LP21_ex_mb-um01 26.03.20158:29UhrSeite1 DaimlerWelt DaimlerWelt AutoW AutoWelt elt

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5 Euro // Lunapark21 Extra10 > Winter 2015 LP21_ex_mb-um01 26.03.2015 8:30 Uhr Seite 2 hereinspaziert

Tech|nik, die : Verhältnis der Arbeitenden zu Arbeitsgegenständen und Arbeitsmitteln; bürgerlich auch: Haufen von Sachen und Methoden zu ihrer profitablen Verwendung. Nähere Auskunft in jeder Ausgabe von Lunapark21. Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie. Z.B. Heft 28: Jörn Boewe – Stupid work 2.0. – Auslagerung schafft monotone Jobs. Heft 29 mit Schwerpunkt Griechenland 2.0 im März am Bahnhofskiosk. Lunapark21 – an vielen Bahnhofskiosken oder im Abo · 72 Seiten · Einzelheft 5,90 Euro · Abo BRD/Österreich: Normalabo 24 Euro 4 Hefte/Jahr · Abo-Plus 32 Euro 4 Hefte plus 2 Extrahefte/ Jahr · Probeheft/ Abo per Post AVZ · Storkower Str. 127a · 10407 Berlin · per E-Mail: [email protected] · per web: www.lunapark21.net INHALT

VORWORT Daimler-Koordination & TIE Global – Nichts ist in Butter 2

BOOM & ZERSTÖRUNG Winfried Wolf Die weltweite Autobranche Anfang 2015 4

INTERVIEW „ALTERNATIVE“-BETRIEBSRÄTE „... darauf achten, sich nicht im Klein-Klein zu verlieren!“ 8

DAIMLER-SCHLAPPE Andreas Jacobson Kein Logistikzentrum in Esslingen 11

LEIHARBEIT Christa Hourani Die Wirkung einer Undercover-Reportage auf prekäre Beschäftigung 12 Gerd Kupfer Daimler Bremen 14 Waldemar Derda & Aron Amm Daimler Berlin 15

ZUKUNFTSBILD 2020+ Gerwin Goldstein „Strategiepapier 2020“ noch nicht vom Tisch 16

VON PLAKAT ZUR ALTERNATIVE Daniel Behruzi Geschichte linker Opposition gegen Co-Management im Daimler-Werk Untertürkheim 18

MERCEDES-BENZ ARGENTINA Gaby Weber Nazigeldwäsche & verschwundene Betriebsräte 24

ARBEITERKÄMPF IN DEN USA Stephan Kimmerle Post-post-apokalyptische Gegenwehr in den USA 26

ARBEITSKÄMPFE IN INDIEN H. Köhnen & J. Nowak Wachstumsmodell Autoindustrie: verschärfte Ausbeutung & Gewerkschaftsfeindlichkeit 30

DAIMLER IN BRASILIEN Heiner Köhnen Ausgelagerte und prekäre Arbeitskräfte bei Daimler Brasilien 34

CAR, CAPITAL & CHINA Winfried Wolf Die Autogesellschaft im kapitalistischen Weltsystem 38

DER KONZERN Winfried Wolf Feuern aus vier Rohren: Die wechselvolle Geschichte des Daimler-Imperiums 53 LP21_ex_mb-in 26.03.2015 8:28 Uhr Seite 2

2 DAIMLER WELT – AUTO WELT

Nichts ist in Butter Das „immer schneller, immer mehr“ bei Daimler und anderswo bietet uns keine Perspektiven. Grundlegende Alternativen sind gefragt.

Mehr Umsatz, mehr verkaufte Fahr- Wochenendarbeit, wenn der Laden steht in allen Werken auf dem Pro- zeuge, höhere Gewinne. Daimler eilt – brummt. Freischichten, Arbeitszeitkon- gramm. Mehr und mehr Tätigkeiten wie auch andere deutsche Autoher- ten auffüllen und notfalls Kurzarbeit, werden ausgelagert und an Zulieferer steller – von Rekord zu Rekord. Die wenn es nicht läuft. Was das für das oder „Dienstleister“ vergeben – zu tiefe Krise von 2008/2009 scheint Privat- und Familienleben und für die schlechteren Konditionen, versteht überwunden. Viele Fabriken sind bis Gesundheit bedeutet, ist Zetsche & Co. sich. Bedroht sind die Jobs der Festan- zum Anschlag ausgelastet. Glaubt man offenbar egal. gestellten auch durch die Daimler- den Vorstandsplänen, soll es unge- „Flexibilität“ lautet immer noch ihr Strategie, die Produktion „in die bremst so weitergehen. 2015 sollen Zauberwort. Das betrifft nicht nur die Märkte“ zu verlagern. Schon jetzt ist

mehr als 2,5 Millionen Fahrzeuge von Arbeitszeiten, sondern auch die Be- klar: Neue Arbeitsplätze werden in den Bändern rollen. Perspektivisch sol- schäftigungsformen: Leiharbeit und Zukunft höchstens noch in China, In- len es gar drei Millionen sein. Werkverträge zu Billigkonditionen dien oder den USA entstehen. An den Alles in Butter also? Keineswegs. sparen nicht nur Geld, sondern schaf- deutschen Standorten ist Stagnation Das „immer schneller, immer mehr“ fen auch einen Flexibilitätspuffer. Die- angesagt – bestenfalls. geht auf die Knochen der Beschäftig- se Kolleginnen und Kollegen werden Drastischer Personalabbau inklusive ten. Das Unternehmen dreht perma- bei Bedarf angeheuert und können je- Standortschließungen ist für die kom- nent an der Rationalisierungsschraube. derzeit ohne großen Aufwand wieder menden Jahre nicht ausgeschlossen. Für die Kolleginnen und Kollegen am auf die Straße gesetzt werden. Das Denn in Ostasien und Amerika werden Band und im Büro wird die Arbeit geht nicht nur auf ihre Kosten, son- neue Kapazitäten geschaffen, die ei- immer stressiger. Physische und psy- dern auch zu Lasten der Sozialkassen. gentlich kein Mensch braucht. Schon chische Erkrankungen, Burn-out und Mehr prekäre und schlecht entlohnte jetzt gibt es weltweit Überkapazitäten Frühverrentung sind die Folgen. Das Beschäftigung bedeutet auch: weniger von schätzungsweise 30 Prozent. Mit Leben der Beschäftigten soll sich nach Geld für Krankenhäuser, Schwimmbä- der Abschwächung des Wachstums in den Bedürfnissen der Fabrik richten: der und Schulen. China, dem Abbremsen der Konjunktur Überstunden, Sonderschichten, Die Verringerung der Fertigungstiefe in Brasilien und anderen sogenannten

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VORWORT 3

Schwellenländern sowie der fortge- der Zentrale. Die vorherrschende Kon- Beiträgen verschiedener Autoren, die setzten Krise in Europa könnte sich zessions- und Standortpolitik lehnen sich unter anderem mit den ökonomi- dieses Problem bald deutlich verschär- wir ab. Unsere Alternative heißt: Soli- schen Perspektiven der Branche, der fen. darität. Zwischen den deutschen Wer- Expansion nach China und Indien, dem Hinzu kommt: Auf Umweltzerstö- ken und international. Wir arbeiten Niedergang der US-amerikanischen rung, Klimawandel und kollabierende zusammen mit Kollegen in Brasilien, Autoindustrie, der Ausbreitung prekä- Mega-Cities hat die Autoindustrie kei- Indien, Südafrika und anderen Län- rer Arbeitsverhältnisse und den Erfah- ne Antwort. Elektro-, Hybrid- oder dern. Und wir suchen Alternativen rungen linker Betriebsgruppen Wasserstoffantriebe lösen die Proble- zum umwelt- und menschenzerstören- beschäftigen. me nicht. Es sind Versuche, das System den Gesellschaftsmodell. Das heißt Die Idee zur Broschüre entstand bei des Individualverkehrs zu retten – und auch: Alternativen zum motorisierten einem Treffen der Daimler-Koordinati- damit die Profitquellen von Daimler, Individualverkehr. In dieser Debatte on im Frühjahr 2013, zu dem wir den BMW, VW und Co. Für die Menschen waren wir schon mal weiter. Vor einem Ökonomen und Publizisten Winfried ist die Beibehaltung dieses Modells, Vierteljahrhundert schrieb der IG- Wolf als Referenten eingeladen hatten. inklusive der stattfindenden Massen- Metall-Vorstand: „Wenn die Beschäf- Nach einem spannenden Vortrag und motorisierung Indiens und Chinas, hin- tigung in der Automobil- und Zulie- einer angeregten Diskussion hatten wir gegen ein Alptraum. ferindustrie aus umwelt- oder ver- das Bedürfnis, es bei diesem Austausch All das macht klar: Wir brauchen kehrspolitischen Gründen nicht weiter nicht bewenden zu lassen. Gemeinsam

Fotos, v.l.n.r.: Joachim Römer (1. & 5.); Winfried Junker-Schönfelder (2.); Rainer Krämer (3.); Holger Deilke (4.)

grundlegende Alternativen. Die Debat- ausgedehnt, sondern nur stabilisiert haben wir daher die vorliegende Bro- te darüber wollen wir mit der vorlie- werden kann oder im Trend zurück- schüre erarbeitet. Ohne die inhaltli- genden Broschüre voranbringen. Wir, geht, dann muss über neue Beschäfti- chen Beiträge von Winfried Wolf wäre das sind die Daimler-Koordination und gungsperspektiven nachgedacht wer- das nicht möglich gewesen. Unser das internationale gewerkschaftliche den.“ Das gilt heute noch mehr als Dank gilt auch unserem Layouter Joa- Basisnetzwerk TIE. damals. Der Umbau der Autobranche – chim Römer und der Redaktion von Seit Anfang der 1980er-Jahre tref- orientiert an gesellschaftlichen und Lunapark21, die mit den Extra-Heften fen sich regelmäßig kritische Gewerk- ökologischen Bedürfnissen bei Absi- eine Plattform für Initiativen wie die schafter, Betriebsräte und Beschäftigte cherung der Lohn- und Lebensbedin- unsere bietet. Wir hoffen, dass die des Daimler-Konzerns, um Informatio- gungen der Beschäftigten – ist nötiger Broschüre zur Diskussion anregt – und nen auszutauschen, Positionen zu er- denn je. Dazu gehört auch eine radika- zum gemeinsamen Handeln. arbeiten und gemeinsam aktiv zu wer- le Verkürzung der Arbeitszeiten bei den. Die Daimler-Koordination ver- vollem Lohn- und Personalausgleich. steht sich als Arbeitsforum linker, de- Wer etwas ändern will, muss mokratischer Betriebsgruppen und zunächst das Bestehende analysieren. Daimler-Koordination und TIE Global, Einzelpersonen aus den Werken und Das tun wir in dieser Broschüre mit im Januar 2015

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4 DAIMLER WELT – AUTO WELT

Boom und Zerstörung Die weltweite Autobranche Anfang 2015

Winfried Wolf

Es war Mitte Januar 2015 als der haltende Wachstum im neuen Maschi- sentierte sich die Autoindustrie wie in Daimler-Chef Dietmar Zetsche nenraum des Weltkapitalismus, in der den 1960er und 1970er Jahren: als ganz Amerika zum S-Klasse-Land VR China, und der beschleunigten Auto- kraftstrotzende Macho-Branche. In erklärte. „In Amerika ist ja ohne- motorisierung, die in diesem Land mit einem Bericht der Frankfurter Allgemei- hin alles größer, ob es jetzt Steaks seinen 1,2 Milliarden Menschen statt- nen Zeitung heißt es hierzu: „Als die sind oder Grundstücke […] Wenn findet. Zweitens durch den dramati- Show in Detroit begann, fühlte man sich sich hier die Leute leisten können, schen Verfall des Ölpreises und damit auf einmal um Jahre zurückversetzt. größere Autos zu kaufen, dann durch die Senkung der Kosten für eine Denn bei den Neuheiten, die auf die tun sie es auch.“1 Tankfüllung mit Benzin- oder Diesel- Bühne kamen, drehte sich wirklich alles Sie tun es. Sie kaufen wieder Autos. Sie Kraftstoff. um Leistung und dröhnende Motoren. kaufen vor allem große Autos: SUVs. Wieder einmal ist das Gerede von den Die Palette reicht vom übergroßen Pick- Pick-ups. Sportwagen. Spritfresser. So- „grünen Alternativen“ und von „nach- up bis zum Supersportwagen.“ gar der Fiat Cinquecento kommt als SUV haltiger Mobilität“, mit denen wir einige Die internationale Autoindustrie hat- heraus, als „500X“, für den auch prompt Jahre lang abgefüttert wurden, verges- te bereits 1974/75 und 1980-82 zwei im US-Fernsehen und per Videoclip sen. Vergessen sind Schlagzeilen wie die schwere Strukturkrisen erlebt. Beide „blue pill“ mit einer Viagra-Pille gewor- folgende, die nicht einmal ein Jahr alt Male war ihnen ein Ölpreisanstieg vor- ben wird. ist: „Luftverschmutzung: Frankreichs ausgegangen. 2008/2009 erschütterte Und sie tun es weltweit. Anfang 2015 Regierung verhängt ein Fahrverbot für eine dritte, schwere Branchenkrise die- sieht es so aus, als habe es nie eine Kri- Paris. Europa befürchtet ein neues sen weltweit wichtigsten Industrie- se der Autobranche gegeben. In diesem Smog-Zeitalter – Experten sprechen von zweig. Auch dieses Mal hatte es im Vor- Jahr 2015 könnte die weltweite Auto- 30000 Toten.“2 feld ein Rekordhoch beim Ölpreis gege- produktion auf 95 Millionen Kfz klettern Auf der Automesse in Detroit im Ja- ben; 148 US-Dollar je Barrel Rohöl wa- – 50 Prozent mehr als vor fünf Jahren nuar 2015 – wie kurz zuvor auf der ren da zu zahlen. In dieser jüngsten Kri- oder 30 Prozent mehr als beim voraus- Elektronikmesse CES in Las Vegas, die se war die weltweite Kraftfahrzeugpro- gegangenen Rekordniveau im Jahr 2007. ebenfalls im Januar stattfand, und wie duktion so stark wie nie zuvor eingebro- Der neue Boom wird durch zwei Fak- in Ansätzen auch bereits auf dem „Au- chen – von 73,1 Millionen im Jahr 2007 toren gespeist. Erstens durch das an- tosalon in Paris“ im Oktober 2014 – prä- auf 56,3 Millionen oder um fast 17 Mil-

Tabelle 1: Globale Pkw- und Kfz-Produktion und die Kfz-Fertigung in einzelnen ausgewählten Regionen 1999-2011

Jahre gesamte Produktion USA Europa* dabei BRD Japan China Indien Brasilien Südkorea Tsd Kfz Tsd Pkw jeweils Tsd Kfz und Anteil in Prozent 1999 56259 39759 13025 18831 5687 9896 1829 818 1350 2843 23,1% 33,5% 10,1% 17,6% 3,3% 1,5% 2,4% 5,1% 2000 58374 41216 12800 18977 5526 / 10141 2069 801 1681 3115 21,9% 32,5% 9,5% 17,4% 3,5% 1,4% 2,8% 5,3% 2001 56305 39826 11425 17227 5692 9777 2334 1330 1817 2946 20,3% 30,6% 10,1% 17,4% 4,1% 2,4% 3,2% 5,2% 2007 73153 53049 10780 19724 6213 11596 8862 2306 2977 4086 14,7% 27,0% 8,5% 15,6% 12,1% 3,2% 4,1% 5,6% 2008 70526 52840 8705 18430 6040 11563 9435 2314 3220 3806 12,3% 26,1% 8,6% 16,4% 13,4% 3,3% 4,6% 5,4% 2009 56305 39826 5709 17227 5209 9777 13791 1330 3182 3512 10,1% 30,6% 9,3% 17,4% 24,5% 2,4% 5,7% 6,2% 2010 77583 58239 7743 17078 5905 9628 18264 3557 3381 4271 9,9% 22,0% 7,6% 12,4% 4,6% 4,4% 5,5% 2013 87354 65462 11066 16246 5718 9630 22116 3880 3712 4521 12,7% 18,6% 6,6% 11,0% 25,3% 4,4% 4,3% 5,2% 2014 89500** 68000* 11700** 16500** 5820 24500** 3150 3300** 13,0% 18,4% 6,5% 27,4% 3,5%

Quelle: OICA - Organisation Internationale des Constructeur d´Automobiles, Paris, 2008 und 2014. * Europa ohne Russland und ohne die Türkei · * vorläufig bzw. geschätzt.

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BOOM & ZERSTÖRUNG 5

lionen Einheiten. Und dies, obgleich in bruch; erneut um 12 Prozent und nun- aus; zusammen mit Indien waren es China die Autoproduktion weiter gestei- mehr um minus 5 Millionen Pkw. Nun knapp 5 Prozent. Einen vergleichbaren gert wurde. Dieser Einbruch war bislang begann der achtjährige irakisch-irani- Aufstieg einer regionalen Branche – die einmalig – und entsprechend einmalig sche Krieg, in dessen Verlauf diese bei- Verachtfachung des Weltmarktanteils waren die Krokodiltränen der Daimler-, den Ölförderländer zur Finanzierung des im Zeitraum von einem Dutzend Jahren VW- und Fiat-Chrysler-Bosse Dietmar Kriegs Öl zu Dumpingpreisen auf den – dürfte es in der Geschichte des Kapi- Zetsche, Ferdinand Piech und Sergio Markt warfen. Der Ölpreis fiel auf ein talismus noch nie gegeben haben. Und Macchionne, die dem Publikum gut drei Niveau, das demjenigen aus der zweiten dieser Trend wird sich fortsetzen. 2015 Jahre lang erklärten, die Autoindustrie Hälfte der 1970er Jahre entsprach. Die dürften in China mehr Kraftfahrzeuge werde in Zukunft grün, sparsam und Autoproduktion boomte – erreichte als in den USA und Europa zusammen nachhaltig werden. Interessant ist bei 1990 mit fast 50 Millionen Pkw welt- hergestellt werden. Das Bild ist dadurch einem Vergleich der drei Krisen, dass in weit ein neues Rekordniveau. Die Krisen geschönt, dass es aktuell in den USA allen drei Fällen dasselbe Wundermittel- 1991-93 und 2000/2001 fielen dann den beschriebenen Autoboom gibt. chen gereicht wurde und es hieß, jetzt weniger gravierend aus. Doch der Ein- Immerhin wurden 2014 in den USA wie- werde man auf Elektro-Pkw umsteigen bruch, zu dem es 2008 bis 2009 kam der doppelt so viele Autos produziert und massiv in diese Alternative investie- und bei dem die Autofertigung von wie 2010. Geradezu desaströs sieht es ren. einem Niveau von 70 Millionen auf 56 hingegen in fast allen klassischen euro- Und was hat sich geändert? Warum Millionen abstürzte, erschien dann so päischen Autoherstellerländern aus. Sie- gibt sich die Autobranche wieder exakt gravierend, dass eine schnelle Erholung he Tabelle 2. In Großbritannien und in so, wie sie immer war und ist, als PS- ausgeschlossen erschien. Doch es kam Spanien liegt die Autofertigung heute Maschine, die sich ohne Rücksicht auf erneut zu einem erheblichen Rückgang um 20 Prozent unter dem Niveau von Stadt, Land und Mensch in immer grö- des Ölpreises von 150 auf gut 100 US- 1999; der Weltmarktanteil der Kfz Made ßerem und gewalttätigerem Umfang Dollar je Barrel. Die Autoproduktion in UK bzw. Made in Spain hat sich von ausbreitet? Richtig – es änderte sich erholte sich. 2010 wurde das alte Pro- 3,5 auf 1,8 Prozent bzw. von 5,1 auf 2,5 genau das, was sich auch am Ende der duktionshoch aus der Zeit vor der Krise Prozent halbiert. In Frankreich gab es im vorausgegangenen Branchenkrisen 1975 erstmals wieder überschritten. Ab gleichen Zeitraum sogar eine knappe und 1982 änderte: Der zunächst relativ Herbst 2014 fiel der Ölpreis dann noch- Halbierung der absoluten Zahl herge- hohe Ölpreis sank und sank. Und er sinkt mals und nunmehr drastisch auf weni- stellter Kfz – von 3,2 Millionen im Jahr und sinkt. Ende Januar 2015 ist er bei ger als 45 US-Dollar. Auf diese Weise 1999 auf 1,7 Millionen 2013. Der Welt- weniger als 45 US-Dollar je Fass ange- dürfte es im Jahr 2015 mit 70 Millionen marktanteil sank von 5,6 auf 1,9 Pro- langt. Dieser Preis entspricht einem Einheiten einen neuen Weltrekord bei zent oder auf ein Drittel. Drittel des Rekordpreises vor der letzten der Pkw-Fertigung geben.3 Geradezu dramatisch ist die Lage in Krise. Doch so erstaunlich und beeindruk- Italien – und Fiat-Boss Marchionne wird Mit solchen drastischen Rückgängen kend die jüngste Erholung ist, so kam es auch nicht müde zu erklären, dass Ita- des Ölpreises konnten bislang alle drei in den vergangenen Jahren doch zu dra- lien als Autoland abgedankt habe. Das Krisen beendet und in jeweils einen matischen Veränderungen in der Struk- Land mit so berühmten Automarken wie neuen Boom überführt werden. Und tur der internationalen Autoindustrie. Fiat, Alfa, Lancia, Ferrari und Massarati damit konnte bislang immer wieder die Tabelle 1 liefert die entsprechenden erlebte einen Einbruch der Autoferti- weiterhin berechtigte Kritik von Um- Fakten. gung von 1,7 Millionen im Jahr 1999 weltverbänden weggefegt werden. Bis zur letzten Krise 2007/2008 wur- auf nur noch 658000 im Jahr 2013. Da- Damit erleben wir einen dreimalig- den knapp 60 Prozent aller Kraftfahr- mit sank der Anteil Italiens an der Welt- einmaligen Prozess des Wiederaufstiegs zeuge, die weltweit hergestellt wurden, autofertigung von 3 Prozent auf 0,8 der weltweiten Autoindustrie. „Totge- in Europa, in den USA und in Japan ge- Prozent. Deutschland und die Tschechi- sagte leben länger“ könnte man sarka- fertigt. Einschließlich der südkoreani- sche Republik sind die einzigen europäi- stisch sagen. Sie leben nicht nur länger; schen Autoindustrie waren es sogar schen Länder, in denen im genannten sie nehmen mit jeder unerwarteten knapp zwei Drittel. Inzwischen entfallen Zeitraum das Niveau der Autoprodukti- Wiederauferstehung auch eine unerwar- nur noch 42 Prozent der Weltautoferti- on weitgehend erhalten blieb. tet vergrößerte Gestalt an. Mitte der gung auf die USA, Europa und Japan; Auch wenn diese Veränderungen in 1970er Jahre lag das weltweite Produk- einschließlich Südkorea sind es 47 Pro- der Struktur der weltweiten Autoindu- tionsniveau bei gut 30 Millionen Pkw. Es zent. strie nicht identisch sind mit Verände- kam zum Einbruch in der Krise mit ei- Stattdessen rückte China zum Land rungen bei der Konzernmacht – worauf nem Produktionsrückgang von 12 Pro- mit der größten Autoindustrie auf. Ein wir gleich zu sprechen kommen – so zent oder 4,5 Millionen Pkw weniger. Viertel der weltweiten Autofertigung sind diese Veränderungen doch ent- Dann der Ölpreisrückgang. Ein neuer findet inzwischen in China statt; zu- scheidend hinsichtlich der Debatte über Boom. Und 1980 war der neue Weltre- sammen mit Indien sind es 30 Prozent. die Arbeitsplätze in der Autoindustrie. kord mit 40 Millionen Pkw erreicht. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 machte die Jahrzehntelang wurde der Verweis auf 1980-1982 kam es zum nächsten Ein- Autofertigung in China nur 3,5 Prozent die Jobs in der Autoindustrie in erpres-

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6 DAIMLER WELT – AUTO WELT

Tabelle 2: Autoproduktion in Europa 1999, 2007 und 2013 Zahl der produzierten Kfz und Weltmarktanteile des jeweiligen Autolandes 1999 2007 2013 Land/Region Tsd. Kfz Anteil in % Tsd. Kfz Anteil in % Tsd. Kfz Anteil in % Deutschland 5687 10,1% 6213 8,5% 5718 6,6% Frankreich 3180 5,6% 3015 4,2% 1740 1,9% Italien 1701 3,0% 1284 1,6% 658 0,8% Spanien 2853 5,1% 2890 4,0% 2163 2,5% Großbritannien 1974 3,5% 1750 2,4% 1597 1,8% Tschechische Republik 376 0,7% 937 1,3% 1133 1,3% Europa 18835 33,5% 19724 27,0% 16246 18,6% Welt 56259 100% 73153 100% 87354 100%

serischer Weise gegen diejenigen vorge- Tabelle, dann stellt man hier – im Generation Y“, um jene Leute, die um bracht, die auf das zerstörerische Poten- Gegensatz zur Struktur der Autoproduk- die 30 Jahre alt und gut ausgebildet tial des Autoverkehr verwiesen. Inzwi- tion – eine überraschende Stabilität sind, und die „im Beruf Fuß gefasst“ ha- schen stellt sich die Situation zumindest fest. Zunächst ist bemerkenswert, dass ben. in Europa – tendenziell aber auch in die 20 größten Autokonzerne der Welt Zetsche spricht hier in zweifacher Nordamerika und in Japan – einigerma- mehr als 90 Prozent aller Autos, die Weise ein ernstes Problem an, mit dem ßen anders dar. Die Autoarbeitsplätze weltweit von den Bändern rollen, her- sich die Weltautobranche konfrontiert wurden massiv abgebaut. stellen. Das erste Dutzend vereint sogar sieht: Erstens das Problem, dass Daim- Auch weltweit ist die Debatte über 80 Prozent der Weltautoproduktion auf ler-Pkw im Preis so hoch liegen, dass sie die Arbeitsplätze in der Autoindustrie sich. Das war so in den 1980er Jahren. eigentlich ein eher älteres Publikum, irreführend. Trotz des gewaltig ange- Das war so 2005. Und das ist auch heu- Leute mit ausreichend hohen Einkom- stiegenen Volumens der Weltautopro- te exakt so. Die Kapitalkonzentration ist men und Vermögen, ansprechen. Zwei- duktion blieb die Zahl aller Arbeitsplätze unverändert und sie ist sehr groß – trotz tens das Problem, dass es seit rund 15 in der Weltbranche über mehr als 70 des Aufstiegs von China. Das hängt na- Jahren bei den jungen Menschen in Jahre weitgehend unverändert. In die- türlich damit zusammen, dass die chine- Nordamerika, Japan und Europa einen sem strategisch wichtigsten Wirt- sische Autoproduktion zu mehr als der interessanten „Trend weg vom Status- schaftszweig arbeiten derzeit knapp Hälfte von den großen westlichen Auto- symbol Auto“ gibt (siehe den Artikel aus zehn Millionen Menschen4. Allerdings konzernen bestimmt wird. S. 38ff zur „Autogesellschaft“). gibt es erhebliche Verschiebungen dieser Sodann fällt auf, dass bisher die Dass Zetsche seine optimistischen Autoarbeitsplätze weg aus Europa und Weltautoproduktion von den traditio- Sätze über die Zukunft der Autoindu- Nordamerika und hin nach China, Indien nellen westlichen Herstellern dominiert strie im Allgemeinen und über diejenige und zeitweilig auch nach Brasilien. Der wird. Unter den zwölf größten Autoher- von Daimler im Besonderen ausgerech- Grund für diese weitgehend gleichblei- stellern gab es 2013 elf „westliche“ und net in Detroit anlässlich der diesjährigen bend große Job-Zahl trotz gestiegenem mit SAIC einen chinesischen Hersteller. Automesse äußerte, ist im Grund ge- Output liegt Allgemein in den Produkti- Wobei SAIC gerade erst Rang 12 erober- nommen makaber. Der neue Boom bei vitätsfortschritten und im Besonderen te. Bei den übrigen elf führenden Auto- den traditionellen US-Autoherstellern darin, dass die Autoproduktion sich in konzerne handelt es sich um die übli- GM, Ford und Chrysler, die ihre Firmen- idealer Weise für halbautomatisierte chen Verdächtigen: Es sind mit Toyota, zentralen formal noch in Detroit oder im Produktionsprozesse und für den mas- GM, VW, Hyundai, Ford, Renault-, nahegelegenen Dearborn haben, ist senhaften Einsatz von Industrierobotern Fiat-Chrysler, Honda, Suzuki, PSA und strikt getrennt vom Niedergang der eignet. BMW klassische westliche Autoherstel- Stadt Detroit und der Region Detroit/ Untersucht man schließlich die ler. 2005 gab es unter den zwanzig Dearborn. Macht der Autokonzerne, so ergibt dies größten Hersteller 14 traditionelle west- Zur gleichen Zeit, wie die Meldungen ein völlig anderes Bild. Tabelle 3 nennt liche Produzenten und sechs chinesi- vom neuen Autoboom anlässlich der für die Jahre 2005, 2009 und 2013 die sche. Das war 2013 exakt so. 2015er Automesse in Detroit durch die 20 größten Autoproduzenten. Dabei Zetsche verglich im Januar 2015 auf Welt gingen, wurde im Kleingedruckten sind die verschiedenen Automarken be- der Automesse in Detroit „seinen“ einiger Medien darüber berichtet, dass reits den jeweiligen Konzernen zugeord- Daimler-Konzern „mit dem Geist der die Stadt Detroit inzwischen ihre Kunst- net; diese werden nicht getrennt aufge- Apple Stores“. Der Konzern wolle, so schätze – darunter Gemälde von Pablo führt.5 Zetsche, „in Zukunft vor allem jüngere Picasso – verkaufen muss, damit bei der Untersucht man die Ergebnisse in der Kunden“ ansprechen. Es gehe um „die Straßenbeleuchtung wenigstens jede

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BOOM & ZERSTÖRUNG 7

Tabelle 3: Die 20 weltweit größten Autohersteller 2005, 2009 und 2013

2005 2009 2013 Rang 2013 Autohersteller – in Klammern Kfz-Prod. welt- Anteil an Welt- Kfz-Prod. welt- Kfz-Prod. welt- Anteil an Welt- Rang 2005 weit in Tsd. produktion in % weit in Tsd. weit in Tsd. produktion in % 1 Toyota (J) (2) 7338 11,0% 7234 10324 11,9% 2 General Motors (US) (1) 9097 13,7% 6495 9629 11,1% 3 Volkswagen (D) (5) 5211 7,8% 6067 9379 10,8% 4 Renault-Nissan (F) (4) 6111 9,2% 5041 7655 8,8% 5 Hyundai (J) (9) 3091 4,7% 4645 7233 8,3% 6 Ford (US) (3) 6497 9,8% 4685 6077 7,0% 7 Fiat (I) (10)* 2037 3,1% 2460 4682 5,4% 8 Honda (J) (7) 3436 5,2% 3012 4298 4,9% 9 Suzuki-Maruti (J) (11) 2071 3,1% 2387 2842 3,3% 10 PSA (F) (8) 3375 5,1% 3042 2833 3,3% 11 BMW (D) 1323 2,0% 1258 2006 2,3% 12 SAIC (China) 518 0,8% 348 1992 2,3% 13 Daimler (D) (6) ** 4815 7,2% 1447 1781 2,1% 14 Mazda (J) 1287 1,9% 984 1264 1,5% 15 Dongfeng (China) 593 0,9% 663 1239 1,4% 16 Mitsubishi (J) (12) 1331 2,0% 802 1230 1,4% 17 Changan (China) 422 0,6% 1452 1110 1,3% 18 Tata (Indien) 419 0,6% 672 1062 1,2% 19 (China)*** 149 0,2% 330 969 1,1% 20 BAIC (China) 559 0,8% 684 918 1,1%

* Fiat ab 2013 einschl. Chrysler · ** Daimler 2005 einschl. Chrysler · *** Geely ab 2013 einschl. Volvo

zweite Laterne wieder mit Strom ver- sorgt wird. Wir erinnern auch daran, dass am 5. Dezember 2014 in Bochum Quellen: das Traditionswerk der GM-Tochter Opel Alle Angaben in den Tabellen nach: OICA - Organisation Internationale des Constructeur endgültig geschlossen wurde. Damit d´Automobiles, Paris, 1999-2015 (jeweilige Jahres-Statistiken). wurde in Deutschland eine große Stadt, Anmerkungen: die mehr als ein halbes Jahrhundert 1 Nach: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. Januar 2015. lang auf das Auto gesetzt hatte und in 2 Handelsblatt vom 18. März 2014. der 52 Jahre lang Opel-Autos vom Band 3 Es geht hier wohlgemerkt um die Zahlen der weltweit gefertigten Pkw (in der Tabelle 1 die dritte Spalte), und nicht um die Kraftfahrzeuge (Kfz), also die Summe von Pkw und rollten, in eine tiefe Strukturkrise ge- Nutzfahrzeugen (vor allem Lkw und Busse). Zweiräder (Mopeds, Motorräder) tauchen in der stürzt. Es handelt sich in Detroit und Regel in den internationalen Kfz-Statistiken nicht mehr oder nur am Rande auf. In Ländern Bochum um Entwicklungen, die noch der Dritten Welt, auch in der VR China und in Indien, spielen sie allerdings noch eine erheb- vielen Standorten der Weltautoindustrie liche Rolle. bevorstehen. Glanz und Elend liegen in 4 Ich schreibe „strategisch wichtigstem Wirtschaftszweig“, weil es durchaus andere der Autobranche in direkter Nachbar- Industriezweige im Weltkapitalismus gibt, in denen mehr Menschen Beschäftigung finden, die jedoch nicht die strategische Bedeutung haben, die der Autoindustrie in ökonomischer, schaft. politischer und massenpsychologischer Hinsicht zukommt. So arbeiten beispielsweise in der (weltweiten) Bauindustrie oder auch im Maschinenbau deutlich mehr Menschen. Auch beschäftigt die Landwirtschaft ein Vielfaches. Winfried Wolf ist Chefredakteur von Luna- 5 Um einige wichtige Markenzugehörigkeiten zu nennen: VW als Konzern meint heute also park21. Er verfasste mehrere Bücher zur Au- u.a. Kraftfahrzeuge der Marken Volkswagen, Audi, Porsche, Phaeton, Seat, Skoda, toindustrie (Kein Gas, kein Spaß!, Auto-Krieg Lamborghini, Scania, MAN und Bugatti. Fiat schließt Lancia, Alfa, Chrysler und Jeep mit ein. – Konzerne rüsten für die Zukunft) und zur Zu Hyundai gehört auch Kia. Zu GM zählen Daewoo, Chevrolet, Opel, Holden, Vauxhall. Eher Verkehrspolitik. Jüngst erschien: Bernhard überschaubar ist dann BMW, wozu noch und Rolls Royce zählen. Suzuki wiederum Knierim / Winfried Wolf, Bitte umsteigen! 20 kontrolliert den indischen Hersteller Maruti. Im Besitz des indischen Autokonzerns Tata Jahre Bahnreform, Stuttgart 2014 (Verlag befinden sich und Jaguar. Daimler hat in seinem Imperium u.a. Smart und Schmetterling). Freightliner. Renault kontrolliert Nissan und Dacia. Geely ist Eigentümer von Volvo. Usw. usf.

