Melatenfriedhof – Newsletter Ausgabe 2 – Februar 2018

Editorial Neues über einen Friedhof – ein Widerspruch in Religionswissenschaftler und Publizist aus Köln, sich? Natürlich nicht. Jedes Jahr sterben Menschen, hielt 2017 gleich zwei sehr beachtete Trauerreden finden Beerdigungen statt, werden neue auf Melaten: für seinen Vater Dr. Djavad Kermani Grabstätten errichtet, gedenken die und den Can-Musiker Jaki Liebezeit – siehe die Hinterbliebenen und Freunde ihrer Toten. Bei jeweiligen Artikel. manchen Verstorbenen wundert man sich: Die beiden Gründungsmitglieder der Alternativ-Rock- Wenn Sie selbst Geschichten über den Band „Can“ waren schon fast 80 Jahre alt? Melatenfriedhof erzählen wollen, schicken Sie uns Unglaublich! Ihre Musik klingt so jung! Ihren Text! Schön wäre auch ein Foto dazu.

Ein Lebender steht im Mittelpunkt dieses Wir wünschen Ihnen Freude und Anregungen beim Newsletters: Navid Kermani, engagierter Autor, Lesen!

2017 Verstorbene

Alexandra Kassen (30.1.1923 – 25.6.2017) In Köln gibt es einige Persönlichkeiten, die nicht ganz so laut wie manch andere Kultfigur, aber Kultstatus erreicht haben, zum Teil schon zu präsent in der Kölner Kultur war sie wie keine Lebzeiten: Volksschauspieler Willy Millowitsch Zweite. „Et Hötche“ wurde sie genannt, wegen ihrer gehört dazu, Theo Burauen, der beliebteste originellen Hüte, mit denen sie in der Öffentlichkeit Oberbürgermeister der Kölner Geschichte, Hennes auftrat. Aber die waren nur ein äußerliches Weisweiler, FC-Meistertrainer, Peter „de Aap“ Accessoire, ihr Lebenswerk bestand aus etwas Müller, legendärer Boxer der 50er und 60er Jahre, Anderem: Sie war die Prinzipalin des Trude „Niemals geht man so ganz“ Herr, deutschlandweit bekannten Senftöpfchen-Theaters Schauspielerin und Sängerin mit eigenem Theater in in der Großen Neugasse am Rand der Kölner der Severinstraße. Altstadt.

Alexandra Kassen kann man auch in diese Reihe Das Senftöpfchen war 1959 von ihr und ihrem Mann stellen. Vielleicht war sie nicht ganz so volkstümlich, Fred Kassen (gest. 1972) gegründet worden. Vorausgegangen war die Eröffnung der Tradition fort. Dieter Hildebrandt, Hanns Dieter Künstlerkneipe „Stachelschwein“ in München. Aus Hüsch, Werner Schneyder und viele andere der dort gastierenden Kabarettgruppe „Die berühmte Kabarettisten, Chanson-Sänger/innen, Namenlosen“ wurde später die „Münchner Lach- Travestie-Künstler/innen waren von Anfang an und Schießgesellschaft“ mit Dieter Hildebrandt an dabei. der Spitze. Das Senftöpfchen in Köln setzte diese

1986 zog man von der Pipinstraße in die Große zuhören, motivieren, helfen, unterstützen, trösten. Neugasse um. Nach dem Tod ihres Mannes hatte Alle Interpreten, die bei ihr aufgetreten sind, Alexandra Kassen das Theater übernommen. Ihr betonten: Die Kassen war bei jeder Vorstellung kommt das große Verdienst zu, viele junge Talente dabei, kam in die Garderobe, wünschte Erfolg, entdeckt und gefördert zu haben. Namen wie Ingo kümmerte sich um „ihre“ Interpreten. Ihre Tochter Appelt, Dieter Nuhr, Konrad Beikircher, Jürgen von Alexandra Franziska führt nach dem Tod der Mutter der Lippe, Harald Schmidt, Konstantin Wecker, am 25. Juni 2017 das Senftöpfchen weiter. Wilfried Schmickler sind eng mit dem Senftöpfchen- Theater verbunden. Kölsche Bands wie die Bläck In der Todesanzeige für Alexandra Kassen stand in Fööss und De Höhner hatten in den 70er Jahren hier Hinblick auf die Beerdigungsfeier auf dem Melaten- ihre ersten Auftritte. Alfred Biolek startete 1973 Friedhof: „Wir bitten um lebensbejahende seine Live-Talkshow „Wer kommt, kommt“, die ab Kleidung. Anstatt zugedachter Blumen und Kränze 1976 als „Kölner Treff“ vom WDR gesendet wurde. bitten wir im Sinne der Prinzipalin um eine Spende 1999 wurde ihr im Schloss Bellevue in vom an den Förderverein des Senftöpfchen-Theaters“. damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog der „Ein rotes Hötche saß keck auf der ebenso roten Verdienstorden 1. Klasse für „ihr Engagement um Urne. Und erinnerte ein wenig augenzwinkernd an die Kleinkunst und die Förderung junger Talente“ Alexandra „Et Hötche“ Kassen“, schreibt der verliehen. Express über die Beerdigung – hier nachzulesen.

