfte behaupten können, die allem das Europäische Parlament, aber auf nationalen Chauvinismus, Kleinstaa- auch zivilgesellschaftliche Kräfte immer terei und auf Konfrontation setzen. Und wieder stark gemacht haben. Diese Werte nur geeint wird die Europäische Union sind demokratisch ausgehandelt und ver- friedlich und auf Dauer überleben können. traglich fixiert worden: Achtung der Men- Diese Union ist eine historische Errungen- schenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleich- schaft, die uns die längste Friedensperi- heit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung ode im Europa der Neuzeit beschert hat. der Menschenrechte. Sie sind inzwischen Als nachgeborene Generationen des letz- durch politische Entwicklungen in einigen ten Weltkriegs haben wir diese bislang für EU-Mitgliedsstaaten aber umstritten und eine Selbstverständlichkeit erachtet: die akut gefährdet. Der Begriff der »illibera- Abwesenheit von Krieg als eine Art Garan- len Demokratie«, vom ungarischen Minis- tie auf Lebenszeit. Inzwischen bin ich sehr terpräsenten Viktor Orbán vor geraumer unsicher, ob das für mich und meine Kin- Zeit in Umlauf gebracht, stärkt auch eine

68 | BBE DOSSIER NR. 6 Nordmann: Europa braucht uns – wir brauchen Europa! unheilige Allianz aus rechten Parteien und Wir können dafür aktiv werden, indem wir Bewegungen, christlichen Fundamenta- die wichtigste demokratische Institution in listInnen und selbsternannten »Lebens- der EU stärken: das Europaparlament. Ge- schützerInnen«. Sie wollen zurück zur »na- meinsam mit dem Rat der Europäischen türlichen« patriarchalen Ordnung. Frau- Union ist es für die EU-Gesetzgebung verant- en- und Minderheitenrechte leiden unter wortlich. Ohne dieses Parlament kann heute ihrem Vormarsch als erste. fast nichts mehr in der EU beschlossen wer- den. Und es wird von uns gewählt: den Uni- Zu den Grundwerten der EU gehört auch onsbürgerinnen und -bürgern. Es muss uns die Gleichstellung von Frauen und Männern. also angehen, wer dort für uns über den Kurs Deren aktive Förderung wurde im Amster- der EU mitbestimmt. Wir können dieses Par- damer Vertrag von 1999 zu einem Leitprin- lament nicht den national-chauvinistischen, zip erhoben. Und tatsächlich hat sich die EU rechtspopulistischen und -extremistischen, in der Vergangenheit immer wieder als star- antifeministischen und fremdenfeindlichen ker Motor für die Gleichberechtigung erwie- Kräften überlassen, die aus Europa eine Fes- sen: zuerst beim gleichen Entgelt für Frauen tung machen wollen. Als Deutscher Frauen- und Männer für gleiche und gleichwertige rat und gemeinsam mit der Europäischen Arbeit, später bei der Gleichbehandlung von Frauenlobby rufen wir daher alle demokra- Frauen und Männern beim Zugang zu und tischen Kräfte dazu auf, im Mai für ein de- bei der Versorgung mit Gütern und Dienst- mokratisches Europa zu stimmen, in dem leistungen, bei der Chancengleichheit und Solidarität, Gleichberechtigung und Men- Gleichbehandlung von Frauen und Männern schenrechte weiter gelten. Denn Europa in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, in der braucht uns – und wir brauchen Europa! Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt und aktuell bei der Vereinbarkeit von Erschienen im BBE-Newsletter Nr. 5 vom Familie und Beruf. Doch ist dieser Motor seit 7.3.2019 geraumer Zeit gehörig ins Stottern geraten. Der jüngste europäische Gleichstellungsin- AUTORIN dex aus dem Jahr 2017 verzeichnet immer noch eine geschlechtsspezifische Gerech- Dr. Anja Nordmann ist Geschäftsführerin tigkeitslücke von rund 33 Prozent. Das ist des Deutschen Frauenrats. Sie vertritt den nicht hinnehmbar. Dagegen helfen nur eine DF im Koordinierungsausschuss des BBE. entschlossene Gleichstellungspolitik sowie eine konsequente Bekämpfung aller For- Weitere Informationen men geschlechtsspezifischer Gewalt. Dazu ü www.frauenrat.de gehört vor allem auch die vorbehaltlose ü https://eige.europa.eu/gender-equali- Umsetzung der Istanbul-Konvention zur Be- ty-index kämpfung und Verhütung von Gewalt gegen ü https://eige.europa.eu/rdc/eige- Frauen und Mädchen und häusliche Gewalt. publications/gender-equality-index- Dazu gehört eine paritätische Besetzung des 2017-measuring-gender-equality-euro- Europaparlaments und aller politischen Ent- pean-union-2005-2015-report scheidungspositionen in der EU. Geschlech- ü https://www.institut-fuer-menschen- tergerechtigkeit stärkt die Demokratie, denn rechte.de/fileadmin/user_upload/Publika- die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in tionen/ANALYSE/Analyse_Istanbul_Kon- allen Bereichen und auf allen Ebenen kann vention.pdf unsere Gesellschaft vor toxischer Männlich- ü https://www.womenlobby.org/Our- keit und Extremismus schützen. Manifesto-for-a-Feminist-Europe?lang=en

BBE DOSSIER NR. 6 | 69 REINER HOFFMANN »EUROPA. JETZT ABER RICHTIG!«

Einleitung müssen verteidigt werden: Die Europäische Union hat unserem Kontinent und unseren Was in der EU entschieden wird, betrifft Gesellschaften jahrzehntelangen Frieden uns alle – die Arbeitnehmerinnen und Ar- und großen Wohlstand ermöglicht. beitnehmer, die Bürgerinnen und Bürger und die Gesellschaft als Ganze. Vieles von Leider bleiben die großen Erfolge der EU dem, was wir inzwischen als selbstver- nahezu unsichtbar, während jeder Miss- ständlich wahrnehmen – offene Gren- erfolg der EU auf den nationalen Bühnen zen, Freizügigkeit, soziale Grundrechte – grell ausgeleuchtet wird. Fast alles, was haben wir auch und vor allem der EU zu in Europa geschieht, wird medial weitge- verdanken! hend durch die nationale Brille gesehen. War ein europäischer Gipfel erfolgreich, Diese Errungenschaften müssen wir endlich sagen Macron, Merkel und die anderen wieder stärker ins Bewusstsein der Men- EU-Staats- und Regierungschefs zu ihren schen rücken. Denn neben den gemeinsa- Bürgerinnen und Bürgern: »Ich habe mich men Grundwerten gibt es zahlreiche kon- hier durchgesetzt«. Wenn es schiefgeht, krete Beispiele, die zeigen, wie die EU unser heißt es schnell, Brüssel sei »schwerfällig«. Leben täglich positiv beeinflusst: Dank der In der EU wird der Erfolg nationalisiert und Freizügigkeit können wir nicht nur in ande- der Misserfolg europäisiert. ren EU-Ländern Urlaub machen, sondern auch in anderen Ländern arbeiten. Dank Die Krisen der europäischen Union der EU gibt es begrenzte Wochenarbeits- zeiten und Ansprüche auf Ruhepausen. Als Zwar haben die Gewerkschaften die euro- Bürgerin oder Bürger der EU müssen Sie päische Integration von Anfang an unter- nur in einem Land Sozialversicherungsbei- stützt, aber auch wir sind bei Weitem nicht träge zahlen – und Ihre Beitragszeiten in mit allem zufrieden, was in der EU passiert. anderen EU-Staaten werden angerechnet. Im Gegenteil: seit vielen Jahren ist Europa Europäische Betriebsräte sorgen für mehr in keiner guten Verfassung. Die Europäi- grenzüberschreitende Mitbestimmung und sche Union ist seit Jahren krisengeplagt: Im die Betriebe profitieren vom gemeinsamen Kontext einer radikal veränderten Weltlage Binnenmarkt, weil Grenzkontrollen und ist Europa mit der nicht bewältigten Wirt- Zölle wegfallen. Das macht den Handel von schafts- und Finanzkrise, einer viel zu hohen Waren, Dienstleistungen und Kapital inner- Arbeitslosigkeit und einer bedingungslo- halb der EU einfacher. Vor allem aber: Vie- sen Sparpolitik (Austerität) konfrontiert. Es le Ziele, die sich die Europäische Union bei konnte keine europäische Antwort auf die ihrer Gründung gesteckt hatte, sind heu- Flüchtlingskrise gefunden werden und die te erfüllt, aber keineswegs gesichert und negativen Folgen des Brexit-Votums sind

70 | BBE DOSSIER NR. 6 Hoffmann: Europa. Jetzt aber richtig! kaum abschätzbar. Die völlig unzureichende statt. Für den DGB und seine Mitgliedsge- Krisenpolitik hat wiederum die mangeln- werkschaften ist das klare Bekenntnis zu de Kooperationsbereitschaft, wachsende Europa eine Angelegenheit der Vernunft, Selbstbezogenheit der Mitgliedsstaaten aber auch des Herzens. Wir wollen die EU, und die Webfehler der EU offenbart. aber wir wollen ein anderes Europa: ein soziales, solidarisches, gerechtes Europa. Hinzu kommt: Die europäische Politik ist für Dafür machen wir uns stark. die Bürgerinnen und Bürger schon länger schwer zugänglich, kaum verständlich und Es muss in Zukunft sichergestellt sein, dass gefühlt »weit weg«. Im Kontext der multip- die sozialen Grundrechte der Menschen len Krisen und der verfehlten Krisenpolitik Vorrang haben vor den wirtschaftlichen wenden sich immer mehr Menschen vom Freiheiten der Märkte und Unternehmen. europäischen Projekt ab. Immer mehr Zwar wurde im November 2017 mit der verbinden mit der EU nicht mehr das Frie- »Europäischen Säule sozialer Rechte« die dens- und Wohlstandsversprechen, son- soziale Agenda auf EU-Ebene endlich wie- dern Austerität, zu geringe Investitionen, der thematisiert. Nun wird es aber darauf wachsende Ungleichheiten und fehlende ankommen, dieses Postulat mit konkreter demokratische Beteiligung. In den osteuro- sozialer Politik glaubwürdig umzusetzen, päischen Mitgliedsstaaten steigt der Frust starke soziale Mindeststandards zu setzen über das nicht eingelöste Versprechen ei- und so die einseitig marktliberalisierende ner Angleichung der Lebensverhältnisse. In und unsolidarische Politik der Krisenjahre den westeuropäischen Ländern wiederum zu beenden. Die EU muss der Garant für macht sich Angst vor wirtschaftlichem und einen sozialen Mindestschutz und eine sozialem Abstieg breit. stetige Verbesserung der Lebens- und Ar- beitsverhältnisse sein. Europa muss gute Großbritannien hat dafür spektakuläre Arbeit schützen! Nur dann wird sie das Beweise geliefert: Es ist uns nicht gelun- Vertrauen der Menschen zurückgewinnen gen, 52% der Britinnen und Briten, die sich und populistische und nationalistische für den Austritt ausgesprochen haben, Strömungen schwächen. Und nur so wer- von den positiven Auswirkungen der EU den wir in der EU die künftigen Herausfor- zu überzeugen. Beim Referendum über derungen meistern können. einen EU-Austritt haben die Waliser bei- spielsweise mehrheitlich für den Brexit Denn es ist klar, dass nationale Abschot- gestimmt – obwohl die Region in hohem tung keine Lösung ist. Die voranschreiten- Maße von EU-Fördergeldern profitiert: de Globalisierung, internationaler Handel, Schulen, Freizeitzentren, Krankenhäuser, Klimawandel oder die digitale Transforma- Autobahnen. Der abstrakte Apparat EU tion können nur europäisch beantwortet war in Wales greifbar, markiert mit blauen und bewältigt werden. Die globalen Rah- Schildchen. »Europa und Wales investie- menbedingungen sind im Umbruch. ren in eure Zukunft«. Geholfen haben die Schilder nicht. Wir stehen kurz vor einem Fazit: Wir brauchen Europa ungeordneten Brexit. Um Frieden und Wohlstand zu bewahren, Bekenntnis zu Europa können einzelne Nationalstaaten in Eu- ropa alleine kaum etwas bewirken. Auch In dieser Situation finden im Mai 2019 die deswegen brauchen wir eine starke und Wahlen zum Europäischen Parlament (EP) solidarische EU.

BBE DOSSIER NR. 6 | 71 Hoffmann: Europa. Jetzt aber richtig!

Die Gewerkschaften werden zusammen Erschienen im BBE-Newsletter Nr. 5 vom mit der Zivilgesellschaft und allen enga- 7.3.2019 gierten demokratischen Kräften dafür kämpfen, dass die EU ihren Kurs ändert. AUTOR Dafür müssen wir am 26. Mai ein starkes Signal setzen. Wir rufen alle dazu auf, von Reiner Hoffmann ist seit 2014 Vorsitzen- ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen der des Deutschen Gewerkschaftsbundes. und pro-europäische und demokratische Von 2003 bis 2009 war er u.a. stellvertre- Parteien zu wählen. Wir brauchen Europa. tender Generalsekretär des Europäischen Jetzt aber richtig! Gewerkschaftsbundes (EGB).

72 | BBE DOSSIER NR. 6 ULRICH LILIE UNERHÖRT! DIESE ANTIEUROPÄER*INNEN

Einleitung tisch Verantwortlichen und Teilen des de- mos in unseren Ländern, die sich selbst in »Die Zukunft Europas ist sozial, oder sie der Krise als »unerhört« wahrnehmen und ist nicht«. Mit dieser Perspektive fokus- einfachen Antworten vertrauen: Das Pro- sierte Heribert Prantl von der Süddeut- jekt der europäischen Einigung steht auf schen Zeitung das, was mit Europa passie- der Kippe. Wir erleben heute einen zuneh- ren würde, wenn es gut läuft, aber auch menden Rückzug auf nationalistische und wenn es nicht sozial gerecht zugeht und einseitig geprägte Muster zur Lösung viel- es schlecht läuft. Europa bzw. die Europä- fältiger Probleme, die vernünftig nur eu- ische Union, beruht seit ihrer Gründung ropäisch oder in einem Multilateralismus am 1. Januar 1958 auf Verträgen zwi- global bewältigt werden können. schen den Mitgliedstaaten, in denen ein- mal mehr politisch-programmatisch, ein Die Strategie Europa 2020 anderes Mal mehr rechtlich verbindlich steht, auf was sich Mitgliedstaaten ver- So kam es 2010 zur zehnjährigen Strategie pflichtet haben: Frieden und Wohlstand Europa 2020, die sich neben wirtschaftli- waren die Basics. Die Bekämpfung von chen und ökologischen Zielen auch der sozialer Ausgrenzung und Diskriminie- sozialen Nachhaltigkeit verschrieben hat. rungen sowie die Förderung sozialer Ge- Eine Strategie, die die Politiken der Mit- rechtigkeit und von sozialem Schutz sind gliedstaaten zu einer ganzheitlichen und neben der Achtung der Menschenwürde, integrierten Ausrichtung bringen sollte. Solidarität, Demokratie und Rechtsstaat- Sie hat auch die Bekämpfung der Armut lichkeit verbriefte Ziele und Werte, auf zum Ziel. 20 Millionen Menschen, die eu- die sich Europa gründet. ropaweit von Armut betroffen sind, soll- ten von diesem Stigma befreit werden Wie sieht heute die politische Realität in und einen Lebensstandard erreichen, der dieser so positiven Verfasstheit der EU mit der Menschenwürde vereinbar ist. aus? Betrachtet man die EU einmal un- Was bleibt allerdings ein Jahr vor Ablauf abhängig von ihren vertraglichen Grund- dieser Strategie? Die bittere Erkenntnis, lagen, so befindet sie sich seit Jahren in dass dieses Ziel der Bekämpfung von mehrfacher Hinsicht in der Krise. Regie- Armut nicht erreicht werden kann, dass rungen der Mitgliedstaaten stellen den keine integrierten Strategien zur Be- nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebau- kämpfung von Armut entwickelt und um- ten Konsens von Demokratie und Rechts- gesetzt wurden, aber – und das ist trotz staatlichkeit in Frage. Geschehnisse wie allem eine wichtige Wirkung dieser Stra- »Brexit« sind ein drastisches Beispiel für tegie – Armut ist endlich ein Thema der Empfindungen und Haltungen von poli- EU-Politik.

BBE DOSSIER NR. 6 | 73 Lilie: UNERHÖRT! Diese Antieuropäer*innen

Ab 2021 sollen 25% der Mittel des Euro- gierung, die von der Zivilgesellschaft mit päischen Sozialfonds zur Armutsbekämp- anderen Indikatoren und Daten konfron- fung (»soziale Inklusion«) bereit gestellt tiert wird, gibt die Kommission politische werden, ohne dass eine zwingende Ver- Empfehlungen vor, wie das Ziel künftig knüpfung mit Integrationsmaßnahmen besser erreicht werden kann. Diese Emp- in den Arbeitsmarkt erforderlich ist. Das fehlungen gehen, jedenfalls systematisch ist ein wichtiger Punkt für die Menschen, und im Idealfall, auch auf die Eingaben der die nicht erwerbsfähig oder vom Arbeits- Zivilgesellschaft zurück. So hat die Diako- markt ausgeschlossen sind. Zudem gibt nie in den vergangenen Jahren z.B. immer es einen Hilfsfonds für die am stärksten wieder kritisiert, dass im Europäischen von Armut betroffenen Personen (EHAP) Semester die sozialen Ziele der Strategie – und dies obwohl das Prinzip der Sub- 2020 gerade im Vergleich zu den Einspa- sidiarität immer wieder als Bremse auf rungszielen des Stabilitäts- und Wachs- diesem Gebiet wirkt, wollen doch die tumspaktes nachrangig behandelt worden Mitgliedstaaten die Armutsbekämpfung sind. Jetzt, auch verknüpft mit der Euro- national steuern. päischen Säule sozialer Rechte, wurden sie etwas aufgewertet. Auch über Verfahren, die sich für die Zi- vilgesellschaft öffneten, brachte die EU Zivilgesellschaft und EU sind auch auf dem sich mit der Strategie Europa 2020 in den Gebiet der Umsetzung der Strukturfonds, vergangenen Jahren in nationale Politi- insbesondere des Europäischen Sozial- ken ein. Sie band die organisierte Zivilge- fonds (ESF), eng miteinander verknüpft. sellschaft in die Bewertung der Zielerrei- Dies sollte auch in Zukunft weiter wirken. chung ein. Es ging jedes Jahr im Zyklus des Aus deutscher Sicht ist das seitens der EU Europäischen Semesters darum, die Ziele etablierte »Partnerschaftsprinzip« gut der Strategie vor dem Hintergrund der umgesetzt, was die Vorbereitung, Um- wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung setzung und Bewertung des Einsatzes der im jeweiligen Land einzuordnen und Fort- Fonds im Gegenüber zu den Bundes- und bzw. Rückschritte zu markieren. Diese Rol- den Landesregierungen verbessert. le der Zivilgesellschaft, die auch die Dia- konie Deutschland im Zusammenspiel mit Aus der Sicht der Zivilgesellschaft anderer Regierung und EU-Kommission einnimmt, Mitgliedstaaten ist hier noch viel Aufbau- kann als Baustein europäischer Demokra- arbeit nötig, wenn es um die gleiche Au- tie angesehen werden. Zwar muss man genhöhe zwischen Ministerien und zivilge- deutlich kritisieren, dass das Europäische sellschaftlichen Akteuren bei der Aushand- Parlament in diesem Europäischen Semes- lung der Operationellen Programme geht, ter so gut wie ausgeblendet ist. Auf der welche den ESF in die Praxis umsetzen. Da anderen Seite stellt die Öffnung der Ab- die Umsetzung des Partnerschaftsprinzips läufe für die Zivilgesellschaft einen wichti- dafür sorgt, dass die Erfahrungen aus der gen Ausgangspunkt für mehr Transparenz Praxis in die Konzipierung und Gestaltung und Beteiligung dar. der nationalen Umsetzung einfließen, ist es ein Anliegen der EU, dass gerade die Die Zivilgesellschaft als Akteur realen Beteiligungsmöglichkeiten in allen europäischer Demokratie Mitgliedstaaten gestärkt werden. Die EU- Kommission könnte hier ihre Position nut- Denn nach der Bewertung z.B. des Status zen, um sowohl die Zivilgesellschaft in den Quo des Armutsziels durch die Bundesre- einzelnen Ländern in die Lage zu verset-

74 | BBE DOSSIER NR. 6 Lilie: UNERHÖRT! Diese Antieuropäer*innen zen, die Mitwirkungsmöglichkeiten wahr- In jüngster Vergangenheit haben man- zunehmen, als auch die Mitgliedstaaten che Mitgliedssaaten versucht zivilgesell- dazu zu bewegen, die Mitwirkungsrechte schaftliche Organisationen in ihrer Arbeit auch in der Realität zu gewähren. einzuschränken, wie beispielsweise bei Maßnahmen der Seenotrettung oder der Plädoyer zur Stärkung europäischer Integration von Geflüchteten. Es muss si- Zivilgesellschaft chergestellt werden, dass Organisationen, die sich an EU-Recht halten, ihre Arbeit Die Diakonie plädiert hier im Kontext der uneingeschränkt ausüben können. Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) dafür, dass Gemeinsam gilt es, Fluchtursachen, die das bürgerschaftliche Engagement und durch Klimaveränderungen oder Armut die Zivilgesellschaft in Europa weiter zu entstehen, zu begegnen. Aber auch dem stärken sind. Als Akteure der Zivilgesell- europäischen Arbeitsmarkt und dem The- schaft verstehen sich die in der BAGFW ma Menschenrechte muss mehr Bedeu- zusammengeschlossenen Verbände als tung zukommen. solche auch im europäischen Kontext. In einer europäischen Zivilgesellschaft sehen Dazu plädiert die Diakonie über die Wah- wir uns in vielfältiger Weise an der Seite len der Europäischen Union (EU) im Mai anderer zivilgesellschaftlicher Akteure 2019 hinaus dafür, diese Anliegen wäh- und der Bürger*innen Europas. Parlamen- rend der deutschen EU - Ratspräsident- tarische Verfahren wie die Europäische schaft im 2. Halbjahr 2020 intensiv zu Bürger*inneninitiative des Vertrags von verfolgen. Dabei sei an die Erklärung der Lissabon mit § 11, Abs. 1, die zur Stärkung Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) in direkter Bürger*innenbeteiligung und da- Bratislava 1998 erinnert: »Europa ist mehr mit demokratischen Bestrebungen in Eu- als ein Wirtschaftsraum, Europa gilt es als ropa beitragen, müssen in ihrer Verbind- Sozialraum zu gestalten«. 2019 sei gesagt: lichkeit gestärkt und zu einem tatsäch- die bestehende Wirtschaftsgemeinschaft lichen Instrument direkter Demokratie EU muss wieder mehr als Wertegemein- ausgebaut werden. schaft (demokratischer!) Staaten in Euro- pa verstanden werden und entsprechend Auch die Möglichkeiten direkter Begeg- in Erscheinung treten. nungen der Bürger*innen Europas, ver- schiedener Generationen und Ethnien An diesem Punkt lässt sich deutlich festma- bzw. der Austausch von Bürger*innen in chen, welche Rolle und Position die Orga- Form der vielfältigen Möglichkeiten an nisationen der Zivilgesellschaft besitzen. Friedens- und Freiwilligendiensten, inkl. Wird der Zivilgesellschaft in einem oder dem neuen European Solidarity Corps mehreren EU-Mitgliedstaaten der Raum (ESC), betrachten wir als geeignete Mög- zum Handeln genommen, haben wir es mit lichkeiten und Maßnahmen Europa und den für die Demokratie sehr schädlichen die EU zu stärken. Dabei ist die Grundauf- Wirkungen der »Shrinking Spaces« zu tun. fassung von Freiwilligendiensten als einer besonderen Form bürgerschaftlichen En- »Checks and Balances« einer lebendigen gagements und einer so auch verstande- Demokratie nen und praktizierten Engagementpolitik zentral. Dies muss klar von Instrumenten Erst kürzlich wurde die Bertelsmann-Studie der Arbeitsmarktpolitik abgegrenzt sein. für 2018 zu den Governance-Indikatoren

BBE DOSSIER NR. 6 | 75 Lilie: UNERHÖRT! Diese Antieuropäer*innen für eine nachhaltige Politik veröffentlicht. Die Zukunft Europas basiert aus Sicht der Sie greift unter anderem Polen und Ungarn Diakonie auf beiden, auf der demokra- auf, wo zunächst demokratisch aufgestell- tisch-rechtsstaatlichen und auf der sozi- te Abläufe, an denen die Zivilgesellschaft alen Säule. Die Zivilgesellschaft, und hier – gesetzlich abgesichert – beteiligt war, zu- insbesondere die BAGFW als zivilgesell- rückgenommen wurden. Ebenso werden schaftlicher und sozialanwaltschaftlicher weitere zentrale Akteure von politischen Akteur, ist Teil des wichtigen Systems der Beteiligungsprozessen ausgeschlossen. Checks and Balances einer lebendigen De- Die Regierungen seien in einem ständigen mokratie in einem sozialen und offenen Wahlkampfmodus und bringen keine Fak- Europa. So wird die vorhandene Vielfalt ten oder kohärente Ziele ihrer politischen austariert und dabei ermittelt, wie aktuell Vorhaben mehr in die Öffentlichkeit. soziale Gerechtigkeit verstanden wird und wie sie realisiert werden kann. Besonders erschwert folgendes Phänomen einen möglichen Einfluss der EU auf Län- In Deutschland ist der Sozialstaat in der der wie Polen und Ungarn: Laut der Stu- parlamentarisch verabschiedeten Verfas- die steigt fataler Weise das Vertrauen der sung verankert. Eingangs erwähnte ich Bevölkerung in ihre Regierungen, während einige soziale Prinzipien der EU, die man die demokratischen Standards sinken. Die durch den ebenfalls in den Verträgen ver- Studie zieht daraus den wohl richtigen brieften sozialen Fortschritt, die soziale Schluss, dass wesentliche demokratische Marktwirtschaft und die besondere Stel- Werte nicht, oder nicht genug, in Teilen lung der im Allgemeinwohl handelnden der Bevölkerung verankert und sie daher sozialen Dienste ergänzen kann. Den Sozi- für diese Werte der EU nur schwer erreich- alstaat sehen wir als eine wesentliche zivi- bar sind. Mitte letzten Jahres wurde in Un- lisatorische Errungenschaft der Moderne. garn ein Gesetz verabschiedet, das einen Sie geht von einer damit verknüpften und strengeren Zugriff auf Nichtregierungsor- theologisch sowie sozialethisch begründe- ganisationen ermöglicht, Menschenrechts- ten sozialen Marktwirtschaft aus, in der aktivisten behindert, akademische Freihei- das Soziale keinesfalls bloßes Anhängsel ten beschränkt und die politische Kontrolle der marktwirtschaftlichen Prozesse, son- gegenüber der Justiz verstärkt. Nur wenige dern selbst konstitutiver Bestandteil einer Tage später wurde in Polen gesetzlich be- Wirtschafts- und Sozialordnung ist, in der stimmt, dass Richter und Richterinnen an wirtschaftliche Prosperität, demokrati- höchsten Gerichten vorzeitig in den Ruhe- sche Partizipation und soziale Sicherheit stand versetzt werden können. Auch aus gleichermaßen bestimmende Elemente Österreich dringen Alarmsignale zu uns: darstellen. Auch die EU muss nach mei- So wurde Österreich im November letz- ner Auffassung ihren Zielbestimmungen ten Jahres im globalen Demokratie-Rating einer sozialen Marktwirtschaft sowie der (CIVICUS Monitor) von »offen« auf »ein- sozialen Gerechtigkeit überzeugender als geengt« herabgestuft. Mit dem CIVICUS bisher nachkommen. Die Europaarbeit Monitor soll aufgezeigt werden, wie sich der Diakonie setzt im Kontext der BAGFW nationale Gegebenheiten auf Demokratie genau da an und betont, dass eine auf und die organisierte Zivilgesellschaft aus- Rechtsansprüchen basierende soziale Si- wirken, indem die Rahmenbedingungen cherheit eine grundlegende Bedingung dafür anhand von zahlreichen Indikatoren für eine gleichberechtigte Teilnahme am und eigenen Erhebungen weltweit darge- demokratischen Prozess darstellt. Es gibt stellt und verglichen werden. also einen engen Zusammenhang zwi-

