Hildegard Hamm-Brücher

Mit Leidenschaft für Demokratie und Freiheit Impressum

Herausgeberin Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit PUBLIC HISTORY Truman Haus Karl-Marx-Straße 2 In unserer Reihe „Public History“ geben wir Einblick in das Leben und Wirken 14482 Potsdam-Babelsberg liberaler Persönlichkeiten und erinnern an bedeutende Ereignisse der Zeit- geschichte zu den Themen Freiheit und Demokratie. /freiheit.org /FriedrichNaumannStiftungFreiheit /FNFreiheit Hinweis zur Nutzung dieser Publikation /stiftungfuerdiefreiheit Diese Publikation ist ein Informationsangebot der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Die Publikation ist kostenlos erhältlich und nicht zum Verkauf Autor ­bestimmt. Sie darf nicht von Parteien oder von Wahlhelfern während eines Dr. Wolther von Kieseritzky, Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden (Bundestags-, Archiv des Liberalismus, Potsdam Landtags- und Kommunalwahlen sowie Wahlen zum Europäischen Parlament).

Bildredaktion Susanne Ackermann, Archiv des Liberalismus, Gummersbach

Kontakt Telefon: +49 30 22012634 Telefax: +49 30 69088102 E-Mail: [email protected]

Stand Mai 2021

ISBN 978-3-9822020-3-7

2 v Inhaltsverzeichnis

01 Im Schatten der Diktatur 05 „Freischaffende Liberale“

04 Herkunft, Prägung und Studium 24 Leidenschaftlich für Demokratie und (1921-1945) Bürgergesellschaft (1990-2016)

02 Endlich frei! Auf dem Weg in die Politik 06 Streiterin für Zivilcourage und Freiheit

06 Redakteurin und Stadträtin in München 28 „Gegen den Strom“ – Grande Dame 09 Im Bayerischen Landtag (1950-1966) des Liberalismus

03 „Gleiche Bildungschancen für alle“ 07 Im Überblick

32 Stationen ihres Lebens 12 Bildungsreformerin in Hessen und im Bund (1967-1972) 36 Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit 38 Bildlegenden 04 Verantwortung und Gewissensfreiheit

18 Im Deutschen (1976-1990) und im Außenministerium

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Lieblingsgericht Hamm-Brüchers aus ihrer Jugend- zeit: "Himmel und IM SCHATTEN Erde", 1986 DER DIKTATUR

Hamm-Brücher, war offen und freiheitlich, das Elternhaus Herkunft, Prägung politisch eher nationalliberal geprägt, wobei über Politik vor den Kindern nicht gesprochen wurde. Ihre Eltern starben und Studium kurz nacheinander, der Vater 1931, die Mutter ein knappes (1921-1945) Jahr später – damit „war unsere Kindheit zu Ende“, 01 resümierte Hamm-Brücher das traumatische Geschehen Die 1921 in Essen geborene Hildegard Hamm-Brücher dieses Lebenseinschnitts. erlebte schon als Jugendliche gewaltige persönliche Zäsu- ren, die ihr Leben erheblich bestimmen sollten. Zunächst Die Geschwister – nunmehr Vollwaisen – zogen zur aber wuchs sie mit vier Geschwistern im bildungsbürger- Großmutter mütterlicherseits nach Dresden, eine von lich geprägten Berlin-Dahlem auf und hatte – nach eigener Hamm-Brücher als „einsam“ empfundene Zeit. Erinnerung – eine unbeschwerte Kindheit. Der Vater, Paul Zudem nahm der nationalsozialistische Druck auf die Brücher, war Jurist und leitete die Berliner Niederlassung Familie und ihren Alltag zu: Nach den Nürnberger Gesetzen eines Elektrounternehmens, die Mutter Lilly stammte aus 1935 galt Hamm-Brücher als so genannte „Halbjüdin“; der einer wohlhabenden, zum Protestantismus konvertierten wachsenden Ausgrenzung konnte sie 1937 zunächst durch und assimilierten, ehemals jüdischen Dresdner Familie. einen Wechsel an den Bodensee auf das Internat Schloss Die religiöse Orientierung erfuhr Tochter Hildegard beim – Salem entfliehen. Allerdings war dieses – wie sie es betont später zur „Bekennenden Kirche“ gehörenden – Dahlemer – „Stück unbeschwerter Jugend“ nur von kurzer Dauer, weil Pfarrer Martin Niemöller. Die Erziehung, so überliefert es auch Salem von der Gleichschaltung betroffen war. Das Abi- 4 Der Opfertod der Freunde und Friedrich-Luisen-Schule Kommilitonen wurde für mich in Konstanz (heute Ellenrieder- ein Vermächtnis auf Lebenszeit. ” Gymnasium), hier Hildegard Hamm-Brücher, 2006 bestand Hamm-Brücher 1939 das Abitur tur legte sie dann 1939 an einem Konstanzer Mädchengym- nasium ab. Den anschließenden Reichsarbeitsdienst konnte sie verkürzen, indem sie das als kriegswichtig eingestufte Chemiestudium in München aufnahm. Und auch dieses Studium wurde nur möglich, weil der Leiter des Instituts, der Nobelpreisträger Heinrich Wieland, seine Studentin und etli- che andere seiner Schüler schützen konnte. Dem intensiven Studium folgte die Promotion über „Hefemutterlaugen bei Zwar war die junge Studentin in keine konspirativen Gesprä- der Ergosterin-Gewinnung“, eine Forschungsarbeit, die sie che oder Handlungen einbezogen, doch prägte das Gesche- im März 1945 unter schwierigen Bedingungen – die Labore hen sie nachhaltig: „Die Erschütterung über ihren Opfertod waren bereits teilweise zerstört – erfolgreich abschloss. hat mein Leben und Denken fortan bis heute bestimmt und mich nach 1945 unausweichlich in die Politik geführt. Überschattet waren diese Jahre durch weitere Zäsuren: Zeitlebens wollte ich mich für die Freiheit und Würde des Die Familie wurde auseinandergerissen, und als sich ihre Menschen einsetzen.“ Großmutter 1942 das Leben nahm, weil die Deportation nach Theresienstadt bevorstand, verlor Hamm-Brücher Mit der Frage nach dem Widerstand und den eigenen „den letzten Rest von Geborgenheit“. Als Schlüsselereignis Möglichkeiten in der Zeit der NS-Diktatur rang sie anhaltend. für ihr späteres Leben empfand sie die Verhaftung Aus ihren Erfahrungen leitete sie später eine unbedingte und Ermordung einiger ihrer Bekannten im Februar 1943, Pflicht zum politischen Engagement, zur Einmischung die zum Widerstandskreis der „Weißen Rose“ gehörten. und persönlichen Gewissensbefragung ab.