Alexandra Kassen konnte all diese herausragenden Hier kann man Alexandra Kassen in einem WDR- Künstler um sich scharen, weil sie über einige Film über 50 Jahre Senftöpfchen sehen. wunderbare Eigenschaften verfügte: Sie hatte ein waches Auge für unbekannte Talente, sie konnte Grabstätte: Flur 71, Nr. 45-46

Jakie (Hans Heinrich) Liebezeit (26.5.1938 – 22.1.2017), Holger Czukay (Holger Schüring) (24.3.1938 – 5.9.2017)

Jakie Liebezeit (Schlagzeug) und Holger Czukay Bundeswehrmatratzen ausstatteten, um einen (Bass) waren Musiker der deutschen Gruppe „The trockeneren Sound zu schaffen. Bekannt wurde Can“, später nur „Can“. Was für eine Gruppe? Rock? „Can“ durch Filmmusiken, z.B. für Tom Toelles Pop? Jazz? Schwer zu sagen. Sie selbst lehnten es Fernsehfilm „Das Millionenspiel“, die Durbridge- ab, als Rockband bezeichnet zu werden. Krimiserie „Das Messer“ oder den Tatort „Tote Avantgardistisch waren sie in jedem Fall, Free Jazz, Taube in der Beethovenstraße“ von Samuel Fuller. Psychedelic Rock, aber auch Elemente der Neuen Musik spielten eine Rolle – Holger Czukay und der In Deutschland hielt sich der Erfolg von „Can“ in Keyboarder Irmin Schmidt hatten bei Karlheinz Grenzen, allerdings machten sie sich neben Stockhausen in Köln studiert. „Kraftwerk“, den „Einstürzenden Neubauten“ und den „Scorpions“ einen Namen als innovative Band. Die Originaliät der Gruppe zeigte sich unter Im Ausland waren sie fast noch bekannter: 2015 anderem daran, dass sie 1971 in ein ehemaliges wurde das Album „Future Days“ auf Platz 8 der Kino in Weilerswist bei Köln einzogen, dort ein besten Progressive-Rock-Alben aller Zeiten gewählt. Tonstudio mit 1500 ausgedienten Auch die Beatles verehrten die deutsche Kultband.

„Can“ hatte im Laufe der Jahre sehr dokumentiert ist. Er erinnert sich daran, dass unterschiedliche Besetzungen, die Musiker kamen Liebezeit ein wortkarger, aber sehr vielsagender und gingen. Alle spielten ihren Stil, gelegentlich wild Mensch war: durcheinander. „Dann bestand Jaki, der so etwas wie unser Trainer war, darauf, dass alle sich „Dennoch redeten wir, wann immer wir uns trafen, reduzierten. So entstand dann plötzlich ein wir begrüßten uns und fragten mindestens, wie es gemeinsamer Sound. Alles, was nicht einen geht, wechselten ein paar Sätze, die zwanzig Jahre Bombenrhythmus hatte, wurde sofort den lang freundlich waren. Und das Erstaunliche, ja Löschköpfen zum Fraß vorgeworfen“, sagt Holger Unfassbare war, dass er wenig sagte und ich Czukay, zitiert von Zeit Online am Tag nach dennoch viel verstand. Genau dies: Das Verhältnis Liebezeits Tod. von Worten, Gesten, mimischen Andeutungen, klanglichen Varianten, Stimme heben, Stimme Navid Kermani, auf dessen Nachruf auf seinen Vater senken, dieses bei ihm unglaublich reduzierte, Djavad wir weiter unten in diesem Newsletter regelrecht karge Instrumentarium von hinweisen, war 20 Jahre lang Liebezeits Nachbar in Ausdrucksweisen stand im diametralen Verhältnis Köln. Er hat am 6. Februar 2017 bei der Trauerfeier zur Fülle an Bedeutungen. Ich glaube, jeder, der ihn auf Melaten eine Rede gehalten, die in der Zeit trommeln gehört hat, zumal in den letzten Jahren, stimmt mir zu, dass es bei seiner Musik genauso Liebezeit mit Burnt Friedman in Berlin 2015 sehen war, die Mittel so wenig, die Bedeutungen so viel.“ und hören.

