Tantris der (vergessene) Narr Rezeptionsgeschichtliche und intertex- tuelle Analyse des Dramas von Ernst Hardt

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts (MA)

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von: Anne RIZ

am Institut für Germanistik

Begutachterin: AO. Univ.-Prof. Mag. Dr. phil. Brigitte Spreitzer

Graz, 2013

Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre eidesstattlich, dass ich die vorliegende Masterarbeit selbst- ständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Masterarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch.

Graz, am 24.07.2013

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Danksagung

Ernst Hardt und sein Tantris: Viele Monate haben mich diese beiden tagein, tagaus begleitet, ohne mir von der Seite zu weichen. Ob ich vor dem Computer um die rich- tigen Worte kämpfte oder in meiner Freizeit versuchte, wenigstens kurze Zeit meine Gedanken von der Arbeit loszureißen, sie waren immer bei mir. Glücklicherweise waren sie nicht meine einzigen Begleiter in dieser spannenden, jedoch auch schwie- rigen Phase meines Lebens. Daher möchte ich mich an dieser Stelle an jene wenden, die mich gestützt und motiviert haben:

Mein Dank und meine Zuneigung gelten meiner Masterarbeitsbetreuerin AO. Univ.-Prof. Mag. Dr. phil. Brigitte Spreitzer, die in dieser Zeit kein einziges Mal die Geduld mit mir verlor und mir mit Rat und Tat zur Seite stand, meinen StudienkollegInnen, deren Freundschaft ich nie mehr missen möchte, meinen Eltern Peter und Birgit Riz, die immer an mich geglaubt und mir mit ihrer Liebe durch schwere Zeiten geholfen haben und meinem Lebensgefährten Lukas Preininger, der immer an meiner Seite war und mich, wenn nötig, auch ein Stück des Weges getragen hat.

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ...... 5 2. Textexterne Analyse ...... 8 2.1 Ernst Hardt: Eine kurze Biographie ...... 8 2.2 Das dramatische Werk Ernst Hardts ...... 10 2.3 Rezeption des Dramas Tantris der Narr ...... 14 2.3.1 Der große Erfolg ...... 15 2.3.2 Der vergessene Narr ...... 16 3. Intertextuelle Analyse ...... 21 3.1 Theoretische Grundlegung ...... 21 3.2 Prätexte ...... 25 3.3 Inhalt und Aufbau des Dramas ...... 36 3.4 Motive ...... 41 3.4.1 Treue und Treuebruch ...... 41 3.4.2 Der Liebestrank ...... 44 3.4.3 Das Meer ...... 47 3.4.4 Waldleben ...... 50 3.4.5 Vogelmotiv ...... 52 3.4.6 Drachenkampf ...... 56 3.4.7 Haarszene ...... 58 3.4.8 Gottes- und Todesurteil ...... 59 3.4.9 Der Hemdtausch ...... 63 3.5 Figurenanalyse ...... 65 3.5.1 Tristan ...... 65 3.5.2 Isolde ...... 69 3.5.3 König Marke ...... 72 3.5.4 Brangäne ...... 74 3.5.5 Denovalin ...... 76 3.5.6 Ugrin ...... 78 3.5.7 Die Hunde: Husdent und Petikrü ...... 79 3.5.8 Iwein und die Siechen ...... 81 3.5.9 Diener und Barone ...... 83 4. Resümee ...... 85 5. Siglenverzeichnis ...... 89

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6. Literaturverzeichnis ...... 89 6.1 Primärliteratur ...... 89 6.2 Sekundärliteratur ...... 90 6.3 Lexika und Nachschlagewerke ...... 93 6.4 Unveröffentlichte Quellen ...... 94

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1. Einleitung

[Sie] werden in der jüngsten dramatischen Entwicklung öfter und öfter Werke finden, deren Titel, deren Inhalt sie von fern an eine Musik erin- nert, die Sie irgendwann schon einmal gehört [haben].1

Mit diesen Worten leitet Ernst Hardt einen Vortrag zu seinem Erfolgsdrama Tantris der Narr ein und lässt uns somit am Entstehungsprozess eines großen Stückes teilha- ben. Doch wer ist dieser Dramatiker? Er scheint weder im Schulkanon auf, noch be- schäftigen sich Literaturwissenschaftler ausgiebig mit seinem literarischen Schaffen. Uns stellt sich nun die Frage: Was führte dazu, dass dieser große Künstler in Verges- senheit geriet, und mit ihm seine einst so gefeierte Bearbeitung einer der größten Liebesgeschichten der Welt?

Die folgende Arbeit lässt sich in zwei Hauptbereiche untergliedern: Ersterer betrifft Erfolg und Fall des Dramatikers Ernst Hardt. Im zweiten Abschnitt soll eine inter- textuelle Analyse des Dramas Tantris der Narr erfolgen. Dabei gilt es zunächst, durch genaue Betrachtung des Schaffensweges Hardts jene Gründe ans Licht zu bringen, welche dazu führten, dass Hardt trotz seines Erfolges in Vergessenheit ge- raten konnte. Darauffolgend soll die Entstehung des Tantris näher untersucht und mit unterschiedlichen mittelalterlichen Tristan-Bearbeitungen in Verbindung gesetzt werden.

Der erste Teil dieser Masterarbeit, in welchem der Fokus auf der Person des Ernst Hardt liegen soll, erfordert zunächst eine kurze Darstellung der Lebensgeschichte des Dramatikers. Was in vielen Werkabhandlungen keinen Platz findet, erscheint hier als notwendig, um die folgenden Untersuchungen besser nachvollziehen zu können. Der darauffolgende Abschnitt behandelt die Entstehung des dramatischen Werkes Hardts, wodurch nicht nur die Vielfalt der von ihm aufgegriffenen Themen und deren Ursprung in unterschiedlichen literarischen Epochen, sondern auch die Situierung des Dramas Tantris im Gesamtwerk des Künstlers dargestellt werden soll. Gleichzeitig soll ein kurzer Überblick über den Stil der Neuromantik, durch welchen

1 Ernst HARDT: Vortrag über „Tantris der Narr“. Deutsches Literaturarchiv (DLA). Zugangs-Nr. 89.97.93. S. 2. 5 sich Hardts Drama auszeichnet, gegeben werden. Die Notwendigkeit einer Be- schränkung auf das dramatische Schaffen Hardts unter Ausschluss seiner Erzählun- gen und Novellen sowie der von ihm getätigten Übersetzungen ergibt sich durch die ansonsten den Umfang dieser Arbeit überschreitende Menge an Information wie auch durch die angestrebte Fokussierung auf die Tristan-Bearbeitung des Dramati- kers. Nachdem damit die wichtigsten Punkte rund um den Künstler und sein Werk Erwähnung gefunden haben, wird der Fokus im weiteren Verlauf der Arbeit auf die Rezeptionsgeschichte des Tantris gelegt. Zu diesem Zweck gilt es, die biographi- schen Daten genauer zu betrachten, um Hinweise auf mögliche Gründe für den Er- folg des Dramas wie auch den darauffolgenden Absturz Hardts in die Vergessenheit zu finden. An diesem Punkt erscheint eine nähere Beschäftigung mit der Zeit des Nationalsozialismus von Nöten, da die Gründe für die gescheiterte Karriere Hardts eventuell dort zu finden sind.

Nach der Betrachtung der Rezeptionsgeschichte des Dramas gilt es im Folgenden, sich mit dem Drama Tantris an sich zu beschäftigen. Um die für dieses Kapitel ge- plante intertextuelle Analyse erstellen zu können, müssen zunächst verschiedene Punkte geklärt werden. Vorerst soll ein auf ausgewählten Theorien basierendes Fachvokabular als Grundgerüst für die weitere Ausarbeitung eingeführt werden. Des Weiteren sollen anhand der Forschungsliteratur die möglichen Prätexte, welche Hardt zur Erstellung des Dramas herangezogen haben könnte, auf die Wahr- scheinlichkeit ihrer Verwendung hin untersucht werden. Diese Auswertung soll ei- nerseits mittels Analysen vorhandener wissenschaftlicher Abhandlungen wie auch Selbstaussagen des Autors, andererseits durch direkte Vergleiche zwischen den Texten und dem Drama in Bezug auf Namensgebung, Motivvorkommen und Ge- meinsamkeiten beziehungsweise Unterschiede im Handlungsverlauf vorgenommen werden. Das auf diese Weise entstandene Textkorpus, genauer die im nächsten Schritt ermittelten für Hardt verfügbaren Ausgaben desselben, wird im weiteren Verlauf für die intertextuelle Analyse herangezogen. Hierbei gilt es, die in Hardts Tantris vor- kommenden Motive und Figuren mit jenen aus den Prätexten bezüglich ihres Vor- kommens wie auch ihrer genauen Darstellung zu vergleichen, um die einzelnen

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Themenbereiche einem bestimmten Prätext zuordnen beziehungsweise eine mögliche Neuinterpretation durch Hardt nachweisen zu können.

Den letzten Abschnitt der Abhandlung bildet das Resümee. Dieses dient einerseits der Zusammenfassung der im Verlauf der Arbeit gesammelten Erkenntnisse, ande- rerseits sollen die ausgearbeiteten intertextuellen Verweise noch einmal mit den zu Beginn des Kapitels besprochenen intertextuellen Theorien in Zusammenhang ge- bracht werden.

Da es sich bei der folgenden Arbeit um eine Masterarbeit handelt, welche einen fest- gelegten Umfang nicht überschreiten soll, kann aufgrund der Komplexität der zu behandelnden Themen kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden.

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2. Textexterne Analyse

2.1 Ernst Hardt: Eine kurze Biographie Friedrich Wilhelm Ernst Hardt wird am 09. 05. 1876 als Sohn des Artilleriehaupt- manns Ernst Friedrich Hardt und Anna Lucie in Westpreußen, Graudenz, geboren.2 Nachdem er von 1885 bis 1892 im Kadettencorps Potsdam und danach in Berlin- Lichterfelde gedient hat, bricht er im Mai seine Offizierslaufbahn ab. In Berlin lernt er den Archäologen Botho Graef kennen, durch welchen er in verschiedenste Künstler- und Literaturkreise eingeführt wird. Zwischen 1893 und 1894 reist Hardt zwei Mal für längere Zeit nach Griechenland, wo er sich in Polyxeni von Hoesslin verliebt. Im Jahr darauf folgen weitere Reisen nach Spanien, Portugal, Marokko, Kopenhagen und Italien.

Die ersten Werke Hardts werden veröffentlicht. 1898 wird das Drama Tote Zeit an der Freien Bühne im Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt. Im gleichen Jahr er- scheinen Tote Zeit und der Erzählband Priester des Todes bei Fischer. Ab 01. 09. 1898 arbeitet Hardt bei der Dresdner Zeitung als Feuilletonredakteur. Im selben Jahr heiratet er seine große Liebe Polyxeni in Athen, 1899 wird ihre gemeinsame Tochter Donata geboren. Die Familie zieht für zwei Jahre nach Athen. 1902 erscheint Hardts zweiter Erzählband Bunt ist das Leben bei Schafstein in Köln, ein Jahr darauf das Schauspiel Der Kampf ums Rosenrote im Inselverlag Leipzig, welches 1904 am Deutschen Theater in Hannover uraufgeführt wird. Im gleichen Jahr erscheint auch der Gedichtband Aus den Tagen des Knaben, ebenfalls im Inselverlag. Am 20. 05. 1905 wird Hardts Sohn Prosper geboren. Im selben Jahr erscheint der Einakter Ninon von Lenclos, der am 14. 10. 1905 am Neuen Theater in Leipzig uraufgeführt wird. 1907 beendet Hardt seine Arbeit am Drama Tantris der Narr, die Urauffüh- rung findet im darauffolgenden Jahr am 21. 01. 1908 am Schauspielhaus in Köln statt. Am 09. 11. 1908 wird Hardt für seinen Tantris der Staatsschillerpreis sowie der Volksschillerpreis verliehen. Das Drama erlangt einen hohen Bekanntheitsgrad und wird in den folgenden Jahren an den verschiedensten in- und ausländischen Bühnen gespielt.

2 Sämtliche biographische Daten entstammen dem Kapitel „Lebenschronik: Friedrich Wilhelm Ernst Hardt“. In: Susanne SCHÜSSLER: Ernst Hardt. Eine monographische Studie. Frankfurt am Main [u.a.]: Lang 1994. (=Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft. 35.) S. 287ff. 8

Nachdem 1909 die Gesammelten Erzählungen im Inselverlag erschienen sind, unternimmt Hardt etliche Vortragsreisen in Deutschland. Am 14. 11. 1911 wird das Trauerspiel Gudrun am Berliner Lessing-Theater uraufgeführt, ein Jahr darauf er- scheint die Novelle An den Toren des Lebens. Die Uraufführung des Scherzspiels Schirin und Gertraude folgt am 25. 10. 1913 am Deutschen Schauspielhaus in Ham- burg. Seit Anfang 1915 ist Hardt unter anderem als Vorstandsmitglied des „Bundes deutscher Gelehrter und Künstler“ tätig. Am 25. 10. übernimmt er die Stelle als Dolmetscher bei der Postverkehrsprüfungsstelle für Kriegsgefangenenpost in Erfurt. Am 11. 09. 1915 wird das Drama König Salomo am Deutschen Künstlertheater in Berlin uraufgeführt, zwei Jahre darauf erscheint im Inselverlag der Brief an einen Deutschen ins Feld. Ab Juli dieses Jahres ist Hardt in der Bericht-Abteilung des Ge- neralstabs des Feldheeres tätig. 1918 wird er zum stellvertretenden Vorsitzenden der Deutschen Schillerstiftung sowie zum kommissarischen Leiter des ehemaligen Hof- theaters in Weimar ernannt. Ab 1919 ist Hardt als Generalintendant des ehemaligen Weimarer Theaters tätig, welches von ihm am 19. 01. in „Deutsches Nationaltheater“ umbenannt wird. 1925 erhält Hardt den Posten des Intendanten des Kölner Schauspielhauses und fungiert somit als Nachfolger Gustav Hartungs. Diese Stelle muss er jedoch be- reits ein Jahr darauf aufgrund erfolgloser Inszenierungen wieder aufgeben. Nachdem ihn Adenauer im selben Jahr als Leiter des Rhein- und Ruhrsenders vorge- schlagen hat, wird er am 18. 11. offiziell zum Vorstand bestimmt. 1930 lässt sich Hardt, nach der bereits 1923 erfolgten Trennung, von Polyxeni scheiden und heiratet Louise Daenner. Die Westdeutsche Rundfunk A. G. ist zu diesem Zeitpunkt bereits der zweitgrößte deutsche Sender. 1931 kommt es erstmals zu Angriffen durch die nationalsozialistische Presse. Zwei Jahr später wird Hardt entlassen, seine Bücher werden nicht mehr zum Verkauf angeboten. Es kommt zu einem Aufführungsverbot seiner Stücke und zur Pfändung durch das Kölner Finanzamt. 1941 lässt sich Hardt von Louise scheiden und heiratet drei Jahre später Tilla Schmalhorst. 1946 ist er als Programmberater des Nordwestdeutschen Rundfunks tätig, sein schlechter Gesundheitszustand vereitelt jedoch seine Pläne zur Übernahme der Rundfunkintendanz. In diesem Jahr erscheinen seine letzten beiden Werke: Der Ritt nach Kap Spartell und andere Erzählungen im Kölner Balduin-Pick-Verlag und

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Don Hjalmar, ein Bericht über vier Tage und eine Nacht, im Inselverlag in Wiesba- den. Ernst Hardt stirbt am 03. 01. 1947 an Bronchialkrebs.

2.2 Das dramatische Werk Ernst Hardts Nach obiger kurzer Übersicht über das Leben Hardts soll an dieser Stelle eine überblickshafte Darstellung seines Werkes, genauer seines dramatischen Schaffens, erfolgen. Zu diesem Zweck ist es notwendig, sich vorerst in groben Zügen mit der Literatur um 1900 zu beschäftigen. Hierbei soll der Fokus auf die Strömung der Neu- romantik gelegt werden, zu welcher auch der Tantris Hardts gezählt wird. Die Neuromantik zeichnet sich durch einen Rückgriff auf germanische Sa- genstoffe wie auch auf mittelalterliche literarische Werke aus, welcher sich durch die „Suche nach Alternativen zum Gegenwartsstück“3 begründet. Den Grundstein hierfür legte mit seinem 1902 verfassten Versdrama Der arme Heinrich.4 Die mittelalterliche Dichtung, im Speziellen der Tristan-Mythos, kam dem „thematischen Grundbedürfnis der Autoren nach der Polarität von Eros und Thanatos“5 entgegen. Beispielhaft hierfür ist der Tristan Richard Wagners, bei dem Tod und Erotik zu einer Einheit verschmelzen. Generell kommt es während der Jahrhundertwende zu einer „romantische[n] Poetisierung des Todes“6. Die Beschäftigung mit der Literatur der Jahrhundertwende an sich stellt die Literaturwissenschaftler vor ein Problem bezüglich der begrifflichen Einteilung. Pa- rallel zu dem Begriff der Neuromantik existieren zur selben Zeit weitere Strömungen wie Symbolismus, Jugendstil, Impressionismus oder Fin de Siècle.7 Die Problematik der Begriffsverwirrung, welche nicht nur die Neuromantik, sondern sämtliche in der Zeit der Jahrhundertwende existenten Strömungen betrifft, wird unter anderem von Edelgard Hajek in ihrer Studie zum literarischen Jugendstil angesprochen:

3 Peter SPRENGEL: Geschichte der deutschsprachigen Literatur. 1900-1918. Von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. München: Beck 2004, S. 101. 4 Vgl. SPRENGEL, S. 102. 5 Sulamith SPARRE: Todessehnsucht und Erlösung. ‚Tristan‘ und ‚Armer Heinrich‘ in der deutschen Literatur um 1900. Göppingen: Kümmerle 1988. (=Göppinger Arbeiten zur Germanistik. 494.) S. 2. 6 Ebda, S. 4. 7 Vgl. Edelgard HAJEK: Literarischer Jugendstil. Vergleichende Studien zur Dichtung und Malerei um 1900. Düsseldorf: Bertelsmann Universitätsverlag 1971. (= Literatur in der Gesellschaft. 6.) S. 9. 10

Man begegnet in zeitgenössischen Dokumenten und in der älteren Forschung vielfach den Begriffen Symbolismus, Dekadenz-Literatur, Subjektivismus, Äs- thetizismus, Neuromantik, die meist synonym gebraucht werden und häufig ge- nau das gleiche bezeichnen sollen, was heute Jugendstil genannt wird.8

Bereits zur Blütezeit des Naturalismus, welcher sich gegen die zur damaligen Zeit geltenden Wertvorstellungen wie auch die Gesellschaft generell auflehnte9, kam es laut auch schon zu einer „Überwindung des Naturalismus“10, der sogenannten Neuromantik. Bereits im Begriff an sich zeigt sich die Problematik der Definition. Das Wort selbst legt nahe, dass es sich bereits bei der Romantik um eine strikt definierte Epoche handelte und diese nun wieder aufgegriffen werden sollte. Eine eindeutige Begriffsdefinition existiert jedoch bereits hier nicht. „[D]er Begriff Romantik faßt verschiedene Gedanken, Autoren verschiedener Herkunft, Werke ver- schiedener Absicht und Wirkung zusammen.“11 In der Neuromantik kommt es nun zu einer Übernahme der unterschiedlichen Motive und Stoffe, welche für die Ro- mantik charakteristisch waren.12 Dazu zählen Rückgriffe auf: - die Antike, - geschichtliche Ereignisse mit italienischen, spanischen, französischen und deutschen Schauplätzen, - mittelalterliche Erzählungen, Sagen und Mythen, die der Blütezeit der mittel- hochdeutschen Literatur entstammen oder teilweise aus diversen Volksbü- chern entnommen sind, - exotische Stoffe des Orients, - Märchenmotive, mit einem Ursprung in den Geschichten der Brüder Grimm, - das Übersinnliche im Traum, Geistererscheinungen und spiritistisch-okkulte Phänomene, - die Religion sowie - die Unteilbarkeit von Liebe, Tod und Schuld mit besonderer Ausprägung im inzestuösen Bereich.

8 Ebda, S. 14f. 9 Vgl. Walter DIMTER: Naturalismus. In: Handlexikon zur Literaturwissenschaft. Hrsg. von Diether Krywalski. München: Ehrenwirth 1974, S. 358. 10 Walter BEIMDICK: Neuromantik. In: Handlexikon zur Literaturwissenschaft. Hrsg. von Diether Krywalski. München: Ehrenwirth 1974, S. 366. 11 Ebda, S. 367. 12 Folgender Überblick über die verwendeten Stoff- und Motivkategorien entstammt ausschließlich dem Handlexikon. Vgl. ebda, S. 366 – 372. 11

Bei dieser Übernahme wird die Handlung durch mehrere Themenbereiche bestimmt, „aus denen das Wirkungsvollste ausgesucht wird, die Sprache ist orientiert an den Vorbildern Goethe, George und Hofmannsthal […]“13.

Die Definition des Tantris als neuromantisches Drama erscheint bereits durch den Bezug auf den mittelalterlichen Stoffkreis, welcher sich im Jahr 1911 ebenso in Hardts Trauerspiel Gudrun zeigt, erwiesen. Das dramatische Werk Hardts besteht jedoch nicht nur aus jenen auf mittelalterlichen Stoffen basierenden Dramen. Selbst der Naturalismus, zu dessen Gegenströmungen die Neuromantik gezählt wird, zeigt sich bei Hardt noch teilweise in seinem dramatischen Frühwerk. Auch einige spätere Dramen Hardts weisen Merkmale wie die genauen Regieanweisungen und die prä- zise Schilderung der Charaktere auf, welche noch einen teilweisen Rückgriff auf den Naturalismus aufzeigen14. Wichtig ist Hardt hierbei das „Darstellungsvermögen der naturalistischen Bühnenverfahren, die mit ihrer realitätsnahen Genauigkeit eine Basis für das viel weiter ausgreifende Spektrum einer neuen Kunst zu schaffen hätten“15.

Hardts erstes Drama, Tote Zeit (1898), scheint sich inhaltlich noch stark am Natura- lismus zu orientieren. Wie bereits in seinem früheren literarischen Werk macht Hardt auch in diesem Drama die „Müdigkeit und Entsagung in einem Leben, das ungelebt und unerfüllt entgleitet“16, zum Thema. Diese Dramenform zeigt sich speziell zu die- ser Zeit auf den deutschen Bühnen als vorherrschend17. In Hardts darauffolgendem Drama Der Kampf ums Rosenrote (1903) zeigen sich die naturalistischen Merkmale noch deutlicher als in seinem Erstlingswerk. Grund hierfür ist unter anderem, dass sich der Naturalismus noch immer als äußerst bühnenwirksam zeigt, während Hardt mit Tote Zeit nicht den Geschmack des Publi- kums getroffen hatte.18 Obwohl beide Dramen dem naturalistischen Stil entsprechen, zeigt sich Hardt, hauptsächlich aufgrund des „begrenzten Ausdrucksvermögens im naturalisti-

13 Ebda, S. 368. 14 Vgl. Jaewon SONG: Die Bühnenwerke Ernst Hardts und das neue Drama in der deutschen Literatur um 1900. Eine Studie über dramatische Neuerungsversuche zwischen Kunstanspruch und Publikumserwartung. Frankfurt am Main [u.a.]: Lang 2000. (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur. 1745.) S. 23. 15 Ebda. 16 Ebda, S. 24. 17 Vgl. ebda, S. 27. 18 Vgl. ebda, S. 32. 12 schen Stil“19, mit seinem bisherigen dramatischen Werk unzufrieden, woraufhin er einerseits das Versdrama, andererseits verschiedenste historische Stoffe für sich ent- deckt, was zur Entstehung des Einakters Ninon von Lenclos (1905) führt.20 Der Er- folg dieser Weiterentwicklung des dramatischen Stils reizt Hardt zur Abfassung ei- nes weiteren Versdramas, welches seiner Karriere den nötigen Aufschwung geben sollte: Tantris der Narr.

Trotz der bereits in Ninon von Lenclos existenten Hochstilisierung der Sprache er- reicht diese erst in Hardts Tantris ihren Höhepunkt.21 Die jugendstilhafte Form des Ausdrucks wird in der Literaturwissenschaft meist anhand der poetischen Beschrei- bung des Körpers von Isolde durch Tantris thematisiert, die Isoldes weiße[n] Leib als elfenbeinern Gleißen aus Maienmondlicht aufgebaut zu einem Wunder der Herrlich- keit (TdN, S. 131) zur Darstellung bringt. Das Nicht-Erkennen Tristans durch Isolde erscheint als der zentrale Punkt des Dramas, obgleich sich Hardt der Problematik, diese Tatsache dem Publikum zu er- klären, durchaus bewusst war.22

Hardt, der sich über ein Jahr lang mit der Überarbeitung des Dramas beschäftigte, legte unter anderem großen Wert auf die visuelle Darbietung seines Tantris 23. Zuständig für die optische Gestaltung zeigte sich hierbei - bereits seit dem Kampf ums Rosenrote – der Buchkünstler und Zeichner Marcus Behmer, welcher als Hardts Berater in Bezug auf die Format- und Papierwahl fungierte.24 Zusätzlich war Behmer für das äußere Erscheinungsbild des Hündchens Petikrü verantwortlich, welches be- reits in der Vorstellung Hardts Gestalt angenommen hatte. Um Behmer sein Bild von Petikrü zu vermitteln, schickte ihm Hardt eine Porzellanfigur aus Japan wie auch Fotografien des Naumburger Doms mit seinen Stifterfiguren.25 Trotz dieser Hilfestellung gelang es Behmer nicht, die Vorstellungen seines Freundes zu verwirklichen. Hardt stieß sich an der niedlichen Darstellung des Tieres, welches in seiner Vorstellung „streng und grotesk wie die mittelalterlichen Tierfiguren und

19 Ebda, S. 40. 20 Vgl. ebda, S. 41. 21 Vgl. SCHÜSSLER, S. 142. 22 Vgl. ebda, S. 141. 23 Vgl. ebda, S. 95. 24 Vgl. ebda. 25 Vgl. ebda, S. 98. 13

Fratzen“ 26 erschien. Als Konsequenz engagierte Hardt für die Bearbeitung seines nächsten Stückes einen anderen Grafiker, griff jedoch später wieder auf die Kunst seines Freundes zurück.27

Wie der Inhalt des Tantris basiert auch jener des 1911 entstandenen Dramas Gudrun auf mittelalterlichen Stoffen. Bei den Handlungsabläufen seines neuesten Bühnen- stückes hält sich Hardt, wie schon zuvor bei seiner Tristan-Bearbeitung, einerseits an die vorgegebenen Motive, während er dem Werk andererseits seinen eigenen indivi- duellen Stempel aufdrückt.28 Vorwiegend durch die Charakterisierung der Protagonistin zeigen sich neuklassische Tendenzen, von denen sich Hardt jedoch bereits in seinem zwei Jahre später entstehenden Scherzspiel Schirin und Gertraude wieder abwendet29. Dieses bildet durch seine heitere Darstellung einer Dreiecksbeziehung einen deutlichen Gegensatz zu den Stücken Gudrun und Tantris der Narr.30 Hat sich Hardt mit seinen Dramen immer mehr oder weniger dem geltenden Modediktat angepasst, entwickelt er nun mit seinem letzten Drama, König Salomo (1913), eine eigene Darstellungsform, welche sich nicht an einen der vorherrschen- den Stile hält. Der im Drama hervortretende Pessimismus kann auf die damalige Si- tuation kurz vor dem Ersten Weltkrieg zurückgeführt werden. Nachdem König Sa- lomo von der Kritik größtenteils zerrissen wurde, wendet sich Hardt gänzlich vom Drama ab.31

2.3 Rezeption des Dramas Tantris der Narr Nachdem nun ein kurzer Überblick über das dramatische Schaffen Ernst Hardts ge- geben wurde, soll im weiteren Verlauf die Rezeption des Tantris im Vordergrund stehen. Dass Hardt mit diesem an einem mittelalterlichen Stoff orientierten Drama den Höhepunkt seiner Karriere erreicht hatte, ist bekannt. Interessanter ist die Frage nach dem Grund für diesen großen Aufstieg, der danach zu einem noch tieferen Fall führen sollte. Im folgenden Kapitel soll der Frage nachgegangen werden, wie es möglich war, dass einer der größten deutschsprachigen Dramatiker, welcher zu sei-

26 Ebda. 27 Vgl. ebda. 28 Vgl. SONG, S. 96. 29 Vgl. ebda, S. 94ff. 30 Vgl. ebda, S. 117. 31 Vgl. ebda, S. 136f. 14 ner Hochzeit ob seiner Kunst gefeiert wurde, innerhalb der letzten Jahrzehnte auf solch radikale Weise in Vergessenheit geraten konnte.