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Freiheit ist mehr als ein Wort. ENDLICH FREI! Hildegard Hamm-Brücher, ”Autobiographie, 1996 AUF DEM WEG IN Anstellung als Redakteurin, hatte den Feuilletonchef DIE POLITIK und Schriftsteller Erich Kästner kennengelernt und war in intellektuelle Kreise gelangt. Für Hamm-Brücher entwickelte sich die Zeitung zu einem geistigen und politischen Kristallisationspunkt. Die Artikel machten Redakteurin sie bekannt, was ihr später bei der Wahl zur Münchner Stadträtin half. und Stadträtin in München Eine entscheidende Weichenstellung für ihren weiteren 02 politischen Weg bildete im Oktober 1946 eine Begeg- Das Kriegsende am 8. Mai 1945 erlebte Hildegard Hamm- nung mit , dem damaligen württemberg- Brücher als Glück und Befreiung: „Nach der Erfahrung der badischen Kultminister. Von Heuss, so fühlte Hamm- Unfreiheit war Freiheit für mich mehr als ein Wort, mehr als Brücher es im Nachhinein, habe sie „den Liberalismus alle Worte: Frei zu leben wurde zu meiner Lebensbestim- in die Blutgruppe bekommen“. Er legte ihr die Politik mung!“ Aus Interesse am Schreiben und zum Lebensunter- nahe und wurde für sie zum persönlichen und politi- halt begann sie in München für die von der amerikanischen schen Vorbild; in mancherlei Hinsicht widmete sich Besatzungsmacht herausgegebene Neue Zeitung zu arbei- Hamm-Brücher später seinem politischen Erbe, wie ten. Sie verfasste erste Artikel über die Wissenschaft, später es auch in der Namensgebung der – nach seinem Tod auch über Fragen der Demokratisierung und Schulpolitik. 1963 – von ihr mitgegründeten Theodor-Heuss-Stiftung Dies war erfolgreich, denn schon 1946 erhielt sie eine feste zum Ausdruck kam. 6 Hildegard Hamm-Brücher im Gespräch mit Theodor Heuss, Anfang 1960er Jahre Gedicht und Zeichnung Bereits 1948 kandidierte sie – vorgeschlagen vom von Hildegard bayerischen FDP-Landesvorsitzenden Thomas Deh- Hamm-Brücher ler – erstmals auf der Liste der FDP zum Münchner für Thomas Deh- Stadtrat und zog mit einem selbstgebastelten Plakat ler, 1963 „Verjüngt den Stadtrat – wählt Hildegard Brücher" in den Wahlkampf. Dank der erlaubten „Häufelung“ der Stimmen auf einen Kandidaten wurde sie trotz des ursprünglich aussichtslosen Listenplatzes gewählt und war damit Deutschlands jüngste Stadträtin. Neu und unerfahren in der städtischen Politik muss- te sie sich, wie sie später bekannte, nicht nur jedes Thema, sondern auch jedes parlamentarische Recht erkämpfen. Unterstützung erhielt sie vom Stadtrat und CSU-Politiker Erwin Hamm, den sie einige Jahre später heiratete.

1949 unterbrach sie die politische Arbeit für ein Stu- dienjahr an der Harvard University. Die Atmosphäre und Erfahrungen in der Wissenschaftsmetropole Boston erlebte die junge angehende Politikerin als persönlichen Emanzipationsschub. Die Kontakte Demokratie und Freiheit sind waren ihr noch Jahre später als Staatsministerin im Auswärtigen Amt hilfreich. Und auch umgekehrt galt lebensgestaltende­ Werte. dies: Als „Hoffnung für die junge deutsche Demo- Hildegard Hamm-Brücher in Anlehnung an ein Wort kratie“ wurde die Liberale in den USA bis in höchste ”von Theodor Heuss, 1949 Regierungsämter „herumgereicht“.

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v v Im Bayerischen Landtag (1950-1966)

Hamm-Brüchers Wahl in den Bayerischen Landtag 1950 als eine von nur vier Frauen – bei über 200 Abgeordneten – erregte Aufsehen, zumal die junge Politikerin in mehr- facher Hinsicht „untypisch“ war: die jüngste Abgeordnete, Protestantin und Zugereiste, sie besaß weder Parteiämter noch ein Netzwerk. Hinzu kam, dass sie nicht selten eine von der Partei abweichende Meinung vertrat. Dies brachte ihr öffentliche Anerkennung, aber in den eigenen Reihen auch Kritik ein.

Überdies galt sie als dezidiert linksliberal und scheute sich nicht, ihre eigenständigen Positionen auch öffentlich zu vertreten: Beispielsweise beteiligte sie sich 1958 mit Mahnwachen aktiv an der Bürgerbewegung „Kampf dem Atomtod“ oder kritisierte die mangelnde Aufarbeitung der NS-Vergangenheit im Fall des bayerischen Kultusministers und Staatsrechtslehrers Theodor Maunz.

