MARCO-URBAN.DE Sozialdemokraten Benneter, Müntefering: „Mehr Disziplin und weniger Durcheinander“

KABINETT Aktion Frischluft Nach sechsjähriger Amtszeit will der vom SPD-Vorsitz zurückgetretene Kanzler das Regieren zur Chefsache machen. Die nächste Großreform findet in den eigenen Reihen statt. Gerhard Schröder hat erkannt: Sein Team ist ein Sanierungsfall.

s knackte und knisterte in der Lei- zur Bekämpfung der Schwarzarbeit, der ralsekretär Klaus Uwe Benneter (siehe tung, dann endlich war die neue vorsah, polnische Putzfrauen vom Zoll Kasten Seite 24) mit einer Art Ge- ESPD auf Sendung. In einer ersten verfolgen zu lassen. Er tippte sich viel- sprächstherapie ruhig gestellt werden. Der Schaltkonferenz mit allen Landes- und sagend an die Stirn und stufte das heiß de- Kanzler muss sich derweil auf eine Re- Bezirkschefs der Partei verlangte Franz battierte Thema flugs zur Ordnungswid- formbaustelle konzentrieren, die in seiner Müntefering am vergangenen Dienstag- rigkeit herab. Agenda 2010 bisher noch keine Rolle spiel- vormittag „mehr Disziplin und weniger Die Botschaft an die Kabinettskollegen te: das eigene Kabinett. Durcheinander“. war unmissverständlich: Der neue Kanzler Die Minister werden nun erstmals selbst Kurzerhand bestellte er die Funktionäre will das Regieren zur Chefsache machen, zum Gegenstand des Erneuerungspro- nach Berlin ein, um ihnen von Angesicht er sorgt sich um Details, für die der alte gramms. Der Regierungschef will die Ar- zu Angesicht den Reformkurs zu erläutern: keine Zeit hatte: „Wenn ich rieche, dass beitsabläufe straffen, die Kommunikation „Ihr seid herzlich eingeladen, zu Wasser da ein Problem sein könnte“, lautet seine besser koordinieren und da, wo es ihm und Knäckebrot“, dröhnte es in Saar- neueste Parole, „dann kümmere ich mich nötig erscheint, für „frische Luft“ am Ka- brücken, Hannover oder Düsseldorf aus selbst.“ binettstisch sorgen, wie sich einer seiner den Lautsprechern. In Berlin herrscht, wie in den letzten Berater ausdrückt. Andernorts – zur gleichen Zeit – erleb- Jahren häufig, wieder einmal Aufbruch- Die Aktion Frischluft ist längst überfäl- ten die Spitzenpolitiker der Koalition einen stimmung. Schröder und der künftige lig. Denn kaum hat sich der Pulverdampf Kanzler, der damit begann, seinen Frust SPD-Vorsitzende probieren eine Arbeits- der sozialdemokratischen Schicksalswo- über die SPD in Arbeitswut zu verwan- teilung. Die „autoaggressive Partei“ (Par- chen verzogen, wird der Blick auf eine Re- deln. Gerhard Schröder persönlich legte teienforscher Franz Walter) soll von Mün- gierungsmannschaft frei, deren Spezialität nun Hand an einen Referentenentwurf tefering und seinem designierten Gene- die fortgesetzte Fehlleistung ist.

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Zu den massenhaft auftretenden hand- werklichen Pannen gesellen sich im rot- grünen Team Schröder/Fischer zunehmend gravierende menschliche Unzulänglichkei- ten. Während die Ressortchefs im Kabinett ihre Rivalitäten offen austragen, liefern sich die Bürokraten auf den unteren Ebenen erbitterte Kleinkriege. So beklagte sich vor zwei Wochen ein Abteilungsleiter im Umweltministerium schriftlich bei Kanzleramtschef Frank-Wal- ter Steinmeier über die Kollegen aus dem Wirtschaftsressort. Die hatten in einer Ex- pertise den Bundesrechnungshof gegen das Trittin-Ministerium in Stellung gebracht, was dessen Chef „wenig lustig“ fand. „Uns fehlt bisweilen“, sagt die grüne Verbrau- cherschutzministerin Renate Künast, „der Spirit, die Vision, das gemeinsame Ziel.“ Die ständigen Aufforderungen der SPD- Funktionäre, der Kanzler möge seine Mannschaft umbilden, haben dabei zur Verunsicherung beigetragen. Das Kabinett lebt heute in Angststarre – einige Minis- ter, das hat sich herumgesprochen, gelten auch dem Kanzler mittlerweile als Fehl- besetzung. Jeden Mittwochmorgen, pünktlich um 9.30 Uhr, kann sich Schröder selbst ein Bild von dem traurigen Zustand seines Teams machen. Da sitzen sie dann um den Bu-