2.3.1 Der große Erfolg Tantris der Narr bringt Ernst Hardt endlich den Erfolg ein, für den er bis zu diesem Zeitpunkt seiner Karriere vergebens gekämpft hat. Trotzdem muss Hardt bezüglich der Erstaufführung des Dramas einige Rückschläge verkraften.32 Nach der Fertigstel- lung im Jahre 1907 in Griechenland macht sich Hardt auf die Suche nach einem pas- senden Schauspielhaus, in welchem die Uraufführung stattfinden soll. Sein großer Wunsch, am Deutschen Theater in Berlin von Max Reinhardt aufgeführt zu werden, geht nicht in Erfüllung. Als endlich ein Termin am Schauspielhaus in Köln unter der Leitung von Max Martersteig fixiert werden kann, wird er jedoch, sehr zum Verdruss Hardts, immer wieder verschoben und findet nun erst im Jahr nach der Entstehung des Stückes statt. In den darauffolgenden Jahren wird der Tantris an sämtlichen gro- ßen Bühnen des Landes gespielt, Hardt erhält für das Drama den Volksschillerpreis wie auch den Staatsschillerpreis. Es folgen Übersetzungen in mehrere europäische Sprachen wie auch Aufführungen in verschiedenen Ländern Europas, beispielsweise Polen, Italien, Frankreich und vielen mehr. Der Dramatiker Hardt ist nun in aller Munde, im positiven wie auch im negativen Sinne. Auch werden sämtliche seiner Dramen in den Schulkanon aufgenommen und an Universitäten besprochen, obwohl es Hardt nicht gelingt, mit seinen späteren Stücken an den großen Erfolg, welchen er durch das Drama Tantris erreichte, anzuknüpfen.

Grund für den Erfolg des Stückes ist vor allem der den Geschmack der Zeit treffende Stil, vorwiegend die Verskunst Hardts, welche von den Kritikern hochgelobt wird.33 Auch wird Hardts „gelungene Modernisierung des mittelalterlichen Stoffes, die ohne die feine und spannungsvolle psychologische Zeichnung der drei Hauptfiguren nicht so viel Anerkennung gefunden hätte,“34 hervorgehoben. Diese starke Psychologisie- rung der Charaktere, die im Besonderen in der Darstellung der Liebesproblematik einen Einfluss von Freud erkennen lässt35, scheint einerseits ein Merkmal der Zeit Hardts zu sein, andererseits unterwirft sich der Autor damit nicht nur einem Mode-

32 In Bezug auf den Erfolg des Dramas Tantris wird an dieser Stelle, wenn nicht anders angegeben, auf die Abhandlung von Schüssler zurückgegriffen. Vgl. SCHÜSSLER, S. 108ff. 33 Vgl. SONG, S. 149. 34 Ebda. 35 SPARRE, S. 98. 15 diktat, sondern verwirklicht auf diese Weise seine eigenen Vorstellungen trotz der aufkeimenden Kritik, die sich vorwiegend gegen das Nicht-Erkennen Tristans durch Isolde richtet.36

2.3.2 Der vergessene Narr Obgleich es Hardt durch seinen Tantris gelingt, die so lange Zeit erstrebte Anerken- nung zu erreichen, schützt diese den Autor nicht vor teils herber Kritik. Diese richtet sich einerseits gegen die Strömung der Neuromantik im Allgemeinen, andererseits gegen die Person Ernst Hardts im Besonderen. So tut Schuster in seinem Mahnruf an die Gegenwart zunächst seine abwertende Meinung über die Strömung der Neuro- mantik kund, indem er meint: „Soll das Volk erstarken, so gibt es dazu nur einen Weg: Überwindung der Neuromantik.“37 Schumann sieht im romantischen Stil ein „Zeichen für die Schwäche der Zeit“38. Er begründet dies damit, dass sich das Volk durch diese Kunstform „schlaffen Träumereien“ hingegeben habe und dass die damit einhergehende Entsagung der Freiheit und Verfinsterung des Geisteslebens zu einer Schädigung der politischen Zustände in Deutschland geführt hätten.39 Zusätzlich greift Schumann Ernst Hardt direkt an, indem er kritisiert, dass „ein Dichter mit rei- chen Schätzen in Bahnen gekommen ist, die der Entwicklung seiner Anlagen scha- den, und wie dieser Dichter, der zum Fortschritt der Dichtung hätte beitragen kön- nen, diesen schädigt“40. In seiner kurzen Zusammenfassung der Handlung des Tantris versucht Schumann immer wieder, das Werk der Lächerlichkeit preis- zugeben. So kommentiert er die Verschenkung Isoldes an die Siechen mit den Wor- ten „Abwechslung ergötzt“41, da es sich ihm zufolge um eine Reaktion auf die aufkommende Langeweile in der Ehe zwischen Marke und Isolde handelt, während er weiters kritisiert, dass man Husdent, „dieses Musterexemplar von Hund nicht zu sehen [bekam]. Dann hätte man doch wenigstens einen Genuß!“42 Als Grund für diese verbale Attacke zeigt sich Schumanns Zorn über die Vergabe des Staats- und

36 Vgl. ebda, S. 103. 37 Harry SCHUMANN: Ernst Hardt und die Neuromantik: Ein Mahnruf an die Gegenwart. Lötzen: Kühnel 1913, S. 12. 38 Ebda, S. 11. 39 Vgl. ebda. 40 Ebda, S. 12. 41 Ebda, S. 22. 42 Ebda, S. 23. 16

Volksschillerpreises an Hardt, während die durch den Kritiker als Meisterstück be- wertete Tragödie Sonnenfinsternis von Arno Holz weitgehend unbeachtet blieb.43

Schumanns Kritik kann hier nur als Extrembeispiel der negativen Äußerungen zu Hardts Schaffen herangezogen werden. Häufiger als die von dem Kritiker erwähnten Punkte wird, wie bereits erwähnt wurde, das Nicht-Erkennen durch Isolde angepran- gert. Obgleich sich dieses, wie im Verlauf der Arbeit noch genauer dargelegt werden soll, durch den Eidbruch Tristans erklären lässt, scheint die Reaktion Isoldes beson- ders für die den naturalistischen Stil mit seiner Darstellung der „konkreten Wirklich- keit“44 gewohnten Rezipienten nicht nachvollziehbar. Diesen Kritikpunkt kann Hardt jedoch durch eine optische Verstärkung der Maskenszene abschwächen.45 Neben der Handlung steht auch immer wieder der manierierte Sprachstil Hardts im Mittelpunkt der Kritik, wofür meist das elfenbeinern Gleißen (TdN, S. 131) des weißen Leibes Isoldes als Beispiel herangezogen wird46 - eine Wendung, die schon im Zusammenhang mit Hardts sprachlicher Ausprägung des Jugendstils genannt wurde47.

Der pompöse Sprachstil der Neuromantik mag für einige zum Anstoß kritischer Äu- ßerungen geworden sein, im Allgemeinen wird das Drama vom Publikum jedoch sehr positiv aufgenommen. Am Stück an sich lässt sich – wie auch an den vorher beziehungsweise danach entstandenen Dramen Hardts - kein Grund erkennen, wa- rum Tantris zusammen mit seinem Schöpfer so endgültig in Vergessenheit geraten konnte. Vielmehr scheint hierfür die politische Situation verantwortlich zu sein. Hardt durchlebt während seiner Schaffenszeit die Gräuel beider Weltkriege. Bereits während des Ersten Weltkrieges kritisiert er die „nationalistische, besinnungslose Hurrapolitik“48 und verlangt, das Volk solle sich auf seine Tugenden und Sünden besinnen49.

43 Vgl. ebda. 44 SONG, S. 89. 45 Vgl. ebda. 46 Vgl. SCHÜSSLER, S. 14. 47 Vgl. Kapitel 2.2 Das dramatische Werk Ernst Hardts 48 SCHÜSSLER, S. 156. 49 Vgl. ebda. 17

Während des Krieges unterbricht Hardt sein literarisches Schaffen, setzt sich zu dieser Zeit stark für die Rechte verschiedenster Künstler ein und übt Kritik an der herrschenden Bevormundung und Zensur.50 Hatte Hardt sich noch kurze Zeit zuvor an seinem Ruhm als Dramatiker er- freut, verliert er nun den größten Teil seines Vermögens. Durch den Krieg gehen die Buchverkäufe wie auch die Aufführungen seiner Dramen so stark zurück, dass sich Hardt zunächst gezwungen sieht, für den Inselverlag mehrere Übersetzungsarbeiten zu übernehmen.51 Als seine Bewerbung am Hamburger Schauspielhaus im Jahr 1918 abgelehnt wird, löst er im selben Jahr Karl von Schirach am Nationaltheater in Wei- mar ab. Zu dieser Zeit beginnt von Seiten mehrerer Zeitungen eine Hetze gegen Hardt und seine politische Einstellung. So wird behauptet, Hardt „hätte nach Aus- bruch der Revolution seine poltische Gesinnung geändert zu dem Zwecke, Theater- leiter zu werden“52. Des Weiteren habe Hardt seinen Vorgänger aus dem Amt ge- drängt, um dessen Position zu übernehmen. Auch wird Hardt in der Täglichen Rund- schau als Kommunist sowie als Jude ausgewiesen und durch die Bezeichnung Ernst Levi-Hardt erstmalig in „semitischen Zusammenhang“53 gestellt. Hardt reagiert darauf mit einer Privatklage gegen den Redakteur wie auch den Verfasser dieser Verleumdung, welche mit einem Vergleich endet.54

Im Jahr 1925 verlässt Hardt das Nationaltheater in Weimar und erhält eine Stelle im Kölner Schauspielhaus. Als er nach nicht einmal einjähriger Beschäftigung aufgrund schlechter Kritiken in Bezug auf seine Inszenierungen wieder gekündigt wird, 55 be- ginnt er erfolgreich eine neue Karriere beim Rundfunkt. Das Blatt scheint sich für ihn wieder zu wenden, auch sein Verhältnis zur Presse zeigt sich entspannt und posi- tiv.56 Die vorerst gelöste Situation verschärft sich erneut mit dem Erstarken des Nationalsozialismus. Eine Reform im Jahre 1932 führt zur Entstehung eines „staat- lich organisierte[n] und gelenkte[n] Rundfunk[s], der Struktur nach de facto schon

50 Vgl. ebda, S. 116. 51 Vgl. ebda, S. 171. 52 Ebda, S. 173. 53 Ebda. 54 Vgl. ebda. 55 Vgl. ebda, S. 186. 56 Vgl. ebda, S. 197f. 18

‚gleichgeschaltet‘, eine ‚Morgengabe‘ für den Reichspropagandaleiter“57. Ernst Hardt wird als Leiter des Westdeutschen Rundfunks stark in seiner Entscheidungs- freiheit eingeschränkt. Zusätzlich kommt es bereits seit 1931 immer wieder zu An- feindungen seitens der nationalsozialistischen Presse, welche Hardt vorwirft, die Mitwirkung von Juden in seinem Programm zu dulden. Man bezeichnet Hardt sogar als den „Roten Zar des Westdeutschen Rundfunks“.58 Hardts Versuche, den Nationalsozialisten teilweise entgegenzukommen, scheitern, da er seine liberalen Ansichten weiterhin öffentlich vertritt. Hardt gerät dadurch zunehmend in Bedräng- nis, was schließlich zu seiner Kündigung führt.59

Hier scheint es sich nun um einen der Punkte zu handeln, in welchen die Haupt- gründe für die Verdrängung Hardts in die Vergessenheit zu suchen sind. Trotz meh- rerer Versuche, seine Kündigung rückgängig zu machen, werden Hardts Dramen 1933 mit einem Aufführungsverbot belegt und viele seiner Bücher verboten. Zusätz- lich werden Hardts Vermögen wie auch sein Einkommen beschlagnahmt.60 Der An- griff auf ihn erfolgt laut Schüssler von zwei Seiten. Hierbei nennt sie einerseits den über Jahre hinweg aufgestauten Hass gegenüber dem Dramatiker, welcher unter an- derem durch die Verleihung des Volks- sowie des Staatsschillerpreises wie auch durch den Antritt der Nachfolge von Karl von Schirach entstanden war, andererseits das „Bedürfnis der Berliner Regierung, einen möglichst spektakulären und umfang- reichen Korruptionsprozeß gegen die ehemaligen Rundfunkverantwortlichen durch- zuführen“61. Hardt erkennt schnell, dass seine beiden „Fehler“ einzig darin bestehen, kein Antisemit zu sein und die Stelle von Schirach, welchen er angeblich verdrängt hätte, in Weimar übernommen zu haben.62 Am 8. Juli 1936 wird der Prozess einge- stellt, Hardt wird in allen Anklagepunkten freigesprochen.63

Der Dramatiker hat zu dieser Zeit seine eigene literarische Laufbahn aufgegeben und verdient seinen Lebensunterhalt als Übersetzer. Trotz allem gelingt es ihm, noch einmal den Weg auf die große Bühne zu finden. 1945 wird das Drama König Salomo

57 Ebda, S. 241. 58 Ebda. 59 Vgl. ebda, S. 242f. 60 Vgl. ebda, S. 246. 61 Ebda. 62 Vgl. ebda, S. 247. 63 Vgl. ebda, S. 248. 19 erneut aufgeführt, ein Jahr später wird Hardts letztes großes Werk, die Erzählung Don Hjalmar, publiziert. Nach dem Wiedererlangen der Veröffentlichungserlaubnis erscheinen zwei Erzählbände sowie neue Gedichte Hardts.64 Gerade als es den An- schein hat, Hardt habe die schweren Zeiten überwunden, verschlechtert sich sein Ge- sundheitszustand rapide. Eine mit Friedrich Michael vom Inselverlag vereinbarte neue Ausgabe der Gedichte und Dramen erscheint nicht mehr, da Hardt durch seine Erkrankung bereits zu geschwächt ist und dieser am 3. Januar 1947 erliegt.65 Dass Ernst Hardt nach seinem Tod immer mehr in Vergessenheit geriet, wird von Schüssler wie folgt begründet: „Da sein gesundheitlicher Zustand bei Kriegsende schon sehr labil war, mußte er Angebote der britischen und amerikanischen Besatzer ablehnen, eine Rundfunkintendanz zu übernehmen […].“ 66 Dieses Angebot hätte Hardt wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt, denn durch die Zensur und die damit einhergehende Verbannung seiner Werke im Nationalsozialis- mus war er bereits aus dem Gedächtnis der Öffentlichkeit verschwunden. Auch die kurzzeitige Wiederentdeckung seines Dramas König Salomo konnte daran nichts ändern. Eine weitere Möglichkeit, im literarischen Betrieb erneut Fuß zu fassen, nämlich die Neuauflage seiner Dramen und Gedichte, konnte er vor seinem Tod ebenfalls nicht mehr wahrnehmen. So verschwand Hardt aus dem literarischen Ge- dächtnis, ein großartiger Künstler, einer unter vielen, die dem Nationalsozialismus zum Opfer gefallen waren.67

64 Vgl. ebda, S. 262. 65 Vgl. ebda, S. 263 f. 66 Ebda, S. 286. 67 Um weitere Ursachen dafür, dass Hardt heute nahezu unbekannt ist, zu eruieren, müsste der Fokus unter anderem auf die Kanonforschung gelegt werden, was den Umfang dieser Arbeit jedoch überschreiten würde. 20

3. Intertextuelle Analyse

3.1 Theoretische Grundlegung Hardt beschäftigt sich in seinem Vortrag zum Thema Tantris der Narr mit der Ent- stehung von Dramen, wobei er einen für diese Arbeit wichtigen Punkt anspricht: Es existiere „nicht ein einziges Drama, dessen Stoff seinen Quell im Kopfe des Dichters gehabt [hätte]“68. Auch bedürfe es mehr als des Stoffes und eines talentierten Dramatikers, um ein großes dramatisches Stück zu ergeben. So sei es nötig, den existierenden Inhalt neu zu formen, „dass er im Werke wieder alle Eigenart einer Ursprünglichkeit besitzt“69.

Der Bezug eines Textes auf einen anderen, der hier von Hardt beschrieben wird, wird in der Wissenschaft als Intertextualität bezeichnet. An diesem Punkt erscheint es zu- nächst sinnvoll, ein fachbegriffliches Grundgerüst zu erstellen, um das Drama Hardts in Bezug auf das intertextuelle Vorgehen des Autors zu analysieren. Hierbei soll ei- nerseits die Entstehung des Begriffes Intertextualität an sich geklärt werden, anderer- seits muss eine durch die Größe des Forschungsgebietes bedingte Eingrenzung der unterschiedlichen Theorien vorgenommen werden. Als Grundlage hierfür werden zwei Publikationen zur Intertextualität aufgegriffen: einerseits der von Ulrich Broich und Manfred Pfister herausgegebene Sammelband, andererseits – vorwiegend in Be- zug auf die unterschiedlichen Formen der Markiertheit – die Untersuchungen Jörg Helbigs.

Zunächst gilt es, einen kurzen Überblick über die Intertextualitätstheorie an sich zu schaffen. Der von Julia Kristeva geprägte Begriff der „Intertextualität“ entstammt den frühen 1960ern und stellt einen Rückgriff auf die Theorie der „Dialogizität“ von Michail Bachtin dar. Da letztere jedoch vorwiegend „auf den Dialog der Stimmen innerhalb eines einzelnen Texts oder einer einzelnen Äußerung abzielt“70, kann die Theorie der „Dialogizität“ nicht als intertextuell, sondern als intratextuell gewertet werden.

68 HARDT, S. 4f. 69 Ebda, S. 23. 70 Manfred PFISTER: Konzepte der Intertextualität. In: Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Hrsg. von Ulrich Broich; Manfred Pfister. Tübingen: Niemeyer 1985. (= Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft. 35.) S. 4. 21

Kristeva vertritt die Ansicht, ein Text sei ein „Mosaik von Zitaten“71. In diesem Fall bedarf es jedoch einer Erweiterung des gesamten Textbegriffes, da Kristeva „jedes kulturelle System und jede kulturelle Struktur“72 als Text bezeichnet, was auch ihre Definition von Intertextualität beeinflusst. Dies hat zur Folge, dass jeder Text alleine aufgrund seiner Textualität bereits als intertextuell angesehen werden kann.

Broich und Pfister versuchen in ihrer Abhandlung, zwischen zwei wesentlichen In- tertextualitätsmodellen zu vermitteln, um die Intertextualität greifbar zu machen: dem poststrukturalistischen Modell, welches jeden Text „als Teil eines universalen Intertexts“73 sieht, und den strukturalistischen oder hermeneutischen Modellen, wel- che den Begriff der Intertextualität „auf bewußte, intendierte und markierte Bezüge zwischen einem Text und vorliegenden Texten oder Textgruppen“74 anwenden. Durch diese Vermittlung entsteht ein Modell, welches sich eines weiten Intertextu- alitätsbegriffs bedient und diesen immer weiter abstuft, somit beginnend bei dem höchstmöglichen Grad der Intertextualität ansetzt, um sich am Ende dem Nullwert zu nähern, in dem Intertextualität nahezu nicht mehr vorhanden ist.75 Die Bestimmung der Intensität der intertextuellen Verweise erfolgt hierbei nach von Broich und Pfister festgelegten Kriterien, welche zusätzlich eine Unterteilung in Bezug auf Qualität und Quantität erfahren. Ergänzend zu dieser Einteilung soll vorwiegend eine Abhandlung Helbigs herangezogen werden, in welcher er die intertextuelle Markiertheit mittels seiner „Progressionsskala intertextueller Markierungen“76 in unterschiedliche Stufen aufgliedert.

Bei der intertextuellen Analyse von Hardts Drama stellen sich nun mehrere Fragen: Welche Prätexte wählte Hardt als Grundlage für sein Stück, welche Formen von In- tertextualität können hierbei unterschieden werden und in welcher Deutlichkeit sind diese im Text markiert? Zu Beginn soll die Frage nach dem Ursprung der Prätexte geklärt werden, wobei es gilt, sich zunächst mit der Unterscheidung zwischen Ein- zeltext- und Systemreferenz zu beschäftigen. Während sich die Einzeltextreferenz

71 Ebda, S. 6. 72 Ebda, S. 7. 73 Ebda, S. 25. 74 Ebda. 75 Vgl. ebda. 76 Jörg HELBIG: Intertextualität und Markierung: Untersuchungen zur Systematik und Funktion der Signalisierung von Intertextualität. Heidelberg: Winter 1996, S. 83. 22 auf einen einzelnen unabhängigen Text bezieht, wird die Systemreferenz durch soge- nannte Textkollektiva gebildet.77 Als besondere Form der Systemreferenz gelten My- then, da ein

„Mythos mehr ist als eine Sammlung einzelner Erzählmotive, nämlich deren Verknüp- fung zu einem System, und weil ein mythologischer Text kaum je auf einen einzelnen Text zurückgreift, in dem dieser Mythos schon gestaltet war, sondern auf eine ganze Serie von Varianten“78.

Die Abgrenzung zwischen Einzeltext- und Systemreferenz erscheint hier jedoch deutlicher, als sie in Wahrheit ist. Natürlich handelt es sich im Falle des Mythos Tristan und Isolde um ein viele Texte umschließendes Konstrukt, welches von Hardt in seinem Drama aufgegriffen wird. Andererseits bedient sich der Autor ebenso ein- zelner Texte, denen er spezifische Merkmale entnimmt. Hierbei kann nicht immer einwandfrei unterschieden werden, ob sich Hardt auf einen bestimmten Text oder den Mythos im Allgemeinen bezieht. Im Verlauf dieser Arbeit sollen unter anderem die einzelnen Texte unter Zuhilfenahme der oben genannten Modelle mit Hardts Drama in Verbindung gesetzt werden.

Ebenso gilt es, das Stück auf die von Broich und Pfister entwickelten Kriterien79 hin zu überprüfen, beginnend mit den qualitativen, nämlich der Referentialität – die In- tensität des Bezuges auf einen bestimmten Prätext, der Kommunikativität – inwieweit dem Rezipienten die Intertextualität des Textes überhaupt bewusst wird, der Autore- flexivität – somit der Thematisierung der Intertextualität, der Strukturalität – inwie- weit der Prätext als Folie für den Text fungiert, der Selektivität – mit welcher Deut- lichkeit auf Intertextualität verwiesen wird, und der Dialogizität – wie stark „der ur- sprüngliche und der neue Zusammenhang in semantischer und ideologischer Span- nung zueinander stehen“80. Weiters müssen auch die quantitativen Kriterien Beach- tung finden, wobei zwei Faktoren eine wichtige Rolle spielen: „die Dichte und Häu- figkeit der intertextuellen Bezüge“ wie auch „die Zahl und Streubreite der ins Spiel gebrachten Prätexte“81.

77 Vgl. Manfred PFISTER: Zur Systemreferenz. In: Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Hrsg. von Ulrich Broich; Manfred Pfister. Tübingen: Niemeyer 1985. (= Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft. 35.) S. 53. 78 Ebda, S. 56. 79 Vgl. PFISTER (Konzepte der Intertextualität), S. 26ff. 80 Ebda, S. 29. 81 Ebda, S. 30. 23

Nach der Betrachtung der quantitativen und qualitativen Kriterien soll nun der Fokus auf die Markiertheit gelegt werden. Diese dient dazu, dem Rezipienten je nach Markiertheitsgrad das Erkennen intertextueller Bezüge zu erleichtern oder aber auch zu erschweren. Hierbei soll zunächst die Lokalisierung von Markiertheit im Vordergrund stehen. So können Markierungen in Nebentexten als Fußnote auftreten, im Extremfall sogar als Abdruck des Originaltextes in der Neubearbeitung. Als wei- tere Möglichkeiten der Markierung von Intertextualität bieten sich Titel und Unterti- tel sowie Vor-, Nachwort und Klappentext an.82 Markierungen im inneren Kommunikationsbereich liegen laut Broich und Pfister vor, wenn der verwendete Text als physischer Gegenstand aufscheint oder der Autor Figuren anderer Texte auftreten lässt. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei der Namenswahl sowie der Verwendung von Satzzeichen um eine das äußere Kom- munikationssystem betreffende Markierungsform. 83

Im Folgenden sollen nun die unterschiedlichen Arten der Markiertheit nach Helbig behandelt werden, dessen detailliertes Modell sich als Basis für die Analyse beson- ders geeignet zeigt. Die von ihm entwickelte Progressionsskala besteht aus vier Be- reichen, in welche sich die Intensität der Markierungen aufteilen lässt: die Nullstufe, die Reduktionsstufe, die Vollstufe und die Potenzierungsstufe. Während es sich bei der Nullstufe um nicht-markierte Intertextualität handelt, wobei auf jede Form von Signal verzichtet wird84, wird der Rezipient bei allen folgenden Stufen mehr oder weniger deutlich auf die Intertextualität aufmerksam gemacht. Den zweiten Punkt der Skala bildet die Reduktionsstufe. Hierbei handelt es sich bereits um eine implizierte Markierung. Diese wird von Helbig wie folgt beschrieben: „Das Instrumentarium der impliziten Markierung legt Intertextualität nicht als solche offen, es kann jedoch mutmaßliche Intertextualitätssignale stärker in den Wahrneh- mungsfokus rücken“.85 Somit wird vom Rezipienten noch immer ein großes Maß an Vorwissen erwartet, um den intertextuellen Verweis überhaupt erkennen zu können. Im Gegensatz dazu weist die Vollstufe durch die explizierte Markierung bereits eine deutliche Transparenz auf, welche es auch dem literarisch weniger gebildeten Rezi-

82 Vgl. Ulrich BROICH: Formen der Markierung von Intertextualität. In: Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Hrsg. von Ulrich Broich; Manfred Pfister. Tübingen: Niemeyer 1985. (= Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft. 35.) S. 37. 83 Vgl. ebda, S. 39ff. 84 Vgl. HELBIG, S. 87f. 85 Ebda, S. 95. 24 pienten ermöglicht, dem Verweis zu folgen.86 Zu dieser Art der Markierung zählen auch die sogenannten Re-used Figures. Hierbei handelt es sich um Figuren aus den Prätexten, die entweder in neuem oder in ihrem ursprünglichen Kontext wieder auf- tauchen, wobei letzteres vorwiegend bei Fortsetzungen und Neufassungen der Fall ist87. Die letzte und stärkste Stufe intertextueller Markiertheit stellt die sogenannte Potenzierungsstufe dar, bei der es zu einer Thematisierung von Intertextualität kommt. Hierzu zählen unter Anderem metakommunikative Verben wie „vorlesen“, „rezipieren“, „zitieren“ usw., welche der Bezeichnung der Textrezeption dienen.88

Bei der Betrachtung der Markierung intertextueller Bezüge soll schlussendlich auch die literaturgeschichtliche Entwicklung Erwähnung finden. Im Gegensatz zur moder- nen und postmodernen Literatur, welche eher auf eindeutige Marker verzichtet, zeigt sich in früheren Epochen eine Tendenz zur eindeutigen Markierung.89 Ein Extrembeispiel stellen die Autoren des Mittelalters dar, die aufgrund der Notwendig- keit der Verifizierung des Geschriebenen ihre Quellen öffentlich machten.90

An dieser Stelle sollten nun die wichtigsten intertextuellen Theorien und Begrifflich- keiten, welche für die Analyse des Dramas von Nutzen sein könnten, ausreichend besprochen worden sein, um nun mit der praktischen Intertextualitätsanalyse zu be- ginnen.

3.2 Prätexte Nach der Klärung der intertextuellen Fachbegriffe muss es vor der Analyse des Tex- tes von Hardt zu einer Eingrenzung der möglichen Prätexte kommen, um eine Basis für die Intertextualitätsanalyse zu schaffen. Hierfür sollen vor allem die in der Se- kundärliteratur als Quellen Hardts gewerteten Texte genauer betrachtet und auf Ge- meinsamkeiten beziehungsweise Unterschiede zu Hardts Tantris91 hin untersucht

86 Vgl. ebda, S. 111. 87 HELBIG, S. 113ff. 88 Vgl. ebda, S. 131. 89 Vgl. BROICH, S. 46f. 90 Diese Notwendigkeit der Verifizierung ging so weit, dass beispielsweise bei vermutet wird, er habe zur Legitimation von Abänderungen des Stoffes für seinen Parzival eine fiktive Quelle – einen Autor namens Kyot – erfunden. Vgl. Michael DALLAPIAZZA: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Berlin: Erich Schmidt 2009. (=Klassiker-Lektüren. 12.) S. 25f. 91 Ernst HARDT: Tantris der Narr. Drama in 5 Akten. 8. Auflage. Leipzig: Inselverlag 1917. In Folge zitiert als TdN mit Angabe der Seitenzahl. 25 werden. Diese Erstellung eines abgegrenzten Textkorpus ermöglicht in den folgen- den Kapiteln eine genaue Analyse der intertextuellen Markierungen und Verweise.