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8 DAIMLER WELT – AUTO WELT

„... darauf achten, sich nicht im Klein-Klein zu verlieren!“ Was Betriebsräte tun können. Die „Alternative“- Betriebsräte bei Daimler Berlin-Marienfelde Waldemar Derda, Matthias Bender und Lutz Berger beziehen Stellung

Hat sich die Situation im Betrieb in zu tun. Man muss sich sehr konkret um unternehmen? den letzten 30 Jahren spürbar verän- die individuellen Probleme der einzelnen In der In dem Branchen-Wirtschaftsma- dert? Kollegen kümmern. Und man muss bei gazin „Automobil-Produktion“ vom 20. Und ob. In mancherlei Hinsicht ist die Angelegenheiten hinterher sein wie, ob Januar 2013 wird Zetsche mit den Wor- betriebliche Lage kaum wiederzuerken- zum Beispiel auf den Toiletten in allen ten zitiert: „Seit ich wieder für Merce- nen. In den achtziger Jahren wurde Bereichen Seifen und Handtücher sind, des verantwortlich bin, wurde die Bau- sicher auch keine ruhige Kugel gescho- ob Schichtpläne und Vereinbarungen zeit von 60 auf 40 Stunden pro Modell ben. Schließlich waren es damals eben- eingehalten werden, ob alle über ihre reduziert.“ Das zeigt erst Mal, dass die falls die Kolleginnen und Kollegen, die Rechte im Bilde sind. Rationalisierungspolitik weiter vorange- den ganzen Reichtum für Daimler ge- trieben wird. schaffen haben. Aber: Die Älteren von Führt das nicht dazu, sich bei der Be- Was man tun kann? Höhere Takte uns können sich an Zeiten erinnern, wo triebsratsarbeit im Klein-Klein zu ver- fordern. Bei besonderen Vorkommnissen es nach getaner Arbeit noch möglich lieren und den Wald vor lauter Bäu- kann man den Kollegen vorschlagen, so- war, vor Feierabend einen Kaffee zu- men nicht mehr zu sehen? fort den Betriebsrat aufzusuchen. Wenn sammen zu trinken und eine halbe Die Gefahr besteht absolut. Umso wich- das Dutzende gleichzeitig machen, dann Stunde über Persönliches zu reden. Oder tiger ist es, sich immer vor Augen zu bekommt die Werksleitung ein Problem. über die anstehende Tarifrunde, über die halten, was die Hauptziele sind, die man Darüber hinaus muss man auf das Mit- 35-Stunde-Woche und und und. verfolgt. bestimmungsrecht pochen – beispiels- In den Neunzigern hat der Druck weise bei der Umgestaltung von Ar- dann enorm zugenommen. Im Werk Sin- Was ist für Euch zentral? Wie seid ihr beitsplätzen. So können kürzere Takte delfingen fing es zum Beispiel mit dem Betriebsräte geworden? verhindert werden. Auslaufen von W124 und W201 an und Wir sind zu der BR-Arbeit gekommen, steigerte sich mit jedem neuen Modell. nachdem bei uns im Werk das neue Ent- Was war in all den Jahren noch ein Und heute wird so ein Stress gemacht, geltrahmenabkommen (ERA) eingeführt wichtiges Thema? dass einige sogar während einer Be- wurde. Und weil die Mehrheit in unse- Die Zukunft unseres Werkes. In Stutt- triebsversammlung oder in den Pausen rem Werk zu allem, was von oben kam, garter Daimler-Werken erhält man ei- durcharbeiten. Apropos: BMW will ja „Ja und Amen“ sagte. Wenn der Arbeit- nen Nachtschicht-Zuschlag von 30 Pro- gerade die bezahlten Pausen reduzieren. geber uns auf die linke Wange schlug, zent. Bei uns nur von 15 Prozent. Das Das kann uns auch noch blühen. wurde bereitwillig auch noch die rechte war vor einigen Jahren ein Zugeständnis Wange hingehalten. Einige in der Beleg- zum Berliner Tarifvertrag. Wir sagen da- Welche Folgen haben die veränderten schaft waren damit unzufrieden. So ist gegen: Verzicht rettet keine Arbeitsplät- Arbeitsbedingungen für die Betriebs- 2007/2008 die Zeitung „Alternative“ ze. Die Opelaner in Bochum können ein ratstätigkeit? gegründet worden und um sie herum Lied davon singen. Wir sind ja noch nicht so lange „im Ge- unsere Gruppe entstanden. Wir fordern stattdessen die Möglich- schäft“. Bei der „Daimler-Koordination“ Weil die Differenzen so weit gingen keit zur Einsichtnahme in die Pläne des haben wir aber von älteren Betriebsrats- und gerade vor der letzten BR-Wahl Vorstands. Und Ersatz für das Auslauf- Kollegen gehört, dass auch hier vergli- auch keinerlei Bereitschaft existierte, modell OM 642*. Die Motorenprodukti- chen mit den achtziger Jahren heute ein mit uns über eine mögliche gemeinsame on ist unser Herzstück. Wenn bei uns Unterschied wie Tag und Nacht Liste und Persönlichkeitswahlen zu re- nur noch Komponenten hergestellt wer- herrscht. Die Schwächung der Beschäf- den, mussten wir 2010 und 2014 eigen- den sollten und keine Kernprodukte tigtenvertretungen und das Ausmaß der ständig kandidieren – und gleichzeitig mehr, könnte bei uns sehr schnell das Flexibilisierung haben dafür gesorgt, darum kämpfen, trotzdem IG-Metall- Licht ausgeknipst werden. dass man sich heute als Betriebsrat um Mitglieder zu sein. Dinge kümmern muss, die früher selbst- Hätte der Betriebsrat hier Gelegenhei- verständlich waren. Unsere Aufgaben Lässt sich gegen Rationalisierungen ten, Druck zu machen? haben heute viel mehr mit Sozialarbeit und Arbeitshetze überhaupt etwas Könnte, hätte, würde … Wenn es soweit

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INTERVIEW „ALTERNATIVE“-BETRIEBSRÄTE 9 Foto: Joachim Römer

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kommt, durchaus. Durch außerordentli- sind wir durch die Hallen gegangen, um Wenn ihr zusammenfasst, worauf es che Betriebsversammlungen, durch um- ein Gesundheitsmapping durchzuführen. bei einer Betriebsratsarbeit im Sinne fassende Informationen, durch die Ein- Das hilft, um mit den Kollegen gemein- der Belegschaft ankommt – was wür- beziehung der Kollegen und lebhafte sam festzustellen, wo der Schuh drückt: det ihr herausstellen? Diskussionen, zum Beispiel mit Hilfe der Stimmen die Temperaturen? Ist die Luft Nicht an den Kollegen vorbei, sondern Wiedereinführung von Saalmikrofonen in Ordnung? Können sich giftige Sub- nur unter Einbeziehung der Kollegen bei den Belegschaftsversammlungen. stanzen bilden? Sind die Maschinen so aktiv sein. Das fängt damit an, dass Hin- Auch Betriebsversammlungen vor dem eingerichtet, dass es zu keinen Rücken- terzimmer-Mauscheleien Tabu sind. Werkstor könnten Bewegung in die schäden kommen kann? In welchem Vielmehr gilt es, alle Informationsrechte Sache bringen. Als Bosch-Siemens- Zustand sind die Werkzeuge? nach dem Betriebsverfassungsgesetz zu Hausgeräte-Werke in Spandau 2006 vor Regelmäßige Begehungen aller Abtei- nutzen, um die Belegschaft unverzüg- dem Aus stand, gab es dort sogar eine lungen zusammen mit Betriebsarzt, lich aufzuklären. Laut Betriebsverfas- mehrwöchige Betriebsversammlung, um Fachkraft für Arbeitssicherheit, Arbeit- sungsgesetz sollen auf Betriebsver- seitens der Belegschaft eine Strategie geber und ein bis zwei Kollegen aus den sammlungen Diskussionen stattfinden. für Gegenwehr zu beraten. betroffenen Bereichen sind sinnvoll. Das muss gefördert werden. Der Werks- Nötig ist aber auch immer, den Brük- Kollegen, die Übelkeit verspüren, sollten leiter darf nur Gast sein. kenschlag zu anderen Belegschaften zu gleich angehalten werden, den Werks- Alles, was bei der Betriebsratsarbeit suchen. Wir müssen alles tun, damit wir arzt aufzusuchen. passiert, muss transparent gemacht nicht gegeneinander ausgespielt wer- Hier lassen sich auch Gefährdungsbe- werden. Auch Verhandlungen mit dem den. Die IG Metall sollte Absprachen urteilungen einfordern. Im Konfliktfall Arbeitgeber. Die Kollegen müssen nach organisieren. Betriebsräte könnten aber kann außerdem die Einigungsstelle an- ihrer Meinung gefragt werden. auch einfach mal die Arbeitnehmerver- gerufen werden. Es darf auch keine Sonderrechte für tretung in einem anderen Werk besu- Dass hier Verbesserungen erzielt wer- Betriebsräte geben. Das fängt schon im chen oder jemand von denen auf eine den, ist dringend nötig. Denn psychische Kleinen mit der Einfahrgenehmigung Betriebsversammlung einladen. Erkrankungen sind der Hauptgrund für aufs Firmengelände an; es sei denn, sie Frührente. Deshalb darf nicht an den sind gehbehindert. Und es geht bei den Welche Themen beschäftigen Euch Symptomen herumgedoktert werden. Betriebsratsfürsten in den ganz großen sonst bei der BR-Arbeit? Nein, die Ursachen müssen angegangen Unternehmen weiter, wenn diesen, wie Was seit 2007 allen ständig auf den Nä- werden. bei VW, irgendwelche Luxusreisen ange- geln brennt, ist das Entgeltrahmenab- boten werden. kommen ERA. Leider ließ sich die IG- Welche Druckmittel habt ihr bei Er- Eines noch: Bei Protesten muss die Metall-Spitze darauf ein. Wir sammel- pressungsversuchen der Unternehmer- Devise sein, Klotzen statt Kleckern, ten damals 850 Unterschriften für eine seite? immer die Belegschaft mobilisieren, die außerordentliche Betriebsversammlung Transparenz gegenüber der Belegschaft! Öffentlichkeit ansprechen, andere Wer- und machten Werkstor-Aktionen. Hier Wenn mit Arbeitsplatzabbau und ähnli- ke kontaktieren. müssen wir andauernd auf der Hut sein, chem gedroht wird, dann darf es keine Die Betriebsratsarbeit ist sicher alles dass Kollegen nicht falsch eingruppiert Zustimmung zu Überstunden und andere als ein Kinderspiel. Trotzdem werden und so Lohneinbußen haben. Wochenendarbeit geben. In Stuttgart- lässt sich, wenn man diese Grundsätze Man muss sie bei Gesprächen mit dem Untertürkheim konnten über 1000 Neu- beherzigt, einiges bewirken. Meister begleiten, sie darauf vorbereiten einstellungen durchgesetzt werden! und ihnen überhaupt den Rücken stär- ken. Habt ihr auch bei Leiharbeit und Eine ähnliche Plage sind die soge- Werkverträgen eine Handhabe? nannten Krankenrückkehrgespräche. Das Nach den Urteilen letztes Jahr haben ist pure Schikane. Und müsste nicht wir zumindest bessere Karten, auch vor Waldemar Derda, Matthias Bender und Lutz Berger gehören der „Alternative“– sein. Darum fordern wir bei uns, dass Gericht was zu erreichen. Darum sollten Gruppe bei Daimler Berlin-Marienfelde an der Betriebsrat den Leitfaden „Anwe- Betriebsräte in jedem Fall gegen Werk- und sind gewählte Betriebsräte. Das Ge- senheits- und Gesprächscontrolling“ verträge klagen, durch die aufgrund der spräch führte Aron Amm, der verantwortli- endlich kündigt. ausgeführten Tätigkeiten Arbeitsver- cher Redakteur der SAV-Website Wo sich auch was machen ließe, das hältnisse direkt bei Daimler entstehen. sozialismus. info und der Zeitung „Solidarität“ ist. wäre bei der Gesundheitspolitik. Zudem sollten wir uns bei unserer Ar- beit, in unseren Materialien, auf Be- * Der OM642 ist ein Dieselmotor (OM steht Ist das nicht Sache der Gesetzgeber? triebsversammlungen und so weiter hin- für „Öl-Motor“), der in den Daimler-Werken Hier hat der Betriebsrat sehr wohl eige- ter die Kollegen stellen – und zum Bei- in Berlin und Untertürkheim gebaut wird. ne Möglichkeiten. Im Augenblick sind spiel problematisieren, wenn sie bei den Er wird seit 2005 gefertigt und überwie- gend in Daimler-Pkw (C- und E-Klasse) und wir dabei, eine Betriebsvereinbarung Essenspreisen, in den Sozialräumen oder bei Daimler-Kleintransportern, aber auch Gesundheitsschutz zu entwerfen. Dafür an anderer Stelle benachteiligt werden. beim Chrysler300-Modell eingesetzt.

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DAIMLER-SCHLAPPE 11

Daimler-Schlappe in Esslingen Andreas Jacobson

Am 16. Juli 2014 platzte in Esslingen die später wurde Gemeinderats Bombe: Im Ausschuss für Technik und die Initiati- wankten allesamt Umwelt der 90000-Einwohnerstadt bei ve von 30 schnell, schon Stuttgart kam der Vorentwurf eines Be- Personen Anfang Sep- bauungsplans zur Abstimmung, der den gegrün- tember erklärte Bau eines großen Logistikzentrums der det, eine der Sprecher Firma Daimler in einem Gewerbegebiet weitere des Oberbür- am Rande des Stadtteils Pliensauvor- Woche germeisters, er stadt vorsah: 22000 Quadratmeter, 13 später glaube nicht, Meter Höhe, 24-Stundenbetrieb, mehr führte die dass sich eine als 50000 Schwerlast-LKW-Bewegun- Stadt Esslin- Mehrheit für das gen im Jahr. Und das, obwohl eine hier- gen eine Logistikzentrum her- für geeignete Verkehrsanbindung des öffentliche Ver- stellen lasse. Die Ess- Gewerbegebietes weder besteht noch anstaltung durch zur linger Zeitung und die herstellbar ist. Der größte Teil des Ver- Information der Bewohner Stuttgarter Zeitung berichteten kehrs ginge durch den Stadtteil, vorbei des Stadtteils, am ersten Tag der Som- neutral bis kritisch über die Pläne. an Schulen, Kindergärten, Jugendein- merferien. Die formelle Einspruchsfrist Nochmal Glück für die Initiative: Es richtungen und Wohnblocks. für den Bebauungsplan sollte ebenfalls herrschte auch noch OB-Wahlkampf. Hintergrund für den Plan ist, dass noch während der Sommerferien enden. Der Amtsinhaber und erneute Bewerber, Daimler die gesamte Produktion umbaut Der Raum für 80 Personen reichte an der das Projekt, wie sich herausstellte, und überall in den Werken die Ferti- diesem Abend aber nicht aus, die Veran- seit über einem Jahr im Hintergrund mit gungstiefe reduziert. Da außerdem die staltung wurde von über 200 Personen Daimler vorangetrieben hatte, war zwar „just-in-time“-Versorgung durch exter- besucht und musste nach 5 Minuten unangefochten und hatte keine ernst- ne Zulieferer wegen der Überlastung der verschoben werden auf einen Termin hafte Konkurrenz. Dennoch kam ihm ein Verkehrswege immer schlechter funktio- nach den Sommerferien, ebenso wie die so breiter Widerstand unerwartet und niert, werden Logistikzentren als Puffer Einspruchsfrist. Viertausend Flyer und ungelegen. vor den Toren der Werke geplant, um Plakate an der Tür zu jedem Mehrfamili- Am 16. September 2014 dann, beim Teile und Vorprodukte, die von außen enhaus und in jedem Geschäft im Stadt- Showdown der nachgeholten Bürgerin- kommen, direkt verfügbar zu haben. teil hatten die Stadtteilbevölkerung formation, saßen über 600 Menschen Der betroffene Stadtteil, früher mal mobilisiert. im Saal. Der OB gab schon in den ersten „die Bronx von Esslingen“ genannt, mit In den folgenden Wochen ging es fünf Minuten der Versammlung be- 80 Prozent sozialem Wohnungsbau, un- weiter mit Arbeitsgruppen, die Argu- kannt, dass von der Firma Daimler am günstigen Sozialdaten der Bewohner mentationen erarbeiteten, die Parteien selben Tag ein Brief bei der Stadt Esslin- und fast 75 Prozent Migrantenanteil, mit Eingaben eindeckten, eine Vernet- gen eingegangen sei: Angesichts des hatte die letzten 10 Jahre im Rahmen zung der sozialen Einrichtungen und großen Widerstandes im Stadtteil sehe des Bundesprogramms Soziale Stadt ei- Gruppen im Stadtteil organisierten, die Firma von dem Plan für das Logistik- ne gewisse Aufwertung durch Entwick- Pressearbeit durchführten und mit zentrum ab. Und auch ihm selber sei lung und Investitionen erfahren: ein Transparenten, Infoständen und Plaka- jetzt aufgefallen, dass das Projekt über- Bürgerhaus, ein neues Jugendhaus, Sa- ten das Thema in den Vordergrund der dimensioniert und die Verkehrsanbin- nierung von Wohnungen der alten Bau- Öffentlichkeit im Stadtteil rückten. dung nicht gelöst sei. Angesichts dessen genossenschaften, ein neues Baugebiet Glück für die Initiative: Es stellte sich sei die Planung der Stadt obsolet und mit Eigentumswohnungen, zum Teil heraus, dass viele Experten im Stadtteil werde auch nicht weiterverfolgt. durch Baugemeinschaften errichtet. vorhanden waren. Architekten, Stadt- Anschließend legte der Leiter des Die Empörung und Wut über die Plä- planer, Ingenieure, ehemalige Stadträte, Stadtplanungsamtes eine neue Pla- ne für das Logistikzentrum war groß. Grafiker, politisch erfahrene Flyer- nungsskizze vor, die eine kleinteilige Am Tag nach der Ausschusssitzung tra- Schreiber, ein Filmproduzent, hinge- Bebauung des Gewebegebietes vorsieht. fen sich 10 Personen in einem Wohn- bungsvolle Plakate- und Flugblattvertei- Der Spuk war vorläufig vorbei. zimmer, um über Möglichkeiten des Wi- ler. So gelang es in wenigen Wochen so- derstands zu beraten. Es wurde ein Auf- gar während der Ferienzeit, ein für alle Andreas Jacobson ist Leiter des Jugend- ruf zur Gründung einer Initiative be- unerwartet wirksames Feuerwerk der und Kulturzentrums Komma in Esslingen und schlossen und ein Flugblatt-Text für die Argumentation und des politischen einer der Initiatoren der Bürgerinitiative Bürgerschaft des Stadtteils. Eine Woche Drucks zu produzieren. Die Parteien des gegen das Daimler-Logistikzentrum.

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12 DAIMLER WELT – AUTO WELT Montage: J.Römer | Foto: Barbara Straube Montage: J.Römer | Foto: Barbara

Undercover-Reportage und prekäre Beschäftigung Christa Hourani

Der Film „Hungerlohn am Fließband“ hat tendem Recht nicht vereinbar. Danach Rechtlich korrekter heißt nicht die Zustände bei Daimler über Leiharbeit muss es eine Trennung zwischen Werks- gleichzeitig auch besser für die und Werksvertragsbeschäftigung öffent- vertragsbeschäftigtem und Stammbe- Kollegen lich gemacht und skandalisiert. Die Un- legschaft geben und es dürfen keine An- Das Unternehmen musste auf die Veröf- dercover-Reportage, die im Mai 2013 weisungen von Daimler-Kollegen an die fentlichung reagieren. 2013 und 2014 vom SWR ausgestrahlt wurde, hat in- Werkverträgler erfolgen. Dass miteinan- wurde versucht, die Schnittstellen zwi- tern bei Daimler für sehr viel Wirbel in der gearbeitet wird und direkte Anwei- schen der Stammbelegschaft und den allen Standorten gesorgt. Im Film wur- sungen gegeben werden, ist aber eher Werkvertragsfirmen anders zu gestalten, den Beispiele gezeigt, wie es sie an je- die Regel als die Ausnahme. Und zwar so dass manches rechtlich korrekter dem anderen Standort auch gibt. Die nicht nur in der Produktion, sondern wurde. Hinsichtlich der Interessen der Reportage dokumentiert, wie schlechter ebenso in anderen Bereichen wie der Kolleginnen und Kollegen im Betrieb bezahlte Werkvertragsbeschäftigte und Logistik, der Entwicklung und der Infor- brachte das jedoch keine Verbesserun- besser verdienende Daimler-Kollegen mationstechnologie. gen. Zum Teil wurden Anweisungen ge- Hand in Hand arbeiten. Das ist mit gel- geben, dass gar nicht mehr mit Werk-

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LEIHARBEIT 13

vertragsbeschäftigten kommuniziert von Daimler durchführen. Die gewerk- ben. Jeder will die Nummer 1 der Welt- werden darf – auch nicht über das Wet- schaftliche Organisierung der Fremdfir- autoindustrie werden – ein Wettlauf, ter oder die Kinder. Was natürlich voll- men muss nachhaltig vorangetrieben den nur einer gewinnen kann und bei kommener Quatsch ist, aber dazu dient, werden, was eine gute Grundlage ist, dem immer die Beschäftigten aller Kon- die abhängig Beschäftigten zu spalten, um anständige Löhne und Arbeitsver- zerne die Verlierer sind. auseinander zu dividieren, solidarisches hältnisse durchzusetzen. Ein Erfolg war Verhalten zu verhindern. Mit solchen zum Beispiel die gewerkschaftliche Er- Zukunftsbild Sindelfingen 2020+ Anweisungen ändert sich nichts am schließung von Voith Industrial Service Zu diesem Ziel des Daimler-Vorstandes eigentlichen Missstand und Unrecht, (Reinigungsfirma) sowie dort die Wahl passt auch die neue Standortvereinba- nichts an den Hungerlöhnen und der eines gewerkschaftlich orientierten Be- rung „Zukunftsbild Sindelfingen 2020+“, Perspektivlosigkeit der prekär Beschäf- triebsrates (davor gab es einen „unter- die im Juli 2014 abgeschlossen wurde. tigten. Außerdem nimmt der Druck auf nehmenshörigen“ Betriebsrat). Langfri- Daimler-Vorstand Dieter Zetsche kom- die Arbeitsbedingungen und Löhne der stig muss Werkvertragsbeschäftigung mentiert diese folgendermaßen: „Die Stammbelegschaft durch diese Ausspie- wie auch Leiharbeit verboten werden. Betriebsvereinbarung verknüpft zu- lerei eklatant zu. Und auch sie geraten Nach wie vor muss gelten: Ein Betrieb – kunftsichernde Investitionen mit ebenso ins Rutschen nach unten. eine Gewerkschaft – ein Tarifvertrag! notwendigen Kostenoptimierungen.“ Dies geschieht unter anderem durch die Eigenleistung vor Fremdvergabe Sparprogramme und Verringerung der Fertigungstiefe. In ei- Aufgrund des öffentlichen Drucks hat prekäre Beschäftigung ner Halle, die durch die Verlagerung der Daimler mittlerweile eine Vielzahl von Der Einsatz von Leiharbeitern und C-Klasse frei wurde, entsteht auf dem Werkvertragsbeschäftigungen in Arbeit- Werksvertragsbeschäftigten ist ein Räd- Werksgelände ein Logistikzentrum, das nehmerüberlassungen, also in Leihar- chen in der Automobilindustrie, mit dem vollständig von externen Firmen betrie- beitsverhältnisse umgewandelt. Teilwei- die Kosten nach unten gedreht werden ben wird. Die dort bisher von Daimler- se wurden ehemaligen Werkvertrags- sollen. Nach Verlautbarungen von BMW Beschäftigten betriebenen Arbeitsberei- mitarbeitern aus Angst vor Klagen feste und Volkswagen in Richtung neue Spar- che Montagelogistik und Vormontage Arbeitsverhältnisse angeboten. Etliche programme sind im Juli 2014 nun auch werden fremdvergeben, ebenso Teile der Kollegen haben aber auch auf eine Fest- entsprechende Pläne des Daimler-Kon- Fertigung. übernahme geklagt, wie in einem weite- zerns öffentlich geworden. Laut einem Diese neue Fabrik auf dem Sindelfin- ren Filmbericht vom 6. Februar 2014 im Bericht des Manager Magazins sollen ger Werksgelände ist eindeutig eine Dritten Programm zu sehen war. Dass bis 2020 weitere 3,5 Milliarden Euro pro weitere Ausweitung der Fremdvergabe die Reportage ein gesellschaftliches Jahr eingespart werden. Bereits mit dem und soll etliche Millionen Einsparungen Problem zu Tage gefördert hat, das es aktuellen Programm „Fit for Leadership“ bringen. Diese Vereinbarung setzt den bei Daimler, aber auch in anderen Un- wurden bis Ende des Jahres 2014 in der Prozess der kleinen Erfolge, die seit der ternehmen gibt, kann niemand mehr be- Pkw-Sparte zwei Milliarden Euro ge- Veröffentlichung des Films „Hungerlohn streiten. Das ist gut so und hat auch den kürzt. am Fließband“ errungen werden konn- Betriebsratsgremien genutzt, erste Ver- Mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten ten, leider nicht fort. Der öffentliche besserungen zu erreichen. haben die neuen Rationalisierungspro- Druck beim Thema Fremdbeschäftigung, Weitere Schritte sind nötig. Zunächst gramme der deutschen Autohersteller der immer noch da ist, wurde hier nicht einmal müssen die Betriebsräte in vol- nichts zu tun. Im Gegenteil: Daimler, genutzt, um einer Ausweitung der lem Umfang über den Einsatz von Werk- BMW und Volkswagen eilen von Rekord Fremdbeschäftigung einen Riegel vorzu- vertragsbeschäftigten informiert wer- zu Rekord. So hat Daimler allein in den schieben. den. Sonst haben sie keinen Überblick ersten sechs Monaten 2014 783520 Daimler hat den SWR wegen des und können nicht adäquat handeln. Mercedes-Pkw verkauft, 12,8 Prozent Films verklagt. Doch der Gerichtsprozess Zum anderen brauchen sie ein Mitbe- mehr als im Vorjahreszeitraum. Auch der brachte die Missstände bei Daimler wie- stimmungsrecht darüber, ob Tätigkeiten, Konkurrent BMW peilt ein weiteres Re- der in die Medien. Für Daimler ist die die der Arbeitgeber per Werkvertrag ver- kordjahr an. Im ersten Halbjahr 2014 Klage damit ein Eigentor. Der Konzern geben will, nicht auch von Stammbe- haben die Münchner ihren Absatz um selbst sorgt so dafür, dass Lohndumping schäftigten erledigt werden können. Der fast sieben Prozent auf über eine Million durch Werkverträge weiter in der Grundsatz muss sein: Eigenleistung vor Fahrzeuge gesteigert. VW ist ohnehin öffentlichen Debatte bleibt. Fremdvergabe. Um der Spaltung zwi- seit Jahren auf Wachstumskurs. 2014 Diese Debatte und den dadurch ent- schen Stammbelegschaft und prekären sollen erstmals mehr als zehn Millionen stehenden Druck müssen die Betriebsrä- Beschäftigten entgegenzuwirken, brau- Fahrzeuge vom Band laufen. te konsequent nutzen, um weitere Ver- chen wir einen betrieblichen Mindest- Kostensenkung und totale Flexibilität besserungen durchzusetzen. lohn und betriebliche Mindeststandards, im Interesse der Produktions- und Pro- die für alle gelten, die auf dem Werks- fitmaximierung also. Den Konzernlen- Christa Hourani gehört der VK-Leitung der Daimler-Zentrale an und arbeitet im Sekre- gelände von Daimler arbeiten bezie- kern reicht das aber nicht. Sie wollen tariat der „Initiative zur Vernetzung der Ge- hungsweise ein „Gewerk“ im Auftrag die Umsatzrendite noch höher schrau- werkschaftslinken“ mit.

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Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Leiharbeit bei Daimler Bremen

Gerd Kupfer waltungsgebäude), holt den Werkleiter eines Streiks, der nicht nur auf wenige herunter und beklagt sich – in diesem Stunden begrenzt ist, wurde jetzt offen Irgendwann hatten die Kollegen im Fall über die Fremdvergabe. Und doch: diskutiert. Die „Bedenkenträger“, sich Mercedes-Werk Bremen es satt, immer Die Resonanz war groß, über 3000 stan- ihrer Verantwortung für den sogenann- nur auf ihre (juristische) Machtlosigkeit den einem etwas erschrockenen Werk- ten Betriebsfrieden voll bewusst, spiel- bei Fremdvergaben, Leiharbeit und leiter gegenüber. ten auf Zeit. Die Vertreter der Kapital- Werkverträgen hingewiesen zu werden. Mit ein paar jovialen Sprüchen war es seite – dumm genug – dachten, man Als es Ende 2012 um die Logistik ging, diesmal aber nicht getan. Die Spät- und könne jetzt wieder zum Alltag überge- wollten sie sich nicht mehr mit irgend- die Nachtschicht wollten ebenfalls raus. hen und starteten neue Angriffe. Also welchen Arbeitsgruppen der Vertrauens- Es wurde viel über Streik diskutiert – die musste natürlich wieder zu einer weite- körperleitung, mit Wirtschaftlichkeits- „Ordnungshüter“ aus den eigenen Rei- ren Aktion aufgerufen werden. berechnungen des Betriebsrats und dem hen wussten nicht so recht, wie ihnen Bei diesem Protest (von manchen be- Schweigen der IG Metall begnügen. geschieht, konnten aber natürlich auch wusst klein gehalten), geschah dann Wir, eine Gruppe aktiver Vertrauens- nicht offen gegen die Bereitschaft der Folgendes: Eine junge Kollegin stellte leute und Betriebsräte, organisierten Kolleginnen und Kollegen anstinken. Wir sich mit einer Zetsche-Maske auf einen kurzerhand eine Unterschriftensamm- nutzten die folgenden Tage schließlich Stuhl (neben dem Management) und lung gegen die geplante Fremdvergabe für verschiedene Aktionen: Unser Rie- beschimpfte die Arbeiter, dass sie rum- an den Toren, wohl wissend, dass wir sentransparent „Stoppt Fremdvergabe stehen würden anstatt zu arbeiten. Es damit zwar nicht das Management er- und Leiharbeit! Wir sind eine Beleg- folgte ein weiterer Kollege, der den Ver- schüttern, aber die Kollegen hellhörig schaft“ wurde nicht nur auf der Be- sammelten nur eine Frage stellte, und machen würden. Innerhalb weniger triebsversammlung ausgerollt, es war sie darüber abstimmen ließ: Wer die Stunden wurden fast 5000 Unterschrif- auch im Regionalfernsehen zu sehen – Meinung vertritt, dass die Luft vor dem ten gesammelt. Das war Ausdruck einer nachdem wir es aus den Hallenfenstern Tor besser ist, möge bitte den Arm he- klaren Erwartungshaltung der Kollegin- der Lackierung gehängt und vor der ben. Rund 1200 Arme gingen hoch und nen und Kollegen. Kantine sowie dem Werkstor gezeigt schon zogen die Kolleginnen und Kolle- Damit im Rücken nahmen wir dann hatten. Die Beteiligung der Spätschicht gen, angeführt von unserem Riesen- die Vertrauenskörperleitung ein Stück war sehr gut, die Nachtschicht ging transparent, vor`s Tor, wo die Presse sie weit in die Pflicht. Diese kam nicht um- komplett raus. bereits erwartete. Der Zug ging auf die hin, zu einer Aktion während der Ar- „Das war`s jetzt aber auch“, dachten Hauptstraße, legte auf der Kreuzung beitszeit aufzurufen, die bei uns schon einige in Vertrauenskörper und Betriebs- eine Erholungspause ein und zog dann zu einem „Ritual“ geworden ist: Man rat. Dabei ging in einigen Bereichen die zur Brücke. Fast zwei Stunden dauerte zieht vor den „Krawattenbunker“ (Ver- Diskussion erst richtig los: Um die Frage der Ausstand.

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getan und andere Betriebe, ob in Bre- men oder anderswo, informiert. Also mussten wir es wieder selber in die Hand nehmen. Wir bekamen Solidari- tätsschreiben und sogar Einladungen aus vielen Betrieben, von BMW- und MAN-Kollegen, aus Südafrika, Ungarn, Spanien und Serbien ... Mit unseren vier kleinen Streiks im Jahr 2013 hat unsere Belegschaft schließlich eines deutlich gemacht: Wir wollen und können Leiharbeit und Werkverträge nicht durch Tarifverträge „regeln“, wir müssen sie bekämpfen - wenn nötig mit Streik. Der Kampf darum ist ein Teil des Kampfes um unsere Ge- werkschaft, den wir dringend führen müssen.

Die Kolleginnen und Kollegen strahl- werkschaft, denn die Gewerkschaft sind ten, zwei meinten: „Wenn das die Ge- wir.“ Ich weiß, das war eine gewagte Gerhard Kupfer war bis zu seinem Eintritt in werkschaft ist, dann treten wir wieder Aussage, denn die IG Metall hat sich mit den „Unruhe-Stand“ ein langjähriges Mit- ein. Wir sind aus Protest vor kurzem keinem Wort zu unserem Streik geäu- glied des Betriebsrates und Vertrauensleute- raus“. Meine Antwort: „Das ist die Ge- ßert. Sie hat nicht einmal das Minimum körpers bei Daimler in Bremen. Lohnarbeiter 2. und 3. Klasse Leiharbeit bei Daimler Berlin

Waldemar Derda & Diese Kollegen werden wie Arbeit- ve“-Gruppe ein Transparent hergestellt, nehmer 2. und 3. Klasse behandelt: Ab- auf dem zu lesen ist: „Keine Zwei-Klas- Aron Amm gesehen davon, dass sie nur Dumping- sen-Belegschaft: Leiharbeit stoppen, Es war einmal… Vor langer, langer Zeit löhne kassieren, stehen ihnen keine Leiharbeiter fest einstellen!“ Das Trans- beschäftigte Daimler noch eigene Duschen zu. Beim Weihnachtsessen in parent haben wir am 1. Mai, bei einer Köche, Pförtner, Klempner, Staplerfahrer, den letzten Jahren waren sie außen vor. Aktion der Daimler-Koordination vor der Reinigungskräfte. Und wie sieht es heu- In der Kantine bezahlen sie mehr als die Hauptversammlung von Daimler 2013 te aus? Heute tummeln sich in Berlin- Stamm- Beschäftigten. und beim Warnstreik in der Metallindu- Marienfelde Aramark Catering & Ver- Mehrfach kam es zu Arbeitsunfällen. strie eingesetzt. Überhaupt sind wir der pflegung, WISAG Sicherheit & Service Kein Wunder, wenn man nur kurz einge- Ansicht: Wer auf Daimler-Gelände ar- GmbH, Rehnus Logistics, Grohmann Lo- wiesen wird, während andere doppelt so beitet, muss auch Daimler-Lohn bekom- gistik GmbH, SQS Qualitätssicherung, lange und länger geschult werden. men! Die IG Metall sollte ihre Kampagne Formel K GmbH, Red Ants GmbH und so Aktuell beabsichtigt der Konzern, die gegen den Missbrauch von Werkverträ- weiter und so fort. – Die Folge? Lohn- Instandhaltungsbereiche der Power- gen ausweiten. Bei einer nächsten Tarif- dumping! train-Werke – sprich Untertürkheim, runde könnte ein tarifvertragliches Ve- Während die Stammbelegschaft in Hamburg und hier in Berlin – in eine to-Recht der Betriebsräte gegen Werk- Berlin von 3200 Beschäftigten im Jahr sogenannte Technologiefabrik Power- vertrags-Missbrauch gefordert werden. 2007 auf heute 2600 reduziert wurde, train zusammenzuführen. Das Ganze Leiharbeit gehört (wie das auch bis werden inzwischen ungefähr 100 Leih- riecht nach einem neuen Manöver, um 1967 in der Bundesrepublik der Fall war) arbeiter und 200 Fremdfirmen-Beschäf- eine künftige Fremdvergabe oder Aus- verboten. Werkvertrags-Missbrauch tigte eingesetzt – häufig sogar im Pro- gründung zu vereinfachen. Mit der Logi- muss entschlossen bekämpft werden. duktionsbereich, oft auch zur Produkt- stik ist man auch so verfahren. Die wur- kontrolle. In der Montage in Bau 70 sind de auch von der Produktion abgetrennt. Zusammenstellung durch Waldemar Derda Leiharbeiter bereits seit zwei Jahren im Mit dem Ergebnis, dass heute große Tei- („Alternative"-Gruppe bei Daimler Berlin- Marienfelde) und Aron Amm (Redakteur der Einsatz, ohne dass sie fest eingestellt le fremdvergeben sind. SAV-Website sozialismus.info und der worden wären. 2012 haben wir von der „Alternati- Zeitung „Solidarität“).

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Arbeiten bis zum Umfallen „Strategiepapier 2020“ aktuell Gerwin Goldstein

Als 2012 in den Mercedes-Werken das arbeit abgemahnt wurden. Der Kampf verhindert werden und Ersatzkapazitä- „Strategiepapier 2020“ herauskam, gegen Fremdvergaben, Leiharbeit und ten gibt es nicht. glaubten viele Kollegen, das sei mal weitere Arbeitsbelastungen geht aber Im Sindelfinger Werk stimmte der wieder so ein Schnellschuss des Vor- 2015 weiter. Betriebsrat einstimmig einer Fremdver- stands. Und das Papier würde rasch wie- gabe von Logistikabteilungen an Billi- der in die unterste Schublade des Gift- Horrorkataloge ganbieter zu, das der Belegschaft als schranks des Daimler-Vorstands ver- Da mehrere neue Produkte anstehen, „Zukunftsbild 2020+“ verkauft wird. schwinden. Aber weit gefehlt. Im Bre- glaubt die Werkleitung, leichtes Spiel zu mer Werk wurde im März 2013 ver- haben. So fordern sie unter anderem Konzernplänen eine sucht, mit einer „Ideenliste“, deren Be- > Sonderschichten an Samstagen im Abfuhr erteilen standteile allesamt aus dem „Strategie- Zwei-Schicht-Betrieb Bei diesen Horrorkatalogen gab und gibt papier 2020“ stammen, die Belegschaft > die Überschreitung der Acht-Prozent- es nichts zu verhandeln. Auch die übli- zu erpressen. Ende 2014 wurde dem Grenze beim Einsatz von Leiharbeitern chen Kompromisse darf es hier nicht ge- Bremer Betriebsrat dann das „Zukunfts- > eine Blanko-Vollmacht für den ben. Denn das „Strategiepapier 2020“ - bild Bremen 2019“ vorgestellt. In einem „tageweisen“ Einsatz von Flexi-Kräf- die Konzernpläne in Bremen und Düssel- 99-seitigen Geheimpapier stehen bis ten (auf deutsch: der Tagelöhner dorf enthalten Teile davon – muss kon- 2019 mehrere hundert Arbeitsplätze vor möge kommen - das Mittelalter lässt sequent abgelehnt werden. Bei der gro- der Fremdvergabe an Billiganbieter. Bis grüßen) ßen Schlacht gegen unsere Kolleginnen 1. Juli 2015 werden 140 Arbeitsplätze, > ein „bedarfsorientiertes“ Durcharbei- und Kollegen von Audi, BMW oder an- trotz mehrfachen spontanen Streiks von ten in den Pausen derswo sind wir nicht bereit, das Kano- 5000 Kollegen im Dezember 2014, an > die Einführung einer sechsten Dauer- nenfutter zu sein. Uns stehen die Be- Billigfirmen fremdvergeben. Auch sind Nachtschicht. schäftigten von Opel, Peugeot, Fiat oder in diesem Papier für das Jahr 2016 we- Vom Bremer Betriebsrat wurde jetzt ein eben BMW und Audi tausend Mal näher gen einer angepeilten Stückzahl von eigenes „Zukunftsbild“ der Werkleitung als die Zetsches oder Bernhards. Beleg- 400000 Einheiten 92 Zusatzschichten vorgestellt und es werden zu Themen schaften der anderen Auto-Unterneh- geplant. Anfang 2015 ist die Unruhe in wie Ergonomie, Betriebsnutzungszeit, men werden ähnliche Papiere aufge- der Belegschaft sehr hoch, da über 750 alternative Beschäftigung usw. Arbeits- tischt, in denen derselbe Unsinn gepre- Kolleginnen und Kollegen für ihren gruppen zusammen mit dem Arbeitge- digt wird. Belegschaften werden gegen- Kampf gegen Fremdvergaben und Leih- ber ins Leben gerufen. einander mit der Behauptung, auf diese Anderen Belegschaften wurden ähnli- Weise könnten die Arbeitsplätze gesi- che Papiere vorgelegt, so zum Beispiel chert werden, ausgespielt. Tatsächlich im Düsseldorfer Werk im Februar 2014. geht es um pure Erpressung. In Düsseldorf fordert die Werkleitung Die da oben, egal ob in München, In- Daimler will die Nr. 1 werden den Samstag als Regelarbeitstag, eine golstadt, Stuttgart oder Bremen, werden Bis 2020 will Daimler seine Konkurren- unentgeltliche Stunde Mehrarbeit pro nichts unversucht lassen, um ihre Pfrün- ten BMW und VW/Audi überholt haben. Woche sowie die Verlagerung der Dau- de zu retten. Vorträge wie die des Vor- Darum hat sich Daimler – auf dem Rük- er-Nachtschicht an Sonntagen. Als Ge- standsmitglieds Wolfgang Bernhard im ken der Beschäftigten - ein straffes genleistung für diese schmutzige Er- Bremer Werk („Wir schlagen BMW“) Sparprogramm verordnet. Alleine in der pressung sollte der VS30 im Düsseldor- erinnern stark an eine miese Scientolo- Pkw-Sparte, die 2013 gut die Hälfte des fer Werk gebaut werden. Bei Nichtan- gy-Veranstaltung. Den einen oder ande- Konzernumsatzes und des operativen nahme sollte die VS30- Produktion ins ren mögen diese Worte beeindrucken. Gewinns ausmachte, sollen die Kosten Ausland gehen. Durch massive Streiks, Unsere Antwort muss aber lauten: Die- bis Ende 2014 um zwei Milliarden Euro die auch über alle Schichten gingen, ser Krieg ist nicht unser Krieg. Wir dür- sinken. 2013 drückte Daimler die Kosten hatte der Betriebsrat eine gute Verhand- fen uns nicht dafür hergeben, mit Zuge- bereits um 800 Millionen Euro. Der lungsposition. Erreicht wurde „sozialver- ständnissen und Kompromissen den Arzt erwirtschaftete Gewinn betrug 8,72 träglicher“ Personalabbau von über eines kranken Systems zu spielen. In Milliarden Euro (nach 6,83 Milliarden 1800 Kollegen in den nächsten fünf diesem Fall sind wir eher Befürworter 2012 und sechs Milliarden Euro 2011). Jahren und sehr vage Stückzahlzusagen. einer aktiven Sterbehilfe, indem wir die Konzernweit will Daimler drei bis vier Die Produktionsverlagerung von Sprin- Sache lieber selber in die Hand nehmen. Milliarden Euro bis Ende 2014 einspa- tereinheiten in die USA konnte nicht ren.

