Das Bernbiet ehemals und heute

Objekttyp: Group

Zeitschrift: Historischer Kalender, oder, Der hinkende Bot

Band (Jahr): 262 (1989)

PDF erstellt am: 11.10.2021

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ZJ/e zwei A"o/îo//7ngen gesehen ist also unsere Überschrift falsch. Sie ist aber sehr berechtigt, wenn man die Sache Dass es viele Orte mit gemeinsamem Namen historisch betrachtet. Ein Blick in die Ge- gibt auf der Welt, ist bekannt: mindestens zwei schichte unserer Landschaft zeigt uns, dass es Affoltern, mehrere Langnau, viele Stalden tatsächlich ein uraltes gibt, das zu schon nur in der Schweiz. Und nun soll es unterscheiden ist vom heutigen Konolfingen. auch zwei Konolfingen geben? Dieses, die bedeutende Ortschaft, ist keines- Wir kennen natürlich nur das eine Konolfin- wegs das moderne, langsam zur jetzigen gen mit der Postleitzahl 3510, das grosse Zen- Grösse gewachsene Alt-Konolfingen, sondern trum am Berührungspunkt zwischen Aaretal recht eigentlich eine Neuschöpfung unabhän- und Emmental. Geographisch oder postalisch gig vom alten Konolfingen. Dass heute die beiden Konolfingen zu- sammenhängen und so- mit wirklich nur noch ei- nes sind, verdanken wir -4Bl dem Neu-Konolfingen, G/rm/Suden. /^t/ingen das sich in den letzten Jahrzehnten ausgedehnt jQ WHK à hat bis zur Berührung an ingen JT,Ü mit dem alten Dorf. ^/|/art/7/en

flat a//Mirchel, «Hächingen» das heutige Hötschigen. sern beginnt eine recht (Photo Christian Buri, Konolfingen) grosse Ebene, offen- 66 sichtlich von den Bauern ganz intensiv bebaut. Jenseits des ebenen Lan- des, wo das Gelände wieder anzusteigen be- ginnt, liegen wieder Höfe: die kleine Gruppe Leimgrube, und weiter links die alte Dorfschaft Stalden. Diese weist noch die rein bäuerliche Bauweise auf; aber her- wärts beginnen die mo- derneren Gebäude, die das alte Stalden nahtlos mit dem heutigen Zen- trum Konolfingen ver- binden. Dieses sehen wir von unserem Standort aus nicht vollständig, wohl aber erkennen wir hinter den modernen Wohnblöcken, Indu- striebauten, Schulhäu- sern und Sportanlagen ausgedehntes flaches Gelände, das sich nach Das früheste Blatt der Siegfriedkarte 1:25000 für unsere Gegend kam 1871 heraus. Die Bahn nach fährt bereits (seit 1864); die Strassen wurden Osten von Langnau zu den Blicken schon in den fünfziger Jahren erbaut, nachdem die Moser entsumpft waren. Aber entzieht, verdeckt von vom heutigen grossen Dorf Konolfingen verzeichnet die Karte nur gerade den der Schulter unseres Bahnhof und die drei Häuser am Strassenkreuz. Ballenbühls und seiner östlichen Ausläufer. Aber jenseits dieser gros- Konolfingen allein liegt deutlich weiter oben seren Ebene stellen wir die gleiche Erschei- auf einer alten Moränenkante, die dem Hürn- nung fest wie vorhin beim Ursellenmoos: An berg vorgelagert ist, so dass ein kleines, wind- den Hang geschmiegt liegen wiederum bäuer- geschütztes Tälchen schönes, gelegsames Kul- liehe Siedlungen. Wir erkennen Freimettigen turland anbietet. Nordwärts öffnet sich das und weiter links Niederhünigen. Wollen wir Gelände gegen Grosshöchstetten und damit nach weiteren solchen Weilern rund um das gegen die «Pässe» ins Emmental, vorab das Flachland von Konolfingen Ausschau halten, Bigental. Man darf ruhig sagen: das alte Ko- so müssen wir wohl oder übel unsern Standort nolfingen liegt auch «strategisch» richtig. verlassen. In östlicher Richtung an den Höfen von Ballenbühl vorbei - die altbekannte Wirt- schaft ist nicht mehr in Betrieb - gelangen wir zu den Gütern von Hötschigen und weiter zu unserem a/ten Dorf Konolfingen: es ist nun Der Atome das letzte in der Runde um die weite Talsohle. Keine der erwähnten Siedlungen liegt in der Bei der Aufzählung von Örtlichkeiten im Ebene; alle wurden sie an den Hang gebaut. vorstehenden Abschnitt kommen einige vor 67 mit gleicher oder fast gleicher Endung: Konol- £>er Lantfrtn/i/ fingen, Hötschigen, Hünigen, Freimettigen. Ziehen wir den Kreis weiter, so stossen wir auf Das alte Dorf Konolfingen hat noch heute überraschend viele solcher Namen: Ämligen, eigentlich nur zwei Strassen. Die eine ist die Häutligen, Münsingen, , Allmendin- Überlandverbindung von nach Burgdorf. gen, Vielbringen, Richigen, Herolfïngen - die Dort, wo diese Strasse die Hangkante schnei- Liste liesse sich beliebig erweitern. Nun sagen det, mündet von Westen her