Seine Musik reduzierte sich zunehmend auf Holger Czukay, 1938 in Danzig geboren, bewarb sich Wiederholungen, die umso komplexer wirkten, und 1963 am Kölner Konservatorium für auf ungewöhnliche Rhythmen: Fünfachtel, Musikwissenschaften. „Da war ich ganz schön naiv, Fünffünftel, Siebenachtel, Neunachtel, Elftachtel – ich konnte ja gar nichts. Das habe ich dem Karlheinz für gewöhnliche Musiker kaum zu begreifen, für Stockhausen auch gleich gesagt!“ erzählte Czukay einen Schlagzeug-Virtuosen wie ihn der dem Spiegel-Redakteur Arno Frank; den ganzen Lebensrhythmus. „Jaki Liebezeit brauchte nur die Artikel kann man hier lesen. Musik“, sagte Kermani. Hier kann man den „späten“

Stockhausen ließ sich davon aber nicht Einen Eindruck von seiner Musik vermitteln die beeindrucken und nahm Czukay unter seine Stücke Persian Love und Cool in The Pool. Vor allem Fittiche. Czukay lebte bis zum Schluss im Studio in letzteres zeigt, wie schelmisch Czukay mit seiner Weilerswist. Nach der Trennung von „Can“ Musik umging. experimentierte er weiter mit Musik, sampelte atmosphärische Geräusche, spielte auf der ersten Grabstätten: Flur T, Grab 73, Flur TU, Grab 9; die Platte der Eurythmics, trommelte für Peter Gabriel Gräber liegen in Sichtweite. und inspirierte The Edge, den Gitarristen von U2.

Dr. Djavad Kermani (20.3.1927 – 3.12.2018)

Über Dr. Kermani ist öffentlich nicht so viel bekannt betreut unter anderem ein Flüchtlingsprojekt im wie über andere Prominente, deren Grabstätte auf Südosten der Türkei; die Schülerinnen und Schüler Melaten liegt. Er war Arzt und Geschäftsmann, der Kerpener Europaschule hatten im vergangenen hatte mit dem deutsch-iranischen Handel zu tun. Er Jahr 5000,- € gespendet, um das Jahresgehalt eines gründete außerdem 1989 das Avicenna-Hilfswerk, Lehrers zu sichern; hier kann man Genaueres über das sich laut seiner Homepage um die dieses Projekt lesen. „Durchführung und Koordinierung kultureller, medizinischer und karitativer Projekte und Einer größeren Öffentlichkeit ist Dr. Kermani Aktivitäten“ kümmert. Das Avicenna-Hilfswerk bekannt geworden, als einer seiner Söhne bei seiner Beerdigung am 3. Dezember 2017 die Trauerrede offenbar in ihn. Denn überallhin, wohin unser Vater hielt. Diese Rede wurde in der Wochenzeitung „Die ging, auf den Platz, durch den Basar, selbst ins Zeit“ veröffentlicht – hier kann man sie nachlesen. Klassenzimmer, wenn man unserem Vater glauben Dieser Sohn ist Dr. Navid Kermani. Er ist habilitierter durfte, der neben allem anderen auch ein Orientalist, Romanschriftsteller, Publizist. 2015 Geschichtenerzähler war, selbst ins Klassenzimmer erhielt er den Friedenspreis des Deutschen folgte ihm das Lamm. Gut, überallhin konnte unser Buchhandels. Er wurde von kulturell interessierten Vater es doch nicht mitnehmen, das Lamm, offenbar Kreisen als Kandidat für die Nachfolge von Joachim nicht ins Klassenzimmer oder jedenfalls nicht jeden Gauck als Bundespräsident ins Gespräch gebracht. Morgen, denn eines Mittags kam er aus der Schule, Bekanntlich wurde dann im März 2017 aber Frank- und das Lamm war nicht mehr da. Jemand hatte es Walter Steinmeier gewählt. zum Schlächter geführt. Unser Vater behauptete – wie gesagt, ein Geschichtenerzähler vor dem Herrn Navid Kermanis Rede beschreibt sehr liebevoll aber –, unser Vater behauptete, dass er quer über den auch kritisch den Lebensweg seines Vaters, das Platz in den Basar und durch halb Isfahan gerannt originelle Werben um seine Frau in Isfahan, seine sei, heulend und schluchzend, um das Lamm zu Übersiedlung nach Deutschland, den Neuanfang retten, das sein Freund geworden war. Natürlich und die Integration in der neuen Kultur, seine fand er es nicht, und kein Erwachsener begriff seine erwachte Liebe zu Gott und zum Rhein. Eine Stelle Tränen, als er in den Hof zurückkehrte, begriff den der Rede zeigt die starken Gefühle des Vaters als Rotz, der ihm aus der Nase lief, hörte sein Kind, mit denen seine Söhne lange Zeit nicht Herzklopfen, achtete auf seinen anklagenden Blick. gerechnet hatten: Es war doch nur ein Lamm, winkten die Erwachsenen ab, ein Lamm, wie man es jeden „Und unser Vater, dieser nachgeborene, von allen Festtag isst. Niemand dachte daran, dass für ein verhätschelte Junge unter den vielen Mädchen und Kind ein Lamm mehr als nur ein Tier sein kann, Frauen, hatte sich in das Lamm verliebt, das nämlich ein Freund, ein Kind Gottes wie jedes ebenfalls in dem Innenhof lebte, und das Lamm sich andere Geschöpf, ein Sohn wie unser Vater selbst.

