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Sendung vom 12.05.2003, 20.15 Uhr

Prof. Ulf Schirmer Dirigent im Gespräch mit Susanne Schmerda

Schmerda: Herzlich willkommen im Alpha-Forum, liebe Zuschauer. Bei uns im Studio ist heute ein Mann, der mit Musik zu tun hat, der Klänge gestaltet und ordnet. Es ist der Dirigent Ulf Schirmer. Herzlich willkommen, Herr Schirmer. Sie dirigieren in der ganzen Welt: an der Mailänder Scala ebenso wie bei den Bregenzer Festspielen, an der Oper in Graz wie bei den Wiener oder Berliner Philharmonikern. Das hört sich an, als wären Sie ein Mann, der sehr viel herumreist. Ist denn das Reisen ein angenehmer Teil Ihres Berufs oder ist Ihnen das doch eher lästig? Schirmer: Es kommt darauf an, aus welchem Blickwinkel ich das sehe. Wenn ich das aus dem familiären Blickwinkel sehe, dann ist das ganz schrecklich, dieses dauernde Auseinandergerissen werden der Familie, das anschließende Zusammenkommen, die kleinen Streitereien, bis man sich wieder eingelebt hat – und dann geht es von Neuem los. Auf der anderen Seite bin ich natürlich auch sehr dankbar, weil ich auf diese Weise von der Welt sehr viel sehe. Das gefällt mir einfach. Ich kann Museen überall auf der Welt besuchen in meiner freien Zeit. Ich kann lesen, wozu ich zu Hause nicht komme usw. Schmerda: Ich möchte mit Ihnen zunächst einmal ein bisschen über die Bedeutung des Dirigenten sprechen. Es gibt ja den Vergleich, wonach der Dirigent der Solist ist und das Orchester sein Instrument. Ist etwas dran an diesem Vergleich? Schirmer: Ja, gewissermaßen schon. Wenn alle gut zusammenarbeiten, dann gibt es ja auch eine formende Kraft und diese Kraft geht im besten Fall tatsächlich vom Kapellmeister aus. Das denke ich schon. Nur: Die spezifische Farbe eines Orchesters, die kann ein Dirigent nicht herstellen: Die Wiener Philharmoniker sind einfach die Wiener Philharmoniker und selbst durch die Generationenwechsel doch immer noch irgendwie erkennbar. Dieses sollte man auch tunlichst nicht ändern, sondern wie einen Schatz hüten. Schmerda: Sie reisen viel herum und arbeiten nicht kontinuierlich mit einem festen Orchester. Und Sie arbeiten auch nicht für ein festes Haus. Ist es denn jedes Mal eine große Herausforderung, mit einem neuen Orchester zu arbeiten? Wie entscheidend sind da z. B. die ersten 15 Minuten? Schirmer: Die ersten zwölf Sekunden sind entscheidend. Das ist immer so: Wenn jemand in einen Raum kommt, dann ist innerhalb von zwölf Sekunden alles entschieden. Ich habe es dann u. U. sehr schwer, gegen eine meinetwegen nicht so optimistische Stimmung anzudirigieren. Das ist in der Tat schon auch etwas, das teilweise unbefriedigend ist. Ich habe auf der anderen Seite aber auch mit festen Orchestern und festen Häusern langjährige Erfahrungen. Ich kann diesen Beruf also jetzt aus beiden Perspektiven betrachten. Schmerda: Dirigieren hat auch etwas mit Autorität zu tun, denn sonst könnte man ja nicht als Einzelner mit dem Rücken zum Publikum vor einem großen Orchester stehen. So ein Orchester besteht ja oft aus über 100 Musikern. Sind Dirigenten Machtmenschen? Schirmer: Ich habe ja den stillen Verdacht, dass sehr viele Menschen Machtmenschen sind. Das fängt bei den kleinen Kindern schon an, das geht weiter zum Beruf meinetwegen des Lehrers und zu vielen anderen Berufen. Wo ich hinschaue, finde ich das. Vielleicht ist der Impuls in der Jugend, diesen Beruf des Dirigenten zu ergreifen, ein bisschen neurotisch, wenn man sich da sagt, man möchte genau das werden. Diese Neurose muss man dann abarbeiten – oder auch nicht. Ich jedenfalls finde es ganz interessant, mich damit auseinander zu setzen. Und dann stellt sich natürlich die Frage, was Autorität eigentlich ist. Autorität meint hier bestimmt nicht, dass man autoritär ist oder den Leuten einfach anschafft, wie etwas gemacht wird - und fertig. Nein, das sind ja alles erwachsene Menschen. Sie reagieren als Kollektiv dann sehr wohl anders als als einzelne Individuen. Aber ich glaube schon, dass Autorität haben darin besteht, dass man in diesem Beruf des Dirigenten den Musikern genau das gibt, was sie brauchen: nämlich klare Zeichen, damit sie zusammenspielen können. Das ist die Aufgabe des Dirigenten. Schmerda: Wie viel Autorität ist denn nötig und wie viel Kollegialität kann man sich leisten mit einem Orchester? Schirmer: Das ist eine Frage der Definition. Wenn Kollegialität in Fraternisierung ausartet, dann ist es sofort vorbei. Das ist ja auch keine Kollegialität mehr. Aber jemanden zu respektieren und sich gegenseitig in seinen Leistungen anzuerkennen, das ist Kollegialität: So kommt man sehr weit. Schmerda: Ich habe Sie kürzlich erlebt beim Dirigieren. Das war in dem Fall Carl Orffs "Catulli Carmina". Mir fiel dabei auf, dass Sie ein Dirigent sind, der von Kopf bis Fuß mit seinem ganzen Körper Einsatz bringt. Es gibt ja auch Dirigenten, die das alles nur aus dem Handgelenk heraus machen. Schirmer: Das mache ich auch manchmal. Denn das hängt vom Stück ab, von der Situation. Wenn ich dirigiere, bewege ich mich eigentlich sehr wenig. Ich habe jetzt z. B. in Paris eine ganze Serie "Frau ohne Schatten" gemacht: Dabei habe ich mich wirklich bemüht, die Musiker nicht zu stören, denn durch aufwendige Bewegungen bringt man u. U. auch Nervosität ins Orchester. Bei Orff ist das hingegen etwas anderes: Da muss ich diese Diktion lebendig machen und auch hart und aggressiv ausdrücken. Vielleicht können wir ja später noch ein wenig über dieses Stück sprechen. Dabei setze ich in der Tat wie im Sport den ganzen Körper ein, um wirklich alle mitreißen zu können. Dabei nützen einem intellektuelle Zeichen wirklich wenig. Schmerda: Dirigieren kann also auch sehr viel mit Körpersprache, mit Körpereinsatz zu tun haben. Zum Teil hat man ja auch das Gefühl, dass Dirigenten sogar noch so eine bestimmte gestische Komponente mit hinein bringen, sie die Musik geradezu ein wenig abbilden. Schirmer: Ja, Hans-Klaus Jungheinrich hat den Dirigenten mal so ein bisschen abfällig, aber dennoch auch treffend, einen Musikdarsteller genannt. Ich glaube selbst schon auch, dass in diesem Beruf so ein gewisses schamanisches Element mitschwingt. Schmerda: Der Konzertbesucher sieht ja auch diese optische Präsenz, die über das rein Akustische hinaus entsteht. Der Dirigent deutet ja auch die Musik durch seine Bewegungen. Schirmer: Richtig. Wie Schauspieler oder Sänger strahlen auch wir dabei etwas aus. Ein Publikum spürt daher instinktiv, ob da Spannung vorhanden ist, ob die Musiker gerne mitmachen oder ob sie nur ihren Dienst abreißen usw. Das überträgt sich also alles über so genannte Mikrosignale. Es ist also gar nicht unbedingt notwendig, sich viel zu bewegen als Dirigent. Das hängt wirklich vom Stück ab. Sie wissen das: Es gibt Schauspieler wie den Bob Wilson. Wenn er so eine Geste zelebriert im Raum, dann ist das einfach absolut da. Er braucht nur den Kopf zu drehen und schon nimmt man das wahr. Das ist also schon auch eine geistige Frage. Schmerda: Wie verschaffen Sie sich denn Autorität? Ist der Taktstock dafür auch ein Mittel, ein Vehikel? Schirmer: Nein, nicht per se. Das wäre schön bequem. Meine Erfahrung ist die, dass es dann positiv läuft und wirklich Freude macht, wenn die Musiker merken, dass es da eine Auseinandersetzung mit dem Stück gibt und ich da ein klares Bild haben möchte. Auf diese Weise kommt man meiner Meinung nach schnell zu einem Konsens. Schmerda: Gibt es denn auch Situationen, in denen Sie das Orchester quasi testet? Baut das Orchester schon auch mal eine Phrasierung ein, um zu testen, ob Sie als Dirigent Ihre Hausaufgaben auch wirklich gemacht haben und die Partitur wirklich aus dem Effeff kennen? Schirmer: Klar. Das sind so die Angstträume, wenn man jung ist. Als ich Anfang 20 war, ist mir das auch tatsächlich so passiert. Gott sei Dank war das aber an der richtigen Stelle. Ich kann mich noch genau daran erinnern: Das war in Wien bei Schönbergs "". Ich war damals so ungefähr 26 Jahre alt. Dieses Stück ist wirklich ziemlich kompliziert. Da hat, und das ist eigentlich wirklich unkollegial, der Solo-Oboist ein wirklich falsches Solo gespielt. Ich habe das aber gehört und konnte es ihm daher aus dem Stand sagen. Da habe ich gemerkt: "Aha, das wollte er nur wissen." Schmerda: Damit waren die Fronten geklärt. Schirmer: Damit war das geklärt. Später ist das aber nicht mehr vorgekommen. Gut, bei neuer Musik kann das schon mal vorkommen. Wenn es recht laut und aggressiv und erregt ist, dann kann es schon mal vorkommen, dass Musiker teilweise anfangen, irgendetwas zu spielen, einfach um zu sehen, ob es überhaupt Sinn macht, was sie da mit ihrem Instrument machen. Ich halte das aber für eine ganz menschliche Regung. Schmerda: Welche Voraussetzungen muss man denn mitbringen für den Beruf des Dirigenten? Ist z. B. das absolute Gehör zwingend nötig dafür? Schirmer: Tja, da gibt es verschiedene Theorien. Ich meine, dass das schon notwendig ist – aber ich habe es nicht. Das ist einfach so und das ist auch etwas, das mich immer wieder mal beschäftigt. Ich höre z. B. Tonarten absolut, aber als Farben. Bei einzelnen Linien habe ich dann schon meine Schwierigkeiten. Ich habe in einen Kollegen, einen Klarinettisten, mit dem ich mittlerweile auch befreundet bin. Das ist ein so genannter Frequenzhörer: Er hört nicht nur die Töne, er kann einem sogar sagen, wie hoch das jeweils gestimmt ist. Aber ich denke, für das Musizieren, für die Emotionalität, die Geistigkeit, ist das nicht notwendig. Nicht unbedingt jedenfalls. Schmerda: Was sind denn andere Voraussetzungen, die einfach vorhanden sein müssen? Schirmer: Offenheit, Offenheit der Musik gegenüber, sich selbst gegenüber, den Menschen gegenüber. Musiker spüren das ganz schnell, wenn man als Dirigent nur ein bestimmtes Bild abliefern will. Was ich z. B. nicht aushalte, das sind diese "Maestri", die mit wehenden Haaren dirigieren und dabei ihre Tolle ganz spektakulär immer wieder nach hinten werfen: Das kann ganz lustig sein, aber... Schmerda: Das sind dann diese Taktstockvirtuosen. Schirmer: Das habe ich auch ausprobiert, aber das finde ich nicht zielführend. Schmerda: Was meinen Sie damit, dass Sie das auch mal ausprobiert haben? Schirmer: Ich war ja auch mal jung und hatte meine langen Haare – länger noch als Sie z. B. Schmerda: Sie haben dann aber doch sehr schnell den Kurzhaarschnitt bevorzugt. Schirmer: Er ist einfach auf Reisen sehr praktisch. Auch im Sport ist das sehr praktisch. Meine Kinder schimpfen immer schon mit mir, weil sie sagen: "Papa, du bist immer nur so praktisch!" Das liegt einfach daran, dass sie bestimmte andere Dimensionen einfach noch nicht verstehen. Sie erleben mich halt zu Hause so. Schmerda: Braucht man zum Dirigieren eigentlich ein Elefantengedächtnis? Denn man muss ja unheimlich viele Noten geradezu in sich hineinfressen und memorieren. Schirmer: Dafür gibt es verschiedene Begabungen. Bei mir ist das so, dass ich eben die Art und Weise, wie mein Hirn arbeitet, angenommen und akzeptiert habe. Ich durfte z. B. den vor 20 Jahren als Assistent erleben: Er hat nahezu – nicht ganz, aber nahezu – ein photographisches Gedächtnis. Das ist wirklich phänomenal. Aber auch er hat so seine Gedächtnisstützen. Bei ihm trifft das auch noch mit einem absoluten Gehör zusammen. Das hilft natürlich unwahrscheinlich. Bei mir ist es so, dass ich sehr viel üben und repetieren muss. Das ist eben der ganz normale Weg dazu. Ein Neurologe hat mir mal erklärt, dass nach häufigem Üben das alles subkortikal abläuft. Sie sinken sozusagen irgendwie unter die Großhirnrinde und funktionieren dann von alleine. Wenn es so ist, dann kann man ein Stück auch. Schmerda: Und Sie können das dann jederzeit abrufen. Schirmer: Ja, und nun kommt ein Wort, das der Celibidache auch mal benutzt hat: Man kann das passiv abrufen. Mir geht es nämlich oft so: Ich könnte Ihnen jetzt in dieser Situation selbst aus bekannten Musikstücken nicht unbedingt ein Zitat vorsingen. Aber auch auf diesem Gebiet gibt es ja ganz besonders Begabte: Strawinsky muss z. B. so einer gewesen sein. Ich hingegen kann das nicht. Aber wenn dieses Musikstück jetzt erklingen würde, dann wäre das bei mir sofort da – wenn ich es wirklich gut kenne. Schmerda: Wie sieht denn bei Ihnen so ein Probenablauf aus? Bleiben Sie eher am Detail hängen oder gehen Sie zunächst einmal große Abläufe durch mit Ihrem Orchester? Schirmer: Das hängt von der Situation ab und auch davon, was das für ein Stück ist, was das für Musiker sind usw. Das ist nämlich verschieden. Was ich sehr gerne habe, nicht nur bei unbekannten Stücken, ist, dass ich sie zunächst einmal spielen lasse, damit sich beide Parteien kennen lernen dabei. Ich kann dann sehen, wie gut das