76 | BBE DOSSIER NR. 6 Lilie: UNERHÖRT! Diese Antieuropäer*innen schen sozialer Sicherheit und Freiheit, den Die Heterogenität dessen, was unter zen- Heinrich Bedford-Strohm einmal so be- tralen Begriffen wie soziale Marktwirt- schrieben hat: »Würde und Freiheit des schaft oder soziale Sicherung zu verstehen Einzelnen sind kein Mittel, sondern sind ist, hat ebenfalls zugenommen. Ein Kon- der Zweck der Gesellschaft. (…) Dies setzt sens muss allerdings dazu herbeigeführt eine Gesellschaft voraus, welche die Teil- werden, dass die Menschen innerhalb ei- habe aller an den sozialen Grundgütern nes jeden Mitgliedstaats ihr Leben zumin- der Gesellschaft sichert.« dest auf der Grundlage eines würdevol- len Mindesteinkommens führen können. Ein Versprechen auf sozialen Fortschritt Gleichwertige Lebensverhältnisse sind eine entscheidende Gelingensvorausset- Schaut man dazu noch einmal in die EU- zung für eine lebendige Demokratie. Verträge, so erkennt man einen Gleich- klang von wirtschaftlichem und sozialem Angesichts der nach wie vor gravierenden Fortschritt sowie dem Bekenntnis zur so- Armutsproblematik in fast allen EU-Mit- zialen Marktwirtschaft. Damit enthalten gliedstaaten müssen in der EU Grundsi- sie ein Versprechen, das aus dem Blick cherungssysteme bestehen und gestärkt zu geraten droht. Die gewachsenen wirt- oder dringend eingeführt werden, um ein schaftlichen und sozialen Ungleichheiten menschenwürdiges Leben oberhalb der zwischen und in den Mitgliedstaaten bil- Armutsschwelle zu ermöglichen. den mittlerweile die Basis für eine weit verbreitete Unzufriedenheit mit der EU. Fazit

Mit der Erweiterung der EU, insbesondere Internationale soziale Rechte werden in um die Staaten Südeuropas (Spanien, Por- zwischenstaatlichen Verträgen und Reso- tugal) sowie Ost- und Südosteuropas ha- lutionen vereinbart, wie der Allgemeinen ben sich die ökonomischen Unterschiede Erklärung der Menschenrechte, dem in- zwischen den Mitgliedstaaten bekanntlich ternationalen Pakt über wirtschaftliche, erheblich vergrößert. Aber auch innerhalb soziale und kulturelle Rechte (wsk-Rechte) der Mitgliedstaaten gibt es große Unter- der Vereinten Nationen, der EU-Grund- schiede. So ist nach Eurostat-Angaben1 rechtecharta oder der europäischen So- beispielsweise das BIP pro Kopf in der zialcharta. Für uns in der Diakonie ist es italienischen Region Emilia-Romagna fast ein zentraler Punkt, dass das neuzeitliche doppelt so hoch wie in Sizilien, in Frank- Menschenrecht ein universelles Recht ist, reich ist das BIP pro Kopf im Großraum das nicht verdient werden, sondern als je- Paris doppelt so hoch wie in den angren- dem Menschen gegeben anerkannt wer- zenden Regionen Picardie und Pas de Ca- den muss. Verbindliche sozialpolitische lais. Auch in Deutschland sind eklatante Vorgaben für den sozialen Schutz aller Unterschiede vorhanden, in Mecklenburg- Bürgerinnen und Bürger in den Mitglied- Vorpommern liegt das BIP pro Kopf bei staaten müssen daher vor allem für die knapp 50% des in der Region Stuttgart er- Grundsicherungssysteme so formuliert wirtschafteten Wertes. werden, dass beispielsweise das soziale und kulturelle Existenzminimum aller Bür- gerinnen und Bürger der EU, selbstver- 1 Eurostat Angaben für 2014 BIP NUTS 2 Regionen, ständlich bezogen auf das jeweilige Land, vgl. auch: https://ec.europa.eu/eurostat/statistics- explained/index.php/GDP_at_regional_level/ gesichert ist. Hier verstehen wir die Auf- de#Regionales_Pro-Kopf-BIP gabe der EU koordinierend. Sie sollte aber

BBE DOSSIER NR. 6 | 77 Lilie: UNERHÖRT! Diese Antieuropäer*innen auch verbindlich initiativ werden, damit european-semester/framework/europe- sie ihre Werte der sozialen Gerechtigkeit, 2020-strategy_de Solidarität und Gleichheit aus der Ach- tung der Würde jedes Menschen inkl. der EHAP Umsetzung der Menschenrechte über- ü https://ec.europa.eu/social/main. zeugend verwirklicht. »Europa muss sein jsp?catId=1089&langId=de Schicksal mehr als bisher in die eigenen Europäischer Sozialfonds (ESF) Hände nehmen. Nur gemeinsam hat die ü https://www.esf.de/portal/DE/Start- EU eine Chance, sich in dieser Welt zu be- seite/inhalt.html haupten und ihre gemeinsamen Interes- sen durchzusetzen. Nur gemeinsam kön- Bundesarbeitsgemeinschaft der freien nen wir unsere Werte und unser solida- Wohlfahrtspflege e.V. risches Gesellschaftsmodell, das sich mit ü https://www.bagfw.de/ der Sozialen Marktwirtschaft verbindet, verteidigen« (Koalitionsvertrag 2018, 6). Die Europäische Bürgerinitiative Alles andere als die ursprüngliche Vision ü http://www.europarl.europa.eu/facts- des europäischen Friedensprojekts wieder heets/de/sheet/149/die-europaische- zu stärken, wäre politisch leichtsinnig, in burgerinitiative einem Wort: »unerhört«! European Solidarity Corps (ESC) Erschienen im BBE-Newsletter Nr. 5 vom ü https://europa.eu/youth/solidarity_de 7.3.2019 Infoportal der Diakonie zum Thema Freiwil- AUTOR liges Engagement und Freiwilligendienste ü https://www.diakonie.de/freiwilliges- Ulrich Lilie ist seit 2014 Präsident der Di- engagement/ akonie Deutschland und seit 2017 Vor- ü https://www.diakonie.de/freiwilligen- standsvorsitzender des Evangelischen dienste/ Werks für Diakonie und Entwicklung. Position der Diakonie zur Europawahl Zuletzt erschienen: Ulrich Lilie, Unerhört. ü https://www.diakonie.de/fileadmin/ Vom Verlieren und Finden des Zusammen- user_upload/Diakonie/PDFs/Broschue- halts, Herder 2018. re_PDF/2019-02_Auf-den-Punkt_Europa- wahl2019.pdf ü https://www.herder.de/religion-spi- ritualitaet-shop/unerhoert!-gebundene- Bertelsmann-Studie 2018 zu Governance- ausgabe/c-38/p-13692/ Indikatoren für nachhaltige Politik ü http://www.sgi-network.org/2018/ Weitere Informationen CIVICUS Monitor Strategie Europa 2020 ü https://monitor.civicus.org/ ü https://ec.europa.eu/info/business- economy-euro/economic-and-fiscal- wsk-Rechte policy-coordination/eu-economic-gover- ü https://www.institut-fuer-menschen- nance-monitoring-prevention-correction/ rechte.de/publikationen/wsk-rechte/

78 | BBE DOSSIER NR. 6 KATRIN HATZINGER DIE DEBATTE UM DIE ZUKUNFT DER EU – AUCH EIN THEMA FÜR DIE KIRCHE

Einleitung tische und rechtliche Hürden einge- schränkt werden (vgl. auch Bericht der Die Europäische Union (EU) ist ein Er- Europäischen Grundrechteagentur vom folgsprojekt: sie garantiert ihren rund Januar 2018: »Challenges facing civil so- 512 Millionen Bürgerinnen und Bürgern ciety organisations working on human Frieden, Stabilität und Sicherheit in einer rights in the EU« und vom September immer volatileren Weltlage. Sie steht für 2018: »Civil society space- views of or- Rechtstaatlichkeit (siehe Verfahren gegen ganisations«), ihre Vertreterinnen und Ungarn und Polen), den Schutz von Min- Vertreter eingeschüchtert, diffamiert derheiten, Freizügigkeit und einen barri- oder sogar tätlich angegriffen werden. erefreien Binnenmarkt, der Arbeitsplätze Autoritär agierende Regierungen se- und Wohlstand generiert. Sie engagiert hen zivilgesellschaftliches Engagement sich für Multilateralismus, Nachhaltig- offensichtlich als Provokation oder gar keit, soziale Mindeststandards und bleibt Gefahr für die eigene Machtbasis an die größte Geberin von Entwicklungshilfe und agieren mit ihrer politischen Mehr- weltweit. Doch auch im Jahr der Europa- heit zunehmend nach dem Motto »The wahlen befindet sie sich noch immer im winner takes it all«, indem sie nicht nur Krisenmodus: die Ungewissheit über den versuchen, Opposition, Medien und Brexit, der lediglich vertagte Streit um Gerichte auf Linie zu bringen, sondern die Aufnahme und Verteilung von Flücht- auch die finanzielle Förderung der Zivil- lingen, der schwelende Handelsstreit mit gesellschaft (aus dem In- und Ausland) den USA, die schleppenden Fortschritte und deren Handlungsspielräume herun- bei der Reform der Eurozone oder bei den terfahren bzw. einengen. Dazu kommt, Versuchen, in der Außenpolitik mit einer dass sowohl zwischen den Mitgliedstaa- Stimme zu sprechen, der erodierende ten der EU als auch zwischen den Bür- Wertekonsens zwischen den Mitgliedstaa- gerinnen und Bürgern und den nationa- ten sowie Angriffe aus dem rechten und len politischen Institutionen ein großes linken politischen Lager auf das »militaris- Misstrauen gewachsen ist, so dass Be- tische, undemokratische und neoliberale obachter seit Längerem von einer »Kri- Europa« zermürben und stellen den Zu- se der repräsentativen Demokratie« sammenhalt auf die Probe. sprechen. Da die EU-Institutionen als noch weiter weg empfunden werden als »The winner takes it all« die nationale politische Entscheidungs- ebene eignet sie sich hervorragend als In zahlreichen Staaten der EU schrumpft Zielscheibe populistischer Angriffe, was der Raum für die Zivilgesellschaft, weil sich nicht zuletzt am Ausgang des Brexit- ihre Einflussmöglichkeiten durch prak- Referendums gezeigt hat.

BBE DOSSIER NR. 6 | 79 Hatzinger: Die Debatte um die Zukunft der EU

Richtungswahl im Mai tung, Räume für Dialog und Begegnung zu schaffen. Viele der Spannungen und ge- Die neunte Direktwahl zum Europäischen genseitigen Entfremdungen, die sich auf Parlament, die vom 23. bis zum 26. Mai der politischen Bühne abspielen, spiegeln 2019 in der EU stattfindet, ist daher mehr sich auch im kirchlichen Raum wieder. Ein als je zuvor eine Richtungswahl und wird Grund noch intensiver und gezielter als die Zukunft der EU maßgeblich bestimmen. bisher ökumenische Partnerschaften und Es geht darum, welches Europa wir in Zu- ökumenische Netzwerke zu aktivieren, kunft wollen: ein »Europa der Vaterländer« um miteinander im Gespräch zu bleiben wie es Marine le Pen (Rassemblement Nati- oder in einen Dialog zu kommen. Ferner onal) vorschwebt, in dem nationale Interes- können Kirchen und ihre Gemeinden ei- sen den Ton angeben? Ein Europa angeführt nen Beitrag dazu leisten, Bürgerinnen und von Politikern à la Viktor Orban (Fidesz) Bürgern eine Stimme zu geben. Denn die oder Matteo Salvini (Lega), die antreten, Mehrheit der EU-Bürger glaubt trotz an- »das Zeitalter der universellen Menschen- haltender Kritik an der Brüsseler Bürokra- rechte zu beenden« (so äußersten sich bei- tie und einzelnen Entscheidungen weiter- de Politiker bei einem Treffen im August hin, dass die Mitgliedschaft in der EU eine 2018) und meinen die »ungarische Iden- gute Sache sei. tität, unsere christlichen Werte« (Orban) gegen die EU »verteidigen« zu müssen? Ein In Zeiten eines schrumpfenden »civic Europa, in dem das »undemokratische« space« können Kirchen zudem zivilgesell- EU-Parlament abgeschafft und ein »Dexit«, schaftlichen Akteuren Foren bieten, sich der Austritt Deutschlands oder eine geord- auszudrücken und wieder ein Stück des nete Auflösung der EU als »letzte Option« öffentlichen Raums zurückzuerlangen. Da- angesehen werden (AfD)? Oder wollen wir bei ist die Debatte um die Zukunft der EU eine EU, die sich zu ihren Werten, nämlich durchaus auch ein Thema für die Kirche der Achtung der Menschenwürde, Freiheit, selbst. Die Evangelische Kirche in Deutsch- Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit land (EKD) beispielsweise positioniert sich und der Wahrung der Menschenrechte traditionell pro-europäisch und begleitet nach Art. 2 des EU-Vertrags bekennt und die Entwicklung der EU-Gesetzgebung danach handelt und eine aktive Rolle für konstruktiv-kritisch. Auf dem Deutschen die Zivilgesellschaft vorsieht, um Teilhabe Evangelischen Kirchentag (DEKT) als Lai- und Partizipation zu ermöglichen? Die das enbewegung gehören Podienreihen zu Motto von »Einheit in Vielfalt« verinnerlicht EU-Themen heute zum selbstverständ- und erkennt, das globale Herausforderun- lichen Programmteil. 2016 war die Zu- gen wie Klimawandel, Migration, Terroris- kunft der EU das Schwerpunkthema der mus und die Umsetzung der nachhaltigen EKD-Synode. Sie ruft gemeinsam mit der Entwicklungsziele der Vereinten Nationen Deutschen Bischofskonferenz traditionell nur gemeinsam bewältigt werden können, zur Teilnahme an den Europawahlen auf indem eigene Interessen hinter gemeinsa- und veröffentlicht über das Brüsseler Büro me zurückgestellt werden? eine Handreichung zu den Europawahlen. Zahlreiche Landeskirchen planen ebenfalls (Kirchen-)Räume für Dialog und Aufrufe und greifen das Thema auf Lan- Begegnung dessynoden, durch Veranstaltungen oder in Gemeindebriefen auf. Im Vorfeld der Eu- In diesen Zeiten sehe ich die Kirchen in ropawahlen will sich die Kirche aber auch der EU mehr denn je in der Verantwor- dadurch einbringen, dass sie Bürgerdialo-

80 | BBE DOSSIER NR. 6 Hatzinger: Die Debatte um die Zukunft der EU ge über die Zukunft der EU veranstaltet. und Kandidaten zur Europawahl auch der Das mag auf den ersten Blick überraschen Bürgermeister, der Leiter der Europaab- oder befremden. Bei einer Veranstaltung teilung im Landesministerium sowie eine in Brüssel traf mein Vorschlag, derartige Studentin und die Präsidentin der Viadrina Dialogveranstaltungen in möglichst vielen teilnahmen. Rund 100 Menschen waren Ländern der EU auch durch Kirchen ab- der Einladung in die St. Gertraud-Kirche halten zu lassen bei einem Vertreter der gefolgt und nahmen mit Fragen und An- traditionell eher nationalistisch ausgerich- merkungen von der Europäischen Asylpo- teten rumänisch-orthodoxen Kirche auf litik bis hin zur Rolle von Lobbyisten in der Kopfschütteln. Doch die EU kann nur ge- europäischen Gesetzgebung rege Anteil lingen, wenn sie vor Ort in den Mitglieds- an der Diskussion. Dabei wurde deutlich, staaten gelebt wird und wenn das Denken dass gerade durch die Begegnung mit dem von »wir« und »die da in Brüssel« über- Land Polen und seiner Bevölkerung ein wunden werden kann. Von daher sind starkes europäisches Gefühl geprägt wor- europäische Bürgerdialoge (meist unter den ist und Europa plötzlich ganz nah und der Schirmherrschaft der Vertretung der präsent ist, eben nicht nur in Form von EU-Kommission im jeweiligen Mitglieds- Fördergeldern oder Gesetzgebung. staat) wie sie schon seit Längerem unter Beteiligung von EU-Kommissarinnen und Die Beispiele der grand débat in Frankreich Kommissaren durchgeführt werden eine oder der Citizens` Assembly in Irland bele- gute Sache. Doch glaubwürdiger wird der gen eindrücklich, dass die Bürgerinnen und Dialog, wenn überzeugte Europäerinnen Bürger gerade auch in ländlichen Räumen und Europäer aus der eigenen lokalen Ge- oder an der Peripherie mit ihren Anliegen meinschaft auftreten und sich einbringen Gehör finden und mitentscheiden wollen, und dazu gehören auch viele Kirchenmit- aber auch, dass diese Begegnungsforen glieder, nicht nur in Deutschland. Warum in Stadt und Land Gräben überwinden sollten also nicht auch die Kirchen neben und Vertrauen wiederherstellen können, Akteuren aus der Zivilgesellschaft und den wenn verschiedene Akteure zusammenar- politischen Parteien hier mittun? beiten. Aber auch die von »Pulse for Eu- rope« initiierten europäischen Hausparla- Zukunft der EU-Zukunft der Demokratie mente tragen dazu bei, Europa näher an die Menschen zu bringen. Unter den Gliedkirchen der EKD hat sich die Evangelische Kirche in Berlin-Bran- Angesichts der Erosion in der Parteien- denburg-Schlesische Oberlausitz als erste landschaft, der abnehmenden Parteien- auf das Experiment eingelassen, im Jahr bindung, der schwindenden Wahlbeteili- der Europawahl »Bürgerdialoge zur Zu- gung (gerade bei den Europawahlen) und kunft der EU« in Brandenburg, in Frank- dem zunehmenden Misstrauen gegenüber furt (Oder) und in Wittstock abzuhalten. den »Eliten« halte ich derartige Dialogfo- Ziel war es über die Bedeutung der Wahl ren für zukunftsweisend in der EU. Was aufzuklären, aber eben auch europäisches die Diskussion über die Zukunft der EU an- Engagement vor Ort sicht- und hörbar zu belangt, die am 9. Mai auf dem Gipfel der machen. In der Auftaktveranstaltung in Europäischen Staats- und Regierungschefs Frankfurt (Oder) stand am 3. Februar 2019 ihren Höhepunkt erreichen soll, reicht es naturgemäß die deutsch-polnische Ko- nicht mehr in Brüssel oder anderen eu- operation im Mittelpunkt der Veranstal- ropäischen Hauptstädten in Parteizirkeln, tung, an der neben einigen Kandidatinnen Think Tanks und Botschaften zu debat-

BBE DOSSIER NR. 6 | 81 Hatzinger: Die Debatte um die Zukunft der EU tieren oder online-Fragebögen für inte- gebung einzuspeisen. Nicht als Konkurrenz ressierte Bürger anzubieten. Die Fragen oder Ersatz zum bestehenden und bewähr- müssen auf die nationale Ebene und in ten System der repräsentativen Demokra- die Fläche getragen werden. Dort müssen tie, sondern als wichtige Ergänzung, als lokale Akteure der Zivilgesellschaft und Chance zur Rückbindung und um Vertrau- die (Kirchen-)gemeinden ermächtigt wer- en zurückzugewinnen. Wichtig ist auch im den, diese Debatten aufzugreifen und den Vorfeld die Erwartungen hinsichtlich der Vorschlägen, Anregungen und Bedenken konkreten Einflussmöglichkeiten nicht zu der Bürgerinnen und Bürger Ausdrucks- hoch zu schrauben und ein ehrliches Inter- möglichkeiten zu verschaffen. Das stärkt esse an dem Austausch abzubilden. ein europäisches Wir-Gefühl und das Ver- ständnis für die mühsame europäische Dabei kann selbst eine schlichte Dialogver- Kompromissfindung. Steuern und Haus- anstaltung oder ein Austausch im Rahmen halt, Reform von Staat und Verwaltung, eines Hausparlaments, in denen sich Men- ökologische Wende und demokratische schen mit ihrer Meinung zu Wort melden Mitsprache stehen im Mittelpunkt der von können und ernst genommen fühlen, ein Präsident Macron initiierten Bürgerdebat- wichtiger Baustein sein, um neue Zugänge te unter der Schirmherrschaft der jeweili- zu demokratischen Prozessen zu schaffen gen Bürgermeister in Frankreich. Der Zu- und die Glaubwürdigkeit von Politik und spruch für das Format ist enorm und wird gesellschaftlichen Institutionen wieder- in den Medien bereits als »neue Form der herzustellen bzw. zu erhalten. Demokratie« bewertet, auch wenn es von anderer Seite viel Kritik hagelt, da die Aus- Erschienen im BBE-Newsletter Nr. 5 vom wirkungen unklar, der Rahmen beschränkt 7.3.2019 und die Themen konfus seien. Die von Pulse of Europe angeregten europäischen AUTORIN Hausparlamente sind eine niedrigschwelli- ge und gerade deshalb reizvolle Idee, im OKR´in Katrin Hatzinger studierte Rechts­ privaten Rahmen eine europäische Öf- wissenschaften an der Universität Biele­ fentlichkeit herzustellen, ohne Vorgaben feld und arbeitete während Studium EU-Themen zu diskutieren, die Ergebnisse und Referendariat freiberuflich mehrere an die EU-Politik zurückzuspielen und so Jahre als WDR-Hörfunk-Journalistin. Seit die Kluft zwischen der EU-Politik und den 2003 ist sie für die EKD in Brüssel tätig, Bürgerinnen und Bürgern zu überwinden. zunächst als Referentin mit den Schwer- punkten Bioethik sowie Asyl und Migrati- Im Hinblick auf die Zukunft der Demokratie on. Seit 2008 leitet sie die EKD-Vertretung könnten Formate wie die Citizens` Assem- in Brüssel. Sie ist Mitglied des Fachbeira- blies oder die grand débat oder auch die tes Ethik der Gemeinschaft Evangelischer europäischen Hausparlamente aber durch- Kirchen in Europa (GEKE), Mitglied in der aus Vorbildcharakter haben und sollten Kammer für Migration und Integrati- weiterentwickelt werden. Dabei sollte es im on des Rates der EKD und der Kommis- Idealfall (siehe Irland) auch darum gehen, sion für Europafragen. Darüber hinaus gesellschaftliche Streitfragen (Haltung zum ist sie Herausgeberin und Redakteurin Verbot des Schwangerschaftsabbruchs in der »EKD-Europa- Informationen«, beim der irischen Verfassung) differenziert und DEKT zu Europafragen aktiv, und 2. Stellv. vertieft zu thematisieren und Anregungen Vorsitzende des Deutschlandradio-Hör- der Bürgerinnen und Bürger in die Gesetz- funkrates.

82 | BBE DOSSIER NR. 6 Hatzinger: Die Debatte um die Zukunft der EU

Weitere Informationen ü https://granddebat.fr/

Publikation »Challenges facing civil socie- The Citizens´ Assembly ty organisations working on human rights ü https://www.citizensassembly.ie/en/ in the EU« ü https://fra.europa.eu/en/publica- Den Link auf die Graphik (S. 20) aus dem tion/2018/challenges-facing-civil-society- Parlameter 2018 finden Sie unter: orgs-human-rights-eu ü http://www.europarl.europa.eu/ at-your-service/files/be-heard/euroba- Publikation »Civil society space: views of rometer/2018/parlemeter-2018/report/ organisations« de-parlemeter-2018.pdf ü https://fra.europa.eu/en/publica- tion/2018/colloq-civil-society Den Link auf die Graphik der Bundeszent- rale für politische Bildung zur Entwicklung Bürgerbewegung Pulse of Europe der Wahlbeteiligung finden Sie unter: ü https://pulseofeurope.eu/ ü http://www.bpb.de/nachschlagen/ zahlen-und-fakten/europawahl/188781/ Le grand débat national wahlbeteiligung-1979-2014

BBE DOSSIER NR. 6 | 83 CHRISTIAN MOOS WER RETTET DIE LIBERALE DEMOKRATIE IN EUROPA?

Einleitung Die Migrationskrise ist nicht der entschei- dende Faktor 30 Jahre nachdem der amerikanische Poli- tikwissenschaftler Francis Fukuyama 1989 Die Gegner der liberalen Demokratie sind das »Ende der Geschichte« ausrief, zeigt in aller Regel fremdenfeindlich. Sie lehnen sich deutlich, wie voreilig seine Prognose Migration und Multikulturalität ab. Die war. Das amerikanische Demokratie- und große Migrationsbewegung des Jahres Wirtschaftsmodell hat keinen weltweiten 2015, aber auch Probleme der Integration Sieg errungen. Zumindest die liberale De- haben den Rechtspopulisten zweifelsohne mokratie ist allerorten in großer Gefahr. in die Hände gespielt. Ängste in den Bevöl- Wo liegen die Ursachen dieser Entwick- kerungen zu schüren und zu verstärken, lung? Was kann ihr entgegengesetzt wer- war ihnen so ein leichtes Spiel. den? Vor allem die mittelosteuropäischen Ge- Autoritäre Formen plebiszitärer Herr- sellschaften verfügen über wenig Migrati- schaft, die »illiberale« (Viktor Orbán) oder onserfahrung mit Menschen aus anderen auch »gelenkte« Demokratie (Vladimir Kulturen. Die im Angesicht der Zuwande- Putin) sind auf dem Vormarsch. In Europa rung geschürten Ängste können die ak- sind es nicht mehr nur Ungarn und Polen, tuelle Entwicklung in Europa jedoch nur die den Rechtsstaat und damit die libera- unzureichend erklären. Sie mögen be- le Demokratie offen herausfordern. Die schleunigend, verstärkend gewirkt haben. rumänische Regierung höhlt die Verfas- Die autoritäre Versuchung, die heute die sung aus. Italien wird von Populisten und liberale Demokratie in Europa herausfor- Rechtsextremisten regiert. Auch in Öster- dert, hat aber tiefere Wurzeln. reich sind diese Kräfte an der Regierung beteiligt. In Frankreich führen sie in den Der Machtwechsel in Polen vollzog sich Umfragen zur Europawahl. weitgehend unbeeinflusst von der Migra- tionsbewegung. Der Umbau des Staates Insgesamt droht ein Block aus Europa- in Ungarn war 2015 bereits weit fortge- gegnern zur zweitstärksten Fraktion des schritten. Die Krise der Demokratie hat Europäischen Parlaments zu werden. Und andere, wichtigere Ursachen. die zivilgesellschaftlichen Räume in Euro- pa werden enger. Ohne eine pluralistische Reaktion auf emanzipatorischen Fort- Zivilgesellschaft gibt es aber keine liberale schritt und neue soziale Frage Demokratie. Stirbt die liberale Demokra- tie, stirbt auch die pluralistische Zivilge- Zum einen manifestiert sich in dieser Krise sellschaft. der liberalen Demokratie die Reaktion – im

84 | BBE DOSSIER NR. 6 Moos: Wer rettet die liberale Demokratie in Europa? doppelten Wortsinn – auf den emanzipato- Finanzmarkt entstand. Diese Entwicklung rischen Fortschritt. Die Gleichstellung von wurde zur Jahrtausendwende massiv for- Mann und Frau, aber auch die Anerkennung ciert. Die bis heute unbewältigte Weltfi- und die Chancengleichheit sexueller und nanzkrise ist das Ergebnis einer unverant- sonstiger Minderheiten ist den Rechtspo- wortlichen Laissez-faire Politik. Der realen pulisten aller Länder ein Dorn im Auge. Wirtschaft und ihren Vermögenswerten steht eine vielfach größere Vermögensbla- Zum anderen ist es die neue soziale Frage, se gegenüber. die Europa bedrängt und die Fundamente des liberalen Verfassungsstaats aushöhlt. Die Zentralbanken sahen sich in der Krise Ein Teil der Bürgerinnen und Bürger be- gezwungen, diese Blase noch weiter auf- trachtet sich als von der wirtschaftlichen zufüllen. Einen Ausgang aus dieser Politik Entwicklung abgehängt. Angst vor sozia- zu finden, ohne die »Kernschmelze« des lem Abstieg und sozialer Exklusion führt Weltfinanzsystems zu riskieren, erweist vielfach zu Identitäts- und Identifikations- sich offenkundig als außerordentlich problemen. schwierig. Dieser fortgesetzte geldpoli- tische Ausnahmezustand hat erhebliche Dies liegt nicht nur an Rationalisierungs- Nebenwirkungen. Während in den vergan- prozessen, die durch die Digitalisierung genen Jahren an den Börsen der Welt viel und die Roboterisierung beschleunigt Geld verdient werden konnte, verloren die werden. Eine bestimmte Denkschule, Sparer einen Teil ihrer Altersrücklagen. der Neoliberalismus der Chicago-Schule prägte die Wirtschafts- und Sozialpolitik Die herrschende Lehre des Laissez-faire in allen westlichen Staaten über mehrere hat zudem die Steuerungsfähigkeit der Jahrzehnte. Der Staat hatte sich aus dem Staaten, vor allem ihre finanzpolitische Fi- Wirtschaftsgeschehen herauszuhalten. nanzierungsgrundlage ausgehebelt. Denn leistungsgerechte Besteuerung gilt de fac- Schwacher Staat und krankes Finanzsys- to nur noch für die abhängig Beschäftigten. tem Große Unternehmen, transnationale Kon- zerne entziehen sich der Besteuerung. Sie Die großen Privatisierungswellen bei- spielen in dieser schönen neuen Welt nach spielsweise der 1990er Jahre in Deutsch- eigenen Regeln. Steuergerechtigkeit, so es land und anderen Ländern folgten dersel- sie je gab, existiert nicht mehr. Manche Un- ben Logik wie der Rückzug des Staates in ternehmen haben heute mehr Macht als Großbritannien ein Jahrzehnt zuvor. Der die Mehrzahl der Staaten sie je hatte. schlanke Staat war das Maß aller Dinge. Die Folgen für die öffentliche Daseinsvor- Gewinner und Verlierer der Globalisierung sorge und die öffentliche Infrastruktur liegen heute offen vor Augen. Der gesell- Zweifelsohne hat die beschleunigte Glo- schaftliche Zusammenhalt ist trotz der in balisierung, die heute vor allem von der vielen EU-Staaten weiterhin hohen Sozial- Digitalisierung getrieben wird, auch viele ausgaben geringer geworden. Gewinner hervorgebracht. Entwicklungs- länder konnten zu Schwellenländern oder Kritischer noch sind die Folgen dieser Poli- gar zu neuen Industriemächten aufstei- tik für das Weltfinanzsystem. Seit den frü- gen. Im globalen Maßstab ist die absolute hen 1970er Jahren wurde der Kapitalver- Armut trotz großen Bevölkerungswachs- kehr liberalisiert, ein weltweit vernetzter tums seit 1990 rückläufig.