die sogenannte uns die Sprachforscher folgendes: Alle diese Oberdorfstrasse in die Burgdorfstrasse. Im Namen sind alemannischen Ursprungs. Und spitzen Winkel zwischen diesen beiden Stras- zwar enthält der Anfang des Wortes immer ei- sen steht ein Haus, das den Namen «Land- nen Eigennamen. Gelegentlich erkennen wir stuhl» trägt. diesen sogleich oder ahnen eine mögliche Aus einem Plan aus dem Jahre 1804 ist er- Grundform. So trauen wir unsern alemanni- sichtlich, dass damals die Strassen auch schon sehen Vorfahren ohne weiteres zu, den Namen bestanden, aber viel weniger breit waren. Vor «Herolf» verwendet zu haben; wir neigen so- dem Hause gab es da ein respektabel grosses, gar dazu, den ursprünglichen Sinn des Na- dreieckförmiges Stück Land - und dieses mens als «Heerwolf» zu deuten. Bei mehreren Stück trägt zwei Inschriften: «Landstuhl» und der Beispiele erkennen wir den zugrunde lie- «Allmend». Und mitten in der Anlage ist ein genden Eigennamen nicht mehr sicher oder Baum gezeichnet. Der Berner Historiker Eg- überhaupt nicht mehr. Das verwundert nicht; bert Friedrich von Mülinen meldet 1881 (in denn seit jene Alemannen sich hier angesiedelt seinen «Beiträgen zur Heimatkunde des Kan- haben, sind gut und gern 1300 bis 1500 Jahre tons Bern»), dass der «derzeit abgegangene» vergangen. In dieser Zeit hat neben vielem an- Baum eine Linde gewesen sei. derem auch die Namengebung geändert, wo- Unter dieser Linde wurde von Zeit zu Zeit bei in einem ersten Schub - zur Zeit der Chri- an einem bestimmten Tag ein Stuhl aufgestellt, stianisierung - wohl einige der gewaltstrotzen- der Sitz des Landrichters, der über die schwe- den Heidennamen verschwunden sind. - Hie ren Verbrechen richtete. Inhaber dieser hoch- und da hat der Sprachgebrauch den ursprüng- sten Gerichtsgewalt war das Reichsoberhaupt liehen Namen aus Missdeutung verändert; so selber, der Kaiser oder König. Die Grösse des hat der Name Allmendingen nichts mit einer Reiches machte es undenkbar, dass der hoch- Allmend zu tun, ebensowenig wie Amsoldin- ste Richter in Person Recht sprach; er dele- gen mit einer Amsel. Die namengebenden Ale- gierte diese Aufgabe an einen Beamten des mannen hiessen: «Alwant» und «Answalt»; Reiches, den Landgrafen. Aber auch diese als diese Namen nicht mehr bekannt waren, Landgrafschaften waren meist so gross, dass wurde durch den Volksmund die missver- sie in Unterbezirke aufgeteilt werden mussten. ständliche Änderung vorgenommen. - Die Landgrafschaft Burgund (mit «Bur- Die Endung -mgen oder -/gen bezeichnet gund» muss man aufpassen; dieser Begriff nun die Leute des Namengebers. Also: Konol- meint in verschiedenen Zeiten so viel Verschie- fingen ist der Ort, wo die Leute des Konolf denes!) umfasste 1406, als die Stadt Bern das oder Kuonolf (oder vielleicht «Kühnwolf») Landgrafenamt von den Kiburger Grafen wohnen. Das können primär die Verwandten übernahm, die zwei «Landgerichte» rechts der sein, die Kinder und Kindeskinder; es können Aare, nämlich Konolfingen und , so- aber auch nicht verwandte Leute sein, die in ir- wie die zwei links der Aare, nämlich Seftigen gendeinem sozialen oder ökonomischen Ab- und Sternenberg. Nun sass also der Schult- hängigkeitsverhältnis zum «Herrn» stehen: heiss von Bern an des Kaisers Statt, wie es z. B. Dienstpersonal, Gefolgsleute, ja auch die bei am 11. Juli 1426 der Fall war, «do ich (nämlich der Landnahme vorgefundene einheimische Rudolf Hofmeister, Schultheiss zu Bern) ze Bevölkerung. Konolffingen / under der linden an rech- 68 ter gewonlicher geding statt / des landgerichttes da selbs In namen und an statt miner genedigen Heren von Bern / offen- lieh zegerichte sass». Wenn wir vorhin auf- grund des alemanni- sehen Namens vermutet haben, der Hof und das spätere Dorf Konolfin- gen seien zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert zu ihrem Namen gekom- men, so können wir uns auch fragen, seit wann druss Konolfingen der Sitz des aus Landgerichtes gewesen )

Das