Ich sollte nicht zu viel in diese Episode seine Durchsetzungskraft staunen machte. Unser hineinpsychologisieren, und doch ist es auffällig, Vater, der Berge versetzen konnte, wusste genau – dass ausgerechnet sie die prägende, die am tief in der Seele hatte sich die Erfahrung ihm häufigsten erzählte, gewiss auch ausgeschmückte eingebrannt –, dass der Mensch eigentlich Kindheitserinnerung eines Mannes war, der die ohnmächtig ist, dass er nichts in der Hand hat.“ Mitmenschen durch seinen unbändigen Willen, seinen durchaus auch rücksichtslosen Eigensinn, Grabstätte: Mittelachse, 69a

Weitere Geschichten

Johannes Theodor Baargeld (9.10.1892 – 18.8.1927)

Lügen Grabsteininschriften? Naja, zumindest sagen Bergwanderung mit seinem Bruder tödlich sie nicht immer die ganze Wahrheit. Der Mann, der verunglückt. Kann nicht sein, schreibt Walter Vitt, in diesem Grab liegt, hieß nicht Johannes Theodor sein Biograph: Seine einzigen Brüder sind bereits 4 Baargeld, sondern Alfred Ferdinand Gruenwald. bzw. 14 Jahre vorher gestorben. Walter Vitt hat Auch um seinen Tod gibt es Verwirrung: Er sei am 6. herausgefunden: „Baargeld verunglückte damals August 1927 durch ein Lawinenunglück in Tirol weder in Tirol noch durch ein Lawinenunglück, gestorben, heißt es im Kölner Katalog „Von sondern erfror bei einer Bergbesteigung in den Dadamax zum Grüngürtel“. Im Zürcher/Pariser französischen Alpen, und zwar am 17. oder 18. Dada-Katalog steht, er sei 1927 bei einer August 1927.“

Die Skulptur auf dem Grab Baargelds

Was ist da los? Und wieso „Dada“? Zumindest das aufsehenerregende Kunstaktion: Unter dem Motto lässt sich erklären. Alfred Ferdinand Gruenwalds „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ (später Vater war der jüdische Versicherungsdirektor und anders weitergeführt von der Band „Ton, Steine, Millionär Heinrich Leopold Gruenwald. Alfred Scherben“) stellte man Skulpturen aus und legte studierte Jura in Oxford und Bonn. Im Ersten einen Hammer daneben: Wenn euch das nicht Weltkrieg diente er als Reserveleutnant, 1917 gefällt, zerschlagt sie – wir liefern morgen neu! So begann er, noch an der Front lyrische und politische geschah es. Skandal! Die Polizei schloss die Texte zu schreiben. 1918 trat er der USPD bei, der Ausstellung und auch das Brauhaus für einen Tag. Linksabspaltung von der SPD. Er freundete sich mit Während Max Ernst nach ging und Max Ernst und Hans Arp an, sie gründeten „Die weltberühmt wurde, wendete sich Gruenwald von Dada-Zentrale W/3“. Ihre Zeitschrift „Ventilator“ der Kunst ab, studierte Volkswirtschaft an der wurde bald von der britischen Besatzungsmacht Kölner Uni und wurde Beamter bei der Kölnischen verboten. Rückversicherungsgesellschaft – sein Vater war dort Generaldirektor. Die Dada-Bewegung machte international Furore, Namen wie Marcel Duchamp, Francis Picabia, Ach ja: Das Pseudonym „Baargeld“ rührte daher, George Grosz oder John Heartfield sind auch heute dass angeblich der damals noch arme Max Ernst noch ein Begriff. Im Brauhaus von Friedrich Winter beim gemeinsamen Biertrinken im Früh immer in der Schildergasse (Winter liegt auch auf Melaten) gerufen habe: „Köbes, zahlen, da sitzt unser veranstaltete die Kölner Dada-Gruppe eine Bargeld“ – und zeigte auf den Millionärssohn Gruenwald. Das Buch von Walter Vitt über Baargeld neben biographischen Angaben auch Gedichte und ist sehr lesenswert: „Auf der Suche nach der Zeichnungen Baargelds sowie faksimilierte Biographie des Kölner Dadaisten Johannes Theodor Ausgaben der von Baargeld herausgegebenen Baargeld. Keller Verlag Starnberg 1997. Sie enthält anarchistischen Zeitung „Der Ventilator“.