BBE DOSSIER NR. 6 | 85 Moos: Wer rettet die liberale Demokratie in Europa?

Die relative Armut innerhalb der Gesell- beteiligt sieht. Letztere wird mit der neu- schaften hat aber signifikant zugenom- en demokratischen Ordnung assoziiert, men. Die sozialen und ökologischen Kos- diese damit in den Augen eines signifikan- ten der sprunghaften Entwicklung sind ten Teils der Menschen teilweise delegiti- enorm hoch, auch wenn niemandem das miert, zumal hier und da auch Vertreter Recht auf Entwicklung abzusprechen ist, der alten kommunistischen Unterdrücker und es europazentriert sein mag, heute als Gewinner der Transformation sichtbar nicht-nachhaltige Entwicklung zu kritisie- wurden. ren, wo Europas Industrialisierung auch wenig Rücksicht auf Verluste genommen Teilhabe wird bei weitem nicht nur aus hat. materiellen Gründen von zu vielen Bürge- rinnen und Bürgern nicht mehr erlebt oder Für die Stabilität jeder politischen Ordnung empfunden. Es wäre gefährlich, dies nur ist wirtschaftliche Teilhabe von entschei- auf sozialpolitische Verteilungsfragen im dender Bedeutung. In den Gesellschaften engeren Sinne zurückzuführen. Die neue der alten Industriestaaten hat sich spä- soziale Frage geht weit darüber hinaus. testens seit den 1990er Jahren eine zu- nehmende Schere aufgetan zwischen der Medienkonsum und Engagement Wohlstandsentwicklung der abhängig Be- schäftigten und der Vermögenseigner. Die Veränderungen im alltäglichen Mitei- nander durch den seit den 1980er Jahren Die nivellierte Mittelstandsgesellschaft, erheblich veränderten Medienkonsum, die der Soziologe Helmut Schelsky in den das Aufkommen des Privatfernsehens und Wirtschaftswunderjahren entstehen sah, die durch die mobile Kommunikation und existiert nicht mehr. Diese Beobachtung das Internet ausgelösten Revolutionen gilt nicht nur für Deutschland, sondern für spielen eine Rolle. Durch die jederzeit ge- ganz Westeuropa. gebene Verfügbarkeit von Vereinzelung begünstigender Ablenkung haben sich ge- Liberalisierung im Zeitraffer sellschaftliche Bindungen, die für bürger- schaftliches und demokratisches Engage- In den neuen EU-Mitgliedstaaten hat sich ment unverzichtbar sind, stark gelockert. dieser Mittelstand als größte Schicht oh- nedies kaum herausbilden können, da Die rückläufige Entwicklung des Engage- die Gesellschaften der ehemaligen Ost- ments in den klassischen Strukturen der blockländer einer wirtschaftlichen Libera- gesellschaftlichen Teilhabe, den demokra- lisierung im Zeitraffer ausgesetzt wurden tischen Parteien, Gewerkschaften und de- und Wohlfahrtsstaaten wie in Westeuro- mokratischen gemeinnützigen Vereinen, pa auch vor dem Hintergrund der in den ist auch eine Folge der »Brot und Spiele« 1990er Jahren vorherrschenden Wirt- unserer Zeit. schaftsideologie nicht entstehen konnten. Viele, vor allem junge Menschen, enga- Das Problem der insgesamt durchaus er- gieren sich punktuell und in Ad-hoc-Initi- folgreichen wirtschaftlichen Entwicklung ativen. Zwar stärkt auch Ad-hoc-Engage- der meisten dieser Staaten besteht darin, ment die Demokratie, weil es die Reprä- dass ein relativ großer Anteil ihrer Bevöl- sentanten zwingt, ihre Entscheidungen kerung sich nicht hinlänglich an den ma- zu begründen und zu rechtfertigen. Es teriellen Segnungen der neuen Freiheit stärkt die Verantwortlichkeit gewählter

86 | BBE DOSSIER NR. 6 Moos: Wer rettet die liberale Demokratie in Europa?

Entscheidungsträger. Es ist allerdings kein mogener Körper ist, den es vor »Schwä- Ersatz für dauerhafte Formen des politi- che« (abweichenden Meinungen) und schen Engagements in Parteien und Ver- »Krankheitserregern« (Minderheiten) zu bänden. Ad-hoc-Engagement kann keine bewahren gilt. Im Faschismus fand dieses Willensbildung leisten, es kann nur bereits völkische Verständnis im frühen 20. Jahr- gebildete Meinungen artikulieren. Es kann hundert seinen vollendeten, im National- daher kein Ersatz sein für die Strukturen sozialismus seinen radikalsten Ausdruck. der repräsentativen Demokratie. Ansätze zu völkischem Denken sind auch heute wieder in Europa festzustellen, Dass direkte Demokratie leicht zu manipu- nicht nur am extremen rechten Rand. Sie lieren ist, hat nicht zuletzt das Brexit-Re- sind teilweise bereits regierungsamtliche ferendum offenbart. Prozesse der Abwä- Politik. Die liberale Demokratie ist in der gung, des Prüfens, der Kompromisssuche Tat in großer Gefahr. und des Zweifelns sind hier nicht vorgese- hen. Sie sind der repräsentativen Demokra- Liberale Demokratie und bürgerschaftli- tie vorbehalten, die allerdings mittelbarer, ches Engagement langsamer, letztlich unvollkommener ist. Was zeichnet nun die liberale Demokratie Deliberativen Prozessen in Echtzeit zu fol- aus, die nicht zu verwechseln ist mit dem gen, ist eine Anstrengung, die heute kaum Neo- beziehungsweise Ultraliberalismus noch jemand auf sich nehmen mag, vor der Chicago-Schule? allem dann nicht, wenn profundere Sach- kenntnis und Information die notwendige Die liberale Demokratie kennt ein System Voraussetzung dafür sind. So wird Kom- der wechselseitigen Machtkontrolle, der promisslosigkeit im Verfolgen politischer »Checks and Balances«, das vor Macht- Ziele zur Tugend. missbrauch bewahren soll. Die Macht der Regierungen wird in einem Mehrpartei- Bonapartismus und Faschismus ensystem durch starke Oppositionsrechte begrenzt. Der Narzisst Donald Trump ist ein Kind unserer Zeit, wenn auch ein besonders In der liberalen Demokratie gelten univer- aufgeblasenes. Er wendet sich gerne an sale Grund- und Freiheitsrechte und der das »echte Volk«, stützt sich auf dessen Schutz von Minderheiten. Diese Rechte vermeintlichen Willen. Dabei ist auch dies werden durch eine unabhängige Justiz ver- kein ganz neues Phänomen. bürgt. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehen Hand in Hand, bedingen einander, Schon im 19. Jahrhundert kannte Europa sind untrennbar miteinander verbunden. den Bonapartismus als Herrschaftsmetho- de. Auch in der untergehenden Römischen Zentrale Voraussetzung für eine liberale Republik spielten populistische Volkstri- Demokratie ist eine pluralistische Zivilge- bune eine große Rolle. Die Diktatoren, die sellschaft, ist das bürgerschaftliche En- sie entmachteten, bedienten sich letztlich gagement in einer offenen Gesellschaft. derselben Methoden, um Unterstützung Ironischerweise stellen ausgerechnet die für ihre Sache zu gewinnen. USA heute ihr eigenes Erfolgsmodell in Frage, jedenfalls der Mann an ihrer Spit- Autoritäre Herrscher suchen immer wie- ze und die ihn tragende Republikanische der die Nähe zum Volk, das für sie ein ho- Partei.

BBE DOSSIER NR. 6 | 87 Moos: Wer rettet die liberale Demokratie in Europa?

Verletzung der europäischen Werte und Parteien, in den sozialpartnerschaftlichen zivilgesellschaftlicher Widerstand Verbänden, in den zivilgesellschaftlichen Vereinen. Die Europäische Union stand und steht für Werte, die den Fortbestand der liberalen Frei nach Kennedy gilt es heute zu fragen, Demokratie garantieren sollen. Sie sind in was jede Einzelne, jeder Einzelne für den Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Erhalt der liberalen Demokratie tun kann. Union verankert und sie spiegeln sich in Gemeinsam nach Antworten auf die neue der Europäischen Charta der Grundrech- soziale Frage zu suchen, ist dabei eine he- te wider. Deshalb richten die autoritären rausragende, vielleicht die vordringlichste Parteien und Bewegungen ihre wütenden Aufgabe. Die scheidende Europäische Kom- Angriffe vor allem auf die EU, auch wenn mission hat dies teilweise erkannt und die sie nicht unbedingt in erster Linie aus eu- Verwirklichung der europäischen Säule sozi- roskeptischen Motiven von den Menschen aler Rechte zu ihrem Kernanliegen gemacht. gewählt werden. Eine weitere, sehr wichtige Aufgabe be- In mehreren Mitgliedstaaten werden die steht im Schutz der Meinungsfreiheit und Verfassungen seit einigen Jahren so verän- der Meinungsvielfalt, wie sie nur eine plu- dert, dass Rechtsstaatlichkeit und libera- ralistische, freie Presse garantieren kann. le Demokratie systematisch unterminiert Eine jede Demokratin, ein jeder Demokrat werden. stärke die vierte Gewalt durch entspre- chendes Konsumverhalten. »Lest Bücher«, Die Zivilgesellschaft kann dieser Fehlent- hat Timothy Snyder zu Recht in seinen wicklung zivilen Widerstand entgegenset- sehr lesenswerten »20 Lektionen für den zen. Ab einem gewissen Stadium des konsti- Widerstand« formuliert. tutionellen Umbaus wird bürgerschaftliches Engagement aber zu einer Gefahr für die Wo der Staat noch Interesse an einer le- Engagierten. In Ungarn, wo der Prozess der bendigen, vielfältigen Zivilgesellschaft Umgestaltung hin zu einer autoritären De- hat, um seine freiheitlich-demokratische mokratie am weitesten fortgeschritten ist, Grundordnung zu schützen, gilt es zwei- ist dies bereits der Fall. Wer hier als Gegner felsohne, die Förderung bürgerschaftlichen der Regierung wahrgenommen wird, ris- Engagements als eine wichtige Barriere ge- kiert inzwischen seine bürgerliche Existenz. gen illiberale Bestrebungen auszubauen. Gleichzeitig sollten alle zivilgesellschaftli- Was gilt es also zu tun? Was können die chen Organisationen zusehen, soweit als liberalen Demokraten, die Vertreterinnen möglich auch unabhängig von staatlicher und Vertreter einer offenen Gesellschaft Förderung handlungsfähig zu bleiben. dieser Entwicklung entgegensetzen? Auf europäischer Ebene brauchen die bür- Engagiert Euch! gerschaftlich Engagierten analog zu den So- zialpartnern eine Plattform, damit sie dort Wer die Zeichen der Zeit erkannt hat, muss ihre Kräfte bündeln und ihre Stimme gegen- sich engagieren und damit das Fundament über den Institutionen und den Mitglied- der liberalen Demokratie stärken, ehe es staaten besser hörbar machen können. Ein von Hass und Desinformation unterspült europäisches Vereinsrecht kann hilfreich wird. »Engagiert Euch!«, lautet das Ge- sein, wenn der nationale Rechtsstatus von bot der Stunde. In den demokratischen einem Unrechtsregime angegriffen wird.

88 | BBE DOSSIER NR. 6 Moos: Wer rettet die liberale Demokratie in Europa?

Vernetzung ist das Gebot der Stunde diejenigen, die bereits nicht mehr frei ope- rieren können, ist ein Gebot der Stunde. Die Auf deutsche Leser mag dieser Beitrag bürgerschaftlich Engagierten können einen alarmistisch wirken, in mehreren EU-Staa- entscheidenden Beitrag zur Bewahrung der ten ist die Entwicklung aber bereits sehr liberalen Demokratie in Europa leisten. weit fortgeschritten. Der Marsch der Neo- Faschisten durch die Institutionen hat Es ist höchste Zeit, aktiv zu werden. längst begonnen, und sie werden nicht zuletzt von Russland und neuerdings auch Erschienen im BBE-Newsletter Nr. 5 vom von rechtsextremen amerikanischen Kräf- 7.3.2019 ten nachhaltig unterstützt. Und im Hinter- grund lockt die neue Weltmacht China mit AUTOR ihrem totalitären Gesellschaftsmodell, das keine politische Freiheit kennt. Christian Moos ist Generalsekretär der Eu- ropa-Union Deutschland e.V., Vorstands- Autoritäre Regierungen wählen inzwi- mitglied der Europäischen Bewegung schen auch in Europa die Vertreterinnen Deutschland, Geschäftsbereichsleiter Eu- und Vertreter aus, die an der Spitze von ropa und Internationales des dbb beam- Nichtregierungsorganisationen stehen tenbund und tarifunion und Mitglied der sollen. Das Entstehen einer »uncivil socie- Diversity Gruppe im Europäischen Wirt- ty« ist die Folge. schafts- und Sozialausschuss

Die europäische Vernetzung der organi- Weitere Informationen sierten Zivilgesellschaft zur Hilfestellung für ü www.europa-union.de

BBE DOSSIER NR. 6 | 89 PROF. DR. SUSANNE KEUCHEL NACHHALTIGKEIT, KULTURELLE BILDUNG UND ZIVILGESELLSCHAFTLICHES ENGAGEMENT … ZU DEN CHANCEN EUROPAS ALS WEGBEREITER FÜR GESELLSCHAFTLICHE TRANSFORMATIONSPROZESSE

Einleitung Beispiel hierfür ist die UN-Nachhaltigkeits- agenda 2030, innerhalb derer sich interna- Europa hat eine lange Historie gesell- tional auf die Umsetzung von 17 normati- schaftlicher Transformationsprozesse auf- ven Zielen verständigt wurde (vgl. Vereinte zuweisen, von der Demokratie im Athen Nationen 2015). der Antike, der Römischen Republik, über die mittelalterlich-feudale Gesellschaft, Im Folgenden werden die aktuellen ge- den demokratischen Nationalstaat, Fa- sellschaftlichen Rahmenbedingungen, die schismus, Sozialismus, Kommunismus, sich durch Prinzipien der Ökonomisierung modernen Kapitalismus etc. und Technokratisierung ergeben, kritisch reflektiert. Es werden die Chancen, aktu- Seit der industriellen Revolution (vgl. Engels ellen Herausforderungen und notwendi- [1845] 1990), dem Gesellschaftsumbruch gen Bildungsaufgaben der Zivilgesellschaft von der Agrargesellschaft zur Industriege- zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsagenda sellschaft, bis ins Informationszeitalter be- diskutiert, um abschließend ein Fazit zu stimmen Prinzipien der Ökonomisierung, den Chancen Europas für die Bewältigung Globalisierung und Technokratisierung in weltweiter Zukunftsaufgaben zu ziehen. zunehmenden Maßen Gesellschaftsprozes- se. Damit einhergehend kann eine zuneh- Zum Status Quo einer ökonomisierten und mende Liberalisierung und Individualisie- technokratisierten Gesellschaft rung der Gesellschaft beobachtet werden, die Gesellschaft auf der einen Seite in ihrer Wirtschaft wird in einer ökonomisierten Vielfalt bereichert, in extremer Ausprägung Gesellschaft als System von Märkten ver- aber auch Schattenseiten mit sich bringt standen, das durch Angebot und Nachfra- und den Einzelnen in der Gesellschaft be- ge reguliert wird. Im Vordergrund steht lasten kann, im Sinne der Beck`schen Risi- »eine freiheitliche, marktwirtschaftliche kogesellschaft (vgl. Beck 1986). Angesichts Wirtschaftsordnung«, die »staatliche Ein- zunehmend begrenzter Ressourcen, Spal- griffe in die Wirtschaft […] auf ein Mini- tungseffekten innerhalb der Leistungs- mum beschränken« (Duden Wirtschaft gesellschaft und der Erkenntnis, dass die 2013: 35) möchte. Spirale des Wettbewerbsprinzips sich nicht endlos weiterdrehen lässt, werden Prinzi- Gesellschaftliche Entwicklung wird aus pien der Ökonomisierung als zentrale ge- diesem ökonomisierten Blickwinkel maß- sellschaftliche Steuerungsprinzipien immer geblich von der industriellen Produkti- häufiger in Frage gestellt. Statt technokra- on und technologischem Fortschritt be- tischer Prinzipien entwickelt sich erneut ein stimmt. Technokratische Prinzipien der Bedarf nach normativen Zielsetzungen. Ein Industrie werden daher auf staatliche Po-

90 | BBE DOSSIER NR. 6 Keuchel: Nachhaltigkeit, Kulturelle Bildung und ZE litik übertragen (vgl. Esser 1985: 212ff) mit Ulrich Beck in seinem Modell der Risiko- der Perspektive, dass »mit steigender wis- gesellschaft (vgl. Beck 1986). So führe die senschaftlicher Erkenntnis und ständiger zunehmende Individualisierung auf der ei- Modernisierung der Technik […] Spielräu- nen Seite zur Wahlfreiheit des Einzelnen, me für politische Entscheidungen, die auf zugleich verschiebt sich jedoch die gesell- Werten oder Ideologien beruhen, immer schaftliche Verantwortung für den Einzel- kleiner [werden]« (Böcher 2007:17). Nach nen auf das Individuum. Wenn nun aber Helmut Schelsky entzieht damit der »tech- der Einzelne und nicht die Gesellschaft für nische Staat …, ohne antidemokratisch zu das Gelingen der eigenen Biografie verant- sein, der Demokratie ihre Substanz. Tech- wortlich gemacht wird, kann sich für den nisch-wissenschaftliche Entscheidungen Einzelnen durchaus die berechtigte Frage können keiner demokratischen Willensbil- ergeben, warum er sich für die Gemein- dung unterliegen … « (Schelsky 1961: 29). schaft engagieren sollte. Ökonomisierung und Technokratisierung können daher Die Einschränkung staatlicher Steuerungs- gesellschaftlichen Zusammenhalt und die prozesse durch technokratische Prinzipien Bereitschaft, Verantwortung für andere führt also in letzter Konsequenz zu Demo- zu übernehmen, gefährden, und damit in kratiemüdigkeit (vgl. Kock 2014), die sich Folge auch demokratische Beteiligungs- heute in Teilen der Gesellschaft schon ab- prozesse und die Akzeptanz verbindlicher zeichnet. Diese Prozesse werden durch Normen und Werte. Globalisierungseffekte noch verschärft, hier beispielsweise im Rahmen von inter- Bildung in zivilgesellschaftlicher Verant- nationalen Freihandelsabkommen, inner- wortung zur Entwicklung nachhaltiger Zu- halb derer Marktfragen, unabhängig von kunftsstrategien Einzelstaatinteressen verhandelt werden. So kritisiert der Wirtschaftsexperte Gustav Zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsagen- Horn solche Freihandelsabkommen, deren da 2030 bedarf es ein verändertes Han- Umsetzung dann in Folge nicht vom Ein- deln und Denken in der Gesellschaft. Bil- zelstaat, sondern unabhängigen Schieds- dung wird dabei als essenziell angesehen. gerichten überwacht werden, ebenfalls als Daher hat die UNESCO von 2015 bis 2019 »Beschränkung des demokratischen Ent- das Weltaktionsprogramm »Bildung für scheidungsspielraums« (Horn 2016: 13). nachhaltige Entwicklung« (BNE) ins Leben gerufen. In Deutschland engagieren sich Prinzipien der Technokratie und markt- viele Akteure aus der Zivilgesellschaft bei wirtschaftliche Wettbewerbsprinzipien der Vermittlung von BNE. betreffen nicht nur staatliche Steuerungs- prozesse, sondern alle gesellschaftlichen BNE möchte »Menschen zu zukunftsfä- Lebensbereiche. Im Sinne liberalisierter higem Denken und Handeln« (Nationale Zugänge hat jeder Einzelne im Wettbe- Plattform für Bildung für nachhaltige Ent- werb die Chance, sich Zugänge zu Bildung, wicklung 2017: 7) befähigen, sodass diese Berufserfolg und gutem Einkommen zu »die Auswirkungen des eigenen Handelns ermöglichen. Dies führt jedoch auch dazu, auf die Welt« (ebd.: 8) verstehen lernen. dass das Selbstgefühl des Einzelnen »im- Es geht also letztlich vor allem um mora- mer stärker von dem Erfolg ab[hängt], mit lisches, also normatives Handeln (de Haan dem er sich gewinnbringend verkaufen 2009: 21) mit dem konkreten Bildungsziel kann« (Kim 1994: 147). Positive wie nega- der Umsetzung der Nachhaltigkeitsagenda tive Effekte dieser Prinzipien beschreibt 2030. Der Einzelne soll lernen, Verantwor-

BBE DOSSIER NR. 6 | 91 Keuchel: Nachhaltigkeit, Kulturelle Bildung und ZE tung für die Gesellschaft zu übernehmen. Lösungen. Eine solche Offenheit in der Ge- Das Medium hierzu ist interdisziplinäres staltung fördert zugleich einen stärkenori- und vor allem globales Wissen. entierten Ansatz innerhalb der Kulturellen Bildung, da es hier keine »Fehler« gibt. In der UNESCO-Roadmap zur Umsetzung des Weltaktionsprogramms BNE werden Damit ergeben sich zwischen BNE und Kul- dabei vor allem die Säulen Ökonomie, Sozi- tureller Bildung vor allem zwei zentrale Un- ales und Ökologie hervorgehoben (Unesco terschiede: Kulturelle Bildung fördert das 2014). Kultur nimmt hier keine zentrale Subjekt in der Entwicklung eigener Haltun- Säulenfunktion ein. Es wird lediglich auf gen und Standpunkte, zielt also auf den Ein- den wichtigen Aspekt der kulturellen Viel- zelnen ab. BNE dagegen verfolgt nicht die falt hingewiesen, den es bei diesem Dis- Stärkung des Einzelnen, sondern gesamt- kurs gilt, angemessen zu berücksichtigen. gesellschaftliche Ziele. Aus diesem Blick- winkel heraus stellt sich eine berechtigte Die geringe Rolle, die der Kultur innerhalb Frage: Muss nicht zuerst der Einzelne in dieses Diskurses zugebilligt wird, könnte seinen normativen Haltungen, Identitäten aus verschiedener Perspektive, vor allem und Perspektiven gestärkt werden, bevor aus einer Europäischen heraus, bedauert er Verantwortung für Dritte übernehmen werden. Kultur, Kulturelle Bildung und hier kann? Auch stellt sich grundsätzlich die vor allem die »Künste« wurden innerhalb Frage, können normative Werte und Hal- Europas schon immer als ein wesentlicher tungen pädagogisch zielgerecht vermittelt Motor gesellschaftlicher Entwicklung ange- werden? Oder bedarf es hierzu nicht auch sehen. So heißt es beispielsweise in einer eigener Freiräume für Selbstbildungspro- Studie der Europäischen Kommission von zesse? Die Chancen der Kulturellen Bildung 2009: »A culture-based creativity policy … für BNE könnten also darin liegen, statt inspiring our societies with alternative va- durch das Setzen normativer Vorgaben zur lues and objectives to statistical as well as Nachhaltigkeit, Selbstbildungsprozesse an- productive ends and short-term benefits« zustoßen, aus denen »nachhaltigere«, sub- (European Commission 2009: 161). In die- jektspezifische Haltungen resultieren. Um sem Sinne kann es spannend sein, die Prin- dies jedoch zu ermöglichen, bedarf es eines zipien von BNE und der Kulturellen Bildung offenen Prozesses, der letztlich nicht steu- gegenüberzustellen und Gemeinsamkeiten, erbar ist. Es können dadurch entsprechen- aber auch Unterschiede herauszuarbeiten. de »nachhaltigere« Haltungen angeregt werden, aber es könnten sich hier auch Kulturelle Bildung beruht auf einem subjek- ganz andere Positionierungen ergeben. torientierten Ansatz. Es geht um die Stär- kung individueller Haltungen und Positio- Auch Perspektivwechsel, die in der Kul- nierungen, letztlich um Fragen der eigenen turellen Bildung mit dem Medium der Identitätsbildung. Hierzu ermöglicht das Künste fest verankert sind, können nach- Medium der »Künste«, um eigene Stand- haltiges Denken und Handeln fördern. punkte zu entwickeln, Perspektivwechsel: Das Wissen um globale oder ökologische Alltägliches wird in neue künstlerische Zusammenhänge, wie es BNE fordert, Kontexte gesetzt und damit in der bishe- fördert in der Regel eine retroperspekti- rigen Deutung hinterfragt. Innerhalb der visch ausgerichtete Analyse und ist daher »Künste« ist zugleich der Regelbruch fest im Aussagegehalt oft negativ konnotiert. verankert und damit die Erkenntnis, es gibt Wird beispielsweise der bisherige Umgang keine »richtige« oder »falsche« Kunst bzw. mit Ressourcen analysiert, entstehen im

92 | BBE DOSSIER NR. 6 Keuchel: Nachhaltigkeit, Kulturelle Bildung und ZE

Sinne der Nachhaltigkeit negative Narrati- starker gesellschaftlicher Kräfte. Da der ve, die dann auf eine Verhaltensänderung Wirtschaftssektor aktuell am stärksten hinwirken sollen. Es muss beispielsweise von diesen Prinzipien berührt wird, könnte künftig sparsamer mit Wasser, Energie diese Kraft eine starke und geeinte Zivilge- etc. umgegangen werden. Kulturelle Bil- sellschaft innerhalb Europas sein, die diese dung lädt hier mit ihrem gestalterischen gesellschaftlichen Transformationsprozes- Handlungsauftrag und Perspektivwech- se anstößt. Es bedarf zugleich Persönlich- seln zu neuen, zukunftsorientierten und keiten mit eigenen Haltungen und Ideen. positiven Narrativen ein: Wie wollen wir In diesem Sinne sind Kulturelle Bildung und Zukunft gestalten? Und was müssen wir Selbstbildungsprozesse gefragt, die junge dafür tun, damit die eigenen Vorstellun- Menschen dazu ermutigen, gesetzte Leis- gen real werden? Diese Ergebnisoffenheit tungs-, Qualitäts- und Wettbewerbskriteri- der Kulturellen Bildung und ihre Orientie- en einer Gesellschaft, nicht als gesetzt und rung an experimentellem Vorgehen kann umkehrbar anzunehmen, sondern eigene in diesem Sinne auch ein notwendiges moralische Standpunkte zu beziehen. Korrektiv sein, bestehende eindimensio- nale Lösungsansätze für verantwortliches Um einen solchen Wandel anzustoßen nachhaltiges Handeln kritisch zu reflektie- und Gesellschaft nachhaltig zu verändern, ren und so zur Entwicklung alternativer bedarf es aber auch starker Bilder und Lösungsansätze beizutragen. Narrative, die richtungsweisend für neue Zukunftsvisionen stehen. Europa sucht Fazit – Chancen Europas als Wegbereiter seit Längerem neue identitätsstiftende für weltweite Zukunftsaufgaben Narrative. 2014 wurden beispielsweise von der EU-Kommission Arbeitsgruppen Prinzipien der Ökonomisierung und Tech- eingesetzt, um einer neuen »Erzählung« nokratisierung werden innerhalb Europas näherzukommen. Es entstand eine vier- zunehmend kritisch reflektiert. Es liegen seitige Erklärung »Körper und Geist Eu- alternative Ordnungsprinzipien, wie die ropas« (European Commission 2014), die der Nachhaltigkeitsagenda 2030, auf dem nicht von Ökonomen sondern von »Künst- Tisch. Die Frage nach der konkreten Um- lern, Intellektuellen und Wissenschaft- setzung dieser Strategien bleibt jedoch lern« (ebd.: 1) verfasst wurde. »Werte offen. Es herrscht Einigkeit darüber, dass wie Menschenwürde und Demokratie« es eines Umdenkens in der Gesellschaft (ebd.), »Frieden, Freiheit, Demokratie und bedarf und hierfür Bildungsstrategien es- Rechtsstaatlichkeit« (ebd.: 2) als in Euro- senziell sind. Es fehlt jedoch eine konkrete pa historisch gewachsene Werte, spielen Zukunftsvision, wie sich Gesellschaft verän- in dieser Erklärung eine wichtige Rolle. Es dern muss, um nachhaltiger und sozialge- stellt sich jedoch die Frage, ob ein rück- rechter agieren zu können. Entsprechende wärtsgewandtes Narrativ ausreicht, um Anstrengungen werden bisher immer nur Europa für gesellschaftliche Transforma- innerhalb des bestehenden Systems un- tionsprozesse von Morgen zu festigen. So ternommen, statt im Sinne eines Perspek- fordert auch der Politikwissenschaftler tivwechsels, wie ihn die Kulturelle Bildung Jackson Janes mehr Vorwärtsgewandt- anstößt, aus dem System herauszutreten heit: »Es entsteht ein wachsender Bedarf und Zukunft und Gesellschaft neu zu ge- nach einem neuen Narrativ – und zwar stalten. Für eine Korrektur bzw. Deregulie- nicht länger darüber, wo Frankreich und rung von Prinzipien der Ökonomisierung Deutschland herkommen, sondern viel- und Technokratisierung bedarf es zudem mehr darüber, wohin sie zusammen als