Nachdem wir uns mit der Geschichte von Alt- Konolfingen beschäftigt haben, müssen wir uns nun der Natur zuwen- den. Es wurde schon ge- sagt, die Häuser des Bauerndorfes stünden auf einem Moränenwall. Moränen - das ist Schuttablagerung durch einen Gletscher. Unsere Landschaft ist in ihrem Grobrelief im wesentli- chen das Werk des Aare- Blick vom alten Hof Lueginbühl in südlicher Richtung (um 1900). Der Hochkamin gletschers - sofern man bezeichnet die Milchsiederei, die seit 1892 besteht. Seit 1899 ist Konolfingen den Namen «Aare» ver- Eisenbahnknotenpunkt; hier kreuzen sich die Bern-Luzern-Bahn und die wenden will für einen Burgdorf-Thun-Bahn. Eine eigene Kirche hat man seit 1898; sie steht noch ganz verloren auf freiem Feld. Das Pfarrhaus fehlt noch; es wurde dann 1904 errichtet. Gletscher, dessen Nähr- (Photo zur Verfügung gestellt von Dr. Kaspar Bigler, Konolfingen) gebiet das ganze heutige 70 Berner Oberland war. In der Gegend des heutigen Bern stiess dieser Glet- scher auf den weit mäch- tigeren «Rhone»-Glet- scher, der von Südwe- sten vorstossend das ganze Mittelland bis an den Fuss des Juras be- deckte. Schon während der Eiszeiten gab es rela- tiv wärmere Perioden mit Schmelzwasser, die sich den Weg nordwärts suchten. Aus diesen Zei- ten stammen mehrere der Täler, die sich aus dem Aaretal nord- oder Blick von Stalden nach Norden um 1910. Noch liegt freies Gelände vor uns; aber um nordostwärts Richtung den Bahnhof ist doch schon ein respektables Dorf entstanden. Die Siederei (links im Emmental bewegen: das Bild) besitzt zwei Hochkamine: die Firma ist im Aufschwung begriffen. Das dem Restaurant Bahnhof. Durch die Lindental, das Bigental Türmchen links hinter Kirchturm gehört zum Halde gegen das alte Konolfingen hinauf zieht sich die Landstrasse durch praktisch und vor allem unser Kie- unverbautes Land. sental (mit der Verlange- (Photo vom Dorfmuseum Konolfingen zur Verfügung gestellt) rung des Steinentales bis Schüpbach) können als eiszeitliche Abflussrinnen angesprochen wer- der See gewesen sein, der sich östlich des den. Diese Täler waren natürlich auch Jahr- Kirchbühls bis in die Gegend von Zäziwil er- tausende lang von Gletschereis erfüllt, mit den streckte. - Mit dem wärmeren Klima siedelten entsprechenden Folgen. Der Untergrund sich Pflanzen an; aus den Seen wurden Moore, wurde ausgehobelt - sehr unregelmässig in der in denen sich aus abgestorbenen Pflanzentei- Tiefe -, und auf dem Boden und auf den Flan- len der braune Torf bildete. Von den umlie- ken wurde Schutt abgelagert, zum Teil in heute genden Hügeln strömten kleinere und grössere noch deutlich erkennbaren Wällen. Bäche, die mit der Zeit flache Schuttkegel in Ein solcher Wall ist die ausgesprochene das Moorland hinaustrugen. Der Pegel des ur- Rippe, auf der Alt-Konolfingen steht. Eine an- sprünglichen Sees und des späteren Moores dere Moräne ist der Bärwilhubel, der mit dem wurde bestimmt durch die Schwelle in der Ge- Mirchelberg zusammen, auch einer Moräne, gend von Freimettigen; ein Molasseriegel aus bei Zäziwil das Tal fast abriegelt. - Ein nicht solidem Material verhinderte dort das Vertie- hoher, aber wichtiger Moränenwall ist der fla- fen des Bachlaufes und damit des Tales; gros- che Rücken, der sich von Stalden nordwärts seres Gefälle, wenn auch kein reissendes, er- bis an den Fuss der Grünegg zieht - jeder Ko- hielt der Bach erst gegen hin- nolfinger kennt den Kirchbühl. Ein ähnlicher, unter. (Nebenbei bemerkt: die bildet kaum mehr wahrnehmbarer Moränenwall ver- heute noch auf dieser Strecke einen der reiz- bindet Ursellen mit der Leimgruben. vollsten und noch nahezu intaktesten Bach- Nach der letzten Eiszeit blieben zwischen läufe weit und breit!) den Moränen Tümpel oder kleine Seen zurück. Wie sah der Alemanne Kuonolf von seinem Ein solches Gewässer lag zwischen den vorhin Hochsitz aus das weite Tal zu seinen Füssen? - erwähnten Moränen; ungleich grösser muss Er sah Sumpf und Moor mit offenen Tümpeln 71 dazwischen; Erlen, Weiden und Birken such- gingen nach dem Kuonolf noch mehrere Jahr- ten Fuss zu fassen; Rinnsale schlängelten sich hunderte ins Land, ohne dass man dem Moos durch das Ried - kurz und gut, nichts konnte Beachtung geschenkt hätte. Als die Konolfin- abweisender, ja abschreckender wirken als ger knapp wurden an Kulturland, begann man diese Ebene. - das gilt für grosse Teile des Emmentals - die Hänge zu bebauen. Bei uns kann man sicher die Höfe von Unter- und Ober-Hötschigen als t/cm Moos w/rt/ Lo/k/ frühe Stufe der Binnenkolonisation ansehen. - Auf der andern Seite des Mooses, bei Nieder- Wenn man von den Eiszeiten erzählt, hünigen, war es dasselbe: man schuf neuen kommt es auf einige zehntausend Jahre nicht Ackergrund