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ZUKUNFTSBILD 2020+ 17

Bundesweite Vertrauens- leute-Konferenz Als Reaktion auf diese Angriffe hat sich die Vertrauensleute-Vollversammlung des Bremer Daimler Werks einstimmig für eine Konferenz der Vertrauensleute aller Mercedes-Werke ausgesprochen. Auf dieser Konferenz sollten folgende Themen besprochen werden: Leiharbeit/ Fremdvergabe – und wie man diese Po- litik bekämpfen kann – sowie die Frage von Flexibilität. All das sind Inhalte des Strategiepapiers. Diese Konferenz wurde dann nach einem Jahr der Beratungen in den einzelnen Vertrauenskörperlei- tungen und IG Metall-Ortsverwaltungen abgelehnt. Man sehe keine gemeinsame Grundlage und kämpfe lieber für seine eigenen Interessen innerhalb des Be- triebszaunes. Diese Entscheidung wurde in Bremen mit großen Erstaunen und Unverständnis aufgenommen, weil jeder doch spüren musste, dass der Angriff des Konzernvorstandes alle betrifft. Immer mehr bestätigt sich der Eindruck, dass IG Metall-Funktionäre eher als Co- Manager auftreten, anstatt konsequent die Interessen der Belegschaften zu ver- treten. In Bremen sprach sich der IG Metall-Bevollmächtigte auf einer Be- triebsversammlung für eine 6-Tage-Pro- duktion aus, um die angepeilten Stück- zahlen zu erreichen. Leider glauben immer noch Kollegin- nen und Kollegen, dass in Sachen „Stra- Foto: Munir Derventli tegiepapier“ der Kelch an ihnen vorbei- ziehen wird. Davor können wir nur war- nen. Dieser Konzern will seinen Profit auf Kosten von Stammarbeitsplätzen tun: Gemeinsamer Widerstand ist das liegt also an uns, ob wir diese Spielchen und der Gesundheit der Arbeiter und Gebot der Stunde! Wir können nicht ta- mitmachen oder nicht. Wir alle haben Angestellten deutlich erhöhen, um seine tenlos zusehen, wie immer mehr Arbei- die gleichen Probleme, sei es in Sindel- Großaktionäre zufrieden zu stellen. ter in Leiharbeit und Werkverträge ge- fingen, Untertürkheim, Bremen, Kassel, Die Rendite soll (von heute sieben bis drängt werden. Wir können nicht taten- Rastatt, Mannheim, Hamburg und an- acht) auf über zehn Prozent steigen, los zusehen, wie unsere Arbeitskraft derswo. Deshalb müssen wir uns über koste es was es wolle. Deshalb drohen immer mehr durch Sonderschichten und den „Werkszaun“ hinaus solidarisieren weitere Wochenend-Schichten, Schicht- Mehrarbeit ausgebeutet wird. und selbst, wie in Bremen, den Kampf Verlängerungen und noch mehr Sams- Manche mögen denken: Unsere IG aufnehmen: gegen das „Strategiepapier tagsschichten. Arbeiten bis zum Umfal- Metall macht ja nichts dagegen. Und als 2020“, gegen Fremdvergaben, Leiharbeit len also. Nichts anderes verlangt der einzelner kann ich ja sowieso nicht viel und Werkverträge. Das ist das Mindeste, Vorstand in seinem schönfärberisch ge- bewegen. Aber das ist genau das falsche um morgens noch in den Spiegel und nannten „Strategiepapier 2020“ und in Signal an Gewerkschaftsführung und abends unseren Kindern in die Augen zu den „Zukunftspapieren“ für die einzel- Werkleitungen. Beide werden sich zu- sehen. Wir haben eine Zukunft - wenn nen Werke. rücklehnen. Unsere Gewerkschaftsfüh- wir für sie kämpfen! rung, weil sie mit dem Kapital Sozial- Gemeinsame Gegenwehr partnerschaft vereinbart hat. Die Unter- Das passiert in allen Werken. Darum nehmerschaft, weil sie von den Gewerk- Gerwin Goldstein ist Vertrauensmann und muss sich auch in allen Werken etwas schaften nichts befürchten muss. Es IGM-Betriebsrat bei Daimler Bremen.

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Geschichte linker Opposition gegen Co-Management Daimler-Werk Untertürkheim Daniel Behruzi

Das Untertürkheimer Daimler-Werk Bereichen beinhaltete. Als der VK das aktionen bereits im Keime mit repressi- blickt auf eine lange Geschichte kämp- Anliegen ignorierte, kündigte die Gruppe ons- und Disziplinarmaßnahmen. Nur ferischer Belegschaftsaktionen zurück, an, eine Liste „Mitglieder der IG Metall“ selten arbeiteten bei uns zwei gleicher die bis in die Weimarer Republik zurück- einzureichen. Nach Gesprächen mit der Nationalität nebeneinander, wir wurden reicht. Linke Gruppierungen haben dabei IG-Metall-Bezirksleitung und der Be- am Band so eingeteilt, dass die Nationa- stets eine bedeutende Rolle gespielt. triebsratsspitze, die die Forderungen als lität von einem zum anderen wechselte. Anfang der 1960er Jahre war diese Tra- Arbeitsgrundlage für weitere Gespräche Keiner durfte sich von seinem Arbeits- dition – auch wegen der sogenannten akzeptierten, zogen die linken Kritiker platz entfernen, man durfte nicht mit RGO-Politik der KPD – allerdings weit- ihre Liste zurück. Dennoch wurde ein seinem Nachbarn sprechen (…).“ gehend abgebrochen. Der IG-Metall- Verfahren wegen gewerkschaftsschädi- Die Plakat-Gruppe griff die Belange Vertrauensleute kamen nur sehr selten genden Verhaltens eröffnet, das mit ei- der ausländischen Bandarbeiter auf, was zusammen und agierten nicht unabhän- ner Rüge endete. in erheblichem Maß zu ihren Wahlerfol- gig vom Betriebsrat, der wiederum auf Statt einer Öffnung der Listenaufstel- gen beitrug. Kooperation mit dem Management lung geschah das Gegenteil: Die VK-Lei- Die IG Metall reagierte auf die Kandi- setzte. Doch ganz abgerissen war der tung verabschiedete eine neue Wahl- datur 1972 mit Verfahren wegen ge- historische Faden nicht. Ende der ordnung, der zufolge das Vorschlags- werkschaftsschädigenden Verhaltens. 1960er Jahre bildeten Mitglieder der recht der einfachen Mitglieder abge- Zwei der Kandidaten wurden ausge- verbotenen KPD, aus der SPD Ausgetre- schafft wurde und Kandidaten vom VK schlossen, einer erhielt Funktionsverbot. tene sowie italienische Bandarbeiter ei- mit absoluter Mehrheit bestätigt wer- Auch im Betriebsrat wurden sie ausge- ne Gruppe von Kritikern der Betriebs- den mussten, was jede Chance auf eine grenzt und von Informationen abge- ratsspitze, die zunächst versuchte, die erfolgversprechende Kandidatur der Kri- schnitten, was aber nicht ihre Isolation Mehrheitsverhältnisse innerhalb des tiker verhinderte. Daraufhin traten diese innerhalb der Belegschaft nach sich zog. Vertrauenskörpers zu ändern. Im Juli 1972 tatsächlich mit einer eigenen Liste Doch 1975 bekam Plakat lediglich 1969 begann die Gruppe erst unregel- an, die auf Anhieb fast 28 Prozent er- 18,7 Prozent der Stimmen – gegenüber mäßig, ab 1972 monatlich mit der Her- hielt. Das hätte für 8 von 30 Sitzen ge- der vorangegangenen Wahl ein Minus ausgabe ihrer Betriebszeitung Plakat. reicht. Da aber nur drei Kandidaten auf von fast zehn Prozentpunkten. Ein Ver- Willi Hoss, führender Kopf der fortan der Liste waren, fielen fünf Mandate an dacht stand im Raum: Wahlfälschung. nach ihrer Zeitung benannten Gruppe, die Mehrheitsfraktion zurück. Bei der Wahl drei Jahre später kam es erklärte: „Wir haben alle Ebenen der Eine wichtige Rolle bei dem spekta- zum Eklat: Nachweislich wurden 1310 Öffentlichkeitsarbeit genutzt und das kulären Wahlerfolg der neuen Linksop- Stimmen zugunsten der IG Metall ge- hat uns weitergebracht.“ position spielten ausländische Beschäf- fälscht. Die Gewerkschaft stellte Straf- Neben der Kritik an der kompromiss- tigte, die 40 Prozent der Gesamtbeleg- anzeige gegen Unbekannt, der Betriebs- orientierten Betriebsratspolitik stand schaft und 70 Prozent der Bandarbeiter ratsvorsitzende und sein Stellvertreter dabei die Forderung nach einer Demo- stellten. Dennoch war nur einer von 30 mussten ihre Posten abgeben. „Jetzt erst kratisierung der Kandidatenaufstellung Betriebsräten ausländischer Herkunft. hatte die IG Metall gelernt, und die alte zur Betriebsratswahl im Mittelpunkt. Im Der Italiener Mario d´Andrea, einer der Garde wurde abgelöst. Die neue Liste, Vorfeld der Wahl von 1968 legte die drei Oppositionskandidaten, schrieb die aufgestellt wurde, war ganz demo- Gruppe dem Vertrauenskörper (VK) ei- über die Strategien des Daimler- kratisch das Ergebnis von Urwahlen in nen von 233 Beschäftigten unterschrie- Managements: „Die Firma entwickelte den Hallen“, so Plakat-Mitbegründer benen Vorschlag vor, der unter anderem ihre eigene Strategie, um aus uns Band- Willi Hoss rückblickend. Obwohl die IG die Bestimmung der IG-Metall-Betriebs- arbeitern die doppelte Produktion her- Metall ihren Bezirksleiter Franz Stein- ratskandidaten durch Vorwahlen in den auszuholen, und erstickte Solidaritäts- kühler auf der entscheidenden Betriebs-

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versammlung als Redner aufbot, er- ihre Reihen aufzunehmen, entschied die Positionen an eine breitere Öffentlich- reichte Plakat mit 5000 oder 39,2 Pro- Mehrheit der Gruppe widerwillig, in Er- keit zu wenden, war für die Oppositio- zent der Stimmen einen sensationellen mangelung anderer überzeugender Per- nellen die Haltung der IG-Metall-Frakti- Erfolg und stellte im Betriebsrat fortan spektiven, diesen Weg mitzugehen. Der on in der Auseinandersetzung um eine 12 der insgesamt 29 Arbeitermandate. Preis, der dafür bezahlt wurde, war Standortvereinbarung im Frühjahr 1996. Inhaltlicher Schwerpunkt der Plakat- hoch. (…) Etliche Kollegen, die die In diesem Konflikt gelang es der vor Gruppe blieb die Thematisierung Oppositionsarbeit aktiv mitgetragen allem im Werkteil Mettingen vertrete- schlechter Arbeitsbedingungen. Sie for- hatten, zogen sich zurück (…). Ein Teil nen Gruppe, die dortige Belegschaft in mulierte frühzeitig die Forderung nach der früheren Plakat-Betriebsräte be- einen Streik über drei Schichten zu füh- bezahlten Erholpausen für Bandarbeiter, gann, sich in der Betriebsratsarbeit ohne ren. Daraufhin legten auch die Beschäf- die später von der IG Metall aufgegrif- weitere politische Perspektiven einzu- tigten in Untertürkheim die Arbeit nie- fen und im Streik von 1973 durchge- richten. Nur noch wenige sahen und er- der, so dass ein Produktionsausfall von setzt wurde. Auch zu weitergehenden griffen die Chance, […] das kämpferi- 1400 Pkw verursacht und das Verhand- gesellschaftlichen Fragen nahm die sche, antikapitalistische Profil zu schär- lungsergebnis deutlich verbessert wer- Gruppe Stellung – inklusive einer kriti- fen und neue Kräfte zu sammeln. Die den konnte. Eine ähnliche Rolle spielte schen Hinterfragung des in der Automo- Gruppe zerfiel.“ die Gruppierung im September 1996 bilindustrie gefertigten Produkts. Sie fo- Einzelne Plakat-Aktivisten, die sich beim Zustandekommen einer spontanen kussierte aber stets auf konkrete be- nicht zurückzogen, zugleich aber ihre Arbeitsniederlegung gegen die Kürzung triebliche Auseinandersetzungen. Zu- kritische Haltung zur Politik der Be- der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, gleich versuchte sie, ihre Arbeit mit de- triebsrats- und Gewerkschaftsspitzen die eine Welle von Streiks in anderen nen der vielen anderen linksoppositio- beibehielten, spielten bei der einige Jah- Betrieben nach sich zog. Die Daimler- nellen Gruppen in dieser Zeit zu koordi- re später einsetzenden Wiederbelebung Spitze machte daraufhin einen schnel- nieren. der Opposition eine entscheidende Rolle. len Rückzieher, die gesetzlich bereits Wie die gesamte Linke geriet auch Ausgangspunkt war die Ende 1991 ein- beschlossene Kürzung wurde nie umge- Plakat ab Mitte der 1980er Jahre in eine setzende tiefe Branchenkrise. Tom Adler setzt. Zu dieser Zeit handelte es sich bei Orientierungskrise. Auch aufgrund inter- beschreibt die Situation zu Beginn der der Opposition, die sich über die Zusam- ner Differenzen konnte sie ihre Rolle als 1990er Jahre so: „In der Belegschaft be- menarbeit einzelner Mitglieder des Be- dynamische, vorwärtstreibende, kämp- gann die Identifikation mit dem Unter- triebsrats und der IG-Metall-Vertrau- ferische Oppositionsgruppe nicht mehr nehmen und der Firmenleitung zu zer- enskörperleitung formiert hatte, noch ausfüllen. Andererseits begann in der IG fallen. Das autoritäre Selbstbewusstsein um eine lose Gruppierung.1 Metall ein Öffnungsprozess. Beides der IG-Metall-Betriebsräte hatte schon In der Folge durchlief die IG-Metall- führte dazu, dass innerhalb von Plakat nach der Wahlniederlage von 1978 ge- Fraktion einen „Teambildungsprozess“. eine Debatte über eine mögliche Reinte- litten. Nun erodierte es noch schneller Dessen Ergebnis war eine Vereinbarung, gration in die IG Metall begann. Bis zu- als die Basis für materielle Erfolge ihrer wonach bei Meinungsverschiedenheiten letzt stand dem die Frage eigenständi- sozialpartnerschaftlichen Politik ver- die unterschiedlichen Positionen sowohl ger Öffentlichkeitsarbeit entgegen: Die schwand. Unter diesen Bedingungen in der IG-Metall-Betriebszeitung Schei- Gewerkschaftsspitze verlangte ultimativ, wurde es erneut möglich, kritische Kräf- benwischer als auch auf Vertrauensleu- dass „demokratisch zustande gekomme- te im Vertrauenskörper zu sammeln.“ te- und Betriebsversammlungen offen ne Mehrheitsentscheidungen außerhalb 1997 formulierte die „Mercedes- artikuliert werden könnten. Die Verein- der gewerkschaftlichen Gremien nicht Benz-Koordination“ – ein Zusammen- barung sah ein echtes Tendenzrecht vor. kritisiert werden dürfen“. Mit dem Ver- schluss linker Betriebsgruppen, bei dem Tatsächlich gab es dann ein einziges sprechen, die betrieblichen Gewerk- die Untertürkheimer Opposition stets ei- Mal eine Situation, bei der die Vertrau- schaftspublikationen für Kontroversen ne zentrale Rolle spielte – ihre von der ensleutevollversammlung nur mit und Minderheitspositionen zu öffnen, Mehrheitslinie abweichenden Positionen hauchdünner Mehrheit für die Position akzeptierte die Gruppe die Bedingung in einer „öffentlichen Bestandsaufnah- der Betriebsratsspitze votierte. Der Füh- schließlich. Die Veröffentlichung von me“, mit der sie „zum Nachdenken, Um- rung des Betriebsrats wurde klar, dass Plakat wurde eingestellt, die Aktivisten denken und Überdenken festgefahrener sie Gefahr lief, die Kontrolle zu verlieren. Ende der 1980er in normalen, zuvor ab- Positionen auch in der IG Metall und Sie beendete die Möglichkeit offener gesprochenen Antragsverfahren wieder unter Betriebsräten anregen“ wollte. Im Diskussion mit gleichen Startbedingun- in die Gewerkschaft aufgenommen. Der Vorwort heißt es: „`So kann es doch gen für die unterschiedlichen Flügel, die Plakat-Aktivist Tom Adler, der später am nicht weitergehen!´, mit ständigem Ver- Vereinbarung war Makulatur. Aufbau der Oppositionsgruppe Alterna- zicht, fortlaufendem Personalabbau, Die Frage, ob Kontroversen über die tive beteiligt war, zieht im Nachhinein ständiger Leistungsverdichtung und der Gewerkschafts- und Betriebsratspolitik eine kritische Bilanz: „Als 1988 die Orts- Aufweichung kollektiver Regelungen, nur intern oder auch betriebsöffentlich verwaltung bereit war, unter bestimm- sagen enttäuschte und verunsicherte geführt werden sollten, stand auch in ten vereinbarten Bedingungen die aus- Gewerkschaftsmitglieder.“ den folgenden Jahren immer wieder im geschlossenen Plakat-Kollegen wieder in Anlass des Schritts, sich mit ihren Zentrum der Auseinandersetzungen. So

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erklärten rund 60 Untertürkheimer Ver- neues Verfahren angestrengt, das nicht um eine Wiederbelebung oder trauensleute und vier Betriebsräte im schließlich zum Ausschluss der beiden Fortsetzung von Plakat handele. Ledig- September 2003 in einem offenen Brief Aktivisten aus der IG Metall führte. lich zwei der Alternative-Aktivisten an die Vertrauenskörperleitungen ande- Die 2002 in der IG Metall verbliebe- waren bereits bei Plakat aktiv, andere rer Metallbetriebe in Stuttgart und Ess- nen Linksoppositionellen bereiteten Mitglieder der alten Opposition hatten lingen: „Das Recht, eigene Positionen 2004 ebenfalls die Herausgabe einer ei- inzwischen führende Positionen in der vor der angemessenen Öffentlichkeit genen Zeitung vor. Während der Ausein- Mehrheitsfraktion inne. „Es war einfach darzustellen – Voraussetzung für jede andersetzung publizierte die Gruppe ei- was Neues“, so ein Alternative-Betriebs- demokratische Meinungsbildung und ne Serie von Flugblättern. Nach der rat. Dennoch gibt es viele Anknüpfungs- Änderung von Mehrheiten! – werden Einigung über die „Zukunftssicherung punkte und Parallelen. Ähnlich wie in wir uns nicht nehmen oder auch nur be- 2012“ übten sie darin offene Kritik an den 1970er Jahren stehen Forderungen schneiden lassen.“ der Betriebsratsspitze: „Wer lieber nach einer Demokratisierung gewerk- Zum Mittel einer Betriebszeitung ge- schnell Verzichtsangebote macht, statt schaftlicher Strukturen sowie einem griffen hatte zu dieser Zeit bereits eine das Eisen zu schmieden, solange es heiß konfliktorientierten Kurs gegenüber dem Gruppe von Vertrauensleuten, die 2002 ist, verspielt eine historische Chance Management im Vordergrund. Es sei von als Liste „Klartext“ zur Betriebsratswahl und enttäuscht die kampfbereiten Kolle- einer gewissen Bedeutung gewesen, so angetreten war und vier Mandate er- gen! Deshalb sagen wir: Ja zum Wider- ein ehemaliger Plakat-Aktivist und heu- reicht hatte. Die Herausgabe ihrer stand – Nein zu diesen faulen Kompro- tiger Alternative-Unterstützer, eine ver- gleichnamigen Zeitung begründeten sie missen“ (Flugblatt „Der Vorstand gleichbare Situation bereits einmal er- in der ersten Ausgabe vom November braucht noch mehr auf die Ohren“, ohne lebt zu haben und zu wissen, dass man 2001 so: „Wir als Mitglieder und Ver- Datum). „in so einem Großbetrieb über eine sol- trauensleute der IG Metall finden: es ist Durch die Herausgabe dieser von Dut- che Zeitung Einflussmöglichkeiten auf- höchste Zeit für ein Blatt, wo unzen- zenden Vertrauensleuten unterzeichne- bauen“ könne. siert, kritisch und offen über die Zustän- ten Flugblätter wurde der seit langem Als Reaktion auf ihren faktischen de hier in der Fabrik geschrieben wird. innerhalb der IG Metall schwelende Ausschluss von der IG-Metall-Liste for- Wo nicht schön reden angesagt ist, wie Konflikt öffentlich. Betriebsräte, die ihre mierten die Linksoppositionellen bei der in den Zeitungen der Firma, sondern Unterschrift darunter gesetzt hatten, Betriebsratswahl 2006 die gemeinsame Klartext! So ein Blatt fehlt zurzeit im wurden fortan aus der Sitzungen der IG- Liste Alternative/Klartext. Diese erreich- Betrieb. Auch der Scheibenwischer klärt Metall-Fraktion ausgeschlossen. Die te 3094 Stimmen (21,05 Prozent) und nicht mehr auf, sondern ist von einer Gruppe begann ab Februar 2005, mit erhielt damit zehn Mandate. Die IG Me- Zeitung der IGM zum Organ der Be- der Alternative eine regelmäßig erschei- tall verlor gegenüber der vorangegangen triebsräte geworden“ (Klartext Novem- nende Publikation herauszugeben. Im Wahl sechs Sitze, verteidigte jedoch mit ber 2001). Nachgang zur Betriebsvereinbarung 28 Sitzen und 8668 Stimmen (58,96 Inhaltlich deckten sich die Positionen „Zukunftssicherung 2012“ veröffentlich- Prozent) klar ihre absolute Mehrheit. Die von Klartext weitgehend mit denen der te sie eine 24seitige Detailkritik. In der Christliche Gewerkschaft Metall (CGM) IG-Metall-internen Kritikerfraktion: Ge- Broschüre „outeten“ sich 100 Mitglieder erreichte vier, die der Marxistisch-Leni- gen „Geheimverhandlungen“ und „Co- und Vertrauensleute der IG Metall als nistischen Partei Deutschlands (MLPD) Management“, für eine stärkere Kon- Unterstützer der Alternative („Erpress- nahestehende Gruppe „Offensive Metal- fliktorientierung der Beschäftigtenver- werk DaimlerChrysler“, ohne Datum). ler“ einen Sitz. Zwei weitere Mandate in tretung. Als sich im Vorfeld der Be- Die Führung der betrieblichen Gewerk- dem 45köpfigen Gremium gingen an triebsratswahl 2006 die IG-Metall-Frak- schaftsgremien reagierte darauf mit ei- „unabhängige“ Gruppierungen, weitere tion spaltete, fusionierten die linken nem Ultimatum: Auf der Liste der IG fünf Listen gingen leer aus. Metaller mit der Klartext-Gruppe. 2002 Metall dürfe nur kandidieren, wer ge- Die Stimmenverteilung machte deut- hatte die IG Metall unmittelbar nach genüber der Belegschaft die offiziellen lich, dass die Alternative ihre Basis fast Einreichung der Klartext-Liste ein Un- Betriebsratspositionen vertrete und kei- ausschließlich im Werk Mettingen hatte. tersuchungsverfahren wegen gewerk- ne eigenen Publikationen veröffentliche. Dort erhielt sie 2394 der 5320 abgege- schaftsschädigenden Verhaltens gegen Damit waren die Herausgeber der Alter- benen Stimmen, also rund 45 Prozent. die beiden führenden Köpfe der Gruppe native de facto von einer Kandidatur In der Presserei/Schweißerei und der angestrengt, das jedoch im ersten An- ausgeschlossen. Die Frage eigenständi- Gießerei – Produktionsbereiche mit kör- lauf scheiterte: Die Untersuchungskom- ger Publikationen spielte also – wie perlich harten Arbeitsbedingungen und mission sprach sich einstimmig gegen schon bei Plakat – für die Fragmentie- traditionell starker gewerkschaftlicher Ausschlüsse und Funktionsverbote aus rung der Belegschaftsvertretung auch in Organisierung – kam sie auf 61 bzw. 62 und empfahl dem IG-Metall-Vorstand, diesem Fall eine zentrale Rolle. Prozent. In den anderen Teilen des Un- lediglich eine Rüge gegen die Kritiker Allerdings betonen sowohl die Unter- tertürkheimer Werks lagen die Ergebnis- auszusprechen. Daraufhin wurde die stützer als auch die Kritiker der seit se für die Linksoppositionellen hingegen Untersuchung wegen „Verfahrensmän- 2005 als Alternative in Erscheinung tre- deutlich niedriger. Ebenso im Mettinger geln“ für gegenstandslos erklärt und ein tenden Linksopposition, dass es sich Verwaltungsgebäude, wo von den 705

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abgegebenen Stimmen lediglich 27 auf sollte, blieb die Situation über längere einheitlichen Liste angetretenen Unab- die Alternative entfielen. In diesem eher Zeit angespannt. Erst kurz vor der hängigen, die vor allem in Forschung gewerkschaftsfernen Angestelltenbe- Listenaufstellung zur Wahl 2010 kam es und Verwaltung Unterstützung erhiel- reich erhielt die IG Metall rund drei zum Kompromiss: Die IG Metall gestand ten, zogen mit drei Mitgliedern in den Viertel der Stimmen. der Alternative zu, ihre Zeitung weiter- Betriebsrat ein. Auf die Wahlbeteiligung hatte die Po- hin eigenständig zu publizieren. Es han- Während das Resultat der Betriebs- larisierung zwischen IG Metall und Al- delte sich um einen im Werk Untertürk- ratswahl 2010 im Scheibenwischer ternative einen positiven Effekt: Sie heim und bei der IGM Stuttgart histori- (April 2010: 10) als Bestätigung für „den stieg um 18 Prozentpunkte auf 70 Pro- schen Bruch mit dem jahrzehntelang Kurs der Beschäftigungssicherung der IG zent. Für die CGM, die vor der Wahl ei- praktizierten Dogma, wonach IG Metal- Metall“ gewertet wurde, betonten Alter- nen Stimmenzuwachs erwartet hatte, ler sich nur in einer einzigen Zeitung im native-Vertreter: „Mettingen hat´s raus- war die Konstellation schwierig: In Met- Betrieb, nämlich in der offiziellen der IG gerissen. Ohne das Ergebnis und die tingen „sind die untergegangen, da hat Metall-Betriebsräte, zu Wort zu melden überdurchschnittlich hohe Wahlbeteili- die Alternative ihr Protestpotenzial tat- hätten. gung in Mettingen wäre das Ergebnis sächlich ein stückweit abgesaugt“, so Zur Wahl sollte eine gemeinsame der IG Metall ein Desaster geworden.“ die Interpretation eines IG-Metall-Funk- Kandidatenliste aufgestellt werden, de- Vor allem aber sei dies der Beleg dafür, tionärs. Mit 6,1 Prozent lag der CGM- ren Zusammensetzung nach dem dass offene Kritik und Diskussionen über Stimmenanteil in dem Werkteil deutlich D`Hondt-Verfahren im Verhältnis der den richtigen Kurs der Gewerkschaft unter ihrem Gesamtergebnis von 8,4 bisherigen Stärke der Fraktionen be- nicht schaden. „Die ganzen Glaubensbe- Prozent. rechnet würde. So geschah es dann kenntnisse der Co-Manager haben sich Die IG-Metall-Vertrauenskörperlei- auch. Die vereinigte Liste erhielt 8966 als völlig unhaltbar erwiesen, das Ge- tung betonte in ihrer Wahlbilanz selbst- oder 75,7 Prozent der Stimmen. Sie ist schwätz, dass, wenn man Kritik an den kritisch, als Schlussfolgerung aus den seither mit 34 Mitgliedern im Betriebs- Betriebsrats- und Gewerkschaftsführun- Stimmenverlusten in Mettingen seien rat vertreten, neun von ihnen aus der gen übt, dass man dann nicht mehr ge- „Transparenz und Profilschärfung“, die ehemaligen Alternative-Fraktion. 2006 wählt würde.“ Die Beschäftigten könn- stärkere Einbeziehung der Belegschaft hatten IG Metall und Alternative zu- ten offensichtlich „sehr wohl zwischen sowie größere Konfliktbereitschaft nö- sammen 38 Mandate erzielt. Dass es inhaltlicher Kritik an der IG Metall und tig. Eine „entschlossenere Politik als in dieses Mal vier weniger waren, hatte der Notwendigkeit gewerkschaftlicher den letzten Jahren“, forderte auch die zum einen mit der durch den Beschäfti- Organisation unterscheiden“. Alternative in ihrer Bewertung des gungsabbau verursachten Verkleinerung Bereits in diesen Stellungnahmen Wahlergebnisses. Zugleich betonte sie, des Gremiums von 45 auf 43 Personen wurde deutlich, dass die unterschiedli- die Mehrheitsfraktion habe „keinen Mo- zu tun. Zum anderen war das Ergebnis chen Deutungsmuster beider Strömun- nopolanspruch“ mehr darauf, die IG Me- der IG Metall im Werkteil Untertürkheim gen auch nach der Wahl 2010 fortbe- tall im Betrieb zu repräsentieren. vergleichsweise schlecht: Hier stimmten stehen. Trotz einiger Skepsis hat sich der Obwohl beide Seiten unmittelbar durchschnittlich 68,5 Prozent der Be- Integrationsprozess seither dennoch po- nach der Wahl die Notwendigkeit einer schäftigten für die gemeinsame Liste, in sitiv entwickelt. Die Fronten scheinen Rückkehr zu „sachlicher Auseinander- Mettingen waren es 84,3 Prozent. Auch deutlich weniger verhärtet zu sein. Kon- setzung“ betonten, verschärfte sich der die Wahlbeteiligung lag in der Hochburg troversen werden größtenteils auf soli- Konflikt weiter. Es kam nicht nur keine der Alternative deutlich höher. darische Art innerhalb der gemeinsamen gemeinsame Fraktion im neuen Be- Von der relativen Schwäche der IG Betriebsratsfraktion und des IG-Metall- triebsrat zustande. Die Betriebsräte der Metall im Werkteil Untertürkheim profi- Vertrauenskörpers ausgetragen. Alternative wurden auch von den Ver- tierten zum einen die Offensiven Metal- Dennoch haben beide Strömungen sammlungen der gewerkschaftlichen ler, die offenbar einen Teil des 2006 von die regelmäßige Herausgabe ihrer Publi- Vertrauensleute ausgeschlossen. Mög- der Alternative kanalisierten Protestpo- kationen Scheibenwischer und Alterna- lich machte dies eine Regelung in der tenzials nutzen konnten und mit zwei tive beibehalten. Darin werden auch Gewerkschaftssatzung, wonach die IG- statt zuvor einem Mandat in den Be- immer wieder unterschiedliche Bewer- Metall-Betriebsräte in ihrer Funktion als triebsrat einzogen. Zum anderen eta- tungen oder zumindest Betonungen Vertrauensleute von der Ortsverwaltung blierte sich mit dem „Zentrum“ eine von deutlich, aggressive Attacken und Diffa- bestätigt werden müssen. Diese Bestäti- einem rechtsradikalen, ehemaligen mierungen unterbleiben aber auf beiden gung wurde den Alternative-Betriebsrä- CGM-Betriebsrat2 geführte Liste, die Seiten. ten verweigert, woraufhin sie eine ebenfalls im Werkteil Untertürkheim öffentliche Kampagne gegen das „Funk- ihre meisten Stimmen bekam und zwei tionsverbot auf kaltem Weg“ starteten. Sitze erreichte. Der CGM selbst wieder- Daniel Behruzi ist Journalist und Soziologe. Trotz der Unterzeichnung eines Kon- um verlor zwei Mandate, weshalb das Der Text ist ein redigierter Auszug aus seiner Doktorarbeit über Legitimitätsverluste von senspapiers im September 2008, das die Ergebnis eine Verschiebung vom konser- Betriebsräten infolge betrieblicher Wettbe- Strömungen mit Blick auf die Betriebs- vativen ins offen reaktionäre Lager be- werbsbündnisse, die voraussichtlich im ratswahl 2010 wieder zusammenführen deutete. Die 2010 erstmals mit einer Herbst veröffentlicht wird.

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VON PLAKAT ZUR ALTERNATIVE 23

Einige Quellen: Bergmann, T. (Hrsg.) 2007: „Klassenkampf und Solida- argumentierten u.a., die Ausweitung der Betriebsnutzungszeiten auf rität“ – Geschichte der Stuttgarter Metaller und Metallerinnen. Ham- das Wochenende werde dazu führen, dass diese Ausnahme schon burg: VSA · Grohmann, P./Sackstetter, H. (Hrsg.): Plakat. Zehn Jahre bald zur Regel würde – eine Sichtweise, die sich später bestätigen Betriebsarbeit bei Daimler-Benz. · Hoss, W. 2004: Komm ins Offene, sollte. Da sie darin die einzige Möglichkeit sahen, ihre Position in die- Freund. Autobiographie, herausgegeben von Peter Kammerer. Münster: sen Punkten kundzutun, veröffentlichten die Oppositionellen eine Westfälisches Dampfboot vierseitige Betriebszeitung mit dem Namen Klärwerk. Es sollte jedoch die einzige Ausgabe bleiben. Anmerkungen: 2 Nach Angaben der IG Metall spielte der ehemalige CGM- 1 Den Schritt, eine eigene Betriebszeitung herauszugeben, wagte die Vertrauenskörperleiter in einer rechtsradikalen Skinheadband namens Gruppe kurzzeitig im Zuge einer Auseinandersetzung innerhalb der „Noie Werte“, von deren Texten er sich auch auf Nachfrage nicht IG-Metall-Fraktion um die Einführung einer Wochenendschicht sowie distanzierte (u.a. Scheibenwischer Juli 2007). Das Antifaschistische eines neuen Lohnmodells mit Leistungsbeurteilung in der Produktion Infoblatt bringt ihn gar mit dem Umfeld der Terrorgruppe „National- in den Jahren 1998/99. Beides lehnten die linken Kritiker ab. Sie sozialistischer Untergrund“ (NSU) in Verbindung.

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Mercedes-Benz Argentina – ein wahres Traditionsunternehmen Nazigeldwäsche und 14 verschwundene Betriebsräte

Gaby Weber

Der Zweite Weltkrieg lag wenige Jahre zurück, die Bundesrepublik war gerade erst gegründet, als Jorge Antonio, rechte Hand von Präsident Juan Domingo Perón, in Stuttgart anfragte, ob man nicht in Argentinien investieren wolle. Bis dahin hatte Antonio bei einem Au- tohändler gearbeitet, der Luxuslimousi- nen importierte. 1951 wurde Mercedes Benz Argentina gegründet. Das war in- sofern praktisch, da die anderen deut- schen Unternehmen als „Feindeigen- tum“ beschlagnahmt waren und nur be- schränkt in Argentinien operieren konn- ten. Nun wurden im grossen Stil Autos und Autoteile aus Deutschland an den Rio de la Plata geschifft und Gelder, die während des Zweiten Weltkrieges im Ausland, vor allem in der Schweiz, ge- bunkert worden waren, flüssig gemacht. Als Exporteinnahmen floss das Geld – ganz legal – in den Kreislauf der deut- schen Nachkriegsindustrie. Daimler- Benz wusste gar nicht, wohin mit dem vielen Nazigeld, und wurde, fast über Nacht, zum größten Investor im Lande. 1955 wurde gegen Perón geputscht, und das Unternehmen unter Zwangsver- waltung gestellt. Es dauerte Jahre, bis es wieder eröffnet wurde. Ein Staatsanwalt und eine parlamentarische Untersu- chungskommission ermittelten gegen das Unternehmen. Diese Unterlagen ha- nen nicht erklären konnte. Legal hatte Darunter: Adolf Eichmann. be ich vor etwa zehn Jahren in einem nämlich Daimler-Benz keine einzige Erneut in die Schlagzeilen kam MBA Kellerloch in Buenos Aires gefunden: Mark überwiesen. Das belegen die Un- wegen seiner Beteiligung an dem Ver- schwarze Buchführung, manipulierte Bi- terlagen der Zentralbank. schwinden-Lassen seiner Betriebsräte in lanzen, Aufzeichnungen über Schmier- Die Einwanderungsbehörde ließ mich den Jahren 1976/77. Es herrschte eine geldzahlungen und Kontoauszüge. in den vergilbten Passagierlisten wüh- Militärdiktatur, und die Generälen wa- Ein Gerichtsurteil von 1957 verfügte len. In der Führungsriege von Mercedes- ren gute Kunden von Daimler-Benz. Es die Beschlagnahmung des gesamten Benz Argentina (MBA) waren alte Ka- reichte damals aus, von der Personallei- Imperiums von Jorge Antonio – weil er meraden, die nach dem Zweiten Welt- tung als „Subversiver“ denunziert zu die Herkunft seiner Millioneninvestitio- krieg in Südamerika untergetaucht sind. werden, den Rest erledigten die Militärs.