Orchester ist, wie gut es vorbereitet ist und ob es überhaupt vorbereitet ist, denn das ist ja nicht selbstverständlich in Deutschland. Kennt das Orchester das Stück überhaupt? Schmerda: Sie meinen, in den USA ist das wesentlich professioneller? Schirmer: Ja. Dort können die Musiker bei der ersten Probe bereits das Stück. Das ist dort einfach so. Aber auch andersherum ist das wichtig: Das Orchester schaut oder fühlt - oder fühlt eben auch nicht, weil es ihm egal ist -, wie ich mich verhalte. Es entstehe eben dabei so eine Art von unterschwelligem Dialog – oder eben auch kein Dialog. Deswegen lasse ich die Musiker zunächst einmal spielen. Danach dann mache ich aber oft den Fehler, dass ich mich zu sehr in Details verbeiße. Im Anschluss daran versuche ich wieder die Kurve zu kriegen, indem ich sie dann wieder musizieren lasse. Ich habe aber von Orchesterkollegen gelernt, dass das nicht so gut ist. Sie haben mich angesprochen und zu mir gesagt: "Bitte, bitte, lassen Sie uns ruhig ein bisschen mehr spielen." Schmerda: Gehen Sie denn mit einer festen Vorstellung, mit einem festen Bild von einem Stück in die Probe? Oder sind Sie auch noch während der Probe offen für andere Nuancierungen, für andere Tempi? Entwickelt sich das also erst im Probenverlauf bei Ihnen? Schirmer: Manchmal, in Details. Wenn ein Holzbläser oder ein Streicher eine schöne Farbe hat, wenn er anders atmet, als ich mir das vorgestellt hatte, dann versuche ich schon zunächst einmal zu fühlen, ob das überhaupt in die Linie passt, so wie ich mir das vorgestellt oder verinnerlicht hatte. Da bin ich also schon flexibel, da schreibe ich niemandem etwas vor. Nur: Der Gesamthintergrund und die Gesamtstruktur sollten doch klar sein auf meiner Seite. Schmerda: Wie ist das denn im Konzert selbst? Wie viel Raum gibt es da noch für Spontaneität? Schirmer: Das hängt vom Orchester ab. Es gibt z. B. einige Radiosinfonieorchester, die wirklich wie eine Schallplatte spielen. Das ist wirklich so. Da könnte man schneller oder langsamer dirigieren: So ein Orchester fährt da wie ein Panzer einfach drüber. Schmerda: Die würden darauf gar nicht reagieren. Schirmer: Genau, die können das gar nicht. Das ist auch nichts Schlimmes, denn das hat einfach mit der Struktur ihrer Arbeit zu tun: Diese Musiker machen eben immer wieder diese Aufnahmen im Studio. Darüber hinaus haben Radiosinfonieorchester teilweise unwahrscheinlich lange Probenzeiten. Dabei entstehen dann eben so Gewohnheiten, die man dann nicht mehr aufbrechen kann. Schmerda: Aber diese Musiker spielen doch auch oft unbekanntes Repertoire oder auch Werke, von denen man meinen sollte, dass das noch nicht zum festen Kanon, noch nicht zum Standardrepertoire gehört. Hier sollte man doch noch eine gewisse Beweglichkeit vermuten. Schirmer: Wissen Sie, so ein Kollektiv trainiert so ein Stück und ist als Kollektiv nicht geübt darin, wie in der Oper jeden Abend anders zu reagieren, weil es da jedes Mal andere Sänger und Kapellmeister gibt, weil es teilweise auch an vielen Abenden andere Stücke sind, die zu spielen sind usw. Nein, wenn ein Kollektiv sich so ein Programm erarbeitet, wie das so schön heißt, wenn so ein Programm wirklich über lange Zeit erarbeitet wird, dann ist das wie ein Klotz. Es ist dann eben so, dass manche Sinfonieorchester Schwierigkeiten haben, spontan reagieren zu können. Dies gilt selbstverständlich nicht für alle. Natürlich habe ich es am Abend sehr gerne, aufs Publikum oder auch auf meine eigene Spannung reagieren zu können. Da werden dann meinetwegen die Pausen länger: Man kann nicht proben, wie lange eine Pause ist. Oder es kann dann auch sein, dass die Sache etwas schneller wird. Denn das hängt ja auch vom Adrenalinspiegel ab. Wenn in der Probe die Musiker alle nur ganz relaxt und entspannt auf ihren Stühlen sitzen, dann kann man probieren wie man will, da kann man sagen, "Wir ziehen hier an, wir werden hier schneller", und doch passiert dann nichts. Aber am Abend beim Konzert, wenn wirklich alle wollen, wenn sie wirklich Lust haben dazu, dann geht das: Da ist dann das Ziel zwar im Kopf fixiert, aber das Entscheidende ist dann eben der Weg, wie man hinkommt zu diesem Ziel. Schmerda: Wie sieht denn bei Ihnen als Dirigent die Balance zwischen Kontrolle und Loslassen aus? Können Sie denn der Musik auch mal einfach nur freien Lauf lassen in glücklichen Momenten? Schirmer: Ja, das mache ich gerne. Wenn Sänger z. B. schön und vor allem auch intelligent singen, wenn sie das Werk also tatsächlich phantastisch gestalten können, dann ist das ein Genuss für mich. Daneben gibt es aber auch Sänger, die das nicht können. Denen versuche ich dann eben zu helfen. Und da kann es dann schon auch mal vorkommen, dass ich sage: "Nein, das ist jetzt so und so und nicht anders!" Es kommt also immer darauf an. Aber Sie sprechen damit natürlich schon auch etwas Wichtiges an, nämlich diese Kontrollmechanismen, die ich natürlich auch bei mir beobachte: Diese Mechanismen gibt es in der Tat auch bei mir und derentwegen gehe ich mir manchmal schon auch selbst in die Falle, weil ich dann doch lieber die Situation beherrschen möchte, weil ich will, dass sie nun alle ruhig sein sollen, weil das einfach nicht so klappt, wie ich mir das vorstelle usw. Schmerda: Reflektieren Sie denn auch viel über sich selbst als Dirigent und darüber, wie Ihr Part vor dem Orchester jeweils gelaufen ist? Schirmer: Ja, schon, aber nicht lange. Das Eigentümliche bei mir ist, dass ich noch für eine gewisse Zeitspanne nach dem Konzert alles ganz klar präsent habe: Da klopfe ich dann ganz kurz ab, warum etwas Bestimmtes schief gegangen ist, was da passiert ist. Ich genieße aber zuweilen schon auch das Gefühl, wenn es schön gewesen ist. Diese Phase geht dann aber schnell wieder zu Ende und dann befinde ich mich schon wieder in einer neuen Lebenssituation. Schmerda: Sie haben ja an der Musikhochschule in Hamburg auch eine Professur für musikalische Analyse. Schirmer: Ja, und für Musikdramaturgie. Schmerda: Profitieren Sie denn von dieser Tätigkeit auch als Dirigent? Schirmer: Ja, absolut, weil einen die jungen Leute einfach direkt und konkret fragen. Bei vielen Dingen fange ich auch von Null an mit meinen Erklärungen. Das ist, wie mir viele Musikerkollegen bestätigen können, insofern sehr hilfreich, weil im Musikgeschäft eben doch vieles in Routine erstarrt. Das ist