Der Tristan-Mythos mit seinen in festgelegter Reihenfolge vorkommenden Motiven existiert in der heute bekannten Form seit dem Überschreiten der sogenannten „Estoire-Stufe“ um 1100, welche die Verschriftlichung des Mythos markiert. Die unterschiedlichen Handlungsblöcke, beispielsweise die Vorgeschichte der Eltern, die Liebesbeziehung, die Ehe mit Isolde Weißhand wie auch der Liebestod, waren zu dieser Zeit bereits vorhanden.92 Der Verschriftlichung gingen verschiedene Varianten des Tristan-Isolde-Mythos voraus, die anschließend zu dem heute bekannten Hauptgerüst verarbeitet wurden. Die Estoire wird in zwei Entwicklungsstufen eingeteilt, wobei die sogenannte Estoire I, welche um 1150 in Cornwall entstanden sein dürfte, die Verbindung der beiden Teile des Ur-Tristan beinhaltet93. Eine weitere wichtige Veränderung, die ebenfalls in dieser ersten Stufe erfolgte, stellt die Einführung des Liebestrankes94 dar. Erst die Estoire II, die um 1160 entstand, gilt als Vorlage für die Tristanbearbeitung Eilharts und bewirkte die „Einbettung des Stoffes ins ritterlich-höfische Umfeld“95. Diese Fortsetzung der Estoire zeichnet sich durch einschneidende Erweiterungen der ersten Fassung aus.96 In den folgenden Bearbeitungen spaltete sich der Mythos in zwei Versionen auf, die einerseits durch Thomas von Bretagne (version courtoise), andererseits durch Eilhart von Oberg (version commune/primitive) geprägt wurden und sich im Erzählstil sowie im literarischen Umfeld voneinander unterscheiden, und zwar „die ‚volkstümliche‘ Welt der conteurs [Erzähler] einerseits, die der ‚höfischen‘ Roman- literaten andererseits.“97 Thomas und Eilhart bilden somit, zusammen mit dem von Thomas beeinflussten Gottfried von Straßburg, die Grundlage für einen großen Teil der nachfolgenden Bearbeitungen des Mythos.

92 Vgl. Thomas TOMASEK: Gottfried von Straßburg. Stuttgart: Reclam 2007, S. 269. 93 Es handelt sich hierbei um die Verbindung von imram und aithed, wodurch es zu einer Personenverschmelzung zwischen der heilkundigen Fee und der Geliebten kommt. Vgl. Marion MÄLZER: Die Isolde-Gestalten in den mittelalterlichen deutschen Tristan-Dichtungen: ein Beitrag zum diachronischen Wandel. Heidelberg: Winter 1991. (Beiträge zur älteren Literaturgeschichte) S. 73. 94 Vgl. ebda. 95 Ebda, S. 75. 96 Zu diesen Erweiterungen zählen die Einführung der Elternvorgeschichte wie auch der Isolde- Weißhand-Episode. Vgl. ebda. 97 Peter K. STEIN: Tristan-Studien. Hrsg. von Ingrid Bennewitz. Unter Mitarb. von Beatrix Koll und Ruth Weichselbaumer. Stuttgart; Leipzig: Hirzel 2001, S. 38. 26

Die Aufspaltung des Stoffes in zwei Versionen sowie die damit verbundene unter- schiedliche Weiterverarbeitung ermöglichen nachfolgenden Autoren das Heranzie- hen einer großen Menge an Prätexten, was die Identifizierung der jeweiligen Quellen erheblich erschwert. Als hilfreich bei der Analyse können sich unter anderem Selbst- aussagen der Schriftsteller und Dramatiker erweisen, ansonsten muss auf Vergleiche zwischen den Texten zurückgegriffen werden. Wenn es um die Eruierung der mögli- chen Prätexte geht, welche Hardt für sein Drama herangezogen haben könnte, er- scheint ein Rückgriff auf die zu diesem Thema existierende wissenschaftliche Lite- ratur problematisch, da die Meinungen der Literaturwissenschaftler stark variieren. Eine präzise Festlegung auf bestimmte Prätexte anhand der Sekundärliteratur ist auf- grund der unterschiedlichen Auffassungen nur schwer zu bewerkstelligen, kann je- doch als erster Anhaltspunkt für die Analyse verwendet werden. Einen relativ umfangreichen Überblick über die populärsten Ansichten zu diesem Thema bietet Sulamith Sparre in ihrer Abhandlung Todessehnsucht und Erlö- sung, in welcher sie sich ausführlich mit den unterschiedlichen Quellenanalysen und deren Verfechtern auseinandersetzt. Neben den am häufigsten erwähnten Autoren wie Eilhart von Oberg98, Gottfried von Straßburg99, Wagner100 und Bédier101 werden hier des Weiteren Malory, Béroul, Roeber und Carl Robert als die Verfasser mögli- cher Prätexte erwähnt. Selbst Shakespeares Hamlet wird, bezogen auf den von Eifer- sucht gequälten König Marke102, mit dem Drama Ernst Hardts in Verbindung ge- bracht. Im Gegensatz zu Sparre beruft sich Jaewon Song in seiner Abhandlung über die Bühnenwerke Hardts auf einen Vortrag, in dem sich der Dramatiker selbst mit seinen möglichen Quellen auseinandersetzt.103 Hierbei interpretiert Song die Aussa- gen Hardts jedoch relativ frei. So behauptet er, Hardt hätte, da von früheren Tristan- Bearbeitungen wenig Material vorhanden gewesen sei, als Grundlage die Werke

98 EILHART von Oberg: Tristrant und Isalde. Neuhochdeutsche Übersetzung. Hrsg. von Danielle Buschinger und Wolfgang Spiewok. Göppingen: Kümmerle 1986. (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik Nr. 436) In Folge im Text zitiert als EvO mit Angabe der Seitenzahl. 99 GOTTFRIED von Straßburg: Tristan. Hrsg. von Reinhold Bechstein. Leipzig: Brockhaus 1869. (= Deutsche Classiker des Mittelalters. 7.) In Folge im Text zitiert als GvS mit Angabe der Verszeile. 100 Richard WAGNER: Tristan und Isolde. Stuttgart: Reclam 2003. In Folge im Text zitiert als RW mit Angabe der Seitenzahl. 101 Joseph Bédier: Der Roman von Tristan und Isolde. Neu gestaltet von Joseph Bédier. Mit alten Holzschnitten. Leipzig: Inselverlag 1955. In Folge zitiert als JB mit Angabe der Seitenzahl. 102 Vgl. SPARRE, S. 94. 103 Vgl. SONG, S.68. 27

Gottfrieds von Straßburg und Heinrichs von Freiberg104 verwendet, während er die Weiterbearbeitung Ulrichs von Türheim aufgrund mangelnden Anspruchs nicht be- rücksichtigt hätte.105 Bei näherer Betrachtung können die Behauptungen Songs nicht verifiziert werden, da Hardt sich nicht explizit zu den von ihm verwendeten Prätex- ten äußert. Trotzdem bietet der Vortrag Indizien, welche zur Eruierung der Quellen beitragen können. So geht Hardt, wie bereits von Song erwähnt, zunächst auf die verlorengegangenen Bearbeitungen des Mythos ein, wobei er feststellt, dass die Werke von Béroul, Eilhart von Oberg, Chrétien de Troyes und Thomas von Britanje nicht mehr beziehungsweise nicht vollständig erhalten sind.106 Bei der Auflistung der unterschiedlichen Bearbeitungen des Mythos handelt es sich um eine kurze Zusam- menfassung der mittelalterlichen Tristan-Rezeption. Ein näheres Eingehen auf das Werk Gottfrieds von Straßburg sowie auf die Fortsetzung des Heinrich von Freiberg könnte bedeuten, dass diese beiden Texte als Vorlage für das Drama fungierten, stellt jedoch keinen eindeutigen Beweis dar. Auch die Annahme, Hardt hätte die Weiter- bearbeitung durch Ulrich von Türheim aufgrund ihrer vergleichsweise schlechten Qualität als Prätext ausgeschlossen, geht aus Hardts Niederschrift nicht hervor.107 Vielmehr erscheint es so, als habe Hardt sich nicht ausschließlich auf bestimmte Be- arbeitungen spezialisiert, sondern habe die Idee des Tristan-Mythos im Allgemeinen herangezogen und umgestaltet. So erklärt er:

Nicht äußere Berührungspunkte, nicht dramatische Technik macht einen Stoff zum abhängigen Gut des Dramatikers, sondern das intuitive, urpersönliche Hin- einerleben, Hineinschaffen einer ethischen Idee, welche der Sage einen neuen Brennpunkt verleiht, um den sich alle Atome des Stoffes zu einem neuen Ge- bilde lagern müssen.108

Der Vortrag lässt somit in Bezug auf diese Fragestellung lediglich den Schluss zu, dass Hardt sich ausführlich mit der Rezeptionsgeschichte des Tristan-Mythos – im Besonderen mit der Narrenszene, wie im Verlauf der Arbeit noch genauer behandelt werden soll - auseinandergesetzt hat. Hardt gibt zwar keine konkreten Hinweise be- züglich der von ihm verwendeten Prätexte, lässt den Rezipienten jedoch ausführlich

104 HEINRICH von Freiberg: Tristan und Isolde. Fortsetzung des Tristan-Romans Gottfrieds von Straßburg. Greifswald: Reineke 1993. (= Wodan. Greifswalder Beiträge zum Mittelalter. 16.) In Folge im Text zitiert als HvF mit Angabe der Seitenzahl. 105 Vgl. ebda. 106 Vgl. HARDT, S. 39f. 107 Vgl. ebda, S.39ff. 108 Ebda, S. 32. 28 an seinem persönlichen Intertextualitätskonzept teilhaben, indem er erklärt, der „ge- gebene Stoff [werde] durch einen […] ethischen Zauberstab in ein Geschöpf des Dichters verwandelt“109, also durch jene persönliche ethische Vorstellung des Autors, welche den Stoff in dessen Händen auf neue Weise formt. So beschreibt Hardt sein Drama als „in der Sphäre der alten Sage von Tristan und Isolde gewachsen“110. Da es somit bezüglich einzelner Prätexte nur wenig konkrete Hinweise durch Hardt gibt, lässt sich die Frage nach möglichen Quellen, welche den Autor im Spe- ziellen bei der Erstellung seines Werkes beeinflusst haben könnten, nur anhand eines direkten Vergleichs mit dem Drama Tantris beantworten. Durch das Herausarbeiten von Gemeinsamkeiten und Unterschieden soll ein nachvollziehbares Textkorpus er- stellt werden, welches als Grundlage für die intertextuelle Analyse dienen kann und gleichzeitig den Umfang einer Masterarbeit nicht übersteigt.

Die Tristan-Bearbeitung Le roman de Tristan et Iseut des französischen Mediävisten Joseph Bédier, welche 1900 veröffentlicht und bereits ein Jahr danach ins Deutsche übersetzt wurde, stellt einen der am wahrscheinlichsten von Hardt verwendeten Prä- texte dar111. Bédier hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den verlorengegangenen Ur- Tristan zu rekonstruieren, welcher seiner Meinung nach Thomas wie auch Béroul als Quelle gedient habe.112 Für dieses Vorhaben erntete der Autor eine Menge Kritik, da die Erstellung eines Ur-Tristan aufgrund der fehlenden Überlieferungen nicht mög- lich sei. Des Weiteren handelt es sich bei Bédiers Roman um eine Zusammenstellung mehrerer Vorlagen, welche nach Meinung der Kritiker nicht miteinander vereinbar seien.113 Hierzu zählt vor allem die Vermischung der version courtoise mit der version commune/primitive. Trotz der mannigfaltigen Kritikpunkte gilt Bédiers Ro- man zu seiner Zeit als eine der bekanntesten Tristan-Bearbeitungen. Nicht nur die Popularität des Werkes zu Hardts Zeit, sondern auch die Namensgebung diverser Figuren kann als Indiz dafür gewertet werden, dass Hardt

109 Ebda, S. 35. 110 Ebda, S. 38. 111 Vgl. Christoph HUBER: Tristan-Rezeption in deutschen Dramen des 20. Jahrhunderts. Ernst Hardt und Georg Kaiser. In: The Garden of Crossing Paths. The Manipulation and Rewriting of Medieval Texts. Hrsg. von Marina Buzzoni und Massimiliano Bampi. Venedig: Cafoscarina 2005. (= Atti. 1.) S. 66. 112 Vgl. Edward J. GALLAGHER: “This too you ought to read”: Bédier’s Roman de Tristan et Iseut. In: Tristan and Isolde: a casebook. Hrsg. von Joan T. Grimbert. New York, London: Garland 1995, S. 425ff. 113 Vgl. ebda, S. 429. 29

Bédiers Tristan nicht nur gekannt, sondern auch als Quelle für sein Drama herange- zogen haben dürfte. So trägt Tristans Bracke bei Hardt wie auch bei Bédier den Na- men Husdent114, während sie in den meisten anderen Werken unter leicht abgewandelten Namen (z.B. Hudan, vgl. GvS, 16 653), beziehungsweise gar nicht erwähnt wird (vgl. HvF). Als weiteres Beispiel dient Denovalin, einer der Barone in Bédiers Roman, dessen Rolle in Hardts Drama in den Mittelpunkt gerückt wird. Ob- gleich die Figur des Intriganten an sich ein fester Bestandteil des Tristan-Mythos ist, scheint sie unter diesem speziellen Namen nur bei Bédier und Hardt auf. Auch in der Narrenepisode zeigen sich Parallelen zwischen den beiden Werken. So lebt Tristan als Narr verkleidet wie ein Hund unter einer Treppe (vgl. JB, S. 207), wie es auch in Hardts Drama durch den Hofnarren Ugrin beschrieben wird, als er meint: Ich schlafe nämlich unter dieser Treppe, / das ist mein Hundeloch! Pfui!“ (TdN, S. 142). Auf- grund dieser Anhaltspunkte kann Bédiers Roman mit größter Wahrscheinlichkeit als Prätext angenommen werden.

Eine weithin bekannte mittelalterliche Bearbeitung des Mythos stellt Gottfrieds von Straßburg Tristan und Isolde dar. Die Person des Gottfried sowie seine Herkunft können nach der heutigen Forschung zweifelsfrei belegt werden. Obgleich sich der Autor im nicht mehr fertiggestellten Epilog des Tristan nicht selbst nennt, gilt der Name durch ein Intitialenkryptogramm, welches sich durch den gesamten Roman zieht, als gesichert. Gleiches gilt für den Namenszusatz „von Straßburg“, da frühe Überlieferungsteile ins Elsässische wie auch ins Westalemannische weisen.115 Weiters gilt auch die Datierung des Romans um 1200 als belegt. Hierbei kann der Guote Gérhart von Rudolf von Ems, entstanden um 1210 – 1215, herangezogen werden, bei dem es sich um das erste Rezeptionszeugnis des Tristan von Gottfried handelt.116 Auch die an Wolfram von Eschenbach gerichtete Kritik im Literaturex- kurs des Tristan, welche Gottfrieds Kenntnis des nach 1203 verfassten Parzival do- kumentiert, bestätigt die zeitliche Einordnung des Werkes. Zusätzlich sei noch die

114 Wenngleich der Name Husdent auch in der Berner Folie eine Rolle spielt, erscheint es wahrscheinlicher, dass Hardt ihn von Bédier übernommen hat, dessen Werk zu Hardts Zeit wohl eine der bekanntesten Tristan-Rezeptionen darstellte. 115 Vgl. TOMASEK, S. 25. 116 Vgl. ebda. 30

Nennung der Namen zur damaligen Zeit lebender117 beziehungsweise bereits verstorbener118 Dichter erwähnt, welche die Datierung endgültig bestätigt. Das in Form von 11 Handschriften und 15 Bruchstücken erhaltene Werk119 wird immer wieder mit jenem von Thomas von Britanje in Verbindung gebracht. Grund hierfür ist eine Selbstaussage des Autors im Prolog seines Tristan: Gottfried kritisiert zunächst an den Verfassern unterschiedlicher Tristan-Versionen, dass sie niht rehte haben gelesen (GvS, 147), im Gegensatz zu Thomas, dessen Wissen und korrekte Berichterstattung er lobt: sine sprâchen in der rihte niht, / als Thômas von Britanje giht, / der âventiure meister was / und an britûnschen buochen las / aller der lanthêrren leben / und ez úns ze künde hât gegeben. (GvS, 149-154) Somit habe er versucht, nach dem Vorbild von Thomas und der Lektüre lateinischer und romani- scher Bücher die wahre Geschichte des Tristan zu eruieren (vgl. GvS, 155ff). Was genau Gottfried von Thomas übernommen haben könnte, bleibt jedoch schwer zu erfassen, da sich Thomas‘ Fragmente in nur zwei Teilen mit dem Werk Gottfrieds überschneiden.120

Die Namensgebung einzelner Figuren scheint bei Gottfried, wie auch bei Bédier, einen Hinweis auf die Verwendung des Textes als Grundlage für Hardts Drama zu geben. So liegt beispielsweise der Ursprung des Namens Tantris, welcher die Zerris- senheit der Figur des Tristans symbolisiert, in Gottfrieds Roman (vgl. GvS, 7 791). Die Identitätsproblematik, welche auch in Hardts Drama deutlich wird, stellt einen wesentlichen Punkt der Charakterisierung Tristans dar, weshalb diese Thematik im Laufe der Arbeit noch genauere Beachtung finden soll. Als weiteres Indiz für die Verwendung von Gottfrieds Roman als Prätext könnte der Diener Paranis gewertet werden, welcher sich auch in Hardts Drama wie- derfindet. Aufgrund dieser Hinweise erscheint eine nähere Betrachtung des Romans in Bezug auf intertextuelle Verweise als sinnvoll. Speziell das Wiederkehrabenteuer Tristans in der Verkleidung des Narren stellt laut Hardt eine der Episoden dar, welche „am meisten zu spielerischer Ausgestaltung

117 , Bligger von Steinach, Walther von der Vogelweide. Vgl. ebda. 118 Heinrich von Veldeke, . Vgl. ebda. 119 Vgl. STEIN, S. 166. 120 Hugo KUHN: Gottfried von Straßburg. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Studienauswahl aus dem ‚Verfasserlexikon‘. 2., völlig neu bearb. Aufl. Hrsg. von Kurt Ruh [u.a.]. Bd. 1-10. Berlin, New York: de Gruyter 2001, S. 185. 31 reizten“121. Als Beispiel nennt Hardt Karl Simrock, welcher die Prosaauflösung des Textes von Eilhart als Volksbuch in modernisierter Form aufgearbeitet hat122. Laut einer Selbstaussage verdankt Hardt „dieser letzten Episode […] die ethische Idee, die das Drama geformt hat“123, was dafür spricht, sich mit dem Text Simrocks124 im Verlauf der Arbeit näher auseinanderzusetzten. Da die Bearbeitung in Bezug auf Motive, Personen und Handlungsabläufe bis auf einige wenige Beispiele den anderen Prätexten auffallend ähnelt, soll das Hauptaugenmerk auf jene von Hardt erwähnte Narrenepisode gelegt werden, welche in der Folge näher analysiert wird. Besonders in Bezug auf das Nicht-Erkennen durch Isolde kann eine inhaltliche Übereinstimmung nachgewiesen werden, weshalb der Text in das zu erstellende Textkorpus integriert werden kann.

Obgleich auch das Siechenurteil einen nicht unerheblichen Teil des Dramas Ernst Hardts ausmacht, konzentriert sich die Handlung im Tantris vorwiegend auf das Wiederkehrabenteuer Tristans als Narr. Der Einfluss, welchen Simrock in diesem Bezug auf das Drama Hardts ausübte, bezieht sich einerseits auf die Thematik, ande- rerseits auf den genaueren Ablauf der Szene. So erkennt Isolde in Simrocks Werk ihren Geliebten Tristan zwar und die Liebenden finden zueinander, was einen Unter- schied zu Hardts Drama bildet, trotzdem steht zuvor das Nicht-Erkennen, welches gerade im Tantris eine Schlüsselszene darstellt, im Vordergrund. So weist Isolde Tristan zunächst ab, denn sie erkannte ihn nicht, wußte auch nicht, wer er war (KS, S. 399). Erst als ihr der Narr den Ring zeigt und von ihren gemeinsamen Erlebnissen berichtet ward sie inniglich froh, und erkannte ihn alsbald (KS, S. 402). Neben der Narrenszene lassen sich auch in Hinblick auf die auftretenden Figuren Ähnlichkeiten mit jenen im Tantris erkennen, beispielsweise Ugrim (vgl. KS, S. 322), der Beichtvater Markes, dessen Name mit jenem des Narren in Hardts Drama nahezu übereinstimmt. Weiters lässt sich auch die Stellung des aussätzigen Herzogs mit jener des Königs der Siechen bei Hardt vergleichen (vgl. KS, 313ff).

121 HARDT, S. 50. 122 Vgl. Elisabeth Schmid: ‚Tristrant und Isalde‘. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters – Verfasserlexikon. Bd. 9. Slecht. Reinbold – Ulrich von Liechtenstein. Begr. von Wolfgang Stammler. Fortgef. von Karl Langosch. Berlin [u.a.]: de Gruyter, S. 1065-1068. 123 HARDT, S. 52. 124 Tristan und Isolde: In: Karl Simrock: die deutschen Volksbücher. Gesammelt und in ihrer ursprünglichen Echtheit wiederhergestellt. Mit Holzschnitten. Vierter Band. Frankfurt a.M.: Brönner 1846, S. 227-418. In Folge zitiert als KS mit Angabe der Seitenzahl. 32

Im Gegensatz zu Bédier, Gottfried und Simrock kann Eilharts von Oberg Tristrant und Isalde nicht eindeutig als Prätext identifiziert werden. Hardt äußert sich über den Text wie folgt: „Der deutsche Eilhar[t] von Oberg hat in den siebenziger Jahren des 12. Jahrhunderts eine solche Spielmannsversion ins Deutsche übersetzt. Sie ist verlo- ren gegangen.“125 Dies entspricht zwar der Wahrheit, jedoch existiert eine im Gesamten erhaltene Version des Romans von Eilhart, welche dem 15. Jahrhundert entstammt und mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine Bearbeitung aus dem 13. Jahrhundert zurückgeführt werden kann.126 Dieser „unter Eilharts Namen vollständig erhaltene Roman [bietet] den vergleichsweise besten Einblick in den Handlungsver- lauf eines Tristan-Romans der vor-thomasschen Stufe.“127 Das gesamte Werk war also in verschriftlichter Form vorhanden. Zudem edierte Lichtenstein Eilharts Text im Jahre 1877, also bereits vor der Entstehung des Tantris. Hardt wäre somit mehr als die originalen Fragmente zur Verfügung gestanden, eine Verwendung als Prätext kann jedoch aufgrund des Handlungsverlaufes des Romans von Eilhart, welcher sich in vielen Bereichen mit jenem von Bédier deckt, nicht zweifelsfrei belegt werden. Bestimmte Ähnlichkeiten wie der Name Ogrin oder die Bezeichnung „König der Siechen“ können ebenfalls nicht als Anhaltspunkt fungieren, da Hardt den Text Eil- harts ebenso über Simrock gelesen haben könnte, welchen er in seinem Vortrag, wie bereits erwähnt wurde, explizit als Quelle ausweist. Eine Verwendung des Werkes von Eilhart ist somit zwar nicht ausgeschlossen, kann jedoch auch nicht belegt wer- den.

Gleiches gilt auch für Heinrichs von Freiberg Fortsetzung Tristan und Isolde, welche nicht, wie Song behauptet128, als eindeutige Quelle Hardts identifiziert werden kann. Obgleich Hardt in seinem Vortrag die Fortsetzung Heinrichs und vor allem deren Umfang erwähnt129, kann keine der in seinem Drama vorkommenden Szenen alleine auf Heinrich zurückgeführt werden. Zudem fehlen im Text wichtige Figuren wie Denovalin, Husdent, Ugrin und Iwein, welche die Handlung des Tantris in erhebli- chem Maße beeinflussen. Auch wenn man aus der Erwähnung im Vortrag schließen

125 HARDT, S. 39. 126 Vgl. Ludwig WOLFF; Werner SCHRÖDER: Eilhart von Oberg. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Studienauswahl aus dem ‚Verfasserlexikon‘. 2., völlig neu bearb. Aufl. Hrsg. von Kurt Ruh [u.a.]. Bd. 1-10. Berlin, New York: de Gruyter 2001, S. 81. 127 TOMASEK, S. 261. 128 Vgl. SONG, S. 68. 129 Vgl. HARDT, S. 42. 33 kann, dass Hardt Heinrichs Text gekannt haben dürfte, können keine ausschlagge- benden Hinweise auf eine deutliche Beeinflussung durch diesen gefunden werden. Letztlich weicht sogar die Narrenszene des Romans von jener Schlüsselszene des Tantris ab. Heinrichs Narr tritt hier zwar auch als typischer mittelalterlicher Narr mit Käse und Keule auf (HvF, S. 146), nennt sich selbst jedoch „Peilnetosi“130. Eine Ver- wendung von Heinrichs Tristan als Quelle kann dadurch zwar nicht gänzlich ausge- schlossen werden, erscheint jedoch nicht wahrscheinlich genug, um eine Aufnahme des Romans in das zu analysierende Textkorpus rechtfertigen zu können.

Noch eindeutiger lässt sich Richard Wagners Tristan und Isolde als Prätext aus- schließen. Obgleich Wagners Werk zur Zeit Hardts für viele Literaten als Quelle fungierte, lassen sich bereits im Aufbau der Handlung keine eindeutigen Gemein- samkeiten erkennen. Die Versuche verschiedener Literaturwissenschaftler, den Text Wagners mit jenem von Hardt in Verbindung zu setzen, erscheinen nicht aussage- kräftig genug, um Wagner als Prätext Hardts zu bestätigen. So würden Tristans Worte - ich bin ein Treuebrecher, der treulich liebete (TdN, S. 150) - an die Aussage Markes erinnern, wenn er Tristan als treulos treueste[n] Freund (RW, S. 105) be- zeichnet.131 Auch die Tatsache, dass die Verräter-Figuren Melot und Denovalin im Angesicht des Todes den Namen Tristan aussprechen (vgl.RW, S. 103 und TdN, S. 92), wird von Sparre als eindeutiger Verweis für eine Verwendung als Prätext ge- wertet132. Eine Gegenüberstellung der Werke alleine auf Basis dieser geringen – möglicherweise zufälligen - Ähnlichkeiten erscheint jedoch nicht sinnvoll.

Wie Wagner können auch andere von Sparre erwähnten Bearbeitungen als Prätexte ausgeschlossen werden. Hierzu zählen die Werke von Karl Robert und Roeber wie auch die Folie de Berne. Diese weisen zwar ebenso wie Hardts Drama eine Narren- szene auf, ein Beweis für ihre Verwendung als Prätext kann jedoch nur aufgrund dieser Tatsache nicht erbracht werden. Die Narrenszene als solche stellt eine der wichtigsten und am häufigsten aufgegriffenen Wiederkehrszenen des Tristan-Mythos dar. Alleine die Existenz dieser Szene in einem Text kann somit noch nicht als Bestä- tigung für die Verwendung als Quelle gelten, schon gar nicht, da die Narrenszene in

130 Bei diesem Namen handelt es sich um ein Wortspiel mit der Bedeutung „Isoten-Liep“. Vgl. HvF, S. 146. 131 Vgl. SPARRE, S. 88. 132 Vgl. ebda. 34

Hardts Drama keiner vorherigen Bearbeitung dieses speziellen Wiederkehrabenteu- ers in seinen Einzelheiten gleicht. Eine Beeinflussung durch den von Malory verfassten Roman The Boke of Sir Tristram de Lyones, einem Teil des Morte Dartur, erscheint ebenso abwegig, da Malory in seinem Werk einen für die Tristan-Rezeption untypischen Helden erschaf- fen hat, welcher sich nicht in Hardts Drama widerspiegelt. Stein meint hierzu, „Ma- lory hätte genauso gut einen neuen Helden erfinden können“133.

Zusammenfassend ist es am wahrscheinlichsten, dass sich Hardt bei seinen Arbeiten zu Tantris vorwiegend an den Texten von Gottfried von Straßburg und Joseph Bédier, wie auch an der auf Eilhardt basierenden Fassung von Karl Simrock orien- tiert hat, da sich nur diese in Hardts Werk eindeutig widerspiegeln. Im Gegensatz dazu können sämtliche anderen angesprochenen Bearbeitungen des Mythos als Prä- texte nur schwerlich verifiziert oder falsifiziert werden. Durch die Aufbereitung des Stoffes wie auch anhand der Selbstaussagen des Autors kann lediglich mit Sicherheit erwiesen werden, dass Hardt sich ausgiebig mit dem Tristan-Mythos im Allgemeinen wie auch mit den wichtigsten mittelalterlichen und neuzeitlichen Bearbeitungen des- selben im Besonderen beschäftigt haben dürfte.

Nachdem nun die Frage bezüglich der verwendeten Prätexte weitgehend ge- klärt werden konnte, soll nun versucht werden, jene Werkausgaben zu ermitteln, welche Hardt zugänglich gewesen sein könnten. Die Notwendigkeit hierfür ergibt sich aus teils großen Unterschieden zwischen den Editionen der diversen Hand- schriften. Zu Hardts Zeit waren mehrere unterschiedliche Gottfried-Ausgaben134 ver- fügbar, wodurch sich die Ermittlung der von Hardt verwendeten Fassung als schwie- riges Unterfangen erweist. In den für die Fragestellung relevanten Zeitraum fallen die Ausgaben von Myller (1785), Von Groote (1821), Von der Hagen (1823), Mass- mann (1843), Golther (1888-89), Bechstein (1. Auflage 1869-70) wie auch die von Hardt in seinem Vortrag erwähnten Übersetzungen von Herz und Kurz135. Die Aus- wahl wird zusätzlich dadurch erschwert, dass Hardt in seinem Drama keine wörtli-

133 STEIN, S. 313. 134 Die Information über sämtliche in diesem Kapitel angesprochenen Gottfried-Ausgaben, welche Hardt zugänglich gewesen sein könnten, entstammen Hans-Hugo STEINHOFF: Bibliographie zu Gottfried von Straßburg. Hrsg. von Ulrich Pretzel und Wolfgang Bachofer. Berlin: Erich Schmidt 1971. (= Bibliographien zur deutschen Literatur des Mittelalters. 5.) S. 23f. 135 HARDT, S. 49. 35 chen Zitate verwendet, welche die Identifikation erleichtern würden. Somit muss die Entscheidung aufgrund anderer Hinweise getroffen werden. Da ein wortgenauer Ver- gleich der Texte den Umfang einer Masterarbeit bei weitem übersteigen würde, bie- tet sich als zu zitierendes Werk in diesem Fall jenes an, welches zu Hardts Zeit am populärsten gewesen sein dürfte. Dabei handelt es sich augenscheinlich um die Gott- fried-Ausgabe Reinhold Bechsteins, welche bereits in dritter Auflage erschienen war. Aus diesem Grund werden sämtliche in dieser Arbeit vorkommenden Gottfried-Zi- tate dieser Fassung entnommen. Im Gegensatz dazu erweist sich die Auswahl der zu zitierenden Ausgabe von Bédier als unproblematisch, da zur Entstehungszeit des Tantris nur die deutschspra- chige Erstübersetzung des Romans aus dem Jahre 1901 verfügbar war136. Die Zitate des letzten in das Textkorpus aufgenommenen Werkes, Simrocks Tristan und Isalde, entstammen der Ausgabe des Jahres 1846.