chenholztisch im Großen Kabinettssaal, die SCHREIBER / AP MARKUS lauten und die leisen Stars, die alt ge- Sozialdemokraten Clement, Schröder: „Ich kann das nicht mittragen“ wordenen Diven und die stillen Zuverläs- sigen, aber auch die Mittelmäßigen und Rahmen vor“) den Funktionären von Ärz- Wählergunst dramatisch abgestürzte no- schließlich die wachsende Zahl derer, mit ten und Krankenkassen überlassen, die De- torische Frohnatur aus Aachen von vier denen beim besten Willen kein Staat mehr tails des von ihr ausgehandelten Gesund- bewaffneten Herren bewachen lassen, und zu machen ist. heitskompromisses auszuarbeiten – doch ihr Ministerium ist inzwischen dazu über- Sieht er nach rechts, fällt des Kanzlers die betrieben offen Obstruktion. gegangen, die Berge an Protestbriefen in Blick auf , die sich am äußers- Nun wird ihr vorgeworfen, sie habe es Müllsäcken und Umzugskartons zwi- ten Ende hinter einer Thermoskanne und treiben lassen, anstatt die Öffentlichkeit schenzulagern. einem Ensemble aus Tomaten-, Kirsch- und viel früher auf das Problem hinzuweisen Vergebens hatte Steinmeier die Ministe- Orangensaft verschanzt hat. Die Super- und die Lobby-Vertreter unter Druck zu rin im Herbst gebeten, zum geplanten Ren- ministerin für Gesundheit und Soziales setzen. tengipfel der Koalition am 19. Oktober ahnt, was der rote Regent inzwischen von Jetzt wird die Koalition allein für das gleichzeitig ein Konzept zur Reform der ihr hält: nicht viel, um es vorsichtig zu for- Chaos bei Praxisgebühren und Zuzah- Pflegeversicherung vorzulegen. Nur so mulieren. lungen verantwortlich gemacht – bei öf- könne man die kumulative Wirkung der Blauäugig hatte es Ulla Schmidt („Wir fentlichen Auftritten, selbst vor der eige- verschiedenen Zumutungen beurteilen und Politiker geben ja nur den gesetzlichen nen Parteibasis, muss sich die in der damit vermeiden, dass eine bestimmte ge-

UMFRAGE: SPD TNS Infratest für den SPIEGEL vom 10. bis 12. Februar; rund 1000 Befragte

„Erwarten Sie, dass die Regie- „Wie beurteilen Sie die neue „Wer ist derzeit der rung das Reformtempo beibehält Arbeitsteilung in der SPD bestimmende Mann in oder wird es Korrekturen am zwischen Franz Müntefering der deutschen Politik?“ Reformpaket geben?“ und Gerhard Schröder?“ es wird Korrekturen Anfang vom Ende der Gerhard geben Anhänger von: Kanzlerschaft Schröder CDU/ B’90/ Schröders CDU/ B’90/ CDU/ B’90/ gesamt SPD CSU Grüne FDP SPD CSU Grüne FDP SPD CSU Grüne FDP 72 % 70 74 80 87 53 % 27 63 25 74 44 % 73 37 63 49 Reformen werden fortgesetzt Befreiungsschlag für Reformpolitik Franz Müntefering 17 % 23 18 15 13 26 % 59 16 48 16 29 % 17 36 17 27 an 100 fehlende Prozent: „weiß nicht“; an 100 fehlende Prozent: „weiß nicht“; „spontan: beide“; an 100 fehlende Prozent: „weiß nicht“; keine Angabe „spontan: weder noch“; keine Angabe „spontan: keiner der beiden“

der spiegel 8/2004 23 Deutschland „Über Nacht weltberühmt“ Der künftige SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter steht vor einer unlösbaren Aufgabe: Er soll nichts ändern, aber alles anders machen als sein glückloser Vorgänger. Von Hartmut Palmer