Wenn Sie Baargelds Grab besuchen, können Sie Kupfermünzen auf sein Grab legen.

In der Ausgabe 1/2 vom Februar/März 1919 stehen verdächtige Gedanken und Gefühlsepidemien um. auf der Titelseite so interessante Aufrufe wie: Kein Mensch ist sicher! Am wenigsten vor sich „Warnung! Traut niemandem! Traut nicht dem selber.“ offenbarsten Augenschein. Es sind Geheimbünde unter euch – traut euch selber nicht. Es gehen Grabstätte: Flur 73A

Anton Räderscheidt (11.10.1892 – 8.3.1970)

Die Dada-Bewegung in Köln – siehe den Artikel über geteilt. Sie haben im In- und Ausland manchen Johannes Theodor Baargeld – hatte noch einen Freund über Wasser gehalten. Dieser Zweck und das eigene Vergnügen hinderten jedoch nicht, dass mit den Lumpenbällen ein ganz neuer Karnevalsstil in Köln begründet wurde. Eine solche Freiheit des Dionysischen hatte es bis dahin noch nicht gegeben. Der offizielle Karneval, den wir verachteten, nahm uns nicht zur Kenntnis, wenngleich hin und wieder Versuche gemacht wurden, uns zu diffamieren.“ Wer denkt da nicht an die heutige Stunk-Sitzung?

Ein dramatisches, aus der Perspektive von Anton Räderscheidt möglicherweise eher skurriles Ereignis begab sich 2010. Wolfgang Stöcker, Mitglied unseres Melaten-Fördervereins, traute während einer Führung über den Friedhof seinen Augen kaum: Räderscheidts Grab war verschwunden. Er rief sofort dessen Sohn Pascal an, der von der Friedhofsverwaltung eine abenteuerliche Geschichte hörte: Friedhofsarbeiter hatten den Auftrag gehabt, eine Grabstätte „Radeschadt“ aufzulösen, kamen zufällig bei Räderscheidt vorbei und dachten: Dat isset! Der Grabstein wurde geschreddert und zum Straßenbahnbau benutzt – seine Einzelteile liegen jetzt irgendwo zwischen Nippes und Kalk auf den KVB-Gleisen. In Absprache mit der Friedhofsverwaltung fand sich ein würdiger neuer Platz: Neben dem Grab von Wilhelm Riphahn und gegenüber von Oswald Mathias Ungers, dem berühmten Mitstreiter: den Maler Anton Architekten des neuen Wallraf-Richartz-Museums. Räderscheidt (1892-1970). Er war mit Hans Arp Mit Ungers verband Räderscheidt ein erfreuliches befreundet und gründete mit ihm, Heinrich Hoerle Erlebnis: „Zurück in Köln hatten wir erstmalig eine und anderen die Künstlergruppe Stupid. Mansardenwohnung in Lindenthal“, berichtet sein Räderscheidt hatte 1913 an der Richard-Wagner- Sohn Pascal Räderscheidt. „Ungers, noch Student, Straße sein erstes Atelier eröffnet, verdiente ab hat 1950 im Auftrag meines Vaters die 1919 sein Geld als freischaffender Künstler. Sein Stil Hotelrechnung bezahlt und die zurückgelassenen der Neuen Sachlichkeit missfiel nach 1933 den Werke in seinem VW-Käfer nach Köln gebracht.“ nationalsozialistischen Machthabern, Räderscheidt (Zitiert nach Kölner Stadt-Anzeiger vom 5.8.2010. floh mit seiner jüdischen Lebensgefährtin Ilse Hier kann man den Artikel in voller Länger Meyer-Metzger nach Paris, später in die Schweiz. nachlesen.) Pascal Räderscheidt war überzeugt Die Nazis raubten sein Atelier in Paris aus. Nach dem davon, dass sich sein Vater über die Grab-Affäre Tod seiner Lebensgefährtin lernte er Gisèle amüsiert hätte, schließlich hatte er schon vor Boucherie kennen, die er 1963 heiratete, ihr Grab seinem Tod gesagt: „Ihr könnt mich ja ausstopfen liegt rechts neben seinem. Anton Räderscheidt war lassen, dann habt ihr länger was von mir.“ trotz allem ein fideler Zeitgenosse. In den 20er Jahren war er beteiligt an den Kölner Auf YouTube gibt es ein Interview mit Anton Lumpenbällen; auf der Website Räderscheidt, der in unverfälschtem kölschen http://www.raederscheidt.com heißt es dazu: Tonfall das Geheimnis des Satzes auf seinem Grabstein enthüllt: „Ich male den Mann mit steifem „Es fand dergestalt eine Integration statt, von Hut und die hundertprozentige Frau.“ Leuten, die zusammengehörten, die sich verstanden und die uns verstanden. Juden waren Grabstätte: Weg V, zwischen Weg E und Weg F unsere zahlreichsten Kunden. Die Erlöse wurden

