Stockwerk-Tektonik im südlichen Graubünden

Autor(en): Liniger, Markus / Nievergelt, Peter

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Schweizerische mineralogische und petrographische Mitteilungen = Bulletin suisse de minéralogie et pétrographie

Band (Jahr): 70 (1990)

Heft 1

PDF erstellt am: 27.09.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-53606

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http://www.e-periodica.ch SCHWEIZ. MINERAL. PETROGR MITT 70, 95-101, 1990

Stockwerk-Tektonik im südlichen Graubünden*

von Markus Liniger' und Peter Nievergelt1

Abstract

This paper deals with the tectonic evolution of the Penninic-Austroalpine transitional belt in the Southeast Central Alps of New structural data allow a better distinction between an upper stack with Cretaceous E-W directed nappe formation and a lower stack with a strong Tertiary structural overprint that shows an N-S directed compression. D2 movements of the lower stack are associated with the backthrusting of the Schams nappes. Austroalpine nappes, the Margna nappe and Upper Penmnic ophiolites from Oberhalbstein to Val Malenco belong to the upper stack; whereas Turba mylomte zone, Arblatsch flysch, Avers schists with relics of ophiolites, Schams nappes and Suretta nappe belong to the lower stack.

Keywords- Penninic-Austroalpine boundary, structural data, tectonic evolution, Cretaceous and Tertiary deformation, , Central Alps

Einleitung tertiären Ablagerungen bekannt (Dietrich, 1970; Furrer, 1985). Radiometrische Datierungen Diese Arbeit behandelt die Deformationsgeschichte an Hellglimmern und Alkaliamphibolen, die in den oberpenninischen und unterostal- syn- bis postkinematisch zur Hauptschieferung pinen Einheiten im Gebiet zwischen Maloja-, gewachsen sind, ergeben 90 bis 60 Mio. Jahre Septimer- und Forcellina-Pass im sudlichen (Jager, 1973; Philipp, 1982; Deutsch, 1983) Gaubunden. Zudem sind die Lithologien der beteiligten und lassen auf ein Oberkreidealter fur die Einheiten beschrieben. Zur Orientierung Hauptdeformation schliessen. Die Frage nach wird auf die tektonische Kartenskizze in Guntli den Strukturen der Kreide-Tektonik sowie nach und Liniger (1989) und auf Staub (1946) dem Auftreten und dem Verlauf tertiärer verwiesen. Bewegungen in diesem Gebiet blieb aber weiterhin Im Grenzbereich von Penninikum und Ostalpin unbeantwortet (Trumpy, 1975). Im Penninikum treten mehrere ophiolithische Zonen auf sind dagegen Suretta-Decke, Schamser-Decken, (Abb. 2a). Sie wurden früher mit wichtigen Averser-Schiefer und Oberhalbsteiner-Flysche tertiären Bewegungsbahnen im alpinen Deckenbau eindeutig von tertiären Deformationen geprägt assoziiert. Die Platta-Zone liegt im Norden worden (Ziegler, 1956; Staub, 1958; Dietrich, direkt über den teilweise tertiären Oberhalbstei- 1970; Schmid et al., 1990). Die sudliche Fortsetzung ner-Flyschen (Ziegler, 1956) und keilt im dieser tertiären Bewegungen ist vor allem Süden über der Margna-Decke aus. Unter dieser im Gebiet des Septimer-Passes zu suchen. Hier Decke folgt die Ophiolith-Zone Malenco-Forno- hat Staub (1926, 1946) mit seiner Kartierung Lizun (Staub, 1926 und 1946). Die mesozoischen den abrupten Wechsel von verfalteten Margna- Ablagerungen von Margna-Decke und und Ophiolith-Elementen oben zu den ganz Unterostalpin sind sehr ahnlich und im gleichen anders aufgebauten Averser-Schiefern unten Faziesraum entstanden, in dem sich dann ab oberem angedeutet und damit einen Stockwerkbau impliziert. Jura auch die Sedimente der beiden Ophio- Dennoch hat er eine Verbindung der Schamser- lithzonen bildeten (Radiolarit, Aptychenkalk, Decken über die Forcellina-Schuppe zur Palombini). Aus all diesen Einheiten sind keine Margna-Decke nicht ausgeschlossen. Im folgenden

* Erweiterte Zusammenfassung eines Vortrags im Rahmen der Jahresversammlung der SMPM, Fnbourg, 13 /14. Oktober 1989.