bergaufwärts. Die Flurnamen an. Wenn die Alemannen auf dem Tapet sind, Stockeren (wo Baumstrünke - Stöcke - ausge- wird es schon exakter; aber auf hundert Jahre graben wurden oder das neue Ackerland be- mehr oder minder kann man es noch ankom- einträchtigten), Schwand, Schwändlen (wo men lassen. Erst in den letzten paar hundert Wald geschwentet, d.h. zum Schwinden ge- Jahren kann man einigermassen genau sein, da bracht wurde) und Holz (was dasselbe meint wird das Geschehen im einzelnen fassbar. wie Wald) sprechen für sich! Aber dann hat man auch das Gefühl, es ge- Erst als die Richtung nach oben, was soviel schehe nun in vierhundert Jahren mehr als heissen will wie «Richtung Wald», nicht mehr vorher in zehntausend. verfolgt werden konnte (weil sich nachgerade So ist es auch mit unserem Moosland. Als der Wald als lebensnotwendig erwies), fing der Mensch einmal sein Augenmerk darauf ge- man an, gewissermassen als letzte Möglichkeit, richtet hatte, folgten sich die Ereignisse. Es die Moser zu nutzen. Das geschah keineswegs rasch und auch nicht sy- stematisch. Die Bauern der umliegenden Dörfer begannen einfach, bei das "TTTiP TT Bedarf ihr Vieh in nächstgelegene Stück Moosland zu treiben. Die Urseller hielten sich an das Moos, das auf der Mittagsseite zu ihren Füssen lag. Sie wurden von niemandem behel- ligt; denn die Staldener fanden ihren Weide- grund in östlicher Rieh- tung im unteren Teil des grösseren Mooses. Die- ses war so gross, dass die Dorfschaften Nie- derhünigen und Konol- fingen auch noch ihren redlichen Anteil nutzen Einer der landschaftlich schönsten Punkte trägt den nicht schönen Namen konnten. «Galgenhubel». In diesem Wort ist ein historischer Tatbestand festgehalten: hier dieses befand sich die Hinrichtungsstätte des nahe gelegenen Landgerichtes Konolfingen. Rechtlich war (Photo Christian Buri, Konolfingen) Niemandsland eine All- 72 mend, das heisst Allge- meinbesitz der jeweili- gen Dorfschaft. Offen- sichtlich stufte man diese Allmend als nicht wertvoll ein; man kann das aus zwei Umständen schliessen. So fand man es lange Zeit nicht für nötig, die Allmenden dorfweise gegeneinan- der abzugrenzen. Zum andern schuf man nicht dorfinterne Allmendord- nungen, wie es anderswo - bei wertvollem All- mendland - der Brauch war. Beides hatte Fol- gen: das Fehlen von kla- Unweit des Dorfes Niederhünigen erhebt sich aus dem schwach geneigten Gelände ren Grenzen musste mit ein kleiner bewaldeter Hügel. Hier stand vordem der Herrensitz der Herrschaft der Zeit zu Konflikten Hünigen, welche die heutigen Gemeinden Niederhünigen und Freimettigen unter den Dörfern füh- umfasste. Als gegen Ende des 16. Jahrhunderts die kleine Burg verbrannte, liess man die Ruine veröden und baute das Schloss seinem Standort. ren. Das tatsächlich neue Hünigen an heutigen war (Photo Christian Buri, Konolfingen) der Fall im lö.Jahrhun- dert, wo ein spürbarer Bevölkerungsdruck auf die noch vorhandenen Landreserven greifen konnte man in unmittelbarer Nähe des Schlos- Hess. So bildete das Ursellenmoos anno 1580 ses auch die Säge, die Stampfe und die das Objekt eines Streites zwischen Stalden, Ur- Schmiede unterbringen; die Mühle war der- seilen und Konolfingen. Wir dürfen anneh- gestalt an das Schloss angebaut, dass man men, dass das Ursellenmoos damals schon das Stampfen des Wasserrades in den Schloss- nicht mehr den Charakter eines unbegehbaren räumen hörte und spürte (Rudolf von Tavel Sumpfes hatte. Dasselbe kann man vom süd- beschreibt das Phänomen im «Schtärn vo westlichen Teil des grossen Konolfingenmoo- Buebebärg»). ses sagen; wahrscheinlich war hier die Melio- Das zweite auffällige Moment bei unsern ration um 1580 schon weiter fortgeschritten Mosern, nämlich das Fehlen von Allmendord- als im Ursellenmoos. Ungefähr um diese Zeit nungen, führte wohl früh zur Aufteilung unter verbrannte das Schloss Hünigen, damals der den Bauern der beteiligten Dorfschaften. Sitz des Nikiaus von Scharnachthal, des Be- So kam das 19. Jahrhundert, wo man plötz- sitzers der Herrschaft Hünigen. Das Schloss lieh ganz besonderes Interesse an Land ent- stand in der Nähe des Dorfes Niederhünigen; wickelte, das Viehfutter abwarf. Denn vorher es war als Wasserschloss angelegt. Nun bau- lag das Schwergewicht der Produktion eindeu- te man das neue Schloss nicht mehr am alten tig auf dem Ackerbau; man hielt