Flugblatt des FDP-Landesverbandes Bayern zur Landtagswahl 1962

9 v Bei den Wahlen zum bayerischen Landtag, dessen Mitglied sie von 1950 bis 1966 und dann wieder von 1970 bis 1976 war, erwies sich Hamm-Brücher regelmäßig als „liberale Wahllokomotive“, die auf- grund ihrer Popularität Stimmen auch jenseits der FDP-Stamm- wählerschaft mobilisieren konnte. Sie erzielte überdurchschnittliche Werte; ein Grund dafür dürfte in der teils überparteilichen Unter- stützung und kreativen Form ihrer Wahlkämpfe liegen. Als sie etwa 1962 bei der Kandidatenaufstel- lung aufgrund innerparteilicher Konflikte einen wenig aussichts- reichen Listenplatz erhalten hatte, gründeten sich „Bürgerkomitees“ zu ihrer Wiederwahl, geworben wurde mit Hauspartys und Fahr- radkorsos. Mit Erfolg – am Wahl- tag stand sie auf dem ersten Platz. Vier Jahre später, 1966, reichte Wahlkampftour mit Hildegard Hamm-Brücher dies dann nicht mehr, weil die FDP in Nürnberg, Landtagswahl 1970 in Bayern an der Sperrklausel scheiterte. v

Über Jahre hinweg kämpfte Hamm-Brücher gegen die konservative bayerische Schulpolitik, insbesondere gegen die Konfessionsschule. Das von ihr initiierte Volksbegehren scheiterte 1967 zwar knapp, doch der öffentliche Druck war inzwischen so groß, dass ein Jahr später die geforderte „christliche Gemeinschaftsschule“ tatsächlich zur Regel- schule wurde.

Briefkopf von Hildegard Hamm-Brücher als MdL, 1965

In ihrer Tätigkeit im Landtag erwarb sich Hamm-Brücher den Ruf einer Bildungs- und Kulturpolitikerin über Bayerns Grenzen hinaus. Bereits 1947 hatte sie eine Schulreform unter dem Leitmotiv „gleiche Chancen für alle“ gefordert. Zudem ging es ihr um die Erziehung zur Demokratie: Die Einübung demokratischer Spielregeln in der Schule sei das beste Mittel zur Immunisierung gegenüber jeglicher Form von Radikalismus.

1962 startete sie Erkundungsreisen in andere Bundesländer, aber auch in die DDR und das Ausland, um die Bildungsbe- Einladungskarte zur einer Veranstaltung des dingungen vor Ort zu analysieren. Ihre Berichte publizierte Aktionskreises Liberales München mit sie als „Reisen durch die Pädagogischen Provinzen der Hildegard Hamm-Brücher am 28. Februar 1966 Bundesrepublik“ 1965 in der Presse – ein eindrucksvolles in München Protokoll der Bildungsmisere im eigenen Land. 11 v

- ” „GLEICHE BILDUNGS

CHANCEN FÜR ALLE Die Bildung des einzelnen entscheidet ”über die Zukunft aller. Hildegard Hamm-Brücher, Rede auf dem Bundesparteitag Frankfurt a.M. 1965

Bildungsreformerin in Hessen 03 und im Bund (1967-1972) Hamm-Brüchers Erfolge in Bayern wirkten auch auf die „Bildungspolitik“, so Hamm-Brücher, sei „die wichtigste Form Bundes-FDP zurück. Seit 1964 gehörte sie – zunächst als der Sozialpolitik“. Liberale Kultur- und Bildungspolitik ver- einzige Frau neben der Ehrenpräsidentin Marie-Elisabeth stand sie als Teil einer gesellschaftlichen Emanzipations- und Lüders – dem Bundesvorstand an. Hier rechnete sie zu Aufbruchsbewegung, die auf die Kompetenz aller Bürger zur den sozialliberalen Reformern und bildungspolitischen verantwortlichen und selbständigen Mitgestaltung von Gesell- Erneuerern; in einer kämpferischen Rede forderte sie auf schaft und Staat ziele. Mit dem Soziologen Ralf Dahrendorf dem Bundesparteitag 1967 in Hannover die personelle und dem Pädagogen Georg Picht war sie sich über die Not- und inhaltliche Neuorientierung der FDP. wendigkeit eines „Bürgerrechts auf Bildung“ einig. 12 Bundestagswahlkampf 1961: Hildegard Hamm-Brücher beim Besuch einer Volksschule in Hessen Das Bildungssystem zu reformieren, hieß für Hamm-Brücher, in Schulen und Hochschulen offene Strukturen, Chancengerechtigkeit, die Entfaltung individueller Begabungen und die Einübung demokratischer Tugenden und Praktiken zu ermöglichen.

Mit ihrem Engagement in der Schul- und Bildungspolitik hatte sie sich inzwischen über Bayern hinaus bekannt gemacht. Hildegard Hamm-Brücher Dazu hatten die in den Medien breit am Schreibtisch, o.D. diskutierten Reisen durch die deutsche Bildungslandschaft ebenso beigetragen wie ihre programmatischen und den Ton vorgebenden Veröffentlichungen – etwa „Der Weg zur demokratischen Bildungsgesellschaft“ oder „Auf Kosten unserer Kinder – wer tut was für unsere Schulen?“.

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Im unruhigen Jahr 1967 nahm Hamm-Brücher das An- gebot des hessischen Kultusministers Ernst Schütte an, Staatssekre­tärin zu werden. Die Konstellation war unge- wöhnlich, da Hessens sozialdemokratischer Ministerprä- sident mit absoluter Mehrheit regierte, sich aber von der anerkannten liberalen Bildungsexpertin zusätzliche Kompetenz und Breitenwirkung versprach. Auch für Hamm-Brücher war die Situation ungewohnt: Erstmals agierte sie mit ihren Plänen politisch mitverant- wortlich aus der Regierungsperspektive.

Visitenkarte von Hildegard Hamm-Brücher als Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, 1972

Mit der Bildungsreform wollte Hamm-Brücher statt „hierarchischer Entschei- dungsstrukturen […] neue Kooperationsmodelle“ erproben. Diese reichten von ersten Gesamtschulversuchen, der Reform der Lehrpläne und der Stärkung der Mitbestimmung von Eltern und Schülern bis zur größeren Vielfalt der Bildungs- einrichtungen und – avant la lettre – lebenslangem Lernen. Dabei scheute sie auch nicht vor „Heiligen Kühen“ zurück, wie etwa der Forderung nach ganztägiger Button Präsenzpflicht der Lehrkräfte an den Gesamtschulen, womit sie allerdings bei des FDP-Landesverbandes Bayern den Betroffenen geballte Entrüstung auslöste. Dennoch zog sie im Herbst 1969 zur Landtagswahl 1974 in Bayern für sich eine positive Bilanz ihrer hessischen Amtszeit. 15 v