1 Institut fur Mineralogie und Pétrographie, ETH-Zentrum, 8092 Zurich 96 MARKUS LINIGER UND PETER NIEVERGELT

Averser Schiefer Platta-Zone Turba-Mylomt- Zone Turba Serie Margna-Decke Lizun-Einheit Mader Serie

Abb. 1 Skizze zu den geologischen Verhältnissen im Grenzbercich der beiden tektonischen Stockwerke. G: Grüngesteine. R: Radiolarit und Aptychenkalk. K: Kalkige Schiefer in Turba-Mylonitzone und Averser Schiefer. werden neue Daten über die Deformationsgeschichte Abb. 3 dargestellt. Weitere Angaben zum südlich und die Bewegungsrichtungen präsentiert angrenzenden Gebiet sind in Peretti (1985) und und in bezug auf die tektonische Entwicklung Liniger und Guntli (1988) zu finden. diskutiert.

STRUKTUREN IM OBEREN STOCKWERK Strukturgeologische Daten: Zwei tektonische Stockwerke Am Übergang von Unterostalpin zu Margna- Decke und den Ophiolith-Zonen ist eine Zwei Stockwerke mit zeitlich und strukturell markante Zunahme im Metamorphose- und unterschiedlicher tektonischer Entwicklung wurden Deformationsgrad zu erkennen. Obwohl die im folgenden erkannt (Abb. 2a). Sie werden im Bereich For- beschriebenen Deformationsphasen in all cellina-Pass/Val Maroz durch die Turba-Mylonit- diesen Einheiten vorkommen, nimmt die Intensität zone voneinander getrennt (Abb. 1). Zum oberen in den letzten beiden zu, und eine typische Stockwerk zählen Unterostalpin, Margna- Grünschieferfazies-Metamorphose überprägt die Decke und die Ophiolithe der Zone Malenco- Gesteine beinahe vollständig. Forno-Lizun sowie die Platta-Zone. Zum unteren - Isoklinalfaltung Fl: Eine nicht zylindrische Stockwerk gehören Turba-Mylonitzone, Isoklinalfaltung bildet eine Achsenebenenschie- Averser-Schiefer, Arblatsch-Flysch, Schamser- ferung (Hauptschieferung, Liniger und Guntli, Decken und Suretta-Decke, wobei hier nur die 1988). Starke Scherbewegungen während Fl beiden ersten eingehender untersucht wurden. werden durch ein ausgeprägtes Streckungslinear, Zur Unterscheidung sind im folgenden die Strukturen asymmetrisch orientierte Quarzgefüge (C-Ach- des oberen Stockwerkes mit F1-F2 (analog sen) und Scherfalten (sheath folds) dokumentiert Liniger und Guntli, 1988), diejenigen des unteren (Abb. 2b). Fl begleitet die Deckenbildung, welche mit D1-D2 bezeichnet (analog Schmid et al., durch Überschiebungen von E nach W 1990). Die Verteilung der Strukturen ist in erfolgt (von NE nach SW in der Margna-Decke, STOCKWERK-TEKTONIK IM SÜDLICHEN GRAUBÜNDEN 97

Abb. 3). Untergeordnet treten im Unterostalpin auf einen Schub aus N schliessen. Das Alter dieser aber auch W-E-Bewegungen auf. Datierungen Deformationsphase muss zwischen 60 und 30 von Mineralien, die syn- bis postkinematisch zur Mio. Jahre liegen, da F2 eindeutig älter ist als die Fl-Schieferung gewachsen sind, ergeben Bergeller Intrusion (Peretti. 1985). Oberkreidealter zwischen 90 und 60 Mio. Jahren (Jäger, 1973; Philipp, 1982; Deutsch, 1983). - Rückfaltung F2: Mehr oder weniger zylindrische, offenere Rückfalten im dm- bis 10-m- STRUKTUREN IM UNTEREN STOCKWERK Bereich überprägen Fl-Falten und Fl-Schieferung (Abb. 2b). Eine Krenulationsfältelung ist Die Einheiten des oberen Stockwerkes und ihre sehr häufig ausgebildet, eine Krenulationsschie- Fl - und F2-Strukturen werden vor allem am Piz ferung dagegen selten. Das Mineralwachstum Turba diskordant von der Turba-Mvlonitzone während F2 zeigt Bedingungen der unteren abgeschnitten. Diese Mylonitzone liegt niveau- Grünschieferfazies, allerdings retrograd bezüglich mässig in der Verlängerung der gegen Süden Fl. Etwa E-W-streichende Faltenachsen. N- auskeilenden Schamser-Decken und des Ar- fallende Achsenebenen und die S-Vergenz lassen blatsch-Flysches (Dietrich. 1970). Die darunter a Oberostalpin Oberostalpin Unterostalpin