r war nicht der Einzige, der gefragt Angelika amüsiert sich in kleinem Kreis ken im SPD-Präsidium, sagte schmallip- wurde. Aber der Erste, der sofort schon mal darüber, wie beharrlich die pig, man müsse ihm „eine Chance geben“. EJa sagte. Als am vorvergangenen Medienlegende wuchert. Und er? Lächelt. „Eine Chance von “, er- Freitag um 10.36 Uhr der Anruf von Keine Bestätigung, kein Dementi. widerte der Kanzler gequält, „das ist doch Franz Müntefering kam, griff Klaus Uwe Und jetzt – Generalsekretär. Nachfol- schon was!“ Benneter ohne Umschweife zu. Er muss- ger legendärer Sozialdemokraten: Holger , 81, der Benneter seinerzeit te noch nicht einmal seine Frau fragen: Börner, Hans-Jürgen Wischnewski, Peter als SPD-Bundesgeschäftsführer des Am- „Ich wusste, dass sie einverstanden ist. Glotz, Egon Bahr, Franz Müntefering. tes enthob, gibt sich inzwischen „amü- Wir kennen uns seit 27 Jahren.“ Große Schuhe für „Benni Bürgerschreck“ siert darüber“, dass der von ihm einst Hat ihn die Offerte überrascht? „Ei- aus Zehlendorf. Gefeuerte jetzt seinen Stuhl besetzt. So gentlich nicht“, sagt er. Und dass Gerhard Für ihn ist es zunächst einmal ein bio- ähnlich hat er es auch in einem Gratula- Schröder sich aus dem Willy-Brandt-Haus grafischer Triumph: Ausgerechnet er, der tionsbrief an den Erwählten formuliert: zurückzieht und Müntefering Parteichef 1977 als Juso-Chef abgesetzt wurde, weil „Ich hoffe, Du weißt, dass Du es meinem wird? Vieldeutiges Schweigen. Soll das er Aktionsbündnisse mit Kommunisten Rausschmiss verdankst, dass Du jetzt heißen, dass er früher als alle anderen in nicht entschieden genug ablehnte, steht mein Nachfolger wirst.“ den Überraschungscoup eingeweiht war? nun ganz oben an der Spitze der Partei, die Immer noch rätseln die Genossen, wer Soll es wohl. Aber Benneter, 56, wür- ihn damals verstieß. Bald einer ihrer mäch- die Personalie ausgeheckt hat. Dass Mün- de sich hüten, das jemals so zu sagen. tigsten und wichtigsten Führungsleute. tefering allein die glorreiche Idee hatte, Kein klares Ja, kein klares Nein. Nur ein „Reichlich kurios“, sagt er selbst. wie er und Schröder behaupten, glaubt Augenzwinkern. So ist er: ein Meister der Andere sehen es drastischer. „Unbe- eigentlich niemand. Vermutlich fiel Ben- Andeutung, ein Virtuose der Unklarheit. greiflich“ und „unverständlich“, sagen neters Name irgendwann bei den sich Irgendwann hört er mitten im Satz zu viele Genossen und – hinter vorgehalte- über Wochen hinziehenden Gesprächen reden auf und lächelt Löcher in die Luft. ner Hand und verschlossenen Fraktions- zwischen Kanzler und Fraktionschef, als Alles ist nun denkbar. Und auch wieder- türen – auch Regierungsmitglieder. die beiden hin und her überlegten, wer um nichts. Und dann spielt es keine Rol- Als er am vorletzten Sonnabend in den denn überhaupt als Nachfolger für den le mehr, ob er wirklich etwas wusste. Ihm Führungsgremien vorgestellt wurde, gab glücklosen in Frage käme. genügt, dass man es für möglich hält. es keine Fragen. Niemand wollte etwas Sollte es eine Frau werden wie Ute Genau so einer wird jetzt gebraucht. von ihm wissen. Keiner fand die Perso- Vogt? Ein Dampfplauderer wie Sigmar Einer, bei dem man alles für möglich nalentscheidung sonderlich gelungen. Gabriel? Jemand von halblinks wie der hält. Dass er die frustrierten Funktionäre Andrea Nahles, 33, Wortführerin der Lin- Saarländer Reinhard Klimmt? Oder eben in den Landesverbänden tröstet und Benneter? streichelt und trotzdem hart an die Kan- Das blieb Müntefering vorbehalten. dare nimmt. Dass er sich um die Verlie- Die Auswahl, sagte Schröder nach der rer von Schröders Reform-Agenda küm- Vorstandssitzung, war „allein die Ent- mert: um wütende Rentner, verunsicher- scheidung des künftigen Parteivorsitzen- te Kranke, verzweifelte Arbeitslose und den“. Wenn es schief geht, heißt das im Sozialhilfeempfänger. Und trotzdem die Klartext, steht auch der Schuldige fest. Partei auf eben diesen Reformkurs ein- Kundige Genossen glauben, die Motive schwört. des Sauerländers zu kennen: Erstens scha- Er soll nichts ändern, aber alles anders de es nichts, wenn in der Parteispitze ei- machen, die Partei bewegen und dabei ner sitzt, von dem auch Schröder nichts auf Kurs halten. „Nichts beschönigen“, befürchten muss. Und zweitens habe „der sagt er selbst, „aber die Partei so aufstel- Franz es schon immer gern gehabt, wenn len, dass sie die Regierung stützt.“ Wie andere abnicken, was er will“, sagt einer das funktionieren soll, versucht er erst aus Schröders Kabinett. Benneter jeden- gar nicht zu erklären. falls werde ihm keine Probleme machen. Er gehört zu den „Frogs“, den „Friends Seit dem Rauswurf aus der Partei, in die of Gerd“, die bei Schröder ein- und aus- ihn 1983 Schröder mit Willy Brandts Hilfe gehen dürfen. Was ihm der Kanzler an- zurückholte, ist der Mann tatsächlich nie vertraut, behandelt der Rechtsanwalt und mehr angeeckt. Er wurde Lokalpolitiker, Notar wie ein Berufsgeheimnis. Gesundheitsstadtrat im Bezirk Zehlendorf, Selbst wenn sie über Fußball reden soll- und als solcher hat er, wie die „Süddeut- ten oder über Weiber – es sieht immer sche Zeitung“ einmal spottete, „Kolibak-