BBE DOSSIER NR. 6 | 93 Keuchel: Nachhaltigkeit, Kulturelle Bildung und ZE

Teil des großen europäischen Projekts ge- • Engels, Friedrich [1845] (1990): Die hen wollen« (Miskimmon online 2015). Lage der arbeitenden Klasse in England. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke. Band Zur Entwicklung eines solchen vorwärts- 2. Berlin: Dietz. gewandten Narrativs, das die Kraft hat, • European Commission (2014): New europäische Gesellschaftstransformati- Narrative for Europe: The Mind and Body onsprozesse anzustoßen, bedarf es letzt- of Europe [Dt.: New Narrative for Euro- lich normativer, nachhaltiger Werte und pe: Körper und Geist Europas]. http:// Zielsetzungen, Kultureller Bildung und da- ec.europa.eu/assets/eac/culture/policy/ mit einhergehend Perspektivwechsel, um new-narrative/documents/declaration_ neue Zukunftsvisionen zu entwickeln und en.pdf eine starke und geeinte Zivilgesellschaft, • European Commission (Hrsg.) (2009): die partizipativ den Prozess der Gesell- THE IMPACT OF CULTURE ON CREATIVITY schaftstransformation begleitet und er- . A Study prepared for the European Com- möglicht, dass Europa seinen Beitrag zur mission (Directorate-General for Educa- Bewältigung weltweiter Zukunftsaufga- tion and Culture), June 2009 S. 161 ben leisten kann. • Horn, Gustav A. »Freier Handel und Kultur« In: puk 6/16, Seite 13 Erschienen im BBE-Newsletter Nr. 5 vom • Kim, Myun-Shin (1994): Bildungsökono- 7.3.2019 mie und Bildungsreform: Der Beitrag der OECD in den 60er und 70er Jahren. Würz- AUTORIN burg: Königshausen und Neumann. S. 147 • Kock, Sonja (2014): Ausstieg aus der Prof. Dr. Susanne Keuchel ist Direktorin Demokratie? Dissertationsschrift Justus- der Akademie der Kulturellen Bildung des Liebig Universität Gießen Bundes und des Landes NRW e.V. • Miskimmon, Alister (online 18.12.2015): Strategische Narrative deutscher Eu- LITERATUR UND WEITERE ropapolitik. In: bpb Bundeszentrale für INFORMATIONEN politische Bildung. http://www.bpb.de/ apuz/217308/strategische-narrative- • Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. deutscher-europapolitik?p=all Zuletzt auf- Frankfurt/Main: Suhrkamp. gerufen am 25.02.2019 • Böcher, Michael (2007): Wissenschaft- • Nationale Plattform Bildung für nach- liche Politberatung und wissenschaftliche haltige Entwicklung (Hrsg.) (2017): Natio- Prozesse. In Krott/Suda (Hrsg.) Macht Wis- naler Aktionsplan Bildung für nachhhaltige senschaft Politik? Aspekte wissenschaft- Entwicklung. Berlin. licher Beratung im Politikfeld Wald und • Schelsky, Helmut (1961): Der Mensch Umwelt. S. 14-42. Wiesbaden: VS Verlag. in der wissenschaftlichen Zivilisation. • de Haan, Gerhard (2009): Bildung für Köln/Opladen: Westdeutscher Verlag nachhaltige Entwicklung. Berlin: Freie Uni- • UNESCO (2014): Roadmap for imple- versität Berlin. Programm Transfer-21 menting the Global Action Programme on • Duden Wirtschaft von A bis Z: Grund- Education for Sustainable Development. lagenwissen für Schule und Studium, Be- • Vereinte Nationen (2015): Transforma- ruf und Alltag. 5. Aufl. Mannheim: Biblio- tion unserer Welt: die Agenda 2030 für graphisches Institut 2013. Lizenzausgabe nachhaltige Entwicklung. Resolution der Bonn: Bundeszentrale für politische Bil- Generalversammlung, verabschiedet am dung 2013. 25. September 2015

94 | BBE DOSSIER NR. 6 RUPERT GRAF STRACHWITZ KANN ZIVILGESELLSCHAFT EUROPA? NUR EIN EUROPA DER STAATEN?

Wenn im Zusammenhang mit der erstreb- Am 19. August 1989 war dann das pan- ten europäischen Integration an histori- europäische Picknick an der ungarisch- sche Meilensteine erinnert wird, werden österreichischen Grenze bei Sopron eines meist Bilder von Staatsereignissen ge- der Signale, das den Transformationspro- zeigt, etwa von der Unterzeichnung der zess in Mittel- und Osteuropa einläutete. Römischen Verträge (1957), von De Gaulle Hier wie so oft wurde erkennbar: Zivilge- und Adenauer in Reims (1962) oder vom sellschaft kann – und will – Europa. Beitritt von 10 Staaten zur EU in Dublin (2004). Darüber wird vergessen, dass in Traditionen der Regel europäische Bürgerinnen und Bürger und die Zivilgesellschaft Motor Beispiele dafür, dass sich selbstermäch- und Katalysator des Vereinigungsprozes- tigte, selbstorganisierte Gruppen in und ses waren. De Gaulle wußte das übrigens. für Europa engagierten, gab es schon viel Er wollte sicher sein, dass die Aussöhnung früher. Die Reduktion des politischen Den- Deutschlands mit Frankreich von den Bür- kens auf den Nationalstaat und dessen gerinnen und Bürgern mitgetragen wurde. Regierung war nie so universell gelungen, Erst als er sich im September 1962 auf ei- wie sich die Inhaber der Macht in diesen ner Reise durch Deutschland davon über- Staaten das vielleicht gewünscht hätten. zeugt hatte, unterzeichnete er (am 22. Nach 1831, dem fehlgeschlagenen polni- Januar 1963) den deutsch-französischen schen Aufstand gegen Rußland, sorgten Freundschaftsvertrag. beispielsweise bürgerschaftliche Polenbe- geisterung und Polenvereine in Deutsch- Die europäische Zivilgesellschaft – die man land für die Aufnahme der zahlreichen pol- noch nicht so nannte – hatte schon früher nischen Flüchtlinge im Geist europäischer Signale gesetzt. Am 6. August 1950 öffne- Solidarität. Im Oktober 1914 verfaßte eine ten, zersägten und verbrannten beispiels- kleine Gruppe von Deutschen um Georg weise am deutsch-französischen Grenz- Friedrich Nicolai und Albert Einstein einen übergang St. Germanshof-Wissembourg ›Aufruf an die Europäer‹. Der Aufruf war in einer sorgfältig geplanten Aktion junge eine Antwort auf das sogenannte Manifest Bürgerinnen und Bürger aus mehreren der 93 (Wissenschaftler, darunter bspw. europäischen Ländern, vor allem aber aus Max Planck) ›An die Kulturwelt‹, in dem Frankreich und Deutschland, die Schlag- dessen Autoren die These von der deut- bäume und weckten auf diese Weise die schen Kriegsschuld zurückgewiesen und Aufmerksamkeit der Welt für ein Europa die Kriegsverbrechen der Armee in den ohne Grenzen. Damit begann das bürger- ersten Kriegswochen in Belgien verteidigt schaftliche Engagement für den Prozeß, hatten. Der Aufruf setzte sich dagegen zur der große Teile Europas in die EU führte. Wehr und begann mit den Sätzen: »Wäh-

BBE DOSSIER NR. 6 | 95 Strachwitz: Kann Zivilgesellschaft Europa? rend Technik und Verkehr uns offensicht- dem Deutschen Reich abzuschließenden lich zur faktischen Anerkennung interna- Friedensvertrag diskutierten, notierte, tionaler Beziehungen und damit zu einer um ein weiteres Beispiel zu nehmen, Har- allgemeinen Weltkultur drängen, hat noch ry Graf Kessler, großer Europäer und ge- nie ein Krieg die kulturelle Gemeinschaft- nauer Beobachter des Weltgeschehens, in lichkeit des Zusammenarbeitens so inten- sein Tagebuch, der Völkerbund, den Woo- siv unterbrochen wie der gegenwärtige. drow Wilson gründen wolle, könne doch Vielleicht kommt es uns allerdings auch als ein Bund von Verbänden konzipiert nur deshalb so auffällig zum Bewußtsein, werden, um den ständigen Widerstreit weil eben so zahlreiche gemeinschaftliche unterschiedlicher nationaler Interessen Bande vorhanden waren, deren Unterbre- zu überwinden. Aber daran oder gar an chung wir schmerzlich verspüren.« eine Vereinigung der europäischen Natio- Und weiter (1914): »Die Welt ist durch die nen dachten bei der Unterzeichnung der Technik kleiner geworden, die Staaten der tragisch mißratenen Pariser Vorortver- großen Halbinsel Europa erscheinen heu- träge, so des Vertrags von Versailles mit te einander so nahe gerückt, wie in alter Deutschland am 28. Juni 1919, die Regie- Zeit die Städte jeder einzelnen kleineren rungen nicht. So neu wäre heute also die Mittelmeerhalbinsel, und Europa – ja man Idee nicht, das große europäische Projekt könnte fast sagen, die ganze Welt – stellt von den Nationalstaaten abzukoppeln. Für bereits durch die manigfachsten Bezie- eine europäische Zivilgesellschaft gibt es, hungen eine in den Bedürfnissen und in Deutschland ebenso wie in anderen Erlebnissen jedes einzelnen begründe- Teilen Europas eine Geschichte, Vorbilder te Einheit dar. ... Es wäre wohl die Pflicht und Tradition. der gebildeten und wohlwollenden Euro- päer, wenigstens den Versuch zu machen Zivilgesellschaft im europäischen Verbund zu verhindern, dass Europa infolge seiner mangelhaften Gesamtorganisation dassel- In dieser Tradition stehen heute zivilge- be tragische Geschick erleidet wie einst sellschaftliche Akteure, deren Ziel ein ver- Griechenland. … Wir wollen grundsätzlich einigtes Europa ist. Die engagiertesten Eu- betonen, dass wir fest davon überzeugt ropäerinnen und Europäer sind oft eher in sind, dass die Zeit da ist, in der Europa als der unorganisierten als in der organisier- Einheit auftreten muß, um seinen Boden, ten Zivilgesellschaft zu finden. Doch finden seine Bewohner und seine Kultur zu schüt- sich in ganz Europa auch traditionsreiche zen. … Aber es ist notwendig, dass die Eu- zivilgesellschaftliche Bewegungen, Orga- ropäer erst einmal zusammenkommen, nisationen und Einrichtungen, die europä- und wenn – was wir hoffen – sich genü- isch unterwegs sind, etwa die Europäische gend Europäer in Europa finden, d.h. Men- Bewegung Deutschland oder die Europa schen, denen Europa nicht nur ein geogra- Union, beide eng vernetzt mit Partnern in phischer Begriff, sondern eine wichtige anderen europäischen Ländern. Dazu ge- Herzenssache ist, so wollen wir versuchen, hören auch Tausende von europäischen einen solchen Europäerbund zusammen- Netzwerken, Bewegungen und Verbänden zurufen. Der soll dann sprechen und ent- mit Mitgliedern in ganz Europa, vom eu- scheiden.« ropäischen Kulturerbeverband EUROPA NOSTRA über die Kommission der europä- Am 16. Februar 1919, als in Versailles ischen Bischofskonferenzen COMECE, den Frankreich, Großbritannien, Italien und die europäischen Umweltverbund Green 10 anderen Siegermächte unter sich den mit und die zahlreichen europäischen Sport-

96 | BBE DOSSIER NR. 6 Strachwitz: Kann Zivilgesellschaft Europa? verbände bis zum European Civic Forum Zivilgesellschaft insgesamt zu stärken, darf und vielen anderen mehr. auch nicht verschwiegen werden. Ebenso- wenig hilfreich ist die generelle Scheu vie- Kein Subsektor der europäischen orga- ler zivilgesellschaftlicher Akteure vor Kritik nisierten Zivilgesellschaft kommt heute und Selbstkritik. Und schließlich tragen noch ohne einen europäischen Dachver- Bestrebungen, dem eigenen Beitrag zum band aus; vor allem bei den Organen der subjektiv empfundenen Gemeinwohl ohne Europäischen Union, aber auch beim Euro- jede Bereitschaft zum Diskurs allgemeine parat und anderen intergouvernementa- Gültigkeit zuzumessen, nicht dazu bei, das len europäischen Zusammenschlüssen gilt Vertrauen in die Zivilgesellschaft zu erhö- es, konsequent und nachhaltig Interessen hen. der Zivilgesellschaft zu vertreten. So war beispielsweise das European Foundation Die Arbeit fast aller Verbände, ebenso Centre aktiv an den erfolgreichen Ver- aber auch der Vertretungen und Büros, handlungen mit der internationalen Orga- die nationale Verbände in Brüssel unter- nisation FATF über die Neuformulierung halten, leidet andererseits darunter, dass einer im früheren Wortlaut extrem dis- sie fast alle sehr klein und finanziell sehr kriminierenden Empfehlung zum Umgang schlecht ausgestattet sind und schon mit der Zivilgesellschaft im Kampf gegen deshalb im Schatten der mächtigen Wirt- Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung schaftsverbände stehen. Darüber hinaus beteiligt. Die meisten dieser Zusammen- sind viele von ihnen von Subventionen der schlüsse greifen übrigens deutlich über Europäischen Kommission oder der natio- das EU-Europa hinaus und heißen Mitglie- nalen Regierungen abhängig, die durchaus der aus allen im geographischen Europa diese Zwangslage nutzen, um die zivilge- gelegenen Ländern willkommen. Über sellschaftlichen Vertreter zu gängeln, zu protokollarische Fragen, die die Staaten Wohlverhalten zu zwingen und, wenn sie bis zur Lähmung beschäftigen können, das wollen, auch mit Sanktionen zu bele- setzen sie sich souverän hinweg. gen. Hier wie überall offenbart sich zudem, dass Zivilgesellschaft prinzipiell heterogen Schwierigkeiten und polyarchisch organisiert ist und zahl- reiche von einander völlig unabhängige In der stark zersplitterten und kaum über- Akteure zu ihr gehören, die ganz konträre schaubaren Zivilgesellschaftsszene auf Positionen vertreten können. »Vertreter europäischer Ebene ist freilich kaum eine der Zivilgesellschaft«, wie sie sich Politik Organisation erkennbar, die stark und un- und Verwaltung als angeblich verlässli- abhängig genug ist, um den übrigen Ak- che Ansprechpartner wünschen würden, teuren, von den Organen der EU bis zu gibt es kaum, und wenn, ist ihr Verhand- den Vorständen großer Unternehmen, auf lungsmandat sehr eng gefaßt. Dies ist im Augenhöhe gegenübertreten zu können. Grundsatz nicht änderbar. Insbesondere Dass mancher Verband durchaus stärker im Rahmen der deliberativen Demokratie, auftreten könnte, wenn er dies nur woll- also in der Vorbereitung möglicher hoheit- te, ist ebenfalls nicht zu übersehen. Auch licher Entscheidungen bleibt deshalb den dass viele von ihnen ihre einzige Aufgabe Gesprächspartnern oft nichts anderes üb- darin sehen, Fördermittel der EU abzu- rig, als von sich aus zivilgesellschaftliche greifen, dazu im Wettbewerb zueinander Akteure auszuwählen und einzuladen. Sich stehen und gerade nicht gemeinsam hel- bemerkbar zu machen, um eingeladen zu fen wollen, die europäische organisierte werden, gehört insoweit zum Geschäft.

BBE DOSSIER NR. 6 | 97 Strachwitz: Kann Zivilgesellschaft Europa?

EU und Europarat haben an solchen Gesprä- Eine Nachfrage bei einem Teilnehmer chen oft ein höheres Interesse als die meis- an den (zivilgesellschaftlichen und nicht ten Regierungen der Mitgliedsstaaten. Aller- gewalttätigen) Protestaktionen beim G- dings gibt es durchaus einen Optimierungs- 20-Gipfel in Hamburg 2017, aus welchen spielraum für eine Professionalisierung, Ländern die anderen Teilnehmer gekom- Bündelung und konzentrierte Präsentation men wären, löste Unverständnis aus. Die von Positionen der europäischen Zivilgesell- Polizeistatistik meldete als Herkunftslän- schaft gegenüber Dritten. Dass Regierungen der neben Deutschland vor allem Däne- dies, beispielsweise die deutsche, durch die mark, die Niederlande, Schweden, Polen, Auswahl der Mitglieder des europäischen die baltischen Länder, Rußland, aber auch Wirtschafts- und Sozialausschusses zusätz- Frankreich, Spanien und Italien. Für die lich zu behindern suchen, ist nicht zu überse- beteiligte Zivilgesellschaft selbst war dies hen. Auch sonst verbindet sich mit der not- völlig belanglos. Identität und Loyalität wendigen Auswahl nicht selten eine Selekti- gehörten und gehören der gemeinsamen on nach subjektiven Gesichtspunkten. Dass Idee, für die es europa- oder weltweit zu sich beispielsweise die ungarische Regierung kämpfen gilt, nicht der Behörde, die den (aber nicht nur diese) eine eigene, abhängi- Paß ausgestellt hat. ge, finanziell gut ausgestattete Zivilgesell- schaft schafft, um unabhängige Akteure an Insofern verwundert es kaum, dass sich den Rand zu drängen und in Europa behaup- zur Zeit die Anzeichen dramatisch dafür ten zu können, es gäbe im Land eine blühen- mehren, dass die um ihre Macht besorg- de Zivilgesellschaft, paßt in dieses Bild. Aller- ten Staaten mit hoheitlicher Gewalt ver- dings führen solche Manöver erfahrungsge- suchen, den Handlungsraum von Bürgern mäß immer zu Gegenbewegungen. und ihren Organisationen zu beschränken. ›Shrinking Space for Civil Society‹ oder Druck und Gegendruck knapper ›Shrinking Civic Space‹ sind zu Menetekeln geworden. Nicht nur in Län- Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass dern mit autoritären Regierungen, sondern zivilgesellschaftliches Engagement andere durchaus auch in europäischen Staaten, Akteure zum Handeln zwingen kann. Die deren Regierungen unablässig die schönen organisierte Zivilgesellschaft ist eine der Worte wie ›Freiheit‹, ›Demokratie‹ oder fünf Kräfte geworden, die dem Gefüge ›Teilhabe‹ im Mund führen, mehren sich der Nationalstaaten, dem 1815 geschaffe- die Versuche, den Machtverlust des Staa- nen System, zu schaffen machen. Neben tes aufzuhalten. Wo die Bürgerinnen und supranationalen Zusammenschlüssen, Bürger dagegen aufbegehren, nur sum- zugunsten derer die Nationalstaaten zum marisch als »Bevölkerung«, die irgendwo Teil schon vor vielen Jahrzehnten mit voller »draußen« zu finden sein soll, oder ›noch demokratischer Legitimation auf Souverä- schlimmer‹ als ›breite Masse‹ tituliert zu nitätsrechte verzichtet haben, regionalen werden, stoßen sie auf Widerstand. Bewegungen, die sich erfolgreich einen Teil der Macht zurückholen, der Macht des Fazit globalen Marktes, der grenzenlosen Kom- munikation und der Selbstbehauptung des Zu Europa gehört die europäische Zivilge- einzelnen Menschen, sind Akteure der Zi- sellschaft, aber auch deren Kampf gegen vilgesellschaft heute aktive Mitgestalter Marginalisierung, Abhängigkeit, Redukti- der res publica und nehmen immer weni- on auf Dienstleistungen und die Verwei- ger Bezug auf nationale Begrenzungen. gerung der Mitgestaltung. In der Vielfalt

98 | BBE DOSSIER NR. 6 Strachwitz: Kann Zivilgesellschaft Europa? ihrer Funktionen, als Themenanwälte, AUTOR Wächter, Mittler, Orte der Eigeninitiative und Selbsthilfe, Solidaritätsstifter, ange- Der Politikwissenschaftler Dr. phil. Rupert nommene Gemeinschaften und Ort der Graf Strachwitz ist Vorstand der Mae- Sinnstiftung liegt ihre Daseinsberechti- cenata Stiftung München und leitet das gung, Legitimation und Kraft. Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft Berlin. Er hat vielfach zu Sollten die, die im 21. Jahrhundert vorgeben, Fragen der Zivilgesellschaft und zu Europa den Willen des Volkes zu vollziehen, sich die- Stellung genommen. se Kraft nicht besser zunutze machen – und zugleich nicht genauer hinhören, worin die- Weitere Informationen ser Wille eigentlich besteht – nicht in folgen- ü www.strachwitz.info losen Bürgerforen, sondern in intelligenten Prozessen? Europa in seiner wunderbaren Rupert Graf Strachwitz, Was machen Vielfalt bietet uns die Chance, exemplarisch wir mit Europa? Gedanken zum grossen eine neue Ordnung zu entwickeln, in der un- europaischen Projekt nach dem Brexit-Vo- terschiedliche Akteure ihren Platz haben, in tum. Berlin: Maecenata (Europa Bottom- der sozialer Wandel von allen mitgestaltet Up Nr. 16), 2016 wird. Komplexe Prozesse sind, das wissen ü https://www.ssoar.info/ssoar/bit- wir aus vielen Erfahrungen, organisierbar – stream/handle/document/49381/2016_ und können außerordentlich effektiv und EBU_16_mit_urn.pdf?sequence=3 erfolgreich sein. Dazu kann Zivilgesell- schaft Entscheidendes beitragen, denn – Rupert Graf Strachwitz, 100 Jahre nach das hat sie bewiesen – sie kann Europa. Versailles: Europa neu denken. Berlin: Maecenata (Observatorium Nr. 28), 2019 Erschienen im BBE-Newsletter Nr. 5 vom ü http://web.maecenata.eu/images/ 7.3.2019 MO_28_Strachwitz.pdf

BBE DOSSIER NR. 6 | 99 JOCHEN BUTT-POŚNIK KULTURKAMPF HEIMAT/EN IN EUROPA?

JEinleitung und Rassen, eine Welt aus Radfahrern und Vegetariern, die nur noch auf erneuerba- »Globalisten« nennt der AfD-Vorsitzen- re Energien setzen und gegen jede Form de Gauland diejenigen Menschen, deren der Religion kämpfen. Das hat mit traditio- »Bindung [..] an ihr jeweiliges Heimatland nellen, polnischen Werten nichts mehr zu schwach ist. In einer abgehobenen Paral- tun«. Die polnische Opposition nahm den lelgesellschaft fühlen sie sich als Weltbür- Ball auf und hat bei den Demonstratio- ger. Der Regen, der in ihren Heimatländern nen gegen den Abbau von Bürgerrechten fällt, macht sie nicht nass. Sie träumen durch die PiS-Regierung verlässlich Fahr- von der one world und der Weltrepublik«. räder dabei. Dem gegenüber stellt er und mit ihm die neue populistische Rechte nicht nur in »Anywheres« und »Somewheres« Deutschland traditionellere und teilweise abgehängte Bevölkerungsschichten; »die- Doch was ist dran an dem Bild des Kul- jenigen, für die Heimat noch immer ein turkampfes zwischen den »Anywheres« Wert an sich ist und die als Erste ihre Hei- und »Somewheres«, den »Egal wo«- und mat verlieren, weil es ihr Milieu ist, in das »Irgendwo«-Menschen, wie sie der briti- die Einwanderer strömen«. sche Autor David Goodhart nennt? Wäh- rend die einen sich von einem EU-geför- Der Begriff »Heimat« ist somit im deutsch- dertem Projekt zum nächsten Studienauf- sprachigen Diskurs umkämpft. Es stehen enthalt in einer europäischen Großstadt sich gegenüber: ein Heimatbegriff, der bewegen, versauern die anderen in abge- Vielfalt zulässt, Zugewanderten Mehr- schnittenen Regionen mit sinkenden Im- fachidentitäten und »Heimaten« ermög- mobilienpreisen und schlechter Netzabde- licht und sich für europäischen Austausch ckung? Als Kontaktstellen für europäische und Globalisierung öffnet. Und die »Hei- Förderprogramme, die kulturellen Aus- mat« der Gaulands, Höckes u.a., die auf tausch, Städtepartnerschaften, zivilgesell- Ausschließung, Grenzziehung zwischen schaftliche Projekte u.v.m. unterstützen, »uns« und »den Anderen« und völkisch- stehen wir mitten in dieser Debatte: wer nationalistische Homogenisierung abzielt. wird gefördert, wer setzt sich bei knap- Aber auch in anderen Ländern Europas fin- pen Budgets durch? Fließt europäisches den sich ähnliche Konstellationen: Polens Geld nur zu den weltgewandten, kultu- damaliger Außenminister Witold Wasz- rell aufgeschlossenen Eliten in Berlin und czykowski äußerte sich 2016: »Als müsse Hamburg oder auch zum Trachtenverein in sich die Welt nach marxistischem Vorbild der Oberlausitz? Denn das Paradigma der automatisch in nur eine Richtung bewe- EU Kulturpolitik lautet »Einheit durch Viel- gen – zu einem neuen Mix von Kulturen falt«. Wie kann diese Vielfalt verschiedene

100 | BBE DOSSIER NR. 6 Butt-Pośnik: Kulturkampf Heimat/en in Europa?