in jedem Beruf so. Die Routine kann ja auch etwas Stützendes haben. Durch diese Arbeit an der Hochschule kann ich das aber gut hinterfragen. Ich kann z. B. fragen: "Warum ist diese Stelle so und nicht anders?" Ich kann mich dort mit einfachsten Phänomenen befassen: Wie geht dieser und jener Akkord? Wie wirkt er, warum wirkt er an einer bestimmten Stelle? Das macht mir ungeheure Freude. Schmerda: Ihr Beruf bringt es ja mit sich, dass Sie sehr viel von Musik und Klängen umgeben sind. Wie wichtig ist denn dann für Sie, der Sie ja fast tagtäglich Musik hören, die Stille? Schirmer: Die ist für mich wichtiger als Musik, weil ich die Musik eben so viel um mich herum habe. Ich suche die Stille wirklich auf. Ich suche z. B. bestimmte Räume auf, um dort meinetwegen zu meditieren. Ich gehe auch gerne spazieren. Ich sitze aber auch oft alleine im Hotelzimmer und genieße die Stille. Christian Zacharias, der Pianist, hat mal recht gelacht, als ich ihm erklärt habe, ich würde jetzt ins Hotelzimmer gehen und die Wand anstarren. Das mache ich tatsächlich und das brauche ich auch. Ich kann mich dann furchtbar darüber aufregen, wenn im Hotelzimmer daneben ein Amerikaner wohnt, der ganz laut CNN hört. Da bin ich dann regelmäßig erledigt. Schmerda: Wie können Sie denn noch entspannen außer durch das Anschauen von Wänden? Schirmer: Ich treibe Sport, ich mache Karate. Das ist ein schöner Sport für mich. Schmerda: Warum gerade Karate? Schirmer: Das ist eine sehr geistige Sportart, die man auch bis ins hohe Alter hinein ausüben kann. Ich möchte also eine Sportart betreiben, die ich auch noch als Siebzigjähriger – sofern ich dann überhaupt noch laufen kann – ausüben kann. Mit Fußball, Handball oder Boxen wäre das schlecht möglich. Ich finde einfach Karate als geistige Disziplin sehr faszinierend. Das sind so die Gründe, warum ich Karate mache. Schmerda: Sie wurden 1959 in der Nähe von geboren. Wie kam es denn zu dem Entschluss, Dirigent werden zu wollen? Viele wollen ja in jungen Jahren Trompete oder Klavier spielen lernen. Wieso wollten Sie gerade Dirigent werden? Schirmer: Mit dem Klavierspielen hatte ich mit sechs Jahren schon angefangen. Später dann sah ich im Fernsehen immer den Karajan und hörte im Radio Musik. Heute zappt man ja mit dem Fernseher, ich habe früher jedoch immer gerne Hörspiele gehört und dabei immer auch geschaut, was man denn auf den anderen Kanälen zu hören bekäme. Dabei habe ich mal Mahler gehört, wirklich aus Versehen: Ich war völlig fasziniert. Damit wollte ich von da an etwas zu tun haben, das war mir klar. Hier in solchen Fernsehstudios geht es mir ja so ähnlich: Ich denke mir oft, dass ich daran auch Spaß gehabt hätte, wenn ich ein Studio betrete. Schmerda: Was hat Sie denn genau fasziniert am Dirigieren? Schirmer: Das hat ja im Laufe der Zeit gewechselt. Ich war damals ungefähr elf oder zwölf Jahre alt, wenn ich mich richtig erinnere. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt dann auch mein erstes eigenes Tonband und habe mir dann Prokofjew, Beethoven usw. aufgenommen. Irgendwie war bei mir da wohl auch ein bisschen was Autistisches mit dabei, etwas wohl auch wirklich Unangenehmes: dass man alleine seine will oder dass man alleine mit Menschen sein will. Da gibt es ja verschiedene Theorien. Schmerda: Wir müssen hier gar nicht näher darauf eingehen. Schirmer: Das muss nicht sein, ich muss mich ja nicht selbst denunzieren. Aber ich denke doch, dass ich das im Laufe der Jahre abgearbeitet habe. Wenn mich heute an diesem Beruf etwas interessiert, dann sind das mittlerweile ganz andere Dinge. Schmerda: Was ist das z. B.? Schirmer: Was ich an klassisch-romantischer Musik so faszinierend finde, ist dieser Aufbau von Bögen und Phrasierungen, von geistigen Fernzielen. Man fängt an und muss irgendwo an einer ganz bestimmten Stelle enden. Je öfter ich so ein Stück mache, um so verinnerlichter ist dieser Weg. Da geht es mir vielleicht wie einem Schauspieler, der zu der einen Tür hereinkommt und bei der anderen Tür wieder hinausgeht. Dabei weiß er ganz genau, was dazwischen alles passiert: Er wird meinetwegen angesprochen, es kommt meinetwegen jemand mit der Pistole auf ihn zu usw. Das ist aber doch auch wiederum jeden Abend anders und verdichtet sich mehr und mehr. Das ist einfach auch von der Tagesform abhängig. Diese Erlebnisse finde ich jedenfalls ganz faszinierend. Schmerda: Wir werden später noch einmal auf das Repertoire zurückkommen. Zunächst einmal möchte ich doch noch kurz bei Ihrer Ausbildung bleiben. Hatten Sie denn eine besonders musikalische Kindheit? Sie haben gesagt, dass Sie früh angefangen haben, Klavier zu spielen. Schirmer: In gewisser Weise ja. Mein Vater machte neben seinem Beruf zusammen mit seinen Brüdern noch Tanzmusik. Ich habe bis heute unwahrscheinlich viel für Unterhaltungsmusik übrig. Schmerda: Sie dirigieren ja auch Operetten. Schirmer: Ja, gerne, auch Sachen von Robert Stolz. Durch meine eigenen Kinder bin ich heute freilich auch mehr dazu gezwungen, solche Sachen wie Eminem zu hören, damit ich einfach weiß, was da läuft, was die da machen. Schmerda: Das ist ja eine Welt für sich. Schirmer: Ja, das ist eine Welt für sich, aber so ein bisschen verstehe ich die Kids schon. Aber gut, das würde jetzt hier zu weit führen. Aufgrund meiner Familie hat es also einen klaren Bezug zur Musik gegeben, und zwar zur real gemachten, zur selbst hergestellten Musik. Schmerda: Sie haben dann in Hamburg an der Musikhochschule studiert, bei und bei Christoph von Dohnanyi. Schirmer: Ja, als er dann Generalmusikdirektor wurde, hat er auch diese Klasse übernommen: Da bin ich dann aber geflüchtet. Schmerda: Vor Horst Stein? Schirmer: Nein, vor Dohnanyi. Er hat ja das absolute Gehör: wirklich, er hört das Gras wachsen. Er hat uns damit gequält, das war sagenhaft. Schmerda: Haben Sie dabei denn auch etwas gelernt? Schirmer: Ja, natürlich. Doch, doch, wenn er sich öffnet, hat er eine ganz große Menschlichkeit. Nach einiger Zeit kam sie dann auch heraus. Aber zunächst einmal hielt er einen doch sehr streng unter seinem Daumen. Da fing ich dann sogar an, an der Hochschule Philosophie zu studieren, weil ich aussteigen wollte aus der Musik. Schmerda: Wie lernt man denn überhaupt dirigieren? Lernt man da zuerst einmal die Schlagtechnik oder wie man sich ein Werk aneignet, wie man das memoriert? Wie muss man sich