Im Folgenden sollen nun die ausgewählten Prätexte dem Drama Hardts gegenüber- gestellt und die wichtigsten Motive und Personen analysiert werden. Zunächst wird noch ein Überblick über den Inhalt der im Drama dargestellten Szenen sowie des Aufbaus des Stückes im Allgemeinen gegeben, um die Einbettung der Motive wie auch das Handeln der vorkommenden Personen besser nachvollziehen zu können.

3.3 Inhalt und Aufbau des Dramas Das Geschehen des Dramas situiert sich zeitlich am Ende des Tristan-Isolde-Mythos. Es handelt sich hierbei um das letzte Wiederkehrabenteuer Tristans vor seinem Tod, was auch durch eine Aussage Isoldes bestätigt wird, wenn sie am Ende des letzten Aktes zu Brangäne spricht: Nun geht Herr Tristan in die Welt zurück …. / Bis daß er stirbt … dann küss ich ihn (TdN, S. 159.) Ort des Geschehens ist Schloss Lubin, in dessen Gemäuern Isolde um ihre verlorene Liebe trauert. Als sie von der Ankunft eines Handelsschiffes aus Arund erfährt, schickt sie ihren Diener Paranis aus, um Kunde über Tristans Verbleib und Befinden zu erhal- ten. Dieses Verhalten Isoldes in Kombination mit der Tatsache, dass zur selben Zeit ein fremder Ritter im Wald gesichtet wurde, welcher sich den Blicken der anderen zu entziehen versuchte, führt zu einer Verurteilung Isoldes mit der Begründung des

136 Die Möglichkeit, dass sich Hardt an das französische Original gehalten haben könnte, soll an dieser Stelle nicht näher in Betracht gezogen werden, da sich hierfür keine näheren Anhaltspunkte finden lassen und da diese Arbeit im Zuge eines Germanistik-Studiums verfasst wurde. 36

Eidbruchs, da es Tristan bei Strafe verboten war, das Land Markes je wieder zu be- treten. Der König übergibt Isolde aus Zorn über den vermeintlichen Betrug einer Gruppe von Siechen als Geschenk, woraufhin Tristan, als einer der Aussätzigen ver- kleidet, seine Geliebte aus den Klauen des Siechenkönigs Iwein und seiner Horde be- freit. Da die Rettung, welche von niemandem beobachtet wurde, als Gottesurteil ge- wertet wird, begnadigt Marke die Königin. In derselben Nacht erscheint Tristan als Narr verkleidet auf der Burg und versucht sich Isolde zu erkennen zu geben, was ihm jedoch misslingt. Erst als Tristan mit seiner Bracke Husdent vom Hof flieht, wird Isolde die wahre Identität des fremden Narren bewusst, doch es ist bereits zu spät. Sie hat Tristan zum letzten Mal lebend gesehen.

Der Aufbau von Hardts Drama unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht stark von je- nem der Prätexte. Da Hardt sein Werk speziell für die Aufführung auf einer Bühne konzipierte, schränkte dies seine Freiheiten bezüglich des Ablaufes in gewisser Weise ein, während es anderen Autoren aufgrund der Verwendung unterschiedlicher literarischer Formen möglich war, Inhalt und Aufbau ihrer Werke ohne Überlegun- gen bezüglich der szenischen Darstellung zu gestalten.

Der in Strophenform verfasste Roman Gottfrieds von Straßburg war speziell für den mündlichen Vortrag konzipiert, wobei aufgrund der Länge des Werkes meist ein ein- zelner Romanausschnitt vorgetragen wurde. Aufgrund dessen können in der Erzäh- lung immer wieder Einschnitte bestätigt werden, welche eine Neuformierung des Textes erkennen lassen.137 Im Umkreis dieser Textstellen finden sich häufig „rekapitulierende oder vorausweisende Erzählerbemerkungen und –formeln“, welche sich als „Indizien einer Vortragsgliederung auffassen lassen“138. Gottfried hält sich in seinem Roman an eine strenge chronologische Reihen- folge der Ereignisse, welche nur durch an ausgewählten Stellen gesetzte Rückblen- den, meist als Hilfe zum Wiedereinstieg für das Publikum, oder Vorausdeutungen, welche dem Spannungsaufbau dienen, unterbrochen wird. Die Erzählung beginnt mit der Elternvorgeschichte, gefolgt von Tristans Kindheit und Jugend. Der zweite Teil des Romans, welchen Gottfried nicht mehr fertigstellen konnte, wird von der Liebes-

137 Vgl. TOMASEK, S. 88. 138 Ebda. 37 und Leidensgeschichte Tristans und Isoldes dominiert und endet mit dem Leben Tristans in Arundel bei seiner Gemahlin Isolde Weißhand. Auch der Romanaufbau bei Bédier, Eilhart und Simrock zeigt sich in chro- nologischer Form, wobei die Elternvorgeschichte wie schon bei Gottfried als Einlei- tung fungiert. Im Gegensatz zu Gottfried, dessen Werk ein Fragment blieb, enden die drei anderen, der Eilhart-Tradition entspringenden Texte mit dem Tod Tristans und Isoldes.

Der bei Hardt erfolgte Medienwechsel von einer les- beziehungsweise vorlesbaren Geschichte zum Bühnenwerk erforderte eine Abänderung der gesamten Erzähl- struktur. Laut Horst Zander gehört der Wechsel eines Textes in ein anderes Medium zu einer der häufigsten Formen der Intertextualität. Die geläufigste Form eines sol- chen Medienwechsels stelle „die Inszenierung dar, also die Produktion eines visuel- len und akustischen Textes auf der Bühne, der auf die sprachliche Vorlage Bezug nimmt“139. Die Geschehnisse des Tristan-Mythos werden von Hardt in fünf Akte unter- gliedert und finden innerhalb eines einzigen Tages statt. Trotz dieser eingeschränkten Zeitspanne gelingt es Hardt, alle für die Handlung wichtigen Elemente in sein Werk mit einzubeziehen, indem die handelnden Personen die vorangegangenen Ereignisse in ihren Erinnerungen wieder aufleben lassen. Diese Erinnerungssequenzen bieten den Vorteil, dass die Aufführung des Werkes nicht durch einen häufigen Bühnen- bild- und Utensilienwechsel gestört werden muss, das Publikum jedoch trotzdem über die Vorgeschichte informiert wird. Im Gegensatz zu Gottfried verzichtet Hardt größtenteils auf das Stilmittel der Vorausdeutung. Erst am Ende des Dramas wird der nahende Tod Tristans durch Isolde in Aussicht gestellt (vgl. TdN, S. 159).

Während im Tristan-Mythos die einzelnen Motive mit gleicher Intensität behandelt werden, liegt der Fokus im Drama Hardts, wie bereits am Titel ersichtlich, eindeutig auf der Narrenszene. Die Figur des Tristan tritt hierbei in zwei unterschiedlichen Narrenformen auf, die laut Stein wie folgt unterschieden werden:

139 Horst ZANDER: Intertextualität und Medienwechsel. In: Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Hrsg. von Ulrich Broich; Manfred Pfister. Tübingen: Niemeyer 1985. (= Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft. 35.) S. 180. 38

1. Tristan in der Verkleidung eines Narren. Es kommt somit zu einer „be- wußte[n] und gespielte[n] Übernahme des Rollenstereotyps eines mittelalter- lichen Narren140“.141 2. Der wirklich Wahnsinnige, welcher „vom Liebesglück [seines] Verstandes beraubt“142 wurde.

In Hardts Drama wie auch seinen der version commune/primitive folgenden Quellen kommt es unter anderem zu einer Vermischung der beiden Formen, da die Verklei- dung als Narr der „physischen Entstellung Tristans entspricht, welche wiederum auf seinen durch die melancholische Liebeskrankheit veränderten psychischen Zustand verweist“143.

Auch der typische mittelalterliche Hofnarr144, dessen Rolle Hardts Tristan für eine Nacht am Hofe König Markes übernimmt, existiert in zwei unterschiedlichen Aus- formungen, welche im Tantris eine Vermischung erfahren:

a. Der verspottete und von König und Gefolge gequälte Außenseiter. b. Der „bouffon professionel“145, also der berufsmäßige Narr, welcher als Mit- glied der höfischen Gesellschaft gewertet wurde, mit der „Funktion eines Quasipropheten, eines Trägers der Gesellschaftssatire“146.

Der Narr als Außenseiter wird eindeutig auf seinen Platz auf der untersten Stufe der Hierarchie verwiesen, indem er seinen Schlafplatz unter der Stiege der Halle zuge- wiesen bekommt. So beklagt Ugrin sein Schicksal, wenn er sich darüber empört, dass sie wie Hunde gehalten würden: Ich schlafe nämlich unter dieser Treppe, das ist mein Hundeloch! Pfui! (TdN, S. 142.) Die Darstellung der Schlafstätte deckt sich mit jener von Bédier (vgl. JB, S. 216) wie auch von Simrock (vgl. KS, S. 414).

140 STEIN, S. 60. 141 Anzutreffen ist diese Form unter anderem bei Eilhart von Oberg, Ulrich von Türheim und Heinrich von Freiberg, wie auch in der Folie de Berne. Vgl. ebda. 142 Ebda. 143 Marie-Sophie MASSE: „so ward ich durch sie tore“. Narrheit und Liebespassion im Tristrant Eilharts von Oberg. In: Der Narr in der deutschen Literatur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit: Kolloquium in Nancy (13. – 14. März 2008). Hrsg. von Jean Schillinger. Bern [u.a.]: Lang 2009. (= Jahrbuch für internationale Germanistik: Reihe A – Band 96.) S. 27. 144 Die soziale Rolle des Hofnarren ist spätestens seit dem 12. Jahrhundert belegt. Vgl. ebda, S. 16. 145 STEIN, S. 60. 146 Ebda, S. 61. 39

Weiters wird die niedrige Stellung auch durch die Drohungen des Königs deut- lich, als dieser den Namen des Narren erfahren möchte:

Bursche, soll ich dich Auspeitschen lassen? […] Auch könnt ich dich für Zauberei vom Husdent Zerreißen lassen! Sag mir, wer du bist. (TdN, S. 127.)

Die Drohung wird durch den Narren Ugrin bestärkt, der Tristan rät: Sprich, Brüder- lein, der Vetter spaßt jetzt nicht! (TdN, S. 127) Andererseits wird der Narr als der die Wahrheit Sprechende gezeigt, der sich aufgrund seiner Stellung kritische bis beleidigende Kommentare dem König gegen- über erlauben darf. Das Gesprochene wird als Narrheit abgetan, weshalb auch Tris- tans Äußerungen bezüglich seiner Beziehung zur Königin keine negativen Konse- quenzen für ihn haben. So erklärt der Narr: Ich war der Tristan […] und war auch oft mit deiner [Markes] Frau – verzeih es mir! (TdN, S. 130), was mit allgemeinem Ge- lächter quittiert wird. Hierbei kommt es zu einer Verkehrung der Rollen. „Der Narr, das Objekt der Hofgesellschaft, behauptet sich als Subjekt, während der König zum Narren gehalten wird.“147 Der König, welcher immerzu von Zweifeln und Unsi- cherheiten geplagt wurde, wird nun durch den Narren direkt auf den Betrug aufmerk- sam gemacht, tut das Geständnis jedoch als Narretei ab.148 Äußerlich wird Tristan als Narr bei Hardt wie auch bei Bédier und Simrock auf ähnliche Weise beschrieben: In allen Fällen trägt er eine für das Narrenbild typi- sche Keule mit sich, Hardt und Bédier beschreiben ihn als kahl geschoren. Bei Sim- rock und Bédier trägt er zusätzlich ein Stück Käse mit sich. Eine Eruierung einer bestimmten Quelle als Prätext scheint in Bezug auf die Narrenszene nicht möglich zu sein. Bei der Analyse muss hierbei auf die Theorie der Systemreferenz zurückgegrif- fen werden, da sich Hardt in diesem Fall nicht rein auf einen einzelnen Text, son- dernd auf den Mythos an sich, genauer auf die Eilhart-Tradition, bezogen hat.

Im folgenden Kapitel sollen nun die wichtigsten Motive und Personen des Mythos in Bezug auf ihre Verwendung in Hardts Drama und im Vergleich zu den ausgewählten Prätexten analysiert werden.

147 MASSE, S. 23. 148 Vgl. ebda, S. 22. 40

3.4 Motive

3.4.1 Treue und Treuebruch Die Treue beziehungsweise der Treuebruch bildet eines der markantesten Motive des Tristan-Stoffes. Hierbei kann zwischen zwei Formen der Untreue unterschieden wer- den: Einerseits der Verrat am König, dem der Ritter zu absoluter Treue und Loyalität verpflichtet ist, andererseits die Untreue gegenüber dem geliebten Menschen. Diese beiden Formen erscheinen zwar als unvereinbar, erfahren jedoch im Tristan-Mythos eine Vermischung. So tritt der König nicht nur in der Rolle des Herrschers, sondern auch in jener des geliebten Onkels auf, was zu einer Verschmelzung der höfischen mit der emotionalen Komponente führt. Gleichzeitig handelt es sich bei der Gelieb- ten Tristans um die Königin, welche einerseits die Treue des Liebenden, andererseits den Gehorsam des Untertanen einfordert. Obgleich die Untreue gegenüber dem König als Hochverrat gewertet werden kann, steht diese im Mythos bezüglich der Schwere der Schuld stets im Hintergrund. Zusätzlich wird ein bestimmtes Königsbild forciert, welches die Untreue des königli- chen Neffen wie auch der Königin legitimiert. So wird Marke häufig diffamiert, in- dem er zum Beispiel als gelóubige (GvS, 13 908) beschrieben wird, während Bédier, wie in der version commune/primitive üblich, Markes Brutalität und Willkür in den Vordergrund stellt, als dieser beispielsweise Tristan und Isolde zum Tode verurteilt (vgl. JB, 88f). Die Einwände seiner Untertanen, er müsse vor der Urteilsverkündung Beweise für die Schuld der Gefangenen vorlegen, werden von ihm unter der Dro- hung abgeschmettert: Beim Herrn, der die Welt schuf, wer es wagt, mich noch einmal darum zu bitten, soll zuerst auf diesem Scheiterhaufen brennen!“ (JB, S. 89) Viel zentraler als zwischen König und Königin zeigt sich das Motiv der Treue bezie- hungsweise Untreue in der Beziehung zwischen Tristan und Isolde. Liebe, Verrat und Eifersucht prägen das Leben der beiden Protagonisten bis hin zu ihrem Tod. Als Hauptmotiv gilt für Hardt die Heirat mit Isolde Weißhand149, wodurch das Thema der Untreue in den Vordergrund gerückt wird. Die Bedeutung dieses Mo- tives wird zusätzlich unterstrichen, wenn Hardt sein Drama selbst als „Drama der Untreue“150 bezeichnet. Er erklärt außerdem, er habe den Eindruck, als fürchteten die

149 Vgl. HARDT, S. 50. 150 Ebda, S. 52. 41 früheren Autoren sich davor, „die schöne ewige Liebe der ersten Teile zu zerstören und so liessen sie die Ehe nur eine Scheinehe sein“151. Des Weiteren steht im von Hardt aufgegriffenen Wiederkehrabenteuer der Treueschwur im Mittelpunkt, der bereits zu Beginn des Dramas von Isolde zitiert wird: Hier schwur er mir! – „Mein Freund,“ so sprach ich, „hier Nehmt diesen Ring aus Gold und grünem Stein, Und so mir einer diesen Ring in Eurem Namen erweist, soll mich kein Turm, kein Schloß, Kein Riegel hindern, Euch, mein Freund, zu Willen Zu sein.“ – „O Freundin“, sprach er, „habt Dank, Und so mich einer ruft bei Eurem Namen Will ich ihm Rede stehn an allen Orten, Bei Tage und bei Nacht.“ – Dann ritt er hin … (TdN, S. 19)

Tristans Untreue zeigt sich zunächst nur in Isoldes Phantasie. Sie sieht die Vermähl- ten vor sich, Tristans Treuebruch scheint ihr gewiss. So beendet Isolde ihr Lied, mit welchem Hardt sein Drama einleitet, in dem Tristan zunächst als treu und gütig er- scheint, mit dem Satz: Herr Tristan ist untreu worden… (TdN, S. 9). Verstärkt wird Isoldes Zorn noch durch den angeblichen Bruch des Schwures, als der Baron Dinas eine vermummte Person im Wald für Tristan hält und diese zweimal im Namen von Isolde anspricht, ohne dass es zu einer Reaktion kommt. Von diesem Zeitpunkt an distanziert sich Isolde endgültig von ihrem Geliebten, wenn sie meint: Was schiert mich einer fremden Frau Gemahl!“ (TdN, S. 34) Kurz darauf bricht sie jedoch auch ihrerseits den Schwur, als ihr Tristan in der Verkleidung des Narren den Ring als Geschenk anbietet, sie diesen jedoch ablehnt (vgl. TdN, S. 146). Im Gegensatz zu manch anderer Tristan-Version wird die Ehe mit Isolde Weißhand, wie bereits durch Hardts Darlegung der Betrugsproblematik deutlich wird, nicht als Scheinehe beschrieben. So bezichtigt sich Tristan selbst des Treue- bruchs (vgl. TdN, S. 150) und gesteht seine Schuld ein, Isolde Weißhand für einen kurzen Moment verfallen zu sein.

Ihr blinkt ein kühles Silbernes Lächeln um den Mund, und das Gefiel ihm einen Abend lang. Doch als Sie jemand Isot rief am anderen bleich- Dämmernden Morgen, da verging er schier In Wonnen des Gedenkens an Isote, […] (TdN, S. 154)

151 Ebda, S. 50. 42

Durch den Treuebruch werden die Liebenden so stark voneinander distanziert, dass ein Wiedererkennen Tristans durch Isolde nicht mehr möglich ist. Hardt erklärt dies folgendermaßen: „Untreue trennt die Menschen, wirft Wälle zwischen ihnen auf, die nicht mehr einzureißen sind und macht sie einander fremd bis zur Unkenntlich- keit.“152 Isolde ist nicht mehr in der Lage, ihren Geliebten zu erkennen. Hardt selbst begründet dies damit, dass Tristan die „Maske der Treulosigkeit“153 trage, welche ihn in den Augen Isoldes bis zur Unkenntlichkeit entstellen würde.154 Sparre interpre- tiert, dass die „traumatischen Erlebnisse sie [Isolde] der Wirklichkeit entfremdet ha- ben, so daß sie nicht mehr erkennen kann. Ihre Gegenwart ist mit den Bildern der Vergangenheit umstellt“155, was zu einem „Verdrängen des Gegenwärtigen“156 führt.157 Erst am Ende des Dramas fällt der Schleier von Isoldes Augen, als sie Tris- tan durch das Verhalten seines Hundes Husdent wieder als ihren Geliebten wahr- nimmt – jedoch zu spät. Tristan verlässt das Schloss.

Auch in den Prätexten zeigt sich der Treuebruch als eines der Hauptmotive des My- thos. Während Eilhart die Ehe zwischen Tristan und Isolde Weißhand als Scheinehe bezeichnet (vgl. EvO, S. 99), zeigt sich bei Gottfried eine andere Motivation: Tristan will sich in Isolde Weißhand verlieben, um sein Leid zu mindern.

[E]r suohte gemuotheit In wunderlicher ahte: Er besázte sîne trahte, er wollte lieben und lieben wân wîder die maget Îsôte hân, sîn gemǘete gerne twingen ze ir liebe ûf den gedingen, ob ime sîn senebürde mit ir iht ringer würde. (GvS, 19 058ff)

Tristan versucht, seine Gefühle für Isolde Weißhand zu legitimieren, indem er Isolde Blondhaar vorhält, sich nie über sein Befinden erkundigt zu haben. Er gesteht sich

152 Ebda, S. 52f. 153 Ebda, S. 53. 154 Ein weiterer Grund für das Nicht-Erkennen durch Isolde, nämlich die Wirkung des Liebestrankes, soll in nachfolgendem Kapitel 3.4.2 Der Liebestrank näher ausgeführt werden. 155 SPARRE, S. 103. 156 Ebda. 157 In Bezug auf diese Verdrängung muss erwähnt werden, dass die zur Zeit Hardts populären Theorien Freuds einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die damaligen Tristanbearbeitungen ausübten, was auch anhand des Dramas König Hahnrei von Georg Kaiser ersichtlich ist. Vgl. ebda, S. 98. 43 jedoch sofort selbst ein, dass sie keine Möglichkeit gehabt hätte, ihn ausfindig zu machen (vgl. GvS, 19 513ff). Derselbe Versuch einer Abschwächung des Treue- bruchs findet sich auch bei Bédier wieder (vgl. JB, S. 164). Wie der Treuebruch scheint auch das Motiv des Treueschwurs in beiden Prä- texten auf. So dient der Ring bei Gottfried dazu, Tristan daran zu erinnern, sich keine andere Frau zu nehmen (vgl. GvS, 18 311ff). Bei Bédier erhält Tristan ebenfalls einen Ring, während er Isolde im Gegenzug seinen geliebten Hund Husdent überlässt (vgl. JB, S. 129). Mit dem Ringtausch geht bei Bédier auch das Versprechen einher, bei der Anrufung in Isoldes Namen dem Rufer in jeder Situation Rede und Antwort zu stehen. Eine in Hardts Drama nicht thematisierte Form des Treuebruchs wie auch der Unehrlichkeit bildet Tristans Verhalten Isolde Weißhand gegenüber, welches unter anderem in Bédiers Roman thematisiert wird. Tristan verwehrt seiner Gemahlin den Beischlaf in der Hochzeitsnacht, durch welchen der Bund der Ehe endgültig besiegelt werden würde, indem er ihr erzählt, er habe nach einem Drachenkampf der Heiligen Jungfrau Maria versprochen, sollte er sich jemals vermählen, so würde er die Ehe erst ein Jahr nach der Hochzeit vollziehen (vgl. JB, S. 175). Diese Lüge wird jedoch durch die wahre Zugehörigkeit zu Isolde Blondhaar abgeschwächt. Isolde Weißhand wird somit - wie auch König Marke - jedes Mitleid durch den Rezipienten verwehrt.

Die Darstellung der Treueproblematik lässt sich aufgrund ihrer wichtigen Stellung im Mythos weder einem einzelnen Prätext noch einer bestimmten Version zuordnen, weshalb hier nur die Systemreferenz als Analysemittel herangezogen werden kann.

3.4.2 Der Liebestrank Die Einnahme des sogenannten Minnetrankes stellt die wichtigste und bekannteste Schlüsselszene in der Geschichte um Tristan und Isolde dar. Die Beschreibung des Trankes lässt sich in zwei Formen untergliedern:

1. Der Trank als physisches Mittel, welches seine Wirkung durch die Kraft ei- nes Zaubers erhält. 2. Der Trank im metaphorischen Sinne, der das natürliche Entstehen der Liebe zwischen Tristan und Isolde veranschaulicht.

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Die eindeutige Unterscheidung dieser beiden Varianten in den unterschiedlichen Be- arbeitungen führt im wissenschaftlichen Bereich immer wieder zu Interpretations- problemen. Aus diesem Grund kann in dieser Arbeit nur versucht werden, eine unge- fähre Zuteilung zu einer der beiden Formen auszuarbeiten. Neben der Wirkungsweise stellt auch die Wirkungsdauer des Trankes einen großen Unterschied zwischen den verschiedenen Trankbeschreibungen in der Re- zeptionsgeschichte des Mythos dar, wobei jene Texte, welche in der vorliegenden Arbeit für die Analyse dieses Motives von Bedeutung sind, die Trankwirkung als unendlich beschreiben.

Ernst Hardt führt den Trank, wie auch eine Vielzahl anderer Motive, als Erinne- rungssequenz der Protagonisten in das Handlungsgeschehen ein, indem er die Trankwirkung durch Isolde beschreiben lässt.

… Denn die zusammen davon trinken, werden Sich lieben, sinnlos und mit allen Sinnen, Gedankenlos mit ihrem Denken, ewig Im Leben und im Tod. Doch wer den Trank, Davon er selig trunken ward, treulos Ausspeit, soll sein ein herrenlos und fremd Gewürm, Unkraut am Weg. (TdN, S. 31)

Diese Wirkung wird auch von Tristan erwähnt, als er, als Narr verkleidet, vor Isolde tritt (vgl. TdN, S. 126), wodurch die Bedeutung der wie ein Zauberspruch anmuten- den Beschreibung gesteigert wird. Der Trunk wird von Hardt rein metaphorisch in- terpretiert, was durch eine Erklärung des Autors untermauert wird. So beschreibt Hardt das Aufblühen der Liebe zwischen Tristan und Isolde wie folgt: „Hier [am Schiff] ergreift beide die berühmte verzehrende Leidenschaft zu einander, welche die Sage in einem Zaubertrank symbolisiert, dem beide schuldlos erliegen.“158 Dies legt nahe, dass Hardt die metaphorische Bedeutung, die er dem Trank an sich beimisst, auch auf sein Drama überträgt. Die Klärung der Bedeutung des Trankes in den Prätexten hingegen erweist sich als problematischer. Gottfried wie auch Bédier lassen in ihren Texten zwar schon vor der Trankeinnahme ein gegenseitiges Interesse zwischen Tristan und Isolde erken- nen, welches sich durch verstohlene Blicke sowie die Einsicht in die Gedanken der Protagonisten äußert (vgl. GvS, 10 005ff und JB, S. 37). Eine Klärung, welche rein

158 HARDT, S. 43f. 45 auf diesen Szenen basiert, erscheint jedoch äußerst fragwürdig. So entzweite die Be- deutung des Minnetrankes bei Gottfried seit jeher die wissenschaftlichen Gemüter159. Dennoch gilt es als unbestreitbar, dass Isolde von Beginn an die Vorzüge des jungen Ritters zu schätzen weiß, wenn sie sagt: ein lîp alsô gebære, / der sô getugendet wære, / der solte guot und êre hân (GvS, 10 031). Die Beschreibung des von Königin Isolde gebrauten Trunkes spräche wiederum für eine physische Wirkung. Sie stellt einen Trank her, welcher

mit alsô kleinen sinnen ûf geleit und vor bedâht, mit solher krefte vollebrâht, mit sweme sîn ieman getranc, den muose er âne sînen danc vor allen dingen meinen, und er dâ wider in einen. (GvS, 11 440)

Eindeutiger als bei Gottfried zeigt sich die bereits vor der Trankeinnahme entstan- dene Zuneigung im Werk Bédiers, als Isolde Tristan ein Bad bereitet.

Sie liess ihren Blick auf dem Antlitz des Verwundeten haften, sah, wie schön er war und spann Gedanken: „Sicherlich, wenn sein Heldentum seiner Schönheit gleichkommt, dann wird mein Ritter für einen gewalti- gen Streit sorgen.“ Aber Tristan, durch die Wärme des Bades und den starken Duft der Kräuter neubelebt, sah sie an und es überkam ihn ein Lächeln bei dem Gedanken, dass er die Königin mit dem goldnen Haar errungen habe. (JB, S. 37f)

Die darauffolgende Beschreibung der Trankwirkung lässt wiederum auf eine physi- sche Bedeutung desselben schließen. Auffallend ist hier vor allem die Ähnlichkeit der Trankbeschreibungen Hardts und Bédiers, wobei der erste Teil nahezu wörtlich von Hardt übernommen wurde160, wenn davon die Rede ist, der Liebe mit allen Sin- nen verfallen zu sein, ewig, im Leben und im Tod. (JB, S. 48 und TdN, S. 31). Dieses hohe Maß an Selektivität scheint die Rolle des Textes von Bédier als Prätext zu bestätigen. Im zweiten Teil der Beschreibung hin- gegen unterscheiden sich die Texte wieder stark voneinander. Während bei Bédier die Trankeinnahme unweigerlich zu ewiger Liebe führt, wird im Tantris vor dem treulosen Ausspeien des Gebräus gewarnt. Diese Handlung, die von mehreren Wis-

159 Aufgrund des Mangels an eindeutigen Beweisen für eine dem Minnetrank vorangegangene Liebe zwischen den beiden Protagonisten erscheinen diese Unstimmigkeiten seit der Studie Furtstners als nahezu geklärt. Vgl. TOMASEK, S. 200f. 160 Vgl. SPARRE, S. 104. 46 senschaftlern wörtlich interpretiert wird161, erscheint in einem anderen Licht, wenn man, wie oben gezeigt, davon ausgeht, dass der Trank bei Hardt eine rein metaphori- sche Bedeutung hat. Das Ausspeien wurde somit als Metapher für den Verrat an der Liebe gebraucht. Dieser wird als unverzeihlich angesehen, weshalb sich das gesamte Bild des Geliebten so stark verändert, dass er seinem Partner als fremd erscheint. Hardt, dem der Minnetrank aus seinen Recherchen in sämtlichen Variationen be- kannt gewesen sein dürfte, scheint sich somit nur oberflächlich an Bédiers Roman orientiert zu haben. In Bezug auf die Auswirkung der Untreue lässt sich keine andere Tristan-Bearbeitung finden, welche sich im Drama Hardts eindeutig widerspiegelt.

