Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Inhaltsverzeichnis, Abbildungsverzeichnis, Tabellenverzeichnis

Teilband 1

Inhaltsverzeichnis

Einleitung ...... 15

1 Grundinformationen ...... 17 1.1 Charakterisierung, Erscheinungsbild ...... 17 1.1.1 Feld- und Wiesenraine ...... 17 1.1.2 Ranken, Stufenraine ...... 18 1.1.3 Wege und Wegränder ...... 18 1.1.4 Hohlwege ...... 19 1.1.5 Lesesteinformen ...... 21 1.1.6 Trockenmauern ...... 23 1.2 Abgrenzung zu anderen Lebensraumtypen, Wirkungsbereich ...... 24 1.3 Standortverhältnisse ...... 25 1.3.1 Ausgangsgestein, Substrateigenschaften ...... 25 1.3.1.1 Ranken, Böschungen, Erdwege ...... 26 1.3.1.2 Hohlwege ...... 29 1.3.1.3 Lesesteinformen ...... 29 1.3.1.4 Trockenmauern ...... 30 1.3.2 Mikroklima, Exposition ...... 32 1.3.2.1 Flachraine, Weg(e)ränder ...... 32 1.3.2.2 Ranken, Böschungen ...... 32 1.3.2.3 Steilwände (Lößböschungen, Hohlwege, Mauern) ...... 35 1.3.2.4 Lesesteinformen ...... 35 1.3.3 Nährstoffverhältnisse ...... 36 1.4 Pflanzenwelt ...... 37 1.4.1 Pflanzenökologische Grundlagen ...... 37 1.4.1.1 Rainvegetation im Klima- und Seehöhengefälle ...... 38 1.4.1.2 Vegetationsdifferenzierung und Exposition ...... 38 1.4.1.3 Nährstoff- und substratgeprägte Vegetationsausbildungen ...... 41 1.4.1.4 Nutzungsgeprägte Vegetationsdifferenzierung ...... 44 1.4.1.4.1 Durch Stoffeinträge und mechanische Störungen geprägte Ausbildungen ...... 45 1.4.1.4.2 Durch Mahd und Beweidung geprägte Vegetation ...... 47 1.4.1.4.3 Durch Feuer geprägte Vegetation ...... 47 1.4.1.4.4 Durch Feldgras-Wechselwirtschaft geprägte Vegetation ...... 47 1.4.1.5 Zur Ansiedlungsgeschichte und Ausbreitungsbiologie in Agrotop-Phytozönosen ...... 48 1.4.2 Charakteristische Pflanzengesellschaften ...... 49 1.4.2.1 Ackerwildkrautfluren ...... 50 1.4.2.2 Kurzlebige bis ausdauernde Ruderalfluren ...... 50 1.4.2.3 Trittpflanzengesellschaften ...... 53 1.4.2.4 Wiesenartige Raine ...... 53 1.4.2.5 Magerrasenartige Rainbestände ...... 54 1.4.2.6 Wärmeliebende Säume ...... 57

5 1.4.2.7 Schlagfluren ...... 57 1.4.2.8 Mauerfugengesellschaften ...... 57 1.4.2.9 Steinfluren undSteinschuttgesellschaften ...... 58 1.4.2.10 Agrotoptypische Heckenfragmente und Einzelgehölze ...... 58 1.4.2.11 Moose und Flechten ...... 59 1.4.3 Zur Ökologie und Bestandesdynamik naturschutzvorrangiger Pflanzenarten ...... 62 1.5 Tierökologische Grundlagen ...... 81 1.5.1 Einfluß agrotop-immanenter Eigenschaften auf Habitatqualität und Zusammensetzung der Fauna ...... 82 1.5.1.1 Einfluß abiotischer Faktoren ...... 82 1.5.1.2 Vegetationsbedingte Habitatdifferenzierung ...... 83 1.5.1.3 Einfluß der Dimension auf den Tierartenbesatz ...... 86 1.5.1.4 Einfluß der Faunentradition ...... 88 1.5.1.5 Einfluß von Sonderstrukturen ...... 88 1.5.2 Einfluß des Agrotop-Umfeldes ...... 91 1.5.3 Tierökologische Kriterien für Verbundsysteme ...... 92 1.5.3.1 Tages- und jahreszeitliche Bewegungsmuster von Tieren in der Agrarlandschaft . . 92 1.5.3.2 Mögliche Auswirkungen der Raumstruktur auf Territorialität, Besiedlungsdichte und jahreszeitliche Migration ...... 95 1.5.3.3 Mögliche Barrierenwirkung von Linearbiotopen ...... 101 1.5.3.4 Anmerkungen zur Migration ...... 102 1.5.4 Beispiele wertbestimmender Tierarten (Ziel- oder Schlüsselarten) ...... 102 1.5.4.1 Säugetiere ...... 103 1.5.4.2 Vögel ...... 104 1.5.4.3 Reptilien ...... 109 1.5.4.4 Schmetterlinge ...... 111 1.5.4.5 Heuschrecken ...... 118 1.5.4.6 Hautflügler ...... 121 1.5.4.7 Käfer ...... 126 1.5.4.8 Spinnen ...... 128 1.5.4.9 Schnecken ...... 129 1.6 Traditionelle Bewirtschaftung ...... 132 1.6.1 Historische und sozioökonomische Rahmenbedingungen ...... 132 1.6.1.1 Flurstrukturen und Grenzlinienagrotope ...... 132 1.6.1.1.1 Streifen- und blockförmige Gewannfluren ...... 133 1.6.1.1.2 Langstreifenkomplexe und Waldhufenfluren der Nord- ostbayerischen Mittelgebirge ...... 136 1.6.1.1.3 Realteilungsfluren ...... 137 1.6.1.2 Historische Wegesysteme ...... 138 1.6.1.3 Der historische Weinbau ...... 141 1.6.2 Entstehung, topographische Einbindung und Agrotopgefüge ...... 141 1.6.2.1 Agrotopgefüge und differenzierte Bodennutzung im Rahmen überlieferter Flurverfassungen und Anbautraditionen ...... 141 1.6.2.2 Ackerterrassen, Stufenraine ...... 143 1.6.2.3 Erd- und Graswege, Hohlwege ...... 144 1.6.2.4 Lesesteinformen ...... 144 1.6.3 Traditionelle Nutzung, Pflege, Instandhaltung ...... 145 1.6.3.1 Begrasen und Beweiden ...... 145 1.6.3.2 Traditioneller Wegebau, Triftwesen ...... 146 1.6.3.3 Steinwälle und Trockenmauern ...... 148

6 1.7 Für die Existenz wesentliche Lebensbedingungen ...... 149 1.7.1 Anforderungen an Raumstruktur, Vernetzung, Nischenangebot ...... 149 1.7.2 Anthropogen bedingte Störungen und dynamische Prozesse ...... 151 1.7.3 Angebot von Nährstoffressourcen ...... 153 1.8 Verbreitung ...... 154 1.8.1 Landesweiter Überblick ...... 155 1.8.2 Naturräumliche Verteilung ...... 155 1.8.2.1 Raine und Ranken ...... 155 1.8.2.2 Hohlwege ...... 161 1.8.2.3 Lesesteinformen und Trockenmauern ...... 163 1.8.2.4 Kleinstrukturkomplexe ...... 166 1.8.3 Verteilung auf die Landkreise ...... 168 1.9 Bedeutung für Naturschutz und Landschaftspflege ...... 174 1.9.1 Arterhaltung ...... 174 1.9.1.1 Arterhaltung Pflanzenwelt - Bedeutung für den botanischen Artenschutz . . . . . 174 1.9.1.2 Arterhaltung Tierwelt - Bedeutung für den zoologischen Artenschutz ...... 179 1.9.2 Zur Bedeutung der Agrotope als Schädlingsregulativ für angrenzende landwirtschaftliche Nutzflächen ...... 182 1.9.2.1 Agrotope als Reservoir von Schad- und Nutzorganismen ...... 183 1.9.2.2 Agrotope als "Relais" für mobile Breitbandprädatoren ...... 184 1.9.2.3 Schädlings-Nützlingsdynamik am Beispiel der Blattlaus-Prädatoren ...... 184 1.9.3 Bedeutung für die abiotischen Ressourcen (Naturgüter) ...... 185 1.9.3.1 Mikroklima ...... 186 1.9.3.2 Wasserhaushalt ...... 186 1.9.3.3 Bodenschutz ...... 186 1.9.4 Landschaftsbild, landschaftliche Eigenart ...... 189 1.9.5 Erd- und Heimatgeschichte ...... 190 1.9.5.1 Agrotope als Leitfossilien der traditionellen Kulturlandschaft ...... 191 1.9.5.2 Agrotope als Hort mundartlicher Überlieferungen ...... 193 1.10 Bewertung einzelner Flächen, Objekte und Fluren ...... 194 1.10.1 Vorhandene und bereits praktizierte Bewertungsansätze ...... 194 1.10.1.1 Kleinstrukturbewertung und "Öko-bilanz" in der ländlichen Entwicklung . . . . . 194 1.10.1.2 Weitere Bewertungsansätze fürKleinstrukturen ...... 197 1.10.1.3 Bewertung von Hohlwegen nach FISCHER (1982) ...... 198 1.10.1.4 Bewertung von Mosaiklandschaften mit der "Sigma-Methode" nach SCHWABE-BRAUN (1985) ...... 199 1.10.1.5 Bewertung von Weinbergsstrukturen nach SCHMIDT (1985) ...... 199 1.10.1.6 Bewertung historischer Kulturlandschaftselemente nach GUNZELMANN (1987) ...... 200 1.10.1.7 Weitere Ansätze zur Bewertung kulturlandschaftlicher Qualitäten ...... 201 1.10.2 Empfehlungen zur Bewertung ...... 202 1.10.2.1 Gesamtbewertung von Fluren und Flurteilen ...... 203 1.10.2.2 Bewertung der "Vernetzung" innerhalb einer Flur ...... 204 1.10.2.3 Bewertung einzelner Elemente ...... 205 1.11 Gefährdung, Rückgang, Zustand ...... 207 1.11.1 Gefährdung ...... 207 1.11.1.1 Direkt wirkende Faktoren ...... 208 1.11.1.1.1 Feldflurbereinigung ...... 208 1.11.1.1.2 Weinbergsflurbereinigung ...... 215 1.11.1.1.3 Eigenbereinigung ...... 220

7 1.11.1.1.4 Flurwegeausbau ...... 221 1.11.1.1.5 Baulanderschließung ...... 227 1.11.1.2 Indirekt wirkende Faktoren ...... 228 1.11.1.2.1 Nährstoffeinträge ...... 228 1.11.1.2.2 Biozideinträge ...... 233 1.11.1.2.3 "Wilde Ablagerungen" ...... 235 1.11.2 Rückgang ...... 236 1.11.2.1 Raine und Ranken ...... 236 1.11.2.2 Hohlwege und alte Flurwege ...... 238 1.11.2.3 Trockenmauern und Steinriegel ...... 239 1.11.2.4 Biotopverluste (historische Vergleiche) ...... 239 1.11.3 Zustand ...... 244 1.11.3.1 Raumstruktur des Agrotopsystems (Vernetzungszustand) ...... 245 1.11.3.2 Zustand in biozönotischer und ökochemischer Hinsicht ...... 248 1.11.3.3 Zustand der Flur in ästhetischer und kulturlandschaftlich-funktionaler Hinsicht . . 251

Teilband 2

2 Möglichkeiten für Pflege und Entwicklung ...... 267

2.1 Bewirtschaftungs- und Pflegealternativen ...... 267 2.1.1 Mahd, allgemeine Auswirkungen auf die Pflanzen- und Tierwelt ...... 267 2.1.2 Beweidung ...... 272 2.1.3 Mulchen ...... 275 2.1.4 Abflämmen, Rotationspflege ...... 276 2.1.5 Entbuschen, Gehölzpflege auf Agrotopstandorten ...... 278 2.1.6 Mechanische Störungen durch benachbarten Feldbau ...... 280 2.1.7 Nachlegen von Lesesteinen ...... 281 2.1.8 Unterhaltungspflege an Trockenmauern ...... 281 2.2 Ungelenkte Entwicklung, Auflassung ...... 281 2.2.1 Brache- und Auflassungsfolgen für Vegetation und Flora ...... 282 2.2.2 Brache- und Auflassungsfolgen für die Fauna ...... 296 2.2.3 Brache- und Auflassungsfolgen für Boden, Wasser, Landschaftsbild . . . . . 297 2.3 Nutzungsumwidmungen ...... 299 2.3.1 Umwidmungen durch Erstaufforstungen ...... 299 2.3.2 Innerlandwirtschaftliche Nutzungsumwidmungen ...... 302 2.3.3 Nutzflächenextensivierung ...... 311 2.3.4 Umwidmungen zu außerlandwirtschaftlichen Zwecken ...... 323 2.4 Pufferung ...... 326 2.4.1 Abpufferung anderer Lebensräume durch Agrotope ...... 326 2.4.2 Puffermöglichkeiten und Pufferbedarf von Agrotopen ...... 328 2.5 Wiederherstellung und Neuanlage ...... 330 2.5.1 Ausgangssituation, Rahmenbedingungen der Wiederherstellung ...... 331 2.5.2 Praxisberichte ...... 332

8 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Inhaltsverzeichnis, Abbildungsverzeichnis, Tabellenverzeichnis

1.9 Bedeutung für Naturschutz und Landschaftspflege ...... 174 1.9.1 Arterhaltung ...... 174 1.9.2 Zur Bedeutung der Agrotope als Schädlingsregulativ für angrenzende landwirtschaftliche Nutzflächen ...... 182 1.9.3 Bedeutung für die abiotischen Ressourcen (Naturgüter) ...... 185 1.9.4 Landschaftsbild, landschaftliche Eigenart ...... 189 1.9.5 Erd- und Heimatgeschichte ...... 190 1.10 Bewertung einzelner Flächen, Objekte und Fluren ...... 194 1.10.1 Vorhandene und bereits praktizierte Bewertungsansätze ...... 194 1.10.2 Empfehlungen zur Bewertung ...... 202 1.11 Gefährdung, Rückgang, Zustand ...... 207 1.11.1 Gefährdung ...... 207 1.11.2 Rückgang ...... 236 1.11.3 Zustand ...... 244

Teilband 2

2 Möglichkeiten für Pflege und Entwicklung ...... 267

2.1 Bewirtschaftungs- und Pflegealternativen ...... 267 2.1.1 Mahd, allgemeine Auswirkungen auf die Pflanzen- und Tierwelt ...... 267 2.1.1.1 Handmahd mit der Sense ...... 271 2.1.1.2 Maschinelle Mahd ...... 271 2.1.2 Beweidung ...... 272 2.1.2.1 Mitbeweidung schlaginterner Agrotope ...... 273 2.1.2.2 Pflockweide ...... 274 2.1.2.3 Triftweide ...... 274 2.1.3 Mulchen ...... 275 2.1.4 Abflämmen, Rotationspflege ...... 276 2.1.5 Entbuschen, Gehölzpflege auf Agrotopstandorten ...... 278 2.1.6 Mechanische Störungen durch benachbarten Feldbau ...... 280 2.1.6.1 Gelegentliches Befahren ...... 280 2.1.6.2 Gelegentliches Aufreißen, Umbrechen, Überschütten ...... 281 2.1.6.3 Selektives "Jäten" ...... 281 2.1.7 Nachlegen von Lesesteinen ...... 281 2.1.8 Unterhaltungspflege an Trockenmauern ...... 281 2.2 Ungelenkte Entwicklung, Auflassung ...... 281 2.2.1 Brache- und Auflassungsfolgen für Vegetation und Flora ...... 282 2.2.1.1 Raine i. w. S...... 283 2.2.1.1.1 Rohbodenbrachen, Ackerbrachen, ruderale Brachestadien ...... 283 2.2.1.1.2 Grünlandbrachen ...... 287 2.2.1.1.3 Weinbergsbrachen ...... 287 2.2.1.1.4 Gehölzbrachen, Vorwaldstadien ...... 292 2.2.1.1.5 "Problempflanzen" bei Sukzessionsvorgängen ...... 293

258 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Inhaltsverzeichnis, Abbildungsverzeichnis, Tabellenverzeichnis

2.2.1.2 Hohlwege ...... 294 2.2.1.3 Lesesteinhaufen, Steinriegel ...... 295 2.2.1.4 Trockenmauern ...... 296 2.2.2 Brache- und Auflassungsfolgen für die Fauna ...... 296 2.2.3 Brache- und Auflassungsfolgen für Boden, Wasser, Landschaftsbild . . . . . 297 2.3 Nutzungsumwidmungen ...... 299 2.3.1 Umwidmungen durch Erstaufforstungen ...... 299 2.3.2 Innerlandwirtschaftliche Nutzungsumwidmungen ...... 302 2.3.2.1 Mögliche Folgewirkungen von Arrondierung und Rationalisierung ...... 302 2.3.2.2 Vergrünlandung ehemaliger Ackerterrassen ...... 307 2.3.2.3 Umnutzung zu Spalierobst- und Streuobstbeständen ...... 307 2.3.2.4 Landwirtschaftlicher Wegeausbau ...... 309 2.3.3 Nutzflächenextensivierung ...... 311 2.3.3.1 Integrierter Pflanzenbau ...... 313 2.3.3.2 Ökologischer Landbau ...... 314 2.3.3.2.1 Auswirkungen auf Vegetation und Flora ...... 315 2.3.3.2.2 Auswirkungen auf die Tierwelt ...... 319 2.3.4 Umwidmungen zu außerlandwirtschaftlichen Zwecken ...... 323 2.3.4.1 Umwidmungen zu Freizeit- und Erholungszwecken ...... 323 2.3.4.2 Übernahme neuer heimat- und umweltdidaktischer Aufgaben ...... 324 2.3.4.3 Umwidmung zu Wildäckern, jagdlichen Ruhezonen ...... 325 2.3.4.4 Umwidmungen in nicht landwirtschaftliche Sonderkulturen ...... 325 2.4 Pufferung ...... 326 2.4.1 Abpufferung anderer Lebensräume durch Agrotope ...... 326 2.4.2 Puffermöglichkeiten und Pufferbedarf von Agrotopen ...... 328 2.5 Wiederherstellung und Neuanlage ...... 330 2.5.1 Ausgangssituation, Rahmenbedingungen der Wiederherstellung ...... 331 2.5.2 Praxisberichte ...... 332 2.5.2.1 Anlegen von Brachestreifen und Säumen ...... 333 2.5.2.2 Verpflanzung von Altrainen und Lesesteinriegeln ...... 336 2.5.2.2.1 Auswirkungen der Verpflanzung auf die Tierwelt ...... 337 2.5.2.2.2 Auswirkungen der Verpflanzung auf Vegetation und Flora ...... 338 2.5.2.3 Wiederherstellung von Lesesteinriegeln ...... 339 2.5.2.4 Sanierung von Hohlwegen ...... 341 2.5.2.5 Wiederherstellung, Anlage von Trockenmauern ...... 341 2.5.2.6 Anlage von Böschungsmagerrasen ...... 343 2.5.2.7 Ökologische Flurumgestaltung ...... 346 2.6 Biotopverbund ...... 350 2.6.1 Begriffe ...... 351 2.6.2 Zur Verbund-Situation der heutigen Agrarlandschaft ...... 352 2.6.3 Empirische Erkenntnisse der Verbundforschung in Agrarlandschaften . . . 353 2.6.4 Mögliche Verbundstrategien, Planungs- und Handlungsalternativen . . . . . 355 2.6.4.1 Mögliche räumliche Konfigurationen ("Raummuster") ...... 355 2.6.4.2 Möglichkeiten zum Aufbau regionaler (lokaler) Biototopverbundsysteme . . . . 356 2.6.5 Kritische Anmerkungen ...... 359

3 Situation und Problematik der Pflege und Entwicklung ...... 361 3.1 Praxis ...... 361

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3.1.1 Pflegepraxis in der Landwirtschaft ...... 361 3.1.2 Pflegepraxis durch Gemeinden und Landkreise (Naturschutz und Landschaftspflege) ...... 361 3.2 Meinungsbild ...... 364 3.2.1 Gesetzgebung/ übergeordnete Planungsvorgaben ...... 365 3.2.2 Meinungsbild Bauern/ Winzer ...... 366 3.2.3 Bevölkerungsquerschnitt ...... 367 3.2.4 Kirchen/ Kirchliche Grundbesitzer ...... 368 3.2.5 Flurbereinigungstechniker/ Agraringenieure ...... 369 3.2.5.1 Zur Wirtschaftlichkeit von Flurwegen ...... 370 3.2.5.2 Zur Wirtschaftlichkeit von Schlaggrößen und Parzellenformen ...... 371 3.2.6 Flurbereinigungskritiker/ Naturschützer/ Landschaftsökologen ...... 372 3.3 Räumliche Defizite ...... 374 3.3.1 Kennzeichen von Agrotopdefiziträumen ...... 374 3.3.2 Zur Verteilung von räumlichen Defiziten ...... 374 3.3.3 Defizitbereiche erosionshemmender Strukturen ...... 378 3.3.4 Defizite und Risikofaktoren in der räumlichen Zusammenschau ...... 381 3.4 Durchführungsprobleme ...... 381 3.4.1 Defizite bei der Inventarisierung und Bewertung von Klein- und Saumbiotopen ...... 381 3.4.2 Konflikte mit der Landwirtschaft ...... 383 3.4.3 Konflikte mit der Flurbereinigungspraxis ...... 384 3.4.4 Technische und organisatorische Defizite ...... 384 3.4.5 Koordinationsdefizite in der Raumplanung ...... 385 3.4.6 Defizite hinsichtlich Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ...... 386 3.4.7 Defizite bei der Finanzmittelausstattung ...... 386

4 Pflege- und Entwicklungskonzept ...... 389 4.1 Grundsätze ...... 389 4.1.1 Grundsätze zur Bewahrung ...... 389 4.1.2 Grundsätze zur ländlichen Neuordnung und Neuentwicklung ...... 390 4.1.3 Grundsätze zur Pflege und Ausgestaltung (Handlungsschwerpunkte) . . . . . 392 4.1.4 Grundsätze zur Umsetzung ...... 393 4.2 Handlungs- und Maßnahmenkonzept ...... 394 4.2.1 Entwicklungsleitbilder und Pflegeziele ...... 394 4.2.1.1 Ökologische Grundausstattung bayerischer Fluren ...... 394 4.2.1.2 Konzepte und Leitbilder zur Flurbereicherung und Stabilisierung der Agrarland- schaft ...... 398 4.2.1.2.1 Ökologische Flursanierung über Saumbiotope ...... 398 4.2.1.2.2 Flursanierung im Rahmen der Stillegung und Extensivierung ...... 403 4.2.1.3 Konzepte und Leitbilder für unterschiedliche agrarräumliche Ausgangssituatio- nen ...... 405 4.2.2 Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen ...... 429 4.2.2.1 Nutzung und Pflege (typenübergreifender Maßnahmen-Katalog) ...... 429 4.2.2.1.1 Mahd ...... 429

260 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Inhaltsverzeichnis, Abbildungsverzeichnis, Tabellenverzeichnis

4.2.2.1.2 Beweidung ...... 431 4.2.2.1.3 Entbuschen ...... 432 4.2.2.1.4 Gehölzpflege ...... 433 4.2.2.1.5 Kombinations- und Rotationsverfahren ...... 434 4.2.2.1.6 Sonstige Pflegemaßnahmen ...... 435 4.2.2.2 Ausgestaltung, Nutzung und Pflege spezifischer Agrotoptypen ...... 439 4.2.2.2.1 Raine und Ranken ...... 439 4.2.2.2.2 Erd- und Grünwege ...... 441 4.2.2.2.3 Hohlwege ...... 441 4.2.2.2.4 Lesesteinformen ...... 442 4.2.2.2.5 Trockenmauern ...... 443 4.2.2.2.6 Kleinstruktur-/ Lebensraumkomplexe ...... 444 4.2.2.3 Artenhilfsmaßnahmen ...... 445 4.2.2.3.1 Artenhilfsmaßnahmen für konzeptbestimmende Pflanzenarten (Artengruppen) 445 4.2.2.3.2 Artenhilfsmaßnahmen für konzeptbestimmende Tierarten (Artengruppen) . . . 450 4.2.3 Pufferung und Vernetzung ...... 452 4.2.3.1 Gestaltung von Pufferstreifen und Vernetzungskorridoren ...... 452 4.2.3.2 Hinweise zur Anlage von Acker- und Wiesenrandstreifen ...... 452 4.2.4 Restitution und Neuschaffung ...... 453 4.2.4.1 Restitution von Rainen und Ranken ...... 453 4.2.4.2 Wiederherstellung magerer Böschungsrasen (Abschieben des Oberbodens, Ansaat) ...... 454 4.2.4.3 Neugestaltung erosionsgefährdeter Hanglagen/ Bewahrung kulturlandschaftli- cher Eigenart ...... 457 4.2.4.4 Restitution von Wegen, Hohlwegsanierung/ Perspektiven der Wegeplanung . . . . 459 4.2.4.5 Sanierung und Wiederaufbau von Trockenmauern ...... 462 4.2.4.6 Trockenmauervarianten, Steinschüttungen, Lesesteinbiotope ...... 464 4.2.5 Flankierende Maßnahmen ...... 465 4.3 Räumliche Schwerpunkte nach Landkreisen ...... 467 4.3.1 Herleitung der Schwerpunktgebiete ...... 468 4.3.2 Pflege- und Entwicklungsschwerpunkte, Landkreisspiegel ...... 468 4.4 Pflege- und Entwicklungsmodelle ...... 500 4.4.1 Pflege- und Entwicklungsmodelle für Einzelobjekte (Agrotoptypen-bezogen) ...... 500 4.4.2 Pflege- und Entwicklungsmodelle für die Gesamtflur ...... 501 4.4.3 Pflege- und Entwicklungsmodelle in der Zusammenschau ...... 507

5 Technische und organisatorische Hinweise ...... 509 5.1 Technik der Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen ...... 509 5.1.1 Mähgeräte zur Pflege von Rainen, Ranken und Böschungen ...... 509 5.1.2 Sonstige Pflegegeräte und Techniken (Gehölzschnitt, Entbuschen, Feuereinsatz) ...... 509 5.1.3 Verlagerung von Rainen, Ranken, Steinriegeln ...... 510 5.1.4 Terrassenbau ...... 510 5.1.5 Technische Maßnahmen, Hinweise zur Erhaltung des Steillagen-Weinbaus . 511 5.2 Organisation und Förderung ...... 512 5.2.1 Organisation der Agrotoppflege ...... 512 5.2.1.1 Agrotoppflege auf kommunaler und regionaler Ebene (Gebietskörperschaften, Verbände) ...... 512 5.2.1.2 Agrotope in der Ländlichen Entwicklung und Bauleitplanung ...... 513

261 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Inhaltsverzeichnis, Abbildungsverzeichnis, Tabellenverzeichnis

5.2.1.3 Rückgewinnung von Feld- und Weg-rainen in der Gemeinde für Naturschutzauf- gaben ...... 516 5.2.2 Öffentlichkeitsarbeit ...... 516 5.2.3 Förderung ...... 518 5.2.3.1 Naturschutz-Programme der Bayerischen Staatsregierung ...... 518 5.2.3.2 Sonstige Förderprogramme, Projekte und Initiativen ...... 519 5.3 Fachliche und wissenschaftliche Betreuung ...... 520

6 Anhang ...... 523 6.1 Literaturverzeichnis ...... 523 6.2 Mündliche / briefliche Mitteilungen ...... 591 6.3 Empfehlenswertes Informationsmaterial zum Lebensraumtyp Agrotope . . . . . 593 6.4 Gesetze und Verordnungen ...... 593 6.5 Abkürzungsverzeichnis ...... 594 6.6 Verzeichnis der Land- und Stadtkreise Bayerns ...... 596

262 Abbildungsverzeichnis

Abb. 1/1: Profil eines Ackerterrassen- und Rankensystems mit natürlicher Abtragungstendenz . . 18 Abb. 1/2: Unbefestigter Feldweg (EWALD 1978: 109) ...... 19 Abb. 1/3: Idealprofile der Hohlwegformen (DENECKE 1969: 61) ...... 20 Abb. 1/4: Spurenbündel in der landwirtschafltichen Flur (nach DENECKE 1969: 64) ...... 21 Abb. 1/5: Höhe von Lesesteinstufen in Beziehung zum Gefälle (HAHN 1985: 93) ...... 22 Abb. 1/6: Profil eines Lesesteinrankens zwischen hangparallelen Ackerterrassen ...... 22 Abb. 1/7: Koppelung von Hecken und Feldrainen mit Lesesteinriegeln in unbereinigten Gemar- kungen der Nördlichen Frankenalb (HAHN 1985: 93) ...... 23 Abb. 1/8: Trockenmauer im Längs- und Querschnitt ...... 23 Abb. 1/9: Aussagebereiche der Agrotoppflege ...... 24 Abb. 1/10: Hecken-Rankendichte in Abhängigkeit vom geologischen Untergrund und der Feld- größe (REIF et al. 1982) ...... 26 Abb. 1/11: Profil einer Böschung unter einem Parallelacker (REIF et al. 1982, nach KUHN 1953) ...... 28 Abb. 1/12: Lesesteinriegel mit weitgehend steinfreiem "Erdkern" (WAGNER 1961: 127) . . . . . 30 Abb. 1/13: Schematischer Querschnitt durch zwei Steinriegel im Muschelkalk (BREIDER 1968: 207) ...... 30 Abb. 1/14: Typische geologische Verhältnisse und Geländeausbildung in den fränkischen Wein- baugebieten (nach WITTMANN 1985: 18) ...... 31 Abb. 1/15: Vergleich eines bewaldeten und eines ackerbaulich genutzten Hanges mit Stufen- rainen (BARTHEL 1992: 55) ...... 33 Abb. 1/16: Temperaturschichtung über vegetationslosem Schiefergrus ...... 34 Abb. 1/17: Veränderung der Windrichtung an einer Hangterrasse (HÄCKEL 1990, veränd.) . . . . 35 Abb. 1/18: Tagesgänge der Lufttemperatur und der relativen Luftfeuchtigkeit (15. Juli), gemessen an unterschiedlich exponierten Lößsteilwänden und im Wetterhaus (MIOTK 1979) ...... 35 Abb. 1/19: Pflanzenbestände auf Steinriegel im Bayerischen Wald (RINGLER et al. 1990: 78) . . . 39 Abb. 1/20: Strahlengenuß verschiedener Raingesellschaften im März (BARTHEL 1992: 110) . . . 40 Abb. 1/21: Schnitt durch nordostexponierten Lößhang (Pleintinger Lößterrassen) ...... 41 Abb. 1/22: Mittlere Nährstoffzahl (oben) und Mittlere Artenzahl (unten), untersucht für ver- schiedene Rain-Gesellschaften in der Oberpfalz (BARTHEL 1992): ...... 42 Abb. 1/23: Ökogramm der Saum- und Pioniergesellschaften, berechnet aus den mittleren Zei- gerwerten nach Ellenberg (1974) für Stickstoff (N-Wert) und Azidität (R-Wert), in KNOP & REIF (1982: 272) ...... 43 Abb. 1/24: Zeigerwertspektren von Rainarten (nach LINK 1988) für Feld- und Wegraine im westlichen Steigerwald ...... 44 Abb. 1/25: Vegetationsbestände/ Pflanzengesellschaften von Ackerhochrainen im Tertiärhü- gelland (RUTHSATZ & OTTE 1987); Artenzusammensetzung gewichtet nach Deckungsanteilen und pflanzensoziologischen Verbreitungsschwerpunkten ...... 45 Abb. 1/26: Mögliche Differenzierung der HERACLEUM SPHONDYLIUM/ANTHRISCUS SYLVE- STRIS-ARRHENATHERION/CONVOLVULO-AGROPYRION-Ausbildung (HEINDL 1991, veränd.) ...... 46 Abb. 1/27: Mittlere Deckung (Moose/Flechten) in Rain-Gesellschaften (BARTHEL 1992: 109) . . 60 Abb. 1/28: Agrotop-relevante Wuchsorte naturschutzwichtiger Pflanzenarten in der Zusam- menschau ...... 64 Abb. 1/29: "Effect of species richness" (ASSELIN 1988: 87) ...... 83 Abb. 1/30: Abundanzdiagramm von Transektbeobachtungen in Kalkmagerrasen-Lebensräu- men und Wegsäumen (BÖTTCHER et al. 1992: 279) ...... 85 Abb. 1/31: Einteilung der Blütenpflanzen der untersuchten Feldraine nach ihren wichtigsten Bestäubern (VELDE 1986: 165) ...... 86 Abb. 1/32: Verteilungsmuster der Aktivitätsdichten von Amara similata im Grenzbereich zwi- schen Winter-Raps und Winter-Gerste (PAUER 1975: 474) ...... 93 Abb. 1/33: Der Kurzflügelkäfer Philonthus fuscipennis meidet den Grenzbereich (Feldrain) zwischen Winter-Raps und Hafer (TOPP 1977: 44) ...... 96 Abb. 1/34: Der Kurzflügelkäfer Tachyporus hypnorum im Grenzbereich (Feldrain) zwischen Winter-Raps Weizen (TOPP 1977: 44) ...... 97 Abb. 1/35: Individuendichten ("density per square meter") im Weideland ("pasture") und im Randbereich ("border zone") (MAELFAIT et al. 1988) ...... 98

11 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Inhaltsverzeichnis, Abbildungsverzeichnis, Tabellenverzeichnis

Abb. 2/1: Übersicht möglicher Pflegemaßnahmen für verschiedenartige Agrotoptypen . . . . . 268 Abb. 2/2: Veränderungen des Mikroklimas durch die Mahd (SCHMIDT 1988: 96) ...... 269 Abb. 2/3: Überlebensraten der Tiergruppen nach der Saugmahd (WASNER 1987: 38) ...... 271 Abb. 2/4: Anteil überlebender Individuen nach Einsatz der drei verschiedenen Mähmaschinen (HEMMANN et al. 1987: 105) ...... 272 Abb. 2/5: Rotationsmodell zur Pflege parzellierter Rasenflächen (nach REICHHOFF & BÖHNERT 1978: 97) ...... 278 Abb. 2/6: Stadien der sekundären Sukzession von Wildgrasfluren des Vorderen Bayerischen Waldes (nach ZIELONKOWSKI 1973) ...... 284 Abb. 2/7: Entwicklungsreihe auf Glatthafer-Brachwiese (LETTMAIER 1980: 140) ...... 288 Abb. 2/8: Brache-Entwicklungen auf Rebflächen und Diasporeneintrag in Weinberg-Agrotope (Sukzessionsschemata nach MEISTER 1983, ULLMANN 1985) ...... 289 Abb. 2/9: Vegetations- und Bodendynamik einer Brache unter ungünstigen Standortvoraus- setzungen (nach RICHTER 1978) ...... 290 Abb. 2/10: Veränderungen im Artengefüge von Weinbergsbrachen im Verlauf von 4 Jahr- zehnten (HARD 1976: 137) ...... 291 Abb. 2/11: Vegetationszyklus einer Besenginsterheide (nach GERLACH et al. 1978) ...... 293 Abb. 2/12: Aufforstung von Grenzertragslagen im Bereich der Freibachleite bei Münchshausen (GLASHAUSER & WÖLFL 1992: 107/B) ...... 301 Abb. 2/13: Einengung des Fruchtartenspektrums im Zuge moderner Ackerbaumethoden . . . . . 303 Abb. 2/14: Acker- und Ruderalflora in Beziehung zu Kleinstrukturen der Umgebungsland- schaft in einem flurbereinigten (s. oben) und in einem nicht flurbereinigten (s. unten) Gebiet (nach WEBER 1975: 129) ...... 305 Abb. 2/15: Änderung der Landnutzung am Beispiel des Gebaberges/Thüringer Muschel- kalkrhön (KOUTNY 1992) ...... 308 Abb. 2/16: Bevorzugung unterschiedlicher Wirtschaftswegetypen durch verschiedene Tier- gruppen (MADER et al. 1988: 252) ...... 310 Abb. 2/17: Minimierung wertvoller Biotopkomponenten bei steigendem Ausbaustandard von Flurwegen (Flach- und Hohlwege) ...... 312 Abb. 2/18: Vergleich des Arteninventars auf Feldern alternativer und konventioneller Bewirt- schaftung (KÖNIG et al. 1989: 87) ...... 316 Abb. 2/19: Blockbilder der Ackervegetation auf zwei repräsentativen Testparzellen jeweils Ende Mai, Mitte und Ende August im konventionellen (links) und biologischem (rechts) Weizenfeld (AMMER et al. 1988: 282) ...... 317 Abb. 2/20: Transekt an der Grenze eines herbizidfrei bewirtschafteten und eines konventionell bewirtschafteten Feldes (VAN ELSEN 1991: 152) ...... 318 Abb. 2/21: Auftreten von Tagfaltern, Bienen und Hummeln auf Testquadraten im biologischen bzw. konventionellen Feld (AMMER et al. 1988: 284)...... 320 Abb. 2/22: Gruppenvergleich der Netzfänge für die im konventionellen bzw. biologischen Feld gesammelten Tiere (AMMER et al. 1988)...... 320 Abb. 2/23: Gesamtsumme der durch Netzfänge gesammelten Arthropoden im konventionellen bzw. biologischen Feld (a); Gesamtsumme ohne Blattläuse (b); Gesamtsumme der Blattläuse (c); Verteilung der Blattlausfänge auf die einzelnen Fangtage (d); (AMMER et al. 1988) ...... 321 Abb. 2/24: Einsatzbereiche für Schmalpuffer ...... 326 Abb. 2/25: Puffersituation 1: Noch intakter Trockenbiotop mit naturschutzbedeutsamen, ein- tragsempfindlichen Artenbeständen, Gefahr durch Einwehung von Agrochemikalien, durch Wendemanöver andwirtschaftlicher Maschinen und Ab- raum (Ernterückstände etc.) ...... 327 Abb. 2/26: Puffersituation 2: Biotop unterhalb abschwemmungsgefährdeter Nutzflächen , Ein- spülungsgefahr von Agrochemikalien und Feinerde ...... 327 Abb. 2/27: Puffersituation 3: ähnlich Situation 2, Abschirmung erfolgt jedoch nicht über einfa- che, sondern gestaffelte (multible) Pufferelemente ...... 328 Abb. 2/28: Stellung der Agrotope in einem abgestuften Pufferzonen-Konzept (nach RINGLER et al. 1990: 335) ...... 328 Abb. 2/29: Topographische Grundsituationen mit hohem Pufferbedarf für Agrotope ...... 329

263 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Inhaltsverzeichnis, Abbildungsverzeichnis, Tabellenverzeichnis

Abb. 2/30: Zonierte Pufferzone (10-20 m) um nährstoffarme Glatthaferwiese (nach HEUREICHER-PAUSCH 1990) ...... 330 Abb. 2/31: Restflächengestaltung an Wegen; Wegrandbreite in Abhängigkeit von der Nutzungs- art der angrenzenden Fläche (MÖLLER-RUWENSTROTH et al. 1984: 149) . . . . 332 Abb. 2/32: Südexponierte Böschung mit Halbtrockenrasen (MÖLLER-RUWENSTROTH et al. 1984: 151) ...... 332 Abb. 2/33: Bedeutung von neugeschaffenen Brachestreifen für die Arthropodenfauna im Ver- gleich zu andersartigen Strukturen und landwirtschaftlichen Nutzflächen (MESSINGER 1991b) ...... 333 Abb. 2/34: (Relative) Verbesserung der Strukturausstattung durch Brachstreifen und Brachflä- chen des Rebhuhnprogramms "Artenreiche Flur" (MESSLINGER 1991a) ...... 334 Abb. 2/35: Artenbestand von Untersuchungsfläche 2 ("Trittstein": neugeschobene Terrassen) im Vergleich zum Artenpotential des Hügellandes um Freinhausen (HAASE et al. 1990: 62) ...... 346 Abb. 2/36: Vergleich der Ausstattung des Untersuchungsgebietes "Pappelhof" mit Grenzlinien (Kontaktlebensräumen) (BETTINGER & MÖRSDORF 1989) ...... 347 Abb. 2/37: Tagfalter und Widderchen, Entwicklung der Gesamtartenzahlen und Beispiele zur Häufigkeit des Auftretens von Arten in Probeflächen (RECK 1992: 39)...... 350 Abb. 2/38: Energiegewinn verschiedener Einstrahlungsflächen des Pappelhofes (aus Büro für Landschaftsökologie 1988) ...... 350 Abb. 2/39: Aufbau eines Verbundsystems durch Trittsteine und Korridore, ausgehend von drei isolierten Teil-Lebensräumen (nach JEDICKE 1990: 70) ...... 351 Abb. 2/40: Lebensraum-Vernetzung durch Bereitstellen von Überwinterungs-Habitaten ver- schiedener Feldinsekten (nach TISCHLER 1984) ...... 352 Abb. 2/41: Kulturlandschaft um 1800 (nach RITSCHEL-KANDEL 1991) ...... 353 Abb. 2/42: Kulturlandschaft heute (nach RITSCHEL-KANDEL 1991) ...... 354 Abb. 2/43: klassische "Versaumung" der Flur: dichtes Netz an Schmalrainen in kleinparzelliger Agrarlandschaft mit hoher Kulturenvielfalt ...... 356 Abb. 2/44: Lebensraumvergrößerung und damit -annäherung durch (homogene) "Breitspur"- Vernetzung (MÜHLENBERG 1988, veränd.) ...... 357 Abb. 2/45: Besetzung zweier Habitinseln über einen (homogenen) Korridor durch Laufkäfer (nach MÜHLENBERG 1988) ...... 357 Abb. 2/46: Möglichkeiten der heterogenen Vernetzung ...... 357 Abb. 2/47: Hangleiten als Grundstrukturen eines Trocken-Verbundsystems im räumlich- funktionalen Bezug zu angrenzenden übergeordneten Bereichen (nach GROSS- MANN 1988) ...... 358 Abb. 2/48: Verteilung landkreisbedeutsamer Pflanzenarten auf Lebensraumtypen (nach GROSSMANN 1988) ...... 358 Abb. 3/1: Landschaftsgerechte Wegeführung von Haupt- und Nebenwirtschaftswegen (GLASHAUSER & WÖLFL 1992, nach PORTA 1983) ...... 370 Abb. 3/2: Potentieller mittlerer Jahresabtrag auf einem Lößboden in Abhängigkeit von Hang- länge und Hangneigung (RÖSER 1988: 31) ...... 378 Abb. 3/3: Räumliche Defizite und Risikofaktoren für den Agrotoprestbestand Bayerns . . . . . 380 Abb. 3/4: Verlust der Futterqualität bei überständigem Aufwuchs ...... 385 Abb. 4/1: Stellung und Lage natürlicher Ökotone ...... 395 Abb. 4/2: Ansatzpunkte für Entwicklungsmaßnahmen in der Flur ...... 396 Abb. 4/3: Entwicklung von Lebensräumen in der Flur ...... 397 Abb. 4/4: Ökologischer Solidarbeitrag in groß- und kleinparzelligen Agrarlandschaften . . . . 400 Abb. 4/5: Gestaltungsvorschlag für düngerintensive und -extensive Fluren ...... 401 Abb. 4/6: Austragsdämpfende Agrotope als Teil eines umfassenden Netzes landschaftsöko- logischer Entsorgungsbiotope ...... 402 Abb. 4/7: Bracherotation erzeugt Agrotope (Konzept der Brachereststreifen) ...... 404 Abb. 4/8: Planlose Streuung von Stillegungs- und Extensivierungsflächen (oben) und nach öko- logischen Kriterien koordinierter Verbund von Brachen und Extensivierungs- flächen (unten) ...... 406 Abb. 4/9: Leitbild für strukturarme Intensiv-Ackerlandschaft ...... 408 Abb. 4/10: Leitbild für Intensivgrünland-Gebiete ...... 409 Abb. 4/11: Leitbild für strukturarme Intensiv-Ackerlandschaft mit marginalen Extensiv- bereichen ...... 411

264 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Inhaltsverzeichnis, Abbildungsverzeichnis, Tabellenverzeichnis

Abb. 4/12: Leitbild für Intensivlandschaft mit Biotopzentren ...... 413 Abb. 4/13: Agrotope als Verbundelemente zwischen Magerrasen-Isolaten (fiktive Aggregation mehrerer Naturräume) ...... 414 Abb. 4/14: Isolierte Flankenheiden (oben) und Verbund-Agrotope (unten) ...... 416 Abb. 4/15: Verbund-Agrotope zwischen Talflanken und Trauf-Oberkanten ...... 417 Abb. 4/16: Isolierte Flachheiden (oben) und Verbund-Agrotope (unten) ...... 418 Abb. 4/17: Verbund-Agrotope zwischen Flankenheiden und Haldenzonen ...... 420 Abb. 4/18: Verbund-Agrotope in Sandgebieten (RINGLER 1987, veränd.) ...... 421 Abb. 4/19: Verbund-Agrotope in düngerextensivem Grünlandgebiet ...... 422 Abb. 4/20: Verbund-Agrotope in Extensivackerbau-Gebieten ...... 424 Abb. 4/21: Verbund-Agrotope in Rain- und Hecken-Verdichtungsgebieten ...... 426 Abb. 4/22: Idealtypischer Verbund von Offenland- und Wald-Saumbiotopen ...... 427 Abb. 4/23: Idealtypischer Verbund zwischen Flur und Dorf ...... 428 Abb. 4/24: Basismaßnahmen der Agrotoppflege ...... 430 Abb. 4/25: Zoologisch relevante Strukturelemente an freistehendem Holzzaun (nach PLACHTER & REICH 1989:88) ...... 436 Abb. 4/26: Gehölzpflanzung belebt leicht gewellte Ackerlandschaft: Kahlflur wird ökologisch angereichert, Reliefeigenschaften werden hervorgehoben (aus LPK-Band II.14 "Einzelbäume und Baumgruppen") ...... 438 Abb. 4/27: Richtige Durchgrünung von Kahlfluren: Geländeformen (wie z.B. Terrassenkanten, Dolinen) werden durch Flurgehölze verdeutlicht (aus LPK-Band II.14 "Einzel- bäume und Baumgruppen") ...... 439 Abb. 4/28: Streuobst auf Ackerterrassen (aus LPK-Band II.5 "Streuobst") ...... 440 Abb. 4/29: Lebensraumkomplexe/ Kleinstrukturrequisiten auf Lockersanden ...... 445 Abb. 4/30: Lebensraumkomplexe/ Kleinstrukturrequisiten auf mittelhartem Untergrund (z.B. Löß, Keupertone, weicherer Buntsandstein) ...... 446 Abb. 4/31: Lebensraumkomplexe/ Kleinstrukturrequisiten auf Hartgestein (z. B. Jura, Muschelkalk) ...... 447 Abb. 4/32: Lebensraumkomplexe/ Kleinstrukturrequisiten ...... 448 Abb. 4/33: Anordnung von Kleinterrassen und Dämmen (Banketten) in Zusammenhang mit Wegen und Gräben ("Vorflutleitungen") (MOSIMANN et al. 1991) ...... 457 Abb. 4/34: Schäden an Naturwegen und einfache Reparaturmaßnahmen (DENECKE 1969: 73) . 460 Abb. 4/35: Die richtigen Arbeitstechniken beim Aufbau einer Trockenmauer (oben); bereits eingewachsene "Galloway Hedge" (Trockenmauer mit Dornsträucher) (unten); (BROOKS 1989) ...... 462 Abb. 4/36: Herstellung einer freistehenden Mauer aus unregelmäßigem Schichtmauerwerk (NICKEL 1989: 101) ...... 463 Abb. 4/37: Stützmauer aus regelmäßigen und unregelmäßigen Bruchsteinen (DBV 1987: 7) . . . 464 Abb. 4/38: Verschiedenartige Mauerkronen (NICKL 1982: 102) ...... 465 Abb. 4/39: Muster eines Drahtschotterkastens mit Querschotten (links); dreifache Sicherheits- verdrillung (rechts); (BITZ 1979) ...... 466 Abb. 4/40: Anordnung von Drahtschottergabionen, Ausführung mit Bermen (links); mit ein- heitlicher Ansichtfläche (rechts); (BITZ 1979) ...... 466 Abb. 4/41: Freistehende "Steinburgen" aus unbehauenen Feldsteinen (BROOKS 1989) . . . . . 466 Abb. 4/42: Steinhalde an südexponiertem Hang (HUBER 1987) ...... 467 Abb. 4/43: Pflege- und Entwicklungskonzept Pleintinger Lößranken (nach ZEHLIUS et al.) 1992 ...... 502 Abb. 4/44: Erstpflege an Hohlwegen (nach SCHULDES 1991) ...... 504 Abb. 4/45: Folgepflege an Hohlwegen (nach SCHULDES 1991) ...... 505 Abb. 4/46: Pflegekonzept NSG "Pfaffenberg" (nach FRANKE 1986) ...... 506 Abb. 4/47: Rankenlandschaft Fälsching vor und nach der Neuordnung: die wichtigsten Ranken- komplexe bleiben erhalten ...... 507 Abb. 4/48: Umgestaltung des Versuchgeländes in Scheyern ...... 508 Abb. 5/1: Versetzen und Neuaufbau von Hecken und Rainen (UNGER 1981: 298) ...... 510 Abb. 5/2: Einmessen von Terrassenabstände mit einfachen Mitteln (KOBLET & FAUST 1974) 511 Abb. 5/3: Böschungsbau mit zusätzlicher Böschungsfußsicherung durch alte Hopfenstangen und Weidenfaschinen (ANKENBRAND 1989: 119) ...... 511 Abb. 5/4: Rationeller Traubentransport von Hand (KOBLET & FAUST 1974) ...... 512

265 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Inhaltsverzeichnis, Abbildungsverzeichnis, Tabellenverzeichnis

Abb. 5/5: Aufnahmeformular für Hecken und Steinwälle ("Cornish hedge survey card"), aus BROOKS (1989: 109) ...... 514 Abb. 5/6: Leitfaden einer Kulturlandschaftsanalyse und Beschreibung als Planungsgrundlage für die Flurneugestaltung (nach einem Entwurf von GLASHAUSER & WÖLFL 1992) ...... 515

Tabellenverzeichnis Tab. 2/1: Ausmaße der Brutlöcher von Zauneidechsen auf Sandwegen und befestigten Wegen (KRÜGER-HELLWIG 1992: 440) ...... 309 Tab. 2/2: Prozentualer Verlust anspruchsvoller Schnecken-Arten bei Verpflanzung von Hecken und Steinriegeln (RECK & KAULE, in Druck) ...... 338 Tab. 2/3: "Ähnlichkeits"-Dendrogramm nach van der Maarel et al. 1978 (KAULE et al. 1992) 340 Tab. 2/4: Ähnlichkeits-Index nach VAN DER MAAREL et al. 1978 am Beispiel einer nicht verpflanzten Referenz-Fläche ("O-Fläche") (KAULE et al. 1992) ...... 340 Tab. 2/5: Vergleich verschiedener Verpflanzungsmaßnahmen (RECK et al. 1992) ...... 341 Tab. 2/6: Vergleich der Untersuchungsfläche 1 ("Historische Ackerterrassen am Windsberg") und 2 ("Trittsteinbiotop": neugeschobene Terrassen) (HAASE et al. 1990: 69) . . . . 345 Tab. 3/1: Ausführungskosten der ländlichen Neuordnung in Bayern 1988 (Auswahl nach StMELF 1990) ...... 387 Tab. 4/1: Pflege- und Entwicklungsschwerpunkte in Bayern (fortzuschreibender Listenentwurf) ...... 469

266 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Einleitung

Einleitung

"Meine Heimat ist ein Fleckerlteppich mit reich- der 90er Jahre aufgreifend) innovativer Flurgestal- lich Säumen und Nähten." tung. Auch Technik und Organisation, vor allem (Bayerwald-Dichter Max Peinkofer) aber die Förderpraxis (Kap. 5) der Agrotoppflege Raine, Wege, Wegränder, Hohlwege, Lesesteinrie- müssen auf veränderte Rahmenbedingungen ent- gel, Weinbergsmauern ... der vorliegende LPK- sprechend flexibel reagieren können. Band beleuchtet all jene Lebensraumelemente, die Dabei muß außer Zweifel stehen: als Begleit-, Hilfs- oder Folgestrukturen der (zumin- • dest nach früheren Maßstäben intensiven) Boden- Das Maßnehmen an altbewährten oder histori- produktion entstanden und dieser lagemäßig und schen Strukturen kann auch zukunftsorientiert funktional unmittelbar zugeordnet sind. Man könnte sein. diese Grundgesamtheit als flureigene Säume oder • Gewachsene kulturlandschaftliche Strukturen flurinterne Kleinbiotope bezeichnen. sind keine Verschiebebahnhöfe für Nutzungs- Agrotope sind die flächensparendste und am wenig- trends, die vielleicht nur von kurzer Dauer sind. sten nutzungshemmende Form, Struktur- und Ar- • Ensemblewirkungen und geschichtliche Aussa- tenviefalt in der Flur unterzubringen. gekraft von Flurgefügen (die sich ja vornehmlich Der Terminus "Agrotope" schien uns am treffend- in ihren Saum- oder Agrotop-Konturen ausprä- sten und griffigsten, weil er gen), beanspruchen heute einen ähnlichen Stel- • lenwert wie Belange der Denkmalpflege. besser als der in der Flurbereinigung eingebür- • gerte Begriff "Kleinstrukturen" den entwick- Agrotope sind im Verständnis der bayerischen lungsgeschichtlichen Zusammenhang mit der Landschaftspflege nicht nur Reagens (Restflä- Agrikultur und die Bindung an "intensive" An- chenfüller), sondern auch Agens (Anstoßgeber, bauzonen ausdrückt; Determinanten) der Flurentwicklung und -neu- • ordnung. ähnlich knapp und eingängig ist wie "Biotop"; • • landläufig nicht als Biotop empfundene, aber Alte Hohlwege und Hochrainsysteme sind in der dennoch vernetzungswichtige Nutzungselemen- Regel viel älter als Streuwiesen! te wie Wege, Wegränder, ja sogar flurinterne Ansatzweise wird auch bereits bei der Flurneuord- "Ausfallstellen" oder Umfassungszonen von nung die Priorität respektiert: "Umlegung auch nach Flachsilos miteinschließt. Maßgabe nicht ohne weiteres ersetzbarer oder ver- Im Zentrum des vorliegenden Bandes stehen aber schiebbarer Agrotope" vor "Agrotopneuanlage oder "klassische" Schlaggrenzbiotope, Faserstrukturen, -transfer nach Maßgabe der Flurumlegung." also Raine im weiteren Sinne (unbestockte, lineare Um wievieles größer ist die biotische Ausstrahlung Kleinstrukturen). (Artenspenderfunktion) einer traditionsreichen Hecken als bestockte Linearbiotope wurden vor al- Altstruktur gegenüber einer Neuanlage! lem wegen der abweichenden Pflegeproblematik Gerade das ökologische Potential moderner Flä- und zur inhaltlichen Straffung in einen eigenen Band chenextensivierung und Stillegung lebt vom Indivi- "ausgeklinkt" und dort mit den Feldgehölzen zusam- duen- und Artenaustausch mit über lange Zeiträume mengefaßt. Verschiedene weitere Bausteine des eingespielten "Vorläuferstrukturen" in einer durch flureigenen Kleinstruktursystems wie etwa Dolinen, überkommene Nutzungsgefüge oftmals idealen Gesteinshärtlinge, Ackersölle und Feuchtsenken, Raumkonfiguration. Hügelgräber, Solitärbäume werden ebenfalls z.T. Der vorliegende Band versteht sich in erster Linie gesondert dargestellt und spielen erst wieder bei der als Diskussionsanstoß und als Handreichung, nicht Systemplanung (Kap. 4) auch in diesen Band herein. aber als Patentrezept oder gar Vorschrift für all jene, Agrotope sind enger als andere naturnahe Land- die Verantwortung für Heimatcharakter, Unver- schaftsbestandteile mit dem zumindest regional wechselbarkeit und biotische Reichhaltigkeit unse- höchst ungewissen Schicksal des Landbaus und der rer Fluren tragen. Angesprochen sind also vor allem Agrarlandschaft verknüpft. Ein "Festzurren" der Vertreter der Landwirtschaft und der Ländlichen Leitbilder und Pflegeziele allein an den Rahmenbe- Entwicklung (Flurbereinigung mit den Teilnehmer- dingungen der 80er und frühen 90er Jahre birgt das gemeinschaften und ihren Vorständen), genauso Risiko, daß viele Aussagen des vorliegenden Ban- aber auch umstellungs- oder umstrukturierungswil- des bald obsolet werden. lige Bauern und für die Belange der Kulturland- Der Band wurde daher also bis zu einem gewissen schaft sich engagierende Naturschützer. Grad "erschütterungsresistent" konzipiert. Zwar Keinesfalls ist er Programmschrift für eine Kompe- können die Grundlagendarstellung (Kap. 1), die bis- tenzausweitung des Naturschutzes in die ureigen- her beobachteten oder prognostizierten Auswirkun- sten Belange der Landwirtschaft - vielleicht aber gen bestimmter Gestaltungs- und Pflegemaßnah- Ausdruck einer selbstverständlicheren und für alle men (Kap. 2) und die bisherige landschaftspflegeri- Seiten konstruktiveren Zusammenarbeit. Der Land- sche Praxis (Kap. 3) kaum veralten, doch balanciert schaftspflege in der Agrarplanung und Ländlichen die Entwicklungskonzeption (Kap. 4) zwischen der Entwicklung soll nicht Konkurrenz gemacht, son- Pflege des Überkommenen (mit der Gefahr, von dern Flankenhilfe gegeben werden. veränderten Rahmenbedingungen überrollt zu wer- Viele Materialien und Anstöße erhielten wir vom den) und (die aktuellen agrarstrukturellen Trends Referat Landschaftspflege der Bayerischen Lan-

15 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Einleitung desanstalt für Bodenkultur und Pflanzenbau - stell- (Eggenfelden), Herrn ZEHLIUS (Freising), Herrn vertretend ein herzliches Dankeschön den Herren LIEPELT (Röttenbach), Herrn ELSNER (Rotten- UNGER und GIRSTENBREU. Wertvolle Anregun- stein), Herrn RÄTH (Aidhausen), Herrn DANNER gen schon für die ersten Entwürfe dieses Bandes (Ruhstorf), Herrn WARTNER (Landshut), Herrn verdanken wir den Fachleuten der bayerischen Flur- RUDOLPH (München), Herrn SCHMALE (Ans- bereinigungsverwaltung. Genannt seien die Herren bach). Dr. AULIG und Dr. STUMPF (München); von den Direktionen die Herren Dr. DÜNSING (Ansbach), Ein besonders herzliches Dankeschön an Herrn FISCHER (Würzburg), CLÜSSERATH (Regens- STAHL (Landesamt für Umweltschutz, München) burg), BORNEMANN und STERZER (Landau) so- für die mühevolle Aufbereitung agrotop-relevanter wie Frau HEIN (Bamberg). Daten aus der Biotopkartierung Bayern. Darüberhinaus haben zum Gelingen dieses Bandes Wichtig war auch das Gespräch mit den angestamm- eine Vielzahl weiterer Fachleute beigetragen (siehe ten Bewirtschaftern. Stellvertretend für alle Bauern mündliche und briefliche Hinweise in Kapitel 6.2). und Bäuerinnen sei den Herren BERCHTOLD und Für die zum Teil beträchtlichen Anstrengungen allen BRAUN sowie Frau OSTERMAIER (TAGWERK nochmals ein herzliches "Vergelt’s Gott!". Freising) gedankt. Für die Bearbeitung dieses Bandes wurde die bis Ende 1992 erschienene Literatur möglichst vollstän- Außer den Hauptverfassern Inge STEIDL und Al- dig, ab dem Jahr 1993 herausgegebene Literatur nur fred RINGLER (letzterer ergänzte vor allem Grund- noch ausnahmsweise berücksichtigt. Besonders hin- lagenkapitel und war entscheidend u.a. an der Erar- weisen möchten wir auf die sehr fundierte, bisher beitung der Leitbilder in Kap 4.2.1 sowie der Prio- aber noch selten berücksichtigte Fachliteratur aus ritätenkulisse in Kap. 4.3 beteiligt) wirkten am vor- den östlichen Nachbarländern (vor allem der ehem. liegenden Band maßgeblich mit: Christine DDR und CSFR) zu agrarökologischen Spezialthe- SCHMIDT und Walter RIEDERER (Urfassung, men wie z.B. "Schädlings-Nützlingsdynamik in flurgeographische Grundlagen), Markus BRÄU und stark synanthropen Lebensgemeinschaften" sowie Richard ENGELSCHALL (tierökologische Grund- auf die engl.-amerik. Grundlagendarstellungen zum lagen), Andreas BARTHEL (Pflanzengesellschaf- Biotopverbund aus tierökologischer Sicht. ten) sowie Dr. Volker WIRTH (Flechten). Eine Fülle von Daten verdanken wir auch der sog. Durch die graphischen Darstellungen von Jürgen "grauen" Literatur, darunter eine Vielzahl von sehr SUNDERMANN und Elmar WITTIG, insbesonde- ambitionierten Diplomarbeiten der Fachhochschule re aber von Martina KORZENIETZ, erfuhr der Weihenstephan (Abt. Freising und Triesdorf). Ein Band eine wesentliche Bereicherung. Wertvolle besonderer Dank den Herren Prof. Dr. STÖCKLEIN Mithilfe leisteten auch Kerstin REITER, Gabriele und Prof. Dr. MIOTK! Für aufschlußreiche Situati- BIRNER, Alexa MEYER, Elika NESTINGER, Su- onsschilderungen und Geländeführungen, wichtige sanne GERSTER und Ulrike TUCHNITZ. Literaturempfehlungen, fruchtbaren Gedankenaus- tausch und konstruktive Kritik danken wir insbeson- Ohne die sorgfältige Arbeit von Susanne ARNOLD dere: (Redaktion) hätte der vorliegende Band nicht in E. und J. WÖLFL (Pischlach), Frau SCHIMMEL- dieser Form entstehen können. PFENG (Regensburg), Frau RITTER (Korn- westheim), Frau Dr. RITSCHEL-KANDEL und Für die vielfältige Betreuung und Begleitung des Frau Chr. BRANDT (Würzburg), Herrn Dr. GUN- Bandes danken wir dem Auftraggeber, insbeson- ZELMANN (Bamberg), Herrn Prof. Dr. MEIE- dere den Herren MR D. MAYERL und D. SEDL- ROTT (Gerbrunn), Herrn Dr. ZAHLHEIMER MAYER, Herrn Dr. BRAUNHOFER, Herrn DIR- (Landshut), Herrn HERRE (Regensburg), Dr. MIL- SCHERL und nicht zuletzt Herrn M. GRAUVOGL, BRADT (Prönsdorf), Prof. Dr. BRANDES (Braun- der auch bei der Endredaktion konstruktiv mit Hand schweig), Herrn HENN (Stuttgart), Herrn RECK anlegte. (Stuttgart), Herrn LAUSSMANN (Freising), Herrn MESSLINGER (Flachslanden), Herrn ROSSTEU- Möge dieser Band aufrühren, ohne zu verprellen, SCHER (Schwebheim), Herrn REGNAT (Bopfin- unterstützen, was noch mehr Effet braucht. Möge er gen), Herrn RUPPERT und Herrn STRENG (Kitzin- dazu beitragen, Frontstellungen zwischen agraröko- gen), Herrn Dr. MADL (Vilshofen) und Herrn nomischen und landschaftsökologischen Positionen GAGGERMEIER (Deggendorf), Herrn STEIN aufzulösen, die ja nicht nur Ressorts trennen!

16 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

1 Grundinformationen

Gegenstand des ersten Hauptkapitels dieses Bandes 1.1 Charakterisierung, ist eine umfassende Beschreibung des Lebensraum- typs Agrotope in Bayern. Erscheinungsbild Begonnen wird mit einer allgemeinen Charakteri- Agrotope bilden zusammengenommen das Faser- sierung der im Band behandelten Agrotoptypen gerüst oder die Faserstruktur (lineare Kleinstruk- (Kap. 1.1). Es folgen Hinweise, welche Bezüge zu tur) der Agrarlandschaft.* In der angelsächsischen den umgebenden Nutzflächen bzw. zur Gesamtflur Fachliteratur werden sie den "line corridors" (vgl. herzustellen sind (Kap.1.2, S. 24). Das dritte Haupt- FORMAN & GODRON 1986) zugerechnet. kapitel (1.3, S. 25) befaßt sich mit den standörtlichen Verhältnissen in Agrotop-Lebensgemeinschaften. Die Typengliederung folgt in erster Linie morpho- logisch-agrarfunktionellen und nicht - wie in ande- Die beiden nächsten Hauptkapitel (1.4, S. 37 und ren Lebensraumtypen - vegetationsstrukturellen 1.5, S. 81) widmen sich der Pflanzen- und Tierwelt. Kriterien. Die Kurz-Monographien ausgewählter Arten bieten wichtige Hinweise für die praktische Pflege bzw. die Den Grundstock des Bandes bilden: Entwicklung entsprechender Rahmenbedingungen - Feld- und Wiesenraine (Flachraine) zugunsten der besonders schutzbedürftigen Lebe- - Ranken (Hochraine) wesen unserer Agrarlandschaft (vgl. "Zielartenkon- - Wege und Wegränder zept" bei HOVESTADT et al. 1991). - weitgehend unbestockte Hohlwege Im Hauptkapitel 1.6 (S.132) werden die traditionel- - Lesesteinformen (Steinhaufen und -riegel) len Nutzungsformen der Agrotope geschildert. Ein - Trockenmauern besonderes Gewicht kommt dabei der Darstellung des kulturgeschichtlichen und sozio-ökonomischen Hecken, Obstzeilen und Waldrandbiotope zählen Hintergrundes zu. ebenfalls zum Netz der Agrotope, spielen in diesem Im Kap.1.7 (S.149) sind die Faktoren und Einflüsse Band aber nur im Rahmen übergreifender Aussagen zusammengestellt, von denen der Fortbestand der (vgl. Kap. 4) gewissermaßen als "Netzanschlüsse" Agrotop-Lebensgemeinschaften existentiell abhän- eine Rolle. Die ebenfalls agrotoprelevanten LPK- gig ist. Jedes taugliche Konzept muß sich letztend- Bände II.5 "Streuobst", II.10 "Gräben", II.12 lich daran messen. "Hecken und Feldgehölze" sowie II.2 "Dämme, Dei- Im Hauptkapitel 1.8 (S.154) wird ein Überblick über che und Eisenbahnstrecken" liefern daher ergänzen- Schwerpunktvorkommen von Agrotopen in Bayern de Aussagen. gegeben. Dies geschieht sowohl auf der Ebene der Einen groben konzeptionellen Rahmen steckt der Naturräume (MEYNEN & SCHMITHÜSEN 1953- LPK-(Grundlagen)-Band I (Kap. 6) ab. Dort werden 1962) wie der Verwaltungseinheiten (Regierungsbe- die hier genauer behandelten Biotope in den Ge- zirke, Landkreise). samtzusammenhang der Saum- und Ökotonbiotope Hauptkapitel 1.9 (S.174) stellt die Bedeutung der der Kulturlandschaft gestellt. Agrotope für Naturschutz und Landschaftspflege heraus, wobei auch dem Schutz der abiotischen Res- 1.1.1 Feld- und Wiesenraine sourcen gebührender Raum eingeräumt wird. Im Hauptkapitel 1.10 (S.194) werden mögliche Kriteri- Als Raine bezeichnet man im allgemeinen die mit en für die Bewertung einzelner Agrotopbestände gras- und krautartigen Pflanzen bewachsenen, über- und des Gesamtgefüges angeboten. wiegend gehölzfreien Grenzstreifen entlang und Dem letzten Hauptkapitel der Grundinformationen zwischen landwirtschaftlich genutzten Parzellen (Kap.1.11, S.207), in dem die wichtigsten Gefähr- oder entlang von Wegen (KNOP 1982; WELLING dungsfaktoren genannt sind, kommt besonderes Ge- et al. 1987; LBP 1988; NdsUM 1988; StMLU 1989). wicht zu. Alles Engagement für den Agrotoprestbe- Die bäuerliche Bevölkerung versteht unter "Roi" stand Bayerns ist letztlich nur dann sinnvoll ange- oder "Roa" sowohl Raine i.e.S.** als auch steile legt, wenn es endlich gelingt, die vor Ort wirkenden (Weg)böschungen. Bedrohungen erfolgreich abzuwehren. In diesem Feld- und Wiesenraine im Sinne dieser Definition Kapitel wird aber auch Bilanz über die bereits statt- sind im allgemeinen Flachraine. Feldraine beglei- gefundene Zerstörung und Entwertung bäuerlicher ten die Ackerflächen als mehr oder weniger breite Kulturlandschaft gezogen. Streifen. Grünlandraine (Wiesenraine) kontrastie-

* Der Terminus "Kleinstruktur" hat sich im allg. Sprachgebrauch i.S. von "Kleinstrukturelement" eingebürgert. Korrekterweise meint "Struktur" immer die Gesamtheit von Elementen oder die strukturelle Aufgliederung eines Elements (was hier aber nicht gemeint ist). "Kleinstruktur" i.S. der Landschaftsplanung in der Flurbereinigung (AUWECK 1981) beinhaltet neben linearen u. zwickelhaften auch flächige Elemente. ** Rain: ein zwischen Ackerfeldern ungepflügt liegender Grenzstreifen, jeder Rand eines Stück Landes, besonders wenn er abhängig ("rainig") ist. Siehe auch "Rain-Stain"; "Raingenoß" (SCHMELLER 1985, II: 119). Die Stelle, wo Äcker und Wiesen aufeinan- derstoßen, wird (wurde) auch als "Somfleck" (Saumfleck) oder "Fürsaum" bezeichnet (SCHNETZ 1963).

17 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen ren optisch und vegetationskundlich im allgemeinen Euskirchen, Pforzheim und im Zartener Becken/ viel weniger mit den Nutzflächen als Ackerraine. Schwarzwald). In Bayern dürfte die Römerzeit ähn- Dafür können sie (insbesondere als zaunbegleiten- liche Spuren des frühen Ackerbaus in der Flur hin- de, extensiv genutzte Grünstreifen) in strukturar- terlassen haben, wenn auch bislang keine abgesi- men, intensiv genutzten Grünlandgebieten markante cherten Fundmeldungen dafür vorliegen. kleinmorphologische Akzente setzen. Wurden mehrere, am Hang übereinanderliegende In der flurgeographischen Diskussion wurden zwar Parzellen hangparallel bewirtschaftet, bildete sich "Raine" z.T. ausschließlich mit (Acker-) Längsgren- im Wechselspiel zwischen Bodenerosion und Pflug- zen gleichgesetzt (vgl. SCHAEFER 1957; EWALD arbeit eine Abfolge von Ackerterrassen und Ran- 1968); hier sollen aber auch die Quergrenzen unter ken aus. die Raine eingeordnet werden, da sich beide Typen Stellenweise wurden Lesesteine auf den Parzellen- in Struktur, Flora und Fauna nicht wesentlich von- grenzen abgelegt, so daß viele Stufenraine einem einander unterscheiden. Steinkern "aufsitzen". Dieser Steinkern ist häufig Feldraine überragen die Nutzflächen in ebenem Ge- von einer Schicht gut verwitterten Feinmaterials lände oft etwa 10 bis 30 cm. Diese leichte Erhöhung bedeckt. Solche "Steinranken" sind (ebenso wie ist darauf zurückzuführen, daß auf den (bearbeite- heckenbestockte Stufenraine) meist breiter und ten, periodisch offenliegenden) Ackerflächen der sanfter geböscht als solche, die lediglich mit Gras Abtrag eine stärkere Wirkung zeigt als auf dem bewachsen sind. Dies liegt daran, daß bei grasigen danebenliegenden grasbestandenen Rain. oder krautigen Rainen bis nahe an die Kante ge- Bei den Wiesenrainen ist eine Reliefierung wegen pflügt werden kann und damit die Stufe steil gehal- der stets vorhandenen Vegetationsdecke auf der ei- ten wird. gentlichen Nutzfläche kaum ausgeprägt und zeigt Im Profil ergibt sich eine flach geschwungene Ober- sich allenfalls bei zaunbegleitenden Grünstreifen fläche der Ackerterrasse, die vom Fuß der darüber- auf Weiden. Der Rain grenzt sich hier vom Nutzland liegenden Ackerterrasse bis zum unteren Ranken - insbesondere im Schutz von Zäunen - durch einen reicht. Am Stufenrain selbst wird die Bodenoberflä- häufig höheren Vegetationsbestand und eine anders- che fast horizontal ausgebildet Die Sprunghöhe zur artige Vegetationszusammensetzung ab. unteren Ackerterrasse kann mehrere Meter betra- gen. Die hangabwärts gerichtete Bodenverlagerung 1.1.2 Ranken, Stufenraine hat eine Akkumulation am Fuß des Stufenrains zur Folge (Ausbildung mächtiger Bodenprofile), Bei stärkerer Hangneigung sind die Raine häufig an während die Böschungsschulter am Oberhang Geländestufen gebunden, deren Sprunghöhe oft 0,5 meist sehr flachgründig ist (Abb. 1/1, S. 18). m überschreitet (daher auch der anschauliche Be- Sprunghöhe und Bodenakkumulation sind auf sol- griff "Stufenrain"). Andere Bezeichnungen sind chen Substraten am größten, bei denen der Boden- "Ranken", "Rangen"* und "Hochrain". Im Schwäbi- abtrag am stärksten ist, z.B. Löß und Röt. schen, Fränkischen und (Alt)bairischen werden sie Die Mächtigkeit der Akkumulation ist aber auch von auch "Hoaroim", "Hoarai", "Hoaroa", "Houchroa" Breite und Hangneigung der Terrassen abhängig: oder ähnlich genannt (SCHARLAU 1956/57; Sie ist bei großen Terrassenbreiten sowie bei stärker SCHAEFER 1957). geneigten Hängen am ausgeprägtesten. Bei Hängen Zum Alter von Ackerterrassen und Ranken lie- mit mehreren übereinanderliegenden Ranken neh- gen derzeit keine gesicherten bzw. übereinstimmen- men die Mächtigkeit der Bodenakkumulation sowie den Angaben vor. Nach EWALD (1968) kann die die Sprunghöhe der Stufen nach unten meist zu. Höhe der Stufen zur Altersbestimmung nicht heran- gezogen werden. JÄGER & SCHAPER (1961) hal- 1.1.3 Wege und Wegränder ten Ackerterrassen und Ranken für relativ junge Formen des Ackerbaus. HAVERSATH (1984) fand Im vorliegenden Band werden nur unbefestigte jedoch u. a. in der Nordeifel neben frühneuzeitlichen Gras- und Erdwege als naturschutzbedeutsame und hochmittelalterlichen Stufenrainen auch aus der Kleinstrukturtypen behandelt. Neben der eigentli- Römerzeit stammende Terrassensysteme (so bei chen, überwiegend vegetationsfreien Wegfläche (oft

Abbildung 1/1 Profil eines Ackerterrassen- und Ranken- systems mit natürlicher Abtragungsten- denz

* SCHMELLER (1985, II: 119) definiert den "Rangen" als "Berghang" oder "Halde".

18 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen nur als Weggeleise ausgebildet!) sind krautig-grasi- schaftlicher Nutzfläche erreicht selten 1 m; je nach ge Mittel- und Seitenstreifen wesentliche Elemente Ausbauvorschrift häufig nur 0,50 bis 0,70 m Breite der ländlichen Wirtschaftswege. (FREISE 1980). Als "Koutzeiln" wurde in Niederbayern und in der Das Erscheinungsbild der Wegraine wird entschei- Oberpfalz der Randstreifen von Äckern entlang der dend von der jeweiligen Nutzung (Mahd/Brache) Straße bezeichnet (Aigen am Inn, zit. in BÖCK sowie von der Bewirtschaftungsintensität der an- 1977). Der Pfad zwischen zwei Feldern wird im grenzenden Agrarflächen geprägt. Maintal örtlich auch "Qwella" genannt (zit. in HIN- ZE & DIEDERICHS 1980). 1.1.4 Hohlwege Erdwege sind in der Regel schmaler als befestigte Wege; sie zeigen keinen so abrupten Übergang von der "Nutzfläche" zu den Seitenstreifen. Meistens - Hohlwege werden (wurden) auch "Holen", "Klin- insbesondere aber in reliefiertem Gelände - sind sie gen"* (Franken), "Hohlgassen" (Oberpfalz, Ober- kurvenreicher als befestigte Wege und passen sich franken) oder "Kreppen" (Ober- und Niederbayern) damit mehr an die gegebenen Oberflächenformen an genannt. Auch der "Gasteig" im Münchner Osten (s. Abb. 1/2, S. 19). rührt möglicherweise vom "Gaißsteig" her und be- zeichnete ursprünglich einen triftartigen "Hohlweg, Das Wegeprofil eines herkömmlich genutzten (be- der auf eine Anhöhe, meist ein hohes Flußufer führt" fahrenen) Flurweges ist leicht eingetieft (niemals (SCHMELLER 1985, I: 954). aber überhöht, wie bei den neuerstellten, in der Regel stärker befestigten Flurwegen). Im Gegensatz Hohlwege haben sich also in allen Kulturlandschaf- zu diesen ist bei (alten) Erdwegen ein deutliches ten Bayerns herausgebildet, sie sind aber an Hang- Mikrorelief ausgebildet. oder Geländestufen, durchschneidenden Wegab- Traditionell errichtete, unbefestigte Flurwege ent- schnitten in veränderlich-festen Gesteinen (z.B. sprechen im Substrat der anstehenden Bodenart (im Dogger- und Keupersandsteine) und in Lößland- Gegensatz zu vielen befestigten Wegen, deren Rän- schaften besonders stark ausgeprägt. der und Böschungen aus ortsfremdem, aufgeschüt- Das äolische Sediment der letzten Eiszeit stellt ein tetem Boden bestehen). leicht erodierbares Material dar. Auf den unbefestig- Je nach Art und Intensität der Nutzung (Nutzungs- ten Wegen in Steillagen der Feldflur wurde das frequenz, Befahren mit schweren Maschinen etc.) Lößgefüge durch Befahren, Pferdehufe u. dgl. zer- existieren sämtliche Übergangsformen von der stört, so daß Niederschläge den Schwemmlöß hang- weitgehend vegetationsfreien, "festgefahrenen" abwärts verfrachten konnten. Im Laufe der Zeit tief- Schotterdecke bis zum selten beanspruchten Grün- ten sich die Wege immer weiter ein, wobei beidseitig weg mit mehr oder weniger stark eingetieften Gelei- hohe Wände entstanden. Wurden die Wege nicht sen. befestigt, verstärkte sich im Laufe der Zeit ihr kon- Wegränder sind die nicht zur Fahrbahn gehörenden kaves Profil immer mehr. Flächen von Wegen. Sie erscheinen zumeist als un- Tief eingeschnittene und reich verzweigte Hohlwe- genutzte, naturbelassene Raine und/oder Grünstrei- ge weisen in der Regel ein hohes Alter auf (WITT fen an Feld- und Wiesenwegen, ehemaligen Som- 1986b). Altersvergleiche sind allerdings nur zwi- merwegen oder Viehtriften. Zu den Wegerändern schen Hohlwegen in gleichem geologischem zählen häufig auch Wegeflächen nach Verrohrung, Substrat möglich, da die Tiefe der Hohlen auch von zugeschüttete Grabenparzellen u.ä." (NdsUM 1988: der "Standfestigkeit" des Ausgangsgesteins abhängt 14). Der Randstreifen zwischen Weg und landwirt- (vgl. Kap.1.3.1.2, S.29).

Abbildung 1/2 Unbefestigter Feldweg (EWALD 1978: 109)

*Meist für "kurze steile Kerbtäler" (GUNZELMANN 1992, mdl.).

19 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Hohlwege gliedern sich in unterschiedliche Relief- nau senkrecht zum Gefälle verläuft, kann sich ein elemente: asymmetrisches Profil mit unterschiedlichen Hang- • eine nahezu ebene, verfestigte Sohle mit erheb- längen herausbilden. Wird der Hohlweg nicht mehr lichem Längsgefälle; genutzt, flachen sich, besonders in weichem Unter- • verflachte Böschungsfüße, an denen sich ero- grund, die Knicke rasch ab (vgl. "Muldenhohlweg"). diertes Erdmaterial sammelt; GUNZELMANN (1987) nennt Beispiele für Ka- stenhohlwege im Doggersandstein des östlichen • übererdete Böschungen (z.T. mit talwärtigem Albaufstiegs bei Menchau (KU). Lesesteinwall); • Wände aus anstehendem Gestein; Der Muldenhohlweg hat im Gegensatz zum Ka- • Einschnittoberkanten. stenhohlweg abgerundete Böschungsoberkanten Die Tiefe und Sohlbreite der Hohlwege entspricht und -füße. Er ist eine fossile Form des Kastenhohl- oft den Ausmaßen der alten Lastkarren und Heuwa- wegs, der sich durch erodiertes Bodenmaterial all- gen (siehe die bis zu 10 m tiefen Lößhohlen im mählich muldenförmig abgeflacht hat (so bei der Kraichgau und Kaiserstuhl!) (vgl. JÄGER 1969; Wüstung Schmerb im Steigerwald/KU). KRAUSE 1979; LOHMANN 1986). Kerbhohlwege entstehen bei entsprechendem geo- Morphologisch lassen sich verschiedene Profiltypen logischem Untergrund und steilem Gefälle durch unterscheiden (TRÄCHSEL 1962; DENECKE lineare Erosion. Dabei wird eine spitz zulaufende 1969; KRAUSE 1979; GUNZELMANN 1987; sie- Sohle ausgebildet, die nicht immer klar von einem he Abb. 1/3, S. 20). natürlichen Kerbtal unterschieden werden kann (sie- he "Klingen" oberhalb von Unfinden bei Königs- Das (Wagen)geleis stellt die Vorstufe zum Hohlweg berg/HAS). dar. Typisch ist der meist leicht erhöhte, nur schütter bewachsene Mittelstreifen (vgl. Kap. 1.1.3, S. 18). Bei einem vertilkten Hohlweg ist die Sohle breiter, der Weg viel weniger eingetieft als beim Kasten- Charakteristisch am Kastenhohlweg ist der relativ hohlweg. Durch Anhäufung von Lockermaterial auf "scharfe Knick" an der Oberkante und am Übergang der ursprünglichen Sohle entsteht eine neue, dar- zur Sohle. Am deutlichsten wird die mit Sträuchern übergelegene Sohle (insbesondere vor Steigungen, und Bäumen bestandene Oberkante herauspräpa- wo sich das eingeschwemmte Lockermaterial sam- riert; das Wurzelgeflecht hält die oberen Bodenho- melt). rizonte fest. Manchmal bilden sich regelrechte "Ge- simse" aus, welche die darunter liegenden Bö- Bei Hohlwegterrassen und Hohlwegdellen handelt schungswände vor Niederschlägen und weiterer es sich um Reliktformen mit bereits weit fortge- Erosion abschirmen. Sofern der Hohlweg nicht ge- schrittenen Abtragungs- bzw. Aufschüttungsvor-

Abbildung 1/3 Idealprofile der Hohlwegformen (DENECKE 1969: 61)

20 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen gängen. Das ehemalige Profil ist häufig nur mehr zu 1.1.5 Lesesteinformen erahnen. Lesesteinriegel (auch Lesesteinwälle, in Mainfran- "Spurenfächer" oder "Spurenbündel" nennt DEN- ken und im Tauberland "Rutschen", "Rosseln" oder ECKE (1969) Hohlwege, die sich von einem "Steinrasseln" genannt) sind langgezogene Anhäu- Haupthohlweg ausgehend z.T. fächerartig auswei- fungen von größeren und kleineren Gesteins- ten. Diese Weglabyrinthe führten als Wirtschaftswe- brocken. Geländestufen können immer dann als Le- ge zu den Ackerparzellen oder Holzplätzen, wo sesteinstufen angesprochen werden, wenn an der sie als Sackgassen endeten. Spurenbündel konn- Oberfläche Lesesteine sichtbar sind. ten in Einzelfällen bis zu einem Kilometer breit sein (s. Abb. 1/4, S. 21). In Gipskeuperlandschaf- Lesesteinhaufen sind "punktartige regellose An- ten sind Spurenbündel oft besonders typisch aus- häufungen von Lesesteinen" (GUNZELMANN geprägt. Auch neben unwegsam gewordenen 1987: 91). Sie sind häufig auf Hochflächen mit Wegabschnitten sind z.T. neue Parallelwege ange- skelettreichen Böden* anzutreffen. An den Hängen legt worden. fehlen sie dagegen meist völlig. Vor allem am Ortsrand sind Hohlwege heute meist Beide Formengruppen entwickelten sich über Jahr- mehr oder weniger massiv ausgebaut, d.h. mit Re- hunderte in den relativ flachgründigen Festgesteins- gelböschungen versehen, gepflastert, geschottert landschaften, insbesondere im Schichtstufenland. oder asphaltiert (vgl. Kap. 2.3.2.4). Diese Lesesteinansammlungen sind im wesentli-

Abbildung 1/4 Spurenbündel in der landwirtschaflti- chen Flur (nach DENECKE 1969: 64)

* So sind auf der Hochfläche der nördl. Frankenalb (z.B. bei Dürrbrunn) die Lesesteine nicht zu Riegeln, sondern zu Haufen aufgeschichtet (HAHN 1985).

21 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen chen auf traditionelle Ackerlagen oder Weinberge telbar an der Oberfläche sichtbar (RICHTER 1960; beschränkt. Ihr Auftreten in Waldflächen oder auf SCHMIDT 1985; GUNZELMANN 1987). Häufig Grünland stellt ein wichtiges Indiz für Flurwüstun- verlaufen sie mit den Parzellen senkrecht zum Hang gen dar (vgl. Kap. 1.6.1, S. 132) bzw. zeigt spätere (z.B. in "Radialhufenfluren"); es kommen aber auch "Vergrünlandungen" ehemaliger Ackerstandorte an höhenlinien-parallele Steinriegel vor, die sich im (vgl. Kap. 2.3). Laufe der Zeit zu Stufen entwickeln können. Höhe Andere Erscheinungsbilder und Verbreitung zeigen und Anzahl der Stufen wachsen mit zunehmen- Blockwälle, blockige Steinriegel und Blockhaufen, der Hangneigung, wodurch die erosionshemmende die nicht einfach als Lesesteine ausgesammelt wur- Wirkung dieser Stufen zunimmt (s. Abb. 1/5, S. 22). den, sondern in technisch unterstützten Entstei- Im oberen Hangteil und auf Kuppen sind Steinriegel nungsaktionen überwiegend erst in diesem Jahrhun- in der Regel am mächtigsten ausgebildet, auf ausge- dert entstanden sind. Ihr Schwerpunktbereich sind dehnten Landrücken und auf der Talsohle treten sie die ausgedehnten Magerwiesen der gering verwit- meist deutlich zurück. terten Kristallinzonen Ostbayerns und des Rhöner Lesesteinranken sind wesentlich an der Bildung von Basaltgebiets. Die Dimensionen der Lesesteinwälle Terrassen im Ackerland beteiligt (KUHN 1953: 38). sind äußerst verschieden. Meist überwiegen die Die Bodenerosion bewirkt - trotz des höhenlinien- flachgewölbten "Rücken" mit einem Breite-Höhe- parallelen Pflügens - eine ständige Verringerung der Verhältnis von 10:1 bis 6:1; ausgesprochen hochge- Oberbodenmächtigkeit am oberen und Erhöhung wölbte Wälle sind selten. am unteren Ackerende, wobei die Parzelle nach und Lesesteinriegel können eine Höhe von maximal nach verebnet. An den Feldrainen bilden sich Gelän- etwa 3 m und Breiten bis zu 8 m - in Ausnahmefällen destufen aus, die durch Ablagerung der ausgepflüg- bis zu 15 m - erreichen, wenn auch oft nicht unmit- ten Steine ständig anwachsen (vgl. Abb. 1/6, S. 22). Relativ kleinteilige und niedrige Lesesteinformen finden sich in den Scherbenackerfluren der Fran- kenalb, ausgesprochen mächtige dagegen in den Muschelkalkhängen des Taubertals oder im ost- bayerischen Grenzgebirge*. Meist etwas kleiner bleiben die Anhäufungen erratischer Blöcke in den Jungmoränengebieten. Eine weitere Sonderform sind die aus den Äckern des Nördlinger Rieses auf- gestapelten Suevit- ("Flädle-")Haufen. Die Steine werden (wurden) entweder regellos aufgehäuft oder - platzsparend- ähnlich wie Mauern aufeinanderge- schichtet. Charakteristisch für Lesesteinformen ist ihre Viel- zahl von Hohlräumen und Spalten, die durch Einwe- hung, Einschwemmung, aber auch Ameisenaktivität unterschiedliche Feinerdeanteile aufweisen können. Auch am Fuß der Steinhaufen und -riegel sind viel- fach Feinerdeanwehungen und -anschwemmungen vorzufinden. Abbildung 1/5 Die Steinwälle sind entweder als Rain ausgebildet Höhe von Lesesteinstufen in Beziehung zum Gefälle oder mit Hecken (auch Heckenfragmenten, Einzel- (HAHN 1985: 93) bäumen oder -büschen) bestockt. So stockten von 52 in der Frankenalb untersuchten Hecken über 90 %

Abbildung 1/6 Profil eines Lesesteinrankens zwischen hang- parallelen Ackerterrassen

* Letztere entstanden im Zuge von Entsteinungsaktionen, in jüngerer Zeit v.a. durch den Einsatz von Großmaschinen (vgl. MOSER 1962).

22 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen auf Lesesteinwällen; von 31 Feldrainen war etwa die meinen) unbehauene Steinblöcke ohne Bindemit- Hälfte mit Lesesteinen gekoppelt (s. Abb. 1/7, S. tel kunstvoll aufeinandergeschichtet wurden. In der 23). Regel wurden als Baumaterial Lesesteine verwen- Auch viele Heckenlandschaften der Mittelgebirge det. Die in traditioneller Technik erstellten Mauern (z.T. auch des Alpenvorlandes) stocken auf Steinrie- sind fast senkrecht aufgebaut, haben also nur einen gel und -rücken. In kleinparzellierten Steinrücken- geringen Anlauf (s. Abb. 1/8, S. 23). landschaften dominieren meist kurze Heckenreihen Trockenmauern - häufig auch in Verbindung mit oder Einzelbüsche (vgl. RICHTER 1960). Das Er- Steintreppen - finden sich vor allem an alten (Reb-) scheinungsbild vieler vormals gehölzfreier Steinrie- Terrassen und Wegen. Sie sind besonders reich an gel ist heute vielfach durch dichten Heckenbewuchs Fugen, Ritzen und Hohlräumen, die einer Vielzahl geprägt (vgl. Kap. 1.6.3.3, S. 148 u. Kap. 2.3). von Pflanzen und Tieren Lebensraum bieten kön- nen. Als später dazu übergegangen wurde, die 1.1.6 Trockenmauern Bruchsteine zunächst mit Erdschlamm, dann mit Mörtel zu verbinden, reduzierten sich Zahl und Tiefe Im Gegensatz zu den Lesesteinriegeln handelt es dieser "Unterschlupfe" im Mauerwerk. sich bei den Trockenmauern um planmäßig errich- In den Weinbaugebieten erfüllten die Trockenmau- tete Formen, die oft nicht von den Bauern selbst, ern in erster Linie die Aufgabe der Abstützung des sondern von spezialisierten Handwerkern angelegt Hangs. In manchen sehr steilen Lagen entstanden wurden (GUNZELMANN 1987). Die Trockenmau- bis zu 100 Terrassen übereinander, wobei die ertechnik zeichnet sich dadurch aus, daß (im allge- Sprunghöhe die Breite der Rebflächen nicht selten bei weitem übertraf. Zuweilen bieten die Terrassen- flächen zwischen den Mauern lediglich Raum für ein oder zwei Rebzeilen. Die Längsausdehnung die- ser "Mauerlandschaft" kann bis zu mehreren Kilo- metern betragen; gelegentlich werden die Terrassen von Felsrippen, Klingen oder Schluchten unterbro- chen. Um möglichst wenig Anbaufläche zu verlie- ren, sind die Weinbergsterrassen oft auf kleinstem Raum erschlossen. Meist erhielten die Mauern einen leichten, konkaven Bogen, der als geländerloser Treppenlauf ausgebil- det wurde. Statt eines Fundaments enthalten Mauer- rücken sowie der Untergrund oft eine Steinpackung aus größeren und kleineren Bruchsteinen. Die Anordnung der Trockenmauern und damit der Rebflächen fügt sich mitunter zu einem fischgrätar- tigen Muster: Die Mauern laufen von zwei Seiten leicht diagonal auf die in der Mitte befindliche, wiederum von Mauern flankierte Steintreppe zu (siehe die alte Reblage des "Pfaffenbergs"/HAS, Weinbergsterrassen im Werntal). Diese Struktur er- Abbildung 1/7 laubt nicht nur eine rasche Ableitung überschüssi- gen Niederschlagswassers, sondern stellt auch eine Koppelung von Hecken und Feldrainen mit Lesestein- horizontal-diagonale Verbindung zu den ökologisch riegeln in unbereinigten Gemarkungen der Nördlichen nah verwandten Felsfluren her (LINCK 1954; Frankenalb (HAHN 1985: 93) SCHMIDT et al.1985).

Abbildung 1/8 Trockenmauer im Längs- und Quer- schnitt

23 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

1.2 Abgrenzung zu anderen Lebens- Entwicklung, Pflege und Erhaltung von Agro- topen sind stets eingebettet in die Gesamtent- raumtypen, Wirkungsbereich wicklung der Flur (Wirkungsbereich). Der Aussagebereich dieses Bandes darf sich also Agrotope sind als flureigene Grenz- und Saumstruk- nicht auf die Detailgestaltung etwa eines Raines turen vorwiegend strukturell und nicht biozönotisch oder Hohlweges beschränken, sondern umfaßt dar- definiert. Zusammen mit den Hecken (stark bestock- über hinaus notwendigerweise die ten Rainen) und Waldsäumen bilden sie das System • der Saum- (Grenz-, Rand-, Linear-, Faser-) Biotope agrotopbezogenen Anforderungen an die umge- der Flur. Von den Hecken sind sie durch eine relativ benden Nutzflächen und die agrotop-haltige Flur; geringe oder fehlende Bestockung abgegrenzt. Of- • fene Raine und Hecken sind durch Sukzession Grundlagen und Empfehlungen zum Gesamt- bzw. Stockrodung miteinander verbunden. Auf Design des Faser- und Kleinbiotopsystems der Agrotopen finden sich Fragmente verschiedenster Agrarlandschaft. Vegetationstypen, die z.T. Gegenstand eigener Le- Abb. 1/9, S. 24, faßt diese sich überlagernden Wir- bensraumtypenbände sind. kungs- und Aussagebereiche der agrotop-bezoge- Folgende LPK-Bände liefern ergänzende Informa- nen Landschaftspflege (verkürzt:"Agrotop-Pflege") tionen für die auch an Agrotopen anzutreffenden schematisch zusammen. Auf Agrotopbestand, Um- Lebensgemeinschaften: feldnutzung und Flurdesign bezieht sich nicht nur die Konzeption des vorliegenden Bandes; die ge- - II.1"Kalkmagerrasen" nannten drei Wirkungsfelder nehmen auch alle -II.2"Dämme, Deiche und Eisenbahnstrecken" Landschaftspflegeverantwortlichen in Flurbereini- - II.3"Bodensaure Magerrasen" gung, Agrarverwaltung, Gebietskörperschaften und Naturschutzverwaltung in die Pflicht. - II.12"Hecken und Feldgehölze" Darüberhinaus ist aber auch im Kontaktfeld zu an- - II.14"Einzelbäume und Baumgruppen" deren Nutzungen Integration und Kooperation für - II.15"Geotope" die Agrotop-Entwicklung unerläßlich!