also so eine Ausbildung im Dirigieren vorstellen? Schirmer: Tja, ich habe darüber viel nachgedacht, weil ich ja schon zwei Mal gefragt worden bin, eine Dirigierklasse zu übernehmen. Ich unterrichte ja auch Dirigieren: dies aber nur bei meinen Assistenten. Ich unterrichte sie also im Gespräch oder schaue ihnen zu, wie sie selbst dirigieren. Oder sie schauen mir zu. Schmerda: Und dann sprechen Sie darüber mit ihnen und gegen Tipps. Schirmer: Ja, wenn ich die jungen Kollegen in ihrem körperlichen und geistigen Ablauf so erlebe, dann versuche ich mich jedes Mal einzufühlen in sie. Andererseits, wie ist das überhaupt mit dem Lernen beim Dirigieren? Der Klemperer hat das einmal sehr schön gesagt: "Dirigieren kann man in 20 Minuten lernen!" Wenn Sie mit der Hand z. B. diese ganz bestimmte Handbewegung ausführen, dann zeigen Sie damit den Dreivierteltakt an. Das kann jeder lernen. Nur, unter diese Zeichen eine ganze Musik zu subsumieren bzw. umgekehrt: Da fängt es dann eben an. Das ist ein lebenslanger Prozess der Verinnerlichung usw. Das ist jedenfalls ein lebenslanger Weg. Schmerda: Sie haben ja auch bei einem der führenden Komponisten unserer Zeit Komposition studiert, nämlich bei György Ligeti. Schirmer: Das ist übertrieben. Ich erwähne Ligeti ja immer voller Hochachtung in meinem Lebenslauf: Aber ich habe bei ihm Beethoven gehört. Das war also ein Beethovenseminar. Schmerda: Ich habe halt gelesen, dass Sie auch Komposition studiert haben. Schirmer: Nun ja, Kompositionsunterricht hatten wir in der Tat, und zwar bei Christoph Hohlfeld. Aber es gibt eben Namen, die immer wieder hinten runterfallen: ob zu Recht oder zu Unrecht, ist dabei ganz egal. Sie wissen ja, wie das ist: Die Lebensläufe werden nach vorne hin immer kürzer und nur noch einzelne Namen bleiben hängen. Ich hatte z. B. einen tollen Dirigierlehrer, Herrn Brückner-Rüggeberg: Ihm habe ich eigentlich die deutsche Schule zu verdanken. Aber niemand weiß das. Ligeti war aber in der Tat ganz wichtig für mich: Ich habe bei ihm eben dieses Beethovenseminar mitgemacht. Schmerda: Sie haben also nicht auch Komposition studiert und komponieren auch nicht selbst wie viele andere Dirigenten. Schirmer: Ja, ich habe das früher mal versucht, aber das ist nicht mein Ding. Schmerda: Sie sind ja schon sehr jung, nämlich im Jahr 1980, also mit 21 Jahren, nach Wien an die Staatsoper gegangen. Dort wurden Sie Assistent von Lorin Maazel. Schirmer: Das war im Jahr 1981. Das hat sich einfach so ergeben. Ich bin damals im Jahr 1981 vom Mannheimer Theater nach Wien geflüchtet. Denn Mannheim war für mich als Anfänger einfach zu überfordernd: vom Repertoire her und im Hinblick darauf, was man dabei alles können und arbeiten musste usw. Ich kam ja direkt von der Hochschule und wusste binnen kürzester Zeit nicht mehr, wo oben und unten ist. Es hat dort allerdings einen tollen Studioleiter gegeben, Herrn Emmerling, der seine schützende Hand über mich gehalten hat, damit ich nicht vollkommen baden gehe. Er hat sich menschlich mir gegenüber sehr o. k. verhalten. Aber ich habe dann doch gesehen, dass ich schnellstens von dort weg musste. Horst Stein hat mir dann von einer freien Stelle in Wien erzählt: Das war die Stelle des Chefkorrepetitors für das deutsche Fach. So kam ich nach Wien. Ich habe dort dann mit Birgit Nilsson "Frau ohne Schatten" gespielt und die "Elektra" usw. Schmerda: Sie haben dort also Bühnenluft geschnuppert und viel gelernt. Schirmer: Ja, ich habe vor allem von diesen alten Sängern so viel lernen können. Ich habe jetzt vor kurzem in Paris wieder einmal "Frau ohne Schatten" dirigiert: Da habe ich aus Referenz dieser Zeit gegenüber die alte Böhm-Fassung wieder benutzt, diese Fassung mit all diesen wunderbaren Strichen, die das Stück so schön kurz machen. Im Ohr hatte ich dabei immer die Birgit Nilsson, die Ruth Hesse oder den James King und den Walter Berry usw. Schmerda: Was kann man denn von Sängern lernen? Das Atmen, die Phrasierung? Schirmer: Das kommt immer darauf an, was das für Sänger sind. Ich habe jetzt gerade wieder von zwei Sängern bei "Frau ohne Schatten" unglaublich viel gelernt. Das war zum einen der Thomas Moser: Wir kennen uns seit 20 Jahren, seit dieser Zeit in Wien. Es ist unglaublich interessant, wie er sich entwickelt hat. Wenn er mir erklärt, wie er meinetwegen in der Kaiser-Arie Phrasen aufbaut, dann nehme ich das sehr ernst. Und dann probieren wir das auch lange Zeit zusammen. Dazwischen erzählen wir uns etwas über unsere Ehen bzw. Nicht-Ehen usw. Und danach dann arbeiten wir wieder weiter – ein menschlicher Dialog eben. Daneben habe ich noch sehr viel von Jane Henschel gelernt, die die Amme gesungen hat. So etwas habe ich ja noch nie erlebt! Sie hat jedes Tempo mit einer ganz klaren Diktion mitmachen können. Sie konnte alles sofort umsetzen, auch Tempoänderungen. Wenn ich z. B. gesagt habe, "Nein, ich möchte jetzt doch lieber das Originaltempo, wie es über das Metronom vorgegeben ist", dann hat sie stimmlich sofort umstellen können. Das ist eben die amerikanische Schule. Schmerda: Sie hatten es bereits angedeutet: Sie waren noch recht jung, als Sie bereits sehr schnell Erfolg hatten, womit Sie dann aber doch überfordert waren. Aber eigentlich war das doch so: Sie hatten zunächst eine Stelle in der Provinz in Mannheim und gingen dann an ein so großes Haus wie die Wiener Staatsoper. Da würde ich doch denken, dass man in Wien wesentlich mehr überfordert ist. Schirmer: Das lag an der Organisation damals in Mannheim. Vielleicht ist das heute anders: Ich habe keinen Kontakt nach dort und weiß daher nicht, wie es heute dort abläuft. Ich will jetzt hier auch auf keinen Fall irgendwie üble Sachen hochkommen lassen. Aber wie war das gut 22 Jahren? Nun, da war das so, dass man dort noch 52 Opern im Spielplan hatte. Das ist schon eine sensationelle Leistung: Das Orchester, die Technik und der ganze Apparat, der mit dazu gehört, waren wirklich traumhaft. Nur war es damals eben so, dass ich schon in der ersten Woche aus dem Stand und ohne irgendwelche Einweisung die Bühnenmusik für "Zar und Zimmermann" dirigieren musste. Da wäre beinahe der Vorhang gefallen! Schmerda: Gut, das ist erledigt. Schirmer: Und dann kam ich nach Wien und dort war es so, dass ich genaue Probenpläne in die Hand gedrückt bekam. Es gab daneben noch eine Monatsbesprechung, wer welches Stück