3.4.3 Das Meer Das Meer spielt im Mythos bereits von Anbeginn an eine wichtige Rolle, da es als Bindeglied zwischen Tristan und Isolde fungiert. Je nach Version bringt es die Lie- benden durch Zufall oder auf geplantem Wege zueinander. Jedoch nicht nur das Zu- sammentreffen von Tristan und Isolde, auch die erste Begegnung zwischen Tristan und König Marke findet nur statt, weil das Meer den Neffen zu seinem Onkel trägt. Im Laufe der Entwicklungsgeschichte des Mythos tritt es immer wieder als teils trennende, teils zusammenführende Instanz auf, wobei ihm in manchen Bearbeitun- gen eine eigene Form von Intelligenz zugestanden wird, die ihm ein selbstbestimm- tes Einschreiten in den Verlauf der Handlung ermöglicht. Auch eine metaphorische Verwendung des Begriffes „Meer“ in Verbindung mit dem Gefühl der Liebe scheint in mehreren Versionen auf162. Zusammen mit dem Ozean werden auch immer wieder Schiffe und deren Se- gel, im physischen wie auch im metaphorischen Gebrauch, in den Handlungsverlauf integriert. So wird das Meer als Verbindung zwischen den Geliebten in Hardts Drama vorwiegend durch das Handelsschiff aus Arund symbolisiert, welches die einzige Informationsquelle Isoldes bezüglich Tristans Verbleib darstellt. Als sie von der Ankunft des Schiffes erfährt, sendet sie Boten aus, welche die Handelsmänner auf die Burg geleiten sollen. Die Szene verdeutlicht zudem die lange Zeit, die seit dem letzten Zusammentreffen von Tristan und Isolde vergangen ist, wenn die Kö- nigin meint, sie saß […] deshalb / zehn lange Jahre lang in Tintajol am / Turmfens- ter bang und stumm und zählte unten /die Segel auf dem großen grünen Spiegel / und

161 Vgl. Ebda. 162 Das selbstbestimmte Einschreiten wie auch die metaphorische Bedeutung des Begriffes „Meer“ sollen im Verlauf des Kapitels an ausgewählten Beispielen, vorwiegend aus Gottfrieds Roman sowie Hardts Drama, dargestellt werden. 47 folgte ihnen mit bebenden Augen[…]. (TdN, S. 22) Isolde vergleicht auch die Liebe zwischen ihr und Tristan mit dem wogenden Meer:

Tristans Schritte waren An meiner Seite wie ein großer Schwung Und Flug des Blutes, und sie hoben mich Daß sich der Boden beugte unter unsren Tritten wie wogend Wasser und uns trug Gleich hohen Segeln, die zu Siegen fuhren! (TdN, S. 153)

Auch bei Gottfried spielt die metaphorische Bedeutung des Meers eine große Rolle, was sich am deutlichsten im Wortspiel l’ameir/la meir zeigt. Als Isolde immer wie- der von lameir (GvS, 11 986) spricht, überdenkt Tristan die Bedeutung dieses Wor- tes.

sus begúnde er sich versinnen, l’ameir daz wære minnen, l’ameir bitter, la meir mer: der meine der dûhte in ein her. (GvS, 11 997)

Diese drei Bedeutungen – Liebe, bitter, Meer – bestätigen nicht nur, wie bereits an- geführt, die eindeutige Verbindung mit den Liebenden, sondern scheinen bereits auf die schmerzvollen Zeiten zu verweisen, welche vor Tristan und Isolde liegen. Während das Meer in erster Linie als Transportmittel fungiert, wird es in ande- ren Szenen als denkendes wie auch lenkendes Wesen dargestellt, was von Gottfried teilweise befürwortet, in einigen Fällen jedoch auch als zu märchenhaft abgelehnt wird. Im Verlauf von Tristans Entführung erscheint das Meer als strafende Instanz, welche die Besatzung mittels Sturm und Wellen drangsaliert, bis sich diese gezwun- gen sieht, ihre Geisel freizulassen. Sogleich legt sich der Sturm und es zeigt sich, dass das Meer das Schiff bis vor die Küste Cornwalls getrieben hat (vgl. GvS, 2 404ff). Im Gegensatz zu dieser als vorherbestimmt anmutenden Reise zu König Marke bestreitet Gottfried bei Tristans Fahrt nach Irland jeglichen höheren Plan.

ouch ist ez alwære, swer saget, daz Tristan ûf daz mer nâch wâne schiffete mit her und solte des niht nehmen war, wie lange er füere oder war, und wiste ouch niht, wen suochen. waz rach er an den buochen, 48

der diz hiez schrîben unde lesen? (GvS, 8 620)

Der durch Gottfried kritisierte Zufall, welcher Tristan geradewegs zu Isolde bringt, lässt sich unter anderem bei Bédier wie auch bei Eilhart finden, in deren Erzählungen Tristan, geschwächt durch eine vergiftete Wunde und sich seines sicheren Todes ge- wiss, sieben Tage und Nächte auf hoher See dahintreibt. Sein Harfenspiel, mit dem er sich abzulenken versucht, macht Fischer auf ihn aufmerksam, welche ihn zu Isolde bringen (vgl. JB, S. 24). Der Eindruck, der Ozean habe einen eigenen Willen, wird zusätzlich verstärkt, als Isolde das Meer für ihr Leid verantwortlich macht, wenn sie klagt: verflucht sei das Meer, das mich trägt! (JB, S. 49) Wie auch bei Hardt erscheint das Meer bei Bédier als Informationsträger, wenn Tristan die Reisenden eines Handelsschiffes aus Tintajôl nach dem Aufent- haltsort von Isolde und Brangäne fragt (vgl. JB, S. 203). Diese Szene scheint sich bei Hardt zu wiederholen, wobei es zu einem Austausch der handelnden Protagonisten kommt. Bei ihm ist es Isolde, die versucht, auf diesem Wege an Informationen zu gelangen (vgl. TdN, S. 21).

Neben seiner Rolle bei der Zusammenführung von Tristan und Isolde übernimmt das Meer auch am Ende der Handlung eine entscheidende Funktion, wenn die Königin auf einem Schiff zu ihrem Geliebten reist, um ihn zu retten. Das Motiv des schwar- zen und weißen Segels, durch welches Tristan die An- beziehungsweise Abwesenheit Isoldes auf dem Schiff signalisiert werden soll, ist im Tantris nicht nachweisbar, da die Handlung in Hardts - wie auch in Gottfrieds - Version bereits vor dieser den Tod von Tristan und Isolde einleitenden Szene endet. Als einziger Verweis darauf zeigt sich der Vergleich von Nacht und Tag mit einer Kette aus schwarzen und weißen Perlen, welche an Isolde vorbeirinnt (vgl. TdN, S. 10). Die aufgrund der Anspielung geringe Selektivität dieser Szene führt wiederum zu einer geringeren Kommunikati- vität, da die zur Reduktionsstufe gehörige Markierung ein höheres Maß an Vorwis- sen des Rezipienten erfordert.

Da die Elemente der Vorherbestimmung sowie der Metaphorisierung keiner einzel- nen Quellen angerechnet werden kann, erscheint die Ermittlung eines bestimmten Prätextes in Bezug auf die Meeresdarstellung nicht möglich. Einzig das Handels- schiff als Informationsträger kann als Anhaltspunkt dafür gewertet werden, dass

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Hardt sich hierbei eventuell an Bédier orientiert haben könnte. Ansonsten scheint es plausibel, sich erneut an der Systemreferenz zu orientieren und das Motiv dem My- thos an sich zuzuschreiben.

3.4.4 Waldleben Ein wichtiges, die version commune/primitive von der version courtoise unterschei- dendes Motiv stellt das Leben Tristans und Isoldes nach ihrer Flucht vor der Urteils- vollstreckung beziehungsweise der Verbannung durch Marke dar. In der version courtoise, welcher auch Gottfrieds Werk angehört, verweilen Tristan und seine Ge- liebte an einem sogenannten locus amoenus, einem paradiesisch anmutenden Ort, an welchem es den Geflohenen an nichts mangelt. Im Gegensatz dazu beschreibt die version commune/primitive das Leben im Wald als harte Prüfung, welche den Liebenden auferlegt wird. Letztere Form wird in der mittelalterlichen Literatur unter anderem durch den Roman Eilharts von Oberg vertreten (vgl. EvO, S. 74ff), dessen Inhalt sich an dieser Stelle mit jenem Bédiers deckt (vgl. JB, S. 101ff). Doch nicht nur der Komfort beziehungsweise die Härte des Waldlebens, son- dern auch die Begründung der Rückkehr an den Hof Markes bilden einen Unter- schied zwischen den beiden Versionen. Während bei Eilhart das Nachlassen der Trankwirkung ein längeres Verweilen unter den unwirtlichen Bedingungen unmög- lich macht (vgl. EvO, S. 77), erscheint bei Gottfried der Wunsch, wieder der höfi- schen Gesellschaft anzugehören, sowie der Erhalt der eigenen Ehre163 als zu stark.

Wie auch bei den meisten anderen Motiven zu erkennen ist, kommt es bei Ernst Hardt durch die Einführung des Waldlebens in einer Erinnerungssequenz zu einer starken Verkürzung der Szene, was jedoch auf deren Intensität keinerlei Einfluss hat. Hardt hält sich bei seiner Darstellung streng an die version commune/primitive und macht dies bereits zu Beginn des Dramas durch die Beschreibung, der Wald wirke fürchterlich, […] schwarz und schwer (TdN, S. 13), deutlich. Die darauf folgende Rückblende bestätigt die Anlehnung an das unter anderem von Eilhart beschriebene entbehrungsreiche Waldleben:

Dies der wilde, Grausame Wald, darinnen Ihr, Isote

163 Vgl. TOMASEK, S. 216. 50

Von Irland mit dem blonden Haar, und Euer Herr Tristan einst geflohen seid, wie müdes, Gehetztes Wild vorm Jäher flieht?! Es hängen Noch Fetzen wohl von Euren Tüchern im Geäst, und Blut von Euren Füßen färbt Die wirren Wurzeln noch! Dies war der Wald … (TdN, S. 14)

Diese Beschreibung alleine rechtfertigt bereits einen Ausschluss des Werkes Gott- frieds als Quelle für jenes Motiv. Das gesamte Drama Hardts zeichnet sich durch eine bedrückende Dunkelheit aus, in der ein heller, Sicherheit bietender Ort wie die Minnegrotte Gottfrieds keinen Platz finden kann. Somit dürften für die Beschreibung des Waldlebens einzig Bédier, Simrock oder Eilhart als Quelle Hardts fungiert ha- ben, wobei sich Simrock bei seiner Beschreibung des Waldlebens eher mit dem Nah- rungsmangel als mit der zerrissenen Kleidung der Flüchtenden auseinandersetzt (vgl. KS, S. 315ff). Bei Bédier hingegen erscheinen ihre [Tristans und Isoldes] magern Gesichter […] bleich, ihre Kleider zerfallen in Lumpen, zerrissen von den Brombeer- stauden. Sie lieben sich, sie leiden nicht. (JB, S. 101). Auch Eilhart spricht die zer- schlissenen Kleider der Liebenden an (vgl. EvO, S. 74). Diese Darstellungen decken sich zum Teil mit jener im Tantris, wenn die zerfetzten Tücher Isoldes beschrieben werden. Im Unterschied zu Hardt führen Tristan und Isolde in Bédiers Roman zwar ein entbehrungsreiches Leben, finden jedoch ihre Minnegrotte im Inneren ihrer Her- zen. Ihre Liebe hält das Leid von ihnen fern. Im Gegensatz dazu führt die zeitlich begrenzte Trankwirkung bei Eilhart nach vier Jahren dazu, dass Tristan und Isolde aufgrund ihrer nachlassenden Gefühle das harte Leben nicht mehr ertragen können (vgl. EvO, S. 77). Der Klausner Ugrim, der Tristan sein sündhaftes Leben vor Augen führen will (vgl. EvO, S. 76f), spielt dadurch eher eine Nebenrolle. Im Gegensatz zu Eilhart ist die Rückkehr der Liebenden bei Bédier haupt- sächlich durch den Einsiedler Ogrin motiviert, welcher Tristan seine Sünde, eine verheiratete Frau zu lieben, aufzeigt. Zu guter Letzt stellt Tristan fest, dass er der Königin durch seine Liebe einerseits ihr Recht auf ein Leben in Sicherheit und Reichtum verwehrt, andererseits erkennt er das Recht Markes auf Isolde an, welche dem König angetraut [ist] nach dem Gesetzte Roms, vor allen Edelleuten seines Landes (JB, S. 119). Die Aussparung der Rückkehr der Liebenden bei Hardt lässt in diesem Zusammenhang keine Vergleiche zu.

Eine weitere, während des Waldlebens eingeführte Handlung, welche in den Prätex- ten auf unterschiedliche Weise beschrieben wird, ist das Auffinden der Geliebten 51 durch den König. Marke wird auf das Versteck aufmerksam gemacht und beobachtet die schlafenden Liebenden. Da Tristan sein Schwert zwischen sich und Isolde gelegt hat, glaubt Marke an deren Treue.

Starr zwischen Ihren getrennten Leibern lag ein Schwert, Das scharfe Schwert Morholms … ich tauscht es leise Für meines aus und weinte wie ein Narr Ob ihrer Keuschheit! (TdN, S. 44)

Durch den hier dargestellten Schwerttausch, eine für die version commune/primitive typische Szene, werden die Liebenden auf die Anwesenheit einer dritten Person auf- merksam gemacht. Bédier beschreibt zusätzlich den Austausch der Ringe von Marke und Isolde sowie das Zurücklassen eines Handschuhs des Königs (vgl. JB, S. 114). Gottfried hingegen verzichtet in seinem Roman auf den Austausch der Waffen und lässt Marke das Fenster der Minnegrotte verdecken, um das Licht am Einfallen zu hindern (vgl. GvS, 17 612ff), was Tristan und Isolde ebenso warnt. Während Marke Isolde durch seine Handlung vor dem hellen Licht der Sonne schützen will, kann der Schwerttausch, welcher neben Bédier auch bei Eilhart (vgl. EvO, S. 75) und Simrock (vgl. KS, S. 320f) aufscheint, unter anderem als Zeichen der Vergebung interpretiert werden. Marke signalisiert Tristan seine Anwesenheit wie auch seine Möglichkeit, den Kontrahenten im Schlaf zu ermorden. Die Tatsache, dass Tristan am nächsten Morgen noch lebt, lässt die Verliebten auf eine sichere Rückkehr in ihr altes Leben hoffen. In jedem Fall wird das Eingreifen Markes als Störung der Liebenden gewer- tet. Es zeigt sich, dass eine absolute Abkehr von der Gesellschaft nicht möglich ist, was selbst über den locus amoenus Gottfrieds einen bedrohlichen Schatten wirft.

3.4.5 Vogelmotiv Ein bei Hardt häufig auftretendes Symbol ist jenes des Vogels. Obgleich Vogelna- men in nahezu allen Bearbeitungen des Tristan-und-Isolde-Mythos nachweisbar sind, erscheint die Häufigkeit der metaphorisch verwendeten Vogelnamen bei Hardt als äußerst auffällig.

Einer der bei Hardt des Öfteren erwähnter Vogel ist die Eule beziehungsweise der Kauz. Der Schrei der Eulen ist hierbei immer mit einer negativen Bedeutung behaf- tet. So spricht Isolde zu dem fremden Narren: Was singst du meinen Namen unauf- hörlich, / wie Eulen stöhnen, wenn sie hungrig sind, / du bleicher Narr? (TdN, S. 52

150) Auch wird der Ruf der Eule mit drohendem Unheil in Verbindung gebracht. So berichtet Paranis, bevor das Unglück im Drama seinen Lauf nimmt: […] die Eulen / Stöhnten im dröhnenden Gebälk wie Kranke / Tun! Gott, und Husdent! Höret ihr den Husdent? (TdN, S. 12)

Als literarisches Symbol wird der Eule sowohl eine positive als auch eine negative Bedeutung beigemessen. Bei Hardt symbolisiert sie jedoch durchwegs Unglück und Trauer. Bereits im alten Rom wurde der Klagelaut der Eule mit drohendem Unheil und dem nahenden Tod in Verbindung gebracht. Auch kann die Bezeichnung „ulula“ vom griechischen Wort „ololyzein“164 abgeleitet werden, was laut Dormann die Sinnbildhaftigkeit unterstreicht.165 Der Vergleich des Narren mit einer Eule lässt sich wiederum dadurch erklären, dass der Nachtvogel nicht nur als Sinnbild für Weisheit, sondern ebenso als Symbol für Torheit gilt. Hier wird die ursprüngliche antike Bedeutung ins Gegenteil verkehrt.

„Die Eule wird zum Sinnbild für Torheit, Unwissenheit und Unbelehrbarkeit. Hierfür relevant sind ihre Tagblindheit, Lichtscheu und die negative Konnota- tion von Finsternis bzw. Nacht, den Bereichen, denen die E[ule] zugerechnet wird.“166

Auch bei Bédier wird der Eule eine negative Bedeutung zugeschrieben, indem sie – in diesem Fall unter der Bezeichnung „Baumkauz“ - als Bote schlimmer Nachricht fungiert (vgl. JB, S. 181). Gleiches gilt auch für Bédiers den Tod verkündenden Meeradler167 (vgl. JB, S. 181), welcher bei Hardt jedoch nicht aufgegriffen wird.

Ein weiterer im Tantris erwähnter Vogel ist der Rabe. Er kann einerseits positiv als Symbol für Weisheit und Fürsorge, jedoch auch negativ für das Böse und Dämoni- sche herangezogen werden.168 Hardt verwendet den Vogel, wie bereits die Eule, in

164 Bedeutung: heulen, wehklagen. Vgl. Helga DORMANN: Eule. In: Metzler-Lexikon literarischer Symbole. Hrsg. von Günter Butzer. Stuttgart [u.a.]: Metzler 2008, S. 91f. 165 Vgl. Ebda. 166 Ebda. 167 Gleichbedeutend mit Seeadler. Das Meer wie auch der See oder Teich symbolisieren aufgrund der nicht ermessbaren Tiefe und deren Bezug zum Erdinneren (somit zum Reich der Toten) Gefahr und Tod. Der Meeradler/Seeadler fungiert hier anscheinend als dunkler Bote. See als Symbol für Tod: Vgl. Jörg SCHUSTER: See. In: Metzler-Lexikon literarischer Symbole. Hrsg. von Günter Butzer. Stuttgart [u.a.]: Metzler 2008, S. 344f. 168 Vgl. Gertrud Maria RÖSCH: Rabe. In: Metzler-Lexikon literarischer Symbole. Hrsg. von Günter Butzer. Stuttgart [u.a.]: Metzler 2008, S. 287f. 53 einem negativen Zusammenhang. So meint Isolde zum fremden Narren: Ich höre eines Raben Stimme / Und fühle einen kalten Hauch von fremden Gliedern, / So du in meiner Nähe glühst, du Blasser! (TdN, S. 152) Eine andere Bedeutung, die im Mittelalter gebräuchlich war, lässt sich ebenso mit obiger Szene in Verbindung bringen: Der Rabe steht hierbei für Treu- und Ehrlosig- keit.169 Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass sich Isolde trotz ihres Unvermö- gens, Tristan zu erkennen, im tiefsten Inneren der wahren Identität des fremden Nar- ren bewusst ist. Des Weiteren wird der Narr vom König als Galgenvogel bezeichnet. Neben dessen Bedeutung als Strolch und Taugenichts170 wird auch der Rabe mit dem Wort Galgenvogel betitelt, da er sich als Aasfresser häufig in der Nähe des Galgens auf- hielt.

Einen weiteren Aasfresser stellt der Geier dar, welcher als Symbol des Unheils und des Todes wie auch des räuberischen Verhaltens gilt. Grund für diese Deutung ist das Bild des am Himmel kreisenden, auf Aas lauernden Raubtieres171. Dadurch kann der Vergleich der Siechen mit dem Geier erklärt werden, als diese vor der Übergabe beim Siechengericht auf ihre Beute, die Königin, lauern. Auch stellt Isolde nach der Verkündigung des Urteils ihrem Gatten die Frage: Was du so liebst, das willst du vor die Geier werfen / als Fraß […]? (TdN, S. 59) Im Gegensatz dazu spricht Tristan bei Bédier wertfrei vom Geier als Jagdvogel (vgl. JB, S. 210). Schwerer zu interpretieren ist die Bezeichnung von Denovalin als „Geier- falke“. In der Literatur findet sich der Geierfalke bereits in der Alexanderdichtung172 wie auch in den Aufzeichnungen des Naturforschers Thomas von Cantimpré173. Hardt schreibt dem Greifvogel durch seinen Vergleich mit der Verräter-Figur eine eindeutig negative Bedeutung zu. Eine genaue Interpretation der Verwendung ist zwar nicht möglich, jedoch kann man davon ausgehen, dass der Wortteil „Geier“ als

169 Vgl. ebda. 170 Vgl. DUDEN, Die deutsche Rechtschreibung. 24., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Hrsg. von der Dudenredaktion. Bd. 1. Mannheim [u.a.]: Dudenverlag 2006, S. 430. 171 Vgl. Jörg ADAM: Geier. In: Metzler-Lexikon literarischer Symbole. Hrsg. von Günter Butzer. Stuttgart [u.a.]: Metzler 2008, S. 125. 172 Rita Boemke: Alexanders Ritterweihe vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Literatur. Ein antiker Stoff und seine literarische Aktualisierung. In: Alexanderdichtungen im MA. Kulturelle Selbstbestimmung im Kontext literarischer Beziehungen. Hrsg. v. Jan Cölln, Susanne Friede und Hartmut Wulfram. Göttingen: Wallstein 2003, S. 55. 173 Christian Hünemörder: Greifvögel. In: Lexikon des Mittelalters. Band 4. Erzkanzler bis Hiddensee. Hrsg. von Norbert Angermann; Robert Auty; Robert-Henri Bautier. München: Lexma 1989, S. 1696ff. 54 bedeutungsstiftend gesehen werden kann. Der zweite Wortteil „Falke“ steht im All- gemeinen für positive Eigenschaften wie Stärke und Mut und ist in der mittelalterli- chen Literatur oft Sinnbild des Helden beziehungsweise des Heldentums174. Die Be- zeichnung von Tristans Gegenspieler als „Geierfalke“ könnte Denovalin somit als negativen Helden/Krieger ausweisen. Zudem spiegelt sich neben der metaphorischen auch die zoologische Bedeutung des Geierfalken als Jäger in der Figur des Denovalin wider, wenn dieser Isolde fragt: Bin ich ein Geierfalke, daß Ihr schweigt, / so ich in Eurem Käfig bleib, Frau Isot? (TdN, S. 25) Auch Bédier verwendet die Metapher des Raubvogels im Käfig, um die Ge- fahr, die von einem Feind, in diesem Fall von Morholt, ausgeht, zu verdeutlichen: Sie schwiegen aber immer noch und der Morholt glich dem Geierfalken, den man in ei- nem Käfig mit kleinen Vögeln einsperrt: kommt er hinein, werden alle stumm. (JB, S. 17f). Dieser hohe Grad an Referenzialität lässt, zumindest in diesem Fall, auf Bédier als Prätext schließen. Dennoch erfordert das Zuordnen der Szene ein höheres Maß an Belesenheit des Rezipienten.

Im Gegensatz zu Hardt, welcher den Vögeln fast durchgehend eine negative Bedeu- tung beimisst, und Bédier, der zwischen positiver und negativer Symbolik abwech- selt, sind bei Gottfried die Vögel zumeist mit positiven Empfindungen verbunden. Der Gesang der Vögel dient in der Minnegrotten-Szene für Tristan und Isolde als Erheiterung:

Ir dienest was der vogele schal: diu kleine reine nahtegal, diu troschel unde daz merlîn und ander waltvogelîn; diu zîse und der galander die dienden wider ein ander enwette unde enwiderstrît. daz gesinde diende z’aller zît ir ôren unde ir sinne. (GvS, 16 891)

Eine negative Bedeutung im Zusammenhang mit Vögeln zeigt sich bei Gottfried hin- gegen beim sogenannten Leimrutengleichnis. Bei der Vogeljagd mittels Leimrute wurde das Tier mithilfe von Lockmitteln wie Futter oder Artgenossen auf die Leim-

174 Vgl. Susanne GRAMATZKI: Falke. In: Metzler-Lexikon literarischer Symbole. Hrsg. von Günter Butzer. Stuttgart [u.a.]: Metzler 2008, S. 95. 55 rute gelockt, wo es haften blieb175. Gottfried verwendet das Gleichnis zunächst in der Elternvorgeschichte (vgl. GvS, 841) und danach im Minnetrankkapitel, wenn Isolde vergeblich versucht, der mit Leim gleichgesetzten Liebe zu entkommen (vgl. GvS, 11 790ff). Im Vergleich scheint sich Hardt in Bezug auf die Vogelmotivik jedoch eher, wie an- hand der Beispiele ersichtlich, an Bédier orientiert zu haben, wobei die Symbolinten- sität im Drama deutlich verstärkt wurde.

3.4.6 Drachenkampf Der Drache stellt ein häufig wiederkehrendes Motive der mittelalterlichen Literatur dar. Auch wenn ihm im Allgemeinen eine positive wie auch eine negative Bedeutung beigemessen wird, steht das Fabelwesen im Mittelalter vorwiegend für das Böse, speziell für den Teufel. Der Sieg über den Drachen wird üblicherweise mit dem Er- werb eines Schatzes, oder, wie in vielen Fällen üblich, mit der Hand der schönen Geliebten entlohnt:

Neben dem Eingang des Drachen als Symbol des Heidentums in die Kreuz- zugsepik gehört [er] in der profanen mittelalterlichen Dichtung zum typischen Modell einer heroischen Biografie und dient dem Braut-, Hort-, Waffen- und Wissenserwerb oder als reine Mut- und Bewährungsprobe.176

So erhält auch Tristan durch seinen Kampf mit dem Drachen das Recht auf Isolde, welches er an Marke abtritt. Der rechtmäßige Sieg über das Ungeheuer legitimiert in späterer Folge auch den Treuebruch am König. Der Erwerb von Isoldes Hand durch die Beseitigung des Bösen erscheint so- wohl in Gottfrieds als auch in Bédiers Version des Mythos. Der Lohn besteht hier allerdings nicht nur im Gewinn der jungen Königin, sondern auch im Frieden zwi- schen den bisher verfeindeten Ländern. Der Drache dient einerseits der Bewährung des Helden, andererseits steht er, wie bereits erwähnt, in religiöser Hinsicht für den Teufel, den es zu überwinden gilt. So erscheint er auch in „Heiligenlegenden und spätmittelalterlichen geistlichen Spielen, in denen die Tötung des Drachen den Sieg des wahren Glaubens versinnbildlicht“177.

175 Vgl. S. Schwenk: Vogelfang. In: Lexikon des Mittelalters. Band 8. Stadt (Byzantinisches Reich) bis Werl. Hrsg. von Norbert Angermann; Robert Auty; Robert-Henri Bautier. München: Lexma 1997, S. 1810. 176 Claudia LAUER: Drache. In: Metzler-Lexikon literarischer Symbole. Hrsg. von Günter Butzer. Stuttgart [u.a.]: Metzler 2008, S. 69. 177 Ebda. 56

Bei Hardt scheint einzig diese Symbolik des Drachen auf, während der Drachen- kampf nicht in die Handlung des Dramas einfließt. Eine nähere Beschreibung, auf welche Weise Tristan die Hand Isoldes für sich beziehungsweise für König Marke gewinnt, fehlt im Werk. Stattdessen wird der Drachenkampf durch die Aussage eines Pferdeknechtes angedeutet, welcher meint, er habe den Heiligen Georg178 von der Burgmauer springen gesehen (vgl. TdN, S. 101f). Diese nur kurze Anspielung auf den Drachenkampf könnte sich unter anderem dadurch erklären lassen, dass die Darstel- lung der originalen Handlung auf einer Bühne nur schwer zu bewerkstelligen wäre. Eine wie das Waldleben oder der Liebestrank als Erinnerung abgehandelte Form des Motivs wäre zwar möglich gewesen, hätte für den Inhalt des Dramas an sich jedoch keine besondere Bedeutung gehabt. Die Darstellung Tristans als Drachentöter in Verbindung mit der Ermordung des Verräters Denovalin hingegen lässt den Schluss zu, dass letzterer für den das Böse repräsentierenden Wurm stehen könnte179, und dient somit zusätzlich der Charakterisierung des Rivalen.