Forno! (/> Arblatsch: Platta

Kleinstrukturen im oberen Stockwerk 'Kdoinetrnlztii

^ D1 : Streckungslinear reliktische. Achsenebenen- Schieferung Schieferung

D2-Schieferung (parallel Turba-Zone)

Turba-Mylonitzone (D2)

Hl

Abb. 2a Schematisches Profil im südlichen Graubünden mit den zwei tektonischen Stockwerken. Ophiolith- Zonen sind dunkel gefärbt. Komplikationen durch F2 und D3 sind nicht dargestellt. Nur die südliche Steilstellung an der Tonale-Linie ist angedeutet. Abb. 2b Oberkreide- und frühtertiäre Strukturen im oberen Stockwerk. Abb. 2c Tertiäre Strukturen im unteren Stockwerk. 98 MARKUS LINIGER UND PETER NIEVERGELT

Oberkreide und Tertiäre und jüngere frühtertiäre Strukturen Strukturen

F1 -Streckungslinear -U D1-Schieferung (meist parallel FA) F1 -Schersinnbestimmung D2: Turba-Mylonitzone (Schub aus E oder NE) ^ (mit Schersinn) D2-Schieferung parallel F2-Faltenachse zu Turba-Mylonitzone (mit Bewegungsrichtung: Schub aus N) D3-Steilstellung (FA)

Spödbrüche (a: Extension, b: Schrägabschiebung, c: Engadiner Linie)

Abb. 3 Verteilung der strukturgeologischen Daten im Gebiet von Maloja-, Septimer- und Forcellina-Pass. angrenzenden Averser-Schiefer zeigen im nitzone. wo Dl vollständig «ausgelöscht» wird. Gegensatz zum oberen Stockwerk eine zur Turba- Schersinnbestimmungen im Feld ergeben hier Mylonitzone konkordante Schieferung (Abb. 1). alle eine Überschiebung der höheren Einheiten Diese überprägt jedoch eine schon existierende, nach ESE bis SE (Abb. 3c). Die F2-Strukturen ältere Schieferung. Mit Bezug auf die Schamser- des oberen Stockwerkes, die ebenfalls S-gerich- Decken (Schmid et al., 1990), deren Deformationen tet sind, werden diskordant an der Mylonitzone auch Suretta-Decke und Averser-Schiefer abgeschnitten, gehören also eindeutig zu einer erfassten, kann untenstehende Abfolge postuliert älteren Gebirgsbildungsphase. werden. - Isoklinalfaltung Dl: Diese Faltung bildet unter Bedingungen der tieferen Grünschieferfazies JÜNGERE STRUKTUREN IN BEIDEN eine Achsenebenenschieferung. Datierungen STOCKWERKEN von Flellglimmern ergeben ein frühes Oligo- zänalter (Schmid et al., 1990, Kap. 5d). - Faltung D3: Diese offenen Falten kommen nur - Faltung D2, Turba-Mylonite: Diese Phase nördlich der Engadiner Linie vor und gehen über verursacht grosse Rückbewegungen im unteren beide Stockwerke hinweg. Sie verursachen die Stockwerk, wie die zurückgekämmten «Falten» Steilstellung der Turba-Mylonitzone beim Piz von Suretta-Decke und Averser-Schiefer deutlich Turba (Abb. 1). D3 äussert sich in dm mächtigen, anzeigen (Abb. 2a). Die Scherbewegungen wellblechartigen Falten und tritt in mehreren nehmen gegen oben zu und führen schliesslich 10-100 m mächtigen Zonen auf. NE-SW- zur Bildung der bis 50 m mächtigen Turba-Mylo¬ streichende Achsen und S-fallende Achsenebe- STOCKWERK-TEKTONIK IM SÜDLICHEN GRAUBÜNDEN 99