bekommt. Diese großen deutschen Werke hatte ich ja aufgrund meines Studiums bereits drauf. Das hatte nicht nur mit diesem Jahr in Mannheim zu tun, sondern einfach mit meinem Studium, wo ich mich bereits mit "Elektra", "Frau ohne Schatten" usw. auseinander gesetzt hatte. In Wien hieß es dann z. B.: "So, Herr Schirmer, sie machen die Abschiedsvorstellung von Birgit Nilsson mit 'Frau ohne Schatten'!" Ich hatte danach zwei, drei Wochen lang Zeit, denn auf dem Probenplan stand dann eben: "Drei Stunden Studium 'Frau ohne Schatten'!" Ich trat also jeden Tag meinen Dienst an und übte das. Ich habe das auch wirklich gemacht und ich habe auch mehr als diese drei Stunden jeden Tag investiert. Ich war also für jedes Stück optimal vorbereitet. Schmerda: Sie haben danach dann ja auch eine gewisse Zeit als Generalmusikdirektor in Wiesbaden verbracht. Im Augenblick sind Sie jedoch an keinem festen Haus, sondern haben laufend Gastdirigate. Ziehen Sie eigentlich diese ständig wechselnde Arbeit, bei der man ja auch geistig flexibel bleibt, der festen Arbeit an einem bestimmten Haus vor? Schirmer: Im Moment ja. Schmerda: Um die Routine zu vermeiden? Schirmer: Ja, im Moment sehr wohl und dies aus mehreren Gründen. Ich kann als reisender Dirigent natürlich auch meine freien Zeitblöcke besser bestimmen. Denn ich muss bei meiner Arbeit eben nicht der Struktur eines Hauses folgen. Ich müsste ansonsten ja wie alle anderen ebenfalls dieser Struktur dienen, denn man kann das alles ja nicht nur auf eine einzige Person zuschneiden. Auf diese Weise könnte ich eben nicht sagen: "So, jetzt mache ich mal drei Monate Urlaub!" Das mache ich nämlich auch gerne. Zweitens ist es so: An den deutschen Theatern gibt es meiner Meinung nach zurzeit eine Vor-Umbruchssituation. Wir hören doch immer, dass das Geld fehlt, dass das Geld fehlt, dass das Geld fehlt... Das meine ich aber gar nicht. Ich meine vielmehr, dass hier strukturell vieles im Argen liegt. Diese Strukturen resultieren noch aus dem 19. Jahrhundert. Das bedeutet z. B., dass die Orchester ihre Dienstpläne selbst bestimmen dürfen. Auf diese Weise wechseln z. B. ständig die Musiker. Es gibt des Weiteren Mischformen des Repertoiretheaters. An vielen Häusern ist also die Situation sehr schwierig. Man kann aber nicht sagen, dass das die Schuld von jemand ganz Bestimmtem ist, sodass man sagen könnte, das liegt an dieser oder jener Person. Nein, ich glaube vielmehr, dass da zurzeit ein Riesenumbruch in Gange ist. Vielleicht wäre es eine Herausforderung, diesen Umbruch mitzugestalten, aber das bin ich bis jetzt noch nicht gefragt worden. Schmerda: Es haben sich ja auch die Probenbedingungen aufgrund der finanziellen Situation verschlechtert. Die ganze Ökonomie ist doch sehr viel straffer geworden. Schirmer: Nein, das stimmt einfach nicht. Ich habe z. B. die Probenpläne der Wiener Staatsoper aus den zwanziger Jahren studiert, die ja in Wien immer wieder mal gerne hochgeholt werden aus dem Keller. Damals wurde viel weniger probiert. Wenn es stimmt, was ich damals in Mannheim gehört habe, hat der Furtwängler dort in den zwanziger Jahren den "Ring des Nibelungen" innerhalb von 14 Tagen herausgebracht. Wenn Clemens Krauss, und das ist belegt, denn diese Probenpläne habe ich selbst gesehen, z. B. abends eine Aufführung hatte, dann war am Morgen davor um neun Uhr eine BO für dieses Stück: Dann saß das wieder. Wir haben jetzt vor allem an den mittleren Theatern folgende Situation: Regisseure toben sich sechs Wochen lang aus! Und dabei gibt es noch nicht einmal irgendeine Form von Konzepten. Da heißt es eben nicht: "Du kommst jetzt da herein und spielst, dass du traurig bist." Nein, das wird alles erst entwickelt, entwickelt in endlosen Prozessen. Da sitzt dann ein Pianist bereits völlig lethargisch an seinem Klavier bei diesen Proben. Der Kapellmeister sollte eigentlich auch anwesend sein, aber viele kommen zu solchen Proben schon gar nicht mehr. So etwas geht meines Erachtens alles nicht. Ich bin also der Ansicht, dass man das im Gegenteil alles raffen kann. Und dann gibt es noch folgendes Problem. Das werden mir jetzt zwar viele übel nehmen, aber es ist eben so: Dadurch dass die Orchestermitglieder ihre Dienste tauschen können, muss man ja auch viel mehr Proben machen, damit jedes Mitglied auch alles mitbekommt. In Paris war das jetzt anders und auch in San Francisco z. B. ist das ganz anders: Dort gibt es für so ein Stück eine feste Mannschaft. Das heißt, diese Mannschaft ist von der ersten Probe bis zur letzten Aufführung zusammen. Innerhalb der Aufführungsserie kann man auf diese Weise dann natürlich auch eine Steigerung erleben. Das habe ich in Paris jetzt z. B. genau so erlebt. Schmerda: Damit sprechen Sie die Situation an den Opernhäusern an. Ist das denn im Konzertfach genauso? Schirmer: Nein, dort ist die Situation anders. Schmerda: Dort sind die Probenphasen doch tatsächlich kürzer geworden. Schirmer: Ja, schon, aber auch mit Recht. Nehmen Sie doch mal ein Orchester wie die Wiener oder die Berliner Philharmoniker: Mit drei oder vier Proben müssen die doch ein Mainstream-Stück spielen können. Schmerda: Wie sieht das aber bei unbekanntem Repertoire oder bei Uraufführungen aus? Kann man denn in der vorhandenen knappen Zeit überhaupt noch eine gelungene Uraufführung auf die Bühne stemmen? Schirmer: Das kommt darauf an. Das Schwierigste, was ich so an Ur- und Erstaufführungen selbst gemacht habe, waren Sachen von George Lopez. Schmerda: Das war z. B. hier in München bei der "musica viva". Schirmer: Ja, davor hatte ich noch eine Uraufführung mit einem Stück von ihm mit dem österreichischen Rundfunksinfonieorchester. Ich werde dabei z. B. darauf angesprochen, ob die Probenzeit reicht. George ist ja auch ein Komponist, der sich unwahrscheinlich gerne einmischt und immer meint, ich würde zu wenig proben. Wir haben uns deswegen sogar richtig verkracht. Obwohl es ja schon so war, dass das Endergebnis gestimmt hat. Das sind also alles so Sachen, bei denen man den Dialog braucht. Aber leider spielen ja die meisten Orchester immer dasselbe. Schmerda: Sie selbst haben ja ein Repertoire, das von der Oper bis zum Konzertfach reicht. Bei den Opern haben Sie sogar schon mal Opern von Haydn gemacht. Schirmer: Ja, das ist aber lange zurück. Da würde ich jetzt doch zögern, wenn man mir das anbieten würde. Schmerda: Das heißt, das