Zwischen den ausgewählten Prätexten erscheint kein gravierender Unterschied in der Darstellung des Fabeltieres. Bei Gottfried wie auch bei Bédier handelt es sich bei dem Drachen um ein das Land tyrannisierendes Wesen, dessen Bezwinger sich die Hand der Tochter des Königs verdient. Die einzigartige Interpretation durch Hardt ermöglicht keine nähere Bestimmung der von ihm herangezogenen Quelle(n). Die Anspielung auf einen Drachen alleine zeigt lediglich eine Übereinstimmung mit dem Tristan-Mythos im Gesamten. Auch erfordert diese implizite Markierung mit ihrem geringeren Grad an Kommunikativität ein gewisses Maß an Vorwissen des Rezi- pienten, um den Heiligen mit dem Drachen in Verbindung setzen zu können.

178 Der heilige Georg, ein hochrangiger Kriegsmann aus Kappadonkien in Kleinasien, starb um 303 während der Verfolgung durch Diokletian den Märtyrertod. Durch die starke Legendenentwicklung geriet seine historische Persönlichkeit in Vergessenheit. Seine Verehrung kann ab dem 4. Jahrhundert belegt werden. In der morgenländischen Kirche als sogenannter Großmärtyrer verehrt, erreichte sein Kult durch Wallfahrten sowie Kreuzzüge ins Heilige Land die westliche Welt, wo er ab dem 12. Jahrhundert als berittener, gegen einen Drachen kämpfender Held Bekanntheit erlangte. Georg gilt als Patron der Ritter und Krieger und zählt zu den 14 Nothelfern. Seit dem 13. Jahrhundert ist er auch Patron von England und gilt als der „meistverehrte Märtyrer des christlichen Altertums und Mittelalters.“ In: BIOGRAPHISCH-BIBLIOGRAPHISCHES KIRCHENLEXIKON. Bd. 2. Faustus von Mileve – Jeanne d’Arc. Hrsg. von Friedrich Wilhelm Bautz. Fortgef. von Traugott Bautz. Herzberg: Traugott Bautz 1990, S. 208. 179 Vgl. Kapitel 3.5.5 Denovalin 57

3.4.7 Haarszene Die Haarszene wie auch das Drachenmotiv fügt dem Tristan-Isolde-Mythos eine märchenhafte, phantastische Komponente hinzu. Während der Drache noch als Selbstverständlichkeit in die unterschiedlichsten Versionen aufgenommen wurde, kommt es bei der sogenannten „Schwalbenhaarszene“ bereits im Mittelalter zu Mei- nungsverschiedenheiten zwischen den Autoren. Eilhart, ein Verfechter jener eher märchenhaft anmutenden Sequenz, berichtet von zwei Schwalben, welche ein Haar von Isolde im Schnabel tragen. Marke entscheidet daraufhin, dass er nur jene Frau zu seiner Gemahlin erwählen würde, welcher dieses Haar gehört (vgl. EvO, S. 22ff). Dieser Teil des Mythos wie auch die darauffolgende zufällige Ankunft Tristans in Irland wird von Gottfried als dummes Gerede abgetan, wenn er meint: weiz got, hie spellet sich der leich, / hie líspét daz mære (GvS, 8 618). Nach Gottfried entscheidet sich Marke aufgrund von Tristans Erzählungen für Isolde, weil er erfährt, ir schoéné diu schœnet, / sie zieret unde kœnet / wîp unde wîplîchen namen (GvS, 8 301). Daraufhin begibt sich Tristan wissentlich auf die Reise zurück nach Irland, um die Hand der zukünftigen Gemahlin seines Onkels zu gewinnen. Im Gegensatz zu Gottfried schließt sich Bédier der Version Eilharts an, wenn er berichtet, den Schnäbeln der Schwalben sei ein langes Frauenhaar entfallen, fei- ner als ein Seidenfaden, das wie ein Sonnenstrahl glänzte (JB, S. 29).

Ernst Hardt erwähnt in seinem Drama ebenfalls ein Haar, welches Marke, in einer Kapsel verwahrt, um seinen Hals trägt (vgl. TdN, S. 24). Der König erklärt den An- wesenden, er habe das Haar einst von Tristan bekommen, wodurch anzunehmen ist, dass sich Hardt bei seiner Erzählung nicht direkt an der Schwalbenhaarszene der version commune/primitive orientiert hat. Eine Möglichkeit wäre, dass sich Hardt in seinem Drama absichtlich von den märchenhaft anmutenden Episoden distanziert. Dies wäre auch eine weitere Erklärung für die Einführung des Heiligen Georg180 an- stelle des in sämtlichen Varianten des Mythos beschriebenen Drachenkampfes. An- dererseits wäre es hier wie auch im Falle des Drachenmotives möglich, dass Hardt seinem Publikum ein gewisses Maß an Vorwissen bezüglich dieser Szenen abver- langt, was eine Auslassung beziehungsweise radikale Kürzung derselben erklären könnte. Prinzipiell erscheint es verwunderlich, dass ausgerechnet dieser Dramatiker, welcher auffallend häufig die verschiedensten Vogelarten in metaphorischer Weise

180 Vgl. Kapitel 3.4.6 Drachenkampf 58 in sein Drama integriert181, ausgerechnet eine in der Geschichte des Mythos so häufig aufgegriffene Vogelszene nur durch eine Anspielung erwähnt. Obgleich sich daraus die Vermutung ergeben könnte, dass Hardt damit ein deutliches Zeichen gegen die so umstrittene Schwalbenhaarszene setzen wollte, kann diese Annahme nicht belegt werden. Da sich in der version courtoise keine Anspielung auf ein Haar Isoldes finden lässt, erscheint es plausibel, dass sich Hardt trotzdem an der version commune/primitiv orientiert hat. Eine genauere Zuordnung eines bestimmten Prä- textes ist nicht möglich, da durch die geringe Selektivität dieser Szene ein genauerer Vergleich des Handlungsablaufes des Dramas mit den Prätexten verhindert wird.

3.4.8 Gottes- und Todesurteil Die Rechtsprechung nimmt im Tristan- und Isolde-Mythos im Allgemeinen wie auch in Hardts Tantris im Besonderen eine wichtige Rolle ein. Gottfried greift bei der Darstellung des Gottesurteils auf Thomas von Britanje als Quelle zurück, wel- cher diese Thematik erstmals in der deutschen Literatur behandelt.182 Bei diesen Ritualen handelt es sich jedoch nicht um die Erfindung der Autoren, sondern um historisch belegte Prüfungen, bei denen das Feuerordal häufig zu tragen kam.183 Als zuständige Gerichtsbarkeit bei einem Vergehen wie dem Ehebruch, welcher auch Isolde zur Last gelegt wird, fungierte im Normalfall das geistliche Gericht. Durch den Treuebruch gegen den König selbst entwickelt sich der Fall zusätzlich zu einer „Angelegenheit der Reichsgerichtsbarkeit“184.

Die Problematik des Gottesurteils, dass Schuld beziehungsweise Unschuld nicht im- mer einwandfrei bestätigt werden konnten, war in der Zeit des Mittelalters ein viel- diskutiertes Thema. Die Kritik am Gottesurteil war jedoch insofern delikat, als sie sich auch leicht zu einer Kritik gegen Gott selbst wandeln konnte. Teilweise galt da- her die Überzeugung, dass das Urteil an sich unfehlbar sei, aber bestimmte Gründe dazu führen konnten, dass Unschuldige schuldig gesprochen wurden und umgekehrt. Ersteres ließe sich damit erklären, dass die Beschuldigten, welche „des angeklagten Verbrechens tatsächlich unschuldig waren, aufgrund anderer Vergehen und Sünden

181 Vgl. Kapitel 3.4.5 Vogelmotiv 182 Vgl. Rosemary Norah COMBRIDGE: Das Recht im ‚Tristan‘ Gottfrieds von Strassburg. 2., überarb. Auflage. Hrsg. von Wolfgang Binder [u.a.]. Berlin: Erich Schmidt 1964. (= Philologische Studien und Quellen. 15.) S. 83. 183 Combridge führt in diesem Zusammenhang die Prüfungen mehrerer belegter Fürstinnen wie Theutberga sowie der Kaiserin Kunigunde an. Vgl. ebda, S. 83f. 184 Ebda, S. 86. 59 für schuldig befunden worden seien“185. Letzteres, also die Freisprechung Schuldi- ger, ließe sich durch den Einfluss von Dämonen und Magie, wie auch „durch Listen von Probanden, deren Verwendung bisweilen auch urkundlich bezeugt ist“186, erklä- ren. Zu dieser Form der Täuschung zählte unter anderem das vor der Feuerprobe praktizierte Einreiben der durch die Hitze gefährdeten Stellen mit bestimmten Sal- ben187.

Im Gegensatz zu jenen Personen, die Gottes Unfehlbarkeit durch oben genannte Er- klärungen weiterhin untermauern wollten, stellt Gottfried in seinem Werk fest, daz der vil tugenthafte Krist / wintschaffen alse ein ermel ist. (GvS, 15 739)

er füeget unde suochet an, dâ man’z an in gesuochen kann, alsô gefüege und alse wol, als er von allem rehte sol. er‘st allen hérzén bereit, ze durnähte und ze trügeheit. (GvS, 15 741)

Da im gesamten Tristan-Isolde-Mythos keine weltliche Erklärung wie die Verwen- dung von Hilfsmitteln, beispielsweise Salben, gefunden werden kann, lässt das be- standene Feuerornat die Überlegung zu, dass Gott die Beziehung zwischen Tristan und Isolde gutheißt und somit die wahre Liebe über den heiligen Bund der Ehe stellt. Andererseits lässt sich der Ausgang des Gottesurteils ebenso damit erklären, dass Isolde ja die Wahrheit spricht, jedoch so gekonnt versteckt, dass niemand die wahre Bedeutung des Gesagten versteht188. Auch in anderen Situationen, in denen das Un- heil wie durch ein Wunder noch rechtzeitig verhindert werden kann, wie in der Baumgartenszene, in der die Liebenden bemerken, dass sie beobachtet werden (vgl. JB, S. 73ff), oder dem Kapellensprung, welcher Tristan eigentlich das Leben hätte kosten müssen (vgl. JB, S. 90ff), wird im Mythos das Eingreifen Gottes vermutet.

Bei Hardt spielt die Errettung durch Gott ebenso eine große Rolle. So scheint das Überleben Tristans nach dem Sprung von der Mauer (vgl. TdN, S. 102) wie auch der

185 Daniela KARNER: Täuschung in Gottes Namen. Fallstudie zur poetischen Unterlaufung von Gottesurteilen in Hartmanns von Aue „Iwein“, Gottfrieds von Straßburg „Tristan“, Des Strickers „Das heiße Eisen“ und Konrads von Würzburg „Engelhard“. Frankfurt am Main [u.a.]: Peter Lang 2010. (= Mediävistik zwischen Forschung, Lehre und Öffentlichkeit. Hrsg. von Wernfried Hofmeister. 5.) S. 35. 186 Ebda. 187 Vgl. ebda, S. 36. 188 Vgl. Kapitel 3.5.2.1 Doppelrede 60

Tod Denovalins (vgl. TdN, S. 97) von Gott gewollt zu sein. Wie schon bei Gottfried wird jedoch auch bei Hardt das Handeln Gottes teilweise kritisiert. So spricht Deno- valin, als Isolde ihm vorwirft, das Gottesurteil des glühenden Eisens anzuzweifeln: Ihr mögt Gott betrügen, Frau Isolde, /Doch ich und ihr, wir wollen voreinander / Ehrlich wie Feinde sein. (TdN, S. 28) Obgleich Marke ebenso wie Denovalin Isoldes Lügen von Beginn des Dramas an erkennt, spricht er ihr dennoch eine Verbindung zu Gott zu, da er sich die Vorkommnisse nicht mehr auf andere Weise erklären kann. Er befiehlt seinen Untertanen, sie sollen vor Isolde niederknien und beten, sollte sie zu ihnen sprechen, denn irgend / Etwas ist heilig wohl an ihr, da Gott / Sie liebt! (TdN, S. 98). Diese Darstellung könnte wiederum dafür sprechen, dass Hardt einen Gott zeichnet, der die Liebe zwischen Isolde und Tristan gutheißt und schützt.

Bei bestätigter Schuld des Angeklagten folgte auf das Gottesurteil die Bestrafung. In diesem Abschnitt sollen die im Tristan vorkommende Strafe der Verbannung sowie das Todesurteil - in Hardts Drama durch das Siechengericht wie auch den Feuertod vertreten - in Augenschein genommen werden. Das Todesurteil an sich, welches nur in der version commune/primitive auftaucht, findet in Gottfrieds Tristan keinerlei Erwähnung, weshalb die Figur des Marke hier als auffallend gnädig und gutmütig erscheint, was generell die version courtoise auszeichnet. Entsprechend „milde“ fällt auch die Strafe für den Betrug aus, indem der Marke Gottfrieds die Liebenden vom Hofe verbannt, wodurch das Minnegrotte-Kapitel eingeleitet wird (vgl. GvS, 16 607). Dass Marke gütiger handelt, als in dieser Situation erwartet werden könnte, wird auch durch eine Aussage des Königs selbst deutlich, wenn er meint: ouch enwíl ich mich […] / an iu sô sêre rechen niht, / als ich von rehte solte, ob ich mich rechen wolte. (GvS, 16 587) Im Gegensatz dazu erscheint in Bédiers Roman die Verurteilung Tristans und Isoldes, den Feuertod zu erleiden, selbst für die Untertanen des Königs als zu brutal wie auch zu spontan. Ihre Bitten, vor der Hinrichtung Beweise vorzubringen und den Beschuldigten die Möglichkeit der Verteidigung zu gewähren, schmettert der König mit den Worten ab: Nein![K]ein Aufschub und keine Gnade, kein Urteil und kein Gericht! (JB , 89) Daraufhin setzt er den Meinungsäußerungen ein Ende, indem er jedem, der noch etwas zu der Sache zu sagen hätte, ebenso mit dem Tode droht, was zur Folge hat, dass er von seinem Seneschall Dinas von Lidan verlassen wird (vgl. JB, S. 96.) Im letzten Moment gelingt Tristan durch den Sprung aus dem Kapellen-

61 fenster die Flucht. Die Hinrichtung Isoldes wird nur aufgrund des Auftauchens von Ywân und seinen Aussätzigen verhindert, welche Marke vorschlagen, die Strafe für Isolde noch zu erhöhen und sie den Siechen als Geschenk zu übergeben (vgl. JB, S. 97). Zeigte bereits das Todesurteil am Scheiterhaufen die starke Ausprägung der kaltblütigen Seite Markes auf, erscheint diese Handlung dem Rezipienten als absolut unverzeihlich. Die Grausamkeit der Tat wird durch Isoldes Flehen unterstrichen: Mitleid, Herr, verbrennt mich lieber, verbrennt mich! (JB, S. 98) Nach dem beherz- ten Eingreifen Tristans gelingt es den Liebenden schließlich, in den Wald zu fliehen.

Das Vorkommen des Todesurteils wie auch des Siechengerichts in Hardts Tantris verweist in Bezug auf die Gerichtsbarkeit eindeutig auf die version com- mune/primitive. Neben der Narrenszene stellt das Siechengericht eine der am aus- führlichsten behandelten Szenen in Hardts Drama dar. Hardt sieht in dem Verhalten Markes einen Kampf gegen Gott, da dieser die Verbindung zwischen Tristan und Isolde gutheißt und beschützt.

„In dieser Auffassung eines Kampfes wider Gott, die der Sage allerdings ein neues moralisches Gesicht verleiht, schien mir nichts psychologisch ergründen- der, denn das wahnwitzige Unterfangen Markes, eines der schönsten Werke die- ses ihm feindlichen Gottes zu schänden.“189

Dies erklärt die große Aufmerksamkeit, die Hardt dem Siechengericht schenkt, durch welches Marke die Reinheit Isoldes zu zerstören sucht. Vor der Urteilsverkündung lässt Hardt die versuchte Hinrichtung Isoldes auf dem Scheiterhaufen im Zuge eines Streitgespräches wieder aufleben. Hierbei wird Denovalin durch Isolde als Verräter identifiziert. Einzig Gottes Eingreifen sei es zu verdanken, dass die Königin vor dem Flammentod gerettet worden war (vgl. TdN, S. 27). Deutlicher wird dieses Wunder durch Marke dargestellt, der den Baronen erklärt, Gott habe den Scheiterhaufen aus- geblasen (vgl. TdN, S. 43). Bereits nach dieser Errettung fliehen Tristan und Isolde in den Wald von Morois, was jedoch ebenso wie die versuchte Urteilsvollstreckung nur kurz Erwähnung findet (vgl. TdN, S. 43). Im Gegensatz zu Bédier kommt es nicht direkt im Anschluss an den verhinderten Feuertod zum Siechengericht. Auch wird das Urteil bei Hardt nicht durch das zufällige Auftauchen von Ywân beeinflusst. Marke reagiert hier selbstständiger und weniger unbedacht als im Prätext. Da seine

189 HARDT, S. 45. 62

Untertanen seine Pläne, Isolde zu töten, verurteilen, pocht er auf sein Recht als Ehe- mann: Wenn sie nicht sterben soll, so will ich sie / Verschenken. Dies darf ich wohl, ihr Herrn, / Denn ich bin Marke, ihr rechtmäßiger / Gemahl. (TdN, S. 57). Daraufhin wird Marke von allen Baronen verlassen, einzig Denovalin bietet ihm an, zu bleiben. Der rasenden König vertreibt ihn jedoch aus der Burg (vgl. TdN, S. 59). Das Sie- chengericht wird anschließend durch das Eingreifen Tristans vereitelt. Da Marke der Königin einen kleinen Teil ihrer Ehre bewahren will, lässt er die Übergabe an die Aussätzigen in Abwesenheit jeglicher anderer Personen geschehen, weshalb auf- grund der fehlenden Zeugen kurz nach dem Auffinden der unversehrten Königin das Gerücht aufkommt, Gott hätte sie vor den Siechen errettet.

Die unterschiedliche Härte der Verurteilungen und damit die Charakterisierung des Königs stellen einen der wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Versionen und damit einhergehend zwischen den ausgewählten Prätexten dar. Das in der ver- sion courtoise ausgesparte Todesurteil und dessen zentrale Position in Hardts Drama weisen somit auf eine vorwiegende Verwendung eines der Eilhart-Tradition ent- springenden Textes als Prätext hin. Dies lässt jedoch nicht automatisch den Aus- schluss des Gottfried’schen Textes als zusätzliche Quelle zu, da der Charakter Mar- kes in Hardts Tantris einen großen Facettenreichtum aufweist, welcher auf eine Vermischung beider Prätexte und somit beider Versionen hindeutet190.

3.4.9 Der Hemdtausch Das reine weiße Hemd als Symbol für die Jungfräulichkeit scheint bei Gottfried wie auch in der Eilhart-Tradition gleichermaßen auf. Isolde ängstigt sich vor der Entdeckung ihrer verlorenen Unschuld und bittet Brangäne, sie in der Hochzeitsnacht zu vertreten. Brangäne willigt ein, da sie sich für das geschehene Unheil verantwort- lich fühlt (vgl. GvS, 12 468). Auch bei Bédier nimmt sie Isoldes Platz im Ehebett ein und opfert somit zur Sühne für die schlechte Obhut […] die Reinheit ihres Leibes (JB, S. 56). Nach dem Vollzug der Ehe in der ersten Nacht wird das Thema des heimlichen Austausches im Mythos erst wieder aufgegriffen, als Isolde Brangäne ermorden lassen will. Brangäne spricht vor ihren Mördern den Gefallen, den sie ihrer Herrin in jener Nacht tat, nicht direkt an, um das Geheimnis auch weiterhin zu be- wahren. Stattdessen berichtet sie, dass beide Frauen bei ihrer Abreise je ein weißes

190 Vgl. Kapitel 3.5.3 König Marke 63 reines Hemd bei sich hatten, welches sich bei Isolde jedoch auf der Fahrt abnutzte. Um vor ihrem König in aller Pracht erscheinen zu können, bot ihr Brangäne ihr eige- nes, noch reines Hemd an. Die Mörder, die es nicht übers Herz bringen, die junge Frau zu beseitigen, erzählen Isolde Brangänes Geschichte. Die Tatsache, dass Bran- gäne nicht einmal im Angesicht des Todes ihre Herrin verraten hatte, lässt die Köni- gin wieder zur Besinnung kommen (vgl. JB, S. 61; GvS, 12 888).

Während in den Prätexten das Motiv des Hemdtausches im Zuge der versuchten Er- mordung Brangänes angesprochen wird, lässt Hardt dieses Thema bei einem Ge- spräch in Isoldes Gemächern wieder aufleben. Als sich Brangäne die Schuld für das Leid der Königin gibt, spricht diese:

Als du mir einst dein weiß Hochzeitlich Hemde liehst zu meiner Brautnacht Mit Marke, weil das meine schon zerrissen Nach Kurnwal kam, da hast du wettgemacht Getreu, was du vordem vielleicht versahst Als meine Hüterin. (TdN, S. 20)

In dieser Passage stellt sich jedoch die Frage nach der Sinnhaftigkeit der verhüllten Ausdrucksweise, da sich Isolde und Brangäne alleine in den königlichen Gemächern befinden. Auch deutet nichts auf die Gefahr des Belauscht-Werdens durch feindlich gesonnene Personen hin, weshalb die Frauen unter normalen Umständen das Thema offen ansprechen könnten. Diese Tatsache könnte natürlich darauf schließen lassen, dass Hardt die Hemdtausch-Szene wörtlich aufnehmen wollte, was jedoch aufgrund der ansonsten adaptierenden Transformation sämtlicher im Mythos auftretender Mo- tive nahezu ausgeschlossen werden kann. Naheliegender wäre es, dass Hardt in Hin- blick auf dieses Motiv auf das Vorwissen der Rezipienten baut. Eine nähere Be- schreibung der Hochzeitsnacht wäre auch unpassend, da der Dramatiker sich größ- tenteils von sexuellen Themen distanziert und die a-sexuelle Liebe in den Vorder- grund stellt. Dies erscheint im Sinne des Stückes, da Isolde während der gesamten Handlung glaubt, weit von ihrem Geliebten entfernt zu sein, weshalb die seelische die körperliche Liebe ersetzt. Eine weitere plausible Begründung bietet die Charak- terdarstellung Isoldes. Das Leid der Königin alleine schwächt bereits den Verrat am König ab. Durch das nur indirekte Erwähnen der vertauschten Braut stellt Hardt zu- sätzlich die List Isoldes in den Hinter- sowie ihre bedingungslose Freundschaft zu

64 ihrer Dame Brangäne in den Vordergrund und ermöglicht ihr auch im moralischen Sinne, weiterhin ein reines Hemd zu tragen. Diese letzte Möglichkeit zur Erklärung der Ausdrucksweise Hardts in Bezug auf den Hemdtausch erscheint besonders glaubhaft, da sie sich auch auf eine weitere Besonderheit, die diese Szene betrifft, anwenden lässt. So erwähnt Hardt mit keinem Wort den Mordanschlag an Brangäne, was ebenso dazu führt, dass Isoldes Unschuld gewahrt bleibt.

In Bezug auf die Prätexte lässt sich die von Hardt erwähnte Szene nicht näher ein- ordnen, da es hier auch zwischen den beiden Versionen keinen erkennbaren Unter- schied gibt. Die Szene scheint ein fester Bestandteil des gesamten Mythos zu sein, weshalb eine Beziehung zwischen Hardts Drama und einem Einzeltext nicht nach- gewiesen werden kann. Zusätzlich führt die im Verlauf der Szene nicht aufgelöste Metaphorisierung des Brauttausches zu einer geringen Kommunikativität, wodurch dem textunkundigen Rezipienten die wahre Bedeutung der getauschten Hemden ver- borgen bleibt.

3.5 Figurenanalyse Nach der intertextuellen Analyse der durch Hardt aufgegriffenen Motive sollen im folgenden Kapitel die wichtigsten im Drama auftretenden Figuren mit jenen aus den Prätexten verglichen werden, wobei die Schreibweise der Namen auf das jeweils im Fokus liegende Werk abgestimmt wird. Die intertextuelle Markierung erfolgt in Be- zug auf die Figuren größtenteils durch onomastische Signale, die von Helbig als Re- used Figures bezeichnet und im Verlauf des Werkes fast durchgehend in ihrem ur- sprünglichen Kontext belassen werden. Einzig im Fall des Narren Ugrin wird der im Mythos bereits existierende Name in einem neuen Kontext wieder aufgegriffen. Durch die Übernahme der Namen wie auch der Handlungsabläufe gehört diese Form der Markiertheit der Vollstufe an und ist somit explizit, wodurch ein hoher Grad an Kommunikativität erreicht wird.

3.5.1 Tristan Bei der Beschreibung der Figur des Tristan richtet sich der Fokus je nach verwende- ter Version auf unterschiedliche charakteristische Bereiche. Während in der version commune/primitive die kriegerische Seite des Helden in den Vordergrund gerückt

65 wird, konzentriert sich die version courtoise in stärkerer Form auf die höfischen so- wie ästhetischen Aspekte der Figur. So wird bei Gottfried einerseits die außerge- wöhnliche Schönheit Tristans erwähnt, andererseits werden sein Wissen wie auch seine Fähigkeiten, beispielsweise seine Kenntnisse in Literatur und Sprache, seine überdurchschnittliche Musikalität wie auch sein Talent in sportlicher und jagdtechni- scher Hinsicht, hervorgehoben.191 Tristans kriegerische Vorzüge werden zwar er- wähnt, erscheinen jedoch eher zweitrangig.

Im Gegensatz zu Gottfried lässt sich Bédier in Hinblick auf die Tristandarstellung eher der version commune/primitiv zuordnen, da er Tristan zwar als höfisch gebilde- ten, jedoch vorwiegend kriegerischen jungen Mann darstellt, der seinen Feinden ge- genüber kein Erbarmen kennt. Dies wird deutlich, als Tristan Denovalin im Wald antrifft und tötet.

Er [Denovalin] fiel vom Pferd, Tristan hieb ihm den Kopf ab, schnitt die Flechten ab, die um sein Gesicht hingen, und steckte sie in seinen Schuh: er wollte sie Isolde zeigen und damit das Herz seiner Freundin entzücken. (JB, S. 153)

Die rohe Brutalität dieser Tat wie auch das Geschenk für Isolde zeigen keinerlei Ge- meinsamkeiten mit dem Verhalten des künstlerisch begabten, einfühlsamen jungen Mannes aus Gottfrieds Roman.

Obwohl durch die Kürze der dargestellten Handlung die Charakterisierung wie auch die Darstellung der charakterlichen Weiterentwicklung einer Person erschwert wer- den, zeigt sich, dass sich Hardt in seinem Drama bei der Personendarstellung Tris- tans vorrangig durch die version commune/primitive beeinflussen ließ. Im Vorder- grund stehen Tristans List sowie sein Kampfesmut, als er sich zunächst in Markes Burg einschleicht, wo er sich ohne Unterstützung einer Horde von Siechen stellt.