nen deuten auf einen Schub aus SE. Ein Kristallin und einer permo-mesozoischen Zusammenhang mit der Aufwölbung der Suretta-Decke Sedimentbedeckung (Cornelius, 1950; Trümpy, in der wird vermutet. Weiter im 1975). Gneise, Glimmerschiefer und herzynische Süden, im Bereich der Val Malenco, erfassen Intrusiva werden von Quarzphylliten und Vulka- Rückfalten und Steilstellung an der Tonale Linie niten überlagert. Konglomerate und quarzreiche die Einheiten beider Stockwerke. Die strukturellen Sandsteine (Perm/unterste Trias) bilden die Beziehungen und Deformationsalter sind detritische Basis der mesozoischen Abfolge. Dolomite, hier noch wenig bekannt. Auf Abb. 2a sind in Rauhwacken, Kalke und Brekzien gehören diesem Segment nur die Deckenstapelung, nicht zur Trias; kieselige Kalke, Kalk-Ton-Wechsella- aber die späten Verfaltungen dargestellt. gerungen und Brekzien zum Lias. Stark detritische Serien mit Dolomit- und Kalkbrekzien sowie den Saluver Sandsteinen werden dem Lias- BRUCHTEKTONIK Dogger zugeordnet, die darüberliegenden Radio- larite dem Malm. In die Unterkreide stellt man Jüngste Bewegungen äussern sich in spröden die Aptychen- oder Calpionellenkalke sowie die Deformationen. Im Gebiet von Septimer- und Palombini-Serie (Argille a Palombini, Emmat- Maloja-Pass wurden drei grössere Systeme oder Neokomschiefer). Letztere besteht aus erkannt (Abb. 3), wobei die relative zeitliche einer typischen Wechsellagerung von pelagischen Eingrenzung oft unklar ist. Kalken mit dunklen Tonschiefern, welche Ein konjugiertes N-S-streichendes Exten- teilweise viele dolomit- bis quarzreiche Turbiditein- sionsbruchsystem wurde nur im N der Bergeller lagerungen aufweisen kann. Weiter sind mergelige Intrusion gefunden. Im Bereich des Septimer- Serien und Flysche aus der Oberkreide Passes hat ein solcher Bruch noch eine dextrale bekannt (z.B. Murtiröl), im Untersuchungsgebiet Verschiebungskomponente. Eine ca. 40 Grad aber nicht vorhanden. Am Lunghin-Pass seien gegen N einfallende Schrägabschiebung durchtrennt speziell das basal stark verscherte Grevasalvas- die ganze Platta-Zone und verursacht Kristallin und die Malm-Kreidepakete erwähnt. beim Lunghin-See eine vollständige tektonische Diese werden durch dünne Kristallin- und Reduktion dieser Einheit. Die Bewegung lässt Dolomitzüge aufgetrennt. Einige Serien bei Motta da sich mit zwei Vektoren, einer Abschiebung des Sett enthalten zahlreiche dolomitische Brekzien- nördlichen Teils und einer sinistralen Versetzung, einschaltungen. Die zugehörigen Radiolarite zeigen beschreiben. Die Schrägabschiebung ist hier eine Farbänderung von rot zu graugrün, eindeutig jünger als die Extensionsbrüche. Die entsprechend dem zunehmenden Grad der Engadiner Linie stellt den markantesten Bruch Regionalmetamorphose. im Gebiet dar und fällt steil (gegen S?) ein. Eine - Margna-Decke: Sie hat den gleichen litho- Bewegungsanalyse mit Striemungsmessungen stratigraphischen Aufbau wie das Unterostalpin ergibt einen absoluten Versetzungsbetrag im mit mesozoischen Ablagerungen vom Perm bis Oberengadin von ca. 2,5 km (Mützenberg, in die Kreide. Kristallin und Sedimente sind aber 1986). Dieser setzt sich aus einer relativen stark deformiert (Liniger und Guntli, 1988). Senkung des nördlichen Teils um 2,2 km und einer Beim Lunghin-See beispielsweise treten sowohl reinen sinistralen Verschiebung von 1,5 km Gneismylonite als auch Scherfalten in den kieseligen zusammen. Die letzten Bewegungen an der Engadiner Kalkmamoren auf. Nördlich des Silsersees Linie sind sicher jünger als die Bergeller sind grünliche