Abbildung 1/9 Aussagebereiche der Agrotoppflege

24 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Enge Verbindungen ergeben sich etwa zur Forstwirt- 1.3 Standortverhältnisse schaft (Waldrandsituationen), zur Jagd (Biotopver- besserung für Niederwild), zum Wegebau, vor allem aber zur Landwirtschaft. Weil das ökologische Mi- Welche abiotischen Merkmale kennzeichnen die lieu von Agrotopen wesentlich im Umfeld gesteuert verschiedenen Agrotoptypen? Welche standortöko- wird, muß die Optimierung und Entwicklung die- logischen Faktoren "erklären" die Lebensgemein- ser Flurelemente in deren unmittelbarer Umge- schaften auf Rainen, Ranken, Wegrändern, erläutern bung bzw. in der gesamten Flurgestaltung anset- uns deren Kleinzonation? zen. Bei der Beantwortung dieser Fragen stehen drei Die Forstwirtschaft ist dann betroffen, wenn sich Aspekte im Vordergrund: Agrotope in deren unmittelbaren Umfeld befinden, - Substrat (Gestein, Böden, Aufbau) (s. Kap.1.3.1, z.B. an Waldflächen angrenzende Ranken (häufig S.25); sehr alte Waldrandstufen!), historische Ackerter- rassen und Weinbaulagen mit alten Trockenmauern, - Mikroklima (Exposition, Oberflächenrauhig- die mittlerweile unter Wald verschwunden sind bzw. keit) (Kap.1.3.2, S.32); aufgeforstet wurden. Verschiedene alte Hohlwege der vormals offenen Flur wurden mittlerweile vom -Nährstoffverhältnisse (Kap.1.3.3, S.36). Wald zurückerobert. Bei der Erhaltung bzw. Wieder- Stets überlagern sich natürliche und "menschenge- herstellung dieser oft kulturhistorisch äußerst inter- machte" Eigenschaften. Das natürliche Ausgangs- essanten Landschaftselemente ist eine Zusammen- material erhält in den Agrotopen durch anthropoge- arbeit mit den zuständigen Forstbehörden unabding- ne Umlagerung und Neustrukturierung eine ganz bar. andere, z.T. neue, ökologische Note als im Bereich Bei der Verbesserung der Lebensraumsituation von natürlich anstehender Vorkommen. Die Expositi- jagdbarem Wild (z.B. Feldhase, Rebhuhn) bietet onsverhältnisse eines Hangs bekommen durch agra- sich eine Zusammenarbeit mit der örtlichen Jäger- rische Überformung (Ackerterrassen!) extremere schaft an. Daß Jagdflächen zugleich Hegeflächen Züge. In den Nährstoffverhältnissen überlagern sich sind, ist innerhalb der Jägerschaft anerkannt (vgl. ebenfalls die für bestimmte Bodenregionen und VON PREYSING 1988, JVFw 1988, 1991). Hangpositionen charakteristischen Stoffangebote mit der indirekten Düngung aus den Kontaktflächen. Der Aus- und Neubau von Wegen betrifft sowohl privaten landwirtschaftlichen Grund wie auch Ge- meindeflächen. Von naturschutzfachlicher Relevanz 1.3.1 Ausgangsgestein, Substrateigenschaften sind z.B. Aspekte der Trassenführung, der Wege- netzdichte und des Ausbauzustandes (Befestigungs- art, Belag etc.). Agrotope ändern die natürliche horizontale Abfolge (Catena) von Substrat- und Bodeneinheiten, machen Alte Wegeführungen, alte Wald-Feld-Grenzen und sie kleinteiliger und rücken oftmals weitständig Raine sind visueller Ausdruck über Jahrhunderte kontaktierende Substratelemente (z.B. Kalkschutt gewachsener Flurformen und unersetzbare Trag- und Kalksteinbraunlehm bzw. Agrosole) näher an- pfeiler des kulturhistorischen Informationsgehalts einander. Als Einschnitt- (Hohlwege, Weg- und eines Landschaftsraumes. Ihre Erhaltung, Entwick- Waldrandstufen) oder Aufschüttungselemente (z.B. lung und Verankerung, möglicherweise auch ihre Hochraine, Blockwälle) wenden sie sonst verborge- Wiederherstellung in der heutigen Agrarlandschaft, nes oder überdecktes Gesteinsmaterial an die Ober- ist daher eine Verbundaufgabe von Landwirt- fläche. schaft, Landespflege und Denkmalpflege. Wie kein anderer Lebensraumtyp sind die Agrotope In den Agrotopen sorgt(e) der Mensch also dafür, dem (häufig überstürzten) Wandel der agrarpoliti- daß sonst weiter entfernte oder übereinanderge- schen Leitbilder ausgesetzt. Umgekehrt sollten Ziel- schichtete Glieder eines stratigraphischen Gefüges* vorstellungen für ein biologisch und landschaftsäs- sich auch an der Oberfläche - wenn auch rudimentär thetisch optimales System flureigener Biotope die - durchdringen und damit besser erlebbar werden Flurneugestaltung und Produktionsumorientie- (z.B. Löß-Männchen am Hohlweganschnitt, in der rung wesentlich mitbestimmen. Fahrrinne herausgespülte Gletschergeschiebe, Lese- steinhaufen als Gesteinsfundgrube einer Flur). So versteht sich dieser Band nicht nur als Anleitung zur Erhaltung des Restbestands an Rainen, alten Agrotope machen die für alle (Kultur)-Landschaften Wegrändern, Hohlwegen usw., sondern auch als typische Abfolge aus Erosions- und Akkumulati- Perspektive zur Schaffung von Flurbiotopsystemen, onszonen kleinrhythmischer als die Natur es vor- die sich in Zuschnitt und Funktion auch einmal von gibt. gewohnten Vorbildern lösen können (vgl. "Leitbil- Im folgenden werden edaphische Merkmale einzel- der" in Kap. 4.2.1). ner Agrotoptypen skizziert.

* Abfolge geologischer Schichten, Fazies

25 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

1.3.1.1 Ranken, Böschungen, Erdwege gemeinen nur eine geringe Ranken- und Hecken- dichte aufweisen. Auch in den flachen Beckenland- Gesteinsformationen, Bodentypen schaften des Sandsteinkeupers sind nur wenige Während Flachraine nur wenig reliefabhängig und Stufenraine anzutreffen.Zum Teil noch höhere Ran- damit auch nicht an bestimmte Gesteinstypen ge- kendichten als im Muschelkalk finden sich im Gra- koppelt sind, korrelieren Stufenraine deutlich mit nit des Bayerischen Waldes, örtlich auch im Basalt gefälle-reichen Ackerlandschaften. Weitere edaphi- der Rhön (z.B. um Bischofsheim). sche Vorgaben sind eine große geologische Hetero- genität (z.B. Miniatur-Schichtstufen als Ackerter- Vor allem jüngere Ranken findet man gehäuft auf rassen-Ranken-Abfolgen) und eine hohe Erosions- abspülungsempfindlichem Lockergestein, vor allem disposition (Abbruchkanten) (vgl. auch Kap. 1.8.2). auf Löß** (VOGL & SCHWERTMANN 1989). Die Lößmächtigkeit reicht von flachgründigen, Welchen Einfluß die Geologie neben der Feldgröße kaum einen Meter starken Überwehungen bis zu auf die Hecken- und Rankendichte eines Gebietes* mächtigen Deckschichten von 10 bis 15 m. Lößran- ausüben kann, zeigt Abb. 1/10, S. 26. Die höchsten ken befinden sich bevorzugt in mittleren Hanglagen Dichten fanden sich in den flachgründigen und ske- der von den Lößanwehungen bevorzugten Ost- und lettreichen Muschelkalklandschaften. Ein beson- Nordosthänge. Die Lößablagerung spiegelt noch ders hoher Dichtewert charakterisiert die ehemalige ganz die Windrichtung wider. Unverwitterter Löß Weinbaulandschaft der Ködnitzer Weinleite ("Ra- besteht überwiegend aus Quarz, Feldspat, Glimmer dial verlaufende Ranken"); vgl. REIF & STÖTZER und Karbonaten. Im Laufe der Bodenbildung wird (1983). Der Malm ähnelt zwar edaphisch z.T. dem anfangs der Kalk durch Wurzelausscheidungen und Muschelkalk, zeigt aber auf gleichen Standorten Huminstoffe in Wasser gelöst, teilweise neutralisiert etwa um ein Drittel niedrigere Dichtewerte. Im Ei- und mit Sickerwasser abgeführt. In tieferen Boden- sensandstein (Dogger) sind vorwiegend in Gebie- schichten (C-Horizonte) fällt der Kalk bei Übersät- ten mit starker Hangneigung noch zahlreiche, z.T. tigung wieder aus und verkittet die Schluff- und heckenbestockte Terrassenböschungen anzutreffen, Feinsandkörner. Die Umhüllung der Einzelkörner während die ertragreichen Liaslandschaften im all-

Abbildung 1/10 Hecken-Rankendichte in Abhängigkeit vom geologischen Untergrund und der Feldgröße (REIF et al. 1982)

* Oberfranken und angrenzende Teile Mittelfrankens, jeweils für nicht flurbereinigte Gebiete. Hecken und Ranken sind zum großen Teil mit Lesesteinwällen gekoppelt (s. REIF et al. 1982). ** Löß besteht aus Feinmaterial der Schluff-Fraktion sowie aus Feinstsanden. Die Lößdecken wurden vorwiegend an flacheren nordost- und ostgeneigten Hängen und Talungen abgelagert. Südbayerische Lößdecken haben Kalkgehalte von bis zu über 30%; nordbayerische (z.B. trockene Lößlandschaften Mainfrankens und des Donautals zwischen Ingolstadt und Regensburg) etwa um 20%. Kleinere, lokal jedoch nicht unwichtige Lößvorkommen sind in Ober- und Mittelfranken und am Südrand des Bayerischen Waldes anzutreffen (vgl. PFAFFL 1987:12).

26 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen mit einer "Kalkhaut" führt zu der hohen Standfe- fähiger Organismen(gruppen) aus. Mit zunehmen- stigkeit vieler fast senkrechter Lößböschungen der Sukzessionsdauer, aber auch mit steigenden an- (siehe auch "Lößhohlwege"). Die zuoberst gelager- thropogenen Einflüssen (Staub, Düngerabdrift u. ten (jüngsten) Lößdecken haben ihren Kalkgehalt dgl.) reichert sich ein höherer Humusgehalt in den längst verloren und sind durch das eindringende oberflächennahen Schichten an. Zwischen dem Oberflächenwasser zu Lößlehm* verwittert. Sand und Grus der Wege sammelt sich etwas Fein- Kuppenböden und Oberhanglagen in Lößgebieten material (Schluff- und Tonteilchen) an, das den bestehen überwiegend aus Pararendzinen oder ero- Pflanzen Wurzelraum bietet. So neigen z.B. die hu- dierten Braunerden; Unterhanglagen und Senken musreicheren Böden der Grasnelkenrasen weniger dagegen aus kolluvialen Braunerden. Solche ver- zur Austrocknung als die sehr humusarmen Böden schiedenen "topogenen und geogenen Lagen" der Silbergrasfluren (vgl. LPK-Band II.4 "Sandra- (KLEYER 1991: 19) bilden äußerst mannigfaltige sen"). (Agrotop)Standortkomplexe, die durch Bewirt- Im Profil zeigen insbesondere alte, "eingefahrene" schaftungseinflüsse nochmals überformt werden. Erdwege eine leichte Wellenform, mit der auch Bo- Im Oberpfälzer Jura beschreibt BARTHEL (1992) denfestigkeit und Feuchtigkeitsgrad variieren: Die Feld- und Wegraine über Rendzinen, wobei Dolo- Wegränder liegen gegenüber dem eigentlichen Weg mit-Rendzinen die trockensten Böden darstellen. Im etwas erhöht und werden infolge des geringeren Bereich der lehmigen Albüberdeckung finden sich mechanischen Drucks weniger verfestigt, so daß Agrotope auch über leicht versauerten Braunerden. Niederschlagswasser sogleich abfließen oder ein- Im Kristallin der Grundgebirge herrschen Brauner- sickern kann. Vor allem sehr skelettreiche Böden den, bei stärkerer Hangneigung auch Ranker vor, trocknen rasch ab und bieten daher relativ günstige wobei vor allem letztere sehr erosionsgefährdet Voraussetzungen für die Existenz bzw. Ausbreitung sind. Nur auf tiefgründigeren Rankern ist Ackerbau trockenheitsliebender Arten. Wegmittelstreifen oder Grünlandnutzung mit wenigstens zweischüri- sind wegen ihrer gewölbten Form oft noch trockener ger Mahd möglich. als die Wegränder. Die tieferliegenden Fahrspuren Die Entstehung von Podsolen wird durch niedrige sind stärker verfestigt und auch feuchter als die Temperaturen und luftfeuchtes, regenreiches Klima Seiten- oder Mittelstreifen. Bei intensiven Nieder- begünstigt, so daß diese Bodentypen sehr häufig an schlägen sammelt sich hier - vor allem bei stark den Ranken und Böschungen der nord- und nordost- verdichtetem Wegesubstrat - das Wasser in Pfützen bayerischen Grundgebirge über armen Sand- und ("ephemere Kleingewässer"). Steingrusböden auftreten. Aufgrund ihres lockeren Schichtaufbau, Horizontierung Substrates sind diese Standorte tief durchwurzelbar. Ranker (vgl. "Ranken"!) bilden sich einerseits über Wege sind hochgradig anthropogene und antropo- grobkörnigem Silikatgestein, zum anderen über morphe Standorte, die einer anhaltenden Beeinflus- Graniten und Gneisen feinerer Körnung in Hangla- sung durch den Menschen ausgesetzt sind. Die Bö- gen, die aufgrund der Erosion ihrer Feinerde beraubt den sind heute nur mehr zum Teil autochthon. Viele sind. Rendzinen sind typische Böden für hängiges Wege in der Feldflur sind befestigt oder neu angelegt Gelände mit ausgeprägtem A-C-Profil: Eine dünne, (vgl. "Wegeausbau" in Kap. 2.3.2.4). Diese befestig- relativ nährstoffarme Bodenschicht liegt unmittel- ten Wege unterscheiden sich in Struktur und Mine- bar auf dem kalkhaltigen Ausgangsgestein. ralbestand oft erheblich von ihrer Umgebung (siehe Aufschlüsse von Ackerterrassen in der Frankenalb Kalkschotterwege im Kristallin). zeigten direkt unterhalb der Rankenfüße eine A-C- Als Schottermaterial finden oft kalkreiche Fluß- Horizontierung, wobei der A-Horizont von einem schotter (z.B. die Terrassenkiese der Donau) Ver- tonigen Verwitterungslehm zu einem grusigen, stark wendung. In der Alb treffen wir auf lehmige, meist mit Kalk- und Mergelbrocken durchsetzten Lehm stark verdichtete Kalkschotterwege mit entspre- umgeformt war. Der Humusgehalt war sehr gering. chenden Kalkrohbodenböschungen. Diese Wege Unmittelbar neben dem Rankentrauf präsentierten sind bei Nässe schlammig, bei Trockenheit dagegen sich dagegen tiefgründige Akkumulationsprofile, betonartig fest und bilden tiefe Risse und Klüfte aus. die aus gut verwittertem Feinmaterial bestanden; Die Kies- und Sandwege z.B. des Tertiärhügellandes Kalk- und Mergelbrocken fanden sich nur selten. sind dagegen meist grobkörnig und gut wasser- Die A-Horizonte waren 30-40 cm mächtig und stark durchlässig (vgl. KAULE et al. 1983; RUTHSATZ humos. Auch der Feuchtigkeitsgehalt war hier deut- & OTTE 1987). lich höher als in der erodierten Zone (RICHTER Autochthone Sandwege sind edaphisch extrem 1965: 155 ff.). trockene Standorte. Vor allem in den wärmegetön- In der Abfolge von Ackerterrassen bildet sich ober- ten, niederschlagsarmen Beckenlandschaften (z.B. halb jedes Ranken oft ein weitgehend eigenständi- Maintal, Regnitzbecken) wirkt sich die geringe ges Einzugsgebiet mit eigener Materialzonierung Wasserkapazität begrenzend auf die Anzahl lebens- aus. Bei enger Terrassierung sind die Akkumulati-

* Sinken im Verlauf der Bodenbildung Carbonatgehalte und pH-Werte ab, werden die Silikate zu Tonmineralien abgebaut: Aus Rohlöß entsteht Lößlehm (ALAILY 1972; GEYER & GWINNER 1986; zit. in KLEYER 1992). Trotz der mehr oder minder starken "Verlehmung" und Verdichtung bleibt dem Lößlehm die feinsandige Beschaffenheit und das senkrechte Abbrechen erhalten (PFAFFL 1987).

27 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen onsprofile direkt am Rankentrauf weit weniger Modifikationen des Oberflächen-Abflusses werden mächtig als bei weitem Terrassenabstand. zusätzlich durch weitere Faktoren wie Hangform Bei schwächer geneigten Terrassen ist überdies die und -länge, Vegetationsbedeckung und Infiltrations- Erosionszone weniger stark ausgeprägt als in sehr geschwindigkeit bewirkt. Die Infiltrations- oder hängigem Gelände. Einsickerungskapazität der Böden bestimmt bei Die Verwitterung verläuft im oberen, erodierten starken Niederschlägen wie auch bei der Schnee- Hangteil wesentlich rascher als im unteren, akkumu- schmelze das Abflußverhalten des Wassers. Ein ho- lierten Bereich: her Skelettanteil und ein großes Porenvolumen mit überdurchschnittlicher Grobporenverteilung wirken • Unterhalb des Rankenfußes können die Verwit- sich positiv auf die Einsickerung aus. Da bei niedri- terungskräfte infolge der geringen Bodenmäch- gen Temperaturen der Boden eine höhere Wassersät- tigkeit verstärkt auf das anstehende Gestein ein- tigung aufweist, ist im Winter wegen der geringeren wirken - mit der Folge, daß die Verwitterung Infiltrationsrate die Oberflächenabspülung häufiger, beschleunigt wird. Hinzu kommt die auflockern- wenn auch nicht unbedingt stärker (M. RICHTER de Wirkung des Pfluges. 1978: 13). • Oberhalb des Stufenrains wird die Verwitterung durch große Bodenmächtigkeit und anhaltende Starke Hangneigungen reduzieren grundsätzlich die Akkumulation gebremst. Auf der Ranken-Tal- Bodenfeuchtigkeit. Der Durchfeuchtungsgrad in- seite ist die Verwitterungstiefe durchschnittlich nerhalb eines Ranken nimmt vom Böschungstrauf größer als auf der Bergseite. zur Mitte der Böschung meist ab, erhöht sich dann aber wieder und ist am Rankenfuß am höchsten Wollte man etwa die gesamte Bodenauflage abtra- (BARTEL 1966). Vegetationsaufnahmen von ge- gen, würden die Ranken als mächtige - häufig bis zu mähten Unterböschungen zeigen bereits viele Ge- zwei Meter große - Stufen anstehenden Gesteins meinsamkeiten mit Muldenlagen. So erreichen hier herauspräpariert, da im Schutz der bewachsenen nährstoff- und feuchtigkeitsliebende Gräser meist Stufenraine der direkt darunter befindliche Felsun- höhere Deckungsgrade gegenüber den viel trocke- tergrund kaum verwittert (RICHTER 1965; BAR- neren Oberböschungen. Grundsätzlich scheinen die TEL 1966). Eine nachträgliche Änderung des Par- Unterschiede zwischen Unter- und Oberbö- zellenzuschnitts ist also ohne große Erd- und Ge- schungen auf trockenen Böden viel ausgeprägter steinsbewegungen nur sehr bedingt möglich. zu sein als auf frischen Standorten, wo sich entlang des Hangs kaum ein spürbarer Gradient bei der Wasser- und Nährstoffversorgung ergibt (vgl. Bei Ranken ohne Steinkern oder ohne bodenfe- NAGLER & SCHMIDT 1987: 262). stigenden Bewuchs ist das Hangprofil in der Re- gel weniger scharf ausgeprägt, da die Bodenerosi- on an keinem Hindernis gebremst wird. Demzufolge Der Einfluß der Vegetation auf Bodenbildung und sammelt sich das Akkumulationsmaterial am Fuß Bodenstruktur schlägt sich auch im Bodenwasser- des Ranken, d.h. das Bodenprofil zeigt eine zum haushalt nieder. Schütter bewachsene, skelettreiche obigen Rankentyp inverse Horizontierung. Rigosole der Weinbergbrachen (z.B. Muschelkalk) werden nur kurzzeitig durch Sickerwasser benetzt; Darüber hinaus wirken sich Gefällsunterschiede in während Hitzeperioden trocknen die lockeren Grus- Abhängigkeit von den bodenphysikalischen Voraus- böden oft sehr stark aus, wobei in 5 cm Tiefe ein setzungen je nach Substrat sehr unterschiedlich auf minimaler Wassergehaltswert von 2,4 Gewichtspro- den Oberflächenabfluß aus. So liegt auf skelettrei- zenten erreicht werden kann (vgl. M. RICHTER chem Verwitterungsmaterial (also z.B. Schiefer, 1978: 30). Zusammen mit der extremen Aufheizung Muschelkalk) der kritische Hangneigungswinkel der Oberfläche erschwert die Trockenheit das Auf- hinsichtlich schwerer Abspülungsschäden im keimen der Pflanzen. Diese "Minimumfaktoren" - Durchschnitt niedriger als auf Böden mit geringe- letztlich durch die fehlende Vegetationsdecke verur- rem Skelettanteil. Entscheidend ist die Verringe- sacht - stehen auch zukünftig einer raschen Entwick- rung der Abflußgeschwindigkeit aufgrund der höhe- lung dichter Pflanzenbestände entgegen (vgl. "Suk- ren Oberflächenrauhigkeit. zession auf Rohbodenstandorten" in Kap. 2.2.1.1).

Abbildung 1/11 Profil einer Böschung unter einem Paral- lelacker (REIF et al. 1982, nach KUHN 1953)

28 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/1 "gewachsener" bearbeiteter Substrateigenschaften "gewachsener" Löß Löß Lößwände und "beackerter" Lößbö- schungen im Vergleich (MIOTK 1979: Standfestigkeit relativ hoch gering 168) Substrathärte relativ hoch gering Hangneigung steile Wände nur Böschungen möglich möglich Höhlen und möglich kaum möglich Keller

1.3.1.2 Hohlwege bis zu 2 m tiefe Wasserrisse beobachtet werden (RICHTER 1965). Hohlwege finden sich, ähnlich wie Ranken, beson- Besonders steilwandige "Kastenhohlwege" ent- ders häufig in stark reliefierten Altsiedellandschaf- stehen praktisch nur in Lößgebieten mit standfe- ten (SCHENKEL & FREY 1985; SCHMIDT 1985). stem Material. Der Löß "klüftet", d.h. das Sedi- Am ausgeprägtesten sind Hohlwege in weichen Ge- mentgestein bildet senkrechte Spalten aus, denen steinen. Geradezu "obligatorisch" sind (waren) sie Wurzeln von Sträuchern und Bäumen folgen. An dort, wo höher gelegene Anbauflächen (z.B. Rhä- Hohlwegen finden sich deshalb häufig parallel zur tolias-Randstufe, Eisensandsteinstufe, Acrodus- Hangoberkante "Wurzelfahnen" (freiliegendes Bank, Talflanken, Beckenränder) vom talwärts ge- Wurzelwerk, z.B. von Robinien), die durch ihr legenen Dorf getrennt waren. Ein typisches Beispiel Dickenwachstum oft Lößschollen "absprengen". hierfür sind die Hohlwege im Gemeindegebiet von Die abgesprengten Schollen bleiben meist über län- Niedermirsberg (FO), welche die Übergangszone gere Zeit als scharfkantige Brocken erhalten. Im zwischen Malm (s. Hochfläche der "Langen Meile") Laufe der Zeit verrotten etliche dieser Wurzelsträn- und Eisensandstein (zahlreiche Quellaustritte im ge, so daß zahlreiche Höhlungen in der harten Ornatenton) ausschnitthaft repräsentieren (vgl. Lößwand entstehen, die z.T. weit in das Substrat FACHHOCHSCHULE WEIHENSTEPHAN 1988: hineinreichen. Diese ehemaligen Wurzelgänge 218 ff.). zeichnen sich auch durch eine relativ hohe und kon- Zu den besonders eintiefungsbegünstigenden, also stante Luftfeuchtigkeit aus. Begründet ist dies durch "von Natur aus" hohlwegreichen Substraten gehören das relativ hohe Wasserhaltevermögen des Locker- neben Löß und verfestigten Sanden (z.B. Ei- gesteins: in einigen cm Tiefe fühlt sich Löß immer sensandstein, weiche Buntsandsteine) auch der Let- leicht feucht an! tenkeuper. Hohlwege fehlen jedoch auch keines- In steinig-sandigem Tertiärmaterial, z.B. der wegs in den Mittelgebirgsregionen (besonders aus- Steilhänge der asymmetrischen Nebentälchen geprägt z.B. im Gneis des Fichtelgebirgsrandes zur kommt es dagegen vorwiegend zur Ausbildung Wunsiedler Hochfläche). flach abgeböschter "Muldenhohlwege" (vgl. Bodenkundlich lassen sich (Löß)hohlwegwände DENECKE 1969: 61; GLASHAUSER & WÖLFL nicht unbedingt mit den an sich ähnlichen Stufenrai- 1992: 59). nen vergleichen. Die Wände und Oberkanten der Hohlwege bestehen meist aus "rohen" (und damit 1.3.1.3 Lesesteinformen kalkreichen) Lößpararendzinen; Abtragsvorgänge dominieren, Lößlehmbildung findet kaum statt Lesesteinformen finden sich naturgemäß nur in (vgl. KLEYER 1992: 14). Die Frostsprengung trägt Landschaften mit verwitterungsresistentem Aus- dazu bei, daß zumindest die oberen Teile der Hohl- gangsgestein. Bei rascher Verwitterung enthalten wegwände nahezu senkrecht stehenbleiben. Das die obersten Bodenschichten kaum "Härtlinge", die erodierte Material sammelt sich am Böschungsfuß bei der Pflugarbeit an die Oberfläche kommen und und würde die Hohle allmählich verfüllen, wenn abgesammelt werden. Die Häufungsgebiete spie- nicht die weiterhin wirksame Rinnenerosion durch geln grob die Gesteinsverhältnisse wider. Oft sind das Niederschlagswasser (verstärkt durch Tritt bzw. Lesesteinformen daher im Bereich von Granit, Befahren) gegensteuern würde. Perlgneis, Basalt, Muschelkalk und Malm zu fin- MIOTK (1979) stellt die charakteristischen Substrat- den; seltener dagegen über "plattig" verwitterndem eigenschaften "gewachsener" Lößsteilwände an Gneis und Phyllit, über Buntsandstein und Keuper Hohlwegen ackerbaulich bearbeiteten Lößböschun- (vgl. RICHTER 1960). Entsprechend dem Aus- gen gegenüber (s. Tab. 1/1, S. 29; vgl. Kap.1.3.1.1, gangsgestein reicht die Bodenreaktion von sauer bis S.26). basisch. Wasser wirkt auf Löß zunächst nicht erodierend, Lesesteinwälle und -haufen treten meist bei ver- sondern wird wie von einem Schwamm aufgesogen. schiedenen Reliefformen auf: Während Steinriegel Wird das Lößgefüge mechanisch gestört (z.B. durch zumeist in hängigem Gelände (stärkere Bodenerosi- Pflügen oder andauerndes Befahren), üben Nieder- on, größeres Lesesteinaufkommen) sowohl längs als schläge ihre volle abtragende Wirkung aus. So konn- auch quer zum Gefälle verlaufen*, sind Steinhau- ten nach Wolkenbrüchen in einigen Lößhohlwegen fen meist auf ebene Flächen beschränkt.

29 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Lesesteinkerne heben sich auch bodentypologisch eingelagerten Mergeln eingebettet. Ein Querschnitt heraus. Während beiderseits des Steinriegels bzw. durch die Steinriegel zeigt, wie tief der Weinberg im um den Steinhaufen herum der allgemein vorherr- Laufe seiner Nutzungsgeschichte abgesunken ist schende Bodentyp anzutreffen ist, wird der Boden (vgl. Abb. 1/13, S. 30). im Zentrum der Steinanhäufung als Syrosem* ange- Der Kern dieser Lesesteinriegel ist ursprünglicher sprochen (REIF 1985). Einwehungs-, einschwem- Boden, der noch die Höhe und Struktur der ersten mungs-, aber auch ameisenbedingte Feinerdeanteile Weinbergsböden erkennen läßt. Durch das fortwäh- erhöhen sich im allgemeinen am Fuß der Lesestein- rende Ablesen der Kalksteine verlor der Boden im haufen oder -riegel. Steinriegel sitzen häufig auf Laufe der Zeit immer mehr an Volumen. BREIDER einem sehr feinkörnigen und weitgehend steinfreien (a.a.O.) schätzt für die von ihm untersuchten Mu- Erdkern (Abb. 1/12, S. 30). schelkalkgebiete einen Anfall von 2.000 bis 3.000 Dieser "Erdkern" ist nichts anderes als der Rest der m3 ausgelesener Kalksteine pro ha Weinbergsboden. ehemaligen Bodenoberfläche, die nur unter der Daraus läßt sich ein erosionsbedinger Bodenverlust Steinpackung vor der Erosion verschont geblieben von 3.000 bis 8.000 m3 pro ha Weinberg im Verlauf war. Zwischen dem Erdkern fand WAGNER (1961) von 1.000 Jahren ableiten. eine sog. "Mischzone", in der sich von oben her die zunächst an den Steinen hängenden Bodenreste und kleineren Steinchen abgesetzt hatten. Vermutlich 1.3.1.4 Trockenmauern haben also viele "Steinranken" eine kleinere Gelän- destufe als Vorläufer gehabt, bevor überhaupt Lese- Trockenmauern und Steintreppen sind in Bayern steine auf dem Rain abgelagert wurden. Es fällt auf, auf die mainfränkischen Weinbaugebiete konzen- daß die Lesesteine im Wall meist nicht sortiert triert, aber keineswegs beschränkt. Am verbreitet- sind und von unten nach oben im Durchschnitt keine sten sind Trockenmauern in Weinberglagen im Be- Abnahme ihres Durchmessers zeigen. Aufschlüsse reich des Buntsandsteins und des Muschelkalks von Steinrücken im Erzgebirge (RICHTER 1960: (BREIDER 1964; SALZER 1974; SCHMIDT 305 f.) zeigten, daß Lesesteine erst dann vermehrt 1985; WITTMANN 1985). Sie fehlen aber auch abgelagert wurden, nachdem sich schon eine kleine dem Kristallin (z.B. Trockenmauern im Saldenbur- Geländestufe (Hochrain) ausgebildet hatte. Die da- ger Bergland /FRG und bei Rohrmünz/DEG), dem mals beträchtliche Bodenerosion hatte nicht nur den Jura (z.B. im Leinleitertal), den Alpen (alte Säumer- A-Horizont, sondern auch den B-Horizont der pfade, Almwege) und dem Alpenvorland (z.B. Find- Hangpodsole und Hangbraunerden erfaßt. lingstrockenmauer bei Gruiwang/WM) keineswegs. Im Oberen Muschelkalk erreichen die zahlreichen Im fränkischen Weinbaugebiet repräsentieren die Steinhalden Höhen bis zu 3 m (BREIDER 1968: 207 Trockenmauern eine bemerkenswerte geologische ff.). Die aufgelesesen, verschieden großen Kalkstei- Vielfalt (Abb. 1/14, S. 31). Der Weinbau in Bayern ne waren ursprünglich zwischen Kalkplatten und erstreckt(e) sich vom kristallinen Vorspessart main- aufwärts bis in den Raum Zeil am Main und umfaßt in mehr oder weniger geschlossener Form den Schichtstufenrand des Steigerwaldes von Falken- stein im Norden bis zum Schwanberg bei Ippesheim im Süden. Kleinere, meist isolierte Rebflächen fin- den sich noch an den Talhängen der Fränkischen Saale, der Wern, der Tauber und der Donau. Im kristallinen Grundgebirge konzentriert sich der Weinbau vorwiegend auf Gemarkungen am Rand der Untermainebene. Ausgangsgesteine sind hauptsächlich Glimmerschiefer, Quarzitschiefer, Abbildung 1/12 Quarzite. Das Trockenmauersystem der Lage Michelbach (MSP) repräsentiert die einzige Wein- Lesesteinriegel mit weitgehend steinfreiem "Erdkern" bergslage Frankens im Kristallin des abgetragenen (WAGNER 1961: 127) Rumpfgebirges (auch an der Donau bei Wörth!).

Abbildung 1/13 Schematischer Querschnitt durch zwei Steinriegel im Muschelkalk (BREIDER 1968: 207)

*** Bei hangparalleler Lage steigt die Anzahl der "dazwischengeschalteten" Steinriegel im allgemeinen mit zunehmender Hangnei- gung (HAHN 1985). * Rohboden

30 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Das Ausgangsgestein hat einen pH-Wert von 3,5 bis Der Obere Buntsandstein (Oberröt) besteht vorwie- 6,1 und verwittert zu stark steinig-grusigen, glim- gend aus tonigen, glimmerhaltigen Sandsteinen und merhaltigen Sanden. In früheren Jahrhunderten hat- verwittert zu schwach steinigen Sanden, unter te man die ganz erhebliche Steillagenerosion in Lößlehmbeteiligung zu sandigem Lehm. Mit einem Buntsandsteingebieten durch den Bau von fast ho- Carbonatanteil bis zu 10 % und pH-Werten von 7,1 rizontal ausnivellierten schmalen Terrassen zu ver- bis 7,8 bietet der Oberröt einen nährstoffreicheren hindern versucht. Standort als der Mittlere Buntsandstein, der bei der Verwitterung einen leichten, kalkarmen, sauren Auf den feinerdearmen Böden insbesondere des Sand erzeugt. Mittleren Buntsandsteins war die Erosion jedoch Ähnlich wie im Oberen Buntsandstein wurde auch nicht mehr zu stoppen. Ihre Auswirkungen waren in Muschelkalkhanglagen versucht, die Erosion bereits um die Wende des 18./19. Jahrhunderts (!) so durch die Errichtung von Quermauern zu vermin- gravierend, daß der Terrassenweinbau dort weitge- dern; jene folgen allerdings weniger dicht aufeinan- hend aufgegeben wurde (BREIDER 1968: 206). der als in den Buntsandsteinlagen. Auch Wasserauf-

Abbildung 1/14 Typische geologische Verhältnisse und Geländeausbildung in den fränkischen Weinbaugebieten (nach WITT- MANN 1985: 18)

31 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen fanggräben ("Wassertreppen") finden sich hier aus den unterschiedlichen Neigungswinkeln (siehe kaum. fast lotrechte Lößsteilwände, Trockenmauern bzw. Der Muschelkalk zeichnet sich durch eine recht nur abgeschrägte Böschungen, Ranken) sowie aus hohe Wärmespeicherkapazität aus, was zu einer den jeweiligen Eigenschaften der Baumaterialien starken Wärmerückstrahlung und damit zu einer (z.B. hinsichtlich Absorption der Sonnenstrahlung, Erhöhung der Temperatur auf den angrenzenden Oberflächenrauhigkeit u. ä.). Das Mikroklima an Flächen führt (GEIGER 1961). Diese Temperaturer- Flachrainen, Wegrändern und Erdwegen wird vor höhung verstärkt wiederum die Austrocknung der allem vom Bewuchs, aber auch von Substrat und kargen Mauerfugenstandorte. Eine weitere Ursache Oberflächengestalt (Inklination, Rauhigkeit) ge- für die größere Wärme und Trockenheit der Kalkbö- prägt. den besteht in der größeren Wasserdurchlässigkeit. Wenn jedoch Wasservorräte hinter der Mauer "an- 1.3.2.1 Flachraine, Weg(e)ränder gezapft" werden können, bieten sich relativ günstige Lebensbedingungen. Feldgrenzen (z.B. schütter bewachsene Flachraine) bilden im Vergleich zu den Feldern ein mehr oder Der Untere Muschelkalk (oder Wellenkalk) ist ähn- minder stark ausgeprägtes Kleinklima aus. Der zwi- lich wie der Obere Muschelkalk von harter Konsi- schen einzelnen Feldkulturen z.T. ausgeprägte stenz (Kalk- und Kalkmergelgesteine), verwittert kleinsträumige Wechsel der Temperatur-, Licht- und nur schwer und eignet sich daher vorrangig zum Windverhältnisse kann für kleine Bodentiere mit Mauerbau. Mit 40 bis 60 Gew.-% ist auch der Stein- geringer Mobilität (z.B. Laufkäfer) durchaus eine anteil im Unteren Muschelkalk am höchsten. Die "mikroklimatische Barriere" darstellen (vgl. Kap. Carbonatgehalte bewegen sich zwischen 10 und 55 %. 1.5.1.1, S.82 und Kap. 2.6). Ein ca. 50 cm breiter, (pH-Werte über 7,2). Wo der (Obere) Muschelkalk mit fast unbewachsener Grenzstreifen zwischen einem einer Lößschicht abschließt, besteht seit jeher erhöh- Raps- und einem Weizenfeld wies eine Differenz der te Erosionsgefahr. Quermauern, die z.T. auch fisch- maximalen Tagestemperaturen von mehr als 20o grätartig verlaufen, sollten den Niederschlägen die C auf. Nachts kann ein Feldrain mit nur geringerer "Wucht ihrer Vernichtung nehmen" (BREIDER Vegetationsbedeckung stark abkühlen (PAUER 1968: 207). 1975: 461 ff.). Ein krautreicher (weil herbizidfreier) Mauern finden sich im Keuper nur bei stärkerem Ackerschonstreifen zeigte eine um 12% (während Gefälle (meist aus Schilfsandstein, Kiesel- oder Stu- des Tages um 17%) höhere relative Luftfeuchte ge- bensandstein aufgebaut). Bei geringerer Hangnei- genüber einem konventionell bearbeiteten Acker- gung werden diese Mauern zunehmend seltener; sie rand (RASKIN et al. 1992). "beschränken sich auf die Bergseite der durch die Das Kleinklima eines Weges ist (in Abhängigkeit Weinberghänge ziehenden Wege oder werden ganz von Substrat, Ausbaustandard und Bewuchs) mehr durch Raine ersetzt" (LINCK 1954: 14). oder minder deutlich vom Klima des Umlandes ab- Der Mittlere Keuper besteht aus grobkörnigen Sand- gegrenzt. Nicht nur asphaltierte Straßen bilden loka- steinen relativ großer Mächtigkeit (weicher Bla- le "Wärmeinseln"; die bodennahen Luftschichten sensandstein und harter Burgsandstein). Der Obere besonders über dunklen Wegedecken (z.B. Basalt- Lettenkeuper (Schiefertone mit eingelagerten Mer- schotter) heizen sich bei entsprechender Besonnung gelkalken, feinkörnige Sandsteine) findet sich in den stark auf. Weinbergen von Würzburg an mainaufwärts. Die Die von KOPECKY (1978) im Straßenraum gemes- Muschelkalklagen schließen dort zwar nach oben o mit dem Lettenkeuper ab, der Weinbau reicht jedoch senen Maximaltemperaturen von 60 - 70 C dürften - je nach Absorptionsvermögen des Wegebau- nicht immer in die meist den Übergang zu den substrats - z.T. auch auf untergeordneten Flurwegen Hochflächen bildende Lettenkeuperzone hinein (WITTMANN 1985). Der Untere Gipskeuper erreicht werden. Bei der oft nur schütter ausgebilde- teten Vegetation ist die Insolation an der Bodenober- (Myophorien- und Estherienschichten aus dolomiti- schen Schiefertonen, Gipslagen) bildet den westli- fläche der Grün- und Erdwegefahrspuren intensiver. chen Steilanstieg des Steigerwaldes mit geschlosse- nen Rebflächen um den Schwanberg und an anderen 1.3.2.2 Ranken, Böschungen klimatisch besonders begünstigten Lagen der Stei- Ranken entstehen schwerpunktartig bei Hangnei- gerwaldrandstufe. Der Keuper verwittert schluffig- o lehmig (geringer Steingehalt) - der Carbonatgehalt gungen von über 8 ; kleine Geländestufen finden sich jedoch bereits an sehr flachen Hängen mit Nei- erreicht bei hohem Anteil an Schiefergrus etwa 25 o %, sonst max. 5 % bei pH-Werten zwischen 6,2 bis gungswinkeln von 2-3 (WAGNER 1961; HAHN 7,1. 1985; EPPLE 1987). GUNZELMANN (1987) nennt eine Hangneigung 1.3.2 Mikroklima, Exposition von mindestens 5-7o als geländetopographische Entstehungsvoraussetzung für Ranken. JÄGER & Das geländemorphologisch bestimmte Mikroklima SCHAPER (1961) beschreiben im östlichen Oden- ist an Böschungen und Vertikalstrukturen (Ranken, wald Terrassen auf flachgeböschten Hängen mit ei- Hohlwegwände, Mauern und geschichtete Lese- nem Neigungswinkel von 3-8o. Am steileren Hang steinwälle) im wesentlichen auf ähnliche Weise aus- wird die Flur in der Regel höhenlinienparallel ge- gebildet. Eine Differenzierung ergibt sich vor allem teilt, es entstehen also die typischen isohypsenparal-

32 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen lelen Rankensysteme. Wegen ihrer Entfernung zu bereits am Vormittag für die Verdunstung ver- Hangzugs- und Grundwasser bei gleichzeitiger braucht; am Nordosthang sind die Temperaturen hoher Sonneneinstrahlung sind Stufenraine potenti- durchschnittlich um 4-5o C niedriger. Bereits 0,5% ell sehr trockene Standorte (vgl. Abb. 1/15, S. 33). Hangneigung sind ausreichend, daß die hangab- Die terrassierten Hangbereiche der heute noch be- wärtsgleitende Kaltluft am Hangfuß einen Kalt- wirtschafteten Weinbergslagen* weisen nahezu aus- luftstausee mit stabiler Inversionsschichtung entste- hen läßt. An der "Obergrenze" des Kaltluftsees kön- nahmslos Südexposition und damit hohe Insolati- o onsraten auf. Die Bodentemperatur wird vor allem nen bis zu 5 C höhere Temperaturen vorherrschen durch die Strahlungsverhältnisse beeinflußt. Bei - dieser Prozeß führt zur sog. "warmen Hangzone". Hangneigungen zwischen 10 und 20o kann die Ein- Die unterschiedlichen Besonnungswerte schlagen strahlung auf der Südseite mehr als das Doppelte sich letztlich auch in der Zusammensetzung der gegenüber der Nordseite betragen. Auf südexpo- Vegetation nieder. Entsprechend exponierte "war- nierten Hängen kann dementsprechend die Vegeta- me" Hänge ermöglichen ein Vordringen submediter- tionsentwicklung bei günstiger Witterung bereits im raner und mediterraner Arten in Richtung Norden zeitigen Frühjahr einsetzen und (gegenüber Nord- (vgl. ORGIS 1979: 469; M. RICHTER 1978: 369). hängen) beschleunigt ablaufen (siehe das erste Faktoren wie Hangneigung, Bodenfarbe oder auch Märzveilchen am sonnigen Rain). Bodenstruktur spielen an der nördlichen Grenze des Weinbaus eine weit größere Rolle als in südlicheren Vor allem im Winter und im Frühjahr ergeben sich Regionen. Defizite im Wärmehaushalt werden also auffällige Unterschiede. So erhält ein Rain mit durch nach Süden ausgerichtete Hanglagen, durch 20 o Neigung im Dezember bei Südexposition 18, 6 Terrassierungen mit Trockenmauern, z.T. auch MJ/m2/d Einstrahlung, bei Westexposition 8,4 und durch künstliches "Schiefern"** ausgeglichen. 2 bei Nordexposition 0,0 MJ/m /d Einstrahlung. Im Die in Abb. 1/16, S. 34, dargestellten Isoplethen- Juni ist dagegen die Differenz viel geringer: 41 2 2 Diagramme zeigen die Temperaturschichtung der MJ/m /d bei Südexposition stehen 37, 8 MJ/m /d Biosphäre in Abhängigkeit vom Bodenbewuchs. bei Nordexposition gegenüber (BARTHEL 1992: 30). Geneigte Flächen empfangen zudem einen Die Beeinflussung durch Hangneigung und Boden- größeren Anteil langwelliger atmosphärischer Hö- farbe zeigt sich im Vergleich zweier "Barflecken" henstrahlung, während die effektive Ausstrahlung (nahezu vegetationsfreie Blößen) am Hang und am um ca. 10% verringert wird (HÄCKEL 1990). Talgrund***. Die enge Scharung der Isolinien zeigt Temperaturmaxima zeigen sich meist in Südwestla- für die Meßstelle auf dem fast vegetationslosen ge: die noch höhere Einstrahlung am Südhang wird Flecken am Hang eine starke Aufheizung des

Abbildung 1/15 Vergleich eines bewaldeten und eines ack- erbaulich genutzten Hanges mit Stufen- rainen (BARTHEL 1992: 55) Die Oberkanten der steilen Hochraine sind vom Hangzugswasser (gestrichelte Linie) besonders weit entfernt.

* Die heute noch bewirtschafteten Weinbaulagen Bayerns befinden sich ausnahmslos in klimatisch besonders begünstigten Lagen im Maingebiet. Das Klima ist von verhältnismäßig hohen Jahresmitteltemperaturen bei milden Wintern und von relativ geringen Jahresniederschlägen (500-600 mm) geprägt. Charakteristisch für die steilen Hanglagen sind kühle Abwinde während der Nacht und warme Aufwinde bei Tag. Im Gegensatz dazu sind im Bereich ehemaliger Weinbaugebiete wie z.B. dem Steigerwald (zumeist verfallende) Trockenmauern auch an Nordwest- und sogar Nordhängen bekannt. Die (relative) klimatische Ungunst mag als ein zusätzlicher Negativ-Faktor eine nicht unbedeutende Rolle bei der Aufgabe dieser Lagen gespielt haben. ** Das Aufbringen einer relativ dunklen und lockeren Gesteinsauflage (starke Erhitzung) führt zu einer Verbesserung der Wärme- kapazität von Boden und der bodennaher Luftschicht (M. richter 1978: 36). *** Die Messungen am 35° gegen SSO geneigten Hang wurden über dunklem Schiefergrus durchgeführt, diejenigen im Talgrund über hellem Lehm. Zwischen 21.30 h und 3.30 h wurde in zweistündigem Abstand gemessen, bis 11.30 h und ab 15.30 h wurde stündlich in der Mittagszeit halbstündlich gemessen - jeweils in 5 cm tiefe, unmittelbar über dem Boden, in 10 cm und 150 cm Höhe (M. RICHTER 1978: 37).

33 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen dunklen Schieferbodens bis in ca. 30 cm Höhe an. Für die tiefwurzelnden Rebstöcke muß sich die star- In 150 cm Höhe weichen die Maximaltemperaturen ke Erwärmung der obersten Bodenschichten nicht dagegen nicht wesentlich von denen über dem Cle- negativ auswirken; für die Brachevegetation hat da- matis-Gebüsch oder der lehmigen Blöße im Tal- gegen eine Erhitzung auf über 50o C bei parallellau- grund ab. fender verstärkter Austrocknung des Oberbodens eine Selektion zur Folge, die nur ausgesprochene Weitere Messungen (z.B. von Temperatur und Luft- Xerothermpflanzen überleben läßt. feuchte über vegetationslosem und bewachsenem Untergrund in Abhängigkeit der Windstärke) ver- Expositionsbedingte Unterschiede im Mikroklima deutlichen, daß die Temperaturen an der offenen finden in den unterschiedlichen Deckungsgraden Bodenoberfläche und in 10 cm Höhe schon bei von nord- (60-95 %) und südgerichteten (30-85 %) leichten Luftbewegungen absinken. Im schatten- Böschungen ihren deutlichen Ausdruck (NAGLER spendenden und windabwehrenden Clematis-Ge- & SCHMIDT 1987). strüpp stellt sich der Temperaturverlauf hingegen Wind wird an der Erdoberfläche durch Reibung wesentlich gleichmäßiger dar. Sehr auffällig sind die gebremst. So entstehen an einer Terrassenkante unterschiedlichen Bodentemperaturen in 2 cm Tiefe, Luftwirbel, die zu einer böigen Windverstärkung die bei gleicher Bodenstruktur im vegetationslo- o und zu unregelmäßigen Richtungsänderungen füh- sen Grus um fast 15 C höher sind als im beschat- ren, so daß der Wind kurzzeitig gegen die generelle teten Boden. Strömungsrichtung weht.

Abbildung 1/16 Temperaturschichtung über vegetations- losem Schiefergrus (a); Temperatur- schichtung in bzw. über flachem Clema- tis-Gestrüpp, ca. 30 cm hoch (b);Tempe- raturschichtung über vegetationslosem, hellem Lehm im Talgrund (c) (M. RICH- TER 1978: 38 f.)

34 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Als ein Produkt dieser lokalen Verwirbelung zeigt und Herbst einen maximalen Strahlengenuß. Die sich der sog. "Staubfangeffekt": Auf geneigten Mauerneigung entscheidet wesentlich über die Zu- Ackerterrassen oder unterhalb von Steinwällen ist sammensetzung der jeweiligen Mauerfugengesell- die Auskämmung von Schwebstoffen (Stäuben, schaft. Bereits bei leichter "Schräglage" (85o statt Diasporen) wesentlich stärker als in hindernisfreien 90o) fehlen aufgrund des nun höheren Feuchtigkeits- Offenlandflächen (vgl. OBERMEIER & WALEN- und Substratangebotes die relativ konkurrenz- TOWSKI 1991: 90). schwachen "Spezialisten" (vgl. Kap.1.4.2.8). In Keuperhohlwegen (und muldenförmigen Hoh- 1.3.2.3 Steilwände (Lößböschungen, len) entfallen die extrem steilen und trockenen Hohlwege, Mauern) Standorte; aufgrund der meist abgeschrägten bzw. gerundeten Flanken und des entsprechend stärkeren Ein gemeinsames Merkmal von Mauern, Hohlwe- Bewuchses haben sie häufig halbschattigen bis gen, z.T. auch Steinwällen ist ihre mehr oder weni- schattigen Charakter. ger senkrechte Oberfläche. Dies ist der Hauptgrund für die Ausbildung eines spezifischen Wandklimas, 1.3.2.4 Lesesteinformen welches wiederum entscheidenden Einfluß auf die Tier- und Planzenarten der Steilwandbiozönose aus- Oberflächen von Lesesteinen können sich bei ent- übt. Zur Zeit des Sonnenhöchststandes hat ein Hang sprechender Exposition tagsüber auf bis zu 70o C mit 25o Neigung den vollen Einstrahlungsgenuß. erhitzen (GEIGER 1961). Im Gegensatz zu diesen Das heißt, zu anderen Jahreszeiten müssen Flächen trocken-heißen Oberflächen bleibt es im Innern des wesentlich stärker geneigt sein, um die gleiche Steinhaufens oder -riegels relativ kühl und feucht. Strahlenausbeute zu erreichen. In dieser Schlußfol- In den späten Nacht- und frühen Morgenstunden gerung zeichnet sich bereits die große Bedeutung erfolgt eine starke Abstrahlung von den Gesteins- südexponierter Steilwände im Frühjahr und Herbst oberflächen, so daß diese stärker auskühlen als die für wechselwarme Organismen ab. So ergaben Tem- peraturmessungen im April in einem Lößhohlweg um die Mittagszeit am ebenen Boden rund 26o C, an der südexponierten Steilwand dagegen 38,5o C (MIOTK 1988). Hohe Temperaturen korrelieren in der Regel negativ mit der relativen Luftfeuchtigkeit. Je nach Expositi- on der betreffenden Steilwand weist dieser Faktor einen bestimmten, den Temperaturwerten entgegen- gesetzten Tagesgang auf (s. Abb. 1/18, S. 35). Die Steillage der Lößwand verhindert, daß Nieder- schläge in nennenswertem Umfang auftreffen bzw. in das Steilwandsubstrat eindringen können. In frei- stehender, windausgesetzter Lage kann auch der austrocknenden Wirkung des Windes erhebliche Bedeutung zukommen. Da Hohlwege (ebenso wie Mauern, Steinwälle etc.) jeweils zwei völlig entge- gengerichtete Seiten besitzen, können je nach Expo- sition in engster Nachbarschaft erhebliche Klimaun- terschiede in der Steilwandbiozönose wirksam wer- den (vgl. GLÜCK et al. 1987). Ähnlich wie die fast lotrechten Lößsteilwände (s.o.) empfangen freistehende, nicht beschattete und vege- tationsarme Trockenmauern vor allem im Frühjahr

Abbildung 1/18 Tagesgänge der Lufttemperatur und der relativen Abbildung 1/17 Luftfeuchtigkeit (15. Juli), gemessen an unterschied- Veränderung der Windrichtung an einer Hangter- lich exponierten Lößsteilwänden und im Wetterhaus rasse (HÄCKEL 1990, veränd.) (MIOTK 1979)

35 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen inneren Hohlräume. Bei sehr starker Insolation (Ein- lem in sauren und gleichzeitig "hängigen" Standort- strahlung S/SW) ist das Mikroklima der Gesteins- typen (Ranker, Podsole) kann auf die geringe Akti- oberfläche von extremen Temperaturunterschieden vität der höher organisierten Destruenten (z.B. Re- bei sehr geringer Wasserverfügbarkeit gekennzeich- genwürmer, Mollusken, Nematoden) im Boden zu- net; das Innere besitzt ein wesentlich ausgeglichene- rückgeführt werden. res Mikroklima. So werden im Spaltensystem von Trockenmauern und Lesesteinwällen Feuchtlufträu- Eine Folge dieser "auf Sparflamme" laufenden Bo- me für entsprechende Organismen bereitgehalten. Je denaktivität ist eine gehemmte Stickstoffzufuhr, die nach Größe der Lesesteine, Feinerdeanteil, Windex- wiederum einer rasch fortschreitenden Vegetation- position, Beschattung etc. können sich eine Vielzahl sentwicklung auf Rohbodenböschungen entgegen- an mikroklimatischen Kleinststandorten ausbilden. steht (vgl. Kap. 2.2.1.1). Die teilweise Abstinenz der Ähnliches gilt auch für die Mauerfugen von "Zersetzerorganismen" ist auf die insgesamt relativ Trockenmauern (vgl. AUVERA 1966; STÖSSER "lebensfeindlichen" mikroklimatischen und boden- 1974; REIF et al. 1982; HAHN 1985; STRUNK hydrologischen Verhältnisse (geringer Feinerdege- 1985; SCHMIDT 1985; SIEBEN 1990). halt, geringe Wasserkapazität, hohe Einstrahlung) vieler exponierter Agrotopstandorte zurückzu- führen. Verhältnismäßig nährstoffarm sind daher 1.3.3 Nährstoffverhältnisse wenig entwickelte Rohbodenböschungen und au- tochthone Erdwege im Kristallin der Grundgebirge Die natürliche Nährstoffversorgung der Agrotope sowie über Buntsandstein, Keuper, Muschelkalk, steht in engem Zusammenhang mit ihrer Positionie- Gips, Flugsand (potentielle Mager- und Trocken- rung in übergeordneten, raumdurchdringenden standorte). Auf bodensauren Ranken besteht dar- Ökotonen* (z.B. Ackerterrassen in den Rand- und über hinaus eine größere Auswaschungstendenz als Steilstufen des Albtraufs, der Trias-Landschaften; in z.B. auf hängigen Rendzinen; der Kalkboden fördert den Leiten, Rücken und Riedeln der Fließgewässer). Krümelbildung und damit das "Festhalten" von So sind z.B. Terrassenstandorte in den Oberläufen Nährstoffen an Tonmineralien und Humusteilchen. der Bäche und Flüsse meist noch nährstoffärmer als in Mündungsnähe. Flußterrassen bestehen oft aus Die Böden von Ackerrainen sind auch in von Natur durchlässigen Schottern, z.T. auch Sanden, und bil- aus basenarmen Regionen relativ basen- und den daher relativ trockene, nährstoffarme Standorte kalkreich und überdurchschnittlich mit Nährstoffen aus. Höher gelegene Terrassen sind in ihrer Boden- versorgt. Meist nährstoffärmer sind Grünlandrai- entwicklung meist weiter fortgeschritten (vgl. LPK- ne, aber auch Ranken in Oberhanglage sowie Band II.15 "Geotope"). Hangkanten: oft sandig-grusige Rohbodenan- schnitte mit geringem Nährstoff- und Basengehalt; Auf mineralischen Böden kommt der Menge an die chemische Verwitterung ist kaum fortgeschritten pflanzenverfügbarem Stickstoff (Indikator für die (s.o.). Standortproduktivität) meist größere Bedeutung zu als den übrigen Nährstoffen. Sein Vorkommen hängt vom Gehalt an organischer Substanz und deren Mi- Stufenrainköpfe sind häufig N-reicher als die ober- neralisierbarkeit (C/N-Verhältnis) sowie der ökolo- seitigen Äcker (KLEYER 1991). Frühere Dünge- gischen Feuchte ab. Auf bodenfrischen "Normal- maßnahmen "schlagen durch", vergleichsweise standorten" ist davon auszugehen, daß bei einem hohe Stickstoffgehalte können auch mit dem reichen Humusgehalt von 6% und einem C/N-Verhältnis Vorkommen stickstoffsammelnder Leguminosen von 10:1 etwa 12.000 kg/ha organisch gebundener (z.B. Robinien auf Böschungen, Hohlwegen, Wein- Stickstoff in den obersten 30 cm Bodenschicht ent- bergsbrachen etc.) erklärt werden (vgl. GEMEIN- halten sind (KUNTZE 1984, zit. in BRIEMLE et al. HARDT 1959 und 1960). Transektuntersuchungen 1991). Böden über saurem Ausgangsgestein sind im im vertikalen Profil der Stufenraine zeigen, daß allgemeinen durch ein etwas ungünstigeres C/N- Trockenraumdichte und Nährstoffangebot von den Verhältnis (und damit auch Nährstoffangebot) ge- Stufenrainrändern zur Mitte hin abnehmen, Grün- kennzeichnet. Eine nachteilige Festlegung des mi- digkeit und nutzbare Feldkapazität in gleichem neralischen Bodenstickstoffs in Mikroorganismen Maße zunehmen (RÜCK et al. 1989, zit. in ist allerdings erst bei Werten von C/N >30 zu erwar- KLEYER 1991: 66 f.). ten. Probenahmen aus stärker geneigten Hangpar- tien zeigen grundsätzlich ein weiteres, also "ungün- stigeres" C/N-Verhältnis. Ein weiterer Faktor für eine relative Stickstoffanrei- cherung, insbesondere im Feinmaterial, ist vermut- Darüber hinaus ist der Anteil von mineralisiertem lich in der starken sommerlichen Erwärmung von Stickstoff entscheidend vom Ausgangsgestein ab- unbeschatteten Hanglagen zu suchen. So liegt hängig. Der niedrige Anteil von mineralisiertem nach SCHEFFER-SCHACHTSCHABEL (1982) (und damit pflanzenverfügbarem) Stickstoff vor al- die optimale Temperatur für eine Nitrifizierung**

* hier im Sinne von "großen Saumzonen", Großökotonen ** Mit der Nitrifizierung (Oxydation von Ammonium- zu Nitrit- bzw. Nitrationen) wird zwar keine unmittelbare Stickstoff-Anrei- cherung erzielt, jedoch durch eine bessere Wasserlöslichkeit die Aufnahme von Nitrat-Stickstoff (NO3-) erleichtert. Nach dem

36 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen zwischen 30o und 35o, also bei Werten, die im Som- schen dem jeweiligen Anteil in der Gesamtprobe im mer auf vegetationsarmen Böschungen häufig er- Vergleich mit dem Feinmaterial unter 0,2 mm fest- reicht werden (vgl. Kap.1.3.2.2, S.32). Andererseits gestellt werden. Dies weist auch auf einen verstärk- kann ein hohes Stickstoffangebot bei sehr flachgrün- ten Phosphat-Austrag im Bereich von erosionsge- digen, zur Trockenheit neigenden Böden oft nicht fährdeten Hanglagen hin. Ein niedriger Phosphat- entsprechend genutzt werden. Gehalt kann dabei nicht durch eine hohe N-Versor- Sowohl Bodenerosion als auch Auswaschung in gung kompensiert werden. In Trockenrasen ist tiefere Bodenbereiche führen zu Nährstoffverlusten. Phosphor daher oft limitierender Faktor (vgl. LPK- Hinsichtlich der Stickstoff-Verlagerung ist bei star- Band I.1 "Kalkmagerrasen", Kap. 1.3.4.2). Kalium- kem Oberflächenabfluß mit dem Verlust an Feinerde Mangel kann dagegen sogar N-Überschuß auslösen der gesamte bodengebundene Stickstoff betroffen. (JANSEN 1991). MORAVEC (1967) beschreibt Hingegen weisen bei einer Stickstoff-Auswaschung eine POLYTRICHO-SCLERANTHETUM PERENNIS- Ges. die weniger stark fixierten, anorganisch gebundenen auf sauren, sehr flachgründigen Rankern mit einer Nitrate eine überdurchschnittliche Verlagerung auf Mächtigkeit von maximal 30 cm über Granit und (KÖHNLEIN & WEICHBRODI 1971, zit. in M. Gneis. Der extensiv beweidetete Standort weist ei- RICHTER 1978: 21). So kann ein verhältnismäßig nen Mangel an pflanzenverfügbaren Ca-, K- und niedriger N-Gehalt einer Böschung stets in Zusam- Mg-Ionen und einen Überschuß an Al-Ionen auf menhang mit dem starken Feinerdeverlust gesehen (vgl. auch LPK-Band II.3 "Bodensaure Magerra- werden. Die Verringerung des Trophiegrades im sen", Kap. 1.3.3). Bereich stark erosionsgefährdeter Hänge zeigt sich auch in der veränderten Humusform: während etwa an Waldrändern der Oberboden durch Mull charak- 1.4 Pflanzenwelt terisiert ist, zeichnen sich steinige Rigosole durch rohhumusartigen Moder aus. Agrotope tragen häufig keine festgefügten, in sich Zusätzlich zum immissionsbedingten Nährstoffein- stabilen Pflanzenbestände, die dem üblichen pflan- trag und dem Eintrag von Boden- und Düngemit- zensoziologischen System eindeutig zuzuordnen telabspülungen aus benachbarten Agrarflächen er- sind. Ihre Vegetations- und Artenbestände sind ins- fahren Wegraine (ähnlich wie Straßenränder) eine gesamt sehr vielfältig, übernehmen sie doch Züge mehr oder minder starke Nährstoffzufuhr von der der verschiedenartigsten Kontaktbiotope und Nutz- Fahrbahn selbst. Insbesondere bei stärker befahre- flächen und kombinieren sie zu eigenständigen Ar- nen, ausgebauten Flurwegen hat die Sedimentation ten- und Bestandesgefügen. des Verkehrsstaubes (z.B. Reifenabrieb, Staubparti- Die relativ geringe "syntaxonomische Systemge- kel, von Rädern abbröckelnder Boden) auf den rechtigkeit" der Agrotopvegetation darf nicht zu ih- Nährstoffgehalt der Bankettzone beträchtlichen rer Vernachlässigung führen. Betrachtet man sie Einfluß (vgl. ULLMANN et al. 1988). So sind auf nicht als homogenes Gesellschaftsfragment im Wegen im Kristallin die Nährstoff- und pH-Werte BRAUN-BLANQUET’schen Sinne, sondern als oft deutlich höher als in deren Umgebung. Dies ist Artenkollektiv mit unerschöpflich variabler Ausprä- z.T. auf allochthones Wegebaumaterial (Kalkschot- gung, so werden die Verschiebungen im Gefälle der ter), aber auch auf ammoniakhaltige Dünger zurück- Standort- und Nutzungsfaktoren viel klarer sichtbar. zuführen, die beim Transport verstreut oder verdrif- Durch Ordination (Anordnung) einzelner Vegetati- tet werden. Dies kann bis zum Verwischen floristi- onsaufnahmen im Gefälle bestimmter Standortfak- scher Unterschiede, z.B. zwischen Weg(rain)- toren läßt sich die Bandbreite der Agrotopgesell- Standorten im Kristallin und Jura- bzw. Muschel- schaften im allgemeinen adäquater darstellen als kalk führen (vgl. BARTHEL 1992). durch pflanzensoziologische Klassifikation anhand Mauern, z.T. auch Steinriegel, stauen Feinerde und weniger diagnostischer Arten (vgl. WHITTACKER können damit eine lokale Stickstoffanreicherung be- 1973). wirken (nitrophile Pflanzengemeinschaften am Dieses Kapitel bringt zunächst einige aut- und syn- Mauerfuß!). Die höchsten Gesamtstickstoff-Werte ökologische Grundlagen (Kap. 1.4.1). Darauf er- fand M. RICHTER (1978) im Bereich regelmäßig folgt eine Darstellung wichtiger Pflanzengemein- gedüngter Weinberge. Auch hier zeigten sich jedoch schaften (Kap.1.4.2, S. 49). Abschließend werden relative Nährstoff-Verluste am steileren Oberhang einzelne Arten in ihren naturschutz- und pflegerele- gegenüber einer Stickstoff- und insbesondere Phos- vanten Eigenschaften vorgestellt (Kap.1.4.3, S.62). phat-Anreicherung im flacheren Hangfußbereich. Insgesamt scheint sich der Nährstoffaustrag sowohl 1.4.1 Pflanzenökologische Grundlagen auf den früher nur wenig gedüngten als auch auf den sehr steilen Rebhängen schon nach wenigen Brache- Pflanzenbestände auf agrarischen Saumbiotopen jahren entscheidend auf die Artenzusammensetzung spiegeln in Artenzusammensetzung, Populations- der Brachevegetation auszuwirken. struktur, ja sogar in den Stoffgehalten der Pflanzen- Ähnlich wie für den Stickstoff- können auch für den masse und im Vitalitätszustand der Arten vor allem Phosphatgehalt beträchtliche Unterschiede zwi- die direkten und indirekten landwirtschaftlichen

Einbau in die organische Substanz ist er dem Boden bis zur erneuten Mineralisierung entzogen (M. Richter 1978: 23).

37 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Nutzungseinflüsse wider (vgl. Kap. 1.4.1.3/1.4.1.4). des Waldinnenklimas, ja sogar der Moore, Bach- Bei nicht zu massiver agrochemischer Überprägung zonen und Schluchten (z.B. Heidelbeere, Rausch- schlagen aber auch die naturgegebenen, naturraum- beere, Schwarze Heckenkirsche, Österreichische differenzierten Faktoren (vgl. Kap.1.3, S.25) in den Gemswurz) ins Freie. Vegetationsausprägungen durch (Kap. 1.4.1.1/ 1.4.1.2). Ein eigenes Unterkapitel (1.4.1.5, S. 48) Nährstoffarmut und Azidität des Ausgangs- widmet sich schließlich der Ausbreitungsbiologie substrates werden mit ansteigender Höhenlage in bezeichnender Arten(gruppen), ein Grundpfeiler für ihrer Wirkung durch den Niederschlagsanstieg und das Verständnis von Artenverteilungen in der Flur. der damit verbundenen stärkeren Nährstoffauswa- schung deutlich gesteigert. Mit zunehmender Hö- henlage schieben sich daher die Säure- und Mager- 1.4.1.1 Rainvegetation im keitszeiger immer mehr in den Vordergrund. Klima- und Seehöhengefälle Während die Lesesteinriegel in den tiefer gelegenen Bayerns Flachraine, Ranken und Steinriegel reichen Gebieten des Bayerischen Waldes größtenteils mit von der planaren Stufe von ca. 300 m bis in mittel- Hecken bestockt sind, finden sich in Hochlagen ab montane Lagen, von den subkontinental getönten ca. 900 m aus klimatischen Gründen zunehmend Regenschattengebieten (z.B. Untermaintal, Cham- grasig-krautige Raine bzw. nur mit Zwergstrauch- Further Senke) mit ca. 600 mm mittleren Jahresnie- heiden bewachsene Lesesteinriegel (vgl. Abb. 1/19, derschlag bis in den humiden Kamm- und Luvbe- S. 39). Die zunehmende Höhenlage begünstigt also reich mit ca. 1.200 bis 1.400 mm. Die Lesesteinrie- Arten mit niedrigem, zwergstrauchartigem Wuchs, gel der Almregion liegen natürlich noch weit dar- in sehr kontinentalen Lagen (vergleichsweise gerin- über. Dieser Gradient läßt sich am klarsten bei etwa ge Jahresniederschläge/ viele Frosttage) auch Arten gleichbleibenden geochemischen Verhältnissen dar- mit spezifischen Anpassungen gegenüber Aus- stellen. Als Beispiel diene die Höhen- und Klimaab- trocknung (skleromorphe und sukkulente Arten mit folge vom Schichtstufenland zum ostbayerischen eingeschränkter Transpiration). Grundgebirge. Den subkontinentalen Einfluß zeigen Carex brizoi- Wesentliche Klimafaktoren sind die steigenden des ("Seegras"), Chaerophyllum aromaticum (Ge- Jahresniederschläge im Bereich der Mittelgebir- würz-Kälberkropf) oder Calamagrostis villosa ge (von ca. 600 mm im Donautal auf über 1.100 mm (Wolliges Reitgras), letztere nur in Hochlagen meist in den montanen Lagen des Bayerischen Waldes), über 1.000 m. die Abnahme der mittleren Tagestemperatur und In sommerwarmen, trockenen Klimaten spielt die eine zunehmende Kontinentalität durch Kaltluft- Azidität des Bodens offenbar keine entscheidende ansammlungen im Windschatten der Mittelgebirge. Rolle für die Artenkombination. Beispiele hierfür Die Höhenverbreitung von Wirtschaftwiesen- und sind "Kalkzeiger" wie Dianthus carthusianorum Magerrasengesellschaften auf "bodensauren" Feld- (Karthäuser-Nelke), Bromus erectus (Aufrechte rainen läßt eine Reihe aufsteigender Verbreitungs- Trespe), oder Ajuga genevensis (Genfer Günsel), die schwerpunkte erkennen (KNOP & REIF 1982:270): auf Rainen im Regental auf z.T. sehr sauren Böden • Arten des (gedüngten) Wirtschaftsgrünlandes wachsen (BARTHEL 1992: 67) (vgl. dazu VOG- (ALCHEMILLO-ARRHENATHERETUM) mit einem GENREITER 1971; ZIELONKOWSKI 1973). Verbreitungsschwerpunkt zwischen 350 und 650 Echtes Salomonsiegel (Polygonatum officinale) und m ü. NN. Kennzeichnende Arten sind z.B. der Graslilie (Anthericum liliago) im Regenknie, ja so- Goldhafer (Trisetum flavescens), der Frauen- gar die Küchenschelle (Pulsatilla vulgaris, P. gran- mantel (Alchemilla monticola) oder der Herbst- dis) bei Wörth/ Donau tauchen auf agrotopartig ein- Löwenzahn (Leontodon autumnalis); gestreuten Felsknocks bzw. Hochrainen auf. Beson- • Arten der bodensauren Magerwiesen und Hei- ders deutlich zeigt sich dieser lokalklimatische Ef- den, zwergstrauchlos (z.B. Festuca rubra-Agro- fekt in den in Ost-West-Richtung verlaufenden Tä- stis capillaris-Gesellschaft) mit einem Verbrei- lern der Oberpfalz (z.B. Murachtal, Pfreimdtal), die tungsschwerpunkt zwischen 350 und 750 m ü. regelrechte Wanderachsen für wärmeliebende, kon- NN. Kennzeichnend sind z.B. die anspruchslo- tinental getönte Arten darstellen (HERRE 1993, sen Gräser Rotes Straußgras (Agrostis capilla- mdl.). ris) und Rotschwingel (Festuca rubra), häufige Mit den klimatischen Rahmenbedingungen kann Begleiter das Hunds-Veilchen (Viola canina) sich auch der Anteil von Mähwiesenarten und Arten oder die Heide-Nelke (Dianthus deltoides); ruderaler Gesellschaften verschieben. So treten nach • Arten der höhergelegenen Magerrasen und HEINDL (1991: 321) in den stärker subatlantisch Zwergstrauchheiden (z.B. Deschampsia flexuo- getönten Bereichen die Grünlandarten, in den sa-Potentilla erecta-VIOLION-Gesellschaft) mit trocken-warmen Regionen dagegen die Vertreter ru- einem Verbreitungsschwerpunkt zwischen 450 deraler bzw. halbruderaler Gemeinschaften in den und 750 m ü. NN. Kennzeichnend sind submon- Vordergrund. tane und montane Arten wie etwa das Borstgras (Nardus strictus), die Blutwurz (Potentilla erec- 1.4.1.2 Vegetationsdifferenzierung ta) oder das Gefleckte Johanniskraut (Hyperi- und Exposition cum maculatum); • Auf Rainen der humiden Hochlagen (siehe Ranken und Böschungen kommen in allen mögli- Grenzkamm des Böhmerwaldes) treten Arten chen Expositionen vor. Nur im Grenzbereich zum

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Abbildung 1/19 Pflanzenbestände auf Steinriegeln im Bayerischen Wald (RINGLER et al. 1990: 78) Längsschnitt (o.) und Draufsicht (u.)

Dauergrünland, wo man die Ackernutzung zumin- gesehen erzeugen Hangabtreppungen Sonderstand- dest bis in die 60er Jahre auf wärmebegünstigte orte, die bezüglich Austrocknung und Wärme aus Lagen konzentrierte, überwiegen sonnseitige (fossi- dem übrigen Hang herausstechen. le) Ackerböschungen. Beispielsweise sind in den Drumlinfeldern bei Eberfing (WM), im Ostallgäu und Oberallgäu (z.B. bei Altusried und Reicholz- An "Mesobromion-Hängen" eingelagerte Ranken ried) vor allem die Südwesthänge deutlich getreppt. können "Xerobromion-Charakter" zeigen. SÜDEX- Im Alpenvorraum finden sich getreppte Hänge oft PONIERTE Böschungen tragen z.T. Arten einer XER- nur mehr in Südlage (z.B. Ratzinger Höhe, Samer- OBROMION-Fragmentgesellschaft - aufgrund der an- berg, bei Frasdorf/RO, Pechlschnait-Abdachung/ thropogenen Überformung ohne klassische XER- TS). OBROMETEN (u.a. aber manchmal mit Aster linosy- ris), die den Volltrockenrasen sehr nahe steht (z.B. Wegen der starken Insolation zeigt die Vegetation Winzer/ DEG; Mattinger Hänge/ R; westlich Stau- der südexponierten Ranken und Böschungen z.T. sacker/ KEH). Kleinflächig eingeschoben sind (vgl. deutlichen xerophilen Charakter mit stark submedi- hierzu FISCHER 1982c): terran-subkontinentalem Einfluß (vor allem in den lokalen Wärmegebieten im Maingebiet, an der Do- • lückige BROMETALIA-Ges., u.a. mit der Spurre nau!). Sonnseitige Ranken apern früher aus, sind (Holosteum umbellatum) an trockenen, felsigen also phänologisch begünstigt. Geländeklimatisch Bereichen, Abbruchkanten;

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• typische Phanerogamenges. der Lößsteilwände* che Simsenlilie) und Selaginella helvetica (Schwei- mit Feld-Beifuß (Artemisia campestris); zer Moosfarn) (s. Abb. 1/21, S. 41). • (sub)kontinentale bzw. submediterrane Flech- tenges. (ENDOCARPETUM PUSILLI, FULGENSIE- An Böschungen und Böschungspartien, die erst seit TUM FULGENTIS) an Steilwänden u. trockenen den 50er Jahren (z.T. durch Flurumgestaltungen) Stellen (heute in Bayern meist verschwunden). entstanden sind, herrschen im allgemeinen flori- stisch wenig ansprechende Ubiquisten-Gesellschaf- Der Einfluß der Einstrahlung macht sich insbeson- ten vor: In Südexposition dominieren artenarme dere im zeitigen Frühjahr bemerkbar (vgl. Kap. Queckenbestände, die nordexponierten Ranken 1.3.2, S.32). Den höchsten Strahlengenuß im März werden meist von der Fiederzwenke (Brachypodium empfangen die Steingrusfluren (SEDO-SCLERAN- pinnatum) beherrscht. Daneben finden sich in Nord- THEA-Gesellschaften) und lückige Halbtrockenra- exposition zunehmend Fettwiesenarten und ausge- sen, z.B. mit dem Furchen-Schwingel (Festuca ru- sprochene Stickstoffzeiger, wie z.B. die Zaunwinde picola) (vgl. Abb. 1/20, S. 40). (Calystegia sepium). Weiter dominierten hier die An nordexponierten Lößranken fehlen zwar die Ar- typische Brennessel-Giersch-Ges., Goldruten-Do- ten der XEROBROMION-Gesellschaften, meist auch minanz-Gesellschaften und ausgedehnte Schleppen die Charakterarten "klassischer" Halbtrockenrasen mit der Waldrebe (Clematis vitalba) (vgl. FISCHER (MESOBROMION-Gesellschaften). Trotzdem weisen 1982b-d). jahrzehnte- bis jahrhundertealte Böschungen auch in Nord-Exposition oft noch gut entwickelte, arten- Das hohe Nährstoff-, insbesondere das Stickstoffan- reiche Magerrasenfragmente mit manchmal überra- gebot, das über die intensive Bewirtschaftung der schenden Pflanzenbildern auf. Als eine Besonder- angrenzenden Nutzflächen auch den Böschungsflä- heit sickerfeuchter Böschungsanbrüche über rohem chen zuteil wird, ermöglicht auf den nordexponier- Löß zeigen sich mancherorts (siehe z.B. Pleintinger ten Bereichen bei gleichzeitig günstiger Wasserver- Lößranken/PA) Relikte von Flachmoorgesellschaf- sorgung die Existenz nitrophiler Staudengesell- ten mit Arten wie Tofieldia calyculata (Gewöhnli- schaften (vgl. Kap.1.7.1, S.149).

Abbildung 1/20 Strahlengenuß verschiedener Raingesellschaften im März (BARTHEL 1992: 110)

1: PLANTAGINETEA: LOLIO-POLYGONETUM ARENASTRI 2: ARTEMISIETEA: URTICA DIOICA-[GALIO-URTICENEA] 3: ARTEMISIETEA: URTICA AEGOPODIETUM PODAGRARIA 4: ARTEMISIETEA: ARTEMISIO-TANACETUM 5: SEDO-SCLERANTHETEA: Hieracium pilosella-[SEDO-SCLERANTHETEA] 6: NARDO-CALLUNETEA: CAMPANULO-DIANTHETUM DELTOIDES 7: NARDO-CALLUNETEA: Avenella flexuosa-[NARDO-CALLUNETEA] 8: NARDO-CALLUNETEA: Calluna vulgaris-[GENISTION] 9: MOLINIO-ARRHENATHERETEA: Carex brizoides-[MOLINIETALIA] 10: TRIFOLIO-GERANIETEA: Holcus mollis-Agrostis capillaris-GESELLSCHAFT 11: MOLINIO-ARRHENATHERETEA: MEO-FESTUCETUM 12: AGROPYRETEA: FALCARIO-AGROPYRETUM REPENTIS 13: AGROPYRETEA: CONVOLVULO-AGROPYRETUM REPENTIS 14: FESTUCO-BROMETEA: Brachypodium pinnatum-[FESTUCA-BROMETEA]

* Auch höhere Pflanzen können u.U. fast senkrechte Steilwände besiedeln: Bei Artemisia campestris verschleimt die Außenschicht der kleinen Früchte bei Wasserzutritt, so daß diese auch an glatten Wänden haften bleiben (FISCHER 1982/a).

40 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Wegmulden beherbergen oft Arten periodisch ver- den durch unspezifische "Fakultative"* aus der Um- näßter Bereiche. So war das seltene Gipskraut (Gyp- gebung ersetzt (BRANDES 1992). sophila muralis), eine Art nasser Zwergbinsenflu- ren, auf einem Erdweg im Regental inmitten ausge- sprochener Trockenheitszeiger anzutreffen (BAR- 1.4.1.3 Nährstoff- und substratgeprägte THEL 1992).Das locker aufliegende Geröll schirmt Vegetationsausbildungen den Untergrund der Steinwälle so gegen Aus- trocknung ab, daß innerhalb des Trockenstandorts Aus den mittleren Zeigerwerten nach ELLENBERG feuchtere Kleinklimate entstehen, in denen auch we- (1974) berechnen KNOP & REIF (1982: 271) die niger xerophile Pflanzen gedeihen können. Zeigerwerte der von ihnen auf nordostbayerischen Die Randbereiche der Steinriegel sind häufig durch Feldrainen aufgenommenen Gesellschaften. Im Ver- angeschwemmte Feinerde kleinstandörtlich diffe- gleich der ökologischen Amplituden lassen insbe- renziert; hier zeigen sich vor allem Ausbildungen sondere die Reaktions- und Stickstoffzahlen teilwei- verschiedener Therophyten und kurzlebiger Ru- se recht deutliche Unterschiede erkennen. deralarten, wie z.B. Hungerblümchen (Erophila ver- na), Kelch-Steinkraut (Alyssum alyssoides) oder Den N-armen, sauren bis mäßig (schwach) sau- Kompaß-Lattich (Lactuca serriola). ren Bereich besetzen vor allem die Drahtschmielen- Blutwurz-Gesellschaft (Deschampsia flexuosa-Po- Die Zusammensetzung der jeweiligen Mauerfu- tentilla - erecta-Ges.), die Rotschwingel-Rotstrauß- gengesellschaft ist stark expositionsabhängig. Be- gras-Wiese (Festuca rubra-Agrostis capillaris- reits ein leichtes Abweichen "vom Lot" kann auf- ARRHENATHERION) sowie die ranglose Sandtrok- grund des höheren Feuchtigkeits- und Substratange- kenrasenausbildung mit Polytrichum piliferum botes zur Verdrängung der relativ konkurrenz- (Glashaar-Widertonmoos) und Scleranthus peren- schwachen ASPLENIETEA-Arten führen; diese wer- nis (Ausdauernder Knäuel).

Abbildung 1/21 Schnitt durch nordostexponierten Lößhang (Pleintinger Lößterrassen)

* Arten, die nur unter günstigen Bedingungen Mauer- und Felsstandorte besiedeln. Fakultative Mauerpflanzen besitzen im allgemeinen eine weite ökologische Amplitude.

41 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Die saumähnlichen Gesellschaften des TRIFOLIO- In Abb. 1/22, S. 42, wird die mittlere Nährstoff-Zahl AGRIMONIETUM - im UG von KNOP & REIF u.a. (N-Zahl)* von Raingesellschaften zu ihrer mittleren gekennzeichnet durch den Wirbeldost (Clinopodi- Artenzahl in Beziehung gesetzt. Nährstoffzahlen um vulgare) oder die Süße Bärenschote (Astragalus über 5 kennzeichnen artenarme, nitrophile Hoch- glycyphyllos) - besiedeln dagegen schwach basi- stauden- und Trittgesellschaften. Nur mäßig mit sche, ebenfalls stickstoffarme bis allenfalls mäßig Stickstoff versorgte Gesellschaften sind in der Regel stickstoffversorgte Böden. deutlich artenreicher; sehr stickstoffarme, trockene

Abbildung 1/22 Mittlere Nährstoffzahl (oben) und Mittlere Artenzahl (unten), untersucht für verschiedene Rain-Gesellschaften in der Oberpfalz (BARTHEL 1992):

1: PLANTAGINETEA: LOLIO-POLYGONETUM ARENASTRI 2: ARTEMISIETEA: URTICA DIOICA-[GALIO-URTICENEA] 3: ARTEMISIETEA: URTICA AEGOPODIETUM PODAGRARIA 4: ARTEMISIETEA: ARTEMISIO-TANACETUM 5: SEDO-SCLERANTHETEA: Hieracium pilosella-[SEDO-SCLERANTHETEA] 6: NARDO-CALLUNETEA: CAMPANULO-DIANTHETUM DELTOIDES 7: NARDO-CALLUNETEA: Avenella flexuosa-[NARDO-CALLUNETEA] 8:(MAGER) NARDO-CALLUNETEA: Calluna vulgaris-[GENISTION] 9: MOLINIO-ARRHENATHERETEA: Carex brizoides-[MOLINIETALIA] 10: TRIFOLIO-GERANIETEA: Holcus mollis-Agrostis capillaris-GESELLSCHAFT 11: MOLINIO-ARRHENATHERETEA: MEO-FESTUCETUM 12: AGROPYRETEA: FALCARIO-AGROPYRETUM REPENTIS 13: AGROPYRETEA: CONVOLVULO-AGROPYRETUM REPENTIS 14: FESTUCO-BROMETEA: Brachypodium pinnatum-[FESTUCA-BROMETEA] 15: FESTUCO-BROMETEA: GENTIANO-KEOLERIETUM

*Möglicherweise sind Phosphor und Kalium noch ausschlaggebender als Stickstoff. Wir sprechen daher im folgenden nur von der N(ährstoff)-zahl.

42 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen und saure Ranken beherbergen auffallend häufig Fiederzwenken-Gesellschaft (Galium verum- relativ artenarme Pflanzengemeinschaften, wie z.B. Brachypodium pinnatum-Gesellschaft), der tertiäre die HIERACIUM PILOSELL-[SEDO-SCLERANTHETEA]- Flinz durch die Labkraut-Honiggras-Gesellschaft Derivatgesellschaft. (Galium verum-Holcus mollis-Gesellschaft) zu er- Das Mausohr-Habichtskraut beherrscht diese Aus- kennen (vgl. RUTHSATZ & OTTE 1987). Fieder- bildung oft in sehr hoher Deckung und Stetigkeit. zwenken-Dominanz zeigt reichlich Feinerde an. Abb. 1/23, S. 43, stellt die mittleren Zeigerwerte für Stärkere Entkalkung oder Aufsandung werden Stickstoff und Azidität von häufigen Feldrainge- durch Vertreter sandig-grusiger Pionierrasen, wie sellschaften Nordostbayerns in einer Zusammen- z.B. der Spurre (Holosteum umbellatum) angezeigt. schau dar. In bodensaure Gebiete eingebrachte Kalkschot- ter** führen wiederum zu eigenartigen Mischbe- Eine vergleichbare Arbeit von LINK (1988) über ständen. So fanden sich im Pfreimdtal (Oberpf. Feld- und Wegraine im westlichen Steigerwald* Wald) an einem mit Kalkschotter befestigtem Weg (Sandstein- und Gipskeuper) ergab, daß ein Großteil u.a. die Basenzeiger Origanum vulgare, Clinopodi- der vorgefundenen Arten auf "mittleren" Standorten um vulgare und Verbascum thapsus (BARTHEL angesiedelt ist. Deutlich zum Ausdruck kommt der 1992). "Lichthunger" der meisten Rainpflanzen (Abb. 1/24, S. 44). Die Besiedlung der Steinriegel ist natürlich auch Hinsichtlich der Stickstoffversorgung lassen sich von der geochemischen Charakteristik und der Tex- keine eindeutigen Präferenzen erkennen. Insgesamt tur des Materials abhängig (vgl. AUVERA 1966: fällt auf, daß ein Großteil der Arten indifferent rea- 18): Auf hartem, nur langsam verwitterndem giert, also keinem physiologischen Standortfaktor Hauptmuschelkalk z.B. entwickeln sich die Pflan- eindeutig zuzuordnen ist. zenbestände nur selten über ihre Initial- und Pionier- stadien hinaus. In ein und derselben Landschaft bedingen die Gren- zen der Lößüberdeckung in den Rainen, Ranken und Dagegen kann der blättrig abspaltende Wellenkalk Hohlwegen einen deutlichen "Vegetationssprung" verhältnismäßig rasch überwachsen werden. Noch (s. Abb. 1/25, S. 45). Beispielsweise gibt sich im feinerdeüberkrustete kleinere Gneislesesteine erge- westlichen Tertiärhügelland der anstehende Löß ben im Steinwall ein (auch für Ruderalarten!) be- durch stark ruderalisierte Bestände der Labkraut- siedlungsfreundlicheres Substrat als "saubere", aus

Abbildung 1/23 Ökogramm der Saum- und Pioniergesellschaften, berechnet aus den mittleren Zeigerwerten nach ELLENBERG (1974) für Stickstoff (N-Wert) und Azidität (R-Wert), in KNOP & REIF (1982: 272)

* Insgesamt wurden 30 Feld- und Wegraine untersucht. In einer 9-teiligen Skala wird das ökologische Verhalten der vorgefundenen Arten gegenüber den 6 Hauptfaktoren bewertet (vgl. "Zeigerwerte" bei ELLENBERG 1979; ELLENBERG et al. 1991). ** Besonders häufig im Grenzbereich Jura/Grundgebirge, Muschelkalk/Schiefer.

43 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Sprengungsaktionen hervorgegangene granitische grünland "eingeklemmten" Lage, die nahezu immer Großblockriegel. Stoffeinträge und eine (mehr oder weniger ausge- Die floristische Zusammensetzung der Weinbergs- prägte) mechanische Mitbeanspruchung aus der mauern ist hochgradig materialabhängig. So kenn- Landbewirtschaftung mit sich bringt. Je schmäler zeichnet die Mauerrauten-Ausbildung (ASPLENIE- die Agrotope, je mehr bestimmen verschiedene, sich TUM TRICHOMANES- RUTA MURARIAE) die basenrei- z.T. überlagernde Nutzungseinflüsse das Vorherr- chen oder kalkführenden Gesteinsfugen (Mu- schen bzw. Zurücktreten bestimmter Arten oder schelkalk-Trockenmauern bzw. auch vermörtelte Pflanzengemeinschaften. Mauern). Dies ist der Hintergrund für die Bemühungen einiger Der Deutsche Streifenfarn (Asplenium x alternifoli- Vegetationskundler*, den für synanthrope Bestände um) ist dagegen ein typischer Besiedler mörtelfrei- oft nur unbefriedigend anwendbaren Assoziations- er Silikatmauern und Silikat-Felsfugengesell- begriff durch besser angepaßte Einheiten zu erset- schaften (ANDROSACETALIA VANDELLII). zen. Neutral reagierende Mauerfugen zeichnen sich örtlich (z.B. Buntsandsteinmauern bei Klingenberg/ Obwohl der Einfluß der Landnutzung praktisch MIL) durch Reliktvorkommen des Milzfarns (Ce- überall in der Agrarlandschaft gegeben ist, sind den- terach officinarum) aus. noch regional unterschiedliche Verbreitungsmu- ster einzelner Gesellschaften zu beobachten (vgl. 1.4.1.4 Nutzungsgeprägte HEINDL 1991). Die Pflanzengemeinschaften der Vegetationsdifferenzierung Agrotope sind also - ähnlich wie die (frühere!) land- wirtschaftliche Nutzung - als Indikatoren für die Vegetation und Flora der Agrotope sind wesentlich naturräumliche Ausstattung eines Gebietes zu geprägt von der zwischen Acker- bzw. Wirtschafts- betrachten (vgl. hierzu auch BOAS 1952, 1958).

Abbildung 1/24 Zeigerwertspektren von Rainarten (nach LINK 1988) für Feld- und Wegraine im westlichen Steigerwald 1 bedeutet den geringsten, 9 den größten Wert des betreffenden Faktors; x = indifferentes Verhalten

* KOPECKY & HEJNY 1978 bezeichnen solche synanthropen Bestände als Basal- oder als Derivatgesellschaft. Basalgesellschaf- ten sind Vegetationseinheiten, die nur auf einer höheren Ebene durch Kennarten der Klasse, der Ordnung oder des Verbandes, nicht aber durch weitere Arten klassifiziert sind. Derivatgesellschaften sind - neben den Kennarten höherer Ebenen - auch durch typische Begleiter (keine Charakterarten!) gekennzeichnet. Die Namensgebung erfolgt jeweils nach dominanten "Leitarten"und denjenigen syntaxonomischen Einheiten, denen die Gesellschaft zuordenbar ist, also z.B. Hieracium pilosella - [SEDO-SCLERAN- THETEA] - Derivatgesellschaft).

44 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

So gehören die "ruderalen Wiesen" (z.B. Anthriscus In den Vorkommen der stark ruderal geprägten sylvestris-ARRHENATHERION-Ges.) zu den dominie- Daucus carota-Picris hieracioides (Möhren-Bitter- renden weg- und straßenbegleitenden Phytozönosen kraut)-Dominanzgesellschaft spiegelt sich schließ- der kühl-humiden Intensivackerbau- und Grün- lich die Verbreitung des Weinbaus etwa von Süd- landgebiete im westlichen Mitteleuropa. Zu ihren westdeutschland (einschließlich Mainfrankens) bis typischen Begleitern zählen weitere Nährstoffzeiger in den mediterranen Raum wider. wie Pimpinella major (Große Bibernelle), Aegopo- dium podagraria (Giersch) oder Urtica dioica Am Beispiel einer fast überall an Rainen vorkom- (Große Brennessel), die unter starkem Nährstoffein- menden, stark ruderal geprägten Grünlandgesell- trag stellenweise selbst zur Dominanz gelangen schaft (angesiedelt zwischen Glatthaferwiese und können (vgl. Kap. 2.3.2.1). Quecken-Halbtrockenrasen) erschließt sich ein überraschender Variantenreichtum - hervorgerufen Als bezeichnende Pflanzengemeinschaften der wär- zum einen durch agrarräumlich-nutzungsgeschicht- meren, häufig durch den Weinbau geprägten Re- liche, zum anderen durch standörtliche Unterschie- gionen der süd- bzw. südwestdeutschen Schicht- de (s. Abb. 1/26, S. 46). stufenlandschaft treten die Geranium pratense- und Falcaria-vulgaris-Basal-Gesellschaften an Straßen-, 1.4.1.4.1 Durch Stoffeinträge Wegrändern und Böschungen auf. Im Gegensatz zur erstgenannten, hinsichtlich Nährstoff- und Wasser- und mechanische Störungen versorgung anspruchsvolleren Gruppe besiedelt die geprägte Ausbildungen Gesellschaft der Sichelmöhre stärker besonnte, wechseltrockene Standorte der fruchtbaren Acker- Das massenhafte Auftreten stickstoffliebender landschaften und Weinbaugebiete entlang der Mu- Pflanzen wie Brennessel (Urtica dioica) oder schelkalktäler Mainfrankens. Quecke (Elymus bzw. Agropyron repens) hängt eng

Abbildung 1/25 Vegetationsbestände/ Pflanzengesellschaften von Ackerhochrainen im Tertiärhügelland (RUTHSATZ & OTTE 1987). Artenzusammensetzung gewichtet nach Deckungsanteilen und pflanzensoziologischen Verbreitungsschwer- punkten.