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MERCEDES-BENZ ARGENTINA 25

Sie kamen nachts in die Wohnungen der die Frage der Zuständigkeit: „Das Beru- tatur seiner kämpferischen Arbeiter ent- Arbeiter, verschleppten sie in ihre Fol- fungsgericht in San Francisco war unse- ledigt zu haben, freigesprochen. terzentren und verscharrten sie danach rer Meinung. Die Firma vertreibt auf in Massengräbern. Siebzehn MBA-Ge- dem US-Markt einen großen Teil ihrer Gaby Weber hat über den Fall mehrere werkschaftsaktivisten erging es so. Drei Produkte und hatte sogar in Michigan Bücher geschrieben und einen Dokumentar- überlebten. Und von 14 fehlt weiterhin eine zweite Firmenzentrale. Deshalb film verfasst, der bei Youtube angesehen werden kann. Die Links sind auf ihrer home- jede Spur. müssen sie sich unseren Gesetzen page: www.gabyweber.com. Auch andere Firmen hatten ihre Ge- unterwerfen. Und das Berufungsgericht werkschafter denunziert, aber nur der (in Kalifornien) sah das (2010) genau Fall MBA ging um die Welt. Fünfzehn so.“ Jahre lang versuchten Juristen, die Be- Daimler rief den Obersten Gerichtshof Gaby Weber über ihren Film teiligung des deutschen Konzerns an an. Zugleich drohten jetzt mächtige zu Daimler in Argentinien den Morden von einem Gericht untersu- Wirtschaftsverbände offen mit einem In meinem Dokumentarfilm „Wunder chen zu lassen. „Es klagten Habenichtse Wirtschaftskrieg. Die Association of gibt es nicht – milagros no hay“ stelle aus den Armenvierteln, die in Deutsch- Global Automakers schrieb dem Supre- ich dar, wie während der Militärdiktatur land, Argentinien und den USA vor Ge- me Court in einer Stellungnahme („Ami- Gewerkschafter von Mercedes Benz Ar- richte zogen“ – so Eduardo Fachal, da- cus Curiae-Brief“): „Die Konsequenzen gentina nachts aus ihren Wohnungen mals selbst Betriebsrat und heute An- würden der US-Wirtschaft sehr schaden. entführt, in Folterzentren verschleppt walt der Hinterbliebenen: In Berlin wur- Die ausländischen Investitionen würden und ermordet wurden und wie ich die de gegen den damaligen Produktions- zurückgehen. 2009 haben ausländische Überlebenden gefunden habe. In dem chef Juan Ronaldo Tasselkraut Anzeige Unternehmen 14 Prozent der gesamten Film berichten die Opfer und Manager, wegen Beihilfe zum Mord erstattet. Einkommensteuereinnahmen ausge- die ich dem Wahrheitstribunal als Zeu- Nach vier Jahren Ermittlungen stellte macht. 5,6 Millionen US-Arbeitsplätze gen benannt habe: etwa der Folterer und die Staatsanwaltschaft das Verfahren befinden sich in den Niederlassungen Kindesräuber Rubén Lavallén, Sicher- ein, weil die Opfer nicht beweisen konn- ausländischer Firmen. Ausländer heitschef bei Mercedes. Die Firma hat, so ten, dass ihre Männer wirklich ermordet machen in den USA einen Umsatz von der damalige Justiziar, medizinische Ge- worden waren, sie seien ja nur „ver- 649,3 Milliarden und investieren jedes räte für Frühgeburten an das Militärhos- schwunden“ und könnten eines Tages Jahr 149 Milliarden.“ pital Campo de Mayo geliefert. Dort wieder auftauchen. Zahlreiche andere Industrieverbände mussten schwangere Gefangene ihre In Argentinien herrschten lange die schlossen sich dieser Argumentation mit Kinder zur Welt bringen, bevor sie er- Amnestiegesetze. 2002 wurde dort einem eigenen „Amicus Curiae-Brief“ mordet wurden. Fünf dieser Babys sind Strafanzeige erstattet, beschuldigt wa- an: die Automobile Manufacturers In- nachweislich oder mit hoher Wahr- ren die Militärs, Mercedes-Benz, Tassel- corporation, die Association of Global scheinlichkeit bei Mercedes-Managern kraut und der Gewerkschaftschef José Automakers, die US-Handelskammer, die gelandet. Der Produktionschef, Juan Rodríguez. Sie hatten sich verbündet, European Banking Federation, der Bun- Ronaldo Tasselkraut, erinnert sich, dass um gemeinsam Arbeiter verschwinden desverband der Deutschen Industrie und die Produktivität wegen Sabotage auf 30 zu lassen, die für die Verbesserungen der die Schweizer Bankiersvereinigung, um Prozent gefallen war, bis sie „normali- Arbeitsbedingungen und gegen die kor- nur einige zu nennen. siert“ werden konnte. Ob ein Zusam- rupte „Gewerkschaft“ SMATA kämpften. Der Supreme Court schlug sich auf menhang mit den Morden an den Be- SMATA hatte laut Tarifvertrag ein Pro- die Seite des deutschen Autobauers: triebsräten bestand? „Wunder gibt es zent des Umsatzes kassiert, um „negati- „Der Neunte Gerichtsbezirk (in San nicht, Euer Ehren“, so seine Antwort. ve Elemente im Betriebs auszumerzen“. Francisco) hat den Risiken für die inter- Der Film berichtet auch über die Be- Als das durch meine Recherchen be- nationalen Gebräuche zu wenig Auf- mühungen, die Täter vor Gericht zu brin- kannt wurde, störte sich die IG Metall merksamkeit geschenkt, als er seine all- gen. Obwohl ich den Dokumentarfilm nicht daran, schliesslich war Rodríguez gemeine Zuständigkeit erklärt hat. (...) mehrfach dem deutschen Fernsehen an- 25 Jahre lang Vizepräsident des Interna- Die allgemeine Zuständigkeit der US- geboten habe, wurde er nie ausgestrahlt. tionalen Metallarbeiterbundes – da Niederlassungen könnte ausländische Stattdessen zeigte die ARD im Dezember kennt man sich ja. Die Verfahren plät- Investoren entmutigen". 2013 eine „Softversion“. Sie verschweigt schern in Argentinien vor sich hin. Nicht Trotz der Niederlagen an der juristi- wesentliche Vorwürfe, interpretiert die einmal den Raub von drei Kindern durch schen Front, gelang es Daimler nicht, Beweise im Sinne der Firma um und ba- die Familie Tasselkraut wurde straf- den Fall unter den Teppich zu kehren. nalisiert die Komplizenschaft mit dem rechtlich belangt: verjährt oder archi- Der Konzern konnte das Gerichtsverfah- Folterer und Kindesräuber Lavallen. Die viert. ren in den USA zwar verhindern, musste Firma TVSchoenfilm hat meine langjäh- Dann brachte der „International Labor dafür aber die mächtigsten Industriever- rige Recherche von Dritten nacherzählen Rights Fund” den Fall in San Franscico bände und Bankenvereinigungen auf- lassen. Ihr Film ist voller peinlicher Feh- vor Gericht. Das Haupthindernis, so bieten. Kein Gericht hat ihn von den ler, bringt inhaltlich nichts Neues und Opferanwalt Terry Collingsworth, war Vorwürfen, sich mit Hilfe der Militärdik- stellt die von mir gefundenen Dokumen- te als eigene Recherche dar.

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Post-post-apokalyptische Gegenwehr in den USA Stephan Kimmerle

Der Verfall und Bankrott von De- wirtschaftliche Lage der einstmals weitere Werte der Stadt übereignete. troit – kaum etwas symbolisiert leuchtenden Autometropole der USA. Versicherungsgesellschaften und andere drei Jahrzehnte Niedergang der Auch zwei von drei Krankenwagen funk- Kreditoren werden mit wertvollen Ge- einstmals mächtigen Gewerk- tionieren nicht. Die New York Times mälden u.a. von Pablo Picasso abgefun- schaften in den USA so drastisch. nennt das „post-post-apokalyptisch“: den. In einem Modellverfahren wurde Während die mit der Stadt ver- Alles ist schon so lange so schlimm, dass US-weit geurteilt, dass Bankrottverfah- bundenen Großkonzerne GM, es jetzt ganz bestimmt aufwärts geht. ren von Städten durchaus drastische Ford und Chrysler längst mittels Doch: „Von Detroits 380000 Immobilien Kürzungen der Rentenzahlungen bein- Staatsgeldern und Subventionen wurden rund 114000 dem Erdboden halten dürfen – und das wurde exeku- wieder Profite für Aktionäre ab- gleichgemacht, weitere 80000 werden tiert. Den vormals Beschäftigten im werfen, ist die Gewerkschaftsbe- als heruntergekommen eingestuft und öffentlichen Dienst der Stadt wurden wegung von der Demontage der müssen sehr wahrscheinlich abgerissen die Renten um 4,5 Prozent gekürzt; in einstigen Hochburg und der werden.“ Zukunft gibt es keinerlei Inflationsaus- Flucht der Konzerne in gewerk- „Ökonomen sorgen sich“, so das re- gleich mehr. 3,5 Milliarden US-Dollar schaftsfeindliche Staaten inner- nommierte Blatt, „dass Detroit – in an Verbindlichkeiten gegenüber den halb der USA gezeichnet. Eine Abwesenheit der produzierenden Wirt- 23000 RentnerInnen wurden als Teil des Spurensuche nach gewerkschaftli- schaft auf der es aufgebaut wurde – Schuldenbergs in die Abwicklung der cher Gegenwehr nach der Nach- keinen Grund mehr hat zu existieren“. Pleite einbezogen. StaatsdienerInnen Katastrophen-Phase. Mitte Oktober 2014 machte die Stadt begannen, den 150000 Haushalten, die Zwei von drei Straßenlampen in Detroit einen weiteren Schritt im Insolvenzpro- ihre Wasserrechnungen nicht mehr be- bleiben jede Nacht so düster wie die zess, in dem sie einem Schuldengeber zahlen konnten, den Hahn zuzudrehen.

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ARBEITERKÄMPF IN DEN USA 27 Foto:Jim West

Ein nach Detroit entsandtes Team der Vereinten Nationen nannte dies eine „Menschenrechtsverletzung“ und Herstellern mit neuen Fabriken in den Workers (UAW) hat erst 2014 damit be- forderte den sofortigen Wiederanschluss USA auf den Markt. Diese Werke – wie gonnen, dort ein „local chapter“, eine an die Wasserversorgung. mittlerweile viele der US-Hersteller Betriebsgruppe, aufzubauen. Am 18. Juli 2013 hatte sich die Stadt selbst – stehen fast ausschließlich in Die Stärke der US-Gewerkschaften Detroit offiziell bankrott gemeldet und gewerkschaftsfeindlichen Staaaten, vor- beruhte über Jahrzehnte auf ihrer wurde von einem Insolvenzverwalter wiegend im Südosten des Landes. Macht, in Betrieben Kontrolle über Be- übernommen. Die demokratisch gewähl- Diese Bundesstaaten haben „Recht- schäftigung auszuüben: nur Gewerk- ten Gremien und Ämter wurden außer auf-Arbeit”-Verweise in ihren Verfas- schaftsmitgliedern hatten Jobs („closed Kraft gesetzt. Mit dem Kahlschlag der sungen. „Right to work“ ist Orwellsche shop“). Das wird in „right to work“- Autoproduktion in der Motown Stadt Sprachverdrehung pur. Konkret bedeutet Staaten verboten. Dabei wird gleichzei- fiel die Bevölkerung von einstmals 1,8 es, dass Daimler sein Werk in Tuscaloo- tig mit staatlicher Hilfe jede Form ge- Millionen 1950 auf aktuell rund 700000 sa, Alabama, angesiedelt hat, keinesfalls werkschaftlicher Gegenmacht gebro- – und verarmte völlig. um ein „Recht auf Arbeit“ zu garantie- chen. Doch die Autoproduktion in den USA ren, sondern um von der dortigen Ein- Volkswagen baute sein Werk in Chat- hat sich von der „Großen Rezession“ er- schränkung gewerkschaftlicher Rechte tanooga, Tennessee, das im April 2011 holt. Die Auto-Verkaufszahlen waren zu profitieren. Es ist weltweit das einzi- seine Arbeit aufnahm. Tennessee ist 2014 mit 16,4 Millionen die höchsten ge Mercedes-Benz-Werk ohne gewerk- auch einer der mittlerweile 24 „right to seit 2006. Deutsche Autobauer drängen, schaftliche Vertretung für die Beschäf- work“-Bundesstaaten. neben japanischen und südkoreanischen tigten. Die Gewerkschaft United Auto

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Gescheitertes Modell von der UAW stoppten sie die Produkti- Organisation der Gewerkschaft. Chattanooga on beim Unternehmen Piston Automoti- Am 10. September 2012 begannen Im dortigen Werk versuchte die Autoar- ve am 17. April 2014 – und zwangen die Chicagos Lehrkräfte einen erfolgreichen beiter-Gewerkschaft UAW im Februar Geschäftsführung ganz unbürokratisch, Streik, der national für Aufsehen sorgte. 2014 die Beschäftigten zu organisieren. die Gewerkschaft anzuerkennen – nach Kürzungen der Gehälter, mangelnde Allerdings mit einem Management- nur einem Tag Streik! Finanzierung der Schulen, Reduzierung freundlichen Herangehen, an dessen Be- Löhne von 12,55 US-Dollar pro Stun- der Lehrkräftestellen, Privatisierungen – ginn das stand, was in den USA “bargai- de (9,80 Euro) oder weniger waren bis all das war und ist ein Mittel die maro- ning to organize” heißt: es werden Zu- dahin für erfahrene angelernte Arbeite- den Finanzen vieler Städte zu „sanieren“. geständnisse gemacht, um überhaupt rInnen die Norm. 75 bis 80 Prozent der Doch Chicagos LehrerInnen sagten Nein erst gewerkschaftlich organisieren zu Beschäftigten hatten ihre Mitglied- zu einem Tarifangebot, das moderate dürfen. Um das in den USA übliche Uni- schaft bei der UAW erklärt, aber das Lohnerhöhungen mit Arbeitsplatzver- on-Bashing, die Hetze gegen die Ge- Management weigerte sich, das anzuer- nichtung kombinieren sollte. werkschaften und deren Versuche der kennen – bis zum Ausstand. Es war der erste Streik der LehrerIn- Organisierung zu vermeiden, machte die Jane Slaughter von „Labor Notes“ nen in Chicago seit 1987 – und der UAW in einem Abkommen mit dem kommentierte: „Es ist die Norm, dass erste für viele Beteiligte. Sie forderten Konzern-Management weitgehende Zu- Unternehmen sich weigern, neue [ge- höhere Löhne, kleinere Klassen, bezahlte geständnisse: als Ziel der Gewerkschaft werkschaftliche] Gliederungen anzuer- Vorbereitungszeiten und weniger zen- im Betrieb wurde der „Erhalt der Wett- kennen, die Verhandlungen fordern, tralisierte Prüfungen, dafür mehr Mu- bewerbsfähigkeit“ und die „Zusammen- selbst wenn eine Mehrheit Gewerk- sik-, Kunst- und Sportunterricht. arbeit mit den Managern“ festgeschrie- schaftsmitgliedsausweise unterzeichnet. HausmeisterInnen und Reinigungs- ben. Heutzutage ist der typische nächste kräfte waren in den Streik ebenfalls ein- Diese Konzessionen verhinderten kei- Schritt der Gewerkschaften, eine Ab- bezogen. neswegs die großangelegte Anti-Ge- stimmung bei [der zuständigen staatli- Dieser Streik wurde geführt von werkschafts-Kampagne, in der der repu- chen Behörde] dem „National Labor Re- CORE, dem „Zusammenschluss von Leh- blikanische Gouverneur mit Arbeits- lations Board“ zu beantragen – aber das rerInnen an der Basis“ („Caucus of Rank platzverlusten und Produktionsein- gibt dem Boss die Möglichkeit, den Pro- and File Educators - CORE”), einer ehe- schränkungen im Werk drohte, falls die zess zu verzögern und die Beschäftigten mals oppositionellen Strömung in der Gewerkschaft erfolgreich wäre. Wäh- durch eine Anti-Gewerkschafts-Presse Chicago Teachers Union (CTU), die 2010 rend die Gewerkschaft die Möglichkeit durchzuwringen. Streiks zur gewerk- unter der Führung der bereits erwähn- der aktiven Kontaktaufnahme zu den schaftlichen Anerkennung, einst das ten CTU-Präsidentin Karen Lewis die ArbeiterInnen im Abkommen mit dem Normale, sind heute rar.” Mehrheit in der Lehrergewerkschaft ge- Management freiwillig einschränkte, Doch in Toledo ging das Kalkül auf: winnen konnte. übernahmen „unabhängige” Gruppen Die Unterbrechung der Jeep-Produktion Drei fundamentale Veränderungen die Kampagne gegen die Organisierung. von Chrysler erhöhte den Druck auf den wurden von CORE eingeführt: Erstens, In dieser Kampagne wurde genüsslich Zulieferer drastisch und schnell – die die eigene Gewerkschaft wurde als aus dem UAW-Abkommen mit dem Un- Unternehmer knickten ein. soziale Bewegung der Mitglieder und als ternehmen zitiert. Mehr noch, Detroit Teil sozialer Bewegungen verstanden – wurde zu einem entscheidenden Argu- Erfolg mit Demokratie in das wird „social unionism“ genannt. ment. Mike Jarvis, der Sprecher einer Chicagos Lehrergewerkschaft Zweitens – die umfassende Aktivie- Gruppe von Beschäftigten gegen die Während die starken Bataillone der Ge- rung und Demokratie in der eigenen UAW, die in Medien groß präsentiert werkschaften – die Industriearbeiter- Organisation. Robert Bartlett, ein High wurde, gegenüber der New York Times: schaft und ihre Organisationen – noch School-Lehrer, fasst zusammen: „Die „Seht doch mal, was den Autoherstel- mit einer Umkehr ringen, suchen andere interne Organisierung hatte das Ziel ein lern in Detroit passiert ist und wie sie Teile der Arbeiterbewegung sehr aktiv Aktionskomitee in jeder Schule aufzu- sich durchkämpfen. Die alle haben eins nach Reorganisation und neuen Wegen. bauen. Komitee-Mitglieder sind verant- gemeinsam: die UAW.” Mit 45 zu 36 Prozent führte Karen Le- wortlich, mit jeweils rund zehn anderen Ohne kämpferische Kampagne blieb wis, die Vorsitzende der Lehrergewerk- Beschäftigten in Kontakt zu bleiben. Das das „Detroit-Argument“ unbeantwortet. schaft CTU, die Umfragen zur Wahl des waren nicht nur Lehrkräfte, sondern Der Versuch der Organisierung durch die Bürgermeisters der 2,7 Millionen Metro- auch Mitglieder anderer Gewerkschaf- UAW scheiterte mit einer Abstimmungs- pole gegen den Amtsinhaber der Demo- ten. Interne Schulungen von Gewerk- niederlage von 712 zu 626. kratischen Partei, bevor sie krankheits- schaftsdelegierten halfen ihnen, effekti- bedingt im Oktober 2014 das Feld räu- ver zu werden mittels Arbeitsgruppen UAW erfolgreich in Toledo men musste. Trotzdem markiert das ein zur Durchsetzung der Tarifverträge. Ein- Anders gingen es die ArbeiterInnen in Erdbeben in der Hochburg der Demokra- schätzungen über die Schwächen in Toledo bei einem Jeep-Zulieferer für ten und ist Resultat einer erfolgreichen, einzelnen Schulen gaben ein Bild, in- Chrysler in Toledo, Ohio, an. Organisiert kämpferischen und demokratischen Re- wieweit die Mitgliedschaft auf einen

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ARBEITERKÄMPF IN DEN USA 29

Streik vorbereitet war. Regionale Treffen tor sind nur noch 6,6 Prozent organi- gewerkschaftlichen Protesten und wurden abgehalten, offen für alle Mit- siert. Streiks wurden die Stadträte und der glieder, um die Informationen der Ge- Unter den drakonischen Gewerk- Bürgermeister gezwungen, 100000 werkschaft zu hören und Meinungen zu schafts-Gesetzen suchen Gruppen wie Beschäftigten mit Armutslöhnen in die- äußern. Systematische Telefonanrufe „OUR Walmart“ oder „Fight for 15“ (in ser reichen Stadt eine bessere Zukunft wurden genutzt, um zielgerichtet mit etwa „Kämpft für 15 Dollar Mindest- zuzugestehen. Kshama Sawant sieht bestimmten Gruppen innerhalb der Ge- lohn“) nun nach niedrigschwelligeren drei Gründe für den Erfolg: „Erstens: werkschaft in Kontakt zu kommen – um Angeboten zur Organisierung, die formal Wenn sich Beschäftigte organisieren, das Handeln der Führung zu erläutern, nicht als Gewerkschaft gelten und daher dann können sie gewinnen. Zweitens: eine Vision zu vermitteln, wie die Ge- aktiver vorgehen können. Personell und ArbeiterInnen können sich nicht darauf werkschaft sich organisiert, um zu ge- finanziell unterstützt von Gewerkschaf- verlassen, dass die zwei Parteien des Big winnen, und um die Streikbereitschaft ten wie der UFCW (United Food and Business ihre Interessen vertreten wür- der Mitglieder einzuschätzen.” Dieses Commercial Workers, zum Beispiel Be- den. Drittens: Du musst keinE SozialistIn Modell von aktiven Gewerkschaftsstruk- schäftigte in Supermarktketten) und der sein, um Dich zu wehren – aber es hilft! turen war die Basis des Streiks, umfas- SEIU (Service Employees International Eine wirkliche Massenbewegung heißt sende Demokratisierung die Vorausset- Union, zum Beispiel HausmeisterInnen, jeden willkommen, der sich dem Kampf zung für den Erfolg. Reinigungskräfte, Gesundheitsbereich), anschließen will, aber die Geschichte Drittens war die CTU bereit, sich mit machen diese Kampagnen auf die Miss- hat gezeigt, dass Bewegungen am dem Establishment der Demokratischen stände bei Walmart oder in Fast-Food- effektivsten sind, wenn sie eine Führung Partei, dem Obama-Vertrauten Bürger- Ketten aufmerksam, bieten Beschäftig- haben, die die Grenzen des Kapitalismus meister Rahm Emanuel und dem Stadt- ten Vernetzung und Beratung – und den nicht als gegeben akzeptiert und Mas- rat anzulegen. Das ist keine Selbstver- ersten Schritt zur gewerkschaftlichen senunterstützung aufbauen kann für ei- ständlichkeit. Die Demokratische Partei Mitgliedschaft. ne Vision einer Alternative“. präsentiert sich regelmäßig als das klei- Inspiriert von der Occupy-Bewegung Drei Milliarden Dollar an Umvertei- nere Übel. Und das erscheint als starkes des Jahres 2011 verbreiteten sich vor lung bringt Seattles Gesetzgebung den Argument angesichts der Gewerk- allem Proteste und Streiks von Fast- NiedriglohnarbeiterInnen über die näch- schaftsfeinde, organisiert in der Repu- Food-Beschäftigten bei McDonald´s, sten zehn Jahre. Vor allem aber greift blikanischen Partei, der treibenden Kraft Burger King, Wendy´s und vielen mehr. diese Bewegung um sich und gibt ge- hinter den „right to work”-Gesetzen. Generell handelt es sich bisher um Min- werkschaftlichen AktivistInnen US-weit Das hindert die Demokratische Partei derheitenstreiks, die von AktivistInnen einen einzigartigen Schub. Der „Fight for aber nicht daran, selbst Lohnraub, Priva- und sozialen Gruppen massiv unter- 15“, der Kampf für den Mindestlohn, tisierungen und Einschränkungen von stützt werden und so mediale Aufmerk- zeigt, dass klare Forderungen, die geeig- Arbeiterrechten einzuführen. Daher war samkeit sowie einen gewissen Schutz net sind, ArbeiterInnen zu begeistern, Karen Lewis Schritt so wichtig, als für die Streikenden erreichen können. Rückgrat zum Wiederaufbau der Ge- „nicht-parteilich Gebundene“ ins Ren- Diese Bewegung konnte vor allem werkschaften sein können. Die Forde- nen um den Bürgermeister-Posten ein- über staatliche Regelungen Erfolge er- rung nach einem 8-Stunden-Tag vor zusteigen: GewerkschafterInnen, die ei- zielen. Einzelne Arbeitgeber wurden zu 100 Jahren kondensierte mit einer kla- ne Alternative zu den reaktionären Re- Zugeständnissen gezwungen, aber vor ren Vision, was Gewerkschaften bewir- publikanern und den big-business-höri- allem wurden Städte und Bundesstaaten ken können. Ähnliches scheint auch gen Demokraten anbieten – das öffnet erfolgreich gedrängt, die örtlichen oder heute dringend nötig. Gewerkschaften einen neuen Graben in der politischen staatlichen Mindestlöhne zu erhöhen. als soziale Bewegungen wie im Kampf Landschaft. Während der nationale Mindestlohn bei für 15 Dollar, als Kraft, die sich auf Innergewerkschaftliche Demokratie, 7,25 Dollar liegt, brachte in Los Angeles Streiks besinnt wie in Toledo, als organi- soziale Vernetzung, ein kämpferisches der Bürgermeister einen Mindestlohn sierendes Zentrum für bisher Unorgani- Programm und sich nicht auf das ver- von 13 US-Dollar ins Spiel, Stadträte sierte wie den New Yorker Fastfood-Be- meintlich kleinere Übel verlassen – das fordern 15. In Chicago verspricht der schäftigten, als Organisation, die ihren weist in die Zukunft. Bürgermeister nun 13 Dollar, während Mitgliedern die Macht gibt, sich demo- 21 der 50 Stadträte 15 Dollar unterstüt- kratisch zu entfalten wie in Chicago – Bewegung macht den zen. so könnte auch in Detroit das Licht für Unterschied Seattle ist die erste größere Stadt der gewerkschaftlich Gegenwehr wieder Gleichzeitg sind neue Anstrengungen USA, in der 15 Dollar pro Stunde verab- angehen. gefragt, Beschäftigte zu organisieren. schiedet wurde und schrittweise einge- Die Mitgliedschaft in US-Gewerkschaf- führt wird. Unter der Führung der im ten liegt inzwischen mit 14,4 Millionen letzten Dezember neu gewählten sozia- Stephan Kimmerle ist Mitglied des Committee for a Workers´ International und Organisierten bei 11,3 Prozent aller listischen Stadträtin Kshama Sawant arbeitet in Seattle, USA, eng zusammen mit Lohnabhängigen – ein Niveau der 1930 und der von ihr gegründeten Aktivisten- Kshama Sawant und ihrer Organisation, er-Jahre. Im privatkapitalistischen Sek- organisation „15 Now“ zusammen mit Socialist Alternative.

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30 DAIMLER WELT – AUTO WELT

Autoproduktion und Arbeitskämpfe in Indien Ein Wachstumsmodell, das auf verschärfter Ausbeutung und Gewerkschaftsfeindlichkeit basiert

Heiner Köhnen & Jörg Nowak

Indien ist eine der weltweit am Leiharbeitskräften und anderen prekär akzeptieren zu müssen' herrschen vor. stärksten expandierenden Volks- Beschäftigten einerseits und den Fest- Festangestellten wiederum wird durch wirtschaften. Eine der Schlüssel- angestellten andererseits auf. Schätzun- die Arbeit der Prekären signalisiert, dass industrien, an der sowohl Um- gen zufolge sind durchschnittlich 67 auch sie jederzeit austauschbar sind. In bruch als auch Widersprüche der Prozent der Beschäftigten in den Betrie- der Regel sind Zeitarbeitskräfte nicht neueren Entwicklung deutlich ben Leih- beziehungsweise Zeitarbeits- gewerkschaftlich organisiert und Ge- werden, ist die Autoindustrie. In- kräfte. Insbesondere in den neuen werkschaften unternehmen nur wenige dien gehört zu den Gewinnerre- Unternehmen liegt der Anteil von prekär Versuche, dies zu ändern. Beschäftigte gionen des seit der Krise verän- Beschäftigten zwischen 60 und 80 Pro- berichten von einer Vielzahl von Ent- derten Weltautomobilmarkts. zent. In älteren Firmen arbeiteten prekär wicklungen, die Autobeschäftigten in- Zwischen 2001 und 2010 hat sich die Beschäftigte zunächst in Dienstlei- ternational nur allzu bekannt sind. So Autoproduktion Indiens mehr als ver- stungsbereichen, während sie in den wurden in den letzten Jahren in den doppelt. 2013 wurden im Land 3,3 Mil- neueren Werken die gleichen Tätigkei- neueren Betrieben Teamarbeit und da- lionen Pkw hergestellt. Nimmt man ne- ten wie Festangestellte im Produktions- mit verbundene neue Formen der Hier- ben Pkw auch die Produktion von Nutz- bereich ausüben. Leiharbeitskräfte wer- archisierung eingeführt. Teamleader fahrzeugen, von Mopeds, Motorrädern den zudem in vieler Hinsicht schlechter übernehmen Managementfunktionen und Dreiräder-Kfz hinzu, so wurden behandelt als Festangestellte. Sie haben und tragen damit neue Formen der Kon- 2013 20,6 Millionen Fahrzeuge produ- zumeist keine wirklichen Chancen auf kurrenz und Kontrolle unter die Be- ziert. Alle globalen Autoproduzenten Festanstellung, sondern sind im selben schäftigten. Nach Aufspaltung von Un- haben inzwischen eigene Werke errich- Werk dauerhaft auf Basis von Zeitarbeit ternehmen in Kostenstellen und ver- tet, wobei die Produktion von einigen tätig. Sie erhalten wesentlich geringere schiedene 'Einzelunternehmen' werden großen Konzernen wie die Suzuki-Toch- Löhne. Der indische Gewerkschaftsver- einzelne Bereiche outgesourct und Teile ter Maruti mit einem Marktanteil von band NTUI gibt die Lohnunterschiede der Produktion ausgelagert. Seitdem 37 Prozent im Pkw-Sektors, und Tata zwischen 3:1 und 7:1 an. Erzwungener- gibt es eine Standortkonkurrenz mit mit einem Anteil von über 50 Prozent maßen arbeiten prekär Beschäftigte im Werken in anderen Bundesstaaten oder bei den Nutzfahrzeugenn dominiert Durchschnitt wesentlich länger als Fest- im Ausland. Innerbetrieblich erleben Be- wird. Zusammen bestritten diese Unter- angestellte (eher zwölf als acht Stunden schäftigte eine enorme Steigerung der nehmen bis vor wenigen Jahren drei pro Tag). Des Weiteren zahlen Unter- Arbeitsintensität. Neue Produktions- Viertel der indischen Kfz-Produktion. nehmen für diese Beschäftigten oft standards wurden zunächst über Prämi- Beeindruckend ist auch die Entwick- nicht in die Sozialversicherung ein, die enanreize erzielt und dann als neue lung der Beschäftigung. Die Branche damit trotz rechtlicher Zusicherung Standards definiert. Immer wieder wer- zählt heute mehr als 700000 Beschäf- ohne Krankenversicherung bleiben. Der den dabei Überstunden erzwungen, tigte. Zählt man die Beschäftigten der Staat reagiert auf solche Verstöße in der während der gesetzlich zustehende 2- und 3-Rad-Produktion hinzu, so wer- Regel nicht. Prekär Beschäftigte berich- Urlaub verweigert wird. den sogar 13 Millionen direkt und indi- ten von vielen Erfahrungen hinsichtlich rekt Beschäftigte genannt. Trotz einem Entwürdigung und Respektlosigkeit Metallindustrie als Vorreiter – Einbruch in der Branche 2013 und 2014 ihnen gegenüber. So erhalten sie in Auseinandersetzungen Maruti sollen in den nächsten Jahren mehrere manchen Betrieben entweder kein Essen Die Metallindustrie hat mit dem Einsatz Millionen Arbeitsplätze neu entstehen. in der Kantine oder nicht das gleiche von Leihbeschäftigten und hinsichtlich Dies würde den Sektor zu einer der Essen wie Festangestellte, keine Arbeits- einer neuen Produktionsorganisation ei- größten Beschäftigungsmaschinen die- kleidung oder individuelle Schutzmittel ne Vorreiterrolle eingenommen. Ent- ser Dekade machen. In den letzten zehn wie Schuhe oder Handschuhe. Prekär scheidend für diesen Umbruch war die Jahren kann zudem ein enormer Anstieg Beschäftigte dienen als Druckmittel zur Auseinandersetzung beim Branchenfüh- der Produktivität der Arbeitskraft beob- Produktionssteigerung, denen mit Ent- rer Maruti Suzuki in Gurgaon in der Nä- achtet werden. Dabei fällt zunächst die lassung gedroht wird, wenn sie nicht he von Delhi. Ende der 1990er Jahre Spaltung der Beschäftigten zwischen 'spuren'. Angst und das Gefühl, 'alles kam es zu mehreren Auseinanderset-

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ARBEITSKÄMPFE IN INDIEN 31 Grafik: J.Römer Grafik:

zungen um die Produktivität. 2000/2001 Festangestellte aus dem Werk gedrängt. pro Jahr 50 Fahrzeuge produzierte, wa- wurde ein Frontalangriff auf die festan- Es arbeiteten nur noch 1300 festange- ren es 2006 bereits 110. Gleichzeitig gestellten Beschäftigten zur Vorbedin- stellte Produktionsarbeiter und –arbei- berichten Beschäftigte von einer starken gung für die weitere Umstrukturierung. terinnen dort, aber bereits 3700 Leihar- Zunahme von Stresserkrankungen. Rund Der Konflikt um die Änderung der Prä- beitskräfte. „Wenn diese Ärger machen, sechs Jahre später erklärte der damalige mien für die Produktivität mündete in werden sie gekündigt“, so ein Aktivist Geschäftsführer des Unternehmens im einer dreimonatigen Aussperrung, in de- des Gewerkschaftsverbands NTUI. In Blatt Economic Times, dass ohne diese ren Folge zunächst rund 500 Trainees diesem für die Arbeitsbeziehungen stra- Auseinandersetzung 2001 die „neuen ihren Job verloren. Nach Ende der Aus- tegischen Werk war es gelungen, die zu- Arbeitsbeziehungen“ nicht umsetzbar sperrung setzte das Unternehmen ein vor engagierte Gewerkschaft auszu- gewesen wären. Parallel zum Angriff auf Frühverrentungsprogramm durch. Die schalten, sie durch eine gelbe Gewerk- die Festangestellten strukturierte das Einstellung von Leiharbeitskräften nahm schaft zu ersetzen und den Einsatz von Unternehmen seine Zulieferkette um. zu. Durch Einschüchterung, Entlassun- Leiharbeitskräften zu ermöglichen. Die Die Anzahl der direkten Zulieferer wurde gen und 'freiwillige' Vorruhestandsrege- Produktivität wurde dabei dramatisch von 800 im Jahr 1998 auf 400 im Jahr lungen wurden bis zum Jahr 2006 3000 erhöht. Während 2001 ein Beschäftigter 2000 reduziert.