bedeutend aus, wenn sie beim Bier die PRESS / ACTION AXEL SCHMIDT terien im Stölpchensee zählen lassen und Köpfe zusammenstecken. Kanzler-Ver- Abgeordneter Benneter, Ehefrau Angelika die Berliner pflichtgemäß vor Durchfall trauter, Kanzler-Freund. Benneters Frau Virtuose der Unklarheit und anderen Erkrankungen gewarnt“.

24 der spiegel 8/2004 sellschaftliche Gruppe besonders stark be- lastet würde. Stattdessen werkelten im Sozialministe- rium die Beamten an so vielen verschie- denen Baustellen, dass der Chefin der Überblick verloren ging. Ihre Unterabtei- lung 22 („Krankenversicherung“) erhöhte die Kassenbeiträge auf Betriebsrenten. Die Unterabteilung 23 („Pflegeversicherung“) verdoppelte den Pflegebeitrag für Senio- ren, und die Unterabteilung 42 („Renten- versicherung“) verordnete den Ruhe- ständlern eine Nullrunde. Damit war genau das eingetreten, was Schröders engster Vertrauter befürchtet

KURT STRUMPF / AP STRUMPF KURT hatte – bei den Rentnern soll gleich dreimal Jungsozialisten Schröder, Benneter (1978): „Reichlich kurios“ zugelangt werden. Eilig wurde die über- forderte Genossin deshalb in die Regie- Mit Schröders Wahlhilfe kam er 2002 in • den ganzen „Sozialbereich“, in dem er rungszentrale einbestellt, um ihr Vorgehen den , wo er sofort Vorsitzender „noch viele Felder“ sehe, wo „lange zu erklären. Doch Klartext zu reden gehört des „Lügenausschusses“ wurde, der auf nicht genügend getan wurde“; nicht zu ihren Stärken. Antrag der Opposition vorsätzlich falsche • „typische Kennzeichen einer kapitalis- „Hast du das verstanden?“, fragte der Wahlaussagen der Regierung aufdecken tischen Politik“, etwa „wenn man Kanzler während des Treffens mit der sollte. Dank Benneters einschläfernder meint, den Rentnern die versproche- Ministerin seinen Adlatus, und Steinmeier Verhandlungsführung verloren die Anklä- nen Zahlungen wegnehmen zu kön- bekannte: „Kein Wort.“ Am Tag darauf ger bald ihren Schwung. nen, gleichzeitig aber nicht in der Lage stoppte Schröder kurzerhand die Pflege- Auf Vorschusslorbeeren kann der de- ist, von Herrn Flick eine Milliarde pläne der Ulla Schmidt, die spätestens seit signierte Parteigeneral dennoch nicht hof- Mark Steuern eintreiben zu können“. diesem Zeitpunkt auf der Liste der gefähr- fen. Dazu ist die Lage einfach zu schlimm. Schöne, markige Sätze und – von Flick deten Kabinettskollegen geführt wird. Er weiß ja, was auf ihn zukommt. Hat mal abgesehen – immer noch aktuell. Das gilt ebenso für ihre Sitznachbarin nicht der Generalsekretär Müntefering Und alles O-Ton Benneter aus dem Jahre zur Linken, die glücklose Bildungs- und selbst den Satz geprägt: Man sei im ersten 1977. Damals mühte er sich noch um Jahr allenfalls Sekretär, später General- den Nachweis, dass im kapitalistischen Sozialministerin Schmidt sekretär und irgendwann vielleicht auch Staat nicht die gewählten Regierungen Überblick verloren mal General? den Ton angeben, sondern das „Mono- Für Benneter ist es noch vertrackter: polkapital“. Müntefering