Vorstellungen von Heimat(en) beinhalten? und Gleichstellung zuständig ist) werden Oder größer gedacht: Wie können »Hei- u.a. sogenannte Heimat-Schecks, Heimat- mat« und »Heimaten« koexistieren und Zeugnisse und Heimat-Werkstätten geför- angemessen gesellschaftlich beteiligt sein? dert. Ziel der Förderungen ist es »Men- schen für lokale und regionale Besonder- Die Wahrheit liegt in Bayern? heiten zu begeistern, die positiv gelebte Vielfalt [..] deutlicher sichtbar werden zu Die Wahrheit, bzw. die Brücke zwischen lassen und das Interesse und die Offen- der globalistischen und kommunitaris- heit gegenüber Neuem und anderem (sic) tischen Position findet sich vielleicht in zu erweitern«. Auch hier geht es also um Orten wie der bayrischen Gemeinde Va- eine Verschränkung von Ortsgebunden- terstetten: hier trifft sich ein engagierter heit und Tradition mit Diversität und Auf- Arbeitskreis der Partnerschaftsvereine geschlossenheit gegenüber neuen und auch aus den umliegenden Gemeinden, fremden Impulsen und Menschen. die Austausche mit den jeweiligen fran- zösischen, kroatischen, spanischen, äthi- In dem sich auf europäischer Ebene immer opischen etc. Partnerstädten planen und stärker abzeichnenden Konflikt zwischen durchführen. Mal zum Stammtisch, mal Staaten und politischen Bewegungen, zum (kroatischen) Kochkurs, mal wird ein die auf Nationalismus, Abgrenzung gegen Maibaum auf die Reise zur Partnerstadt Fremde und »illiberale Demokratie« (V. geschickt. An der Partnerschaftsarbeit ist Orban) setzen und offenen Gesellschaften, ein vielfältiger Durchschnitt der Bevölke- die Migration und europäischer Zusam- rung beteiligt, unterschiedliche Alters- menarbeit positiv gegenüberstehen, könn- gruppen und politische und berufliche te diese »dritte Position« auch für die eu- Hintergründe sind vertreten. Nun ist die ropäische Zivilgesellschaft eine attraktive sogenannte Kontakthypothese bereits Option sein. Wer sagt denn, dass man sich seit langem widerlegt, nach der durch den entscheiden muss zwischen Weltoffenheit Kontakt mit einer anderen Kultur automa- und dem Interesse, vor Ort den eigenen tisch interkulturelle Kompetenz erworben Lebensraum verbindlich kulturell und poli- werde. Und doch scheinen aktive ehren- tisch mitzugestalten? Warum sollten nicht amtliche Strukturen in der Partnerschafts- Heimatvereine und Migrantenselbstorga- arbeit einen Weg zu weisen, wie sich Orts- nisationen neue Bündnisse eingehen, wenn gebundenheit und starker Bezug auf die es um Entscheidungen zum öffentlichen lokale Heimat mit Interesse an Austausch Raum, zu Treffpunkten, Bibliotheken, Parks und Offenheit für andere kulturelle Ein- etc. geht – also zu dem Rahmen, in dem flüsse verbinden lassen. Und sich dafür Zusammenleben lokal gestaltet wird? Das sogar EU-Mittel finden lassen… würde demokratische Prozesse und Mit- bestimmung stärken, Räume für Aushand- Von Heimat-Schecks und -Zeugnissen lungen zwischen unterschiedlichen Bevöl- kerungsgruppen öffnen und einen Beitrag Das Land Nordrhein-Westfalen hat neben zum friedlichen Zusammenleben in einer Bayern als zweites Bundesland ein Hei- offenen Gesellschaft leisten. matministerium geschaffen. Im Landes- programm »Heimat.Zukunft.Nordrhein- KULTUR.MACHT.HEIMATen Westfalen Wir fördern, was Menschen verbindet« des Ministeriums (das auch Die Kontaktstelle »Europa für Bürgerin- noch für die Bereiche Kommunales, Bau nen und Bürger« wird gemeinsam mit

BBE DOSSIER NR. 6 | 101 Butt-Pośnik: Kulturkampf Heimat/en in Europa? dem Creative Europe Desk KULTUR (CED hören. Viele Projekte mit und ohne euro- KULTUR) und der Kulturpolitischen Ge- päische Förderung belegen dies eindrück- sellschaft e.V. ein Forum auf dem 10. Kul- lich und sollen auf dem Bundeskongress turpolitischen Bundeskongresses KUL- vorgestellt werden. Das bedeutet »Hei- TUR.MACHT.HEIMATen zu diesem Thema mat« im Europa des 21. Jahrhunderts. durchführen. Im größeren Kontext wird es bei dieser Veranstaltung und der gesamten Erschienen im BBE-Newsletter Nr. 5 vom Debatte darum gehen, zu zeigen, dass nie- 7.3.2019 mand Angst haben muss, die »Heimat [zu] verlieren, weil es ihr Milieu ist, in das die AUTOR Einwanderer strömen« (A. Gauland). Der »Kulturkampf um Heimat« ist ein von den Jochen Butt-Pośnik ist Leiter der Kontakt- Rechtsradikalen mit wenig aktualisierter stelle »Europa für Bürgerinnen und Bürger« Agenda aufgezwungener Diskurs. Für viele bei der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. Akteure in Stadt und Land ist die Erkennt- nis gesichert, dass Veränderung normal ist; Weitere Informationen dass Einwanderung, Austausch, Konflikte, ü www.mhkbg.nrw/heimat/Heimatfoer- Verteilungsfragen, Neuausrichtung, zum derprogramm/index.php Zusammenleben in Demokratien dazu ge- ü www.kupoge.de

102 | BBE DOSSIER NR. 6 III RÜCKBLICK: EUROPAWAHL 2014 UND ENGAGEMENTPOLITIK

DAVID MCALLISTER EUROPAWAHL 2014, ENGAGEMENTPOLITIK UND ZIVILGESELLSCHAFT

I und Bürger angewiesen. Sie engagieren sich, weil es ihnen ein Anliegen ist, ihre Bürgerschaftliches Engagement und frei- Kenntnisse und Fähigkeiten für das Ge- williger Einsatz für gemeinnützige Zwecke meinwohl einzusetzen, sich untereinander sind nicht nur bei uns in Deutschland ein oder auch den Schwächeren zu helfen, wichtiges Thema. Vielmehr findet es in zu- Gemeinschaft mit anderen Engagierten zu nehmendem Maße in allen Mitgliedsstaa- erfahren und Anerkennung zu erhalten. ten der Europäischen Union verstärkte Es gibt kaum einen gesellschaftlichen Be- Beachtung. Um das bürgerschaftliche En- reich, wo die Schaffung von Gemeinsinn gagement mehr in das Zentrum der euro- und lebendigem Miteinander, aber auch päischen Aufmerksamkeit zu rücken, hat- von wechselseitigen Verpflichtungen, Ver- te die Europäische Kommission das Jahr trauen und Verantwortung besser erlebt 2011 zum »Europäischen Jahr der Freiwil- werden können, als beim bürgerschaftli- ligentätigkeit« ausgerufen. chen Engagement.

In der Europäischen Union setzen derzeit Gemeinsinn ist keine Frage des Alters oder rund 100 Millionen Menschen ihre Zeit des sozialen Status. Die Frauen und Män- und ihr Wissen ein, um der Gemeinschaft ner, die sich engagieren, sind Schüler oder etwas zurückzugeben. Sie leisten damit ei- Senioren, stehen im Berufsleben oder be- nen herausragenden Beitrag zum Zusam- finden sich auf Arbeitssuche, sind verhei- menhalt unserer Gesellschaft. Das aktive ratet, haben Kinder oder leben als Single. Engagement ist ein wichtiger Bestandteil Mit ihrem Engagement übernehmen die- europäischer Lebenswirklichkeit gewor- se Menschen gesellschaftliche Aufgaben, den. Dies oftmals auch grenzüberschrei- die der Staat in dieser Form nicht leisten tende Engagement zeigt uns zugleich, dass kann. Ohne das selbstlose und nicht auf Europa mehr ist als ein wirtschaftliches materiellen Gewinn ausgerichtete Enga- Bündnis, mehr als der Binnenmarkt und gement kämen viele Bereiche des gesell- die gemeinsame Währung. Wir Europäer schaftlichen Lebens zum Stillstand. sind durch gemeinsame kulturelle Wur- zeln, die sehr wechselvolle Geschichte, Aufgrund der großen Bedeutung des Eh- und durch zahlreiche persönliche Kontak- renamtes gehört es für mich zu einer der te eng miteinander verbunden. wesentlichen Aufgaben von Staat und Po- litik, durch passende Rahmenbedingun- Bürgerschaftliches Engagement ist einer gen mögliche Hindernisse und Benach- der Grundpfeiler dieser europäischen teiligungen beim Ehrenamt abzubauen, Wertegemeinschaft. Unser Gemeinwesen dem Engagement der Menschen Raum zu ist auf das Engagement der Bürgerinnen geben, es anzuerkennen und zu fördern.

BBE DOSSIER NR. 6 | 103 McAllister: Europawahl 2014, Engagementpolitik und Zivilgesellschaft

Unser aller Leben wäre ärmer, würde es Gerade die Städtepartnerschaften in Eu- nicht die vielen Bürgerinnen und Bürger ropa sind ein schönes Symbol eines bür- in Verbänden, Vereinen, Stiftungen, im gerschaftlichen Engagements, das unsere kirchlichen oder sozialen Bereich geben, Völker verbindet. Sie sind ein Band zwi- die sich freiwillig und nachhaltig engagie- schen den Menschen. Die Partnerschaften ren. Oft sind es gerade die Schwächsten zwischen deutschen und Städten in ande- der Gesellschaft, denen mit diesem Ein- ren Ländern wollen wir deshalb ausbauen. satz geholfen wird. Dafür gebührt allen Mehr als 5.000 Partnerschaften sind ein bürgerschaftlich Engagierten besonderer starkes Zeichen für lebendige Begegnun- Dank und Anerkennung. gen zwischen den Menschen. Unzählige Bürger haben durch die Städtepartner- II schaften Kontakte und Freundschaften über die Grenzen hinweg schließen kön- Gerade in Zeiten der Wirtschafts- und Fi- nen, haben andere Länder und Kulturen nanzkrise war und ist festzustellen, dass kennengelernt – und zugleich erfahren, beim Thema »Europa« eher an die Kri- was uns Europäer verbindet. Auch dies senstaaten und Rettungspakete und viel wird in der Regel nur möglich durch gro- zu wenig an die positiven Aspekte der ßen ehrenamtlichen Einsatz, dessen Be- europäischen Einigung gedacht wird. Um deutung wir für das Zusammenwachsen andere politische Themen, wie auch das Europas gar nicht hoch genug einschätzen Bürgerschaftliches Engagement, wieder können. mehr Aufmerksamkeit den Menschen zu widmen, wollen wir Christdemokraten Um die europäische Bürgerschaft weiter uns verstärkt dafür einsetzen, gemeinsa- zu stärken, unterstützt die CDU die Zu- me Veranstaltungen, Workshops und Pu- sammenarbeit von zivilgesellschaftlichen blikationen zu fördern, die über die Ge- Organisationen. Hierzu zählen zum Bei- schichte Europas, das Wertefundament spiel Forschungseinrichtungen, Netzwer- der Europäischen Union und ihre Institu- ke, Vereine, Verbände, Gewerkschaften, tionen informieren. Die Weiterentwick- Bildungseinrichtungen, kulturelle, kirchli- lung der europäischen Integration kann che, karitative und soziale Organisationen nur mit einer engagierten Bürgerschaft sowie aus dem Bereich des freiwilligen gelingen, die Europa kennt, über die Eu- Engagements. Wenn es darum geht Men- ropäische Union und ihre Entscheidungs- schen unterschiedlicher Herkunft zusam- prozesse Bescheid weiß und sich mit dem menzuführen, nimmt der Sport eine zen- Werteverständnis und den Prinzipien der trale Rolle ein. Ich begrüße es daher sehr, europaweiten Demokratie identifizieren wenn Sportvereine und Sportverbände kann. mit ihren Aktivitäten grenzüberschreiten- de Kontakte ermöglichen. Damit der Prozess der Europäischen Inte- gration gelingt, ist es entscheidend, dass Damit gerade auch jungen Menschen die sich die Menschen verstärkt auch als Euro- Chance für eine echte Beteiligung an der päer fühlen und sich mit der Europäischen Weiterentwicklung eines neuen Europas Union identifizieren. Der CDU ist es daher gegeben wird, setzen wir uns für den Aus- ein besonderes Anliegen, die Projekte im bau der Europäischen Freiwilligendienste Rahmen der Begegnungskultur, des Ju- ein. Die Ausweitung der Freiwilligen- gendaustauschs sowie der Vernetzung von dienste bedeutet, dass Arbeitsplätze, die Partnerstädten weiter zu intensivieren. beispielsweise für Pflege oder ähnliche

104 | BBE DOSSIER NR. 6 McAllister: Europawahl 2014, Engagementpolitik und Zivilgesellschaft

Dienste zur Verfügung gestellt werden, So begrüßt die CDU ausdrücklich den nun auch von Freiwilligen besetzt wer- Wunsch der Menschen nach mehr Mit- den können. Ehrenamt bedeutet mehr wirkung bei der Umsetzung von Bauvor- Menschlichkeit, mehr Nächstenliebe, haben. Einen ersten Schritt in die richti- mehr Zeit für Bedürftige, aber niemals ge Richtung haben wir in Deutschland im die Erfüllung von Kernaufgaben. Es geht März 2013 durch das neue Gesetz zur Ver- um ergänzende und zusätzliche Hilfestel- besserung der Öffentlichkeitsbeteiligung lung. und Vereinheitlichung von Planfeststel- lungsverfahren vorgenommen. Nun gilt III es, dass in ganz Europa die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung transparenter ge- Die CDU will ein partnerschaftliches und staltet und die Planungs- und Genehmi- vertrauensvolles Verhältnis zwischen Bür- gungsverfahren beschleunigt werden. ger und Staat. Wir setzen uns ausdrücklich dafür ein, die Bürger aktiv an der Gestal- Für die CDU ist es dabei wichtig, dass Bür- tung europäischer Politik zu beteiligen. gerbeteiligung am Anfang von großen In- Daher wollen wir das Konsultationsver- frastrukturprojekten steht, also noch vor fahren der Europäischen Union und die dem Beginn des eigentlichen Genehmi- Beteiligung an EU-Programmen weiter- gungsverfahrens. Es muss den Initiatoren entwickeln. Als Instrument für politische der Beteiligungsprozesse darum gehen, Partizipation ist die Europäische Bürgerini- dass, solange noch Planungsoffenheit be- tiative (EBI) besonders wichtig. Seit dem 1. steht, möglichst viele Meinungen und Ar- April 2012 ist es möglich, dass eine Million gumente an einem Tisch vertreten sind. EU-Bürger die Europäische Kommission Denn Vertrauen kann nicht verordnet wer- auffordern können, sich mit einem Thema den, sondern entsteht am besten durch zu befassen oder eine Gesetzesinitiative aktive Mitwirkung und Mitgestaltung. zu ergreifen. Als Instrument für die unmit- telbare Beteiligung der Bürger an europäi- Es ist wichtig, den Bürgern in ganz Europa scher Politik gilt sie als Meilenstein. zu vermitteln, dass Veränderungen auch neue Chancen mit sich bringen. Wir müs- Über die Frage nach mehr politischer Par- sen gemeinsam an der Weiterentwicklung tizipation, wollen die Bürger Europas auch unseres Landes und der Europäischen mehr Mitspracherechte bei der Umset- Union mitarbeiten. Ein starkes Europa ist zung von Infrastrukturprojekten. Dies gilt dabei von großer Bedeutung, um in der insbesondere dann, wenn die Vorhaben globalisierten Welt konkurrenzfähig zu ein Eingriff in ihr Lebensumfeld oder ihre sein sowie unsere Werte und Interessen Lebensqualität bedeuten. Durch die zu- durchsetzen zu können. Nur mit und in nehmenden Forderungen nach mehr Be- der Europäischen Union werden wir den teiligung ist deutlich sichtbar geworden, sich schnell ändernden Bedürfnissen und dass die Menschen sich nicht ausreichend Herausforderungen in dieser Welt gerecht in politische Entscheidungs- und Reform- werden. prozesse eingebunden fühlen. Für Partei- en und Politiker bedeutet dies, dass sie in Die CDU hält dabei an ihrem Leitbild der ak- den letzten Jahren zunehmend mit neu- tiven europäischen Bürgergesellschaft fest en Bürgerbewegungen mit großem poli- und wird sich hierbei auch weiterhin für die tischem Selbstbewusstsein konfrontiert Stärkung und Förderung aller Ausdrucks- sind. und Organisationsformen einsetzen.

BBE DOSSIER NR. 6 | 105 McAllister: Europawahl 2014, Engagementpolitik und Zivilgesellschaft

Erschienen in den BBE Europa-Nachrichten 2014. Seit 2008 ist er Landesvorsitzender Nr. 3 vom 26.3.2014. der CDU in Niedersachsen, und er war von 2010 bis 2013 Niedersächsischer Minister- AUTOR präsident.

David McAllister ist Spitzenkandidat der Weitere Informationen CDU Deutschland für die Europawahl ü www.mcallister.de

106 | BBE DOSSIER NR. 6 OTHMAR KARAS, MDEP EUROPÄISCHES PARLAMENT – DIE BÜRGERKAMMER EUROPAS

Europa steht 2014, im Jahr der Europa- gerinnen und Bürger und auch die Unter- wahl, unbestritten vor großen Herausfor- nehmerinnen und Unternehmer müssen derungen: dabei stärker eingebunden werden.

Nach außen gilt es, die Grundlagen für das Dabei spielt das Europaparlament eine europäische Lebensmodell zu sichern. Im Schlüsselrolle. Seit 2009 agiert das Parla- Wettbewerb mit globalen Wirtschafts- ment in vielen Fragen auf Augenhöhe mit mächten, allen voran mit China, muss Rat und Kommission. Wir haben viel er- Europa wettbewerbsfähig sein. Wettbe- reicht, das den Bürgerinnen und Bürgern werbsfähigkeit ist kein Selbstzweck, son- nutzt: niedrigere Handy- und Roaming- dern die Zukunftsversicherung für Europa. Gebühren, weniger Bürokratie für Unter- Wir müssen deshalb mit großer Kompe- nehmen, mehr Bildungsaustausch für die tenz Europas globale Wettbewerbsfähig- Jungen. Diesen Kurs will ich konsequent keit Schritt für Schritt verbessern. Ein star- fortsetzen. Mit einem starken Parlament, kes Europa ist die unverzichtbare Grund- an dem in Europa niemand vorbei kommt. lage für breiten Wohlstand und soziale Mein großes Anliegen ist es, dass künftig Sicherheit in den Mitgliedstaaten. Europa keine Entscheidung in Europa am direkt schützt und nützt uns. gewählten Europaparlament vorbei fallen soll. Das Europäische Parlament ist DIE Nach innen steht die Europäische Union Bürgerkammer Europas. 754 Abgeordnete an einem Wendepunkt zwischen Weiter- vertreten über 500 Millionen Bürgerinnen entwicklung und Stagnation - oder gar und Bürger und sichern die demokrati- Rückschritt. Rechts- und Linkspopulisten sche Legitimierung vieler Entscheidungen führen uns mit ihren Forderungen nach auf europäischer Ebene. Leider beobach- Re-Nationalisierung oder noch mehr Re- tete ich in jüngster Vergangenheit immer gulierung nur in Sackgassen. wieder den Versuch, das demokratischste Organ der EU, das Europäische Parlament, Ein Nein zu Euro und Europa wäre verant- zu umgehen. Es ist daher höchste Zeit eine wortungslos und ein gefährlicher Irrweg. öffentliche Debatte über die Rolle der Par- Mehr Export, mehr Wachstum, mehr Ar- lamente in Europa zu führen. beitsplätze, eine stabile Währung: Das soll auch in Zukunft so sein. Die Kritik an zu Meine Arbeit als Vizepräsident im Europar- vielen Normen und Vorschriften aus Brüs- lament widme ich drei zentralen Themen: sel ist in manchen Bereichen berechtigt. Europa muss sich auf die großen Heraus- ¾¾Das Europäische Parlament muss für forderungen konzentrieren, die nur ge- den Bürger noch sichtbarer werden, meinsam gelöst werden können. Die Bür- um dessen Rolle und Aktivitäten bes-

BBE DOSSIER NR. 6 | 107 Karas: Europäisches Parlament – DIE Bürgerkammer Europas

ser zu verstehen. Dies hilft auch dabei nen konkrete Herausforderungen und zu erkennen, warum eine verstärkte Perspektiven des europäischen Prozesses Europäische Integration gut für die diskutiert und konkretisiert werden, um Menschen, die Gesellschaft und unse- dann in den politischen Prozess einfließen re Wirtschaft ist. zu können. Das Bürgerforum Europa 2020 ¾¾Wir machen Parlamentarismus ge- bietet eine solche Plattform für eine offe- meinsam mit den Parlamenten in den ne und unabhängige Diskussion. Mitgliedstaaten wieder zum Thema. ¾¾Das Europäische Parlament muss stär- Die europäische Idee ist für unsere Zu- ker am Prozess der globalen Steuerung kunft wichtiger denn je: Gemeinsam mehr und bei EU-Verfassungs- bzw. Vertrags- bewirken. Gemeinsam Probleme lösen, änderungen beteiligt sein. die für einen Staat allein zu groß sind. Ge- meinsam in der Welt stark sein. Gemein- Bis zu 80% der nationalen Gesetzesvor- sam statt gegeneinander arbeiten, das ist lagen haben ihren Ursprung auf europä- der Kern der europäischen Idee. Sie ist ak- ischer Ebene. Viele davon erleichtern und tueller denn je. Und genau deshalb ist die bereichern den Alltag der Unionsbürger, Europawahl 2014 auch so wichtig. sei es die gemeinsame Währung, die Rei- sefreiheit oder die Stärkung des grenzüber- Erschienen in den BBE Europa-Nachrichten schreitenden Konsumentenschutzes. Dass Nr. 3 vom 26.3.2014. diese Vorteile den Bürgerinnen und Bür- gern nicht immer so bewusst sind, ist ei- AUTOR nerseits Folge wachsender Nationalismen in den Mitgliedstaaten und andererseits Othmar Karas, seit 2012 einer der Vizeprä- auch des Versagens in der Kommunikation sidenten des Europäischen Parlaments, europäischer Erfolge. Ich habe es mir zur ist Spitzenkandidat der Österreichischen Aufgabe gemacht, stärker zu zeigen, was Volkspartei (ÖVP) bei der Europawahl der Mehrwert einer gemeinsamen europä- 2014 und seit 1999 Mitglied des Europä- ischen Rechtsgrundlage für uns alle ist und ischen Parlaments. In Brüssel ist er seit will Erfolgsprojekte vor den Vorhang holen. 2006 - mit einer kurzen Unterbrechung - Chef der ÖVP-Abgeordneten im EU-Par- Seit einigen Jahren bin ich neben mei- lament. 2010 gründete er das überpar- ner politischen Tätigkeit im Europäischen teiliche »Bürgerforum Europa 2020«, das Parlament Sprecher des überparteilichen sich für eine stärkere Beteiligung von Bür- Bürgerforum Europa 2020. Gemeinsam gern an der EU-Politik einsetzt und dessen versuchen wir Themen aufzugreifen, die Sprecher er bis heute ist. uns als Bürger und Bürgerinnen Europas betreffen. Es braucht neben politischem Weitere Informationen Leadership überparteiliche Foren, in de- ü www.othmar-karas.at

108 | BBE DOSSIER NR. 6 INTERVIEW MIT MARKUS FERBER, MDEP EUROPAWAHL 2014: ENGAGEMENTPOLITISCHE KRITERIEN UND VORHABEN

BBE: Engagementpolitik hat viele Facet- aufgestellt ist. Mit dem Landesnetzwerk ten: Gestaltung der Rahmenbedingungen Bürgerschaftliches Engagement Bayern und Förderung von Ehrenamt, Partizipa- LBE beispielsweise, das vor über 10 Jah- tion, Stiftungen, Vereinen und anderer ren gegründet wurde, ist es möglich, die Bereiche der privaten Beiträge zum Ge- unterschiedlichen Facetten des Engage- meinwohl. Welche Rolle spielt das Thema ments besser zu verknüpfen und zu ko- Bürgerschaftliches Engagement bzw. En- ordinieren. Das LBE verfügt über ein eta- gagementpolitik im derzeitigen CSU-Euro- bliertes und ausgezeichnetes Programm pawahlprogramm? zur Engagementförderung. Mit dem breit gefächerten Angebot an Weiterbildungs- Markus Ferber, MdEP: Bürgerschaftliches seminaren zur Förderung und bestens Engagement ist in allen genannten Berei- ausgebildete Referenten steigt auch die chen enorm wichtig. Das Thema Subsidi- Qualität des Ehrenamtes und es entsteht arität halten wir im Europawahlkampf für gewissermaßen eine win-win-Situation besonders wichtig. Es darf keinen bürokrati- zwischen dem Ehrenamtlichen, der sich sierten und zentralisierten europäischen Su- weiterbildet, und der Gesellschaft, die von perstaat geben. Stattdessen setzen wir auf jenem Wissen profitiert. ein Europa der Regionen, das nah bei seinen Bürgern ist. Gerade unter dieser Prämisse Auf diese Weise gelingt es natürlich her- spielt das bürgerschaftliche Engagement vorragend, Brücken zwischen den ver- eine herausragende Rolle. Nur durch en- schiedenen Gesellschaftsschichten zu gagierte Bürger, die sich in der Gesellschaft bauen und anfängliche Berührungsängste einbringen und sich für das Gemeinwohl abzubauen. Genau das ist ja das Ziel der einsetzen, kann eine Gesellschaft wachsen. Europäischen Union: Grenzen abbauen und mit einer gemeinsamen Politik ein Auch bei der praktischen Durchführung starkes Europa bilden. des Wahlkampes sind wir auf viele en- gagierte Helfer angewiesen, die unsere BBE: Was war aus ihrer Sicht der wichtigs- Überzeugungen den Bürgerinnen und Bür- te Beitrag des Europäischen Parlaments ger näherbringen. Deren Arbeit kann gar zur Stärkung des bürgerschaftlichen Enga- nicht hoch genug eingeschätzt werden. gements in den vergangenen Jahren?

BBE: Was könnte die EU von der bayeri- Markus Ferber, MdEP: In diesem Zusam- schen Engagementförderung lernen? menhang ist mit Sicherheit das Jahr 2011 als »Europäisches Jahr der Freiwilligentä- Markus Ferber, MdEP: Ich denke, dass tigkeit«, das vom Europäischen Parlament Bayern auch in diesem Gebiet sehr gut mit beschlossen wurde, zu nennen. Hier

BBE DOSSIER NR. 6 | 109 nterview mit Markus Ferber: Europawahl 2014 gelang es, die Aufmerksamkeit für Freiwil- Markus Ferber, MdEP: Wir müssen errei- ligenorganisationen zu erhöhen und die chen, dass Europas Bürger bei wichtigen Verdienste der Ehrenamtlichen auf euro- Entscheidungen direkt eingebunden wer- paeischer Ebene besser zu würdigen. den. Wann immer Kompetenzen auf die europäische Ebene übertragen werden Auch das Programm »Europa für Bürgerin- sollen, die Gemeinschaft um weitere Mit- nen und Bürger« liefert dazu einen wichti- glieder erweitert werden soll oder neue gen Baustein. Das Europäische Parlament finanzielle Belastungen für den deutschen hat am Ende des vergangenen Jahres für Steuerzahler entstehen sollen, müssen die eine Fortführung des Programms bis 2020 Bürger in einer Volksabstimmung Gehör gestimmt. Mit diesem Programm hat jeder finden. Das Vorbild Bayerns zeigt, das di- einzelne engagierte Bürger die Möglich- rekte Mitwirkungsmöglichkeiten den po- keit, an der Europäischen Einigung, welche litischen Prozess bereichern können und den Kontinent seit dem Zweiten Weltkrieg größere Akzeptanz für strittige Entschei- prägt, aktiv teilzunehmen. So entsteht ein dungen schaffen kann. aktiver Dialog zwischen der Zivilgesell- schaft und den verschiedenen EU-Orga- BBE: Auf Bundesebene und in allen Bun- nen, von dem am Ende alle profitieren. desländern gibt es Stabsstellen, (Unter)Aus- schüsse, Staatssekretäre oder Staatsminis- BBE: Welche Rolle sollte die Zivilgesell- ter, die für bürgerschaftliches Engagement schaft im Entscheidungsprozess sowie bei ausdrücklich zuständig sind. Die Weltbank der Entwicklung und Durchführung von hat seit Jahren ein eigenes »Civil Society wichtigen Gesetzesvorhaben der Europä- Team«. Wäre es an der Zeit, entsprechen- ischen Union spielen? de Strukturen auf europäischer Ebene zu schaffen und wie könnten diese aussehen? Markus Ferber, MdEP: Ich bin der Mei- nung, dass der Bürger hier noch mehr Markus Ferber, MdEP: Es ist sehr zu be- eingebunden werden muss. Ich begrüße grüßen, dass es auf allen Ebenen im politi- diese Entwicklung, die im Vertrag von Lis- schen System feste Institutionen gibt, die sabon festgeschrieben ist. Demnach ist es sich mit bürgerschaftlichem Engagement seit 2009 jedem Bürger der EU möglich, beschäftigen. Die Interessen der ehren- Europäische Petitionen zu initiieren. Die- amtlich Tätigen haben gerade wir Ab- ses Instrument der Europäischen Bürger- geordneten im Europäischen Parlament initiative sollten wir weiter stärken. stets fest im Blick und setzen uns für gute europäische Rahmenbedingungen ein. Was wir brauchen ist ein bürgernahes Eu- ropa. Europäische Rechtsakte haben einen Bürgerschaftliches Engagement lebt aber großen Einfluss auf das Leben der Bürger gerade von der Nähe zu den Strukturen, in Europa. Angesichts dessen sollten die Institutionen und Menschen vor Ort. Des- Menschen in Europa einen möglichst gro- halb bin ich skeptisch, ob es auf europä- ßen Einfluss auf die europäischen Gesetz- ischer Ebene noch eine weitere Instanz gebungsprozesse erhalten. braucht, die dann sehr weit weg von den Bürgern wären. Der Ausschuss der Regio- BBE: Sollte das neugewählte EU-Parlament nen, der mit dem Vertrag von Maastricht die Rahmenbedingungen für das Engage- geschaffen wurde, könnte aber durchaus ment und die Beteiligung ihrer Bürgerin- zu einer solchen Einrichtung weiterentwi- nen und Bürger stärken und wenn ja wie? ckelt werden.