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32 DAIMLER WELT – AUTO WELT

Dabei ist die Auseinandersetzung bei in ihren Arbeitsverträgen. Maruti kein Einzelfall. Der Maruti-Streik Gegen diese Bedingungen streikten 2000 und viele Auseinandersetzungen die Beschäftigten im Juni 2011 13 Tage zwischen 2000 und 2010 in der Region lang und forderten eine unabhängige bei Honda HMSI, Hero Honda, Shivam Gewerkschaft. Ungewöhnlich war die Autotech, Delphi und anderen Autoun- Einheit zwischen den Vollzeitbeschäftig- ternehmen und Autozulieferern sind ge- ten und den prekär Beschäftigten, die prägt durch Repression und Polizeige- den Streik unterstützten. In den darauf- walt gegen aktive Beschäftigte und Ge- folgenden Monaten wurden Verhand- werkschaften: Beschimpfungen und lungen geführt, die zu weiteren Arbeits- Aussperrungen bis hin zu psychischer niederlegungen, Entlassungen, zu Ge- und physischer Gewalt gegenüber den fängnisaufenthalt für die Gewerk- eigenen Arbeitskräften durch Aufpasser schaftsführer und wiederum zu einem und Schläger, die von den Fabrikinha- 14-tägigen Streik im Oktober führten. bern angeheuerte wurden. Gautam Mo- So wurden die Beschäftigten am 29. dy, der Generalsekretär der NTUI: „Es hat August ausgesperrt und durften nur in in den letzten 15 Jahren keine gewerk- die Fabrik, nachdem sie eine Vereinba- schaftlichen Organisierungsversuche in rung unterschrieben hatten, keine neu gebauten Fabriken gegeben, die Aktionen mehr gegen das Management nicht zu Schikane und Opfern unter den zu unternehmen. Nur 20 Arbeiter ließen Beschäftigten geführt haben. Und wenn sich darauf ein. Die anderen versammel- Region. Es konnte gezeigt werden, dass es gelang, Gewerkschaften zu gründen ten sich vor dem Tor. Das Management es möglich ist, der Unternehmenswillkür und diese überlebt haben, dann müssen rekrutierte darauf 800 neue Leihbe- einen erfolgreichen Kampf für eigene sie weiter dafür kämpfen, Kollektivver- schäftigte, um die Produktion aufrecht- Interessen entgegen zu setzen. Auch handlungen führen zu können.“ Dort, zuerhalten. Schließlich unterschrieben Jahre später, am 4. April 2014, hat die wo kämpferische Gewerkschaften exi- die Beschäftigten rund einen Monat Gewerkschaft mit 80 Prozent der Stim- stieren und nicht durch Repression aus- später die Vereinbarung, die vorher ge- men der Festangestellten die Gewerk- geschaltet werden konnten, wurden kündigten Arbeiter wurden wieder ein- schaftswahlen im Werk deutlich gewon- zum Teil unternehmerfreundliche Ge- gestellt. Doch als sie die Arbeit wieder nen. werkschaften aufgebaut. aufnehmen wollten, verweigerte man Dennoch gingen die Auseinanderset- Auch jüngste Auseinandersetzungen am 3. Oktober 2011 den etwa 1100 Leih- zungen weiter, da das Unternehmen im Werk von Maruti in Gurgaon-Mane- arbeitskräften den Zutritt. Daraufhin Verhandlungen über Lohnerhöhungen sar 2011 und 2012 stehen in dieser Tra- wurde am 7. Oktober nicht nur dieses oder die Gleichstellung von Festen und dition. Dieses Werk wurde 2007 eröff- Werk erneut besetzt, sondern auch drei Leihbeschäftigten verweigerte. Am 18. net. 75 Prozent sind Leiharbeitskräfte, andere Fabriken von Suzuki, die Moto- Juli 2012 wurde ein Arbeiter von einem die wiederum von über 60 Leiharbeits- ren und Motorräder herstellen. In acht Vorarbeiter erst beleidigt und dann ge- firmen kommen. Die Löhne liegen we- weiteren Autofabriken gab es Solidari- kündigt. Nachdem Verhandlungen der sentlich niedriger als im Stammwerk. tätsstreiks. Entscheidend dabei war, dass Gewerkschaft zu keinem Ergebnis führ- Die Leiharbeitskräfte verdienen mit rund die Festangestellten und Leiharbeiter ten, kam es zu einem Gewaltausbruch. 9000 INR ( circa 110 Euro) im Monat nicht nur zum zweiten Mal zusammen In dessen Verlauf brach ein Feuer aus, etwa die Hälfte dessen, was die Festan- kämpften, sondern dass sich auch ande- ein Manager kam zu Tode, mehr als 50 gestellten bekommen (17000 INR). Be- re Fabriken anschlossen. Eine Woche Manager und höhere Angestellte wur- schäftigte wehrten sich gegen die später räumten 2000 Polizisten die den verletzt. Nach dem Aufruhr wurde schlechten Arbeitsbedingungen und ge- selbstorganisierte Kantine, woraufhin die Fabrik einen Monat lang geschlos- gen die vom Unternehmen eingesetzte die Beschäftigten die Besetzung aufga- sen; 546 Festangestellte und 1800 Leih- Betriebsgewerkschaft. ben. Schließlich erklärte das Manage- beschäftigte wurden ohne Begründung So war es den Beschäftigten nicht ment, die ausgesperrten Leihbeschäftig- entlassen. In den Wochen nach dem erlaubt, während der Arbeit Wasser zu ten wieder zurückzunehmen. Aufruhr nahm die Polizei mehr als 150 trinken oder auf die Toilette zu gehen. Der Staat verweigerte lange Zeit die Arbeiter fest, von denen viele an jenem Sie wurden stattdessen aufgefordert, Anerkennung der neuen Gewerkschaft Tag gar nicht in der Fabrik gewesen wa- dies in den Pausen zu tun. Es gab Stra- mit der Begründung, dass diese zu ei- ren. Sie verbrachten lange Zeit im Ge- fen für vermeintliche „Verstöße“ wie das nem illegalen Streik aufgerufen habe. fängnis – ohne Urteil, ohne Kaution, an- Nichterreichen von Produktionszielen. Die Beschäftigten hielten durch. Am 27. geklagt wegen Mord. Proteste gegen die Beschäftigte wurden zu unbezahlten Februar 2012 wurde die unabhängige Verhaftungen werden mit Gewalt unter- Überstunden gezwungen. Arbeitskräfte Gewerkschaft Maruti Suzuki Workers‘ drückt, die Gefangenen gefoltert. erhielten keine Gesundheitsversorgung Union (MSWU) offiziell anerkannt. Dies trotz anderslautender Verpflichtungen hat durchaus Symbolbedeutung für die Weitere Konflikte in der Branche

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ARBEITSKÄMPFE IN INDIEN 33

Im Juni 2013 brach bei Indiens zweit- kalation kam, gibt es wichtige Gemein- Tage ihre Werke besetzt. Dies war auch größtem Motorradhersteller Bajaj in samkeiten zum Konflikt bei Maruti: Die deswegen ungewöhnlich, weil während Chakan bei Pune ein Streik aus. Bajaj Unternehmen setzen trotz Wachstum der Besetzung Männer und Frauen ge- Auto hat das Stammwerk in Pune 2007 auf mehr Leihbeschäftigte und jüngere meinsam im Werk übernachtet haben geschlossen. Bereits 2002 wurde im 15 Arbeitskräfte, was zu einer explosiven (bei Maruti arbeiten ausschließlich km nördlich gelegenen Chakan ein neu- Mischung führt. Die Reallöhne in der Männer). Ebenfalls bei einem Autozulie- es Werk eröffnet und junge Arbeitskräf- Autoindustrie in Indien sind seit dem ferer, im neuen Werk von Shiram Pistons te eingestellt. Dort arbeiten etwa 1.200 Jahr 2000 um etwa 25 Prozent gesun- and Rings Ltd. in Pathredi, 40 Kilometer Festangestellte und 1000 Leihbeschäf- ken. Bei Maruti-Suzuki betragen die südlich von Manesar, besetzten 1000 tigte. 2007 wurde die Gewerkschaft Löhne zwei Prozent des Nettoumsatzes, Arbeiter für zwölf Tage ihr Werk. Am 26. VKKS gegründet. Sie schloss 2010 einen ebenso bei Bajaj Auto. April räumten 200 Polizisten das Werk Vertrag ab, der alle drei Jahre neu ver- Im Frühjahr 2014 gab es so auch in und verletzten dabei 79 Arbeiter, 26 Ar- handelt werden soll. Er beinhaltet eine anderen Betrieben eine Reihe neuer beiter sitzen bis heute im Gefängnis. Der jährliche Lohnerhöhung von acht Pro- Streiks und Betriebsbesetzungen. Bei Protest richtet sich gegen die Kündi- zent, die bei hohen Unternehmensge- Autofit in Dharuhera und Munjal Kiriu gung von 21 Kollegen. Der indische winnen bis auf zwölf Prozent steigen in Manesar kam es bereits im Dezember Business Standard vermerkt hierzu kann. Als im März 2013 das erste Mal 2013 und Januar 2014 längeren Konflik- durchaus anerkennend, dass die neue nachverhandelt werden sollte, forderte ten. Die Beschäftigten bei Autofit konn- Generation der Arbeiterinnen und Arbei- die Gewerkschaft 25 Prozent Lohnerhö- ten nach 59 Tagen Streik Lohnerhöhun- ter sich erst gar nicht damit aufhält, hung und feste Arbeitsverträge für die gen durchsetzen und die Beschäftigten „eine Gewerkschaft zu gründen, sondern prekär Beschäftigten. Auch hier gingen von Munjal Kiriu konnten durch die Um- mit der direkten Aktion einer Besetzung Leiharbeitskräfte und Festangestellte zingelung einer Polizeistation mit 4000 Forderungen nach Lohnerhöhungen und zusammen in den Streik. Das Unterneh- Demonstrierenden durchsetzen, dass ge- besseren Arbeitsbedingungen aufstellt“. men schleuste neue Leihbeschäftigte gen vom Management bezahlte Schlä- ein, um die Produktion fortzusetzen. 15 ger ein Ermittlungsverfahren aufgenom- Streikende wurden festgenommen, da men wird. Mitte März 2014 kam es in Heiner Köhnen und Jörg Nowak sind für das Bildungswerk e.V. TIE (Transnationals sie angeblich Streikbrecher mit Gewalt zwei Toyota-Werken in der Nähe von Information Exchange) tätig. Seit Mitte der am Betreten der Fabrik gehindert hät- Bangalore mit insgesamt 6500 Beschäf- neunziger Jahre unterstützt TIE die Daimler- ten. Nach 50 Tagen ging der Streik er- tigten zu einer einwöchigen Aussper- Koordination, um nationale und internatio- gebnislos zu Ende. Für Mai 2014 wurde rung, gefolgt von einem vierwöchigen nale Kontakte zu koordinieren und jedoch bereits ein neuer Streik angekün- Streik. Der Streik ging ergebnislos zu Handlungsstrategien zu entwickeln. digt. Das Unternehmen blockiert bei den Ende, nachdem das Management zuge- Eine eindrückliche Schilderung der Situation Verhandlungen bisher alle Forderungen sagt hatte, Kündigungen während des von prekär Beschäftigten sowie mehrerer und seit Dezember 2013 erhalten aktive Streiks zurück zu nehmen. In drei Fabri- Arbeitskonflikte und Streiks von Zeitarbeiter- Innen in Indien findet sich in einer von Wild- Beschäftigte im Werk im wöchentlichen ken des Autozulieferers Napino Auto & cat 2008 veröffentlichten Broschüre „Gurga- Rhythmus Disziplinarverfahren. Electronics in Manesar haben Arbeite- on, Indien: Neue Stadt, neues Glück, neue Auch wenn es bei Bajaj nicht zur Es- rinnen und Arbeiter Ende März für zehn Kämpfe?“

Oben: Streik bei Maruti-Suzuki im April 2014 (Foto: marutisuzukiworkersunion.wordpress.com)

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Die Organisierung ausgelagerter und prekär beschäftigter Arbeitskräfte bei Daimler Brasilien

Heiner Köhnen

Outsourcing beziehungsweise die zu den größten gewerkschaftlichen Mo- Beispiel eine lokale Gewerkschaft für Auslagerung von Arbeitsplätzen bilisierungen seit der Streikbewegung Sicherheitskräfte –, die sie repräsentiert innerhalb eines Betriebs tauchte der späten siebziger Jahre. Die Forde- (oder vorgibt, sie zu repräsentieren). So- in Brasilien im Zuge der aufkom- rung nach Ablehnung von PL 4330 war bald es eine offiziell anerkannte Ge- menden neoliberalen Politik in dabei zentral. Am 3. September wurde werkschaft für diesen Berufszweig gibt, den neunziger Jahren auf. Es wur- die Abstimmung über den Gesetzesent- fällt die legale Vertretung automatisch de zunächst damit begonnen, die wurf in Brasilia durch eine Demonstrati- dieser Gewerkschaft zu (inklusive dem staatliche Kontrolle des Öffentli- on verhindert. Recht auf kollektive Verhandlungen). chen Dienstes zu begrenzen und Dieses System hat mit der Gründung Marktmechanismen auch in der Erfahrungen gewerkschaftlicher unzähliger Gewerkschaften eine enorme öffentlichen Verwaltung einzu- Kämpfe Zersplitterung der Gewerkschaftsbewe- führen.1 Fast zur selben Zeit wur- Gewerkschaften in Brasilien sind in eini- gung bewirkt – eine Entwicklung, die den auch verschiedene Formen gen Fällen nach Branchen, meistens sich in den letzten beiden Jahrzehnten der Auslagerung im privaten aber nach Berufsgruppen organisiert. (nach dem Ende der Militärdiktatur) Sektor durchgesetzt. Sie können die Beschäftigten einer Ge- noch verstärkt hat. In Brasilien gibt es Heute sind Auslagerungen und unter- meinde oder Stadt, aber auch mehrerer häufig juristische Auseinandersetzungen schiedliche Formen der Prekarisierung in Gemeinden oder sogar ganzer Bundes- zwischen verschiedenen Gewerkschaf- nahezu allen Bereichen der brasiliani- staaten umfassen. Ihr rechtlicher Status ten über das Recht, Beschäftigte eines schen Wirtschaft präsent. In einer Ar- ist im sogenannten Arbeitsgesetzbuch bestimmten Berufszweigs zu repräsen- beitsmarktstudie aus dem Jahr 2012 (Consolidação das Leis do Trabalho, CLT) tieren. Aktuell wird die Zahl brasiliani- sieht das gewerkschaftliche Forschungs- geregelt. Die zentralen Säulen des brasi- scher Gewerkschaften auf 12-14000 institut DIEESE die Anzahl der Beschäf- lianischen Gewerkschaftssystems sind 1. geschätzt.3 Aktive Gewerkschaftsmit- tigten in ausgelagerten Bereichen bei die Anerkennung des Staates als Vor- glieder weisen darauf hin, dass viele circa acht Millionen,2 das entspricht aussetzung für die Existenz von Ge- dieser Gewerkschaften nur auf dem Pa- rund acht Prozent der ökonomisch akti- werkschaften; 2. das Prinzip der „unici- pier oder als rein bürokratische Appara- ven Bevölkerung. Der Gewerkschaftsver- dade“, das nur eine Gewerkschaft pro te bestehen, ohne wirklich jemanden zu band CUT spricht sogar von 13 Millio- Berufszweig in einer bestimmten Region repräsentieren. Gewerkschaften werden nen ausgelagerten Beschäftigten. erlaubt; sowie 3. die Gewerkschafts- dabei oft von Unternehmen unterstützt Es überrascht daher nicht, dass Aus- steuer in Höhe von einem Tageslohn pro oder sogar direkt gegründet, um die Or- lagerung ein zentrales Thema der brasi- Jahr, die alle Lohnabhängigen, ob Ge- ganisierung der Beschäftigten zu be- lianischen Gewerkschaften wurde. Alle werkschaftsmitglied oder nicht, an den kämpfen. großen Gewerkschaftsdachverbände Staat bezahlen, der das Geld an die Ge- In der Metallindustrie, speziell in den fordern die Abschaffung von Auslage- werkschaften weitergibt. Autofabriken, gibt es bemerkenswerte rungen. Im Sommer 2013 stand diese Das im zweiten Punkt erwähnte Sys- Erfahrungen mit der Vertretung ausge- Forderung ganz oben auf der Tagesord- tem „nur eine Gewerkschaft pro Region“ lagerter Beschäftigter. Während die nung, als ein ins Parlament eingebrach- bedeutet, dass die Frage, ob die Be- meisten Gewerkschaften die generelle ter Gesetzesentwurf (PL 4330) die weit- schäftigten einer Profession in einer Abschaffung von Auslagerungen for- gehende Abschaffung von Auslage- Kommune von einer gegebenen Gewerk- dern, sehen sie sich in der Praxis mit rungsbeschränkungen anvisierte. Die schaft vertreten werden oder nicht, im deren breiter Anwendung konfrontiert. meisten Gewerkschaftsverbände erho- Wesentlichen dadurch bestimmt wird, Deshalb sind Gewerkschaftsaktive und - ben daraufhin dessen Ablehnung zur ob eine andere Gewerkschaft den An- funktionäre als zusätzliche Strategie zentralen Forderung. spruch auf ihre Vertretung erhebt oder dazu übergegangen, für die Vertretung Während der Massenproteste im nicht. Wenn beispielsweise eine Metall- der ausgelagerten Beschäftigten und die Sommer 2013 organisierte ein Bündnis firma in der Stadt X die Sicherheitskräf- Verbesserung von deren Arbeitsbedin- mehrerer Gewerkschaftsverbände zwei te auslagert, werden diese immer noch gungen zu kämpfen. zentrale Aktionstage am 11. Juli und 30. durch die lokale Metallgewerkschaft Der Prozess der Auslagerungen be- August mit Demonstrationen, Streiks vertreten, so lange es keine andere gann in der brasilianischen Metallindu- und Blockaden. Diese Aktionen wurden Gewerkschaft gibt – in diesem Fall zum strie analog zur Entwicklung in anderen

Rechts: Verwaltungsgebäude von Mercedes-Benz do Brasil in São Bernardo do Campo. (Foto: wikipedia/ Jochen Jansen Lunapark21·extra 10/2015 LP21_ex_mb-in 26.03.2015 8:28 Uhr Seite 35

DAIMLER IN BRASILIEN 35 Foto: wikipedia

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Ländern mit Dienstleistungen wie Reini- Sanchez, Mitglied des Fabrikkomitees und Einhaltung solcher Vereinbarung gung, Kantine und Wachschutz. In jüng- bei Mercedes-Benz, hebt zwei Strate- auf der ganzen Welt zu erwirken und zu ster Zeit wurde er auf Logistik, Maschi- gien als wichtig für die Erfolge der Ge- kontrollieren. So war es ihrer Erfahrung nenwartung, Verpackung, Technik und werkschaft hervor: nach entscheidend, dass im Daimler- andere Bereiche ausgeweitet. Die Ausla- Erstens hat sich die Gewerkschaft nie Konzern ein Kontrollprozess eingeführt gerung von Beschäftigten nimmt unter- auf ihre legalen Vertretungsrechte be- wurde. Es wurde erreicht, dass der Welt- schiedliche Formen an: Werkverträge, schränken lassen. Obwohl sie die ausge- betriebsrat als offizielles Kontrollorgan Leiharbeit, oder gar „Ein-Mann-Unter- lagerten Arbeitskräfte nicht offiziell ver- anerkannt wurde. Eine weitere wichtige nehmen“ (in Deutschland als „Ich-AG“ treten konnte, schreckte sie nie davor Errungenschaft war, dass die Vereinba- und in Brasilien als „pessoa jurídica“ be- zurück, diese de facto zu vertreten. Sie rung auch die Zulieferkette des Kon- kannt). Diese neuen Beschäftigungsfor- organisierte die ausgelagerten Beschäf- zerns umfasst, inklusive der ausgelager- men bewirkten einen Anstieg von nicht tigten in der Firma und handelte Tarif- ten Beschäftigten. Die Vereinbarung von den Metallgewerkschaften reprä- verträge für sie aus, welche dann sieht vor, dass alle Beschäftigten über sentierten Beschäftigten in den Fabriken zwecks Legalisierung von den offiziell ihren Inhalt informiert werden müssen. und eine Spaltung zwischen den Be- zuständigen Gewerkschaften unter- Sie wird als Anhang an alle Verträge schäftigten. Das wird im Alltag in meh- schrieben wurden. angefügt, die Daimler mit Zulieferfirmen reren Bereichen deutlich, zum Beispiel Zweitens begann sie in den achtziger abschließt. wenn die ausgelagerten Arbeitskräfte Jahren intensive internationale Koope- nicht dieselbe Cafeteria benutzen dür- rationen und Austausche zu organisie- Konkrete Kämpfe fen. Als Reaktion darauf begann die Me- ren. Diese Zusammenarbeit ermöglichte Auf Grundlage dieser Vereinbarung hat tallgewerkschaft der sogenannten ABC- unter anderem die Gründung eines das Fabrikkomitee in São Bernardo Region4 mit der systematischen Organi- Weltarbeitnehmerforums im Jahr 2002, damit begonnen, bessere Arbeitsbedin- sierung der ausgelagerten Beschäftig- welches die Arbeiterinnen und Arbeiter gungen für ausgelagerte Arbeitskräfte ten, vor allem bei Mercedes-Benz in São aus sieben Ländern vertritt. Dieser Welt- zu fordern und Verletzungen von Ar- Bernardo. betriebsrat setzte sich unter anderem beitsrechten in Fremdfirmen anzukla- für die Anerkennung der fundamentalen gen. Die Vereinbarung wurde jedoch Mercedes-Benz in São Bernardo Konventionen der ILO ein, was 2002 nicht dadurch umgesetzt, dass ein Ver- Zunächst wies das Fabrikkomitee5 ei- durch eine Vereinbarung über soziale trag unterschrieben wurde, sondern als nem seiner Mitglieder die Aufgabe zu, Verantwortung mit dem Mutterkonzern Ergebnis von anhaltender Organisierung sich ausschließlich um die ausgelager- Daimler erreicht wurde. und aktiven Auseinandersetzungen am ten Beschäftigten in der Fabrik zu küm- Heute haben viele internationale Un- Arbeitsplatz. Sanchez erklärt, dass die mern. Dadurch bekam die Gewerkschaft ternehmen ähnliche Vereinbarungen Vereinbarung für die Gewerkschaft da- eine Übersicht über die existierenden unterschrieben, die jedoch wenig bewir- bei eine Unterstützung war: „Eine Ver- Vertragsformen, Arbeitsbedingungen, ken. Sie dienen allein der Öffentlich- einbarung ist ein Ausdruck der Kräfte- gewerkschaftliche Vertretung usw. der keitsarbeit. Die betroffenen Beschäftig- verhältnisse. Es ist der Kampf der Be- ausgelagerten Beschäftigten. Die Ge- ten wissen in der Regel nicht einmal schäftigten, der die Einhaltung der Ver- werkschaft begann, Versammlungen der von ihrer Existenz. Die brasilianischen einbarung sicherstellt.“6 ausgelagerten Beschäftigten zu organi- Aktiven weisen aber darauf hin, dass es Auch die Tatsache, dass die Metallge- sieren und Mercedes-Benz für Verlet- möglich sei, diese Vereinbarungen zu werkschaft bei Mercedes-Benz seit zungen der Arbeitsrechte durch die nutzen, um die Beschäftigten zu organi- 1984 durch ein Fabrikkomitee vertreten Fremdfirmen verantwortlich zu machen. sieren und Druck aufzubauen. Bedin- ist, ist bereits das Resultat des Kampfes Ein Problem dabei war, dass die Gewerk- gungen sei jedoch, dass die Beschäftig- der Beschäftigten. Zudem hat die Me- schaft nicht das Recht hatte, diese Ar- ten ihre eigenen Organisationen auf- tallgewerkschaft des ABC erreicht, dass beitskräfte zu repräsentieren. Valter bauen, um eine wirkliche Umsetzung auch die ausgelagerten Arbeiterinnen

Oben: Großdemonstration bei Mercedes-Benz in São Bernardo (Foto: pstu.org.br)

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und Arbeiter durch von ihnen gewählte geladen. Die Gewerkschaft informierte facto bereits ausgelagert war. Die Ge- Komitees vertreten werden. auch Mercedes über den Fall, aber nach werkschaft konnte auch einen Para- Im Folgenden werden zwei Beispiele 70 Tagen gab es von Grob immer noch graph im Tarifvertrag7 mit dem folgen- angeführt, wie Arbeitsrechte bei Zulie- keine Reaktion. den Inhalt durchsetzen: Wenn eine Zu- ferfirmen erfolgreich verteidigt wurden. Das Fabrikkomitee von Mercedes or- liefer- oder Werksvertragsfirma den Ver- ganisierte daraufhin eine Versammlung trag mit Mercedes verliert, müssen de- 1. Mahle mit Beschäftigten aus den Abteilungen, ren Beschäftigte von einer neuen Firma 2003 hat Mahle, ein multinationaler die Maschinen von Grob verwenden. unter den gleichen Bedingungen weiter Autozulieferkonzern aus Deutschland, Dort beschlossen die Beschäftigten, vier beschäftigt werden. Auf diese Weise drei Beschäftigte in Brasilien wegen der der Maschinen für zwei Stunden abzu- bleiben sie in der Mercedes-Fabrik be- Beschädigung einiger Werkstücke ent- schalten. Die Geschäftsleitung reagierte schäftigt. lassen. Als Protest gegen diese Entlas- empört: Schließlich habe sie nichts mit Zusätzlich etablierte die Gewerk- sungen kam es in der Fabrik zu einem diesem Fall zu tun. Das Komitee ant- schaft ein wöchentliches Treffen mit Streik. Daraufhin wurden alle Mitglieder wortete mit dem Verweis darauf, dass ausgelagerten Beschäftigten, bei wel- des Fabrikkomitees entlassen. Die Kolle- die unterschriebene CSR-Vereinbarung chem Arbeitsbedingungen und -rechte ginnen und Kollegen von Mercedes in auch für die Zulieferfirmen Gültigkeit wie zum Beispiel Überstunden, Zuschlä- São Bernardo wurden über den Konflikt habe. Kurz darauf stellte Grob den Ver- ge, Urlaub usw. diskutiert werden. informiert und beschwerten sich über treter der Gewerkschaft wieder ein. Die Gewerkschaft in São Bernardo das Verhalten von Mahle bei ihrer Ge- Mercedes versuchte den Arbeitern an kämpfte auch gegen Prekarisierung in schäftsführung. Mercedes sprach den den Grob-Maschinen für die Zeit des Form von Scheinselbständigkeit (Ich- Fall bei Mahle an und bekam die Ant- Stillstandes Lohn abzuziehen. Das Komi- AG). Diese Form der Anstellung intensi- wort, man sei deswegen noch im Ge- tee konnte auch das abwenden. viert die Prekarisierung: Diesen Beschäf- spräch – tatsächlich verweigerte Mahle tigten werden nicht nur die Bedingun- jedoch jede Verhandlung. Die Geschäfts- Weitere Erfolge gen der Mutterfirma vorenthalten. Sie führung von Mercedes erklärte schließ- Eine fundamentale Errungenschaft der verlieren praktisch alle grundlegenden lich, sie könne nichts weiter tun. Gewerkschaftsaktiven bei Mercedes- Arbeitsrechte und Leistungen, zum Bei- Daraufhin organisierte das Fabrikko- Benz in São Bernardo ist die De-facto- spiel Urlaub, Sozialversicherung und Be- mitee von Mercedes eine Blockade der Vertretung und Organisierung der aus- zahlung von Überstunden. Die betroffe- Teile, die von Mahle geliefert wurden, gelagerten Beschäftigten am Arbeits- nen Beschäftigten waren teilweise di- und schickte die Lkw am Tor zurück. Das platz. Auf deren Basis waren sie dazu in rekt angestellt gewesen, bevor sie ent- Komitee forderte die Geschäftsleitung der Lage, Auslagerungen zu bekämpfen lassen und dann mit denselben Aufga- dazu auf, nun ihrer sozialen Verantwor- und/oder die Arbeitsbedingungen der ben als Selbstständige beauftragt wur- tung nachzukommen, der sie in der ausgelagerten Beschäftigten zu verbes- den. Als Mercedes mit der Einführung internationalen CSR-Vereinbarung sern. In einem Fall hatte Mercedes eine solcher Beschäftigungsverhältnisse zugestimmt hatten. Im Ergebnis übte Zulieferfirma mit der Fertigung be- begann, reagierte die Gewerkschaft: Sie Mercedes daraufhin Druck auf Mahle stimmter Teile beauftragt. Der Zuliefer- blockierte die Tore und kontrollierte alle aus, deren Geschäftsleitung in Folge vertrag war auf drei Jahre angelegt. Die ausgelagerten Beschäftigten, um deren Verhandlungen aufnahm. Die entlasse- Zulieferfirma hatte 42 Leute eingestellt, Status festzustellen. Durch entschlosse- nen Beschäftigten wurden innerhalb um den Auftrag zu erfüllen. Nach Ende nen Protest wurde erreicht, dass zu dem kurzer Zeit wieder eingestellt. der Laufzeit verlängerte Mercedes den Zeitpunkt alle als Ich-AG beschäftigten Vertrag jedoch nicht, und die Beschäf- Arbeitskräfte wieder eine reguläre Be- 2. Grob tigten standen vor der Entlassung. In schäftigung bei einer Zulieferfirma be- Bei der Firma Grob – ein weiterer deut- einem harten Kampf mit der Geschäfts- kamen, inklusive aller geltenden Ar- scher multinationaler Konzern, der leitung, während dessen es auch zum beitsrechte. Maschinen für Mercedes herstellt – hat- Streik kam, hat die Gewerkschaft Mer- Ähnliche Erfahrungen wurden in der te die Gewerkschaft Schwierigkeiten bei cedes dazu gebracht, die 42 Beschäftig- Region auch bei Volkswagen und Ford der Organisierung der Belegschaft. Als ten direkt einzustellen, deren Arbeit de gemacht. es gelungen war, zum ersten Mal einen Vertreter der Beschäftigten im Betrieb Anmerkungen: zu wählen, nutzte die Geschäftsleitung 1 vgl. O processo de terceirização e seus efeitos sobre os trabalhadores no Brasil, DIEESE 2007; nach drei Monaten den erstbesten Vor- S.23 2 vgl. A situação do trabalho no Brasil na primeira década dos anos 2000, DIEESE, São Paulo wand, diesen zu entlassen. Die Gewerk- 2012; S.376 schaft organisierte gegen diese Entlas- 3 Zahlen zu Gewerkschaften enthalten oft die Arbeitergeberverbände, welche in Brasilien sung Aktionen vor der Fabrik. Der ent- ebenfalls „sindicatos“ genannt werden. Die hier angegebenen Zahlen enthalten diese nicht. 4 ABC ist eine Abkürzung für die drei Gemeinden Santo André, São Bernardo & São Caetano lassene Vertreter war fast jeden Tag vor südöstlich von São Paulo. Gemeinsam bilden sie die größte Industrieansiedlung des Landes. Ort. Abgeordnete, der Bürgermeister und 5 In Brasilien sind rechtlich keine Beschäftigtenvertretungen am Arbeitsplatz beziehungsweise Politikerinnen und Politiker wurden ein- im Betrieb vorgesehen. In einigen großen Firmen, vor allem in der Metallindustrie, haben die Gewerkschaften die Etablierung von Fabrikkomitees erkämpft. 6 Valter Sanchez in einem Interview mit TIE, 2013 7 Tarifverträge werden in Brasilien oft für einzelne Firmen abgeschlossen.

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Car, Capital & China Die Autogesellschaft im kapitalistischen Weltsystem und in China mit einer Skizze einer alternativen Organisation von Mobilität

Winfried Wolf

Es gibt ausreichend Gründe dafür, auf 1000 Einwohner. Einschließlich der Klima- und Umweltbelastung bei der Formulierung einer radika- Lkw und Busse dürften es 130 Kraft- Diese Verkehrs- und Transportformen len Kritik an der Autogesellschaft fahrzeuge (Kfz) auf 1,3 Milliarden Men- haben einen massiven Einfluss auf die weltweit und insbesondere in schen sein. Verstärkung der Klimaveränderung: In- China zurückhaltend zu sein. Wir Dennoch ist eine radikale Kritik an zwischen entfallen mehr als ein Drittel leben in einer Region mit hoher der Fixiertheit auf das Auto angebracht. der von Menschen gemachten, das Kli- Pkw-Dichte. In Deutschland kom- Auch hinsichtlich der Entwicklung in ma schädigenden Emissionen auf den men derzeit 517 Autos auf 1000 China. Die Situation auf diesem Plane- Straßenverkehr, den Luftverkehr und die Einwohner; in Österreich und in ten Erde ist hinsichtlich der Faktoren Containerschifffahrt. Der Straßenver- der Schweiz sind es sogar etwas Klimaveränderung, peak oil und Blutzoll kehr allein (Pkw und Lkw) trägt zu gut mehr (521 und 529). Die USA hal- durch Straßenverkehrsopfer viel zu 20 Prozent zu den weltweiten CO2- ten im übrigen mit 770 Pkw auf ernst.2 Emissionen bei. In den Städten liegt die- 1000 Einwohner immer noch den ser Anteil deutlich höher. Pkw-Dichte-Rekord unter den Von was reden wir? Diese Belastung ist keineswegs aus- Flächenstaaten.1 Die vorherrschende Form des Transports schließlich ein Thema für die Zukunft. Bereits die deutsche Pkw-Dichte liegt von Gütern und Personen basiert auf Sie stellt eine enorme Belastung für die sieben Mal höher als diejenige in China. Pkw, Lkw, Flugzeugen und Container- Menschen dar, die heute leben. So wur- Dort gibt es, trotz einer atemberauben- schiffen. Diese werden zu 99,9 Prozent den in Schanghai im Dezember 2013 ei- den Aufholjagd bei der Massenmotori- mittels Verbrennung von Öl und Ölderi- ne Feinstaubbelastung von 590 und in sierung, im Jahr 2014 rund 100 Millio- vaten (Benzin, Diesel, Kerosin und Peking im Januar 2013 eine solche von nen Pkw bei 1,3 Milliarden Menschen. Schweröl) angetrieben. Die Folgen sind 800 Einheiten auf der Feinstaubskala Damit kommen in diesem Land 75 Pkw katastrophal – und weitgehend bekannt. registriert; der EU-Grenzwert liegt bei

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CAR, CAPITAL & CHINA 39 Foto: Jakob Montrasio

25, derjenige für Peking bei 80.3 Schät- Und nicht zuletzt für die materiellen Blutzoll von bis zu 200000 pro Jahr.4 zungen gehen davon aus, dass in China und immateriellen Schäden im Fall der- Damit wird in China in einem Jahrzehnt pro Jahr mehr als eine Million Men- jenigen, die im Straßenverkehr getötet durch den Straßenverkehr die Bevölke- schen an den Folgen der Luftverschmut- oder verletzt wurden. Nach unterschied- rung einer Großstadt mit mindestens zung sterben. In den deutschen Städten lichen Berechnungen machen die 600000, wenn nicht eine solche mit bis ist der Straßenverkehr für mehr als 20 externen Kosten des Straßen- und Luft- zu zwei Millionen Menschen ausge- Prozent der Feinstaubbelastung verant- verkehrs zwischen 7 und 10 Prozent des löscht. wortlich. Bruttoinlandprodukts der EU aus. Diese Verkehrsform trägt auch in massivem Maß zu Aggressionen und zu Volkswirtschaftliche, Umwelt- Der „Blutzoll“ einer umfassenden zwischenmenschli- und externe Kosten Mit dem Kfz-Verkehr sind enorm viele chen Brutalität bei. Dafür gibt es auch Diese Verkehrsorganisation ist mit enor- Tote und Verletzte verbunden. In der Eu- in China viele eindrucksvolle Beispiele men betriebswirtschaftlichen, volks- ropäischen Union mit 27 Mitgliedslän- (siehe Kasten). wirtschaftlichen und „externen“ Kosten dern („EU-27“) werden pro Jahr knapp verbunden. Die Behauptung, der Stra- 40000 Menschen im Straßenverkehr Und was ist das Ergebnis? ßenverkehr und der Flugverkehr würden getötet. Damit wird in einer Dekade die Extreme Zeitverluste und ihre Kosten ganz oder weitgehend dek- Bevölkerung einer Großstadt mit Staukosten ken, ist falsch. Einzurechnen sind die 400000 Einwohnern ausgelöscht. In Trotz dieser immensen Kosten, ist die gewaltigen Kosten für das Straßennetz, China gibt es jährlich offiziell 65000 Verkehrsorganisation per Pkw erstaun- für Stellflächen – vor allem in den Städ- Tote im Straßenverkehr. Die Weltbank lich ineffizient: Je mehr Autos, desto ten. Für die erwähnten Klima- und Um- und die Weltgesundheitsbehörde WHO langsamer der Verkehr. Konkret: Die weltkosten und die Gesundheitskosten. kommen auf einen deutlich höheren durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit

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in den Hauptverkehrszeiten liegt in Sin- zient ist? Schließlich wird behauptet, erste Eisenbahn erst 1904 bzw. 1910.6 gapur bei 27 Stundenkilometern, in Lon- der Markt und der Kapitalismus seien Ganz anders im Fall von Auto und don bei 16, in Tokio bei 11 und in Jakar- rational oder zumindest kostensensibel. Flugzeug. Die Autoindustrie – und eben- ta bei 5 km/h. Auch der Bau giganti- Zweitens: Gibt es nicht längst Optimie- so der Flugzeugbau – entwickelten sich scher Highways mitten durch die Städte rungen dieser Transportart? Findet mög- zuerst in den USA. Im Jahr 1910 begann ändert daran nichts. In Los Angeles, wo licherweise, wie die Autoindustrie be- in einer Fabrik von Henry Ford die erste es die größte Highway-Dichte gibt, liegt hauptet, sogar eine „Verkehrsrevolution“ Massenfertigung von Pkw („T-Modell“). die Durchschnittsgeschwindigkeit im statt, in deren Zentrum Elektro-Autos, In dem Maß, wie sich die USA zur füh- Pkw-Verkehr unter 15 km/h. In der chi- Agrokraftstoffe („Biokraftstoffe“) und renden kapitalistischen Macht durch- nesischen Hauptstadt Peking, die inzwi- Modelle von Car-Sharing stehen? Drit- setzten, setzten sie auch ihr „Mobili- schen eine mindestens ebenso große tens: Gibt es eine grundsätzliche Alter- tätsmodell“ durch: Der „American Way Pkw-Dichte wie Berlin aufweist, ist die native zur Autogesellschaft? of life & mobility“ wurde zum „global durchschnittliche Pkw-Fahrtgeschwin- way of life & mobility“. Entsprechend digkeit auf unter 10 Stundenkilometern I. Die Geschichte des „western kam es zu einer enorm phasenverscho- gesunken.5 way of mobility“ ist eng verbun- benen Durchsetzung der Autogesell- Diese Verkehrsgeschwindigkeiten ent- den mit der Wirtschaftsgeschich- schaft. Wenn wir als (alten) Maßstab sprechen denen eines Fahrradfahrers; te des 20. Jahrhunderts und der für „Vollmotorisierung“ einen Pkw auf mancherorts liegen sie bei denen eines Durchsetzung der US-Hegemonie vier Einwohner – oder 250 Pkw auf Fußgängers. Der dabei betriebene Ener- auf dem Weltmarkt 1000 Einwohner (immer Säuglinge und gieaufwand ist absurd – es werden je- Die Eisenbahn setzte sich im 19. Jahr- Greise inbegriffen) – nehmen, dann weils mehr als eine Tonne Stahl, Plastik hundert in der „modernen Welt“ noch wurde dieses Stadium in den Regionen und Blech mit oft mehr als 100 PS be- weitgehend zeitgleich durch. Die ersten des westlichen Kapitalismus zu erheb- wegt, um eine Person oder zwei Men- öffentlichen Eisenbahnen gab es 1825 lich unterschiedlichen Zeiten erreicht: schen im Schritttempo zu bewegen. in England, 1829 in den USA, 1835 in In den USA 1930, in Westeuropa 1960, Damit stellen sich drei Frage: Erstens: Deutschland und 1837 in Russland. Da in Japan 1980, in der DDR 1989, in Po- Warum ist dieses Verkehrssystem derart China damals weitgehend abgeschottet len, Ungarn, Tschechien und Slowakei vorherrschend, wenn dieses denn irra- vom Weltmarkt war bzw. Teile davon 1995 und in Bulgarien und Rumänien tional, teuer, zerstörerisch und ineffi- kolonialen Status hatten, gab es hier die erst 2012.