wird für die Talkshows im Weil dies damals auch in der DDR und Fernsehen und die großen Linien zustän- bei der DKP so gesehen wurde und die dig sein. Das tägliche Geschäft in der Partei- leninistische Theorie vom „Staatsmono- zentrale besorgt als Bundesgeschäftsführer polistischen Kapitalismus“ abgekürzt dessen engster Vertrauter Kajo Wasser- „Stamokap“ hieß, nannte man Benneter hövel. Zwischen „General“ Münte und einen Kommunisten und seine Truppe „Sekretär“ Wasserhövel passt aber kein die „Stamokap-Fraktion“. Stück Papier, geschweige denn ein „Ge- Und als der Juso-Vorsitzende eines Ta- neralsekretär“. Reisen wird Benneter müs- ges auch noch erklärte, er habe nichts ge- sen, in die Provinz, zu den Landesfürsten gen Kooperationen mit den Kommunis- und den Landesgeschäftsführern. „Ich ten, weil für ihn „die Mitgliedschaft in

werde nach innen wirken“, sagt er. Be- der SPD kein Dogma“ sei, flog er aus der OSSENBRINK FRANK scheiden will er dabei bleiben und wenn’s Partei. Das machte ihn, wie er rück- geht wenigstens in Berlin, „gelegentlich blickend zu scherzen pflegt, „über Nacht Ulla Schmidt Beurteilung weiter mit öffentlichen Verkehrsmitteln weltberühmt“. auf einer Skala von fahren“ statt mit dem Dienst-Audi-A8. Der eigentliche Profiteur des Raus- –0,3 + 5 (sehr gut) bis Ja, wenn er noch so reden könnte wie schmisses aber war Gerhard Schröder. Er – 5 (sehr schlecht) Forschungsminis- früher, als er auf Juso-Kongressen und in rückte als Juso-Chef nach, und wäre das Sept. terin Edelgard Bul- 2003 Febr. –1,6 Interviews über den regierenden SPD- nicht passiert, säße er heute womöglich 2004 mahn, die ihren Job Kanzler Helmut Schmidt ablästerte. Da- nicht im Kanzleramt. Benneters Abstieg Quelle: Forschungsgruppe bisher im Stil einer mit würde er auch heute Furore machen war der Anfang vom Aufstieg Schröders. Wahlen Arbeitsbiene erledigte – wie . Und vielleicht Benneter hat stets zu ihm gehalten. eifrig, aber weitgehend un- auch die sozialdemokratische Seele wär- Auch als Schröder 1998 zum Entsetzen bemerkt von der Öffentlichkeit. Weil der men, mit Sätzen wie diesen über: der Linken die „neue Mitte“ erfand, Kanzler nach all den freudlosen Zumutun- • den SPD-Kanzler, in dessen Politik stand der Berliner Linke ihm treu zur Sei- gen seiner Reformpolitik mit dem Thema „für mich und viele andere keinerlei te. Und schon damals redete er so, wie Innovation und Zukunft punkten möchte, sozialdemokratische Inhalte mehr er- Schröder es sich von einem SPD-Gene- hat sich die Arbeitsplatzbeschreibung der kennbar sind“; ralsekretär nur wünschen kann. Neue früheren Lehrerin dramatisch verändert: Mitte? Für Benni kein Problem: „Wobei Bulmahn ist vom Rand des Kabinetts in Weitere Informationen unter ich mir dann natürlich sage, dass die links den Mittelpunkt gerückt – doch die www.spiegel.de/dossiers von der alten sein muss.“ plötzliche Aufmerksamkeit ist ihr offenbar so schlecht bekommen, dass sie im Kanz- leramt bereits als Totalausfall bewertet