Wilhelm Riphahn (25.7.1889 – 27.12.1963)

Der bedeutendste Kölner Architekt des 20. Brücke, jetzt Sitz des Kölnischen Kunstvereins in der Jahrhunderts ist Wilhelm Riphahn, geboren 1889 in Hahnenstraße, das WiSo-Gebäude der Kölner Köln, gestorben 1963, ebenfalls in Köln. Jeder Universität, und – seit Jahren wegen der Kölner, jede Kölnerin kennt seine Bauten: zum missratenen Sanierungsplanung in der politischen Beispiel die Bastei am Rhein, den UfA-Palast am Diskussion - Oper- und Schauspielhaus an der Nord- Hohenzollernring, die Sartory-Säle in der Süd-Fahrt. Friesenstraße, das ehemalige British Council/Die

Riphahn war nicht nur Baumeister prominenter Gebäude in Köln, er hat sich auch städtebaulich Riphahn fand diesen Plan verabscheuenswert. Er verewigt: Die Hahnenstraße zwischen Rudolfplatz nahm nach dem Ende des Nationalsozialismus dem und Neumarkt wurde von ihm in den frühen Projekt Hahnenstraße seine Monumentalität, Nachkriegsjahren konzipiert. Schon vor dem indem er die Bebauung großzügiger gestaltete: Auf Zweiten Weltkrieg hatten die Nazis eine Schneise der südlichen Seite ließ er flache Pavillons errichten, vom Rudolfplatz bis zum Rheinufer schlagen lassen, erst in der zweiten Reihe erhebt sich die hier sollte eine Ost-West-Achse als monumentaler sechsstöckige Wohnbebauung. Aufmarschweg zum Gau-Forum in Deutz realisiert werden.

Eines der bekanntesten Bauwerke Riphahns: die Bastei am Rhein

Übrigens: Der Name „Hahnenstraße“ hat beerdigt. Die Predigt des Trauergottesdienstes wahrscheinlich nichts mit dem Tier zu tun, auch schloss mit den Worten: „Riphahn war ein wenn im Vorgarten des Kölnischen Kunstvereins Baumeister und als solcher hat er unserem Herrgott eine Skulptur „Der Hahn“ von Toni Stockheim das bei der Erschaffung der Welt geholfen.“ (Prälat suggerieren möchte; vielmehr lebte nahe des Josef Hoster, zitiert nach „Wilhelm Riphahn, heutigen Hahnentors ein Grundbesitzer namens Architekt in Köln, Bestandsaufnahme“, „Hageno von Anselm“, dessen Vorname sich durch herausgegeben vom Museum für Angewandte die Jahrhunderte in ein Tier verwandelt hat... Kunst Köln, Verlag der Buchhandlung König, Köln) Ein beeindruckender Film über das von Riphahn Riphahn war „ne Kölsche Jung“, es gibt erbaute Kölner Opernhaus zeigt eine Hommage herzerwärmende Fotos von ihm in durch den Schweizer Architekten Peter Zumthor Karnevalskostümen. Er war kein Theoretiker, und eine kritische Reflexion der Sanierungsplanung, sondern Pragmatiker, der sich gleichwohl in Stand von 2006, durch die ehemalige Architekturgeschichte und ästhetischer Diskussion Stadtkonservatorin Hiltrud Kier. auskannte. Am 3. Januar 1964 wurde er auf Melaten Grabstätte: Flur 73