haben Sie nicht mehr unbedingt abrufbar im Kopf? Schirmer: Die Musik hätte ich wohl schon noch im Kopf. Nein, ich müsste mich meiner Meinung nach heute viel mehr mit der Phrasierung und der ganzen Klangwelt der damaligen Zeit beschäftigen. Ich finde es z. B. sehr interessant, was Harnoncourt und andere machen. Ich höre einfach unheimlich gerne diese alten Instrumente. Ich denke mir, dass ich etwas von dieser Qualität gerne auf ein neues Instrumentarium übertragen würde. Ich würde also nicht mit alten Instrumenten spielen lassen, sondern nur "anders" spielen lassen. Aber das will natürlich erarbeitet sein, das kann ich nicht aus dem Ärmel schütteln. Deswegen zögere ich da. Schmerda: Wo fühlen Sie sich denn mehr zu Hause... Schirmer: Zu Hause! Schmerda: ...am Opernpult oder im Konzertsaal? Schirmer: Das kommt darauf an. Im Moment ist das sicher die Oper, weil ich hierbei eben so schöne Projekte am Laufen habe, schöne Projekte auch mit wunderbaren Regisseuren. Bregenz ist hier einer meiner bevorzugten Plätze, weil das einfach so verrückt ist dort auf dieser Seebühne mit dieser Technik usw. Wir überlegen auch immer, wie man die Technik weiterentwickeln kann. Dort arbeite ich ja mit Leuten wie Richard Jones und David Pountney zusammen. Das ist traumhaft, dafür würde ich alles andere stehen lassen. Schmerda: Was haben Sie denn in Bregenz bisher alles gemacht? Schirmer: Den "Fliegenden Holländer"; "Nabucco", "Fidelio" und zum Schluss jetzt "Boheme". Schmerda: Sie haben sich als Dirigent ja mit Orff einen Namen gemacht. Wie kam es dazu, dass Sie Orff für sich entdeckt haben? Sie haben 1989 bei den Salzburger Festspielen ja auch Orffs "Antigonae" dirigiert. Schirmer: Ich würde nicht sagen, dass ich mir mit Orff einen Namen gemacht habe. Denn damit würde ich nämlich Orff Unrecht tun: Dafür kenne ich mich in seinem Gesamtwerk einfach zu wenig aus. Schmerda: Sagen wir mal so: Orff wird ja nicht besonders häufig dirigiert. Woran liegt das? Schirmer: Tja, das ist ein weites Feld. Ich habe das Gefühl, dass hier viele Faktoren eine Rolle spielen. Das hat zunächst einmal mit dieser alten Sprache zu tun, die er bewusst gewählt hat. Dann gibt es eine gewisse Reserve dem Musiker Orff gegenüber. Ich muss mich ja nur mal an die Proben erinnern: Wenn man da all diese Orchesterschläge hört usw., dann muss ich schon sagen, dass einen das doch irgendwie aggressiv macht. Das macht auch mich selbst aggressiv. In dieser Musik ist meiner Meinung nach eine irgendwie nicht bearbeitete Gewalttätigkeit am Werke. Das erzeugt dann ganz merkwürdige Spannungen in den Proben – und vielleicht auch im Publikum. Da ist also wohl irgend so etwas am Werke. Schmerda: Momentan dirigieren Sie ja zwei Werke von Orff für Chor a cappella und Orchester, nämlich die "Catulli Carmina" und die "Afrodite". Was sind das für Werke? Schirmer: Das sind ganz verschiedene Werke, die zu diesem Triptychon aus "Carmina Burana", "Catulli Carmina" und "Trionfo di Afrodite" gehören. Die "Carmina" haben wir weggelassen. Eugen Jochum hat das in München vor 50 Jahren noch als Ganzes aufgeführt. Wir hatten aber die Sorge, dass das beim heutigen Anspruchsdenken für die Stimmen zu anstrengend wird. Vor allem auch deshalb, weil das zwei Konzerte hintereinander sind. Wir haben uns also für die unbekannteren Stücke entschieden. Das erste Stück, die "Catulli", sind menschlich sehr nachvollziehbar: Es geht um alte Leute gegen junge Leute, die ihre Liebe feiern wollen, die sie auch rauschhaft feiern wollen. Die Alten aber sagen: "Passt nur auf, ihr werdet auch noch so klein mit Hut!" Das Ganze ist eine Rahmenhandlung und mittendrin singt dann der Chor a cappella. Das ist jedenfalls eine Handlung, die aus dem Leben der jungen Leute und der Dichtkunst des Catull zeigen soll, wie vergeblich es um die Liebe bestellt ist. Schmerda: Diese Musik ist z. T. sehr ekstatisch, aber auch sehr martialisch. Wir hatten am Anfang schon gesagt, dass Sie bei diesem Stück eigentlich mit dem ganzen Körper dirigieren. Schirmer: Ja, es geht in diesen "Catulli" ja um grundlegende Gefühle. Das erste Wort, das der Chor im Aktus 1 singt, ist "odi", also "ich hasse". Ich versuche bei meiner Arbeit, diese Emotionen, diese Affekte wirklich direkt umzusetzen. Ich will das nicht schönen und ich glaube, dass das Orff auch gar nicht hätte haben wollen. Aber dann wird es eben schwierig beim zweiten Stück, bei der "Afrodite". Es gibt ja jede Menge kluger Leute, die Vorworte usw. zu diesem Stück verfasst haben. Ich habe das alles gelesen und meistens heißt es dort, dass sich die Liebe und die Sexualität in diesem Stück transzendieren. Ich frage mich aber, wohin? Ich bin sehr gespannt auf das Ergebnis und darauf, wie das Publikum das annehmen wird, weil ich ja versuche, diese Angst machende Gewalt, die diese Musik ausstrahlt, wirklich eins zu eins zu zeigen. Da kann sich dann jeder selbst ein Bild machen. Schmerda: Wir stark kommt denn Orff eigentlich von den Texten her? In den "Catulli Carmina" sind das ja Gedichte von Catull. Schirmer: Hm, die Handlung, der Inhalt, die Aussage nimmt er von Catull und nimmt er später von der Sappho. Und er meint das auch selbst so. Die Vertonung aber ist das Interessante: das Verhältnis von Wort und Musik! Ich selbst habe ja das große Latinum, aber das meiste habe ich doch mittlerweile vergessen: Ich war die ganze Zeit über in Zweifel, wie ich damit umgehen sollte. Mir schien die ganze Zeit schon, dass diese harten Rhythmen usw. doch kein Latein seien: So haben die doch damals nicht gesprochen oder gesungen. Vor einiger Zeit hat nun der Bayerische Rundfunk eine Sendung mit dem berühmten Altphilologen Professor Stroh gemacht. Er ist hier in München wohl ziemlich bekannt. Schmerda: Ja, er ist eine Koryphäe. Schirmer: Ich war so dankbar für dieses Interview und werde ihn heute Abend wohl auch kurz sprechen können, wo ich ihm das auch sagen werde. Er hat in diesem Interview nämlich ganz klar zum Ausdruck gebracht, dass Orff seine Musik brutal – das ist die Wortwahl von Professor Stroh – über den Text gestülpt hat, um zu musizieren. Orff hat laut Herrn Stroh, und ich kann das instinktiv bejahen, nicht aus der Wortmelodie heraus Musik entstehen lassen. Es ging ihm stattdessen um etwas anderes, um dieses Archaische, um dieses Anarchische oder Repetitive, Ostinate. Da geht es wirklich zur Sache in seiner