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Der dafür zuständige Minister ist inzwi- schen gleich mehrfach angezählt. Nach der Hamburg-Wahl am 29.Februar und noch vor der Sommerpause wird er aller Vor- aussicht nach abgelöst. „Können Sie sich im Ernst vorstellen“, fragt ein Vertrauter des Kanzlers, „dass man mit einer Neube- setzung des Kabinetts ein Aufbruchssignal aussenden könnte, wenn Eichel bleibt?“ Der vormalige Regierungschef aus Hes- sen hat das Kämpfen bereits eingestellt. Von seiner früheren Leutseligkeit ist kaum noch etwas zu spüren; bei seiner Reise zum G-7-Finanzministergipfel nach Florida vor zehn Tagen war er nervös und wortkarg, das übliche Hintergrundgespräch auf dem Rückflug fand nicht mehr statt. Dem empfindsamen Ressortleiter Fi- nanzen fehlt die Elefantenhaut seines Kollegen Manfred Stolpe, der gleichfalls verstanden hat, dass er zu den Wackel- kandidaten der Runde zählt und sich mit seinen immer neuen Ultimaten an das

G RESER & LENZ G RESER & LENZ Maut-Konsortium Toll Collect zunehmend FRANKFURTER ALLGEMEINE lächerlich macht. Aber das scheint ihn we- nig anzufechten. wird. Selbst im kleinen Kreis wirkt Bul- hat, die offenbar einen beträchtlichen Um einen möglichen Rauswurf beizei- mahn unsicher und fahrig. Die Tochter ei- Einfluss auf den angeschlagenen Minister ten medial abzufedern, hat Stolpe in der ner Friseurin und eines Binnenschiffers ausüben. Seine Kritiker halten ihm vor, vergangenen Woche zwar vorsorglich an- gehört zu den Ministern, die sich mit Elan dass er sich zu sehr von seinen Beratern ab- gedeutet, es werde vor der Wahl 2006 un- in ihr Thema eingraben, aber sich irgend- hängig mache. ter Umständen zu einer Kabinettsumbil- wann im Gestrüpp verheddern. Noch un- So empfindet man ihn in wachsendem dung kommen – ein Rücktritt ist für ihn terstützt sie der Kanzler „von Herzen“, Maße als Getriebenen des eigenen Appa- aber undenkbar: Leute aus Pommern, ver- wie er am vorletzten Dienstag bei einem rats, dessen Angehörige sich in der Ber- steift sich der gebürtige Stettiner, „laufen Innovationskongress wissen ließ – doch die liner Bürokratenhierarchie als Elite be- nicht weg“. demonstrative Geste, mit der er Gerüchte greifen. Eichels Ministeriale legen es als Wie immer der Kanzler im Einzelnen über eine bevorstehende Ablösung der Schwäche aus, sich politischen Rücksicht- zu einem Stühlerücken in seiner Regie- blassen Ministerin („schlicht falsch“) de- nahmen zu beugen. Ihnen ist eine saubere rungsmannschaft stehen mag – erschwe- mentierte, sorgte bei den anwesenden Ex- Finanzsystematik allemal wichtiger. Und rend kommt für ihn hinzu, dass es von perten eher für gegenteilige Prognosen. den Chef betrachten sie dabei als einen ih- der Partei schlicht erwartet wird. Je eher, Auch , die einstmals größte rer Helfer. desto besser. Ein monatelanges Zögern Stütze im Kabinett, ist Gerhard Schröder Kein Wunder, dass das Ministerium viel kann sich Schröder, der sich nur ungern längst zur schweren Bürde geworden. Der zu spät die politische Brisanz der „Putz- zu Personalentscheidungen drängen lässt, Kanzler macht den Parteifreund, der ihm frauen-Affäre“ begriff, die Eichels Mann- kaum mehr leisten. genau gegenübersitzt, für den Fehlstart schaft selbst ausgelöst hatte, indem sie den Die einzelnen Strömungen der SPD nach der Wahl verantwortlich, von dem Gesetzentwurf eines Referenten ins Inter- pochen mittlerweile darauf, bei der Ro- sich die Regierung seitdem nicht erholt net stellte. Sie unterschätzte dabei chade entsprechend berücksichtigt zu wer- hat. Vor allem Eichel sei es gewe- sträflich, welchen Wirbel die den – und hier vor allem die Bundes- sen, so lautet der zentrale Vor- Hans Eichel Kriminalisierung von Millio- tagsfraktion. Deren Mitglieder fühlen wurf, der im Herbst 2002 die Ko- Beurteilung nen Haushalten auslösen sich bei Kabinettsbesetzungen grundsätz- auf einer Skala von alitionsverhandlungen in reine +1,0 + 5 (sehr gut) bis würde. lich übergangen. Etatgespräche verwandelt und – 5 (sehr schlecht) Die Gruppe der „Netzwer- Sept. die Wähler mit seinem „Steu- 2002 ker“, ein Zusammenschluss ervergünstigungsabbaugesetz“ Jan. 2004 jüngerer Genossen, fordert des- Quelle: nachhaltig verärgert habe. Der Forschungs- –1,0 gleichen eine angemessene Re- Kanzler hält das für die schwerste gruppe Wahlen präsentation – angesichts des und bislang folgenreichste Panne sei- beträchtlichen Durchschnittsal- ner Amtszeit. ters von Schröders Truppe, das Und so ist der ehemalige Star nur noch mit derzeit 58 Jahren nahe an eine tragische Gestalt, der Glanz vom „Ei- der Pensionsgrenze von Staats- sernen Hans“ längst erloschen. Die Eigen- dienern liegt, kein unbilliges schaften, die ihn so populär machten, wer- Verlangen. den jetzt gegen ihn verwandt. Der sparsa- In den Sachfragen will der me Kassenwart sei eben ein „Fiskalist“, Bundeskanzler dagegen hart kein Finanzpolitiker, sondern ein Finanz- bleiben und ist sich zumindest buchhalter. darin mit Müntefering einig: Misstrauisch wird im Kanzleramt dar- Was bereits im Gesetzblatt