Zugtiere des Standort, sondern dort, wo es heute noch Pferde- und Rindergeschlechts - Milchkühe steht: fast am tiefsten Punkt des Mooses. Da fast nur zum Hausbedarf. Daher hatte man auf man bei der Wahl des Standortes nicht nur an den Höfen regelmässig zuviel Heu, das dann den Komfort des Schlossherrn dachte, sondern von den halb nomadisierenden Kühern mit ih- ebensosehr an technische Kommoditäten, ren Wanderherden aufgeätzt wurde. Das än- 73 derte schlagartig mit dem Aufkommen der Tal- Diese führte von Oberdiessbach auf der (oro- käsereien in den 1820er Jahren. Nun wurde je- graphisch) linken Seite der Kiesen talaufwärts der Grashalm wertvoll, sei es als Grün- oder den berüchtigten Haslistutz hinauf zum Hasli als Dürrfutter. und nach Freimettigen. Von dort ging es ein Jetzt war der Augenblick für die abschlies- paar hundert Schritte hinunter zum Hüsi, wo sende Drainage der Moser gekommen, ge- eine Abzweigung nach Westen das Tal der nauer gesagt: für den letzten Teil des Konol- Kiesen querte und in einem kurzen Stutz nach fingen-Mooses. Leider wissen wir sehr wenig Stalden hinaufführte. Unsere Strasse folgte darüber, weil das Werk auf privater Basis vom Hüsi genau dem Hangfuss entlang nach durchgeführt wurde. Wohl sollte es unter Niederhünigen, Chalchofen und Gmeis nach staatlicher Aufsicht geschehen, und deshalb Zäziwil. Diese Streckenführung meidet ängst- musste eine Gesellschaft (der Grundeigentü- lieh das Betreten des Moosgebietes. Das gilt mer) gebildet und eine staatliche Konzession auch für alle andern Wege der Gegend: sie fol- eingeholt werden. Nach Jahr und Tag (1856) gen den Hängen oder benutzen die «Schwel- meldete die Regierung im Staatsverwaltungs- len» der eiszeitlichen Moränen. Das ist, man bericht, das «Unternehmen sei schon vor eini- möchte fast sagen gutmittelalterliche Praxis. gen Jahren vollendet» worden. Man hat das Steigungen spielten keine Rolle, aber man Gefühl, die Grundbesitzer hätten die Meliora- fürchtete das Feuchte. tion so rasch als möglich und bewusst ohne Nachdem nun die Moser drainiert waren, Beihilfe des Staates ausgeführt, um sich nicht konnte man «moderne» Strassen bauen, nach dreinreden zu lassen. rationalen Grundsätzen im Bau und im Ge- Wir dürfen heute feststellen, dass damals brauch. Kostensparend im Bau war die mög- vorbildlich gut gearbeitet worden ist - viel- liehst gerade, weil kürzeste Strecke, rational im leicht gerade deswegen, weil man nicht zuviel Gebrauch die Strasse mit möglichst schwa- gemacht hat. Man hat dem Oberflächenwasser chem oder doch ausgeglichenem Gefälle. Also Abfluss verschafft; man hat die Kiesen gerade- folgte die neue Strasse von Oberdiessbach weg gelegt; aber man hat offenbar den Grundwas- dem rechten Ufer der Kiesen, gewann die Stei- serspiegel nur wenig abgesenkt. Die fast unlös- gung bis Dessigkofen ohne wilde Stütze, Hess baren Probleme, die man heute im Grossen dann Stalden links oben liegen und erreichte Moos hat (eben weil der Grundwasserspiegel den tiefsten Punkt zwischen Kirchbühl und mehrere Meter gesenkt wurde), kennt man in Grünegg. Hier traf man sich übrigens mit der den Konolfinger Mosern nicht. alten Burgdorf-Thun-Strasse; man folgte die- ser aber nicht, sondern wandte sich stracks nordostwärts durch das ehemalige Moos der Die Ä>eMzvira.Me begradigten Kiesen zu und dieser folgend nach Zäziwil. Das obenstehende Zitat aus dem Staats- Da schon einige Jahre vorher (1851/52) die Verwaltungsbericht von 1856 kann den An- Strasse von Münsingen über Tägertschi nach schein erwecken, die Baudirektion in Bern Ursellen erstellt worden war, lag der Bau des habe keine Ahnung von der Melioration des Zwischenstückes von Ursellen zur neuen Zäzi- Konolfingen-Mooses gehabt. Die Wirklichkeit wilstrasse nahe. Die Arbeit wurde 1855/56 sah anders aus: 1854 wurde die neue Strasse ausgeführt. von Oberdiessbach nach Zäziwil begonnen Jetzt trafen sich in dem einen Punkt sechs und 1855 fertiggestellt. Dieser Strassenbau Wege oder Strassen - zu den fünf erwähnten wäre ohne die Melioration gar nicht möglich kam noch der bestehende Weg über das nun gewesen! drainierte Moos nach Niederhünigen. Der Natürlich gab es schon vorher eine Punkt trug keinen Namen; die Ingenieure, «Strasse» von Oberdiessbach nach Zäziwil. welche für die kommende Dufourkarte die 74 PF/rfi/iawssc/j//*/ vom «//Ü5/», /Cowo/Z/ngew