45 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen zusammen mit dem Nährstoffeintrag aus angren- hölze. Dabei verteilen sich Clematis vitalba-Fazies zenden Ackerflächen. Bei sehr hohem Eintrag do- und Rubus sect. corylifolii-Fazies auf unterschiedli- minieren Brennessel und Quecke, bei mittlerem che Expositionen: Die Waldrebe kommt praktisch können Pioniergehölze und Fiederzwenken-Domi- immer an Sonnhängen vor, während sich die Brom- nanzbestände vorherrschen, während Arten wärme- beeren an Schatthängen konzentrieren. liebender Säume nur bei geringem Eintrag existieren Beide Pionier-Gehölzarten reagieren kaum auf ver- können. Nach den Untersuchungen von KLEYER stärkte Nährstoffeinträge, sie sind jedoch deutlich (1991: 89) zeigt sich diese Reihenfolge an Schatt- auf relativ große, störungsarme Ranken beschränkt: hängen besonders ausgeprägt. Dort kommen die Investitionen in einen Holzkörper lohnen sich nur Artengruppen "Fiederzwenke/Echtes Labkraut" so- dann, wenn keine Gefahr besteht, daß die Pflanzen wie "Aufrechte Trespe/Echtes Labkraut" nur auf der in kurzen Abständen immer wieder beschädigt bzw. niedrigsten Eintragstufe häufiger vor; bei höheren zerstört werden! Einträgen sind diese Arten kaum noch zu finden. Der Schattenwurf an den nord- bis nordwestgerichteten Die steigende Gefahr mechanischer Verletzungen Hängen verhält sich zum Nährstoffeintrag "kongru- (auf den schmalen, störungsreichen Stufenrainen bis ent", d.h. die vorher genannten Artengruppen gera- 1,50 m Hanglänge praktisch immer vorhanden!) ten unter der "Düngerfahne" angrenzender Intensi- begünstigt "stresstolerante" Arten wie: väcker genauso ins Hintertreffen wie unter stärkerer • kleinwüchsige Annuelle, z. B das Hungerblüm- Beschattung: artenarme Fiederzwenken-Bestände chen (Erophila verna); dringen in Halbtrockenrasen-artige Böschungen vor • kleinwüchsige perennierende Arten, meist mit (vgl. BRAUN 1988). Unabhängig von der Dünger- skleromorphem Bau, z.B. der Ausdauernde abdrift dominieren an Sonnhängen klar Pionierge- Knäuel (Scleranthus perennis) - diese Art über-

Abbildung 1/26

Mögliche Differenzierung der Heracleum sphondylium/Anthriscus sylvestris-ARRHENATHERION/CONVOLVULO- AGROPYRION-Ausbildung (HEINDL 1991, veränd.) im Bildmittelpunkt: Arten der zentralen Gruppe

46 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

lebt Trockenperioden aktiv durch eingeschränk- 1.4.1.4.3 Durch Feuer geprägte Vegetation te Transpiration und Photosynthese; • skleromorphe Ruderalarten (unter den rudera- Flämmen begünstigt vor allem Arten mit Wur- len, an Störungen angepaßten Arten haben z.B. zelsprossen und Speicherorganen wie Rhizome, Artemisia vulgaris oder Falcaria vulgaris eine Sprossverdickungen u. dgl. (vgl. Kap. 2.1.4). Deut- skleromorphe Anatomie, vgl. ELLENBERG liche Speicherorgane haben z.B. Rundblättrige 1979). Glockenblume (Campanula rotundifolia), der Ge- wöhnliche Dost (Origanum vulgare) oder die Kron- Auf sehr schmalen wie auch auf sehr breiten wicke (Coronilla varia). Auch die Fiederzwenke Stufenrainen überlagern Störwirkungen prak- (Brachypodium pinnatum) wird aufgrund ihrer rege- tisch immer den Einfluß steigender Nährstoffein- nerationsfreudigen Ausläufer und Rhizome durch träge. So ist z.B. die Brennessel als Hemikrypto- Brand stark begünstigt (OBERDORFER 1979, phyt auf sehr schmalen Ranken durch Überschüt- ZIMMERMANN 1975). tung und mechanische Beschädigung gefährdet; auf Ausgesprochene "Brandpflanzen" sind der Rainfarn breiten Hochrainen wird sie wiederum von den (Tanacetum vulgare) und der Adlerfarn (Pteridium ebenso ausbreitungsfreudigen Brombeeren und ähn- aquilinum). Nach CONWAY (1949, zit. in KNOP & lichen Pioniergehölzen bedrängt und kann sich nur REIF 1982) werden die Rhizome des Adlerfarns in Schattlagen bei gleichzeitig hohem Stoffeintrag durch die Feuereinwirkung nicht geschädigt, wohin- gegen ihre Konkurrenten durchsetzen. Nahezu kon- gegen die weniger resistente Begleitflora weitge- kurrenzlos ist die Brennessel schließlich auf Stufen- hend vernichtet werden kann. Ausgedehnte "Adler- rainen mittlerer Breite bei hohem Nährstoff-Input! farnfazies" (s. Wampenhof/ NEW) sind daher oft auf zurückliegende Feuereingriffe zurückzuführen. Als relativ "feuerfest" gelten auch die Wurzelkriech- 1.4.1.4.2 Durch Mahd und pioniere Ackerschachtelhalm (Equisetum arvense) Beweidung geprägte Vegetation und Giersch (Aegopodium podagraria). Untersu- chungen (vgl. RUNGE 1969, KNOP & REIF 1982) belegen weiter das verstärkte Auftreten zahlreicher Regelmäßiges Mähen von Rainen führt zu wiesen- krautiger Pioniere, wie z.B. Johanniskraut (Hype- artigen Grünlandbeständen; dabei werden insbeson- ricum perforatum), Gewöhnlicher Hohlzahn (Ga- dere folgende Artengruppen begünstigt: leopsis tetrahit), Tollkirsche (Atropa belladonna) und Kugel-Distel (Echinops spaerocephalus). • sehr regenerationsfreudige Arten, die in der Lage sind, die mahdbedingten mechanischen Verlet- 1.4.1.4.4 Durch Feldgras-Wechsel- zungen auszugleichen (Hauptmasse der Wiesen- wirtschaft geprägte Vegetation pflanzen, insbesondere die rasenbildenden Grä- ser, aber auch die Kleearten im weiteren Sinn). Flachraine und Steinriegel zwischen ehemals exten- So verfügen die Trifolium-, Medicago- und Lo- siv genutzten Scherbenäckern, Stufenraine zwi- tus-Arten über ein ausgesprochen hohes Rege- schen rezenten (z.T. aber auch fossilen) Acker- und nerationsvermögen; Weinbergsterrassen gewähren aufgrund ihrer spezi- • Rosettenpflanzen, die mit ihren Grundblättern fischen Nutzungsgeschichte heute verschiedenen direkt über der Erdoberfläche ausdauern (z.B. Ackerwildkräutern, aber auch ausgesprochenen der für "gestörte" Raine und Ranken typische Xerothermpflanzen letzte Refugien. In der "Wech- Quirlblättrige Salbei (Salvia verticillata); selzone" zwischen Acker und Grünland kommt • Arten, die zum Mahdzeitpunkt ihren Entwick- es bei geringen (!) Nährstoffeinträgen zur Ausbil- lungszyklus bereits abgeschlossen haben (z.B. dung von leicht ruderalisierten lückigen Magerra- Frühjahrs-Therophyten auf angepflügten Acker- sen, die konkurrenzschwachen, heute hochgradig rainen wie das Hungerblümchen Eriophila ver- gefährdeten Therophyten Lebensmöglichkeiten bie- na). ten (vgl. RITSCHEL-KANDEL 1988). Aufgrund der intensivierten Ackernutzung sind vie- Raine zeichnen sich häufig durch ruderalisierte le Arten, die in älteren Floren (vgl. bei HOLZ 1988) Grünlandbestände aus (vgl. "ruderale Wiesen" bei noch als "typische Ackerunkräuter" an offenen bis FISCHER 1985). Ein- bis zweimalige Mahd fördert lückig bewachsenen Stellen beschrieben sind, heute hier einerseits "normale" Wiesenarten, ermöglicht nur noch außerhalb der bewirtschafteten Ackerflä- aber gleichzeitig daß Eindringen von Ruderalisie- chen an Rainen, Böschungsranken und Hohlwegen rungszeigern, ohne daß diese zur Dominanz gelan- zu finden. Beispiele dafür sind u.a. Runder Lauch gen können (vgl. ausführlich im Kap. 2.1.1). (Allium rotundum), Ochsenzunge (Anchusa arven- Beweidete Ranken können zwar aufgrund der spe- sis), Pfeilkresse (Cardaria draba), Dolden-Milch- zifischen Selektion ärmer insbesondere an krautigen stern (Ornithogalum umbellatum), Adonisröschen Pflanzen sein; sie sind jedoch fast immer strukturell (Adonis flammea, A. aestivalis) oder Venuskamm reicher als gemähte Bestände: Charakteristische Ge- (Scandix pecten-veneris). hölze wie die Schlehe, der Weißdorn oder die ver- Auf eine frühere Beackerung im Sinne einer "wilden schiedenen Rosen können sich unter dem Zugriff Feldgraswirtschaft" verweisen Reliktvorkommen des Weideviehs halten oder sogar ausdehnen (vgl. heute stark gefährdeter xerophiler (Kalk)-Magerra- ausführlich Kap. 2.1.2). sentherophyten wie Althaea hirsuta (Behaarter Ei-

47 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen bisch), Ajuga chamaepitys (Gelber Günsel) oder die Weg-Malve (Malva moschata) oder den an Melampyrum arvense (Acker-Wachtelweizen) (vgl. Weinbergsmauern früher häufigen Goldlack (Chei- LPK-Band II.1 "Kalkmagerrasen", Kap. 1.4.1.2.4.3). ranthus cheiri). Besonders sehenswerte Objekte solcher "gestörten" Die Artenzusammensetzung der Agrotop-Vegetati- Acker-Grünland-Übergangsbereiche finden sich on wird massiv durch die Bewirtschaftung der an- vor allem im Bereich der unterfränkischen Mager- grenzenden Nutzflächen beeinflußt. So sind zahlrei- und Trockenstandorte, aber auch im Naabtal bei che, entlang der Straßen und Wege "wandernde" Pielenhofen (z.B. mit dem Mönchskraut Nonea Segetalarten in ihrer Verbreitung streng an Acker- pulla) (vgl. auch Kap.1.4.3, S.62). baugebiete gebunden und fehlen in Waldgebieten Auf die Beeinflussung der Konkurrenzverhältnisse weitgehend. KOPECKY (1978: 125) nennt in die- zwischen den Pflanzenarten durch Wildtiere wird im sem Zusammenhang die Acker-Hundskamille (An- LPK-Band II.1 "Kalkmagerrasen", Kap. 1.4.1.2.3 themis arvensis) oder das Leinkraut (Linaria vulga- näher eingegangen. Zu den Nutznießern z.B. der ris). Wiesenarten wie Glatthafer (Arrhenatherum Wildkaninchen-Aktivität zählt eine Reihe seltener elatius), Wiesen-Fuchsschwanz (Alopecurus pra- und gefährdeter Ruderal- und Wechselgrünlandar- tensis) oder Wiesen-Storchschnabel (Geranium ten wie der Gelbe Günsel (Ajuga chamaepitys), der pratense) strahlen in waldfreien Landschaften ent- Traubengamander (Teucrium botrys) und Horn- lang der Fahrwege in die höher gelegenen Bergge- mohn-Arten (Glaucium spec.). Eine mindestens biete aus. ebenso große Bedeutung dürften Maulwurfshaufen, Die wichtigsten Verbreitungsmechanismen agro- Ameisenhügel und ähnliche Tierbauten haben, die toptypischer Arten sind: laufend zu Aufrissen, Übererdungen und derglei- • Windverbreitung (Anemochorie); chen Bodenverwundungen führen. • Tierverbreitung (Zoochorie), insbesondere die Verbreitung durch Ameisen (Myrmechorie); 1.4.1.5 Zur Ansiedlungsgeschichte • Ausbreitung beim Personen- und Gütertrans- und Ausbreitungsbiologie port, Kraftverkehr (Agestochorie); in Agrotop-Phytozönosen • Ausbreitung mit transportiertem Material, z.B. durch Heu- und Grünfuttertransporte (Rypocho- Agrotop-typische Vegetation entstand im Zuge der rie). fortschreitenden Besiedlung und landwirtschaftli- chen Nutzung der Landschaft (vgl. KOPECKY Zu den Arten, die sich hauptsächlich auf Randstrei- 1978: 122 ff.). Entlang der ersten Wegeverbindun- fen von Straßen, auf Erdaufschüttungen oder gen und Nutzungsgrenzen bildeten sich spezifische, anderen Randbiotopen ausbreiten, gehören auch anthropogen bedingte Gesellschaften, die ursprüng- mehrere Ackerwildkräuter und Ruderalarten. KO- lich wohl vorwiegend aus Apophyten* zusammen- PECKY (S. 12) bringt die Ausbreitung in Zusam- gesetzt waren. Das sich entwickelnde "Beziehungs- menhang mit: netz" zwischen diesen "Einheimischen" (Auto- • der Dichte des Weg- und Straßennetzes und chthonen) wurde teils gleichzeitig, z.T. aber auch seinem Ausbauzustand: Bei der Erneuerung stufenweise fortschreitend um "Fremdarten" (Allo- des Wegenetzes entstehen an unbewachsenen chthone) erweitert. Ein Großteil dieser Arten zählt Randstreifen, auf Erdaufschüttungen oder in neu zu den Begleitern der Halm- und Hackfruchtäcker ausgehobenen Gräben laufend neue Pionier- (einschließlich Rebgärten). Daneben bildeten Arten standorte, wo sich insbesondere Anemochore aus Wiesen und Viehweiden die mengenmäßig und Anthropochore ausbreiten können; wichtigsten Bestandteile der Zuwanderer. • der Frequentierung der Wege und Straßen Mit der Entwicklung der Landwirtschaft breiteten bzw. der allgemeinen wirtschaftlichen Entwick- sich verschiedene Archaeophyten**, die sich ent- lung im Gebiet: In dicht besiedelten Räumen mit lang der Wege in die Ruderalvegetation vor allem einer intensiven Ackerbauwirtschaft breiten sich der Siedlungen, z.T. aber auch in die der freien zahlreiche Acker- und Gartenpflanzen aus, die in Landschaft aus. Später traten kultivierte und sekun- reinen Wald- und Weidelandschaften fehlen. Zu där verwilderte Arten hinzu. Teilweise handelt es den bedeutendsten Ausgangspunkten der Aus- sich hier um früher in der Volksheilkunde verwen- breitung mehrerer Arten gehören alte Erdauf- dete Pflanzen wie den Rainfarn (Tanacetum vulgare) schüttungen, Sandgruben, Dorf- und Siedlungs- oder den Meerrettich (Armoracia rusticana); teils ränder etc.; um verschiedene, seit Ende des 18. Jhs. angebaute • dem landwirtschaftlichen Entwicklungsstand Futterpflanzen, z.B. Futter-Esparsette (Onobrychis des Gebietes: Mit zurückgehender Bedeutung viciifolia), Luzerne (Medicago sativa) oder aber um von Pferd und Rind als Zugtier sank die Wahr- Nutz- und Zierpflanzen, wie etwa das zur "Feinwä- scheinlichkeit der Ausbreitung einiger sche" benutzte Seifenkraut (Saponaria officinalis), zoochorer Arten entlang von Wegen und

* Pflanzenarten, die zur ursprünglichen Flora eines Gebietes gehören. ** Ursprüngl. nicht heimische Pflanzen, die aber bereits in prähistorischer oder frühhistorischer Zeit von Menschen "eingeschleppt" wurden und seitdem fester Bestandteil der Flora geworden sind, z.B. viele "Ackerunkräuter" und alte Heilpflanzen wie z.B. Kornblume (seit ca. 1000 Jahren) und Spitzwegerich (vgl. KÜSTER 1995).

48 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Straßen. Zudem wirkt sich das heutige Mäh- frühblühende Arten der Gattungen Viola, Ajuga, drusch-Verfahren ungünstig auf die Ausbreitung Veronica, Chelidonium etc. Da die Ameisen gerne von Ackerarten aus. Früher wurden beim Ein- unter den warmen Steinen ihre Nester anlegen, sind bringen der Garben vom Feld diese Arten an die Verbreitungsmöglichkeiten günstig. So sind hier Straßen- und Wegrändern verbreitet; oft ausgedehnte, kuppelbildende Nester der Rasen- • dem Unterhalt bzw. der Pflege der Weg- und ameise (Tetramorium caespitosum) zu finden, die Straßenränder sowie der angrenzenden Wirt- wesentlich zur Verbreitung myrmekochorer Pflan- schaftsflächen: Die mechanische Beschädigung zen beiträgt (AUVERA 1966: 14). des Bankettes während verschiedener Erneue- rungsarbeiten, das Pflügen angrenzender Felder 1.4.2 Charakteristische Pflanzengesellschaften unterstützt das Eindringen von neuen Zönobion- ten in die Saumbestände (Artenaustausch zwi- Nutzungseinflüsse sowie regionale, standörtliche schen dem Wegrain und benachbarten Acker-, und agrarstrukturelle Faktoren bestimmen wesent- Wiesen- und Waldbeständen). lich die Zusammensetzung der Pflanzengemein- Neben der Anemochorie, der Agestochorie (Aus- schaften der Agrotope. In außerordentlich unter- breitung der Diasporen beim Personen- und Güter- schiedlicher Mischung begegnen sich daher Pflan- verkehr) und der Rypochorie (Ausbreitung mit zenarten aus: transportiertem Material) sind an der Ausbreitung - Getreide- und Hackfruchtäckern (Kap.1.4.2.1, weg- und straßenbegleitender Arten insbesondere S.50); noch die Hydrochorie (Ausbreitung per Wasser), - Kurzlebigen bis dauerhaften Ruderalgesell- Anthropochorie und Zoochorie (Ausbreitung z.B. schaften (1.4.2.2, S. 50); über Schuhsohlen von Fußgängern bzw. durch Huf- - Trittfluren (Kap.1.4.2.3, S. 53); tiere) beteiligt. - Intensiv bis extensiv genutztem Wirtschafts- Hauptquellen der Diasporen agestochorer Arten grünland (Kap.1.4.2.4, S.53); sind nach KOPECKY (1978: 89): - Magerrasen und Heiden (Kap.1.4.2.5, S.54); 1) Wiesen- und straßenbegleitende Rasengesell- - Saumgesellschaften der Hecken und Gebüsche schaften (spontane Diasporen-Aussaat während (Kap.1.4.2.6, S.57); der Heu- und Grünfuttertransporte); - Schlagfluren (Kap.1.4.2.7, S.57). 2) Gesellschaften der Wegraine, Straßenränder und Vor allem Raine und Wegränder tragen häufig inter- Fahrwege (Diasporentransport durch Reifen und mediäre, schwer zuordenbare Mischgesellschaften. Fahrgestelle); Aufgrund ihrer besonderen Standortvoraussetzun- 3) Artengemeinschaften der Feldkulturen (Diaspo- gen können Steinriegel und insbesondere Trocken- ren-Verbreitung während der Ernte und anderer mauern Standortspezialisten aus folgenden Gesell- landwirtschaftlicher Arbeiten); schaften beherbergen: 4) Steinbrüche und andere Abbaustellen, Bahnhöfe • Felsspalten und Mauerfugengesellschaften und Bahnübergänge; Ausbreitung z.B. von Oe- (Kap.1.4.2.8, S.57); nothera-Arten, von Erigeron annuus, Erigeron • Steinfluren und Steinschuttgesellschaften canadensis etc., vgl. hierzu auch LPK-Band II.2 (Kap.1.4.2.9, S.58). "Dämme, Deiche und Eisenbahnstrecken". Wenngleich im vorliegenden Band überwiegend ge- Entlang von Wegen gelagerte Schotter-, Kies- und hölzfreie Strukturen im Mittelpunkt stehen, so sol- Sandhaufen gehören zu den bedeutendsten Diaspo- len doch einige typische Gehölze bzw. Gehölzfor- renquellen verschiedener Agrotop-Arten, wie z.B. mationen nicht unerwähnt bleiben - insbesondere, Steinklee (Melilotus albus, Melilotus officinalis), wenn sie Agrotope in charakteristischer Weise prä- Quirlblättriger Salbei (Salvia verticillata), Gewöhn- gen und sowohl floristisch wie auch ästhetisch be- liches Leinkraut (Linaria vulgaris) u.a. reichern (Kap.1.4.2.10, S.58). Die Ausbreitung von Wiesenarten mit Heu- und Auf sehr flachgründigem Boden oder anstehendem Grünfutter in der Umgebung größerer Viehställe Gestein (Trockenmauern, alte Lesesteinriegel und belegt KOPECKY (1978: 93) am Beispiel von -haufen) treten höhere Pflanzen manchmal ganz zu- Arrhenatherum elatius, Geranium pratense*, Lotus rück und machen erd- und gesteinsbewohnenden corniculatus, Knautia arvensis u.a.Wiesenarten. Moosen und Flechten Platz (Kap.1.4.2.11, S.59). Diasporen dieser Arten wurden vermutlich mit Heu Die Pflanzenbestände auf den Rainen lassen sich aus Talwiesen eingeschleppt. Die Ausbreitung rypo- häufig nur schwierig syntaxonomisch zuordnen, chorer Arten beobachtete KOPECKY (a.a.O.) auch weil Standort und Nutzung als vorrangig vegetati- an Lagerplätzen von Zuckerrüben oder in der Um- onsprägende Einflüsse oft kleinräumig wechseln. gebung von Großspeichern. Häufig sind deshalb einzelne Vegetationstypen mit- Die Erstbesiedlung von Steinriegeln und Trok- einander verzahnt oder treten so kleinflächig auf, kenmauern erfolgt vom Rande her durch Windver- daß sie nur als verarmte Ausbildung in Erscheinung wehung, Einschwemmung und Ameisentransport treten. Daneben finden sich Übergänge zwischen (Myrmekochorie). Häufig handelt es sich dabei um fast allen Gesellschaften innerhalb eines Naturrau-

* Zur anthropogenen Ausbreitung von Geranium pratense vgl. auch die Ausführungen von HUNDT 1975.

49 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen mes. Auf eine Zuordnung der Gesellschaften auf Ebenfalls meist hochstet, aber in geringerer Menge, Assoziationsebene wurde im folgenden deshalb ver- finden sich weitere Arten wie Resede (Reseda lu- zichtet (vgl. dazu auch "Basal- und Derivatgesell- tea), Königskerzen (Verbascum blattaria, V. lychni- schaften" bei KOPECKY & HEJNY 1978, ULL- tis, V. thapsus u.a. ), Beifuß (Artemisia vulgaris), MANN & HEINDL 1986, s. Kap.1.4.1.2, S.38). Wo Wilde Möhre (Daucus carota), Wegwarte (Cichori- dies möglich ist, werden die Gesellschaften auf Ver- um intybus), Steinklee (Melilotus albus, M. officina- bandsebene angesprochen. Auch auf die Kennzeich- lis), Pastinak (Pastinaca sativa). nung von Charakter- und Differentialarten im Sinne Da die Eselsdistelflur im allgemeinen keine dichten, BRAUN-BLANQUETS wurde verzichtet. In den geschlossenen Bestände bildet, bietet sie auch Platz folgenden Tabellen als "typisch" oder "bezeich- für z.T. bereits gefährdete kurzlebige Ruderalarten, nend" angegebene Arten sind im Regelfall aber ent- wie etwa Schwarzes Bilsenkraut (Hyoscyamus ni- weder solche Arten oder wenigstens typische Be- ger), Ochsenzunge (Anchusa officinalis) und einjäh- gleiter der Gesellschaft. Angegeben wurden nur sol- rigen Arten der Hack- und Halmfruchtäcker. Die che Arten, deren Vorkommen auf Rainen tatsächlich Schwarznessel (Ballota nigra) ist in der Eselsdistel- belegt ist. flur meist hochstet, wenn auch oft nur einzeln bzw. mit geringer Artmächtigkeit vertreten. 1.4.2.1 Ackerwildkrautfluren Halbruderale Quecken-Trockenrasen Ackerwildkrautgesellschaften finden sich auf Rai- Halbruderale Quecken-Trockenrasen sind auf Rai- nen meist nur am äußersten Rand bzw. im Über- nen im Kontakt zu Äckern besonders verbreitet. Auf gangsbereich zu Feldern. Nur ausnahmsweise drin- breiten Rainen besiedeln sie meist nur die Randbe- gen sie tiefer in die Raine ein. Eine Rolle spielt reiche. hierbei die Aufschüttung mit Ackerboden beim Die Kriechende Quecke (Elymus repens) prägt das Pflügen (Wuchsort z.B. von Neslia paniculata, Aussehen der Gesellschaft. Sie deckt hier oft mehr BARTHEL 1992). Einzelne Ackerwildkräuter be- als 50% der Fläche. Weitere typische Arten sind die siedeln aber in grasdominierten Rainen offene Stel- Acker-Winde (Convolvulus arvensis), das len, die z.B. durch Kleinsäuger (Maulwurf etc.) ge- Schmalblättrige Rispengras (Poa angustifolia), der schaffen werden. Sie kommen zwar fast nie zu hoher Ackerschachtelhalm (Equisetum arvense) und das Deckung, können dort aber ihre letzten Refugien Acker-Hornkraut (Cerastium arvense). Daneben zwischen intensiv genutzten Äckern finden. sind ruderale Arten wie die Acker-Kratzdistel (Cir- Zu diesen, allenfalls sporadisch aus den Äckern in sium arvense), das Gewöhnliche Leinkraut (Linaria angrenzende Raine eingewanderten Arten gehören vulgaris) und das Knäuelgras (Dactylis glomerata) u.a. das Tännelkraut (Kicksia spuria) oder die aber auch Arten der Halbtrockenrasen am Aufbau Acker-Hundskamille (Anthemis cotula) (vgl. der Gesellschaft beteiligt. Häufige Vertreter für letz- RUTHSATZ & OTTE 1987). Weiter in diese Grup- tere Gruppe sind das Echte Labkraut (Galium ver- pe gehören Arten wie das Adonisröschen (Adonis um), die Zypressen-Wolfsmilch (Euphorbia cypa- flammea), die Mannsschildarten Androsace elonga- rissias), gebietsweise auch der Quirlblättrige Salbei ta, A. septentrionalis (Südrhön, Schweinfurter (Salvia verticillata). Becken, Kitzingen). Standortprägende anthropogene Faktoren sind hier In manchen Gegenden finden sich Reliktpopulatio- hoher Herbizideintrag aus benachbarten Feldern, nen (regional) bedrohter Ackerwildkräuter nicht Düngeeintrag und Verletzung der Vegetationsdecke einmal mehr in den Ackerrandzonen, sondern nur durch Pflügen oder Überdeckung durch Erdschol- mehr auf der 1-3 m breiten, Schlaggrenze, so etwa len. Wichtige natürliche Faktoren sind die meist gute das Sommeradonisröschen (Adonis aestivalis) im Besonnung und relativ trockene Böden. Entspre- Ammerseegebiet (STA) und der Ackerrittersporn chend sind die häufigen Vertreter der Gesellschaft (Consolida regalis) im Lechfeld. Rhizompflanzen, die oft aus kleinsten Teilen wieder austreiben können (z.B. Elymus repens, Equisetum 1.4.2.2 Kurzlebige bis arvense, Convolvulus arvense). Weiterhin zeichnen ausdauernde Ruderalfluren sie sich durch eine relativ geringe Blattoberfläche aus, die sowohl Schutz gegen Austrocknung, als Eselsdistelfluren (ONOPORDETEUM ACANTHII) auch gegen die Aufnahme von Herbiziden über die Eselsdistelfluren finden sich heute verhältnismäßig Blattoberfläche bietet. Nach MÜLLER (1978) kön- selten auf stickstoff- und kalkreichen, trockenen nen Kriechquecken-Rasen auf nährstoffreichen Bö- Standorten, vorwiegend in den Wärmegebieten Süd- den mehrere Quadratmeter Fläche pro Jahr bzw. Südwestdeutschlands (ruderale Böschungen, durchwurzeln. Sie üben somit eine wichtige Heil- trockene, besonnte Mauerfüße u. dgl.). Kennzeich- funktion in der Landschaft aus. Einmal ausgebildet, nende Arten sind hochwüchsige und hochstete Di- kann die Gesellschaft mehrere Jahre stabil bleiben. steln (Onopordum acanthium, Carduus nutans, Car- Die Gesellschaft tritt fast überall in Bayern auf, ist duus acanthoides, Cirsium arvense). In staudenrei- aber in Kalk- und Wärmegebieten besser entwickelt chen, z.T. auch offenen Ruderalfluren, vor allem in und artenreicher. In montanen Lagen klingt sie lang- den montaneren Kalk- und Wärmegebieten, oft im sam aus (KNOP & REIF 82). Kontaktbereich zu Trespen-Halbtrockenrasen, ge- Tab. 1/2, S. 51, zeigt einen typischen Querschnitt des sellt sich die Wollköpfige Kratzdistel (Cirsium erio- Arteninventars halbruderaler Quecken-Trockenra- pherum) hinzu. sen.

50 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Ähnlich wie auf eutrophen Standorten die Quecke auch auf Wegrainen auf, meiden aber intensiv ge- gelangt auf mageren, silikatischen Böden bei Brach- düngte Felder. fallen oder Verletzung der Vegetationsdecke das Nitrophile Hochstaudenfluren und Ruderalge- Weiche Honiggras (Holcus mollis) zur Dominanz. sellschaften Weitere häufige Arten des HOLCO-GALEOPSIE- TUMS, die aber mit geringerer Deckung auftreten, Säume der nitrophilen Brennessel-Gierschgesell- sind der Stechende Hohlzahn (Galeopsis tetrahit), schaft (AEGOPODION PODAGRARIAE) sind durch das Rotstraußgras (Agrostis capillaris) und die eine gute Wasser- und Nährstoffversorgung gekenn- Gras-Sternmiere (Stellaria graminea). Die Zypres- zeichnet und treten deshalb auf den meist trockenen sen-Wolfsmilch (Euphorbia cyparissias), das Echte Feld- und Wegrainen nur selten auf. Ihr Vorkommen Labkraut (Galium verum) und die Acker-Witwen- ist auf Begrenzungsraine in Tallagen und frischere blume (Knautia arvensis) unterstreichen den mage- Hanglagen beschränkt, wo sie inselartig in Grasrai- ren Charakter der Gesellschaft. Arten der Kriech- nen erscheinen. Gierschreiche Standorte zeigten auf Quecken-Rasen dringen nur mit geringer Deckung Urgesteinsböden der Oberpfalz einen deutlich höhe- in die Honiggras-Bestände ein. ren pH-Wert als ihre Umgebung. So darf angenom- men werden, daß Ablagerung landwirtschaftlicher Möglicherweise entwickelt sich die Gesellschaft aus Abfälle und erhöhter Düngeeintrag für ihre Entste- der Acker-Wildkraut-Gesellschaft des HOLCO-GA- hung eine wichtige Rolle spielen (BARTHEL 1992). LEOPSIETUM, das im Nordosten Bayerns sehr ver- breitet ist. Die im HOLCO-GALEOPSIETUM häufigen Insgesamt findet die Gesellschaft auf offenen Feld - einjährigen Arten wie Lapsana communis und Fal- und Wegrainen nur mäßig gute Wachstumsbedin- lopia convolvulus spielen in den Rainen keine Rolle gungen und ist in ihrem Artenbestand verarmt. Ihr (vgl. KNOP & REIF 1982). Schwerpunkt liegt an Gräben und Heckensäumen (siehe LPK-Band II.10 "Gräben" und LPK-Band Wie die Kriech-Quecken-Rasen sind auch Holcus- II.12 "Hecken und Feldgehölze"). Da sie an Rainen Dominanz-Bestände über mehrere Jahre stabil. Sie aber stärker besonnt ist als an ihren typischen Stand- treten zwischen Getreidefeldern und Grünland, aber orten, bietet sie - wie kahlgefressene Brennesselbe-

Tabelle 1/2 Agropyron repens Kriechende Quecke Convolvulus arvense Ackerwinde Typische Arten der Halbruderalen Quek- ken-Trockenrasen Equisetum arvense Acker-Schachtelhalm Cerastium arvense Acker-Hornkraut Poa angustifolia Schmalblättriges Rispengras Cirsium arvense Acker-Kratzdistel Linaria vulgaris Gewöhnliches Leinkraut Dactylis glomerata Gemeines Knäuelgras Arrhenatherum elatius Glatthafer Galium verum Echtes Labkraut Euphorbia cyparissias Zypressen-Wolfsmilch Sedum telephium Agg. Fetthenne Anthriscus sylvestris Wiesen-Kerbel Säurezeigende Arten: Agrostis capillaris Rotes Straußgras Holcus mollis Weiches Honiggras Kalk- und Wärmezeiger: Falcaria vulgaris Sichelmöhre

Tabelle 1/3 Urtica dioica Brennessel Cirsium arvense Acker-Kratzdistel Bezeichnende Arten der Brennessel- Gierschsäume Galium aparine Klett-Labkraut Glechoma hederacea Gundelrebe Heracleum sphondylium Wiesen-Bärenklau Anthriscus sylvestris Wiesen-Kerbel Aegopodium podagraria Giersch, Geißfuß Chaerophyllum aureum Gold-Kälberkropf Agropyron repens Kriechende Quecke

51 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen stände belegen - für Insekten einen wertvollen Le- naher Ruderalvegetation. Letztere erscheinen vor bensraum. allem auf Schuttablagerungen. Stellenweise sind Insbesondere in den höheren Lagen Nordostbayerns Brennessel-Dominanzbestände auch stark mit Him- gewinnt der Goldkälberkropf (Chaerophyllum au- beeren und Brombeeren durchsetzt, die ebenfalls auf reum) an Bedeutung. KNOP & REIF 1982 geben ein hohes Nährstoffangebot schließen lassen (Tab. Vorkommen des CHAEROPHYLLETUM AUREI für 1/4 , S. 52). Raine Nordostbayerns an. Die Standorte unterschei- den sich nicht wesentlich von denen der Brennessel- Selten tritt im Nordosten Bayerns die Gesellschaft Giersch-Säume. des Zwergholunders (SAMBUCETUM EBULI) auf. 1991 fand sich auf Rainen bei Mitterteich und Mei- Der Zwergholunder (Sambucus ebulus) bildet dichte erhof/Neustadt a. d. Waldnaab Goldkälberkropf mit Herden, in denen andere Arten nur noch geringe hoher Deckung. Allerdings fehlten hier die für die Deckung erreichen. Er ist wärmeliebend und bevor- Gesellschaft typischen Arten des AEGOPODIONS zugt kalkhaltige, lehmige Substrate des Muschel- (Tab. 1/3, S. 51). kalks und des Weißjuras. Die Gesellschaft ist weni- Häufiger als die vorgenannten Gesellschaften tre- ger nitrophil als die Brennessel- und Giersch-Ge- ten - meist ebenfalls inselartig - an Wegrändern und sellschaften und wird von Arten der halbruderalen Rainen dichte Brennessel-Dominanz-Bestände auf. Halbtrockenrasen durchdrungen (Tab. 1/5, S. 52). Mit geringerer Deckung treten hier weitere ruderale und stickstoffzeigende Arten wie die Acker-Kratz- Im Kontakt zu Maisfeldern treten gelegentlich, z.B. distel, die Gemeine Quecke und der Wiesen-Bären- am Rand von Rainen Bestände des Beifußes und klau auf. des Rainfarns auf. Beide Arten erscheinen sonst An Wegrändern kommen hierzu noch Schwarznes- meist nur an Rändern asphaltierter Straßen. Ent- sel, Pastinak, Meerrettich und andere Vertreter orts- scheidender Standortfaktor dürfte hier neben dem

Tabelle 1/4 Brennessel-Dominanz-Bestände Urtica dioica Brennessel Arten der Brennessel-Dominanz-Bestän- de und der Brennessel-Brombeer-Him- Cirsium arvense Acker-Kratzdistel beer-Gestrüppe Galium aparine Klett-Labkraut Rubus idaeus Himbeere Rubus fruticosus Agg. Brombeere Agropyron repens Kriechende Quecke Begleitende Arten dorfnaher Ruderalvegetation Ballota nigra Schwarznessel Armoracia rusticana Meerrettich Lamium album Weiße Taubnessel Pastinaca sativa Pastinak Chenopodium bonus-henrici Guter Heinrich

Tabelle 1/5 Sambucus ebulus Zwergholunder, Attich Urtica dioica Brennessel Arten der Zwergholunder-Raine Heracleum sphondylium Wiesen-Bärenklau Galium aparine Klett-Labkraut Agropyron repens Kriechende Quecke Convolvulus arvensis Acker-Winde Cirsium arvensis Acker-Kratzdistel Galeopsis tetrahit Stechender Hohlzahn Anthriscus sylvestris Wiesen-Kerbel Poa angustifolia Schmalblättriges Rispengras

Tabelle 1/6 Artemisia vulgaris Gewöhnlicher Beifuß Chrysanthemum vulgare Gewöhnlicher Rainfarn Rainfarn-Beifuß-Fazies Melandrium album Weiße Lichtnelke Elymus repens Kriechende Quecke

52 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen hohen Nährstoffeintrag die spät einsetzende Be- 1.4.2.4 Wiesenartige Raine schattung durch den Mais sein (Tab. 1/6, S. 52). Fettwiesen (ARRHENATHERION ELATORIS) sind in hohem Maß durch anthropogene Einflüsse gekenn- 1.4.2.3 Trittpflanzengesellschaften zeichnet. Ihre Ausbildung hängt von der Häufigkeit der Mahd, Beweidung und Düngung ab (siehe hier- Trittpflanzengesellschaften (PLANTAGINETEA MA- zu LPK Band II.5 "Streuobst"). Raine, in denen der JORIS) finden sich zwischen Fahrspuren und an den Glatthafer (Arrhenatherum elatius) größere Bestän- Rändern intensiv befahrener, geschotterter Wirt- de bildet, finden sich vor allem auf basenreichen, schaftswege sowie in den Fahrspuren seltener be- seltener auch auf sauren Böden wärmerer Lagen im nutzter Wege. Kontakt zu Wiesen und Getreidefeldern. Neben dem Glatthafer treten der Rotschwingel, die Acker-Wit- Mechanische Verletzung der dort wachsenden wenblume und das Knäuelgras häufig in Erschei- Pflanzen überprägt hier andere Standortfaktoren wie nung. Seltener finden sich das Wiesen-Rispengras den pH-Wert. Entsprechend finden sich hier nur und die Zaun-Wicke (Tab. 1/8; S. 53). Untypisch für wenige, sehr stresstolerante Pflanzen (z.B. der Breit- Mähwiesen sind außerdem einige ruderale und wegerich). Der Niederliegende und der Gleichblätt- halbruderale Arten wie Kriech-Quecke, Schmal- rige Vogel-Knöterich haben hier ihr Hauptvorkom- blättriges Rispengras, Acker-Kratzdistel, Zaunwin- men. de und Kletten-Labkraut. Neben der Weidelgras-Vogel-Knöterich-Gesell- Auf selten gemähten Rainen sind die Glatthafer- schaft findet sich auf frischeren, bindigen Böden in Wiesen oft mit Arten der Saumgesellschaften und absonnigen Lagen die Gesellschaft der Zarten Binse der (Halb-)Trockenrasen durchsetzt. Insbesondere (JUNCETUM TENUIS) und an besonders trockenen die Fiederzwenke erreicht hohe Deckungswerte. Standorten eine Ausprägung mit kleinem Sauer- Arten der Pfeifengraswiesen (MOLINETALIA CAERU- Ampfer und Silber-Fingerkraut (Tab. 1/7, S. 53). LEAE) finden sich auf Rainen nur selten und nie

Tabelle 1/7 Plantago major Breitwegerich Poa annua Einjähriges Rispengras Arten der Trittpflanzengesellschaften Lolium perenne Deutsches Weidelgras Matricaria discoidea Strahlenlose Kamille Polygonum aviculare Agg. Vogel-Knöterich Polygonum arenastrum Gleichblättriger Vogel- Knöterich Polygonum calcatum Niederliegender Vogel- Knöterich Trifolium repens Weiß-Klee Taraxacum officinale Agg. Wiesen-Löwenzahn Rumex acetosella Kleiner Sauerampfer T Potentilla argentea Agg. Silber-Fingerkraut T Juncus tenuis Zarte Binse F Agrostis stolonifera Niederliegendes Straußgras F Juncus bufonius Krötenbinse F = Feuchtezeiger T = Trockenheitszeiger

Tabelle 1/8 Arrhenatherum elatius Glatthafer Festuca rubra Agg. Rotschwingel Arten der Glatthafer-Bestände Knautia arvensis Acker-Witwenblume Vicia cracca Zaun-Wicke Poa pratensis Wiesen-Rispengras Avenochloa pubescens Flaumhafer Trisetum flavescens Goldhafer Dactylis glomerata Knäuelgras Anthriscus sylvestris Wiesenkerbel Galium album Weißes Labkraut

53 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/9 Carex brizoides Zittergrassegge Cirsium palustre Sumpf-Kratzdistel Gesellschaft der Zittergras-Segge Molinia caerulea Pfeifengras Succisa pratensis Gewöhnlicher Teufelsabbiß

Tabelle 1/10 Scleranthus perennis Ausdauernder Knäuel Erophila verna Frühlings-Hungerblümchen Arten der Fetthennen-Knäuel-Gesell- schaften (SEDO-SCLERANTHETEA) Sedum acre Scharfer Mauerpfeffer Sedum reflexum Felsen-Fetthenne Sedum sexangulare Milder Mauerpfeffer Trifolium campestre Feld-Klee Trifolium arvense Hasen-Klee Erodium cicutarium Gewöhnlicher Reiherschnabel Echium vulgare Gemeiner Natternkopf Veronica verna Frühlings-Ehrenpreis Jasione montana Berg-Sandrapunzel Myosotis stricta Sand-Vergißmeinnicht Myosotis ramosissima Rauhes Vergißmeinnicht

bestandsbildend (vgl. LPK-Band II.10 "Gräben"). TEA-Ges. sind Rumex acetosella agg., Jasione mon- Über den schweren Mergeln des östlichen Tertiärhü- tana, Scleranthus perennis, Cladonia furcata und gellandes sind jedoch örtlich (z.B. untere Terrassen- als treueste Kennart das Frauenhaarmoos Po- stufen im Itzlinger Rankenkomplex/ED) wechsel- lytrichum piliferum. Begleitarten mit geringer feuchte Grünlandranken mit Quellaustritten, Deckung sind Agrostis tenuis, Pimpinella saxifraga, z.T. mit Schilf (Phragmites communis) anzutreffen. Luzula campestris, Festuca rubra agg., mit geringer Auf Grünlandrainen mit mäßig nährstoffreichen, Stetigkeit Dianthus deltoides, Campanula rotundi- sauren und staunassen Böden zeigt sich die Gesell- folia und Festuca ovina agg. Am Aufbau der Gesell- schaft der Zittergras-Segge (Carex brizoides). schaft sind auch Zwergsträucher wie Genista tincto- Durch die starke Dominanz der Zittergras-Segge ist ria, Genista sagittale (nur im Regental) und Calluna die Gesellschaft sehr artenarm. Die Zittergras-Segge vulgaris (als krüppelwüchsige Einzelpflanzen) be- wird durch Mahd gefördert (OBERDORFER 1990), teiligt. bleibt aber auch ohne Mähen über Jahre stabil. An Wegrändern auf kalk- und humusarmen Locker- Die Gesellschaft tritt in submontanen und montanen sanden (Flug- und Terrassensande) finden sich gele- Lagen des Vorderen Bayerischen Waldes (KNOP & gentlich noch Reste von Silbergrasfluren (CORY- REIF 1982), aber auch im Stiftland und im Regental NEPHORETALIA CANESCENTIS) mit Silbergras (Cory- (BARTHEL 1991) auf (Tab. 1/9, S. 54). nephorus canescens), dem Frühlings-Spark (Sper- gularia morisonii) oder der Berg-Rapunzel (Jasione 1.4.2.5 Magerrasenartige Rainbestände montana) - häufig vergesellschaftet mit Pionier- flechtenausbildungen ("Becherflechten" Cladonia Magerrasenartige Initialgesellschaften furcata, Cladonia pyxidata, Cladonia alcicornis). Die Sandrasengesellschaften der Wegränder sind Die Fetthennen-Knäuel-Gesellschaft tritt auf Bö- häufig durch Eutrophierungs- und Ruderalisie- den trocken-heißer Standorte auf, die nur im Winter rungszeiger (z.B. Filago arvensis, Erodium cicuta- und Frühjahr einigermaßen gut durchfeuchtet sind. rium, Bertorea incana) gekennzeichnet (vgl. LPK- Entsprechend ist in ihr der Anteil sukkulenter, Band II.4 "Sandrasen"). skleromorpher und winterannueller Pflanzen, die der Sommertrockenheit ausweichen, besonders hoch. Voraussetzung für die Entstehung der Hafer- schmielen-Gesellschaft sind geöffnete Böden, auf Ähnlich wie die Fetthennen-Knäuel-Ges. tritt die oft denen sie Pioniergesellschaft ist. Sie ist vor allem von Hieracium pilosella stark beherrschte Maus- nach milden Wintern und niederschlagsreichen ohr-Habichtskraut-Initialgesellschaft auf ganz- Frühjahrsmonaten gut entwickelt (vgl. OBERDOR- jährig besonnten, sommer-trockenen Flächen auf, FER 1978). Ohne mechanische Störungen wird sie bevorzugt über Granitgrus bzw. anstehendem Sili- bald von wüchsigeren, trockenheitstoleranten Pflan- katgestein, z.T. auch über Flugsand (Taxölderner zen wie dem Schafschwingel (Festuca ovina), der Forst). Drahtschmiele (Avenella flexuosa) und dem Kleinen Die wichtigsten Arten dieser SEDO-SCLERANTHE- Habichtskraut (Hieracium pilosella) verdrängt.

54 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/11 Aira praecox Früher Schmielenhafer Aira caryophyllea Nelken-Schmielenhafer Arten der Trockenen Haferschmielen- Gesellschaft (THERO-AIRION) Filago arvensis Acker-Filzkraut Filago minima Zwerg-Filzkraut

Tabelle 1/12 Festuca rubra Agg. Rotschwingel Agrostis capillaris Rot-Straußgras Arten der Rotschwingel-Rotstraußgras- Raingesellschaft Agg. Schafgarbe Plantago lanceolata Spitz-Wegerich Knautia arvensis Acker-Witwenblume Dactylis glomerata Gewöhnliches Knäuelgras Agropyron repens Kriechende Quecke Poa angustifolia Schmalblättriges Rispengras Viola canina Hundsveilchen Campanula rotundifolia Rundblättrige Glockenblume Agg. Pimpinella saxifraga Kleine Pimpernelle Stellaria graminea Gras-Sternmiere Thymus pulegioides Arznei-Thymian

Sie findet sich an Wegrändern, Böschungen von sellschaften auf den Kernbereich breiterer Stufenrai- Hohlwegen und Sand- und Kiesgruben (vgl. LPK- ne, auf Wegraine und Wegmittelstreifen seltener Band II.18). Ein schönes Vorkommen findet sich auf benutzter Wege zurückgedrängt. Der Schwerpunkt einer Granitgrus-Fläche bei Stadel/Regenstauf, auf ihrer Verbreitung liegt in Nordostbayern (Tab. 1/12, der 1991 allerdings die Haferschmiele selbst nicht S. 55). Borstgras-Hundsveilchen-Gesellschaften auftrat (Tab. 1/11, S. 55). Borstgras-Hundsveilchen-Gesellschaften finden sich in den höheren Lagen des Bayerischen Waldes, Rotstraußgras-Rotschwingel-Rainbestände des Fichtelgebirges und des Frankenwaldes noch Die Gesellschaft mit dominantem Rotstraußgras recht verbreitet, in der Agrarlandschaft der Ober- (Agrostis capillaris) und Rotschwingel (Festuca pfalz indes meist nur mehr als kleinflächige Relikte rubra Agg.) tritt bevorzugt auf bodensauren, relativ (BARTHEL 1992). Typische Vertreter der Gesell- mageren Standorten auf. Von den Wirtschaftswiesen schaften (Calluna vulgaris, Danthonia decumbens, dringen Schafgarbe (Achillea millefolium Agg.), Nardus stricta, Viola canina) kennzeichnen nähr- Spitzwegerich (Plantago lanceolata), Acker-Wit- stoffarme, sehr sauere Standortverhältnisse. Die Ge- wenblume (Knautia arvensis) und das Gewöhnliche sellschaft wird durch extensive Beweidung (ohne Knäuelgras (Dactylis glomerata) ein. Düngung) und mäßige Trittbelastung gefördert. Magerkeitszeiger wie das Hundsveilchen (Viola ca- nina), Bleiche Segge (Carex pallens) und Feld- Ob die Vorkommen in der Oberpfalz tatsächlich auf Hainsimse (Luzula campestris) vermitteln zu den frühere Beweidung zurückgeführt werden können, Borstgras-Hundsveilchen-Gesellschaften. In sonni- ist unsicher. Die Gesellschaft tritt auch am Rand und gen, warmen Lagen (z.B. im Regental) gelangen zwischen den Fahrspuren seltener benutzter Wege, oft in südexponierten Kuppenlagen, auf, wo mäßige Vertreter der (Halb)-Trockenrasen (Pimpinella sa- Trittbelastung sie begünstigt. KNOP & REIF fanden xifraga, Dianthus deltoides, Galium verum, Carex caryophyllea) zu höherer Deckung. Sie machen die die Gesellschaft im Vorderen Bayerischen Wald auf Gesellschaft - zusammen mit hochwüchsigen Ha- Rainen im Kontakt zu extensiv bewirtschafteten bichtskräutern (Subgenus Hieracium) und der Magerweiden. Möglicherweise standen auch die Rundblättrigen Glockenblume (Campanula rotun- Raine im Oberpfälzer Hügelland und im Stiftland im Kontakt zu solchen Flächen, die heute durch Dün- difolia Agg.) - zu einem der farbenpächtigsten Ve- getationstypen auf Feldrainen. gung oder Intensivierung verschwunden sind. Stickstoffzeiger wie die Kriechende Quecke (Ely- Innerhalb der Gesellschaft läßt sich eine zwerg- mus repens) treten nur selten und mit geringer strauchreiche Ausbildung mit Calluna vulgaris, Ge- Deckung auf. nista tinctoria, Vaccinium vitis-idaea und Vaccinium Nach GLAVAC (1983) bedeckten Rotstraußgras- myrtillus abgrenzen. Seltener treten Lembotropis Rotschwingelwiesen früher vermutlich in bo- nigricans, Genista germanica und im Regental Ge- densauren Gebieten große Flächen. So belegen Sa- nistella sagittalis hinzu (Tab. 1/13 , S. 56). menanalysen die geringere Bedeutung von Obergrä- Ausbildung der Pechnelke sern wie dem Glatthafer in mittelalterlichen Wiesen. Regelmäßig findet sich auf Stufenrainen des Baye- Heute sind Festuca rubra-Agrostis capillaris-Ge- rischen und Oberpfälzer Hügellandes, z.T. auch des

55 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/13 Bezeichnende Arten der Borstgras-Hundsveilchen- Gesellschaft: Arten der Borstgras-Hundsveilchen-Ge- Danthonia decumbens Dreizahn sellschaft Calluna vulgaris Heidekraut Hieracium pilosella Kleines Habichtskraut Luzula campestris Feld-Hainsimse Nardus stricta Borstgras Veronica officinalis Wald-Ehrenpreis Potentilla erecta Blutwurz Viola canina Hundsveilchen Polygala vulgaris Gewöhnliches Kreuzblümchen Hieracium auricola Geöhrtes Habichtskraut Arnica montana Berg-Wohlverleih Galium pumillum Niederliegendes Labkraut Begleitende Magerkeitszeiger: Hypochoeris radicata Gewöhnliches Ferkelkraut Dianthus deltoides Heide-Nelke Campanula rotundifolia Rundblättrige Glockenblume Jasione montana Berg-Sandrapunzel Hypericum perforatum Tüpfel-Johanniskraut Euphorbia cyparissias Zypressen-Wolfsmilch Festuca ovina Schaf-Schwingel Rumex acetosella Kleiner Sauerampfer Anthoxanthum odoratum Gemeines Ruchgras Agrostis tenuis Rotes Straußgras Galium verum Echtes Labkraut

Sandsteinkeuperlandes und des Tertiärhügellandes Auf Rainen dringen einige Halbtrockenrasenarten mit hohem Neigungswinkel und südlicher Expositi- oft weit in andere Gesellschaften ein. Beispiele hier- on die Pechnelke (Lychnis viscaria). Entscheidend für sind die Fiederzwenke (Brachypodium pinna- für ihr Vorkommen dürfte zum einen die starke tum), die Kleine Pimpernelle (Pimpinella saxifraga) Sonneneinstrahlung und die daraus resultierende und das Echte Labkraut (Galium verum). Trockenheit, zum anderen die Hangerosion sein, die Andere Arten, wie der Furchen-Schwingel (Festuca hier immer wieder offene Stellen in den sonst dicht rupicola), das Sonnenröschen (Helianthemum ova- verfilzten Grasrainen schafft. tum) und die Karthäusernelke weisen auf gut ausge- Neben der Pechnelke treten andere Trocken- und bildete Bestände hin und treten vor allem an Rainen Magerkeitszeiger wie die kleine Pimpernelle, das mit Anbindung an Waldränder auf, wo die Gesell- Kleine Habichtskraut und der Kleine Sauerampfer schaft noch häufiger ist. Auf Wegeböschungen der auf. Ihre Standorte bieten oft den letzten Lebens- Kuppenalb finden sich Fragmente der Dolomitsand- raum für annuelle Wildkräuter wie den Lämmersa- grasheiden mit Donarsbart (Jovibarba sobolifera) lat. und Sand-Strohblume (Helichrysum arenarium). Sandgrasnelken- und Kleinschmielenfluren (ARME- Halbtrockenrasen, Sandgrusheiden RIO-FESTUCETUM, THERO-AIRION) sind sogar In Extensivgebieten treten vor allem auf breiteren schwerpunktmäßig an sandig-grusigen Wegrändern Hochrainen und offenen Hohlwegböschungen anzutreffen. Auf Silikat-Rohbodenböschungen tref- Halbtrockenrasen des Verbandes MESOBRO- fen wir auf Jasione-Calluna-Kleinginster-Hieraci- MION auf. Ihre spezifischen Ansprüche - jährliche um pilosella-Bestände. Innerhalb einer Festuca ru- Mahd oder extensive Beweidung auf mageren, meist picola-Fragmentgesellschaft unterscheidet BART- kalkhaltigen Böden - treffen in der Agrarlandschaft HEL (1992) eine Ausbildung mit aufkommenden nur noch selten zusammen, so daß meist fortge- Sträuchern (insbesondere Prunus spinosa) und Ar- schrittene Versaumungs- und Verfilzungsstadien ten wärmeliebender Säume wie etwa Sichelblättri- vorliegen. ges Hasenohr (Bupleurum falcatum), Odermennig Refugialstandorte für Arten der Halbtrockenrasen (Agrimonia eupatoria) und Kicher-Tragant (Astra- können Mittelstreifen extensiv genutzter Feldwege galus cicer). sein, die regelmäßig gemäht, aber nicht gedüngt Der Pleintinger Lößranken-Komplex (vgl. ZEHLI- werden. US et al. 1992) aus gestaffelten Hochrainen, Hohl-

56 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/14 Allium scorodoprasum Schlangen-Lauch Asperula cynanchica Hügel-Meister Bezeichnende Arten der Halbtrockenra- sen auf Rainen (Pleintinger Lößranken) Astragulus cicer Kicher-Tragant Briza media Gemeines Zittergras Carex praecox Frühe Segge Carex tomentosa Filz-Segge Centaurea scabiosa Skabiosen-Flockenblume Clematis erecta Aufrechte Waldrebe Dianthus carthusianorum Karthäusernelke Euphorbia cyparissias Zypressen-Wolfsmilch Gentiana cruciata Kreuz-Enzian Helianthemum ovatum Sonnenröschen Hieracium bauhini Ungarisches Habichtskraut Koeleria pyramidata Pyramiden-Kammschmiele Linum perenne Ausdauernder Lein Orchis militaris Helm-Orchis Phleum phleoides Steppen-Lieschgras Potentilla heptaphylla Frühlings-Fingerkraut Primula veris Arznei-Schlüsselblume Prunella grandiflora Großblütige Braunelle Sanguisorba minor Kleiner Wiesenknopf Scabiosa columbaria Tauben-Skabiose Ranunculus bulbosus Knolliger Hahnenfuß Teucrium chamaedris Edel-Gamander

wegfragmenten und Böschungsanschnitten beher- 1.4.2.7 Schlagfluren bergt Reste hochgradig gefährdeter Mesobrometen (vgl. Tab. 1/14, S. 57). Aus den Schlagflurgesellschaften (EPILOBIETEA AN- Sehr steile Lößranken können sogar xerobromion- GUSTIFOLII) dringen nur wenige Arten auf Raine vor. artig sein (siehe Kirchdorfer Ranken/KEH). Ihr häufigster Vertreter ist das Wald-Weidenröschen (Epilobium angustifolium), das auf silikatischen Bö- 1.4.2.6 Wärmeliebende Säume den Nordostbayerns (z.B. im Stiftland) gelegentlich größere Flächen deckt. Seltener findet sich auch das Gut entwickelte Saumgesellschaften der Ordnung Land-Reitgras (Calamagrostis epigejos). ORIGANETALIA, in denen Stauden den größten Teil Erwähnenswert ist das Vorkommen von Melampy- des Bodens decken, findet man auf Rainen nur im rum nemorosum auf einem verbuschten Rain im Ausnahmefall, da die typische Übergangssituation Kontakt zu Wiesen (Sandberg bei Würnreuth/Lkr. Wald - Wiese mit ihren speziellen mikroklimati- Neustadt a. d. Waldnaab). schen Standortfaktoren fehlt. Auf mageren, sonnigen Rainen, die nicht oder nur 1.4.2.8 Mauerfugengesellschaften selten gemäht werden, dringen - bevorzugt auf ba- senreichen Böden - trotzdem Saumarten in die Basenreiche bzw. kalkführende Trockenmauern, Agrarlandschaft ein. Häufigste Vertreter sind die aber auch vermörtelte Mauern sind durch Kalkfu- Bunte Kronwicke, der Mittel-Klee und der Kleine gengesellschaften wie z.B. der Mauerrautenausbil- Odermennig. Seltener erscheinen die Bärenschote dung (ASPLENIETUM TRICHOMANES-RUTA MURA- und der Kichertragant. RIAE) gekennzeichnet. Charakteristische Arten sind Auf kristallinen Gebieten kühlerer Lagen Nordost- z.B. Mauerraute (Asplenium ruta-muraria) oder der bayerns treten Saumarten nur noch selten auf. Le- Schwarzstielige Strichfarn (Asplenium trichoma- diglich der Mittel-Klee ist noch häufiger anzutref- nes). fen. Seltener tritt auch der Wohlriechende Odermen- In licht- und wärmeexponierten, wintermilden La- nig auf. In Wärmegebieten wie dem Regental haben gen finden sich noch letzte Reliktvorkommen des vor allem thermophile Saumarten auf Rainen noch Schriftfarns (Ceterach officinarum). AUVERA Bedeutung. Unter anderem finden sich auf flach- (1966) beschreibt den Schrift- oder Milzfarn bereits gründigen, felsigen Ranken und Lesesteinhaufen als "sehr zurückgegangen durch Zerstörung seiner dort Großblütiger Fingerhut, Hügel-Klee, Salomon- besten Standorte [...] nur noch selten anzutreffen an siegel und Schwärzender Geißklee (Tab. 1/15, S. Mauern im Keuper oder Buntsandstein." An Stütz- 58). mauern aufgelassener Weinberge beschreibt AU-

57 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/15 Mesophile Saumarten Coronilla varia Bunte Kronwicke Arten mesophiler und thermophiler Saumgesellschaften Agrimonia eupatoria Kleiner Odermennig Trifolium medium Mittel-Klee Viola hirta Behaartes Veilchen Astragalus glycyphyllos Bärenschote Astragalus cicer Kicher-Tragant Agrimonia proceras Wohlriechender Odermennig Thermophile Saumarten Geranium sanguineum Blutroter Storchschnabel Bupleurum falcatum Sichelblättriges Hasenohr Trifolium alpestre Hügel-Klee Digitalis grandiflora Großblütiger Fingerhut Polygonatum odoratum Salomonsiegel Lembotropis nigricans Schwärzender Geißklee

VERA (1966: 13) folgende Farngesellschaft: "Ne- nes) oder der Gewöhnliche Dornfarn (Dryopteris ben dem Milzfarn wächst hier der Nordische Strei- carthusiana). fenfarn (Asplenium septentrionale), Brauner und Schwarzer Streifenfarn (Asplenium trichomanes 1.4.2.10 Agrotoptypische Hecken- und Asplenium adiantum-nigrum) und der Blasen- fragmente und Einzelgehölze farn (Cystopteris filix-fragilis), wohl schon etwas durch das leicht atlantische Spessartklima beein- Vor allem in wärmebegünstigten Lagen der Hügel- flußt." landschaften sowie in Weinbaulagen herrschen Schlehe, Weißdorn und Rosen als aufgelöste Hek- 1.4.2.9 Steinfluren und kenfragmente oder vereinzelt stehendes Gebüsch an Steinschuttgesellschaften Wegrändern, Feldrainen und Hohlwegen vor (vgl. LPK-Band II. 12 Hecken und Feldgehölze, Kap. Auf losem Mauerwerk, Steinriegeln und Lesestein- 1.4.2). Insbesondere Rosen der Rubiginosus-Grup- haufen finden sich Steinschuttgesellschaften pe können hier neben den anderen konkurrenzstar- (THLASPIETEA), z.B. mit Ausbildungen von ken Rosaceen Dominanz erlangen (vgl. REIF & Schmal- und Breitblättrigem Hohlzahn (Galeopsis AULIG 1990). angustifolia/ Galeopsis ladanum). Diese tief wur- Schlehengebüsche zelnde Pioniergesellschaft wird von ULLMANN Initialstadien der Schlehe sind häufig an offenen (1985) auf sonnigen Steinschuttfluren, steinigen Lesesteinriegeln, oft in Gesellschaft von Stiel-Ei- Dämmen, Kalkscherbenhaufen und Lesesteinwäl- chen-Jungwuchs anzutreffen. Nährstoffangerei- len - häufig im Kontaktbereich zu alten Weinbergs- cherte Standorte können auch mit Holundergebüsch lagen - beschrieben. durchmischt sein. Nach MILBRADT (1987: 38) Im Kontakt zu extensiv genutzten Rebflächen, stockt mindestens ein Drittel der von ihm untersuch- Schafhutungen und Felsbandfluren haben sich flori- ten Heckengesellschaften dieses Typs auf Lesestein- stisch reichhaltige Vegetationskomplexe aus Gesell- wällen (Burgsandstein- und Malmkalkscherben des schaften der Hackfruchtäcker, ruderalen Staudenflu- Fränkischen Keuper-Lias-Gebietes und der Fran- ren und Halbtrockenrasen, Steingrusfluren, thermo- kenalb). philen Säumen und Vorwald-Gebüschen entwickelt, Wärmebegünstigte Standorte sind durch Varianten die in Aufbau und Arteninventar stark anthropogen mit Brombeeren der Sektion Corylifolii, vor allem überprägt sein können (vgl. ULLMANN 1985, RIT- durch Rubus mollis charakterisiert. SCHEL-KANDEL et al. 1991). Die Vielfalt der Vegetationseinheiten wird durch Kryptogamenge- Der Grundstock des Schlehen-Heckenrosen-Ge- meinschaften, die auf Mauern und Steinriegeln oft büschs (Prunus spinosa-Rosa canina-PRUNETALIA- hochspezialisierte Vergesellschaftungen bilden, Ges.) wird neben der Schlehe durch Rosa canina, noch weiter gesteigert. Rosa corymbifera und Rosa subdumetorum (R. ca- nina x R.corymbifera) gebildet. Die Gesellschaft ist Die Lesesteinriegel der silikatischen Mittelgebirge vor allem im fränkischen Keuper-Lias-Gebiet, in der sind dagegen durch zwergstrauchreiche Ausbildun- Frankenalb, z.T. auch im Obermainischen Hügel- gen und Fragmente der vorhandenen Grünland- und land und in den westlichen Teilen des Oberpfälzer Saumgesellschaften (vor allem der Borstgrasrasen, Waldes anzutreffen (MILBRADT 1987). der Bergreitgrasfluren und der Johanniskraut-Ho- niggrasgesellschaft) gekennzeichnet. In schattiger Rosengebüsche Lage gedeihen auch Farne, z.B. der Schwarzstielige Für weitgehend offene, wärmebegünstigte Rain- Strichfarn (Asplenium trichomanes ssp. trichoma- standorte können folgende, durch verschiedene Ro-

58 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen sen charakterisierte Gesellschaften genannt werden gelegentlich auch durch die Wald-Kiefer gekenn- (nach MILBRADT 1987). zeichnet. Das PRUNO-LIGUSTRETUM mit Rosa arvensis, Rosa Typische Magerkeitszeiger der Gras- und Krautflo- rubiginosa, Rosa gallica und Rosa micrantha ist vor ra sind Vertreter der SEDO-SCLERANTHEA-Gesell- allem in den fränkischen Wärmegebieten des Mit- schaft, wie z.B. Rumex acetosella ssp. tenuifolius, telfränkischen Beckens, der Windsheimer Bucht so- Jasione montana oder Avenella flexuosa. Charakte- wie im Vorland und Westteil der Nördlichen Fran- ristisch sind auch verschiedene Moose offener, nähr- kenalb anzutreffen. Nur "in dieser Gesellschaft er- stoffarmer Sandböden wie Barbula fallax und Syn- scheinen Sorbus torminalis, Rosa agrestis, Ulmus trichia ruralis. minor var. suberosa (...), die Sommertrocknis anzei- genden FESTUCA-BROMETEA-Arten Ononis spino- Verbreitet ist die Gesellschaft vor allem auf flach- sa, das mediterran bis submediterran verbreitete gründigen, lockeren, z.T. podsolierten Sand- und Eryngium campestre und sehr selten in der Steingrusböden. Windsheimer Bucht Aster linosyris (MILBRADT Brombeergebüsche 1987: 66). Ein hoher Kalkgehalt ist den meisten der (in Das lichte Gebüsch colliner bis montaner Lagen ist Deutschland über 200 vorkommenden) Arten der örtlich durch Vorkommen der Blaugrünen Rose Gattung Rubus nicht zuträglich. So sind an Bö- (Rosa vosagiaca) charakterisiert und findet sich an schungen über Rendzinen und Pararendzinen meist Wegrändern und Lesesteinhaufen auf sommerwar- nur Ackerbrombeeren (Rubus caesius) anzutreffen. men, mäßig trockenen, basenreichen, steinigen Bevorzugt werden von den meisten Arten Böden mit Lehmböden oder lehmigen Sanden. Im Extremfall niedrigen pH-Werten (unter 5) und ausreichenden kann Rosa vosagiaca als einzige Art eine Initial- Ton- und Schluffgehalten. Spätfrostgefährdete La- hecke über einem Lesesteinwall aufbauen (MIL- gen werden meist gemieden. BRADT 1987: 87). Initialhecken auf kalkhaltigen PLÖTZ (1991) beschreibt die Sektionen Rubus Lesesteinwällen können auch die Stachelbeere (Ri- sulcatus und die Vertreter der Corylifiolii-Gruppe bes uva-crispa) enthalten. Varianten mit der Strom- (Haselblatt-Brombeeren) im Untersuchungsgebiet talpflanze Cucubalus baccifer existieren im Donau- (Freisinger Tertiärhügelland) stets außerhalb ge- und Maintal. schlossener Waldbestände an Hecken- und Wegrän- Verbreitungsschwerpunkte des CORYLO-ROSETUM dern. Anzeiger nährstoffarmer (bis mittlerer) Ran- VOSAGIACAE sind das Mittelfränkische Becken, die kenstandorte sind nach PLÖTZ (1991: 53) Rubus Mittlere Frankenalb, gebietsweise auch der Vordere grabowskii, Vertreter der Pallidi-Gruppe, Rubus oe- Oberpfälzer Wald und die Muschelkalklagen des nensis, Rubus epipsilos sowie Vertreter der Serien Obermainischen Hügellandes (bevorzugt auf Keu- Hystrices und Radulae (Stachelschwein-Brombee- persandstein- oder Dolomitlesesteinwällen). ren und Raspel-Brombeeren). Die ebenfalls licht- und wärmeliebende Rosa subca- Für das Pfreimdtal (Opf.) nennt BARTHEL (1992) nina-Rosa subcollina-Gesellschaft ist durch zahlrei- einen Rain als Wuchsort von Rubus grossus, eine che Varianten und Übergangsformen gekennzeich- von WEBER erst 1989 beschriebene Art (bisher net: östlichster Fundpunkt). • Variante mit der submediterranen Filzbrombeere Das Filzbrombeer-Gestrüpp (Rubus canescens-Ge- (Rubus canescens); sellschaft) knüpft an die sehr lichten Schlehen- • Varianten an wärmebegünstigten, stickstoffan- hecken an und ist durch relativ hohe Licht- und gereicherten Standorten mit der Zaunrübe (Bryo- Temperaturansprüche gekennzeichnet (Weinbaukli- nia dioica), z.B. in der Hügellandstufe des Bi- ma). Das lichtliebende, gut besonnte Filzbrombeer- bertgrundes westlich Nürnberg; gestrüpp entwickelt sich optimal auf nicht mit nitro- • Varianten mit der Stromtalart Cucubalus bacci- philen Arten bewachsenen Rainen. Hochstauden- fer in sommerwarmen Bereichen des Mittelfrän- konkurrenz, wie z.B. ausgedehnten Brennesselher- kischen Beckens, z.B. Regnitzbecken auf Keu- den, ist diese Art nicht gewachsen (MILBRADT persandstein, hier stellenweise mit Nepeta cata- 1987: 125). Vor allem auf ungestörten Feldrainen ria. und entlang von Feldwegen bestehen für diese Ge- sellschaft günstige Entwicklungschancen. Verbrei- BARTHEL (1992) fand die äußerst seltene Sammet- tet ist das Filzbrombeergebüsch vor allem in den Rose (Rosa sherardii) an einem Wegrain im Regen- Sandsteinkeuper-Gebieten des Mittelfränkischen tal. Wiederum zeigt hier eine als Kalkzeiger (u.a. für Beckens sowie in den nördlichen Ausläufern der den Frankenjura) beschriebene Art ein von der Frankenhöhe. Ansonsten deckt sich die Verbreitung "Norm" abweichendes Wuchsortverhalten. weitgehend mit der des Weinbaus. Für die Buntsandsteinlagen und tonig-mergeligen Kalke der unterfränkischen Weinbaugebiete be- 1.4.2.11 Moose und Flechten schreibt AUVERA (1966: 16) das Vorkommen der Essigrose (Rosa gallica). (Bearbeitet unter Verwendung eines Manuskripts Besenginster-Gebüsche von V. WIRTH) Das lichtliebende, trockenheitsverträgliche Ge- Gelegentlich treten auf Ranken und Wegen auf sehr sträuch basen-, kalk- und nährstoffarmer Wegränder flachgründigen Böden oder anstehendem Fels und Böschungen ist neben dem Besenginster (Saroth- Moos-Flechten-Gesellschaften auf, in denen die hö- amnus scoparius) vor allem durch die Stiel-Eiche, heren Pflanzen zurücktreten oder ganz ausfallen

59 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

(vgl. auch LPK-Band II.15 "Geotope"). Besonders che konsolidierten Lößwände sind aber in Bayern hohe Deckungsgrade erreichen Moose in schwach- recht selten. wüchsigen Pflanzengemeinschaften, insbesondere Wegränder kommen als Standorte für erdbewohnen- in den schütteren, acidoklinen Steingrusfluren der de Flechten häufiger in Betracht. Bedeutung haben SEDO-SCLERANTHEA-Ges., in Drahtschmielenflu- die Böschungen, Ränder und Mittelstreifen vor al- ren der NARDETEN und in lückigen Halbtrockenra- lem solcher Wege, die auf flachgründigen und ma- sen, wie z.B. GENTIANO-KOELERIETUM. (Aufnahme geren Böden angelegt und mit dem in situ vorhan- aus dem Regental zwischen Regenstauf und Nitten- denen Material befestigt wurden. Sie können bedeu- au) (vgl. Abb. 1/27, S. 60). tende Sekundärhabitate für Arten abgeben, deren Bodenbewohnende Flechten natürliche Standorte durch Acker- und Weinbau weitgehend vernichtet wurden, wie z.B. die Glieder In flurbereinigten Agrarlandschaften existieren viel- der Bunten Erdflechten-Gesellschaft bei Erlabrunn fach - abgesehen von Bäumen - nur wenige Habitate, und Karlstadt im Maintal. die ein Aufkommen von Flechten erlauben oder gar An nährstoffreicheren Stellen behaupten sich nur eine dauerhafte Etablierung ermöglichen. Die be- noch wenige Arten, wie vor allem Collema-Arten, bauten Bodenstandorte sind viel zu raschen Verän- z.B. Collema tenax, C. crispum und C. limosum. derungen unterworfen, als daß die langsam wach- Stärker eutrophierte, unmittelbar dem Einfluß von senden Erdflechten in ihrer Entwicklung über klein- Dünger ausgesetzte Wegraine sind flechtenfrei. ste Juvenilstadien hinauskommen könnten. Zwar Gesteinsbewohnende Flechten auf anthropoge- gibt es auch relativ raschwüchsige Arten, die ihren nen Substraten Entwicklungszyklus in weniger als einem Jahr voll- enden können. Dies sind jedoch Arten, die die sehr Bedeutsame Standorte für Flechten und Moose, nährstoffreichen Ackerböden meiden. Auch Brach- selbst in Intensivanbaugebieten, stellen Mauern, äcker, die für Moose (z.B. Hornmoose) günstige Bildstöcke, Wegkreuze und ähnliche Bauten und Standorte darstellen, werden kaum von Flechten Denkmäler dar (WIRTH 1976). Die Artenzusam- besiedelt. mensetzung und -vielfalt hängt dabei sehr stark von Flechten können an sehr steilen, kaum von Blüten- den chemisch-physikalischen Eigenschaften des pflanzen bewachsenen, konsolidierten Lößwänden verwendeten Gesteins ab (WIRTH 1972). Kalkhal- aufkommen - wie an den wenigen verbliebenen tige und kalkfreie Substrate, also etwa Trockenmau- schluchtartigen Lößhohlwegen im Kaiserstuhl. Sol- ern aus kalkigem gegenüber silikatischem Gestein,

Abbildung 1/27 Mittlere Deckung (Moose/Flechten) in Rain-Gesellschaften (BARTHEL 1992: 109)

1: PLANTAGINETEA: LOLIO-POLYGONETUM ARENASTRI 2: ARTEMISIETEA: URTICA DIOICA-[GALIO-URTICENEA] 3: ARTEMISIETEA: URTICA AEGOPODIETUM PODAGRARIA 4: ARTEMISIETEA: ARTEMISIO-TANACETUM 5: SEDO-SCLERANTHETEA: Hieracium pilosella-[SEDO-SCLERANTHETEA] 6: NARDO-CALLUNETEA: CAMPANULO-DIANTHETUM DELTOIDES 7: NARDO-CALLUNETEA: Avenella flexuosa-[NARDO-CALLUNETEA] 8: NARDO-CALLUNETEA: Calluna vulgaris-[GENISTION] 9: MOLINIO-ARRHENATHERETEA: Carex brizoides-[MOLINIETALIA] 10: TRIFOLIO-GERANIETEA: Holcus mollis-Agrostis capillaris-GESELLSCHAFT 11: MOLINIO-ARRHENATHERETEA: MEO-FESTUCETUM 12: AGROPYRETEA: FALCARIO-AGROPYRETUM REPENTIS 13: AGROPYRETEA: CONVOLVULO-AGROPYRETUM REPENTIS 14: FESTUCO-BROMETEA: Brachypodium pinnatum-[FESTUCA-BROMETEA] 15: FESTUCO-BROMETEA: GENTIANO-KEOLERIETUM 16: FESTUCO-BROMETEA: Festuca rupicola-[MESOBROMION]

60 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/16 Kalkstein-, Mörtel-, Silikatbewohner Betonbewohner (auch Ziegel) Auswahl von häufigeren Arten anthropo- gener Substrate (Kunst- und Naturstein) Aspicilia contorta Acarospora fuscata Aspicilia radiosa Acarospora nitrophila Caloplaca citrina Buellia aethalea Caloplaca decipiens Candelariella vitellina Caloplaca holocarpa Lecanora campestris Caloplaca saxicola Lecanora muralis Candelariella aurella Lecanora polytropa Lecanora albescens Lecanora rupicola Lecanora dispersa Lecidea fuscoatra Lecanora muralis Lecidella carpathica Lecidella stigmatea Parmelia conspersa Sarcogyne pruinosa Parmelia verruculifera Verrucaria macrostoma Polysporina lapponica Verrucaria muralis Rhizocarpon distinctum Verrucaria nigrescens Rhizocarpon geographicum Xanthoria calcicola Scoliciosporum umbrinum Xanthoria elegans Xanthoria parietina

tragen eine unterschiedliche Flechtenvegetation Bedeutung haben Trockenmauern oder nur in den (Tab. 1/16, S. 61). Fugen gemörtelte Mauern. Vermörtelte Natursteinmauern aus Silikatgestein Es gibt zahlreiche Arten, die vorwiegend auf anthro- weisen eine entsprechend "gemischte" Flechtenflora pogenen Substraten, wie vor allem Mauern, leben. auf: Auf Mörtel siedeln calcicole Flechten, auf dem Hierzu gehören beispielsweise Acarospora paupe- Naturstein Silikatflechten. Die Artenvielfalt ist oft ra, Acarospora umbilicata, Acarospora versicolor, ganz beträchtlich: Es können an einem Mauerzug Caloplaca decipiens, Caloplaca ruderum, Calo- durchaus 40-50 Arten vorkommen. Mit diesen placa teicholyta, Candelariella medians, Lecidella Flechten und Moosen sind zahlreiche Kleinlebewe- carpathica, Sarcopyrenia gibba, Staurothele rugu- sen vergesellschaftet, z.B. Collembolen, Milben, losa (vgl. Tab. 1/17, S. 62). Floristisch reich an Staubläuse, so daß bei einer größeren, nischenrei- gefährdeten oder seltenen Arten sind besonders chen Mauer von einem außerordentlich artenrei- Mauern aus Keupersandsteinen. Manche der auf chen, reich strukturierten und erhaltenswerten Bio- diesem Substrat lebenden Arten sind regional kaum top auszugehen ist. Die Argumentation des Natur- von natürlichen oder anderen anthropogenen Stand- schutzes bei der Diskussion um die Erhaltung von orten bekannt, wie z.B. Rinodina teichophila. Be- Mauern beschränkt sich dabei meist nur auf Reptili- merkenswerte Refugien sind oft auch Buntsand- en und Blütenpflanzen, läßt dabei die floristische steinmauern, wie sie am Main bei Stadtprozelten Qualität des Flechten- und Moosbewuchses und die und Kreuzwertheim noch erhalten sind. Auf solchen mögliche Funktion des Mauerhabitates als Refugi- Mauern sind einige der wenigen bekannten Vorkom- um von Gesteinsbewohnern häufig außer acht men von Ochrolechia parella und Diploicia cane- (WIRTH 1990). scens in Bayern zu finden. Mauern in Agrargebieten finden sich in erster Linie Aus Lesesteinen aufgeschichtete Trockenmauern, als Stützmauern in Hanglagen in Weinbaugebieten. wie sie vereinzelt in Mittelgebirgen (Bayerischer Sie wurden trotz ihrer erosionshemmenden Funkti- Wald) und in den Alpen existieren und z.B. entlang on bei den Weinbergumlegungen in Unterfranken von Wegen aufgeschichtet wurden, sind die Ersatz- oft beseitigt, so daß heute der Erhaltung der wenigen standorte für die ehemals in Weiden und Wiesen verbliebenen Mauern besonderes Augenmerk gelten liegenden Blöcke und konservieren sozusagen die muß. Ihr Potential an seltenen Flechten ist erheblich ursprüngliche Flechtenflora an anderer Stelle (vgl. und ihre Bedeutung als Artenrefugium und geneti- "Kryptogamen" in LPK-Band II.3 "Bodensaure Ma- schem Potential in ausgeräumten oder von Natur aus gerrasen", Kap. 1.4.3). felsfreien Gebieten beträchtlich. Ähnliche anthropogene Ersatzstandorte für Flechten Die "floristische Qualität" einer von Kryptogamen wie Trockenmauern und Steinriegel sind Bild- bewachsenen Mauer ist im Einzelfall zu prüfen. stöcke, Wegekreuze, Gedenk- und Grenzsteine. Auf Generell gilt aber, daß Betonmauern und flächig mit ihnen haben sich im Laufe vieler Jahrzehnte, mitun- Mörtel beworfene Mauern eine relativ geringe Di- ter von Jahrhunderten, oft floristisch reich struktu- versität aufweisen und vorwiegend weit verbreitete rierte Flechtengesellschaften angesiedelt (WOPPE- und häufige Arten ("Ubiquisten") tragen. Größere RER 1974). Mitunter sind, wenn kalkfreie Silikat-

61 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

gehen, gelegentlich begleitet von der bekannten Tabelle 1/17 "Landkartenflechte" (Rhizocarpon geographicum) Beispiele für in Süddeutschland schwerpunktartig an und Rhizocarpon lecanorium. Nachweise u.a. an anthropogenen Habitaten auftretende Flechtenarten Dachziegeln von Weinbergshäuschen am Burgberg b. Ipsheim (NEA), aber auch auf Feldscheunen im Acarospora nitrophila Stacksdorfer Moor (TÖL), Bernrieder Filz (TÖL), Acarospora paupera bei Huglfing (WM). Bevorzugt S- bzw. SE/ SW-Ex- Acarospora umbilicata positionen (FEUERER 1978). Acarospora versicolor Ausschließlich an anthropogene Standorte gebunde- Aspicilia excavata ne Arten sind nicht bekannt. Allerdings ist selbst Caloplaca decipiens überregional bei einer Reihe von Flechten eine star- Caloplaca ruderum ke Bevorzugung anthropogener Habitate festzustel- Caloplaca teicholyta len. Vorwiegend handelt es sich hierbei zum einen Candelariella medians um Neutrophyten und Subneutrophyten (Arten, die Catillaria chalybeia Substrate mit pH-Werten um den Neutralpunkt oder Collema crispum schwach sauren Bereich "beanspruchen"), zum an- Diploicia canescens deren um Arten stärker eutrophierter Habitate. Lecania erysibe Die Ursache hierfür liegt in der Seltenheit von an- Lecanora albescens stehenden Substraten entsprechender Qualität in der Lecanora campestris Natur. Schwach kalkhaltige Gesteine mit annähernd Lecanora pannonica neutraler Verwitterungsrinde, wie z.B. manche Keu- Lecidella carpathica persandsteine, bilden im Gebiet selten Felsen. Diese Lecidella stigmatea Substrate weisen eine eigenständige Flora auf, die Polysporina lapponica als LECIDELLETUM CARPATHICAE und CALOPLACE- Rinodina badiella TUM TEICHOLYTAE beschrieben ist (WIRTH 1981, Rinodina gennarii WILMANNS 1966). Rinodina teicholyta Sarcopyrenia gibba Ähnliches gilt für stark gedüngte Felshabitate. In der Staurothele rugulosa Natur sind sie auf wenige Stellen (z.B. stark frequen- Stereocaulon nanodes tierte Vogelsitzplätze) beschränkt, während sie an Verrucaria macrostoma Mauern entlang von Wegen durch Staubanflug oder Xanthoria calcicola z.B. auch durch Salpeterbildung eutrophierten Flä- chen häufig und von Caloplaca decipiens- und Ca- loplaca citrina-dominierten Gemeinschaften (CA- LOPLACETUM SAXICOLAE, CALOPLACETUM CITRINAE) gesteine verfugt und vermörtelt sind, sowohl Silikat- bedeckt sind. als auch Kalkflechten vorhanden. Insbesondere in reliefarmen, völlig felsfreien Gebieten stellen die genannten künstlichen Habitate bedeutsame Vor- 1.4.3 Zur Ökologie und Bestandesdynamik kommen von Gesteinsflechten dar. Infolge des Al- naturschutzvorrangiger Pflanzenarten ters solcher Träger können unter Umständen auch sehr langsamwüchsige oder sehr seltene, nur sehr Zusammengenommen enthält das Artenspektrum sporadisch mit Diasporen anfliegende Arten vor- der Raine, Hohlwege, Wegränder, Randstreifen und handen sein. Agrarzwickel eine große Fülle bemerkenswerter, seltener, ja (andernorts) aussterbender Arten. Zwi- Gelegentlich stellen auch die Ziegel und Bretter- schen diesen besonderen Schützlingen der Land- wände alter Scheunen bemerkenswerte Flechten- schaftspflege und bestimmten Pflanzengesellschaf- habitate dar: Die Firste werden oft von Vögeln stär- ten bestehen oft nur lockere Bindungen. ker gedüngt und können typische "Vogelblock-Ge- Ihre phytozönologische Zuordnung ist im Agrotop- sellschaften" tragen. So existieren auf Scheunen in bereich oft weniger bestimmt als in Flächenbio- Mittelfranken (VON DER DUNK 1991) und im topen. Ihre Raumverteilung birgt viele Überra- Alpenvorland Vorkommen der seltenen Strauch- schungsmomente, weicht oft stark von Erwartungs- flechte Ramalina capitata. In der Umgebung von horizonten der Botaniker ab und ist durch starke Bauernhöfen und Viehweiden finden sich oft auffal- Streuung der Einzelvorkommen gekennzeichnet. lend gelb gefärbte, ammoniak-liebende Flechten Für die Flurentwicklung und den Naturschutz außer- (z.B. Xanthoria candelaria). Bevor Silikatflechten halb von Schutzgebieten sind lokal oder regional Dachziegel besiedeln können, muß erst mit Hilfe der bedeutsame Artenvorkommen auf agrarischen Flechtensäuren die Dachhaut entsprechend angewit- Saumbiotopen von erheblicher Bedeutung. tert werden; Betonflächen müssen vor der Besiede- lung mind. 5-6 Jahre der Verwitterung ausgesetzt Diese Populationsrefugien bilden wichtige, vielfach sein (TÜRK 1992). ausbaufähige Trittsteine, befruchten die durch Ex- tensivierung und Brachlegung eingeleiteten Sukzes- Rhizocarpon distinctum, eine photophile und zieml. sionen auf angrenzenden Flächen, bestimmen die acidophile Art, besitzt von allen Rhizocarpon-Arten Pflegebedürfnisse innerhalb der Flur, die (zukünfti- am meisten die Fähigkeit, auf Ziegeldächer überzu- ge) räumliche Positionierung von Pufferstreifen,

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Randstreifen und Extensiväckern. In diesem Kapitel Kalkschutt-Hohlzahn S. 69 werden einige zumindest regional gefährdete bzw. Kicher-Tragant S. 65 stark im Rückgang begriffene "Agrotoparten"* in Kleine Wachsblume S. 66 ihren naturschutz- und pflegerelevanten Eigen- Kleines Filzkraut S. 68 schaften vorgestellt. In der Auswahl wurden vor Kümmelblättriger allem solche Pflanzenvorkommen berücksichtigt, Haarstrang S. 73 die mit einer schematisierten Standardpflege sehr Lämmersalat S. 64 wahrscheinlich nicht zu erhalten sind. Die ausge- Milzfarn S. 67 wählten Arten stehen (stellvertretend für eine Reihe Rauher Eibisch S. 63 weiterer Pflanzen) für bestimmte charakteristische, Runder Lauch S. 63 heute oft hochgradig bedrohte Wuchsorte in der Schaben-Königskerze S. 75 Agrarlandschaft: Dazu gehören (noch) magere Ran- Schopfige Traubenhyazinthe S. 72 ken und tief eingeschnittene, sandig-grusige Bö- schungen zwischen den Hopfengärten und Spargel- Wiesen-Gelbstern S. 69 kulturen im Pfaffenhofener oder Schrobenhausener Allium rotundum (Runder Lauch) RL-BY 2 Hügelland; unbefestigte alte Sandwege im Keuper Wärmeliebende, ostsubmediterrane Art (Zwiebel- der Haßberge, im Mittelfränkischen Becken oder in geophyt) vor allem des Muschelkalk- und Gipskeu- der Oberpfalz; offene, heiß-trockene Lößhohlen am pergebietes. Kennzeichnet den xerothermen, trocken- Rande des mainfränkischen Gäus oder der rasennahen Standortsbereich innerhalb des Agrotop- Windsheimer Bucht; über Jahrhunderte unverändert spektrums ("Grauzonen" und Übergangsbereiche erhaltene Buntsandsteinmauern in den Weinbergen zwischen Trockenrasen und Rebböschungen). Nach bei Miltenberg; zwischen Halbtrockenrasen und HEGI früher auch in Getreide-und Hackfrucht- Scherbenäckern eingebettete Flachraine und Stein- äckern, in wärmeliebenden Brachegesellschaften. riegel auf der Albhochfläche oder im unterfränki- Typische Wuchsorte im Agrotopbereich schen Grabfeld (um nur einige augenfällige Beispie- - Besonnte Mauerfüße in Weinbergslagen, steile le herauszugreifen). Ranken, Abhänge und Hohlwege, im Bereich Abb. 1/28, S. 64, zeigt die "Spannbreite" der vor- von Blutstorchschnabel- oder Alpenklee-Säu- herrschenden Wuchsorttypen, jeweils charakteri- men. siert durch aussagekräftige "Leitarten". Der (be- - Auch an ruderalisierten alten Triftwegen, Feld- kannt hohe) Artenschutzwert karbonatreicher Xero- wegrändern mit Erdanrissen, an Erdkellern, Le- thermstandorte darf nicht dazu verleiten, weniger sesteinriegeln, im ruderalisierten Randbereich "augenfälligen" Wuchsorten wie etwa Radspuren von Kalkmagerrasen, in Quecken-Trockenrasen, und Anrisse toniger oder sandiger Erdwege eine Steingrusfluren, auch an Waldsäumen. geringere Bedeutung beizumessen, beherbergen sie Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen doch oft ausgesprochene Raritäten fast schon ver- schollener Spezies, man betrachte nur das Hartgras - Verbreitungsschwerpunkte im unterfränkischen (Sclerochloa dura) oder den Gestreiften Klee (Tri- Weinbaugebiet. Zerstreutes Areal, auch früher folium striatum). wohl eher selten. - Heute v.a. Windsheimer Bucht und Steigerwald- Für Arten, die in Bayern nahezu ausgestorben sind trauf (z.B. Ickelheim, Petersberg/Windsberg-Süd, (bzw. nur noch einzelne Fundpunkte aufweisen), SCHMALE 1993, mdl.). Verstreute Kleinbestände wie z.B. Trifolium striatum (Gestreifter Klee), im Grabfeld (slt., evtl. noch im CAUCALIDION, Sclerochloa dura (Hartgras), Linum perenne (Aus- Ackerrandstreifen), in der Südrhön, möglicherwei- dauernder Lein) oder Nonea pulla (Braunrotes se auch am Rand der südbayerischen Schotterter- Mönchskraut), sollten unverzüglich spezielle, auf rassen (z.B. Haimhausen/DAH). die örtlichen Standortverhältnisse hin abgestimmte Hilfsprogramme erarbeitet werden. Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen Vor allem Vernichtung der Wuchsorte im Zuge der Folgende Arten werden behandelt: Weinbergsbereinigung. Auch Aufgabe extensiv ge- Acker-Gelbstern S. 69 nutzter Weinberge (vor allem in den Randlagen des Acker-Wachtelweizen S. 71 Weinbaus). Ausdauernder Lein S. 70 Artenhilfe, Pflegeerfahrungen Berg-Sandglöckchen S. 70 Saumbiotope mit Allium rotundum unterliegen im Binsen-Knorpelsalat S. 67 allgemeinen keiner Bewirtschaftung mehr. Regel- Braunes Mönchskraut S. 72 rechte "Pflege" im allgemeinen nicht sinnvoll. Un- Essig-Rose S. 73 entbehrlich dagegen ein gewisses "Changieren" von Feld-Mannstreu S. 68 mechanischen Eingriffen (nur sporadisch) und Suk- Gestreifter Klee S. 75 zession. Gewöhnliche Osterluzei S. 66 Althaea hirsuta (Rauher Eibisch) RL-BY 2 Hartgras S. 74 Mediterran-pontischer Therophyt. Deutliche Kon- Heide-Nelke S. 67 zentration auf Grenzlinienstrukturen der Agrarland-

* Auswahl der Arten nach Expertenbefragung, Auswertung der Biotopkartierung, Literaturhinweise.