über hinaus beobachtet, dass sich Eichel PRESS / ACTION AXEL SCHMIDT steht, wird nicht mehr verän- mit einer Reihe von Beratern umgeben Finanzminister Eichel: Glanz erloschen dert. Dafür soll überall dort

26 der spiegel 8/2004 nachgebessert werden, wo die Konzepte an der Parteispitze jeden von Schröders Vergangenheit anzugehören. Stattdessen noch nicht fertig gestellt oder erst mitten in Schritten mit Argwohn. Die Kritiker ha- beschränkt man sich auf rein geschäfts- der parlamentarischen Beratung sind. So ben eine Doppelstrategie verabredet: Der mäßige Kontakte mit anschließendem könnten alle Seiten ihr Gesicht wahren, neue Messias Müntefering soll nicht be- Fernsehauftritt oder schnelle Telefonate – hoffen die Strategen in Kanzleramt und schädigt, der Kanzler gleichwohl nicht ge- eingehendere Beratungen gibt es nur noch Fraktion. schont werden. dann, wenn der Problemstau allzu dicht Die Lasten für die arg gezausten Rentner Zu besichtigen ist eine Partei in Lauer- geworden ist. beispielsweise sollen noch vor der Ham- stellung. „Wir bewegen uns auf dünnem Der Kanzler steht seinem Vize mittler- burg-Wahl gemildert werden: Eis“, sagt die hessische Landeschefin und weile deutlich reserviert gegenüber. Fi- • Um die langfristigen Abstriche an den notorische Kanzler-Kritikerin Andrea Yp- scher, der sein Ministerdasein als eine ein- Ruhestandsbezügen abzufedern, soll silanti. „Der Druck an der Basis ist immer zige große Fernreise erlebt, sorgte in den eine so genannte Niveausicherungs- noch groß.“ vergangenen Monaten nicht für die politi- klausel in die Rentenformel eingefügt Für viele Genossen ist klar: Der halbierte sche Rückendeckung, die ein geschwächter werden. Danach müssen die Altersgelder Gerhard Schröder hat nur eine kurze Regierungschef erwartet hatte. auch noch in 20 Jahren mindestens 43 Schonfrist. „Die Regierung darf die Hoff- Diverse grüne Politiker forderten aus- Prozent des Bruttogehalts der Beschäf- nungen der SPD-Anhänger auf einen Neu- gerechnet in jener Woche, in der sich in tigten ausmachen. anfang nicht enttäuschen“, bestätigt Nie- den Ländern eine putschartige Stimmung • Um eine zu starke Belastung von Be- dersachsens Landeschef Wolfgang Jüttner. gegen Schröder aufbaute, mehr Reformen. triebsrenten zu verhindern, will die SPD- „Die SPD hat nur eine Chance, wenn der „Wenn man sieht, dem anderen geht es Fraktion – auch wenn die Führung das Kanzler den Parteichef Müntefering als gerade nicht so gut“, so der Kanzler im derzeit noch nicht laut sagen will – die gleichwertigen Partner begreift.“ Kreis seiner Getreuen, „dann macht man geplante Reform der Rentenbesteuerung Hinter den Kulissen bereiten sich die das nicht.“ nachbessern. Geplant ist unter anderem, Landesfürsten bereits intensiv auf den Auch das Verhältnis des Regierungschefs zu seinem Superminister und gleichzeitig stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Wolf- gang Clement ist gestört – womöglich gar irreparabel. „Ich kann das nicht mittragen, ich finde das falsch“, hatte der am vorvergangenen Samstag auf der Sitzung des SPD-Präsidi- ums gesagt, als es um Münteferings Aufstieg ging, und für eine Neuwahl des gesamten Führungsgremiums plädiert. Er jedenfalls wolle unter den vorgegebenen Bedingun- gen sein Amt „nicht weiter ausüben“. In die angespannte Stille hinein wurde der Bundeskanzler deutlich. „Wolfgang, ich habe eine sehr persönliche Bitte an dich, die kannst du mir nicht abschlagen.“ Er erwarte, so Schröder, „dass du das mit- trägst“. Clement nahm schweigend seinen Mantel und schwänzte die anschließende Vorstandssitzung. Und selbst bei der Koalitionsrunde am vorigen Freitag im Reichstag ging der grol- lende Westfale demonstrativ auf Distanz zu seiner Partei. Er sei gegen die geplante „Ausbildungsplatzabgabe“, gab er einmal mehr zu Protokoll: „Ich halte das für kon-