110 | BBE DOSSIER NR. 6 nterview mit Markus Ferber: Europawahl 2014

Das Interview wurde von Nino Kavelash- telstand im Europäischen Parlament. Seit vili, Koordinatorin der BBE-Europa-Nach- Beginn seiner Arbeit im Europäischen Par- richten, vorbereitet. lament ist er im Ausschuss für Verkehr und Fremdenverkehr (TRAN) aktiv. Er engagier- AUTOR te sich ebenso in den Ausschüssen für For- schung, Technologie und Energie, Haushalt Markus Ferber ist seit 1994 Mitglied und sowie Haushaltskontrolle. Dem Ausschuss 1999 Vorsitzender der CSU-Europagruppe für Wirtschaft und Währung (ECON) ge- im Europäischen Parlament. Zudem ist hört Markus Ferber seit 2009 an. Markus Ferber seit 2000 Landesvorsit- zender der Europa-Union Bayern und seit Weitere Informationen 2013 Sprecher des Parlamentskreises Mit- ü www.markus-ferber.de

BBE DOSSIER NR. 6 | 111 UDO BULLMANN, MDEP EUROPAS WEG AUS DER VERTRAUENSKRISE: DEMOKRATIE, ZIVILGESELLSCHAFT, ZUSAMMENHALT

Das europäische Projekt befindet sich in kenrettung aufgelegten Hilfspakete haben einer echten Vertrauenskrise. Die Ent- unvorstellbare Ausmaße angenommen. wicklungen der vergangen Jahre haben So haben Europas Staaten in Form von in der Wahrnehmung der Menschen aus Garantien und Direkthilfen 4.600 Milliar- dem Friedens- und Hoffnungsprojekt Eu- den Euro zur Rettung von Banken veran- ropa zunehmend eine Bedrohung werden schlagt. Dieser Betrag entspricht in etwa lassen. Viele fühlen sich regelrecht über- einem Drittel der EU-Wirtschaftskraft. rollt. Europa verliert bei den Menschen immer mehr an Akzeptanz. Die Folge dieser Bankenrettungspolitik: Ein massiver Anstieg der Staatsverschul- Dieser Vertrauensverlust besteht übrigens dung in Europa. Nur vor diesem Hinter- trotz der unbestrittenen Erfolge Europas. grund ist die Heftigkeit der Eurokrise zu Die Sicherung des Friedens, der Wegfall verstehen. Sie hat nach der groß ange- der Grenzen, die Schaffung einer gemein- legten Bankenrettung der Jahre 2008 und samen Währung oder die Vorteile des ge- 2009 die Menschen weiter verunsichert: meinsamen Binnenmarktes wären ohne In den Geberländern besteht die Angst, die Europäische Union (EU) undenkbar. unkalkulierbare Risiken einzugehen; in Trotz aller akuten Probleme, Herausforde- den Nehmerländern wird Europa nur noch rungen und Schwierigkeiten - wir haben als Sparkommissar wahrgenommen. Die heute ein Ausmaß an Freiheit, Wohlstand Spaltung unseres Kontinents nimmt da- und Frieden erreicht, wovon unsere Vor- durch zu und findet in der Entsolidarisie- fahren nicht einmal zu träumen gewagt rung von Europas Völkern ihren traurigs- hätten. Wie kann es sein, dass sich den- ten Ausdruck. noch immer mehr Menschen von Europa abwenden? Verantwortlich für diese Entwicklung ist auch das unzureichende Krisenmanage- Krise erschüttert Vertrauen der Menschen ment der EU-Staatenlenker. Zentrale Ent- scheidungen wurden im Hauruck-Verfah- Meine Meinung: Diese Frage kann nur be- ren über die Köpfe der Menschen hinweg antworten, wer einen genauen Blick auf getroffen. Öffentliche Debatten waren die Politik der EU-Staaten in den vergan- ebenso Fehlanzeige wie eine effektive de- genen Jahren wirft. Der Ausgangspunkt ist mokratische Kontrolle durch europäische dabei die Weltfinanzkrise 2007/2008. Sie oder nationale Volksvertreter. hat uns allen vor Augen geführt, dass es ein Weiter-So mit unserem Finanzsystem Die Konsequenz dieser Hinterzimmer-Poli- nicht geben darf. Die Reparaturkosten tik liegt auf der Hand. In der Krise hat Eu- dieser Krise waren enorm. Die zur Ban- ropa einen großen Teil seines wichtigsten

112 | BBE DOSSIER NR. 6 Bullmann: Europas Weg aus der Vertrauenskrise

Kapitals verspielt: Das Vertrauen der Bür- EU betreffen. Eine demokratische Erneu- gerinnen und Bürger. erung Europas kann vielmehr nur dann gelingen, wenn sich die Bürgerinnen und Europa demokratisieren Bürger – so denn sie es denn wollen - auch aktiv in die Gestaltung Europas einbringen Wie kann Europa verloren gegangenes können. Deshalb kommt der Schaffung Vertrauen zurückgewinnen? Ich glaube von Freiräumen für zivilgesellschaftliches hierzu ist allen voran eine grundlegende Engagement auf europäischer Ebene eine Demokratisierung des europäischen Pro- zentrale Rolle zu. Dies ist der zweite He- jekts notwendig. Meine feste Überzeu- bel, um den Menschen Mitbestimmung gung ist: Die Menschen werden sich erst bei Europas Gestaltung zu ermöglichen. dann wieder für Europa begeistern, wenn sie bei der politischen Gestaltung unseres Klar: Die Schaffung von derlei Freiräumen Kontinents klaren Durchblick gewinnen ist mit einer Reihe von Problemen verbun- und mehr mitentscheiden können. den. Es dürfte schwierig werden, den viel- fältigen Formen und auch Zielen zivilge- Um diese Mitbestimmung möglich zu ma- sellschaftlichen Engagements gerecht zu chen, müssen zwei Hebel in Bewegung ge- werden. So sind die Bedürfnisse von mit setzt werden. Zum einen muss es um eine Brüssel konfrontierten regionalen oder lo- stärkere Legitimation europäischer Politik kalen Initiativen sicherlich andere als die durch den Souverän gehen. Das kann nur Bedürfnisse von ohnehin europäisch agie- herbeigeführt werden, wenn in der EU das renden Nichtregierungsorganisationen. Zusammenspiel aus Europäischer Kommis- Kurzum: Einen Masterplan dürfte es nicht sion, Europäischem Parlament und den geben. Mitgliedstaaten demokratisiert wird. Das bedeutet für Europa insbesondere beste- Aber: Wir können in Europa in Sachen hende bürokratische Verkrustungen auf- Beteiligung der Zivilgesellschaft durchaus zubrechen. So muss die Europäische Kom- auf vorhandene Instrumente und Erfah- mission in absehbarer Zeit zu einer politi- rungen zurückgreifen. Denn entgegen der schen Regierung ausgebaut werden, die landläufigen Meinung sind die EU-Insti- vom Europäischen Parlament kontrolliert tutionen durchaus daran interessiert, die wird. Das Europäische Parlament als Volk- Praxis eigenen Regierens mit Engagement, shaus und der Ministerrat als Staatenhaus Ideen und Anregungen der Zivilgesell- sind zwei gleichberechtigte Gesetzge- schaft zu verknüpfen. bungskammern, in denen europäische He- rausforderungen auf transparente Weise Zivilgesellschaftliche Beteiligung in der EU entschieden werden müssen. Europapo- litik vollständig demokratisieren muss die Ein (im Übrigen bereits seit Längerem be- Devise lauten. Denn zwischenstaatliche stehendes) Beispiel für dieses Interesse Vereinbarungen auf bürokratischer Ebene dürfte der Europäische Wirtschafts- und können kein Ersatz für demokratische Ver- Sozialausschuss sein (EWSA). Er wurde antwortung sein. Die Euro-Rettungspolitik 1957 eingerichtet und ist ein beratendes ist hierfür ein trauriger Beleg. Organ der EU. Seine Kernaufgabe: Er kom- mentiert in einem rechtlich abgesteckten Aber: Mehr Demokratie und mehr Mit- Rahmen die EU-Gesetzgebung und bringt bestimmung für Europa darf nicht aus- zivilgesellschaftliche Perspektiven ein. Der schließlich das Institutionengefüge der EWSA sieht sich selbst in einer Brücken-

BBE DOSSIER NR. 6 | 113 Bullmann: Europas Weg aus der Vertrauenskrise funktion zwischen EU und Zivilgesellschaft. Denn: Zum einen scheint das Bürgerbe- Seine über 350 Mitglieder stammen zu je gehren bis auf weiteres formal gescheitert einem Drittel aus dem Arbeitnehmer- und zu sein. Die EU-Kommission hat ihre Nicht- Arbeitgeberbereich sowie aus verschie- Zuständigkeit erklärt. Sie könne keine ge- denen Interessengruppen (etwa Verbrau- setzlichen Verbote für Bestrebungen zur cherschutzorganisationen sowie Famili- Wasserprivatisierung verabschieden. Das enverbänden). Der Status des EWSA ist in schafft bei den tausenden von ehrenamt- den EU-Verträgen fest verankert. Das ver- lich Engagierten ebenso Enttäuschung wie schafft ihm Handlungsspielraum gegen- bei den Bürgerinnen und Bürgern, die die über den politischen Entscheidern. Doch Initiative mit ihrer Unterschrift unterstützt leider hat die EWSA-Konstruktion ein gro- haben. Sie fragen sich womöglich: Wozu ßes Manko: Die Mitglieder des Gremiums sich für ein Bürgerbegehren einsetzen, werden in einem intransparenten Verfah- wenn es doch keine Konsequenzen mit ren vom Rat nominiert. Eine Beteiligung sich bringt. des Parlaments erfolgt leider nicht. Aber auf der anderen Seite ist die Right- Der EWSA als Instrument bietet insbeson- 2Water-Initiative politisch ein voller Erfolg. dere der organisierten Zivilgesellschaft Sie konnte monatelang die europapoliti- eine Plattform. Das zeigt sich in seiner sche Agenda dominieren, hat unterschied- Mitgliedschaftsstruktur. Demgegenüber liche politische Strömungen unter einem dürfte das ebenfalls in den EU-Verträgen Dach vereint und war sicherlich einer der verankerte Europäische Bürgerbegehren zentralen Gründe, warum die zeitgleich sicherlich breitere Bevölkerungsschichten zum Begehren verabschiedete EU-Konzes- ansprechen. Und: Das Bürgerbegehren sionsrichtlinie nicht auf den Wassersektor ist sogar ein zivilgesellschaftliches Inst- angewandt wurde. Das zivilgesellschaft- rument, das gesetzgeberische Initiativen liche Engagement der Initiative hat inso- anstoßen kann. Es ist eine Aufforderung fern jenseits aller formalen Ergebnisse ihr an die Europäische Kommission, einen Ziel erreicht. Ich kann mir nicht vorstellen, Gesetzesvorschlag zu einem bestimmten dass Regierungen in Europa oder die Kom- Thema zu initiieren, sofern die Zuständig- mission sich in absehbarer Zeit animiert keit hierfür bei der EU liegt. Dabei muss fühlen, die Privatisierung der Wasserver- das Bürgerbegehren mindestens von ei- sorgung zu unterstützen. ner Million EU-Bürgerinnen und Bürger aus mindestens sieben der 28 Mitglied- Ich habe mit dem EWSA sowie dem Euro- staaten unterstützt werden. Welche poli- päischen Bürgerbegehren zwei Instrumen- tische Kraft in diesem Instrument steckt, te zur Förderung zivilgesellschaftlichen hat sich bei der Right2Water-Initiative Engagements im EU-Kontext herausge- gezeigt. Sie wurde gegründet, um ein EU- griffen und mit ihren Vor- und Nachteilen weites Gesetz gegen die Privatisierung skizziert. Man könnte jedoch diese kleine der Wasserwirtschaft zu initiieren. Bis Liste beliebig erweitern. Erwähnt sei hier auf den heutigen Tag hat die Initiative eu- die überaus lebendige Städtepartner- ropaweit zwei Millionen Unterschriften schaftsbewegung in Europa, ohne die der sammeln können. Integrationsprozess unseres Kontinents gar nicht denkbar wäre und die heute An der Right2Water-Initiative lassen sich noch einen Eckpfeiler europäischen Enga- die Stärken und Schwächen des Europäi- gements bildet. Oder man denke an die schen Bürgerbegehrens ganz gut ablesen. Online-Konsultationen der Europäischen

114 | BBE DOSSIER NR. 6 Bullmann: Europas Weg aus der Vertrauenskrise

Kommission, bei denen »einfache« Bür- Ich denke, dass wir die Beantwortung die- gerinnen und Bürger detaillierte Anregun- ser Frage zum neuen Projekt unseres Kon- gen oder Kritik zu laufenden Gesetzgebun- tinents machen sollten. Wir sollten Euro- gen hinterlegen können. Entscheidend für pa neuen Schwung verleihen, indem wir die Zukunft zivilgesellschaftlichen Engage- es stärker von den Menschen her denken ments in Europa wird jedoch aus meiner und als soziales Projekt gestalten. Denn Sicht etwas Anderes sein: Ein neuer Sinn Europas Werte wie Demokratie, Frieden, für Europa, ein neues Projekt. Freiheit oder Selbstbestimmung kommen nur dann für Alle zur vollständigen Ent- Schlüssel zum Erfolg: Ein gemeinsames faltung, wenn es uns gelingt, ein faires Projekt Miteinander für jede und jeden erfahrbar zu machen. Und welches Feld würde sich Eine Demokratisierung politischer Ent- für zivilgesellschaftliches Engagement auf scheidungsprozesse in der EU sowie der breiter Front besser eignen als das Eintre- Ausbau zivilgesellschaftlicher Beteiligung ten für Zusammenhalt? müssen meiner Erachtens die Grundlage für eine Erneuerung des europäischen Erschienen in den BBE Europa-Nachrichten Weges bilden. Die Stärkung von Demo- Nr. 3 vom 26.3.2014. kratie und Zivilgesellschaft muss zudem aus meiner Sicht mit einem inhaltlichen AUTOR Projekt verbunden werden. Denn Europa war in seiner Gesichte immer dann stark, Udo Bullmann, seit 1999 Mitglied des Eu- wenn es mit einem konkreten Projekt ropäischen Parlaments ist seit 2012 Vor- verbunden war. Dabei wurde die euro- sitzender der SPD-Europaabgeordneten. päische Integration von den Menschen Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt im zu unterschiedlichen Zeiten aus unter- Schnittfeld zwischen Wirtschafts-, Finanz- schiedlichen Motiven heraus politisch ge- markt- und Beschäftigungspolitik. Er ist seit tragen und gewollt. Deutsche oder Fran- 1999 Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft zosen verbanden mit Europa die Aussicht und Währung (ECON). Darüber hinaus ar- auf dauerhaften Frieden, Spanier oder beitet er als stellvertretendes Mitglied im Griechen die Hoffnung auf dauerhafte Ausschuss für Beschäftigung und soziale Demokratisierung, Polen oder Tschechen Angelegenheiten (EMPL). Zudem gehört die Sicherung dauerhafter Selbstbestim- Udo Bullmann der paritätischen parlamen- mung in einer Familie der Demokraten. tarischen Versammlung der EU mit den Auf eine Frage jedoch, die alle Europäer Staaten des afrikanischen, pazifischen und beschäftigt, ist Europa bisher die Ant- karibischen Raums, kurz AKP, an. wort schuldig geblieben: Wie können wir in der Europäischen Union gemeinsam Weitere Informationen mehr Gerechtigkeit schaffen? ü www.udo-bullmann.de

BBE DOSSIER NR. 6 | 115 REBECCA HARMS, MDEP EUROPAWAHL 2014, ENGAGEMENTPOLITIK UND ZIVILGESELLSCHAFT

Angefangen hat meine persönliche po- ohne eine enge Zusammenarbeit mit zi- litische Geschichte mitten in der zivilge- vilgesellschaftlichen Gruppen überhaupt sellschaftlichen Bewegung. Seit Ende der nicht möglich. Egal ob beim EU-weiten 70er Jahre bin ich aktiv in der Anti-Atom- Atomausstieg, im Engagement gegen das bewegung. Mein Herz hängt besonders geplante EU-USA-Freihandelsabkommen an der Bürgerinitiative gegen das atoma- oder beim Streit um eine ehrgeizige und re Endlager Gorleben bei mir zu Hause im nachhaltige Energie- und Klimapolitik – niedersächsischen Wendland. Dort liegen wir sind in ständigem Kontakt mit denen, meine Wurzeln. Erst nach langen Jahren die außerhalb von politischen Strukturen in der Bewegung bin ich 1994 zum ersten für unsere gemeinsamen Ziele kämpfen. Mal in ein Parlament, damals in den nie- dersächsischen Landtag, gewählt worden. Dass dieses Zusammenspiel funktioniert, zeigen Erfolge aus den vergangenen fünf Dort habe ich auch erfahren, dass dieses Jahren: Erst durch die massiven Protes- Engagement Politik verändern und Erfolg te, die in Polen begannen und sich über haben kann. Der Ausstieg aus der Atom- mehrere EU-Mitgliedsländer verbreite- kraft in Deutschland ist sicherlich den Ka- ten, stieg im Europäischen Parlament tastrophen in Tschernobyl und Fukushima 2011/2012 die Aufmerksamkeit für und geschuldet, aber er ist auch ein Verdienst die Skepsis gegen das multilaterale Anti- all derer, die jahrzehntelang auf die Gefah- Piraterie-Abkommen ACTA, das die Frei- ren dieser Technologie hingewiesen und heit der Internet-Nutzer erheblich einge- für den Ausstieg gekämpft haben. Auch schränkt hätte. Ohne den Druck aus der wir Grüne konnten immer dann wirklich Bevölkerung wäre das Abkommen ver- erfolgreich Veränderungen vorantreiben, mutlich im EU-Parlament durchgewunken wenn sie von gesellschaftlichen Mehrhei- worden. Wir Grüne haben die Argumente ten getragen wurden oder zumindest eine aus der Bewegung ins Parlament getragen gesellschaftliche Unterstützung genossen, und uns sehr über die deutliche Ableh- die weit über das grüne Wählerpotenzial nung über die Fraktionen hinweg gefreut. hinaus gingen. Dafür ist der Atomausstieg Es war das erste Mal, das sich das Europä- ein Beispiel, aber auch der Widerstand ische Parlament überhaupt gegen ein be- gegen genveränderte Lebensmittel in der reits verhandeltes und von der Mehrheit EU. der EU-Mitgliedsstaaten zunächst gewoll- tes Abkommen ausgesprochen hat. Bis heute sind mir meine Verbindungen in die Zivilgesellschaft wichtig und für meine Ein weiteres gutes Beispiel für den Ein- Arbeit in Brüssel unersetzlich. Das Geset- fluss der Zivilgesellschaft ist die europä- ze-Machen auf europäischer Ebene wäre ische Bürgerinitiative gegen die von der

116 | BBE DOSSIER NR. 6 Harms: Europawahl 2014, Engagementpolitik und Zivilgesellschaft

EU-Kommission geplante Privatisierung Gleichzeitig wächst in der Zivilgesellschaft der Wasserversorgung aus dem vergange- der Widerstand gegen ein solches Abkom- nen Jahr. Knapp zwei Millionen Menschen men. Es wurden bereits Millionen Unter- aus mehreren EU-Ländern haben gegen schriften dagegen gesammelt. Und dieser die Pläne der Brüsseler Behörde mit ih- Protest zeigt erste Wirkung. Die umstrit- rer Unterschrift protestiert und damit die tenen Schiedsgerichte, die Unternehmen Richtlinie in ihrer Ursprungsform zunächst die Möglichkeit gegeben hätten, gegen gestoppt. Die Europäische Bürgerinitiative europäische Gesetze zu klagen und sie gibt es erst seit dem Vertrag von Lissabon gegebenenfalls auszuhebeln, sind vorerst und bietet Bürgerinnen und Bürgern eine aus den Verhandlungen gestrichen wor- direkte Möglichkeit zur Einflussnahme: den. Und auch sonst scheinen die Ver- Bringen mindestens eine Million Men- handlungsführer der Europäischen Union schen aus wenigstens sieben EU-Ländern rund um den Handelskommissar Karel de ein Anliegen vor, ist die EU-Kommission ge- Gucht vorsichtiger geworden zu sein. Die zwungen, sich damit auch zu beschäftigen. bedingungslose Euphorie, die noch vor einigen Monaten geherrscht hat, scheint Trotzdem: Wir brauchen noch mehr verflogen. Möglichkeiten für direkte Bürgerbetei- ligung am politischen Prozess in der Eu- Wir müssen weiterhin den Prozess genau ropäischen Union. Die Bürgerinitiative beobachten – im EU-Parlament, aber eben ist sicherlich ein Schritt in die richtige auch in der Zivilgesellschaft, um zu verhin- Richtung. Wir müssen nun dafür sorgen, dern, dass unsere europäischen Errungen- dass die Europäische Kommission solche schaften einfach wegverhandelt werden. Initiativen auch ernst nimmt und nicht – Das geht nur gemeinsam. wie jetzt beim Wasser – versucht, die von den Bürgerinnen und Bürgern geforderten Ohne das Engagement der Bürgerinnen Gesetzesänderungen auf die lange Bank und Bürger wäre die Europäische Union zu schieben. Die Bürgerinitiative sollte ein leeres politisches Konstrukt. Gerade außerdem weiter entwickelt werden, so- jetzt in der Krise haben viele Menschen dass Bürgerinnen und Bürger zu wichtigen das Vertrauen in die europäischen Institu- Entscheidungen auf europäischer Ebene tionen verloren. Auch ich spüre in meiner direkt und strukturiert mitreden können. Arbeit den Graben zwischen uns Politikern in Brüssel und den Bürgerinnen und Bür- Wir werden in den kommenden Monaten gern in den Mitgliedsländern. sehen, wie sich die Verhandlungen über das geplante Freihandelsabkommen zwi- Die europäische Idee kann aber nur er- schen der EU und den USA entwickeln. folgreich sein, wenn sie gelebt wird. Wir Grüne standen dem Abkommen von Anfang an skeptisch gegenüber und ha- Deshalb ist es eine der wichtigsten Aufga- ben in und außerhalb des Parlaments da- ben von uns EU-Politikern, den Austausch vor gewarnt, dass solch ein Abkommen zwischen den Ländern und das Engage- unsere guten Standards etwas im Um- ment für Europa zu fördern. welt- und Verbraucherschutz schwächen wird. Auf unserer Bundesdelegierten- Leider sieht der europäische Haushalt an- konferenz Anfang Februar haben wir uns ders aus. In ihrer Sparwut haben die 28 dann mit einer großen Mehrheit für den Staats- und Regierungschefs auch dort Stopp der Verhandlungen ausgesprochen. gekürzt, wo Europa lebendig wird – zum

BBE DOSSIER NR. 6 | 117 Harms: Europawahl 2014, Engagementpolitik und Zivilgesellschaft

Beispiel beim EU-Programm »Europa für der Europäischen Union haben sie Zulauf Bürgerinnen und Bürger«. – nicht zuletzt auch, weil viele Menschen von den traditionellen Parteien in der Krise Wir Grüne wollen bei der Überprüfung enttäuscht worden sind. Dieses Vertrauen des Haushalts in zwei Jahren dafür sorgen, zurück zu gewinnen, ist die Aufgabe von dass das Programm so ausgebaut wird, uns Politikern. dass Städtepartnerschaften, Jugendaus- tausch, grenzüberschreitende Europaregi- Gleichzeitig können wir Rechtspopulis- onen und andere Projekte ausreichend ge- mus und in einigen Ländern auch Rechts- fördert werden können. Wir wünschen uns extremismus nur mit Unterstützung der außerdem ein »Europäisches Jahr für alle«, Zivilgesellschaft begegnen. Mehr als das um die Zivilgesellschaft in der EU zusätzlich Verbot einer Partei bewirkt die Förderung zu stärken. Ähnlich wie dem freiwilligen so- von Projekten, die Präventionsarbeit leis- zialen Jahr in Deutschland soll es Freiwilli- ten oder Aussteigerinnen und Aussteigern gen jeden Alters offen sein, von zivilgesell- eine Chance für einen Neuanfang bieten. schaftlichen Organisationen getragen und Dafür müssen auch zukünftig ausreichend mit öffentlichen Mitteln grundfinanziert Fördermittel zur Verfügung stehen. Dafür werden. Durch solche Programme kann werden wir Grüne uns in der nächsten Le- eine europäische Bürgergesellschaft ent- gislaturperiode weiter einsetzen. stehen, die wir dringend brauchen. Bürgerbeteiligung und zivilgesellschaftli- Besonders wichtig dabei ist der Austausch ches Engagement sind der Nährboden für zwischen jungen Menschen. Für Aus- die europäische Idee. Immer wieder wa- tauschprogramme, Training zu sozialen ren es die Menschen, die die europäische und demokratischen Rechten sowie für Einigung vorangetrieben haben – wie zu- europäische Freiwilligen- und zivilgesell- letzt 1989 mit den friedlichen Protesten, schaftliche Aktivitäten muss genug Geld die zum Fall der Mauer und schließlich im EU-Haushalt da sein. Wir wollen auch auch zur EU-Ost-Erweiterung geführt ha- hier den Kontakt zwischen der Politik in ben. Den zehnjährigen Geburtstag dieser Brüssel und den jungen Leuten zu Hause Erfolgsgeschichte können wir in diesem stärken. Wir wollen eine strukturierte Ein- Jahr am 1. Mai feiern. bindung von Jugendorganisationen im eu- ropäischen Politikprozess. Die vielen mutigen Menschen in Kiew und überall sonst in der Ukraine haben uns ge- Ein erster Schritt in diese Richtung ist der rade wieder vor Augen geführt, wie stark geplante Jugendkonvent Anfang Mai in Bürgerbewegung sein kann: Engagierte, Straßburg, bei dem junge Menschen Vor- mutige Menschen haben sich monatelang schläge über die Zukunft Europas erarbei- auf dem Maidan für unsere gemeinsamen ten, die dann in den europäischen Kon- europäischen Werte eingesetzt – trotz vent einfließen sollten. Auch an diesem Kälte, trotz Angriffen durch Polizei und Konvent sollten direkt junge Menschen Schlägertrupps, die einige mit ihrem Le- teilnehmen können. ben bezahlen mussten.