63 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen schaft. Nach HEGI in Deutschland wohl nirgends Artenhilfe, Pflegeerfahrungen ursprünglich (als Archaeophyt nur im Südwesten, Unregelmäßiges Umbrechen ruderalisierter Mager- im Osten nur südlich der Donau eingebürgert, bis- rasen-Randbereiche/ Rotationsbrachen im Bereich weilen eingeschleppt auf Ruderalplätzen, aufgelas- von Restvorkommen. Anlagerung von unregel- senen Steinbrüchen, mit Kleesaaten). mäßig bewirtschafteten Brachstreifen an Hecken, Typische Wuchsorte im Agrotopbereich Magergrünland- und Magerrasenparzellen. Neu- Lückige Ruderal- und Therophytenfluren im Acker- schaffung zusätzlicher, wenig eintragsexponierter randbereich, in gestörten Randzonen von Trocken- gehölzarmer Grenzlinien (Wegränder, neue Scher- und Halbtrockenrasen, Wimpernperlgrasfluren um benhaufen, Steinwälle) (vgl. auch PHILIPPI et al. Steinwälle und Lesesteinhaufen, Färberkamillenflu- 1990). ren. Arnoseris minima (Lämmersalat) RL-BY 2 (Sub)atlantischer Therophyt. Nutznießer der subat- Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen lant. (Klein)klimatönung vor Waldrändern (vgl. NE- Wärmegebiete zwischen Würzburg und Taubertal, ZADAL (1975). Besiedelt nur ausreichend offene seltener im Keuper (z.B. Liasvorland, Windsheimer Standorte in wintermild-humider Klimalage. Läuft Becken, Donauries, Obermainisches Hügelland). bereits während des Winters auf (unbeständig, etwas Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen frostempfindlich). Überdüngung und Verdrängung des konkurrenz- Typische Wuchsorte im Agrotopbereich schwachen Therophyten auf Ackerrändern, Über- - Sandig-grusige Kleinkuppen (Raine, kleine wachsen lückiger (mechanisch gelegentlich gestör- Knocks), an Wegrändern, Breitranken mit Ero- ter) Halbtrockenrasen nach Aufgabe von Bewei- sionslücken (z.B. Falkenberger Granitkuppen- dung und/ oder Feldbau-Grünland-Wechselnut- gebiet, Naab-Wondreb-Senke, Oberpfälzer Stift- zung. land).

Abbildung 1/28 Agrotop-relevante Wuchsorte naturschutzwichtiger Pflanzenarten in der Zusammenschau

64 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

-Böschungen, trockene Abhänge, z.B. bei Ried Donaukanal und Tal der Schwarzen Laaber; Re- am Pfahl/Regensenke, hier zusammen mit Bau- gensburger Alb). ernsenf (Teesdalia nudicaulis) (GAGGERMEI- - Saumbereiche zwischen wärmeliebenden ER 1992, mdl.). Hecken (Liguster-Hartriegel-Hecken) und an- -Sandige Steilböschungen zwischen Äckern grenzenden Mähwiesen, z.T. auch zwischen (Nordsteigerwald, Keuper) (MEIEROTT 1993, Hecken und Ackerrändern, versaumte Abschnit- briefl.). te von Bahnböschungen (Anstieg der Franken- -Sandäcker, aufgelassene Sandgruben (z.B. Hei- höhe, Windsheimer Bucht und Vorderer Steiger- denaabtal/NEW; Allersberger Sande/RH) (vgl. wald, SCHMALE 1993 mdl.). NEZADAL 1975). - Hochwasserdämme und Terrassenböschungen - alte, manchmal aufgelassene Hohlwege, in der Donau zwischen Regensburg und Straubing, Kleinschmielenfluren (z.B. Pfaffenhofener Hü- zusammen mit Arten lückiger ruderalisierter gelland, LITTEL 1993 mdl.). Halbtrockenrasen (ZAHLHEIMER 1979) . Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen - Relativ eutrophe, artenärmere Queckentrocken- Wichtige Vorkommen im Falkenberger Granitkup- rasen auf brachgefallenen Ranken, aufgelasse- pengebiet und der Naab-Wondreb-Senke, im Hei- nen Hohlwegen (z.B. Freinhausen/PAF; Aigls- denaabtal und in der Oberwildenau (Grenzbereich bach-Oberpindhart/KEH) (LITTEL 1993, mdl.). zwischen Oberpfälzer Hügelland und Vord. Oberpf. Ähnliche Wuchsorte im Raum LA/DGF an Ran- Wald). Vorkommen in Mittelfranken konzentriert ken, Erdanrissen, Hohlwegen, Säume um Erd- im Mittelfränkischen Becken, dem angrenzenden keller u. ä. (hier vor allem in versaumten Kalk- Albvorland und dem nördlicher gelegenen Weiher- magerrasen, Quecken-Halbtrockenrasen). gebiet zwischen Erlangen und Höchstadt, im Rother -Auf früher mittelwaldartig genutzter Steilhang- Sandgebiet. Auch Maintalsande, Nordsteigerwald. brache, um Maulwurfshügel, Ameisenhügel im Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen Raum Griesbach/PA (VAAS 1993, mdl.; nach STEIN fraglich). Vor allem verstärkte Düngung und Aufkalkung der wichtigsten Wuchsorte (vgl. ALBRECHT 1989). Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen Artenhilfe, Pflegeerfahrungen Früher weit verbreitet an Rainen, Waldrändern, in Gezielte Aufnahme entsprechender Standorte in das Getreidefeldern im Tertiärhügelland und der Schot- Ackerrandstreifen-Programm, Beibehaltung des ex- terplatten, im Alpenvorland (Huglfing, Herrsching), tensiven Ackerbaus in allen ertragsschwachen im Ries auf Tertiärkalk; fast überall im Fränkischen Sand- und Grusgebieten. Die Förderung der Art ist Jura, Keuper und Muschelkalk (VOLLMANN ein wesentliches Ziel bei der Umsetzung des ABSP 1914). in den in Frage kommenden Landkreisen der Ober- Heute fast nur mehr in mäßig intensiv genutzten pfalz (insbesondere NEW, SAD, CHA) (HERRE Ackerbaugebieten. Vor allem Südrhön, Grabfeld, 1993, mdl.). Tal der Fränkischen Saale, z.T. wohl auch Maintal, in den Randlagen des Ochsenfurter Gäus (KT/WÜ), Astragalus cicer (Kicher-Tragant) RL-BY 3 Knetzgau/Haßberge (im nordöstlichen Unterfran- Ausgesprochen pontische Art. Nach HEGI in den ken derzeit noch ungefährdet). Teile der Frankenalb Tälern der Ostalpen, im Donau- und Maingebiet und (einschließlich Lias-Vorländer) und Oberpfälzer in der Vorrhön vor allem in lichtem Hasel- und Alb (auch Regensburger Donaualb). In Mittelfran- Grauerlengebüsch, im Saum von Hecken und auf ken konzentriert in den wärmebegünstigten Acker- Trockenwiesen - an der Westgrenze dagegen fast und Weinbaulagen der Windsheimer Bucht und des ausschließlich als Kulturbegleiter, vor allem in Win- Vorderen Steigerwalds (SCHMALE 1993, mdl.). terroggenfeldern. Wird gerne vom Vieh gefressen (Blätter süß schmeckend, hoher Futterwert). Bestäu- Wichtiger lokaler Schwerpunkt im Pfaffenhofener ber vor allem Hummeln. Nach MEIEROTT (1993, Paarhügelland (insbesondere Freinhausener Acker- mdl.) auch extensive Weiden. terrassen, s. HAASE et al. 1990). Kleinere, lokal durchaus bedeutsame Vorkommen um Kelheim, im Früher wohl in ganz Bayern (außerhalb der Alpen Raum Landshut/Dingolfing, im Donautal zwischen und höheren Mittelgebirge) auf mittleren Standorten Regensburg und Straubing, Randhöhen Vils-u. weit verbreitet. GRAEBNER (1918) schildert den Kollbachtal (vorgeschoben). Kichertragant an "sonnigen Hügeln und Binnendü- nen, namentlich an oder über den Steilhängen der In Schwaben wohl nur mehr an der Unteren Donau großen Flüsse". (vgl. RADMÜLLER, Biotopkartierung). Typische Wuchsorte im Agrotopbereich Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen - An Wegrändern und Ranken, in versaumten, Bestandeseinbußen durch Intensivnutzung der na- sehr artenreichen Kalkmagerrasen und Blut- türlichen Wuchsorte (insbesondere im mesophilen storchschnabel-Säumen (z.B. verbreitet im ufr. Bereich). Vielerorts Rückzug auf weniger intensive Grabfeld, Poppenholz SE Irmelshausen/NES). Randbereiche und Flurzwickel. Stark gefährdet - Auf steinig-mergeligen Ranken, seltener Lese- auch durch Aufforstung von Grenzertragsstandorten steinwällen in Mittelkleesäumen, hochwertigen (Steilhangbrachen u.ä.). Quecken-Trockenrasen (z.B. Wiesent-Seitentä- Als "landkreisbedeutsam" wird die Art derzeit in ler, Nördl. Frankenalb um Weidenberg und Lich- AS, A, CHA, DGF, HAS, KC, LA, ND, STA, WÜ, tenfels, im Raum Wissing zwischen altem ERH, ED, FS, FFB eingestuft (ABSP).

65 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Artenhilfe, Pflegeerfahrungen Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen Offenbar nicht übermäßig düngerempfindlich, ge- In den Verbreitungszentren noch kaum gefährdet, in deiht noch in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Randgebieten in den letzten Jahrzehnten dage- Äckern. Verbesserung der Bestandessituation durch gen starker Rückgang. Frühere Verluste auch durch verstreute Bracheparzellen, Verbreiterung von Stu- veränderte Nutzung, Aufgabe des Weinbaus in den fenrainen, Heckenrändern; Offenhalten auch meso- weinbaulichen Randlagen. Später vor allem durch philer Saumstandorte (ohne 6d-Charakter!). Beseitigung von Mauern, Lesesteinhaufen, Säumen Aristolochia clematitis (Gewöhnliche Osterluzei) im Zuge von Weinbergumlegungen. Heute oft nur RL- BY 3 mehr in kleinen Populationen oder gar Einzelexem- plaren (auch im benachbarten Baden-Württemberg Stammt aus dem Mittelmeerraum (bis Kaukasus, fast überall in ihrem Bestand gefährdet, vgl. NEBEL Kleinasien), heute in allen Weinbaugebieten Mittel- et al. 1990). europas eingebürgert, hat dort als typischer "Kultur- folger" selbst dörfliche Wuchsorte erobert. Nach Artenhilfe, Pflegeerfahrungen HEGI nördlich der Alpen wohl nirgends ursprüng- Benötigt wohl keine besonderen Pflegeanstrengun- lich. Im Mittelalter als vielgebrauchtes Brech-, Hu- gen, bedarf aber der strikten Schonung sämtlicher sten und Wundmittel ("Troswurz") in fast jedem Wuchsorte (auch im synanthropen Bereich!). Förde- Kräutergarten angebaut. Weist heute oft auf alte rung durch extensiven, umweltfreundlichen Wein- Gartenanlagen, frühere Rebgärten hin. bau mit Säumen, Bracheparzellen etc. Auffällig geformte Blüten ("Fliegenkesselfalle"). Cerinthe minor (Kleine Wachsblume) RL-BY 3 Nicht in höherliegenden Gebieten mit ausgespro- Seltener pannonischer Therophyt deutlich gestörter chen kalkarmen, sauren Böden. Kalkmagerrasen. Oft nur sporadisch auftretend. Typische Wuchsorte im Agrotopbereich Verbreitungsbild unsicher (vgl. KOPECKY 1978). - An Mauerfüßen (bei Obereichstätt), an Steinrie- Im Osten als Archäophyt im wesentlichen auf Ru- gelen, Böschungen und Hohlwegen (z.B. Vol- deralstandorte beschränkt (Getreide, Brachfelder). kach/KT), in versaumten Kalkmagerrasen, Nur im pannonischen Gebiet (z.B. im polnischen Steinschuttfluren und Blutstorchschnabel-Säu- Kreidemergelgebiet um Cholm) auf natürlichen men, artenreichen Quecken-Halbtrockenrasen Grasheiden (HEGI). Von da ausstrahlend auf Raine, (Main- und Saalegebiet). Grasplätze, Steinbrüche und ähnliche, z.T. ruderale Orte. - Auf nur sporadisch gemähten Böschungen und Dämmen am Mainufer (BRANDT 1993, mdl.). Typische Wuchsorte im Agrotopbereich - Buntsandsteinmauern um Klingenberg/MIL (im - Offene Wegränder, aufgerissene Ranken mit Kontakt zu Sandgrasheiden). Quecken-Trockenfluren, ruderalisierten Kalk- - Zwischen Hecken und (Weinbergs)böschungen, magerrasen in -exponierter Lage z.T. wohl früher oft randständig an Zäunen (alte Weinberge am beweidet und/oder Steinaufschüttungen. Manch- Südl. Steigerwald, z.B. Ickelheim, Marktbergel, mal zusammen mit Cytisus ratisbonensis (z.B. Ergersheim NE Seenheim) in versaumten Kalk- Lauterach- und Vilstal, um Kallmünz). Ähnlich magerrasen, Distelfluren (SCHMALE 1993, gestörte Wuchsorte im Bereich der Lechschot- mdl.). Nach MEIEROTT (1993, mdl.) auch ter/Rain a. Lech (vgl. ALBRECHT 1989). Nordsteigerwald (Zell am Ebelsberg). -Böschung zwischen Trockenrasen W Mellrich- -Böschungsbrachen mit artenreichen Falcaria stadt/Grabfeld (u. angrenz. Thüringen). vulgaris-Quecken-Trockenrasen (Vorrhön, Haß- -Früher beackerte Terrassen N der Donau im berge). Raum Albersdorf, Gelbersdorf/PA mit (im Kri- stallin des Vorwalds) eingelagerten Kalkein- Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen sprengungen (MADL, 1992, mdl.). Nach VOLLMANN (1914) verbreitet im Tertiärhü- - Sehr lichte Heckenränder (Donautal, Isartal) gelland (z.B. Landshut, Straubing) und auf den (ZAHLHEIMER 1993, mdl.). Schwäbischen Schotterplatten (z.B. Ichenhausen, Dinkelscherben); für das Fichtelgebirge (Stadt- - "Grauzone" von Trockenrasen/ Fettweiderand steinach), den Weißjura (Neumarkt bis Hersbrucker (Bäckerbichl/STA). Alb); verbreitet auch im Lias und Keuper, auch - Ca. 0,5 ha großes Lesestein-Sammelgrundstück Diluvialsande des Mains, Mainspessart, Saaletal zwischen Weltenburg und Holzharlanden und Südrhönmager. (KEH): äußerst vielfältiger Mosaikkomplex aus Heute fast nur mehr in den ausgesprochenen Wär- Halbtrockenrasen, Ruderalmagerrasen, Stein- megebieten, fast durchgehend noch in den alten haufen, Staudenfluren, Steinwällen; Massenvor- Weinbergslagen vom Steigerwald bis zur Vorrhön kommen Melampyrum arvense, Cerinthe minor, (MEIEROTT 1993, mdl.). Schwerpunktvorkom- Teucrium botrys, Teucrium montanum, Crepis men liegen im Main- und Saaletal, am südlichen div. spec., wahrscheinlich noch viele seltene Ar- Steigerwaldrand; reliktische Bestände wohl noch in ten. den Haßbergen und im Itz-Baunach-Hügelland. Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen Daneben einige verstreute, ausgesprochen synan- Früher auf Rainen und Brachäckern, in Klee- und thrope Wuchsorte in Dörfern und Burganlagen (z.B. Esparsettenfeldern, auch Weingärten weit verbrei- Burg Pfaffenhofen in der Oberpfälzer Alb/ AS; tet. In HEGI angegeben in den Berchtesgadener MERKEL 1989). Alpen, östlich der Ammer, im Vorwaldgebiet um

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Donaustauf und Mitterfels, Obernzell bei Passau Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen (oft nur verschleppt). Bestandeseinbrüche vor allem infolge von Wein- Heute (außerhalb der Alpen) offenbar nur mehr zwei bergsflurbereinigungen, auch durch Vermörteln und von einander getrennte, mehr oder weniger in sich Verputzen von Trockenmauern. Starker Rückgang geschlossene Verbreitungsgebiete: Donautal mit auch in den benachbarten Wuchsorten Baden-Würt- Regensburger Alb, angrenzende Gebieten der Ober- tembergs (vgl. NEBEL et al. 1990). pfälzer Alb sowie Obere Isar mit Ammer-Loisach- Artenhilfe, Pflegeerfahrungen Hügelland (vor allem STA). Neufund am Untersberg Besiedelt neue Standorte nur sehr zögernd (wenig /Berchtesgadner Alpen (wahrscheinlich indigen, ausbreitungsfreudig). Erhalt alter Trockenmauern vgl. EBERLEIN & LIPPERT 1991). ohne bauliche Veränderungen zur Bestandessi- Verbreitungsschwerpunkt in der östlichen Oberpfäl- cherung unerläßlich. zer Alb (Lauterach- und Vilstal, Tal der Schwarzen Chondrilla juncea (Binsen-Knorpelsalat) Laaber, um Kallmünz) vermutlich bis in den Raum RL- BY 2 Burglengenfeld-Schmidmühlen (SAD). Vereinzel- Mediterran-submediterraner (kontinentaler) Roh- te, meist weit versprengte Populationen im Isar- und bodenpionier, vorwiegend in tiefer gelegenen Wär- Donautal, möglicherweise auch im Bereich der me- und Trockengebieten (gerne Kalksandgebiete). Lechschotter. Typische Wuchsorte im Agrotopbereich Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen -Häufiger gestörte, sandig-kiesige Böschungen, Ziemlich konkurrenzschwach, wird leicht über- Hänge, auch Hohlwege in lückigen Quecken- wachsen. Bestandesrückgang in (heutigen) Dauer- Trockenrasen, Mauerpfeffertriften (z.B. Frein- grünlandgebieten, z.B. Alpenvorland möglicher- hausen). weise auch durch Aufgabe des Feldbaus ("Vergrün- -Stärker ruderalisierte Sandgrasheiden, Silber- landung" ehemal. Ackerterrassen). grasfluren (Maintalsande, Grabfeld). Artenhilfe, Pflegeerfahrungen -Stark überweideter, trittbelasteter Hang, zus. mit Heute fast ausschließlich auf Brandplätzen, Ablage- Verbascum blattaria-Massenbestand (Thürnthen- plätzen mit organischen Einträgen (braucht offenbar ning/DGF). ziemlich massive Störungen). Wird möglicherweise Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen in Ackerrandstreifen, die etwa alle 3-4 Jahre flach In Südbayern insgesamt selten. Frühere Vorkommen umgebrochen werden, begünstigt. (VAAS 1993, an der Altmühl oder im Rednitz-Regnitz-Becken mdl.). größtenteils erloschen. Einigermaßen verbreitet nur Langfristige Sicherung nur durch kontinuierliche noch im Bereich der Maintalsande (WÜ/KT/BA), Neuschaffung von entsprechenden Ruderalstellen. im Judenhügelgebiet bei Kleinbardorf/ Grabfeld, in Möglicherweise auch über entsprechendes Weidere- der Windsheimer Bucht und im südlichen Steiger- gime (z.B. kurzes, scharfes "Überbeweiden" von wald. Daneben sehr zerstreut im Mittelfränkischen Grünlandterrassen). Becken und Albvorland. In der Oberpfalz nur in den wärmebegünstigen Tief- Ceterach officinarum subsp. officinarum (Milz- lagen (z.B. Regenknie). Südlichste Wuchsorte im farn) RL- BY 3/G sandbeeinflußten nordwestlichen Tertiärhügelland, Mediterran-submediterrane (subatlantische) Art. vor allem um Freinhausen, auch im Pfaffenhofener Kam vermutlich mit dem Weinbau aus dem Mittel- Hügelland bei Rohrbach-Fahlenbach (LITTEL meerraum nach Unterfranken (Archäophyt). Besie- 1993, mdl.). Versprengte Einzelbestände auch an der delt meist kalkarme bis schwach saure (aber meist Unteren Isar bei Thürnthenning (ZAHLHEIMER basenreiche) Trockenmauern, seltener auch Fels- 1993, mdl.), früher auch Landshut (Kalteller Berg). spalten in wintermilder Klimalage. Nahe verwandt mit den Streifenfarnen (Asplenium). Ziemlich dün- Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen ge-tolerant und auch in "gepflegten Weingärten" Verdrängung durch konkurrenzstärkere Grünlandar- anzutreffen (SALZER 1974). ten. "Ausräumung" der Landschaft, Wegeausbau. Aufgabe der Triftweide. Typische Wuchsorte im Agrotopbereich Artenhilfe, Pflegeerfahrungen - Trockenmauern, häufig in Strichfarngesell- Zwar gegen Nährstoffeinträge einigermaßen un- schaften, felsig-steinige Ranken (z.B. im Klin- empfindlich, meidet aber geschlossene Grünlandbe- genberger Buntsandstein). stände und bedarf gelegentlicher Störungen. Förde- Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen rung an zurückgehenden oder bereits erloschenen Nach HEGI Weinbergsmauern bei Kreuzwertheim Wuchsorten durch flachen Umbruch (bzw. Abgra- und Rothenfels, im oberen Saalegebiet auf Diabas bungen). Auch scharfe, kurzzeitige Beweidung, ins- (bei VOLLMANN 1914 noch verbreitet im ganzen besondere von Steilhängen, Grünlandterrassen. Mainknie von Gemünden bis Aschaffenburg; auch Dianthus deltoides (Heide-Nelke) RL- BY G Iphofen, Schweinfurt, Veitshöchheim). Subkontinentaler Rohboden-Pionier, Magerkeits- Heute hauptsächlich im Klingenberger Buntsand- zeiger mit relativ weiter ökologischer Amplitude steingebiet (MIL). Sonst wohl nur noch Maintal bei (Silikat- und Sandgebiete, auch Randbereiche aus- Würzburg (ob noch ?), sehr selten an alten Mauern trocknender Niedermoore). Nach Westen zu (z.B. b. Wiesentheid u. Hammelburg (MEIEROTT 1993, Spessart) deutlich abnehmend. mdl.). Wird bevorzugt von Schmetterlingen aufgesucht.

67 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Typische Wuchsorte im Agrotopbereich Eryngium campestre (Feld-Mannstreu) RL- BY 3 - Bankette, Wegmittelstreifen, z.T. früher bewei- Stromtalart der warmen Tieflagen, insbesondere der dete magere Raine, bodensaure Magerrasen bzw. kalkreichen Lehm und Lößgebiete Nordbayerns Magerweiden, Pechnelkenrasen, oft flechtenrei- (gerne im Gipskeuper). Früher lästiges Weideun- che Bestände, auch Borstgrasrasen (Kristallin kraut, auch Heil- und Gartenpflanze (bereits um der Grundgebirge, sehr selten im Tertiär, z.B. 1560). Z.T. wohl nur vorübergehend als Kultur- Adlkofen). flüchtling auftretend. Ursprünglich in den ungari- - Erodierte Steilhangbereiche mit ausgeprägten schen und böhmischen Steppenwiesen, auch hier gerne auf Lößböden (HEGI). Standortgradienten, frühere Sandabbaue, auch alte Triften über basenarmen Tertiär- und Keu- Verbreitung als sog. "Steppenroller"*. Bisweilen als perfazies, oft vergesellschaftet in Sandrasen, Halbschmarotzer an Sommerwurzarten wie z.B. Mauerpfeffertriften. Bei Fazieswechsel auf Orobanche amethystea (ob in Bayern ?). kleinstem Raum (Keuperbereich, Tertiärhügel- Typische Wuchsorte im Agrotopbereich land) z.T. auch direkt neben Kalkzeigern (z.B. - Weg- und Ackerraine, besonnte Waldränder in Karthäuser-Nelke). Auch in Schillergrasfluren, gestörten (früher beweideten) Halbtrockenrasen, Sandgrasheiden. Sandgras- und Ginsterheiden (Judenhügel, auf - Biotopkomplexe an erodierten Steilhängen, häu- roten Mergeltonen des Mittleren Keupers). fig am Hangfuß Anklänge von Flachmoorgesell- - Hohlwege, Klingen, Wegranken, in Mittelklee- schaften (z.B. Laaberquellen bei Rottenburg/ Säumen, auch stärker ruderalisierten Quecken- LA; Quellmoore bei Walperstetten S Nieder- Halbtrockenrasen, Schwarznesselfluren (Winds- viehbach/ DGF). heimer Bucht). Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen Noch verbreitet in den Sand- und Grusgebieten der Nach HEGI vielfach erst in neuerer Zeit entlang von Kristallinen Grundgebirge. Auch auf kalkarmen Eisenbahnen und Straßen eingewandert. Hinweise Sandsteinböden (Buntsandstein, Keuper), im Be- auf frühere Wuchsorte bei Regensburg und im reich der sandigen Tertiärfazies (Flinz) sowie in den Donauries. Auch im ufr. Maingebiet durch Bewei- Randbereichen ehemaliger (oft austrocknender) dung z.T. noch in Ausbreitung (MEIEROTT 1993, Niedermoore. mdl.). Heute fast geschlossenes Verbreitungsgebiet in den In allen intensiver genutzten Landesteilen nur mehr warmen Tieflagen des Main- und Taubergebietes Reliktbestände vorrangig an exponierten, steil abfal- (AB, MIL, KG, KT, MSP, WÜ) bis in die Windshei- lenden Leiten (z.B. asymmetrische Seitentälchen im mer Bucht/NEA (dort nur im Nordosten, die Art hat Tertiärhügelland). den "Sprung über die Frankenhöhe" nicht geschafft, Landkreisbedeutsame Vorkommen sind für AS SCHMALE 1993, mdl.). (Überregionale Bedeutung = ÜRB), A, BT, DGF Isolierter und zugleich nördlichster bayerischer (krit. Bestandesgröße), KEH, KC, LA, LI (erlo- Fundort im Judenhügelgebiet bei Kleinbardorf schen), ND (selten), STA, NM, WUN, PAF, EBE, ("Haßbergesporn" im Grabfeld). In Unterfranken ERH, ED, FS, FÜ, FRG gemeldet (ABSP). z.T. ähnliche Wuchsorte wie Chondrilla juncea. Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen Heute fast überall stark rückläufig. Besonders be- Im jetzigen Verbreitungsgebiet derzeit nicht akut droht sind die individuenarmen Kleinpopulationen gefährdet (relativ breite Standortamplitude). Viele an Wegrainen, Sandgrubenrändern u. dgl. im Ter- Wuchsorte jedoch durch Wegeausbau, Aufgabe der tiärhügelland. Gefährdet vor allem durch Intensivie- Triftweide potentiell bedroht. Ausbreitung (siehe rung angrenzender Wiesen und Weiden, insbesonde- "Steppenroller") kann durch dichte Strauchpflan- re Düngerabtrift (besonders empfindlich gegen zungen entlang von Feldwegen und Böschungen Kalk- und Stickstoffdüngung, vgl. ROHWEDER behindert werden. 1934). Bedroht auch durch Aufgabe von Grenzer- Artenhilfe, Pflegeerfahrungen tragsböden, Arrondierung und Aufforstung von Förderung der Keimung durch Bodenverwundun- "Flurzwickeln" und Säumen. gen, unregelmäßiges Umbrechen ruderalisierter Artenhilfe, Pflegeerfahrungen Magerrasen. Neuschaffung ausreichend breiter, Verträgt eine Spätsommermahd (etwa ab August) weitgehend "hindernisfreier" Streifen entlang der und/ oder extensive Beweidung, ist aber gegen hauptsächlichen Ausbreitungslinien an Wegen und Brennen möglicherweise empfindlich (NEBEL et Dämmen. al. 1990: 464). Unerläßlich sind ausreichend breite Filago minima (Kleines Filzkraut) RL- BY 3 Pufferstreifen zu Intensiväckern und -wiesen, Neu- Subatlantischer-submediterraner Therophyt. Unste- schaffung magerer, gehölzarmer Streifen an Weg- tes Auftreten in Sand- und Wärmegebieten (Sand- rändern. zeiger).

* Zur Zeit der Samenreife löst sich die Pflanze (mit steifem, fast kugelförmigen Habitus) von der Basis und wird vom Wind über den Boden gerollt ("Wanderpflanze").

68 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Typische Wuchsorte im Agrotopbereich Typische Wuchsorte im Agrotopbereich - Sandwege, in kleinschmielenreichen Silbergras- - An Mauern, Wegrändern, in lückig-rasigen Bö- fluren, gestörten Sandgrasheiden, an Triftwegen, schungen, in wärmeliebenden Säumen und offe- neben Tierbauten (z.B. Höchstädter Sande, nen Ruderalgesellschaften (Ränder unbereinig- Aischgrund, Allersberger Sandäcker, vgl. AL- ter Weinberge im Maintal). BRECHT 1989), Bamberger Becken (MEIER- Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen OTT 1993, mdl.). Heute vielerorts bereits als verschollen. Noch in - Sandranken, kleine Geländestufen an aufgeris- Unterfranken (Maintal im Raum Kitzingen, Würz- senem Waldrand ("Acker arbeitet am Wald"), oft burg-Süd), vor allem an Randlagen alter unbereinig- nur quadratmetergroße Flecken in Mauerpfeffer- ter Weinberge. Dort z.T. noch größere Populationen triften (z.B. Freinhausen, Schrobenhausen, (BRANDT, MEIEROTT 1993, mdl.). Vereinzelte Landshut, Straubing). Restpopulationen auch noch in den Randlagen zum - Sandgrubenränder, lichte Waldwege in der Über- Tertiärhügelland, insbesondere "Grauzone" Acker - gangszone Kiefernwäldchen-Feldbau (z.B. Hei- ruderale Wildgrasfluren (z.B. Sünching, Großes La- denaabtal). Selten in Borstgrasfluren (z.B. Selb- abertal) (HERRE 1993, mdl.) Außerdem Naab-Hü- Wunsiedler Hochfläche). gelland bei Vorbach und Wirbenz (Grenzbereiche Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen zwischen BT/NEW/TIR), Obermainisches Hügel- Überwiegend kleine, sehr verstreute Areale. In Un- land bei Meyernreuth/BT (MERKEL 1989). terfranken in gestörten Sandgrasheiden am Main, Der ähnliche Wiesen-Gelbstern (Gagea pratensis) auch Sandsteinkeuper. Häufiger in den Mittelfränki- RL- BY 3 als Überbleibsel extensiver Wiesennut- schen Sandgebieten (z.B. ERH), im Aischgrund zung meist unbeständig an Saumstrukturen, Nut- (NEA), auf den Allersberger Sandäckern (RH) und zungszwickeln wie Zaunstreifen, Waldränder, z.T. im Spalter Sandgebiet (WUG). Möglicherweise auch in leicht festmistgedüngten Obstwiesen ("über- noch im Silikatgrus der Wunsiedler Hochfläche. all dort, wo der Güllefächer nicht hinreicht"). Noch Schwerpunkte in der Oberpfalz im Bereich der är- regelmäßig im Maintal, SW Haßfurt-Bamberg (san- meren Sand- und Kiesterrassen, der Sandrücken im dige Wegränder, Weinberge, Wiesenlücken) (MEI- Heidenaabtal/NEW, selten in den Oberpfälzer Sand- EROTT 1993, mdl.). und Silikatgrus-Gebieten im Raum Miltach. In der Oberpfalz noch auf der Albhochfläche, bei In Niederbayern Isartal bei Weihmichl/LA; Randla- Eslarn, im Fahrnbachtal (NEW) (HERRE 1993, gen des Gäus, Sand- und Grusgebiete am Rand des mdl.). Nach DÖRR (1978) auch im Allgäu (Kemp- Bayerischen Waldes, Kelheimer Sande). Kleine ten, Gennachhausen bei Kaufbeuren), wohl als iso- Restpopulationen S Straubing (nur auf den scharf lierte Kleinpopulation. Früher wohl auch Allersber- eingeschnittenen Steilhängen tiefliegender Tälchen ger Sandäcker/RH., Ühlfeld/Aischgrund (AL- als von der Intensivnutzung herausgehobene Berei- BRECHT 1989). che). Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen Zerstörung von Wuchsorten durch Überackern, ins- Ausbau, Versiegelung von Sandwegen. Bedroht besondere auch durch das heute übliche Tiefpflügen auch durch Anpflanzungen entlang von Wegen (Be- (Zwiebel-Geophyt!). Gagea villosa hat ihre meisten schattung) und Aufforstung von kleinen Gelän- Wuchsorte auf Ackerstandorten mittlerweile einge- destufen und Flurzwickeln, insbesondere durch büßt. Gefährdet auch durch Intensivierung des Wirt- blockartige Aufforstungen vor Waldrändern. schaftsgrünlandes (Restvorkommen von Gagea Artenhilfe, Pflegeerfahrungen pratensis im Allgäu!). Abschieben des Oberbodens auf zwischenzeitlich Artenhilfe, Pflegeerfahrungen erloschenen Wuchsorten (siehe Bestände auf den Acker-Goldstern ist wohl nur durch "museale" For- abgeschobenen Äckern im Kelheimer Raum, LIT- men des traditionellen Acker- und Weinbaus lang- TEL 1993, mdl.). Förderung von (Sand)-Ackerbra- fristig zu erhalten (z.B. flaches Pflügen, mit der chen ohne Bodenschluß. Verbesserung der Bestan- Hand hacken u. dgl.). Alle Flurgrenzbiotope mit dessituation möglicherweise auch durch "Biologi- Restvorkommen von Gagea pratensis vorrangig si- schen Ackerbau" (als Puffer zwischen den Bestän- chern (Nutzflächenextensivierung, Pufferstreifen, den, HERRE 1993, mdl.). Erhaltung alter Zaunbiotope!). Gagea villosa (Acker-Gelbstern) RL- BY 3 und Galeopsis ladanum (Kalkschutt-Hohlzahn, Breit- Gagea pratensis (Wiesen-Gelbstern) RL-BY 3 blättriger Hohlzahn) Acker-Gelbstern früher oft massenhaft auf Äckern Einjährige Pionierart mit ausgeprägt xeromorphem und in Weinbergen, bildetete den Frühlings-Aspekt Charakter. Ursprüngliches Verbreitungsgebiet der der Weinbergslauch-Gesellschaften. Zählt zu den südeuropäischen Art nach HEGI nur schwer festzu- Brachpflanzen des (traditionellen) Ackerbaus, deren machen. Früher offenbar auf Brachäckern sehr ver- Brutzwiebelchen (ähnlich Gagea pratensis und ver- breitet. An manchen Wuchsorten mit Getreide "ver- schiedenen Muscari-Arten) durch Ackergeräte ver- schleppt". Spaltet sich in mehrere, nur schwer unter- schleppt, wieder ausschlagen. Vermutlich alter Kul- scheidbare Kleinarten auf. turbegleiter. Zwiebeln und Blüten wurden früher gegessen. In der Eifel als "Hundsöllig" (= Zwiebel), Typische Wuchsorte im Agrotopbereich auf der Schwäbischen Alb als "Wilder Knoblich" - Trockenmauern, Steinwälle, Wellenkalkhalden, oder "Himmelsbrot" bezeichnet (HEGI). Kleinabbaue in wärmeliebenden Blutstorch-

69 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

schnabelgesellschaften, Wimpernperlgras- -Sandäcker(brachen) im Miltenberger Buntsand- Kalkschuttfluren (Maintalhänge). stein. - Seltener, oft nur unbeständig auf Ranken, Hohl- - Sandgrubenränder, sandig-grusiger Abraum, wegen, manchmal oberflächlich entbasten Auffüllungen (Kleinabbaue). Standorten (z.B. Kronacher Muschelkalkzug im Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen Übergang zum Buntsandstein). Ähnliche Pio- Im unterfränkischen Schichtstufenland nur im Bunt- nierrasen mit bodensauren Anklängen, sogar sandstein, z.T. auch im oberflächlich versauerten Borstgrasanflügen wahrscheinlich im oberen Keuper; im obermainischen Hügelland (BA/ BT) Vilstal. dagegen noch recht verbreitet. Relativ häufig auch - Vereinzelt auf Lesesteinriegeln der Oberpfälzer noch in den Mittelfränkischen Sandgebieten Alb (HERRE 1993, mdl.). (Aischgrund, Rother und Spalter Sande), in der - Offene sandig-grusige Ranken, Mauerpfeffer- Oberpfalz (Oberpfälzer Hügelland, im Vorland der Triften (z.B. Donauries, Wörnitzeinhänge). Mittleren Frankenalb und Naab-Wondreb-Senke), Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen im Bayerischen Wald (vor allem im etwas wärme- Tal der Fränkischen Saale, Maintal einschließlich begünstigten Falkensteiner Vorwald). Seitentäler (WÜ/MSP/BA), seltener in der Bayreu- Im Tertiärhügelland nur noch in den Freinhausener ther Frankenalb, Kronacher Muschelkalkzug und Terrassen/PAF einigermaßen häufig, z.T. auch in Fränkische bzw. Oberpfälzer Alb (z.B. Alfeld, mög- den Schrobenhausener und Kelheimer Sandgebie- licherweise auch im oberen Vilstal/NEW). Weiterer ten. Daneben nur noch verstreute Restbestände (z.B. Schwerpunkt im Donauries (vor allem Wörnitzein- Sanddünen bei Straubing, bei Siegenburg). Regel- hänge). mäßig im Isar-Inn-Hügelland (z.B. Vilstal); fehlt im Alpenraum und Alpenvorland nahezu vollständig Über aktuelle Wuchsorte und die Bestandesdynamik (möglicherweise noch im Adelegg). des Gelben Hohlzahns (Galeopsis segetum) RLY- BY 2 ist in Bayern derzeit relativ wenig bekannt. Lankreisbedeutsame Vorkommen: HAS, KEH, KC, LA, (erloschen in LI), ND, AS, A, BT, DGF (krit. Nach MEIEROTT (1993, briefl.) sehr selten am Bestandesgröße), NM, WÜ, WUN, ERH, ED, FS, Untermain b. Stockstadt an sandigen Wegrändern inmitten von Ackerbrachen. FÜ, FRG. Sehr selten (verschleppt) auch Sandäcker im Stei- Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen gerwaldvorland (Wiesentheid). Aufdüngung, Aufkalkung landwirtschaftlicher Möglicherweise noch an besonnten Steinhalden, Le- Nutzflächen. Aufgabe, Aufforstung von Sand- und sesteinhaufen, Steinäckern im Buntsandstein der Grusäckern, Flurzwickeln, bäuerlicher Sandgruben. Südrhön und des Spessarts (insgesamt deutlich kalk- An Wegen, Böschungen auch durch Ausbau im ärmere Standorte als die oben erwähnten Galeopsis- Zuge der Flurneuordnung (auch durch Humusauf- Arten). trag, Bepflanzung von Weg- und Straßenböschun- Potentielle Gefährdung, Artenhilfe wahrscheinlich gen). ähnlich Kalkschutt-Hohlzahn. Auch in den Silikat- und Sandgebieten Bayerns, z.T. aber bereits stark zerrissene Areale. ("Rückgang in Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen breiter Front"). Fast überall im Tertiärhügelland im Derzeit in Bayern wohl noch nicht akut bedroht. Bereich kritischer Bestandesgrößen (Situation ähn- Aufgrund der relativ engen Bindung an Linear- und lich der Heide-Nelke). Kleinbiotope potentiell gefährdet durch Beseitigung Artenhilfe, Pflegeerfahrungen alter Mauern, Steinriegel und ähnlicher Saumstruk- Benötigt offene Standorte, insbesondere Böschungs- turen. anrisse. Größere Akzeptanz bzw. Toleranz gegen- Artenhilfe, Pflegeerfahrungen über kleinen "Erosionsschäden" an Wegen und Bö- Neuschaffung von Scherbenhängen, Steinwällen schungen. Anlage neuer Rohbodenböschungen in durch Aufschüttung von Lesesteinen in voll besonn- der unmittelbaren Umgebung noch rezenter Vor- ter Lage. kommen. Jasione montana (Berg-Sandglöckchen, Sandra- Linum perenne subsp. perenne (Ausdauernder punzel) Lein) RL-BY1 G Einjähriger, sehr lichtliebender Rohbodenpionier Wohl nur in den Niederungen (Donau, Main) au- (atlantisch-westmediterrane Verbreitung, in Bayern tochthon. Nach HEGI im Gebiet einigermaßen ver- an der Ostgrenze). Nur in kalk- und basenarmen änderlich, stellenweise (z.B. Kärnten) als "Ewiger Gebieten. Ausgesprochener Magerkeitszeiger auf Lein" kultiviert (Anbau nicht bewährt, da zu grob- Grenzertragsstandorten tieferer Lagen. faserig), z.T. auch Gartenflüchtling (HEGI). Typische Wuchsorte im Agrotopbereich Typische Wuchsorte im Agrotopbereich - Erdanrisse an Böschungen, z.T. mit Felsköpfen - Ranken, Böschungen, in schwach ruderalisier- durchsetzt, Wegraine, manchmal in artenreichen ten, sehr artenreichen (Trespen)-Halbtrockenra- Therophyten-Fluren (Freinhausener Ackerter- sen, Blutstorchschnabel-Säumen (z.B. Grett- rassen). stadt/Maintal; Pleintinger Lößranken). - Sandwege, gestörte Sandgrasheiden, Silbergras- Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen fluren (oft angezeigt durch Silberfingerkraut Po- Früher schwerpunktmäßig in ungedüngten, einschü- tentilla argentea) (Rother Sandgebiet, Spalter rigen Futterwiesen (vor allem Donau- und Isartal), Sande/WUG, Naab-Wondreb-Senke). bevorzugt auf mäßig nährstoffreichen Standorten

70 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

(trock. Auenwiesen im Donautal z.B. Tegernheim; Melampyrum arvense (Acker-Wachtelweizen) Lößlagen am Rande des Tertiärhügellandes). Nach Kontinental-(ostmediterraner) Therophyt und Halb- HEGI auch Flußschotterheiden bei Landshut, Wel- schmarotzer. Früher stellenweise vor allem in Win- tenburg, Straubing, Erlau/Bogen, Halbmeile/DEG, tergetreidefeldern ein hartnäckiges Unkraut (in Ost- Niederaltaich, Plattling, Vilshofen, Passau. Im europa und Vorderasien z.T. immer noch). Seit Be- Jura/Weismain, Keupergebiet b. Melkendorf/KU, ginn dieses Jahrhunderts Rückzug in besonnte Grettstadt/SW, Kitzingen. Trockenrasen, an Gebüschsäume und Wegränder. Aktuell nur noch Grettstadt/Main, Tegernheimer Charakterisiert heute trefflich die "Grauzone" zwi- Steinbruch, Schönhofen, Isarmündung, Garchinger schen artenreichen Kalkscherbenäckern und lücki- Heide (MEIEROTT 1993, mdl.). Auch Pleintinger gen Halbtrockenrasen. Lößterrassen. Außer in der Garchinger Heide über- Wichtig wohl auch das verfügbare Wirtspflanzen- all extrem gefährdet. spektrum*. Überwiegend vom Hummeln bestäubt (Samen häufig durch Ameisen verbreitet). Ausführliche Studie über die Linum perenne-Grup- pe in Nordbayern von MEIEROTT (1990). Typische Wuchsorte im Agrotopbereich -Raine, Feldränder, Lesesteinriegel im Kontakt Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen zu lückigen Kalkmagerrasen, Kalkscherben- Steht heute für eine Gruppe stark gefährdeter äcker, siehe Pfleimberg/Frankenalb bei SIEBEN Kalkmagerrasen-Arten (ähnlich Ajuga chamaepy- 1990). Seltener auf sporadisch befahrenen, et- tis, Muscari comosum), die heute fast nur außerhalb was trittbelasteten, steinigen Wegen (z.B. Ober- von Flächenbiotopen anzutreffen sind. Einige Be- pfälzer Alb, HERRE 1993, mdl.). Auch Keuper- stände stehen möglicherweise unmittelbar vor dem mergeläcker. Erlöschen (z.B. Tegernheim b. Regensburg) - Ranken, Ackerterrassen, in gestörten Halbtrok- (ZAHLHEIMER 1993, mdl.). kenrasen, Queckenfluren (seltene Reliktvor- Ursachen sind u. a. der Verlust von Standortgradien- kommen im Tertiärhügelland). ten (wie Kalkmagerrasen-"Grauzonen", schwach - Übergänge von trockenen Wiesen zu Streuobst- ruderalisierte Randbereiche vor allem auf Lößstand- wiesen (auf alten, zwischenzeitlich grünlandge- orten etc.) durch Brachfallen, Verbuschen. nutzten und z.T. sporadisch beweideten Acker- terrassen (z.B. Windsheimer Bucht) (SCHMA- Artenhilfe, Pflegeerfahrungen LE 1993, mdl.). Wurde durch frühere "Hochackerwirtschaft" (z.B. Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen Garchinger Heide) wahrscheinlich stark begünstigt. Im wesentlichen auf Kalkgebiete beschränkt (Mu- Wuchsort wirkt noch heute stark ruderal beeinflußt, schelkalk, Gipskeuper, Jura). Verbreitet noch in den wurde bis in das 20. Jh. hinein noch beackert. Besie- extensiven Ackerbaulandschaften Unterfrankens delt aber wohl keine abgeschobenen Rohboden- (vor allem Südrhön und Grabfeld, Haßberge, Main- standorte (siehe "Rollfeld"; vgl. Band II.1 "Kalkma- tal, Schweinfurter Becken, Kronacher Muschelkalk- gerrasen"). rücken und Lichtenfels). Artenhilfsmaßnahmen für die Linum perenne-Vor- Wichtige Vorkommen auch im Jura der Nördlichen kommen im Bereich der Pleintinger Lößranken im und Mittleren Frankenalb (BA, BT, FO, LAU), im Rahmen des dortigen Pflege- und Entwicklungskon- Gipskeuper der Steigerwald-Randstufe, im Bereich zeptes, z.B. Wiederaufnahme der Böschungsmahd der schweren Lias-Tone des Albtraufs (RH, WUG) ab Anfang Juli (vgl. ZEHLIUS et al. 1992). und der Südlichen Frankenalb (z.B. Pfleimberg im Anlautertal/EI). Selten im Kelheimer Donautal. Der nah verwandte Österreichische Lein (Linum Lokale Schwerpunkte im Oberpfälzer Jura (Vilstal, austriacum) ist in Bayern weithin eingebürgert (z.T. Lauterachtal, Tal der Schwarzen Laaber, im Raum Gartenflüchtling). Nach MEIEROTT (1993, mdl.) Kallmünz). Im Tertiärhügelland im Bereich der ungefährdet mit Ausbreitungstendenz. Vorwiegend Freinhausener Ackerterrassen (PAF). Möglicher- in trockenen, lückigen Ruderalgesellschaften bzw. weise noch Restpopulationen im Isartal S Landshut, stark ruderalisierten Kalkmagerrasen. Auffallend im Tal der Großen Laaber bei Rottenburg und in den oft in ausgeprägt synanthropen Gesellschaften, etwa Randlagen des Straubinger Gäus. In Schwaben vor auf Bahndämmen, Burganlagen (z.B. Hohenfels, allem auf der Aindlinger Terrassentreppe (AIC), im Schloßberg Velburg/ Oberpf.) (HERRE 1993, mdl.). Bereich der Wörnitzeinhänge und im Donauries. Ackerbrachen, insbesondere Kalkscherbenäcker ohne schnellen Bodenschluß als potentiell besiedel- "Landkreisbedeutsam" ist Melampyrum arvense in bare Standorte des Österreichischen Leins (siehe BT, DGF OAL, STA, MN, ERH, FS, FÜ, LI (erlo- Gebaberg-Hänge in der thüring. Rhön). Art verträgt schen), ND (ABSP). offenbar recht intensive Schafbeweidung (vgl. Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen SCHIMMELPFENG 1993). Gilt wohl nicht für Bestände vielerorts bereits ausgedünnt, meist kon- Linum perenne. zentriert auf sehr extensiv genutzte Rand- und Über-

* Die mitteleuropäischen Melampyrum-Arten sind einjährige Halbparasiten, deren Wurzeln über besondere Kontakteinrichtungen (Haustorien) mit den Wurzeln anderer Pflanzen in Verbindung treten und diesen Wasser und Nährstoffe entziehen. Als obligate Parasiten würden die Arten schon im Jugendstadium absterben (MATTHIES 1986).

71 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen gangsbereiche (Ackerränder, Waldsäume, Brachen). Artenhilfe, Pflegeerfahrungen Früher zusammenhängende Areale heute oft verin- Verträgt einiges an Düngereintrag. Hält sich selbst selt. Bestandeseinbrüche in Intensivgebieten auch in Fettwiesenbrachen oft lange. Schutz vor Über- durch Arrondierung, Vergrößerung der Anbauflä- ackern (s.o.) durch Pufferstreifen zu Äckern. Profi- chen, Verlust an Nutzungsgradienten (Saum- und tiert (ähnlich Ajuga chamaepytis, Althea hirsuta) Schlaggrenzbiotope). Rückgang im Allgäu mögli- von der "wilden Feldgraswirtschaft" mit natürlicher cherweise auch durch "Vergrünlandung" ehemaliger Selbstberasung. Zur Regeneration von Kleinstpopu- Ackerterrassen (vgl. DÖRR 1978). lationen gelegentliches Umbrechen von Grünland- Artenhilfe, Pflegeerfahrungen parzellen in der unmittelbaren Nachbarschaft. Profitiert bisher kaum vom Ackerrandstreifenpro- Nonea pulla (Braunes Mönchskraut) RL- BY 1 gramm, gedeiht aber in Wegrandpopulationen deut- Eigentliche Heimat sind die pontischen Feder- lich besser als in "klassischen" Kalkmagerrasen, grassteppen, auch hier meist ruderal an Wegen und offenbar begünstigt durch die bessere Stickstoffver- Ackerrainen (HEGI). Im Bereich der pontisch-pan- sorgung (vgl. MATTHIES 1986: 15). nonischen Flora ziemlich verbreitet, anderwärts nur Bestandesstützung durch sehr sporadisches Umbre- verschleppt (früher oft mit Getreide aus Rußland). chen von Ruderalmagerrasen (stabile Populationen In den Ursprungsgebieten "pendelt" die Art - durch in lückigen, z.T. über Jahrzehnte offen bleibenden Ameisen "verschleppt" - zwischen den (vorwie- Scherbenäckerbrachen in Ufr., BRANDT 1993, gend) synanthropen Wuchsorten an Wegen und Rai- mdl.). Neuschaffung gehölzarmer Schlaggrenzen. nen und den natürlichen Steppenwiesen (Indigenat Langfristige Sicherung der Art erfordert Nutzungs- daher oft schwer bestimmbar). mosaik verschiedener, extensiv genutzter Acker- In Deutschland nach HEGI wohl nirgends urwüch- und Grünlandstandorte - Erhalt unveränderter, nicht sig. Alteingebürgert dagegen im herzynischen Ge- flurbereinigter Kulturlandschaftsausschnitte im Be- biet. In Thüringen z.B. Ackerränder, Wegraine am reich der Schwerpunktvorkommen. Kyffhäuser. Auch in den Weinbergen Niederöster- Muscari comosum (Schopfige Traubenhyazinthe) reichs an sehr wärmeexponierten Böschungen (Be- RL-BY 3 obachtung von VAAS 1993, mdl.). Blüten werden Südeuropäischer Kulturbegleiter, alle Vorkommen häufig von Langhorn-Bienen (Eucera-Arten) be- in Mitteleuropa nach HEGI wahrscheinlich +/- stäubt. synanthrop (verschleppt durch Weinbau, Getreide, Typische Wuchsorte im Agrotopbereich z.T. auch Gartenflüchtling). Wächst die Art im Ge- - "Grauzonen" zwischen Ackerrand (Hackfrucht) treide, reifen die Früchte noch vor dem Schnitt! und verbrachtem Halbtrockenrasen, wärmelie- Meidet die höheren und rauheren Mittelgebirge, bende Säume, Grenzstreifen zwischen Äckern fehlt aber auch im norddeutschen Flachland. In ent- (Saupürzel/MSP); in trockener, ziemlich stark sprechend wärmebegünstigter Lage besiedelt die ruderalisierter Böschung mit Gelber Resede und Art sogar relativ bodensaure Wuchsorte im Granit. Großer Fetthenne (Würzburg). Pilzbefall kann zu eigentümlichen Deformierungen - Wegranken, auch in der Fahrspur. In südexpo- des Blütenstandes* führen. nierter Hanglage neben sehr lückigem Trespen- Typische Wuchsorte im Agrotopbereich Halbtrockenrasen (ehemaliger Acker!). Kontakt -Wegraine, Lößböschungen vor allem in gestör- zu wärmeliebenden Origanum-Saumgesell- ten Halbtrockenrasen und wärmeliebenden schaften und Trockenwäldchen (Deckelstein/R). Saumgesellschaften, auch ruderale Wiesen (z.B. Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen Pleintinger Lößranken im Donautal), Mainleiten Bamberg, Bahnböschung Schweinfurt (MEIE- Nach HEGI früher im Donautal von Regensburg bis ROTT 1993, mdl.). Passau, Isental, Isargebiet bis Vaterstetten/ Mün- chen, verbreitet in Franken. GRAEBNER (1918) - +/- bodensaure Stufenraine, sandig-grusige Ab- erwähnt Vorkommen an Wegrändern, Schuttstellen, hänge und Böschungen (z.B. Regentalhänge Ackerrändern. HOFFMANN (1883) gibt das zwischen Kirchenrohrbach und Zenzing, vgl. "Braun-Näpfchen" an für das niederbayerische Ter- FAUST 1992). tiärhügelland um Dingolfing, Landshut, zwischen Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen Viecht und Kronwinkel. VOLLMANN (1914) Verbreitungsschwerpunkt im Südostteil der Mittle- nennt Vorkommen im Tertiärhügelland und in der ren Frankenalb und unmittelbar angrenzende Gebie- Schotterplatte bei Vaterstetten/ München (1911), im te (insbesondere Regentalhänge, Donauhänge, Na- Bayerischen Wald (rechtes Innufer bei Passau), im abtal, Laabertal). Davon ausstrahlend versprengte Jura bei Eichstätt (Häringhof), im Muschelkalk bei Vorkommen entlang der Donau. Würzburg (Schenkenschloß). Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen In Bayern inzwischen fast überall ausgestorben Meist nur geringe Populationsgrößen, oft nur Ein- (bzw. verschollen). Noch etwa 2 bis 3 Einzelvor- zellexemplare oder Kleinstgruppen (erhöhte Gefahr, kommen im Maintal bei Würzburg und am West- daß beim Überackern von "Flurzwickeln" ganze hang des Saupürzels/MSP. Mehrfach wurden Jung- Lokalpopulationen ausgelöscht werden). pflanzen auch im angrenzenden Getreidefeld ange-

* als "Federhyazinthe" mit unfruchtbaren Staubblättern z.T. seit alters her in Gärten kultiviert

72 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen troffen, die aber nach Herbizidspritzung Ende Mai le), eine frühere Leitpflanze magerer Auenwiesen. regelmäßig abstarben (MEIEROTT 1981). Auch Nach HEGI früher verbreitet im fränkischen Keuper Untermain bei Großheubach (MEIEROTT 1993, und Muschelkalk (am Main bis Wertheim), zerstreut mdl.). im Donautal bis Langenisarhofen, im Jura unterhalb Sonst nur mehr Regensburger Alb (NW Deckel- Wellheim, im Schuttertal, im Donauries (Nonnen- stein). Möglicherweise Restvorkommen im Naabtal holz). Schon im 16. Jh. ähnlich dem Dill und Fenchel bei Pielenhofen. An der Unteren Isar keine rezenten als Heilpflanze in Gärten gezogen (Bitterstoffdro- Vorkommen mehr. Bis vor wenigen Jahren noch im ge). Auch als Zierpflanze in der Landschaftsgärtne- Loichinger Raum (ZAHLHEIMER 1993, mdl). Be- rei. siedelte früher vor allem den Randbereich der Isar- Heute praktisch keine flächenhaften Vorkommen brennen im unmittelbaren Kontakt zu umgebroche- mehr. Nur mehr auf Deichen, Grabeneinschnitten nen Schotterheiden (VAAS 1993, mdl.). und weniger intensiv bewirtschafteten Wiesen- Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen zwickeln (ZAHLHEIMER 1993, mdl.). In Unter- Alle rezenten Vorkommen in Bayern sämtlich durch franken machmal an Böschungen (RAAB 1993, Überackern (vor allem Tiefpflügen und tiefes Wen- mdl.). Nach MEIEROTT (1993, mdl.) auch Blut- den der Ackerscholle) bedroht (vgl. MEIEROTT storchschnabelsäume, Waldverlichtungen im Grab- 1981). feld. Artenhilfe, Pflegeerfahrungen Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen Regeneration von Restpopulationen durch unregel- Arten zweischüriger Frischwiesen zählen heute zu mäßiges flaches (!) Umbrechen (zwingend angewie- den am meisten gefährdeten Lebensräumen über- sen auf offene Bodenstellen in der unmittelbaren haupt (vgl. MAHN & FISCHER 1989). Umgebung ihrer Wuchsorte, vgl. SCHUWERK Praktisch alle rezenten Vorkommen im niederbaye- 1982). Profitiert erkennbar auch von Schafbewei- rischen Donauraum derzeit akut bedroht (Flurberei- dung (siehe vitale Bestände am Kyffhäuser im Be- nigungsverfahren in Kirchdorf, VAAS 1993, mdl.). reich steiler, intensiv beweideter Ackerterrassen) Aufgrund der verstreuten Vorkommen, der starken (QUINGER 1993, mdl.). Konzentration auf Saum- und Linearbiotope (häufig auch in weniger "ansehnlichen" Ruderal- und Bra- Peucedanum carvifolia (Kümmelblättriger Haar- cheausbildungen) sind alle Wuchsorte auch durch strang) RL- BY 3 Erstaufforstungen extrem bedroht (ZAHLHEIMER Submediterrane Art zweischüriger, ruderal beein- 1993, mdl.). flußter Frischwiesen. Heute meist typischer Saum- bewohner in warmen Tallagen (Lehm- und Tonge- Artenhilfe, Pflegeerfahrungen biete). Beide Peucedanum-Arten vertragen wohl mehr oder Typische Wuchsorte im Agrotopbereich weniger regelmäßige Mahd, halten sich aber auch in brachgefallenen und stärker versaumten Bereichen - Ranken, Böschungsanrisse, Hohlwege mit Re- über Jahrzehnte hin relativ stabil. Unerläßlich zur likten zweischüriger Frischwiesen (ruderal be- Sicherung der Restpopulationen ist der Erhalt sämt- einflußte Glatthaferwiesen), z.T. in wärmelie- licher Grenzlinien und "Flurzwickel" mit Relikten benden Saumgesellschaften (z.B. Kirchdorfer artenreicher Zweischnittwiesen bzw. Magerrasen Ranken, VAAS 1993, mdl.). der Flußauen. - Waldrandstufen mit vorgelagerten mesophilen Saum- und artenreichen Wiesengesellschaften Rosa gallica (Essig-Rose, Französische Rose) (z.B. Freibachleite bei Münchsdorf/PAN). Eine "klassische Saumart" der Wald- und Hecken- Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen ränder, dennoch auch in der offenen Feldflur zu finden (gerne in Keuperlandschaften). Im Donauraum etwa zwischen Neuburg und Platt- Im Maingebiet sucht die ostmediterrane-(gem.)kon- ling (einschließlich Altmühlalb, Regensburger tinentale Art die Nähe zu Orchideen-Buchenwälder Donaualb). Verstreute Restpopulationen im Rottal, (BRANDT 1993, mdl.). Stammform vieler europäi- im Passauer Passauer Abteiland, im Inntal, in den scher Gartenrosen, bildet zahlreiche Bastarde aus. Ausklängen des Bayerischen Waldes nördlich der Auffallend große, rote Blüten (meist einzeln ste- Donau (ZAHLHEIMER 1993, mdl.). Wohl auch hend), fast kugelige, leicht stacheldrüsige Früchte. Frankenhöhe (MEIEROTT 1993, mdl.). Erreicht (zusammen mit anderen, etwas wärmelie- Typische Wuchsorte im Agrotopbereich benden Wiesenarten wie Campanula persicifolia, -Wegränder, Hohlwege, auf offenen BERBERI- Medicago falcata, Agrimonia eupatoria) im Gebiet DION-Hecken-Ranken-Komplexen, z.T. in sehr der Kollbach- bzw. Freibachleite bei Münchs- artenreichen Blutstorchschnabelsäumen (z.B. dorf/PAN die südliche regionale Verbreitungsgrenze Wegranken in der unbereinigten Feldflur NO (fehltritten im zentralen Teil des Rott-Hügellandes Dörflis/HAS, ELSNER 1992, mdl.). Ähnliche und treten erst an wärmeexponierten Stellen am Ausbildungen im gesamten Maintal, Itzgrund, Rande des Inn-Tales wieder auf). Kennzeichnet hier Windsheimer Bucht. den Verbreitungsrand zweier Artengruppen: wärme- -Etwas stärker ruderalisierte Mittelklee-Säume liebende und Stromtalarten wie Dianthus superbus (Feldbeifuß-Ausbildung) auf Ranken und Bö- (Pracht-Nelke) oder Silaum silaus (Wiesen-Silge) schungen (an der Abens und Donau, im Raum (vgl. STEIN 1991). Weißenburg). Nah verwandt dem Kümmelblättrigen Haarstrang - Lesesteinhaufen, Blockschutt im Randbereich ist der Arznei-Haarstrang (Peucedamum officina- extensiv genutzer Äcker (z.B. Pfreimd/SAD).

73 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen nen Ranken in der unmittelbaren Umgebung deut- "Massiert" nur in den Wärme- und Trockengebieten lich ruderalisiert bzw. stark verbuscht (Brennessel- Nordbayerns mit deutlichen Schwerpunkten im herden, dichtes Schlehengebüsch)(vgl. auch LPK- Grabfeld, im Maintal und Mainfränkischen Gäu Band ii. 12 "Hecken u. Feldgehölze). (MIL, MSP, WÜ), im fränkischen Keuperbergland Sclerochloa dura (Hartgras) RL-BY 1 (Haßberge, Itz-Baunach-Hügelland, Steigerwald- Mediterran-(kontinentales) Süßgras. In Trittfluren stufe), der südlichen Frankenalb bis in die Umge- verschleppt. Salzertragend. Gedeiht nur in den bung von Regensburg. warm-trockenen Kalk- und Lößhügelländern. Im südlichen Steigerwald "typische Mittelwaldart" lichter Wälder und Gebüsche, auch steiler Hänge Typische Wuchsorte im Agrotopbereich und Hutungen (SCHMALE 1993, mdl.). In den an- - Fast nur an befahrenen Erdwegen, in verfestigten deren Gebieten Nordbayerns ziemlich selten. Be- Radspuren und Wegemittelstreifen (offene, voll achtenswerte Randpopulationen im Oberpfälzer besonnte Standorte) meist in Vogelknöterich- Wald (nur sehr wärmebegünstigte Lagen). Isolierter Fluren und ähnlichen Trittgesellschaften. Fundort bei Pfreimd/SAD, steht mit den anderen Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen bisher bekannten Vorkommen Nordbayerns nicht in Im wesentlichen beschränkt auf die Trockengebiete Verbindung (vgl. GAUCKLER 1973). Stellt das des Fränkischen Keuper- und Liaslandes. Die frühe- bisher östlichste (bzw. nordöstlichste) Vorkommen ren Vorkommen an der Donau und im Saaletal wahr- der wärmeliebenden Rose in Nordbayern dar (MIL- scheinlich schon seit Jahrzehnten erloschen. BRADT 1983). Rezentes Vorkommen in der Windsheimer Bucht Etwas häufiger wieder in den "Wärmeinseln" der (kartiert v. N. MEYER). Möglicherweise noch Rest- Donau (davon ausstrahlend bis in die Untere Isar), populationen im Schweinfurter Becken. Nach MEI- im Bereich der Aindlinger Terrassentreppe und im EROTT (1993, mdl.) aktuell noch Grettstadt und Donauries. GIERSTER (1940) gibt die Essig-Rose Gochsheim (jeweils kleine, gefährdete Populatio- für das Landshuter und Dingolfinger Hügelland an nen). (Feld- und Waldränder, Waldblößen, lichte Eichen- wäldchen, z.B. bei Staudach und Frauenbiburg). Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen Steht für eine Gruppe relativ unscheinbarer und Relativ schwachwüchsig. Wird von nitrophilen meist kaum wahrgenommener, aber dennoch hoch- Hochstauden und dichtem Feldgehölz (z.B. Schle- bedrohter Arten von Trittpflanzengesellschaften, hendickicht) oft überwachsen. Kommt dann nicht deren Bestände unmittelbar vor dem Erlöschen sind. zum Blühen bzw. fruktifiziert nicht. Verlust geeig- Alle bekannten Wuchsorte in Bayern sind durch neter Wuchsorte durch Aufgabe der Niederwald- Wegebaumaßnahmen potentiell oder akufähfährdet wirtschaft, fehlende oder mangelhafte Heckenpfle- (siehe Vernichtung eines der letzten Wuchsorte in ge, Brachfallen von Ranken. Einige Vorkommen der Windsheimer Bucht im Zuge des Flurwegeaus- akut gefährdet durch Wegeausbau im Rahmen anste- baus) (SCHMALE 1993, mdl.). hender Flurneuordnungsverfahren. Viele erhaltene Artenhilfe, Pflegeerfahrungen Wuchsorte in kleinreliefierten Landschaften sind Kein "Pflegemanagement" möglich. Unerläßlich ist nur dem Umstand zu verdanken, daß zumindest der Erhalt unbefestigter, vegetationsarmer Erdwege, Teilflächen bisher verschont geblieben sind (z.B. vor allem alter Keuperwege. Instandhalten der Pfreimd/Opf; Dörflis/HAS). Wege, kleine Reparaturen nach althergebrachter Artenhilfe, Pflegeerfahrungen Weise (z.B. Auffüllen einzelner Schlaglöcher) wird Unerläßlich ist der Schutz der Wuchsorte vor den im allgemeinen nicht schaden. Kein Wegeaus- und ausräumend-nivellierenden Aktivitäten der Flurbe- Neubau im Bereich potentieller Vorkommen (auch reinigung. MILBRADT (1983) beschreibt Rosa keine sog. "umweltfreundlichen Verfahren" wie Be- gallica am Rande einer Ackerfläche bei Pfreimd/ tonspurbahnen u.ä.). SAD: "Die Ackerfläche am Hang ist schwach ge- Ebenfalls eine typische Wege-Art ist Trifolium fra- neigt und war zum Zeitpunkt des Fundes als Rog- giferum (Erdbeerklee) RL- BY 3. Verbreitet vor genfeld genutzt. Am Südrand lagern inselartig auf allem in den Sumpfwiesen der Meeresküsten. Im einer Fläche von zehn Quadratmetern Gneisblöcke Binnenland Bewohner halophiler, aber nicht salzste- (...). Die Blöcke verhinderten bisher eine intensive ter Standorte. In den Donauländern Charakterart Ackernutzung. In ihrem Schutz erreichen die zahl- feuchter Erdwege. Auch auf feuchten Roß-, Schaf- reichen fruchtenden Sprossen der Essig-Rose eine und Gänseweiden. An Wegen auf ziemlich trocke- Höhe von 35 bis 50 cm. Die außerhalb wachsenden nen, bindigen Tonböden (bevorzugt auf Gipskeuper, Triebe erzielen wegen des kräftigen Niederwildver- Liasmergel). Auffallend ist der hohe osmotische bisses nur 10-20 cm Höhe und weisen außerdem nur Druck der Bodenlösungen - gleich, durch welche sehr geringen Blüten- bzw. Fruchtansatz auf." Salze er hervorgerufen wird. Verbreitung vor allem Beibehaltung der üblichen Pflege bzw. Wiederauf- durch Weidetiere. Aufgeblasene Fruchtkelche täu- nahme der Böschungsmahd auf bereits degradierten schen Beerenfrüchte vor (HEGI). (ruderalisierten, stark verbuschten) Wuchsorten: Nach ZAHLHEIMER (1979) in lückigen Trittrasen Ein Schnitt zwischen den Wiesmahden, bei Bedarf von Feldwegen, in den Fahrspuren und verdichteten auch fallweises Entbuschen (siehe vitale Exemplare Wegmittelstreifen an der Donau (z.B. Gmünder Au). in der Feldflur von Dörflis/HAS (noch regelmäßig Die Tieflagen- und Stromtalart (vor allem Keuper- gemähter Ranken). Hingegen sind die brachgefalle- gebiete) hat in den letzten Jahrzehnten mehr als die

74 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Hälfte ihrer Vorkommen eingebüßt (vgl. SCHÖN- Kraut der Pflanze früher gegen Ungeziefer verwen- FELDER & BRESINSKY 1990). det. Trifolium striatum (Gestreifter Klee) RL- BY 0 Typische Wuchsorte im Agrotopbereich Ausgeprägt mediterran-atlantische Art (in Südeuro- - Wege, alte Triften, meist stark gestört (oft an pa ähnliches Areal wie Edelkastanie). In Ungarn trittbelasteten Stellen und/ oder Tierbauten) in auch in Eselsdistelfluren (vgl. HEYDRICH 1967: mesophilen Mittelkleesäumen (Donauraum, 281). In Mitteleuropa insgesamt selten, fast nur war- z.B. Straubing, Burgheim). me Tieflagen. Kalkmeidend, öfters auf Salzböden. -Böschungen, Lesesteinablagerungen, in rudera- Früher manchmal als "Wilder Inkarnatklee" in den lisierten Kalkmagerrasen, Schillergras- und Verkehr gebracht (HEGI). Nach MEIEROTT & Eselsdistelfluren (Oberpfälzer Alb). ELSNER (1991) ist Trifolium striatum sehr wahr- - Brachstellen, ruderale Wiesen, z.B. Wolnzacher scheinlich autochthoner Bestandteil der bayerischen Hügelland (LITTEL 1993, mdl.). Flora, wenn auch gelegentlich recht unbeständig - Massenbestand auf ausgesprochen S-exponier- auftretend. Die (wenigen) bayerischen Vorkommen vermitteln zum benachbarten thüringischen und ter, stark überbeweideter Fläche (Isarhangleite, böhmischen Teilareal. Haupttalkante) mit zahlreichen "Viehgangerln" und Anrissen auf stark kiesigem Untergrund (E Typische Wuchsorte im Agrotopbereich Thürnthenning bei Habich/DGF)(VAAS (1993, -Wegränder und Böschungsanrisse, gelegentlich mdl.). auch in der Trittzone von Wegen, sehr lückigen Magerrasen, oft in Kontakt zu Schafschwingel- Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen Straußgras-Rasen (keine Kleinschmielenflu- In Bayern insgesamt selten, oft nur unbeständig. ren). Saumbereiche zwischen Wegen mit offe- Vorkommen im wesentlichen auf das Donaugebiet nen Anbrüchen und Heckenzeilen (z.B. Haßber- (einschließlich Übergänge zu Terrassenschotter, sie- ge, Grabfeld). he Aindlinger Terrassentreppe) konzentriert. Ver- -Lücken in gestörten, ruderalisierten Glatthafer- streute Vorkommen wahrscheinlich noch im Isar- Inn-Hügelland (Isarleiten, an der Vils am Kollbach, beständen (zusammen mit einer Reihe SEDO- am Unteren Inn). Individuum- reiche Bestände in SCLERANTHETEA-Arten), z.T. auch noch in mäßig gedüngten Beständen. Kiesgruben/Inntal. ALBRECHT (1989) gibt auch die Münchner Schotterebene an. Nach MEIEROTT - Kies- und Sandgrubenränder, vor allem in den Spargelgebieten Unterfrankens (RAAB 1993, (1993, mdl.) auch Untermain, Schweinfurt. mdl.), auf sandigen Baggerseeböschungen (z.B. Möglicherweise auch Oberpfälzer Alb im Raum bei Wipfeld). AS-NM. Für die früheren Wuchsorte auf den Lech- schottern oder im Alpenvorland liegen keine aktuel- Verbreitung in Bayern, aktuelle Vorkommen len Fundangaben vor. Nach HEGI früher im oberfränkischen Keuper zwi- Landkreisbedeutsame Vorkommen werden für SR, schen Lichtenfels und Michelau/Bamberg, früher NM, KEH, LA, ED, FS, A angegeben (ABSP). auch Jura bei Scheßlitz (wohl nicht mehr aktuell). Galt in Bayern bereits als "ausgestorben oder ver- Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen schollen". Alle derzeit bekannten Fundorte liegen in Schneller "Bodenschluß" durch wüchsige Hoch- Unterfranken, so am Main (Wipfeld; Dippach), zwi- staudenfluren oder Fettwiesenarten auf potentiell schen Prappach und Krum/HAS und am Südrand geeigneten Wuchsorten. Aufgabe der Beweidung, des Poppenholzes/Südrhön. Der Fundort Dippach Verlust alter Triftwege. "Sanierung" anerodierter weist mehr als 300 Exemplare auf. Möglicherweise Steilböschungen. Aufforstung von schwierig zu noch weitere verbindende Wuchsorte, etwa im pflegenden Hanglagen. Mainspessart. Weitere Funde bzw. Wiederfunde Artenhilfe, Pflegeerfahrungen z.B. in den trockenwarmen Tieflagen Nordbayerns, Bereits erloschene Wuchsorte beherbergen oft noch im oberfränkischen Maintal, evtl. auch im Gebiet lebensfähiges Samenpotential. Offenhalten potenti- um Coburg sind zu erwarten (vgl. MEIEROTT & eller Standorte, womöglich durch Beweidung ELSNER 1991). und/oder Wiedereinrichtung von Viehtrieben. "Hil- Gefährdungsfaktoren, Bestandeseinbußen festellung" dient weiteren Therophyten, kurzlebigen Gefährdet ist Trifolium striatum (ähnlich wie Trifo- Ruderalarten, Trittpflanzen. lium fragiferum, Sclerochloa dura) vor allem durch Wegebaumaßnahmen im Zuge der Flurbereinigung, Viele der an Randstreifen und Flurzwickeln vor- im Maintal z.T. auch durch Sandabbau. kommenden Arten (s. Tab. 1/18, S. 76) sind auch in anderen (flächenhaften) Lebensraumtypen (vor al- Artenhilfe, Pflegeerfahrungen lem Kalk-, Sand, Silikatmagerrasen) präsent. Einige Regelrechte Pflege bzw. Biotopmanagement ent- dieser Arten werden bereits in anderen LPK-Teil- behrlich. Für die Erhaltung der seltenen (Gast)art bänden angesprochen, sollen aber auch hier nicht unabdingbar ist der Schutz ihrer (wenn auch synan- unerwähnt bleiben, stellen viele Agrotop-Wuchsor- thropen) Wuchsorte. te doch häufig letzte Refugien, wichtige Ergänzun- Verbascum blattaria (Schaben-Königskerze) RL- gen von Kleinpopulationen ("Trittsteine") und/oder BY 3 Arealrandpunkte der regionalen Verbreitung dar. Ostmediterran-kontinentale Art. Wärmeliebend, er- Die Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Voll- reicht in Bayern die Nordgrenze ihrer Verbreitung. ständigkeit und bedarf weiterer fachlicher Diskussi- Extrem lange Keimfähigkeit (bis etwa 80 Jahre!). on.

75 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/18 Weitere naturschutzvorrangige Pflanzenarten auf Agrotop-Standorten * = kurzlebige Arten (Therophyten, oft sommereinjähr. oder zweijährig); fettgedruckte Arten = heute im wesentlichen auf Agrotopstandorte beschränkt

Art RL- Wuchsorte/ Bayerntypische Bestände im Status Agrotopbereich (Auswahl) Alnus viridis - Als eiszeitliches Relikt an Wegrainen im Vorderallgäu b. Grün-Erle Mindelheim (vgl. BRESINSKY 1959); Staudenplatte Aira praecox * 2 Fast nur mehr Wegränder u.ä. Flurgrenzbiotope. Früher Schmielenhafer Tiefgelegene Sand- und Steingrusgebiete in wintermilder Klimalage (Kitzingen, Schweinfurter Becken, Oberpf. Sand- u. Grusgebiete, S Abensberg/KEH). Wuchsorte ähnl. Sagina ciliata. Aira caryophyllea * 2Wegraine, Dämme, Sandackerbrachen heute fast nur mehr Nelken-Schmielenhafer Nutzungsgrenzen (ähnl. Aira praecox) Ajuga chamaepytis 2In lückigen Rainen zwischen Kalkscherbenäckern, jungen Gelber Günsel * Acker brachen (z.B. Tauber-Main-Gebiet). Früher auch Münchner Schotterebene vgl. ALBRECHT 1989). Ähnliche Wuchsorte wie Althea hirsuta (s. LPK-Band II.1 "Kalkmagerrasen") Anchusa officinalis * 3Sandäcker, Ackerbrachen, Wegböschungen in Gebräuchliche Ochsenzunge Sandgebieten. Auch Flußdeiche z.B. Offenstettener Dünen). Sand - und Wärmegebiete. Wuchsorte ähnlich Lycopsis arvensis (Acker Krummhals). Archeophyt vor allem in den Donauländern (Flußalluvien). Androsace elongata * 1 sehr selten, nur wenige Exemplare auf Wegen, (2 rezente Langestielter Mannsschild Fundorte/By), lückige Keupermergelranken (Schilfsandstein) im Grabfeld (Irmelshäuser Holz), auch angrenzende Luzerneäcker (MEIEROTT 1981, 1993 mdl.) Androsace septentrionalis * 1Auf lückigen Fahrspuren, Störstellen, offenen Nordischer Mannsschild Sandackerbrachen, offenen gestörten Silbergrasrasen z.B. im Mittelmaingebiet bei Karlstadt und Stetten (s. LPK- Band II.4 "Sandrasen") Anemone sylvestris 3An Böschungen und Hohlwegen, sonniges Gebüsch, lichte, Großes Windröschen offene Waldränder. Vor allem Nördliche Frankenalb und unterfränkischer Muschelkalk, z.B. Judenhügel E Kleinbardorf/Grabfeld). - s. LPK-Band II.1 "Kalkmagerrasen" Arenaria leptoclados * - Weinbergsmauern, in Steingrusfluren warme Tieflagen, Dünnstengeliges Sandkraut Weinbauklima, in Bayern nur Maintal im Raum Miltenberg- Stadtprozelten). Armeria elongata 3Wegränder/Sandwege in Sandgebieten, z.B. Gemeine Grasnelke Mittelfränkisches Becken um Nürnberg), bis in die Opf. ausstrahlend. Auch Sande S der Donau. Kont. Sippe der sonst atlantischen Gattung. Asplenium x heufleri - Neufund an Miltenberger Weinbergsmauern Strichfarn, seltener Bastard Centaurea stenolepis 3 Wegkanten, Waldrandstufen, in wärmeliebenden Säumen. Schmalschuppige Flocken- Vor allem Schwäbische Schotterplatten, Lechebene, blume Aindlinger Terrassentreppe GZ, DLG, A, ND, MN).

76 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Fortsetzung Tabelle 1/18

Art RL- Wuchsorte/ Bayerntypische Bestände im Status Agrotopbereich (Auswahl) Centaurium erytrahaea* GWegränder, versaumte Halbtrockenrasen im Kontakt zu Echtes Tausendgüldenkraut grasigen Waldlichtungen und Schlagfluren, Dämme Centaurium pulchellum* 3 Offene, wechselfeuchte Wege, Kiesgrubenränder, Wege, Ästiges Tausendgüldenkraut Kiesgrubenränder, Lehmgruben, kleingruppenweise in feuchten Äckern. Fast nur ebene Lagen. Centunculus minimus* 2Lückige Kleinbinsenbestände, oft in feuchten, humos- Kleinling sandigen Fahrspuren, Wegfurchen, verdichtete Wegränder und Holzlagerplätze. Selten im Raum Regensburg, früher auch Mittelfränkische Sande, z.B. Langenzenn, hier zusammen mit Zwergflachs Radiola linoides (vgl. MEYER 1983), Schrobenhausener Sande, Ühlfeld/Aischgrund, vielleicht auch Freisinger Tertiärhügelland (ALBRECHT 1989); s.a. LPK-Band II.8 "Stehende Kleingewässer" Cheiranthus cheiri - An alten, kalk- und nährstoffreichen Weinbergsmauern, Goldlack synanthrop verschleppt Weinbaugebiete Unterfrankens). Starker Rückgang in den letzten Jahrzehnten durch Weinbergumlegung, ähnlich: Isatis tinctoria, Hysopus officinalis vgl. AUVERA 1966, PHILIPPI et al. 1990 Cirsium canum 1Für die Bundesrepublik endemisch. Rezent im Graue Kratzdistel obermainischen Hügelland S Kulmbach bei Donnersreuth/Wehelitzer Au an Wiesenzwickel, Weg- und Grabenrändern. Auch KT, Ufr./Grabfeld, Ofr. Crocus vernus ssp.albiflorus 3 G Fast nur mehr entlang von Zaungassen, Hagrandstreifen im Alpen-Krokus außeralpinen Südwesten, alpine Tallagen/ MB, TÖL, WM). Cynoglossum officinale In M-Europa fast nur Wegraine, Ackerränder, trockene Gewöhnliche Hundszunge Viehweiden, an Fuchs- und Kaninchenbauten, ruderale Plätze in alten Ackerbaulagen vor allem Südliche Frankenalb, Mainfränkische Platten, zerstreut in Oberfr. Dianthus armeria* 3 G Wege mit Brombeerhecken/ Ginstergebüsch. Deutlich Büschelnelke atlantisch geprägt. Überall starker Rückgang. WichtigerVerbreitungsschwerpunkt im Sandsteinspessart MIL/AB Dianthus superbus 3 G Stromtalart, im Isar-Inn-Hügelland Kollbach-, Prachtnelke Freibachleite/PAN; Itzlinger Grünlandterrassen/ED nur mehr an Nutzungszwickeln, Wegrändern, Ranken, Flurstücksgrenzen ähnl. Silaum silaus (STEIN 1991). Falcaria vulgaris -Raine, Böschungen, meist in Quecken-Halbtrockenrasen. Sichelmöhre Wahrscheinlich starker Rückgang in Intensivgebieten, verschwindet mit zunehmender Aufeutrophierung. Früher lästiges Unkraut in Getreidefeldern. In einigen Landkreisen z.B. DEG/DGF bereits "landkreisbedeutsam" eingestuft (ZAHLHEIMER 1993, mdl.) Gentiana cruciata 3 G Löß- und Sandböschungen, Kalkmagerrasen. Vor allem Kreuz-Enzian Donautal s. Pleintinger Lößranken mit Seitentälern, auch Regental, Main- und Saalegebiet, Iller-Lechplatten, z.T. auch im Voralpenland.

77 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Fortsetzung Tabelle 1/18

Art RL- Wuchsorte/ Bayerntypische Bestände im Status Agrotopbereich (Auswahl) Gentianella baltica* 1 G Letzte Vorkommen im Fichtelgebirge und im Oberpfälzer Baltischer Enzian Wald praktisch nur mehr auf schütteren Rainen und Steinknocks - s. LPK-Band II.3 "Bodensaure Magerrasen" Illecebrum verticillatum * 1 In offenen, feuchten Pioniergesellschaften, an Wegen und Quirlige Knorpelblume Rainen, Fahrspuren in kalkarmen Sand- und Grusgebieten (z.B. Grafenwöhrer Becken/Opf.). Isatis tinctoria* - Wege, Dämme, Böschungen, Muschelkalkhalden. Nur Färber-Waid stellenweise eingebürgert in süd-dt. Stromtälern, vor allem Maingebiet, Windsheimer Becken, Donau - alte Heil- und Färbepflanze "Indigo" Juncus capitatus* 1 Feuchte Pionierstandorte an Wegen, Ackerrinnen. In Kopfbinse Zwergbinsenfluren verdichteter Ton- und Sandböden, z.B. Allersberger Sande/RH (ALBRECHT 1989), Rednitz- Regnitzbecken, Oberpf SAD/NEW). s.a. LPK-Band II.8 "Stehende Kleingewässer" Jurinea cyanoides 1 G Konzentriert an Wegrainen in den Astheimer Sanden Silberscharte (Maintal). Sonst Kiefernwald-Verlichtungen. Lappula squarrosa* 2Unbeständig an Wegen, Mauern, Tierbauten, Brachefluren. Gewöhnlicher Igelsame In Deutschland wohl nirgends urwüchsig. Im Osten häufiger. Oft nur vorübergehend mit Getreide und Klee eingeschleppt, auch Tierverbreitung. Wuchsorte ähnlich Nonea pulla Wärme- und Trockengebiete an Main, Donau Lathyrus hirsutus* 2Unbeständig an aufgerissenen Ackerrändern, an Wegen. Behaarte Platterbse Kalk-, Sand- und Wärmegebiete, z.B. Haßbergertrauf, (RäTH 1991). Ähnliche Wuchsorte, aber noch häufiger: Lathyrus tuberosus (Knollen-Platterbse) vor allem Weizenanbaugebiete z.B. Isarschotter/LA). Lathyrus nissiola* 2 Ackerraine, Feldrändern (Getreide), lichte Gebüschsäume Gras-Platterbse in warmen Lehm- u. Sandgebieten Rhön, Untermain, Windsheimer Bucht, Albvorland u. Frankenalb LAU/NM; Truppenübungsplätze Lychnis viscaria 3 Auf Wegrainen, Straßenböschungen Silikatgebiete; s. LPK- Gewöhnliche Pechnelke BandII.3 "Bodensaure Magerrasen" Leonurus cardiaca 2 An Wegen, Zäunen, Hecken, trockenen Viehweiden, nur in Gewöhnlicher Löwen- wärmeren Gebieten alteingebürgert. Durch Ameisen schwanz verschleppt. Kulturrelikt, Heilpflanze, Bienenweide. Melica ciliata An Lesesteinhaufen, Mauern, Muschelkalkhalden. Kalk- Wimpern-Perlgras und Wärmegebiete (z.B. Mittleres Maintal). Mibora minima* 1Wegränder, auch flächig in Sandackerbrachen mit Streuobst Zwerggras (z.B. Großheubach); Sandgrubenränder, lückige Sandmagerrasen im Bereich der höheren Sandterrassen des Maintals AB, MIL (MEIEROTT 1993, mdl.) Minuartia hybrida* 2 Wege, Böschungen, Mauerfüße, Ackerränder, lückige Zarte Miere Kalkmagerrasen in Wärmegebieten wahrscheinlich noch Main- und Saaletal, Südliche Frankenalb, Ries

78 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Fortsetzung Tabelle 1/18

Art RL- Wuchsorte/ Bayerntypische Bestände im Status Agrotopbereich (Auswahl) Muscari botryoides 3 G Alle südbayerischen Vorkommen konzentriert auf Träubel-Hyazinthe "Streifenbiotope", Wegraine, Ranken. Grünlandgebiete im Ostallgäu, Lech-Wertach-Ebene (z.B. Lechrain S Landsberg). Wuchsorte hier ähnlich Gagea pratensis, Crocus albiflorus. Sonst im nordbay. Keupergebiet. Hier Weinbaurelikt, oft nur verwildert. Im Norden auch Roggenäcker. In Ufr. Waldgeophyt. Muscari neglectum 2 G "Grauzonen" (Raine, Zäune) zwischen Weinbergen und Weinbergs-Traubenhyazin- Halbtrockenrasen in Kalk- und Wärmegebieten (MSP, WÜ, the KT, NEA). Wuchsorte ähnlich Nonea pulla Nepeta cataria 2 Ruderal beeinflußte Wege-, Straßenränder in Gewöhnliche Katzenminze Wärmegebieten, auch Dorfpflanze Mysosurus minimus* 3 Ackerrinnen, Ackerränder, Ausfallstellen, Wege in Lehm- Mäuseschwänzchen und Tongebieten, z.T. auch verdicht. Sande, z.B. Ühlfeld/Aischgrund, zus. mit Centunculus minimus, Ranunculus sardous, Gipsophila muralis. Stark gefährdet durch Ackerdrainagen, Wegebau. Odontites lutea 3 Sonnige Abhänge, Wald- und Gebüschsäume, auch Gelber Zahntrost Steinriegel in lückigen Halbtrockenrasen und Steingrusfluren (z.B. mainfränkische Muschelkalkgebiete, Nördliche Frankenalb, Oberpfälzer Alb). Ornithogalum umbellatum agg. 3Gebüschränder, Böschungen auch Weinberge, Gras- u. Dolden-Milchstern Baumgärten), vermutl. durch Feldgraswirtschaft gefördert, z.T. verschleppt. Wuchsorte ähnlich Muscari comosum; Stromtalpflanze Ornithopus perpusillus 3 Kalkmeidend, wächst auf Sandwegen, Dämmen, Vogelfuß Sandäcker(brachen), auch in Kleinschmielenfluren, Lämmersalatfluren (Mittelfränkische Sandgebiete, z.B. Allersberg/RH). (ALBRECHT 1989). Früher auch S der Donau. Viele Wuchsorte erloschen. Von Grabwespen, Schwebfliegen, kleinen Hummel- und Bienenarten besucht. Oxytropis pilosa 2 Auf Wegeböschungen, Hanganrissen. In Bayern nur mehr Zottiger Spitzkiel Grabfeld; Übergangsbereich zwischen Feldweg u. lückigem Halbtrockenrasen (vgl. MEIEROTT 1981, s.a. LPK-Band II.1 "Kalkmagerrasen") Phleum paniculatum* 2 Ackerränder, Flurgrenzstreifen, alte Triften, Sandäcker z.B. Rispen-Lieschgras Ostrand des Poppenholzes N Herbstadt/NES; Weinberg an der Peterstirn b. Schweinfurt; Sandbrache NW Eibelstadt, Haßbergetrauf bei Nassach (vgl. MEIEROTT 1991; RäTH 1991). Ranunculus arvensis* 3 Ackerränder, Ackerrinnen, Äcker vor allem W-Getreide in Acker-Hahnenfuß Kalk- und Lehmgebieten z.B. Unteres Isartal/ LA; Münchner Schotterebene, Lechschotter). (ALBRECHT 1989). Sagina apetala* 2 An Wegen, in alten Pflasterfugen, Äcker(rinnen in Kronloses Mastkraut Trittgesellschaften, Zwergbinsenfluren. V.a. tiefgelegene Wärmegebiete WÜ, SW, BA, z.B. Zellingen a. Main (vgl. ALBRECHT 1989), wahrscheinlich auch im Donauraum.

79 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Fortsetzung Tabelle 1/18

Art RL- Wuchsorte/ Bayerntypische Bestände im Status Agrotopbereich (Auswahl) Sagina ciliata* - Wege, Dammböschungen, Sandäcker(brachen), in Wimper-Mastkraut Kleinschmielenfluren, Trittgesellschaften Wärme- Trockengebiete Maintal, Taubertal, Südl. Steigerwald). Verbreitung, Ansprüche ähnl. Sagina apetala und ähnl. Kleinarten, aber noch seltener Scorzonera purpurea 1 G In Ackerfluren eingelagerte Zwickel enthalten letzte Purpur-Schwarzwurzel niederbayer. Standorte Schotter im Unteren Isartal/DGF. Sonst Steppenrasen u. Kiefernwald-Verlichtungen (Wärme- und Trockengebiete). Selaginella helvetica - Rohe, beschattete, manchmal sickerfeuchte Schweizer Moosfarn Lößböschungen, Anbrüche in lückigen Kalkmagerrasen Löß- und Kalkgebiete an der Donau, z.B. Pleintinger Lößranken, hier zus. mit Tofieldia calyculata), auch Alpenvorland und Tallagen der Alpen. Silaum silaus - Stromtalart. Wechseltrockene, ruderale Wiesen. Z.T. Wiesen-Silge apophyt. Charakter, wiederholt mit Grasaaten verschleppt. Im Isar-Inn-Hügelland z.B. Kollbach-, Freibachleite/ PAN nur mehr reliktisch an Nutzungszwickeln ähnl. Dianthus superbus (vgl. STEIN 1991). Gerne vom Schwalbenschwanz (Papilio machaon) aufgesucht. Spergula pentandra* 0 Sandwege, Sandacker(brachen), Ackerränder; z.T. in Fünfmänniger Spörgel Silbergras- u. Kleinschmielenfluren. Bestände praktisch erloschen, früher sehr verstreut in Sandgebieten (vorwiegend Nordbayerns). Spergula morisonii* 3 Offene Sand- und Gruswege, Felskopffluren, z.T. in Frühlings-Spörgel Kleinschmielenfluren vor allem Rednitz-Regnitzbecken, Sand- und Grusgebiete der Oberpfalz Teesdalia nudicaulis* 3 Wege, Ackerränder mit offenen Sandrasen und kalkfreien Bauernsenf Silikatgrusböden etwas wärmere Sand- und Silikatgebiete, Tieflagen Vor allem Mittelfranken, z.B. Allersberg/RH; Regengebiet Ried am Pfahl), auch Schrobenhausener Sande (vgl. ALBRECHT 1989). Teucrium botrys* - Lesesteinhaufen, Steinschutthalden, lückige Trauben-Gamander Kalkmagerrasen. Alte Triften, auch Ruderalstellen warmer Lagen. In S-Deutschl. alteingebürgert (vor allem Frankenjura). Ausbreitung entlang von Eisenbahnen, Wegen, durch Wildtiere, Weidevieh. Wohl auch endozooisch durch Wiederkäuer. Valerianella dentata* "Grauzone" zwischen Getreidefeldern und Trockenrasen, Gezähnter Feldsalat auch Mauern. Warme Kalk- und Lehmgebiete, Weinbauklima (auch Sandgebiete). Wuchsorte ähnl. dem häufigen Valerinanella carinata (Gezähnter Feldsalat) Veronica austriaca 2Außerhalb der Garchinger Heide nur mehr südl. abgelegene Österreichischer Ehrenpreis Acker-Kiesgrubenränder. Südbayerische Schotterfelder (LEMMERTZ 1986).

80 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Fortsetzung Tabelle 1/18

Art RL- Wuchsorte/ Bayerntypische Bestände im Status Agrotopbereich (Auswahl) Veronica praecox* 3An Böschungen, Wegen, Erdanrissen, lückige Früher Ehrenpreis Trockenrasen, Windhalm-Sandäcker. In Sand- und Steingrusgebieten ähnl. Veronica dillenii), auch rohe Löß/Lößlehmböden. Auch Keuper, Muschelkalk. Veronica triphyllos - "Grauzone" zwischen Getreideäckern Sandmohnäcker und Dreiblättriger Ehrenpreis Wegrändern vgl. ALBRECHT 1989). Noch verbreitet, aber wohl stark zurückgehend.