Albert Richter (14.12.1912 – 2.1.1940)

Aber kennt ihn heute noch jemand? Sein Grab liegt abseits, im Ehrenfelder Teil des Friedhofs, nahe des Ausgangs zur Weinsbergstraße im Feld E 8. Richter war ein „Ihrefelder Jung“, aufgewachsen in der Sömmeringstraße 72. Mit 16 bestreitet er sein erstes Radrennen, 1932, mit 20, gewinnt er den Grand Prix de Paris, 1933 seinen ersten Deutschen Meistersprint, er wird Weltmeister der Amateure.

Maßgeblich beteiligt an seinen Triumphen ist der Trainer, Radsport-Manager und Journalist Ernst Berliner, er ist jüdischer Herkunft. Die Beziehung zwischen Albert „Teddy“ Richter und Ernst Berliner ist eng, der Biografin Renate Franz sagte Berliners Tochter Doris einmal: „Albert war der Sohn, den mein Vater nie hatte.“ (Zitiert nach der Jüdischen Allgemeinen, Online-Ausgabe, vom 11.10.17) Berliner emigrierte in die Niederlande, später in die USA. Seine Tochter Doris ging in mit Anne Frank in die Klasse.

Teddy Richter war Gegner der Nazis, er hob nicht den Arm zum Hitlergruß und weigerte sich, ein Trikot mit dem Hakenkreuz zu tragen. Ernst Berliner emigriert in die Niederlande, Teddy bleibt seinem Trainer treu. Am 1. September 1939, dem ersten Tag des Zweiten Weltkriegs, schreibt er: „Ich bin ein Auch auf dem Melaten-Friedhof sind Deutscher, aber für Deutschland kann ich nicht Klassenunterschiede sichtbar: Die Reichen und kämpfen, wenn es sich gegen Frankreich wendet.“ Berühmten liegen auf der Millionenallee oder an (Jüdische Allgemeine) Er gewinnt noch den Großen den großen Querwegen – jedenfalls zentral, in der Preis von Berlin am 9. Dezember 1939, plant dann Innenstadt sozusagen. Die übrigen liegen in der aber seine Flucht in die Schweiz. Er näht 12.700 Peripherie, selbst wenn sie manchmal durchaus Reichsmark in den Reifen seines Rennrades ein und prominent sind. Manche sagen, Albert Richter, der fährt mit dem Zug in Richtung Süden. Er wird Radrennfahrer der Weimarer Zeit und des verraten. Peter Steffes, ebenfalls Radrennfahrer, beginnenden Nationalsozialismus, hätte so ein Freund und Konkurrent Teddys, inzwischen Jahrhundertsportler werden können wie Max erfolgslos, dient sich der an und enthüllt Schmeling, Fritz Walter oder Franz Beckenbauer. Teddys Fluchtplan. Im Grenzbahnhof Weil am Rhein holt die Gestapo Richter aus dem Zug. Sie zu einem Ehrengrab zu machen. Auf dem Foto sieht verschleppen ihn ins Gefängnis von Lörrach, wo er man den städtischen Blumenschmuck zu Ehren des ein paar Tage später stirbt: „Selbstmord durch Toten. Erhängen“ heißt es im Totenbuch der Stadt. Max Schmeling liegt auf einem kleinen Friedhof in Tatsächlich war er von der Gestapo ermordet Hollenstedt bei Hamburg. Fritz Walters Grab auf worden. Das geschah am 2. Januar 1940. dem Kaiserslauterer Hauptfriedhof zeigt ein Foto von ihm und seiner Frau Italia, beide fröhlich In Müngersdorf heißt die alte Radrennbahn, lächelnd. Franz Beckenbauer, der inzwischen baulich modernisiert, seit 1996 nach Jahrhundertfußballer, leidet an seiner Verstrickung Albert Richter; vorangegangen war ein heftiger in den Fifa-Bestechungsskandal. Albert Richter ist Streit in der Stadtverwaltung. Manchen war der ein deutscher Held, dessen Grab im Abseits liegt, Name zu wenig einprägsam – so berichtet Ayhan aber einen Besuch wert ist. Einen achtminütigen Demirci in „Melaten. Mythos und Legenden“, S. 50. Film, den das niederländische Fernsehen gedreht Der belgische Radweltmeister Jef Scherens (gest. hat, kann man hier sehen. Es zeigt Fotos und 1986) ließ das Portrait seines Freundes und alten Filmausschnitte mit Albert Richter, aktuelle Videos Rivalen Teddy am Grabstein anbringen. Auf dem der heutigen Albert-Richter-Radrennbahn in Köln, Grabstein liegen kleine Steine, sie erinnern an die sowie ein interessantes Interview mit seiner Freundschaft zwischen Albert Richter und seinem Biographin Renate Franz. jüdischen Trainer Ernst Berliner. Immerhin hat es die Stadt Köln 1995 geschafft, Richters Todesstätte Grabstätte: E 8