China: Das aggressive Klima der Autogesellschaft Offiziell gibt es in China im Jahr mehr als 60000 Verkehrstote; nach Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation sind es rund doppelt so viele. Doch es ist nicht allein dieser direkt messbare Blutzoll, der erschreckend ist. Die Autogesellschaft trug auch zu einem enorm aggressiven allgemeinen Klima bei. Ein Beispiel von vielen: Am 13. Oktober 2011 wurde die zweijährige Wang Yue in der Stadt Fushan in der Provinz Guangdong von einem Auto erfasst und blieb auf der Straße liegen. Das Mädchen lebte noch. In der Folge wurde es noch von zwei Lastwagen überrollt. Auf Videos, die Augenzeugen mit Handys aufnahmen und ins Internet stellten, sieht man, wie sieben Minuten vergingen, in denen achtzehn Personen achtlos und ohne Hilfe zu leisten, an dem Mädchen vorbeigingen. Es war am Ende eine Müllsammlerin, die ihr zu Hilfe eilte und sie ins Krankenhaus brachte. Sie starb dort. Dieses Beispiel von Alltagsaggression im chinesischen Autoverkehr wurde in der Rede wie- dergegeben, die der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu anlässlich der Verleihung des Frie- denspreises des Deutschen Buchhandels am 14. Oktober 2012 in Frankfurt am Main hielt. Die Schriften von Liao Yiwu können in der VR China nicht veröffentlicht werden. Angaben und Zitat nach: Frankfurter Allgenmeine Zeitung vom 15. Oktober 2012. LP21_ex_mb-in 26.03.2015 8:28 Uhr Seite 41

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In China könnte dieser Motorisie- hunderts darstellen, um zugleich zu ver- sich in Privateigentum: Entweder im Ei- rungsgrad im Jahr 2025 erreicht wer- stehen, warum und wie sich das Auto gentum der „kleinen Leute“ (Pkw) oder den. Dann müsste es in China 350 Mil- weltweit durchsetzte. Hier nur verkürzt: im Eigentum einzelner Firmen (z.B. Spe- lionen Pkw bei dann 1,4 Milliarden Um diese Jahrhundertwende stiegen diteure). Die Hersteller – Autokonzerne Menschen geben. Gegenwärtig sind es, Rockefeller (Öl) und Ford (Auto) zu den und Flugzeugindustrie – sind nochmals wie erwähnt, knapp 100 Millionen bei wichtigsten US-Unternehmen auf und „weiter weg vom Geschehen“ und eben- einer Bevölkerung von 1,3 Milliarden. bildeten die maßgebliche Kapitalfrakti- falls privatwirtschaftlich organisiert. Diese phasenverschobene Durchset- on – vor den Eisenbahnkapitalisten (u.a. Die externen Kosten dieser Verkehrs- zung der Autogesellschaft hatte drei Vanderbilt), die bis dahin das Sagen hat- arten sind enorm. Sie werden jedoch wichtige Konsequenzen: Erstens ist ten. Parallel mit dem Siegeszug des US- von den privaten Eigentümern nicht – Nordamerika die einzige Region in der Kapitals auf dem Weltmarkt, der Anfang oder nur in marginalem Umfang – be- Welt, in der die negativen Konsequen- des 20. Jahrhunderts begann, setzte sich zahlt. Das wird durch die beschriebene zen von dieser Art Mobilität nur einge- damit auf globaler Ebene diese spezifi- Struktur enorm begünstigt. schränkt zu Tage treten. Es handelt sich sche Form der Verkehrs- und Transpor- Durch die systematische Trennung um ein Land mit fast unbegrenztem frei- torganisation durch. von Infrastruktur und Betrieb ist eine en Land. Wobei der vorausgegangene Es sollte zu denken geben, wenn ak- optimale Durchsetzung des Prinzips Völkermord an der einheimischen Bevöl- tuell in China und in anderen Schwel- „Privatisierung der Profite“ (u.a. bei den kerung eine Grundlage für diese Situati- lenländern ein Mobilitätsmodell durch- Autokonzernen, im Flugzeugbau und bei on ist. Auch heute noch kommen in den gesetzt wird, das weitgehend parallel den Werften) und Vergesellschaftung ei- USA nur 32 Menschen auf einen Qua- zum Siegeszug des US-Kapitals zum nes großen Teils der Kosten dieser dratkilometer (1929 waren es nur gut weltweit vorherrschenden wurde – ein Transportform (bei der öffentlichen halb so viele). China ist mit 141 Perso- Modell im Übrigen, das sich im Westen Hand, bei öffentlichen Versorgungssy- nen auf einen Quadratkilometer fast keineswegs bewährt hat. Und dass dies stemen wie Kranken- und Rentenkassen, fünf Mal dichter besiedelt als die USA; ausgerechnet zu einem Zeitpunkt bei späteren Generationen) möglich. Das Deutschland mit 229 Menschen je qkm erfolgt, wo China dabei ist, die USA auf bedeutet zugleich, dass es möglich wird, sogar sieben Mal dichter.7 Platz 1 als größte Industrienation abzu- dass die Pkw-Nutzer relativ niedrige Zweitens. Die Stärke der USA auf dem lösen bzw. in einen Wettstreit um die Kosten bezahlen. Auch hier wird der Weltmarkt im Zeitraum 1925 bis 1975 Weltmarkthegemonie einzutreten. größte Teil der realen Kosten für den konkretisierte sich in einer Stärke der motorisierten „Individualverkehr“ eben USA in den Sektoren Öl und Auto. 1965 II. Die Organisation von Verkehr nicht von den Individuen, sondern von stammten noch gut 80 Prozent aller und Transport auf Basis von Pkw, der Gemeinschaft der Steuerzahlenden Pkw, die irgendwo auf der Welt herge- Lkw, Flugzeugen und Schiffen ist oder späteren Generationen geschultert. stellt wurden, von den Fließbändern der ideal für die Durchsetzung des Wie enorm hoch diese Kosten sind, wird US-Autokonzerne: GM, Ford, Chrysler Prinzips „Privatisierung von Profi- dann schnell deutlich, wenn im Stadt- und American Motor und deren Töchter ten und Vergesellschaftung von staat Singapur per Maut ein großer Teil in Australien (Holden = GM) und in Eu- Verlusten“ der realen Autofahrt-Kosten verlangt ropa (Vauxhall und Opel – beide GM; Bei Eisenbahnen bilden der Verkehrsweg wird. und Simca, zeitweilig eine Chrysler- (die Schieneninfrastruktur) und der Be- Doch Singapur ist die absolute Aus- Tochter). Kapitalexport der USA hieß oft trieb (das „rollende Material“ mit den nahme – und in der praktizierten Form Bau von Autofabriken; Warenexporte Fahrzeugen wie Loks, Waggons usw.) in eher abschreckend, da dort praktisch waren oft Pkw-Importe. der Regel eine betriebswirtschaftliche „Freie Pkw-Fahrt für reiche Bürger“ gilt, Drittens. Auch die aktuelle Autoindu- Einheit. Die „externen Kosten“ – die von während der öffentliche Verkehr völlig strie ist erheblich von den „westlichen der Umwelt, der Natur usw. „bezahlt“ unzureichend ausgebaut ist. Im Normal- Autokonzernen“ beherrscht. Ford und werden – sind niedrig. Fast alle be- zustand, mit der genannten Vergesell- GM hielten lange Zeit Beteiligungen an triebswirtschaftlichen Kosten tauchen in schaftung der externen Kosten des Stra- japanischen und südkoreanischen Auto- der Bilanz des Unternehmens auf: bei ßenverkehrs, werden auf eine höchst konzernen. Der chinesische Automarkt den privaten oder staatlichen Eisen- sublime Art die tatsächlichen Kosten des wird auch heute zu 55 Prozent von den bahnunternehmen.9 Straßenverkehrs verschleiert. Es entsteht Autokonzernen aus Deutschland, USA, Völlig anders verhält es sich beim der Eindruck, dass sich „alles rechnet“. Japan und Südkorea dominiert. Es Straßenverkehr, beim Luft- und Schiffs- Würden jedoch alle tatsächlichen Kos- scheint sogar so zu sein, dass in jünge- verkehr. ten des Autoverkehrs den Nutzerinnen rer Zeit die nicht-chinesischen Konzerne Fahrweg und Infrastruktur (Straßen, und Nutzern angerechnet, dann müss- ihre Position auf dem chinesischen Flughäfen, Seehäfen) befinden sich fast ten sich die Kosten für eine Pkw-Fahrt Markt ausbauen konnten.8 immer in öffentlichem Eigentum (oder gut verdoppeln, die für eine Lkw-Fahrt In einer ausführlicheren Studie müss- sie sind in anderer Weise getrennt vom mehr als verdreifachen. Damit aber wür- te man die Geschichte des US-Kapitals Betrieb und werden massiv öffentlich den die Vorteile der anderen Verkehrsar- Ende des 18. und Anfang des 19. Jahr- subventioniert). Die Fahrzeuge befinden ten erst ins richtige Licht gerückt. Wo-

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bei unter solchen Bedingungen ein Teil Spiele“ für den Erhalt von Herr- Umwelt und Lebensqualität? von Verkehr erst gar nicht entstehen schaft. Mit ihnen wird die Ent- Die Ursachen für die – unbestreitba- würde – weil die Menschen bei deutlich fremdung, die Lohnarbeit und ren – Wünsche und Sehnsüchte von höheren Verkehrs- und Transportkosten Kapital mit sich bringen, teilweise Hunderten Millionen Menschen nach ihr Geld für anderes ausgeben würden. kompensiert. dem Besitz eines Autos liegen sehr tief. Im übrigen ist bereits der Begriff „ex- Oftmals wird darauf verwiesen, dass es Verkürzt gesagt geht es um das Fol- terne Kosten“ Teil einer Ideologie. In doch „die Menschen“ seien, die sich „ein gende: Die kapitalistische Gesellschaft Wirklichkeit handelt es sich um „interne Auto“ leisten, die mit dem Billigflieger produziert systematisch Entfremdung. Kosten“, um Kosten, die voll und ganz „in ferne Lande gelangen“ wollten. Eine Damit ist gemeint: Das Wesen des der Verkehrsart Straßenverkehr – und Politik „gegen das Auto“ und „gegen die Mensch-Seins, sich zu „vergegenständli- analog dem Flugverkehr bzw. der Con- Billigfliegerei“ sei eine Politik „gegen die chen“, sich „außer sich zu setzen“, Sinn- tainerschifffahrt – zuzurechnen sind. Mehrheit der Bevölkerung“. Eine solche volles zu tun und in diesem Sinn als Die auf diese Weise viel zu niedrigen Politik zu betreiben sei „politisch nicht Produzent schöpferisch tätig zu sein Kosten für diese Verkehrsarten wirken durchsetzbar“. und zu arbeiten, wird im Kapitalismus wiederum dahingehend, dass die ent- Das ist ebenso richtig wie verkürzt. auf unterschiedliche Weise negiert. Un- sprechenden Verkehrsleistungen infla- Warum, so ist zu fragen, wünschen sich ter anderem dadurch, dass das von tionär zunehmen – und andere, volks- hunderte Millionen Chinesinnen und Lohnabhängigen hergestellte Produkt wirtschaftlich sinnvollere Verkehre oder Chinesen ein Auto, wenn sie doch wis- jemand anderem gehört: dem Kapitali- Produktionen verdrängen.10 sen, dass sich dieser Traum zu ihren sten; dem Betrieb; dem Konzern. Oder Lebzeiten nicht erfüllen wird? Und war- dadurch, dass oft Unnötiges, Schrott III. Die Autogesellschaft und die um verfolgen sie einen solchen Traum und gar Zerstörerisches produziert wird. Billigfliegerei wirken wie das alt- trotz der erkennbaren massiven Beein- Auch gilt: Je mehr die lohnabhängig Be- römische Prinzip von „Brot und trächtigungen für Leben, Gesundheit, schäftigten malochen, desto größer wird

Die Öl-Auto-Struktur der größten chinesischen Konzerne 1999 gab es in der Gruppe der 500 größten Konzerne erst 10 chinesische. 2005 waren es zwar doppelt so viel, doch mit 20 immer noch wenig. 2013 waren es dann bereits 95. Dabei sind es inzwischen in einem erheblichen Maß Öl- und Autokonzerne, die das Bild bestimmen. Insgesamt 13 können dieser Gruppe zugeordnet werden. Es sind die folgenden (in Klammer jeweils als erstes der Rang unter den chinesischen Konzernen selbst und bei der zweiten Zahl der Rang in der Global-500-Gruppe): Sinopec Group (1/3); China National Petroleum (2/4); China National Offshore Oil (11/79); SAIC Motor (13/85); China FAW- Group (17/11); (18/113); China South Industries Group (30/16); Aviation Industry Corp. of China (31/178); Beijing Automotive Group (40/248); China National Aviation Fuel Group (59/314); Guangzhou Automobile Industry Group (72/366); Shaanxi Yanchang Petroleum Group (88/432) und die Zhejiang Geely Holding Group (92/466). Auffallend ist, dass sich in dieser Gruppe chinesischer Konzerne in der Global 500-Liste fast ebenso viele mächtige Energiekonzerne (wie State Grid, Chi- na Southern Power Grid, Shandong Energy Group oder China Huaneng Group) befinden, bei denen es wiederum Querverbindun- gen zu den Ölkonzernen gibt. Interessant ist schließlich, dass sich in dieser Gruppe auch drei Unternehmen aus dem Bereich Eisenbahnen befinden: China Railway Construction (12/80), China Railway Group (14/86) und China Railway Materials (89/442).

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die Kapitalmacht - eine Macht, die sich verwehrt werden, dann suchen diese geblich zur westdeutschen Volksmotori- gegen sie und gegen die große Mehrheit ihre Zuflucht bei den kleinen Freiheiten: sierung beitrug. der Bevölkerung richtet. Die Unterneh- Billigflug ans Meer. Sex-Kick im Inter- Der deutsche Architekt Albert Speer men werden größer. Das Kapital konzen- net. Die Fahrt mit der eigenen Blechki- erhielt in China Großaufträge für Stadt- trierter. Die Konzerne immer mächtiger. ste ins Grüne (oder in den Dauerstau). projekte, darunter auch einen für die Die Reichen werden reicher – die Armen Vor diesem Hintergrund ist es einiger- „Autostadt Anting“. Albert Speer junior ärmer; der Mittelstand verfällt.11 Und maßen logisch, dass die wesentlichen haftet nicht dafür, dass sein Vater, Al- mit dem Reicherwerden der Reichen Förderer der Autogesellschaft zugleich bert Speer senior, der Chef-Architekt der einher gehen der Sozialabbau, die Ver- diejenigen waren, die die Entfremdung NSDAP war, der unter anderem an der wandlung von Normalarbeitsplätzen in auf den Höhepunkt trieben: Faschisten. Planung der „Kraft-durch-Freude-Stadt“ Billigjobs, Leiharbeit, ausgelagerte pre- Henry Ford war überzeugter Faschist von Volkswagen, dem späteren Wolfs- käre Jobs; es kommt zum Abbau von und Antisemit (er wurde von der NSDAP burg, beteiligt war. Doch Albert Speer Daseinsvorsorge, zur Aushöhlung ele- mit dem höchsten deutschen Orden für junior bekennt sich explizit zu wesentli- mentarer Errungenschaften wie freie Nicht-Deutsche ausgezeichnet). Seine chen Prinzipien, die bereits sein Vater Ausbildung, profunde Bildung und Fließband-Massenfertigung von Autos, vertrat. So äußerte er: „Seine Idee [die hochentwickelte Kultur. deren Grundprinzipien von dem indu- Idee von Albert Speer senior; W.W.], die Vor allem ist den meisten Menschen striellen Massenschlachten in den Bahnhöfe aus den Städten hinauszule- klar: Auf die wirklich wichtigen Ent- Schlachthäusern Chicagos von Ende des gen und die Innenstädte frei von Schie- scheidungen in der Gesellschaft haben 19. Jahrhunderts übernommen worden nen zu halten, finde ich auch heute sie so gut wie keinen Einfluss. Das trifft war, war mit einem ausgesprochen sinnvoll.“12 durchaus auch auf Länder mit einer bür- menschenverachtenden Weltbild ver- gerlichen Demokratie zu. In Deutschland bunden. Mussolini ließ die ersten Auto- IV. Es gibt nicht nur eine kapitali- gingen im September 2014 bei drei strade (Autobahnen) bauen; der italie- stische Verfasstheit der Weltwirt- Landtagswahlen nur noch rund 50 Pro- nische Faschismus förderte den Fiat- schaft. Es gibt vor allem auch eine zent der Wahlberechtigten überhaupt Konzern und verfolgte erstmals das Ziel stoffliche Verfasstheit der kapitali- an die Wahlurnen (in Sachsen und einer „Volksmotorisierung“ mit dem stischen Weltwirtschaft, die auf Brandenburg waren es sogar weniger als Kleinwagen „Topolino“ (= „kleine Maus“; das aktuelle Mobilitätsmodell 50 Prozent). Fiat 500). Adolf Hitler und das NS-Re- ausgerichtet ist. Wenn also die Menschen den Arbeits- gime betrieben den Reichsautobahnbau Die weltweit vorherrschende Wirt- alltag entfremdet erleben, wenn ihnen in großem Maßstab, propagierten eben- schaftsweise ist – auch in China – von die „große Freiheit“ ebenso wie eine falls die „Volksmotorisierung“ (mit dem den kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten wirksame Beteiligung an den großen Modell VW-Käfer) und ließen das Volks- bestimmt: der Profitmaximierung, der Entscheidungen über Klimaschutz, Krieg wagenwerk in Wolfsburg bauen – das Weltmarktkonkurrenz und dem Kampf und Frieden, Rüstung oder Bildung usw. dann nach dem Zweiten Weltkrieg maß- um die Weltmarkt-Vorherrschaft. Dass

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diese Weltökonomie auch stofflich – in sichtigt. Die Kapitalgruppe Öl-Auto- zwischen nur noch graduell von derjeni- der konkreten Zusammensetzung des Flugzeugbau ist unter allen produktiven gen der großen imperialistischen Länder Weltkapitals – vom aktuellen Mobili- Sektoren die mit Abstand wichtigste wie USA, Deutschland und Japan. Sie tätsmodell bestimmt wird, wird kaum innerhalb der Global 500 – und damit weist deutliche Parallelen zu derjenigen thematisiert. Dabei hat dies enorme po- auch die entscheidende Gruppe im der weltweit größten Unternehmen auf. litische Folgen und erklärt zu einem er- Weltkapital.15 Innerhalb der Global 500 befanden sich heblichen Teil die Durchsetzung des An diese Gruppe gekoppelt sind 2013 bereits 95 Unternehmen mit Sitz aktuellen Mobilitätsmodells. schlagkräftige Lobby-Armeen. Damit in China. Unter diesen 95 chinesischen Im Juli 2014 erschien das neue Heft verbunden sind die größten Werbeetats Global-500-Unternehmen zählen 13 des US-Kapitalblatts Fortune mit der im kapitalistischen PR-Business. Diese direkt zum Sektor Öl, Auto und Flug- 2013er Liste der größten Konzerne und Lobbys nehmen wirksam Einfluss auf die zeugbau. Wobei die zwei größten chine- Banken der Welt.13 Bildet man in dem jeweilige Verkehrs- und Strukturpolitik sischen Konzerne auf dieser Liste – Ensemble der „Global 500“ eine Unter- in Washington, Peking, Tokio, London, Sinopec Group und China National gruppe von Unternehmen, die der Ölin- Moskau, Brüssel und Berlin. Sie haben Petroleum – reine Ölkonzerne sind, was dustrie, der Autoindustrie und dem erheblichen Einfluss bei den internatio- der Situation an der Spitze der US-ame- Flugzeugbau angehören, dann kommt nalen Institutionen wie Weltbank, Inter- rikanischen Konzerne in der Global-500- diese Gruppe auf rund 30 Prozent des nationaler Währungsfonds oder Euro- Gruppe ähnelt, wo Exxon Mobil und addierten Umsatzes der „Global 500“.14 päische Entwicklungsbank. Sie beein- Chevron auf den Rängen 2 und 3 plat- Bei der Profitmasse kommt diese Unter- flussen in großem Umfang die Medien, ziert sind (auf Rang 1 rangiert der Ein- gruppe sogar auf 35 Prozent aller aus- die Werbewelt und – äußerst wichtig! – zelhandels-Riese Wal Marts). gewiesenen Profite. Und hier sind noch das Fernsehen, die Filmindustrie und die Der addierte Umsatz dieser 13 chine- nicht die Banken und Versicherungen Mode. sischen Auto-Öl-Flugzeugbau-Konzerne und Hedge Fonds und deren Engage- Die Zusammensetzung der chinesi- hat laut Fortune das Volumen von – ment bei Öl/Auto/Flugzeugbau berück- schen Wirtschaft unterscheidet sich in- umgerechnet – 1508 Milliarden US-Dol-

Elektro-Pkw – das Beispiel Norwegen Das skandinavische Land Norwegen ist führend beim Anteil von Elektro-Pkw an allen neu verkauften Pkw – und führend bei der Subventionierung dieser Transportform. Im Land gibt es weitgehend Steuerfreiheit beim Kauf eines Elektro-Pkw: es wird keine Mehrwertsteuer und keine Kfz-Steuer erhoben. Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2014 ergab: Pro Jahr (!) wird in Norwegen ein Elektro-Pkw mit 6200 Euro aus Steuermitteln subventioniert. Während der rund zehnjährigen Lebensdauer zahlt der Staat also 62.000 Euro an Subventionen je Elektro-Pkw. 93 Prozent der Käufer eines Elektro-Pkw verfügen bereits über ein Auto mit konventionellem Antrieb. Damit wird mit Elektro-Pkw die gesamte Pkw-Flotte eher noch vergrößert. Die Käufer von Elektro-Pkw leisten sich für den Stadtverkehr einen Zweit- oder gar Drittwagen. Sie blockieren dort die Busspuren und behindern damit den öffentli- chen Verkehr. Für Touren mit größeren Ent- fernungen wird weiterhin ein Pkw mit Ben- zin- oder Dieselkraftstoff-Antrieb genutzt. Wobei dieser Pkw, wenn er nicht benutzt wird, in der City einen Stellplatz benötigt. Elektroautos verstärken damit den Trend, den es seit zwei bis drei Jahrzehnten gibt: Das Auto als allgemeines Verkehrsmittel wird aufgespalten in viele Autos für unter- schiedliche Zwecke: Stadtauto (gerne als e- car), Familienauto („Van“), Freizeitauto (SUV), Kleintransporter und Tourenwagen. Damit aber wird die Zahl der Pkw nochmals deutlich erhöht. Angaben nach: Studie von Anders Skonhoft, Universität Trondheim, 2014 (www.ntnu.edu/employees/anders.skondhoft und www.ntnu.edu/documents/140152/622066862/Skondhoft _2014.pdf). Wiedergegeben in: Tageszeitung, 9.9. 2014. Grafik: J.Römer

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lar. Das entspricht bereits 25,8 Prozent Doch leider werden wir nicht von Transports gibt, bestehen. Der Pkw-Ver- des gesamten Umsatzes aller chinesi- Milchmädchen regiert. Die kapitalisti- kehr benötigt rund vier Mal mehr Fläche schen Konzerne unter den Global 500 sche Welt wird nicht von deren Rechen- als ein Verkehrssystem, das auf Fußwe- (siehe Kasten S. 42). künsten und Logik bestimmt. gen, Radfahren und öffentlichen Ver- Zurück zur weltweiten Dimension: kehrsmitteln beruht. Er ist für dicht be- Das Irritierende ist: 1973, zur Zeit der V. Es gibt keine überzeugende siedelte Städte schlicht nicht geeignet ersten Ölkrise, als der „Club of Rome“ „innere Reform“ der Autoge- bzw. er zerstört Lebensqualität und Ur- den Bericht vom „Ende des Wachstums“ sellschaften. Elektro-Pkw, Agro- banität. Der beschriebene immense und veröffentlichte, wurde erstmals die Pro- kraftstoffe (Biokraftstoffe) und extrem überproportionale hohe Blutzoll blematik der Öl-Auto-Gesellschaft the- Carsharing bieten keine Alter- bleibt grundsätzlich derselbe. matisiert. Damals lag der Anteil der native Agrokraftstoffe, die fälschlich als Gruppe Öl-Auto-Flugzeugbau an den Da in jüngerer Zeit die Kritik an der Au- „Biokraftstoffe“ bezeichnet werden, Global 500 erst bei rund 20 Prozent. togesellschaft sich verschärfte und peak steigern dann, wenn sie, wie das längst Seitdem hat er sich um mindestens das oil, das Ende des Ölzeitalters, sich ab- der Fall ist, massenhaft zur Anwendung 1,5fache erhöht. zeichnet, kam es zu einer „Beruhigungs- kommen, den weltweiten Hunger. Es In Deutschland gibt es den dummen Offensive“. Seit rund einem Jahrzehnt gibt nicht nur „peak oil“, sondern auch Macho-Spruch von den „Milchmäd- verkündet die Autolobby: Wir haben „peak soil“: nicht nur die Öl- und Gas- chen-Rechnungen“, die angeblich un- längst Alternativen zum Auto mit kon- vorräte sind endlich. Auch der landwirt- stimmig sind. Tatsächlich mussten ventionellem Antrieb und zum Pkw in schaftlich bebaubare Boden ist natürlich Milchmädchen gut rechnen können – Privatbesitz. Es werde in Bälde massen- begrenzt. sie mussten haushalten. Jedes Milch- haft Elektro-Pkw oder Autos geben, die Die CO2-Bilanz von Elektro-Pkw ist mädchen hätte Mitte der 1970er Jahre mit Agrokraftstoffen angetrieben wer- dann, wenn auch die Herstellung der gesagt: Wenn Öl und die anderen fossi- den. Darüber hinaus würden sich clevere Pkw und der Batterien in die Bilanz ein- len Brennstoffe endlich sind, wenn Systeme für Miet-Pkw und Car-Sharing bezogen wird, bereits in Europa weitge- deren Erschöpfung droht, dann müssen ausbreiten. Die kritische Auseinander- hend identisch (schlecht) wie diejenige wir mit deren Konsum entsprechend setzung mit dieser behaupteten „inne- des Pkw-Verkehrs mit konventionellen haushalten – wir müssen wegkommen ren Reform“ der Autogesellschaft kann Motoren. In China schneiden Elektro- von Öl-Auto-Flugzeug. Eine von Milch- hier aus Platzgründen nur in einer Skiz- Pkw nochmals deutlich schlechter ab, da mädchen bestimmte Gesellschaft würde ze erfolgen. der Strom-Mix zu einem großen Teil von diese Umstrukturierung der Weltwirt- Bei allen hier aufgeführten „Alterna- Kohlekraftwerken bestimmt wird. Je schaft planvoll vollziehen – und hierfür tiven“ bleiben wesentliche Kritikpunkte, mehr Elektro-Pkw es gibt, zu desto mehr auch Mehrheiten erringen. die es im Fall eines auf Pkw basierenden CO2-Emissionen kommt es bei den Koh-

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lekraftwerken. Die gesellschaftlichen diesem Fall werden zusätzliche Steuer- nem chinesischen Partner Brilliance in Kosten eines auf Elektro-Pkw basieren- gelder dafür eingesetzt, dass ein grüner Guangzhou (ehemals Kanton) das neue den Transports sind gewaltig. Die Sub- Schein produziert wird. Wenn denn mal Elektroauto-Modell „Zinoro“ der Öffent- ventionen je Elektro-Pkw betragen in Privatpersonen ein Elektroauto kaufen, lichkeit vor. Doch zur Weltpremiere wa- China umgerechnet zwischen 7000 und dann handelt es sich meist um einen ren nur chinesische Journalisten zuge- 13000 Euro. Überall, wo Elektro-Pkw im Zweit- und Drittwagen. (Siehe Kasten zu lassen; deutsche Medienvertreter wur- Einsatz sind, erhalten die Nutzer zusätz- E-Autos und Norwegen) den explizit ausgeschlossen. Ein BMW- lich enorme Privilegien wie freie – für E- Bei Car-sharing ist ebenfalls der An- Sprecher begründete dies damit, dass Cars reservierte – Parkplätze, Mitbenut- teil derjenigen, die bereits einen Pkw in das Fahrzeug „für den Rest außerhalb zung von Busspuren, kostenloser oder Privatbesitz haben, sehr hoch. Trotz er- Chinas nicht relevant“ sei. Dabei ist Chi- stark subventionierter Strom. Dennoch heblicher Subventionierung von Car- na der weltweit größte Automarkt über- konnten im Jahr 2013 weltweit nur sharing-Modellen kostet der Personen- haupt – und somit außerordentlich 200000 Elektro-Pkw verkauft werden; transport per Car-sharing die Nutzerin- „relevant“ für den „Rest der Welt“. Der 2014 waren es nur unwesentlich mehr. nen und Nutzer mindestens doppelt so Grund für die vornehme Zurückhaltung In China wurden 2013 gerade einmal viel wie die Nutzung öffentlicher Ver- besteht laut Frankfurter Allgemeine Zei- 17600 sogenannte new energy cars ver- kehrsmittel.17 Damit ist Car-sharing tung im Folgenden: Das Modell wurde kauft, darunter befanden sich bereits weitgehend das Mobilitätsmodell des „unter dem Druck der chinesischen Re- 3000 Hybridfahrzeuge. Reine Elektro- gehobenen Mittelstands. Wobei nicht gierung“ entwickelt. Diese verlange, so fahrzeuge wurden 15500 verkauft. Alle bestritten werden soll, dass die Pkw- die FAZ, „dass Ausländer eine rein chi- Pkw mit alternativem Antrieb machten Nutzung in Form von Car-sharing zwei- nesische Marke etablieren und dass sie in China gerade mal 0,4 Prozent des fellos besser ist als ein motorisierter ein in China entwickeltes und gebautes gesamten Pkw-Verkaufs aus. Auf welt- Individualverkehr mit privatem Pkw. Fahrzeug mit alternativem Antrieb auf weiter Ebene geht es um eine ähnliche Die „Alternativen“, die die Autolobby den Markt bringen.“18 Größenordnung. 2013 wurden weltweit bietet, stellen damit vor allem ein Auch der Daimler-Konzern versteckt gut 70 Millionen Einheiten Pkw mit „green-washing“ der Autogesellschaft sein für China entwickeltes und 2014 konventionellem Antrieb verkauft – und dar. Interessant dabei ist, dass die Auto- vorgestelltes E-Pkw-Modell „Denzo“. darunter die genannten 200000 E- konzerne E-car-Modelle entwickeln, von Und bei dem Marktführer in China, VW, cars).16 denen sie selbst nicht überzeugt sind. äußert man sich äußerst zurückhaltend Hinzu kommt: Die meisten Käufer von Typisch ist hierfür das Beispiel BMW in zu den neuen, VW-eigenen E-Car-Mar- E-Pkw sind entweder Behörden und Un- China. Der deutsche Autokonzern stellte ken „Carely“ und „Tantus“. Dabei finan- ternehmen in öffentlichem Eigentum. In im November 2013 zusammen mit sei- ziert die deutsche Bundesregierung LP21_ex_mb-in 26.03.2015 8:28 Uhr Seite 47

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gemeinsam mit Chinas „Nationaler Ent- beste Alternative zur Rückkehr zum kehrsmittel; die Tram verfügte über ein wicklungs- und Reformkommission“ – Fahrrad.“20 Netz mit 550 Kilometern Länge. Damit dem mächtigen Planungsministerium – Genau darum geht es: Bitte nicht zu- wurde fast die gesamte Fläche der Stadt seit 2013 ein Pilotprojekt zum Aufbau rück zum Fahrrad! Bitte keine Rückkehr mit Straßenbahnlinien abgedeckt. Die einer Ladeinfrastruktur für Elektro- zu Nachhaltigkeit und Vernunft!! Nach anderen Verkehrsmittel – S-Bahn, U- Autos in chinesischen Städten. dieser Logik ist es besser, die Irrationali- und Hoch-Bahn und Busse – ergänzten Die Funktion dieser „Elektro-Mobili- tät des konventionellen Autoverkehrs die Tram. Insgesamt wurden 1929 mit tät“ als pures Greenwashing ist in China mit der Irrationalität der – weitgehend allen öffentlichen Verkehrsmitteln – deutlich durchsichtiger als in Europa. virtuellen – E-car-mobility zu toppen. Straßenbahn, Hoch-und U-Bahn, Busse Die Frankfurter Allgemeine Zeitung und S-Bahn – 2 Milliarden Fahrgäste schrieb dazu: „Alle deutschen Autokon- VI. Eine Annäherung an die Alter- befördert. Beim modal split – der Auf- zerne entwickeln in China eigene Mar- native. Oder: Berlin und Guang- teilung der Wege im Personenverkehr ken für Elektrofahrzeuge. […] Es ist ein zhou im Vergleich zwischen frü- entsprechend der Verkehrsmittelwahl – offenes Geheimnis, dass die Hersteller her und heute entfielen knapp 50 Prozent aller Wege damit gleich zwei Auflagen der Regie- Oft wird man bei der Entwicklung einer auf Fußwege und Fahrradfahrten, 49 rung erfüllen wollen: eine eigene China- Vision in der Vergangenheit fündig. Prozent auf die öffentlichen Verkehrs- Marke sowie ein im Land entwickeltes Nehmen wir hierzu als Beispiele die bei- mittel und rund drei Prozent auf Pkw und produziertes E-Fahrzeug produzie- den Städte Berlin und Kanton (Guang- und Taxen. Beim öffentlichen Personen- ren zu können. Im Austausch (!) für die- zhou). nahverkehr wiederum trug die Tram fast se Zugeständnisse erhalten die Auslän- Beginnen wir mit der Hauptstadt die Hälfte der gesamten ÖPNV-Ver- der Genehmigungen zur Expansion, etwa Deutschlands. kehrsleistung; der Rest verteilte sich re- für den Bau neuer Werke. So zieht VW In Berlin gab es 1929 4,3 Millionen lativ gleichmäßig auf S-Bahn, Hoch- sieben seiner zehn neuen Produktions- Einwohner. In der Stadt waren 28200 und U-Bahn und Busse.21 stätten in China hoch…“19 Pkw und rund 50000 Motorräder regi- Dabei sind zwei besondere Umstände Es handelt sich dann natürlich um striert. Die Zahl der Fahrräder lag bei hervorzuheben. Erstens. Die öffentlichen Werke zur Herstellung konventioneller knapp zwei Millionen, wobei – siehe Verkehrsbetriebe (BVG – Berliner Ver- Autos… unten – der Nutzungsgrad der Fahrräder kehrsbetriebe) waren bis Ende der Daimler-Entwicklungsvorstand Tho- ausgesprochen hoch war. Neben den 1920er Jahre profitabel und leisteten mas Weber traf den Nagel auf den Kopf, nichtmotorisierten Verkehrsarten – zu einen finanziellen Beitrag für das Stadt- als er erklärte: „Beim [Elektro-Pkw- Fuß gehen und Fahrrad fahren – war die säckel. Zweitens. Berlin galt damals als Modell] Denzo handelt es sich um die Straßenbahn das entscheidende Ver- die Kulturstadt Europas. Wer in jener

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Zeit New York – die US-Metropole war haben. Vor allem hat sich im Stadtge- Nehmen wir als Beispiel die seit 2013 damals schon eine Autostadt – und Ber- biet die Zahl der ÖPNV-Fahrgäste hal- in Bau befindliche neue U-Bahn-Strecke lin miteinander verglich, der sah bei biert – von gut 2 Milliarden auf rund Alexanderplatz – Brandenburger Tor. Mit Berlin ziemlich sicher nicht in dem Feh- eine Milliarde Fahrgäste im Jahr. Der ihr wird die „Kanzler-Bahn“, die Stum- len von Autos einen Nachteil. Grund für die Reduktion des öffentli- mel-U-Bahn Berliner Hauptbahnhof – Heute gibt es in Berlin – trotz Wie- chen Verkehrs liegt nicht allein in der Brandenburger Tor, bis zum Alex verlän- dervereinigung – nur noch 3,5 Millionen relativ großen Zahl von Pkw. Vielmehr gert und somit erstmals in das U-Bahn- Einwohner; es sind 800000 weniger als gab es eine erhebliche strukturelle Ver- Netz integriert. Ende 2016 soll der neue 1929. In jüngerer Zeit hat der Fahrrad- änderung bei den öffentlichen Verkehrs- Streckenabschnitt fertig sein; allerdings verkehr in Berlin zwar wieder zugenom- mitteln: weg von der effizienten und wird laut Plan der Betrieb erst 2019 men. Er liegt jedoch deutlich unter dem relativ preisgünstigen Tram und hin zur aufgenommen. Für diesen relativ kleinen Niveau von 1929. Das gilt auch für den (für die öffentliche Hand) sündhaft teu- Streckenabschnitt von 4,5 Kilometern Fußgängerverkehr. Das hat vor allem da- ren U-Bahn. werden offiziell 400 Millionen Euro aus- mit zu tun, dass die Stadt vom Auto be- Heute gibt es in Berlin ein relativ gro- gegeben; am Ende werden es deutlich herrscht wird. Zu Fuß gehen und Fahr- ßes U-Bahn-Netz mit insgesamt 150 mehr als 500 Millionen sein. Damit radfahren ist oft mühsam und gelegent- Kilometern Netzlänge. Doch dieses U- könnte man mindestens 50 Kilometer lich gefährlich. Bahn-Netz ist im Vergleich zum ehema- Trambahn-Strecke bauen – also im Ver- Es gibt zwei wichtige Unterschiede ligen Straßenbahnnetz mit 550 km Län- gleich zur U-Bahn die zehnfache Länge. gegenüber 1929: Die Zahl der Pkw, die ge eher klein. Es bewältigt im Jahr „nur“ Dabei ist die Effizienz einer modernen in Berlin registriert sind, liegt bei 1,14 rund 500 Millionen Fahrgäste – gerade Straßenbahn nur wenig geringer als die Millionen. Sie hat sich demnach gegen- mal die Hälfte dessen, was 1929 die einer U-Bahn. Das Mindeste was sich über 1929 vervierzigfacht. Das Auto Straßenbahn bewältigte. Das Straßen- sagen lässt, ist: ÖPNV-Investitionen für wurde zum wichtigsten Transportmittel. bahnnetz hingegen hat heute nur noch eine Straßenbahn haben eine minde- Allein die Fläche, die diese zusätzlichen eine Länge von 180 km – ein Drittel der stens fünf Mal größere Effizienz als sol- Pkw beanspruchen, entspricht mehr als Länge von 1929. Dabei ist ein sehr gro- che in eine U-Bahn.22 der Fläche, die für eine Million Einwoh- ßer Teil des ÖPNV-Kapitals im Bau und Eine Konsequenz ist: Der gegenwärti- ner benötigt wird. Was auch erklärt, Unterhalt der U-Bahn gebunden. Der ge öffentliche Verkehr in Berlin kommt warum die Fläche, auf der heute die 3,4 Bau eines Kilometers U-Bahn-Netz auf ein jährliches Defizit auf von mehre- Millionen Berlinerinnen und Berliner le- kostet mindestens zehn Mal so viel wie ren hundert Millionen Euro.23 ben, deutlich größer ist als die Fläche, der Bau eines Kilometers einer ebenso Berlin ist heute wieder eine der be- auf der 1928 die 4,3 Millionen gelebt leistungsfähigen Straßenbahn. liebtesten Städte Europas. Das verdankt LP21_ex_mb-in 26.03.2015 8:28 Uhr Seite 49