Plakat des FDP-Landesverbandes Bayern zur Landtagswahl 1974 in Bayern

Nach der – von ihr ersehnten – Bildung der sozialliberalen Koalition im Bund wechselte Hamm-Brücher als Staats- sekretärin ins Bundesministerium für Bildung und Wissen- schaft, das der parteilose Hans Leussink führte. Befasst war die liberale Reformerin hier vor allem mit Konzepten und Planungen: Zunächst ging es um die Erstellung des „Bildungsberichts ’70“. Dahinter verbarg sich ein gesamt- staatlicher Entwurf für ein offenes, chancengerechtes und demokratisches Bildungssystem vom Kindergarten bis zur Erwachsenenbildung. Sodann stand die „Bildungsplanung“ des Bundes für Hochschulen und Forschungsförderung an sowie die Regelung der Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern – bis heute ein potentieller Konfliktfall im föderalen System der Bundesrepublik. Für Bildungs- reformen waren nun Bund und Länder verantwortlich und Hamm-Brücher hoffte auf entsprechende Vereinbarungen, die aber ebenso ausblieben wie auch manche Umsetzung der großen Pläne – etwa dem Hochschulrahmengesetz oder dem Hamm-Brücher-Plan für ein durchlässiges Schul- und Hochschulsystem. Ernüchtert, aber nicht mutlos fasste Hamm-Brücher ihre Erfahrungen später in Publikationen mit markanten Titeln zusammen: „Unfähig zur Reform?“ (1972) und „Bildung ist kein Luxus“ (1975).

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Zur mangelnden Umsetzbarkeit kam noch das Die in dieser Zeit starke Stellung Hamm-Brü- aus ihrer Sicht unbefriedigende Engagement chers in der Partei hatte sich zuvor auch auf des Bildungsministers Leusssink. Im Mai 1972 Bundesebene erwiesen: 1970 wurde sie mit der gab Hamm-Brücher das Amt der Staatssekre- höchsten Stimmenzahl aller Bewerberinnen und tärin auf und kehrte nach Bayern zurück – ein Bewerber wieder in den Bundesvorstand gewählt, Schritt, zu dem sie sich auch gegenüber ihren 1972 stieg sie neben Hans-Dietrich Genscher und Wählern verpflichtet fühlte, denn bereits 1970 Wolfgang Mischnick zur stellvertretenden Vor- war sie wieder in den Landtag gewählt worden. sitzenden auf, was sie bis 1976 blieb. Mit der beim Wähler populären Kandidatin wollte die FDP damals den Wiedereinzug in den Landtag schaffen und auch ein bundespolitisch wichtiges Signal für die Stärke der Liberalen setzen. Die Hoffnung trog nicht; der „politische Markenartikel HHB“ erzielte mit einem persona- lisierten Wahlkampf in bewährter Manier die für die Partei notwendigen Stimmen.

FDP-Bundesparteitag 1974 in Hamburg: v.l.n.r. , Hildegard Hamm-Brücher, Hans-Dietrich Genscher und Wolfgang Mischnick

17 v Hildegard Hamm-Brücher 30. August 1976

VERANTWORTUNG UND GEWISSENSFREIHEIT Wir müssen die Partei auf der Suche nach ”einer liberalen Bürger- gesellschaft sein […]. Im Deutschen Bundestag Hildegard Hamm-Brücher, 1994 (1976-1990) und im 04 Außenministerium Für den Deutschen Bundestag kandidierte Hamm-Brücher Eine der großen Herausforderungen im neuen Regierungs- erstmals 1976 – und war erfolgreich. Auch bei den folgen- amt bestand darin, die Empfehlungen der 1971 eingesetz- den Wahlen erzielte die Politikerin in ihrem Wahlkreis Er- ten „Enquete-Kommission Auswärtige Kulturpolitik“ in die langen regelmäßig überdurchschnittliche Ergebnisse. Nach Praxis umzusetzen. Aus dem „Schrebergarten“ der Fach- vier bayerischen Jahren ging es also wieder nach Bonn referate – z.B. Auslandsschulen, Goethe-Institute, Akademi- zurück, wo Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher scher Austauschdienst, wissenschaftliche Programme, Mu- sie als Staatsministerin für auswärtige Kulturbeziehungen sik- und Kunstförderung – sollte neben der Diplomatie und in sein Amt berief. der Wirtschaft die „dritte Säule“ der Außenpolitik werden. 18 Eine Aufgabe, der sich Hamm-Brücher nur zu gerne annahm: In ihrer Verantwortung gelang der Paradigmenwechsel von einer rein repräsentativen zu einer auf Kooperation gerichteten Kulturpolitik; zudem gelang es ihr, den Etat in ihrer sechsjähri- gen Amtszeit um über fünfzig Prozent zu steigern. Der Export deutscher Kultur und Sprache ins Ausland war keine Einbahn- straße mehr, sondern Teil einer partnerschaftlichen Politik, die auf den Transfer verschiedener Kulturen und die Vermittlung eines modernen Deutschlandbildes mit Ecken und Kanten setzte. International erwarb sich Hamm-Brücher mit diesen kooperativ konzipierten Projekten Anerkennung: Als erste Frau erhielt sie 1982 in Peru einen Ehrendoktor.

Reisen, Konferenzen und Gesprächstermine nutzte sie nicht nur zur Bildung eines breiten persönlichen Netzwerkes, sondern nahm häufig auch – trotz aller Anpassung an die Gepflogenheiten des Diplomatischen Dienstes – kein Blatt vor den Mund, etwa in der Kritik an der Apartheid in Südafrika, das ihr fortan die Einreise verbot. 1981 wurde sie zur ersten Koordi- natorin der deutsch-amerikanischen Beziehungen ernannt; die von Genscher 1983 gewünschte Wiederberufung in dieses Amt

lehnte sie nach der Koalitionswende allerdings ab. v v

Die vom Parteivorsitzenden Genscher vollzogene „Wende“ 1982 und das Ende der sozialliberalen Koalition empfand sie als harten Schlag: Zu sehr war dieses Bündnis ihrer Vorstel- lung eines reformorientierten Liberalismus nahegekommen; auch schätzte sie Bundeskanzler persön- lich, so dass sie das von der Fraktionsmehrheit unterstützte Konstruktive Misstrauensvotum ablehnte. In einer viel dis- kutierten, aufwühlenden Rede begründete sie im Bundestag ihren Widerspruch: Der Wechsel der FDP zur Koalition mit der CDU/CSU sei für die FDP-Abgeordneten „ein schmerz- hafter Gewissenskonflikt“; die Vorgänge des Kanzlersturzes und der neuen Kanzlerwahl seien zwar „zweifellos verfas- sungskonform“, aber sie hätten „das Odium des verletzten demokratischen Anstands“. Der FDP blieb sie – überzeugt von der Notwendigkeit einer liberalen Partei – dennoch treu.