1.5 Tierökologische Grundlagen Auf den vegetationsgeprägten Agrotoptypen findet sich die mehr oder weniger typische Fauna der Ru- Agrotope lassen sich faunistisch nicht eindeutig ge- deralfluren, Hochstaudenfluren, Wiesen, Mager- gen andere Offenlandbiotope abgrenzen (siehe Ma- und Trockenrasen und wärmeliebenden Säume. gerrasen und Heiden, Dämme, Grabenböschungen, Doch auch hier tritt die Vegetationsstruktur der ein- Kleinabbaue u. ä.). Die an solche Lebensraumtypen zelnen Gesellschaften gegenüber der Syntaxonomie adaptierte Fauna wird in den entsprechenden LPK- deutlich in der Vordergrund. Bänden (vgl. insb. II.1 -II.4 sowie II.10 und II. 18 In diesem Kapitel wird also dargestellt, wie sich ausführlicher behandelt. Hecken (bzw. -fragmente), agrotop-immanente Eigenschaften auf die Habitat- Einzelbäume und/oder Streuobst können ebenfalls qualität und damit auf die Zusammensetzung der als Habitatelemente (z.B. von Stufenrainen, Stein- Fauna auswirken (Kap. 1.5.1) und welchen Einfluß wällen, z.T. auch von Wegrändern) auftreten (vgl. die Agrotopkonfiguration und das jeweilige Agro- LPK-Bände II.5 "Streuobst", II.12 "Hecken und topumfeld ausüben (Kap. 1.5.2 und 1.5.3). Auf die- Feldgehölze", II.14 "Einzelbäume und Baumgrup- ser Basis werden im späteren Pflege- und Entwick- pen"). lungsteil entsprechende Leitbilder, Ziele und Maß- Unter günstigen Voraussetzungen (z.B. Kontakt zu nahmen (vgl. Kap. 4.2) zur Sicherung und Optimie- hochwertigen Flächenbiotopen, ungebrochene Fau- rung (auch) tierökologisch bedeutsamer Agrotope nentradition) können Agrotope (zumindest zeitwei- abgeleitet. se) auch naturschutzbedeutsame Arten mit größe- rem Flächenbedarf beherbergen. Hinweise für die Entscheidenden Einfluß auf das Fauneninventar der Bestandssicherung dieser Arten sind in den entspre- Agrotope hat auch die Bewirtschaftung bzw. Pflege chenden LPK-Bänden (s.o.) zu finden. der Agrotope selbst; die Reaktion der Fauna auf Bisherige Erfahrungen haben gezeigt, daß nur eine Maßnahmen der Agrotoppflege ist jedoch Gegen- geringe Übereinstimmung zwischen pflanzensozio- stand von Kap. 2.1. logischen Einheiten und Tier-Lebensgemeinschaf- ten besteht. Die meisten Tierarten stellen wesentlich In Kap. 1.5.4 werden für ausgewählte Ziel- oder komplexere Ansprüche an ihre Umwelt als Pflanzen "Schlüsselarten"* ökologische "Steckbriefe" er- (vgl. u.a. MIOTK 1986; MICHAELIS 1990; stellt, in denen kursorisch Informationen zu Habitat- PLACHTER 1990; RIECKEN 1991; SCHLUM- präferenzen, artspezifischen Empfindlichkeiten PRECHT & VÖLKL 1992; REINKE 1993). bzw. Mangelfaktoren ("Überlebensengpässe") zu- Einige Tiergruppen haben in Agrotopen, die fast nur sammengestellt sind. Behandelt werden Arten, zoologisch zu charakterisieren sind, ihren Verbrei- tungsschwerpunkt (siehe Steilwandbiotope, Mauer- spalten, Steinhaufen, vegetationsarme Rohboden- • die in Agrotopen zumindest regionale Schwer- aufschlüsse und Böschungsanrisse). Von ihnen indi- punktvorkommen haben; zierte Biotopqualitäten: Biotopgeschichte (im Falle • deren Populationen besonders schutzbedürftig, von wenig migrativen Formen und Kleinarten), Jah- gefährdet und/ oder deutlich rückläufig sind; reskleinklima, langjährige Durchschnitts- und Spit- • aus deren Habitatansprüchen sich konkrete Hin- zenwerte mikroklimatischer Faktoren, mechanische weise zur Pflege und Entwicklung ableiten las- und chemische Belastungen usw. (GEISER 1981). sen.

* Arten, deren Verschwinden sehr wahrscheinlich das Aussterben vieler weiterer Arten nach sich zieht (vgl. "keystone species" bei HOVESTEDT et al. 1991: 186).

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1.5.1 Einfluß agrotop-immanenter Eigenschaf- Fauna xerothermophiler Felsfluren und Trockenra- ten auf Habitatqualität und Zusammen- sen-Komplexe auf (vgl. BLAB 1986, GACK & setzung der Fauna KOBEL-LAMPARSKI 1984). Es handelt sich dabei meist um Arten mit mediterranem Verbreitungs- Wie beeinflussen abiotische Faktoren wie Substrat schwerpunkt. VYTRISAL (1991) beobachtete im und Exposition die Zusammensetzung der Agro- Frühjahr an senkrechten Mauern (Steinoberflächen- topfauna ? Welchen Einfluß haben Vegetations- temperatur von fast 20° gegenüber nur 4° in den strukturen und floristische Ausstattung ? Inwieweit benachbarten Brometen) zahlreiche Fliegen und Hy- sind Tierpopulationen von der Flächengröße (Län- menopteren. Auch viele Ameisenarten, für deren ge, Breite) abhängig ? Sind alte "stabile" Agrotope Nischensegregation die Temperatur eine erhebliche faunistisch besonders wertvoll ? Welchen Einfluß Bedeutung hat, konnten an Trockenmauern sowohl haben "Sonderstrukturen" wie Erdwege, Steilwän- tageszeitlich als auch jahreszeitlich viel früher beob- de, Lesesteine, Mauern und Zäune ? Kap. 1.5.1 faßt achtet werden. Im Spätherbst registrierte VYTRI- hierzu einige Antworten zusammen. SAL am Fuß einer besonnten Weinbergsmauer auf einem nur 30 cm breiten und 1 m langen, fast vege- 1.5.1.1 Einfluß abiotischer Faktoren tationsfreien Sandstreifen ein Massenauftreten jun- ger Heuschrecken. Auch etliche wärmeliebende Ca- Vor allem Kleintiere wie Spinnen und Insekten stel- rabiden (Harpalus-, Amara-Arten) finden sich nur len vielfach sehr spezifische Ansprüche an das Mi- an derartigen Standorten. Die höheren Temperatu- kroklima ihrer Lebensräume (vgl. BROCKSIEPER ren bewirken bei stark wärmebedürftigen Arten 1978). Daraus resultiert eine starke Abhängigkeit auch einen deutlichen Entwicklungsvorsprung. der Agrotop-Fauna von den abiotischen Standortbe- dingungen. Daneben prägt die Vegetationsstruktur Dank der Ritzen, Spalten und Hohlräume der das Mikroklima ebenfalls entscheidend. Trockenmauern findet zugleich eine Feuchtigkeits- regulation statt (vgl. Kap. 1.5.1.2.4). Expositionsbedingte Habitatdifferenzierung Flachraine und Wegränder in ebenem Gelände sind nur wenig erhöht; das Mikroklima ist "ge- Stark wärmebegünstigt sind auch sonnenzugewand- mäßigt". Dementsprechend dominieren hier (vor al- te Hohlweg-Wände. Auch hier begünstigt die Auf- lem bei geschlossenem und höherwüchsigem Be- heizung vegetationsloser (bzw. -armer) Steilwand- wuchs) mesophile Wiesentiere. In sonnenexponier- flächen das Auftreten wärmeliebender Tierarten; der ten Hanglagen kommen Raine, Wege und Wegrän- Einschnitt des Hohlwegs wirkt geradezu als "Wär- der jedoch in einen erheblich höheren Strahlungsge- mefalle", da der Luftaustausch durch die Windab- nuß (vgl. Kap. 1.3.2), der sich in einem vermehrten schwächung verringert wird (vgl. 1.5.1.2.4). Auftreten heliophiler und thermophiler Arten nie- derschlägt. Substratbedingte Habitatdifferenzierung Wesentlich ausgeprägter sind diese reliefbedingten Unterschiede naturgemäß bei den über die Umge- Die Materialbeschaffenheit (z.B. Feinkörnigkeit) bung deutlich erhabenen Ranken (Hochrain) und des Bodens bietet unterschiedliche "ökologische Li- Lesesteinriegel. Stark sonnenexponierte Ranken zenzen". Auf die Bedeutung "grabbarer" Boden- und die sonnenzugewandte Seite von Steinriegeln struktur für die Hautflügler wird noch eigens einge- begünstigen als "Wärmeinseln" in der Landschaft gangen. das Auftreten xerothermophiler Arten und können sogar einzelnen Arten der Trocken- und Halb- Die Bodenfeuchte beeinflußt nicht nur die Zusam- trockenrasen zumindest vorübergehend Lebens- mensetzung der Bodenfauna, sondern auch die der raum bieten. epigäisch lebenden Tiergemeinschaft. Als Beispiel KAULE et al. (1983, 1984) fanden eine arten- und sei die Feuchtigkeitsabhängigkeit der Heuschrek- individuenreiche Gemeinschaft xerothermophiler kenfauna von Agrotopen herangezogen. So reagie- Tiere (Kleinsäuger, Reptilien, Laufkäfer, Schnek- ren Heuschreckenarten, die ihre Eier im Boden ab- ken* ) nur in Hochrainen (Ranken) und Hutungen. legen, sehr sensibel auf die Bodenfeuchte. JAKO- Im Bereich der untersuchten Grünlandflächen des VLEV & KRÜGER (1953) konnten nachweisen, Gutes Scheyern wurden die höchsten Heu- daß hygrophile Heuschreckenarten stärker an Bio- schreckendichten ebenfalls auf geneigten und wär- tope mit höherer Luftfeuchtigkeit gebunden sind. In mebegünstigten Wiesenranken und Böschungen Feldrainen in Niedermoorgebieten treten daher an- festgestellt (PLACHTER et al. 1991). dere Heuschreckenarten (z.B. Chorthippus albo- Besonders ausgeprägt ist der Charakter der "Wär- marginatus) auf als in Feldrainen auf trockenen, meinsel" bei sonnenexponierten Trockenmauern. skelettreichen Böden, in denen gelegentlich ausge- Bei Trockenmauern und Steinriegeln kommt zum sprochen xerothermophile Heuschrecken wie der verstärken Strahlungsgenuß das Wärmespeicher- Feldgrashüpfer (Chorthippus apricarius, RL Bay- verhalten des Steinmaterials hinzu. Die Fauna der ern Gef. Gr. 3) vorkommen (vgl. BUCHWEITZ, Trockenmauern weist daher häufig Elemente der DETZEL & HERMANN 1990).

* Landschnecken sind wichtige Bioindikatoren für Veränderungen des Mikroklimas (vgl. POLLARD 1975, SOUTH 1965).

82 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

1.5.1.2 Vegetationsbedingte mes Lokalklima (sonnenexponierte Lage in nieder- Habitatdifferenzierung schlagsarmen Gebieten) und lückig niederwüchsi- ger Bewuchs auf skelettreichen Böden zusammen- Die Vegetationsstruktur als habitatdifferenzie- wirken. render Faktor Aus diesen Beobachtungen wird erkennbar, daß Das "Bestandsinnenklima" der Agrotope wird ent- ethologische Anpassungen an die Strukturierung scheidend durch die horizontale und vertikale Vege- des Lebensraumes für das Überleben einer Art von tationsstruktur geprägt, die den "Raumwiderstand" ähnlicher Bedeutung sind wie morphologische und der Krautschicht bestimmt. physiologische. In vielen Fällen dürften erstere Mit zunehmender Strukturvielfalt in der Agrarland- überhaupt erst zur Anpassung an bestimmte Biotop- schaft ist in der Regel mit einer Zunahme der Arten- typen geführt haben (SCHMIDT & SCHLIMM diversität und -vielfalt ("species richness") zu rech- 1984). nen. So lassen die Untersuchungen von ASSELIN (1988) einen deutlichen Zusammenhang zwischen In Feld- und Wegrainen ebener Landschaften domi- einer zunehmenden Anzahl unterschiedlicher nieren weit verbreitete, mesophile Tierarten, die "Raumnutzungsmuster" und der Artenzahl von vielfach der Wiesenfauna zuzurechnen sind. Eine Spinnen in einer Mähwiese erkennen (vgl. auch dichte und hochwüchsige Krautschicht mildert MAELFAIT et al. 1988). Allenfalls sporadisch be- die Schwankungen von Temperatur und Luftfeuchte wirtschaftete "Nutzungszwickel" mit aufkommen- im Wieseninneren und im Bodenbereich und ermög- dem Brombeergestrüpp (vgl. "edge with Rubus" - licht es mesophilen Tierarten, sich in den Schutz "patch of Rubus") erhöhen die Habitatqualität für tieferer, damit feuchterer und kühlerer Vegetations- die Spinnenfauna in besonderem Maße (s. Abb. schichten zurückzuziehen. 1/29). Bezeichnend sind Arten extensiv genutzter (höch- ACHTZIGER (1991) beschreibt Saumzoozönosen stens zweischüriger) Wiesen wie z.B. Roesels der Wanzen und Zikaden: Die "Hauptrekrutierungs- Beißschrecke (Metrioptera roeseli). Diese Heu- biotope" stellen die trockenen und mesophilen Gras- schreckenart ist sehr charakteristisch für Agrotope länder dar. In den Saumbiotopen wurden nur wenige auf "Normalstandorten" mit hoher und dichter Ve- typische "Saumarten" festgestellt, eine autochthone getation, die mikroklimatisch feuchte Verhältnisse Saumfauna fehlt (geringer Spezialisierungsgrad vie- gewährleistet. Entscheidend für die Bevorzugung ler Arten, dennoch hoher Wert als Rückzugs- und derartiger Biotope ist auch hier wiederum nicht nur Ausweichbiotope auch für seltenere Arten). ACHT- das Mikroklima, sondern auch das Verhaltensreper- ZIGER zeigt, daß sich Gehölz- und Krautschicht- toire: da der hohe Raumwiderstand weite Sprünge fauna meist deutlich hinsichtlich Artenzusammen- nicht zuläßt, läßt sich Metriopotera roeseli bei Ge- setzung und Ernährungstyp unterscheiden. In der fahr in tiefere Krautschichten fallen (SCHMIDT & Krautschicht dominiert der phytophage Anteil, wäh- SCHLIMM 1984). rend an den Gehölzen entomophage Wanzen domi- nieren. Von besonderer Bedeutung ist auch die innere Di- Untersuchungen an Laufkäfern haben gezeigt, daß versität der Vegetationsstruktur: Vor allem Insekten, in dichter Wiesenvegetation kleine Laufkäferarten aber auch andere "Wechselwarme" wie z.B. Zaunei- dominieren, in schütterer dagegen größere Arten. dechsen oder Kreuzottern sind zur Regulation ihrer Generell erlaubt eine dichte Vegetationsdecke nur Körpertemperatur auf eng benachbarte Bereiche mit kleinwüchsigen Arten z.B. der Laufkäfer (Gattung unterschiedlichem Kleinklima angewiesen, zwi- Amara und Bembidion) die erfolgreiche Besiedlung der bodennahen Schichten (KOKTA 1988), wäh- rend die typischen zoophagen und großen Feldlauf- käfer (Gattung Carabus und Pterostichus) einen derartig strukturierten Lebensraum nur vorüberge- hend (Ernte, Winterquartier) nutzen können (DRA- CHENFELS et al. 1987). Durch mehrere Untersuchungen wurde der Zusam- menhang zwischen der Vegetationsstruktur und dem artspezifischen Fluchtverhalten von Heu- schrecken aufgezeigt (vgl. z.B. SÄNGER 1977). Geophile, horizontalorientierte Heuschreckenarten benötigen lückige, niedrigwüchsige Vegetations- strukturen, da sie bei Gefahr flache Fluchtsprünge ausführen. Besonders begünstigt werden auch op- tisch orientierte Jäger, wie z.B. die tagaktiven Wolfs- spinnen, die nachtaktiven Plattbauchspinnen, Lauf- Abbildung 1/29 käfer und Ameisen. Eine lückige und niedrigwüch- sige Vegetationsstruktur verstärkt die Eignung als "Effect of species richness" (ASSELIN 1988: 87) Lebensraum für xerothermophile Arten. Die Tierar- Mit zunehmend unterschiedlichem "Raummuster" ("sam- tengarnitur von Agrotopen in "Kalkmagerrasen- ples of the different parts of meadow") steigt die Artenzahl Provinzen" kann daher große Ähnlichkeit mit der der Spinnen im Grünland steil an ("increase of species von Kalkmagerrasen aufweisen, wenn trockenwar- richness")

83 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen schen denen sie nach Bedarf wechseln können ("Os- weisen i.d.R. einen im Vergleich zu intensiv genutz- zillation"). tem Grünland wesentlich höheren Kräuteranteil Das von BRÜGGEMANN ermittelte Habitatsche- auf, der vielen phytophagen Insekten ein ihren un- ma der u.a. für sonnenexponierte Ranken typischen terschiedlichen Ansprüchen entsprechendes Nah- Zauneidechse macht dies deutlich (BRÜGGE- rungsangebot (Schmetterlingsraupen, Wanzen, Zi- MANN 1988 in BLAB et al. 1991): Im Drachenfel- kaden, Blattkäfer etc.) bietet. ser Ländchen wiesen die Habitate durchschnittlich Besonders artenreiche Phytophagenkomplexe wei- 60% höherwüchsige Gras- und Krautvegetation und sen einige für Agrotope typische Pflanzenarten, wie ca. 20% vegetationsfreie Flächen sowie (als Flucht- z.B. die Leguminosen Lotus corniculatus, Medi- ziel bei Störungen, Überhitzungsschutz und eventu- cago sativa und Onobrychis viciifolia, auf. An Rain- ell als Schlafplatz) Sträucher, Mauerritzen oder farn (Tanacetum vulgare) und Beifuß (Artemisia Hohlräume in Lesesteinhaufen auf. Von Bedeutung vulgaris) wurden nach KLAUSNITZER (1968) je ist nach GLANDT (1979) insbesondere eine klein- über 130 Insektenarten nachgewiesen. An Disteln räumige Mosaikstruktur mit ständigem Wechsel von verschiedener Biotoptypen konnte SCHOLZE unterschiedlich hoher und dichter Vegetation mit (1990) allein 62 Wanzenarten vorfinden, von denen vegetationsfreien Flächen. Kopfstarke Zaunei- viele auch in Agrotopen regelmäßig auftreten (vgl. dechsen-Bestände sind ihrerseits die (Nahrungs-) ACHTZIGER 1991). Grundlage für Vorkommen der gefährdeten Auffällig ist eine besondere Häufung samennutzen- Schlingnatter, deren Habitatschema ebenfalls als der Kleintierarten (z.B. samenfressender Käfer der sonnenexponierte halboffene Flächen mit kleinräu- Familie der BRUCHIDAE oder zahlreicher Wan- migem Mosaik aus trockenem und wärmespeichern- zenarten, die reifende oder reife Samen besaugen) in den, auch kluftreichem Substrat (Steine, Holz) als erst spät im Jahr gemähten Agrotopen. Diese können Sonnplatz und Unterschlupf sowie - zumindest hier ihren Lebenszyklus vollenden, während auf fleckenhaft - ausgeprägten Krautbeständen und landwirtschaftlich intensiv genutzten Flächen (z.B. Buschwerk beschrieben wird (vgl. z.B. BLAB et al. mehrschürigem Grünland) nur wenige Arten mit 1991). sehr schnellem, dem Bewirtschaftungsrhythmus an- Vertikalstrukturen bilden essentielle Habitatre- gepaßtem Entwicklungszyklus eine Überleben- quisiten für bestimmte Tierarten(-gruppen), so z.B. schance haben. die Krautschicht höherwüchsiger Pflanzen für netz- Das reiche Samenangebot kommt jedoch auch Vö- bauende Kreuzspinnen. Die Anlage exponierter geln zugute. So ernährt sich das Rebhuhn (Perdix Fangnetze ist Voraussetzung für den effektiven Nah- perdix) als erwachsener Vogel überwiegend von rungserwerb und außerdem von großer Bedeutung grünen Pflanzenteilen und Pflanzensamen. für die anemochore Verbreitung der Jungtiere, die sich von erhöhter Position aus an gesponnenen Fä- Das qualitative Nahrungsangebot von Agrotop- den mit dem Wind verdriften lassen ("Luftschiffer") strukturen für blütenbesuchende Insekten ist mittel- und auf diese Weise relativ weite Entfernungen bar ebenfalls vom Reichtum an Pflanzenarten ab- überwinden können (vgl. LOHMEYER & PRET- hängig. Ein reichhaltiges Blütenangebot entfaltet SCHER 1979). "Fernwirkung": Agrotope sind besonders in Land- Die Hohlräume vertrockneter Halme und Sten- schaftsräumen, denen extensiv genutzte, blütenrei- gel sind Überwinterungsquartiere von Spinnen und che Flächenbiotope fehlen, wichtigste "Anlaufstel- zahlreichen Insekten (z.B. Käferlarven, Marienkä- le" für die Nahrungssuche und werden zu Konzen- fer-Imagines, div. Hautflügler). trationspunkten für die Tierwelt der Agrarlandschaft Einige Wildbienen verwenden zum Nisten aus- (Agrotope als Nahrungs-Teilhabitat). schließlich abgebrochene oder abgeschnittene, In Kombination mit den früher blühenden Acker- markhaltige Stengel besonders von Brombeeren, wildkräutern der Ackerschonstreifen gewährleisten Himbeeren, Holunder, Heckenrosen, Königskerzen die Rainpflanzen einen verlängerten Blühaspekt, der oder Disteln. Im weichen Pflanzenmark nagen sie z.B. polyvoltinen Schwebfliegenarten (Syrphus co- einen Gang für das Nest aus. Die Bruch- bzw. rollae, Epistrophe balteatus, Syritta pipiens, Herin- Schnittstelle ermöglicht den Bienen den Zugang. gia virens, Eristalinus arbustorum) eine kontinuier- Nach WESTRICH (1989: 417) begünstigt das Vor- liche Nahrungsgrundlage bietet (GROSSER 1977, handensein solcher Strukturen u.a. Keulhornbienen, BARKEMEYER 1984, BÄHRMANN 1984). Mauerbienen, Düsterbienen, Maskenbienen, Blatt- schneiderbienen und die Kegelbiene (Coelioxys Ein kontinuierlicher Blütenhorizont in Rainen inermis). hilft auch Blütenbesucher von nahegelegenen Flä- Unter den Vögeln nutzen (vorwiegend) die kleine- chenbiotopen eine (z.B. mahdbedingte) Verknap- ren Wartenjäger wie z.B. das Braunkehlchen (Saxi- pung an Nahrungsressourcen zu überbrücken. Abb. cola rubetra) oder der Neuntöter (Lanius collurio) 1/30, S. 85) dokumentiert die Abundanz von Tagfal- die sperrigen, hohen Kräuterstengel als Ansitz- oder tern in verschiedenen Sukzessions- bzw. Nutzungs- Singwarte. stadien von Magerrasen-Biotopen und Wegsäumen. Blüh-Horizont und Krautschicht als Nahrungs- Mit seinem reichen und beständigen Blütenangebot ressource ist der Weg nicht nur als "Lückenbüßer" von über- Von der Anzahl vorhandener Pflanzenarten hängt es ragender Bedeutung, sondern bietet mit seinen ab, wie reichhaltig die Phytophagengemeinschaft klein-klimatisch differenzierten Standorten auch der Agrotope ausfällt. Insbesondere breite Raine Tagfaltern aus halbschattigen Lebensräumen wie

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Tabelle 1/19 Rainpflanze Individuen Arten Parasitische Hymenoptera an typischen Rainpflanzen (nach HASSAN 1967) Wilde Möhre (Daucus carota)60068 Bärenklau (Heracleum sphondylium)203 30 Honiggras (Holcus mollis)10017 Knäuel-Binse (Juncus conglomeratus)75 16 Himbeere (Rubus idaeus)5516 Rainfarn (Tanacetum vulgare)1303

Abbildung 1/30 Abundanzdiagramm von Transektbeobachtungen in Kalkmagerrasen-Lebensräumen und Wegsäumen (BÖTT- CHER et al. 1992: 279)

z.B. dem Waldbrettspiel (Pararge aegeria) oder Zi- biologischen Pflanzenschutzes (u.a. Marienkäfer, tronenfalter (Gonepteryx rhamni) geeignete Habita- Florfliegen, Tanzfliegen, Weichkäfer). te. Der Bau ihrer Mundwerkzeuge hat eine Bevorzu- Unter den Blütenbesuchern finden sich neben Tag- gung von Blütenformen zur Folge, welche Pollen faltern und Wildbienen wichtige "Nützlinge" des und Nektar leicht zugänglich anbieten, wie z.B. Dol-

85 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

denblütler (APIACEAE) und z.T. Korbblütler (ASTER- Auch die Verteilung der Pflanzenarten beeinflußt die ACEAE). Bedeutung für blütenbesuchende Insekten und das So bevorzugen Tanzfliegen (EMPIDAE) Arten wie Blütenbesucher-Spektrum von Rainen wesentlich: die Gemeine Schafgarbe (Achillea millefolium) oder Im Pulk wachsende Pflanzen üben eine stärkere das Acker-Vergißmeinnicht (Myosotis arvensis); Anziehungskraft auf Insekten aus als vereinzelt Schwebfliegen (SYRPHIDAE) finden sich gehäuft an wachsende (unabhängig von der jeweiligen Pflan- Acker-Gänsedistel (Sonchus arvensis), Kamille zenartenvielfalt !). Handelt es sich bei den "Pulk- (Matricaria chamomilla, Matricaria maritima) oder bildnern" um Pflanzen eines für Schwebfliegen be- dem Pastinak (Pastinaca sativa) (MOLTHAN & sonders attraktiven Blütentyps (vor allem Schirm- RUPPERT 1988, BASEDOW 1988 & 1991). blüten von Apiaceen), so dominiert diese Arten- gruppe im Blütenbesucherspektrum oft ganz ein- Für zoophage Florfliegen (CHRYSOPIDAE), Weich- deutig (VELDE 1986: 165). käfer (CANTHARIDAE) und Marienkäfer (COCCINEL- LIDAE) stellen Pollen und Nektar der Feldrainpflan- 1.5.1.3 Einfluß der Dimension zen meist nur eine zusätzliche Nahrungsquelle dar. auf den Tierartenbesatz Dagegen benötigen die Imagines der aphidophagen * Schwebfliegen den aminosäurehaltigen Blütenpol- Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß die Fauna len zur Ovarien- und Eireifung. Viele parasitische von Rainen erst ab einer gewissen Dimension (vor Hymenoptera (s. Tab. 1/19) brauchen wiederum den allem Breite !) Lebensraumqualitäten für anspruchs- kohlehydratreichen Blütennektar, der über eine Le- vollere Arten entwickelt. Hierzu liegen bisher aller- bensverlängerung die Reproduktionskapazität und dings nur wenige aussagekräftige Untersuchungser- damit auch die Parasitierungsleistung (MOLTHAN gebnisse vor. 1990) erhöht. Noch in drei Meter breiten Rainen stellen KAULE In einer nur viermonatigen Beobachtungsperiode et al. (1983)** eine starke mechanisch-chemische konnte VELDE (1986: 156) an Wegrändern und Beeinflußung der Fauna und eine daraus resultieren- Feldrainen um Triesdorf (Mittelfränkisches Becken) de starke Artenverarmung fest. "Schmalraine" unter 2 m Breite scheinen daher nur in Ausnahmefällen 444 Individuen der APOIDEA (ohne Berücksichti- gung der Honigbiene !) aus 59 Arten registrieren. für eine längerfristige Besiedlung von Tierarten ge- eignet. Während in Schmalrainen vorwiegend we- Unter den Blütenbesuchern der von VELDE (1986) nig spezialisierte Feldarten vertreten waren, fanden im Raum Triesdorf untersuchten Feldraine zählten sich in breiteren Hochrainen sogar einige Waldarten 66,2% der Individuen zu den Zweiflüglern (DIP- wie z.B. die Rötelmaus (Clethrionomys glareolus) TERA), 25% zu den Hautflüglern (HYMENOPTERA), oder die Laufkäfer Pterostichus melas und Carabus 5,4% zu den Schmetterlingen (), 1,9% problematicus. zu den Käfern und 1,9% zu den Schnabelkerfen Diese Ergebnisse scheinen der Aussage von PICH- (HEMIPTERA). Für ca. 33% der insektenblütigen LER (1985) entgegenzustehen, der auf schmalen (!) Rainpflanzen waren Bienen und Hummeln die Rainen eine höhere Artenvielfalt an Laufkäfern als Hauptbestäuber (Abb. 1/31). auf breiten nachwies. Für viele dieser Carabiden

Abbildung 1/31 Einteilung der Blütenpflanzen der unter- suchten Feldraine nach ihren wichtigsten Bestäubern (VELDE 1986: 165); absolute Zahlen = Anzahl der Pflanzen

* "Blattlausfresser" ** Im Rahmen eines Forschungsvorhabens zur Trennwirkung von Flurbereinigungswegen und zur Bedeutung von Rainen und Banketten wurden an ausgewählten Wegeabschnitten der Schwäbischen Alb u.a. Kleinsäuger-, Bodenarthropoden und Schnecken untersucht (vgl. KAULE et al. 1983 und 1984).

86 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/20

Attraktivität der Raine für Schwebfliegen (SYRPHIDAE) in Abhängigkeit von der Rainbreite (WELLING 1988, verändert)

Breite (m) 0,5 1,5 8

Vegetation Trittrasen Halbruderaler Halbtrockenrasen - Trockenrasen rud. Salbei-Glatthafer Blühaspekt nur Hochsommer 3 Wellen mehrere Wellen Blütenarten 13 24 100 Blütenfläche in % 0,2 1 Schwebfliegen-Anflüge 100 550 1.440 Artenzahl 17 28 60 dient der Rain allerdings nicht als Dauerlebensraum, ren und Hecken(säumen) trockener Ausprägung sondern vorwiegend als Versteck und zur Regulie- (vgl. dazu Kap. 2.6). rung ihrer Körperwärme. Beim Großteil der nachge- wiesenen Arten handelte es sich zudem um euryöke, Für anspruchsvolle Heuschreckenarten entwickeln für intensiv genutzte Ackerlandschaften typische Feldraine ebenfalls erst mit zunehmender Breite ei- Laufkäfer. nigermaßen akzeptable Lebensraumqualität. Im- Fast 25% der von BAEHR & BAEHR (1991) auf merhin verbesserten frisch angelegte Randstreifen extrem schmalen Rainen (z.T. unter 50 cm Breite) (Breite 2-3 m) die Lebensbedingungen typischer gefundenen Laufkäfer werden zu den sog. "Feld- Arten ackerbaulich genutzter Flächen (vgl. WOLF Waldarten" gerechnet, die in offene Habitate nur 1986). Die Zuwanderung bzw. die Etablierung von eindringen, wenn diese mit Bäumen und Sträuchern Populationen in den Rainstreifen deutet bereits den durchsetzt sind ("Gebüsch-Heckenarten"). Agrari- Aufbau einer eigenständigen Tiergemeinschaft an sche Intensivlandschaften zeigen im allgemeinen und kann als Indiz für die gegenüber den Ackerflä- einen relativ beschränkten Nischenreichtum; aktive chen veränderte Lebensraumqualität gewertet wer- bodenbewohnende Lauf-Jäger (wie z.B. Feldcarabi- den. den) finden hier oft bessere Lebensmöglichkeiten Unter den Feldheuschrecken (ACRIDIDAE) treten vor als etwa "stationäre" Netzbauer (bei den Spinnen). allem Grashüpfer aus den Gattungen Chorthippus In breiteren Schlägen mit geringer Kulturartenviel- (Chorthippus parallelus, Chorthippus brunneus, falt dürfte die Bewirtschaftung entsprechend größe- Chorthippus biguttulus, Chorthippus dorsatus und ren Einfluß haben (vgl. Kap. 2.1). Chorthippus albomarginatus) und Omocestus (Omo- cestus viridulus) in hohen Individuenzahlen auf. PRINZ (1986) stellt eine (schwache) positive Kor- Viele bedrohte Arten, wie z.B. die in Agrotopstruk- relation zwischen der Rainbreite und der Artenviel- turen mit sehr trockenwarmem Kleinklima und falt blütenbesuchender Schwebfliegen fest. Wahr- schütterer Vegetationsstruktur gelegentlich vorkom- scheinlich ist dies auch auf die starke Anziehungs- mende Blauflügelige Ödlandschrecke, haben einen kraft von "Blütenpulks" (vgl. VELDE 1986: 159) größeren Flächenanspruch und fehlen in der Regel zurückzuführen, die in breiteren Rainen naturgemäß auf nur 2-3 m breiten Rainen (WOLF 1986). mehr Raum einnehmen können. Daß die Attraktivi- tät für Schwebfliegen stark vom jeweiligen Vegeta- HEYDEMANN (1983) gibt eine Mindestbreite von tionstyp, aber auch von der Rainbreite abhängt, ver- 3-5 m für Raine an, damit sie für einen Faunenaus- deutlicht auch die Untersuchung von WELLING tausch und eine Regenerationswirkung der Acker- (1988) (s. Tab. 1/20). fauna in Frage kommen. Zusätzlich sollten Raine dieser Breite eine eigenständige Fauna aufweisen. Die maßgebliche Mindestfläche von wärmelieben- Nach WELLING (1988) üben bereits 3-4 m breite den Insektenarten bemißt sich am Raumbedarf für Feldraine durch ihr erhöhtes Prädatorenpotential ei- die Population in optimalen Wärmejahren (Indivi- nen signifikanten Feinddruck auf Blattlauspopula- duenbestand in einem optimalen Wärmejahr kann tionen in angrenzenden Kulturfeldern aus. denjenigen normaler Jahre um ein vielfaches über- treffen). So benötigen Grillen zur längerfristigen In größerflächigen Agrotopen können sich Popula- Sicherung der Population ein Minimumareal von 3 tionen wenig spezialisierter Räuber und Parasiten ha (REMMERT 1979, zit. in BROGGI & WILLI auf einem kopfstarken Niveau halten, da immer 1985). Dabei ist jedoch nicht unbedingt ein ge- ausreichend Beutetiere bzw. Wirte verfügbar sind. schlossenes Areal dieser Größe notwendig. Viel be- Sie können daher wesentlich rascher auf Schädlings- deutender als bei anderer Biotoptypen ist die Vernet- populationen, die sich auf den angrenzenden Flä- zung trockener Magerrasen mit verwandten oder chen entwickeln, als Regulativ wirken (durch Erhö- mindestens ein ähnliches Strukturangebot aufwei- hung des Anteils der Schädlingsart im Beute- bzw. senden Biotopen wie Ruderalflächen, Wildkrautflu- Wirtsspektrum). Ihr Populationswachstum kann um

87 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen so eher mit dem des "Schädlings" Schritt halten, je Faunentradition (Vorkommen zahlreicher seltener mehr Individuen beuteärmere Zeiten mit dem Beute- und gefährdeter Arten trockenwarmer Standorte). bzw. Wirtsangebot der Agrotope überbrücken kön- nen (siehe auch Kap 1.9.2). 1.5.1.5 Einfluß von Sonderstrukturen Zusammenfassend läßt sich festhalten (vgl. auch die Ergebnisse von DIMIGEN 1991) : Unbefestigte Wege Unbefestigte Wege wurden in Kap. 1.1 von Feld- • Breite Agrotope weisen durchschnittlich mehr und Wiesenrainen abgegrenzt. Charakteristisch ist Pflanzenarten und -individuen auf als schmale; das Vorhandensein offenen, vegetationsarmen Bo- sie bieten daher mehr "ökologische Lizenzen" dens entlang der Fahrstreifen. Diese Sonderstruktur für eine artenreiche Phytophagen-Fauna und ist als Habitatbaustein für eine Reihe von Tierarten darauf aufbauende Nahrungsketten. bedeutungsvoll. Verteter einiger Tiergruppen su- • Breite Agrotope weisen im Durchschnitt eine chen gezielt Wege und Wegraine auf. höhere Strukturdiversität auf und bieten daher Thermoregulation: Wechselwarme Tiere nutzen die Tieren mit unterschiedlichen Ansprüchen an die sich stark erwärmenden, offenen Bodenpartien der Raumstruktur Lebensraum. Wege zur Thermoregulation. So sonnen sich man- • Vor allem auf Böden mit von Natur aus geringer che Tagfalterarten, wie Tagpfauenauge (Inachis io) Stickstoffversorgung ist es nur bei einer Breite und Kleiner Fuchs (Aglais urticae), die sich in Bren- von mindestens 3-5 m möglich, im Kernbereich nesselbeständen nitrophiler Säume entwickeln, als nährstoffarme Verhältnisse zu erhalten (Abpuf- Imagines regelmäßig an offenen, trockenen Erdstel- ferung). Dadurch kann die an die Vegetation len. magerer Standorte und niedrigwüchsiger, lücki- Nahrungssuche: Eidechsen und die Erdkröte nutzen ger Vegetationsstruktur angepaßte Fauna erhal- die deckungsfreien Wege als Jagdbezirk. Auch sich ten werden. Dies wirkt sich vor allem günstig auf teilweise optisch orientierende räuberische Kleintie- die Funktion als Refugial-Lebensraum und Ver- re (Ameisen, Laufkäferarten, Spinnen) werden bundstruktur für xerothermophile Tierarten aus. durch die offenen Bodenflächen unbefestigter Wege • Auch schmale Agrotope können eine wichtige gefördert. Funktion für den integrierten Pflanzenschutz er- Tagfalter wie z.B. Bläulinge (POLYOMMATINAE) und füllen, insbesondere, wenn sie ein dichtes Netz Schillerfalter (APATURINAE) halten sich oft an unbe- bilden (vgl. dazu auch "Faunentradition"); Brei- festigten Wegen auf und saugen zur Deckung ihres ten von über drei Metern sind jedoch auch hier Mineralbedarfs an feuchter Erde und Tierleichen grundsätzlich günstiger. (z.B. überfahrenen Schnecken). Auch Mäuse, Klein- vögel, Greifvögel sowie zahlreiche Insekten (z.B. 1.5.1.4 Einfluß der Faunentradition Fliegen) finden sich an Kadavern auf den Wegen ein. Brutbiotop oder Dauerlebensraum: Verdichtete Stel- Die Faunentradition ist einerseits vom Alter, ande- len und Wagenspuren sind vielfach längere Zeit mit rerseits aber auch von der Kontinuität der dort herr- Wasser gefüllt und bieten Amphibienlarven (z.B. schenden Lebensbedingungen für die Tierwelt ab- Gelbauchunken-Kaulquappen) und auf temporäre hängig. Agrotope weisen oft ein hohes Alter auf und Gewässer spezialisierten Wasserinsekten Lebens- konzentrieren sich in Bereichen, in denen die Nut- raum (vgl. LPK Band II.8 "Stehende Kleingewäs- zung erschwert ist (steile Hangbereiche, Gebiete mit ser"). besonders skelettreichen Böden). Existieren Agro- Sandige oder wenig verdichtete Feldwege mit schüt- tope seit Jahrhunderten in im wesentlichen unverän- terer Vegetationsdecke werden von Sandlaufkäfern derter Form und unter relativ konstanten Nutzungs- (CICINDELIDAE), Grab- und Wegwespen (SPHECI- einflüssen, kann sich dies in ihrem Inventar an DAE und POMPILIDAE) und einigen solitären Bienen Kleintierarten deutlich niederschlagen; es ist mit (APOIDEA) besiedelt (BFANL 1977). dem Vorkommen seltener, anspruchsvoller und we- Das Rebhuhn als typischer Feldrainbewohner nutzt nig vagiler Arten zu rechnen. Gründe dafür sind v.a.: die Wegraine als Huder- und Brutplatz, wobei der • störungsempfindliche Vogel wenig befahrene Die lange Entwicklungszeit unter weitgehend Trassen bevorzugt. Die Wegraine übernehmen in konstanten Umweltbedingungen ermöglicht den Rebhuhnlebensräumen Sichtschutzfunktion wäh- Aufbau relativ "stabiler" Zoozönosen mit ausge- rend der Revierabgrenzung (REGIERUNG VON glichener Dominanzstruktur. OBERBAYERN 1991). • Das Netz an hochwertigen Flächenbiotopen und Verbundstrukturen war in vergangenen Zeiten Abbruchkanten und Böschungsanrisse wesentlich dichter, die zu überwindenden un- Die offenen Bodenpartien von Abbruchkanten und günstigen Bereiche (Barrierewirkung großflä- Böschungsanrissen bieten je nach Steilheit und Ex- chiger Ackerschläge) wesentlich kleiner als heu- position andere mikroklimatische Bedingungen und te, so daß es auch weniger mobilen Tierarten unterscheiden sich von ebenen Rohbodenflächen möglich war, die Agrotope zu besiedeln. (z.B. Rohbodeneinsprengsel in Feldrainen) durch eine z.T. hochspezialisierte Fauna. Diese Sonder- Die Untersuchung der Fauna "historischer" Acker- strukturen treten vielfach in Ranken an stark geneig- terrassen bei Freinhausen (nahe NSG Windsberg) ten Böschungen auf; besonders charakteristisch sind durch HAASE & SÖHMISCH (1990) zeigt ein- sie jedoch für Hohlwege und können deren Fau- drucksvoll die Bedeutung von Agrotopen mit langer neninventar in besonderem Maße prägen.

88 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

In Baden-Württemberg wurde die Fauna von Löß- Die mikroklimatischen Charakteristika an der Mau- Hohlwegen intensiv untersucht. Entsprechende er ermöglichen das Vorkommen von Tierarten mit Analysen der Fauna von Abbruchkanten und Bö- Verbreitungsschwerpunkt in wärmeren Klimazo- schungsanrissen bayerischer Agrotope fehlen bis- nen, die in Mitteleuropa ansonsten v.a. in felsigen lang leider weitgehend. Es sollten daher vermehrt Partien von Kalkmagerrasen-Lebensraumkomple- Untersuchungen durchgeführt werden, um zu klä- xen auftreten (s. Kap. 1.5.1.1). ren, inwieweit die in Baden-Württemberg erarbeite- Eng verbunden mit der Klimaregulation ist die Mög- ten Befunde auch für bayerische Agrotope mit über- lichkeit, sich bei ungünstiger Witterung oder bei wiegend lehmigen Bodenverhältnissen gelten. drohender Gefahr zu verstecken. Viele nachtaktive Ein großer Teil der heimischen Wildbienen (APOI- Carabiden, Schnecken, Asseln, aber auch Kröten, DEA), Grabwespen (SPHECIDAE), Faltenwespen Mäuse und Spitzmäuse verbringen den Tag im weit- (VESPIDAE und EUMENIDAE), Wegwespen und verzweigten Spalten-, Ritzen- und Hohlraumsystem Goldwespen (CHRYSIDIDAE) ist wärmeliebend und der Mauern. Umgekehrt bevölkern viele tagaktive nistet in Erdanbrüchen und offenen Bodenstellen Carabiden, Spinnen, Weberknechte und Hautflügler (vgl. Kap. 1.5.4.6). nachts diese Verstecke, wo sie vor zu starker Aus- kühlung und vor umherstreifenden Beutegreifern Steinhaufen und -riegel geschützt sind. VYTRISAL zeigt die große Anzahl Steinaufschüttungen können in allen Agrotoptypen der unter Mauerkronensteinen vorgefundenen Tier- gelegentlich auftreten. Da sie das Erscheinungsbild arten (vgl. Tab 1/22). Beim gezielten Umdrehen der Agrotope mancher Landschaften jedoch stark flacher Kronensteine wurden auch ruhende Kreuz- prägen und die Zusammensetzung der Lebensge- kröten, Schlingnattern, Blindschleichen und Zaun- meinschaft stark beeinflussen, wurden sie in Kap. eidechsen gefunden. Schlingnatter und Zauneinech- 1.1 als eigenständiger Agrotoptyp ("Lesesteinfor- se schätzen das Hohlraumsystem nicht nur als küh- men") abgegrenzt. Steinhaufen weisen v.a. folgende len Rückzugsort, sondern auch als unmittelbar den für die Agrotopfauna relevante Qualitäten auf : Sonnplätzen benachbarte Zufluchtsmöglichkeit bei Störungen. • schützendes Spaltensystem (Nistplatz, Ver- Zu den Felsen- und Steilwandbewohnern können steck); • sich also auch Höhlen- und Halbhöhlenbewohner schattiger Deckungsraum, insbesondere wenn des Waldes gesellen sowie synanthrope Arten (Ge- gebüschbestanden (Tageseinstand, Ansitz); • bäudebewohner; siehe PLACHTER 1989). Mit Möglichkeit zur Thermoregulation durch akti- Lehm verfugte Mauern oder Trockenmauern mit ves Aufsuchen kleinklimatisch unterschiedli- altem, verwittertem Kalkmörtel bieten zwar Spal- cher Bereiche auf kleinstem Raum (heiße tennistern keinen Lebensraum, können aber für Steinoberfläche, kühles Spaltensystem). Wildbienen und andere Hautflügler als Nistplatz Mauern dienen, die ihre Nester ansonsten in vertikale Er- daufschlüsse (siehe Abbruchkanten und Bö- Zahlreiche Tierarten sind eng an die Sonderstruktur schungsanrisse) graben. Frisch aufgemauerte und Mauer gebunden und nutzen diese als Gesamt- oder mit Zement verfugte Mauern scheiden als Nistmög- Teillebensraum. Mauern wirken daher in Agrotopen lichkeit für Spalten- und Hartbodennister dagegen derart prägend auf das Tierarten-Inventar, daß die aus. Abgrenzung als eigenständiger Agrotoptyp auch aus tierökologischer Sicht sinnvoll erscheint. Außerdem sind hygro- bis mesophile Waldarten, v.a. unter den Schnecken, charakteristische Elemente Bisher sind in Bayern nur relativ wenig faunistischte derartiger Weinbergstrockenmauern. Für zahlreiche Untersuchungen an Mauern vorgenommen worden. weitere Tierarten dient die Mauer als Habitatbau- Im Rahmen der Arbeiten von PLACHTER/REICH stein bzw. Teilhabitat (vgl. Kap.1.5.4). 1989, MIOTK 1989 und LOHMANN 1989 wurden vor allem die Bedeutung der Mauern für verschie- Tabelle 1/21 dene Hymenopterenfamilien (vgl. dazu auch GÖSS- Anteil der Mauerstandorte an der Gesamtbiomasse WALD 1932, KAISER 1950, LINCK 1954, (normiert, VYTRISAL 1991) SCHMID 1966, STÖSSER 1974), in geringerem Maße auch für Schnecken, Spinnen und Weber- knechte hervorgehoben. 1. Glomeriden (Rolltausendfüßer) 98 % 2. Schnecken 95 % VYTRISAL (1991) gibt einen guten Überblick über 3. Apiden 93 % die für das Maintal und den Haßbergeanstieg typi- 4. Formiciden 89 % sche Mauerfauna. Dabei konnten knapp 80% der 5. Asseln 85 % erfassten Gesamtbiomasse in Mauerfallen registriert 6. Carabiden 82 % werden (vgl. Tab. 1/21). 7. Staphiliniden 81 % 8. Ichneumoniden 81 % VYTRISAL betont, daß die hohen Fangzahlen we- 9. Arachniden 79 % niger auf einen "Leitlinieneffekt" (Tiere laufen an 10. Dipteren 77 % 11. Limbriciden 76 % den Mauern entlang und geraten deshalb gehäuft in 12. Orthopteren 76 % die Mauerfallen), sondern auf die große Attraktivität 13. Dermapteren 74 % der Mauern für viele unterschiedliche Tiergruppen 14. Blattiden 71 % zurückzuführen sind. 15. Hemipteren 70 %

89 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/22 In steinbedeckten Barberfallen nachgewiesene Tierarten (VYTRISAL 1991: 172)

Die in den Ritzen oder auf der Mauerkrone wach- und deren Prädatoren. Darüberhinaus verbessern sie senden Blütenpflanzen dienen blütenbesuchenden die Möglichkeiten zur Oszillation (aktives Aufsu- Insekten als Nahrungsquelle. Nach WESTRICH chen mikroklimatischer Präferenzbereiche). Für stö- (1989: 106) sind über 20 der 64 von ihm auf einer rungsempfindliche Tierarten bieten sie Deckungs- 100 m langen Trockenmauer gefundenen Pflanzen- möglichkeiten. arten wichtige Wildbienen-Nahrungsquellen. Gut Auf die Fauna der Gehölze muß an dieser Stelle eingewachsene Trockenmauern und auch blütenrei- nicht detailliert eingegangen werden. Die Abhän- che Begleitsäume sind wichtige Nektar- und Pollen- gigkeit des Tierartenbesatzes von Gehölzart, -alter, lieferanten nicht nur für die in der Mauer nistenden, Besonnung etc. ist in den LPK-Bänden, in denen sondern auch für Blütenbesucher aus der Umge- gehölzdominierte Lebensräume behandelt werden, bung. eingehend dargestellt (s. LPK-Bände II.5 "Streu- Einzelgehölze und Gehölzgruppen obst", II.12 "Hecken und Feldgehölze" und II.13 "Nieder- und Mittelwälder"). Wie bereits mehrfach angesprochen, bieten Einzel- gehölze und Gehölzgruppen zusätzliche "ökologi- Zäune und Pfosten sche Lizenzen" für Tiere. Sie bilden eine Nahrungs- Aus faunistischer Sicht stellen Holzzäune (z. B. an ressource für phytophage Tierarten (z.B. findet sich Viehweiden) bedeutende Kleinlebensräume für xy- der Birkenzipfelfalter regelmäßig v.a. an einzeln lobionte* Arten dar. Freistehendes Totholz stellt stehenden, oft überalterten Schlehen in Agrotopen) heute sowohl im Forst wie auch in der offenen

* xylobiont = in oder am Holz lebend. Gemeint sind im Prinzip alle Organismen, die sich während ihres Lebens am oder im gesunden oder kranken Holz der verschiedenen Zerfallsstadien aufhalten (vgl. GEISER 1991).

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Kulturlandschaft eine "Mangelressource" für zahl- Tabelle 1/23 reiche z.T. hochbedrohte Tierarten dar (vgl. LPK Aculeate HYMENOPTEREN ("Stechimmen") an Zaun- Band II.14 "Einzelbäume und Baumgruppen", Kap. pfählen (nach HAESELER 1979) 1.5.2.3). Unter bestimmten Voraussetzungen kön- nen alte Holzzäune, z.T. auch einzelne Holzpfosten, verschiedenen totholznutzenden Tiergruppen (siehe Holzspaltenbewohner, Holzbrüter, Holz-, Mulm-, Art Anzahl Faulholzfresser, Flechtenverzehrer usw.) zumindest Grabwespen (SPHECIDAE)23 als Ersatzlebensraum dienen. Dies trifft in besonde- rem Maße auf die Artengruppe der solitär lebenden Wildbienen (APOIDAE)11 Bienen und Wespen ("Stechimmen") zu; diesen Solit. Faltenwespen (EUMENIDAE)10 Hautflüglern (vgl. Tab. 1/23) dient das morsche Goldwespen (CHRYSICIDAE)5 Holz ("Mulm") alter Zäune als Nistmaterial. Einige Keulenwespen (SAPYGIDAE) 2 von ihnen brauchen relativ dickästiges, sonnenexpo- Faltenwespen (VESPIDAE)1 niertes Stammholz mit Fraßgängen holzbewohnen- Wegwespen (POMPILIDAE)1 der Käfer und Holzwespen. Aufgrund des recht ho- hen Wärmeanspruchs dieser Arten bieten freiste- Ameisenbienen (MYRMOSIDAE)1 hende Zäune und Pfosten mikroklimatisch beson- ders geeignete Bedingungen. Blütenreiche Säume sind wichtige "Zusatzrequisi- Arteninventar von dem der angrenzenden Flächen ten". So nagt die Pelzbiene (Anthophora furcata) ab. ihre Nistgänge (u.a.) in mürbe Zaunpfähle; als Pol- Die von der Düngung angrenzender Acker- und lenquelle bevorzugt sie Lippenblütler. Ähnliche Intensivgrünlandflächen ausgehende Eutrophierung Habitat-Kombinationen benötigt auch die stark ge- beeinflußt den Tierartenbesatz über die Modifikati- fährdete Holzbiene (Xylocopa violacea, RL-BY 1). on der Vegetationsstruktur vielfach bereits, bevor Die Gefährdung dieser Arten resultiert weniger aus sich Veränderungen im Arteninventar des Pflanzen- einem Mangel an Pollenquellen als aus dem Verlust bestands zeigen und eine Veränderung in der Besied- vollbesonnter Totholzstrukturen in der offenen Kul- lung mit spezialisierten Phytophagen nach sich zie- turlandschaft (vgl. auch Kap. 1.5.4.6). hen. Nährstoffeintrag läßt den Vegetationsbestand Andere Tiergruppen (z.B. Marienkäfer, verschiede- dichter und höherwüchsiger werden. ne Laufkäfer, Spinnen usw.) überwintern in den Als Folge werden z.B. xerothermophile und geophi- Ritzen und Spalten der morschen Pfähle. Es handelt le Heuschreckenarten zugunsten mesophiler, verti- sich hier in der Regel um "Gastüberwinterer", d.h. kalorientierter Wiesenarten verdrängt. Die Struktur- diese Arten können im Prinzip auch andere Struktu- veränderung hat nicht nur für die Heuschreckenima- ren mit ähnlichen Eigenschaften wie Totholz aufsu- gines Konsequenzen; auch die Eier bodenlegender chen (Schutz vor Nässe, Kälte, aber auch Aus- Heuschreckenarten erhalten wegen der durch den trocknung); sie zeigen damit die geringste Bindung dichten Pflanzenbewuchs behinderten Insolation an Holz. Tab. 1/24, zeigt wichtige Tiergruppen an weniger Wärme, so daß schließlich nur sehr anpas- Holzzäunen in einer kleinen Zusammenschau (zu- sungsfähige Arten überleben (vgl. dazu Kap sammengestellt von PLACHTER & REICH 1988, 1.5.4.5). nach verschiedenen Autoren). Kontakt zu Lieferbiotopen

1.5.2 Einfluß des Agrotop-Umfeldes Einen starken Einfluß auf die Artenausstattung der Agrotope haben auch Flächenbiotope in der Umge- Bewirtschaftungsintensität angrenzender land- bung. Produziert dort eine Art in (z.B. witterungsbe- wirtschaftlicher Nutzflächen dingt) günstigen Jahren einen Populationsüber- schuß, kommt es zu vermehrten Dispersionsbewe- Art und Intensität der Nutzung angrenzender land- gungen. Solche Dispersionswanderungen gehören wirtschaftlicher Flächen schlagen sich in der Arten- (in artspezifisch unterschiedlichem Ausmaß) zur zusammensetzung der Agrotopfauna nieder. In be- ökologischen Strategie von Tieren; dieses Verhalten sonderem Maße zeigt dies die Käferfauna der Raine, ermöglicht die Erschließung neuer Lebensräume die zu über 90% aus Feldtieren bestehen kann bzw. die Wiederbesiedlung nach lokalen Extinktio- (MÜLLER 1968). Vor allem mittelkleine bis kleine, nen. Solche örtlich begrenzten Aussterbe- und Wie- z.T. phytophage Arten wie die Laufkäfer Bembidion derbesiedlungsprozesse sind auch in naturnahen Le- properans, Bembidion gilvipes, Bembidion guttula, bensgemeinschaften "normal" (Arten-Turnover); Trechus sechalis, Pterostichus niger, Pterostichus die Wiederbesiedlung ist aber in isolierten Lebens- stenuus, Amara communis und Harpalus rufipes räumen sehr erschwert, so daß hier auf längere Sicht zeigen als eigentliche Feldarten im Rain ihr Aktivi- eine Artenverarmung - besonders an wenig vagilen tätsmaximum. Auch oligo- bis monophage, an typi- Tierarten - eintritt. sche Ackerunkräuter gebundene Insekten wie z.B. Agrotope sind auf gute Zuwanderungsmöglichkei- einige Blattkäfer (CHRYSOMELIDAE) haben heute - ten in besonderem Maße angewiesen, da sie auf- zusammen mit ihren Wirtspflanzen - ihren Vorkom- grund geringer Größe und im Verhältnis dazu langen mensschwerpunkt in Rainen (vgl. Kap. 1.5.4.7). Je Randlinien (geringe Abpufferungsmöglichkeit ne- schmäler die Agrotope, desto weniger hebt sich ihr gativer Einwirkungen) für Extinktionsprozesse be-

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Tabelle 1/24 Wichtige Tiergruppen an Holzzäunen (PLACHTER & REICH 1988) Bei guter Ausprägung ergibt sich für den Artenreichtum bzw. die Schutzbedürftigkeit der jeweiligen Tiergruppe folgende Abstufung: ++ = sehr hoch; + = hoch; 0 = mäßig; - = gering/fehlend

Gruppe hiervon insbesondere bei guter Ausprägung Artbeispiele rel. Arten- Schutzbe- reichtum dürftigkeit

Hautflügler Wildbienen (APOIDEA)++Prosopis communis Wespen (VESPOIDEA)00Polistes spp. Ameisen (FORMICIDAE)0- - Grabwespen (SPHECIDAE)+ + Typoxylon figulus Goldwespen (CHRYSIDAE)0 0 - Sonstige 0 0 - Käfer minierende Arten - + Clytus arietis Sonstige 0 + Axinotarsus pulicarius Dromius agilis Spinnen Radnetzspinnen (ARAN.) 0 0 - Deckennetzspinnen (LIN.) 0 - Linyphia triangularis Springspinnen (SALT.) 0 0 - Sonstige - - -

sonders anfällig und in vielen Fällen auf stetige auch auf die Besiedlung durch Tierarten stark aus- "Auffüllung" durch Zuwanderung aus Flächenbio- wirkte. topen angewiesen sind (vgl. hierzu auch Kap. 1.5.3 Im folgenden sind einige tierökologischen Kriterien und 2.6). für Verbundsysteme in mehr oder minder intensiv genutzten Agrarlandschaften zusammengestellt Untersuchungen von FISCHER et al. (1995) zeigen, (vgl. VON DRACHENFELS 1983). Im Mittelpunkt daß Schafe eine wichtige Rolle für den Transport stehen agrotop-relevante, im Hinblick auf den Bio- von Tieren (und Pflanzen) sowie für den Individu- topverbund (vgl. Kap. 2.6) "vernetzungswichtige" enaustausch zwischen isolierten Populationen spie- Arten. len (können), und für einige Arten wahrscheinlich sogar existenzentscheidend sind. Beispiele über län- gere Strecken transportierter Tiere (bei einer durch- 1.5.3.1 Tages- und jahreszeitliche Bewegungs- schnittl. Verweildauer von 14 min.) sind: Lacerta muster von Tieren in der Agrarland- agilis (Zauneidechse), Pupilla muscorum (Moos- schaft püppchen), Erigone atra, Erigone dentipalpis u.a., vor allem juv. Zwergspinnen, Alydus calcaratus Die Reichweite vieler räuberisch und parasitisch (Randwanzen=Lederwanzen), Sitonia spec. (Blat- lebender Arten - wie z.B. flugunfähige Laufkäfer trandrüßler/ Rüsselkäfer), außerdem div. Heu- - ist sehr niedrig (vgl. Kap. 1.5.4.7). Solche wenig schrecken wie Chorthippus parallelus, Ch. brun- vagilen Arten können von den Agrotopen aus nur neus, Decticus verrucivorus, Tettigonia cantans, den Randbereich großer Schläge in ihren Aktions- Chrysochraon brachyptera. FISCHER et al. emp- raum miteinbeziehen. Vom dichten Agrotop-Netz fehlen, beim Naturschutz-Management (Konzepti- der extensiv genutzten Kulturlandschaft aus ver- on von Schaftriften usw. ) diese Zusammenhänge mochten Prädatoren und Parasiten landwirtschaftli- vermehrt zu berücksichtigen. cher Schädlinge das Nahrungsangebot der Äcker zu nutzen; es ermöglichte ihnen andererseits, sich bei ungünstigen Witterungsbedingungen rasch in nahe- 1.5.3 Tierökologische Kriterien gelegene geschützte Bereiche zurückzuziehen. Ein für Verbundsysteme engmaschiges Agrotop-Netz erleichtert weiterhin den Individuenaustausch zwischen den einzelnen Von hoher Bedeutung für die Existenz der Agrarzoo- Agrotopen sowie zwischen angrenzenden großflä- zönosen ist die Engmaschigkeit des "Agrotop-Net- chigen Offenlandsbiotopen (z.B. Kalkmagerrasen, zes". Die Vergrößerung der Ackerschläge aus Grün- Streuobstwiesen). In Agrotop-Mangelgebieten be- den der erleichterten Bewirtschaftbarkeit führte vie- finden sich die verbliebenen Agrotope in einer "In- lerorts zu einer starken "Ausdünnung" extensiv ge- selsituation" inmitten der intensiv genutzten Agrar- nutzter Strukturen der Agrarlandschaft, die sich landschaft. In kleinflächigen Inselbiotopen kommt

92 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen es jedoch vermehrt zu Aussterbevorgängen, die nicht wieder verlassen. Je nach den Präferenzen der durch Zuwanderung nicht mehr ausgeglichen wer- einzelnen Arten werden sie von dem extremen Mi- den können. Das Artenspektrum derartiger Agro- kroklima der Feldgrenze entweder angezogen oder tope wird stark von weit verbreiteten, hoch vagilen, zur Umkehr bewegt. So wurden z.B. nur relativ expansiven Arten geringer Spezialisierung geprägt thermophile und xerophile Laufkäfer (wie Bembi- (VON DRACHENFELS 1983: 97). dion lampros, Harpalus affinis, Pterostichus cu- PAUER (1975) geht der Frage nach, wie sich Lauf- preus, Harpalus rufipes) in höherer Zahl an der käfer als flugunfähige Kleintiere der Felder in der Grenze der Felder gefangen, während die mehr hy- Agrarlandschaft ausbreiten können. Dabei wird die grophilen Arten im Feldinnern wesentlich häufiger von vielen Autoren vertretene "Besiedlungstheo- waren. Für die meist thermophilen nachtaktiven rie", also das aktive Aufsuchen von mikroklimatisch Herbstbrüter kann der nachts ständig kältere Grenz- günstigeren Bereichen, für den größten Teil der streifen evtl. eine "Umkehrreaktion" hervorrufen, da Feldcarabiden in Frage gestellt (vgl. "Barrierenwir- das Temperaturgefälle vom Feld zum Grenzstreifen kung"). ständig zunimmt. Daher existiert offenbar nur für Auf einem stark mit niedrigwüchsigen Gräsern be- den nahen Bereich der Feldgrenze aufgrund des wachsenen Feldrain zwischen einem Raps- und Ha- mikroklimatischen Gefälles die Möglichkeit einer ferfeld war ein massenhaftes Auftreten von Amara gerichteten Bewegung (PAUER 1975: 463). familiaris zu beobachten. Die hohe Aktivitätsdichte Grundsätzlich scheint eine unterschiedliche Aktivi- an der sonnenexponierten Feldgrenze entspricht of- tätsdichte in verschiedenen Feldern keine Rück- fenbar dem Präferenzbereich dieser tagaktiven pho- schlüsse über die jeweilige Bedeutung der Einzel- tophilen Art (vgl. NOVAK 1968, 1971). Auch ande- faktoren Besiedlungsdichte und Laufgeschwindig- re Arten der Gattung Amara zeigen unregelmäßige keit zu erlauben. Beide Faktoren sind wiederum von (nur an manchen Stellen mit geeigneten mikrokli- zahlreichen anderen Parametern abhängig; die Lauf- matischen Bedingungen und entsprechender Vege- geschwindigkeit wird u.a. von Temperatur, Luft- tation starke) Vorkommen (Abb. 1/32). feuchte und Raumwiderstand beeinflußt, während Da Feldgrenzen wegen ihres spezifischen Mikrokli- die Populationsdichte vor allem von der Biotopqua- mas* für nicht-flugaktive Arten auch eine ökologi- lität abhängt (PAUER 1975: 459). sche Grenze darstellen können, also einen Aus- Nach DEN BOER (1977) beträgt der Anteil nach- tausch der Populationen von einem Feld ins andere weislich flugfähiger Laufkäferarten in permanenten weitgehend verhindern (s. "Barrierenwirkung" von Habitaten (Wälder, Heiden, Moore etc.) nur ca. Linearbiotopen), kann es auch nicht zu einer nen- 19%; in temporären (zeitweise gestörten) Habitaten nenswerten Wanderung einzelner Arten in Richtung dagegen ca. 65%. Dabei finden sich an Arealgrenzen auf ein günstigeres Mikroklima im benachbarten einer dimorphen Art mit rezenter Arealausweitung Feld kommen. höhere Anteile langflügeliger Tiere, dagegen zeigt Vor allem an besonders dicht oder besonders das Überwiegen kurzflügeliger Tiere an, daß das schütter bewachsenen (lichten) Stellen bilden sich Gebiet bereits vor langer Zeit besiedelt wurde. (vgl. lokale Konzentrationen bestimmter Arten, die zufäl- LAUSSMANN 1992, 1993, für Heuschrecken !) lig in diese Bereiche vorgestoßen sind und sie auf- Um das Aussterben von Laufkäferarten in isolierten grund der hier herrschenden günstigen Bedingungen Biotopen zu verhindern, empfiehlt DEN Boer Ver-

Abbildung 1/32 Verteilungsmuster der Aktivitätsdichten von Amara similata im Grenzbereich zwischen Winter-Raps und Winter-Gerste (PAUER 1975: 474)

* Bei mikroklimatischen Messungen zwischen Rüben- und Weizenfeld (PAUER 1975: 463) zeichnete sich der (fast unbewachsene) Grenzstreifen durch die durchwegs höheren Tages- und tieferen Nachttemperaturen aus, während der Boden im Rübenfeld tagsüber kälter und nachts wärmer war als der Boden im Weizenfeld (vgl. Kap. 1.3.2).

93 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen netzung in Form von Brachflächen, Hecken(säu- maß Flüge über den gewöhnlichen Aktionsradius men), Dämmen, Wegränder etc. Nach MADER hinaus stattfinden (Migrationen). Nach STOECK- (1979) sind größere Laufkäferarten im allgemeinen HERT (1933) ist die Vagilität der Solitärbienen ge- mobiler als kleine. ring. Aufgrund des Grundsatzes, daß Tiere tempo- So legen die Feld-Carabiden Carabus cancellatus, rärer Lebensräume i.d.R. über gute Ausbreitungsfä- granulatus, auratus (große Arten bis 32 mm) in 10 higkeiten verfügen, ist bei Arten z.B. offener Sand- Tagen bis zu 120 m zurück. Kleinere flugunfähige und Lehmböden mit einem gewissen Prozentsatz Arten können i.d.R. nicht mehr als 200 m, große migrationsfähiger Individuen zu rechnen (vgl. flugfähige vermutlich nicht mehr als 1 km im Laufe MIOTK 1979). ihres Lebens bewältigen. Aussagen zu Minimuma- Gesicherte Angaben zur Größe der Minimumareale realen von Laufkäfern liegen nur für Waldarten vor von Wespen- und Bienenpopulationen sind nach (vgl. MADER 1981). DRACHENFELS (1983) bislang nicht vorhanden. Auch zahlreiche Marienkäfer-Arten führen saiso- In der Regel wird jedoch eine Population um so nale Wanderungen zu ihren Überwinterungsgebie- weniger Raum benötigen, je günstiger die Nistmög- ten durch (vgl. GATTER 1981). Hierbei handelt es lichkeiten sind und je größer das Nahrungsangebot sich vermutlich um eine Anpassung an hochmobile ist. Dabei ist primär nicht die Größe z.B. einer Wiese Beutetiere wie z.B. Blattläuse, die oft über weite entscheidend, sondern die Anzahl geeigneter Blü- Strecken windverdriftet werden. (vgl. JOHNSON ten. 1969). Lebensräume einer Stechimmen-Population müssen Nach SOUTHWOOD (1962) wandern alle Feld- also neben der Niststätte Nahrungshabitate umfas- heuschrecken zumindest in geringem Ausmaß (z.B. sen, die bei solitären Arten weniger als 500 m von junge Larven vom Brut- zum Nahrungshabitat, den Nestern entfernt liegen. Bei einigen Arten müs- Rückkehr als reife Adulte zur Eiablage). Die wesent- sen außerdem in der Nähe der Niststätten bestimmte lichsten Faktoren für die Biotopbindung von Heu- Brutmaterialen vorhanden sein. schrecken sind Mikroklima und Raumstruktur Mesophile Schmetterlinge (Arten mit größerer (SÄNGER 1977). So weichen z.B. Arten feuchterer ökologischer Anpassungsbreite) neigen regelmäßig Lebensräume im Herbst häufig in xerotherme Bio- zu Migrationsflügen, z.B. der Kleine Perlmuttfalter tope aus (u.a. nachgewiesen für Chorthippus paral- (Argynis lathonia) oder der Gemeine Heufalter lelus, Metrioptera brachyptera). Saum- und Strei- (Colias hyemale). Der Schwalbenschwanz (Papilio fenbiotope erfüllen im allgemeinen nicht den Mini- machaon) verteilt als "Streubrüter" die Eier über mum-Arealanspruch der meisten wärmeliebenden größere Flächen. Der Schwarzgefleckte Bläuling Heuschrecken- und Grillenarten (50 ha Mager- und (Maculinea arion) benötigt zum Überwintern starke Trockenstandorte (HARZ, briefl., in DRACHEN- Kolonien der gefährdeten Ameisenart Myrmica sa- FELS 1983). buleti auf engem Raum in unmittelbarer Nachbar- Nach Untersuchungen von WALOFF & BAKKER schaft der Raupenfutterpflanze Thymus serphyllum. (1963) kann bei Weichwanzen mit Habitatbindung MUGGELTON & BENHAM (1975) nennen Bei- an Besenginster ein Individuenaustausch zwischen spiele von je zwei Kolonien dieser Art, die wenige isolierten Besenginsterbeständen durch Anpflan- hundert Meter voneinander durch ungeeignete Le- zung (Sukzession) entsprechender Pflanzenbestän- bensräume getrennt waren. In beiden Fällen führte de (z.B. entlang von Wegen) gefördert werden. Pas- die Zerstörung der einen Kolonie über kurze Zeit sive Ausbreitung über Windverdriftung über größe- zum Aussterben der Nachbarkolonie (d.h., nur ein re Distanzen ist möglich. regelmäßiger Individuenaustausch benachbarter Viele Solitärbienen, auch viele Grabwespenarten Kolonien über Distanzen von einigen 100 m sichert suchen zur Beutejagd oft wesentlich feuchtere Bio- das Überleben der Art). tope auf als zur Nestanlage. So nisten die Schenkel- Im allgemeinen ist die Flächengröße zumindest für bienen (Macropis) in trockenen Rasenböschungen, Populationen mesophiler Schmetterlingsarten weni- beim Sammeln der Larvennahrung sind sie jedoch ger wichtig als ein ausreichendes Requisiten- auf Gilbweiderich (Lysimachia vulgaris) speziali- angebot. So wurden auf einer 2,2 ha großen Fläche siert, der u.a. in Gräben, Nasstellen etc. vorkommt. mit reichem Vorkommen des Hufeisenklees (Hip- (vgl. DRACHENFELS 1982). pocrepis comosum) eine Population des Silbergrü- Der Aktionsradius bei der Nahrungssuche liegt bei nen Bläulings von über 1500 Individuen registriert, kleinen Bienen, Grab- und Wegwespen nach auf einer Fläche von 1,3 ha mit sehr geringem An- PREUSS (briefl., in DRACHENFELS 1983) meist gebot der Raupenfutterpflanze dagegen nur max. 24 deutlich unter 1 km (i.d.R. vermutlich unter 500 m). Schmetterlinge (vgl. dazu Kap. 1.5.4.4). So sammelten z.B. die Weibchen der Mauerbiene Zur Beurteilung der Habitatqualität eines landwirt- (Osmia rufa) in bis zu 300 m Entfernung vom Nest schaftlich intensiv genutzten Gebietes des schwei- (RAW 1974). Besonders gering ist die Vagilitiät der zerischen Mittellandes für den dortigen Feldler- Wegwespen. Soziale Arten sind dagegen in der Re- chenbestand setzt JENNY (1990) das Nahrungsan- gel wesentlich mobiler und können Strecken von gebot in Beziehung zum Nahrungssuchverhalten. mehreren Kilometern überwinden (DRACHEN- Die Nahrungsbeschaffung scheint grundsätzlich ab- FELS 1982). hängig zu sein vom Angebot, der Erreichbarkeit, Für die Frage der Neubesiedlung von Lebensräumen dem Energiegehalt und der Behandlungszeit einer und des Individuenaustauschs zwischen verschiede- Beute (MAC ARTHUR & PIANKA 1966, zit. in nen Populationen ist von Interesse, in welchem Aus- JENNY 1990: 47). Die Fortbewegung der Feldler-

94 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen che wird mit zunehmender Höhe und Dichte der Jahresverlauf auf den verschiedenen Kulturen nahe- Vegetation erschwert (vgl. JENNY 1990/b). Ab zu die gleichen Abundanzwerte erreichen. Diese einer Bodenbedeckung von mehr als 50% wird die Arten haben offenbar eine besonders große To- Nutzung der meisten Kulturen unmöglich. In der leranzbreite gegenüber klimatischen Faktoren bzw. Agrarlandschaft ist die Erreichbarkeit der Arthropo- verfügen über eine bessere Ausnutzung ökologi- den ein limitierender Faktor der Nahrungsbeschaf- scher Nischen. Verbundelemente haben hier offen- fung. Im UG wird die Nahrung daher weitgehend in bar eine nur untergeordnete Bedeutung. der 0 - 20 cm hohen Fettwiese erbeutet. Unter opti- Zur zweiten Gruppe rechnet der Autor Arten, die auf malen Bedingungen ist ein Feldlerchen-Revier so- verschiedenen Kulturen einen unterschiedlichen wohl Brut- als auch Nahrungshabitat. Aktivitätsbeginn erkennen lassen. Vor allem bei die- Das Nahrungssuchverhalten der Feldlerche in inten- sen Arten(gruppen) spielen bezüglich der Ausbrei- siv genutzten Agrarlandschaften charakterisisiert tung Grenzstrukturen eine wichtige Rolle: So wa- JENNY (1990: 48 f.) folgendermaßen: Einerseits ren die schattenliebenden und hygrophilen Staphy- konzentriert sich Alauda arvensis auf Arthropoden, liniden zunächst im feuchteren Rapsfeld, erst später die vorübergehend zahlreich sind (z.B. Schnaken, auf den (inzwischen ebenfalls hochwüchsigen und Schwebfliegen, Feldheuschrecken, Spinnen). Zum schattenspendenen) Getreidefeldern zu beobachten. anderen optimiert sie die Nahrungssuche und erjagt Dabei kann der mehr oder weniger verunkrautete, häufige, aber wenig profitable Beutetiere (z.B. chi- etwa 50 cm breite Grenzstreifen zwischen den Fel- tinreiche Waffenfliegen, Käfer etc.) seltener, große dern weitgehend gemieden werden, wie aus der und weniger häufige Tiere (z.B. Schmetterlinge) Aktivitätsdichte von Philonthus fuscipennis ersicht- öfters als erwartet. Unter suboptimalen Bedingun- lich wird (s. Abb. 1/33). gen, also etwa beim Fehlen niedrigwüchsiger (0- Andererseits kann die Aktivitätsdichte auf dem 20 cm) Fettwiesen, wird außerhalb der Revier- Grenzstreifen mit derjenigen des angrenzenden Fel- grenzen an den Acker- und Wegrändern oder auf des übereinstimmen (s. Weizenfeld), bzw. diese so- Brachfeldern (z.B. Winter-Brache-Mais) nach gar übertreffen (Abb. 1/34). Nahrung gesucht. Im Randbereich zwischen Ge- Bei Tachyporus hypnorum ist die Feldgrenze also treidefeldern wurden mehrmals dieselben Stellen offenbar keine Ausbreitungsbarriere, sondern kann aufgesucht. im Gegenteil sogar eine "Korridorfunktion" einneh- In ähnlicher Weise beeinflußt die Vegetationsstruk- men. tur der Nestumgebung von Feldlerchen das Bewe- Nach einer Randbegiftung mit dem Insektizid Me- gungsmuster der noch nicht flugfähigen Jungvö- thoxychlor beobachtete TOPP (1977: 46: f.), daß gel. Bei ungünstigen Nistplätzen (z.B. mit hoher insbesondere Staphyliniden mit geringer Vagilität nachmittäglicher Sonneneinstrahlung) verkriechen die entstandenen Verluste erst wieder ersetzen kön- sich die Nestlinge in dichte, schattenspendende Ve- nen, wenn frisch geschlüpfte Individuen der neuen getation in unmittelbarer Nestumgebung. Die Be- Generation die entstandene Lücke wieder auffüllen. deutung selbst kleinster Habitatelemente wird Der erneute Aktivitätsanstieg war im Randbereich durch folgende Beobachtung unterstrichen: Ein zu- am größten, in den anderen Zonen nahezu gleich- vor gut geschütztes Feldlerchennest wurde am vier- mäßig, insgesamt jedoch um die Hälfte bis zwei ten Nestlingstag infolge Mahd freigelegt; dank eines Drittel geringer als am unmittelbaren Feldrand. Dar- Steins blieb in Nestnähe ein relativ hoher Grashorst überhinaus stellt TOPP (1977: 45 f.) einen signifi- stehen, so daß trotz stark verändertem Nestplatz eine kanten Einfluß der Vorfrucht auf die Populations- erfolgreiche Aufzucht gelang (A. SCHLÄPFER in dichteverhältnisse der von ihm untersuchten Sta- Gempen/Juli 1984). Wenn die Nestlinge bereits sehr phyliniden fest. Vor allem bei Kurzflügler-Popula- früh unter Hitze- bzw. Hungerstress leiden oder die tionen, die kein Wanderverhalten zeigen oder von Nestumgebung für die Lokomotion der noch flugun- denen nur ein kleiner Teil jahreszeitlich bedingte fähigen Jungvögel ungünstig ist (z.B. höherwüchsi- Wanderungen (sog. "Prä- und Postdiapauseflüge") ge, dichte Grünlandbestände), verlängert sich die bzw. sonstige Dispersionsbewegungen unterneh- Nestlingszeit bzw. ist mit höheren Verlusten zu rech- men, dürften Unterschiede, die sich durch die Vor- nen (vgl. SCHLÄPFER 1988: 349 ff.). frucht ergeben, stärker erkennbar sein. 1.5.3.2 Mögliche Auswirkungen der Raum- Das von verschiedenen Autoren beschriebene struktur auf Territorialität, Besied- Überwintern von Laufkäfern in Hecken oder Fel- lungsdichte und jahreszeitliche Migra- drainen (vgl. z.B. RENKEN 1956, KIRCHNER tion 1960, NOVAK 1968 UND 1971, TISCHLER 1984) gilt offenbar nur für Individuen, die sehr nahe an TOPP (1977) beschäftigt sich mit dem Einfluß des einem derartigen Biotop leben und diesen entweder Strukturmosaiks auf die Ausbreitung von Staphyli- durch optischen Reiz oder durch normale Laufakti- niden (Kurzflügler), die zusammen mit den Laufkä- vität zufällig erreichen. Ähnlich wie an der (rainlo- fern und Spinnen zu den wichtigsten räuberischen sen) Feldgrenze kann es dann auch hier zu lokalen Arthropoden der Ackerlandschaft gehören. Konzentrationen kommen, weil die Individuen nach Nach dem Muster ihrer Aktivitätsverteilung unter- dem Erreichen der Hecken oder Raine diese zur scheidet TOPP (1977: 43) bei den Kurzflüglern ver- Überwinterung geeigneten Lebensräume nicht wie- schiedene ökologische Gruppen. Zur ersten Gruppe der verlassen. gehören Arten, die in den untersuchten Feldern Andererseits steht die quantitative und qualitative gleichzeitig mit ihrer Aktivität beginnen und im Zusammensetzung der Carabidenfauna eines Feldes

95 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/33 Der Kurzflügelkäfer Philonthus fuscipennis meidet den Grenzbereich (Feldrain) zwischen Winter-Raps und Hafer (TOPP 1977: 44) in sehr engem Zusammenhang mit der Vorfrucht befindliche Potential an Eiern bzw. Jugendstadien. und damit dem Bestandesklima des Vorjahres Eine Neu- bzw. Wiederbesiedlung von anderen (vgl. TOPP 1977). Das Mikroklima des Aufwuchses Feldern oder Arealen innerhalb einer Vegetati- beeinflußt neben der Biologie der Art (s. sexuelle onsperiode muß demzufolge als untergeordnet Aktivität, Eizahl und Entwicklungsgeschwindigkeit angesehen werden. Diese Ergebnisse lassen man- der Larven) die Anzahl der Käfer, die zur Überwin- che früheren Aussagen über die unterschiedliche terung kommen und im darauffolgenden Jahr in "Besiedlung" verschiedener Felder fragwürdig er- Erscheinung treten. scheinen. So zeigten sich bei Agonum dorsale bei gleichzeiti- Diese Beobachtungen zeigen die Notwendigkeit gem Beginn der Aktivität z.T. stark unterschiedliche auf, Felduntersuchungen lange genug durchzufüh- Aktivitätsdichten. Der in allen Feldern gleichzeitige ren, um das zeitliche Geschehen ausreichend mit zu "Start" (die Aktivität stieg zudem innerhalb der Fel- berücksichtigen. Das plötzliche Fehlen einiger Ca- der gleichmäßig an) läßt nach PAUER (1975: 472) rabiden nach der Mahd oder anderen Bearbeitungs- nur den Schluß zu, daß die Käfer in den Feldern maßnahmen kann nicht unreflektiert als Flucht von selbst überwintert haben müssen (vgl. auch SCHER- dem betroffenen Feld gedeutet werden; die Reaktion NEY 1961). der nicht flugaktiven Laufkäfer gegen ungünstige Bedingungen besteht oft vielmehr darin, daß sie sich Die ca. 4 Wochen dauernde Wiederbesiedlung eines in den Boden zurückziehen (PAUER: 477). durch Biozidausbringung geschädigten 20 m breiten Feldstreifens zeigt zudem, daß diese nur langsam Aus einer mehrjährigen Untersuchung zum Aus- vor sich geht. Ein großer Teil der neu auftretenden breitungs- und Kolonisierungsvermögen von Spin- Käfer stammt aus dem im Boden befindlichen, nicht nen* ergeben sich Hinweise auf eine Populationen geschädigten Käferpotential. verbindende Wirkung von Feldrainen als Korridor Bei der Wiederherstellung der normalen Siedlungs- zwischen ähnlichen Habitaten (KÜHN 1989). Dies dichte spielt demzufolge Immigration innerhalb spricht für die Hypothese, daß Feldraine als struk- einer Saison vor allem bei kleineren Carabiden turreiche, relativ ungestörte Saumlebensräume für vermutlich eine geringere Rolle als das im Boden die Aufrechterhaltung und Verbindung von Spin-

* resultierend aus einer zeitlichen Analyse der Häufigkeitsverteilungen und Aktivitätsmuster adulter Spinnen wie verschiedener Entwicklungsstadien einzelner Arten und Gattungen.

96 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/34 Der Kurzflügelkäfer Tachyporus hypnorum im Grenzbereich (Feldrain) zwischen Winter-Raps und Weizen (TOPP 1977: 44) nenpopulationen eine bedeutende Funktion haben. in den Randbereichen und wechselt im Frühjahr in Spinnenarten, die in allgemein verbreiteten Habita- die Weide zur Fortpflanzung. ten leben, haben i. d. Regel geringere Ausbreitungs- fähigkeit als solche von seltenen, zerstreuten Le- SCHLÄPFER (1988) setzt die rückläufige Be- bensräumen. Arten mit passiver Windverfrachtung standsentwicklung der Feldlerche (Alauda arven- haben meist geringere Chancen, kleinflächige Le- sis) mit dem sich verändernden Raummuster in besräume zu erreichen als Arten mit aktiver, geziel- Beziehung (s. auch Kap. 2.3.2.1). ter Ausbreitung (Lokomotion) (vgl. RICHTER Für hohe Besiedlungsdichten sind vor allem die 1970). Kulturenwahl, die räumliche Anordnung der Kultu- Untersuchungen in einer belgischen Intensivweide ren, die (z.T. bewirtschaftungsbedingte) Vegetation- belegen deutliche Unterschiede zwischen den Indi- sentwicklung und das damit verknüpfte Ressourcen- viduendichten verschiedener Arthropodengrup- angebot ausschlaggebend. Großflächige Monokul- pen jeweils für das Zentrum und den Randbereich turen ohne "zwischengeschaltete" Grenzlinien- bzw. der Weide: "Especially in view of the much larger Zwickelbiotope (auch Ausfallstellen u.ä.) bieten sampling effort in the pasture the difference in keine Nistplätze und auch zu wenig Nahrung (Mais, species richness between both sites is striking" Hackfrüchte), schließen eine längerfristige Besied- (MAELFAIT et al. 1988: 115). So wurden z.B. lung aus (bereits im Frühjahr hochwüchsiges Grün- Kurzflügler, die ihren Schwerpunktlebensraum in land) oder veranlassen großräumige Umsiedlungen Getreidefeldern, aber auch in Grasfluren mit hohem im Saisonverlauf (Raps, Wintergetreide). Streuanteil haben, überwiegend im Randbereich So zeigten sich in reinen Ackerbaugebieten die Re- ("edge") angetroffen. viere zu Saisonbeginn bevorzugt entlang der Parzel- Bei den Zwergspinnen ("figs. 1 and 2" in Abb. 1/35) lengrenzen Wintergetreide - Rüben angeordnet; spä- waren die Individuendichten jeweils zum Sommer- ter kam es zu auffallenden Revierverschiebungen in ende hin am höchsten, wenn die überwinterte Gene- die Rübenfelder. Die naturnahe Vegetation im UG ration ihr adultes Stadium erreicht hatte. Gleichzei- von SCHLÄPFER (1988) beschränkt sich in Inten- tig mit der abnehmenden Individuendichte von Oe- sivgebieten häufig auf unregelmäßig geschnittene dothorax fuscus im Weideland war im Spätsommer Wegrandparzellen, unsauber gepflügte Ecken und Herbst ein Anstieg der Art im Randbereich zu und randliche Einwüchse von Unkräutern in die beobachten ("seeking shelter for winter conditi- sonst nahezu unkrautfreien Felder hinein. In Teilräu- ons"). Eine extrem hohe Abundanz bezüglich der men (z.B. Hügelgebiet des Sundgaus) haben sich Randbereiche zeigt der Laufkäfer Pterostichus ver- entlang festgelegter Wegerechte "wilde" Fahrspuren nalis. Die Art überwintert ebenfalls als adulter Käfer nicht nur entlang von Parzellenkomplexen, sondern

97 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen trotz durchgehender Saat auch "querbeet" erhalten Ein zunehmender Parzellierungsgrad hat meist eine (vgl. "Spurenfächer" in Kap. 1.1.4). Lokale Vernäs- höhere Kulturartenvielfalt zur Folge; bei zufällig sungen in tiefen Spurrinnen, eine z.T. nur grobe indentischer Fruchtfolge in benachbarten Kulturen Saatbeetaufbereitung sowie die Wölbackerstruktur kann dieser Effekt jedoch wieder aufgehoben wer- des Gebietes (vgl. EWALD 1969) führen zu stellen- den. weise unregelmäßigen Bestandesdichten der Feld- Die jeweilige Nutzungdauer nach der Mahd durch kulturen. die Feldlerche ist in hohem Maße von der Vegetati- Dies hat wiederum positive Auswirkungen auf die onsentwicklung der entsprechenden Kultur bzw. Bestandesdichten der Feldlerche: So zeigten sich auf Randstruktur abhängig. Bei Grünland bzw. grün- traditionell strukturierten Teilflächen (kaum befe- landartigen Linearbiotopen ergibt sich aufgrund der stigte Wege, z.T. noch Wölbäcker) die Reviere we- großen Heterogenität bezüglich Artenzusammen- sentlich kleiner und stabiler als auf flurbereinigten setzung, Struktur und Schnittfolge kein einheitliches Flächen. In ähnlicher Weise wird ein notreifer, lücki- Bild. Wo im zeitigen Frühjahr (etwa ab April) immer ger Bestand eines vernässten Wintergetreidefeldes einige frischgemähte, bis 15 cm hohe Grünlandstrei- im Gegensatz zu gleichmäßig stehenden Kulturen in fen vorhanden sind, bleibt die Antreffwahrschein- die Territorien einbezogen und bis in den Frühsom- lichkeit über die ganze Saison relativ stabil. Insge- mer (Juni) regelmäßig genutzt. samt sind Nutzungsdauer und Nutzungsintensität Auffallend ist die in allen Untersuchungsflächen nach den Beobachtung von SCHLÄPFER (1988: starke Streuung der Reviergrößen, so daß auch in 328) in Luzerne (vgl. ZITZMANN 1987) am stärk- Flächen mit hoher Siedlungsdichte vereinzelt große sten ausgeprägt, gefolgt von Naturwiesen, Kleegras Reviere bzw. trotz sehr geringer Dichte manchmal und sehr schnellwüchsigen Kunstwiesen. kleine Reviere vorhanden sind. Grundsätzlich er- Wegränder und Brachen gewinnen bis in den Mai an scheint ein enger Zusammenhang zwischen der Bedeutung. Vor allem bei geringem Grünlandanteil Siedlungsdichte und dem Parzellierungsgrad gege- steigt die Antreffwahrscheinlichkeit im Juni/Juli ben. Dabei zeigt sich, daß die Reviergröße mit sin- nochmals stark an; solche Linearbiotope bieten also kender Parzellenanzahl bzw. Kulturen je Rasterqua- im Verlauf der Saison zunehmend wichtige Ressour- drat zunimmt. Je kleinflächiger und gleichförmiger cen: Während die Besiedlungsdichte in Säumen und die Kulturen im Raum verteilt sind bzw. je mehr Brachflächen in reichstrukturierten Untersuchungs- verschiedene Kulturen die Feldlerchen darin inte- flächen (s. Gempen) vergleichsweise niedrige Werte grieren können, um so kleiner werden die Reviere. erreicht, steigt sie in großparzellierten Flächen mit

Abbildung 1/35 Individuendichten ("density per square meter") im Weideland ("pasture") und im Randbereich ("border zone"), ermit- telt jeweils für (1) Oedothorax fuscus, (2) Erigone atra (Fam. Zwergspinnen); (3) Phi- lonthus varius, (4) Oxytelus rugosus (Kurz- flügel-Käfer); (5) Clivina fossur, (6) Ptero- stichus vernalis (Laufkäfer); MAELFAIT et al. 1988) densities in pasture (full symbols) and in border zone (open symbols)

98 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen geringer Kulturartenvielfalt (s. Sierentz) ab Mai sehr Für die Verteilung der Nester im Raum (Dispersion) stark an (SCHLÄPFER 1988: 329). sind in erster Linie Angebot und Verteilung der Insbesondere bei größeren Parzellen ist also eine Neststandortkulturen verantwortlich, wobei die Bevorzugung von Randbereichen auszumachen. Nachbarkultur entscheidenden Einfluß auf die Nest- Echte Wegrandnester sind allerdings nur bei breiten standortwahl ausübt. So ergab eine Auswertung von Wegsäumen, randlich erhöhter Verunkrautung der 63 Nestern, daß die Weibchen in 31 von 33 mögli- Parzellen und insgesamt einseitigem Kulturenange- chen Fällen Nachbarkulturen bevorzugen, die im bot häufiger. Herausragende Bedeutung als Brut- Vergleich zum Neststandort eine locker-niedrig- habitat kommt dem Sommergetreide zu, während wüchsige Vegetationsstruktur aufweisen (SCHLÄP- Grünland eher eine Ausweichstruktur darstellt. FER 1988: 343). Unabhängig davon ziehen sie eine vom Neststandort verschiedene Nachbarkultur einer Jede Kultur (einschließlich Wegränder, Brachflä- identischen vor (also z.B. Sommergetreide, Luzerne chen u. dgl.) weist also eine spezifische saisonale oder Mais neben dem Gelege im Wintergetreide; ge- Vegetationsentwicklung mit schwankendem Ange- mähte Grünlandparzellen als Nachbarkultur zum Nest bot und wechselnder Nutzbarkeit der Ressourcen im Sommergetreide u. dgl.). auf (also z.B. für die Fortbewegung auf dem Boden und den Nahrungserwerb, für den Schutz von Nest, Hinsichtlich der Verteilung der Nester innerhalb der Gelege und Brut). Revierverschiebungen ergeben Parzellen bevorzugt die Feldlerche offenbar den sich aus dem Schwund oder aus Nutzungserschwer- randnahen Teil der Parzellenlängsseite, insbesonde- nissen von Ressourcen im eigenen Revier oder bei re die Eckzone der Parzellen. Nachbarn. Im saisonalen Verlauf kommt es teilweise zu extrem intensiver Nutzung des Grünlandes; re- Daneben existiert offenbar eine "kulturenspezi- viergrenznahe Flächen in günstigem Stadium wer- fisch" für den Nestbau optimale Zeitspanne. Bebrü- den entsprechend hart umkämpft. tungs- und Nestlingszeit fallen im allgemeinen in die Phase der "explosiven" Vegetationsentwicklung der Auf Populationsebene ist neben dem Flächenver- entsprechenden Kultur. Das heißt z.B., in Getreide hältnis der verschiedenen Kulturen vor allem auch und Mais wählen die Weibchen bei frühen Nestern deren räumliche Verteilung entscheidend. So versu- oft dichtere, im Wachstum vorgerückte Vegetations- chen in der Reviergründungsphase alle Feldlerchen bereiche innerhalb des Feldes (z.B. verdichtete Saat, zumindest einen kleinen Anteil an Winter- und Som- Unkrautbestände), während sie bei späten Bruten mergetreide, an Mais, Hackfrüchten und Grünland entweder im Wachstum rückständige Stellen (s. zu erobern. Je homogener die Verteilung der Kultu- Trockenheit, Vernässung) oder Bestandslücken (s. ren bezogen auf die mittlere Reviergröße ist, um so Traktorspur, Ansaatfehler u.ä.) bevorzugen. Diese geringer sind Verschiebungsrate und Reviergrößen- generelle Tendenz wird z.T. noch durch jeweiligen gefälle. Unkrautbesatz überlagert. So erlauben einzelne Steigende Kulturenvielfalt erlaubt der Feldlerche, Grashorste oft früheren Nestbau als die (unkraut- mit einem kleineren Revier auszukommen und trotz- freie) Hauptkultur. dem alle ihre Bedürfnisse zu befriedigen. So kommt es im Verlauf der Brutperiode zu einer geringfügigen Bei grasigen Beständen ist die Vegetationsdichte Verlagerung der Nahrungsbeschaffung. Wiesenum- bereits beim Nestbau relativ hoch; im Vergleich zu bruch sowie Acker- und Wegränder erlangen zuneh- den meisten Ackerkulturen kommt es im Verlauf des mende Bedeutung; bevorzugt werden auch trockene Brutzyklus zu einem geringeren Höhenwachstum, Böschungen: In diesen Biotoptypen kann sich die dafür zu einer ausgeprägteren Verdichtung der Ve- Feldlerche ungehindert fortbewegen. getation in ihrer ganzen Höhe (vgl. Abb. 1/36, S. 100). An Acker- und Wegrändern werden vor allem Spin- nen und kleinere Zweiflügler erbeutet. Solche Insgesamt weisen die Untersuchungsergebnisse von Grenzzonen weisen oft eine höhere Arthropoden- SCHLÄPFER auf eine flexible Territorialität dichte auf als benachbarte Kulturen (vgl. "Randef- ("shifting territoriality") der Feldlerche hin. Das fekt" bei MÜLLER 1986, KAULE 1983). In Über- heißt, relativ stabile Territorien wechseln mit sol- einstimmung mit anderen Autoren vertritt TISCH- chen ab, deren Fläche nur zeitweise genutzt, häufig LER (1965) die Auffassung, daß Ackerraine in ihrer monatlich verschoben oder frühzeitig wieder aufge- Fauna Graslandcharakter besitzen. Die Arthropo- geben wird. Bei geringer Kulturendiversität (große den-Diversität im Wiesen-Umbruch-Mais scheint Parzellen, zufällig ungünstige Fruchtfolge benach- kurz- bis mittelfristig jener der Fettwiese zu ähneln. barter Bereiche) kommt es zu charakteristischen so wurden im Wiesen-Umbruch-Mais z.T. die glei- Revierverschiebungen zur jeweils günstigeren, weil chen Arthropoden-Larven und Puppen wie in der weniger dicht stehenden Feldkultur (z.B. vom Win- Fettwiese erbeutet. Offensichtlich können sich Fett- ter- zum Sommergetreide). Daneben werden Grün- wiesen-Arthropoden auch nach dem Pflügen im landparzellen in Wechselbeziehung zur Schnittfol- Frühjahr weiterentwickeln (JENNY 1990: 48). ge zyklisch genutzt*.