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Berlin vor allem dem kulturellen Ange- transports. Damals konnte man in einer meter deutlich höher als in Berlin, was bot und seinem Charakter als einer mul- deutschen Zeitung lesen: „Die Radfahrer auch an dem größeren Raumprofil lie- tikulturellen Stadt. Negativ zu verbu- haben die Straßen fast für sich. Man gen dürfte.25 chen ist jedoch, dass Berlin zur Auto- kommt ohne starre Verkehrsregeln aus. Doch auch hier zeigt sich: Obgleich stadt wurde und dass vor allem im Som- An den Kreuzungen fließen die Ströme China im Allgemeinen und Kanton im mer die Belastung mit Feinstaub und der Radler wie Fischschwärme aneinan- Besonderen relativ reich sind und die Ozon die Grenzwerte übersteigt. der vorbei.“24 jeweilige Verkehrspolitik einigermaßen Es spräche viel dafür, die Tugenden 2013 leben in Guangzhou rund 13,5 effizient ist, fallen das U-Bahn-Netz der Vergangenheit neu zu beleben: den Millionen Einwohner; knapp doppelt so und die Leistungen auf demselben letz- Fußgänger- und Fahrradverkehr zu för- viel wie vor zwei Jahrzehnten. Die Stadt ten Endes bescheiden aus. Es gibt hier dern und insbesondere wieder ein flä- wird inzwischen vom Autoverkehr be- schlicht ein Strukturproblem: Eine U- chendeckendes Straßenbahnnetz aufzu- herrscht – wie im heutigen Berlin. Die Bahn als Hauptverkehrsmittel ist grund- bauen. Das würde zugleich zu einer Re- Zahl der registrierten Pkw dürfte bei sätzlich eine problematische Option. Sie duktion des ÖPNV-Defizits beitragen. mehr als 3 Millionen liegen. Motorräder basiert darauf, dass die Nutzerinnen und Nehmen wir das Beispiel Guangzhou. wurden im Innenstadtbereich verboten. Nutzer des ÖPNV in den Untergrund ab- Diese Stadt zählte 1993 rund 7 Millio- Das mag sinnvoll gewesen sein, weil da- gedrängt werden, dass die Oberfläche nen Einwohner. Sie war damit knapp durch der Lärm und die Zahl der Unfälle weitgehend für Autos reserviert wird. doppelt so groß wie Berlin im Jahr reduziert werden konnten. Die Maßnah- Ein wesentliches Resultat einer U-Bahn 1929. Es gab in Guangzhou damals me dürfte jedoch im Endresultat vor ist nach kurzer Zeit die Zerstörung von 320000 Kraftfahrzeuge; darunter rund allem den PKW-Verkehr gestärkt haben. Nähe und die „Produktion von Ferne“; 70000 Pkw. Hinzu kamen 200000 Mo- Der Fahrradverkehr spielt in Guang- also die Zerstörung kleinteiliger Struktu- torräder. Das entspricht weitgehend den zhou heute so gut wie keine Rolle mehr. ren und die Förderung großer Entfer- Anteilen von Pkw und Motorrädern, die Die Stadt rühmt sich ihres großen U- nungen bei den Verkehren des Alltagsle- es in Berlin 1929 gab. In Guangzhou Bahn-Netzes. Dieses hat eine Länge von bens. wurden 1993 noch 2,8 Millionen Fahr- knapp 250 Kilometern. Im Jahr werden Vor allem wird auf diese Weise räder registriert. Auch dies entspricht auf demselben rund 1,2 Milliarden Per- immens viel Kapital gebunden. Die Rela- weitgehend dem geschilderten Anteil sonen befördert. Bei Berücksichtigung tion von Kapitaleinsatz zu Verkehrslei- von Fahrrädern, die es 1929 in Berlin der unterschiedlichen Größen der Städte stung ist höchst unbefriedigend. Noch- gab. Der Fahrradverkehr bestimmte vor entspricht in Kanton die Länge des U- mals als Vergleich: Diese beeindrucken- zwei Jahrzehnten noch das Straßenbild Bahn-Netzes desjenigen von Berlin; die de U-Bahn in Guangzhou hat ein halb und bildete das Rückgrat des Personen- Beförderungsleistung liegt je Netzkilo- so großes Netz wie die Berliner Tram im

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Jahr 1929 – wobei die Bevölkerung von Bau der U-Bahnen in den chinesischen talistische Westen beging, wiederholt. Berlin knapp ein Drittel so groß war wie Städten Kanton und Schanghai. China rettet derzeit die Autoindustrie die heutige Bevölkerung in Kanton. Alle Der U-Bahn-Bau war mit der Zielset- des Westens.28 öffentlichen Verkehrsmittel von Guang- zung verbunden, dass die Fahrräder Damit stellt sich auch hier die Frage: zhou zusammen – U-Bahn und Busse weitgehend von den Straßen der chine- Warum nicht einen Blick zurück in die vor allem – bringen es auf weniger als 2 sischen Großstädte verschwinden müss- Vergangenheit werfen? Können wir dar- Milliarden Fahrgäste. Damit liegt die ten, um dem Auto Platz zu machen und aus nicht für den Verkehr der Zukunft ÖPNV-Leistung in Guanghzou heute eine Massenmotorisierung damit zu lernen? Ansätze für eine solche erfor- niedriger als diejenige von Berlin 1929. begünstigen.26 derliche Verkehrswende gibt es auch in Die Einwohnerzahl ist jedoch drei Mal Ende der 1980er Jahre, zu einem China. größer. Zeitpunkt, als das Fahrrad gerade dabei So wird in der Hauptstadt der VR Chi- Guangzhou ist zweifellos eine beein- war, in Europa wieder neu als Massen- nas seit 2013 in ein aufwendiges Miet- druckende Metropole. Allerdings dürfte verkehrsmittel entdeckt zu werden, System für Fahrräder investiert. Die der dominierende Autoverkehr nicht zu wurde das Fahrrad in China als „unmo- Stadtverwaltung gab dabei die Parole den positiven Merkmalen dieser Stadt dern“ dargestellt und verdrängt. Als aus: „Wir erobern Beijing wieder zurück zählen. Seine Folgen sind vergleichbar „modern“ galt nunmehr das Auto. für das Fahrrad“. Immerhin galt die chi- derjenigen in anderen chinesischen Es handelte sich dabei gewisserma- nesische Hauptstadt einmal als „König- Städten: Lärm, stark belastete Luft, ßen um kapitalistische Planwirtschaft reich der Fahrradfahrer“.29 Allerdings Dauerstau, viele Verkehrstote und Ver- pur: Carl H. Hahn war 1990 der Top- dürfte das – bislang – eher ein frommer letzte; die Existenz eines aggressiven Manager bei VW. Anlässlich eines Be- Wunsch sein. Bisher fiel Jahr um Jahr Stadtklimas. suchs in China äußerte er damals in der der Anteil derjenigen, die mit dem Rad Der Grund, weswegen die chinesi- Großen Halle des Volkes in Peking: „Wir zur Arbeit und zurück pendeln, „um schen Städte zu Autostädten wurden, in Deutschland denken langfristig. Ich zwei bis fünf Prozent“, so ein aktueller liegt nicht primär in den Entscheidun- kann mir vorstellen, dass eines Tages in ausführlicher Report in einer Zeitung gen der Mehrheit der Bevölkerung. Es China mehr Volkswagen gebaut und aus China. Danach wird die neue Nut- waren in erster Linie die Entscheidungen verkauft werden als bei uns.“27 Genau zung des Fahrrads vor allem von denje- der politischen Führung und der Ver- dieses Ziel des VW-Bosses wurde er- nigen entdeckt, die bereits per Auto kehrspolitiker, die diese Veränderungen reicht. Während in Europa die Zulas- mobil sind. So heißt es dort, „dass eine herbeiführten. Und es gab auch eine sungszahlen von Pkw seit sieben Jahren wachsende Zahl von Mittelklasse-Men- internationale Einflussnahme. Die Welt- rückläufig sind, während in vielen Städ- schen neu mit dem Fahrradfahren bank finanzierte den Bau von Autobah- ten überlegt wird, wie man von der begonnen haben und dies als Teil eines nen. Die deutsche Bundesregierung lei- Dominanz des Autos wegkommen kann, optimistischen Lebensstils verstehen.“ stete finanzielle Unterstützung beim werden in China die Fehler, die der kapi- Viele Leute würden „am Wochenende

Anmerkungen: Beijing mit 5 Millionen Pkw auf 12 Millionen Einwohner bereits höher als 1 Hier immer nur die Zahlen für die Pkw-Dichte, also nicht für die Kfz-Dichte diejenige in Berlin. Wird die tatsächliche Einwohnerzahl – die deutlich über (bei der Busse und v.a. Lkw mit berücksichtigt wären). Im Fall der USA wur- 15 Millionen liegen dürfte – genommen, so ist die Pkw-Dichte in Chinas den die SUVs (Geländewagen, Pickups usw.) mit berücksichtigt. Offiziell gel- Hauptstadt in etwas gleich wie diejenige in Berlin. ten diese in den USA nicht als Pkw, sondern als Nutzfahrzeuge, weswegen in 6 Die Schantung-Eisenbahn auf der 395 km langen Strecke vom Hafen vielen internationalen Statistiken die Pkw-Dichte der USA mit einem Wert Tsingtau über Kiautschou und Tschantien bis nach Tsinanfu konnte am 1. unter 500 wiedergegeben wird. Auch die deutschen Werte sind fragwürdig. Juni 1904 voll befahren werden. Sie wurde mit deutschem Kapital im Ab 2008 wurde die Grundlage der Statistik dahingehend geändert, dass Rahmen der deutschen Kolonialpolitik in China erbaut. „vorrübergehend abgemeldete Fahrzeuge“ nicht mehr erfasst sind. Damit fie- 7 Zum Vergleich einige andere interessante Beispiele der Bevölkerungsdichten: len von 2007 auf 2008 6,2 Mio Kfz, darunter 5,4 Mio Pkw, komplett aus der Bangladesch 1154; Taiwan 649; Südkorea 492, Niederlande 406; Indien 376, Statistik „Bestand an Kfz“ heraus. Die Pkw-Dichte lag nach der alten Japan 336, Großbritannien 261; Schweiz 171, Österreich 96, Brasilien 24 und Berechnung 2005 bei 559 Pkw auf 1000 Einwohner. Schweden 22. 2 „Das Niveau der Kohlendioxid-Belastung in der Atmosphäre stieg im vergan- 8 Im Jahr 2013 kamen die folgenden ausländischen Pkw-Hersteller auf insge- genen Jahr [2013] so schnell wie in den vergangenen 30 Jahren nie zuvor. samt 53,7 Prozent Anteil bei der Autoproduktion in China (Anteile jeweils […] Der Anstieg der Emissionen von CO2, dem entscheidenden Treibhausgas ohne die chinesischen Partner wie SAIC und FAW bei VW oder Brilliance bei […], stellt nach Auffassung der UN-Wissenschaftler den maßgeblichen BMW usw.): VW 19,5%, General Motors 10,4%, Hyundai 6,6%, Toyota 4,5%, Treiber für die weltweite Erwärmung dar.“ Financial Times (London), 10. Nissan 3,9%; PSA-Citroen 3,6%; Ford 3,3%; BMW 1,1%; Mercedes-Benz September 2014. 0,6% und Fiat 0,2%. Gemessen am Umsatz dürfte der Ausländeranteil bei 3 Nina Trentmann, Schmutziges Geschäft – Der Smog wird für die Chinesen mehr als zwei Drittel liegen. Angaben nach: Morgan Stanley Research, April zum ernsten Gesundheitsrisiko, in: Die Welt vom 10.7.2014. 2013; in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2.4.2013. 4 Nach offiziellen Angaben wurden 2010 in China 65225 Menschen im 9 Die EU will im Rahmen der Privatisierungspolitik diese Einheit aufsprengen, Straßenverkehr getötet. Diese Statistik definiert als Straßenverkehrstote was in fast allen EU-Mitgliedsstaaten formal erfolgte (in Deutschland ist die jedoch nur Menschen, die sieben Tage nach einem Straßenverkehrsunfall den Tochter des Bahnkonzerns, DB Netz, die Infrastrukturgesellschaft), in einigen Tod fanden. Nimmt man, wie im Fall der EU-Statistik, die Definition „Tod Ländern, z.B. in Großbritannien, gibt es auch eine materielle Trennung: die nach Straßenunfall binnen 30 Tagen“ und berücksichtigt man andere Infrastrukturgesellschaft ist nicht mehr über eine Holding mit den Formen der Verschleierung der tatsächlichen Straßenverkehrsopfer, dann Betreibergesellschaften verbunden. Diese Aufspaltung ist mit enormen dürfte es real jährlich mehr als 100000 Straßenverkehrstote in China geben. Verlusten und Problemen (letzteres hinsichtlich Sicherheit und Komfort) ver- Die Weltgesundheitsbehörde WHO kam unter Berücksichtigung anderer bunden. Vor allem kommt es jetzt ebenfalls zur Vergesellschaftung von Faktoren für China und im Jahr 2007 auf 220783 Straßenverkehrstote. Siehe Verlusten (bei den meist staatlichen Infrastrukturgesellschaften) und im Detail Klaus Gietinger, Totalschaden, München 2010, S. 245ff. Privatisierung von Gewinnen (bei den zunehmend privatkapitalistisch struk- 5 Rechnet man die Pkw je offizielle Bevölkerung, so liegt die Pkw-Dichte in turierten Betreibergesellschaften).

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CAR, CAPITAL & CHINA 51

ihre schicken Fahrräder auf dem Dach schnitt der EU (mit gut 500 Pkw auf ten und die Zahl der Straßenverkehrsto- ihrer luxuriösen Autos befestigen und in 1000 Einwohnern) gibt, so wird allein ten und –verletzten? Welche Folgen hat eine schöne grüne Gegend oder in die dies einen Schub von weiteren 650 Mil- dies vor dem Hintergrund von peak oil? Berge fahren, um dort eine kleine Rad- lionen Einheiten als Teil der weltweiten Welche gigantischen und zerstöreri- tour zu unternehmen.“30 Pkw-Flotte mit sich bringen.32 Eine ver- schen Maßnahmen müssen ergriffen gleichbare Aufholjagd bei der Pkw- werden, um für eine solche Pkw-Flotte VII Motorisierung in Indien bringt – zusam- den Kraftstoff zu fördern – durch Explo- China und die historische men mit der Entwicklung in China – ration in der Arktis, durch Ölförderung Dimension der Autogesellschaft bereits die genannte Verdopplung der aus Sand, durch das gefährliche Frak- Die Zahl der Pkw hat sich weltweit zwi- gesamten Pkw-Flotte der Welt mit sich. king, durch immer größere Landflächen, schen 1985 und 2014 von 335 Millionen Da ist dann noch nicht die Automotori- die für Agrokraftstoffe genutzt werden? auf eine Milliarde verdreifacht, während sierung in den anderen Schwellenlän- Welche Folgen hat die zeitweilige sich die Weltbevölkerung „nur“ von 4,8 dern mit eingerechnet – ganz zu künstliche und politische betriebene auf 7,2 Milliarden Menschen oder um schweigen vom allgemeinen Trend, bei Verbilligung des Rohölpreises, wie wir 50 Prozent vergrößerte. Dabei hat in dem ja selbst in den angeblich „gesät- dies Seit Ende 2014 erleben?33 den letzten Jahren in den Schwellenlän- tigten“ Märkten die Zahl der Autos wei- Offensichtlich ist eine solche Ent- dern eine massive Beschleunigung der ter wächst. wicklung nicht förderlich für Mensch, Automotorisierung eingesetzt. Die heutige Pkw-Flotte mit 1 Milliar- Natur und Klima. Mehr noch: Sie hat Für eine weitere Verdopplung der de Einheiten setzt sich zu 99,5 Prozent katastrophale Folgen für das Klima, die Pkw-Zahl bis spätestens 2030 werden aus Pkw mit konventionellem Antrieb Umwelt und das menschliche Zusam- gegenwärtig die Investitionen getätigt. zusammen. Die für 2030 angepeilte menleben auf diesem Planeten. Und sie werden in entscheidendem Maß Pkw-Flotte von gut 2 Milliarden Einhei- Anders als vor 100 oder vor 50 Jahren in China getätigt – von den chinesi- ten wird zu rund 95 Prozent von solchen sind heute die Gefahren, die aus der schen Autokonzernen und nicht zuletzt herkömmlichen Autos bestimmt sein. Perspektive fortgesetzter Motorisierung von den Autokonzernen aus Nordameri- Dabei lehren uns die vergangenen zwei resultieren, bekannt. Grundsätzlich ist ka, Europa, Japan und Südkorea mit Jahrzehnte, dass sich diese Entwicklung auch klar, dass eine Verkehrswende auf Produktionsstätten und joint ventures in nochmals beschleunigen und das Ziel weltweiter Ebene erforderlich ist. Unbe- China. Allein VW will in China die Pro- „zwei Milliarden Pkw weltweit“ bereits streitbar ist auch: Der kapitalistische duktionskapazitäten in den nächsten 2025 erreicht werden könnte. Westen hat eine besondere Verantwor- fünf Jahren verdoppeln – auf gut 4,5 Die Frage lautet jedoch: Lässt sich ein tung und muss die ersten Schritte zu Millionen Einheiten Output bis 2020.31 solches Ziel tatsächlich verwirklichen? einer radikalen Auto-Abrüstung unter- Wenn in China „nur“ die Pkw-Dichte Und was sind die Folgen für Umwelt, nehmen: In „unseren“ Regionen wird die erreicht wird, die es heute im Durch- Klima, die Lebensqualität in den Städ- Autogesellschaft in extremem Umfang

10 So führt z.B. die Billigkeit des Containerverkehrs und dessen umfangreiche 16 Angaben zu China hier nach: China Daily, 22.9.2014. Subventionierung oft zu absurden Transportketten. In Deutschland ist 17 Bei einem car-sharing-Großversuch des Daimler-Konzerns mit Namen Walnusseis das zweitbeliebteste Speiseeis, direkt gefolgt hinter Vanille-Eis. „Car2Go“, der seit gut fünf Jahren in Ulm mit massiver kommunaler Das in diesem Sektor führende Unternehmen Mövenpick importiert fast alle Subventionierung durchgeführt wird, zahlen die Nutzer am Ende dennoch Walnussbestandteile für diese Eissorte aus der VR China. Derweil werden fast das Dreifache dessen, was die ÖPNV-Nutzung kosten würde. jedes Jahr in der EU Hunderte Tonnen Walnüsse nicht geerntet; sie verrotten 18 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.11.2011. unter den Bäumen. Zugespitzt gesagt: Der Transport der Walnüsse aus China 19 Christian Geinitz, Wie China die deutsche Autoindustrie vorführt, in: nach Europa ist preiswerter als Menschen in Europa dafür zu bezahlen, dass Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.1.2014. sie sich bücken und die Walnüsse ernten. 20 In: Handelsblatt, 22.4.2014. Im übrigen schreiben die Unternehmen, die 11 Das Ergebnis der Entfremdung, die die Menschen im Kapitalismus erleben, ausschließlich Elektro-Pkw herstellen, trotz der Subventionen rote Zahlen sieht Karl Marx wie folgt: „Es kommt daher zum Resultat, dass der Mensch (z.B. Tesla in Kalifornien, USA). Das gilt auch für den Elektro-Pkw-Bereich des (der Arbeiter) nur mehr in seinen tierischen Funktionen, Essen, Trinken und chinesischen Unternehmens BYD (Build Your Dreams). Zeugen, und höchstens noch Wohnung, Schmuck etc., sich als freitätig sieht 21 Der genaue modal split sah aus wie folgt: 37,7% Fußwege, 10,3% und in seinen menschlichen Funktionen [als Arbeiter] nur mehr als Tier.“ Karl Fahrradfahrten (damit kam der nicht motorisierte Verkehr zusammen auf Marx, Pariser Manuskripte 1844, hier nach: Karl Marx, Texte zu Methode und 48%), 23,8% Tram, 11% S-Bahn, 7,1% Hoch- und U-Bahn und 7,1% Busse. Praxis II, Pariser Manuskripte 1844, Frankfurt/M. 1966, S.55. Damit hatte der öffentliche Verkehr – ohne Taxen - insgesamt 49% 12 In: Der Spiegel 45/1999. Marktanteil. Auf den Pkw-Verkehr entfielen 2,5% und 0,5% waren Fahrten 13 Global 500 –The world´s largest corporations, in: Fortune, July 21, 2014, S. mit Taxen. In absoluten Zahlen verteilte sich der ÖPNV 1929 wie folgt: Tram: 61ff. 930 Millionen Fahrten; S- u. Fernbahn (letzteres = Regionalbahn) 445 14 Ich fasse Öl-Auto-Flugzeugbau zu einer Untergruppe zusammen, da die Millionen Fahrten; Hoch- und U-Bahn 277 Millionen Fahrten und Busse 278 entsprechenden Unternehmen direkt von Öl und dessen Derivaten Diesel, Millionen Fahrten. Gesamt damals 1930 Millionen Fahrten. In den Jahren Benzin, Kerosin abhängen. Man könnte noch Heavy Fuel Oil (Schweröl) hin- 1930 bis 1933 gab es, bedingt durch die Weltwirtschaftskrise, einen massi- zunehmen und in diesem Fall den Schiffsbau (Werften) und große ven Einbruch (1934 waren es nur noch rund 1,3 Milliarden ÖPNV-Fahrten). Reedereien, vor allem die Containerschifffahrt, mit einbeziehen. Im Fall der Dann ging es erneut aufwärts. 1939 wurde wieder das Niveau von 1929 chinesischen Global-500-Unternehmen wären dies z.B. China Shipbuilding erreicht. Bis 1942/43 stieg der Berliner ÖPNV sogar noch auf 2,25 Milliarden Industry (Rang 87 unter den chinesischen Global-500-Konzernen; Rang 403 ÖPNV-Fahrten an. Siehe Winfried Wolf, Berlin – Weltstadt ohne Auto? Eine auf der Global-500-Liste) und China Ocean Shipping (90/451). Verkehrsgeschichte 1848-2015, Köln 1994, S. 247 und S.73. 15 Damit soll nicht in Frage gestellt werden, dass der Finanzsektor letzten 22 Angaben zum Berliner U-Bahn-Bau nach: Tagesspiegel, 2.10.2014. Endes entscheidend ist. Doch eben dieser Finanzsektor ist auch an die 23 Natürlich wissen auch Kapitalisten, dass U-Bahnen deutlich rote Zahlen eigentliche Produktion gebunden – die eben, wie dargelegt, von Öl-Auto- schreiben müssen. 1926 verkauften die privaten Eigentümer der Berliner Flugzeugbau dominiert ist. Hochbahngesellschaft die Hoch- und U-Bahn Berlins an die Stadt Berlin.

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praktiziert. Der Westen trug wesentlich tabel. Ganz grundsätzlich gilt, was Rosa Gesundheit der gesamten Bevölkerung zu ihrer weltweiten Durchsetzung bei. Luxemburg formulierte, wonach Freiheit enorm schädigt. Er ist mit „seinen“ Autokonzernen maß- immer die Freiheit der anderen sei.34 Die Es geht dabei im übrigen auch um geblich an der Motorisierung der Folgen der „individuellen Pkw-Freiheit“ Grundsätzliches. Es ist eine Tragödie lin- Schwellenländer, nicht zuletzt in China, sind jedoch für die Allgemeinheit ausge- ker Politik, dass unter „Revolution“ fast beteiligt. sprochen einschneidend. Das ist ja auch immer nur eine andere Form der glei- Allerdings richtet sich der Appell, eine die wesentliche Begründung für die chen technologischen Entwicklung, solche Wende zu vollziehen, an alle erheblichen Einschränkungen bei der nicht eine andere Qualität von Entwick- Menschen mit Verstand und Gefühl für Freiheit, zur Droge Nikotin zu greifen. lung verstanden wurde. Lenins Losung Solidarität – insbesondere an Menschen, Diese Freiheit wird in Nordamerika, „Sozialismus ist Elektrizität plus Räte“ die sich dem Ziel der menschlichen Europa und anderswo vor allem dort, wo war hier klassisch – auch wenn sie für Emanzipation verpflichtet fühlen. In der Nikotingenuss die freie Entfaltung die damalige Zeit nachvollziehbar war. diesem Zusammenhang ist zumindest anderer beeinträchtigt und deren Walter Benjamin schrieb: „Marx sagt, interessant, dass in Nordamerika und gesundheitliches Wohl schädigt, dra- die Revolutionen sind die Lokomotiven Westeuropa seit gut einem Jahrzehnt stisch eingeschränkt. der Weltgeschichte. Aber vielleicht ist die Wertschätzung für einen eigenen Im Fall von China gibt es einen ande- dem gänzlich anders. Vielleicht sind die Pkw bei jungen Menschen einen massi- ren passenden Bezug. Die „Ein-Kind- Revolutionen der Griff des in diesem ven Einbruch erlebte. Das wurde in die- Politik“ stellt einen drastischen Eingriff Zug reisenden Menschengeschlechts ser Form vor 15 Jahren von niemandem in die individuelle Freiheit von Hunder- nach der Notbremse.“35 vorhergesehen. ten Millionen Menschen dar. Sie wurde Benjamins Bildersprache zum Charak- Vor 25 Jahren war es in Westeuropa jüngst - Anfang 2014 – seitens der ter von Revolutionen im Allgemeinen und in Nordamerika auch nicht vorstell- neuen KP-Parteiführung unter Xi Jinping verdeutlicht überaus überzeugend die bar, dass in Bälde das Suchtmittel Tabak bestätigt. Einmal abgesehen davon, dass Notwendigkeit der Verkehrsrevolution gesellschaftlich geächtet und aus dem es viele gute Argumente dafür gibt, die- im Besonderen. öffentlichen Raum – und aus Filmen se erhebliche Einschränkung individuel- Oder auch: Eine andere Welt ist mög- und TV-Produktionen! – weitgehend ler Freiheiten aufzugeben, ist es absurd, lich – eine andere Mobilität ist nötig. gebannt sein würde. Warum sollte es einerseits eine solche Regelung zu ver- nicht Vergleichbares bei der Droge Auto teidigen und sich andererseits auf eine geben? Die vielfachen Verweise darauf, individuelle Freiheit bei der Wahl einer dass Marktwirtschaft schließlich gleich- spezifischen Form von Mobilität zu bedeutend mit der Freiheit der Individu- berufen, die jährlich zehntausenden en bei ihren Konsumentscheidungen sei, Menschen den Tod bringt, viele Hun- sind in vielfacher Hinsicht nicht akzep- derttausende schwer verletzt und die

Dazu schrieb Jan Gympel: Dies „geschah nicht zuletzt aus der Einsicht der April 2014. Aktionäre heraus, dass der Bau von Tunnelstrecken Summen verschlingt, die 30 Liang Chen, „Two wheels rising“, in: Global Times (Beijing) vom 28. sich durch den Fahrkartenverkauf kaum amortisieren lassen.“ Jan Gympel, U- September 2014. Bahn Berlin, o.J. (ca. 2002); S. 256. 31 2012 produzierte VW in China zusammen mit seinen beiden chinesischen 24 Hans Dieter Sauer, Fahrräder raus aus der Stadt, in: Frankfurter Allgemeine Partnern SAIC und FAW 2,5 Millionen Pkw. 2018 sollen es bereits 4 Millionen Zeitung, 9.12.1993. und 2020 mindestens 5 Millionen sein. Bis 2018 werden von VW und den 25 Für Berlin entsprechen die 500 Millionen Fahrgäste bei 170 km Netzlänge genannten Partnern umgerechnet 18 Milliarden Euro investiert werden. Siehe knapp 3 Millionen Fahrgäste im Jahr je Netzkilometer. In Kanton entsprechen Börsenzeitung vom 17. Mai 2013 und Frankfurter AllgemeineZeitung vom 14. die 1,2 Milliarden Fahrgäste bei 250 km Netzlänge 4,8 Millionen Fahrgäste je Januar 2014. Netzkilometer. 32 Wir reden noch nicht von der Pkw-Dichte der USA, die bei 720 Pkw je 1000 26 Aus einem Zeitungsbericht im Jahr 1993: „In der südchinesischen Ha- Einwohnern liegt. fenstadt Guangzhou gehen die Pedalritter schlechten Zeiten entgegen. Um 33 Die Reduktion des Rohölpreises von gut 100 US-Dollar je Fass (Barrel) im das alltägliche Verkehrschaos zu bändigen, wollen die Behörden der blühen- Sommer 2014 auf teilweise unter 45 US-Dollar je Fass Anfang 2015 steht den Wirtschaftsmetropole ab Juni [1993] ausgerechnet das Fahrradfahren scheinbar in Widerspruch zur Endlichkeit des Öls und zum erwarteten „peak verbieten – zumindest auf den Hauptverkehrsadern der Stadt. […) Die oil“, dem Zeitpunkt, an dem das Maximum an Ölförderung stattfindet. Es Befürworter der Pedalkraft reagieren mit einem Aufschrei der Entrüstung. spricht viel dafür, dass dieser unerwartete Preisverfall politisch gezielt herbei- ´Warum haben die sich ausgerechnet das Fahrrad vorgenommen´, fragt der geführt wurde, von den USA (begünstigt durch die Flut von Fracking-Gas und 28-jährige Arbeiter Lai Sheng erbost. ´Es ist das bei weitem schnellste Fracking-Öl) zusammen mit ihrem Bündnispartner Saudi-Arabien. Er richtet Verkehrsmittel.´“ Nach: Südchinas Metropole verbannt die Drahtesel, in: sich vor allem gegen Russland, Venezuela und den Iran. Siehe Winfried Wolf, Frankfurter Rundschau, 1.4.1993. Öl als Waffe, in: Lunapark21, Heft 28, Winter 2014/2015. 27 Die Kader der Volksrepublik China sollen vom Fahrrad auf den Golf umstei- 34 Das exakte Zitat lautet: „Freiheit ist immer Freiheit des anders Denkenden.“ gen“ in: Ostfriesen-Zeitung, 23.11.1990. (Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke 4, Berlin 2000, S. 359), ein Satz, der im 28 Im Bereich der Tabakindustrie ist die Entwicklung noch weiter vorange- übrigen als Kritik an der beginnenden „Parteidiktatur“ innerhalb der bolschewi- schritten. In so gut wie allen westlichen Ländern hat sich die Einsicht durch- stischen Partei formuliert wurde. Gemeint ist der Satz jedoch grundsätzlich, gesetzt, dass Rauchen extrem gesundheitsschädigend ist – und dass der wonach die Schranken der individuellen Freiheit bei der Freiheit der anderen Staat dagegen vorgehen muss. Entsprechend ist in den meisten Ländern Menschen zu sehen sind. Nordamerikas und Europas Rauchen in öffentlichen Räumen untersagt oder 35 Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, Frankfurt am Main 1999, Band stark eingeschränkt. Der Rauchkonsum geht teilweise drastisch zurück. Doch V/2, Das Passagenwerk, S. 1232. die internationalen Tabakkonzerne boomen weiter. Warum? Weil sie vor allem in Asien und Afrika expandieren. 29 Johnny Erling, „Strampeln gegen Luftverschmutzung“, in: Die Welt vom 23.

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Feuern aus vier Rohren Die wechselvolle Geschichte des Daimler-Imperiums

Winfried Wolf

Als Dieter Zetsche Anfang Februar ist, dass bei Daimler der Profit aus drei, ten Wirtschaft in zwei grundlegende 2015 die Zahlen des Daimler-Kon- mitunter auch aus vier Rohren befeuert Produktionsabteilungen: in die Produkti- zerns für das vorausgegangene wird. Wer diese vier Möglichkeiten der onsmittel herstellende „Abteilung I“ und Jahr präsentierte, hielt er es für Profitproduktion in der Automobilindu- in die Konsumtionsmittel herstellende notwendig, den aggressiven Re- strie im Allgemeinen und bei Daimler im „Abteilung II“. Abteilung II stellt neben kordkurs des Unternehmens wie Besonderen analysiert, hat bereits viel den klassischen Konsumgütern wie Nah- folgt zu beschreiben: „Wir feuern von dem komplexen Charakter kapitali- rungsmittel auch langlebige Konsumgü- weiter aus allen Rohren“.1 stischer Produktion verstanden. Aus- ter her – etwa private Pkw. ROHR-01 bei Wir wissen nicht, an welche „Rohre“ der gangspunkt ist dabei die von Karl Marx der Daimler-Produktion zielt damit auf Herr „Dr. Z.“ dabei gedacht hat. Tatsache getroffene Unterscheidung der gesam- die Massenkaufkraft, überwiegend auf

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die Nachfrage der lohnabhängigen Bevölkerung.2 Ein Teil der Konsumgüter herstellen- den Abteilung produziert Luxusartikel, im Fall der Autobranche sind das Pkw der Oberklasse. Das aufwendig ver- chromte ROHR-02 in der Daimler-Ferti- gung zielt damit auf die Einkommen der Reichen und der Vermögenden, deren Kaufkraft sich überwiegend aus Profiten und aus verschiedenen Formen von Ge- winnübertragungen (z.B. resultierend aus dem Besitz von Wertpapieren) speist. Drittens stellt die Produktionsmittel herstellende Abteilung neben Maschi- nen und Fabrikanlagen auch Nutzfahr- zeuge her; dieses ausgesprochen dicke ROHR-03 bei Daimler zielt damit über- wiegend auf die Nachfrage von Unter- nehmen. Schließlich und endlich muss man die erwähnten grundlegenden Pro- duktionsabteilungen noch um eine wei- tere Abteilung, die Rüstungsgüter her- stellt, ergänzen. ROHR-04 zielt damit überwiegend auf die staatliche Nach- frage nach Waffen aller Art. Was bei anderen Konzernen höchst selten anzutreffen ist, beim Daimler- Konzern sind immer drei und in be- stimmten Perioden der 120-jährigen Konzerngeschichte auch alle vier Nach- fragearten mit relevanten Umsatzantei- len vertreten. Es wird eben „aus allen Rohren gefeuert“. Dieser Dauereinsatz der ROHRE 01 bis 04 mit einer gewissen Flexibilität hinsichtlich des verstärkten Einsatzes einzelner Rohre in einer bestimmten Periode gepaart machten den Daimler-Konzern zu dem, was er ist: zu einem der führenden kapitalistischen Industrieunternehmen der Welt. Und vor allem: zu einem der profitabelsten Kon- zerne. Das soll im Folgenden ausgeführt werden – in umgekehrter Rohr-Reihen- folge.