Am Dreiweg, wo sich die alten Wege von Niederhünigen, Stalden und Freimettigen treffen, steht das «Hüsi», die Wirtschaft, die schon zu den Zeiten der Herrschaft Hünigen bestand. Das Wirtshausschild ist eines der originellsten weitherum; es zeigt die Ansichten der beiden Schlösser Hünigen. Unser Bild stellt das alte Schloss dar - zwar wohl kaum so, wie es wirklich gewesen ist, sondern so prächtig, wie es sich der Maler vorgestellt hat. (Farbphoto Walter Bärtschi, Münsingen) Aufnahmen machten, bestimmten die Höhe Aber aus einem Plan geht hervor, dass es ur- mit 661 m (heute: Landeskarte der Schweiz sprünglich eine Station Ursellen hätte geben 658 m). Etwas anderes gab es zu diesem Punkt sollen (also ebenfalls auf Gysensteiner Boden). nicht zu melden; weit und breit stand kein Die Station kam dann in die Nähe der Kreuz- Haus, das namengebend hätte auftreten kön- Strasse zu stehen, wo es damals drei Häuser nen. Aber eine Strassenkreuzung, ja ein Treff- hatte: Das «Kreuz», die Kreuzscheuer und das punkt von sechs Strassen, konnte nicht unbe- Loryhaus. Obschon die Station nun auf Boden achtet bleiben. Es brauchte aber Mut, an den der Gemeinde Stalden stand, kann man sicher Punkt 661 ein Wirtshaus zu stellen. Das ge- sein, dass da nichts Ungrades vorgefallen ist. schah 1861. Nun hatte der Ort wenigstens ei- Der Baugrund war einfach besser, und die nen Namen: das «Kreuz». Nähe der Strassenkreuzung war auch ein Vor- teil. Nur etwas machte gewisse Schwierigkei- ten: wie sollte man die Station benennen? «Kreuz» ging nicht wohl an, eine Station nach £>/Worb oder Zäziwil nach Gemeinde zum Sitz der «Berneraipen Milch- Grosshöchstetten nicht auf rationelle Art über- gesellschaft» zu machen. In nächster Nähe des winden können. Es blieb nur die Linie, die wir Bahnhofes, noch ganz knapp auf Staldener heute noch befahren: von Gümligen aus unter Gemeindeboden, entstanden die Gebäude der peinlicher Vermeidung der alten Dörfer Rüfe- Siedi mit dem charakteristischen Hochkamin. nacht, Vielbringen, Richigen und Trimstein Im Jahr darauf richtete die Post eine Ablage (man hat das Gefühl, die Bauerndörfer hätten im Bahnhof ein; der Vorstand wurde zugleich am alles in der Welt die Bahn nicht gewollt) Posthalter. Die Post, immer etwas korrekter als langsam an Höhe gewinnend auf den Boden andere Leute, nannte die neue Poststelle «Stal- der «hoch erhabenen» Gemeinde Gysenstein, den-Station» - man hielt sich an die Sitzge- deren Gebiet das ganze südliche Hürnberg- meinde. (Es gab übrigens schon altbestehende massiv umfasst. Warum es keine Station Gy- Poststellen in Stalden und im alten Konolfin- senstein gibt, erzählt eine unverbürgte Sage; gen.) Aber schon wenige Jahre später gab es verbürgt und offenkundig ist, dass die Station eine Bahnstation Stalden, als die Burgdorf- knapp auf Tägertschiboden steht und demge- Thun-Bahn eröffnet wurde. Nun musste man mäss Tägertschi heisst, und dass diese Station den Namen Stalden für die Einrichtungen ausgerechnet in einer Kurve stehen muss: ent- rund um die Kreuzstrasse und den «alten» weder haben hier die Gysensteiner etwas ver- Bahnhof fahren lassen. Es gab nun die Postab- läppert oder aber die Tägertscher etwas gemi- läge «Konolfingen-Station» (während die schelt! Bahnstation immer noch «Konolfingen-Stal- 75 den» hiess). Erst ab 1933, als die Gemeinde dende Moment, das unsere heutigen Gemein- Stalden zu existieren aufgehört hatte, wurde den auszeichnet: die politische Zweckbestim- die Station einfach «Konolfingen» genannt. mung. Für das Postamt gibt es diese Benennung erst Die alten «Gemeinden» waren Zusammen- seit 1946. Es erhielt später die Postleitzahl Schlüsse zu irgendeinem Zweck: die Bauern ei- 3510 und wurde ein wichtiges postalisches nes Dorfes bildeten eine Gütergemeinde, die Zentrum. Hausväter eines Schulkreises eine Schulge- Mittlerweile wuchs um den Bahnhof allge- meinde, die Anstösser an einem Gewässer die mach ein Dorf. Fabrik und Bahnhof zogen Ge- Schwellengemeinde. Immer war ein ganz kon- werbe an; Arbeiter und Angestellte mussten kreter, besser gesagt materieller Zweck vor- Wohnraum haben. Noch vor der Jahrhundert- handen; entweder ging es um die gemeinsame wende gab es eine eigene Kirche (1898); sie Nutzung oder die Verteilung von notwendigen hiess «Stalden», gehörte aber nach wie vor zur Kosten. Wir kennen diese