Radiolarite und gelbliche Apty- Intrusion. chenkalke vorhanden, während die Palombini- Serie erst bei Marmore südlich von Sils-Maria erkennbar ist (Staub, 1946). Flysch fehlt in der Lithologischer Aufbau Margna-Decke. - Platta-Zone: In den Ophiolithen dieser Die Abfolgen sind oft stark tektonisch ausgedünnt Zone ist die typische Gesteinsassoziation mit oder in einzelne Pakete aufgetrennt. Eine Serpentinit, Gabbro, Pillowbasalt sowie die vollständigere Lithostratigraphie ist aus dem Sedimentbedeckung mit Radiolarit, Aptychenkalk Unterostalpin weiter im E (Furrer, 1985 und und Palombini-Serie vertreten (Dietrich, 1970). Literatur darin) und der Platta-Zone weiter im N Beim Piz Lunghin fallen brekzierter und zer- bekannt (Dietrich, 1970). Sie wird auf die scherter Serpentinit, Ophikalzit sowie die kalksi- vergleichbaren Gesteine im Arbeitsgebiet übertragen. likatreichen Grünschiefer- und Margnagneis- Kontakte zu Serpentinit auf. Speziell erwähnenswert - Unterostalpin: Die Unterostalpinen Decken sind Graphit-Stilpnomelan-Alkaliamphibol- bestehen generell aus einem prämesozoischen Quarz-Albitschiefer (Cornelius, 1932). Sie wer- 100 MARKUS LINIGER UND PETER NIEVERGELT den als metasomatisch veränderte Meta-Radiola- bestimmten Alters grenzen entweder mit klarem rite gedeutet (Philipp, 1982). tektonischem Kontakt an die ophiolithreichen - Zone-Malenco-Forno-Lizun: Nördlich des Averser-Schiefer darüber, oder sie sind mit diesen Malenco-Ultramafitit schliesst sich die vielfältige isoklinal verfaltet. Die typischen unterostal- Forno-Serie an (Peretti, 1985). Diese Serie um- pinen Abfolgen mit Radiolarit, Aptychenkalk fasst Gesteine der ozeanischen Kruste, Meta- und Palombini-Serie fehlen in der Suretta-Dek- Radiolarite und -Aptychenkalke und eine kalkfreie ke. Metapelitserie. Letztere wird von den Mu- - Averser-Schiefer: Sie umfassen eine grosse rettoquarziten (flyschoide Sandsteine unbekannten Palette verschiedenartiger Lithologien. Dazu Alters) überlagert. In der Bergeller gehören abgescherte und zurückbewegte Kristallin- Kontaktaureole wird die Forno-Serie in Amphibolit- und Sedimentzüge der Suretta-Decke sowie fazies umgewandelt. Die Lizun-Einheit, eine Ophiolithe mit Serpentinit, Gabbro und Serie aus Grünschiefern und Metagabbro, aber Grünschiefer (Staub, 1926). Daneben treten schwer ohne Sedimentbedeckung, folgt nördlich der gliederbare sandig-tonig-kalkige Abfolgen, aber Engadiner Linie. auch mächtigere Kalkschiefer- und Sandsteinserien - Arblatsch-Flysch und Val-Gronda-Serie: auf. Auf Abb. 1 ist unter der Turba-Mylonitzone Der Arblatsch-Flysch mit tertiären Serien stellt die Turba-Serie aus gelblich-grünlichen, die höchste Einheit der Oberhalbsteiner-Flysche z.T. leicht kalkigen Sandsteinen von flyschoidem dar (Ziegler, 1956). Ohne scharfen tektoni- Charakter dargestellt. Beim Sattel zum Piz Mä- schen Kontakt folgt über den Flyschen die der und weiter gegen SE sind Ausläufer der Ju- schieferreiche Val-Gronda-Serie (Dietrich, 1970). fer Gabbro-Masse als Grünschiefer- und Serpen- Sie besteht im Übergangsbereich aus einer tinit-Lagen erkennbar. Die kalkfreien Sandsteine Wechsellagerung von Tonschiefern mit bräunlichen der Mäder-Serie darunter sind isoklinal mit bis hellgrauen Sandsteinen. Darüber tritt Grünschiefern verfaltet. Gegen die Val Maroz eine Abfolge aus schwarzen Tonschiefern mit hin treten zuerst eine kalkreiche Schieferzone, Kalk- und Sandsteinlagen und vereinzelt dann eine isoklinal verfaltete Serie aus Ophioli- eingeschuppten Grünschiefern auf. Die typisch bräunlichen then und