PATRICK LUX / DDP LUX PATRICK traproduktiv.“ Und dann jener Satz, der Kanzler Schröder, Genossen (am vorigen Freitag in Koblenz): Partei in Lauerstellung keinen Raum für Kompromisse ließ: „Ich vertrete eine andere Auffassung.“ Er sei einen gesonderten Freibetrag für Fir- Sonderparteitag in Berlin Ende März vor. „in reservatio, aber loyal“. menpensionen einzuführen. Sie setzen auf ein deutliches Signal für Jedenfalls hat das sozialdemokratische • Die Regierung möchte darüber hinaus inhaltliche Korrekturen an Schröders bis- Spitzentrio Grund zur Sorge. „Wer an Cle- den Pflegebeitrag für kinderlose Arbeit- herigem Kurs. ment rüttelt, muss wissen, dass er damit die nehmer von derzeit 0,85 auf 0,95 Prozent Noch nie war der Kanzler so einsam wie Statik der Koalition gefährdet“, so Stein- erhöhen. Der Arbeitgeberbeitrag dage- nach seinem freiwilligen Verzicht auf das meier. „Unverzichtbar“ sei Clement, sagt gen soll auf dem bisherigen Niveau ver- SPD-Spitzenamt. Im Vorstand wird er bald Franz Müntefering. „Ich hab die Bitte, dass bleiben. Im Gegenzug erhalten Versi- nur noch „Gast“-Status haben. Selbst Hel- er bleibt“, bekräftigt noch einmal der cherte, die momentan Kinder erziehen mut Schmidt gehörte als Vize dem Partei- Kanzler. oder früher erzogen haben, einen Bo- Führungszirkel an. Die gute Nachricht für Gerhard Schrö- nus: Bei der Berechnung der Sozial- Und auch innerhalb der Koalition steht der: Wolfgang Clement wird dem ent- beiträge soll künftig ein Kinderfreibetrag Schröder im Kern auf sich gestellt da. Die sprechen. Die schlechte: Keiner weiß, wie von 250 Euro berücksichtigt werden. Wer Beziehung zu ist erkaltet. lange. Petra Bornhöft, normal verdient, würde dadurch um Die vertraulichen Männergespräche von Konstantin von Hammerstein, Martina Hildebrandt, Horand Knaup, rund zwei Euro pro Monat entlastet. Kanzler und Vizekanzler, die in den ersten Roland Nelles, Alexander Neubacher, Vor allem die Landesfürsten beobachte- Jahren der damals neuen Regierung die Gabor Steingart ten auch in der Woche nach dem Urknall Atmosphäre beherrschten, scheinen der

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