Daimler und Rüstung – ROHR-04 Bereits im Ersten Weltkrieg spielte der Rüstungsbereich bei den Vorgängerge- sellschaften des heutigen Daimler-Kon- zerns, bei den zwei Unternehmen Benz und Daimler, eine herausragende Rolle. In der Zeit der NS-Herrschaft dominierte dieser Bereich das Unternehmen, das in-

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zwischen zur Daimler-Benz AG zusam- und übernahm Fokker (beides Flugzeug- tionale“ industrielle Kapitalkonzentrati- men geschlossen war. Bereits kurz vor hersteller). Die Rüstungs-, Luft- und on vorangetrieben, womit die deutsche Beginn des Zweiten Weltkriegs bestand Raumfahrt-Sektoren wurden später in Wirtschaft ihre heutige hegemoniale der Daimler-Benz-Umsatz zu 90 Prozent der Daimler-Tochter Dasa (Deutsche Position in Europa aufbauen konnte. aus Rüstungsproduktion; der Umsatz Aerospace Aktiengesellschaft) zusam- Der Daimler-Konzern spielte im Pro- verzehnfachte sich binnen fünf Jahren – mengefasst. Der Chef dieser Konzern- zess der Europa-Orientierung der deut- nicht zuletzt durch den umfassenden Sparte war Jürgen Schrempp. Dasa bil- schen Konzerne eine maßgebliche Rolle. Einsatz von Zwangsarbeit. Der Daimler- dete im Jahr 2000 einen der zwei Edzard Reuter wurde 1988 Mitglied des Dreizack-Stern steht auch für die Aus- Grundbestandteile bei der Bildung des European Round Table (ERT), ein Zusam- sage, das Unternehmen sei zu Land, in neuen, deutsch-französischen Rüs- menschluss von zunächst zwei Dutzend der Luft und im Wasser militärisch tungskonzerns EADS.4 europäischen Topindustriellen, der seit aktiv.3 Der in den 1980er Jahren begonnene Mitte der achtziger Jahre die wichtig- Nach dem Zweiten Weltkrieg gab sich Kurs zum Wiedereinstieg von Daimler in sten EU-Projekte wie Maastricht-Ver- Daimler-Benz zunächst betont zivil. Und den Rüstungssektor wurde im wesentli- trag, Einheitswährung Euro und EU- auch heute präsentiert sich der Konzern chen von der Deutschen Bank orche- Rüstungssektor entwickelte und voran- in der Regel so, als habe es Rüstung in striert, deren Chef damals Hilmar Kop- trieb. jüngerer Zeit im Unternehmen nicht ge- per war; Kopper agierte nach seiner Im Jahr 2000 veröffentlichte die geben. Dabei war in Wirklichkeit rund Aufgabe des Chefpostens bei der Deut- Deutsche Bank, obgleich sie nur indirekt die Hälfte der Firmengeschichte seit schen Bank im Jahr 2007 fast ein Jahr- (über ihr Aktienpaket an DaimlerChrys- 1945 in erheblichen Maß erneut von der zehnt lang (1998 bis 2007) als Auf- ler) an EADS beteiligt war, anlässlich der Fertigung von Kriegsmaterial bestimmt. sichtsratsvorsitzender bei DaimlerChrys- EADS-Gründung eine Broschüre mit Und dieser Kurs zur Rüstungsfertigung ler. Die Deutsche Bank nahm damit eine dem Titel „A star is born“. Auf der wurde, wie bereits im Zweiten Welt- lange Zeit in erheblichem Umfang Ein- Hauptversammlung am 6. April 2005 krieg, wesentlich durch die Deutsche fluss auf die strategischen Entscheidun- betonte Jürgen Schrempp: „Ohne uns Bank als Daimler-Großaktionär be- gen des Konzerns und bestimmte auch hätte es EADS nicht gegeben.“ Er ver- stimmt. Diese Geschichte verlief wie im darüber, wer Vorstandsvorsitzender war wies ausdrücklich auf die „lange Durst- Folgenden beschrieben. bzw. wie lange eine solche Nummer 1 strecke“, auf die vorausgegangenen Anfang der 1970er Jahre verkaufte dies bleiben konnte. hohen Verluste und darauf, dass man der frühere NS-Förderer und Daimler- Die offizielle Unternehmensphiloso- eben „keine kurzfristigen Ziele“ verfol- Benz-Großaktionär Friedrich Flick sein phie, mit der der Einstieg Daimlers bei gen würde. Was eigentlich grotesk ist, Aktienpaket an die Deutsche Bank. Da- den Rüstungsunternehmen verbrämt da Schrempp explizit mit der Devise an- mit war diese wieder – wie in der Peri- wurde, lautete: „Bildung eines integrier- getreten war, seine drei Unternehmens- ode 1925-1945 – wichtigster Großak- ten Technologie-Konzern“. Tatsächlich ziele seien „Profit, Profit, Profit“. tionär des Unternehmens. Anfang der betrieb der Konzern damals eine für 2012 begann der Ausstieg von Daim- achtziger Jahre und vor allem in der Ära Westdeutschland bzw. für das neue Ge- ler bei EADS; 2013 verkaufte Daimler von Edzard Reuter als Vorstandsvorsit- samtdeutschland strategisch weitsichti- die letzten EADS-Aktien. Damit trennte zendem (1987-1995) übernahm Daim- ge Politik mit doppelter Zielsetzung: sich der Daimler-Konzern nach fast drei ler-Benz eine Reihe Rüstungshersteller, Erstens ging es um die Schaffung einer Jahrzehnten von seinen größten Beteili- so MTU (Triebwerke), Dornier (Luft- und neuen, konzentrierten deutschen Rüs- gungen im Rüstungsgeschäft. Der Kon- Raumfahrt), AEG (Elektronik) und MBB tungsindustrie als Ausgangsbasis für ei- zern stellt aber weiterhin Rüstungsgüter (Raumfahrt, Raketen, Panzer). Gleichzei- nen europäischen militärisch-industriel- her, die auf einer von dem zivilen Unter- tig beteiligte sich der Konzern an Airbus len Komplex. Zweitens wurde die „na- nehmen säuberlich getrennten Internet-

Geschäftswagen Seit mehreren Jahren besteht die Mehrzahl der in Deutschland zugelassenen Neuwagen aus Geschäftswagen (Dienstwagen, Fir- men-Pkw). Bei den Herstellern Daimler, BMW und Audi liegt der Anteil der Zulassung als Geschäftswagen an allen neu zugelas- senen Pkw nochmals höher. Bei den Geschäftswagen handelt es sich – hinsichtlich der Nutzung – weiterhin überwiegend um Pkw, die der persönlichen Mobilität dienen. Und in der Regel handelt es sich um die Mobilität von – besser gestellten – Lohn- und Gehaltsempfängern. Man kann die Überlassung dieser Pkw an Lohnabhängige auch als Lohn- und Gehaltsbestandteil definieren. Faktisch zielen jedoch solche Dienstwagen, ähnlich den Nutzfahrzeugen, auf die Nachfrage der Unternehmen. Die Firmen zahlen die Kosten für diese Pkw, vor allem die Anschaffungskosten. Diese Pkw tauchen bei den Unternehmen, in deren formellem Besitz sie sich befin- den, in der Bilanz auf. Sie werden Jahr für Jahr abgeschrieben. Damit verbuchen die entsprechenden Unternehmen Kosten, die den Gewinn und die Steuern mindern. Auf diese Weise findet eine enorme staatliche Subventionierung der Autoindustrie statt. Gleichzeitig werden die konjunkturellen Schwankungen, denen die Massenkaufkraft unterliegt, reduziert. Da diese Umstrukturierung mit den Millionen Geschäftswagen relativ neu ist, da sie weltweit bei weniger als 10 Prozent der Massen-Pkw eine Rolle spielt und da schließlich Deutschland hier – bislang – eine Sonderrolle spielt, ist die oben erfolgte grundsätzliche Aussage für die Weltautoindustrie zutreffend: Massen-Pkw – preiswerte Pkw der Kompakt- und Mittelklasse – zielen überwiegend auf die kaufkräftige Nachfrage der Lohnabhängigen.

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plattform präsentiert werden (siehe: www.mb-military-verhicles.com). Er be- lieferte und beliefert Diktaturen mit militärischen Ausrüstungen – so das Libyen unter Ghadafi, das monarchisch- autokratische Regime von Saudi-Ara- bien und die ägyptischen Militärs.5

Daimler als Nutzfahrzeug- hersteller – ROHR-03 Die Produktionsmittel herstellende Ab- teilung des Daimler-Konzerns, die Ferti- gung von Lastkraftwagen, Bussen, Sat- telschleppern und anderen Nutzfahrzeu- gen, gab es zu allen Zeiten in der Kon- zerngeschichte. Sie stellt bei Daimler traditionell eine stark ausgeprägte Spar- te dar. Der Umsatz dieser Nutzfahrzeug- sparte schwankt zwischen einem Anteil am gesamten Konzernumsatz von 25 bis 40 Prozent.6 Die Sparte Nutzfahrzeuge wird repräsentiert von den folgenden Marken: Setra (Busse Europa), Thomas Built (Schulbusse USA), Orion (Stadtbus- se USA), Mercedes-Benz (Busse und Lkw weltweit), Freightliner und Western Star Trucks (Lkw in Nordamerika), Fuso (Lkw in Japan und in anderen Teilen von Asien), BharatBenz (Lkw in Indien) und Auman (Lkw in China, die Daimler dort zusammen mit dem Partner Foton baut). Der Bereich Nutzfahrzeuge weist na- turgemäß die geringsten konjunkturel- len Schwankungen auf: Transporte fin- den zu allen Zeiten statt. Die Globalisie- rung und die ständig steigende „Trans- portintensität“ sind ein wesentlicher Treibsatz für diese Sparte.7 Das Busgeschäft wächst zudem in dem Maß, wie die Eisenbahnen privati- siert und zerstört und wie der Busfern- verkehr liberalisiert werden. Die Annah- me liegt nicht fern, dass Daimler auf diese Verkehrs- und Bahnpolitik im Kon- zerninteresse Einfluss nimmt.8 Weltweit ist Daimler der größte Her- steller von Nutzfahrzeugen. Die wesent- lichen Konkurrenten sind Volvo Trucks und VW mit den seit jüngerer Zeit inte- grierten Herstellern Scania und MAN. Insbesondere VW versucht mit dem Zu- sammenrücken der VW-Töchter Scania und MAN und mit seiner engen Verbin- dung zum chinesischen Hersteller FAW die vorherrschende Position von Daimler in diesen Sektor anzugreifen.9

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Tabelle: 35 Jahre Daimler-Konzern – eine wechselvolle Geschichte in Zahlen, Vorstandsvorsitzenden und Schwerpunkten

1 2a 2b 3a 3b 4a 4b 5a 5b 6 7 Umsatz Profite*** Beschäftigte Kfz-Produktion Daimler-Chef Schwerpunkte der Konzern-Politik Jahr Mio. $ Rang* Mio. $ Rang* Rang* in Tsd. Rang* 1980 14625 k. A. k. A. k. A. 185500 k. A. 738 k. A. G. Prinz Deutsche Bank übernimmt Flick- W. Breit- Anteile; dominiert Konzern 1986 30170 17 k. A. k. A. 319000 k. A. 820 k. A. schwerdt 1989 40570 k. A. 1317 k. A. 360000 k. A. 803 k. A. Edzard Reuter Offensive Aufkaufpolitik 1992 62276 39 1123 k. A. 350000 k. A. 725,7 k. A. (MTU, MBB, Fokker, AEG) 1994 64131 k. A. 552 k. A. 350700 k. A. 884,7 k. A. 1998 154348 2 5602 15 455000 31 4512**** k. A. Jürgen Übernahme von Chrysler (1998) & 2001 136897 7 -593 442 372470 16 4364 5 Schrempp Mitsubishi (2001); Einstieg bei Hyundai 2003 156602 7 507 298 362060 13 4231 5 2005 186106 7 3536 112 382720 16 4815 5 2007 177167 11 5446 75 272380 37 2096 13 2009 109 700 30 -3669 490 256400 50 1447 12 Dieter Zetsche Trennung von Chrysler (2007). 2010 129481 24 5957 75 260100 54 1940 12 Ausstieg der Deutschen Bank, Einstieg Kuweit. 2011 148139 21 7880 62 271370 49 2137 12 Ausbau China-Engagement. 2012 146886 23 7832 55 275090 52 2195 12 Verkauf EADS-Anteile. 2013 156628 20 9083 55 274620 51 2400 14 2014 168900 k. A. 13800 k. A. 279970 k. A. 2500 k. A.

* Rang unter den 500 größten Unternehmen der Welt (Global 500 / US-Blatt Fortune) · ** Rang unter allen Kfz-Herstellern der Welt · *** Gewinne vor Steuern und Zinsen · **** Davon 3,2 Mio in den USA produzierte Pkw; weit überwiegend Chrysler

Daimler & Luxus – ROHR-02 Ford, die bereits sehr früh auf die kauf- chen immer reicher werden. Deshalb Als im Mai 2013 die neue S-Klasse des kräftige Massennachfrage orientierten, muss man für die immer Leckerbissen Daimler-Konzerns vorgestellt wurde, konzentrierte sich Daimler-Benz auf bereit halten.“11 gab es in den Medien einiges Geraune teure Pkw. Das Unternehmen nahm da- Daimler entwickelte mit Maybach über den Umstand, dass das Vorzeige- bei auf dem deutschen und teilweise auch eine „High-End-Marke“, die 2002 Exemplar mit einem Airbus A300 von auf dem westeuropäischen Markt lange mit großem Getöse startete und Luxus- Stuttgart nach Hamburg geflogen und Zeit fast eine Monopolstellung ein, Pkw ab 390000 Euro aufwärts im Pro- auf der Airbus-Werft in Finkenwerder nachdem der Konkurrent Borgward gramm hatte. Noch unter Dieter Zetsche zur Weltpremiere vorfuhr. All das doku- 1963 in die Pleite getrieben wurde und wurde mehr als eine Milliarde Euro in mentiere, so Zetsche, dass Daimler in BMW erst in den 1980er Jahren als das Maybach-Abenteuer investiert. diesem obersten Segment „die Luftho- Konkurrent in diesem Segment in grö- Doch Maybach unterlag in der Konkur- heit“ habe. Sicher ist, dass der Konzern ßerem Umfang Fuß fassen konnte. renz zu Bentley (VW) und Rolls Royce auf diesem Gebiet eine Rekordrendite Die Produktion von Luxus-Pkw stellt (BMW); in einem Jahrzehnt wurden ge- einfährt. Von Margen bis zu 40 Prozent in so gut wie allen Zeiten kapitalisti- rade mal 3000 Maybach-Limousinen ist die Rede; davon, dass die S-Klasse scher Konjunktur ein gutes Absatzgebiet verkauft. 2013 wurde die Marke May- mit jährlich „nur“ rund 90000 herge- dar. Insbesondere aber in Krisenzeiten, bach scheinbar endgültig eingestellt – stellten Pkw mehr als eine Milliarde wie wir sie seit den 1980er Jahren erle- und etwa zur gleichen Zeit die neue S- Euro an Gewinn pro Jahr einfahre.10 ben, in denen die Massenkaufkraft kaum Klasse von Mercedes präsentiert.12 Die Abteilung Luxus-Pkw war bei mehr wächst und der Reichtum explo- Dennoch: Wie stark Daimler auch Daimler-Benz traditionell immer ein diert, bieten Luxus-Pkw eine Profitga- heute noch auf das Luxussegment ab- Schwerpunkt, zumal in Westeuropa Pkw rantie. Das hat der ehemalige Boss von zielt, zeigt der folgende Vergleich: Im bis Ende der fünfziger Jahre kaum Mas- Chrysler, Lee A. Iacocca, bereits Anfang Jahr 2015 liegt in Deutschland der senprodukt waren und zu einem großen der achtziger Jahre gut beschrieben: durchschnittliche Preis für einen neuen Teil auf Luxuskonsum zielten. In der „Um sich abzusichern, braucht man ... Pkw bei 27189 Euro. Der durchschnittli- Phase 1949 bis Ende der achtziger Jahre Autos der Luxusklasse, denn man weiß che Preis für einen Pkw der Marke Mer- war der Konzern in besonderem Maß ja nie, wann der kleine Mann seinen Job cedes liegt bei 42040 Euro. Bei VW be- von dieser „Abteilung“ bestimmt. Anders verliert. Auf eines scheint man sich trägt der durchschnittliche Pkw-Preis als die Autohersteller VW, GM (mit sei- selbst während einer Rezession verlas- 24400 Euro, was knapp 60 Prozent des nen Töchtern Opel und Vauxhall) und sen zu können, nämlich dass die Rei- Daimler-Werts entspricht. Bei den VW-

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Töchtern Skoda und Seat und bei Opel sind es sogar nur jeweils rund 20000 Euro, was der Hälfte des durchschnittli- chen Preises eines Daimler-Pkw ent- spricht.13 Damit lässt sich sagen, dass Daimler als Pkw-Hersteller überwiegend auf Luxusnachfrage abzielt.

Daimler als Massenhersteller – ROHR-01 In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre und mit dem Antritt des langgedienten Daimler-Mannes Jürgen Schrempp als neuer Vorstandsvorsitzender wurde ein neuer Umbau des Konzerns gestartet. Daimler wurde zum Massenhersteller von Pkw – und zielte damit, wenn auch „nur“ für knapp ein Jahrzehntals – über- wiegend auf die kaufkräftige Massen- nachfrage. Die genannte „Abteilung II“ begann, das Unternehmen zu prägen. Die Fertigung von Mercedes-Pkw der mittleren Preisklasse (A-, B-Klasse) spielt eine wachsende Rolle.14 Die Klein- wagen-Marke Smart wurde entwickelt. Vor allem versuchte Daimler mit den zwei großen Übernahmen Chrysler und Mitsubishi hinsichtlich Umsatz und Massenproduktion zur Weltspitze vor- zustoßen. Was durchaus gelang – wenn auch nur für ein knappes Jahrzehnt. 1998 übernahm der Daimler-Konzern Chrysler, den drittgrößten, damals hoch- profitablen US-Hersteller, der vor allem Pkw für den Massenmarkt, zunehmend aber auch bereits SUVs, herstellte.15 2000 stieg DaimlerChrysler bei dem ja- panischen Massenhersteller Mitsubishi Motors (MMC) ein; 2002 übernahm Daimler dort auch die operative Füh- rung. Diese Orientierung wurde ergänzt durch den Einstieg bei dem größten südkoreanischen Autobauer Hyundai. In dieser Periode, in der Schrempp von der „Welt-AG“ sprach, lag Daimler kurze Zeit auf Rang 2 der größten Unterneh- men der Welt. Mit 4,5 Millionen herge- stellten Pkw erreichte der Konzern for- mell Rang 6 unter den weltweit größten Autoherstellern. Berücksichtigt man, dass Daimler zeitweilig bei Mitsubishi auch die operative Führung innehatte und dort den CEO stellte, wären die rund 1,4 Millionen Mitsubishi-Pkw hin- zuzurechnen, womit Daimler mit 6,2 Millionen Kfz kurze Zeit hinter GM und Toyota und weitgehend gleichauf mit

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Ford der dritt- bzw. viertgrößte Kfz-Her- markts. Die Reuter´sche Rüstungsphase de Stagnations- und Depressionsperi- steller der Welt war. entsprach, wie beschrieben, der Zielset- ode. Gleichzeitig stieg China zur neuen Die Orientierung auf Daimler als Mas- zung der in Deutschland herrschenden kapitalistischen Weltmacht auf – nicht senhersteller wurde spätestens mit dem Kreise, nach der Wiedervereinigung das zuletzt als Kfz-Produzent und als welt- Ausstieg bei Chrysler 2007 massiv zu- EU-Projekt und einen EU-Rüstungskon- weit größter Absatzmarkt für Pkw. Ein rückgefahren. Zuvor, 2004, hatte Daim- zern voranzutreiben. Als dieser Job ge- deutscher Daimler-Konzern, der mit ler bereits das Engagement bei Mitsub- tan war, schritt Daimler unter Schrempp einem großen japanischen Hersteller ishi aufgegeben. zu den neuen Ufern einer Welt-AG. Da- verbunden ist, wäre hier bereits ein Pro- bei spielte eine große Rolle, dass damals blem gewesen. Eine Verbindung mit Die Bosse kommen und gehen der Weltmarkt noch von einer imperiali- Mitsubishi, der Inkarnation des japani- Interessant ist, wie in der Öffentlichkeit stischen Triade bestimmt wurde, beste- schen Imperialismus und der japani- die Daimler-Bosse immer mit einzelnen hend aus USA, Japan und der EU. Daim- schen Rüstungsindustrie, hätte sich als Phasen des Konzerns identifiziert wer- ler suchte entsprechend in Nordamerika ein enormes Hindernis beim großange- den (siehe dazu die tabellarische Dar- und in Japan eine feste Verankerung. legten Eintritt in den chinesischen stellung). Unter Reuter war das der Bei der Wahl Mitsubishi wurde auch Markt erwiesen. „integrierte Verkehrskonzern“. Unter versucht, sich mit einem Kernbereich Und so steht Zetsche angeblich für Schrempp die „Welt-AG“. Und unter Zet- des japanischen Imperialismus zu ver- die Rückbesinnung auf die „Kernmarke“. sche die „Rückbesinnung auf die Kern- netzen.17 In Wirklichkeit steht Daimler in seiner marke“. In Wirklichkeit fielen die strate- Der Ausstieg bei Chrysler und Mitsub- aktuellen Phase vor allem für die – spä- gischen Entscheidungen anderswo – z. ishi entsprach teilweise einer profitori- te – Erkenntnis des Stuttgarter Top- B. bei der Deutschen Bank. Oder sie entierten Neuorientierung, zugleich Managements, dass die neue Schlacht wurden durch Veränderungen des Welt- wurde damit eine geographischen Neu- in der Weltautoindustrie in China ge- markts herbeigeführt. Und für diese un- justierung vorgenommen schlagen wird. Seitdem findet eine gna- terschiedlichen Phasen der Profitpro- Die Neuorientierung meinte ein mas- denlose Aufholjagd statt, bei der Daim- duktion wurden dann entweder die ent- sives Zurückfahren von Daimler als ler vor allem mit Audi und BMW kon- sprechenden Führer-Figuren gefunden – Massenhersteller von Pkw der mittleren kurriert. Bei Zetsches Antritt 2007 lag oder die Top-Manager hängten ihr Klasse. Die zunehmenden Krisenerschei- der Anteil, den der chinesische Markt Fähnlein in den Wind und passten sich nungen und die weltweit verstärkte am gesamten Daimler-Umsatz aus- den neuen Anforderungen an. So war neoliberale Politik mit der Stagnation machte bei rund 3 Prozent. 2010 waren Schrempp ein treuer Knecht seines Mei- und den Rückgängen der Massenkauf- es 5 Prozent und 2014 bereits rund 20 sters Reuter und unter diesem der Chef kraft in Nordamerika, Japan und Europa Prozent. 2015 dürfte die VR China mit des Rüstungsbereichs Dasa. Doch als er lieferten für diese Konzernpolitik gute rund 25 Prozent und mehr als 250000 an die Daimler-Spitze geholt wurde und Gründe. Zumal bereits 1997 im Süden verkauften Kraftfahrzeugen erstmals gemäß den Vorgaben der Deutschen der USA, in Tuscaloosa, ein eigenes den größten Absatzmarkt des Konzerns Bank die Orientierung Welt-AG betrieb, Daimler-Werk errichtet wurde, aus dem überhaupt darstellen – größer als da rechnete er gnadenlos mit Reuter im übrigens die Automobilarbeiterge- Deutschland, größer als die USA und und dessen Vision des „Technologie- werkschaft UAW bis 2014 komplett her- größer als Westeuropa ohne Deutsch- Konzerns“ ab.16 Zetsche wiederum war ausgehalten werden konnte. In Japan land. ein Sklave in Schrempps Daimler-Reich; konnte vor dem Ausstieg bei Mitsubishi Dabei ist Daimler auch bereit, die Zetsche war vor allem Boss von Chrysler, die wertvollste Mitsubishi-Tochter, der Kernmarke Mercedes zugunsten des chi- als dieser US-Autohersteller zum Daim- Lkw-Hersteller Fuso, herausgebrochen nesischen Partners BAIC in Frage zu ler-Imperium gehörte. Doch als Zetsche und ins Daimler-Imperium überführt stellen bzw. den Mercedes-Stern zumin- an die Daimler-Spitze rückte, kippte er werden.18 dest hintan zu stellen. Inzwischen ist emotionslos Chrysler aus dem Konzern- Mit dem Verkauf von Chrysler und selbst eine Ankerbeteiligung eines chi- verbund und warf den US-Autoherstel- den Ausstiegen bei Mitsubishi und nesischen Investmentfonds am Daimler- ler einer Heuschrecke mit Namen Cer- Hyundai wurde der Umsatz von Daimler Kapital vorstellbar.19 berus in den Höllenschlund. Ähnlich wie von 177 Mrd US-$ auf rund 110 Mrd US Wobei auch für Daimler in China gilt: zuvor Schrempp mit der Reuter-Ära ab- $ radikal reduziert und die Zahl produ- Es wird aus allen vier Rohren geschos- gerechnet hatte, wurde jetzt unter Zet- zierter Kraftahrzeuge mehr als halbiert. sen. Daimler ist in China präsent mit sche das Chrysler-, Mitsubishi- und Diese radikale Kehrtwende machte vor Nutzfahrzeugen – mit der Marke Au- Hyundai-Engagement als Irrweg abge- allem in Kombination mit der geogra- man, mit Lkw, die von Daimler gemein- tan und als eine Art Schrempp-Spleen phischen Neujustierung Sinn. Die USA sam mit dem Daimler-Partner Foton präsentiert. erlebten seit Ende der 1990er Jahre auf produziert werden. Daimler ist über die In Wirklichkeit stecken zwischen die- wirtschaftlicher und politischer Ebene 12-Prozent-Beteiligung an chinesischen sen scheinbar stark unterschiedlichen einen erheblichen Bedeutungsverlust. Autohersteller BAIC im Sektor Massen- Phasen strategische Überlegungen und Der japanische Kapitalismus erlebte gar herstellung von Mittelklasse-Pkw enga- grundlegende Veränderungen des Welt- eine nunmehr seit 15 Jahren anhalten- giert. Daimler erzielt schließlich in Chi-

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na die größten Umsatzanteile mit Auto- Chrysler eine deutsch-amerikanische „wir zuversichtlich sind für unsere Zu- mobilen der Luxusklasse. Schließlich Allianz gab, nachdem es mit Daimler- kunft im entscheidenden Markt für existiert eine Verbindung von Daimler Mitsubishi 2002 zu einer deutsch-japa- Autos, in China“.20 zum chinesischen Rüstungsunterneh- nischen Partnerschaft kam, spricht Zet- Winfried Wolf ist Chefredakteur von men und Waffenexporteur Norinco. sche 2014 von der „chinesisch-deut- Lunpark21 und Verfasser von Büchern u.a. Nachdem es 1998 bei Daimler mit schen Partnerschaft“ und davon, dass zur Autoindustrie und Verkehrspolitik.

Anmerkungen: 1 Thomas Fromm und Max Hägler, Die Wandlung des Dr. Z., in: bunden. BAIC-Foton – eng verbunden mit Daimler – brachte es auf Süddeutsche Zeitung 6.2.2015. 140000 Einheiten. Da Daimler und Volvo überproportional schwere 2 Hier gibt es allerdings in jüngerer Zeit zumindest in Deutschland eine Lastkraftwagen herstellen, muss ihre Position, wenn an den wesentliche Veränderung. Siehe den Kasten zu Geschäftswagen. Umsätzen gemessen, stärker gewichtet werden. 3 Bereits im Jahr 1938 machte die Rüstung 90 Prozent des Daimler- 10 Nicolaus Doll, Kampf um die Lufthoheit in der Branche, in: Die Welt Benz-Konzernumsatzes aus. Die „Konversion“ von ziviler auf Rüs- 17.5.2013. tungsproduktion betrieb langfristig der Großaktionär des Unter- 11 Lee A. Iacocca, Eine amerikanische Karriere, Düsseldorf und Wien nehmens, die Deutsche Bank. Diese stellte seit 1925 mit Emil Georg 1985, S. 386. von Stauß den Daimler-Aufsichtsratsvorsitzenden. In dem OMGUS- 12 Siehe Georg Kacher, Warum Maybach nie eine wirkliche Chance Report der US-Militärverwaltung, der nach dem Zweiten Weltkrieg hatte, in: Süddeutsche Zeitung 5.12.2011. Ende 2014 hieß es, dass ein erstellt wurde, heißt es dazu: „Es war Emil Georg von Stauß von der neues und verlängertes S-Klasse-Modell (BR 222, dann als „BR Deutschen Bank, der die Reorganisationen (von BMW und Daimler- 222X“) den Zusatz „Maybach“ erhalten soll. Benz; W.W.) betrieb […] Er war weitgehend dafür verantwortlich, dass 13 Nikolaus Doll, Neuwagen sind so teuer wie noch nie, in: Die Welt die Produktionsvorhaben ... lange vor Ausbruch des Krieges von der 9.2.2015. Der durchschnittliche Preis eines Pkw der Marke Dacia, also zivilen Autoproduktion auf die Herstellung von Flugzeugmotoren der Renault-Tochter für preiswerte Pkw, liegt sogar nur bei 11682 umgestellt wurden.“ Nach OMGUS-Report, Ermittlungen gegen die Euro, was einem Drittel des Verkaufspreises eines Mercedes-Pkw ent- Deutsche Bank, Nördlingen 1985, S.149f. Der Umsatz des spricht. Unternehmens entwickelte sich von 100 Millionen Reichsmark (RM) 14 Die A-Klasse-Modelle beginnen 2015 bei einem Neuwagenpreis von 1935 auf rund eine Milliarde RM 1944. Eine Verzehnfachung des 24500 Euro, die B-Klasse bei 27000 Euro Umsatzes in neun Jahren – mit noch stärkerem Wachstum der realen 15 Es handelte sich von vornherein um eine reine Übernahme. Die Be- Profite – ist im normalen kapitalistischen Geschäftsleben nicht hauptung, es sei ein „merger of equals“ waren pure Show und erreichbar. 1986 brachte die Plakat-Gruppe Daimler-Benz Streicheleinheiten für Kapitalanleger in den USA. Untertürkheim (siehe Seite 18 ff) zusammen mit Mitgliedern der 16 Schrempp ließ dabei Projekte verschrotten, die er zuvor betrieben Anti-Apartheid-Bewegung die Broschüre heraus: 100 Jahre Daimler- und in den siebten Himmel gehoben hatte. So hatte Schrempp als Benz – Kein Grund zum Feiern. Diese höchst verdienstvolle Dasa-Chef in den Niederlanden den Flugzeugbauer Fokker aufgekauft Veröffentlichung hatte vor allem die Daimler-Benz-Tradition in der und dabei von „my love baby“ gesprochen. Als Vorstandsvorsitzender Rüstung zum Schwerpunkt. von Daimler-Benz ließ er dann den Flugzeughersteller mit seinen 4 EADS gab sich 2013 einen zivilen Tarnanstrich und benannte sich um 8000 Arbeitsplätze gnadenlos in den Ruin zu treiben. in „Airbus Group“, die wiederum hat einen militärischen Ge- 17 Mitsubishi Motors ist Teil des informellen, nach dem Zweiten schäftsbereich mit der Bezeichnung „Airbus Defence and Space“, was Weltkrieg offiziell aufgelösten traditionsreichen Mitsubishi-Konglo- dem früheren EADS-Bereich EADS Cassidian entspricht. merats, das, vergleichbar mit Daimler-Benz im NS-Deutschland, bis 5 Siehe ausführlich unter: www.aufschrei-waffenhandel.de/Daimler. 1945 die Rüstung für den imperialistischen japanischen Krieg or- 6 Nehmen wir als Beispiel die Struktur im Jahr 2007. Damals lag der ganisiert hatte. Zum Mitsubishi-Imperium zählen heute die MMC- Gesamtumsatz der Daimler-Unternehmensgruppe bei rund 135 Mil- Großaktionäre das Handelshaus Mitsubishi Corp, der Rüstungs- und liarden Euro. Das Geschäft mit Lkw, Transportern und Bussen belief Maschinenbauer Mitsubishi Heavy Industries und das Bankhaus Bank sich auf rund 43 Mrd. Euro – knapp ein Drittel des Gesamtumsatzes. of Tokyo-Mitsubishi. Edzard Reuter hatte bereits 1990 vergeblich eine Rechnet man Anteile des Geschäftsfelds Daimler Financial Services strategische Allianz Daimler-Mitsubishi angepeilt. Er fabulierte in der und die Einnahmen aus Tollcollect, dem Lkw-Maut-System auf deut- „Zeit“ davon, dass „die Welt durch globale Konzerne Schritt für schen Autobahnen, an dem Daimler maßgeblich beteiligt ist, hinzu, Schritt zu einer Einheit zusammengeschweißt“ werde. „Le Monde sah dann dürften bis zu 40 Prozent des Gesamtumsatzes auf den Bereich damals darin eine „gefährliche Wiedergeburt deutsch-japanischen Nutzfahrzeugen entfallen. Größenwahns“. Zitiert bei Winfried Wolf, Autoindustrie und Opel- 7 Unter Transportintensität versteht man die Summe an Transportki- Streik 2004/2005, Berlin-Wilhelmshorst 2005, wolfs flugschrift nr. 3, lometern, die in einer Ware enthalten sind. In einem Computer oder S. 53. in einem Joghurt-Becher sind heute in der Regel 50 Prozent mehr 18 Anfang 2003 gliederte DaimlerChrysler bei MMC den Lkw-Hersteller Kilometer, die auf Straßen, per Schiff, in Eisenbahnen oder per Fuso, bis dahin eine hundertprozentige MMC-Tochter, aus und über- Flugzeug zurückgelegt wurden, „enthalten“. nahm die Aktienmehrheit beim neu formierten Unternehmen Fuso 8 Seit 1990 kamen drei von vier Bahnchefs (Heinz Dürr, Hartmut Bus & Truck. Das Fuso-Engagement ist wichtiger als das bei MMC, da Mehdorn und Rüdiger Grube) aus der Daimler Kaderschmiede. Unter Fuso profitabel arbeitet und in Japan im Lkw-Geschäft einen Grube kaufte die Deutsche Bahn AG 2013 für gut 3 Milliarden Euro Marktanteil von 30 Prozent, MMC hingegen im Pkw-Bereich nur Arriva, den größten Betreiber von Busfernverkehrslinien in Europa. einen Anteil von 10 Prozent hält. Fast zeitgleich erfolgte in Deutschland die Liberalisierung des 19 Die Deutsche Bank stieg bei Daimler bereits vor einigen Jahren aus. Busfernverkehrs. Die Deutsche Bahn ist auch in Deutschland im Bis 2012 war Abu Dhabi mit dem Staatsfonds Aabar und einem Anteil Busfernverkehr engagiert und betreibt zunehmend Busfernver- von 3,1 Prozent einer der wenigen Großaktionäre. Doch Aabar mach- kehrsstrecken in Konkurrenz zu bestehenden (oder dann eingestell- te 2012 Kasse und stieg aus. Aktuell sind noch Kuwait (mit 7,6 %) ten) Schienenverbindungen. Siehe ausführlich: Bernhard Knierim / und Renault-Nissan (mit 3,1 %) als Großaktionäre präsent. Zwei Winfried Wolf, Bitte umsteigen! 20 Jahre Bahnreform, Stuttgart 2014, Drittel der übrigen Anteile werden von institutionellen Investoren, S.61ff. gut 20 Prozent von privaten Anlegern gehalten. Diese Eigentümer- 9 2013 wurden bei Daimler 355000 Lkw gefertigt. Nr. 2 im Weltmarkt Struktur gilt als labil. Immer wieder war im Gespräch, dass als neuer war Dongfeng Motor Corp. mit 246000 Einheiten, gefolgt von FAW Großinvestor der Staatsfonds CIC –China Investment Corporation – (China), von VW (MAN-Scania) und Volvo Trucks mit je 128000 einsteigen könnte. Angaben nach: Handelsblatt 8.1.2013. Einheiten. VW und FAW sind über ein joint venture miteinander ver 20 Presseerklärung Daimler-Konzern 10.10.2014.

Lunapark21·extra 10/2015 LP21_ex_mb-um01 26.03.2015 8:30 Uhr Seite 3 t tie (Transnationals Information Exchange) … … ist ein weltweites Netzwerk von Beschäftigten, die sowohl im Betrieb als auch in anderen sozialen Be- wegungen aktiv sind. Unser Ziel ist es, ein Bewusstsein über internationale Zusammenhänge sowie eine Zusammenarbeit zwischen Beschäftigten und ihren Organisation in verschiedenen Regionen der Welt zu fördern. Gegründet wurde tie 1978 auf Initiative von GewerkschaftsaktivistInnen aus verschiedenen Län- dern. Heute sind Gruppen in Brasilien, Kolumbien, den USA, Südafrika, Mosambik, Senegal, Deutschland, Türkei, Sri Lanka, Indien und Bangladesch aktiv. tie unterstützt einen weltweiten Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen Gewerkschaftsakti- vistInnen, Lohnabhängigen, Frauen- und Menschenrechtsgruppen. Da tie sowohl im Norden als auch im Süden verankert ist, wird es möglich, zwischen sozialen Bewegungen internationale Arbeitszusammen- hänge zu stiften und zu mobilisieren. In der Automobilbranche begleitet tie nationale und internationale Netzwerke von Gewerkschafts- aktvistInnen. So unterstützt tie innerhalb des Daimler-Konzerns bereits seit über 25 Jahren einen interna- tionalen Erfahrungs- und Informationsaustausch zwischen Beschäftigten, um auf diese Weise gemeinsame gewerkschaftliche Positionen und Strategien zu erarbeiten,konkrete Solidaritätsaktionen zwischen den Be- schäftigten sowie eine Gegenwehr zur Unternehmensstrategie des gegenseitigen Ausspielens verschiede- ner Standorte zu organisieren. Weitere Infos: www.tie-germany.org Die Daimler-Koordination … … ist ein Arbeitsforum, das dem regelmäßigen Informationsaustausch von Betriebsgruppen, kritischen Ver- trauensleuten der IG-Metall, Betriebsräten und anderen interessierte KollegInnen aus deutschen Daimler- Werken dient. Wir verstehen uns als an der Basis orientiert und von dem Interesse getragen, über den eige- nen Tellerrand hinaus auch internationale Zusammenhänge zu begreifen und entgegen engstirnigem „Standortdenken“ Solidarität in der BRD und darüber hinaus zu fördern. Innerhalb des Forums werden Management-Strategien kritisch beleuchtet und eigene Positionen erarbeitet. Der Kontakt zwischen Be- legschaften ist für den gegenseitigen Erfahrungsaustausch und das Suchen nach gemeinsamer und solida- rischer Gegenwehr unentbehrlich. Entgegen der mehrheitlichen Politik in den Gewerkschaften und den Betriebsräten vertritt die Koordina- tion eine Position gegen Konzessions- und Standortpolitik, da diese keine Standorte sicherer macht, sondern nur den Erpressungsdruck auf die einzelnen Belegschaften erhöht. Da die Konzern-Strategien weltweit angelegt sind, bemüht sich die Koordination angesichts der Bedeu- tung des Gesamtkonzerns Daimler darüber hinaus um einen Internationalismus von Seiten der Beschäftig- ten mit dem Ziel einer internationalen Zusammenarbeit von betrieblichen GewerkschaftsaktivistInnen in Europa, Afrika, Nord- und Südamerika. Weitere Infos: [email protected]

impressum Das vorliegende Heft Lunapark21 Extra10 zum Thema DaimlerWelt-AutoWelt wird herausgegeben von der Redaktion Lunapark21, der Daimler-Koordination und dem Netzwerk TIE (Transnationals Information Exchange). Zur Charakterisierung der zwei letztgenannten Gruppen siehe die Kurzporträts oben und das Vorwort. Redaktionelle Koordination bei diesem Heft: Aron Amm Einzelheft-Preis für das vorliegende LP21Extra10: 5 Euro. In allen Abo- und Vertriebsangelegenheiten bitte wenden an: E-Mail [email protected] | Postadresse: AVZ · Storkower Str. 127a · 10407 Berlin | Tel.: 030 – 42804030. | Redaktionsangaben: Lunapark21 GmbH · An den Bergen 112 · D-14552 Michendorf | E-Mail-Adresse (nur für Redaktionsangelegen- heiten): [email protected] | Geschäftsführer Sebastian Gerhardt | Registrierung der Lunapark21 GmbH beim Amtsgericht Potsdam unter HRB 21525P | Heftgestaltung: Joachim Römer (www.unterblicken.de) | Druck: Brandenburgische Universitätsdruckerei und Verlagsgesellschaft Potsdam mbH | Lunapark21 wird auf FSC-zertifiziertem Papier gedruckt | Lunapark21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie erscheint vier Mal im Jahr. Zusätzlich gibt es pro Jahr zwei Extra-Hefte zu Schwerpunktthemen (wie das vorliegende zu DaimlerWelt-AutoWelt). | LP21-Redaktion: Dr. Winfried Wolf (Chefredakteur; V.i.S.d.P.) · Daniel Behruzi · Thomas Fruth · Sebastian Gerhardt · Dr. Hannes Hofbauer · Dr. Gisela Notz | Einzelpreis des norma- len Heftes (der Quartalszeitschrift): 5,90 Euro + Porto | Normalabo (= vier Ausgaben im Jahr und für Deutschland/Österreich): 24,00 Euro. | AboPLUS (sechs Ausgaben im Jahr, davon zwei Sonderhefte LP21-Extra zu Schwerpunkthemen; ebenfalls für Deutschland/ Österreich): 32 Euro. | Alle Abopreise siehe www.lunapark21.net/service/ | Konto Lunapark21: IBAN DE69 1605 0000 3527 0038 00 | BIC WELADED 1PMB | Die Rechte für Fotos und Texte liegen bei den Autorinnen und Autoren. Die Verwendung ist nur mit deren Einwilligung und mit Quellenangabe gestattet. | © Copyright 2015 by Lunapark21 GmbH | ISSN 1866-3788 LP21_ex_mb-um01 26.03.2015 8:30 Uhr Seite 4