Kalkglimmerschiefern auf. Arblatsch-Sandsteine und die Val-Gron- da-Serie können gegen S bis zum Piz Turba verfolgt werden. Schlussfolgerungen - Turba-Mylonitzone: Aus den Kalken der Val-Gronda-Serie entwickelt sich ca. 400 m nördlich Im Grenzbereich von Penninikum und Ostalpin des Turba-Gipfels die Turba-Mylonitzone können zwischen Avers, Oberhalbstein, Oberen- (Dietrich, 1970). Sie ist bis unter die Lizun-Einheit gadin und oberer Val Bregaglia zwei tektonische erkennbar (Abb. 1). Es treten neben reinen, Stockwerke unterschieden werden. Die glimmerreichen, kieseligen Kalkmyloniten Deformationen im höheren Stockwerk sind mehrheitlich vereinzelte Grünschieferrelikte sowie Linsen aus auf E-W-gerichtete duktile Scherverformung Dolomit und Kalkmylonit der Trias auf (Staub, (Fl) bei der Deckenbildung in der Kreide 1946). Als Protolithe der kieseligen Kalkmyloni- zurückzuführen. F2-Rückfalten deuten auf eine te sind neben den Gesteinen der Val-Gronda- N-S-Kompression. Das Alter dieser Deformation Serie auch Aptychenkalk, Palombini-Serie und muss zwischen 60 und 30 Mio. Jahre liegen. Averser-Schiefer denkbar. Für die Grünschiefer Das tiefere Stockwerk wurde im Tertiär mit Iso- und Dolomite ist eine Flerkunft aus den angrenzenden klinalfaltung (Dl) und durch markante N-S-ge- Einheiten irgendwo aus dem Bereich richtete Rückbewegungen (D2) überprägt. Letztere zwischen Suretta-, Margna-Decke und Platta- sind eindeutig jünger als F2. Zone anzunehmen (Abb. 2a). Die strukturgeologischen Daten schliessen im - Suretta-Decke: Im Gebiet der Val Bregaglia Untersuchungsgebiet grössere tertiäre Bewegungen und der Val da la Duana sind über Gneisen die zwischen oberpenninischen Ophiolithen und Granat-Chloritoidschiefer zu erwähnen, die z.T. Ostalpin aus. Die Zunahme der alpinen Konglomeratstrukturen zeigen. Über der Trias Regionalmetamorphose im höheren tektonischen mit Quarziten, Rauhwacken, Dolomit- und Stockwerk zwischen Oberhalbstein und Ober- Kalkmarmoren sowie Brekzien und Prasinitlagen ist deshalb nicht tertiären Alters, folgt eine wahrscheinlich basische Serie aus sondern der Gebirgsbildung in der Kreide kieseligen gebänderten Kalkmarmoren mit Einlagerungen zuzuordnen. von Dolomit- sowie Dolomit-Kalkbrek- Die Margna-Decke gleicht nicht nur durch zien. Diese und die anschliessenden sandig-tonig- ihre Sedimentabfolgen dem Unterostalpin, kalkigen Schiefer und Kalkglimmerschiefer un¬ sondern hat, zusammen mit den angrenzenden ober- STOCKWERK-TEKTONIK IM SUDLICHEN GRAUBUNDEN 101 penninischen Ophiolithen, auch eine gleichartige Literaturverzeichnis tektonische Entwicklung mitgemacht. Diese unterscheidet sich deutlich von derjenigen der mit- Cornelius, H P (1932) Geologische Karte der Err- telpenmmschen Tambo- und Suretta-Decke. Julier-Gruppe, L25000, West-Blatt, Spezialkarte 115a, Schweiz Geol Komm Staub (1958) hat die Herkunft der Schamser- Cornelius, H P (1950) Geologie der Err-Julier-Grup- Decken diskutiert und eine mögliche südliche pe Beitrage zur Geol Karte der Schweiz NF, 70 Fortsetzung ins Gebiet des Piz Turba und der 264 Seiten Forcellina-Schuppe angedeutet. Aber Deutsch, A. (1983) Datierungen an Alkahamphibo- len und Stilpnomelan aus der südlichen Platta-Dek- Stockwerkbau und sehr unterschiedliche Lithologien ke (Graubunden) Eclogae geol Helv. 76/2, lassen eine Ableitung der Schamser-Decken von 295-308 der Margna-Decke nicht zu. Eine Herkunft aus Dietrich, V. (1970) Die Stratigraphie der Platta-Dek- ke Helv 63/2, 631-771. dem mittelpenninischen Raum wird angenommen Eclogae geol Furrer, H Ed (1985) Field