* In der traditionellen Dreifelder-Brachfeldwirtschaft mit dem Nebeneinander von Winterfeld, Sommerfeld und der (häufig) schütteren grasig-krautigen Brache hatte das Prinzip der flexiblen Territorialität" offenbar seine ideale Entsprechung gefunden (s. Bestandsoptimum der Feldlerche im 19. Jh.).

99 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Bei unzureichender Habitatqualität (vor allem bei zung des großen Nachlegepotentials kommt es zur großparzellierten, monotonen Fluren) können sub- Dehnung der Legebeginne in heterogenen Habitaten optimale Neststandorte wie grasige Wege und mit unterschiedlichen Vegetationsstrukturen und ei- Wegränder eine zunehmend wichtige Rolle spielen ner hohen Veränderbarkeit der Revierstruktur. (vgl. LEBEURIER & RAPINE 1935, FRANK 1984, zit. in SCHLÄPFER 1988: 357). Dabei mögen Für eine hohe Besiedlungsdichte optimal sein dürfte auch optische Orientierungshilfen (wie auffällige demzufolge ein konstanter Fruchtwechsel, der auf Blüten(gruppen), Steine), Vegetationslücken und Rasterflächen von maximal 2 ha alle strukturell be- die Lage zum Feldrand eine Rolle spielen (vgl. deutsamen Hauptkulturarten (Winter-, Sommerge- PÄTZOLD 1963, JENNY 1984). treide, Mais/Hackfrüchte) aufweist; die Parzellen dürften also bei Blockform nicht größer als etwa 2 Bei der Wahl solcher suboptimaler Nistplätze muß ha sein. nochmals an die strenge Territorialität der Feldler- che erinnert werden, die unter Wahrung minimaler In Gebieten mit sehr einseitigem Kulturenangebot Abstände zwischen Nachbarnestern eine räumliche (s. Wintergetreide - Mais) kann ein extensiv genutz- Konzentration der Nester in optimalen Kulturen ver- ter, heterogener Wegrain als erfolgreich genutzter hindert. Nistplatz bestandserhaltend wirken. Ebenso dürften magere, heterogene und eher niedrigwüchsige Heu- Das Muster des Legebeginns ist demnach durch eine wiesen einen positiven Einfluß auf die Bestandsent- hohen Plastizität gekennzeichnet: Unter Ausnüt- wicklung ausüben (SCHLÄPFER 1988: 366).

Abbildung 1/36 Zeitliche Einnischung früher und später Nester sowie Lokationsmöglichkeiten (Fortbewegung auf dem Boden) der Feld- lerche bei unterschiedlicher Vegetations- struktur (nach SCHLÄPFER 1988) schwarze Balken = Brutzyklus mit Vollgele- ge, Schlüpfen und Nestverlassen der Jung- vögel; senkrechte Schraffur = relatives Maß für die terrestrische Lokomotion; M = Mahd

100 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

1.5.3.3 Mögliche Barrierenwirkung grenzen nimmt bei diesen Arten die Aktivität zur von Linearbiotopen Feldmitte hin zu.

Feldgrenzen als mikroklimatische Barrieren Alles in allem stellen relativ schmale (etwa 0,5 m breite) Feldraine mit dichtem Pflanzenbewuchs Nach Auffassung von PAUER (1975) trifft die von nach den Beobachtungen von TOPP (1975) zumin- vielen Autoren vertretene "Besiedlungstheorie", dest für die vagilen epigäischen Arthropoden keine also das aktive Aufsuchen von mikroklimatisch Barriere dar. Wenn jedoch zusätzlich zum Grenz- günstigeren Bereichen, für den größten Teil der streifen in den angrenzenden Feldern stärkere Un- Feldcarabiden (Laufkäfer) nicht zu. Nur wenige Ar- terschiede im Mikroklima herrschen, kann durchaus ten (Amaren, einige rezedente* Harpalus- und Bem- eine Barrierenwirkung eintreten. Dies ist vor allem bidion-Arten, die zusammen nur einen geringen Teil im Frühjahr und in den Spätsommer- und Herbstmo- der Biomasse der Carabiden bilden, haben die Mög- naten der Fall. Relativ trockenheitsverträgliche Ar- lichkeit, günstige Biotope durch Flug aufzusuchen. ten können den schmalen Grenzstreifen zwischen Je nach den Präferenzen der einzelnen Arten werden den Feldern noch besiedeln, während andere Arten sie von dem extremen Mikroklima der Feldgren- solche Streifen meiden und innerhalb von stärker ze** entweder angezogen oder zur Umkehr bewegt. beschatteten Feldkulturen höhere Aktivitätsdichten So wurden z.B. nur relativ thermophile und xerophi- zeigen. le Arten (wie Bembidion lampros, Harpalus affinis, Vertikalstrukturen als optische Barrieren Pterostichus cupreus, Harpalus rufipes) in höherer Zahl an der Grenze der Felder gefangen, während Nachteile von Korridoren werden u.a. auch von die mehr hygrophilen Arten im Feldinnern wesent- NOSS (1987) diskutiert. So kann ein Baumstreifen lich häufiger waren. den Austausch von Schmetterlingspopulationen zwischen benachbarten Habitaten erschweren (WARREN 1987). Für die meist thermophilen nachtaktiven Herbstbrü- ter kann der nachts ständig kältere Grenzstreifen Vertikalstrukturen beeinflussen bzw. limitieren die evtl. eine "Umkehrreaktion" hervorrufen, da das Ansiedlung der Feldlerche (SCHLÄPFER 1988: Temperaturgefälle vom Feld zum Grenzstreifen 322 ff.). Zu langen Baumhecken und Feldgehölzen ständig zunimmt (PAUER 1975: 463). halten die Feldlerchen Abstände von mindestens 20 m (lückige Baumhecken), z.T. bis zu 120 m (rand- Eine Reihe von Feldcarabiden zeichnet sich durch lich gelegene, bachbegleitende Baumhecken). Die ihr "feldstationäres" Verhalten (a.a. O.: 469) aus. Es Abstände etwa zu bachbegleitenden Hecken sind besteht darin, daß die Feldgrenze aufgrund des spe- aufgrund der "optischen Muldenlage" größer als ziellen Mikroklimas die Käfer am Überschreiten erwartet. Einzelbäume und -büsche werden in die weitgehend hindert. So bildet z.B. bei Bembidion Reviere einbezogen; sobald sie aber in dichteren lampros vor allem in den Wochen seiner Vorherr- Gruppen oder Reihen stehen, bilden sie meist schaft im Getreidefeld die Feldgrenze abrupt auch Reviergrenzen und schränken dadurch eine optima- eine Aktivitätsgrenze. Mit beginnender Aktivität im le Revierverteilung ein. Hochspannungsleitungen in Feld kommt es besonders im Grenzbereich zu einer Kombination mit parallel verlaufenden Baum- ansteigenden Aktivitätsdichte, die zur Feldmitte hecken können sogar unbesiedelte Zonen von 90 bis wieder abnimmt. An lichten, warmen und relativ 130 m Breite bewirken. Auch Bodensenken werden trockenen Feldgrenzen findet die als thermo- und im allgemeinen gemieden, während Hangneigungen photophil beschriebene Art ihre bevorzugten Berei- bis etwa 10% keinen negativen Einfluß ausüben. che. PAUER vermutet, daß die dicht an der Grenze befindlichen Käfer aufgrund des mikroklimatischen Darüber hinaus beobachtete SCHLÄPFER (1988: Gefälles (von der Feldgrenze in die Felder hinein) 325), daß Reviere trotz vielfältiger Struktur mangels aktiv den für sie günstigsten Bereich aufsuchen und offener Kulturen aufgegeben wurden, u.a. aufgrund hier verweilen. Da dieses Gefälle der abiotischen des bis Mitte Juni verzögerten Grasschnitts. Faktoren nur einige Meter weit in die Felder hinein- reicht, geschieht das aktive Aufsuchen von bevor- Vertikalstrukturen üben ebenfalls Einfluß auf die zugten Stellen und die erhöhte Aktivität nur für die Dispersion der Nester aus, indem die Feldlerchen an der Feldgrenze lebenden Individuen. in Relation zu deren Höhe und Ausdehnung zuneh- mend größere Abstände einhalten. Nach SCHLÄP- Demgegenüber meiden hygrophile, schattenlieben- FER (1988: 344) beträgt der Abstand zu Nieder- de Carabiden die Feldgrenze aus anderen Gründen. hecken und Gebüschen im Mittel 51 m, bei Baum- Aufgrund des extremen Mikroklimas offener Feld- hecken und Feldgehölzen dagegen 59 m. Kleinere

* Arten von geringer Dominanz in einer Lebensgemeinschaft ** Bei mikroklimatischen Messungen zwischen Rüben- und Weizenfeld (PAUER 1975: 463) zeichnete sich der (fast unbewachsene) Grenzstreifen durch die durchwegs höheren Tages- und tieferen Nachttemperaturen aus, während der Boden im Rübenfeld tagsüber kälter und nachts wärmer als der Boden im Weizenfeld (vgl. Kap. 1.3.2).

101 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abstände treten vor allem im zeitigen Frühjahr vor den Standort mit höchster absoluter Dichte. Beide dem Blattaustrieb auf, wenn die Hecken noch sehr Arten gelten als euryotop, wobei Ch. parallelus lichtdurchlässig sind und nur in geringem Maße als nicht flugfähig, Ch. dorsatus flugfägig ist. optische Barrieren wirken. Ergebnisse und Diskussion (Modell zum Nachweis des Genaustausches entlang von Korridoren): 1.5.3.4 Anmerkungen zur Migration Im Falle des Laufkäfers Peocilus versicolor und den beiden Heuschreckenarten sprechen verschiedene Ohne den konkreten Nachweis des Genaustausches Befunde gegen eine Gleichwertigkeit der Lebens- über "Brückenköpfe", entlang von "Korridoren" und räume Wiese und Wiesenstreifen. So besiedelte dgl. Klein- und Linearbiotopen, verharrt die Ver- Chorthippus dorsatus den Korridor mit geringerer bund-Idee weiter in einer Blindstrategie - fernab Dichte als die Wiese (Abb. 1/38). Bei Ch. parallelus vom Kernziel des Biotopverbunds, Austauschpro- konnte dagegen kein Unterschied bezüglich der ab- zesse zwischen zersplitterten bzw. isolierten Popu- soluten Dichte festgestellt werden (Wiese und Kor- lationen zu ermöglichen und damit letztendlich dem ridor sind floristisch und strukturell sehr ähnlich). galoppierenden Artenschwund in der intensiv ge- nutzten Landschaft gezielt entgegenzusteuern. Herabgesetzte Laufgeschwindigkeiten und Hinwei- Bisher liegen für Kleinsäuger in Gehölzkorridoren se auf eine Kanalisation lassen eine Beeinflussung (vgl. MERRIAM 1988, HANSSON 1988) Nach- der Mobilität durch den Korridor vermuten. Unter- weise der Organismenwanderung vor. schiedliches Verhalten von Wiesenbewohnern in ei- ZERBE (1989) untersucht das Bewegungsmuster nem Wiesenstreifen deutet auf unterschiedliche von jeweils zwei Arten aus der Gruppe der Laufkä- Habitatqualität hin. Im Extremfall kann dies zu einer Verhinderung des Individuenaustausches führen. fer (CARABIDAE) und der Heuschrecken (ACRIDI- DAE) in einem Wiesenhabitat und damit verbunde- Zum Nachweis eines durch Korridore geförderten nen Grünlandstreifen (zwei landwirtschaftlich ge- Genaustausches schlägt ZERBE 1989 (in Anleh- nutzte Wiesen, verbunden durch einen 4 m langen, nung an MÜHLENBERG 1988) folgende vier 36 m breiten "Korridor", s. Abb. 1/37). Neben der Nachweis-Stufen vor: methodischen Erfassung von artspezifisch unter- • schiedlichen Mobilitätsmustern wird das Korridor- (1) Lebensraumnachweis für die zu untersuchen- prinzip und der Nachweis des Genaustausches erör- de Art tert. Die Mobilitätsuntersuchungen wurden mit Hil- • (2) Mobilitätsbeeinflussung durch einen Korri- fe der Markierung-Wiederfang-Methode durchge- dor führt. • (3) Ausbreitung entlang des Korridors Höchste Aktivitätsdichte in der Wiese und dem Wie- • (4) Fortpflanzungserfolg im Zielhabitat senstreifen wiesen die beiden Carabiden Poecilius cupreus und P. v er sic olo r auf. Bei Poecilius versi- 1.5.4 Beispiele wertbestimmender color handelt es sich einen euryotopen Laufkäfer mit Tierarten (Ziel- oder Schlüsselarten) Habitatpräferenz Grünland und geringerer Flurg- (Bearbeitet unter Verwendung von Manu- und Verbreitungsfähgigkeit; bei Poecilius cupreus skripten von M. BRÄU und R. ENGEL- ebenfalls um eine euryotope Art mit Habitatpräfe- SCHALL) renz Acker/ Grünland und hoher Ausbreitungsfähig- keit. Die beiden Heuschreckenarten Chorthippus Um die (mittel- bis langfristige) Effizienz von Na- parallelus und Chorthippus dorsatus besiedelten turschutz- und Landschaftspflegemaßnahmen beur-

Abbildung 1/37 Untersuchungsstandort mit Wiese I, Wie- se II und Korridor (ZERBE 1989) Längenangaben in Meter

102 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen teilen zu können, bedarf es exakter Zielformulierun- Folgende Artengruppen werden behandelt: Säuge- gen und entsprechender Kontrollmöglichkeiten. tiere (1.5.4.1), Vögel (1.5.4.2), Reptilien (1.5.4.3), Unter der Voraussetzung, daß das Schutz- und Pfle- Schmetterlinge (1.5.4.4), Heuschrecken (1.5.4.5), geziel in der zumindest mittelfristigen Sicherung Hautflügler: Wildbienen, Wespen und Ameisen von Populationen unter Freilandbedingungen liegt, (1.5.4.6), Käfer (1.5.4.7), Spinnen (1.5.4.8), kann der Naturschutz Repräsentanten bestimmter Schnecken (1.5.4.9). Biotope als "Zielarten" (vgl. HOVESTADT et al. 1991) auswählen. Diese sind die "Meßlatte" für die 1.5.4.1 Säugetiere Qualität bereits duchgeführter Pflege- und Erhal- tungsmaßnahmen. Vor allem Wirbellosen kommt Agrotope zeichnen sich durch eine Vielzahl von bei der Indikation kurzfristiger oder kürzlich statt- Kleinhabitaten aus, so daß Tiere mit recht unter- gefundener anthropogener Veränderungen bestimm- schiedlichen Ansprüchen hier leben können. Dies ter Umweltfaktoren spezifische Bedeutung zu. Auf- gilt auch für einen beträchtlichen Teil der heimi- grund ihrere schnell und sensibel reagierenden Po- schen Säugetierfauna. Eindeutige Präferenzen las- pulationsdynamik sind sie hier der meist langfristig sen sich aber, vielleicht mit Ausnahme des Feldha- indizierenden Vegetation klar überlegen (GEISER sens (s.u.), kaum belegen. Studien über Säugetiere 1981). in Agrotopen sind den Verfassern aus Bayern bisher Die Bestandessicherung der im nachfolgenden ge- nicht bekannt. Aus Baden-Württemberg liegt eine nannten Arten setzt eine weitgehende Reduzierung Untersuchung über die Säugetierfauna der Hohlwe- der allgemeinen Belastungen und Gefährdungen ge des Kraichgaus vor (BRAUN 1983). In den rund (vgl. Kap. 1.11) voraus. Unabhängig davon er- 130 untersuchten Hohlen konnten immerhin 20 Ar- scheint eine kontinuierliche Beobachtung ("Monito- ten ermittelt werden, was fast einem Drittel aller in ring") der Zielarten erforderlich, um gffs. geeignete Baden-Württemberg vorkommenden Säugetierar- "Sofortmaßnahmen" einleiten zu können. ten entspricht. Neben dem Feldhasen (Lepus euro- paeus) zeigen noch einige, zum Teil gefährdete, Die Auswahl von Ziel- oder Schlüsselarten kann Kleinsäuger wie Waldspitzmaus (Sorex araneus), sich an verschiedenen Kriterien orientieren, bei de- Feldspitzmaus (Crocidura leucodon, RL 3) und nen der aktuelle Gefährdungsgrad zwar in der Regel Zwergmaus (Micromys minutus, RL 3) eine engere vorrangig ist, andere Kriterien aber ebenso mitbe- Bindung an Agrotope (vgl. dazu Kap. 1.9.1.2). rücksichtigt werden sollten (vgl. auch Kap. 1.10.2). Unter günstigen Voraussetzungen können in Agro- Igel (Erinaceus europaeus) sind gelegentlich in topen naturschutzbedeutsame Arten auftreten (vgl. Hohlwegen und anderen Agrotopen, insbesondere Kap. 1.9), die in anderen Lebensraumtypen ihren im Siedlungsrandbereich, anzutreffen, wo sie nach Schwerpunkt besitzen. In diesem Band sollen daher Fallobst, Insekten, Schnecken usw. suchen (s. auch nur einige ausgewählte Tierarten ausführlicher be- LPK-Band II.12 "Hecken und Feldgehölze", Kap. sprochen werden, für deren Erhalt Agrotope von 1.5.3.1.2). Fledermäuse nutzen vor allem baumbe- zentraler Bedeutung sind. Für die meisten Tiergrup- stande Hohlwege und andere Linearstrukturen als pen liegen leider bisher keine ausreichenden Infor- Orientierungshilfe und Nahrungshabitat. BRAUN mationen über eine Präferenz für Agrotope vor, so (1983) nennt neben baumhöhlenbewohnenden Ar- daß meist auf kursorische Erhebungen im Rahmen ten wie Abendsegler (Nyctalus noctula, RL 3), größerer Gutachten und Zufallsbeobachtungen zu- Graues und Braunes Langohr (Plecotus austria- rückgegriffen werden mußte. Die Angaben zur Ge- cus, RL 2 - Plecotus auritus, RL 3) und Bechstein- fährdung beziehen sich, wenn nicht ausdrücklich fledermaus (Myotis bechsteini, RL 2) auch kleine anders vermerkt, auf die Rote Liste Bayern (LfU Fledermausarten wie die Rauhhautfledermaus 1992). (Pipistrellus nathusii, RL BRD 3, in Nordbayern

Abbildung 1/38 Absolute Dichte (Individuen) von Chor- thippus dorsatus in Wiese II und dem Kor- ridor (ZERBE 1989) (O = keine Fänge)

103 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

"Gast") und Zwergfledermaus (Pipistrellus pipi- auf die Hasenbestände aus. Besonders markant zeig- strellus, RL 3), die Spalten und kleine Fäulnishöhlen ten sich die Einflüsse des landwirtschaftlichen als Quartier nutzen. Fledermäuse werden im Nach- Strukturwandels im Regierungsbezirk Oberfranken. barband II.12 "Hecken und Feldgehölze" (Kap. So korreliert z.B. im Lkr. HO der Anstieg der durch- 1.5.3.1.3) ausführlich behandelt, so daß hier auf schnittlichen Betriebsgröße von 12,9 ha (1974) auf weitere Erörterungen verzichtet werden kann. 19,1 ha (1982) eindeutig negativ mit der Jagd- streckenentwicklung zwischen den Jahren 1974-77 An Beutegreifern sind Fuchs (Vulpes vulpes) und (15,98) und 1978-81 (2,19). Steinmarder (Martes foina) als ubiquitär einzustu- fen, von den anderen Marderartigen (MUSTELIDAE) Weiter geht aus der Analyse die Bedeutung des sind vor allem Mauswiesel (Mustela nivalis) und Nutzflächen-Mosaikes bei der Landbewirtschaftung Hermelin (Mustela erminea, RL 4R) häufiger an hervor, das neben dem Feldhasen für eine ganze Agrotopen anzutreffen, wo sie das reichliche Vor- Reihe weiterer Tierarten (z.B. Rebhuhn, Feldlerche kommen an Kleinsäugern nutzen (vgl. LPK II.12. etc.), aber auch Pflanzenarten eine wichtige Rolle "Hecken und Feldgehölze", Kap. 1.5.3.1.8). Wenig spielt. Auch hier ergaben sich für die drei Teilkom- bekannt ist über die genauen Habitatansprüche des ponenten* durchwegs negative Korrelationen zur Feldhamsters (Cricetus cricetus, RL 3). Der Feld- Streckenentwicklung. Die Autoren folgern daraus, hamster ist als kontinentales Fauenenelement in daß eine Verminderung des Nutzflächen-Mosaikes Mitteleuropa am westlichen Arealrand (Rheinland, einen deutlichen Rückgang der Feldhasenbestände Württemberg, Nordbayern) nur mehr lokal verbrei- zur Folge hat (vgl. dazu auch Kap. 2.3.2.1). Zur tet (nur auf Löß- und Lehmböden). Häufiger ist er Gefährdung durch Agrargifte vgl. Kap. 1.11.1.2.2. nur noch in Mitteldeutschland, in Brandenburg und im östl . Niedersachsen anzutreffen. 1.5.4.2 Vögel Angesichts der zentralen Bedeutung der Agrotope Zu den typischen Vogelarten der offenen Feldflur für den Feldhasen, dessen Populationen in ganz gehören vor allem Feldlerche (Alauda arvensis), Mitteleuropa rückläufig sind, wird auf diese Art im der als Jagdwild eingeführte Fasan (Phaseolus folgenden näher eingegangen, wobei die Raum- colchicus), die Goldammer (Emberiza citrinella) struktur als "Biotopmeßlatte" im Mittelpunkt steht. und das in den letzten Jahren teilweise stark rück- z Lepus europaeus - Feldhase läufige Rebhuhn (Perdix perdix, RL 3). RL BRD: - ; RL Bayern: - Ein enger Zusammenhang zwischen Schlaggröße und Habitatqualität der Feldlerche (Alauda arven- Verbreitung in Bayern : sis)** ist durch umfangreiche autökologische Un- Der Feldhase ist, wie auch das Rebhuhn, in Bayern tersuchungen (SCHLÄPFER 1985; JENNY 1990) noch allgemein verbreitet, mußte aber in den letzten belegt. Nur in kleinstrukturierten und daher nah- Jahren erhebliche Bestandseinbußen hinnehmen. rungsreichen Gebieten kommt die Feldlerche in ho- Ein Vergleich mit der Bestandsentwicklung des her Dichte vor. Die meist relativ großen Schläge in Rebhuhns läßt deutliche Parallelen erkennen, wenn- intensiv genutzten Ackerlandschaften sind als allen- gleich hier der Bestandszusammenbruch auf breiter falls suboptimaler Lebensraum nur dünn besiedelt; Front bereits erheblich früher erfolgt ist (s. u.). die Reviergrößen sind vergleichsweise sehr groß (vgl. Kap. 1.5.3.1 und 1.5.3.2). So wurde auf den Habitatansprüche/Gefährdung: landwirtschaftlich intensiv genutzten Großschlägen des Versuchsgutes Scheyern eine durchschnittliche Untersuchungen von ENGELHARDT et al. (1985: 20 f.) weisen auf deutliche Verknüpfungen zwischen Reviergröße von 3,9 ha ermittelt (PLACHTER et al. Veränderungen in der Betriebsgrößenstruktur und 1991: 85). der Jagdstreckenentwicklung beim Feldhasen hin. z Perdix perdix LINNE, 1758 - Rebhuhn Statistische Auswertungen zeigten jedenfalls "hoch- RL BRD: 3 ; RL Bayern: 3 signifikante negative Zusammenhänge zwischen der Höhe der Hasenstrecken und der mittleren Be- Verbreitung in Bayern triebsgröße bzw. der Flächenanteile der Kleinbetrie- Das Rebhuhn fehlt in den Alpen und den bewaldeten be". Die Autoren nehmen dabei an, daß geringe Mittelgebirgsgegenden, weitgehend auch im südli- (Signifikanz)werte den mittleren Betriebsgrößen ei- chen Alpenvorland (NITSCHE & PLACHTER ner kleinräumig reich strukturierten Landschaft ent- 1987). In den ostbayerischen Grenzgebirgen ist es sprechen und umgekehrt. Strukturelle Veränderun- nur in den Tälern, in der Rhön nur in der Vorrhön gen, die eine Verminderung der landschaftlichen anzutreffen, auch dort jedoch selten. Die Siedlungs- Diversität nach sich ziehen, wirken sich ungünstig dichten sind in den Vorkommensgebieten regional

* Die Bedeutung dieses Nutzflächen-Mosaikes wurde auf der Basis folgender drei Teilkomponenten errechnet: Prozentualer Flächenanteil von Betrieben mit geringer Flächenaufsplitterung (nur 1-2 Parzellen), durchschnittliche Flurstücksgröße und Flächenanteil der drei wichtigsten Feldfruchtarten (Mais, Weizen, Gerste). Die Daten wurden den Erhebungen des Bayerischen Statistischen Landesamtes zur Betriebsgrößenstruktur von 1972 und 1979 entnommen (ENGELHARDT et al. 1985). ** In vorwiegend ackerbaulich genutzten Landschaften korreliert die Häufigkeit der meisten Bodenbrüterarten (wie z.B. Braunkehl- chen, Rebhuhn, Fasan, Wachtel) mit einer hohen Feldlerchendichte (LUDER 1983).

104 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen sehr unterschiedlich: die Angaben reichen nach WÜST (1990: 463) von 1,9 bis 16 Exemplaren pro Quadratkilometer. Im Lkr. Schweinfurt (Reg.-Bez. Unterfranken) wurden in Landschaftsausschnitten mit idealen Habitat-Voraussetzungen durchschnitt- liche Dichten von 10,8 Paaren/km2 ermittelt. Bei der extensiven und wenig technisierten Feldbe- wirtschaftung im Wechsel mit Brache (Egarten- und später Dreifelderwirtschaft) sind nach HÖLZIN- GER (1987: 957) vermutlich stabile und ausgegli- chene, im Vergleich zu heute hohe Bestände vorge- kommen. Obwohl das Rebhuhn in seinen natürlichen Verbrei- tungsgebieten nach wie vor flächenhaft auftritt (auf die Zusammenstellung der ABSP - Angaben kann daher verzichtet werden), ist in den meisten Gebie- ten ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Das Rebhuhn ist fast überall auf Bruchteile seines frühe- ren Bestandes zurückgegangen (ERNST 1970 in Abbildung 1/39 WÜST 1990: 463). Vergleich der Bestandsentwicklung bei den Rebhüh- Eine Gegenüberstellung der Bestandsentwicklung nern im niederbayerischen Inntal und im angrenzen- bzw. der Jagdstrecken im niederbayerischen Inntal den oberösterreichischen Bezirk Braunau (REICH- und im angrenzenden oberösterreichischen Bezirk HOLF 1984) Braunau macht deutlich, daß nicht die witterungsbe- dingten Einflüsse, sondern die einschneidenden Än- derungen der Landschaftsstruktur als primäre Ursa- che für die generelle Bestandsabnahme in Frage Feldfluren mit Getreide-, Zuckerrüben-, Futterrü- kommen (vgl. Kap. 2.3). Im österreichischen Inntal ben-, Kraut-, Mais- und Luzernenanbau sind mit änderte sich die strukturelle Gliederung der Agrar- einzelnen Brachäckern und schmalen Wiesenstrei- landschaft ungleich weniger stark als auf der baye- fen durchsetzt. Dichte Hecken bzw. Busch- und rischen Seite, wo im Zuge von Flurbereinigungen Baumgruppen bieten besonders im Winter gute und anschließender Nutzungsintensivierung vor al- Deckungsmöglichkeiten. Hinzu kommt ein mildes, lem das ursprünglich außerordentlich dichte Netz- regen- und schneearmes Regionalklima. REICH- werk von Ackerrainen nahezu völlig aufgelöst wur- HOLF (1973 in WÜST 1990: 463) hebt die Bedeu- de (vgl. Abb. 1/39). tung der Feldraine entlang der Flurstücksgrenzen sowie bachbegleitender Buschgruppen und Bäume Der bestimmende Einfluß der Landschaftsstruktur in der Feldflur hervor. zeigt sich auch in Untersuchungsergebnissen aus Großbritannien, die sich bei der Auswertung von Die Abbildungen 1/41 bis 1/44, veranschaulichen Rebhuhn-Jagdstrecken ergeben haben. Der Reb- die wechselnde Lebensraumsituation des Rebhuhns huhn-Bestand reagiert demzufolge in der heutigen, im Jahresverlauf (Hölzinger 1987: 958). meist ausgeräumten und intensiv genutzten Agrar- Brutverhalten landschaft wesentlich empfindlicher auf äußere Ein- Wichtigstes Requisit für das Bruthabitat sind nach flüsse (wie z.B. Witterungsschwankungen) als in der HÖLZINGER 1987: 958) Altgrasflächen, in denen überwiegend kleinteilig-extensiv bewirtschafteten das Nest in flachen, mit etwas Nistmaterial ausge- (Halb)-Kulturlandschaft vergangener Zeiten (vgl. kleideten Bodenmulden angelegt werden kann. Abb. 1/40). Wichtig ist, daß der Neststandort bereits bei der Habitatansprüche Anlage des Nestes gute Deckung bietet. WÜST Das Rebhuhn meidet als ausgesprochener Offen- (1990: 464) berichtet auch von Nestfunden in Ge- landbewohner weitgehend geschlossene Waldge- treide-, Luzerne- und Kartoffelfeldern sowie in Wie- biete. Diese Präferenz ist v.a. auf sein Feindvermei- sen. dungsverhalten zurückzuführen. Das Rebhuhn tole- Legebeginn ist frühestens Anfang April. Nachgele- riert wie die Feldlerche nur einen geringen Horizont- ge werden z.T. bis Anfang September bebrütet, die winkel und ist auf "übersichtliche" Lebensräume Jungen verlassen das Nest gleich nach dem Trocken- angewiesen, in denen es die Annäherung natürlicher werden (Nestflüchter). Feinde früh erkennen kann. Das Rebhuhn war ur- sprünglich ein (Wald-) Steppenvogel. Rebhühner Ernährungsweise kommen schwerpunktmäßig in Ackerlandschaften Die Ernährung der Altvögel ist überwiegend pflanz- vor und bevorzugen dort im Winter und Frühjahr die lich (v.a. Getreidekörner, Vogelknöterich etc., regel- Wintergetreideflächen (meist Wintergerste) als mäßig aber auch z.B. Laufkäfer, Ameisen und deren Nahrungs- und Überwinterungsbiotop (HÖLZIN- Puppen, Raupen, Kartoffelkäfer-Imagines, seltener GER 1987: 955). auch deren Larven); die Jungen nehmen dagegen in Nach BANDORF & LAUBENDER (in WÜST den ersten Wochen fast nur kleine Weichtiere zu sich 1990: 463) sind die Ansprüche des Rebhuhns z.B. (bevorzugt z.B. Kartoffelkäferlarven, Ameisenpup- im Maintal bei Grafenrheinfeld optimal erfüllt: die pen).

105 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Reaktionen auf Bewirtschaftungs- und Pflegemaß- schafft ausreichende Sichtkulissen (vgl. Abb. 1/45 nahmen u. 1/46). Auf die Bildung ganzjährig besetzter Rebhuhnrevie- re wirkt sich die Anreicherung von Ackerlandschaf- Werden die potentiellen Bruthabitate (Agrotope) in ten mit Hecken, Baum- und Strauchgruppen, Lese- den Rebhuhn-Brutgebieten zur Brutzeit gemäht, steinhaufen, blütenreichen Feldrainen und Ranken, können außerordentlich hohe Verluste auftreten, da Ackerbrachen und Brachestreifen (Erhöhung der die Tiere nicht flüchten, sondern sich als Schutzre- Agrotopdichte!) positiv aus (vgl. HÖLZINGER aktion auf das Nest "drücken". Landwirtschaftliche 1987: 958). Maschinen sind den Tieren als "harmlose Besucher" angrenzender Ackerflächen vertraut, so daß erst spät In Feuchtwangen konnte durch Neuschaffung von eine Fluchtreaktion ausgelöst wird. Ackerbrachen und Brachestreifen in der Feldfur in für Bayern beispielhafter Weise der negativen Be- Sehr ungünstig ist daher eine Mahd der Agrotope standsentwicklung des Rebhuhns erfolgreich Ein- während der Brutperiode. Läßt sich dies aus bewirt- halt geboten werden (MEßLINGER 1991). schaftungstechnischen Gründen nicht umgehen, In ausgeräumten Feldfluren ohne Deckungs- und empfiehlt HÖLZINGER (1987) die Mahd mit 30-40 Äsungsflächen kommt es bestenfalls zur Ausbil- cm hoch eingestelltem Mähbalken durchzuführen, dung individuenarmer, labiler Rebhuhnbestände. da dann die Samenstände der (von den Landwirten bekämpften) Wildkräuter entfernt werden, die Ver- Landschaften mit geringer Struktur und kurzen luste unter den brütenden Rebhühnern aber gering Grenzlinien können nur einen geringen Rebhuhn- bleiben. Bestand tragen, weil die territorialen Rebhühner (außer im Winter) auf Sichtkontakt zu Artgenossen Noch günstiger ist es allerdings, besonders in Land- aggressiv reagieren. schaftsbereichen ohne schützende Gehölzstruktu- ren, immer einen Teil der Agrotope jahrweise ganz Ideal sind dagegen mosaikartig in die Nutzflächen ungemäht zu belassen, um Deckungsflächen für die eingestreute Agrotopstrukturen. Eine kleinparzel- Zeit der Vegetationsruhe zu sichern. Als Winter- lierte Flur mit hohem Strukturreichtum fördert die deckung sind insbesondere auch schirmförmig ge- Ansiedlungsmöglichkeiten der Rebhühner und ver- wachsene Hecken und Einzelsträucher geeignet,

Abbildung 1/40 Abhängigkeit der Veränderung in den Rebhuhn-Jagdstrecken (in%) von der Abweichung der Frühjahrstemperaturen ("spring temperature anomaly") für die Zeit vor und nach dem Einsatz von Agro- chemikalien und Flurbereinigungen in Großbritannien (POTTS 1970, in ENGEL- HARDT et al. 1985: 269);obere Graphik = für die Jahre 1956-1968, untere Graphik = für die Jahre 1888-1897 und 1928-1937

106 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/41 Im Frühjahr lösen sich die Ketten (Familienverbände) auf, die Paare verteidigen ihr Territorium. Wintergetreide bildet Deckung und ist jetzt die wichtigste Nahrung (HÖLZINGER 1987: 958).

Abbildung 1/42 Deckung und Nahrung (ausreichend breite, blütenreiche Raine) sind im Sommer reichlich vorhanden. Die Küken nehmen in den ersten drei Wochen Insektennahrung (Käferlarven, Ameisenpuppen etc.) auf (HÖLZINGER 1987: 958).

Abbildung 1/43 Mit der Ernte wird die Deckung in der Feldflur spärlicher, die Nahrungsbedingungen sind noch gut (wichtig: Stoppelbrache!) (HÖLZINGER 1987: 958)

Abbildung 1/44 Im Winter sind die Rebhühner an sehr wenige Nahrungsplätze gebunden und sind dort (bei fehlender Deckung durch Hecken oder Altgrasfluren) zwangsläufig den Beutegreifern gegenüber exponiert (HÖLZINGER 1987:

107 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/45 Unzureichende Biotopausstattung (geringe Grenzliniendichte, Rebhuhn von Beutegreifern leicht zu kontrollie- ren) (HÖLZINGER 1987: 959) weil diese Deckung von oben und von der Seite z Oenanthe oenanthe LINNE, 1758 - Stein- bieten. Besenartig gewachsene Gehölze sind dage- schmätzer gen als Rebhuhndeckung nur nutzbar, wenn sie von RL BRD: 3 ; RL Bayern: 1 einem Saum begleitet werden. Verbreitung in Bayern Ungünstig wirkt sich auch Dünger- und Pestizidein- In Bayern sehr seltener Brutvogel, dessen wichtigste trag in die Agrotope aus. Rebhuhnküken benötigen Brutgebiete in Unterfranken (insbesondere um in den ersten Wochen die sehr energiereiche Insek- Würzburg und Aschaffenburg) und in benachbarten tennahrung zur Stabilisierung ihrer Körpertempera- Gebieten Mittelfrankens liegen. Im übrigen Bayern tur. In Perioden naßkalter Witterung ist die Bilanz nur noch lokal (meist einzelne Paare) vorhanden. Energieaufwand zur Nahrungssuche/Energieaus- Aus strukturarmen Agrarlandschaften ist die Art beute durch Insektenfang nur in sehr insektenrei- verschwunden (vgl. auch LPK-Band I.1 "Kalkma- chen Lebensräumen positiv (ist sie negativ, verhun- gerasen", Kap. 1.5.2.2.1). gern und erfrieren die Küken). Blütenreiche Agro- tope mit ihrer arten- und individuenreichen Insek- Habitatansprüche tenfauna sind für den Aufbau vitaler Rebhuhnbe- Als Bruthabitat des Steinschmätzers eignen sich of- stände daher sehr wichtig; dementsprechend wirkt fene, trockene, vegetationsarme und steinige Partien sich eine Reduktion des Pestizideinsatzes auf den in Abbaugebieten (vgl. LPK-Bände II.17: "Stein- Feldern positiv auf das Nahrungsangebot für die brüche" sowie II.18: "Kies-, Sand- und Tongru- Rebhühner aus. ben"), Bauschutt-Ablagerungen und Industriebra- chen, sowie Felsfluren und Geröllhalden in Kalkma- Rebhuhn-Fütterungen (vgl. HÖLZINGER 1987: gerrasen-Lebensraumkomplexen (vgl. LPK-Band 963) stellen keine nachhaltige Hilfe für Rebhuhn- II.1 "Kalkmagerrasen"). Populationen dar: Sie verbessern lediglich das Nah- Süd- bis Südost-Hanglagen werden nach HÖLZIN- rungsangebot für Altvögel im Winter, wirken bei GER (1987: 1255) deutlich bevorzugt. Einzelaufstellung als Rebhuhnfallen, die von Beu- Im Jura, in der Rhön und auch im Ostbayerischen tegreifern gezielt aufgesucht werden und beheben Grenzgebirge zählen Lesesteinwälle und Wein- nicht den Mangel an Sichtschutz im Sommer und an bergsgelände mit alten Stützmauern zu den wichtig- Deckung im Winter. Dagegen bewirkt die Einbrin- sten Bruthabitaten (vgl. WÜST 1987: 1092). Sobald gung ungemähter Agrotopstrukturen in ausgeräum- eine vom Steinschmätzer besiedelte Fläche ihren te Landschaften eine Erholung der Bestände. offenen, übersichtlichen Charakter verliert, z.B. we-

108 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen gen Aufkommen zu hoher und dichter Vegetation, Weitere Arten, die Agrotope zumindest als Teille- verschwindet die Art als Brutvogel. bensraum nutzen, werden im LPK-Band II.12 Brutverhalten: "Hecken und Feldgehölze" ausführlich besprochen. Bodenbrüter, der sein Nest bevorzugt in Felsspalten, Lücken und Löcher alter Mauern, Steinhaufen- und 1.5.4.3 Reptilien wällen und Erdlöchern anlegt; Brutbeginn: Mai; Brutdauer und Nestlingsdauer jeweils ca. 14 Tage. Reptilienvorkommen sprechen für die Biotopquali- Ernährungsweise: tät der Agrarlandschaft. Unbestritten ist der Wert carnivor; v.a. Insekten (Käfer- und Käferlarven, agrotop-immanenter Qualitäten (Steinriegel, Mau- Schmetterlingsraupen, Heuschrecken), aber auch ereinstürze, steinblockreiche Weg- und Straßenbö- andere kleine Wirbellose (Spinnen, Würmer, kleine schungen usw.) für gefährdete bzw. potentiell ge- Schnecken). fährdete Arten wie Kreuzotter (Vipera berus, RL 2), Zauneidechse (Lacerta agilis, RL 4R) und Ber- Reaktionen auf Bewirtschaftungs- und Pflegemaß- geidechse (Zootoca vivipara) (vgl. Kap. 1.9.1.2). nahmen Trotz ihrer Vorkommen in "synanthropen" Lebens- Gefördert wird der Steinschmätzer durch offene Bo- räumen wird der Zauneidechse die höhere Einstu- denflächen oder Bereiche mit nur schütterem oder fung zuerkannt, erlitten die von ihr bevorzugten niedrigwüchsigem Bewuchs, die es ihm erleichtern, Biotope (vgl. unten) gerade in den letzten Jahren Insekten zu erbeuten. Insektizideinsatz in Stein- noch einmal deutliche Flächenverluste (HEUSIN- schmätzer-Brutgebieten entzieht der Art die Nah- GER et al., in LfU 1992), nicht zuletzt durch die rungsgrundlage. massierte Bebauung der Hangbereiche in Ortsrand- lage (vgl. Kap. 1.11.1.1.5). Einzelstehende Gehölze werden als Singwarten an- genommen. Verbrachung ist dagegen wegen des Aufkommens höherer und dichterer Vegetation, die z Coronella austriaca LAUR. - Schlingnatter den Beuteerwerb behindert und die "Übersichtlich- RL BRD: 3 ; RL Bayern: 3 keit" seines Lebensraumes einschränkt, ungünstig. Po- sitiv sind dagegen insektenreiche, niedrigwüchsige Verbreitung in Bayern Raine und Ranken und alte, teilweise schadhafte Die Schlingnatter meidet die höheren Lagen und Trockenmauern als Brutplatz. Einzelne Gehölze und fehlte wohl auch schon früher in Teilen des Tertiären Gehölzgruppen wirken positiv, Vernachlässigung der Hügellandes; in vielen Regionen Mittelbayerns völ- Pflege mit Tolerierung stärkerer Gehölzsukzession ist lig oder weitgehend verschwunden, in Nordwest- in Steinschmätzer-Brutgebieten jedoch sehr problema- bayern erheblicher Rückgang, nur in Nordostbayern tisch. Künstliche Nistkästen (z.B. in aufgeschütteten und den Alpen noch weiter verbreitet (Übersichts- Steinhaufen angebracht) können in Agrotopen zusätz- karte zur Verbreitung der Schlingnatter in Nordost- liche Nisthilfen schaffen (siehe HÖLZINGER 1987: bayern siehe LPK-Band II.1 "Kalkmagerrasen"). 1257). Habitatansprüche Zu den gefährdeten Offenlandarten, die auf eine Die Schlingnatter benötigt warme und trockene Bio- reich strukturierte Kulturlandschaft angewiesen tope (xerothermophile Art), bzw. Gelände, das nach sind, zählen auch Grauammer (Miliaria calandra, Regenfällen rasch abtrocknet: S- bis SW-exponierte RL 2), Wachtel (Coturnix coturnix, RL 2), Ortolan Hanglagen mit steinigem Untergrund z.B. Schutt- (Emberiza hortulana, RL 2) und Wendehals (Jynx und Geröllhalden, aber auch Bahndämme, Ranken torquilla, RL 2). Letzterer besucht auch Weinbergs- mit Steinhaufen und Lesesteinriegel. Optimalbio- mauern regelmäßig, um seinen Nahrungsbedarf in tope zeichnen sich durch eine heterogene Vegetati- Form von Ameisen zu decken (AUVERA 1966). onsstruktur mit einem kleinräumigen Mosaik aus

Abbildung 1/46 Ideale Biotopausstattung (hohe Grenzli- niendichte durch kleinparzelliertes Nut- zungsmosaik, zahlreiche Sichtkulissen durch gliedernde Feldraine), aus HÖLZIN- GER (1987: 959)

109 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Einzelbäumen, Gebüschgruppen, grasigen Partien bergsgebieten auch Trockenmauern) wirkt sich auf und vegetationsfreien Flächen aus. Vor allem in die Schlingnatterbestände äußerst negativ aus. Gebieten, denen trockenwarme Flächenbiotope feh- len, spielen Agrotope als Bestandteile von Schling- Ebenso nachteilig können sich qualitative Verände- natterhabitaten eine zentrale Rolle. Vegetationsarme rungen der Agrotopstrukturen auswirken: Zu- bzw. bzw. -freie Flächen, sowie Steinhaufen, Lesestein- Überwachsen der offenen Bodenpartien und Stein- riegel und Trockenmauern bieten der Schlingnatter flächen nimmt der Schlange die Möglichkeit, Wär- einen geeigneten Sonnplatz; deckungsreiche Vege- me zu "tanken". Ersatz alter, spaltenreicher Mauern tation, Steinplatten und Felsblöcke werden als Un- durch verfugte neue Mauern vermindert die Rück- terschlupf genutzt. zugsmöglichkeiten. Insektizid- und Düngeeinfluß dezimiert die Insektenfauna der Agrotope, die direkt In den Landkreisen Bayreuth, Kronach (SCHRIK- (Jungtiere) und indirekt (Rückgang der gleicher- KER 1987), Nürnberger Land und Forchheim maßen auf reiches Kleintierangebot angewiesenen (MEIER 1989) wurde übereinstimmend eine Bevor- Zauneidechsen als Hauptbeute adulter Schlingnat- zugung von Trockenstandorten festgestellt. Diese tern) eine unverzichtbare Nahrungsgrundlage für kann u.a. darauf zurückgeführt werden, daß sich die die Art darstellt. Positiv wirken eingestreute Sonder- Art hauptsächlich von Kleinsäugern (Mäusen), Ei- strukturen wie Steinhaufen, Holzstücke, Gehölze dechsen und kleinen Schlangen ernährt, wobei die (Unterschlupf). Hauptnahrung juveniler Schlingnattern jedoch Ar- thropoden (Spinnen, Insekten) darstellen, die in struktur- und blütenreichen Raine noch am ehesten z Lacerta agilis LINNE, 1758 - Zauneidechse zur Verfügung stehen. RL BRD: - ; RL Bayern: 4R Die Schlingnatter führt saisonale Wanderungen zwi- schen südexponierten Hecken und Steinmauern Verbreitung in Bayern bzw. -riegeln (Aktionsradius 20 - 100 m2/Tier) als Frühjahrs-/Herbsthabitat (zugleich vielfach Winter- Die Zauneidechse ist in Bayern noch weit verbreitet; quartier) und den Sommerhabitaten (größerer Akti- zeigt aber in ausgeräumten, strukturarmen Land- onsradius) durch. Sie kann als typische Art struktur- schaften starke Rückgangstendenzen und ist hier auf reicher, extensiv genutzter Landschaften gelten Agrotope konzentriert. Sie wird daher hier berück- (Biotopkomplexbewohner). sichtigt. Wie bei der Schlingnatter liegen aus den meisten Landkreisen aktuelle Fundmeldungen vor. Reaktionen auf Bewirtschaftungs- und Pflegemaß- Die Zauneidechse ist insgesamt weniger anspruchs- nahmen voll und häufiger als diese, zeigt jedoch in (landwirt- Die Ausdünnung der Agrotopstrukturen (insb. Ran- schaftlich) intensiv genutzten Teilen Bayerns einen ken mit Steinhaufen und Lesesteinriegeln, in Wein- unübersehbaren "Rückzug aus der Fläche", d.h. ei-

Abbildung 1/47 Sonnplatz-Habitat der Zauneidechse (BLAB et al. 1991: 24)

110 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen nen deutlichen Rückgang der Besiedlungsdichte wenn selbst in diesen letzten Refugien der Arten- (vgl. GLANDT & BISCHOFF 1988). schwund weiter fortschreitet. Habitatansprüche Unter den neu aufgenommenen Arten der Roten Unbewaldete, mäßig verbuschte xerotherme Berei- Liste (LfU 1992) finden sich inzwischen selbst "an- che mit spärlich- bzw. unbewachsenen Partien an spruchslose" und bis dato häufige Arten wie z.B. steilen Ranken, Geländekanten, Wegeinschnitten Clossiana euphrosyne (Frühester Perlmuttfalter), La- (Hohlwegen) und Lesesteinriegeln bilden einen siommata maera (Braunauge), Colias hyale (Golde- Schwerpunktlebensraum der Zauneidechse. Im kon- ne Acht) (alle 4 R) oder der Scheckenfalter Melitaea tinentalen Bereich ist sie als euryotope Art in meh- cinxia (RL 2 !). reren weiteren Biotoptypen vertreten: v.a. Halb- trocken- und Trockenrasen (vgl. LPK-Band II.1 Die deutschen Namen und die Einteilung in Ökoty- "Kalkmagerrasen"), Zwergstrauchheiden, aber auch pen ("Leguminosenbläulinge", "Grasfalter" usw. ) Böschungen von Bahn- und Straßentrassen, Ru- beziehen sich weitgehend auf WEIDEMANN deralflächen und Gärten. (1995). Im folgenden werden zunächst Tagfalter und nachtaktive Großschmetterlinge ("Nachtfal- Alttiere bevorzugen Flächen, die mit niedriger, krau- ter") behandelt. FETZ (1994) verdanken wir einen tiger Vegetation bedeckt sind, während Jungtiere kursorischen Einblick auf Kleinschmetterlingsar- verstärkt unbewachsene bis sehr spärlich bewachse- ten, die unter anderem in Agrotopen (Rainen, Ran- ne Flächen aufsuchen. Zur vollständigen Habita- ken) vorkommen können. tausstattung gehören sonnenexponierte, unbewach- sene, oft steinige Plätze zum Sonnenbaden; ebenso Rohbodenstellen, Materialentnahmestellen, Steintrif- ist in diesen vegetationsfreien Teilflächen ein locke- ten res, mäßig feuchtes Substrat notwendig, in dem das Weibchen sein Gelege vergraben kann (ca. 6 bis 8 Manche extrem wärmebedürftigen Arten, die sich cm tief). heute weitestgehend auf sog. "Volltrockenrasen" (Erdseggenrasen etc.) zurückgezogen haben, waren In Sandgebieten nutzen Zauneidechsen die aus fest- früher auch in Halbtrockenrasen weitverbreitet. In- getretenem Sand bestehenden Wege als Eiablage- tensive Schafbeweidung, Acker-Grünland-Wech- plätze. Nach KRÜGER-LEVINA (1992) nutzen sie selnutzung und Materialentnahmestellen schufen dabei traditionell immer die gleichen Wegeabschnit- Flächen mit hohem Geröll- und Rohbodenanteil und te mit konstanter Habitatqualität (geringe Neigung, damit bodennah besonders warmem Mikroklima. gewisse Bindigkeit des Substrats, schwach verdich- tete Orterde, kleine Wegabbrüche u. dgl.). Weiter Besonders wertvoll sind Rohbodenstellen, die Fal- sind Erdhöhlen, Wurzelbereiche von Bäumen oder tern Saugblüten bieten wie Coronilla varia oder Sträuchern, dichtes Gebüsch sowie größere, lose Stachys recta (WEIDEMANN 1995 beobachtete in aufliegende Steine notwendige Habitatrequisiten einer Magerrasenstörstelle im Oberpfälzer Jura hier (Abb. 1/47). u.a. die Bläulinge daphnis, argus und argyrogno- Zusätzlich ist ein reichhaltiges Insektenangebot Vor- mon, das Blutströpfchen Zygaena ephialtes (auf Co- aussetzung für den Aufbau individuenreicher Zaun- ronilla) sowie den Scheckenfalter Melitaea diami- eidechsenbestände in Agrotopen. na (Stachys). Reaktionen auf Bewirtschaftungs- und Pflegemaß- Das Brechen von Kalkstein zur Aufschotterung der nahmen Feldwege war eine weit verbreitete Winterarbeit der Insektizid- und Düngereinwirkung entzieht den Bauern an der Juralandstufe in ganz Franken (Dipl.- Zauneidechsen die Nahrungsgrundlage und wirkt Geol. F. LEITZ, Redwitz, zit. in WEIDEMANN sich über die Entstehung uniformer, hochwüchsiger 1995). Im Wegfall dieser traditionellen Nutzungs- Pflanzenbestände (Vergrasung oder Verhochstau- form (der "Werkkalk" ist infolge seines hohen Ton- dung) zusätzlich negativ aus. Verbrachung hat ähn- gehaltes nicht zuverlässig frostbeständig und wurde liche Folgen für die Vegetation und Kleintierwelt später durch industriell abgebauten Massenkalk er- und führt längerfristig ebenso zum Erlöschen von setzt) vermutet WEIDEMANN eine Hauptursache Zauneidechsenkolonien. Darüberhinaus können für den Rückgang früher häufiger Xerothermarten Wegebaumaßnahmen in erheblichem Umfang zur wie Berghexe (Chazara briseis), Segelfalter (Iphi- Schrumpfung von Zauneidechsen-Populationen clides podaliris), Bläulingsarten, Skabiosen-Schwär- beitragen (vgl. Kap. 2.3.2.4). mer (Hemaris tityus), Wolfsmilchschwärmer (Hy- les auphorbiae) oder Bärenspinner Arctia aulica (s. 1.5.4.4 Schmetterlinge Abb. 1/48).

Viele Schmettlingsarten, insbesondere die meisten In den kräuterarmen, zeitweise "scharf" beweideten Tagfalterarten, benötigen größerflächige, ungestörte Steintriften können Grasfalter wie die Rostbinde Lebensräume wie artenreiches Grünland, Trocken- (Hipparchia semele) dominieren. KÖHLER (zit. in rasen oder Feuchtwiesen. Nach dem Verlust dieser WEIDEMANN 1995) beobachtete an Steintriften Biotope haben sich zahlreiche Arten auf besonnte im Kyffhäuser die Eulenfalter Hadena irregularis blütenreiche Wegraine, Hohlwegsäume usw. zu- (an Gypsophila), Cucullia campanulae (an Campa- rückziehen können und kommen heute teilweise nula rotundifolia) und Chersotis multangula (an sogar bevorzugt dort vor. Um so bestürzender ist es, Galium).

111 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/48 Materialentnahmestellen in der nördlichen Frankenalb (aus WEIDEMANN 1995: 128f)

Straßenbefestigungshalden sind heute teilweise ge besonders günstige Mikroklimabedingungen fin- letzte Refugien für den "Fränkischen Apollo" (Par- den sich über unbewachsener Erde, Geröll, über nassis apollo ssp. melliculus). Dessen Raupen leben Pflasterwegen und Steintreppen. Durch Straßen- in der Wimpernperlgrasflur mit der Futterpflanze und Wegebau kann die Art zwischenzeitlich begün- Weiße Fetthenne (Sedum album). WEIDEMANN stigt werden, wenn es dadurch zu einer Massenver- nennt für die gesamte nördliche Frankenalb ledig- mehrung von Umbelliferen an Störstellen kommt. lich noch zwei "Ersatzbiotope" discestalt händisch aufgeschichteter Straßenstützungshalden in steilem Reaktionen auf Bewirtschaftungs- und Pflegemaß- Gelände. Andere Apollo-Kleinarten (z.B. Apollo nahmen vinnigensis) besiedeln auch Weinberge mit alten Ungünstig für den Schwalbenschwanz (wie auch für Trockenmauern. zahlreiche weitere Falterarten) ist das Mulchen, z Papilio machaon LINNE, 1785 - Schwalben- mehrmalige Mahd pro Jahr und Totalmahd. Günstig schwanz ist nach EBERT & RENNWALD (1991/a: 222) RL BRD: 3 ; RL Bayern: 4R etappenweise durchgeführte Mahd mit alternierend ungemähten Parzellen. Verbreitung in Bayern Der Schwalbenschwanz ist in Bayern noch allge- Leguminosenreiche (Kalk) magerrasenböschungen mein verbreitet, lokal aber bereits selten. in Wärmegebieten sind Refugialhabitat für zahlrei- che weitere, großenteils rückläufige Bläulinge, so Habitatansprüche für den Silber-Bläuling (Lysandra coridon), nach- Der Schwalbenschwanz besiedelt die unterschied- gewiesen z.B. von ZEHLIUS, 1992 briefl. im Be- lichsten Lebensräume: Neben Kalkmagerrasen (vgl. reich der Pleintinger Lößranken und im Freinhause- LPK-Band II.1 "Kalkmagerrasen") und Pfeifen- ner Rankengebiet, die beiden "Wundklee-Bläulin- grasstreuwiesen (LPK-Band II.9) zählen dazu auch ge" Cupido minimus und Plebicula dorylas (hyalas), Agrotope, die in magerrasen-armen Landschaften die "Kronwicke-Spezialisten" Zahnflügel-Bläu- von besonderer Bedeutung für die Art sind. Ent- ling (Meleageria daphnis) und Kronwicken-Silber- scheidend für die Eignung als Raupenhabitat (der fleckbläuling (Lycaeides argyrognomon). Felsige Falter ist ein weit umher vagabundierender r-Strate- Wegränder mit reichlich Quendel (Thymus serpyllum ge) ist das Vorhandensein geeigneter Futterpflanzen agg.) benötigt der seltene Quendel-Bläuling (Pseu- mit aromatischen Jungtrieben oder deren Sämlingen dophilotes baton), der heute wohl nur noch verein- an besonnten Stellen (Kleinklima!), die für das zelt in der Altmühlalb und im Oberpfälzer Jura Weibchen gut erreichbar sind. anzutreffen ist. Als Raupennahrung dienen neben der vielzitierten, Alte Trockenmauern in Weinbergslandschaften, aber als Raupennahrung "wenig ergiebigen" (WEI- aber auch Bahndämme und Straßenmauern in Wär- DEMANN 1995) Wilden Möhre insbesondere auch megebieten (neben Mainfranken wahrscheinlich Roßkümmel (Silaum silaus, Kleine Bibernelle noch isolierte Restpopulation in der Altmühlalb und (Pimpinella saxifraga), Pastinak (Pastinaca sativa), im Donautal) sind typische Ersatzbiotope für den Berg-Fenchel (Peucedanum oreoselinum). Der Arz- stark rückläufigen Fetthennen-Bläuling (Scolitan- nei-Haarstrang (Peucedanum officinale) ist für tides orion), der primär steile besonnte Felshänge WEIDEMANN "in Gipskeupergebieten wie Stei- besiedelt. Anders als der Apollofalter, dessen Raupe gerwald oder Grabfeldgau die beste, ganzjährig be- Sedum album in ausgesprochenen Xerothermlagen freßbare Raupenpflanze". Die Position der Eiabla- befrißt, benötigt der Fetthennen-Bläuling neben gut gepflanze muß es dem Weibchen ermöglichen, von ausgebildeten Sedum maximum-Beständen (ersatz- unten anzufliegen und die zur Ablage erforderliche weise auch Sedum album) offenbar eine etwas hö- Hinterleibskrümmung auszuführen. Für die Eiabla- here Luftfeuchte und meidet ganztägig prall besonn-

112 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen te Lagen (WEIDEMANN). Regelmäßig wiederkeh- Dort, wo die Raupenfutterpflanze Sanguisorba rende Böschungsbrände haben die Futterpflanze in minor unter besonders warmen Kleinstandortbedin- der Vergangenheit begünstigt (vgl. auch LPK-Band gungen wächst (z.B. an frisch angelegten Wegbö- II.2 "Dämme, Deiche und Eisenbahnstrecken"). schungen), findet man bisweilen den Wiesenknopf- Würfeldickkopf (Spialia sertorius). Agrotope mit Wiesenknopfbeständen (insb. in Nie- dermoorgebieten) können Larvalhabitate des Dunk- Auf Wegebanketten, aber auch leicht aufgedüngten len Wiesenknopf-Ameisen-Bläulings (Maculinea Streuwiesenrändern (auch Grabenrändern) mit nausithous, RL Bayern 3) darstellen. Bemerkens- reichlich Heilziest (Stachys betonica) sind Falter werterweise ist er nicht auf den Stromtalwiesen mit und Raupen vom Heilziest-Dickkopf (Carcharodus großen Wiesenknopfbeständen, sondern nahezu flocciferus) anzutreffen. Verbreitungsschwerpunkte ausschließlich an wecheltrockenen Straßenböschun- sind offenbar das Chiemseegebiet sowie südlich des gen, Dämmen, Wegrändern sowie an sporadisch Ammersees bis zum Alpenrand. gemähten Rändern mehrjähriger Streuwiesenbra- chen zu finden. Offenbar meiden die Wirtsameisen* Mahd begünstigt zwar die Keimung von Betonica (angegeben werden Myrmica sabuleti u. M. rubra) (Eiablage an einjährigen Pflanzen), gefährdet aber Überschwemmungszonen. Auch der gefährdete gleichzeitig das Überleben der Raupen, so daß ein Maculinea telejus (Heller Wiesenknopf-Ameisen- Mosaik aus gemähten und stehengelassenen (ggf. bläuling) scheint auf trockenere Saumstandorte streugenutzten) Bereichen günstig erscheint. (Grabenränder, Wegraine) innerhalb von Streuwie- Durch Wegebau vorübergehend begünstigt werden senlebensräumen (vgl. LPK-Band II.9) angewiesen offenbar auch einige Würfeldickkopffalter, deren zu sein. Ähnliches gilt wohl auch für den Braunen Raupen, anders als die "Grasdickkopffalter" (HE- Feuerfalter (Lycaena tityrus, Raupe an Rumex). SPERIINAE und HETEROPTERINAE) von zweikeim- blättrigen Pflanzen leben. Hochgrasige Säume, un- Stark rückläufig ist der Wegerich-Scheckenfalter gemähte Weg- und Straßenränder in der offenen (Melitaea cinxia), der sich vielerorts von früher Landschaft, gerne Ruderalstellen mit Disteln als beweideten exponierten Kuppen auf stark betretene Falternahrung, schätzt der Schwarzkolbige Dick- Weg(ränder) mit Wegerich (P. m ed ia und P. la nc eo - kopf (Thymelicus lineolus). Der Dickkopffalter lata) zurückgezogen hat. Die Art ist vor allem durch dürfte ohne halbruderale Magerrasen an Acker- und die zunehmende Verbuschung bedroht. Störstellen Weinbergsböschungen sogar gänzlich fehlen in Kalkmagerrasen (zeitweise als Holzlager genutz- (EBERT & RENNWALD 1991a: 77). Zu nennen ist te Wegraine u.ä.) schätzt auch der Rote Schecken- weiterhin der Leguminosen-Dickkopffalter (Eryn- falter (Melitaea didyma). nis tages) an Wegrändern mit einem Mosaik aus Unter günstigen Bedingungen können in mageren, niedrigwüchsiger Vegetation und offenen Boden- trockenwarmen Säumen Kalkmagerrasen-Charak- stellen. Inmitten der Ackerflur macht Erynnis tages terarten auftreten, z.B. der anspruchsvolle Matt- seine Entwicklung auf ungeteerten Feldwegen scheckige Braundickkopffalter (Thymelicus ace- durch (EBERT & RENNWALD 1991/b: 446). ton, RL 3), eine Art leicht ruderalisierter, halb- Der Kleine Würfel-Dickkopffalter (Pyrgus mal- trockenrasenartiger Vegetationsbestände. vae) besiedelt ebenfalls Feld- und Wiesenraine so- wie krautreiche Wegränder. Von mechanisch gestörten (beweidet, Bodenver- wundungen) Magerrasenrainen profitieren auch Die typische Begleitflora (z.B. Euphorbia cypa- Dickkopffalter (Hesperiidae) wie der Spätsom- rissias oder Sedum album) bietet auch zahlreichen mer-Würfeldickkopf (Pyrgus cirsii), der auf Ru- für diesen Agrotoptyp charakteristischen Phytopha- deralstellen innerhalb von Trockenrasen angewie- gen Nahrung (vgl. MÖLLER 1985), etwa dem sen ist, wo die Fraßpflanze Potentilla reptans konti- Wolfsmilchschwärmer (Clerio euphorbiae), dem nuierlich wächst (selten in mainfränkischen Trocken- Trockenmauer-Steinspanner (Gnophos obscura- gebieten). Ähnliches gilt für den Malven-Dickkopf tus), dem Steinspanner (Scopula marginepuncta- (Carcharodus alceae), der neben ruderalisierten ta), dem Veränderlichen Staudenspanner (Sterr- Trockenrasen auch Grabenränder, Dämme und ha degeneraria) oder dem Bräunliche Felsflur- Wegraine besiedelt. Die graubraun marmorierten spanner (Sterrha eburnata). Falter sind an die staubigen Wege ihrer heißen offe- nen Vorkommensorte gut angepaßt; die Raupen le- Als wichtige Ursache für den Rückgang von "stör- ben in "Blattüten" eingesponnen an Malvengewäch- stellen-abhängigen" Arten vermutet WEIDE- sen (Althea, Malva spec.). Warme Weg- und Wald- MANN (1995: 139) das heutige Fehlen von klein- ränder sind auch bevorzugte Vorkommensorte vom flächigen Brandstellen. So scheint der Feuerfalter Leguminosen-Dickkopf (Erynnis tages), dessen Lycaena phlaes, dessen Raupe den Kleinen Sauer- Raupen in Blättern von Lotus corniculatus, Coronil- ampfer befrißt, ehemalige Brandstellen zu bevorzu- la varia oder Hippocrepis leben. gen.

* Zahlreiche Lycaenidenraupen sind myrmikophil; sie gewähren Ameisen Düsensekrete und erhalten im Gegenzug Schutz vor Feinden. "Kleptomane Raupen" wie z. B. von M. nausithous werden gemeinsam mit der Ameisenbrut im Erdnest gefüttert, dadurch können sich viele Bläulingsraupen im Nest aufhalten, die Falterpopulationsdichten sind hoch bis sehr hoch.

113 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Grasfluren ("Grasfalter") die Art schädlichen Eutrophierungseinfluß. Nach Die Artzugehörigkeit der Gräser ist offenbar von MIOTK (1992, mdl.) ist hingegen diese Präferenz weit geringerer Bedeutung als der jahreszeitlich un- nicht überall ausgeprägt (um Triesdorf auch in terschiedliche, vom jeweiligen Entwicklungstand Schmalrainen). abhängige Nährstoffgehalt. Kurz bevor das jewei- Unter den "Gras-Dickkopffaltern" (HESPERIINAE) lige Futtergras erblüht, haben die Raupen ihre ist der Braunkolbige Braundickkopf (Thymelicus Hauptfreßphase und verpuppen sich. Eine solche sylvestris) die am engsten an Saumstrukturen (Wald- Anpassung an die Produktionswellen des Biotops ist ränder, - lichtungen, Wiesenraine, Dämme) gebun- zwingend für wenig mobile Raupen (wie Hippar- dene Art. Befressen werden Gräser verschiedener chia und Erebia-Arten). Beweglichere Raupen (z.B. Gattungen (Agrostis, Dactylis, Festuca, Poa). Die Lasiommata-Arten) können herumkriechend be- Falter saugen gerne an Centaurea und Stachys beto- freßbare Gräser suchen. Grundsätzlich scheint das nica. Mehr frisch-feuchte Saumstandorte (Waldwe- Raupenwachstum mit solchen Produktionswellen, ge etc.) werden vom Komma-Dickkopf (Ochlodes die Falterflugzeit mit "Blumenwellen" (vgl. auch venata) besiedelt. Neben hochproduktiven Gräsern KRATOCHWIL 1983) des jeweiligen Standortes wie Festuca arundinaria, Poa pratensis oder Cala- synchronisiert. Oft ist das bodennahe Kleinklima mogrostis werden manche anderen Gräser (z.B. Mo- der Eiablagepflanze von ebenso großer Bedeutung linia) nur von speziellen Standorten (i.d.R. "wüch- wie das Vorhandensein der Raupenfraßpflanze (vgl. sigere") angenommen. Kap. 1.5.1.1). Felsbandfluren, Mauerkronen z Melanargia galathea LINNE; 1758 - Schach- Mauerkronen mit Felsgrusgesellschaften, u.U. auch brett Geröllhalden (Straßenstützungshalden) können Le- RL BRD: - ; RL Bayern: 4R bensraum sein für Eulenfalter (z.B. Apamea plati- nea), für Spanner der Gattung Gnophos sowie für Verbreitung in Bayern den Apollofalter (Parnassius apollo), dessen Rau- Noch überall verbreitet, aber in intensiv genutzten pe an Weißer Fetthenne (Sedum album) lebt. Agrarlandschaften deutlicher "Rückzug aus der Flä- Der Mauerfuchs (Lasiommata megara) ist auf fel- che". Hier schwerpunktmäßig in Agrotopstrukturen. sigen Gipfelpartien, über Burgruinen, aber auch an Habitatanprüche steilen Böschungen mit Erdanrissen, entlang von Entscheidend für das Vorkommen des Schachbretts Trockenmauern und in aufgelassenen Entnahmegru- sind unbeschattete, magere, struktur- und blütenrei- ben anzutreffen. Die Raupe lebt an Störstellen und che, zum Zeitpunkt der Eiablage Ende Juli und Wegrändern und befrißt dort sowohl Magergräser August hochwüchsige (ungemähte) Grasbestände (z.B. Festuca ovina) als auch Fettwiesenarten wie (vgl. EBERT & RENNWALD 1991b: 11). Die Fal- Knaulgras. Die Falter besuchen violette Körbchen- ter saugen gerne an etwa kniehoch blühenden blüten (z.B. Centaurea, Knautia, Scabiosa) und Flockenblumen und Skabiosen; die Raupen befres- übernachten gern in durch überhängende Gräser sen verschiedene Gräser, wobei sie - je nach deren "überdachten" Erdanrissen. Nährstoffgehalt - die Futtergräser während ihrer Auch das verwandte Braunauge (Lasiommata Entwicklung wechseln. maera) ist teilweise an Weinbergsmauern, schütter Sie sind Versaumungszeiger und gelten als gute bewachsenen Wegen und felsigen Hanganschnitten Indikatoren für sporadisch genutzte Grünländer. Bei (auch Alpenvorland) anzutreffen, besiedelt aber zunehmender Intensivierung (Aufdüngung) ver- auch Waldsäume feuchter, montan getönter Mittel- schwindet die Art. gebirge, wo Kiefernstämme die Habitatstruktur Die Eier werden - ausschließlich in langrasigen Be- Fels/Mauer ersetzen. Nur wenige Arten können die reichen - auf den Boden fallengelassen. Die Raupen Maueroberfläche unmittelbar als Nahrungshabitat leben von verschiedenen, in Agrotopen regelmäßig nutzen. Einige Schmetterlingsarten mit licheno- und vorhandenen Gräsern (z.B. Festuca pratensis, bryophagen Raupen (Flechten- und Moosfresser) Festuca rubra, Dactylis glomerata). sind auf diesen konkurrenzarmen Lebensraum spe- zialisiert (nach MÖLLER 1985 z.B. die Flechteneu- Reaktionen auf Bewirtschaftungs- und Pflegemaß- le Bryophila divisa, die Mauereule Bryophila mu- nahmen ralis oder der Zünsler Crambus falsellus). Begünstigt wird das Schachbrett durch späte Mahd (nicht vor Ende August), wenn die Eiablage erfolgt (Sand)acker-Brachen, Annuellenfluren und die hochwüchsige Vegetationsstruktur zur Aus- Wo mechanische Störung zur Verrottung der Fein- lösung des Eiablageverhaltens nicht mehr erforder- wurzeln und damit zu einer Nährstoffanreicherung lich ist (sie schadet dann weder den am Boden führt, finden sich am Hasenklee (Trifolium arvense) liegenden Eiern noch den z.T. bereits geschlüpften die blütenfressenden Raupen der Eule Heliothis vi- Raupen, die tagsüber am Boden versteckt leben). riplaca. Am Feld-Beifuß (Artemisia campestris) le- Günstig ist auch eine jahrweise Brache einzelner ben Raupen mehrerer Mönchseulen (Cucullia ar- Agrotop-Abschnitte. gentea, C. artemisia), sowie des Blütenspanners In landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten (Eupithecia innotata), an Ruderalpflanzen wie der tritt das Schachbrett nach eigenen Beobachtungen Nachtkerze (Oenothera biennis) der Nachtkerzen- (M. BRÄU) nur in über zwei Meter breiten Agro- Schwärmer (Proserpinus proserpinus), am Dop- topstrukturen auf. Die Ursache liegt mutmaßlich in pelsamen (Diplotaxis) und anderen Cruciferen der dem hier weit in die Agrotope hinein wirkenden, für Reseda-Weißling (Pontia daplidice).

114 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Typisch für Wegetrassen vor allem in Sand-Kie- Klette und Distel (z.B. Gortyna flavago), an Acker- fernwäldern sind "Grasfalter" wie Ochsenauge winde u.a. der Winden-Schwärmer (Agrius con- (Pyronia tithonius), Rostbinde (Hipparchia seme- volvuli). Von großer Bedeutung sind besonnte Ru- le) oder Kleiner Waldportier (Hipparchia alcyo- deralfluren als Saugplätze: WEIDEMANN (1995) ne). beobachtete "hilltoppende" Segelfalter-Männchen Unkrautfluren (sog. "migrierende" Dauergesell- am Natternkopf in Felsbandfluren, die Weibchen schaften) dienen als Raupenhabitat sog. "r-Strate- hingegen beim Eiablage-Suchflug am Natternkopf gen", die mit ihnen mitwandern. Annuellen-Un- auf Ackerbrachen und anderen "Störstellen" (Brand- krautfluren weisen keine speziellen Tagfalter auf. stellen von Johannisfeuern usw.). Zu den wichtig- Allenfalls der Perlmuttfalter (Issoaria lathonia, sten Nektarspendern zählen Disteln (u.a. Cirsium einst Charakterart der Stoppelfelder, ist hier zuzu- arvense, Cirsium eriopherum, großblütige Carduus- ordnen (Raupen auf Ackerstiefmütterchen Viola tri- Arten usw.). color). Diese Art, die nicht im Neuvorschlag der Sekundärstandorte von Leguminosenfluren (Klee-, Roten Liste Bayerns aufgeführt ist, muß jedoch zu Wicke-, Esparsettenarten) sind oft ältere Sukzessi- den in Bayern mindestens regional rückläufigen Ar- onsstadien von Entnahmestellen, Abraumhalden so- ten gerechnet werden (vgl. die Einstufung von wie junge Weg- und Straßenböschungen. Leitarten EBERT & RENNWALD 1991a: 441 als in allen dieser Lebensräume sind Leguminosenbläulinge Teilen Baden-Württembergs stark gefährdet!). wie Lysandra bellargus, L. coridon, L. dorylas; der Die Raupen dieser Tagfalterart entwickeln sich (na- Hufeisenklee-Gelbling (Colias australis), die Huf- hezu ausschließlich) an Acker-Stiefmütterchen eisenkleeeule (Dicestra marmorosa), Blutströpf- (Viola arvensis). Diese ist zwar auf nicht zu intensiv chen wie Zygaena purpuralis und Z. carniolica. mit Pestiziden behandelten Getreideäckern nach wie Bezeichnend für Agrotope ist auch der "Legumino- vor häufig, da die Stoppelfelder heute aber grund- sen-Weißling" (Leptidea sinapsis), der vor allem an sätzlich bereits im Herbst umgebrochen werden sonnigen Wiesenrainen, Weg- und Gebüschrändern (Unterpflügen der Raupen bzw. Puppen !), besteht zu finden ist. Befressen werden u.a. Bunte Kron- hier weder für Raupen noch für Puppen eine Über- wicke (Coronilla varia), Wiesen-Platterbe (Lathy- winterungsmöglichkeit (EBERT & RENNWALD rus pratensis) und Hornklee (Lotus corniculatus). 1991a: 440). Feldraine und Ranken mit Stiefmütter- Weitere kennzeichnende Arten sind Gemeine Heu- chen-Beständen sind daher wichtige Refugialle- falter ("Goldene Acht") (Colias hyale) und Hufei- bensräume für diese Art. Das Ackerstiefmütterchen senklee-Gelbling (Colias australis): Raupenhabitat tritt besonders massiv auf einjährigen Brachen auf, sind Brachländer, Materialentnahmestellen, lückige wird dann aber bald verdrängt. Eine Brachemanage- Magerweiden und extensive Luzernefelder mit ver- ment, das sich an der traditionellen Dreifelderwirt- schiedenen Leguminosen. schaft orientiert, dürfte den Ansprüchen der Art daher besonders entgegenkommen. z Colias hyale LINNE, 1758 - Gemeiner Heufal- Unbefestigte Wege erfüllen ebenfalls eine wichtige ter Funktion im Habitatschema der Art: das Männchen RL BRD: - ; RL Bayern: 4 setzt sich bevorzugt auf etwas windgeschützte, ve- getationslose Stellen sandig-kiesiger Feldwege, von Verbreitung in Bayern wo aus es sein Revier verteidigt; geteerte Wege Noch überall verbreitet, jedoch mit deutlichen regio- scheinen diese Funktion als Revier-Ansitz nicht er- nalen Rückgangstendenzen. füllen zu können (E. RENNWALD in EBERT & RENNWALD 1991a: 441). Habitatansprüche Unter den Nachtfaltern haben sich die Eulen Cucul- Der Gemeine Heufalter ist eine Art von Lebensräu- lia chamomillae auf Kamille-Arten, Euchalcia con- men mit trockenwarmem Kleinklima und tritt an sona auf das vom Aussterben bedrohte Mönchskraut Störstellen von Kalkmagerrasen, in Brachen, frisch (Nonea pulla) und Periphanes delphinii auf den geschnittenen Luzernefeldern (WEIDEMANN Acker-Rittersporn spezialisiert. 1986) und Agrotopen auf, die in an extensiv genutz- Brennesselfluren ten Flächenbiotopen armen Landschaften die Brennesseln ernähren Raupen von "Nesselfaltern". Schwerpunktlebensräume der Art darstellen. Nach Dabei leben Raupen vom Kleinen Fuchs (Aglais EBERT & RENNWALD (1991a) sind die Larval- urticae) an besonnt-lufttrockenen Brennesselbe- habitate insbesondere dem LOLIO-POTENTILLION ständen, Raupen vom Tagpfauenauge (Inachis io) und dem lückigen CYNOSURION zuzuordnen. an besonnt-luftfeuchten, Raupen vom Admiral (Va- Die Art bildet i.d.R. drei Jahresgenerationen mit nessa atalanta) hingegen bevorzugt an "solitären" Hauptflugzeit Anfang September. Die Eiablage er- Brennesseln. folgt u.a. an Coronilla varia, Trifolium pratense, Ruderalpflanzen besonnter Standorte, Legumi- Hippocrepis comosa und Medicago sativa und zwar nosen-Fluren bevorzugt (unter extremen Mikroklimabedingun- Distelfalter (Cynthia cardui) belegen Pionierpflan- gen) an sehr kümmerlichen Exemplaren, z.B. nie zur zen gestörter Stellen, neben verschiedenen Wegdi- Blüte gelangenden Weißklee- oder Hopfenklee- steln auch Wegwarte, Feld-Beifuß und Malven. pflänzchen, in Trittspuren an Weg- und Fahrspurrän- Eulen-Raupen wie Cucullia artemisiae finden sich dern (vgl. EBERT & RENNWALD 1991a: 251). am Beifuß, andere (C. verbasci, C. thapsiphaga, C. Flugstarke Art mit gutem Dispersionsvermögen (r- lychnitis) an Königskerzen, in den Stengeln von Stratege).

115 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Reaktionen auf Bewirtschaftungs- und Pflegemaß- Das Waldbrettspiel (Pararge aegeria) hält sich nahmen bevorzugt im lichten (Wander)schatten von Wald- Reagiert empfindlich auf Insektizid- und Dün- rändern, schmalen Lichtungen und Waldwegen gereinfluß (Zuwachsen schütterer Bereiche) in (auch gebüschreichen Hohlwegen) auf, wo es gern Agrotopen. Alternierende Mahd von Rainen und an Blüten und Beeren der Brombeere saugt. Ranken ist nach EBERT & RENNWALD (1991a: Auf Wiesen- und Feldrainen, Wegrändern und Ran- 255) günstig für den Gemeinen Heufalter. Sehr för- ken sind eine ganze Reihe von Arten der sog. dernd würde sich auch eine Wiederbelebung des "Kleinschmetterlinge" zu finden. Wenn auch der- Luzerneanbaus unter Verzicht auf Düngung auswir- zeit eingehende wissenschaftliche Untersuchungen ken. Gefördert wird die Art durch Erhaltung schüt- über Minimalareale der jeweiligen Arten fehlen, so ter-niedrigwüchsiger Partien und der Schaffung ein- weisen doch Beobachtungen deutlich darauf hin, gestreuter offener Bodenstellen innerhalb der Agro- daß auch schmale Wiesen- und Wegraine, Ranken tope, sowie durch Brachfallenlassen von Ackerrand- und Zwickelbiotope stabile Populationen bestimm- streifen für jeweils einige Jahre. ter Arten beherbergen können. Aufgrund einer oft- Zu der von WEIDEMANN als "Leguminosenbläu- mals engen Futterpflanzen-Bindung und geringer linge" zusammengefaßten Artengruppe mit rückläu- Vagilität vollziehen viele "Kleinschmetterlinge" ih- figer Tendenz zählen der attraktive Himmelblaue ren gesamten Lebenszyklus auf relativ engem Bläuling (Lysandra bellargus), Futterpflanze: Raum. Ihr Flächenbedarf beschränkt sich auf die Hufeisenklee und Kronwicke und der Kleine Futterpflanze der Larve und ihre engere Umgebung. Esparsetten-Bläuling (Agrodiaetus thersites: an- Dieser Raum kann bei vielen Arten als "Minimal- gewiesen auf lückig bewachsene Böschungen mit areal" angesehen werden, in dem Eiablage, Larva- Esparsetten (Onobrychis arenaria). Ähnliche Habi- lentwicklung, Puppenruhe und Partnerfindung bzw. tatansprüche hat der nah verwandte, in Bayern ex- Fortpflanzung vollzogen werden (vgl. FETZ 1994). trem gefährdete Große Esparsetten-Bläuling (Ag- Voraussetzung für die Eignung von Agrotopen als rodiaetus damon): offene besonnte Steintriften und Gesamtlebensraum für "Kleinschmetterlingsarten" lückige Magerrasen mit hohem Anteil an offener sind u.a. das Vorhandensein der spezifischen Lar- Erde oder Kalkscherben. Orginalfutterpflanze ist die ven-Futterpflanze, das geeignete Verpuppungsme- Sand-Esparsette (Onobrychis arenaria, mit dem dium (z.B. der Stengel von Apiaceen) und Versteck- Anbau der Futter-Esparsette (O. viciifolia) hatte sich bzw. Überwinterungsmöglichkeiten für die Imagi- der Esparsetten-Bläuling zeitweise vermehrt und nes. Auch mikroklimatische Besonderheiten kön- war noch in den 60er Jahren in der Nördlichen nen für das Vorhandensein, insbesondere der termo- Frankenalb nahezu überall verbreitet. Heute wahr- philen Arten verantwortlich sein. Zeitpunkt, Rhyth- scheinlich noch im Oberpfälzer Jura (Vilstal), in der mus und Intensität der Pflege (z.B. der Mahd) der Altmühlalb, im Schweinfurter Becken und im Agrotope bestimmen über das Arteninventar. Wer- Gipskeuper des Grabfeldgaus, überall stark rückläu- den Wegränder und Raine z.B. während der Blüte fig. Die Ursachen dafür sieht WEIDEMANN vor der Apoaceen gemäht, fallen die Arten, die ihre allem in der zunehmenden Verbuschung geeigneter Larvalentwicklung in Blütendolden und die Pup- Habitate, möglicherweise spielt auch der Rückgang penruhe im Stengel vollziehen, aus. extensiver Leguminosenäcker und beweideter Bra- Die Ausbreitung der Kleinschmetterlingsarten in chen eine Rolle. Agrotopen erfolgt vermutlich von Futterpflanze zu Wärmeliebende (Wald)Säume, "Ökotone" (lich- Futterpflanze, so daß lineare Strukturen, wie sie ter Schatten) Raine und Wegränder darstellen, als "Ausbreitungs- Leitarten solcher Säume sind der Storchschnabel- habitate" fungieren. Über den Verbund von Agro- Bläuling (Eumedonia eumedon), die Bläulinge Me- topstrukturen kann somit die Ausbreitung der Arten leageria daphnis und Lycaeides argyrognomon (an gefördert werden. Bunter Kronwicke), unter den Nachtfaltern das Tabelle 1/25, S. 117 zeigt eine Auswahl von Klein- Blutströpfchen Zygaena fausta (an Berg-Kron- schmetterlingsarten aus der Familie OECOPHORI- wicke) sowie die Eulen Abrostola asclepiadis (an DAE, die unter anderem auf Wiesen- und Feldrainen, Schwalbenwurz) und Cucullia asteris (an Berga- Wegrändern und Ranken vorkommen. ster). Der Gemeine Scheckenfalter (Mellicta atha- Der Gefährdungsgrad der Kleinschmetterlinge muß lia) ist am Wachtelweizen zu finden. insgesamt als außerordentlich ernst angesehen wer- Zu den "Versaumungszeigern" zählen verschiedene den. Laut PRÖSE (1989) sind 55% der in Bayern Mohrenfalter, wobei vor allem Erebia medusa und nachgewiesenen Arten gefährdet. Die Rote Liste E. aethiops langrasige Unterhangpartien, Waldlich- gefährdeter Tiere Bayerns (LfU 1992) weist von 129 tungen und Waldränder in Wärmegebieten schätzen. in Bayern nachgewiesenen Arten der bisherigen OE- Andere Erebia-Arten sind überwiegend in Waldver- COPHORIDAE ("Faulholzmotten") 68 Arten (52,7 %) lichtungen und Schneisen des höheren Berglandes als gefährdet aus. Die Ursachen hierfür sind in der und in den Alpen anzutreffen (vgl. LPK-Band II.3. spezialisierten Lebensweise vieler Arten begründet. Bodensaure Magerrasen). Auch das Weißbindige Die enge Bindung vieler Arten der DEPRESSARIINAE Wiesenvögelchen (Coenonympha arcania) kann als und ETHMIINAE an spezielle Futterpflanzen, ihre "Ökotonart" (buschdurchsetztes Grasland, mosai- Mono- und Oligophagie macht sie in besonderem kartige Verzahnungen zwischen lichten Laubwälder Maße vom Vorhandensein dieser Pflanzen abhän- bzw.Hecken und Magerwiesen) angesprochen wer- gig. Landschaften, die sich aufgrund ihrer Gelände- den. morpholgie einer intensiven Nutzung entziehen

116 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/25

Auf Agrotopen vorkommende Kleinschmetterlinge (Fam. OECEPHORIDAE) (nach FETZ 1994)

117 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

(z.B. Alpen) oder die kleinstrukturierte und vielfäl- sponnenen Blättern und Trieben von Sarothamnus tige Naturausstattung aufweisen (z.B. Fränkische und Genista). Alb), dürften heute noch relativ hohe Anteile an gefährdeten Arten aufweisen. Das heißt, daß das 1.5.4.5 Heuschrecken Freihalten von Nutzungsrändern (z.B. Feldraine) von Pestiziden und Düngemitteln, sowie die Wie- Für einige Heuschreckenarten scheinen Agrotope deraufnahme traditioneller Bewirtschaftungsweisen zumindest regional Schwerpunktlebensräume dar- insbesondere auf Magerrasen dazu beitragen kön- zustellen (vgl. dazu auch Kap 1.9.1.2). Meist sind nen, eine Vielzahl bedrohter Schmetterlingsarten aber bestimmte Ansprüche an die meso- und mikro- vor dem Aussterben zu bewahren. Auch nährstoffar- klimatischen Verhältnisse sowie die Vegetations- me Standorte an Straßen und Bahndämmen und struktur für die Biotoppräferenzen ausschlaggebend "Störstellen" wie Ruderalstandorte, Kies- und Sand- (vgl. dazu die LPK-Bände II. 1 "Kalkmagerrasen" , II. gruben, Steinbrüche (auch Truppenübungsplätze!) 3 "Bodensaure Magerrasen" und II.4 "Sandmagerra- können für diese Arten von Bedeutung sein. sen"). Zur Biologie einzelner Arten BUCHWEITZ et al. (1990) konnten in denjenigen Die Mehrzahl der Compositen fressenden "Depres- Feldrainen des Lkr. Sigmaringen, in denen der ge- saria"-Arten sind nach bisherigen Erkenntnissen art- fährdete Feldgrashüpfer (Chorthippus apricarius) bzw. gattungsmonophag. Von den jeweiligen Arten nachzuweisen war, auffallend selten den ansonsten werden die Pflanzengattungen Artemisia (A.ab- mit hoher Konstanz in derartigen Biotopen auftre- synthium: absynthiella, A. campestris: tenden Chorthippus parallelus (Gemeiner Gras- Depressaria artemisiae), Achillea (A. millefolium: hüpfer) finden. Der Gemeine Grashüpfer ist in der Depressaria olerella) und Tanacetum (T.vulgare) Lage, eutrophierte Feldraine zu besiedeln, während befressen. Weiter werden befressen: Chrysanthe- der Feldgrashüpfer nach nährstoffbedingten Struk- mum corymbosum (Depressaria olerella), Chrysan- turveränderungen (vgl. SCHMIDT 1983) ver- themum vulgare (Depressaria emeritella). schwindet. Chorthippus apricarius ist daher als In- dikatorart für nutzungsbedingte Umweltverände- Zu der Apiacee-Blattgespinstgruppe zählen u.a. rungen besonders geeignet (vgl. PLACHTER et al. die an Anthriscus sylvestris u.a. Apiaceen lebenden 1991: 83; 1992). Tab. 1/26 zeigt die drei häufigsten Depressaria albipunctella, Depressaria bupleurella Arten (Chorthippus parallelus, Metrioptera roeseli, (in Mitteleuropa vor allem an Bupleurum falcatum), Tettrigonia viridissima) als sehr anpassungsfähig, Depressaria hofmanni (an Seseli libanotis und Pa- während bei Chorthippus apricarius die herausra- stinaca sativa); zu den blütendolden- und stengelbe- gende Bedeutung der Saumstrukturen deutlich wird. wohnenden Arten z.B. Depressaria chaerophylli (an Chaerophyllum bulbosum und Ch. temulum), De- z Chorthippus apricarius LINNE, 1758 - Feld- pressaria heydenii (an Meum athamanticum, Laser- grashüpfer pitium, Pimpinella), Depressaria depressana (z.B. RL BRD: - ; RL Bayern: 3 an Daucus carota, Pimpinella saxifraga),. Verbreitung in Bayern Die Larven von Agonopterix sind Blattröhren- oder -gespinstbildner. Bemerkenswert ist die (relativ zu Der Feldgrashüpfer, dessen Hauptverbreitungsge- den "Depressaria"-Arten) größere Futterpflanzen- biet in den eurasiatischen Steppengebieten liegt, tritt spezifität. Bis auf A. assimilella (überwintert als in Bayern nur sehr zerstreut auf (rel. wenige aktuelle Junglarve) sind alle mitteleuropäischen Arten Ima- Meldungen). Die in Baden-Württemberg vom Aus- ginalüberwinterer. Verpuppung erfolgt in einem sterben bedrohte Art (vgl. RECK o. J.) ist auch in Erdkokon. Hierzu zählen z.B. Agonopterix cnicella Bayern bedroht (im Rote Liste-Neuvorschlag für (an Eryngium campestre, Puppe in einem "Sandko- Südbayern in Gefährdungsstufe 2 eingeordnet, für kon"), Agonopterix cervariella (an Peucedanum Nordbayern in Gefährdungsstufe 3). Aktuelle Nach- cervaria). weise aus Agrotopen sind uns von den historischen Ackerterrassen Freinhausen nahe Windsberg (PAF) Die Larven der Cirsium-Centaurea-Gruppe leben und den Pleintinger Lößranken (PA) mitgeteilt wor- an Cirsium (und nahe verwandten Distelarten) und den (ZEHLIUS 1992, briefl.). Ein weiteres relativ an Centaurea-Arten, z.T. auch entweder nur an Di- großes Vorkommen (mehr als 500 Individuen auf stelarten oder nur an Flockenblumenarten (bzw. nah einem detaillierter untersuchten ca. 250 m langen verwandten). Weitere Futterpflanzen von Agonopte- Feldrain) wird aus dem Gebiet der FAM-Studie rix-Arten sind (Agonopterix senecionis), Scheyern gemeldet (PLACHTER et al. 1991:83). Petasites (Agonopterix petasitis), des weiteren ver- schiedene Schmetterlingsblütler (Sarothamnus, LAUSSMANN (1993, mdl.) beobachtete Chorthip- Ulex, Genista, Cytisus). pus apricarius z.B. im Bereich der Milzaue (NES) Zu dieser "Fabaceen"-Gruppe gehört z.B. Ago- auf dem offenen ruderalen Grenzstreifen (ehem. nopterix assimilella, dessen Larve jung in einem dt./dt. Grenze). Außerdem liegen mehrere Beobach- weißen Gespinst zwischen den Ruten des Besengin- tungen aus Brandenburg für trockene, eher lückige sters überwintert, dort zunächst das Assimilation- Wiesen (sandige Rücken) vor (LAUSSMANN 1993 sparenchym, später auch die Blätter befrißt; des mdl., ZEHLIUS 1993, mdl.). Der Bestandsrückgang weiteren Agonopterix nervosa, Agonopterix atomel- in Gebieten mit ehemals flächendeckender Verbrei- la (an Sarothamnus, Cytisus, Genista), Agonopterix tung des Feldgrashüpfers resultiert nach RECK (o. scopariella (schlauchartiges Gespinst zwischen ver- J.) vor allem in der Zerstörung der Ackerbegleitbio-

118 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/26 Liste der im UG Scheyern vorkommenden Heuschrecken mit Angaben zur Häufigkeit innerhalb der FAM-Fläche (in %) bzw. in Süddeutschland (PLACHTER et al. 1991: 83, nach BELLMANN 1985) + = weit verbreitet und meist sehr häufig; o = nur auf bestimmte Biotoptypen beschränkt, dort jedoch oft häufig; - = lückenhaft verbreitet und im allgemeinen selten