Einrichtungen heute Kirchgemeinde Münsingen, die Gysenstein, noch, aber wir sagen ihnen Verein, Gesell- Konolfingen, Niederhünigen und Stalden als schaft, Genossenschaft oder wie immer. Der «oberen» Bezirk umfasste; erst 1911 erfolgte Gemeindebegriff umfasst heute fast aus- die Abtrennung (immer noch unter dem Na- schliesslich das politische Gebilde der unter- men «Stalden»). sten Stufe. Im Ancien Régime (wir können die Zeit bis 1831 ruhig auch noch dazuzählen) gab es als einem Dorf wird eine Gemeinde unterste politische Einheit die Kirchgemeinde. Aber sie war keineswegs der Ort der politi- Für uns ist die Gemeinde eine Einrichtung, sehen Meinungs- oder Willensbildung; sie auf die wir stolz sind. Da ist die Heimatge- war ganz einfach das unterste ausführende meinde, in der unsere Ahnen viele hundert Organ. Ausgeführt wurden die Befehle von Jahre gelebt haben, wo unsere Familie gewor- oben... den ist zu dem Gebilde, als dessen Glied wir Bei der Durchführung des Gesetzes von uns - meistens mit Genugtuung - fühlen. Da 1833 gab es Schwierigkeiten. Am einfachsten ist aber unsere Wohnsitzgemeinde, meistens ja ging es dort, wo kein Burgervermögen vorhan- fernab der Heimatgemeinde, aber uns wichtig den war; da konnte sich ohne weiteres eine und lieb als der Ort unseres Schaffens, vor al- bisherige Kirchgemeinde als Einwohnerge- lern aber als der Ort unserer politischen Tätig- meinde konstituieren - so war es im oberen keit. Selbst wenn diese nur bescheiden ist, Emmental der Fall. Anderswo gab es inner- wenn sie sich mit gelegentlicher Teilnahme an halb einer Kirchgemeinde mehr oder weniger Wahlen und Abstimmungen (und mit häufi- reiche Burgergemeinden. Dort wurden kleine gern Schimpfen über die Behörden) begnügt, Einwohnergemeinden geschaffen - nicht an- so sind wir uns doch wohl bewusst, dass die statt der Burgergemeinden, sondern daneben, Gemeinde überaus wichtig ist. wobei das Vermögen natürlich bei der Burger- Wenn man uns fragt: seit wann gibt es un- gemeinde blieb oder in hartnäckigen Verhand- sere Gemeinden?, dann sind wir sofort zur lungen geteilt wurde. Hand mit der Antwort: seit vielen hundert Jah- Die grosse Kirchgemeinde Münsingen be- ren! Und das ist eben falsch. Unsere Gemein- stand von alters her aus vier Vierteln: Münsin- den gibt es seit gut 150 Jahren, genau genom- gen, Rubigen, Gysenstein und Tägertschi. Die men seit dem 1. Januar 1834, als das Gemein- Viertel waren sehr verschieden in ihrer politi- degesetz vom 20. Dezember 1833 in Kraft trat. sehen Vergangenheit, in ihrer internen Zusam- Gab es vorher wirklich keine Gemeinden? mensetzung und somit nun auch bei der Bil- Doch, es gab sie, in einer unerhörten Vielzahl dung der neuen politischen Gemeinden gar und Vielfalt, aber allen fehlte das entschei- nicht konform. Die drei ersten Viertel bildeten 76 je eine Einwohnerge- meinde; aber aus dem Tägertschi-Viertel gab es deren vier: Tägertschi, Stalden, Häutligen und Niederhünigen. Uns interessieren von den sieben Gemeinden der Pfarrei Münsingen die zwei: Gysenstein und Stalden. - Gysen- stein, das namenge- bende Bauerndorf, ist nur eine von mehreren bäuerlichen Siedlungen (Ursellen, Herolfingen, Konolfingen, Hürnberg, Ballenbühl, Hötschigen, Buchli); neben diesen mehr oder weniger ge- schlossenen Weilern gibt es noch eine Anzahl Einzelhöfe. Der Gy- sensteinviertel fühlte sich offenbar als eine Moderne Flugaufnahme von Süden. Unten links das Dorf Stalden, rechts ein Teil Einheit; so wurde in den von Freimettigen. Durch die Bildmitte zieht sich dem Hintergrund zu die moderne Zivilstandsbüchern Siedlung der Strasse und der Bahn entlang bis zum Zentrum mit der Siederei. Der (die Hang zum alten Konolfingen hinauf ist nun zusammenhängend überbaut. der Pfarrer in Münsin- (Photo Christian Buri, Konolfingen) gen führte) Gysenstein als Heimatort vermerkt. Dass Gysenstein nun auch den Status einer einzigen Gemeinde er- meindegrenzen ausdehnte. Also auch auf Gy- hielt, ist durchaus einleuchtend. - Der Tägert- sensteiner Boden. schi-Viertel bildete dagegen keine Einheit. Schon um die Jahrhundertwende tauchte Seine vier Dörfer waren gegeneinander räum- der Gedanke einer Gemeindezusammenlegung lieh abgeschlossen. Also gab es vier Einwoh- auf. Sie kam erst auf das Neujahr 1933 zu- nergemeinden - natürlich nur kleine. stände. Die neue Gemeinde konnte selbstver- Gysenstein