on Triassic (Schmid et al., 1990 und weitere Literatur Workshop and Jurassic Sediments in the Eastern Alps of darin). Switzerland. Mitt Geol Institut der ETH und Universität Suretta-Decke und Averser-Schiefer lassen Zurich, Nr 248, 81 p sich nach S in die Val Malenco verfolgen Guntli, P. und Liniger, M (1989) Metamorphose der Schweiz Mineral 69/ Fortsetzung Margna-Decke Petrogr Mitt. (Staub, 1946, 1958), so dass hier eine 2, 283-289 des Stockwerkbaus und der tertiären Jager, E (1973) Die alpine Orogenese im Lichte der Bewegungszone anzunehmen ist. Spate intensive radiometrischen Altersbestimmung Eclogae geol Deformationen im Bereich der sudlichen Steilzone Helv 66/1,11-21. M und P. Bau und Geschich¬ erfassen alle Einheiten und sind Liniger, Guntli, (1988) («Wurzelzone») te des zentralen Teils der Margna-Decke Schweiz noch genauer zu untersuchen. Die Ophiolithe in Mineral Petrogr Mitt 68, 41-54 den Averser-Schiefern konnten schon in der Motzenberg, S (1986) Ergebnisse geologischer Stu¬ Kreide mit Sedimenten der Suretta-Decke dien südlich Maloja Zusammenfassung Schweiz Mineral Petrogr Mitt 66/3, 466^172 verschuppt sein. einer solchen worden Strukturen Peretti, A (1985) Der Monte-del-Forno-Komplex Phase sind bis jetzt nicht nachgewiesen, da jüngere am Bergell-Ostrand Seine Lithostratigraphie, alpine Deformationen alles stark uberpragt haben. Tektonik und Metamorphose Eclogae geol Die Bewegungen in der Helv 78, 23^18 Turba-Mylomtzone R Die der Platta- konnten dem Philipp, (1982) Alkahamphibole (D2) mit Modeilexperiment von Decke zwischen Silsersee und Lunghinpass Mérle & Guillier (siehe Schmid et al., 1990) (Graubunden). Schweiz Mineral Petrogr. Mitt 62, erklart werden. Suretta- und Tambo-Decke stossen 437^155 Schmid, S M Ruck, Ph und Schreurs, G (1990, schneller gegen NW vor als die daruberliegenden im Druck) The significance of the Schams nappes for Einheiten. Dadurch es kommt dort zu relativen the reconstruction of the paleotectomc and oro- Ruckbewegungen. In einer alternativen Erklärung genic evolution of the Penmnic zone along the NFP lasst sich die Turba-Mylonitzone als duktile 20 East traverse (Grisons, eastern Switzerland) Scherzone entlang einer flachen SE gerichteten Mem. Soc geol Suisse 1, Editors Roure, F Heitz- P und Polino, R Froitzheim). mann, Abschiebung auffassen (Vorschlag N. Staub, R (1926) Geologische Karte des Avers, Diese Ruckbewegungen sind die letzten 1 50000. Spezialkarte 97, Schweiz Geol Komm grossen Bewegungen im untersuchten Gebiet. Staub, R (1946) Geologische Karte der Bernina- Daher wir, dass die ostalpinen Decken Gruppe und Umgebung, 1 50000 Spezialkarte 118, folgern Schweiz Geol Komm als bereits in einer früheren Phase D2 über die Staub, R (1958) Khppendecke und Zentralalpenbau mit fruhtertiaren Fossilien (Ziegler, 1956) Beziehungen und Probleme Beitrage zur Geol datierten Flysche im Oberhalbstein und im Unter- Karte der Schweiz NF, 103 184 Seiten engadin (Engadiner Fenster) geschoben wurden. Trumpy, R (1975) Penninic-Austroalpine Boundary in the Swiss A former continental Anhand der kann oder Alps presumed Beobachtungen nur Dl margin and its problems Am Jour Sei, V 275-A, eine noch frühere Phase dafür in Frage kommen. 209-238 Ziegler, W.H. (1956) Geologische Studien in den Flyschgebieten des Oberhalbstems (Graubunden) Eclogae geol Helv 49/1,1-78 Verdankungen

Wir danken S M. Schmid fur die strukturgeologische Feldbetreuung und V. Trommsdorff, V. Dietrich und N. Froitzheim fur Diskussionen und die Durchsicht des Manuskriptes Manuskript angenommen 26 Januar 1990