Art Grünland Saumstrukturen S-Deutschl. (Scheyern) Chorthippus parallelus 100 77 + Metrioptera roeseli 96 68 + Tettigonia viridissimia 64 46 + Chorthippus dorsatus 57 38 o Chorthippus albomarginatus 50 20 o Chorthippus biguttulus 21 46 o Gomphocerus rufus 29 28 o Omocestus viridulus 24 4 o Chorthippus apricarius 423- Tetrix undulata 70o Chorthippus bruneus 07o Tetrix subulata 41o Pholidoptera griseoaptera 01o Gryllus campestris ??o tope und Schlagvergrößerung; in der Eutrophierung mageren Feldrainen und Hecken reichen Gebiet auf, noch naturnaher Agrotope sowie in der Aufgabe der das in Resten die "traditionelle Kulturlandschaft" Ackernutzung (v.a. in Schutzgebieten !). darstellt, bei der die kleinparzellierten Äcker von Feldhecken- und Feldrainbändern umsäumt sind. ABSP: Unterfranken: MIL 1952 (L);WÜ 1/1986; HAS 1/1985; Die nach BUCHWEITZ et al. (1990) mesoxerophile Oberfranken: FO 1/1980; BT 8/1986; KU 1/1982; KC und thermophile Art gut besonnter Feldraine scheint 1/1985; weitestgehend auf südexponierte Standorte be- Mittelfranken: WUG 6/1985; FÜ 1/1985; N 2/1982 schränkt. Nahrungspräferenzen sind nicht bekannt Oberpfalz: NM 2/1985; R 1/1987; CHA 2/1980; AS (sehr wahrscheinlich unspezialisierter Pflanzenfres- 2/1986; ser). Die Eiablage erfolgt in den Boden, der im Niederbayern: LA; DGF 12/1985; SR 2/1983; Vorkommensgebiet sehr steinig und damit äußerst flachgründig ist, im Feldrain selbst jedoch ca. 10 cm Oberbayern: EI 2/1982. Humusauflage aufweist. Im genannten Gebiet wer- Habitatansprüche den ausschließlich Feldraine bzw. feldrainähnliche, Der Feldgrashüpfer tritt auf mageren, trockenen sonnseitige Freiflächen an Feldhecken besiedelt. Sandböden, aber auch in Kalkmagerrasen auf (hier Kennzeichnend ist eine Vegetation mit hohem An- besonders in "gestörten" Bereichen mit heterogener teil krautiger Pflanzen und geringem Gräseranteil. Vegetationsstruktur - vgl. LPK-Band II.1 "Kalkma- Die Vegetationsstruktur ist insgesamt überwiegend gerrasen"). Schwerpunktlebensräume sind aber vor horizontal, in gräserdominierten, vertikal struktu- allem steinige Jungbrachen im Anschluß an Kalk- rierten Abschnitten tritt die Art kaum auf. Die Ar- magerrasen und Grassäume an Wegrändern und in tenzusammensetzung spiegelt den mageren Boden Rainen zwischen Getreidefeldern oder Wiesen. wider. Nach SCHLUMPRECHT (1988) kommt der Feld- grashüpfer in Bayreuth überwiegend auf Ranken Die Feldraine grenzen bis auf wenige Ausnahmen und Wegrainen vor (auf 4 von 11 untersuchten Flä- an Getreideäcker, so daß ein Zusammenhang zwi- chen; außerdem auf 2 der 5 untersuchten Halb- schen der Verbreitung des Feldgrashüpfers und ex- trockenrasen). Auch nach FISCHER (1950) sind die tensiv bewirtschafteten Getreideäckern vermutet Fundstellen durchweg trockene Standorte, meist werden kann (Abb. 1/49). Möglicherweise fungie- Ackerränder und abgemähte Ackerflächen sowie ren die Getreidebestände auch als Windschutz sandige "Ödflächen" mit geringem Pflanzenwuchs. (Transpiration) und verbessern die Ortbarkeit der leisen Gesänge (Partnerfindung). In Baden-Württemberg wurden die Habitatansprü- che der Art (dort akut vom Aussterben bedroht) Die Befunde zeigen große Übereinstimmung mit detailliert ermittelt (BUCHWEITZ, DETZEL & den Beobachtungen von SÄNGER (1977), der HERMANN 1990). Der Feldgrashüpfer tritt dort auf Chorthippus apricarius als typische Art anthropo- Kalkschuttböden im Lkr. Sigmaringen, in einem an gen stark beeinflußter Standorte betrachtet, die die

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Kombination dichter, stark horizontal strukturierter Reaktionen auf Bewirtschaftungs- und Pflegemaß- Vegetationsbestände mit offenen Bodenstellen zwi- nahmen schen den Pflanzen bevorzugt. Möglicherweise ist Begünstigt wird die Art offenbar durch Getreidean- unbewachsener, aber durch "Pflanzenpulks" abge- bau ohne (starken) Insektizid- und Düngereinsatz. schirmter Boden ein wesentliches Habitatrequisit. Düngung verändert die Vegetationsstruktur: diese Auch nach BUCHWEITZ, DETZEL & HER- wird dichter und von Gräsern dominiert und somit MANN (1990) erscheint der lückenhafte Bodenbe- als Feldgrashüpfer-Lebensraum untauglich. Wird in wuchs und die Nachbarschaft zu Getreideäckern für den Vorkommensgebieten nicht dafür gesorgt (not- die Eiablage, bzw. zum Erreichen der Temperatur- falls durch gezielte Pflegeeinsätze), daß die notwen- summen notwendig, während die krautige Vegetati- dige Vegetationsstruktur erhalten bleibt, verschwin- onsstruktur dem Männchen (für Feldheuschrecken det der Feldgrashüpfer. Notwendig scheint auch ein durchaus unüblich) als bevorzugte Singwarte dient. dichtes Netz geeigneter Agrotopstrukturen. Eine ge- zielte Förderung wäre durch Oberbodenabtrag und Über die Reproduktionsleistung entscheidet vor al- anschließende, streifenweise Getreideeinsaat in ge- lem die Lebensdauer der weiblichen Tiere, die wie- eigneten, bestehenden Feldgrashüpfer-Vorkommen derum von der Möglichkeit zum kleinräumigen nahegelegenen Gebieten denkbar. Auf den zwischen Habitatwechsel wesentlich beeinflußt wird. Die den Windschutzstreifen verbleibenden Rohboden- Nutzungs- und Strukturvielfalt einer kleinparzelli- flächen würden sich Kräuterstauden bald von selbst gen Ackerlandschaft schafft (abhängig von den je- einfinden. Eine derartige Fördermaßnahme wäre zy- weiligen Nutzungsterminen) entsprechende Aus- klisch (evt. alle 5 Jahre) zu wiederholen. weichmöglichkeiten. Dabei konnten Imagines im Vergleich zu Jugendstadien in mehr Biotoptypen z Decticus verrucivorus LINNE - Warzen- beobachtet werden. Im Bewirtschaftungszyklus beißer sind Grassäume nach der Ernte Refugien; Saumrän- RL BRD: - ; RL Bayern: 3 der werden danach noch (im Gegensatz zur Acker- Gesamtfläche) zur Eiablage genutzt. Verbreitung in Bayern Eurosibirische, nur in der südlichen Bundesrepublik häufiger anzutreffende Art, die in Bayern noch weit Fang-Wiederfang-Versuche zeigen nach RECK (o. verbreitet, aber stark im Rückgang ist. J.), daß Feldgrashüpfer im Vergleich zu anderen Arten extrem migrationsschwach und in ihrer Aus- ABSP: breitung habitatstet sind. Demnach ist die Art auf Unterfranken: MIL 2/1986; WÜ 2/1986; HAS 2/1986; große Teilpopulationen und auf Verbundsysteme im Oberfranken: BA 3/1984; FO 3/1985; BT 10/1986; LIF Sinne von Lebensraumkorridoren angewiesen. 1/1980; KU 2/1982;

Abbildung 1/49 Idealisierter Habitatquerschnitt des Feldgrashüpfers (BUCHWEITZ et al. 1990)

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KC 6/1986; Wirtschaftswiesen (im Herbst oder abschnittsweise Mittelfranken: WUG 11/1985; FÜ 2/1986; ERH 1/1986; in mehrjährigem Abstand) gemäht werden. Für den Oberpfalz: R 2/1980; CHA 2/1987; AS 1/1986; SAD Warzenbeißer vorteilhaft sind weiterhin breite Trift- 1/1982; wege mit durch Verbiß niedrigwüchsig gehaltener Schwaben: LI 1; OA 1/1986; OAL 1985; "Triftspur" und höherwüchsigem Triftrand. Derarti- Oberbayern: FS 1/1979; ge Triftwege sind auch als Verbundelement von Warzenbeißervorkommen z.B. auf Kalkmagerrasen Habitatansprüche sinnvoll, da die Art nie fliegend zu beobachten ist Schwerpunkthabitate sind kurzrasige Bergwiesen und vermutlich eine geringe Ausbreitungspotenz (in Bayern insbesondere auf südexponierten Borst- besitzt. grasrasen, nach INGRISCH 1979 auch im Vogels- Unter günstigen Voraussetzungen (v.a. im Verbund berggebiet), Feuchtwiesen, aber auch Trockenrasen mit Flächenbiotopen) können in Agrotopen weitere (BELLMANN 1985). Im trockenen Bereich des gefährdete Heuschreckenarten auftreten, deren Vor- Habitatspektrums werden lockere Staudenfluren kommensschwerpunkt in anderen Lebensraumty- und trockene Säume an offenen, südexponierten Tal- pen liegt (und die in den jeweiligen LPK-Bänden hängen besiedelt (z.B. im Lkr. WUG nach HEUSIN- ausführlicher behandelt werden). GER 1988 oder an Trockenhängen des Muschel- Der Verkannte Grashüpfer (Chorthippus mollis, kalkzuges der Frankenalb nach ABSP BT 1986). In RL Bayern 3, nach LORENZ 1992 briefl. u.a. in einem von R. ENGELSCHALL intensiv untersuch- einer Lößwand bei Pleinting nachgewiesen) braucht ten Bereich des Naturraums "Oberpfälzisches Hü- trockenwarmen Biotopcharakter und lückige Vege- gelland" lagen fast alle Warzenbeißervorkommen in tationsstruktur (geringer Raumwiderstand). gut besonnten Ranken in Hanglagen. Die Sichelschrecke (Phaneroptera falcata, RL Nach Beobachtungen in verschiedenen Gebieten ist Bayern 4R) besiedelt trockenwarme Lebensräume der Warzenbeißer vor allem Ökotonbewohner; er mit hochwüchsiger Krautschicht und eingestreuten tritt besonders dort auf, wo hochwüchsige und kurz- Gebüschen in den Kalkmagerrasen-Lebensraum- rasige Vegetation unmittelbar aneinandergrenzen: komplexen (Jungbrachen) und Weinbergen (v.a. In kurzgemähtem oder durch Beweidung kurzrasig Trokkenmauer-Begeitsäume und verbrachte Wein- gehaltenem Extensivgrünland im Kontakt mit hoch- bergsflächen) Nordbayerns. wüchsigen Halbtrockenrasen, Streuwiesen, und In hochwüchsigen, oft von Gräsern dominierten, trockenen Säumen von Rainen, Ranken, Hohlwegen wärmebegünstigten (v.a. breiteren) Agrotopstruktu- oder entlang von Wegrändern und Trockenmauern. ren (vorzugsweise in "Kalkmagerrasen-Landschaf- Wo diese Kombination nicht auftritt, hält die Art ten") tritt vielfach die Zweifarbige Beißschrecke sich bevorzugt in uneinheitlich strukturierten Berei- (Metrioptera bicolor, RL Bayern 4R) auf. Zu den chen (z.B. in leicht ruderalisierten Halbtrockenra- häufiger in Agrotopen auftretenden thermophilen sen, an Trampelpfaden) auf. Auch in England Heuschreckenarten kann auch der Heidegrashüp- scheint Decticus verrucivorus ein Mosaik aus stark fer (Stenobothrus lineatus, RL Bayern 4R) gerech- beweideten Flächen und eingestreuten höherwüch- net werden, der v.a. Biotope besiedelt, in denen sigen Brachypodium-Partien, vermutlich als Refu- sowohl Partien dichter, krautreicher, als auch Partien gien für Nahrungsaufnahme, Deckung und zur Ther- schütterer und niedrigwüchsiger Vegetation vorhan- moregulation, zu bevorzugen (BROWN & GIB- den sind. SON 1990). Die Ursache dafür ist möglicherweise darin zu se- 1.5.4.6 Hautflügler hen, daß der Warzenbeißer während der Embryoge- nese und der postembryonalen Entwicklung konträ- Für viele, oft stark gefährdete Hymenopteren, dar- re Habitatansprüche stellt. Während für die Eient- unter vor allem für solitär lebende Stechimmen wicklung ein Mikroklima mit höherer Luftfeuchtig- (Aceluaten), aber auch für Ameisen stellen Agro- keit notwendig ist (wie es nur in hochwüchsigeren tope (Lößböschungen, Hohlwege, unverfugte Pflanzenbeständen an der Erdoberfläche gewährlei- Trockenmauern etc.) Schwerpunktlebensräume dar. stet ist), sind für das Wachstum der Larven höhere Neben Exposition und Substrat spielt auch der Blü- Temperaturen und stärkere Insolation günstig. tenhorizont eine entscheidende Rolle bei der Her- Nach INGRISCH (1984) ist der Warzenbeißer kaum ausbildung artenreicher Hymenopterengesellschaf- in über 30 cm hohen Pflanzenbeständen anzutreffen ten (vgl. Kap. 1.5.1). und zeigt starke Populationsschwankungen, wahr- scheinlich aufgrund der mehrjährigen Embryonal- Lehmige Steilwandbereiche dienen nach WEST- entwicklung (Dauer nach BELLMANN 1985 min- RICH (1989: 418) zahlreichen Wildbienenarten destens eineinhalb Jahre). als Nistplatz; zu nennen sind die Pelzbienen Antho- Nahrung: Überwiegend Insekten, seltener Pflanzen; phora acervorum und Anthophora quadrimaculata, typischer Bodenbewohner und Bodenleger (BELL- die Furchenbiene (Lasioglossum nitidulum), die MANN 1985). Blattschneiderbiene (Megachile willughbiella), die Seidenbiene (Colletes daviesanus) und die Reaktionen auf Bewirtschaftungs- und Pflegemaß- (Hylaeus hyalinatus). Sie bevorzu- nahmen Maskenbiene gen südexponierte Rohbodenaufschlüsse, die steil Der Warzenbeißer wird durch strukturelle Vielfalt in genug sind, um Regenschutz zu bieten. Besonders Agrotopen gefördert. Günstig ist es daher, wenn die gut sind diese Habitatqualitäten in Hohlwegen er- Agrotopstrukturen erst nach der Mahd angrenzender füllt (zusätzlich Wärmestau durch Windab-

121 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen schwächung); für viele erdbewohnende Wildbie- Tabelle 1/27 nenarten sind jedoch nach WESTRICH (1989: 104) Hartsubstratnister und ihre "Folgearten" (Wildbie- bereits kleine, oft nur 20-50 cm hohe Abbruchkan- nen; MIOTK 1979) ten, wie sie auch an Ranken häufig zu finden sind, ausreichend. MIOTK (1979) beobachtete an Lößwänden des Kai- Hartsubstratnister serstuhls 82 Bienenarten, von denen allerdings nur ein Teil dort nisteten oder bei Lößwandbewohnern Anthophora acervorum schmarotzten. Viele Arten nutzen Abbruchwände Anthophora aestivalis lediglich als Schlafplatz, indem sie in verlassenen Anthophora fulvitarsis Stechimmen-Bauten ruhen, oder zum Aufheizen in Anthophora plagiata den Morgenstunden. Vor allem "Hartsubstratnister", die vertikale Rohbo- Anthophora quadrimaculata denstrukturen mit relativ hartem Untergrund bevor- Halictus quadricinctus zugen, sind auch in bayerischen Lehmboden-Auf- Halictus maculatus schlüssen zu erwarten (s. Tab. 1/27). Lasioglossum limbellum Wildbienen, die auch zerklüftete Felswände besie- Lasioglossum parvulum deln, wählen Trockenmauern als Nistplätze (vgl. Colletes daviesanus WESTRICH 1989: 106). In Vertiefungen von Stei- nen bauen die Mauerbienen Osmia anthocopoides Nestbezieher und Osmia ravouxi ihre selbst gemörtelten Nester. (nutzen verlassene Nistgänge zu Nestanlage) Die Zweizahnbiene Dioxys tridentata lebt bei die- sen als Brutschmarotzer. In Mauerritzen nisten die Osmia adunca Blattschneiderbienen Megachile centuncularis Osmia cornuta und Megachile versicolor sowie die Wollbiene Anthidium oblongatum. In erdgefüllten Fugen bau- Osmia rufa en die Furchenbienen Lasioglossum laticeps, La- Megachile rotundata sioglossum nitidulum und Lasioglossum puncta- Megachile willughbiella tissimum. Etwas größere Hohlräume füllt die Woll- biene Anthidium manicatum mit ihrem Wollnest aus. Futterparasiten In Hohlräumen hinter der Mauer nistet die Stein- hummel (Bombus lapidarius) bevorzugt. Melecta luctuosa In seinem UG (Keupertrockenmauern/HAS) konnte Melecta punctata VYTRISAL (1991) 13 Arten an Mauerstandorten Thyreus orbatus nachweisen, darunter die RL 1-Arten Halictus costulatus und Nomada mutica. Mit Andrena ferox konnte am Pfaffenberg sogar ein Wiederfund einer schon für ausgestorben gehaltenen Art registriert Mauerabbruches oberhalb einer anlehmigen Ru- werden. deralfläche gefunden. Benachbart standen ein größerer Birnbaum und ein großer Crataegus laevi- Halictus costulatus, RL 1 gata-Strauch, der beiden Arten als Nektarquelle die- Seltene solitär lebende, auf Süddeutschland be- nen könnte. Allein diese überaus bemerkenswerten schränkte Furchenbiene. STOECKHERT (1933) be- Apidenfunde heben den besonderen Naturschutz- schreibt die Art vor allem im Raum Erlangen. H. wert der jungen Weinbergsbrache besonders heraus. costulatus bevorzugt als Nistsubstrat Sand oder VYTRISAL befürchtet jedoch negative Auswirkun- Lößlehm und lebt oligolektisch vom Pollen ver- gen auf den Standort durch die anstehende Flurbe- schiedener Campanula-Arten. reinigung (vgl. Kap. 1.11.3.2). Andrena ferox, RL 0 Die möglichen Auswirkungen imkereilicher Nut- Aus Deutschland liegen nur ganz vereinzelte Fund- zung auf die historisch gewachsene Wildbienen- meldungen vor, in Bayern konnte die Art zuletzt fauna werden von EVERTZ (1995) analysiert und 1891 im Mittleren Maintal bei Bad Kissingen nach- Forderungen an eine ökologisch vertretbare Imkerei gewiesen werden (STOECKHERT 1933). Bevor- abgeleitet. Durch die interspezifische Konkurrenz zugter Lebensraum sind Waldränder mit Eichenbe- besonders stark gefährdet sind vor allem die hoch- ständen (wichtigste Pollenpflanze), als polylekti- gradig angepaßten "Trachtspezialisten" (mono- und sche Art dienen ihr jedoch auch andere Baumarten. oligolektische, z.B. auf Gattungen der Apiaceae, Auf das Vorkommen von Andrena ferox ist die, Asteraceae oder Fabaceae spezialisierte Arten), aber ausschließlich diese Art parasitierende Kuckucks- auch für Habitatspezialisten mit vergleichsweise ge- biene (Nomada mutica, RL 1), dringend angewie- ringer Ausbreitungstendenz (z.B. Mauerbiene Os- sen. Seit STOECKHERT (1954) konnte für den mia aurulenta) wurde eine erhebliche Verdrängung Ebelsberg wie auch für ganz Bayern kein Nachweis konstatiert. mehr erbracht werden. VYTRISAL (1991) vermu- Wenn durch die starke Fragmentierung geeigneter tet, daß die Verbuschung für die Wirtsbiene A. ferox Lebensräume eine Ergängzung der Populationen schon zu weit vorangeschritten ist. Weibliche Ein- "von außen" nicht mehr stattfindet, kann imkereili- zeltiere der beiden Arten wurden an der verbuschten che Nutzung dazu führen, daß Nahrungsspezialisten Mauer am Mittelhang des Pfaffenberges nahe eines von Generalisten abgelöst werden. Mit dem Aus-

122 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen sterben lokaler Wildbienenpopulationen geht die sondere Weinbergsmauern, Lesesteinwälle, Feldrai- Kontinuität der Bestäubung verloren, was weitrei- ne mit Altholzbeständen) zentrale Ameisenlebens- chende ökologische Auswirkungen haben kann. Ins- räume. Die Vernichtung derartiger Kleinstrukturen besondere kleinflächige trockenwarme Biotope gilt neben der zunehmenden Eutrophierung als we- sollten daher von imkereilicher Nutzung ausgenom- sentliche Gefährdungsursache (vgl. LfU 1992). men werden, wobei erst in ca. 2,5 km Abstand von Über die Ameisenfauna der Weinbergslandschaften größeren Bienenständen von einer "honigbienenar- Mainfrankens liegen umfangreiche Untersuchungen men Zone" auszugehen ist. Weiter fordert EVERTZ insbesondere durch GÖSSWALD (1956) vor. Zu- Einschränkungen beim Aufstellen von Wanderbie- sammenfassungen bieten GAUCKLER (1957), nenständen und mehr Aufklärung über die Bedeu- AUVERA (1966), STÖSSER (1974), WERNER & tung von "Restbiotopen" für die angestammte Fauna KNEITZ (1978) sowie FRÜND (1982). Die ökolo- (vgl. dazu Kap. 4.2. 2.3.2). gischen Ansprüche und die dauraus resultierende Weitere Mauerbewohner unter den Hautflüglern Habitatwahl wurden von GÖSSWALD (1932, 1955, sind solitäre Faltenwespen (EUMENIDAE: Eume- 1985) und in neuer Zeit von SEIFERT (1986) ermit- nes, Eudynerus, Ancistrocerus, Symmorphus) und telt. Wegwespen (POMPILIDAE: Auplopus, Agenioideus, Weinbergsmauern Cryptocheilus, Dipogon, Priocnemis). Das Nistma- Die für die meisten Ameisenarten begrenzenden terial ist sehr unterschiedlich: Speichelsekrete, Faktoren sind vor allem Bodenwärme und Feuchtig- Lehm und Sand, Pflanzenwolle, Blattstücke. DRA- keitsgehalt (GÖSSWALD 1932, SEIFERT 1986), CHENFELS (1982) weist darauf hin, daß unter den wobei xerotherme, oligotrophe und "steinreiche" Trockenmauerbewohnern nicht immer klar zwi- Standorte am arten- und individuenreichsten sind. schen echten Felsspaltennistern und Freinestbauern Thermophile Ameisen legen ihre Nester bevorzugt an Steinen zu unterscheiden ist. im Schutze der Mauer am besonnten Mauerfuß in Den größten Anteil der von VYTRISAL (1991) an Partien mit lockerem Boden (unbefahren und unver- Keupertrockenmauern erfaßten Hymenopteren dichtet) an. So waren rund 84 % aller von GÖSS- stellten mit 85 Arten die Ichneumoniden (Schlupf- WALD (1932) aufgesuchten Nester als "Steinne- wespen), wobei mit Apaeleticus flammeolus und ster" (unter flachen Steinen) angelegt. VYTRISAL Lissonata insignata mindestens zwei ausgesproche- (1991) folgert, daß die Weinbergstrockenmauern im ne Trockenrasenarten vertreten waren. Von den mei- Keupergebiet für die Ameisen eine noch größere sten Arten sind die ökologischen Ansprüche aller- Rolle spielen als im Muschelkalk, wo die Steindich- dings bisher nicht bekannt, auch über die Gefähr- te in den Freiflächen vielfach höher ist. Am Pfaffen- dungssitation existieren noch keine Angaben. berg (HAS) hat SCHOLL (1986) die Ameisenfauna kartiert. Bisher konnten insgesamt 33 Ameisenarten Ähnlich unbefriedigend ist die Erfassungssituation nachgewiesen werden, davon 16 Rote-Liste-Arten der Goldwespen (CHRYSIDIDAE). Nur 3 Arten (RL BY). Damit kann der Pfaffenberg als ein Gebiet konnten in den Mauerfallen von VYTRISAL regi- mit für Ameisen überragender Bedeutung gelten striert werden, obwohl im UG um die 40 Arten zu (vgl. Tab. 1/28). erwarten sind (PERRAUDIN, in VYTRISAL 1991). Als lokal selten gilt die Große Goldwespenart Voraussetzung für diesen Artenreichtum ist auch das Chrysogona pustulosa trimaculata, die bislang vor- mosaikartige Auftreten unterschiedlicher Zusatz- wiegend in den Muschelkalkgebieten Unterfrankens strukturen entlang der Mauer (z.B. Gebüsch, Holz), im Geröll angetroffen wurde. Hier wurden die Wes- die auch hygrophilen Arten Lebensraum bieten. So pen auf der Suche nach Helix-Gehäusen, in den ihre besiedeln z.B. Myrmecina graminicola und Lasius Wirte, die Wildbienenarten Osmia aurulenta und rabaudi locker mit Gebüsch bestandene Bereiche, Osmia bicolor vorwiegend einnisten, beobachtet während Diplorhoptrum fugax, Ponera coarctata (vgl. HEINRICH 1964). oder Leptothorax tuberum eher an offenen Mauer- abschnitten zu finden sind. Wegwespen (POMPILIDAE) bevorzugen warme son- nige und "spinnenreiche" Biotope in Bodennähe, wo Die auffallend hohe Nestdichte auf den Mauerkro- die Weibchen auf Beutefang gehen. Die Spinnen nen (unter fast jedem Deckstein konnte ein Kolonie werden gelähmt und als Nahrungsvorrat für die Lar- angetroffen werden) macht VYTRISAL (1991) ven in Erdnester (z.B. Arachnospila), oft auch in auch für die extrem geringe Carabidendichte verant- Mauerspalten (z.B. Priocnemis, Dipogon, Agenoi- wortlich. Insbesondere die großen "Raubameisen" deus), gelegentlich auch in Schneckenhäuser, Pflan- wie Formica sanguinea und Camponotus ligniperda zenstengel usw. verbracht. VYTRISAL (1991) legen bevorzugt weit ins Mauerinnere führende Ne- konnte in seinem UG (Pfaffenberg/HAS) eine ganze ster an. Anzahl (insgesamt 21) zum Teil sehr seltener Weg- Auch Steinriegel üben auf Ameisen oftmals eine wespenarten nachweisen, darunter die RL-Arten besondere Anziehungskraft aus. In Feuchtwiesen Agenioides nubecula (RL 2), A. sericeus (RL 4R) der Langen Rhön konnte eine starke Konzentration und A. ursurarius (RL 2), Auplopus albifrons und der Ameisenvorkommen in Sonderstandorten wie Priocnemis coriacea (beide RL 2), Dipogon bifa- Steinriegel oder Mauerreste beobachtet werden sciatus (RL BRD 3) und Priocnemis minuta (RL 3). (PEPL NSG Lange Rhön, 1988). MÜNCH (1988) Ameisen fand bei Untersuchungen von Steinriegeln im Ho- Neben feuchten und trockenen Magerstandorten henloher Land mit 31 Arten eine sehr artenreiche (Moore, Trockenrasen usw.) sind Agrotope (insbe- Ameisenfauna, wobei 15 Arten dort ausschließlich

123 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/28 An Weinbergsmauern gefundene Ameisenarten mit Angaben zur Ökologie und Habitatwahl (VYTRISAL 1991 nach SCHOLL 1986)

an Steinriegeln auftraten (davon 11 gefährdete). Die Unter (Draht)zäunen, immer am Rand von relativ Zusammensetzung der Steinriegelfauna zeigt große intensiv genutzten Standweiden, zieht sich oft eine Ähnlichkeit mit der Tierwelt unverfugter Trocken- fast schnurgerade Folge von Ameisenhügeln (z.B. mauern, wobei aber die vertikale Exposition fehlt Kolonien der Gelben Wiesenameise Lasius flavus) (vgl. Tab. 1/29, S. 125). hin. In Anlehnung an "Buckelweiden" nennt FELD- MANN (1991) die lineare Anordnung"Buckelrain" Bei intensiver Nutzung des Umlandes zeigte z.B. und betont damit zum einen die Reihung der Kup- Leptothorax parvulus (RL-3) eine eindeutig erhöhte pelbauten, zum anderen ihre Saum- und Grenzlage. Individuendichte an den Steinriegeln. Vergleichbar mit den mikroklimatischen Einnischungen der Lauf- Die Ameisen folgen Leitlinien, die von Menschen- käfer kommen in vegetationsfreien Bereichen ther- hand (i. w. S.) geschaffen sind. Die Trittselektion des mophile Ameisen vor (z.B. Leptothorax unifascia- Weideviehs bestimmt Verteilung und Anordnung tus, RL-3), während an beschatteten Stellen hygro- der Nesthügel. FELDMANN (1991) spricht in die- philere Arten dominieren (z.B. Formica sanguinea, sem Zusammenhang von einer biogenen Kleinre- RL-4R). liefbildung. Bei der Neugründung von Kolonien

124 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/29

Ameisen (FORMICIDAE) in Steinriegeln des Hohenloher Landes (MÜNCH 1988, verändert)

1. Ausschließlich in Steinriegeln gefunden

Epimyrma goesswaldi (MEN.) 1 Ravoux’ soz.par. bei Leptothorax Sklavenhalterameise unifasciatus (3) Formica sanguinea (LATR.) 4r Blutrote Raubameise häufig an sonnigen Wegrainen Lasius emarginatus (OLIV.) 4s 2-farbige Wegameise bevorzugt halbschattige Orte wie Mauerritzen u. Felsspalten Leptothorax acervorum (FABR.) - Große Schmalbrustameise Leptothorax gredleri (MAYR)3Gredlers etwas feuchtere Standorte, Schmalbrustameise bevorzugt mit Bäumen Leptothorax muscorum (NYL.) - Kleine Schmalbrustameise im UG nur an einem Steinriegel nachgewiesen Leptothorax unifasciatus (LATR.) 3 1-bindige im UG nur an Steinriegeln; Schmalbrustameise bevorzugt trockene Standorte; bei Störung wird Biotop verlassen

2. Überwiegend in Steinriegeln gefunden Aphaenogaster subterranea 1 Untergrundameise bevorzugt Halbschatten z.B. in (LATR.) Hecken Bothriomyrmex meridionalis 4s Südl. Schattenameise selten, z.T. an neu errichteten (BAUD.) (SB-3) Steinriegel Diplorhoptrum monticola (BERN.) - Lasius fuliginosus (LATR.) - Glänzendschwarze Holzameise Leptothorax interruptus (SCHE.) 2 Querfleck- Schmalbrustameise Leptothorax nylanderi (FÖRST.) 4r Nylander’ Schmalbrustameise Leptothorax tuberum (FABR.) 4s Berg-Schmalbrustameise tritt in Steinriegel deutlich gehäuft auf Tapinoma erraticum (LATR.) 3 Schwarze Blütenameise xerothermophile Art vegetationsarme Standorte

3. Im Steinriegel häufiger (bei intensiv bewirtschaftetem Umland)

Camponotus ligniperda (LATR.) - Roßameise wärmeliebende Art Diplorhoptrum fugax (LATR.) 2 Gelbe Diebsameise meiden Wald wie Diplorhoptrum monticola, xerophil Formica cunicularia (LATR.) 3 Rotrückige bevorzugt stärker bewachsene Sklavenameise Flächen in Trockenbiotopen Formica rufibarbis (FABR.) 2 Rotbärtige Sklavenameise Lasius alienus (FÖRST.) - Trockenrasen-Wegameise fehlt an feuchten Stellen Leptothorax parvulus (SCHE.) 3 Zwerg-Schmalbrustameise bevorzugt südexponierte Standorte Myrmica ruginodis (NYL.) - Rauhknotige in intensiv genutzter Feldflur Knotenameise nur an Steinriegeln Myrmica specioides (BONDR.) Strongylognathus testaceus 1Bräunliche Säbelameise Sozialparasit bei Tetramorium (SCHE.) caespitum an stärker bewachsenen Standorten Tetramorium caespitum (L.) - Gemeine Rasenameise

125 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen sind vermutlich bestimmte Feinstrukturen des Bo- Auch zoophage Käfer profitieren vom Reichtum der dens, insbesondere Versteckmöglichkeiten für die Trockenmauern an Kleintieren. Das konzentrierte Eiablage, Aufzucht der Jungtiere und Überwinte- Auftreten räuberischer Laufkäferarten am Mauerfuß rung, von Bedeutung. einer Weinbergsmauer kann als Zeichen für die Ein- beziehung dieses Agrotoptyps in deren Jagdrevier Buckelraine dieser Art bieten Ameisen wahrschein- gedeutet werden. Oft finden sich neben thermophi- lich über Jahrzehnte eine Behausung. Gelegentlich len Offenlandbewohnern (Harpalus rubripes, Har- entstehen sogar auf "fossilen" Buckelrainen wieder palus honestus, Harpalus rupicola, Harpalus sma- neue bewohnte Nesthügel. ragdinus, Amara bifrons) meso- bis hygrophile Das Kurzhalten der Nesthügelvegetation durch Ab- Waldarten (Harpalus rufibarbis, Harpalus tardus, weiden verhindert eine zu starke Vergrasung, die mit Nebria brevicollis, Poecilus cupreus) ein, die aus der Zeit zur Beschattung der Nester und damit zu den angrenzenden Gebüsch- und Gehölzbrachen zur ungünstigen Veränderungen des Wärmehaushalts Nahrungssuche einwandern. führt (belegt durch Beispiele in Bereichen aufgelas- Autökologie agrotop-typischer Arten sener Gründlandnutzung). Mauerstandorte sind ein Sammelbecken für Carabi- In der Vegetation der Buckel erscheinen oft Pflan- den unterschiedlichster Habitattypen, die hier oft zen, die im Umfeld selten sind (Luzula campestris, bessere Lebensbedingungen finden. Thymus, Veronica arvenis, Glechoma hederacea, Bei der Untersuchung von VYTRISAL fällt auf, daß Moose wie Ceratodon purpurescens, Rhytidiadel- die Wiesen- und Waldrandstandorte nur wenige phus squarrosus, Wiesengräser usw.) und für die Charakterarten aufweisen und zugunsten der unbe- artspezifische Ernährungsweise (Trophobiose) der schatteten Mauerstandorte stark verarmt sind. Stär- Wiesenameisen von Bedeutung sind. ker beschatteten Mauern fehlen insbesondere die xero- und thermophilen Großcarabiden (Harpalus-, 1.5.4.7 Käfer Amara-Arten), hingegen sammeln sich hier euryöke Arten der Wälder, Waldränder und Gebüsche. Abgesehen von den vielen an krautreichen Rainen Zu den Charakterarten unbeschatteter Mauern vorkommenden phytophagen Arten(gruppen) wie und sandiger Ruderalflächen zählen nach VYTRI- etwa Blattkäfer sind Agrotope (z.B. Lößsteilwän- SAL z.B. Carabus intricatus, C. ullrichi ssp. ull- de, Trockenmauern, schütter bewachsene Säume richi, C. ullrichi ssp. fastuosus, Harpalus dimidia- usw.) vor allem als Jagdbiotop für wärmeliebende tus, Harpalus rubripes, Amara communus oder Laufkäfer (Carabiden) geeignet. Microlestes maurus. Eine recht umfassende Arbeit über Laufkäfer in Weinbergslandschaften liegt von VYTRISAL Carabus intricatus, RL 3 (1991) vor. Ziel war, weinbergstypische Lebensräu- In Nord- und Westdeutschland offenbar fast erlo- me (Trockenmauern usw.) zu charakterisieren und schen, in Süddeutschland stark rückläufig (vgl. Unterschiede zu den umgebenden Flächen heraus- SCHOLL 1980), gilt als Bioindikator für intakte zuarbeiten. thermophile Gebiete (Weinbergslandschaften). Bei Von den insgesamt festgestellten 90 Carabidenarten C. intricatus handelt es sich um eine "Frühlingsart" konnten 77 am Mauerfuß bzw. auf der Mauerkro- mit sehr langer Entwicklungszeit, die vor allem im ne gefangen werden, davon wiederum 46 Arten, die Mai und Juni beobachtet werden kann. VYTRISAL ausschließlich in den Mauerfuß- (Kronen)fallen an- fand die Art vor allem an waldfernen Mauerstand- getroffen wurden - wobei die unbeschatteten Mau- orten mit sandigem vegetationsfreiem Untergrund erstandorte unterhalb noch bewirtschafteter Wein- (sonnige Mauerfußbereiche). bergsparzellen die jeweils höchsten Artenzahlen Harpalus dimidiatus und Diversitätswerte aufwiesen. Ein großer Teil der Ausgeprägt xerophile, mediterrane Art. Auffallend nachgewiesenen Arten knüpft recht enge mikrokli- viele Fundortangaben lauten "unter Steinen", wo die matische und edaphische Bedingungen an den Le- Käfer 3 - 4 cm lange Erdgänge graben (z.B. BUR- bensraum (stenotope Arten). MEISTER 1939 in VYTRISAL). Das Mikroklima gilt als entscheidender Faktor für Kann als Charakterart der Keuper-Wärmehänge des die Biotopbindung der Carabiden (vgl. Lit. bei Maintals gelten, wo die Art viel häufiger ist als im VYTRISAL). Allerdings scheinen Carabiden in ih- benachbarten Muschelkalk. Terrassierte Weinberge, rem Hauptverbreitungsgebiet eine Vielzahl an Le- im UG von VYTRISAL (Pfaffenberg, Ebelsberg) bensräumen zu besiedeln, während am Rande ihres die unbeschatteten Keupermauern, werden deutlich Verbreitungsgebietes nur noch eng begrenzte Bio- bevorzugt. tope geeignet sind. Bei der Ausbreitungs- und Ein- Zu den bemerkenswerten Funden von VYTRISAL nischungsfähigkeit spielt offenbar die intra- und in- zählen auch der Nachweis von Harpalus roubali, terspezifische Konkurrenz eine wichtige Rolle. ebenfalls eine ausgeprägt xerophile Art mit Verbrei- VYTRISAL bestätigt die bereits bei anderen Auto- tungsschwerpunkt in Südosteuropa (möglicherwei- ren beschriebene Beobachtung einer Zunahme der se Erstfund für Bayern). Carabidenindividuendichte bei erhöhtem Bestan- Vergesellschaftet mit Harpalus dimidiatus. Wein- desschluß der Pflanzendecke bis zu einer Deckung bergstypisch, aber "anspruchsloser" sind auch Har- von ca. 60 %. Insbesondere Detritusfresser finden palus honestus (auch noch in flurbereinigten Reb- hier bessere Lebensbedingungen und mehr Nah- hängen) Harpalus tardus (auch Ackerränder, Feld- rung, so daß vor allem den carnivoren Carabiden wege) sowie Brachinus crepitans (krautige, ver- mehr Beutetiere zur Verfügung stehen. buschte Brachen).

126 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/30

Laufkäfer (CARABIDAE) in Steinriegeln des Hohenloher Landes (MÜNCH 1988, verändert); mit Angaben zur Biologie der Arten sowie des Rote-Liste-Status

1. Ausschließlich in Steinriegeln gefunden

Abax ater (VILL.) - für Buchenwald typisch Amara communis - Anisodactylus emorivagus (DUFT.) - besiedelt vegetationsarme Standorte Badister bipustulatus (F.) - Bembidion obtusum (SERV.) - Callistus lunatus (F.) - besiedelt kalkreiche, gut besonnte, z.T. bewachsene Standorte Carabus convexus (F.) 4r Carabus coriaceus (L.) - Schwerpunktlebensraum Wald, hier nur auf Steinriegeln mit Gebüsch gefunden Carabus nemoralis (MÜLL.) - Schwerpunktlebensraum Wald Chlaeniusas flavipes (MEN.) - Clivinia fossor (L.) - bevorzugt offen-feucht-lehmig-kurze Veget. Drypta dentata (ROSSI)- Elaphus cupreus DFT. - bevorzugt Kulturland Harpalus aeneus (F.) - bevorzugt Kullturland Harpalus atratus (L.) - bevorzugt auf Steinriegel gefangen Harpalus azureus (F.) - xerothermophil Harpalus diffinis (DEJ.) - nur in Wärmegebieten Harpalus fröhlichi (STURM)3typisch für vegetationsreiche Biotope Lebia chlorocephala (HOFF.) - Panagaeus bipustulatus (F.) - xerothermophil, heliophil Pterostichus cristatus (DUFT.) typisch für vegetationsreiche Biotope Pterostichus madidus (F.) 3 besiedelt Wald, Steinriegel und Kulturland, meidet vegetationslose Flächen Pterostichus metallicus (F.) - nur auf Steinriegeln Trichotichnus nitens (HEER) - bevorzugt feuchte und dunkle Lebensräume, daher nur auf stark bewachsenen Steinriegeln 2. Ebenso häufig wie im Kulturland Abax ovalis (DUFT.) - feuchte, nur nordexponierte Standorte Agonum quadripunctatus (DEG.) - Harpalus rubripes (DUFT.) - bevorzugt vegetationsreiche, aber trockenwarme Standorte

Da es in Bayern bisher an speziellen faunistischen krautreiche Habitate (Trockenrasen, artenreiche Fel- Untersuchungen über die Carabidenfauna von draine und andere Saumstrukturen) angewiesen Steinriegeln mangelt, soll hier auf die recht umfas- (GÖTZ 1994). senden entomologischen Erhebungen im Hohenlo- Etwa ein Drittel der Blattkäfer gilt als monophag, her Land verwiesen werden. (vgl. Tab. 1/30, S. 127). wobei 17% streng an eine Wirtspflanze gebunden Daß sonnenexponierte Steilranken selbst in relativ sind. Die Imagines fressen häufig an derselben intensiv genutzten Ackerlandschaften Refugialle- Wirtspflanze wie die Larven. Bemerkenswert ist, bensräume für xerophile Laufkäfer sein können, daß die Käfer auch von der Menge der in den beweisen die bemerkenswerten Funde von LO- Wirtspflanzen enthaltenen Inhaltsstoffen abhängig RENZ im Pleintinger Lößrankengebiet und im Be- sind. Phytophage Käfer können durch Befressen reich der Freinhausener Ranken (vgl. Kap. 1.9.1.2). Veränderungen an der Pflanze hervorrufen, was wie- derum Einfluß auf die Populationsentwicklung der Blattkäfer können nur Distanzen von wenigen hun- Käfer haben kann (negative Rückkopplung). dert Metern überwinden und sind daher von Biotop- zerschneidungen und anderen plötzlichen Biotop- veränderungen besonders betroffen. Viele der ge- Von den monophagen Blattkäferarten gilt inzwi- fährdeten Arten sind auf trockenwarme, gras- und schen nahezu die Hälfte als gefährdet (vgl. PLACH-

127 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

TER 1991). Dabei steht die Bestandessituation der Wirtspflanzen eine große ökologische Amplitude jeweiligen Pflanzenart, die von Käfern mono- aufweisen. Das Nebeneinander von Sommer-, Win- phag genutzt wird, in unmittelbarem Zusam- tergetreide und Hackfruchtkulturen in einem Gebiet menhang mit dem Gefährdungsgrad* des Kä- hat den Vorteil, daß die Käferarten, die sich während fers. der Vegetatonsperiode an Ackerwildkräutern im Dies zeigen agrotop-typische, teilweise rückläufige Winter-Getreide aufhalten, nach der Ernte auf Arten wie Artemisia campestris (genutzt durch Wirtspflanzen im Sommer-Getreide oder in Hack- Chrysomela carnifex, RL BRD 4), Cerinthe minor fruchtkulturen überwechseln können (vgl. dazu (Longitarsus nervosus ssp. cerinthes), Echium vul- Kap. 1.5.3). gare (Longitarsus niger, RL BRD 3), Geranium sanguineum (Cryptocephalus elegantulus, RL BRD 1.5.4.8 Spinnen 3), Salvia pratensis (Cassida canaliculata, RL BRD 3), Vinxetoxicum hirundinaria (Chrysochos ascle- Die Angaben zur Spinnenfauna von Agrotopen ba- piadeus, RL BRD 2). sieren auf Untersuchungen in unterfränkischen Auf ungespritzten Ackerrandstreifen und Rainen Weinbergsbrachen (BAUCHHENSS & SCHOLL konnte FRITZ (1989) insgesamt 111 Blatt- und Rüs- 1985, BAUCHHENSS 1988) sowie auf eine Erhe- selkäferarten nachweisen, 46 davon ausschließlich bung im Rahmen des Scheyern-Großprojektes auf Rainen. Zu den bemerkenswerteren Arten zähl- (PLACHTER et al. 1991). Einen Einblick in das ten Phyllotreta consobrina, Ochnosis ventralis und Artenspektrum der Spinnen von Lößwänden geben Apion cermatum. Es zeigte sich auch, daß durch das die Arbeiten von IDLER (1984, zit. in WOLF & Ackerrandstreifenprogramm die Verdriftung von HASSLER 1993) und MIOTK (1979). Pestiziden und Düngemitteln in den Rain wirksam verhindert wird und sich über die Ausbildung ent- Unter den in Bayern gefährdeten Arten (LfU 1992) sprechender Pflanzengesellschaften allmählich lassen nur wenige eindeutige Präferenzen für Über- auch wieder magerrasen-typische Käfergemein- gangsbereiche oder Ränder (Ökotone) erkennen. schaften einstellen (sofern der Rain gemäht wird). Hierzu zählen u.a. die Kugelspinne Dipoena Wichtig sind auch angrenzende Strukturen, über die erythropus, die Sackspinne Cheiracanthium pun- ein rasche Wiederbesiedlung (typisch z.B. für Apion ctorium, die Plattbauchspinnen Gnaphosa lugubris ononsis, Apion loti) erfolgen kann. und Haplodrassus minor (alle RL 2) sowie die Dabei verändert sich das phytophage Käferarten- Radnetzspinne Araneus angulatus, der Spinnen- spektrum in Abhängigkeit von der Kulturfrucht fresser Ero aphana, die Plattbauchspinne Zelotes (z.B. Sommer-, Wintergetreide) und den auftreten- vilicus und die Laufspinne Thanatus sabulosus (RL den Segetalarten. Begünstigt werden Arten, deren 3). Die Plattbauchspinnen mit den Gattungen Gna-

Abbildung 1/50 Verteilung der Eichblatt-Radspinne (Aculepeira ceropegia) im UG Scheyern (PLACHTER et al. 1991: 82)

* Blattkäfer wurden in der Roten Liste Bayern bisher nicht bearbeitet (LfU 1992).

128 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/31 Spinnenfauna der Randstrukturen nach der Ernte (Aug. - Okt. 1991), nach PLACHTER et al. 1991: 81 Stetigkeitsklassen: + = 1-20% der nachgewiesenen Individuen der jeweiligen Art; ++ = 21-40%; +++ = 41-60%; ++++ = 61-80%; +++++ = 81-100%; x = Einzelfund

Art Anzahl Feldrain Feldrain Ranken Waldrand Individuen (mager) (eutroph) Liniphia triangularis 61++++ Argiope bruennichi 32+++- Theridion impressum 28 +++ + + + Meta segmanta 19 - - + +++++ Clubiona reclusa 17 - - ++++ - Larinoides cornutus 15 - + + - Pisaura mirabilis 14+-++ Aculepeira ceropegia 12+-++ Theridion sysyphium 1- - x- phosa und Drassodes sind in alten Spalten und sonnenexponierten, wärmespeichernden Mauerstei- Löchern häufig, wo auch Vertreter der Trichter- ne werden zum Aufheizen aufgesucht, um schnell spinnen (z.B. Tegenaria-Arten) bevorzugt ihre die für ihre räuberische Lebensweise erforderliche Fangtrichter anlegen. Aktivitätsenergie zu "tanken". Untersuchungen zur räumlichen Verteilung von Wie Untersuchungen in unterfränkischen Wein- Spinnen der Krautschicht in Weizenfeldern (PLACH- bergsbrachen ergaben, erhöhen zusätzliche Struktur- TER et al. 1991: 80 ff.) lassen für die dominierende elemente im Mauerbereich die Individuen- und Ar- Eichblatt-Radspinne (Aculepeira ceropegia) einen tendichte von Spinnen deutlich. So fanden BAUCH- deutlichen Verbreitungsschwerpunkt in Feldrand- HENSS & SCHOLL (1985) an Trockenmauern mit nähe erkennen (Abb. 1/50). Die Art verankert ihre eingestreuten wärmeliebenden Gebüschen sowohl Fangnetze in der höheren Krautschicht (Höhe der die höchsten Individuen- als auch Artenzahlen. Ähren); häufige Beutetiere sind Bienen, Schmetter- Typische Mauerbewohner sind: Harpactes hom- linge, Schwebfliegen und Angehörige verschiede- bergi, Oxyptila scabricula, Xysticus cristatus, Xy- ner Käferfamilien (z.B. ELATERIDAE, CANTHARI- sticus robustus, Phlegra v-insignita. DAE). Da sich bei dieser Art die Hauptreprodukti- onsphase mit der Erntezeit des Winterweizens über- Die für Trockenmauern ebenfalls charakteristische schneidet und hohe erntebedingte Verluste anzuneh- Sechsaugenspinne (Segestria bavarica) lauert in men sind, wird vermutet, daß Aculepeira ceropegia der Mündung ihrer Wohnröhre auf Beute. Aktive jedes Jahr neu vom Feldrand in den Schlag einwan- Jäger, wie Spring- und Wolfsspinnen (Alopecosa, dert. Pardosa, Trochosa), jagen auf der Maueroberfläche und nutzen den Insektenreichtum blütenreicher Beobachtungen dieser Art weisen auf mögliche Mauerabschnitte (BAUCHHENSS 1988). Wanderbewegungen (Migration) zwischen Feldern und Rainen hin; der Rain stellt das Reservoir für die Neubesiedlung und fungiert in Zeiten des "Ernte- 1.5.4.9 Schnecken schocks" als Rückzugsraum (vgl. dazu auch Kap. 1.5.2/ 1.5.3). Strukturelle Vielfalt mit zahlreichen unterschiedli- Die Verteilung der kartierten Spinnenarten auf chen Klein- und Kleinstlebensräumen ist ein Cha- Agrotope und andere extensiv genutzte Randstruk- rakteristikum vieler Agrotope und zugleich wichtig- turen zeigt ein insgesamt uneinheitlicheres Bild. Je ste Voraussetzung für die Besiedlung durch ver- nach Strukturtyp dominieren Argiope bruennichi schiedene Landschneckenarten. So ermöglicht der und Theridion impressum (in unbeschatteten Rand- "lockere" Bau von Kalk und Löß nicht nur Versteck- strukturen wie magere Feldraine, erstere auch an und Rückzugsmöglichkeiten bei zu heißer Witte- Gräben) oder Meta segmata (an halbschattigen rung (Temperatur- und Feuchteregulation), sondern Waldrändern). Pisaura mirabilis und Aculepeira eröffnet auch mediterran verbreiteten, wärmelieben- ceropegia (von letzterer wurde zum Untersuchungs- den Arten schon früh im Jahr zuträgliche Tempera- zeitpunkt vorwiegend Jungspinnen gefunden) kom- turen. Mit über 30 Arten zählen die Lößhohlwege zu men in allen unbewirtschafteten Randstrukturen mit den landschneckenreichsten Lebensräumen (D. Ausnahme eutropher Feldraine vor. BAUMGARTNER, in WOLF & HASSLER 1993). Für zahlreiche Spinnenarten stellen Trockenmau- So konnte auf den Pleintinger Lößterrassen (PA) ein ern einen Gesamtlebensraum dar. In engen, erdver- Nachweis der Dreizahnturmschnecke Chondrula füllten Mauerritzen werden Wohnröhren angelegt, tridens (RL 1) und weiterer gefährdeter Trockenra- in denen die Spinnen auch überwintern können. Die senarten erbracht werden (vgl. Kap. 1.9.1.2).

129 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Unverfugte Mauern sind auch für Schnecken als Mittels Barberfallen konnte VYTRISAL (1991) an Gesamtlebensraum geeignet. Typische Arten felsi- Weinbergsmauern (Pfaffenberg und Ebelsberg/ ger Lebensräume ernähren sich v.a. vom Algen- und HAS) 22 Schneckenarten, davon 16 Gehäuse- Flechtenüberzug der Steine (WILLECKE 1983). schnecken, bestimmen, die allerdings nur einen klei- Voraussetzung für das Auftreten der licheno- und nen Teilausschnitt des gesamten Artenspektrums bryophagen Arten ist jedoch ein hohes Alter der widerspiegeln - insbesondere Kleinschnecken konn- Mauern, da sich erst ausreichender Flechten- und ten mit dieser Methode nicht erfasst werden (vgl. Moosbewuchs einstellen muß. Tab. 1/32). Zudem ist das Dispersionsvermögen durch den ge- Von den nachgewiesenen Arten können 11 als Wald- ringen Aktionsradius der meisten, oft nur wenige arten, 8 als subthermophil und 3 als thermophil Millimeter großen Schneckenarten (z.B. Pupilla eingestuft werden. Mit Acanthinula aculeata, Ena muscorum oder Vallonia costata) sehr begrenzt; be- obscura, Discus rotundatus, Limax cineroniger, Mo- reits 1-2 m breite ungünstige Strukturen (Teerwege, nachoides incarnatus, Helicella italica, Helicodon- Betonmauern etc.) können Barrierewirkung entfal- ta ovoluta, Helicigona lapicida und Cepea hortensis ten. Erst nach Jahrzehnten kann sich daher eine wurden 9 Arten ausschließlich in Mauerfallen nach- artenreiche Schneckenfauna einstellen. gewiesen. Dies bestätigt die Beobachtung, daß viele Auch die Schneckenfauna der Mauern umfaßt nicht Schneckenarten bei günstiger Witterung bzw. bei nur Spezialisten für Trockenbiotope, die über beson- genügend Deckung weit in benachbarte (Halb)- dere Anpassungen gegen Austrocknung verfügen trockenrasen eindringen können. (siehe LPK-Band II.1 "Kalkmagerasen"), das Spal- Am Ebelsberg wurde die größere Zahl thermophiler tensystem aber dennoch als zeitweilige Rückzugs- Schnecken angetroffen, so stellt die trockenheitslie- möglichkeit nutzen, sondern auch hygrophile Arten. bende Cepaea nemoralis (Schwarzmündige Bän- derschnecke) dort die häufigste Schneckenart, wäh- Neben stenotopen, xerothermophilen Schnecken rend die weniger thermophile Cepaea hortenis wie Vallonia costata (Gerippte Grasschnecke), Val- (Weißmündige Bänderschnecke) hier völlig fehlt. lonia excentria, Chondrula tridens (Dreizahn-Viel- Am Pfaffenberg verhält es sich genau umgekehrt. fraßschnecke, RL Bayern 1), Helicella (Xerolenta) Abschließend werden noch (ohne Anspruch auf obvia (Weiße Heideschnecke), Pomatias (Oxyloma) Vo l lst ändigkeit) einige agrotop-relevanten Land- elegans (Schöne Landdeckelschnecke), Orcula do- schnecken mit ihren Habitatansprüchen vorgestellt. lium (Große Fäßchenschnecke), Pupilla muscorum (Zylinder-Windelschnecke), Helicigona lapicida z Chondrula tridens - Dreizahnturmschnecke, (Steinpicker), Aegopinella nitens, Cepaea horten- RL 1 sis, Helicodonta obvoluta, Aegopinella minor, Ceci- Nach BOGON (1990) findet man die mittel-, ost- lioides acicula (RL Bayern 3), Monacha cartusiana, und südosteuropäische Art besonders in Mittel- oder Zebrina detrita (RL Bayern 3), wurden an deutschland, wobei offenbar große Verbreitungs- Weinbergstrockenmauern auch einige hygrophile lücken bestehen. Waldarten beobachtet. Zu diesen zählen z.B. Ena Funde liegen u.a. vor aus dem Ackerterrassensystem obscura (Kleine Turmschnecke), deren Hauptle- bei Lindberg/KEH: (D. MÜLLER, mdl.), aus Herrn- bensraum felsige, schattige Wälder sind und der wahlthann/Hausen (FALKNER mdl.), aus Frein- vom Aussterben bedrohte Bierschnegel Limacus hausen (PAF) sowie aus den Pleintinger Löß- flavus, eine Charakterart schattiger Erdkeller (Bier- terrassen/PA (HAASE et al. 1990). keller, FALKNER mdl.). Habitatansprüche Auch die eher als mesophil bis euryök geltenden Die Dreizahnturmschnecke bevorzugt kurzrasige, Waldarten Discus rotundatus (Gefleckte Schüssel- kalkhaltige, warm-trockene Biotope. Über die Le- schnecke), Trichia hispida (Gemeine Haarschnecke), bensweise der meist in Ritzen und Spalten versteckt Balea biblicata (Gemeine Schließmundschnecke), lebenden Art ist nur wenig bekannt. Bei feucht-war- Cochlodina laminata (Glatte Schließmundschnecke), men Wetter findet man sie gelegentlich an Grashal- Perforatella (Monachoides) incarnatus (Rötliche men angeheftet. Häufiger als lebende Tiere kann Laubschnecke) sind in rheinland-pfälzischen Wein- man die typischen zylindrisch-konischen Schnek- bergslagen typische Schnecken für alte Gemäuer. kengehäuse finden, die Vorkommen der Art bezeu- Als ausgesprochene Feuchtlufttiere haben viele gen. Schnecken ihr Aktivitätsmaximum in die Nacht ver- z legt; tagsüber halten sie sich in den Spalten ver- Vitrinobrachium breve - Kurze Glasschnecke steckt, wo der glatte Stein ein fugenloses Anheften In Deutschland recht selten, früher besonders in den ihrer Gehäuse ermöglicht. Den nötigen Kalk zum Auwäldern des Rheintales häufiger gefunden. Für Gehäusebau beziehen sie aus dem Gestein, oder auf das Weinbaugebiet Unterfrankens ist die Art bisher Silikat vom Mörtel in den Mauerfugen (MIOTK noch nicht angegeben worden, so daß durch die 1989). Fundmeldung am Pfaffenberg (HAS) durch VYTRI- SAL (1991) eine "Lücke" geschlossen werden konn- Die einzelnen Schneckenarten zeigen z.T. deutliche te. Präferenzen bezüglich Exposition und Hanglage. MÖLLER (1985) fand artenreiche Schneckenge- Habitatansprüche meinschaften zum einen an süd- bis südostexponier- Liebt feuchte lichte Wälder, verbirgt sich dort oft ten Mauern im oberen Hangdrittel, zum anderen an unter Laub und Steinen und kommt nur in der küh- westexponierten im unteren Hangbereich. leren Jahreszeit an die Oberfläche. Am Pfaffenberg

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Tabelle 1/32 An Weinbergsmauern gefangene Schneckenarten und ihre ökölogische Einordnung (VYTRISAL 1991, veränd.) ST= subthermophil, T = thermophil, F = feuchtelieb., W = "Waldart", L = lichtlieb., st. = stenök, eur. = euryök, syn. = synanthrop, S = Steine, Tr. = Trockenrasen, Htr. = Halbtrockenrasen, Wf. = Waldfelsen, Ws. = Waldsteppe

Art/RL BY ökologische Gruppe Besonderheiten

Acanthinula aculeata W/F/st. Wald Merdigera obscura ST/F/ st. Wald Cochlodina laminata W/eur. Wald Mauersiedlerin Punctum pygmaeum W/F/eur. Wald Discus rotandus W/F/ eur. Wald Hauswandsiedlerin Vitrinobrachium breve/RL 3 (W)/L/eur. Wald Vitrina pellucida ST/F/eur. syn. Hauswandsiedlerin Aegopinella minor/ RL 4 S T/L/Waldsteppe Oxychilus cellarius W/eur. Wald Limax cineroniger W/F/st. Wald Lehmannia marginata W/(F)/eur. Wald Deroceras reticulatum ST/F/eur. Feld/S. Mauer-, Hauswand-, Lößsiedlerin Arion rufus/RL 4 R W/F/eur. Wald Arion fasciatus W/F/eur. Wald Monachoides incarnatus W/eur. Wald Hellicella itala (T)/L/st. Feld/Tr. Mauersiedlerin Euomphalia strigella/RL 4 R (T)/L/eur. Wald 7Ws./Htr. Mauersiedlerin Helicodonta obvoluta ST/F/st. Wald Helocigona lapicida ST/eur. Wald/Wf. Mauer-, Lößwandsiedlerin Cepaea nemoralis ST/L/eur. Feld/syn.

hielten sich die Schnecken an den besonnten Mauern z Arion rufus - Große Rote Wegschnecke, im Unterhang und zu einem kleinen Teil in der RL 4 R angrenzenden Wiese auf. Habitatansprüche z Aegopinella minor - Wärmeliebende Glanz- Besiedelt bevorzugt vielfältige Offenlandbiotope, schnecke, RL 4 S synanthrop. Rasen usw. Dort vielfach unter Steinen und Holz. Im Gegensatz zu A. fasciatus auch in Selten und nur verstreut vorkommend. HÄSSLEIN Wäldern. Im UG von VYTRISAL nur Einzelexem- (1966) beschreibt sie als lokale Assoziations-Cha- plare. rakterart der trocken-warmen Eichenwälder des nie- derbayerischen Donautals, SCHMID (1966) vom z Helicella itala - Gemeine Heideschnecke Südhang des Spitzberges unter einem Liguster- Schlehengebüsch. An den warmen Keuperhängen Zumindest in den Wärmegebieten Süddeutschlands des Oberen Maintals und des Haßbergeanstiegs noch recht häufig zu finden (FALKNER, mdl. in (VYTRISAL 1991) gehörte sie zu den am häufig- VYTRISAL 1991). sten gefangenen Arten. Habitatansprüche Ausgesprochen heliophile und thermophile Charak- Habitatansprüche terart xerothermer Rasen, zieht jedoch die etwas Trocken-warme, gerne auch kurzrasige Biotope. Im langrasigeren und damit feuchteren Biotoppartien UG von VYTRISAL sowohl an besonnten (Ebels- vor (HÄSSLEIN 1966), ihr Rückzugsraum sind berg) wie auch an hecken-gesäumten Weinbergs- häufig Mauern, gerne in Weinbergsbrachen (GRUIS mauern (Pfaffenberg und Ebelsberg). 1983, vgl. SCHMID 1966).

131 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

VYTRISAL (1991) fand jedoch nur ein Einze- Nach einer Betrachtung des historischen und so- lexemplar an einer hecken-bestandenen Weinbergs- zioökonomischen Umfeldes (vgl. Kap. 1.6.1) wird mauer am Pfaffenberg. die Herausbildung der verschiedenen Agrotoptypen z und -gefüge unter dem Blickwinkel ihrer topogra- Euomphalia strigella - Große Laubschnecke, phisch-standörtlichen Einbindung betrachtet RL 4 R (Kap.1.6.2, S.141). Kap.1.6.3 (S.145) setzt sich mit Die Charakterart xerothermer Kiefern- und Eichen- der Frage auseinander, wie Raine und andere Rand- wälder wurde von HÄSSLEIN (1966) auch an strukturen in der Vergangenheit genutzt, wie Wege Straßenböschungen und Bahndämmen gefunden. und Mauern gepflegt und instandgehalten wurden. Im Sommer sitzt die Schnecke oft an Gräsern, in Dem historischen Wegebau und dem Triftwesen ist Hochstauden und Gebüschen, im Winter gerne in dabei ein eigener Abschnitt gewidmet (Kap. Thymus serphyllum-Polstern. Häufig auch an Wein- 1.6.3.2). bergsmauern, wo sie bei Trockenheit Schutz unter Gesteinstrümmern sucht. VYTRISAL (1991) fand 1.6.1 Historische und sozio- sie am Ebelsberg in unmittelbarer Nähe von Mauern ökonomische Rahmenbedingungen sowie am Waldrand. Die Genese der Agrotope ist eng mit der Entwick- z Helicigona lapicida - Steinpicker, RL 4 R lung der traditionellen Landwirtschaft verknüpft. Die subthermophile Art mit der schmalen Gehäuse- Vielfach wurden (und werden!) die ursprünglich form ist dafür prädestiniert, auch schmale Spalten historisch bzw. sozioökonomisch bedingten Agro- und Ritzen zu besiedeln, meidet jedoch die ganz topstrukturen durch natürliche oder "ungesteuert" trockenen felsigen Standorte. Sie klettert an Bäumen ablaufende Prozesse (z.B. Erosion) weiter modifi- in alten Waldbeständen empor, ist ein häufiger ziert. In diesem Sinne versucht dieses Kapitel u.a. (wenn auch bereits rückäufiger) Bewohner der folgende Fragen zu beantworten: Weinbergsmauern, wurde aber auch im Steilwand- • In welchem historischen und sozioökonomi- biotop der Lößhohlwege gesichtet (MIOTK 1979 a schen Umfeld entstanden bestimmte Flureintei- und b). lungen wie Gewann- oder Waldhufenfluren? z Helix pomatia - Gefleckte Weinbergsschnecke Wie kam es zur Realteilung, der wir einerseits unsere feingliedrigsten Landschaften, aber auch Kalkstete Art, kann als Charakterart der Weinbergs- fast unlösbare Probleme bei der Bewirtschaftung hänge gelten (vgl. AUVERA 1966), meidet dort (z.B. nur meterbreite "Handtuchäcker") verdan- aber die extremen Trockenhänge. Auch in Hecken ken? und großblättrigen Krautbeständen. Im UG von • Welche Motive forcierten den Wege- und Stra- VYTRISAL (1991) konnte die Weinbergschnecke ßenbau vergangener Jahrhunderte? Warum wur- in größerer Anzahl am Pfaffenberg direkt unterhalb den erst nach Aufhebung des "Flurzwangs"* des bewirtschafteten Weinbergs gefunden werden, vermehrt neue Wege in der Feldflur angelegt? am Ebelsberg wurde sie dagegen nur selten ange- • Wie kam es zur Ausdehnung, wie zum späteren troffen. Rückzug des Weinbaus? Was "erzählen" uns ver- fallene Abtreppungen und eingewaldete Mauer- terrassen? 1.6 Traditionelle Bewirtschaftung 1.6.1.1 Flurstrukturen Das biotische Gefüge, vor allem Restvorkommen und Grenzlinienagrotope früher weit verbreiteter und typischer Arten und Gesellschaften, kann - von zurückliegenden Land- Wie bereits erwähnt, dien(t)en Raine vorrangig der nutzungsperioden aus betrachtet - besser verstanden Parzellenabgrenzung. Ihr Bestand in einem Gebiet werden. Wichtige und sichere Informationen über hängt also ganz wesentlich von der dort vorherr- Lebensraumansprüche, Gestaltungs- und Pflegehin- schenden Flurform ab. Unmittelbar damit ver- weise sind daraus abzuleiten. Ohne in überkomme- knüpft sind das Erbrecht (also Realteilung bzw. nen Zuständen verharren zu wollen, stellt ein mög- Anerbenrecht) sowie die traditionellen Flurverfas- lichst detailgetreues Nachahmen der historischen sungen und Bewirtschaftungssysteme (z.B. alte Bewirtschaftung oft das risikoärmste "Pflegemana- Dreizelgenwirtschaft mit Flurzwang). Die wichtig- gement" dar. sten Beiträge zu der umfänglichen Thematik haben Weiter soll dies Kapitel einen unverzichtbaren Wis- bisher die geographischen Wissenschaften geleistet; sensgrundstock über agrarhistorische Zusammen- erwähnt seien hier vor allem die umfassenden Ar- hänge vermitteln, den Sehwinkel über das biolo- beiten von KRENZLIN (1983), UHLIG & LIENAU gisch-ökologische Moment hinaus erweitern, den (1967), SCHAEFER (1954, 1959). Blick für bisher oft unbeachtete "Marginalien" in der Ohne allzuweit auszuholen, knüpft dieses Teilkapi- Landschaft schärfen. tel an die bereits bekannten Erscheinungsformen der

* Der Flurzwang verpflichtete alle "Flurgenossen" zu einem gemeinschaftlich geregelten Anbau der Ackerschläge mit gleichem Zeitpunkt der Bestellung, Aussaat und Ernte. Anschließend wurden die "Brachzelgen" i. d. R. vom Dorfhirten beweidet.

132 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Flur an und stellt diese in einen größeren Zusam- frühen Mittelalter als die "Planflur" des Daueracker- menhang. baus anzusehen ist (KRENZLIN 1983), sind für das Grundsätzlich ist bei der Genese von Flurformen Tertiärhügelland derartige Einflüsse weitgehend von einer ausgeprägten regionalen Differenzierung auszuschließen. Spätere Abänderungen ursprüngli- auszugehen; es gibt also keine "allgemeingültigen" cher Flurstrukturen sind vor allem auf die in Altbay- Entwicklungsgrundsätze, die schablonenhaft für ern äußerst vielfältigen Erscheinungsformen der jede beliebige Flur zutreffen. Allenfalls kann - ent- Grundherrschaft zurückzuführen, die häufig sogar sprechend der mitteleuropäischen Entwicklungsten- innerhalb einer Dorfgemarkung wechselte. Nicht denz von ungeregelten Feldsystemen mit Weide- selten unterstand fast jeder Hof eines Dorfes einer wirtschaft zu geregelten Systemen mit Daueracker- anderen Grundherrschaft (GLASHAUSER & WÖLFL bau - stark vereinfacht von einem allmählichen 1992: 27; vgl. HANKE 1966; RÖSENER 1985). Übergang von Blockfluren hin zu streifiger Parzel- lierung ausgangen werden. Bei längeren Streifen Für das niederbayerische Hügelland entwerfen mußte zum einen der Pflug weniger häufig gewendet GLASHAUSER & WÖLFL (1992: 33 ff.) das Grob- werden, außerdem nahmen die Anwander an der muster einer historisch-flurgeographischen Skizze. Stirnseite weniger Nutzfläche weg. Das Flurbild spiegelt markant die verschiedenen Epochen der Besiedlung wider (s. Abb. 1/51, S. 134, Archäologische Untersuchungen belegen vor allem und Abb. 1/52, S. 135). für den Nordwesten Mitteleuropas bereits für die prähistorische Zeit blockförmige Fluren mit fester Die aus Blockfluren hervorgegangenen Streifenge- Einhegung durch Raine und Grenzwälle. Die wanne haben ihre Hauptverbreitung in den fruchtba- Grenzbefestigungen dieser sog. "celtic fields" dien- ren Lößlandschaften entlang der bairischen Sied- ten offenbar dem Schutz des bestellten Innenfeldes lungslinien, die den Leitensystemen der Flußtäler gegen die Weidetiere des außerhalb liegenden (Isar, Vils, Kollbach, Rott, Inn) folgten. Im Hügel- Brach- und Weidelandes sowie als dauerhaft sicht- land selbst erscheint die Gewannflur immer wieder bare Besitzmarkierung (vgl. KRENZLIN 1983; inselartig mit den frühesten Ausbausiedlungen am BROOKS 1986). oberen Ende der asymmetrischen Tälchen und seit- lichen Nischen. Diese nur zerstreut auftretenden Ge- Der enge Zusammenhang zwischen Flurstruktur, wannfluren unterscheiden sich von den erstgenann- traditionellen Nutzungsmustern und "gewachsenen" ten vor allem durch die Kleinheit der Ortsflur. Häu- Agrotopgefügen wird nachfolgend anhand einiger fig gehören sie zu Orten mit den Endungen "-ing", regionaler Beispiele präzisiert. Allen geschilderten "-ham", oder "-kofen" wie etwa Karpfham oder Af- Flurstrukturen gemeinsam ist ihre mehr oder weni- ham an der Unteren Rott (PAN). ger ausgeprägte Kleinparzelliertheit mit zahlreichen "Nähten und Säumen". Besonders auffällig und landschaftlich reizvoll ist die schmalstreifige Gewannflur zwischen Münchs- dorf und Thanndorf - ein Verband sich verschmä- 1.6.1.1.1 Streifen- und lernder, über eine Geländekuppe hinwegschwingen- blockförmige Gewannfluren der Langstreifenparzellen mit dem ungewöhnlichen Längen-Breiten-Verhältnis von 60 : 1! Die Gewannflur* ist eine Sekundärform. Ausgangs- formen waren in der Regel Blockfluren, z.T. aber Die hangsenkrecht verlaufenden Gewanne sind auch Breitstreifenfluren. Die Entstehungsursachen durch zahlreiche Schmalraine begrenzt. Mit ihrem sind zum einen in der Realteilung begründet, außer- Kopfende stoßen sie an die Gemarkungsgrenze von halb dieser Erbsitte vor allem im Übergang zum Thanndorf und bilden einen augenfälligen Kontrast zelgengebundenen Mehrfeldersystem mit verstärk- zu den unregelmäßigen Großblöcken der Einödhöfe tem Getreideanbau (KRENZLIN 1983). Im folgen- von Leberfing, Haidersberg, Hub oder Mainberg den werden vor allem die besonders "agrotop- ("Einödflur"). Wie bereits angesprochen, war die trächtigen" Langstreifengewanne und kleinflä- Flurstruktur im Verlauf der Geschichte häufig mit chigen Gewannfluren näher betrachtet. den unterschiedlichen grundherrschaftlichen Ver- Für den altbesiedelten niederbayerischen Gäu ist die hältnissen verknüpft. Entstehung von streifenförmigen Gewannfluren Am Beispiel der Hofmark** Münchsdorf im Koll- durch Parzellierung älterer Blockfluren u.a. durch bachtal zeigen GLASHAUSER & WÖLFL (1992: DRESCHER (1957) belegt. Ähnliche Hinweise gibt 36 f.) die Besonderheiten dieser "Herrschaftsdörfer" es auch für das Oberpfälzer Hügelland (PILOTEK hinsichtlich Sozialstruktur, Flurbild und den damit 1990, zit. in BARTHEL 1992) verknüpften traditionellen Nutzungsmustern auf: Die Hofmarksherrschaft förderte die Ansiedlung Anders als in den von Franken stark beeinflußten von Landhandwerk und Kleingewerbe durch günsti- Gebieten, wo die Langstreifenflur bereits seit dem ge Konzessionen.

* Gewanne sind Parzellenverbände aus parallel verlaufenden, mehr oder weniger breiten Streifen(parzellen), die insgesamt einen blockförmigen Umriß haben (vgl. KRENZLIN 1974). ** Hofmarken waren zugleich politische Gemeinden, Niedergerichtsbezirk und Wirtschaftsunternehmen. Die weltlichen Hofmarken hatten als "Patrimonialgerichte" bis 1848 Bestand (vgl. STUTZER 1988).

133 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/51 Siedlungs- und flurgeographische Skizze des niederbayerischen Tertiärhügellandes zwischen Isar und Inn (nach GLASHAUSER & WÖLFL 1992)

134 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/52 Abgrenzung unterschiedlicher Flurtypenbereiche im Kollbachtal bei Münchsdorf (nach GLASHAUSER & WÖLFL 1992: 66)

135 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Jede Handwerkerstelle war mit einem "Taglöhner- vom 11.-14. Jahrhundert statt. Die Landnahme en- häusl" und kleinem Landbesitz von etwa 0,5 bis 3 dete im 17. Jahrhundert mit der Urbarmachung der ha ausgestattet, der die Grundversorgung mit eige- Hochlagen und der Entstehung der "-reut"-Orte nen landwirtschaftlichen Produkten und zumindest (z.B. Philippsreut, Bischofsreut) (LEICHT 1985; Kleinviehhaltung ermöglichte. Zudem erhielten sie REIF 1985). das Nutzungsrecht an Nebenflächen und Randstruk- Vor allem Agrarsysteme mit schwerpunktmäßiger turen wie Rainen und Grabenböschungen. In Weideviehhaltung (Wald- und Hutungsweide) und Münchsdorf schlug sich der hohe Anteil dieser Zu- brachefreiem Dauerackerbau auf kleiner Fläche* erwerbsbauern in der starken Flurzersplitterung nie- förderten die Ausbildung von langgezogenen Strei- der. Abb. 1/52, S. 135, veranschaulicht nochmals die fenfluren. Die langgestreckten Parzellen sind auf komplexen Beziehungen zwischen Siedlungsgene- das Bemühen um möglichst gerechte Verteilung des se, Standorteignung und Flurtypenstreuung. urbar gemachten Landes zurückzuführen. Im Ge- gensatz zu den "gewachsenen" unregelmäßigen For- Mit der Genese kleinteiliger Gewannfluren im Paar- men der Altsiedelgebiete handelt es sich hier bereits hügelland bei Freinhausen beschäftigen sich um geregelt und planmäßig angelegte Flurformen. KLAUSER et al. (1990). Ebenso wie Münchsdorf Die meist verbuschten Lesesteinwälle oder Hoch- zählt Freinhausen zu den bayerischen Altsiedelge- raine an den Parzellengrenzen prägen wesentlich das bieten und gehört damit einer Siedlungsperiode an, Landschaftsbild. die von der Karolingischen Zeit bis ins 13. Jh. hinein Ausgeprägte Waldhufenfluren trifft man heute noch andauerte. im Grenzland des Bayerischen Waldes (z.B. Mitter- Die Freinhauser Flur zeigt heute noch (rudimentär) firmiansreut, Grainet, Finsterau, St. Oswald). die Charakteristika stark reliefierter Tertiärland- schaften. In Anpassung an das z.T. stark differen- Auch im Frankenwald nordöstlich der Linie Kro- zierte Kleinrelief (mit häufig wechselnden Gefälle- nach - Neustadt a. d. Waldnaab herrschte die Wald- richtungen) entstand eine kreuzlaufende Gewann- hufenflur vor. Der Fluranteil jedes Bauern beginnt flur. Im flachen Gelände der Paaraue bildeten sich am Hof und zieht, durch Wege von der Flur des dagegen typische Langstreifenkomplexe (s. Abb. Nachbarn getrennt, in einem Band über alle Kul- 1/53, S. 136). turen hinweg (i.d.R. vom Garten über Wiese und Feld in den die Rodungsinsel umgebenden Wald) bis 1.6.1.1.2 Langstreifenkomplexe und zur Gemarkungsgrenze. Je nach Dorfform ist der Verlauf der Flurstreifen (Hufen) etwas unterschied- Waldhufenfluren der Nord- lich. ostbayerischen Mittelgebirge Manchmal verlaufen die Hufen auf der Riedelfläche Waldrodungen größeren Umfanges fanden bei- annähernd parallel zueinander (z.B. Effelter); z.T. spielsweise im Bayerischen Wald hauptsächlich erweitern sie sich beim typischen Rundangerdorf

Abbildung 1/53 Kreuzlaufende Gewannfluren (links) und Langstreifenkomplexe (rechts) um Freinhausen (KLAUSER et al. 1990)

* Derartige Streifenfluren finden sich im übrigen ebenso in der nordwestdeutschen "Plaggenwirtschaft" mit dem sog. "ewigen Roggenanbau".

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Abbildung 1/54 Waldhufenfluren auf der Hochfläche des Frankenwaldes (Ausschnitt aus Top. Karte 1:25.000 "Teuschnitz", Ausgabe 1941)

(z.B. Lahm, Braunersreuth) nach außen hin fächer- 1.6.1.1.3 Realteilungsfluren förmig (s. Abb. 1/54, S. 137). Der Hofanschluß bleibt aber in jedem Fall gewahrt (DÖRRER 1941). Unterschiedliche Erbformen führten in aller Regel zu einer regionalen Differenzierung der Flurformen. Hufenfluren um typische Rundangerdörfer stellen WERTHMANN (1983: 6 ff.) schildert die agrar- eine gewisse Sonderform der für die mittelalterliche strukturellen und sozialen Entstehungsbedingungen Rodungsperiode ab 1130 kennzeichnenden Waldhu- der Realteilungsfluren im inneren Spessart. Ur- fenfluren dar. Aus den beiden Kriterien (radiale Dorf- sprünglich herrschte hier die ungeteilte Hofüberga- anlage und Waldhufenflur) ergibt sich die Bezeich- be (Anerbensitte) vor. Die Anerbensitte in den Jagd- nung Radial(wald)hufendorf - ein Terminus, der frondörfern* und bäuerlichen Siedlungen (Waldhu- Form und Zusammengehörigkeit von Dorf und Flur fen- und Streifengutdörfer) wurde erst 1755 auf eindeutig charakterisiert. Eines der bekanntesten kurmainzische Anordnung durch die Realteilung Beispiele für Radialhufenfluren ist die Ortslage abgelöst, um die Bewohner vom Auswandern abzu- Kreuzberg (FRG) im Bayerischen Wald. halten.

* Die Bewohner der Glasmacherdörfer im inneren Spessart mußten ihren "Fronherren" Jagddienste leisten. Die Fronherren gewährten ihren Untertanen dafür Weide-, Streu- und Holznutzungsrechte in den Kurmainzischen Wäldern (WERTHMANN 1983).

137 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Eine Folge dieser durch äußeren Druck ausgelösten vorher nur ein "halbes Weiderecht" besaßen, mußten Besitzzersplitterung war Überbevölkerung und sich je eine Parzelle teilen. Im Jahre 1856 erfolgte große wirtschaftliche Not in den Spessartdörfern, die endgültige Parzellierung des Pfleimberges. Da- die den Spessart als das "Armenhaus Deutschlands" mals entstanden Flurstücke von je 1/2 Tagwerk, die bis in das 20. Jh. hinein prägte. wiederum an die Rechtler vergeben wurden. Noch um 1975 lag die durchschnittliche Betriebs- größe im Vorspessart bei 3 ha, im Sandsteinspessart 1.6.1.2 Historische Wegesysteme sogar bei 1,5 ha! Infolge der extremen Flurzersplit- terung war es für die Kleinsthöfe sehr schwierig, Nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches durch Zupacht einen existenzfähigen, rentablen Be- verfielen die angelegten befestigten Straßen weitge- trieb aufzubauen. Die Höfe wurden überwiegend hend, da sie von der Bevölkerung zwar benutzt, aber nur noch zur Selbstversorgung der Familien bewirt- nicht mehr unterhalten wurden. Bis ins 18. Jh. hinein schaftet (Subsistenzwirtschaft). Ungünstige Flur- gab es praktisch nur "Naturwege", die überwiegend struktur und die hohen Betriebsaufgaberaten im aus unbefestigten Fußwegen und Trägerpfaden be- Spessart von heute haben ihre Wurzeln also in Rah- standen und nur an besonders sumpfigen Stellen menbedingungen, die vor mehr als 200 Jahren durch eine Unterlage aus Reisig oder Brettern ("Knüppel- grundherrschaftliche Zwänge geschaffen wurden. damm") hatten. Die Wege waren in der Ebene als Wagengeleise, im hängigen Gelände als Hohlwege In der Realteilungslandschaft des Kraichgaus war ausgebildet. die 2.144 ha große Gemarkung Eppingen in 13.166 Besitzstücke mit einer mittleren Parzellengröße von Bei der Neuanlage von Wegen wurden Wasserschei- 0,16 ha unterteilt. Im Gegensatz zu diesen stark den, trockene Hänge oder Terrassen bevorzugt; Tä- zersplitterten Kleinstfluren des West-Kraichgaus ler mied man oder suchte sie stets auf dem kürzesten standen die arrondierten Blockfluren der großen Gü- Wege zu überqueren (EDELMANN 1965). ter des östlichen Kraichgaus, die eine freiwillige Anerbensitte praktizierten (DEUTSCH 1973, zit. in Im frühen Mittelalter gab es zum einen die Fernver- KLEYER 1992). kehrs- und Handelswege, zum anderen die Wege innerhalb der ländlichen Siedlungen und Fluren. Der Im Zuge der "Bauernbefreiung" und Aufteilung der Nah- und Fernverkehr verlief meist strikt voneinan- Gemeingründe (Allmenden) entstanden vor allem der getrennt; beide Wegetypen verkörperten aber im 19. Jh. Flurteile, die in ihrer Geometrie auffallend nach heutigem Sprachgebrauch "Naturwege" rein- aus dem "Gesamtflurbild" hervorstechen. Solche sten Sinnes, waren also allenfalls "schwach befe- extrem schmalen Streifenparzellen erklären sich aus stigt". dem Umstand, daß sämtliche früheren Nutzungsbe- rechtigten der Allmende bei den "Gemeinheitsthei- Fernwege, Altstraßen, Chausseen lungen" bei der Zuteilung der Flurstücke berück- Für den Fernverkehr gab es sehr häufig separate sichtigt werden mußten. Letzte Überreste solcher Wege nur für Fußgänger, für Reiter und für den stark zersplitterten Kleinstfluren finden sich noch rollenden Verkehr. Typisch für den Verlauf einer heute in der Südlichen Frankenalb, z.B. bei Enkering mittelalterlichen Altstraße ist die Wegeführung auf im Anlautertal (EI). Höhenrücken, über lange Strecken oft auf Gemar- In der Arbeit von SIEBEN (1990) wird die Nut- kungsgrenzen. Für den Unterhalt hatten die Gemein- zungsgeschichte des Pfleimberges in der Gemeinde den, durch deren Gemarkungen die jeweilige Straße Titting (EI) und die Entstehung der z.T. heute noch führte, Sorge zu tragen (GUNZELMANN 1989; vorhandenen, extrem kleinparzellierten Streifenge- DENECKE 1969, 1986). Zu diesen ehemaligen wanne rekapituliert (vgl. Abb. 1/55, S. 138). Fernverkehrswegen gehört der "Goldene Steig" im Bayerischen Wald oder die "Hohe Straße" in den Die Auflösung der Allmende vollzog sich in zwei Haßbergen. Schritten. Bei der ersten Aufteilung der Allmende erhielt jeder Rechtler des Ortes eine Parzelle von Die Chaussierung der Fernwege und die Gestaltung etwa 0,4 Tagwerk (= 0,14 ha). Dorfbewohner, die mit Alleebäumen erfolgte in Bayern weitgehend erst

Abbildung 1/55 Parzellierung des Pfleimberges in Titting (nach SIEBEN 1990: 6)

138 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen im 18. Jahrhundert. Chausseen wiesen als Neuerung alter Flurstrukturen und Wegesysteme bei (vgl. HE- einen Grundbau und eine geschotterte oder gepfla- ROLD 1967: 398, DÜTSCH 1990). sterte Oberfläche auf. Damit ragten sie in ihrer Mitte bis zu 1,5 m über ihre Umgebung auf. Sie sollten so Erst nach Aufhebung des Flurzwanges und der Neu- gerade wie möglich angelegt werden, ohne wesent- ordnung des ländlichen Raumes (Gemeinheitstei- liche Rücksicht auf Besitzverhältnisse oder topogra- lungen im 19. Jh.) entstanden vermehrt neue Wege. phische Gegebenheiten. Neben dem neuartigen Ab den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts wurde Querschnitt, der Bepflanzung und der Ausrichtung der Wegebau in größerem Umfang in Flurbereini- auf ein in der Ferne liegendes Ziel (z.B. der Kirch- gungsmaßnahmen einbezogen (DÜTSCH 1990). turm des nächsten Dorfes) zeichneten sich diese Bereits in den Katasteruraufnahmen ist das ländliche Straßen dadurch aus, daß nun erstmalig der Staat die Wegenetz nach seiner funktionalen Bedeutung in zentrale Planung und den Bau verantwortete. Wie "Fahr- und Fußwege" unterschieden (vgl. GLAS- bereits angemerkt, hatten bis dahin Baulast und Un- HAUSER & WÖLFL 1992: 57 ff.). "Feld- und terhalt - auch für die überörtlichen Verbindungswe- Holzwege" sind durch ihre geringere Breite von den ge - bei den Gemeinden bzw. bei den zum Frondienst übergeordneten Ortsverbindungswegen, den sog. verpflichteten Untertanen gelegen. "Vicinalstraßen"**, zu unterscheiden (vgl. GRE- Nur wo aufgrund großer Steigungen oder zu enger GER 1824). Aus Rechtsquellen des Hoch- und Spät- Kurvenradien im Zuge der Motorisierung gänzlich mittelalters sind rechtlich fixierte Wegebreiten über- neue Trassen gewählt wurden, haben sich Reste liefert, deutlich gestaffelt nach der Frequentierung dieser "ersten Kunststraßen" abschnittsweise im und dem Stellenwert des jeweiligen Weges. DEN- Originalzustand erhalten. Dazu zählen nach GUN- ECKE (1979b) nennt für Nahverkehrswege 1,5 bis ZELMANN (1989) einige Abschnitte der wichtigen 3,5 m, für Gemarkungswege 0,5 bis 2 m. Nord-Süd-Achse von Nürnberg nach Leipzig über die Stadt Bamberg, wie z.B. die inzwischen ver- Die Fußwege erfüllen vor allem die Funktion von wachsene Obstbaumallee bei Memmelsdorf/Schloß Kirch- und Schulwegen; ein solches "selbständiges Seehof, erhaltene Altpflasterreste zwischen Bam- Netz abkürzender Fußwege" ist DENECKE (1979b) berg und Debring (Bamberg Süd-Burgebrach) oder zufolge besonders eigentümlich für den Nahverkehr der Hangterrassenweg am Würgauer Berg (Scheß- von Ort zu Ort. So spiegelt das Fußwegesystem der litz) mit z.T. altem Kalksteinpflaster (vgl. auch Kap. Münchsdorfer Flur die zentrale Funktion der alten 1.9.5). Hofmarke Münchsdorf als Kirch- und Schulort wi- Feldwege, Triften der: "Alle umliegenden Ansiedlungen von Dellen- dorf über Holzhäuser, Haidersberg und Schmiedorf Die Feldflur war ursprünglich sehr viel weniger bis hinüber nach Mainberg und Kumpfmühl sind durch Wege erschlossen als heute, zudem handelte sternförmig an Münchsdorf angebunden." (GLAS- es sich oft um Sackgassen, die manchmal ziemlich HAUSER & WÖLFL 1992: 57). abrupt, z.B. an den Holzeinschlagplätzen, endeten. Der Verkehr beschränkte sich auf Fußgänger, Die Trift ("Triebweide") der Wanderschäfer ist Schubkarren, Kuh-, Ochsen- oder Pferdegespanne durch den jahreszeitlichen Weidewechsel zwischen sowie ziehende Viehherden. Vom Fernverkehr wur- klimatisch unterschiedlichen Standorten gekenn- den sie weitgehend gemieden. zeichnet. Noch heute begeben sich in Unterfranken einige Herden Mitte April auf den Trieb zu den meist Gewöhnlich bestanden in den Feldmarken alther- höher gelegenen Sommerweiden (Spessart, Hoch- kömmliche Gebräuche, nach denen auf bestimmten rhön) und ziehen Anfang September wieder in die Grundstücken die Verpflichtung lastete, den Anlie- wärmeren Ackerbaugebiete (Maintal, Ochsenfurter gern das Überfahren bei der Bestellung und Ernte zu Gäu, Mainfränkische Platte, Kahlgrund) zu den dor- gestatten (vgl. Kap.1.6.3.2, S.146). tigen Hackfrucht- und Grünlandnachweiden (WIL- Der mit der alten Dreifelderwirtschaft verknüpfte KE 1979: 147). Das Abweiden der Raine und be- "Flurzwang" und die "Gemenglage"* des Besitzes wachsenen Feldwege entlang des Triebs war früher erforderte keine Erschließung jeder einzelnen Par- eine sehr geschätzte Abwechslung zu der Hack- zelle. Das charakteristische, vom Dorf aus sternför- fruchtweide. Mit der Nutzungsintensivierung im mig die Flur erschließende Wegesystem konnte sich Ackerbau und der Beseitigung dieser Flächen durch über lange Zeiträume erhalten. Das alte Zelgensy- Flurbereinigung und Wegeausbau geht den Schäfern stem, das vor allem im südwestdeutschen Raum wertvolles und billiges Futter verloren (vgl. Kap. noch bis in die 60er Jahre d. Jh. das Flurbild weithin 2.3.2.4). prägte, "dämpfte" offensichtlich den Wunsch nach Zu Beginn des 19. Jh. sind die Wege noch durch Flurbereinigung und landwirtschaftlichem Wege- Zäune von der Feldflur abgetrennt. Zwei etwa 5 bis bau und trug so ganz erheblich zur Konservierung 10 m breite Triebwege oder "Viehgassen" führten

* Zersplitterte Flurlage, früher die Regel bei Haufendörfern. Bei einer Gemenglage ist jeder Landnutzer mit mindestens einem Flurstück an jeder Fruchtart der Dreifelderwirtschaft beteiligt. ** Gebahnte Feldwege, der Hauptstraße untergeordnet. Während die Hauptstraßen vom Staatsvermögen unterhalten werden, unterstehen die Vicinalwege "der polizeylichen Sorge des Beamten einer Gegend von 3 - 4 Quadratstunden" (GREGER 1824: 50).

139 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen von Münchsdorf in die Gemeindeweiden an der schimmelhofs" den uralten Höhenweg von Pähl Kollbach, eine weitere von Thanndorf aus über den nach Andechs (WM) auf der langgezogenen Wall- Freibach zum dortigen Weideland. moräne: "Das einzige, in den Hartboden einge- Ein bemerkenswertes kulturhistorisches Phänomen schriebene Dokument [alter Siedlungsspuren] sind stellen die sog. "Spurenstränge" aufgelassener die vielfachen Wagengeleise alter, längst überwach- Hohlwege dar. Wenn sich die Hohle im Laufe der sener Fahrten, die über die Höhe laufen - ein viele Zeit so tief eingeschnitten hatte, daß ihre Benutzung Jahrtausende alter Weg der Völker." nur mehr erschwert möglich war, wurde eine neue Trasse parallel dazu angelegt, die sich nun wiederum Welche der tiefausgefahrenen, meist nur karrenbrei- allmählich eintiefte. ten Spuren dem Wegekörper der alten Römerstraße HAUSHOFER (1957: 22, 40) beschreibt in seiner von Epfach nach Gauting folgen, muß der Spekula- Chronik zum hundertjährigen Bestehen des "Hart- tion überlassen bleiben.