Hildegard Hamm-Brücher,

15.11.1982 v v

Die moralisch begründete Kritik brachte ihr zwar in der eige- nen Fraktion in den nächsten Jahren erhebliche Gegner- schaft, in Teilen der Öffentlichkeit aber zugleich respektvolle Anerkennung. Sie galt fortan als Vorbild einer couragierten Liberalen, die im Zweifelsfall ihre Gewissensfreiheit über Partei- oder Fraktionsdisziplin zu stellen bereit war.

Diese Erfahrungen motivierten sie, nun eine Parlaments- reform zu initiieren, um sowohl die Stellung des einzelnen Abgeordneten gegenüber der Fraktion, als auch die Rechte des Parlaments insgesamt gegenüber der Regierung zu stärken. Zur „Behebung der Kreislaufstörungen im Regel- werk der Verfassung“, wie sie es nannte, gründete sie 1984 eine „Interfraktionelle Initiative Parlamentsreform“, um einen „dritten Weg zwischen Honoratioren- und Parteienparla- mentarismus“ zu finden. Tatsächlich richtete der Bundestag eine Ad-hoc-Kommission ein, deren Ergebnisse aber für Hamm-Brücher weit hinter ihren Hoffnungen zurückblieben.

Plakat des FDP-Landesverbandes Hamburg zur Bürgerschaftswahl 1986 in Hamburg

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Trotz aller innerparteilichen Unabhängigkeit repräsentierte sie einen wichtigen Teil des organisierten Liberalismus, wie ihre mehrfache Wiederwahl in den Bundesvorstand und das Parteipräsidium zwischen 1984 und 1990 zeigte; die Fraktion bestimmte sie 1987 zur Sprecherin für auswärtige Kulturpolitik. Seit Mitte der 1980er Jahre intensivierte sie außerdem ihr Engagement für Projekte und Themen, die erst allmählich in den Fokus der öffentlichen Debatte rück- Ihre Abschiedsrede im Deutschen Bundestag hielt sie im ten. Dazu gehörten Initiativen für die Wiedergutmachung an September 1990 anlässlich der Verabschiedung des Ver- den Opfern von Zwangsarbeit im Nationalsozialismus oder trags zur Herstellung der Deutschen Einheit. Sie nutzte dies eine interfraktionelle Arbeitsgruppe zu Menschenrechtsver- für eine Reflektion über die Stabilität der Demokratie nach letzungen an Frauen. 1945 und warnte vor westlicher Selbstgerechtigkeit, das „Ausmaß des Fremdseins nach über vierzigjähriger Teilung“ zu unterschätzen. Dank ihrer Kontakte zur Evangelischen Kirche in der DDR und zu Bürgerrechtlern wie und Jens Reich besaß Hamm-Brücher ein sorgsa- mes Sensorium für die unterschiedlichen Befindlichkeiten in Ost und West. Gerne hätte sie das „Geschenk der Wieder- vereinigung“ mit einer gemeinsam von allen Deutschen erarbeiteten neuen Verfassung besiegelt gesehen. Im glei- chen Jahr ehrte sie den Architekten der Einheit, Hans-Diet- rich Genscher, mit dem Theodor-Heuss-Preis ihrer Stiftung

– ein versöhnlicher Schritt nach dem Konflikt von 1982. v Rede zur „Wende“ 1.10.1982, Hildegard Hamm-Brücher im Dt. Bundestag v

„FREISCHAFFENDE” LIBERALE Buchcover Hildegard Hamm-Brücher: Freiheit ist mehr als ein Wort. Eine Lebensbilanz, Köln 1996

Leidenschaftlich für Demokratie und 05 Bürgergesellschaft (1990-2016) Der Abschied aus dem Bundestag 1990 bedeute- Welche Wirkung Hamm-Brücher öffentlich besaß, hatte sich seit ihren te für Hildegard Hamm-Brücher keineswegs den ersten politischen Wahlkämpfen in Bayern immer wieder erwiesen, Rückzug in die Zuschauerrolle. Im Gegenteil – sie als sie gleichsam der FDP „ein Gesicht“ gab. Nach Ende der sozialli- weitete nun ihr zivilgesellschaftliches Engage- beralen Koalition wurde ihre wichtige Operationsbasis mehr und mehr ment aus und förderte zahlreiche auf Teilhabe an die mediale Öffentlichkeit mit Kommentaren, Artikeln und Interviews, der Demokratie zielende Projekte und Initiativen. häufig in Leitmedien wie der Süddeutschen Zeitung und der Zeit. Die Zugleich nutzte sie ihr publizistisches Netzwerk Titel der zahlreichen Buchpublikationen lesen sich programmatisch, und erreichte mit ihren Beiträgen und ihrer me- z.B. Freiheit muss erkämpft werden, Der Politiker und sein Gewissen, dialen Präsenz eine hohe Resonanz. Wider die Selbstgerechtigkeit, Kämpfen für eine demokratische Kultur.

24 v Ihre persönliche Lebensgeschichte, insbesondere Erklärung von Hildegard Hamm-Brücher die Erfahrungen unter dem Nationalsozialismus, zur Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten, bildete den Ausgangspunkt, um die ethische Grund- FDP-Bundeshauptausschuß lage ihrer politischen Positionen und ihres morali- am 15. Oktober 1993 in Magdeburg schen Handelns als Politikerin zu bekräftigen.