Bei der anstehenden Europawahl wird Auch wenn der Konflikt noch nicht gelöst, eine große Herausforderung sein, den eu- die Ukraine den Weg zu einem demokrati- ropaskeptischen und rechtspopulistischen schen Rechtsstaat noch nicht zu Ende ge- Parteien zu begegnen. In vielen Ländern gangenen ist; ist der Euromaidan die wohl

118 | BBE DOSSIER NR. 6 Harms: Europawahl 2014, Engagementpolitik und Zivilgesellschaft größte und stärkte Bürgerbewegung seit vertretendes Mitglied im Ausschuss für 1989. Sie steht für Freiheit und Demokra- Industrie, Forschung und Energie, im Aus- tie. Für diese Werte lohnt es sich weiterhin schuss für Umweltfragen, Volksgesund- zu kämpfen – im Europäischen Parlament heit und Lebensmittelsicherheit und im und überall in der Europäischen Union. Ausschuss für Fischerei. Die Themen, mit denen sie sich beschäftigt, sind Energie- Erschienen in den BBE Europa-Nachrichten politik, -forschung, Atompolitik, Klima- Nr. 3 vom 26.3.2014. schutz, Umwelt- und Verbraucherschutz, Lebensmittelsicherheit und Fischereipoli- AUTORIN tik. Zudem ist sie Mitglied der Delegation im Parlamentarischen Kooperationsaus- Rebecca Harms ist seit 2009 Vorsitzende schuss EU-Ukraine. der Fraktion die Grünen/EFA im Europäi- schen Parlament und damit Mitglied der Weitere Informationen Konferenz der Präsidenten. Sie ist stell- ü www.rebecca-harms.de

BBE DOSSIER NR. 6 | 119 GABI ZIMMER, MDEP EUROPAWAHL 2014, ENGAGEMENTPOLITIK UND ZIVILGESELLSCHAFT

Ehrenamtlich aus der Krise? Beobachtun- die Tafel-Bewegung, die Menschen in Not gen in Griechenland und Deutschland mit Lebensmitteln versorgt, ein rasantes Wachstum zu verzeichnen. Die Leistungen, Im Februar 2014 habe ich die griechische welche hier ehrenamtlich erbracht wer- Hauptstadt Athen besucht. Wegen der den, können gar nicht hoch genug gelobt Spar-Maßnahmen zur Bankenrettung ist werden. Leider ist der Erfolg der Tafeln nur das öffentliche Gesundheitssystem Grie- deshalb so groß, weil für viele Menschen chenlands kollabiert. Was die griechische ein menschenwürdiges Leben auf Grund- Gesellschaft in der Krise zusammenhält, ist lage des bestehenden sozialen Sicherungs- das unermessliche gesellschaftliche Enga- niveaus nicht mehr möglich ist. Als Euro- gement, welches die Menschen in diesen paabgeordnete der LINKEN setze ich mich Tagen zeigen. Es werden nicht nur Essen- vehement dafür ein, dass in Zukunft sozia- sausgaben, vielfältige Nachbarschaftshil- le Grundrechte wieder staatlich garantiert fen oder juristische Unterstützung gegen werden. Ich wünsche mir ein ehrenamtli- Zwangsräumungen selbst organisiert. ches Engagement, welches die Kräfte auf Auch die medizinische Infrastruktur wird andere Bereiche des solidarischen Zusam- inzwischen großen Teils ehrenamtlich auf- menlebens richten kann, weil die soziale rechterhalten. Ich habe in einem von der Grundversorgung gewährleistet ist. Regierung geschlossenen Gesundheitszen- trum mit ÄrztInnen und HelferInnen ge- Elitenprojekt oder res publica? Die Bedeu- sprochen. Sie arbeiten dort ohne Bezah- tung der Zivilgesellschaft für die EU lung weiter. Das Zentrum ist für einen Einzugsbereich von 100.000 Menschen Demokratie ist ohne zivilgesellschaftliches zuständig. Medizinisches Material kommt Engagement nicht denkbar. Es ist eines jetzt aus Geld und Sachspenden von Bür- der Kennzeichen offener, demokratischer gerInnen aus ganz Europa. Wo die Politik Gesellschaften, BürgerInnen in vielfäl- der EU und der griechischen Regierung tigster Art selbstorganisiert und solida- versagt hat, zeigen die Menschen mit ih- risch in Aktion zu sehen. Wie das Beispiel rem direkten Engagement, was echte Soli- der Krise in Griechenland zeigt, macht darität ist. Gleichzeitig verdeutlicht dieser das Engagement nicht an den nationalen Zustand eine beunruhigende Entwicklung. Grenzen halt. Die grenzüberschreitende Kernaufgaben des Staates, wie die Garan- Zivilgesellschaft ist auch ein Gradmesser tie eines menschenwürdigen Existenzmini- dafür, wie es um die Entwicklung der De- mums und einer angemessenen Gesund- mokratie in der EU bestellt ist. Diese Form heitsversorgung, werden dem freiwilligen der EU-Integration ist für DIE LINKE in der Engagement der BürgerInnen überlassen. Bundesrepublik und die Europäische Linke In der Bundesrepublik Deutschland hat von ganz besonderer Bedeutung. Wenn

120 | BBE DOSSIER NR. 6 Zimmer: Europawahl 2014, Engagementpolitik und Zivilgesellschaft die EU von einem Elitenprojekt zur res ischen Zusammenlebens vorzuschlagen. In publica werden soll, muss ein vielfältig der ganzen EU haben über eine Millionen ausgestaltetes zivilgesellschaftliches En- Menschen die Bürgerinitiative »Right2Wa- gagement der Ausgangspunkt dafür sein. ter« gegen die Privatisierung der Wasser- Es ist unsere Aufgabe als Abgeordnete des versorgung unterschrieben. Es handelt Europäischen Parlaments, diese gesell- sich um die erste erfolgreiche Europäische schaftlichen Impulse aufzugreifen und als Bürgerinitiative (EBI) seit ihrer Einführung Politik der Teilhabe, des Austauschs und durch den Vertrag von Lissabon. Der grenz- der Transparenz umzusetzen. überschreitende Generalstreik in Spanien und Portugal im November 2012, begleitet Zivilgesellschaftliches Engagement kann von Solidaritätsaktionen in ganz Europa, die unterschiedlichsten Formen anneh- war ein Signal dafür, dass die Beschäftigten men. Ein Teil ist traditionell gut organisiert, in den Krisenländern bereit sind, gemein- vor allem in den nordwestlichen Mitglieds- sam für eine soziale EU einzustehen. Und ländern der EU. Die ehrenamtliche Arbeit die EU-weiten Proteste des Jahres 2012 ge- in Gewerkschaften, Parteien, Kirchen, dem gen das Anti-Produktpiraterie-Abkommen Technischen Hilfswerk, Sportvereinen, frei- ACTA haben am Ende tatsächlich Erfolg ge- willigen Feuerwehren oder Umweltverbän- habt – die EU-Kommission hat ihren Richt- den ist zur wichtigen Säule unseres gesell- linien-Vorschlag zurückgezogen. All diese schaftlichen Zusammenlebens geworden. Beispiele zeigen, dass sich die europäische Aber es gibt auch neue Formen des Enga- Zivilgesellschaft weiterentwickelt. Dazu gements. Viele Menschen sind nicht mehr kommen Initiativen auf nationaler Ebene, Mitglied in einem Verein oder einer Partei. die wichtige Auswirkungen auf die Demo- Dennoch bringen sie sich engagiert in die kratie in der EU haben. Die erfolgreiche Kla- Zivilgesellschaft ein. Nicht nur die Grenzen ge von Mehr Demokratie e.V. und anderen der Nationalstaaten werden dabei immer gegen die Drei-Prozent-Hürde bei den EU- häufiger überschritten, sondern auch die Wahlen führt dazu, dass nicht mehr – wie Grenzen der EU. Auch Proteste gegen die zuletzt bei der Bundestagswahl – Millionen vorherrschende EU-Politik gehören dazu. Stimmen der WählerInnen unter den Tisch Hier spielen die vielen Möglichkeiten der fallen. Bürgerschaftliches Engagement Vernetzung und des Austausches über das geht natürlich auch über die Grenzen der Internet eine wichtige Rolle. Zum Beispiel EU hinaus. Beim Weltsozialforum 2013 in haben Menschen aus ganz Europa wieder- Tunis habe ich mit jungen Aktivisten aus holt die Nazi-Aufmärsche zum Jahrestag Tunesien gesprochen. Nach dem Ende der der Bombardierung Dresdens während des Diktatur suchen sie Partner aus der EU, um Zweiten Weltkriegs blockiert. Anti-rassisti- parteiübergreifend demokratisches Grund- sche Initiativen aus Griechenland beraten wissen in der Zivilgesellschaft zu verankern. sich heute mit PartnerInnen aus Thüringen In Syrien versucht das Projekt »Adopt a Re- und Sachsen darüber, wie dem Erstarken volution« mit europäischer Hilfe die letzten der Neo-Nazis im öffentlichen Raum ent- Bastionen der demokratisch gesinnten Zi- gegen getreten werden kann. In Frankfurt vilgesellschaft zu retten, die im Bürgerkrieg kommen in der Woche vor der Europawahl zwischen Assads Militär auf der einen und im Mai wieder junge Menschen zusammen, den Islamisten auf der anderen Seite aufge- um als »Blockupy«-Bündnis unter dem rieben werden. Und wichtig ist der öffent- Motto »Grenzenlos solidarisch – für eine liche Druck den die vielen Initiativen erzeu- Demokratie von unten!« zu protestieren, gen, die sich EU-weit für eine menschliche zu diskutieren und neue Wege des europä- Asylpolitik einsetzen. Nur mit dem öffent-

BBE DOSSIER NR. 6 | 121 Zimmer: Europawahl 2014, Engagementpolitik und Zivilgesellschaft lichen Druck dieser Initiativen wird es uns diese Entwicklung noch stärker fördern möglich sein, die Einwanderungs- und Asyl- und nicht behindern. Politik in der EU zu humanisieren und den tausendfachen Tod an den EU-Außengren- Die direkte Teilhabe der BürgerInnen an zen zu beenden. der europäischen Gesetzgebung sollte ins- gesamt verbessert werden: Die WählerIn- Zeit für Solidarität! LINKE Forderungen zur nen müssen das Recht erhalten, über euro- Europawahl 2014 päische Bürgerentscheide direkten Einfluss zu nehmen. Obligatorisch sollten Volksent- Die Politik auf nationaler und auf europäi- scheide über EU-Grundlagenverträge und scher Ebene hat verschiedene Möglichkei- eine zukünftig mögliche EU-Verfassung ten, zivilgesellschaftliches Engagement zu werden. DIE LINKE hat die europäische unterstützen. Die Tätigkeit in einem Ehren- Bürgerinitiative gegen die Privatisierung amt trägt nicht nur zum gesellschaftlichen des Wassers unterstützt. Wir unterstüt- Zusammenleben bei, sondern hilft auch zen weiterhin aktiv parlamentarische und dem oder der Aktiven, die eigenen Fähig- außerparlamentarische Initiativen zur Re- keiten und die eigene Persönlichkeit weiter Kommunalisierung von Unternehmen der zu entwickeln. Dafür braucht es neben dem öffentlichen Daseinsvorsorge. Wie sind Mut und der Bereitschaft, aktiv zu werden, deshalb auch Teil der Initiativen gegen das vor allem Zeit. DIE LINKE setzt sich deshalb Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP). für ein neues Beschäftigungsleitbild für die EU ein: Gute Arbeit. Sie sollte unbefristet Wir wollen auch, dass Lehrende und Ler- und armutsfest sein und ein eigenständiges nende sich über die Landesgrenzen hin- Leben ermöglichen. Gute Arbeit lässt Raum weg austauschen. Damit sich nicht nur für volle gesellschaftliche Teilhabe, Bildung, Jugendliche aus finanzstarken Elternhäu- Kultur, Muße – und ehrenamtliches Enga- sern während der Ausbildung einen Aus- gement für jede und jeden. Jugendfreiwil- landsaufenthalt leisten können, müssen ligendienste, um jungen Menschen Erfah- die Förderprogramme der EU ausgebaut rungen im Ausland zu ermöglichen, sollten und gerade für finanziell Schwächere at- stärker unterstützt werden und junge Men- traktiver gemacht werden (Erasmus for schen aus allen gesellschaftlichen Schich- All/YES Europe 2014–2020, das Comenius- ten gezielt ansprechen. Die Förderung eu- Programm für Schulaustausch sowie für ropaweiter Programme für Fanprojekte, den berufsbildenden Austausch im Rah- Projekte gegen Rassismus, Initiativen gegen men des Leonardo-da-Vinci-Programms, Diskriminierung im Sport sowie kulturelle Kreatives Europa 2014–2020, Europa der Projekte für Vielfalt und Toleranz sollten Bürgerinnen und Bürger 2014–2020). Die- ausgebaut werden. Zivilgesellschaftliches se Programme müssen stärker für Interes- Engagement muss dabei grundsätzlich vor sierte mit Behinderungen und andere be- Missbrauch bewahrt werden, etwa als Lü- nachteiligte Gruppen ausgelegt werden. ckenbüßer für Sozialabbau oder für den Ausbau des Niedriglohnsektors. Erschienen in den BBE Europa-Nachrichten Nr. 3 vom 26.3.2014. Wir setzen uns im Europäischen Parla- ment dafür ein, dass sich Gewerkschaften, AUTOR Sozialverbände, gesellschaftliche Initiati- ven und soziale Bewegungen europaweit Gabi Zimmer, Vorsitzende der Konföde- organisieren können. Die EU-Politik sollte ralen Fraktion der Vereinten Europäi-

122 | BBE DOSSIER NR. 6 Zimmer: Europawahl 2014, Engagementpolitik und Zivilgesellschaft schen Linken/Nordische Grüne, ist seit Angelegenheiten. Ihre Arbeitsschwer- 2004 Mitglied des Europäischen Parla- punkte liegen auf Beschäftigungspolitik, ments. Sie ist Mitglied in der Delegation Gleichstellungspolitik und Entwicklungs- in der Paritätischen Parlamentarischen politik. Versammlung AKP-EU. Zudem ist Gabi Zimmer stellvertretendes Mitglied im Weitere Informationen Ausschuss für Beschäftigung und soziale ü http://www.gabizimmer.eu/

BBE DOSSIER NR. 6 | 123 ANDREAS MÖLZER, MDEP AMBIVALENTES VERHÄLTNIS ZU BÜRGERLICHEM ENGAGEMENT DIE EUROPÄISCHE UNION UNTERSTÜTZT ZIVILGESELLSCHAFTLICHE EINRICHTUN- GEN NUR BEI POLITISCHEM WOHLVERHALTEN

In Sonntagsreden weisen Spitzenvertre- Wo die Tätigkeit der zahlreichen zivilge- ter der Europäischen Union wiederholt sellschaftlichen Organisationen nämlich auf die Bedeutung der Zivilgesellschaft nicht erwünscht ist, wird versucht, Enga- hin. Auch ist in Art. 11 Absatz 2 des Ver- gement der Bürger bereits im Keim zu er- trags über die Europäische Union zu le- sticken. Als Paradebeispiel kann hier die sen: »Die Organe (der Union, Anm.) pfle- »Europäische Bürgerinitiative« gelten, die gen einen offenen, transparenten und den Unionsbürgern seit 1. April 2012 zur regelmäßigen Dialog mit den repräsen- Verfügung steht und die – völlig zu Un- tativen Verbänden und der Zivilgesell- recht – als »Instrument der direkten De- schaft.« Ähnliche Bestimmungen finden mokratie« gelobt wird. sich im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, und in der Aufforde- Zivilgesellschaftliches Engagement ist rung zur Einreichung von Vorschlägen für nicht immer erwünscht das Programm Erasmus+ (Amtsblatt Nr. C 026 vom 29/01/2014 S. 0006 – 0012) Nach den gesetzlichen Vorschriften kann heißt es unter anderem: »Die Zusammen- die Europäische Kommission durch Unter- arbeit mit Organisationen der Zivilgesell- stützungserklärungen von mindestens ei- schaft in den Bereichen allgemeine und ner Million Unionsbürger aus mindestens berufliche Bildung und Jugend ist wichtig einem Viertel der Mitgliedstaaten (derzeit zur Sensibilisierung für die Strategie für sieben) aufgefordert werden, einen Rechts- Wachstum und Beschäftigung ›Europa akt zu einem Thema vorzuschlagen, der 2020‹«. nach Ansicht der Initiatoren einer Regelung bedarf. Dabei darf der Inhalt der Bürgerin- Glaubt man der Europäischen Union, dann itiative unter anderem nicht »mißbräuch- sind zivilgesellschaftliche Organisationen lich, unseriös oder schikanös« sein, was bzw. das Engagement der Bürger von ent- breiten Raum für Interpretationen läßt. scheidender Bedeutung. Gewiß, wenn es um fachliche Expertise geht, greifen Or- Wurde der Inhalt der Bürgerinitiative von gane und Einrichtungen der Europäischen der Kommission für zulässig erklärt und Union gerne auf Nichtregierungsorganisa- fand die Registrierung statt, können die tionen zurück. Daraus aber zu schließen, Initiatoren mit der Sammlung der Unter- zivilgesellschaftliches Engagement wäre schriften beginnen, wofür eine Zeit von der Europäischen Union ein wirkliches An- zwölf Monaten eingeräumt ist. Damit liegen, ist hingegen ein Trugschluß. Viel- die Unterstützungserklärungen aus dem mehr soll das bestehende Demokratie- Viertel der Mitgliedstaaten mitgezählt defizit übertüncht bzw. eine Bürgernähe werden, muß in dem jeweiligen Mitglied- vorgegaukelt werden. staat eine Mindestanzahl von gültigen Un-

124 | BBE DOSSIER NR. 6 Mölzer: Ambivalentes Verhältnis zu bürgerlichem Engagement terschriften erreicht werden, die in etwa schaft, deren Bedeutung sie in verschie- dem 750-fachen der Anzahl der Mitglie- denen Dokumenten lobt, im Zweifelsfall der des Europäischen Parlamentes dieses nichts dreinreden lassen will. Staates beträgt. Aufgrund des gewaltigen, staatenübergreifenden Aufwands werden Förderung der Zivilgesellschaft als »soft Europäische Bürgerinitiativen, wie die power« der Europäischen Union bisherige Praxis zeigt, ausschließlich von Nichtregierungsorganisationen getragen. Mehr Wertschätzung bringt die Europä- ische Union zivilgesellschaftlichen Grup- Und selbst dann, wenn alle Voraussetzun- pierungen hingegen im Bereich der Au- gen erfüllt sind und eine Million Unter- ßenpolitik entgegen. Hier werden – nach stützungserklärungen in zumindest einem US-amerikanischem Vorbild und oftmals Viertel der Mitgliedstaaten gesammelt in enger Abstimmung mit den Vereinigten sind, besteht kein Anspruch auf ein Tätig- Staaten – Förderung und Unterstützung werden der Kommission. Denn diese hat, zivilgesellschaftlicher Organisationen als wie Maros Sefcovic, Kommissar für insti- »soft power«, also als »weiche Macht«, tutionelle Beziehungen freimütig bekann- eingesetzt, mit dem Ziel, in Drittstaaten, te, drei Möglichkeiten: »Entweder wir insbesondere in Osteuropa, politische folgen der Initiative, wir machen Änderun- Veränderungen herbeizuführen. gen bei unseren Texten oder wir machen gar nichts.« Die dritte Möglichkeit wird die Ein Beispiel für derlei Aktivitäten ist das wahrscheinlichste sein, weil sie mit keiner- »European Endowment for Democracy« lei Aufwand verbunden ist. (Europäische Demokratiestiftung – EED), das im Sommer 2013 seine Tätigkeit auf- Die bisherigen Erfahrungen mit dem Inst- genommen hat. In Art. 3 der EED-Satzung rument der Europäischen Bürgerinitiative wird zu den Aktivitäten der Stiftung die zeigen, daß die in sie gesetzten Erwartun- »finanzielle Unterstützung von Aktivitäten gen nicht einmal ansatzweise erfüllt wer- der Organisationen und Institutionen der den konnten. Viele Initiatoren beklagen Zivilgesellschaft wie politische Stiftungen bürokratische und technische Behinderun- oder Netzwerke von Stiftungen, deren gen sowie hohe oder allzu hohe Kosten. So Ziele im Einklang mit Art. 2 (Demokratie- schrieb dem Verfasser dieser Zeilen bei- förderung, Anm.) sind« gezählt. spielsweise der Sprecher der österreichi- schen Umweltschutzorganisation GLOBAL Überhaupt kann die Europäische Union 2000, daß man nun ein Jahr nach dem Start auf eine lange Erfahrung der Demokratie- der Vorbereitungen der Bürgerinitiative förderung in den ehemals kommunistischen »Meine Stimme gegen Atomkraft« die Be- Ländern Europas mittels Unterstützung zi- mühungen wegen ungenügender Rahmen- vilgesellschaftlicher Akteure zurückblicken. bedingungen wieder einstellt. Statt einen Geschehen ist dies in Form der Programme einfachen Zugang zu ermöglichen, werden PHARE und TACIS. Wie aus einem PHARE- von Seiten der Kommission bürokratische, Überprüfungsbericht der EU aus dem Jahre technische und kostenintensive Hürden 1998 hervorgeht, standen dabei die »Stär- aufgestellt, heißt es in diesem Schreiben. kung des Aufbaus der Kapazitäten der Nicht- regierungsorganisationen, insbesondere der Der Schluß, der aus der Europäischen Bür- Aufbau von Beziehungen innerhalb des Sek- gerinitiative zu ziehen ist, ist der, daß sich tors und mit anderen Akteuren wie zentrale die EU-Kommission von der Zivilgesell- und lokale Regierung, die Förderung strate-

BBE DOSSIER NR. 6 | 125 Mölzer: Ambivalentes Verhältnis zu bürgerlichem Engagement gischen Denkens und einer Teilnahme des schaftlichem Engagement von der Frage NGO-Sektors« im Mittelpunkt. Insgesamt politischem Wohlverhaltens abhängig zu wurden laut dem Überprüfungsbericht machen. Dies ist nicht nur undemokra- zwischen 1992 und 1997 insgesamt 157,7 tisch, sondern kann allzuleicht auch dazu Millionen ECU für die »Entwicklung der Zi- führen, daß Bürgerbeteiligung in den Au- vilgesellschaft« bereitgestellt. gen vieler diskreditiert wird.

Die aufgezeigten Beispiele zeigen, daß die Erschienen in den BBE Europa-Nachrichten Europäische Union ein sehr ambivalentes Nr. 3 vom 26.3.2014. Verhältnis gegenüber zivilgesellschaftli- chem Engagement hat. Dieses wird – je AUTOR nachdem, ob die Ziele den Zielsetzungen des politischen Establishments entspricht Andreas Mölzer, Freiheitliche Partei Öster- oder nicht – entweder gefördert oder be- reichs, ist seit 20. Juli 2004 Mitglied des hindert. Letzteres trifft in besonderem Europäischen Parlaments. Er ist Mitglied Maße auf EU-kritisches Engagement von des Ausschusses für auswärtige Angele- Bürgern zu. So wäre mit an Sicherheit eine genheiten und der Delegation im Aus- Europäische Bürgerinitiative, welche etwa schuss für parlamentarische Kooperation die Rückverlagerung von Kompetenzen an EU-Ukraine. Zudem ist er seit 1997 Chef- die Mitgliedstaaten verlangt, nicht möglich. redakteur der Wochenzeitung »Zur Zeit«.

Allerdings ist es ein schwerer Fehler, die Weitere Informationen Unterstützungswürdigkeit von zivilgesell- ü www.andreas-moelzer.at

126 | BBE DOSSIER NR. 6 MAG. EWALD STADLER, MDEP WEHRT EUCH! DIE ZIVILGESELLSCHAFT ALS ABWEHRKRAFT GEGEN BLINDE BÜROKRATIE

Im Kontext von Europawahlen und zivilge- die Erforschung der adulten Stammzellen sellschaftlichem Engagement sind vor al- ethisch sauber und therapeutisch hilfreich lem die Europäischen Bürgerinitiativen zu ist, hat die öffentliche Hand, geleitet von nennen: Im Jahr 2013 waren das die Initia- Lobby-Interessen, weiterhin Geld in die tiven »Recht auf Wasser« und »Einer von skandalösen und vor allem rechtswidrigen uns«. Interessanterweise sind beide Bür- Projekte der Forschung an Embryonen ge- gerinitiativen aus einer Abwehrhaltung ge- steckt: Im Urteil ‚Greenpeace gegen Brüst- gen bestimmte EU-Vorhaben entstanden. le‘ (Geschäftszahl C-34/10) stellte der Eu- ropäische Gerichtshof unmissverständlich Die Forderung nach einem Grundrecht auf klar, dass eine Patentierung embryonaler Wasser war die Antwort auf die Vorgaben Stammzell-Linien gegen die Menschen- der Troika, im Zuge der Sparmaßnahmen würde verstößt. in Griechenland und Portugal Teile der öffentlichen Wasserversorgung zu privati- Die Unterzeichner von »Einer von uns« sieren. Außerdem sorgten die neuen Aus- fordern nicht mehr und nicht weniger, schreibungsregeln der Konzessionsrichtli- als dass sich die EU-Kommission an ihre nie im Bereich der Wasserversorgung für eigenen Spielregeln, an die europäische berechtigte Kritik. Denn eine Ausschrei- Rechtsordnung, hält. bung bewirkt zwar keine automatische Privatisierung, allerdings schafft sie die Zusammenfassend gesagt: Beide Bürger- Grundlage dafür, dass Mega-Konzerne im initiativen fordern etwas, das selbstver- großen Stil die Aufträge zur Wasserversor- ständlich sein sollte. Eine gute Wasser- gung in Städten und Gemeinden Europas versorgung ist die Basis für Gesundheit Schritt für Schritt übernehmen und kont- und Hygiene, den Ausverkauf unserer rollieren können. Ressourcen fürchten wir zudem nicht aus einem Anfall an Paranoidität, sondern »Einer von uns« fordert den Schutz des aus der traurigen Erfahrung heraus, dass menschlichen Lebens von der Zeugung an. internationale Konzerne zuerst auf die Die EU finanziert im Wege der Entwick- Gewinn-Marge schauen und auf Verbrau- lungspolitik Abtreibungskliniken. Zudem cherschutz und Nachhaltigkeit lieber ver- wurden über die EU-Forschungsgelder zichten würden. Millionen Euro in die umstrittenen Expe- rimente mit embryonalen Stammzellen Ernüchternd ist die Bilanz dieser beiden investiert. Während die privaten Inves- europäischen Initiativen: Das Recht auf toren den embryonalen Stammzellen Wasser beziehungsweise ein Privatisie- den Rücken gekehrt haben, weil die For- rungsverbot für die Trinkwasserversor- schungen keine Ergebnisse bringen und gung verwies die Kommission in die Kom-

BBE DOSSIER NR. 6 | 127 Stadler: WEHRT EUCH! petenz der Mitgliedstaaten, beim Schutz Um die Hintergründe solcher bürokra- des menschlichen Lebens wird es vermut- tischer Auswüchse zu verstehen, muss lich nicht anders sein. Paradox ist nur, dass man die Mentalität der Eurokraten er- die Kommission in beiden Fällen bereits gründen. Wer sich durch den Berg von vor der Zulassung des Anliegens zum Sam- 8000 Richtlinien und 2000 Verordnungen meln von Unterstützungserklärungen ge- durchkämpft, erkennt schnell: Für den prüft hat, ob denn die formulierten Forde- Brüsseler Bürokraten ist die Norm heilig. rungen in den Zuständigkeitsbereich der Ein Leben ohne staatliche Bevormundung Union fallen. Denn ansonsten hätte das gibt es in diesem Weltbild nicht. Zweck ganze Werben um Unterstützer keinen und Rechtfertigung jeder normativen Be- Sinn. Es ist schlicht grotesk, wie die Kom- schränkung ist aus Sicht der EU das Wohl mission hier versucht, ihre Verantwortung und das Glück der Menschen, die persön- abzuschieben. liche Freiheit wird dabei zu einer unbe- kannten Kategorie. Gleiches machen die EU-Kommissare übri- gens auch im Hinblick auf die Finanzkrise: Echtes Engagement und Bürgersinn finden Die Alleinschuld für die Bankenkrise ver- in der Verwaltung der jetzigen EU leider sucht man in Brüssel auf die Mitgliedslän- wenig Beachtung. Dies muss man sich klar der abzuwälzen, denn die Budgets liegen machen, wenn man dem eurokratischen in der Entscheidungsgewalt der Mitglieds- Extremismus Einhalt gebieten möchte. länder. Dabei verschweigen die Kommissa- re, dass sie selber mehrmals im Jahr Nach- Das heißt aber nicht, dass sich Engage- tragshaushalte benötigen, um sich vor der ment nicht lohnen würde, im Gegenteil. eigenen Zahlungsunfähigkeit zu retten. Im täglichen Leben kommt es nicht darauf Zudem könnten sich viele Mitgliedslän- an, in welchem Staat wir leben, sondern der leichter sanieren, wenn sie nicht den in welcher Gesellschaft wir leben. Das Mit- Zwängen aus Brüssel unterworfen wären. einander funktioniert nur dann, wenn wir grundlegende Tugenden wie Rücksicht- Die Kompetenzverteilung zwischen Union nahme und Geduld tatsächlich leben. Gu- und Mitgliedstaaten macht das Entstehen tes Verhalten kann man nicht einfach ein- einer aktiven europäischen Zivilgesell- klagen oder gar mit polizeilichem Zwang schaft nahezu unmöglich. Bei echten Prob- erreichen. Dieser Dualismus von Politik lemen schaut Brüssel wie gesagt gerne weg und Gesellschaft zeigte sich auch im wach- und gibt anderen die Schuld. Im Gegensatz senden Nichtwähleranteil der letzten Jah- dazu hat die Eurokratie eine besondere re, insbesondere bei den EU-Wahlen. Vorliebe für Detailregeln entwickelt. Glüh- birne, Ölkännchen, E-Zigarette und Saat- Dieses scheinbare Desinteresse der Nicht- gut bilden tragische Beispiele. Geradezu oder Protestwähler dürfen wir allerdings lebensbedrohlich wird es allerdings dann, nicht missverstehen. Politik in dem Sinne, wenn mit detaillierten Arbeitsrechtsregeln dass wir für jeden Sachverhalt eine letzt- die Arbeit der Freiwilligen Feuerwehr be- verbindliche und europaweit harmonisier- hindert wird. Die EU-Richtlinie für Ehren- te Regelung haben, ist schlicht und einfach amtliche, laut welcher die Arbeitszeit bei nicht die Antwort auf die Lebensrealität freiwilligen Feuerwehren voll auf die be- der Bürger. Die bekannte Frage »Mehr rufliche Arbeitszeit angerechnet werden oder weniger Europa« muss demnach muss, ist ein Angriff auf erfolgreiches zivil- auch korrekterweise heißen: »Mehr Ge- gesellschaftliches Engagement. setze oder mehr Bürgersinn«.

128 | BBE DOSSIER NR. 6 Stadler: WEHRT EUCH!

Außerdem muss man ehrlich konstatieren: Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, Brüssel ist in den Köpfen der Menschen zu um die Verträge umzusetzen. weit weg. Eine kontrollierende Öffentlich- keit gibt es nicht, weil wir in einem Kontinent Besonders wichtig sind die Worte »im der Vielfalt - und nicht der Einfalt – leben. Rahmen ihrer Befugnisse«. Die EU-Kom- Es wäre auch umständlich und artifiziell, petenzen sind beschränkt und auf vielen wenn wir beispielsweise per Einführung ei- Gebieten sollte man sie noch viel mehr ner einheitlichen Sprache und einheitlicher beschränken, das Beinahe-Verbot der TV- und Radio-Kanäle eine europäische steinernen Bierkrüge ist da ein aktuelles Öffentlichkeit erzwingen würden. Es gibt Beispiel. Ich habe die beiden Initiativen nicht eine Einheitsgesellschaft, es gibt viele »Recht auf Wasser« und »Einer von uns« unterschiedliche und vielfältige Gesellschaf- aus tiefster Überzeugung unterstützt und ten in Europa. Die einzelnen Gesellschaften werde auch in Zukunft Bürgerinitiativen müssen sich genauso frei und unabhängig fördern, wo ich nur kann. Trotzdem darf von politischer Gängelung entwickeln kön- uns das Instrument der Europäischen Bür- nen wie es der individuelle Bürger tut. gerinitiative nicht dazu verleiten, über- höhte Erwartungen an die EU zu stellen. In diesem Zusammenhang möchte ich anmerken, dass die von manchen EU- Denn politische Konzepte können gesell- Abgeordneten angedachte europaweite schaftliche Lösungen nicht ersetzen. Die Volksabstimmung zwar schön klingt, aber Europa-Wahlen 2014 werden einen Be- in Wahrheit brandgefährlich ist. Beispiel wusstseinswandel herbeiführen, wenn Energiepolitik: In Frankreich würde man wir der Eurokratie mit unserer Wahl ein einem Mehrheitsvotum für die Abschal- deutliches Zeichen setzen. Hannah Arendt tung der Atomkraftwerke mit zivilem Un- bezeichnete die Bürokratie, die Herrschaft gehorsam begegnen. Umgekehrt wäre die des Büros, als Herrschaft des Niemands. flächendeckende Einführung der Atom- Eine anonyme Herrschaft, in der niemand energie zumindest in Österreich ein Skan- persönlich zur Verantwortung gezogen dal. Volksabstimmungen haben nun ein- werden kann, birgt großes Gefahrenpo- mal den Sinn, den Willen eines Volkes zu tential in sich. Gerade deshalb bin ich der ermitteln. Wenn man viele Völker zu einer festen Überzeugung, dass die richtige Ant- Einheitsentscheidung drängen und somit wort auf die oftmals blinde Bürokratie die zwangsbeglücken möchte, dann riskiert wehrhafte Zivilgesellschaft ist. man im Endeffekt mehr Konfrontation und Entzweiung als wenn man verschiedene Erschienen in den BBE Europa-Nachrichten Wege geht - und Überzeugungen vorlebt. Nr. 3 vom 26.3.2014.