Musik. Da frage ich mich schon – und mit dieser Frage bin ich noch nicht fertig –, was Orff damit eigentlich sagen will. Ich weiß es nicht. Schmerda: Orff ist also ein Komponist, der Sie noch lange beschäftigen wird. Schirmer: Ja, ich denke schon. Ich habe ja jetzt Kontakt mit dem neuen Leiter des Orff- Instituts. Ich möchte, wenn dann mal eine Zeit ohne Proben ist, dieses Institut besuchen und mich ein bisschen besser vertraut machen mit dem Gesamtwerk von Orff, um mir selbst ein besseres Bild machen zu können. Ich möchte auch gerne quasi das Opus 1 von Orff aufführen: Das ist wohl ein sehr impressionistisches Orchesterstück. Ich will das machen, damit ich ein Gefühl dafür bekomme, woher Orff eigentlich kam. Schmerda: Was sind denn weitere Schwerpunkte Ihres Repertoires? Schirmer: Das ist das, was mich immer wieder interessiert, nämlich Richard Strauss. Das macht mir einfach Vergnügen. Schmerda: Von Strauss haben Sie ja fast alle Opern schon einstudiert. Schirmer: Ja, alle Tondichtungen, fast alle Opern. Ich liebe einfach diese Virtuosität, die auch immer ein Stück weit hinter sich selbst zurücktreten kann und sich sozusagen ein wenig selbst dabei zusieht. Strauss hat wirklich in Metaebenen gedacht. So etwas gefällt mir unwahrscheinlich gut, wenn das Musiker schön spielen. Ansonsten beschäftige ich mich auch immer gerne mit Beethoven. Mein Freund Gerd Kühr, der Komponist, und ich wollen eine eigene Klein-Orchesterbearbeitung eines späten Streichquartettes machen und das in einigen Jahren im "Wiener Konzertverein" aufführen. Solche Projekte interessieren mich also auch. Schmerda: Sie beherrschen ja auf der einen Seite das Standardrepertoire von Mozart über Beethoven, Wagner und Strauss bis hin zu Schönberg und Berg. Auf der anderen Seite finde ich bei Ihnen sehr auffallend, dass sie viele nicht so bekannte Werke wieder ausgegraben haben. Sie haben z. B. von Bohuslav Martinu die "Griechische Passion" ausgegraben. Von Martinu ist ja vieles überhaupt noch nicht veröffentlicht. Wie kommen Sie denn auf solche Werke? Werden sie Ihnen angetragen? Oder forschen Sie selbst auch und sind selbst neugierig auf Neues? Schirmer: Neugierig bin ich in der Tat, wenn ich etwas höre, wenn ich etwas in einem Gespräch aufschnappe, wenn ich mal von irgendwelchen unbekannten Namen lese usw. Bei Martinu war das aber ganz anders. Es würde jetzt den Rahmen sprengen, genau zu erläutern, wie es damals dazu gekommen ist. Es waren daran jedenfalls sehr viele Leute beteiligt, auch Musikwissenschaftler und das Martinu-Institut. Für mich war das eine ganz wichtige Sache, weil mein Denken über lange Jahre hinweg sehr von meiner Studienzeit geprägt war: Diese Studienzeit war wiederum sehr von Theodor W. Adorno geprägt. Mein Denken kam also sehr vom Zwölftonbereich her, von der Behauptung, dass es eine Stringenz in der musikalischen Entwicklung gebe usw. Das wichtige bei der Arbeit an diesem Stück von Martinu war für mich, dass ich genau das abarbeiten konnte. Martinu hat das nämlich alles nicht interessiert: Er hatte seine Quellen einfach woanders. Für mich war es also ein befreiender Akt, aus dieser ideologischen Siebziger-Jahre-Ecke herauszukommen, die ich in meinem Kopf drinnen hatte. Schmerda: Gehört hierzu auch ein Komponist wie Walter Braunfels und sein Stück "Die Vögel", das Sie ja wohl in nächster Zeit beschäftigen wird? Schirmer: Ja, da bin ich gespannt. Das habe ich wirklich angenommen, weil mir ein Orchestermusiker in Wien sagte: "Wir spielen das an der Volksoper. Braunfels war ein Zeitgenosse von Richard Strauss und hat eine sehr, sehr interessante Musik gemacht." Wenn Musiker auf diese Weise authentisch sprechen, wenn sie etwas wirklich interessiert, dann gehe ich dem selbst auch nach. So hat sich das in diesem Fall ergeben. Schmerda: Man kann ja beobachten, dass der Musikbetrieb zunehmend nur noch prestigeträchtige Werke einspielt und auf die Konzertprogramme setzt. Ist diese Verarmung des Repertoires vielleicht auch ein bisschen hausgemacht, weil viele Dirigenten wirklich immer nur das ewig gleiche Standardrepertoire spielen? Schirmer: Natürlich ist das hausgemacht, denn es liegt ja in unserer Verantwortung, was wir tun. Wenn ich so herumreise und mir die Litfasssäulen ansehe, dann kann ich schon gar nicht mehr beschreiben, welche Gefühle da in mir hochkommen: überall werden immer nur die gleichen Stücke gespielt. Für mich ist das nichts. Das ist doch vorbei. Schmerda: Wir nähern uns langsam dem Ende dieser Sendung. Die Zeit verging rasend schnell, wie ich finde. Schirmer: Das ist doch ein gutes Zeichen. Schmerda: Haben Sie Wünsche an die Zukunft? Irgendwelche Projekte für die nächste Zeit? Schirmer: Wünsche an die Zukunft? Ja, ich möchte immer mehr ins Offene gehen. Ich will ganz frei sein, auch in der Gestaltung meiner beruflichen Laufbahn, die sich dann vielleicht mit der Musikanalyse oder der Musikdramaturgie auch noch diversifizieren kann. Ich habe ein interessantes Ding an einer anderen Universität am Laufen. Dort geht es um ein ganz anderes Fach, bei dem ich mit einer Gastdozentur vielleicht ein ganz neues Gebiet betreten kann. Schmerda: Was für ein Gebiet wird das sein? Schirmer: Das darf ich Ihnen noch nicht sagen, weil das ein absolut sensationeller Studiengang sein wird. So etwas gibt es noch nirgends. Schmerda: Ist das denn in Deutschland? Schirmer: Dies werden Sie dann zu gegebener Zeit den entsprechenden Gazetten entnehmen können. Schmerda: Ich werde das jedenfalls mit brennendem Interesse verfolgen. Schirmer: Ich werde dabei aber sozusagen nur teilhaben und nicht der Hauptmotor sein. Ein Freund von mir richtet jedenfalls einen Studiengang ein, der absolut fehlt und den es im Musikbetrieb noch nicht gibt. Aber mehr kann ich noch nicht sagen. Ich bin jedenfalls gefragt worden, ob ich dabei mitarbeiten möchte. Schmerda: Geht es denn dabei um den musikalischen Nachwuchs? Schirmer: Nein, überhaupt nicht. Sie werden sich wundern. Schmerda: Wir werden uns wundern, gut. Herr Schirmer, ich danke Ihnen recht herzlich, dass Sie zu uns gekommen sind, dass Sie die Zeit gefunden dafür, denn Sie haben doch einen recht strammen Terminkalender. Ihnen, liebe Zuschauer zu Hause, danke ich herzlich fürs Zuschauen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag und sage auf Wiedersehen.

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