Die aktive Politik trat allerdings noch einmal in den Vordergrund, als die FDP sie 1994 als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten benannte. Die Anregung ging auf eine überparteiliche Frauen- initiative zurück und war für Hamm-Brücher eine Genugtuung: „Mein langer politischer Weg von der jungen Trümmerstadträtin 1948 zur alten Dame 1993 dokumentiert die Geschichte der Durchset- zung der Gleichberechtigung von Mann und Frau in der männlich geprägten Welt der Politik.“ In der Bundesversammlung erhielt sie in den ersten beiden Wahlgängen auch Stimmen aus anderen Parteien, im dritten Wahlgang entschied sich die FDP jedoch aus Koalitionsgründen für Roman Her- zog, den Kandidaten der CDU/CSU. Dies konnte Hamm-Brücher nicht verhindern, es widersprach aber ihrer Vorstellung von der – dem eigenen Gewissen verpflichteten – Entscheidungsfreiheit der

Parlamentarier. v Verleihung der Hamm-Brücher-Medaille an Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, über­ geben durch Hans-Dietrich Genscher, 27.11.1995 Plakat des FDP-Landesverbandes Bayern zur Landtagswahl 1990 in Bayern

Ihr weiteres Wirken zielte auf die Stärkung einer „verantwortungs- bereiten, aktiven Bürgergesellschaft“, als deren Lebenselixier sie eine möglichst umfassende Partizipation der Menschen sah. Eine solche „Demokratie als Lebensform“ – in der Tradition ihres politischen Vor- bildes Theodor Heuss –erforderte die breite Vermittlung politischer Bildung und das Wirken zahlreicher Initiativen und selbst organisierter Gruppen. Zur Ermutigung dieser Impulse dienten Hamm-Brücher Einrichtungen wie die von ihr 1964 mitbegründete Theodor-Heuss- Stiftung, die „vorbildlich demokratisches Verhalten, bemerkenswerte Zivilcourage und beispielhaften Einsatz für das Allgemeinwohl“ an- regen und fördern soll.

Wie kann Vertrauen in die Personen und Institutionen der Demokratie dauerhaft hergestellt werden, war die für Hamm-Brüchers Engage- ment zentrale Frage. Diese stellte sich seit Anfang der 1990er Jahre umso stärker, als sie Antisemitismus und Rechtsextremismus – und somit die Gefahren für die freiheitliche Demokratie – anwachsen fühl- te. Vor diesem Hintergrund sah sie nach der Jahrtausendwende den Auch nach ihrem Austritt verstand sie sich politischen Kurs des stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Jürgen Möl- unverändert als „freischaffende Liberale“ und lemann immer kritischer. Als dieser die „antizionistische Welle“ spielte, kämpfte leidenschaftlich bis ins letzte Lebensjahr wie sie es später nannte, trat sie nach 54 Jahren Parteizugehörigkeit für einen aktiven demokratischen Bürgersinn: aus der FDP aus: Sie sehe, so beklagte sie im Austrittsschreiben 2002, „Der organisierte und nicht organisierte Liberalis- gegenwärtig in der FDP „keine Spuren eines Theodor Heuss, eines mus, alle Verfechter und Hüter der Freiheit also – und Karl-Hermann Flach, eines Ignatz Bubis und vieler und nicht ihre Feinde –, sollten sich an die Spitze anderer aufrechter Liberaler mehr“. dieser Bürgerbewegung setzen.“

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STREITERIN FÜR ZIVILCOURAGE UND FREIHEIT Libertaler der FDP-Bundespartei zur Bundestagswahl 1976

„Gegen den Strom“ – 06 Grande Dame des Liberalismus Seit ihren ersten politischen Erfolgen in Bayern in den Nachkriegsjah- „Mein politisches Denken und Handeln“, so ren galt Hildegard Hamm-Brücher als eine unabhängige Liberale, als formulierte sie selbst ihren Anspruch, „war von eine Politikerin, die – mit einem starken moralischen Kompass aus- meiner Passion für Demokratie als Staats- und gestattet – bereit war, auch unbequem zu sein, wenn es der Einsatz für vor allem als Lebensform bestimmt, begleitet von Frauen- und Bürgerrechte erforderte. Mit ihren Stellungnahmen, Reden der Sorge, wir könnten es abermals versäumen, und ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement prägte sie über lange hierfür dauerhafte Fundamente zu legen. Zeit die öffentliche Wahrnehmung liberaler Werte und Handlungsnor- Parteipolitische Interessen rangierten bei mir men. In dieser Hinsicht schien sie die Sehnsucht vieler Menschen nach immer erst an zweiter Stelle […].“ Aufrichtigkeit und Integrität in der Politik zu verkörpern.

28 v Bundespräsident Horst Köhler, Hildegard Hamm-Brücher, Festakt zum 50. Jahrestag der Friedrich-Naumann-Stiftung, Bonn, 19.5.2008

Ihr Engagement und ihre zentralen Themen als Politikerin speisten sich aus dieser Sorge um die liberale Demokratie; sie versuchte dauerhaft, Menschen für eine „gelebte Bürgergesellschaft“ zu er- mutigen. Diesem Ziel waren ihre Vorstel- lungen in der sozialliberalen Bildungs- und Gesellschaftsreform ebenso verpflichtet Ganz besonders galt dieser Klärungsprozess für das – ihr immer wichtiger wie ihr – aufgrund der Widerstände werdende – Anliegen der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Diktatur. nur teilweise erfolgreiches – Projekt zur Unermüdlich beklagte sie die Geschichtsvergessenheit und „versäumte Parlamentsreform und zur Freiheit des Katharsis“; maßgeblich für ihr politisches Handeln empfand sie einen Leit- einzelnen Abgeordneten. Ihre Vorhaben satz aus den Flugblättern der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“: „Zerreißt und politischen Ansätze lösten innerhalb den Mantel der Gleichgültigkeit, den ihr um Euer Herz gelegt habt“. Diesen ihrer Partei und in der Öffentlichkeit dramatischen Appell verstand Hamm-Brücher als Auftrag, wo immer es not- häufig Diskussionen aus, die zur Selbst- wendig war, „gegen Gleichgültigkeit, Wegsehen, Intoleranz und mangelnde verständigung der Gesellschaft beitrugen. Zivilcourage anzukämpfen“.