Der fremde Sieche reißt dem blöden Siechen die Krücke fort, so daß er stürzt, schlägt den Iwein zu Boden und fährt mit wuchtigen Hieben in den Haufen hin- ein, in der linken Hand ein Schwert haltend, das sein Mantel verbarg und des- sen er sich nicht bedient. (TdN, S. 83)

191 Vgl. Gisela HOLLANDT: Die Hauptgestalten in Gottfrieds Tristan. Wesenszüge – Handlungsfunktion – Motiv der List. Hrsg. von Wolfgang Binder; Hugo Moser; Karl Stackmann. Berlin: Schmidt 1966. (= Philologische Studien und Quellen. 30.) S. 81. 66

Auf diesen Kampf folgt die letzte Begegnung zwischen Tristan und Denovalin, wel- che mit dem Tod des Barons endet. Die Tötung Denovalins erfolgt ohne nähere Be- schreibung der Szene. Als der Verräter Tristans Namen ruft, meint dieser nur: Er- kennst du ihn am Stoß! Gott sei mir gnädig. (TdN, S. 92)

Tristans Schönheit, Intelligenz und Kampfgewandtheit werden im Mythos von einer tiefsitzenden Identitätsproblematik überschattet. Bei Gottfried zeigt sich der Hinter- grund dieser Unsicherheit besonders durch die familiären Verhältnisse, in denen Tristan aufwächst. Nach dem Tod seines Vaters Riwalin und seiner Mutter Blan- scheflur wird Tristan von Rual li Foitenant, einem Marschall des Königs, und dessen Frau Floraete als ihr eigenes Kind aufgenommen, um den Knaben vor seinen Feinden zu schützen. Erst im Reich von König Marke erfährt Tristan von seiner wahren Iden- tität. Als der König Rual nach seinem Sohn fragt, antwortet dieser in Anwesenheit des Jungen: Nein, hêrre, er bestât mich niht, / wan alse vil ich bin sîn man (GvS, 4 142). Als Tristan dies erfährt, fühlt er sich innerlich zerrissen und von seinen Ver- trauten verlassen:

ich hœre mînen vater sagen, mîn vater der sî lange erslagen. hie mite verzîhet e sich mîn, sus muoz ich âne vater sîn, zweier väter, die ich gewunnen hân. â, vater unde vaterwân, wie sît ir mir alsus benomen! an den ich jach, mir wære komen ein vater, an dem selben man da verlíuse ich zwêne vätere an, in unde den ich nie gesach. (GvS, 4 365)

Obwohl er quasi zwei Väter hat, fühlt er sich vaterlos. Dieser Verlust der Zugehörig- keit wird auch jedes Mal deutlich, wenn Tristan eine andere Identität annimmt, um seine Umgebung zu täuschen. Es scheint, als würde ihm dieses Versteckspiel so gut gelingen, da er sich selbst als leere Hülle sieht, die beliebig gefüllt werden kann. So tritt er in den verschiedensten Rollen, wie zum Beispiel als Aussätziger, Narr oder Spielmann auf, welche, wie Peter Stein in seinen Tristanstudien ausführt, eines ge- meinsam haben: „Die Verkleidungen evozieren Rollen am Rande und außerhalb des sozialen Bereichs der literarischen wie realen höfischen Adelsgesellschaft, geradezu

67

Außenseiterpositionen“192. Die Identitätsdiffusion des Protagonisten gipfelt im Na- men Tantris, welcher Tristans innere Zerrissenheit am deutlichsten symbolisiert. Bei Gottfried sowie bei Eilhart gibt sich Tristan als Tantris aus, als er nach dem Kampf gegen Morold schwer verwundet in Irland erscheint (vgl. GvS, 7 791). Doch ist es auch dieser Name, der Tristan endgültig verrät. Die Tatwaffe in Kombination mit den verdrehten Silben, welche von Isolde erkannt werden, führen zur Aufdeckung seiner wahren Identität. Die Wahl des Pseudonyms wird in der Forschung unter an- derem als eine Form der „mutwilligen Selbstgefährdung“193 beschrieben. Hollandt hingegen ist der Meinung, der Name habe rein der Verschleierung der Identität ge- dient, was jedoch durch Isoldes Intelligenz zunichte gemacht wurde.194

Am deutlichsten wird die Symbolhaftigkeit des Namens Tantris bei Hardt. Tristan behauptet, er hätte seinen Namen veruntreut. Dieser Verlust durch Untreue wird be- reits in der Beschreibung der Trankwirkung angesprochen, wenn es heißt: Doch wer den Trank […] treulos ausspeit, soll sein ein herrenlos und fremd Gewürm […]. (TdN, S. 31.) Durch seinen Treuebruch, die Heirat mit Isolde Weißhand, verliert Tristan seine Identität. Er trägt nun die Maske des Verrates, wodurch ihn Isolde nicht mehr erkennt (vgl. TdN, S. 90). Dies drückt er mit dem Verlust seines Namens aus:

Ich trug wohl früher einen [Namen], hell und klingend, Den hab ich nun zerbrochen und vertauscht. Ich brach ihn mitten durch und warf die Stücke Hoch in die Luft und fing und warf sie wieder […] Sie sind zuletzt verkehrt in meine Hand Zurückgefallen und nun festgefügt Zu einem Namen, der kein Name ist. Ihr sollt mich fortan Tantris nennen! (TdN, S. 128.)

Im Gegensatz zu Gottfrieds Roman wird hier das Wortspiel nicht durch Isolde, son- dern durch den Narren Ugrin195 sofort durchschaut, was jedoch von Marke und den Anwesenden aufgrund von Tristans Rolle als Narr nicht ernst genommen wird.

Auch in der Verkleidung als Aussätziger wird Tristan von Isolde nicht erkannt, ob- gleich er hier bereits eindeutig auf seine wahre Identität verweist, wenn er sich selbst

192 STEIN, S. 60. 193 HOLLANDT, S. 121. 194 Vgl. ebda. 195 Vgl. Kapitel 3.3 Inhalt und Aufbau des Dramas 68 als der Traurige (TdN, S. 80) bezeichnet. Sparre ist hier der Meinung, dass „Tristans Aussätzigkeit […] zum Symbol der inneren Entstelltheit“196 wird. Einzig Denovalin ist in der Lage, den Helden zu erkennen. Durch seinen Verrat gezeichnet kann Tris- tan nur durch einen anderen Verräter entlarvt werden.

3.5.2 Isolde Tristans Geliebte bekleidet im Mythos eine äußerst widersprüchliche Rolle. Sie ist Tristan in Schönheit und Intelligenz ebenbürtig, was ihre Beziehung zusätzlich zu rechtfertigen scheint. Isoldes Tugenden sind weit über ihr Reich hinaus bekannt. Sie beherrscht mehrere Fremdsprachen und Instrumente, besitzt einen wendigen Verstand und ist von unglaublicher Schönheit und Lieblichkeit (vgl. GvS, 7 985). Die Einnahme des Trankes jedoch verändert Isoldes Verhalten stark, was sich durch ihre Entschlossenheit, die Liebesbeziehung zu Tristan mit allen Mitteln aufrechtzuerhal- ten, zeigt.197 Dies wird auch von Gottfried hervorgehoben, wenn er meint:

Sô minne an tumben kinden Ir spil gerâtet vinden, sô mugen wir an den kinden witz‘ unde liste vinden.(GvS, 12 435)

Ihre Entschlossenheit zeigt sich in der Bereitschaft, ihren Ehemann zu hintergehen, wie auch in der durch Angst entstandenen Brutalität gegenüber ihren Untergebenen. Der Betrug am König durch das Unterschieben einer anderen Frau in der Hochzeits- nacht198 lässt sich, obgleich es sich dabei um Hochverrat handelt, anhand der Ausweglosigkeit der Situation, in der sich Isolde aufgrund des Verlusts ihrer Jung- fräulichkeit befindet, erklären. Schwerer nachzuvollziehen ist hingegen der Mordan- schlag auf Isoldes einzige Vertraute Brangäne. Isoldes Angst vor Verrat wandelt sich in einen regelrechten Wahn, der sich erst wieder legt, als sie durch die Diener, wel- che den Mord ausführen sollten, von Brangänes Reaktion sowie ihrer unerschütterli- chen Loyalität erfährt. Auch wenn Isoldes Angst mit der Schwere ihres Vergehens begründet werden kann, erscheint ihr Verhalten für die zuvor als so tugendhaft be- schriebene Frau äußerst extrem.

196 SPARRE, S. 95. 197 Vgl. TOMASEK, S. 113. 198 Vgl. Kapitel 3.5.4 Brangäne 69

Die Isolde-Figur im Drama Hardts lässt zwar ebenso brutale Züge wie in den Dar- stellungen Gottfrieds und Bédiers erkennen, sie zeigt sich jedoch vorwiegend als gebrochene, unglückliche Frau, für die jeder einzelne Tag eine Qual ist. So sieht sie Tag und Nacht an sich vorübergehen wie die Perlen an einer Kette, eine unendliche Zahl von aneinandergereihten Stunden der Einsamkeit (vgl. TdN, S. 10). Obwohl Tristan ihr das Zauberhündchen Petikrü zur Minderung ihres Leides zukommen lässt, will Isolde den Schmerz nicht unterdrücken. Die Trauer und Verzweiflung der jun- gen Königin nehmen im Laufe des Dramas immer mehr zu und gipfeln in der Er- kenntnis, die letzte Chance auf ein gemeinsames Leben mit ihrem Geliebten Tristan vertan zu haben. Diese Steigerung des Leidens Isoldes lässt sich unter anderem mit dem Aufbau des Dramas begründen. Laut Adler setzt sich Hardts Werk aus zwei Handlungssträngen zusammen: aus dem „Kampf Markes mit Isolde und ihre[r] Preisgabe an die Siechen und [aus dem] Ringen Tristans um die Geliebte, die den Treulosen nicht wiedererkennt.“199 Die Charakterdarstellung der Königin stimmt außerdem mit dem Figurenideal der Neuromantik überein: der „kühle[n] Beherr- schung aller Emotionen“200. Isoldes Charakterzeichnung entspricht Hardts Regieanweisungen zur Figurendarstellung am meisten: Tracht und Haltung der Gestalten entspricht der starken, keuschen und verhüllten Art der Fürstenstatuen im Chor des Naumburger Doms (TdN, S. 5).

Die herzlose Seite der Königin zeigt sich bei Hardt am stärksten, wenn sie dem Nar- ren droht, ihn von der Bracke Husdent zerreißen zu lassen (vgl. TdN, S. 155f). Neben der durch Hardt dargestellten Brutalität und Starrheit der Isolde-Figur wird jedoch auch – vorwiegend im Verlauf der Narrenszene – die Hilflosigkeit der Königin spür- bar, wenn sie bittet: Erlöse mich, mein Gott. Ich weiß nicht, ob / Ich zwischen Lei- chen und Gespenstern noch / Lebendig bin. (TdN, S. 137)

In sprachlicher Hinsicht zeigt sich Isoldes Intelligenz hauptsächlich in der für den Mythos so charakteristischen Doppelrede. Diese Kunst „beruht auf einem Verhältnis zur Sprache, bei dem Wort und Sinn nicht mehr […] notwendig und selbstverständ- lich übereinstimmen“201. Ziel ist es, die Wahrheit auszusprechen, ohne diese allen Anwesenden zu offenbaren. Es handelt sich somit um einen Code, der es unter ande-

199 Fritz Adler: Das Werk Ernst Hardts. Zitiert nach: SPARRE, S. 95. 200 Ebda, S. 98. 201 HOLLANDT, S. 119. 70 rem ermöglicht, das Gottesurteil zu bestehen, ohne ein Geständnis abzulegen.202 Deutlich wird diese Kunst durch Marke in Hardts Drama beschrieben, wenn er die Worte Isoldes mit schillernden, gewundnen Schlangenleibern (TdN, S. 52) ver- gleicht. Eines der bekanntesten Beispiele für die Doppelrede im Mythos stellt das Gespräch zwischen Isolde und Tristan in der Baumgartenszene dar, welches einzig dem Zweck dient, den im Geäst versteckten, lauschenden König hinters Licht zu führen.

und gihe’s ze gote daz ich nie ze dehéinem manne muote gewan, und hiute und iemer alle man vor mînem herzen sint verspart niwan der eine, dem dâ wart der êrsten rôsenbluome von mînem magetuome. (GvS, 14 764)

Die gleiche Form der Doppelrede findet sich in Bédiers Roman. Auch hier schwört Isolde in der Baumgartenszene, sie habe nie einen anderen Mann geliebt als jenen, der ihr die Jungfräulichkeit nahm (vgl. JB, S. 74). Die Isolde Hardts versteht es ebenso, mittels Sprache ihr Gegenüber in die Irre zu führen. Auf die Vorwürfe ihres Mannes reagiert sie wie schon in den Prätex- ten: Ich schwöre, daß ich In Liebe niemals bin erbebt denn zu Dem einen, der in seine Arme mich Genommen hat, da ich jungfräulich war Wie Schnee am ersten Wintermorgen! (TdN, S. 60.)

Hardt zeigt jedoch deutlich auf, dass Marke dieses Talent seiner Gemahlin nicht ver- borgen bleibt, als der König auf Isoldes Täuschung reagiert, indem er aufschreit: Schütz mich vor ihren Schwüren, wer mich liebt! (TdN, S. 60) Auffallend ist auch, dass Marke die Kunst der Doppelrede direkt anspricht, indem er die Anwesenden vor Isots großer Frauenkunst (TdN, S. 57) warnt. Dieses Wissen um Isoldes Lügen stellt einen deutlichen Unterschied zu den Prätexten dar. Ansonsten kann die Charakter- darstellung der Isolde dem Mythos im Gesamten zugerechnet werden, wodurch eine Fixierung auf einen bestimmten Prätext nicht möglich ist.

202 Vgl. Kapitel 3.5.3.1 Gottes- und Todesurteil 71

3.5.3 König Marke Marke gilt in der Forschung als eine der umstrittensten Gestalten des Mythos. Einer- seits tritt er als typische höfische Figur auf, deren teilweise negative Charakterisie- rung als eine durch den Verfasser geäußerte Kritik am höfischen Leben gewertet werden kann, während er andererseits als leicht beeinflussbare, schwache Gestalt vorgeführt wird.203 Marke existiert im Mythos somit nicht als eine in der Darstellung gefestigte Person, stattdessen scheinen in den verschiedenen Versionen und Situatio- nen unterschiedliche Charakterzüge im Vordergrund zu stehen, wobei zwischen dem liebenden, dem zornigen und dem schwächlichen König unterschieden werden kann. Marke wird im Verlauf der Handlung immer mehr zum Spielball der Liebe, wobei er zwischen aktiver und passiver Rolle wechselt. Die aktive Rolle nimmt der König vorwiegend in der version commune/primitive ein, in der seine Brutalität und sein Zorn in den Vordergrund treten, während sich im Gegensatz dazu der liebende, ver- zweifelte Marke der version courtoise durch seine Unsicherheit in die Passivität drängen lässt204.

Der König als liebender Gatte und Oheim tritt besonders stark bei Gottfried in Er- scheinung. Hier entwickelt sich die Zuneigung zu Tristan bereits, als eine verwandt- schaftliche Bindung noch nicht bekannt ist. Gottfried begründet dies damit, dass Marke bereits bei der ersten Begegnung instinktiv erkennt, dass Tristan von sînem bluote was (GvS, 3 242). Gleiches gilt für den Marke Bédiers, dessen Liebe zu seiner Schwester Blancheflûr seinen Neffen für ihn erkenntlich macht (vgl. JB, S. 9). Tristan übernimmt im Mythos bereits früh die Führung über das Geschehen, wodurch Marke immer mehr in die Rolle eines Statisten gedrängt wird. Er versucht, seinen Neffen vor den missgünstigen Baronen zu schützen, indem er auf eine Frau verzichtet, um Tristan das königliche Erbe zu garantieren. Erst aufgrund von Tristans Drängen, er möge sich doch vermählen, eröffnet Marke seinem Hofstaat, er würde Isolde zur Frau nehmen. Die dahinterstehende List wird vorwiegend in der version commune/primitive deutlich, welche die Schwalbenhaarszene in das Geschehen in- tegriert (vgl. JB, S. 29). Marke versucht, die Barone zu überlisten, und entscheidet sich für eine nach seinem Ermessen unerreichbare Frau. Trotz der Schwierigkeit die- ses Unterfangens gelingt es Tristan, die junge Königin für seinen Herrn zu gewinnen.

203 Vgl. HOLLANDT, S. 53. 204 Vgl. ebda, S. 57. 72

Obwohl sich das Geschehen somit nicht nach den Plänen des Königs entwickelt, stellt sich bei Marke die Liebe zu Isolde vom ersten Augenblick an ein und führt dazu, dass er ez allez übersach, / swaz leides ime von ir geschach (GvS, 17 819).

Im Drama Hardts hingegen beginnt die Liebe Markes bereits dem Zorn und der Trauer zu weichen. Die tiefen Gefühle für seine Gemahlin sind noch erkennbar, wenn er die Zeiten, als Isolde noch sein Eigentum war, wieder aufleben lässt. Dies ändert sich, als Denovalin ihm von seinen Beobachtungen bezüglich des fremden Ritters im Wald berichtet. Markes Liebe hindert ihn zwar daran, das Gesagte vol- lends zu glauben, die ersten Zweifel sind jedoch gesät. So schwankt Marke im Ver- lauf der Handlung immer wieder zwischen Hass, Selbsthass und Verzweiflung. Als unsichere und armselige Kreatur wie auch als liebender Gemahl existiert Marke nur noch in seiner eigenen Erinnerung. Der König verabscheut sich selbst aufgrund seiner in der Vergangenheit gezeigten Schwäche.

Herren, ich bin so wie ein Wicht geschlichen Um ihre Leiber, habe ihre Lippen Belauert, ihre Augen, ihre Hände So wie ein Mörder angestarrt, und nachts Vor ihren Fenstern hab ich jämmerlich Gelauscht auf ihre Träume, daß ich selber Mich anspein mochte um mein Jammertum. (TdN, S. 43)

Diese Beschreibung erinnert stark an die Baumgartenszene Gottfrieds, in welcher Marke Tristan und Isolde heimlich belauscht (vgl. GvS, 14 587), wobei der König als zu unsicher auftritt, um auf die Beschuldigungen sofort reagieren zu können. Im Ge- gensatz zu Gottfrieds König handelt der Marke Bédiers im gleichen Moment, da er von den Verdächtigungen erfährt, und verweist Tristan des Schlosses (vgl. JB, S. 65). Die Rückblenden im Tantris scheinen somit mehr Gemeinsamkeiten mit dem unsi- cheren Vorgehen des Königs bei Gottfried aufzuweisen.

Die bei Hardt vorrangige Rolle Markes als zornerfüllter Tyrann zeigt sich in den Prätexten in unterschiedlich starker Form und lässt sich hauptsächlich an den Verur- teilungen der Liebenden durch den König bemessen205. Während bei Gottfried einzig das Gottesurteil mit dem glühenden Eisen angeführt wird (vgl. GvS, 15 528), ver- hängt der Marke der Eilhart-Tradition über Tristan und Isolde das Todesurteil durch

205 Vgl. Kapitel 3.4.8 Gottes- und Todesurteil 73 den Scheiterhaufen (vgl. JB, S. 88f). Beide Formen der Urteilssprechung werden bei Hardt angeführt. Wie der geplante Tod der Liebenden auf dem Scheiterhaufen dürfte das im Drama vorkommende Siechengericht ebenso der Version commune/primitive entstammen. Einen Unterschied bildet hier die Reaktion der höfischen Gesellschaft. Während bei Bédier das Verhalten des Königs einzig von Dinas von Lidan hinter- fragt wird (vgl. JB, S. 95), erkennen bei Hardt sämtliche Untertanen die Motive des Königs und verurteilen diese. So meint Ganelun zu seinem Herren: Ihr sprecht in Schmerz und Zorn ein Grausames, / das man sich auszudenken fürchtet! (TdN, S. 58) Die Barone verlassen den Hof, einzig Denovalin bietet an zu bleiben. Marke sieht jedoch in ihm den Ursprung seines Unglücks und verweist ihn vom Hof. Auch Isolde erkennt die Verzweiflung ihres Gemahls, wenn sie ihm seine Gier vorwirft: Wie irrst du, Marke, wenn du wähnst, / du haßtest! Sieh, du dauerst mich! (TdN, S. 59)

Der Marke Hardts hat, bis auf die Rückblenden, in denen er zugibt, die Liebenden heimlich beobachtet zu haben, nichts mehr mit dem König Gottfrieds gemein, son- dern richtet sich augenscheinlich nach dem Marke der Eilhart-Tradition. Dies lässt sich auch durch die zeitliche Situierung am Ende des Dramas begründen, wenn Marke sich des Betruges bereits bewusst ist. Durch die Erinnerungen des Königs wird der Wandel seines Charakters deutlich. Diese auffällige Charakterentwicklung wie auch die starke Psychologisierung lassen sich dadurch erklären, dass die Figur des Marke, welche aus der Sicht Hardts „in allen Fassungen der Sage psychologisch oberflächlich behandelt“ wurde, dem Dramenautor „besonders am Herzen [lag]“206.

3.5.4 Brangäne Brangäne spielt, obgleich sie in den meisten Bearbeitungen des Stoffes im Hinter- grund bleibt, eine zentrale Rolle im Tristan-Isolde-Mythos. Alleine durch ihre man- gelnde Aufmerksamkeit ist sie es, die den bekannten Verlauf der Handlung erst er- möglicht, indem sie – zumindest indirekt - zulässt, dass Tristan und Isolde gemein- sam den Liebestrank einnehmen207. Bei der Figurenanalyse zeigt sich, dass die Gottfriedsche Brangaene am Hofe einen hohen Stellenwert innehat und häufig als Ratgeberin fungiert. So hebt Hollandt beispielsweise Brangaenes Mitspracherecht bei der Entscheidung über Tristans weiteres Schicksal hervor, als er von Isolde und ihrer

206 HARDT, S.45. 207 Vgl. TOMASEK, S. 103. 74

Mutter als der Mörder Morolds entlarvt wird208. Ein Grund für das große Vertrauen, welches in Brangaene gesetzt wird, dürfte ihre Verwandtschaft mit der Königin sein. So wird die Vertraute von Gottfried als hövesche niftel209 (GvS, 9 425) ausgewiesen. Das der Verwandten entgegengebrachte Vertrauen hat jedoch auch seine Grenzen, als Isolde aus Angst vor einem Verrat die Ermordung Brangaenes in Auftrag gibt. Hierbei handelt es sich um die einzige Stelle des Romans, in der die Frauen kurzzei- tig voneinander entzweit werden. Nicht einmal der Mordversuch kann an der abso- luten Verbundenheit Brangaenes zu Isolde etwas ändern. Diese grenzenlose Treue zu ihrer Königin ist jedoch nur ein Teil dessen, was den Charakter von Isoldes Vertrauter ausmacht. Hollandt spricht davon, dass „Gott- fried […] diese Figur mit allen Eigenschaften aus[stattet], die in der höfischen Dich- tung des Mittelalters einer Dame von Stand zukommen“210. Hierzu zählt nicht nur Vertrauenswürdigkeit, sondern auch Schönheit und Klugheit. Wie bereits bei Gott- fried werden diese Attribute auch Hardts Brangäne zugeschrieben. So vergleicht sie ein Hirte, welcher Isolde zu sehen erwartet, mit einer Lilie, worauf ihm ein Knappe erklärt, dies ist nur Brangäne, unserer Frauen treue Magd (TdN, S. 69). Während sie hier als Frau niederen Ranges bezeichnet wird, spricht Isolde sie in ihren Gemächern als Schwester an (vgl. TdN, S. 19), was wiederum die tiefe Verbundenheit zwischen den Frauen zum Ausdruck bringt. Im Gegensatz zu Gottfrieds Werk scheint es sich bei der Brangäne in Bédiers Roman um eine Art Sklavin zu handeln, welche laut Eigenaussage von Seeräubern entführt und danach Isoldes Mutter als Dienerin verkauft wurde (vgl. JB, S. 60). Ob- gleich Brangäne bei Bédier nicht denselben Stellenwert innehat wie bei Gottfried, scheint sich ihr Verhalten, vorwiegend in Bezug auf ihre Treue, in sämtlichen Texten zu gleichen. Die Brangäne Hardts, ebenso mit allen positiven Attributen ausgestattet, scheint sich somit schwer einem bestimmten Prätext zuordnen zu lassen, da der Figur in den mittelalterlichen Texten wie auch in den Fortsetzungen dieselbe Rolle zuge- schrieben wird. Am ehesten lässt sich jedoch Gottfried als diesbezügliche Quelle

208 Vgl. HOLLANDT, S. 41. 209 niftel, nuftel: Nichte [Schwestertochter], Tante/Kusine [mütterlicherseits]. In: HENNIG, Beate: Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch. 4., verbesserte Auflage. In Zusammenarbeit mit Christa Hepfer und unter red. Mitw. von Wolfgang Bachofer. Tübingen: Niemeyer 2001, S. 244. 210 HOLLANDT, S. 41. 75 ausschließen, da die Brangäne Hardts wörtlich als Magd und nicht, wie bei Gottfried, als dem Hof verwandtschaftlich verbunden beschrieben wird. Welche Stellung Brangäne in den verschiedenen Bearbeitungen des Mythos auch innehat, die Treue zu Isolde scheint keinerlei Grenzen zu kennen. Den größten Treuebeweis erbringt sie während Isoldes Hochzeitsnacht, als sie anstelle der Braut das Bett mit dem König teilt. Dieser Gefallen wird im Verlauf der Handlung in der Hemdtausch-Szene211 wieder aufgegriffen.

3.5.5 Denovalin Der Tristan-Mythos an sich verlangt nach einer Verräter-Figur, welche das Miss- trauen des Königs weckt und immer wieder bestärkt, um die bekannte Handlung erst in Gang zu setzten. Bei Gottfried übernimmt diese Rolle Marjodo, Truchsess und ehemals Freund von Tristan. Als er die Liebenden bei einem ihrer nächtlichen Tref- fen beobachtet, entflammen in ihm leit unde haz (GvS, 13 607). Grund hierfür dürfte ein Gefühl von Eifersucht sein, da er bisher Liebe für Isolde empfunden hatte (vgl. GvS, 13 602). Von diesem Zeitpunkt an versucht er, die Affäre der beiden zu enthül- len. An der öffentlichen Bekanntgabe seines Wissens hindert ihn einzig und alleine die Angst vor der Rache Tristans (vgl. GvS, 13 617). Aus diesem Grund versucht er, Misstrauen im Herzen des Königs zu säen. Gemeinsam mit Marke ersinnt er Listen, um die Königin zu überführen (vgl. GvS, 13 677). Als diese Versuche ohne Erfolg bleiben, bittet Marjodo den Zwerg Melot von Aquitanien um seine Hilfe, dessen Eingreifen auch zu der berühmten Baumgartenszene führt, in welcher Marke Tristan und Isolde belauscht (vgl. GvS, 14 587). Im Gegensatz zu Gottfrieds Text treten bei Bédier mehrere Verräter gemein- schaftlich auf, nämlich die Barone Andret, Ganelon, Gondoin und Denovalin, welche im Verlauf des Romans ein blutiges Ende erfahren. Auch hier unterscheidet sich die durch Bédier aufgegriffene version commune/primitive durch die dargestellte Bruta- lität von der version courtoise. Während bei Gottfried die Verräter am Leben blei- ben, werden sie bei Bédier von Tristan und seinen Verbündeten getötet. Der im Roman Bédiers auftretende Baron Denovalin lässt zwar durch den Namen auf eine Verbindung zu Hardts Verräter-Figur schließen, jedoch sind ansonsten keine eindeutigen Gemeinsamkeiten zu erkennen. Während Denovalin bei Bédier nur als einer von vier Baronen auftritt, wird ihm von Hardt eine eigenständigere und cha-

211 Vgl. 3.4.9 Der Hemdtausch 76 rakterlich wesentlich interessantere Rolle zugeteilt. Dennoch können immer wieder Parallelen zu den Verräter-Figuren Gottfrieds und Bédiers gefunden werden. Auch Sparre bemerkt in ihrer Abhandlung, Hardts Denovalin „vereinigt in sich alle Cha- rakterzüge der Feinde der Liebenden in der Überlieferung“212. Bereits bei Denovalins erstem Auftreten wird Isoldes Hass deutlich, als sie ihm erklärt, sein Antlitz sei ihr verhaßter […] denn Pest und Aussatz (TdN, s. 26). Gleich darauf zeigt sich, woher ihr Hass rührt: Denovalin habe sie dem Feuertod preisgegeben, dem sie nur durch Gottes Wunder entrinnen konnte (vgl. TdN, S. 27). In dieser Szene wird ebenso der Grund für Denovalins Rache deutlich. Er gesteht der Königin, dass er heiß auf [ihr] blondes Haar den Treueeid [schwur], denn [sie] wart wunderbar zu schauen (TdN, S. 27). Auf Isoldes Frage, was sie ihm dann getan hätte, um seinen Hass zu verdienen, antwortet er nur: Ihr liebt den Tristan (TdN, S. 27). Denovalin scheint Isolde, wie bereits der Truchsess Marjodo bei Gottfried, zu has- sen, da sie seine Liebe nicht erhört.213 In Bezug auf die Gefühle kann auch eine Parallele zwischen Hardts Denovalin und Bédiers Kariado, einem reichen Grafen, gezogen werden. Dieser liebt Isolde ebenso und scheint nach Aussagen der Königin deren Liebe zu Tristan zerstören zu wollen, indem er ihr regelmäßig schlechte Neu- igkeiten von ihrem Geliebten zukommen lässt, beispielsweise dessen Heirat mit Isolde Weißhand (vgl. JB, S. 182). Weitere Ähnlichkeiten können hier zwar nicht festgestellt werden, die teilweise Übereinstimmung mit Kariado scheint jedoch einen kleinen Teil der komplexen Figur des Denovalin zu bilden. Obgleich der Verräter Hardts in gewisser Weise der Liebe fähig scheint, tritt er meist in der Rolle eines bösen Wesens auf. Als er die Bühne zum ersten Mal betritt, warnt Brangäne Isolde mit den Worten: Bei Gott, Denovalin, der Totenvogel. (TdN, S. 21). An anderer Stelle bezeichnet Isolde ihn als Werwolf (vgl. TdN, S. 28). Die Reaktion des Verräters spiegelt die Zerrissenheit des Charakters wider: Er stimmt Isolde zu, wie ein Wolf auf seiner Burg zu leben und nächtens seine Pferde zu Tode zu reiten. Er fügt jedoch hinzu: Doch mag es sein, / daß ich einmal vor je- dem Hahnenschrei / den Namen, den Ihr tragt, wie einer rufe, / der wild in seinem eignen Blut ertrinkt. (TdN, S. 28) Er sieht Isolde als seine mögliche Rettung an und meint, er würde alles Lebende nicht so sehr hassen, wenn die Königin an seiner Seite reiten würde (vgl. TdN, S. 29).