Über den Tellerrand hinaus

Katja Nau, Mitglied des Fördervereins Melaten e.V., macht auf dieses Buch aufmerksam:

DIE GRÄBER DER DICHTER von Waltraut und festhält, was im Stein zunehmend verloren geht: Die Friedrich Pfäfflin Namen der Toten, die im 18. und 19. Jahrhundert diese Stadt belebten. Sie durchliefen das Unter den historischen Stadtfriedhöfen in Gymnasium illustre, die Hohe Carlsschule, um dann Deutschland ist der Stuttgarter Hoppenlau-Friedhof als Schriftsteller, Naturforscher, Ärzte, einer der schönsten: Hier liegen die Gräber von Verwaltungsbeamte, Architekten oder Schubart, Haug und Hauff, Gustav Schwab und Zeitungsmacher Land und Leben zu verändern. 420 Menzel neben den Angehörigen, Lehrern, Seiten, 68 Abbildungen, ISBN 978-3-927350-54-0, Freunden, Förderern und Verlegern von Schiller, 24,00 EURO Hölderlin, Justinus Kerner, Uhland, Lenau, Hauff oder Mörike. Dazu kommen die Maler, die Musiker, Waltraud Pfäfflin, Verlagsbuchhändlerin in die Zumsteegs oder die Schebest, die Bildhauer Stuttgart, Hamburg, Paris;Friedrich Pfäfflin (* Dannecker und Scheffauer, Theaterleute und 1935), Verlagsbuchhändler in Stuttgart, Hamburg, stadtbekannte Persönlichkeiten, die Wilhelm Hauff, Paris, Tübingen und München. 1976-2000 Leiter der Johann Peter Hebel, Wilhelm Raabe oder Leo Museumsabteilung des Schiller-Nationalmuseums Tolstoi Modell standen bei ihren Erzählungen. Marbach. 1976ff. Gründer und Redakteur des ›Marbacher Magazins‹; Mithrsg. der Reihe ›Spuren‹ Vor fast einem Vierteljahrhundert erschien das und der ›Marbacher Kataloge‹. Veröffentlichungen ›Marbacher Magazin‹ über den ›Hoppenlau- zu verlagsgeschichtlichen Themen; Editionen: Karl Friedhof als literarisches Denkmal‹. Vermehrt um Kraus, Sidonie Nádherný, Else Lasker-Schüler, 30 neu entdeckte Gräber erscheint nun eine Berthold Viertel, Wieland Herzfelde. Seit 2001 Hrsg. revidierte Neuausgabe, die auf Papier etwas der ›Bibliothek Janowitz‹ (22 Bände).

Zum Schluss

Sie suchen ein bestimmtes Grab, einen Prominenten, eine Nachbarin, laufen stundenlang über den Friedhof und geben die Suche auf? Es gibt eine Telefonnummer, bei der man Rat findet: 0221/221-25108. Da sitzt ein freundlicher Mensch, der geduldig für Sie sucht, Ihnen die Flur- oder Wegnummer sagt und Ihnen weitere Tipps geben kann.

Diese Ausgabe des Newsletters ist, wie Sie bemerkt haben, sehr männerlastig. Im nächsten Newsletter wird es einen Frauenschwerpunkt geben: Unter anderem werden wir über Agnes Roeckerath, die Namensgeberin der Agneskirche, Laura von Oelbermann, die große Wohltäterin, und Maria Clementine Martin, die Ahnherrin von „Klosterfrau Melissengeist“ berichten.

Impressum: Herausgeber: Förderverein Melaten e.V. in Köln Texte, Fotos, Gestaltung: Bernd Woidtke Verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes: Dr. Susanne Franke, Vorsitzende des Fördervereins Wenn Sie diesen Newsletter nicht mehr erhalten wollen, schicken Sie bitte eine E-Mail an: [email protected] Anregungen, eigene Geschichten und Fotos bitte an: [email protected]