29 v Festakt zum 50. Jahrestag der Friedrich-Naumann-Stiftung und Hildegard

Hamm-Brücher, Bonn, 19.5.2008 v Plakat des LHG-Bundesverbandes zur Kampagne „Freiheit neu denken“, 2012 Seit der Jahrtausendwende verstärkten sich ihre Sorgen vor einer Bagatellisierung und Verharmlosung extremisti- scher Gesinnungen und antisemitischer Tendenzen. Der Verfall der politischen Diskussionskultur gefährde das „Immunsystem unserer Demokratie“. „Nicht mit den Wölfen heulen“, mahnte sie und forderte zum politischen Engage- ment auf. Demokratie sei nie selbstverständlich, sondern müsse immer wieder neu errungen und verteidigt werden.

Mit ihren vielfältigen Initiativen und öffentlichen Reden, ihrem ehrenamtlichen Engagement in Stiftungen und Projekten der Schul- und Bildungsarbeit förderte sie seit dem Abschied aus der parlamentarischen Politik die offene demokratische Bürgergesellschaft. Für ihr leidenschaft- liches Wirken erhielt die Grande Dame des Liberalismus selbst zahlreiche Auszeichnungen und Preise – und An- erkennung auch von denjenigen, die ihren Mut und ihre

moralischen Prinzipien einstmals geschmäht hatten. v

Der von Hamm-Brücher verkörperte Liberalismus orientierte Die Bürgergesellschaft ist sich an bürgerschaftlicher Partizipation und gesellschaft- eigentlich das Rückgrat einer lichem Dialog, ein Liberalismus, „der sich für Bürgerrechte, lebendigen Demokratie. Zivilcourage und demokratische Kultur einsetzte“, wie Bun- ” despräsident Joachim Gauck 2016 betonte und damit auch Hildegard Hamm-Brücher, die zukünftige Verpflichtung benannte.

Autobiographie, 1996 31 v STATIONEN Mitglied des Kuratoriums der IHRES LEBENS Friedrich-Naumann-Stiftung

Stadträtin in München

Tod der Eltern, Chemiestudium, Mitglied Umzug nach Dresden Gründung der Promotion in des Bayerischen Theodor-Heuss-Stiftung München bei Landtags Heinrich Wieland

1940 1945 1948 1949 1950 1954/ 1958 1964 1967 1921 1931/32 1939 – – – – – – – 1964 – 1945 1949 1954 1950 1966 1959 1993 1976 1969

Staatssekretärin im Hessischen Abitur Geburt der Kinder, Kultusministerium Geboren in Konstanz 1956 Heirat mit am 11.5. Erwin Hamm in Essen Studienjahr an der Harvard University (USA) Mitarbeiterin der Neuen Zeitung Mitglied des in München FDP-Bundesvorstands 32 Dr. h.c. Zahlreiche Ehrungen: Katholische Universität Dr. h.c. Universität Jena, Staatssekretärin im Lima (Peru) Heinz-Galinski-Preis, Bundesministerium für Eugen-Kogon-Preis, Bildung und Wissenschaft Staatsministerin Marion-Dönhoff-Preis, im Auswärtigen Amt Moses-Mendelssohn-Medaille

Bundesverdienst- Stellv. kreuz mit Stern und Bundesvorsitzende Schulterband der FDP Ehrenbürgerin der Stadt München

1969 1970 1972 1975 1976 1976 1984 2003 – – – – – – 1980 – 1993 1994 1995 2002 – 2016 1972 1976 1976 1987 1982 1990 1991 2011

Mitglied des Dt. Austritt Mitglied des Bundestages Mitglied des FDP- aus der FDP Bayerischen Bundesvorstandes, Landtags, Präsidiumsmitglied FDP-Fraktions- (1988-1990) vorsitzende Gestorben (ab 1972) Kandidatin der FDP für das Amt des am 7.12. in Präsidiumsmitglied des Bundespräsidenten München Dt. Evangelischen Kirchentages (EKD), Synodalmitglied 1985-1990

33 Eröffnungsfeier des Archivs des Deutschen Liberalismus in Gummersbach am 31. Januar 1984: Walter Scheel mit Hildegard Hamm-Brücher vor einem Heuss-Porträt FDP-Bundesparteitag 1965 in Frankfurt/M.: v.l.n.r. Wolfgang Mischnick, Ewald Bucher, Hans Wolfgang Rubin, Hildegard Hamm-Brücher

DIE FRIEDRICH-NAUMANN-STIFTUNG FÜR DIE FREIHEIT

Für den liberalen Vordenker Friedrich Naumann stand fest: Eine starke Demokratie braucht mündige Bürger. Erst wenn der Einzelne am politi- schen Prozess teilnimmt und Verantwortung trägt, wenn er sich einmischt und seine Meinung vertritt, wächst und gedeiht eine liberale Gesellschaft. Die nach ihm benannte Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit setzt sich seit ihrer Gründung am 19. Mai 1958 durch Bundespräsident Theodor Heuss für die Werte der Freiheit, für Verantwortung, Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte in Deutschland und in der Welt ein.

Im Sinne des Begründers der liberalen Erwachsenenbildung setzt Friedrich Naumann sich die Stiftung dafür ein, dass es auf der ganzen Welt weniger (1860 –1919), Namensgeber der Stiftung abhängige und mehr selbstbewusste, politisch aktive Bürger gibt – durch die internationale Stiftungsarbeit in über 60 Ländern, Studien- und Promotionsstipendien an Bewerber im In- und Ausland, politische Bildungsangebote, Veranstaltungen und Publikationen sowie historische Forschungsarbeit.

Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit wirbt für Freiheit und darum, die Verantwortung wahrzunehmen, die mit Freiheit untrennbar verbunden ist. Sie fördert eine tolerante, fortschrittliche, gut ausge- bildete und leistungsgerechtere Gesellschaft – mit dem Ziel, möglichst vielen Menschen möglichst viele Chancen zu ermöglichen. www.freiheit.org 37 BILDLEGENDEN

Cover Hildegard Hamm-Brücher am Rednerpult, Mitte 1970er Jahre. Seite 21 Plakat des FDP-Landesverbandes Hamburg zur Bürgerschaftswahl 1986 in Quelle: Foto Darchinger. Nutzungsrecht: ADL Fotosammlung, FD-405b Hamburg. Quelle/Rechte: ADL Plakatsammlung, P0-534 Seite 4 Lieblingsgericht von Hildegard Hamm-Brücher aus ihrer Jugendzeit, 1986. Seite 23 Rede im Bundestag, 1.10.1982, Hildegard Hamm-Brücher. Quelle/Rechte: ADL Bestand Hildegard Hamm-Brücher, N49-50 Quelle/Rechte: picture alliance / AP Photo / mberg| Seite 5 Friedrich-Luisen-Schule in Konstanz (heute Ellenrieder-Gymnasium). Seite 24 Buchcover: Hildegard Hamm-Brücher: Freiheit ist mehr als ein Wort. Quelle: ReinerausH, wikimedia commons Eine Lebensbilanz. Köln, 1996. Quelle: ADL Bibliothek, A-96-64 Seite 7 Hildegard Hamm-Brücher im Gespräch mit Theodor Heuss, Seite 25 Erklärung von Hildegard Hamm-Brücher zur Kandidatur für das Amt des Anfang 1960er Jahre. Quelle/Rechte: ADL Fotosammlung, F1-432 Bundespräsidenten, 15. Oktober 1993 in Magdeburg. Seite 8 Gedicht und Zeichnung von Hildegard Hamm-Brücher für Thomas Dehler, Quelle/Rechte: ADL Bestand FDP-Bundeshauptausschuß, A48-97 1963. Quelle/Rechte: ADL Bestand Thomas Dehler, N1-289 Seite 26 Verleihung der Hamm-Brücher-Medaille an Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Seite 9 Flugblatt des FDP-Landesverbandes Bayern zur Landtagswahl 1962 in Bayern. übergeben durch Hans-Dietrich Genscher, 27.11.1995. Quelle/Rechte: ADL Flugblattsammlung, E1-695a Quelle/Rechte: picture-alliance / dpa / Ursula Düren Seite 10 Wahlkampftour mit Hildegard Hamm-Brücher in Nürnberg, Landtagswahl Seite 27 Plakat des FDP-Landesverbandes Bayern zur Landtagswahl 1990 in Bayern. 1970 in Bayern. Quelle/Rechte: ADL Fotosammlung, F2-505 Quelle/Rechte: ADL Plakatsammlung, P1-1715 Seite 11 Briefkopf von Hildegard Hamm-Brücher als MdL, 1965. Seite 28 Libertaler der FDP-Bundespartei zur Bundestagswahl 1976. Quelle/Rechte: ADL Bestand Thomas Dehler, N5-7/22 Quelle/Rechte: ADL Werbemittelsammlung, WB1-1 Seite 11 Einladungskarte zur Veranstaltung des Aktionskreises Liberales München Seite 29 Festakt zum 50. Jahrestag der Friedrich-Naumann-Stiftung im Plenarsaal des mit Hildegard Hamm-Brücher am 28. Februar 1966 in München. alten Bundestages Bonn, 19.5.2008. Quelle/Rechte: ADL Bestand Thomas Dehler, N5-7/4 Quelle/Rechte: ADL Fotosammlung, DSC1059 Seite 13 Bundestagswahlkampf 1961: Hildegard Hamm-Brücher beim Besuch einer Seite 30 Festakt zum 50. Jahrestag der Friedrich-Naumann-Stiftung im Plenarsaal des Volksschule in Hessen. Quelle/Rechte: ADL Fotosammlung, F2-216 alten Bundestages Bonn, 19.5.2008. Quelle/Rechte: ADL Fotosammlung, DSC0582 Seite 14 Hildegard Hamm-Brücher am Schreibtisch, o.D.. Quelle/Rechte: ADL Fotosammlung, F1-531 Seite 31 Plakat des LHG-Bundesverbandes zur Kampagne „Freiheit neu denken“, 2012. Quelle/Rechte: ADL Plakatsammlung, P2-1155 Seite 15 Button des FDP-Landesverbandes Bayern zur Landtagswahl 1974 in Bayern. Quelle/Rechte: ADL Werbemittelsammlung, WB3-9 Seite 34 Eröffnungsfeier des Archivs des Deutschen Liberalismus in Gummersbach am 31. Januar 1984. Quelle/Rechte: ADL Fotosammlung, F5-242b Seite 15 Visitenkarte von Hildegard Hamm-Brücher als Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, 1972. Seite 35 FDP-Bundesparteitag 1965 in Frankfurt/M. Quelle/Rechte: ADL Bestand FDP-Bundestagsfraktion, A49-130 Quelle/Rechte: ADL Fotosammlung, FM2-125 Seite 16 Plakat des FDP-Landesverbandes Bayern zur Landtagswahl 1974 in Bayern. Seite 36 Truman Haus und Neubau: Geschäftsstelle der Friedrich-Naumann-Stiftung Quelle/Rechte: ADL Plakatsammlung, P1-400 für die Freiheit in Potsdam-Babelsberg. Quelle/Rechte: ADL Fotosammlung, F20-173 Seite 17 FDP-Bundesparteitag 1974 in Hamburg. Quelle: Foto Darchinger. Nutzungsrecht: ADL Fotosammlung, FD-266b Seite 37 Friedrich Naumann im Profil, 1919. Quelle/Rechte: ADL Fotosammlung, FN3-0013 Seite 19 Hildegard Hamm-Brücher mit Koffer und Tasche, 30. August 1976. Quelle: Foto Darchinger. Nutzungsrecht: ADL Fotosammlung, FD-366 Seite 38 FDP-Bundesparteitag 1974 in Hamburg. Quelle: Foto Darchinger. Nutzungsrecht: ADL Fotosammlung, FD-266d Seite 20 Hildegard Hamm-Brücher, 15.11.1982. Quelle: Olaf Kosinsky, wikimedia commons ADL = Archiv des Liberalismus

38 FDP-Bundesparteitag 1974 in Hamburg: v.l.n.r. Harald Hofmann, Werner Maihofer, Hans-Dietrich Genscher, Walter Scheel, Hildegard Hamm-Brücher und Wolfgang Mischnick PUBLIC HISTORY

Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit  Karl-Marx-Straße 2 14482 Potsdam www.freiheit.org

ISBN 978-3-9822020-3-7