212 Sparre, S 102. 213 Vgl. ebda. 77

Eine weitere mögliche Anspielung auf Denovalin als böses Wesen zeigt sich, als Tristan ihn nach dem Siechengericht erschlägt. In dieser Szene wird der Held, wie bereits erwähnt, mit dem Heiligen Georg, dem Drachentöter, verglichen. Somit liegt es nahe, dass Denovalin für den Drachen und damit das Böse, Dämonische stehen könnte. Bei näherer Betrachtung scheint Denovalin vorranging als Schattenseite Tristans auf, als von einer krankhaften Liebe zu Isolde verzehrter Anti-Held des Dramas Hardts, welcher zwar Merkmale aus beiden Prätexten aufweist, jedoch im Großen und Ganzen als von Hardt durch Kombination der bereits existierenden un- terschiedlichen Verräter-Figuren neu geschaffener Charakter auftritt.

3.5.6 Ugrin

Der Narr Ugrin erscheint in Hardts Drama als mysteriöse Figur, deren Herkunft und Funktion näher geklärt werden sollten. Der Name „Ugrin“ scheint am ehesten jenem des Klausners der version commune/primitive zu entsprechen, welcher sich in Bédiers Roman „Ogrin“, bei Eilhart und Simrock hingegen „Ugrim“ nennt. Diese unterschiedliche Funktion der Figur bei Hardt im Vergleich zu den Prätexten wird teilweise als Hinweis dafür interpretiert, dass die Textkenntnis Hardts als mangelhaft angesehen werden könne, weshalb die Benennung des Narren als Fehler gesehen werden müsste.214 Diese Einschätzung erscheint aufgrund der genauen Übernahme des Handlungsgerüstes wie auch der Beschreibung der frühen Rezeptionsgeschichte des Tristan-Isolde-Mythos durch Hardt in seinem Vortrag als nicht haltbar. Glaub- würdiger lässt sich die Abänderung des Charakters Ugrins dadurch begründen, dass die Figur des Klausners aufgrund des sehr gedrängten Handlungsablaufes und der nur kurzen Erwähnung der Waldszene keinen Platz im Drama Hardts finden konnte. Doch welchen Sinn hat dann die Einführung des zweiten Narren? Bereits in der Be- schreibung der Narrenszene215 werden die Unterschiede zwischen den Quellen und dem Drama Hardts deutlich. Tristan wird von Isolde nicht erkannt, somit ergibt sich auch nicht die Möglichkeit, den Narren unbemerkt in die Kammer der Königin zu bringen. Dies wiederum zwingt Hardt dazu, Tristan anderweitig unterzubringen. Eventuell ist die Figur des Ugrin die einzige Möglichkeit, das Verweilen des fremden Narren am Hofe über Nacht zu rechtfertigen, indem der Eindringling von einem Mit- glied des Hofes während seiner Anwesenheit, welche für die folgende Handlung un-

214 Vgl. SPARRE, S. 91. 215 Vgl. Kapitel 3.3 Inhalt und Aufbau des Dramas 78 abdingbar ist, überwacht wird. Trotzdem gibt es zwischen den Figuren der Prätexte und Hardts Ugrin eine bestimmte Gemeinsamkeit. Der Narr übernimmt wie auch der Klausner eine Vermittlerrolle zwischen Tristan und Marke. Während Ogrin/Ugrim jedoch zwischen den verfeindeten Parteien vermittelt, scheint der Narr Ugrin eine Verbindung zwischen dem König / der höfischen Welt und dem identitätslosen Tantris, welcher sich von der Gesellschaft abgewendet hat, darzustellen. Trotz dieser möglichen Ähnlichkeiten entwickelt Hardt, wie bereits teilweise bei Denovalin, mit Ugrin eine neue, die Handlung beeinflussende Figur, welche im Tristan-Isolde-My- thos in dieser Form bisher noch nicht aufgetreten ist.

3.5.7 Die Hunde: Husdent und Petikrü Tristans Bracke Husdent beeinflusst das Geschehen in den verschiedenen Texten in unterschiedlicher Intensität. Gottfrieds Hiudan kann als Inspiration für Hardts Hus- dent ausgeschlossen werden, da das Tier im Prätext keine bestimmte Funktion erfüllt. Er begleitet Tristan und Isolde zwar auf ihrem Weg zur Minnegrotte, verschwindet danach jedoch wieder aus der Erzählung. Im Gegensatz dazu richtet Tristan den Husdent Bédiers als Jagdhund ab, der den Liebenden bei der Nahrungsbeschaffung behilflich ist. Diese Aufgabe muss Hiudan nicht erfüllen, da Tristan und Isolde durch das Speisewunder (vgl. GvS, 16 811) auf jegliche Nahrungszufuhr verzichten kön- nen, wobei sie von ihrer Liebe genährt und am Leben erhalten werden. Anders als bei Gottfried wird die Bindung zwischen Tristan und der Bracke von Bédier als sehr stark beschreiben. So leidet Husdent nach dem Verschwinden Tristans und drängt darauf, seinem Herrn zu folgen (vgl. JB, S. 103f).

Wie bereits erwähnt216 stellt schon die Verwendung des Namens Husdent einen eindeutigen Verweis darauf dar, dass Hardt den Roman Bédiers als Quelle herange- zogen haben dürfte. Dies ist jedoch nicht die einzige Gemeinsamkeit. Beide Hunde leiden stark unter der Abwesenheit ihrer Herren. Im Gegensatz zu Bédier beschreibt Hardt die Bracke auch als aggressiv, seit sie von Tristan verlassen wurde. So erklärt Ganelun, der Hund sei wolfhaft. / Seit langer Zeit darf niemand mehr zu ihm / herein, weil er Herrn Marke schon drei Pfleger / zerrissen hat (TdN, S. 38). Das Wissen um die Gefährlichkeit des Tieres bringt Isolde dazu, dem fremden Narren, der sich als ihr Geliebter ausgibt, damit zu drohen, ihn zur Überprüfung seiner Behauptung in den

216 Vgl. Kapitel 3.2 Prätexte 79

Zwinger des Tieres zu sperren, welches lüstern wie ein weißer Wolf / auf Menschen- fleisch (TdN, S. 155) sei. Gegen Isoldes Erwartungen eilt der Narr dem wütenden Tier entgegen, dessen unerwartete Reaktion Isolde die Augen öffnet, sodass sie ihren Geliebten erkennt. Zu diesem Zeitpunkt hat Tristan mit dem Hund die Burg jedoch bereits verlassen.

Im Gegensatz zu Husdent, bei dem es sich um einen einfachen Jagdhund handelt, fügt das Hündchen Petikrü dem Mythos eine magisch-märchenhafte Komponente hinzu. Bei Gottfried befindet sich das Zauberwesen im Besitz des Herzogs Gilan, welcher versucht, den trauernden Tristan durch das Tier aufzuheitern (vgl. GvS, 15 795). Als Tristan die unglaubliche heilende Wirkung des Hundes verspürt, entschei- det er, ihn als Geschenk für seine Geliebte zu erwerben. Da das Wesen jedoch Gilans hérzen spil […] und sîner óugén gemach (GvS, 15 802) ist, gelingt es Tristan nur mittels einer List, Petikrü für sich zu gewinnen. Er besiegt für Gilan den Riesen Ur- gan, welcher das Reich des Herzogs bedroht, aber nur unter der Bedingung, mit al- lem belohnt zu werden, was er wolle (vgl. GvS, 15 949). Auch bei Bédier befindet sich Petitcrü zunächst im Besitz von Herzog Gilân und gelangt nach dem Kampf mit dem Riesen in den Besitz Tristans (vgl. JB, S. 159). Wie schon bei Gottfried stammt das Tier aus Avalon und wurde seinem Besitzer von einer Fee als Geschenk überreicht (vgl. JB, s. 157f). Wie die Herkunft ähnelt sich auch die Beschreibung des Tieres in beiden Prätexten sehr stark. So wird das Wesen als schillernd bunt beschrieben, mit ineinander übergehenden Farben, die durch ihre Vielfalt nicht mehr fassbar sind (vgl. GvS, 15 815 und JB, S. 158). Ebenso zeigt sich diese Ähnlichkeit bei der Beschreibung des Glöckchens, welches das Tier um den Hals trägt und dessen lieblicher Klang alle Trauer und jeden Schmerz verschwinden lässt. Dieses Glöckchen wird in beiden Prätexten von Isolde zum Verstummen ge- bracht, damit sie gemeinsam mit ihrem Geliebten leiden kann (vgl. GvS, 16 392 und JB, S. 161).

Anders als Husdent, welcher durch Hardt trotz einer merklichen Bedeutungsverstär- kung keine neuartige Auslegung erfährt, zeigt sich das Hündchen Petikrü im Tantris von einer neuen Seite. Isolde bestätigt zwar bereits zu Beginn des Dramas in ihrem Lied die Herkunft des Freudenbringers, jedoch handelt es sich dabei nicht mehr um ein lebendiges Wesen. So bezeichnet sie es als Hündchen aus Purpur, aus Safran,

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Hündchen aus Gold und Smaralt, welches geschaffen wurde durch de[n] Riese[n] Urgan in Avaluns Zauberwald (TdN, S. 8). Auch in der Regieanweisung des ersten Aktes wird Petikrü als Spielzeug aus Erz und Edelstein (TdN, S. 7) beschrieben. Sparre spricht in ihrer Abhandlung von einem für die Literatur dieser Zeit typischen Beispiel, wenn das Lebendige eine „Ästhetisierung und Verkünstlichung“ 217 erfährt, was zu einem Schutz vor der Realität führen sollte. Die Edelsteine, aus denen das Tier bei Hardt besteht, finden häufiger in der Literatur Verwendung und sind „Aus- druck des Bestrebens, das gefürchtete Lebendige durch das Unlebendige als Schein des Unverderblichen zu ersetzen“218. Während die Darstellung des Bühnenbildes auf die künstliche Beschaffenheit des Tieres verweist, bezieht sich die genaue Beschreibung in Isoldes Lied eher auf die Färbung desselben. So spricht sie bei Bédier von einem Gelb wie Safran (JB, S. 158), während es von Gottfried zusätzlich als rehte purperbrûn (GvS, 15 841) be- zeichnet wird. Die gesamte Beschreibung des Tieres ist sich so ähnlich, dass es nicht möglich ist, in diesem Fall einen bestimmten Text als Quelle Hardts zu identifizie- ren, wodurch bei der Intertextualitätsanalyse die Theorie der Systemreferenz Ver- wendung finden muss. Die besondere Beschaffenheit des Hundes im Drama kann an dieser Stelle ei- nerseits durch die oben dargelegte in der Neuromantik beliebte Darstellung des Un- belebten begründet werden, könnte sich jedoch auch – unabhängig von der für die Zeit üblichen Verkünstlichung - im Hinblick auf die bühnentechnische Durchführ- barkeit ergeben haben, da die Aufführung mit einem lebenden Tier einen Mehrauf- wand an Vorbereitungen zur Folge gehabt hätte.

3.5.8 Iwein und die Siechen Die an Lepra Leidenden galten im Mittelalter als Außenseiter und mussten sich fernab der übrigen Gesellschaft aufhalten, um eine Ansteckung mit der gefürchteten Erkrankung ausschließen zu können. Der Aussatz wurde unter anderem als Strafe Gottes angesehen. Man war der Meinung, „[d]ie Fäulnis [habe] von der sündigen Seele auf den Körper übergegriffen“219. Diese Ansicht zeigte auch die Einstellung der übrigen Bevölkerung, welche den Aussätzigen negative Eigenschaften wie sexu-

217 SPARRE, S. 113. 218 Ebda, S. 114. 219 Bronislaw GEREMEK: Der Außenseiter. In: Der Mensch des Mittelalters. Hrsg. von Jacques Le Goff. Essen: Magnus 2004, S. 397. 81 elle Zügellosigkeit und böse Absichten gegenüber den Gesunden anlastete.220 Somit wurden die Siechen von der Gesellschaft ausgeschlossen. „Die Ausschließung der Leprakranken ist in der mittelalterlichen Gesellschaft so offenkundig, daß sie in der deutschen Sprache eben als Aussätzige221 bezeichnet werden, solche, die man hinaussetzt.“222 Zum Schutz der Gesunden mussten die Siechen, um sich zusätzlich zu ihrem äußerlichen Erscheinungsbild bereits von weitem erkenntlich zu machen, ihre Anwesenheit durch das Verwenden von Klappern kundtun.223 Diese Vorgehens- weise wird auch von Hardt am Ende der zweiten Szene des dritten Aktes in der Re- gieanweisung aufgegriffen, wenn er die Ankunft der Siechen beschreibt: Dann hört man in zwei Absätzen, einmal ferner, einmal näher, das rhythmisch gebundene Klap- pern der Siechen (TdN, S. 73). Die Einstellung gegenüber den Aussätzigen im Mittelalter war jedoch nicht durchwegs negativ. So war das Ansehen eines Kranken ebenso von seiner gesell- schaftlichen Stellung abhängig. Ein erkrankter Mensch aus besseren Verhältnissen konnte nicht selten im Kreise seiner Familie verweilen, anstatt auf die Milde seiner Mitbürger angewiesen zu sein.224 Der Hass und das Misstrauen, die den Aussätzigen größtenteils entgegengebracht wurden, erklären die charakterliche Darstellung der Siechen bei Hardt wie auch in den der version commune/primitive zugehörigen Prä- texten. So wird beim Siechengericht Bédiers etwa die Zuschreibung abnormer Sexu- alität, wie zum Beispiel des Sadismus, deutlich, wenn Ywân Marke um die Übergabe der Königin bittet: Gieb uns Isolde, sie sei uns gemein! Das Uebel schürt unser Ver- langen. Gieb sie deinen Aussätzigen, niemals soll ein Weib schlimmer geendet ha- ben. (JB, S. 97) Das gleiche Bild ergibt sich in Hardts Drama, wenn die Siechen sich darum streiten, wer Isolde als erstes für sich beanspruchen darf (vgl. TdN, S. 75).

In der version commune/primitive erscheinen die Siechen als Gefolge ihres Anfüh- rers Ywân. Während dieser bei Eilhart noch als Herzog ausgewiesen wird (vgl. EvO, S. 70), wird er bei Bédier als der hässlichste der Siechen beschrieben (vgl. JB, S. 97). Er ist der einzige der Aussätzigen, der im Roman eine Stimme besitzt und den Kö- nig, welcher ganz in seinem Zorn und seiner Rachsucht gefangen ist, zu dem Sie-

220 Vgl. ebda. 221 Mhd. ûz-setze od. ûz-setzel. Vgl. HENNIG, S. 396. 222 GEREMEK, S. 397. 223 Vgl. ebda. 224 Vgl. ebda, S. 398. 82 chengericht überredet. Die niedere Stellung des Kranken wird deutlich, als Tristan Isolde aus seinen Fängen befreit. Bédier verweist darauf, dass man zwar behauptet, Tristan selbst hätte Ywân erschlagen, dass dieser jedoch niemals solch unritterliche Tat begangen hätte, da er zu tapfer [war], um solches Gezücht zu zerschmeissen (JB, S. 99). Aus diesem Grund übernimmt Kurwenal die Rolle des Henkers.

Der Iwein Hardts wird im Gegensatz zu Bédiers Figur als König der Siechen ausge- wiesen (vgl. TdN, S. 76), was wiederum auf den Text Eilharts beziehungsweise Sim- rocks als Prätext verweist, in welchem ein siecher Baron als Anführer und Sprecher der Aussätzigen auftritt (vgl. EvO, S.70 und KS, S.313 ). Während er im Prätext für die anderen Aussätzigen spricht, treten diese im Drama als aktive Personen auf, durch welche die niederen Absichten und die Bosheit der Kranken dem Publikum noch deutlicher vor Augen geführt werden. Während in einem Roman die Stimme eines Einzelnen ausreicht, um den Leser der Handlung folgen zu lassen, führt die Darstellung auf der Bühne durch das Auftreten der gesamten Siechenmeute zu einer Verstärkung des Realitätseffektes. Zusätzlich wird durch die Personifizierung der Meute das ganze Ausmaß der Grausamkeit des Urteils deutlich. Während Bédiers Tristan sich nicht zu dem Mord an Ywân herablässt, tötet der Held bei Hardt den König der Siechen mit eigenen Händen. Tristan ist zu diesem Zeitpunkt kein Edelmann mehr, er hat sich selbst unter die Ausgestoßenen begeben und erfährt somit durch den Kampf mit Iwein keine Schmälerung seiner Ehre.

3.5.9 Diener und Barone Abschließend sollen nun, nach der Analyse der Hauptcharaktere, die Nebenfiguren näher betrachtet werden. Diese setzen sich vorwiegend aus Baronen und Bedienste- ten des Königshauses zusammen.225 Eine starke Beeinflussung erfährt die Handlung des Mythos in sämtlichen Bearbeitungen durch das Eingreifen der Barone226. Diese sind in Gottfrieds Roman namenlose Neider, welche sich gegen Tristan verschwören und den Helden um sein Leben fürchten lassen. Auch bei Bédier versuchen die Barone Andret, Ganelon, Gondoin und Denovalin, Marke davon zu überzeugen, eine Königin als Frau zu nehmen, um Tristan als Thronfolger zu verdrängen. Hier zeigt sich ebenfalls die

225 Aufgrund der geringen Relevanz für die Analyse finden Gimelle, Isoldes Dame, wie auch der Diener Gawein in diesem Kapitel keine Beachtung. 226 In der Beschreibung der Barone soll Gottfrieds Gandîn keine Erwähnung mehr finden, da seine kurze Rolle im Werk bereits im Kapitel 3.5.3 König Marke abgehandelt wurde. 83

Macht der Barone, als sie Marke damit drohen, im Falle seiner Weigerung geschlos- sen gegen ihn in den Krieg zu ziehen (vgl. JB, s. 28). Diese Erpressung bezahlen sie jedoch letzten Endes mit dem Tode. Im Gegensatz zu den verräterischen Baronen Bédiers tritt bei Hardt nur Deno- valin als Verräter auf. Die anderen Barone Dinas und Ganelun verhalten sich Tristan gegenüber neutral. Zusätzlich werden fünf weitere, jedoch namenlose, Barone in die Handlung eingeführt, von welchen drei dem Vertragsschluss zwischen Marke und Isolde beiwohnten (vgl. TdN, S. 41). In dieser Szene wird deutlich, dass diese ebenso auf eine Vermählung Markes drängten, dies jedoch bereuen: Durch unsere Schuld wards anders, denn wir riefen / Nach einem Erben! (TdN, S. 41) Zusätzlich stellen sich die Barone, mit Ausnahme von Denovalin, auf die Seite Isoldes, als Marke sie ohne Verhandlung dazu verdammt, ihr Dasein unter den Siechen zu fristen. Als Marke sich nicht von seiner Untat abhalten lässt, wenden sich alle, bis auf den Ver- räter, von ihm ab (vgl. TdN, S. 58). Die Rolle der Barone wird von Hardt zwar in einigen Zügen abgeändert, je- doch scheint die Übernahme der Namen wie Dinas, welcher ebenfalls bei Bédier eine Rolle spielt, oder Ganelun, bei Bédier Ganelon, auf diesen Text als Quelle hinzu- deuten. Anders verhält es sich mit Paranis, dem Diener Isoldes. Dieser entstammt namentlich dem Roman Gottfrieds, während er in Bédiers Text als Perinis ausgewie- sen wird. Er bleibt, bei Hardt wie auch bei den Vergleichstexten, stets im Hinter- grund. Die letzte zu erwähnende Figur ist Tristans Schwager Kuerdin. Während bei Gottfried die weitere Geschichte des Bruders von Isolde Weißhand aufgrund des plötzlichen Abbruchs nicht erzählt werden konnte, bringt der Kaherdin Bédiers Isolde zu ihrem tödlich verwundeten Geliebten (vgl. JB, S. 223ff), findet danach je- doch keine weitere Erwähnung. Im Gegensatz dazu wird Kuerdin in Hardts Drama tödlich verwundet, als er im Wald von Morois mit Tristan verwechselt wird und ver- sucht, zu fliehen.(vgl. TdN, S. 133). Eine Ähnlichkeit zwischen den Texten Hardts und Bédiers zeigt sich hingegen darin, dass sich der Schwager im Besitz des Ringes befindet, welchen Isolde als Eigentum von Tristan erkennt (vgl. JB, S. 225 und TdN, S. 137). Ansonsten scheint Hardt durch die Änderung der Handlung dem Bruder von Isolde Weißhand eine neue, wenn auch verkürzte Rolle im Mythos zugewiesen zu haben.

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4. Resümee

Abschließend werden nun die im Laufe der Arbeit gesammelten Ergebnisse noch- mals in aller Kürze aufgegriffen und zusammengefasst. Während sich die Wieder- holung der textexternen Analyse auf eine kurze allgemeine Zusammenfassung be- schränkt, sollen in Bezug auf die intertextuelle Analyse nun jene Schlüsse gezogen werden, zu welchen die erfolgte Auswertung der Motive und Personen im Haupt- beziehungsweise in den Prätexten geführt hat.

Im Verlauf des literarischen Schaffens von Ernst Hardt ließ sich ein deutlicher Wan- del seiner stilistischen Vorgehensweise erkennen. Der Sprung vom Naturalismus hin zur blumigen neuromantischen Dramengestaltung führte ihn an den Höhepunkt sei- ner künstlerischen Karriere. Der Erfolg des Dramas Tantris der Narr war, nach der Menge an Aufführungen und seinem Grenzen überschreitenden und stetig wachsen- den Bekanntheitsgrad nach zu urteilen, nicht mehr aufzuhalten. Auch die teilweise durch eben diesen Erfolg bedingten negativen Kritiken konnten dem Künstler wäh- rend seines Höhenfluges nichts anhaben. Trotzdem erging es Hardt in der Zeit des Nationalsozialismus nicht anders als vielen anderen Künstlern: er wurde aus dem öffentlichen Blickfeld entfernt, seine Dramen und Bücher wurden zensiert beziehungsweise verboten. Die Möglichkeit, erneut die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf sich zu ziehen, wurde Hardt, nach- dem er zwei Weltkriege und mehrere persönliche Gefechte überstanden hatte, auf- grund seines immer schlechter werdenden Gesundheitszustandes verwehrt, wodurch er und sein Werk immer mehr in Vergessenheit gerieten.

Dass Hardt durch seinen Tantris für einige Zeit zu großer Berühmtheit gelangt war, ist eine Tatsache. Den Grund dafür bietet unter anderem die besondere und durch- dachte Form der Weiterbearbeitung einer der größten Liebesgeschichten der Litera- turgeschichte. Doch wie gelang es Hardt, den alten Mythos in ein Drama zu verwan- deln, welches genau den Geschmack seiner Zeit traf? Um diese Frage beantworten zu können, galt es zunächst, die von Hardt verwendeten Prätexte zu identifizieren. Auf- grund der teilweise großen Ähnlichkeit der unterschiedlichen Bearbeitungen konnten nur wenige Texte eindeutig als Quellen Hardts ausgeschlossen werden. Vielen ande- ren konnte eine mögliche, jedoch nicht nachweisbare Beteiligung an der Entstehung 85 des Dramas zugesprochen werden. Aufgrund der mittels Textvergleichen, Eigenbeobachtungen und Abhandlungen unterschiedlicher Wissenschaftler erfolgten Auswahl kam es zu einer Erstellung eines Textkorpus, bestehend aus dem mittelal- terlichen, der version courtoise angehörenden Roman Tristan und Isolde des Gott- fried von Straßburg sowie den zur version commune/primitiv zählenden Texte von Joseph Bédier und Karl Simrock. Trotz der starken Eingrenzung der Prätexte scheint eine genaue Zuschreibung derselben nahezu unmöglich zu sein, da nur wenige Pas- sagen von Hardts Text auf eine einzelne Quelle zurückgeführt werden konnten. Diese Ausnahmen zeigten sich vorwiegend in der Namensgebung, im Falle von Gottfrieds Roman einzig an den Namen „Tantris“ und „Paranis“, wie auch teilweise in der Personencharakterisierung, am deutlichsten sichtbar an der Figur des Königs Marke. Auf Bédiers Text verwiesen in expliziter Form nur die Figurennamen „Hus- dent“ und „Denovalin“ sowie die Beschreibung der Trankwirkung, welche sich im ersten Teil mit jener von Hardt deckt und hierbei einem direkten Zitat sehr nahe kommt. Die Einbeziehung Simrocks hingegen konnte hauptsächlich durch Eigenaus- sagen des Autors in seinem Vortrag über Tantris der Narr untermauert werden, in welchem er direkt auf die Narrenszene Simrocks verweist. Andere Gemeinsamkeiten wie der Name „Ugrim“ oder die Stellung des Anführers der Siechen konnten auf Simrock wie auch auf Eilhart zurückgeführt werden. Insgesamt verwiesen nur wenige Handlungselemente auf einen bestimmten Prätext, was einen Rückgriff auf die Theorie der Systemreferenz notwendig machte. Hardt bediente sich somit, gestützt von seiner guten Textkenntnis sämtlicher im Textkorpus angeführten Tristan-Bearbeitungen, aus der Vielfalt des gesamten My- thos, wobei er die höfische wie auch die volkstümliche Version miteinander ver- mengte und dabei das Handlungsgerüst, welches er in eine bühnentaugliche Form adaptierte, zu einem großen Teil übernahm. Dieses hohe Maß an Strukturalität, ent- stehend durch die bekannten Motive wie auch durch die Verwendung von Re-used Figures, garantiert ein hohes Maß an Kommunikativität, deren Intensitätsgrad nur in wenigen Dramenabschnitten sinkt. In diesen seltenen Fällen entfernte sich Hardt von der intertextuellen Vollstufe und ging mittels Anspielungen zur Reduktionsstufe über, welche dem Rezipienten mehr Vorwissen abverlangt. Dies zeigte sich sehr deutlich bei der Erwähnung des Heiligen Georg, mit deren Hilfe Hardt das Motiv des Drachenkampfes in stark gekürzter Form in sein Drama aufnahm. Eine geringe Se- lektivität wie in diesem Fall, welche auch durch die Motive des Hemdtausches sowie

86 der Haarszene sichtbar wurde, scheint bei Hardt jedoch eine Ausnahme zu sein. Die meisten Verweise auf den Mythos erscheinen explizit, die hohe Referentialität wird zusätzlich durch die extreme Dichte an intertextuellen Verweisen verstärkt. Die in- tertextuelle Kommunikation mit dem Publikum war von Hardt eindeutig erwünscht, da das Drama zu großen Teilen auf das vom Autor vorausgesetzte Rezipienten- verständnis aufbaut. So können zwar auch jene Zuschauer, denen der Zugang zur intertextuellen Ebene fehlt, dem groben Handlungsverlauf des Dramas folgen, jene Szenen, hauptsächlich die kurzen Rückblicke zur Einführung sämtlicher Motive des Mythos, dürften in diesem Fall jedoch zu Interpretationsschwierigkeiten führen, wo- durch die Sinnhaftigkeit einiger Anspielungen, beispielsweise auf den Heiligen Ge- org, den dunklen Wald oder den Hemdtausch, verloren gehen würde. Trotz der genauen Übernahme der Handlungselemente zeigte sich bei der Analyse jedoch auch eine eigene Interpretation des Mythos durch den Autor, was sich vorwiegend in der Charakterdarstellung der handelnden Figuren widerspiegelt, vorrangig sichtbar an der Zeichnung des König Marke, welcher nicht nur die Ver- schmelzung der beiden Versionen am deutlichsten spürbar macht, sondern auch die stärkste Psychologisierung erkennen lässt. Dies wurde zusätzlich durch Hardts Vor- trag untermauert, da der Autor darauf hinwies, eine verstärkte Charakterisierung des Königs als notwendig empfunden zu haben. Die Darstellung der Isolde hingegen verweist eindeutig auf die literarische Epoche der Neuromantik. Trotz gewisser Ab- änderungen bleibt jedoch die Grundstruktur der Figurencharakteristika bestehen. Eine stärkere Abkehr vom originalen Verlauf zeigte sich zunächst in der Figur des Denovalin, welche im Drama eine Bedeutungsverstärkung erfährt, indem sie von Hardt aus dem Bereich der Randcharaktere hinausgeführt und in das Zentrum der Handlung verpflanzt wurde, und gipfelte schließlich in der Einführung des Narren Ugrin, welcher dem belesenen Rezipienten trotz des bekannt klingenden Namens einen neuen unbekannten Handlungsverlauf offenbart. Der hohe Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad des Dramas zur Zeit Hardts scheint sich nicht nur aus der niemals veralteten Liebesthematik heraus zu ergeben, sondern dürfte zusätzlich durch die Mischung von Innovation und dem Rückgriff auf das Altbekannte heraus entstanden sein, welche sich während der Analyse offen- barte. Schon aufgrund dieser Vermengung von Altem und Neuem, gepaart mit der herausragenden Sprachkunst Hardts, zeigt sich das Drama Tantris der Narr als

87 wichtiger Teil der Rezeptionsgeschichte des Mythos, welcher in der Literaturwissen- schaft weiterhin berücksichtig werden sollte.

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5. Siglenverzeichnis

EvO: Eilhart von Oberg: Tristrant und Isalde GvS: Gottfried von Straßburg: Tristan

HvF: Heinrich von Freiberg: Tristan und Isolde

JB: Joseph Bédier: Der Roman von Tristan und Isolde

KS: Karl Simrock: Tristan und Isalde

RW: Richard Wagner: Tristan und Isolde

TdN: Ernst Hardt: Tantris der Narr

6. Literaturverzeichnis

6.1 Primärliteratur

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89

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92

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6.4 Unveröffentlichte Quellen

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