und Stalden hatten eine gemein- ständlich nicht den Namen einer der beiden same Grenze. Sie lief durch das Ursellenmoos, Teilhaber tragen. Ganz eindeutig drängte sich wobei der grössere Teil des Mooses zu Gysen- nur ein Name auf: der Name des kleinen Dor- stein gehörte. Aber die March beschrieb nach fes auf dem Berge, das bis jetzt keine selbstän- Norden eine grosse Ausbuchtung; sie umfasste dige Gemeinde gewesen war, wohl aber Amts- also den ganzen Kirchbühl mit seinem Umge- bezirk und Landgericht: Konolfingen. lände. Die Umstände brachten es nun mit sich, dass die Station der Konolfingen, Kreuzplatz, Ziernmme/j/as.nmg die Siederei und die Kirche auf dem Boden der kleinen Gemeinde Stalden lagen, dass sich Konolfingen, das grosse regionale Zentrum aber das neue Dorf unbekümmert um die Ge- östlich von Bern, ist eine vollkommene Neu- 77 Schöpfung der letzten 130 Jahre. Anlass dazu ERIKA JEMELIN gab primär die Entsumpfung von Ursellen- und Konolfingenmoos (abgeschlossen um 1855), worauf die Verlegung des Strassennet- Ausflug zes in die Ebene erfolgte. Das erste Haus an ins Erwachsensein der Strassenkreuzung wurde 1861 erbaut. Die Ost-West-Bahn (Luzern-Bern) mit einem Bahnhof in nächster Nähe der Strassenkreu- Als meine Patin, Mutters Freundin, sich ver- zung wurde 1864 eröffnet. Mit der Inbetrieb- heiratete, lud sie Mutter und mich zur Hoch- nähme der Burgdorf-Thun-Bahn (1899) wurde zeit ein. Ich weiss nicht, was mich am meisten Konolfingen zum Eisenbahnknotenpunkt. Die freute; das neue Kleid, die Reise in die ferne Ansiedlung der «Berneraipen Milchgesell- Stadt oder gar die schulfreien Tage. Unter den schaft» (1892) liess Fabrikbauten entstehen; vielen festlich geputzten Menschen kam ich das neue Dorf vergrösserte sich durch Wohn- mir wichtig und fast erwachsen vor. Dieses häuser. Eine Kirche mit eigenem Pfarramt ent- Gefühl verstärkte sich, als mir Franz vorge- stand 1898, vorerst noch als Filiale der stellt wurde, ein mit Sorgfalt gekleideter Jüng- Kirchgemeinde Münsingen, ab 1911 als selb- ling, der auf gute Manieren bedacht schien ständige Kirchgemeinde «Stalden», in die und wenig Ähnlichkeit mit den Buben hatte, 1934 der Gysensteinviertel der Kirchgemeinde mit denen ich bis jetzt herumgetollt war. Er Münsingen integriert wurde. Neuer Name der trug einen elegant gebundenen Schlips mit hei- Kirchgemeinde ab 1934: Konolfingen. - Ka- len Tupfen. Am meisten jedoch beeindruckte tholische Kirche 1967. - Nach dem Zweiten mich sein gerade gezogener Scheitel, der auch Weltkrieg Ausdehnung des neuen Dorfes nach nach vielen Tänzen untadelig war. Bisher hatte Süden bis zum alten Bauerndorf Stalden, nach mir ein solcher Scheitel als Inbegriff der Norden bis zum alten Landgerichtsort Konol- Kleinlichkeit gegolten; in der festlichen Stim- fingen. Das neue Dorf, zuerst namenlos, beim mung fand ich Franz ganz nett. Da ich als ein- «Kreuz» oder «an der Kreuzstrasse» genannt, ziges junges Mädchen an dieser Hochzeit teil- nimmt mit der Zeit den Namen Konolfingen nahm, war es nicht verwunderlich, dass Franz an; diesen Namen erhält auch die neue Ge- und ein anderer junger Mann, ein Verwandter meinde, die durch die Fusion der beiden alten meiner Patin, sich um mich bemühten. Im Nu Gemeinden Stalden und Gysenstein entstan- waren meine Tänze an diese beiden Kavaliere den ist (1933). Die alte bäuerliche Siedlung auf vergeben, die sich unverzüglich an meine Soh- dem Berg heisst fortan Konolfingen-Dorf. len hefteten und einander argwöhnisch beob- 7/a/w Sc/imocArer achteten. Mir bereitete dies grossen Spass; Evasgefühle begannen sich in mir zu regen. Ich tanzte mit Franz und liess mir seine schmachtenden Blicke gefallen, während Tomy abseits stand und uns nicht aus den Au- gen liess. Franz erzählte von seinen hochgrei- fenden Plänen der Zukunft, einer Reise um die Welt nämlich, Tomy seinerseits wollte ihm nicht nachstehen und brachte sein neues Mo- DIALOG torrad zur Sprache, während seine Augen zu leuchten begannen. Er hatte es sich aus selbst «Sag mal, Lulu, wie lange bist du eigentlich verdientem Geld gekauft und versuchte, mir verlobt gewesen?» - «Das ist nicht so leicht zu das herrliche Gefühl zu beschreiben, wenn beantworten, Edith. Meinst du dieses Mal man mit dem Wind um die Wette fuhr. Ob ich oder alles in allem?» wohl am nächsten Tag ein wenig Zeit erübri- 78