Kehren wir wieder zurück zum Gedanken AUTOR der Europäischen Bürgerinitiative: Gemäß Artikel 11 Absatz 4 des Vertrages über die Mag. Ewald Stadler, geboren 1961 in Vor- Europäische Union können Unionsbür- arlberg, ist seit Dezember 2011 Mitglied ger, deren Anzahl mindestens eine Milli- des Europäischen Parlaments. Er war zu- on Menschen betragen, die Initiative er- vor Gemeindevertreter in Mäder und greifen und die Europäische Kommission Landtagsabgeordneter in Bregenz, Mit- auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse glied der Landesregierung in Niederöster- geeignete Vorschläge zu Themen zu un- reich und Volksanwalt (Kontrollorgan der terbreiten, zu denen es nach Ansicht jener Verwaltung) sowie zehn Jahre lang Abge-

BBE DOSSIER NR. 6 | 129 Stadler: WEHRT EUCH! ordneter zum Nationalrat. Am 25. Mai tritt Weitere Informationen er mit der REKOS – Liste Ewald Stadler zu ü https://de.wikipedia.org/wiki/Ewald_ den EU-Wahlen an. Stadler

130 | BBE DOSSIER NR. 6 RAINER WIELAND, MDEP »DIESE WAHL IST ANDERS!«

This time it’s different! Dieses Mal wird treten bei dieser Wahl erstmals mit ei- es anders! So lautet der Slogan der kom- genen Spitzenkandidaten für das Amt menden Europawahlen, der alles, aber des Kommissionspräsidenten an. Mit ih- nur kein leeres Versprechen ist! Seit sei- rer Stimme entscheiden die Bürgerinnen ner ersten Direktwahl 1979 ist das Euro- und Bürger somit darüber, wer in den päische Parlament immer mehr zu einer kommenden fünf Jahren als Nachfolger starken Vertretung der Bürgerinnen und von José Manuel Barroso das Kommissi- Bürger der Mitgliedstaaten geworden. onskollegium leiten wird. Diese Entwick- Bei den europaweiten Wahlen vom 22. lung ist als ein europapolitischer Quan- bis 25. Mai haben die Stimmen der 390 tensprung zu bewerten, denn die Partei- Millionen wahlberechtigten Europäer je- en werden natürlich bis zum 25. Mai um doch so viel Bedeutung und Tragweite wie jede Stimme kämpfen. Schließlich muss noch nie zuvor. Der Vertrag von Lissabon der künftige Kommissionspräsident den aus dem Jahr 2009 hat die Rolle des Par- Rückhalt der Mehrheit des Parlaments laments und den Einfluss der Wählerinnen finden. Insgesamt wurde bereits mit der und Wähler nachhaltig gestärkt. Das Euro- Wahl von Spitzenkandidaten auch die in- päische Parlament ist zusammen mit den nerparteiliche Demokratie innerhalb der Mitgliedstaaten auf nahezu allen Feldern europäischen Parteienfamilien gestärkt: der Europapolitik – sei es die Regulierung Der Auswahlprozess der Kandidaten ist der Finanzmärkte, Verbraucherschutz, dabei in den Medien auf große Resonanz Landwirtschaft oder Forschungspolitik - gestoßen. Diese erfreuliche Entwicklung zum gleichberechtigten Mitgesetzgeber ist auch ein wichtiger Zwischenschritt auf geworden. Von dem Ergebnis der Wahlen dem Weg zu einer europäischen Öffent- wird abhängen, welche Entscheidungen lichkeit. Entscheidend wird sein, dass der in all diesen Politikfeldern, die das Leben Europäische Rat, dem als die Vertretung der Bürgerinnen und Bürger unmittelbar der Mitgliedstaaten das Vorschlagsrecht betreffen, gefällt werden. Ferner wird das bei der Wahl des Kommissionspräsiden- Europäische Parlament künftig die aus- ten obliegt, auch die Mehrheitsverhält- wärtigen Beziehungen der Europäischen nisse im Europäischen Parlament be- Union maßgeblich mitgestalten und be- rücksichtigen wird. Es ist in jedem Fall sitzt weitreichende Kompetenzen über das Szenario zu verhindern, dass die Mit- den EU-Haushalt. gliedstaaten das Wählervotum ignorie- ren und jenseits der Spitzenkandidaten Dass bei diesen Wahlen alles anders wird, einen Vorschlag aus dem Hut zaubern. ist vor allem in Bezug auf die Wahl der Das ist weder dem Wähler noch seiner Spitzenkandidaten der Parteien zu se- von ihm gewählten Vertretung zuzumu- hen. Die europäischen Parteienfamilien ten. Je höher die Wahlbeteiligung sein

BBE DOSSIER NR. 6 | 131 Wieland: »Diese Wahl ist anders!« wird, desto weniger wird aber an den auf den Nationalstaat in einer globalisier- Mehrheitsverhältnissen vorbeigegangen ten Welt nicht die Zukunft sein kann. Dar- werden können. Mit der gestärkten Rolle über hinaus jährt sich der Fall der Berliner des Europäischen Parlaments bei der Be- Mauer zum 25. Mal. Für ihre Unterstüt- stätigung der Kommission und dem emi- zung bei der Wiedervereinigung gebührt nenten Kompetenzzuwachs auf dem Feld unseren europäischen Partnern großer der Gesetzgebung wird deutlich, dass das Dank. Unser Europa heute steht für Werte gern zitierte sogenannte »Demokratie- wie Frieden, Demokratie, Sicherheit und defizit« nicht mehr dem Stand der Dinge Freiheit. Dass diese Werte keine Selbst- entspricht. verständlichkeit sind, führen uns die Ge- schehnisse in der Ukraine deutlich vor Diese Wahl ist auch deshalb anders, weil Augen. Wir sollten nie vergessen, dass der sie in unruhiger Zeit stattfindet. Es ist die Frieden, der seit nunmehr 70 Jahren auf erste Wahl, die seit Beginn der europäi- unserem Kontinent herrscht, ein hohes schen Schuldenkrise stattfindet. Sie war Gut ist. bei der letzten Wahl 2009 im Rahmen der Weltfinanzkrise in diesem Ausmaß nicht Es wird deutlich, dass mit diesen Wahlen absehbar. Nach den einschneidenden alles anders ist und wird. Deshalb hof- Strukturreformen ist man in Europa mitt- fe ich, dass die Bürgerinnen und Bürger lerweile auf einem guten Wege, jedoch es ihre Chance wahrnehmen und wählen gab selten zuvor so erfolgsversprechende gehen. Im Hinblick auf die angesproche- Aussichten für europaskeptische und ex- nen Werte gehören auch freie Wahlen tremistische Parteien, in das Europäische zu den größten Errungenschaften unse- Parlament einzuziehen. Darüber hinaus ist rer Demokratie, die von jedem Einzelnen insgesamt ein diversifizierteres Parlament von uns wertgeschätzt werden sollten. zu erwarten, was nicht zuletzt der Ent- Wahlen sind in meinen Augen nicht nur scheidung des Bundesverfassungsgerichts ein Bürgerrecht, sondern vor allem auch über den Wegfall der Drei-Prozent-Hürde eine Bürgerpflicht. Die Wahlbeteiligung geschuldet ist. hat in Europa, trotz einer zuletzt leich- ten Zunahme in Deutschland, bei den Dennoch ist es vor dem Hintergrund der Europawahlen stets abgenommen. Im Krise und der einhergehenden leichtferti- Hinblick auf die gewachsene Bedeutung gen Polemik vieler europafeindlicher und des Europäischen Parlaments im Insti- nationalistischer Stimmen wichtiger denn tutionengefüge der Europäischen Union je, ein starkes Zeichen für die Erfolgsge- möchte ich die Wähler ermutigen, diese schichte Europas zu setzen, von der wir Chance der Mitwirkung nicht verstrei- Deutsche besonders profitiert haben. Es chen zu lassen. Ein kleines Zitat von Ab- ist bemerkenswert, dass die Europawahl raham Lincoln möchte ich dabei mit auf 2014 in ein sehr denkwürdiges Jahr fällt. den Weg geben: »Wahlen sind Sache des Es jährt sich der Beginn des Ersten Welt- Volkes. Die Entscheidung liegt in seiner kriegs vor einhundert Jahren, darüber hi- Hand. Wenn sie dem Feuer den Rücken naus gedenken wir des Anfangs des Zwei- kehren und sich den Hintern verbrennen, ten Weltkriegs vor 75 Jahren, der mit dem werden sie eben auf den Blasen sitzen deutschen Überfall auf Polen einsetzte. müssen.« Die schmerzvollen Erinnerungen an die historischen Katastrophen des 20. Jahr- Erschienen in den BBE Europa-Nachrichten hunderts zeigen, dass eine Rückbesinnung Nr. 3 vom 26.3.2014.

132 | BBE DOSSIER NR. 6 Wieland: »Diese Wahl ist anders!«

AUTOR Staaten Afrikas, des Karibischen Raums und des Pazifischen Ozeans und der Eu- Rainer Wieland, der seit 1997 Mitglied des ropäischen Union (AKP-EU) an. Zudem ist Europäischen Parlaments ist, wurde zu Be- Rainer Wieland stellvertretendes Mitglied ginn der siebten Legislaturperiode (2009- in der Delegation des Parlamentarischen 2014) zum Vizepräsidenten der Institution Kooperationsausschusses EU-Moldawien. gewählt und gehört folglich dem Präsidi- Im Europäischen Parlament führt er auch um des Europäischen Parlaments an. Er den Vorsitz der Landesgruppe der CDU- ist Mitglied des Rechtsausschusses, des Abgeordneten aus Baden-Württemberg. Petitionsausschusses sowie als stellvertre- Rainer Wieland ist der Präsident der Euro- tendes Mitglied im Ausschuss für konstitu- pa-Union Deutschland (EUD). tionelle Fragen tätig. Des Weiteren gehört er der Parlamentarisch-Paritätischen Ver- Weitere Informationen sammlung des Abkommens zwischen den ü https://www.mdep.de/

BBE DOSSIER NR. 6 | 133 BIRGIT SIPPEL, MDEP DEMOKRATIE BRAUCHT AKTIVE DEMOKRATEN – WÄHLEN GEHEN!

Europa steckt in einer Vertrauenskrise. In nen Parteien haben vereinbart, nur einen den vergangenen Jahren haben viele Euro- Kommissionspräsidenten zu wählen, der päerinnen und Europäer den Glauben und jetzt als Spitzenkandidat der Europäischen die Zuversicht an ein gemeinsames ge- Parteien antritt. Mit Martin Schulz setzen rechtes Europa verloren. Wirtschaftskrise, wir Sozialdemokrat_innen dabei auf einen massive Arbeitslosigkeit und immer grös- überzeugten Europäer, der sich als ehema- ser werdende soziale Ungerechtigkeit las- liger Bürgermeister engagiert für die Inter- sen die Menschen an der Sparpolitik ihrer essen der Menschen einsetzt. Staaten und der Europäischen Union zwei- feln. Also mal wieder nicht wählen gehen? Demokratie braucht Vertrauen. Und viel- Oder die Europawahl als Protest nutzen? leicht hilft es daran zu erinnern, dass nichts selbstverständlich war und ist. Die Mindestens zwei Dinge sprechen dagegen: Anfänge der heutigen Europäischen Union waren nicht einfach und auch künftig wird 1. Umgangssprachlich übersetzen wir De- es auf dem gemeinsamen Weg immer mokratie oft mit den Worten »Alle Macht wieder holprig werden. geht vom Volk aus«. Tatsächlich gibt es zahllose Möglichkeiten des Einmischens, Dennoch wurde viel erreicht: Unser über der Mitgestaltung in Vereinen, Initiativen, Jahrhunderte immer wieder von Kriegen Parteien. Die Teilnahme an einer Wahl ist zerfurchter Kontinent kann auf nun fast gewissermaßen das Mindeste an demo- 70 Jahre Frieden zurückblicken. Der 100. kratischer Beteiligung und bürgerschaftli- Jahrestag des Ersten Weltkrieges und die chem Engagement. angespannte Situation in der Ukraine er- innern daran, dass diese lange Zeitspanne 2. Wer nicht wählt, überlässt anderen die der friedlichen Kooperation eben nicht Entscheidung über seine Zukunft. Wir alle selbstverständlich ist. gemeinsam tragen Verantwortung für unsere Demokratie. Die Bürgerinnen und Wir sichern unseren Frieden durch die Bürger der Europäischen Union können enge Zusammenarbeit unserer Staaten, am 25. Mai die Chance ergreifen und Eu- durch die immer weitere Stärkung des Eu- ropas Zukunft neu gestalten. ropäischen Parlaments. Die Europäische Union ist ein Erfolgsprojekt: Einzigartige Sie wählen ein neues Parlament und treffen Errungenschaften wie die offenen Gren- damit zum ersten Mal auch eine Vorent- zen im Schengen-Raum, Stärkung der Ver- scheidung über den künftigen Präsidenten braucherrechte und die Möglichkeit auf der Kommission. Die Fraktionsvorsitzenden mehr Mitgestaltung der Regionen lassen aller im Europäischen Parlament vertrete- uns mit Zuversicht in die Zukunft blicken.

134 | BBE DOSSIER NR. 6 Sippel: Demokratie braucht aktive Demokraten – wählen gehen!

Aber: Es bleibt noch viel zu tun. Neue He- zahlt, drückt sich nicht nur vor dieser Ver- rausforderungen kommen aufgrund ra- antwortung. Er verschiebt auch die Kosten santer Entwicklungen in verschiedensten auf kleine und mittlere Unternehmen, auf Bereichen auf uns zu. Europa muss heute die Arbeitnehmer_innen und die Verbrau- neu unter Beweis stellen, dass es mehr ist cher_innen. als nur ein Binnenmarkt. Das wird zu Recht zunehmend als unge- Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemo- recht empfunden und das Vertrauen in kraten stehen für ein Europa, in dem star- unsere Demokratie schwindet. Darum ke Wirtschaft, soziale Sicherheit, Schutz kämpfen wir für ein Europa der Steuerge- natürlicher Ressourcen und Bürgerrechte rechtigkeit und nicht der Verantwortungs- keine Gegensätze sind. Ein Europa der ge- losigkeit. meinsamen Werte und der gegenseitigen Solidarität. Wir wollen ein Europa der Menschen. Da- rum braucht es Impulse für Innovation Wir wollen die Zukunft Europas nicht allein und Beschäftigung. Die Förderung neuer Kapitalinteressen unterwerfen sondern Ideen für Produkte und umweltfreundli- Perspektiven für alle Menschen schaffen. che Produktionsverfahren gehört ebenso Schuldenabbau ist wichtig. Jedoch dür- auf die Agenda wie die Bekämpfung der fen sich die Mitgliedsstaaten nicht »ka- Arbeitslosigkeit. Der Übergang von Schule puttsparen«. Nach der Finanzmarktkrise in Ausbildung und Arbeit ist gerade aktu- haben wir darum wichtige grundlegende ell ein zentraler Baustein. Die hierfür be- Regeln bezüglich der Bankenregulierung schlossene europäische »Jugendgarantie« durchgesetzt. braucht jetzt die konsequente Unterstüt- zung aller Mitgliedstaaten. Ein eigenstän- Ein weiterer zentraler Baustein ist die diges Leben bedeutet auch »Gute Arbeit« Herstellung von Steuergerechtigkeit. mit fairen Löhnen und guten Arbeitsbe- Steuerhinterziehung und legale Steuer- dingungen. Innovation und Beschäftigung vermeidung reißen gigantische Löcher in – auch deshalb setzen wir auf nachhalti- die Haushaltskassen. Jährlich verliert die gen Fortschritt, den Ausbau erneuerbarer gesamte Europäische Union durch Steuer- Energien und auf die Stärkung der Ener- betrug über eine Billion Euro. gieeffizienz.

Auch Deutschland fehlen pro Jahr mehr Wir wollen in Bildung und Qualifizierung als 160 Milliarden Euro in der Kasse. Da- investieren und so für mehr Chancen- mit fehlt es an Geld für öffentliche Investi- gleichheit und Gerechtigkeit kämpfen. Es tionen wie etwa in Straßen, Schulen, Kin- braucht mehr Fairness und Gleichberech- dertagesstätten, für die Schaffung eines tigung für Frauen und Männer in Beruf lebenswerten Umfeldes für unsere Bür- sowie im Familienleben. Darum setzt sich ger_innen in allen Kommunen und allen die SPD für die Einführung der Geschlech- Stadtteilen sowie an Mitteln für eine kon- terquote ein und verlangt die gleiche Be- sequente Energiewende mit bezahlbarer zahlung von Männern und Frauen. Energie für alle. Wir wollen unsere Werte, Rechte und Stan- Bereits in unserem Grundgesetz steht dards in Europa auch global verteidigen. »Eigentum verpflichtet«. Wer Millionen Diese dürfen nicht durch internationale erwirtschaftet, dann aber keine Steuern Verträge wie etwa dem transatlantischen

BBE DOSSIER NR. 6 | 135 Sippel: Demokratie braucht aktive Demokraten – wählen gehen!

Handelsabkommen aufgeweicht werden. sozial gerechte, wirtschaftlich erfolgreiche Unsere hohen Umwelt- und Lebensmittel- Europäische Union auf der Basis unserer standards sowie Arbeitnehmerinteressen gemeinsamen Werte. dürfen nicht für kurzfristige Profitinteres- sen ausgehöhlt werden. So wollen wir das verlorengegangene Ver- trauen wieder herstellen. Für ein Europa, Mit Blick auf den Datenschutz dürfen auch das seine Werte verteidigt und die Demo- Bürgerrechte wie etwa das Grundrecht auf kratie schützt. Für ein Europa der Bürge- Meinungsfreiheit oder auf Privatsphäre rinnen und der Bürger. nicht angetastet werden. Darum kämpfen Dafür werbe ich um Ihre Stimme. Am 25. wir für mehr Transparenz bei internationa- Mai wählen gehen! len Abkommen sowie der Arbeit des Euro- päischen Rates. Wir stehen für ein Europa Erschienen in den BBE Europa-Nachrichten der Demokratie. Nr. 3 vom 26.3.2014.

Demokratie bedeutet Mitbestimmung. AUTORIN Mitreden und Mitbestimmen bedeutet wählen gehen. Eine hohe Wahlbeteiligung Birgit Sippel ist seit 2009 als Abgeordnete stärkt das Parlament gegenüber dem Rat. im Europaparlament tätig und ist Mitglied Mit der Vorentscheidung über den künfti- der S&D, der Fraktion der Progressiven Al- gen Kommissionspräsidenten erhält auch lianz der Sozialisten & Demokraten. Sie ist die künftige Kommission eine größere de- Mitglied des Ausschusses für bürgerliche mokratische Legitimation. Die Bürgerin- Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) und nen und Bürger Europas entscheiden bei stellvertretendes Mitglied des Ausschus- der Europawahl über ihre eigene Zukunft. ses für Beschäftigung und soziale Angele- genheiten (EMPL). Europa neu denken - ein neues Europa wählen! Sozialdemokraten engagieren Weitere Informationen sich im Europäischen Parlament für eine ü www.birgitsippel.de

136 | BBE DOSSIER NR. 6 , MDEP EUROPA WÄHLEN – DER JUGEND EINE STIMME GEBEN

Seit dem Beginn der Eurokrise im Jahr 2009, ropa in den letzten Jahren aufgezwungen die nicht nur als reine Wirtschafts- und Fi- wurde. Zudem scheint sich die Auffassung nanzkrise, sondern auch als eine Krise sozi- zu verfestigen, dass sich junge Menschen alen, politischen und ökologischen Ausma- nur genug anstrengen müssten, um einen ßes betrachtet werden muss, befindet sich Arbeitsplatz zu finden. Diese Haltung ig- die EU noch immer auf dem beschwerli- noriert jedoch grundsätzlich, dass es auf- chen Weg, sich von einer der turbulentes- grund der falschen Sparpolitik in Europa ten Phasen unserer Zeit zu erholen. Insbe- nicht genügend Arbeitsplätze gibt und sondere junge Menschen bekommen dies dass junge Menschen kein Mitsprache- hart spüren. Ihnen wird die Last aufgebür- recht haben, wenn es um Maßnahmen det, die Folgen einer Krise auszubaden, geht, die ihr eigenes Leben betreffen. die sie noch nicht einmal selbst verursacht haben. Anstatt sie zurückzuweisen und für Wir Grüne machen uns deshalb stark für eine Politik verantwortlich zu machen, die eine Jugendpolitik, die nicht nur die blo- sie selber nicht verschuldet haben, wollen ße Schaffung von Arbeitsplätzen in ihren wir Grüne sie unterstützen und ernsthaft Fokus stellt, sondern auch das Recht zur in politische Prozesse einbeziehen – denn Emanzipation und Partizipation junger wir sind der Meinung, dass junge Men- Menschen. Weil insbesondere junge Men- schen selbst am besten entscheiden kön- schen in Bezug auf minderwertige Jobs, nen, was sie brauchen. schlechte Arbeitsbedingungen und ein höheres Risiko frühzeitiger Entlassung zur Führt man sich einmal vor Augen, dass in am meisten gefährdeten Gruppe gehö- der EU derzeit über 5,3 Millionen junge ren, setzen wir uns für Maßnahmen der Menschen unter 25 arbeitslos sind – was Jugendbeschäftigung ein, die auf qualita- der Einwohnerzahl Finnlands entspricht tiv hochwertige Arbeitsplätze statt unbe- – sollte schnell deutlich werden, dass zahlte Praktika abzielen, denn nur faire dringendster Handlungsbedarf besteht. Arbeitsbedingungen ermöglichen sowohl Dennoch zeigt die Entschließung zur Be- Spaß an der Arbeit als auch ein gutes Le- kämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, die ben. Uns geht es dabei nicht nur um mehr dem Parlament im September 2013 durch Jobs, sondern um gute Arbeit und ein gu- den Ausschuss für Beschäftigung und so- tes Leben sowie eine Beschäftigungspoli- ziale Angelegenheiten zur Abstimmung tik, die Nachhaltigkeit fördert und damit vorgelegt wurde, dass die Schuld für die sicherstellt, dass es neu geschaffene Jobs alarmierenden Jugendarbeitslosenquoten auch noch in 10 oder 15 Jahren gibt. immer noch bei den Jugendlichen selbst gesehen wird und nicht in der drastischen Ich persönlich habe das Gefühl, dass junge Sparpolitik, die vielen Regierungen in Eu- Menschen das Projekt Europa heute bereits

BBE DOSSIER NR. 6 | 137 Keller: Europa wählen – Der Jugend eine Stimme geben deutlich bewusster wahrnehmen als noch Europa ist ein großartiges Projekt, für vor 20 Jahren. Viele Jugendliche waren das es sich zu kämpfen lohnt. Es ist ein schon in anderen europäischen Ländern im Projekt, das formbar ist und das von den Urlaub oder haben sogar eine Zeit lang wo- Menschen abhängt, die mitmachen wol- anders gelebt. Durch Austauschprogram- len. Deswegen ist es für mich zentral, eu- me wie ERASMUS und LEONARDO, die ab ropäische Politik für alle verständlich zu diesem Jahr unter dem Namen Erasmus+ machen und insbesondere junge Leute weitergeführt werden, wird es ihnen auch zum Mitmachen anzuregen. Nur wenn wir finanziell erleichtert, Europa kennenzuler- uns alle engagieren und uns einbringen, nen. Doch leider hat nur eine beschränkte wird Europa so, wie wir das wollen. Zahl von jungen Menschen Zugang zu die- sem Programm und viele Menschen wer- »Europa wählen« heißt, der Jugend eine den nach wie vor nicht erreicht. Stimme zu geben!

Die junge Generation, die heute mit Eu- Erschienen in den BBE Europa-Nachrichten ropa aufwächst, muss aber auch bereits Nr. 3 vom 26.3.2014. heute die Möglichkeit haben, dieses Euro- pa entsprechend ihrer Ideen mitzugestal- AUTORIN ten. Das vielbemühte Motto, dass die Ju- gend unsere Zukunft sei, muss dabei end- Ska Keller, Handels- und migrationspoliti- lich über Bord geworfen werden! Denn sche Sprecherin der Fraktion Die Grünen/ tatsächlich trägt diese Ansicht nur dazu EFA im Europäischen Parlament, wurde bei, junge Menschen zu entmündigen und im Jahr 2009 im Alter von 27 Jahren ins Eu- ihnen das Recht auf Mitbestimmung abzu- ropäische Parlament gewählt. Sie ist Mit- sprechen. Doch junge Menschen leben in glied im Handelsausschuss (INTA) und im der Gegenwart, sie sind bereits jetzt von Innenausschuss (LIBE). Darüber hinaus ist politischen Entscheidungen betroffen und sie Mitglied in der Türkeidelegation und sollten dementsprechend auch die Mög- der Mexikodelegation des Europäischen lichkeit haben, sich in politische Prozesse Parlaments. einzubringen. Deshalb setze ich mich da- für ein, dass die Jugend von heute auch Weitere Informationen bereits heute eine Stimme bekommt. ü www.ska-keller.de

138 | BBE DOSSIER NR. 6 IMPRESSUM

HERAUSGEBER

Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) Michaelkirchstr. 17/18 , 10179 Berlin-Mitte

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REDAKTION DER PUBLIKATION Nino Kavelashvili, Dr. Rainer Sprengel

REDAKTION DER REIHE PD Dr. Ansgar Klein, Dr. lilian Schwalb, Dr. Rainer Sprengel

V.I.S.D.P. PD Dr. Ansgar Klein

SATZ/LAYOUT Regina Vierkant (sevenminds)

ERSCHEINUNGSDATUM Mai 2019

ISBN 978-3-948153-00-7

Die Erarbeitung der vorliegenden Publikation erfolgte im Rahmen der Tätigkeit der BBE Geschäftsstelle gGmbH. Die Arbeit der Geschäftsstelle wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.

ENTWICKELN. VERNETZEN. STÄRKEN. Das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) ist das Netzwerk für Zivilge- sellschaft, Staat und Wirtschaft zur nachhaltigen Förderung des bürgerschaftlichen Enga- gements und der Bürgergesellschaft in allen Gesellschafts- und Politikbereichen.

BBE DOSSIER NR. 6 | 139 BBE-NEWSLETTER ONLINE

BBE-NEWSLETTER Der BBE-Newsletter informiert 14-täglich über Engagementpolitik und -debatte in Deutschland, interessante Publikationen und Veranstaltungen sowie Aktuelles aus dem BBE. In monatlichen Themenschwerpunkten vertiefen Autor*innen aus Politik, Zivilge- sellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft zivilgesellschaftliche Themen. ü www.b-b-e.de/newsletter

BBE EUROPA-NACHRICHTEN Die BBE Europa-Nachrichten zu Engagement und Partizipation in Europa bieten monat- lich Informationen und Hintergrundberichte zu europäischen Fragen der Engagement- politik und -förderung, Gastbeiträge namhafter Europaexpert*innen sowie Hinweise auf internationale Beteiligungsverfahren. ü www.b-b-e.de/eunewsletter

INFOLETTER Der Infoletter informiert anlassbezogen über Aktivitäten zur Vorbereitung und Durchfüh- rung der »Woche des bürgerschaftlichen Engagements«, hält über Neuigkeiten, Termi- ne, Aktionen und Materialien der Kampagne »Engagement macht stark!« auf dem Lau- fenden und stellt Engagement-Projekte vor. Zusätzlich erscheinen zu den drei jährlichen Themenschwerpunkten SonderInfoletter, die die Schwerpunkte inhaltlich begleiten und fachlich untersetzen. ü www.engagement-macht-stark.de/publikationen/infoletter

NEWSLETTER-ABO ü www.b-b-e.de/newsletter-abo

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