Abbildung 1/56

Reliktformen des Weinbaus im östlichen Odenwald / Gde. Amorbach (nach JÄGER & SCHAPER 1961: 182), erstellt nach Bayr. Urkataster 1844 Bl. N.W. LXXIV 71 a und Geländebegehungen

140 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

1.6.1.3 Der historische Weinbau auch die einsetzende Klimaverschlechterung ver- antwortlich gemacht werden. Beschleunigt wurde Wenn in der Nähe von Städten, Burgen oder Klö- dieser Rückgang in der zweiten Hälfte des 19. Jahr- stern an südexponierten Hängen Terrassen gefunden hunderts durch die zunehmende Industrialisierung, werden, ist es wahrscheinlich, daß hier einst Wein- die Technisierung des Verkehrs sowie die Ein- kultur betrieben wurde - selbst in Gegenden, die man schleppung von Reblaus und Falschem Mehltau heute kaum mehr mit dem Weinbau verbinden wür- (JÄGER & SCHAPER 1961; WAGNER 1961; JÄ- de. Alte verfallene Mauern und Treppen sowie Flur- GER 1969; LEICHT 1985). namen (Weinberg, Weingart, Weingarten, Weinleite, Heute ist der Weinbau im wesentlichen auf Main- Weinäckerlein, Wingert usw.) oder auch Weinsor- franken beschränkt, doch auch hier erlosch der Reb- tennamen sind Zeugen der ehemaligen Rebkultur anbau im Verlauf der letzten 100 Jahre an zahlrei- (vgl. JÄGER 1965, 1969; LEICHT 1985). chen Stellen, z.B. in Aschaffenburg, Bad Kissingen Die wahrscheinlich ältesten noch erhaltenen Wein- und Lohr am Main, in Neustadt an der Aisch und berge in Franken stammen aus den Jahren um 770 Rothenburg ob der Tauber. Vielerorts sind aber noch n. Chr. (z.B. Rebgärten bei Hammelburg, bei Mün- die Spuren ehemaligen Weinbaus anzutreffen. Süd- nerstadt an der Lauer, Halsheim an der Wern, Klin- lich Miltenberg beispielsweise fanden JÄGER & genberg am Untermain und bei Würzburg). Daß SCHAPER (1961) kleine Podeste als Relikte des jedoch auch Altbayern, historisch gesehen, mehr ältesten Terrassentyps (vgl. Abb. 1/56, S. 140). Die Weinland als Bierland war, beweisen nicht nur Stufen waren noch nicht gemauert, sondern bestan- Ortsnamen wie Niederwinzer bei Regensburg oder den aus Lesesteinwällen und -haufen, was darauf Winzer bei Deggendorf. Zumindest die Weingärten hinweist, daß die Trockenmauertechnik zum Zeit- entlang der Donau sind vermutlich auf Reste römi- punkt der Anlage dieser Weingärten hier noch nicht scher Weinkultur zurückzuführen. bekannt war. Das Auftreten solcher Relikte in heu- tigen Waldflächen bietet einen wichtigen Hinweis Selbst in Oberbayern haben sich, wenn auch nicht auf Flurwüstungen (vgl. HEMPEL 1957, SCHAR- immer deutlich erkennbar, Spuren früherer Rebter- LAU 1949). rassen erhalten. BREUER (1983) nennt als Beispiel den Weinberg bei Seeon. Darüberhinaus lassen zahl- 1.6.2 Entstehung, topographische reiche weitere Acker- und Grünlandterrassen auf Einbindung und Agrotopgefüge ehemaliges Rebgelände schließen (z.B. Innleiten bei Perach, terrassierte Südhänge im Chiemgau bei Welchem topographischen "Fingerzeig" folgten die Gstadt und Rimsting, Pfrombacher Heckengebiet Landleute bei der Anlage von Acker und Grünland, bei Wartenberg/ED u.a.) (ANONYMUS 1990). von Feldgrenzen und Verbindungswegen, bei der Anfänglich wurden bevorzugt die flacheren Tal- Einsetzung verschiedener Fruchtfolgen* und An- randlagen kultiviert; erst im Hochmittelalter ging bautraditionen, die - zusammengenommen - den man dazu über, steilere Lagen zu roden und Terras- Grobrahmen für die unterschiedlichsten Agrotopty- sen anzulegen. Die "primitiven" podestartigen pen und -gefüge abstecken? Weinbauterrassen wurden allmählich von den mit Bevor Enstehungsursachen verschiedener Agrotop- kunstvoll aufgeschichteten Stützmauern versehenen typen aus diesem Blickwinkel heraus im einzelnen Rebflächen abgelöst. aufgezeigt werden, wird zunächst auf überlieferte Mit der Entwicklung der Trockenmauertechnik und Anbautraditionen eingegangen, die im Zusammen- des damit verbundenen Terrassenbaus konnten sich spiel mit Gelände und Standort jeweils andere Flur- die Weinbauflächen in Franken nicht zuletzt auch strukturen und damit auch Agrotopkonfigurationen wegen des herrschenden Klimaoptimums im Mittel- hervorbrachten. alter bis auf insgesamt rund 40.000 Hektar ausdeh- nen. Dabei dürften nicht nur süd- bzw. südwestex- 1.6.2.1 Agrotopgefüge und differenzierte ponierte Hänge bebaut worden sein, sondern sogar Bodennutzung im Rahmen überlie- Nordlagen. Zudem konnte sich der Weinbau jetzt o ferter Flurverfassungen und Anbau- auf Steilhänge bis 30 Geländeneigung auswei- traditionen ten. Bis ins 15. Jahrhundert soll der Bereich zwischen In allen Gebieten mit gemischter Acker-Grünland- Odenwald und Fichtelgebirge, zwischen Rhön und Nutzung haben Topographie und die natürlichen Frankenhöhe ein relativ zusammenhängendes Erzeugungsbedingungen jeweils wechselnde Vor- Weinbaugebiet gewesen sein. Hinzu kamen die aussetzungen für die Gestaltung der Einzelbetriebe Weingärten im übrigen Franken sowie in Altbayern. geschaffen. Auf diese Weise konnte praktisch "jedes Seit dem 30jährigen Krieg ging der Weinbau in kleine Flußtal (...) ein besonderes Kulturartenver- diesen Gebieten - zum Teil unterbrochen von Neu- hältnis hervorbringen" (HEUSER 1950). anlagen - beständig zurück. Neben ökonomischen Zur Tradition einer "differenzierten Bodennutzung" Gründen und der Veränderung des Publikumsge- (vgl. HABER 1971) zählt in der Geschichte der schmacks zugunsten des Bieres muß dafür u.a. Landwirtschaft zuvörderst die Herausbildung des

* Fruchtfolge bezeichnet das zeitliche Nacheinander der Feldfrüchte auf dem jeweils gleichen Flurstück.

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Kulturartenverhältnisses, womit das räumliche Ne- hier hielt man sich oft lange an die altbewährte beneinander der verschiedenen Feldfrüchte bzw. die Dreifelderwirschaft. Die starke Abgeschlossenheit Acker-Grünland-Verteilung und damit auch das der Hoflage bot zudem wenig Möglichkeiten zum "Raummuster" der Agrotope umrissen wird. "Blick über den Zaun" zum vielleicht "fortschrittli- Die auf kleinstem Raum oft stark wechselnden Bo- cheren" Nachbarn. Die Grenzen zwischen Feld und denverhältnisse waren die eigentlichen Hauptursa- Wiese verschoben sich oft um geringe Beträge, die chen für die Einrichtung verschiedener Fruchtfol- einzelnen Parzellen waren weniger genau eingemes- gen. Bei Gemenglage bestanden zudem für die ein- sen, an manchen Orten "schwammen"* die unregel- zelnen Flurstücke stark unterschiedliche Bewirt- mäßig gerundeten Feldstücke geradezu im Grün der schaftungsvoraussetzungen, die zur sog. "Schlag- z.T. nur meterbreiten Wiesenbänder. Eine strenge fruchtfolge" führten: Dabei wird jede Bodengüte Bindung an alte Flurverfassungen wie der zelgenge- einem gesonderten Fruchtfolgeumlauf unterzogen. bundene Anbau sowie die abgeschiedene Lage vie- Das heißt, die Kulturartenwahl folgte solange den ler Orts- und Flurlagen waren also Hauptursachen natürlichen Vorgaben, bis Arrondierung und Me- für die relative Kontinuität vieler traditioneller Ack- lioration weitgehend vereinheitlichte Anbauvorau- erbaugebiete, die "agrotopfeindliche" Neuerungen ssetzungen schufen. über lange Zeiträume hinweg verhinderte. HEROLD (1966) skizziert die Verflechtung alter- Auf der anderen Seite sorgten noch altertümlichere tümlicher Anbautraditionen mit der (naturraumab- Anbaumethoden wie die Egarten- und Feldgras- hängigen) Reliefgestaltung und Flurstruktur. Als wirtschaft mit ihrem mehr oder minder unregel- "Prägestock" oder "Eichmarke" des landwirtschaft- mäßigen Wechsel zwischen Acker- und Wiesennut- lichen Anbaus dient dem Autor (S. 94) vor allem der zung auf ein- und derselben Parzelle für die nötigen zelgengebundene oder flürige Anbau, bei dem die "Innovationen" in der Feldflur. Bei der ursprüng- Ackerflur in mehrere, fast gleich große Fruchtarten- lichsten Form dieser Wechselnutzungen ("Wilde bezirke (Zelgen) gegliedert ist. Die Zelgen sind Er- Berasung") überließ man die Umwandlung vom gebnis des früher ausgeübten "Flurzwanges" und der Acker zur Wiese weitgehend den zufällig aufkom- gemeinschaftlichen Brachbeweidung. Diese Wirt- menden Kräutern und Gräsern. Teilweise half man schaftsweise spiegelte sich vor dem II. Weltkrieg, mit Heublumensaat etwas nach (STEBLER 1920). z.T. sogar noch in der Nachkriegszeit unmittelbar im Während bei der Egartenwirtschaft des Alpenvor- Flurbild wider: Sommergetreidefelder waren schon landes das Schwergewicht auf der Grünlandnutzung von weitem durch das Gelb des Acker-Rettichs zu lag (umgebrochen wurde meist dann, wenn Unkräu- erkennen, Wintergetreideschläge durch die Farb- ter und Sauergräser den Bestand beherrschten), klänge von Klatschmohn, Kamille und Kornblume stellte die Feldgraswirtschaft eine mehr oder minder (RINGLER 1987: 129). Besonders zäh hielt sich der unregelmäßige Wechselnutzung zwischen Acker flürige Anbau in den hessischen, fränkischen und und Wiese dar, wobei die Ackerphasen in der Regel schwäbischen Realteilungsgebieten, insbesondere überwogen. Von den verschiedenen Formen der in abgelegenen Tälern mit hohem Wald- und Grün- Feldgraswirtschaft profitierten eine Reihe "agroto- landanteil. HEROLD (1966: 95) berichtet noch von prelevanter", heute z.T. hochbedrohter Pflanzenar- ausgedehnten Brachzelgen in Lothringen als dem ten (vgl. Kap. 1.4, S.37). wohl altertümlichsten Zug im Bild der mitteleuro- päischen Agrarlandschaft der Nachkriegszeit. Die Feldgraswirtschaft war noch vor dem Zweiten Weltkrieg die übliche Nutzung in vielen Mittelge- Der flürige Anbau hatte für die Bauern jedoch birgsregionen (v.a. Bayerischer Wald, Oberpfälzer durchaus "handfeste" Vorzüge aufzuweisen: Gleich- Wald, Frankenwald). Letzte Fragmente erhielten artige Feldfrüchte lagen relativ nah beieinander, der sich (z.T. bis in die Gegenwart) aber auch in anderen Zeitbedarf für die Zufahrt zu den einzelnen Parzel- ertragsschwachen Gebieten (z.B. bei Enkering/An- len war dadurch erheblich vermindert, vor allem lautertal). Der spontane Nutzungswechsel erzeugt dort, wo die einzelnen Zelgen durch tiefe Talein- ein eigenartig "buntes Durcheinander" von unregel- schnitte getrennt waren. Der Wunsch nach einer mäßig in der Ackerflur verteilten Wiesenstücken Flurbereinigung war dementsprechend deutlich ge- und umgekehrt (s. Abb. 1/57, S. 143). ringer als in Gebieten mit ebenso stark zersplitterter Flur ohne Zelgenbindung. Der geringere Wildscha- Wichtige "Fingerzeige" für die jeweilige Tauglich- den und die meist geringeren Flurschäden bei der keit der verschiedenen Ackerlagen lieferte früher (gemeinschaftlichen) Beweidung schlugen sich das "Unkraut" auf den Äckern und die Pflanzenge- ebenfalls positiv zu Buche. meinschaften der Feldraine. BOAS (1952: 379 ff.) sieht den Acker über den Ackerrain, den Hohlweg Daß aber nicht nur stark zersplitterte Flurlagen idea- in engem Beziehungsgefüge mit der Umgebungs- le Voraussetzungen für Streifen- und Zwickelbio- landschaft, wenn er "Großleitpflanzen" (Zeiger- tope zwischen den Äckern und Wiesen schufen, pflanzen) "saurerer Sande und Urgebirgsgebiete (...) zeigen die alten Flurbilder vieler Einödlagen. Auch kalkreicher Gebiete (...) stark humöser Gebiete" de-

* Solche "schwimmenden Äcker" beschreibt z.B. FEHN (1935) für zahlreiche Einödfluren im niederbayerischen Tertiärhügelland zwischen Isar und Inn. Besonders markante Beispiele sind Tann, Angersdorf (Rottal), auch Randling (b.Simbach/Inn) (s.in Kap. 1.11.3.1).

142 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen finiert. Rainpflanzen wie z. B. Sichelmöhre (Falca- "Hecke" oder "Irr" und sind besonders oft in Privat- ria vulgaris) oder der Wiesensalbei (Salvia praten- wäldern zu finden. sis) stehen für typische, kalkreiche "Weizenböden", der Knäuel (Scleranthus annuus), die Heidenelke Stufenraine wurden z.T. bewußt aus Erosions- (Dianthus deltoides) oder der Hasen-Klee (Trifoli- schutzgründen angelegt (vgl. HEMPEL 1953), ent- um arvense) dagegen für sauere und nährstoffarme standen bzw. vergrößerten sich aber auch durch Ab- "Roggenböden" (vgl. auch BOAS 1958). tragsvorgänge (vgl. KUHN 1953, HARD 1964, EWALD 1978). Ein Grasrain lotrecht zur Hangfal- 1.6.2.2 Ackerterrassen, Stufenraine linie verliert unterseits Boden und nimmt oberseits Erosionsmaterial auf; ähnliches gilt für eine Frucht- folgengrenzlinie der Dreifelderwirtschaft. Der da- Ranken (oder Stufenraine) entstanden dort, wo in mit einsetzende Versteilungsprozeß kann rasch zu hängigem Gelände benachbarte, hangparallel ver- hohen Stufenrainen führen, wie von SCHOTT- laufende Parzellen bewirtschaftet wurden (vgl. MÜLLER (1961) am westlichen Kraichgaurand be- Kap.1.1.2, S.18). Heute finden sich diese Gelän- obachtet: An einem 1898 gerodetem Lößhang bei destufen häufig auch im Grünland oder unter Wald, Flehingen bildete sich auf die eben beschriebene und zwar dann, wenn vom Ackerbau eine Umwid- Weise bis 1960 ein 1,80 m hoher Ranken. Besonders mung zugunsten extensiverer Wirtschaftsformen ärmere Bauern, die weniger Zugtiere vor den Pflug durchgeführt wurde. Am Beispiel des Odenwaldes spannen konnten, wendeten den Boden meist nur zeigt SPERLING (1962), daß ehemalige Ackerter- hangabwärts und wirkten so an der Entstehung ein- rassen auch in Flurkarten aufzuspüren sind: Oftmals drucksvoller Terrassenlandschaften mit. Unter fort- führen diese Geländeteile die alten Flurnamen dauernder Grünlandnutzung verebnen Stufenraine

Abbildung 1/57 Regelloser Acker-Grünlandwechsel in der Flur von Aigenstadl b. Freyung im Bayer. Wald (gez. nach der Flurkarte von 1875)

143 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen allmählich wieder, wenn die Differenz der Be- 1. Phase: rasche schluchtartige Eintiefung; deckungsgrade und Aggregatstabilitäten zwischen 2. Phase: Verbreiterung der Sohle bei sich Acker und Grasrain aufgehoben ist (EWALD 1978, senkrecht haltenden Wänden; zit. in KLEYER 1991). 3. Phase: Abschrägung der Hohlwegwände. Bei den grünland- bzw. wechselgrünlandgenutzten Bereichen folgen die Flurgrenzen im allgemeinen Zahlreiche Hohlwege waren der Beanspruchung dem Kleinrelief, d. h. sie zeichnen die natürlichen nicht gewachsen: "Hatte sich ein Hohlweg im Laufe Geländevorgaben und Nutzungsgrenzen mehr oder seiner Benützung zu tief in den Berggrund einge- weniger exakt nach. Dazu gehören der frühere Ge- schnitten, so wurde er unwegsam. Der Platz für die wässerverlauf wie z.B. alte Flußschlingen, Gelän- Wagenräder wurde zu schmal und die Böschung zu destufen oder "Feuchtegradienten" zwischen nassen hoch, so daß die herabrollenden Steine nicht mehr und trockeneren Lagen. So weisen Feuchtböden und ohne weiteres herausgeworfen werden konnten. Die regelmäßig überschwemmte Bereiche meist eine Gespanne mußten eine solche Hohle liegen lassen, Parzellierung in unregelmäßige kleine Blöcke oder und es entstand ein neuer Weg" (MERZ 1985: 99). sehr kurze Streifen auf. Aber nicht nur durch unwegsam gewordene Teil- Während die Ackerflächen meist die sanft anstei- stücke wurde die Anlage neuer Wege oder Wagen- genden Talhänge asymmetrischer Täler einnehmen, spuren erforderlich; auch Gegenverkehr oder das findet sich Grünland außerhalb der Talauen meist Überholen langsamerer Wagen konnten auf ver- nur kleinflächig auf nicht ackerfähigen Standorten kehrsreicheren Strecken zur Entstehung neuer Hohl- an steilen, zu trockenen oder zu feuchten Hanglagen wege beitragen. Zum Teil wurden auch nur "Über- (Quellhorizonte!) sowie an Rainen und entlang von holspuren" vor Steigungen benötigt. DENECKE Flurwegen. (1969) bezeichnet diese Formen der Spurenscha- Die Anpassung an die vorgegebenen Standortbedin- rung als Spurenstrang bzw. Spurenbündel, die in gungen führt zu einer bemerkenswerten "Bandbrei- Einzelfällen Breiten von einem Kilometer erreichen te" der Flurstücksgrößen, die in ihrer Mannigfaltig- konnten (vgl. Kap.1.1.4, S.19). keit dem "kulturlandschaftlichen Ideal"* einer stand- Wird der Hohlweg nicht mehr oder nur noch sehr ortangepaßten Landnutzung in hohem Maße ent- selten genutzt, werden die Wände durch das liegen- sprechen. gebliebene Erosionsmaterial abgeflacht und der In den Flußtälern sind die meisten Stufenranken Weg allmählich zugeschüttet bzw. durch die fort- nicht anthropogen, sondern im Periglazial entstan- schreitende Sukzession überwachsen. Dies bedeutet den. Dort sind die noch +/- gut erkennbaren Kanten allerdings nicht, daß auch die erodierende Tätigkeit der Hoch- und Niederterrassen-Schotterpakete von des Wassers aufhört. Da das Versturzmaterial we- den eiszeitlichen Strömen im (nicht mehr) verglet- sentlich lockerer liegt und auch nachträglich noch scherten Raum zurückgelassen worden. Bei der Ur- sackt, bleibt eine flache Hohlform erhalten, in der barmachung (und ersten Flureinteilung) reagierten sich das Wasser sammelt und einen Angriffspunkt die Landnutzer meist sehr sensibel auf diese Gelän- für erneute Erosion findet; es bilden sich Kerben und devorgaben. Klingen. Als Folge dieser wasserableitenden Wir- kung wird der Hohlweg als Verkehrsweg unbrauch- bar. Dieser Vorgang betrifft nicht nur natürliche, 1.6.2.3 Erd- und Graswege, Hohlwege sondern auch "künstliche", d.h. die z.B. im Rahmen von Flurbereinigungsmaßnahmen vorgenommenen Wenig befahrene Graswege liegen heute über dem Verfüllungen (WAGNER 1961; RICHTER 1965). Niveau der angrenzenden Ackerflächen, wenn in hängigem Gelände auf den Äckern die Erosion wirk- sam werden konnte, die Wege aber wegen ihres 1.6.2.4 Lesesteinformen Bewuchses verschont blieben (RICHTER 1965). Vor allem in Jura- und Muschelkalkgebieten sowie Ursprünglich handelte es sich bei Hohlwegen um auf kristallinem Untergrund fanden sich auf Acker- ebenerdige, unbefestigte, meist hangaufwärts zie- und Rebflächen immer wieder Steine und größere hende Wege. Regelmäßiges Begehen und Befahren, Blöcke, welche die Bodenbearbeitung behinderten das Gewicht und die Bremswirkung der Wagen ha- und daher entfernt werden mußten (vgl. Kap.1.1.5, ben im Zusammenspiel mit dem abfließenden Nie- S.21, und 1.3.1.3, S. 29). derschlagswasser die Wege eingetieft. Wurde auf In hängigem Gelände wurden infolge der Bodenero- die Befestigung der Wege verzichtet, so konnte im sion am Oberhang kontinuierlich Gesteinsbrocken Laufe der Zeit ein tiefer Hohlweg entstehen. Nach freigelegt, so daß ein ständiger Zwang zum Auflesen SCHOTTMÜLLER (1961) können dabei drei Pha- der bei der Pflugarbeit störenden Steine gegeben sen unterschieden werden: war, da die Verwitterungsgeschwindigkeit des Ge-

* LUTZ (1950) skizziert das Ideal der Kulturlandschaft: "Je mehr im Kulturplan des Menschen der ursprüngliche Plan der Natur einschließlich ihrer zukünftigen Entwicklungstendenzen sichtbar erhalten bleibt, desto mehr "Kontaktfaktoren" der ursprüngli- chen Lebensgemeinschaften bleiben wirksam. Der Idealfall wäre dann gegeben, wenn die "lebensräumlichen Einheiten" [z.B. naturnahe Vegetation] sich mit den naturräumlichen Einheiten bei der Gestaltung der Kulturlandschaft einigermaßen decken würden."

144 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen steins gegenüber der Geschwindigkeit des Bodenab- Händen zu raufen. Das Sicheln und Mähen mit trags deutlich langsamer verläuft (STRUNK 1985). Dengelstumpf oder gar Sense war meist nicht er- Nach RICHTER (1960) bildeten sich die Hochraine laubt. Für den landlosen Kleinhäusler war das Gras- und Steinwälle der Mittelgebirgslandschaften zum raufen die einzig mögliche Form der billigen Win- großen Teil erst in der Zeit der bäuerlichen Nachbe- terfutterversorgung (SCHÖLLER 1973: 55). siedlung um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhun- Während der Schoßzeit der Feldfrüchte war die Hut, dert. In dieser Zeit scheint die Bodenerosion ihr also Weide, auf den Agrotopen verboten, um die Maximum erreicht zu haben. Saat nicht zu gefäen. en. Beispielsweise verfügt die Gemeindeordnung von Reichenschwand (Nürnber- 1.6.3 Traditionelle Nutzung, ger Land) von 1694: An grasige Wege und Raine soll Pflege, Instandhaltung man während des Heranreifens der Saaten kein Zug- vieh, weder Ochsen noch Pferde, die privat gehütet Bereits vor über einem halben Jahrhundert beklagt werden, hintreiben. Ähnliche Verdikte wurden für DIENER (1931) die Verluste an altem bäuerlichen Kalchreut (1560), Oberhaidelbach (1594), Nems- Erfahrungswissen: "Niemand hält es für notwendig, dorf (1699), Rückersdorf (1729), Heblesricht (1760) in zurückschauenden Ruhepausen zu studieren, wie und viele andere Gemeinden erlassen. (SCHÖLLER das und jenes früher war und gemacht wurde. Viele 1973: 404). glauben durch Anpreisung einzeltechnischer Die Rainbreite mußte unangetastet bleiben. Bei- Maßnahmen (...) das Mittel zur Rentabilität unserer spielsweise hatte in Engelthal (S Herbruck, Lkr. Landwirtschaft wieder gefunden zu haben, ohne zu Nürnberger Land) jeder Anrainer von seinem Feld wissen, daß ihre Neuerung vielleicht schon früher 1 Schuh* zum Rain liegen zu lassen, so daß sich (...) benutzt wurde. Bessere agrarhistorische Kennt- Raine von mindestens 2 Schuh ergaben (Gemein- nisse hätten schon manchen Irrweg (...) vermeiden deordnung von 1706; SCHÖLLER 1973: 57). lassen." Daß Weg- und Grenzraine in der Vergangenheit Die Beschäftigung mit der geschichtlichen Landnut- weder ungenutzte noch "unnütze Ruderalstreifen" zung kann also bewußt machen, "wie es war" und waren, geht auch aus den Klassifikationsplänen des schafft damit erst die Voraussetzung, gegebenfalls 19. Jh. hervor, worin zumindest die breiteren Raine Alternativen zu erdenken. Eine Rückbesinnung auf stets in die Ertragsschätzung miteinbezogen wurden althergebrachte Nutzungsformen ist freilich nicht (vgl. GLASHAUSER & WÖLFL 1992). Vor allem gleichzusetzen mit einer realen Rückkehr, die alle in Siedlungsräumen mit einem hohen Anteil Klein- Erfahrungen der letzten hundert oder zweihundert bauern bzw. Neben- und Zuerwerbslandwirten war Jahre idyllisch verleugnet. Sie könnte aber als Retro- die regelmäßige und (im damaligen Rahmen!) spektive manche unerwarteten "Fenster des Zukünf- durchaus intensive Nutzung solcher Randflächen tigen" öffnen (vgl. MÜLLER-FUNK 1988, zit. in eminent wichtige Lebensgrundlage. STEIDL 1991). Die Bewirtschaftung der Raine bestand in ihrer Angesichts der gegenwärtigen Sinnkrise und fehlen- Mahd oder Beweidung. Gemäht wurde in der Regel der Perspektiven (nicht nur) in der Landwirtschaft einmal pro Jahr - nach der Heuernte im Juli/Au- möchten die folgenden Abschnitte einige dieser gust -, bei guter Qualität auch zweimal. Das Heu "Fenster" aufstoßen: diente zumeist als Zusatzfutter, vor allem für Kühe, die ehemals wichtige Zugtiere waren. Breitere Raine 1.6.3.1 Begrasen und Beweiden wurden vom "Kleinvieh" (Schafe, Ziegen, z.T. auch Gänse) beweidet. Die wichtige Rolle der Raine und Ranken im Nut- Der eng verknüpfte Zusammenhang zwischen der zungssystem verschaffte ihnen eine relativ hohe Vielzahl an Nutzungsberechtigten und der Ausstat- Eingriffssicherheit und Stabilität. Aufmerksam tung und Dichte an Rainen offenbart sich besonders wachten die Gemeinden und Ortsgenossenschaften augenfällig in der Münchsdorfer Flur (PAN) im darüber, daß keine Grenzsteine versetzt wurden, daß niederbayerischen Tertiärhügelland (GLAS- von den Rainen und Wegranken nichts eingefangen HAUSER & WÖLFL 1992: 98): Die Landhandwer- oder eingepflügt wurde. Jeder unberechtigte Über- ker und Taglöhner des alten Hofmarksdorfes stellten griff schmälerte die Gesamtfutterbasis der Gemein- in der Bevölkerung den Hauptanteil; die Flurkarte- de und wurde daher meist streng geahndet. nuraufnahme von 1825/26 weist hier regelmäßig Bevorzugte Objekte des Begrasens und Beweidens Breitraine von etwa 5 Metern, stellenweise sogar bis waren in fast ganz Nordbayern und wohl auch im zu 10 Metern aus. Das westliche Münchsdorfer Feld nördlichen Südbayern die Weg- und Feldraine, Ran- war demzufolge durch ein dicht "vernetztes Sy- ge(r)n und "Anwender" ("Anwandstreifen"). Diese stem von Rainen über 2 km Länge" gekennzeich- grasigen Säume wurden durch "Grasen", Gemein- net. und Privathut genutzt. Das "Grasen und Krauten" war in all seinen Belangen in den Dorfordnungen auf Im Gemeindegebiet Alfeld (Hersbrucker Alb) wur- das genaueste beschrieben und festgelegt. Es bedeu- den die Raine zwischen den Äckern durch Tagelöh- tete ursprünglich nichts anderes, als Gras mit den ner und ärmere Kleinbauern von Hand gemäht oder

* 1 Schuh (Fuß) entspricht 12 Zoll od. 19,16 cm (Bayerische Normalmaße) (zit. in HOBMAIR 1979).

145 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen aber mit Rindern beweidet. Der Futtermangel war ständig ein Ausweichen auf die mühsam kultivierten oft so groß, daß sogar die Rand- und Mittelstreifen Gründe erzwangen (vgl. Kap.1.6.1.2, S.138). Dies der Feldwege regelmäßig als Futter genutzt wurden. rief im 19. Jahrhundert Kritiker auf den Plan, die In den Arbeitspausen wurde das Zugvieh zur Weide aufgrund der schlechten Erschließung der Feldflur an die Raine und Ranken geführt. Ausreichendes um den sich allmählich anbahnenden Fortschritt in Futter für die Arbeitstiere an Ort und Stelle war für der Landwirtschaft bangten: "Außer daß durch die- die Bauern von existenzieller Bedeutung. Die Feld- ses Befahren das Land oft so verdorben wird, daß raine wurden im Frühjahr und Herbst auch durch die trotz Düngung und mühsamer Bearbeitung nichts vom Gemeindehirten betreute Rinderherde mitbe- darauf wächst, werden die betreffenden Eigentümer weidet, wichtigste Weidegründe im Herbst waren auch dadurch gezwungen, sich der allgemeinen alt- die Stoppelbrachen der abgeernteten Äcker. Viel- herkömmlichen Bestellungsart in Rücksicht der Zeit fach wurden die Raine auch durch Abbrennen offen und der Fruchtarten (Dreizelgenwirtschaft mit gehalten. Flurzwang) zu fügen." (Auszug aus der Landwege- Der letzte Hirte von Alfeld, Georg WITTMANN bauverordnung des Kurfürstenthums Hessen, zit. in berichtet von der besonderen Bedeutung der Ranken CASPARSON & FICK 1846). an den Trockenhängen für die schwächeren Kühe zu Beginn des Austriebs Anfang Mai: Durch die Fut- Gute Wege galten alsbald als die "wahren Hebel der terknappheit des Winters waren manche Kühe so Landeskultur"; der Flurwegebau konnte von der Ob- geschwächt, daß sie kaum richtig laufen konnten rigkeit auch gegen den Willen der Anrainer durch- und Schwierigkeiten hatten, ihr Gleichgewicht zu gesetzt werden. Die nötige Erweiterung des Wege- halten. Diese Tiere wurden nun bevorzugt an die dammes verlangte ein "succesives Wegnehmen vom Ranken geführt, so daß sie, auf ebener Fläche ste- angrenzenden eben unbebauten [brachliegender An- hend, den Kopf zur Futteraufnahme nicht so weit wandstreifen] Privateigenthum." (GREGER 1824). herunterbeugen mußten. Der Futtermangel war da- Als Wegebaumaterial kamen meist nur der anste- mals so groß, daß sogar die Mittelstreifen der Feld- hende Sand oder Kies (von Korngrößen zwischen wege regelmäßig als Futter genutzt wurden (zit. "Hasel- und welschen Nüssen"), manchmal auch nach HOFBERGER 1992, briefl.). Bruchsteine von ausreichender Härte in Frage. Letz- tere wurden vor allem als Randsteine, Kies und Sand Noch bis in die 60er Jahre d. Jh. wurde an der dagegen als Füllmaterial verwendet. Teilweise ka- überkommenen Nutzung festgehalten: Die Raine men Abfälle wie Eisenschlacke, nicht selten auch wurden "einmal im Jahr um Mitte Juli von den Abbruchmaterial aus den gerade geschleiften Stadt- ’armen Leuten’ gegen Verdingung am Hof des Be- mauern (kalkhaltiger Mörtel, kleine Sandsteine) sitzers gemäht und hatten allesamt mindestens die zum Einsatz. Breite, daß man das Heu mit dem Schubkarren ab- transportieren konnte" (WATZL mdl., zit. in GLAS- Schlecht befahrbare Flugsandwege suchte man mit HAUSER & WÖLFL 1992: 103). Eine vergleichba- Kalkgeschiebe zu verbessern. Um dem verwehungs- re Nutzung der Feldraine durch Kleinhäusler und gefährdeten Flugsand höhere Feuchtigkeit (Bindig- Inleute * kannte man noch in der Vorkriegszeit prak- keit) zu verleihen, wird die Anlage von schatten- tisch überall im Bayerischen Wald (P. STEIDL spendenden Bäumen und Sträuchern empfohlen. 1992, mdl. für Aigenstadl/ FRG). Zur Herstellung eines guten Querprofils sollte im In Schweinshaupten (Lkr. HAS) wurden noch bis in Wege stehendes Gesträuch zur Erreichung der erfor- die fünfziger Jahre hinein Raine, Weg- und Bachrän- derlichen Wegebreite ("12 bis 14 Fuß") entfernt, der etc. an Kleinnutzer versteigert (BAUCHHENSS angrenzende Hecken möglichst kurz gehalten wer- 1991, mdl.). den ("nicht über 4 Fuß"). Auch dichtes Gebüsch im In Bayern finden derartige Nutzungsweisen kaum Bereich der angrenzenden Hänge, "welches die Aus- mehr statt. Wo Raine noch heute gemäht werden, trocknung der Wege verhindert (...) auch räuberische geschieht dies fast immer durch die Generation der Anfälle begünstigt", galt es gründlich von den Land- Großväter und -mütter, die selbst noch kleinste wegen zu entfernen. Grünstreifen aus Sparsamkeit und Ordnungsliebe Zur Verrichtung kleinerer Unterhaltungsarbeiten an bewirtschaften. Das mühsam gewonnene Heu wird den Gemeindewegen wie auch "polizeylichen Auff- dabei z.B. noch als Einstreu für den Hühnerstall sicht über diesselben" mußten in jeder Gemeinde ein genutzt (MESSNER 1991, mündl. für Langenvils b. oder mehrere Wegewärter angestellt werden. Zur Landshut). Einsparung eines gesonderten Gehalts übten sie nicht selten das Amt eines Feldhüters ("Flur- 1.6.3.2 Traditioneller Wegebau, Triftwesen schütz"), eines "Gemeinds-Baumpflanzers" oder ähnlich geartete Tätigkeiten des Gemeinwohls aus. Wie bereits erwähnt, bestanden die nicht planmäßig Zusätzlich zu ihrem Gehalt hatten die Feldhüter und angelegten "Bauernwege" häufig nur aus kreuz und Wegwärter eine Reihe von Privilegien. So stand quer durcheinander laufenden Wagengeleisen, die ihnen ein Anteil am Ertrag der an den Wegen ge-

* Bei den "Inleuten" handelte es sich nicht um "Bauernknechte" im herkömmlichen Sinn, sondern um Kleinhäusler mit geringem Eigenbesitz (meist eine Kuh oder ein paar Ziegen), die für geringes Entgelt und einige andere Vergünstigungen (z.B. die Nutzungserlaubnis über die Raine) die Bauern bei der Feldarbeit unterstützten.

146 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen pflanzten Bäume zu, außerdem hatten sie das Vor- Flur zu den entfernt gelegenen Weiden und zum recht des "Grasraufens" an den Böschungen und Gemein(weide)wald führen. Rechtlich gesehen be- Gräben der öffentlichen Gemeindewege. Mittels zeichnet der Viehtrieb die Befugnis, Vieh auf be- solcher Zusatzbelohnungen suchte man tatkräftigen stimmten Routen zu treiben. Neben diesen meist im Schutz und sorgfältige Hege der anvertrauten Wege Gemeindebesitz befindlichen, ganzjährig benutzba- anzuspornen ("damit diesselben um so kräftiger vor ren Trieben gab es die Lucken; das sind Einlässe in aller Beschädigung behütet werden") (CASPAR- den Feldzäunen und zugleich Übertriebe auf Son- SON & FICK 1846). dereigen*, die zu genau festgesetzten Zeiten des Hohlwege wurden als Verkehrswege von den Dör- Jahres der Geimeindeherde offen stehen mußten. Da fern zur Feldflur, zwischen den Dörfern und ab dem die alte Flur mit ihrer Zelgenbindung kein so er- Mittelalter sogar als Bestandteil überregionaler schlossenes Wegesystem wie heute kannte, waren Handelsstraßen genutzt (vgl. DENECKE 1986). In die Lucken unumgänglich. Die Trieblucken waren Lößlandschaften waren vor allem die Auffahrten zu in der Regel vom Herbst bis St. Georg oder häufiger den Kuppenwegen bei den Bauern recht beliebt, da bis Walpurgis offen. In dieser Zeit durfte der Vieh- sie nach Regengüssen schneller abtrockneten als die trieb oder die "Überfahrt" (Beweidung der Stoppel- Wege in den Senken. Durch ständiges Verdichten brache) nicht gehindert werden. und "Wiederaufpflügen" mit scharfen Radkanten Besonders gebräuchlich war die Pflockweide oder wurden besonders steile Wasserrinnen geschaffen Einzelhut in der Ziegenhaltung, die aufgrund häufi- (KLEYER 1992: 14). ger Flur- und Waldschäden einer starken Reglemen- Entsprechend ihrer Bedeutung wurden die Hohlwe- tierung** unterlag. Bestimmte nichtbäuerliche Be- ge von den Benutzern gut gepflegt; herabgefallene rufe wie z.B. Pfarrer, Schulmeister, Amtsknechte, Äste wurden beiseite geräumt, störendes Gestrüpp Hebammen, Bader u. dgl. hatten ein meist genau weggeschnitten und nachgerutschtes Gesteinsmate- festgelegtes "Geißhaltungsprivileg". Nach verhee- rial und Geröll aus dem Hohlweg hinausgeworfen renden Rinderseuchen oder Verlusten durch Kriegs- oder an der Talseite des Weges zu Lesesteinwällen einwirkungen war jeweils eine verstärkte Geißen- aufgetürmt (Abb. 1/58, S. 147). haltung festzustellen (SCHÖLLER 1973: 77). Vom Recht zum Durchtreiben des Viehs kann nicht Wegränder wurden ebenso wie die anderen Raine ohne weiteres auf eine Weidebefugnis geschlossen gemäht oder beweidet. In der Gemeinde Vilsheim werden. Im Gegenteil ging der Durchtrieb oft ohne (Lkr. LA) wurden beispielsweise Kühe auf die brei- Weidegenuß vonstatten. teren Wegeböschungen geführt und dort ange- pflockt; die übliche Weidehaltung als Standweide Soweit die Routen der Dauertriebe an Kulturflächen wurde dort nicht praktiziert. Die Weiderechte an den vorbeiführten, waren sie auf beiden Seiten einge- Wegrändern und -böschungen vergab die Gemeinde zäunt. Dadurch wurde nicht nur Wildschaden, son- an ärmere Einwohner (MESSNER 1991, mündl.). dern auch ein Überhüten der Saatfelder verhindert. Nach der Gemeindeordnung von Mögeldorf bei Die Triften (Viehtriebe) folgten teilweise den beste- Nürnberg (1625) war es eigens verboten, Brachfel- henden Wegen, oft waren sie jedoch alleine dem der zu verzäunen, die an die Gemeintriebe oder Vieh vorbehalten und für andere Verwendungen ge- Anger anrainen, um mit der Herde einen ungehin- sperrt (vgl. SCHÖLLER 1973: 31 ff.). Grundsätz- derten Zugang zu diesen Weideflächen zu haben. lich handelt es sich bei den Triebwegen um mehr Das Material zur Verzäunung der Triebwege stamm- oder weniger breite Bahnen, die vom Ort durch die te manchmal aus dem Privatholz der Bauern, teil-

Abbildung 1/58 Alter Hohlweg, eingefahren, mit Wall aus Lesesteinen an der Talseite (MERZ 1985: 99)

* Bezeichnet Privateigentum im Gegensatz zum Gemeindebesitz (Gemeinnutzen). ** Von seiten der Obrigkeit, die oft für ein totales Verbot eintrat, mußten immer wieder Zugeständnisse gemacht werden: "Item zwo Gaiß, welche gleichwohl zu halten verbotten seyn, geben soviel alß eine Kuhe zur Hirtenpfründe." Als ein "grundverderbliches Viehe" dürfen die Geißen i.d.R. nicht auf den Gemeingründen gehalten werden (Gemeindeordnungen im Altnürnberger Land, zit. in SCHÖLLER 1973: 77).

147 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen weise aber auch aus dem gemeindeeigenen Wald. So den zahlreiche, in den Wiesen befindliche Gesteins- erhielt in Henfenfeld jeder Bauer zur Errichtung der brocken gesprengt und die Bruchstücke für den Bannzäune ein Fuder "Zeunholz" aus dem Gemein- Straßen- und Wegebau verwendet. Im Zuge der wald, was sie sonst noch benötigten, mochten sie an Autarkiebestrebungen führte man in den dreißiger "Dorngestrüpp aus der Reichenschwander Au, einer Jahren großangelegte Entsteinungsprogramme zur Koppelhut", nehmen. Vor drei Jahren war es nie- Produktivitätssteigerung der landwirtschaftlich ge- mandem erlaubt, den Zaun wieder abzubrechen und nutzten Flächen durch (mittels Aushebeln, Spren- einen neuen zu erstellen (SCHULTHEISS 1959, zit. gen, maschineller Beseitigung der Gesteinsblöcke). in SCHÖLLER 1973: 33). Im benachbarten ans- Als Folge davon wurden zahlreiche Steinformen neu bachischen Territorium wird 1764 angeordnet, statt aufgehäuft, erhöht oder verbreitert. Eine "Bewirt- der herkömmlichen Verzäunung die Pflanzung schaftung" der Riegel und Steinhaufen bestand al- "schöner lebendiger Hecken" vorzunehmen. Im lenfalls in der Nutzung der aufkommenden Gehölz- Haßberge-Vorland bildeten die Weidegänge (Trie- bestockung. Da ursprünglich kaum wirtschaftliche be) auf Rainen gemeinsam mit der Beweidung der Kapazitäten vorhanden waren, die Gesteinsbrocken Ackerbrachen die Voraussetzung für die Schafhal- zu zerkleinern und über weite Strecken zu transpor- tung (RÄTH 1991). tieren, bestand oft die einzige Möglichkeit zur Be- Die Sicherung des gemeindlichen Besitzstandes wi- wirtschaftung der "steinreichen" Gebiete darin, daß der eigenmächtige Aneignung geschah vor allem man in mühsamer Handarbeit die Steine gleich in durch Grenzsteine, Raine und Pflöcke, aber auch der Nähe aufhäufte, wo sie nicht störten. Daraus durch natürliche Grenzzeichen wie Felsen, Ranken, resultierte eine starke Parzellierung mit vielen aus Bäume, Hecken, Wege oder Bäche (SCHÖLLER Lesesteinen bestehenden Rainen (MOSER 1962). 1973: 34 f.). Auf dieselben Ursachen (Vergrößerung der Weide- flächen, Besitzabgrenzung) lassen sich die Berch- 1.6.3.3 Steinwälle und Trockenmauern tesgadener Lesesteinwälle zurückführen. Der Umfang der Entsteinung war abhängig von der Wie im vorigen Abschnitt geschildert, wurden die späteren Nutzung der Parzelle. Ackerflächen wur- von den Äckern abgelesenen Steine z.T. für den Bau den "gründlicher" entsteint als Wiesen und Weiden. und die Ausbesserung der Wege regelrecht "aufge- Ursprünglich wurden die Parzellen mit Pickel und braucht". So kannte man in den mehr oder minder Schaufel entsteint. Große Felsblöcke, die man nicht "steinreichen" Ackerfluren des Ostbayerischen wegtragen konnte, wurden zunächst auf die Weise Waldgebirges keineswegs überall mit besonderer "beseitigt", indem man versuchte, sie durch Eingra- Sorgfalt aufgeschichtete Lesesteinwälle. Sehr aus- ben unter die Erdoberfläche zu versenken. Dann geprägte, schon fast an Mauern erinnernde Stein- begann man, mit Hammer und Meißel Löcher in die wälle traf man früher z.B. im böhmischen Kalten- Felsbrocken zu schlagen und mit Schwarzpulver, bach (heut. Kreis Prachatitz). PETER (zit. in ORTS- später mit Dynamit, zu sprengen (REIF 1985; AUSSCHUSS KALTENBACH 1980: 138) berich- STRUNK 1985). In neuerer Zeit ist man dazu über- tet von der mühsamen jährlichen "Steinlese": "Kam gegangen, mit Hilfe verschiedener Techniken die es vor, daß beim Ackern der Felder oder beim Um- Parzellen zu entsteinen, ohne daß es zur Neuentste- reißen der Brachwiese (Broch) der Pflug an größe- hung oder Weiterbildung von Lesesteinformen ren Steinen hängenblieb, so wurden diesselben bei kommt, indem das Gestein zu transportfähigen Gelegenheit ausgegraben und der Steinmauer beige- Bruchstücken zertrümmert wird (MOSER 1962; setzt. Die kleineren Steine wurden jedes Jahr im REIF 1985). Frühjahr sorgfältig aufgelesen." Die Steine waren Teilweise wurden die aufgesammelten Steine auch kostbar. Was nicht auf den Fluren zu Wällen und an unproduktiven Stellen, z.B. an größeren, aus der Mauern aufgetürmt wurde, war für die "Grundmau- Erde ragenden Felsbrocken, auf Kuppen oder in ern, die Backöfen mit anschließender Rußkuchl feuchten Senken deponiert. Dabei schichtete man (Räucherkammer), Kamine sowie für den Straßen- bei der Entsteinung von Mähwiesen die Steinhaufen bau und die Trockenlegung der Sümpfe ein notwen- gelegentlich sogar innerhalb der eigentlichen Par- diger Baustoff." zellen auf. Vor allem in der jüngeren Vergangenheit Die Ablagerung der Lesesteine am Rande von wurden (werden) die abgelesenen Steine einfach nur Ackerflächen erfolgte in der Regel an den Längssei- auf brachliegende Parzellen (meist unrentable ten der Parzellen; Lesesteine auf Anwänden sind "Zwickelgrundstücke") gekippt. Die auf solche Wei- bzw. waren offensichtlich kaum üblich. Im Laufe se entstandenen "Lesesteinsammelgrundstücke"* der Zeit konnten so regelrechte "Steinriegelland- bilden heute einen manchmal äußerst vielfältigen schaften" entstehen. (vgl. Kap. 1.1.5, S.21, 1.3.1.3, Mosaikkomplex aus Steinhaufen und Blockwällen, S. 29). aus Halbtrockenrasen, Ruderalmagerrasen und In den nordost- und ostbayerischen Mittelgebirgen Staudenfluren aus. wurden seit Beginn d. Jhs. größere "Entsteinungs- Die Errichtung der kunstvollen Mauerterrassen in aktionen" durchgeführt. Im Bayerischen Wald wur- den alten Weinbergslandschaften oblag meist spe-

* So gesehen zwischen Weltenburg und Holzharlanden (KEH), auf einem ca. 0,5 ha großen Flurstück mit Massenvorkommen seltener Arten aus Steinfluren und schütteren Halbtrockenrasen.

148 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen zialisierten Handwerkern, die die grob behauenen Steine in der Trockenmauertechnik, d.h. ohne Ver- wendung von Bindemitteln, aufeinanderschichte- ten. Auch hier wurden als Baumaterial Lesesteine aus der unmittelbaren Umgebung verwendet. Die Mauern dienten u.a. zur Einfriedung von Parzellen, die über Steintreppen zugänglich wurden, und ver- hinderten als Stützmauern von Hängen und Bö- schungen das Abschwemmen des flachgründigen Bodens. Um im hängigen Gelände eine Überschüttung der Mauer durch von oben herabrutschende Erdmassen zu verhindern, wurde oberhalb der eigentlichen Stützmauer häufig eine zweite kleinere, etwas zu- rückgesetzte Mauer gebaut, die das Bodenmaterial auffangen sollte (Abb. 1/59, S. 149). Abbildung 1/59 Mit der Anlage von abgestützten Terrassen wurde Schutz von Acker- und Weinbauparzellen durch dop- die Gefahr der Bodenerosion verringert, die Bear- pelte Bodenschutzmauern (WAGNER 1961: 128) beitung der Rebzeilen wurde erleichtert, und infolge der Rückstrahlung der Mauern auf die Rebterrassen wurde das für die Weinqualität so entscheidende Kleinklima verbessert (WAGNER 1961; SCHMIDT • ein variables Angebot an stofflichen Ressourcen 1985; SCHWARZE 1985). (Kap.1.7.3, S.153). In oder an Trockenmauern angelegt, finden sich in alten Weinbergslagen häufig noch kleine Hütten und 1.7.1 Anforderungen an Raum- Unterstände. Neben den gemauerten Häuschen, die struktur, Vernetzung, Nischenangebot z.B. in Kallmuth bis in die Barockzeit zurückdatiert werden konnten, kommen auch Holzhütten und Einen Agrotop-Standort zu bewohnen, bedeutet fast Fachwerkhäuschen vor. Diese für Franken typischen immer ein hohes Risiko. Bestandessicherheit von Hütten dienten als Raststelle für den Winzer und als Tieren und Pflanzen auf Agrotopen kann nicht punk- Lagerplatz für die Gerätschaften (vgl. SCHMIDT tuell, sondern nur innerhalb größerer Populationsge- 1985; RINGLER 1987). biete (ganze Fluren oder zumindest Flurteile) ge- währleistet oder herbeigeführt werden. Dabei wir- ken die Faktoren Länge und Vernetztheit risikomi- 1.7 Für die Existenz nimierend: Lokale Auslöschungen müssen durch Streuung des Artenpotentials über ein größeres Ge- wesentliche Lebensbedingungen biet kompensierbar sein. Daneben ist die Nähe zu den Primärlebensräumen entscheidend für den An- Die spezifische Wertigkeit von Agrotopbiozönosen siedlungs- bzw. Wiederbesiedlungserfolg. ergibt sich aus einer indirekten oder direkten For- Besonders eindrucksvoll zeigt sich dies am Pflan- mung durch landwirtschaftliche Nutzungen, ohne zenbesatz der Trockenmauern und Steinriegel, der von diesen völlig "überrollt" zu werden. Pflug, Feld- geradezu als ein "Spiegel der örtlichen Umgebung" steinablagerung, Wegebau und Befahren lassen bezeichnet werden kann (BRANDES 1992). In der Agrotope entstehen, können sie andererseits aber Nähe natürlicher Felsstandorte (z.B. Donauhänge, auch schädigen, ja sogar zerstören. Das eigentümli- Maintal, Altmühltal) ist mit einer floristisch beson- che Verhältnis vieler Agrotope zur Landwirtschaft ders artenreichen Zusammensetzung zu rechnen. läßt sich noch am ehesten mit Schlagworten wie Zum Alpenrand hin nehmen vor allem die Arten der "Distanz in der Abhängigkeit", "distanzierte Inte- typischen Mauerspaltengesellschaften und Stein- gration" oder "Zuordnung in sicherer Nische" um- schuttgesellschaften (ASPLENIETA, THLASPIETEA) schreiben. Lebensgemeinschaften von Agrotopen in erkennbar zu. weiterem Sinne, also der Acker- und Wegrandstrei- Die Anforderungen der Agrotop-Lebensgemein- fen, der Lesesteinsammelparzellen und Rotations- schaften an Raumstruktur und Vernetztheit sind also brachestreifen sind dagegen in einen (mehr oder nur bei einer entsprechend hohen Dichte und Kon- minder) regelmäßigen Eingriffs-Rhythmus inte- junktion (räumliche Ankoppelung) von ähnlichen griert. und verschiedenartigen Agrotopelementen erfüll- Entscheidende Voraussetzungen für die Entstehung bar. Hinzu tritt eine möglichst große Bandbreite und den Fortbestand der mit den einzelnen Agrotop- abiotischer Gradienten (siehe "abiotische Bänderun- typen verbundenen Lebensgemeinschaften sind gen" im LPK-Band I "Einführung und Ziele der demnach Landschaftspflege in Bayern", Kap. 6.3.1). • eine hohe Dichte und Vernetztheit aller essenti- Variabilität des Mikroreliefs ellen "Lebensraumbausteine" (vgl. Kap. 1.7.1); Agrotope bereichern zum einen das Großrelief der • ein Mindestmaß an frei ablaufenden (boden)dy- Umgebung (vgl. EWALD 1978), zeigen aber auch namischen Prozessen bzw. anthropogenen Ein- in sich selbst eine starke Variabilität des Mikrore- griffen (Kap.1.7.2, S.151); liefs: Je nach Mikroklima, Windexposition, Ein-

149 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen strahlung bzw. Beschattung, Durchfeuchtung usw. Entscheidend für die Zusammensetzung der Mau- werden unterschiedliche Kleinststandorte geschaf- erflora ist BRANDES (1992) zufolge auch der je- fen, die wiederum Voraussetzung für die floristische weilige Neigungswinkel der Mauer. Bereits bei und faunistische Artenvielfalt sind. leicht geneigten Mauern (z.B. statt 90° nur 85°) So bieten die oft skelettreichen, leicht austrocknen- fehlen aufgrund des höheren Feuchtigkeits- und den Wegböschungen geeignete Lebens- und Aus- Substratangebots konkurrenzschwache ASPLENIE- breitungsbedingungen für trockenheitsliebende Ar- TEA-Arten; dafür wandern verstärkt unspezifische ten, die sonst (z.B. auf anderen Standorten eines Arten aus der Umgebung ein. Schließlich sind Flora, insgesamt humiden Gebietes) kaum ein zusagendes Vegetation und Faunenzusammensetzung der Mau- Lebensmilieu finden würden. In diesem Zusammen- ern wesentlich von der Art und Weise der Mauerfu- hang nennt KOPECKY (1978: 105) an Weg- und gen abhängig, also ob und mit welchem Material Straßenrändern verbreitete Halbtrockenrasen-Arten (Kalkmörtel, Beton, etc.) die Mauern verfugt sind. wie Dianthus carthusianorum, Ononis spinosa, Se- Besonnte, unverfugte, in traditioneller Trockenbau- dum acre. Auf der anderen Seite können sich entlang weise erstellte Mauern bieten im allgemeinen den staufeuchter Wegseitengräben Arten ausbreiten, dort charakteristischen Organismen optimalen Le- die schwerpunktmäßig für wechselnasse bis zeit- bensraum. weise überflutete Standorte typisch sind, z.B. Cirsi- Vielfalt an Nahrungshabitaten, Komplexaufbau um canum, Cirsium oleraceum, Geranium palustre, Ein vielfältiges Angebot an morphologischen Blü- Lysimachia vulgaris. Veränderungen der Boden- tengruppen, insbesondere von auffälligen "Blüten- feuchte tragen zum Dominantenwechsel bei (z.B. pulks" (z.B. von Doldenblütlern wie Wilde Möhre zum Hervortreten des feuchteliebenderen Alopecu- oder Pastinak), ist der ausschlaggebende Parameter rus pratensis gegenüber Dactylis glomerata), beein- vor allem für blütenbesuchende Insekten an Rainen flussen das Zurücktreten oder aber die Ausbreitung (vgl. HAGEN 1988; VELDE 1986; PRINZ 1986). einzelner Wiesenarten. Nach KOPECKY (1978) Von entscheidender Bedeutung ist häufig auch der bieten etwa die feuchten Gräben der Talstraßen ein Komplexaufbau; so erlaubt der Aktionsradius von günstiges Milieu für einige, längs der Straßen und Wildbienen höchstens Distanzen von 200 bis 500 m Wege herabsteigende Arten montaner Lagen (z.B. zwischen Nahrungshabitat (blütenreiche Biotop- Cardaminopsis halleri, Geranium sylvaticum, Car- struktur, z.B. Feldrain) und Bruthabitat (Lößkan- duus personata etc.). te/Zaunpfahl) zu überwinden (VELDE 1986). Die Vegetationsstruktur (insbesondere, ob horizontale In Hohlwegen ist die Erhaltung des morphologi- oder vertikale Stukturen vorherrschen) entscheidet schen Profils und der Nischenvielfalt Voraussetzung häufig über artspezifische Bewegungsmuster von für die Existenz der dortigen Lebensgemeinschaf- graslandbewohnenden Insekten (vgl. artspezifische ten. Die Exposition bzw. die freie Besonnung wird Bewegungsmuster entlang von Korridoren am Bei- hier zum entscheidenden Parameter. Besonders pro- spiel von Heuschrecken und Laufkäfern bei ZERBE fitieren hiervon die Artengemeinschaften der vege- 1989). tationslosen Steilwände. Nach Untersuchungen von MIOTK (1979) fanden sich an steilen, trocken- Ausdehnung, Randlinienlänge heißen und südexponierten Lößwänden, Steilflan- Neben dem Faktor Standortvielfalt kommt auch der ken und Böschungen zehnmal so viele Tierarten wie Ausdehnung (Rainlänge, -breite) und der Geometrie an nordexponierten, beschatteten Wänden. Auch für ein beachtlicher Stellenwert zu. Zur Ausbildung ei- die floristische Artenvielfalt ist der Erhalt insbeson- nigermaßen intakter Rainbiozönosen werden von dere der sonnigen Hohlwegabschnitte von aus- verschiedenen Autoren erforderliche Mindestbrei- schlaggebender Bedeutung. Besonders charakteri- ten zwischen 2,50 m und 5 m genannt (vgl. HEY- stische Ausbildungen finden sich an fast senkrech- DEMANN 1983; KAULE et. al 1983; KAULE ten, trockenen Wänden (Blaualgen, Flechten, Moo- 1986; LINK 1988; DIMIGEN 1991). DIMIGEN se), an kleinen Vorsprüngen oder in Spalten (einzel- forderte darüber hinaus Mindestlängen von Feldrai- ne Blütenpflanzen wie z.B. Artemisia campestris nen zwischen 100 und 120 Metern (vgl. auch Kap. oder Senecio erucifolius). Weitere Strukturen von 2.4 bis 2.6). essentieller Bedeutung sind gebüschfreie Oberkan- Linienförmige Lebensräume wie Ackerraine und ten und steile, südexponierte Flanken (vgl. BRAN- Ranken haben im Verhältnis zu mehr oder weniger DES 1991). "kreisförmigen Lebensräumen" bei gleicher Fläche vielfach größere Randzonen. Je inniger die "Faser- Vergleichbares gilt für die Lebensraumfunktion der strukturen" einer Landschaft mit ihrer Umgebung Lesesteinriegel, die als Schlupfwinkel und Sonn- verzahnt sind, desto länger, verschlungener und dif- platz zusätzliche tierökologische Bedeutung erlan- ferenzierter wird die Grenze zwischen beiden Ele- gen. Von ausschlaggebender Bedeutung für die Ve- menten. So weist die fast gleichmäßig scharf erschei- getationsverhältnisse auf den Steinriegeln ist ihr je- nende Pflugkante zwischen Acker und Rain häufig weiliger Feinerde- und Humusgehalt. eine Vielzahl von kleinen Abbrüchen auf, die wieder- Abwechslungsreich strukturierte Steinriegel (offene um zur Standortdiversität beitragen (KLEYER 1991: neben teilverbuschten Stadien) weisen die höchste 29 f., vgl. RINGLER 1981). Artendiversität auf, wobei Steinriegel in Oberhang- Alter, Reifegrad lage aufgrund der Steilheit und Flachgründigkeit der Das Alter von Agrotopelementen ist ein wesentli- Böden häufig potentielle Halbtrockenrasen-Stand- cher Faktor beim Besiedlungsprozeß: Je älter z.B. orte darstellen. eine Mauer, um so größer ist die Chance, entspre-

150 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen chende Diasporen "einzufangen". Insgesamt nimmt euryöke Arten) bevorzugt die neuen "Nischen" be- die Besiedlungsgeschwindigkeit mit der fortschrei- setzt haben. Dabei wurden auch wirtspflanzenspezi- tenden Verwitterung zu. BRANDES (1992) bestä- fische Arten übernommen, wie z.B. spezialisierte tigt die Ergebnisse holländischer Untersuchungen Wanzenarten der Gehölze, der Gras- und Krautsäu- aus den 60er Jahren (z.B. SEGAL 1969), daß Mau- me. ern erst nach ca. 400 bis 500 Jahren ihre optimale Artenzahl erreichen. Das Alter der Mauern spielt Neben dem Nährstoffdargebot (siehe Kap.1.7.3, auch für wenig mobile Tierarten, wie z.B. typische S.153) ist die innere Dynamik der Landschaftsele- Kleinschnecken, ein wichtige Rolle. mente und deren Lebensgemeinschaften mit dem Jahrhunderte alte Mauern tragen auch eine reichere Faktor "Bodenbewegung" bzw. "Bodenstörung" und anders strukturierte Flechtenflora als junge ganz wesentlich verknüpft. Gemeint sind Standort- Mauern. Auf neuen Strukturen besetzen Pioniere und Nutzungsgradienten, wie z.B. Pflugkanten zwi- zwar innerhalb von wenigen Jahren einen erhebli- schen Acker und Rain, überschüttete Böschungs- chen Anteil der Oberfläche. Dabei handelt es sich füße und überhängende Oberkanten in Hohlwegen, aber ganz überwiegend um ubiquistische, häufige unregelmäßig mit Lesesteinen überschüttete Flur- Arten. Für seltene Arten ist die Besiedelbarkeit (Ac- zwickel und dgl. mehr. Diese Standorte zeichnen cessibilität) der neuen Habitate zum einen durch den sich häufig durch offen-dynamische, floristisch wie weiteren Anflugweg der Diasporen aus den in der faunistisch besonders interessante Ausbildungen Regel weiter entfernten Populationen, zum anderen und Lebensgemeinschaften aus (z.B. die Wimpern- durch die geringe Diasporenmenge, die das neue perlgrasflur auf Muschelkalkriegeln und überschüt- Habitat erreichen kann, erschwert. Es ist zwar im- teten Böschungen; die typische, inzwischen europa- mer wieder verblüffend, daß Standorte mit sehr sel- weit gefährdetete (BÖTTCHER et al. 1992) "Weg- tenen ökologischen Bedingungen immer wieder kanten-Biozönose" zwischen dem Schwarzgefleck- durch die gleichen Spezialisten "gefunden" werden tem Bläuling Maculinea arion, der Wirtsameise - die dazu notwendigen Zeiträume sind im Mittel Myrmica sabuleti und dem raupenfutterliefernden allerding sehr lang*. Hinzu kommt, daß heute mit Sand-Thymian (vgl. Kap. 1.5.3.1). deutlich längeren Besiedlungszeiträumen zu rech- Abb. 1/60, S. 152, zeigt die Beeinflussung durch die nen ist, da die Accessibilitätsprobleme durch die in Nutzungsweise des oberen Anliegers auf die flori- den letzten Jahrzehnten erfolgte gravierende Aus- stische Ausbildung der Feldraingesellschaften. Ein- dünnung von anthropogenen Standorten für Flech- deutig dominieren Störungszeiger wie Quecken- ten zugenommen haben. Hiervon machen nur die Fluren (CONVOLVULO-AGROPYRETUM) oder andere kalkbeeinflußten Habitate (Kunststein, Beton) eine Acker-Ruderalfluren, wie z.B. die Honiggras-Hohl- Ausnahme. Die silikatischen Substrate (Grabsteine, zahn-Gesellschaft mit Adlerfarn-Fazies. Trockenmauern und Mauerkronen aus Silikatgestei- nen, Dachziegel) haben stark abgenommen oder In diesem Zusammenhang kann auch an die Wir- weisen eine wesentlich geringere "Lebensdauer", kung des Reifendrucks bei steigender Befahrungs- somit auch eine ärmere Flechtenflora als früher auf intensität oder der Bodenbearbeitung erinnert wer- (WIRTH 1992, unpubl.) (vgl. auch Kap. 1.4.2.11). den. Häufigkeit, Frequenz und Richtung der Eingrif- fe und Störungen in die Agrarbiozönosen sind offen- sichtlich die Hauptfaktoren, welche die Fragmentie- 1.7.2 Anthropogen bedingte rung der Agrarlandschaft in ihre Elemente be- Störungen und dynamische Prozesse stimmt: "Äcker werden naturgemäß häufig bearbei- tet, manche Strecken der Erdwege werden noch Bei Agrotopen (und vergleichbaren) Saumbiotopen häufiger befahren, alte Ackerbrachen mit Feldge- handelt es sich um evolutionsbiologisch noch recht hölzen sind auf Kuppen dagegen kaum beeinflußt" junge Ökosysteme (z.T. noch keine abgeschlosse- (KLEYER 1991: 20). nen Artbildungsprozesse, daher vermehrtes Auftre- ten von Rassen und Kleinstarten!). Während der Auf Gras- und Erdwegen unterliegt der pflanzenver- Urbarmachung in historischer Zeit erfolgte ein wei- fügbare Wuchsraum durch selektives und periodi- terer Ausleseprozeß, der aus den vorhandenen und sches Befahren immer wieder Einschränkungen, die den einwandernden Arten diejenigen "aussiebte", in Abhängigkeit von der jeweiligen Intensität zu die auf die spezielle Situation der neuen Biotope weit auseinanderklaffenden "Standortextremen" (z.B. hinsichtlich Ernährung, Phänologie, Konkur- führen können. Der Erdweg als Biotoptyp "pendelt" renzsituation) abgestimmt war (vgl. ACHTZIGER also zwischen dem nahezu ungenutzten oder aufge- 1990). In Saumbiotopen konzentrieren sich dem- lassenen Wiesenpfad, der in Richtung "Stufenrain" nach Faunenelemente verschiedenster Herkunft, konvergiert, und der schütteren, fast vegetationslo- wobei sog. "Generalisten" (also z.B. polyphage und sen Sand- oder Kiesfläche, die allenfalls kleinwüch-

* Die Bedeutung des Alters des Substrates für den Flechtenbesatz kann eindrucksvoll an datierten Grabsteinen unterschiedlichen Alters abgelesen werden. Innerhalb der Zeitspanne von 20-30 Jahren, in der heute üblicherweise Grabsteine stehenbleiben, etablieren sich gewöhnl. nur weit verbreitete, rel. häufige Arten. Selbst die Landkartenflechte ist nur selten beteiligt. Demgegen- über weisen Grabsteine aus dem letzten Jh. oder aus den ersten Jahrzehnten dieses Jh., wie sie fast nur noch auf Judenfriedhöfen zu finden sind, eine reiche, auch Seltenheiten (mitunter Einzelfunde für größere Naturräume) umfassende Flechtenflora auf (WIRTH 1992, unpubl.).

151 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen sigen Therophyten Lebensraum bietet. Zusammen- anteil in lückigen Beständen besonders häufig (vgl. gefaßt bedeutet dies: auch Kap. 2.1.6.1). Während bei gleichmäßig hohen und langandauern- Insgesamt ist bei anthropogen bedingten Land- den Belastungen Boden und Topographie als maß- schaftsstrukturen dem Zusammenwirken von an- gebliche Gestaltungsfaktoren an Gewicht verlieren thropogenen und natürlichen Standortfaktoren bzw und nur wenige euryöke Trittarten übrigbleiben, -veränderungen großer Stellenwert beizumessen. wirken bei mäßiger Befahrungsintensität die natür- lichen Standortfaktoren differenzierend auf die Ve- Mit dieser "Wirkungsmatrix" (in der landschafts- getation. ökologischen Literatur auch als "Ressourcen- und Störungsgradient" beschrieben) soll versucht wer- Insgesamt bewegt sich das ökologische Optimum den, die Qualität der einzelnen Lebensräume für ihre der weg- und rainbesiedelnden Arten zwischen der Lebensgemeinschaften zumindest grob und über- mechanischen Zerstörung bei hohen Überfahrungs- blicksartig zu beschreiben (vgl. GRIME 1979, raten und der Lichtkonkurrenz mit hochwüchsigen GRUBB 1985, zit. in KLEYER 1991: 21). Danach Arten bei niedriger Befahrungsintensität. Der hohe ist die Kombination aus Südexposition, Kuppenla- Therophytenanteil erinnert an die Artengemein- ge, Pararendzina und vielbefahrenem Erdweg als schaften der Äcker und Weinberge. Während sich "Feld" aufzufassen, das in diesem Fall durch die die Störung "Bodenbearbeitung" flächendeckend Faktoren "niedriges Angebot einer limitierenden auswirkt, wirken die Störungstypen "Tritt" bzw. Ressource" und "hohe Störung" gekennzeichnet ist. "Überfahren" eher selektiv. Damit versucht KLEYER z.B. auch Vegetationsver- An steilen Sonnhängen verstärkt sich die Wirkung änderungen an Strukturelementen zu erklären, die hoher Befahrungsintensität auf die Vegetation. Hier infolge einer Nutzungsänderung auftreten können: sind Artengemeinschaften mit hohem Trittpflanzen- So kann ein schmaler Acker in Hanglage im Brach-

Abbildung 1/60 Beeinflussung der Ausbildung von Feldraingesellschaften Nordostbayerns durch die Nutzungsweise des oberen Anliegers (KNOP 1982: 48)

152 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen fallen eine Vegetation annehmen, die der eines Stu- 2.3.2.1). Die Fragmentierung der Landschaft in in- fenrains ähnlich ist. tensiv bewirtschaftete Äcker und mehr oder weniger Der stete Wandel des Mikroreliefs (z.B. von Stufen- unbewirtschaftete Kleinstrukturen wird wesentlich rainen und Hohlwegen) in Abhängigkeit von der durch den Grad der Bewirtschaftungsintensität, ins- angrenzenden Nutzung beeinflußt auch die darauf besondere aber durch Nährstoffgradienten überla- lebenden pflanzlichen und tierischen Organismen. gert. So werden die Phytocoenosen eines Rains zwischen zwei Lößäckern unterschiedlich beeinflußt, je nach- Nach REIF et al. (1984) führt bereits eine geringe dem, ob der Grasstreifen senkrecht oder parallel zu Erhöhung des Ackeranteils beim Acker-Grünland- den Höhenlinien des Hanges verläuft (KLEYER verhältnis zu einer deutlichen Erhöhung der N-Zei- 1992: 17). gerwerte von Pflanzengesellschaften auf den an- Aus der Verteilung sämtlicher Landschaftselemente, grenzenden Rainen. Insbesondere der Anteil von Klein- und Faserstrukturen und der Ausformung Queckenfluren und nitrophilen Ruderalpflanzen ihrer Vegetation in Abhängigkeit von Ressourcen- nimmt zu (vgl. KAULE 1983, RUTHSATZ 1983: angebot und Störungsgradient erwächst die Hetero- 375). Aufgrund ihrer Untersuchungen an Feldrainen genität, die eigentliche "Vielfalt" der Agrarland- Nord- und Nordostbayerns resümieren KNOP & schaft (vgl. "macroheterogenity" bei FORMAN & REIF (1982): "(...) die meist unter intensivem Dün- GODRON 1986). Im Verlauf der Intensivierung ger- und Herbizideinfluß stehenden Raine der Ak- landwirtschaflicher Produktion hat diese durch den kerfluren lassen die Existenz nur weniger, euhemer- Menschen bedingte Vielfalt sehr verschiedene Pha- ober Arten (Kulturfolger), die teilweise auch inner- sen durchlaufen (vgl. Kap. 2.3.2.1). halb der Felder zu finden sind, zu. Die Artenzahlen entsprechender Vegetationsaufnahmen liegen teil- 1.7.3 Angebot von Nährstoffressourcen weise unter 10."

Agrarlandschaften, ihre Lebensräume und Biozöno- Nach Untersuchungen von LINK (1988) im mittel- sen sind von der "Intensivierungswelle" meist nicht fränkischen Becken bei Ebrach (Sandsteinkeuper) schlagartig und vollständig betroffen (vgl. Kap. sind positive Korrelationen zwischen Rainbreite

Abbildung 1/61 Korrelation zwischen Rainbreite, Stickstoffzahl und Artenzahlen (LINK 1988)

153 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen und Artenzahl nur bei niedriger bis mäßiger Stick- • Möglichst große Gesamtlänge der einzelnen Li- stoffversorgung anzunehmen (Abb. 1/61, S. 153). nearstrukturtypen in einer Flur (zur Erhaltung überlebensfähiger Populationen muß geringe Unterschiedliche Verhältnisse hinsichtlich Klima, Breite und hohe Störexposition durch Länge aus- Geologie, Topographie und Substrat sind dafür ver- geglichen werden). antwortlich, daß Agrotope auf Stoffeinträge sehr • Hoher Vernetztheitsgrad (Knotenstellen, "T- unterschiedlich "antworten". Bei Pflanzengemein- Einmündungen" und Verdoppelungen machen schaften zeichnet sich eine regelrechte "Hierarchie vagile bzw. auf semi-naturnahen Standorten aus- des relativen Ressourcenangebots" ab (vgl. GI- breitungsfähige Arten konkurrenzkräftig und GON 1987, zit in KLEYER 1991: 19). vergrößern Populationsareale). Danach stehen (z.B. in einer Lößhügellandschaft) • Enge Zuordnung stabiler, bedingt stabiler und Oberhanglagen in Südexposition auf der "Hierar- gestörter Kleinstandorte in langgezogenen Gra- chieleiter" höher als nordexponierte Hänge, weil dienten (relativ beständige, zusätzlich durch be- sich hier aufgrund der höheren Intensität der Son- stimmte Pflege konstant gehaltene Magerrasen, neneinstrahlung die geringere Wasserspeicherkapa- Heiden oder Mauern neben sporadisch gestörten zität der Pararendzinen und die höhere Verdun- Pflug- und Weiderandbereichen mit regelmäßig stungsrate "addieren". Das kann bedeuten, daß eine bewirtschafteten Randstreifen). südexponierte Kuppen- oder Oberhanglage die Wir- Daraus folgt: kung intensiven Düngereinsatzes aus den angren- Die biologische Wertigkeit von Agrotopen hängt zenden Äckern auf die Rainvegetation reduziert, von deren innerer Kleinzonierung ab. Teilstandor- eine Senkenlage in Nordexposition dagegen addiert. te unterschiedlicher agrarischer Überformung soll- Man spricht in diesem Zusammenhang von "Über- ten gebündelt auftreten. lagerungen zwischen Intensitätsgrad und Physiotop Mechanisch stark gestörte Teilhabitate sind integrie- der Landschaft". render Baustein vieler Agrotopsysteme. Nun bedeutet freilich nicht jeder Nährstoffeintrag in Punktuelle Stoffeinträge in xerotherme bis mesophi- Agrotop-Biozönosen automatisch eine Verschlech- le Offenlandstandorte sind als habitatdifferenzie- terung der Lebensbedingungen für empfindliche rende "Nischen" zu bewerten. oder seltene Arten und Lebensgemeinschaften. Trocken-warme, offene Wegränder mit anfallendem Tierkot - insbesondere von Rindern, Schafen oder 1.8 Verbreitung Pferden - sind von essentieller Bedeutung für Arten mit speziellen Habitatansprüchen, wie z.B. die ther- Agrotope gibt es überall dort, wo Landwirtschaft mophilen Kotzersetzer, die tierische Exkremente als wirkt(e). Die vom Menschen mitgeschaffene Klein- Larvalhabitate benötigen. Dazu zählen u.a. die frü- strukturvielfalt spiegelt dabei den geologisch-mor- her an nordbayerischen Triftwegen weitverbreiteten phologischen Formenschatz der bayerischen Land- Blatthornkäfer wie der Pillenwälzer (Sisyphus schaften im Kleinen wider: So lehnen sich Acker- schaefferi/ RL-BY 2). Voraussetzung für das Vor- und Weinbergsterrassen an natürliche Schichtstufen kommen der Art ist die Kombination "extrem und Landterrassen an; Hohlwege werden durch Ab- trocken-warmer Standort" + "Schafkot". Der Pillen- flußrinnen asymmetrischer Talsysteme ausgeformt, wälzer war früher eine charakteristische Art wärme- Lesesteinformen sind gewissermaßen petrographi- begünstigter Weidelandschaften (vgl. LPK-Band sche Extrakte ihrer geologischen Region usw. Dabei II.1 "Kalkmagerrasen", Kap. 1.5.2.7). fällt es oft nicht leicht, natürliche Formen von an- thropogenen eindeutig zu trennen (vgl. FISCHER Auch einige seltene, meist wärmeliebende Ruderal- 1980: 17). stauden oder Therophyten schätzen punktuell ge- Das Verbreitungskapitel gibt zunächst einen bayern- störte und aufgedüngte Wuchsorte. So tragen im weiten Grobüberblick (vgl. 1.8.1), skizziert an- Haßbergetrauf bei Nassach die nur schmalen Weg- schließend die Verteilung einzelner Agrotoptypen ränder ehemaliger Triften gut ausgebildete Löwen- auf die Naturräume (1.8.2, S. 155) und analysiert schwanz-Schwarznessel-Fluren (LEONURO-BALLO- endlich die Schwerpunktvorkommen der einzelnen TETUM NIGRAE). Sporadische Störungen des Wuchs- Landkreise (Kap.1.8.3, S.168). ortes (Aufreißen der Grasnarbe, z.B. durch Huftritt) Für die Verteilung der einzelnen Agrotoptypen sind und kleinflächige Eutrophierungen durch Kot bzw. im wesentlichen folgende Vorgaben maßgebend: ähnliche organische Abfälle sind die wichtigsten Voraussetzungen für solche inzwischen hochbe- Natürliche Vorgaben: drohte Ausbildungen (vgl. RÄTH 1991). - Orographie, vor allem Hangneigung (Stufenrai- ne, Hohlwege) Zusammengefaßt läßt sich die im Sinne der Lebens- -Gründigkeit, Skelettreichtum des Oberbodens gemeinschaften optimale Lebensraumausstattung (Lesesteinformen) also auf folgende Kernpunkte zurückführen: - Geologische Heterogenität (kleine Schichtstu- • Verteilung einer Population bzw. eines Agrotop- fen als Agrarböschungen) typs auf die Ränder mehrerer Nutzparzellen - Bodenart, Erosionsdisposition (Abbruchkanten, (Konzentration auf einen Schlagrand erhöht die Wegeböschungen) Auslöschungswahrscheinlichkeit bei Nutzungs- Kulturhistorische Vorgaben: wechsel). -Flurverfassung

154 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

- Erbrecht schaften sind z.B. das unterfränkische Maintal, wei- - Historische Bewirtschaftungsorganisation (3-/2- te Bereiche in den Haßbergen, im Grabfeld und auf Felderwirtschaft, Brand-Wald-Feldbau etc.) der Frankenalb, sowie verschiedene Landschaften im bayerischen Schwaben westlich des Lechs. Moderne Arrondierung (Flurbereinigung) Ackerterrassen bzw. Ranken sind naturgemäß an gefällereiche rezente oder subrenzente Ackerland- 1.8.1 Landesweiter Überblick schaften gebunden. Die Faustregel "je steiler, desto terrassierter" kennzeichnet zumindest die noch un- Aufgrund seiner größeren geologisch-orographi- bereinigten Feldfluren. schen Vielfalt und kleinteiligeren Agrarstruktur ist Nordbayern insgesamt agrotopreicher als Südbay- Im Alpenvorland sind Stufenraine und Böschungen ern. Besondere Schwerpunkte sind die Hanglagen in besonders häufig im Bereich der Schichtrippen und der unterfränkischen Trias-Schichtstufenlandschaft, Härtlingszüge der gefalteten Vorlandmolasse, kup- im Jurabogen, im Obermainischen Hügelland und pigen Grundmoränen und Drumlinfelder anzutref- im Grundgebirge. Die noch nicht bereinigten und fen. Grünlandraine mit oft letzten Überresten der ehemaligen Weinbergslagen Mittel- und Unterfran- Feucht- und Streuwiesen finden sich häufig nur noch kens stechen als Höhepunkte heraus. im "Trassenbereich" der Weidezäune. Generell läßt sich Bayern agrotopbezogen in drei Die weit verbreiteten fossilen Ackerterrassen in heu- Gebietskategorien gliedern: tigen Grünlandgebieten belegen den früher weit zum Alpennordrand vorstoßenden Ackerbau. • Räume mit durchgehend hoher Agrotop-Dichte, bzw. -Prägung (z.B. gesamte Albtraufzone, Do- Beispiele: lomit-Kuppenalb, Böhmerwald); - Iller-Vorberge (NR 035), vor allem im Grenzbe- • Räume mit lokalen Agrotop-Verdichtungszonen reich zur Adelegg und stark gekammerte End- (z.B. Oberpfälzer Wald, Flächenalb, Sandstein- moränenlandschaft der Lech-Vorberge (NR keuper, nordwestliches Tertiärhügelland); 036), fossile Ackerterrassen im gesamten All- • Räume mit verstreuten Agrotopresten, die in ih- gäu; rer Gesamtheit nicht (mehr) raumprägend auftre- -Grundmoränenkuppen und Drumlinfelder zwi- ten (z.B. mittleres Tertiärhügelland, Gäuland- schen Ammer- und Starnberger See (NR 037), schaften, Altmoränengebiete). zahlreiche fossile Ackerterrassen im Raum Weilheim - Jenhausen (WM), z.T. beweidet; 1.8.2 Naturräumliche Verteilung - Ackerterrassen im Chiemsee-Hügelland (NR 038) am Südhang der "Ratzinger Höhe", am Die Raumverteilung von Agrotopen unterliegt einer Frasdorfer und Bergener Molassezug; gewissen naturraumbezogenen Regelhaftigkeit. - Niederterrassenstufenlandschaft bei Gars a. Inn Diese wird im folgenden beleuchtet. Erhaltungs- (NR 038) und im Salzach-Hügelland zwischen schwerpunkte, Schwerpunkte der Pflege und Ent- Tittmoning und Freilassing (NR 039). wicklung erhalten damit eine regionale Bezugsba- sis. In den Schotterplatten zwischen Donau, Iller und Die einheitlichere Oberflächenform wie auch eine Lech ist vor allem die durch Schmelzwassertäler überwiegend intensivere landwirtschaftliche Nut- und autochthone Tälchen stark zerriedelte Iller- zung ließen in Südbayern eine geringere Vielfalt an Lechplatte (NR 046) noch durch zahlreiche Hecken- Agrotopformen entstehen - Teile des Tertiärhügel- Ranken-Komplexe ausgezeichnet. Die zwischen landes und der schwäbischen Schotterriedelland- Grünland- und Ackerterrassen liegenden Raine sind schaften weisen aber durchaus lokale Häufungen häufig letzte Refugien bedeutender Kalk- und Sand- bedeutender Rankenkomplexe und Hohlwegformen magerrasen. auf. Beispiele: Im grünlanddominierten Alpenvorland nehmen re- - Staudenplatte, vor allem asymmetrische Tälchen zente Agrotopformen im allgmeinen eine eher un- des Neufnacher Hügellandes (NR 046), insbe- tergeordnete Position ein (vgl. aber ZETTLER sondere Steilhänge zum Neufnachtal; 1981). - Steilhänge, Talränder mit sandigen Tertiärabla- Die folgenden Verbreitungsangaben sind Grundlage gerungen in den Seitentälern der Mindel (NR für "Agrotopschwerpunktgebiete", die unbedingt als 046), vor allem Kammeltal mit besonders hoher "Gesamtlandschaft" erhalten werden müssen. Struk- Dichte an Flachrainen, Terrassenkanten häufig turell verarmte Teilbereiche dieser Landschaften durch Streuobst betont; stellen Vorranggebiete der Wiederherstellung und - Steile, nach S und SW gerichtete Hänge der Neuanlage dar. Aindlinger Terrassentreppe (NR 048) mit aus- streichenden Sanden und Mergeln. 1.8.2.1 Raine und Ranken Die Isar-Inn-Schotterplatten sind überwiegend Flachraine sind nur wenig reliefabhängig. Ihr ge- von flachwelligen bis ebenen Altmoränen und häuftes Auftreten in einzelnen Landstrichen hängt Schotterterrassen mit großflächigen, intensiven ak- vielmehr mit der Erbsitte der Realteilung zusam- kerbaulichen Nutzungen geprägt und häufig völlig men, die infolge der vielen kleinparzelligen und oft frei von jeglichen naturnahen Randstrukturen. Le- verstreuten Flurstücke Räume extrem hoher Grenz- diglich Teile des Fürstenfeldbrucker Hügellandes liniendichte hervorbringt. Alte Realteilungsland- (NR 050) und der Talsysteme der Alzplatte (053) mit

155 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen stärkerer Reliefenergie (Randtrauf) weisen höhere Bereiche zwischen Unterer Isar, Aiterach und Rankendichten auf. Kleiner Laaber; - Kleine Magerrasenranken in Anbindung an wär- Beispiele: meliebende Säume an Waldrändern; vorwiegend -Talhänge der Amper zwischen Wildenroth und in den asymmetrischen Seitentälchen im Ter- Dachau (NR 050); tiäranstieg nördl. der Amper (NR 062) im Be- - Nebentäler der Alz (NR 053) mit asymmetri- reich zwischen Aiterbach b. Allershausen, Pal- schen Seitentälchen, vor allem steilere Osthän- zing und Zolling; ge; - Ranken-Komplexe an den Lößterrassen des - Schotterriedel der Inn-Zuflüsse zwischen Krai- Abens-Hügellandes (NR 062), im Bereich der burg a. Inn und Burgkirchen a. d. Alz (NR 053), tertiären Sande am Unterlauf der Abens mit san- vor allem steile, flachgründige Osthänge der digen Böschungsanschnitten; asymmetrischen Seitentäler. - Isolierte Hecken und Ranken im Hopfenanbau- Raine und Ranken stellen in der flächenhaft intensiv gebiet der Hallertau (NR 062), entlang der genutzten Agrarlandschaft des Unterbayerischen Bachleiten der asymmetrischen Täler im Wolnz- Hügellandes die absolut letzten Rückzugsstandorte acher Hügelland; für Kalk- und Sandmagerrasen dar. Die sanft - Paarleiten und asymmetrische Tälchen zwischen flachwellige Rücken- und Hügellandschaft ist durch Donaumoos, Paar- und Ilm-Hügelland (NR zahlreiche asymmetrische Tälchen mit stark wech- 062), im Raum Hohenwart bis zum Südrand des selnden Bodeneigenschaften charakterisiert. Donaumooses mit z.T. regional bedeutsamen Die Palette reicht von ausgesprochen nährstoffar- Kalk- und Sandmagerrasen. men "Sandranken" im südwestlichen Teil des Do- Das Oberpfälzer Hügelland (NR 070) weist trotz nau-Isar-Hügellandes (NR 062) bis hin zu wechsel- des mannigfaltigen geologischen Aufbaus und ein- feuchten Grünlandranken mit Hangquellaustritten zelner markanter Erhebungen (Basaltkegel des Rau- auf den schweren Mergeln im östlichen Isar-Inn-Hü- hen Kulm und des Parksteins) ein insgesamt einför- gelland (NR 060). Die Quarznagelfluhblöcke im miges und nur schwachwelliges Relief auf. Zwi- "Steinkart" (nördlich der Rott/NR 060) sind eine schen den meist großflächigen intensiven Ackernut- spezifische Ergänzung dortiger Agrotope. zungen und einförmigen Kiefernforsten beherber- Neben den aus Erosionsschutzgründen teilweise gen sandige Böschungen, Wegränder und Brach- wohl bewußt angelegten Stufenrainen finden sich äcker oft die letzten Überreste der früher ausge- stellenweise Fluren mit einer hier ungewöhnlichen dehnten Sandfluren und Zwergstrauchheiden. Dichte an Flachrainen in Gefällsrichtung. Letztere Derartige Restflächen, meist im Bereich der extrem kennzeichnen die letzten Überreste historischer nährstoffarmen Flug- und Kreidesande, stellen un- Langstreifenfluren und sind ausschließlich in nicht ersetzbare Netzpunkte für den Wiederaufbau von flurbereinigten Lagen anzutreffen. Sand-rasen-Verbundsystemen dar. Beispiele: Stellenweise erinnern fossile Ackerterrassen unter - Stark zertalte Hügel- und Rückenlandschaft zwi- heutigem Wald an Ackerbauversuche unter denkbar schen Vils und Rott (NR 060), vor allem Rand- kärglichen Rahmenbedingungen. Die häufig anzu- hänge des Vilstales und stärker reliefierte Berei- treffenden Rankenpodsole weisen auf die jahrhun- che nördl. der Kleinen Vils; dertelange Übernutzung der Wälder durch Streuent- nahme hin. - Versteilte Traufbereiche der Hangleiten im Ein- zugsgebiet der Hügellandbäche Vils, Rott und Beispiele: Kollbach (NR 060); - Hecken-Ranken-Komplexe im Einzugsbereich - Engmaschiges Netz an hangsenkrechten Flach- von Waldnaab und Heidenaab, vor allem Steil- rainen in der Langstreifenflur um die alte Hof- bereiche der Leiten, z.B. zwischen Schönberg mark Münchsdorf im Kollbachtal (NR060); und Würnreuth und am "Sandberg", Flurlage - Stark zertalte Lößplatten und tertiäre Riedel "Arg" im Raum Kirchendemenreuth und Pley- südl. des Isartales im Hügelland zwischen Din- stein (NEW); golfing und Landau (NR 060); - Stufenkomplex mit Streuobst im Raum Pretzab- - Zertalte Lößplattenlandschaft südl. der Rott (NR ruck (SAD); 060) zwischen Wurmannsquick, Walburgskir- - Sandige Ranken und Wegränder im Bereich der chen und Triftern; Flugsande und Kreiden südwestl. des Pfahls - System mehrfach gestaffelter Grünlandterrassen zwischen Bodenwöhr und Roding, um Kohlberg im Steilanstieg des Wartenberger Hügellandes und im Raum Wackersdorf südl. von Taxöldern (NR 060) um Itzling; - Bodenwöhr bis zum Regental bei Nittenau - Hangstabilisierende Hecken-Ranken-Komplexe (SAD); an den Isar-Hangleiten (NR 061); -Böschungen an den Steilstufen des Doggers am - Steile Magerrasenranken im kleinräumig ge- Rand der "Hahnbacher Aufwölbung", Kreidebe- kammerten Aiterach-Hügelland (NR 062) nord- reiche nordöstl. Amberg. östl. Dingolfing; Im Obermainischen Hügelland (NR 071) kommt -Höhenlinienparallele Hecken-Ranken-Komple- die geologische Vielfalt des Bruchschollenlandes - xe im Tertiäranstieg nördl. des Isartales (NR vor allem in den felsigen Fazies des Buntsandsteins 062) zwischen ackerbaulicher Intensivnutzung, und im Wellenkalk - auch im Relief lebhaft zum

156 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Ausdruck. Während diese "Härtlinge" östlich der Insgesamt sind die verkarsteten Hochflächen der Kulmbacher Störung ein schmales Stufenland bil- "Rauhen Alb" von extensiver Beweidung durch den, formen die Tone und Mergel des Keupers bis Schafe oder Rinder geprägt; die sparsam eingestreu- zum Fuß der Nördlichen Frankenalb markante ten, flachgründigen Kalkscherbenäcker weisen ge- Landterrassen aus. Das lebhafte Relief verursacht legentlich "fließende Übergänge" zu den steinigen, kleinklimatisch sehr unterschiedliche Bezirke, vom oft schütter bewachsenen Ranken auf. Wichtige trockenen Albfuß bis zur feuchteren Luvregion vor Kontaktbiotope neben Kalkmagerrasen und Hecken Frankenwald und Fichtelgebirge. sind im Bereich der Mittleren und Südlichen Alb Die für die Landwirtschaft eher ungünstigen Gelän- einzelne Sanddünen. de- und Bodenverhältnisse (nährstoffarme, trockene Beispiele: Sand- und Kalksteine auf den Rücken, schwere und zähe Tone in den Senken) bewirken eine insgesamt - Rain-Ranken-Komplexe in der Jurahochfläche noch relativ extensive Landnutzung. Neben zahlrei- über dem Wiesenttal in der "Fränkischen Schweiz" chen wertvollen Hecken nehmen Raine und breite (NR 080), Seitentäler der Wiesent, z.T. noch in Ranken die Grenzlagen zwischen steinigen Kalk- traditioneller Nutzung; scherbenäckern und größeren Laubwaldgebieten - Hecken-Ranken-Komplexe bei Wohnsgehaig ein. am Fuß der Neubürg (NR 080/FO); - Dichtes Netz an Flach- und Stufenrainen in den Beispiele: Lias-Randbereichen im Übergang zum Albvor- - Ausgedehnte Hecken-Ranken-Komplexe am land (NR 080/110), insbesondere im Raum um Kronacher Muschelkalkrücken zwischen exten- Lichtenfels und Scheßlitz (besonders schön aus- siven Acker- und Grünlandnutzungen, Breitrai- geprägt im Lautergrund östl. Staffelstein); ne von mehreren Metern, z.T. auch mit Steinwäl- - Ausgeprägte Hecken-Ranken-Komplexe im Ober- len ("Ködlitzer Weinleite"); pfälzer Jura (NR 081), z.B. südl. der BAB Nürn- - Kleinstrukturreiche Ackerlandschaften im Mu- berg bei Ursensollen, Gigelsberg und Hänge des schelkalk unterhalb des Frankenwaldes im Ein- Lauterachtals bei Kastl; zugsbereich der Rodachquelläste; - Gut strukturierte Ranken mit Trockenmauerre- - Muschelkalkhänge S Lanzendorf/ Himmelkron; sten im Bruchtal (NR 081) bei Götzendorf (AS); - Hecken-Ranken-Komplexe um Neustadt bei Co- - Kleinstrukturreiche Teilräume um Neumarkt im burg; Kontakt zu den Flugsanden des Neumarkter - Zahlreiche Rankensysteme im Trias-Schichtstu- Beckens (NR 081); fenland im Bereich der Landkreisgrenze zwi- - Zahlreiche, die Albhochfläche gliedernde Hang- schen Kulmbach und Bayreuth, insbesondere im terrassen westl. Alfeld und Hersbruck (NR 081); Raum zwischen Trebgast - Kupferberg - Stadt- - Ranken im Bereich von Löß- und Alblehmüber- steinach/ Grenzregion zum Frankenwald. deckung, Juraanstieg (NR 082) nordwestl. Re- In der Fränkischen Alb zeichnet sich vor allem das gensburg, nordöstl. der Vohburger Staustufe; zentrale Hochland des nördlichen Albbogens durch - Isolierte Ranken der Menninger Frankenalb (NR ein lebhaftes Kleinkuppenrelief aus, geprägt durch 082) als potentielle Netzpunkte im Magerrasen- die typischen Einzelformen des Karstes (Dolinen, verbund entlang der Donauleiten; Höhlen, Felsnasen etc.). Am kräftigsten ausgebildet - Terrassen mit hangparallelen Hecken-Ranken- sind die Karsteigenschaften der Kalke und Dolomite Komplexen zwischen Dollnstein und Pappen- im Zentralbereich der Nördlichen Frankenalb (NR heim (NR 082), Fortsetzung Albtrauf im Raum 080). Gleichzeitig weisen diese Bereiche starker Weißenburg - Gunzenhausen; lokaler Reliefenergie in der "Fränkischen Schweiz" - Hangparallele Rankensysteme unterhalb der die größte Dichte an landschaftsprägenden alten Waldrandstufe im Raum Greding (NR 082); Ranken (meist mit Lesesteinkern) auf. - Talflanken der Altmühl und ihrer Seitentäler (NR 082), Anlautertal und Talhänge der Schwar- Das kuppige Dolomithochland der Mittleren Alb zen Laaber/Deuerling; (NR 081) ist ebenfalls durch ein bewegtes Kleinre- lief mit zahlreichen Rainen und Ranken gekenn- -Wörnitzeinhänge zwischen Donauwörth und zeichnet. Charakteristisch für die Oberpfälzer Alb Ries (NR 098); ist die stellenweise noch intakte Vernetzung der - Anstieg der Südlichen Frankenalb zwischen Ir- zahlreichen Schmalraine mit den vorgelagerten gertsheim und Gerolfing mit markanter, terras- wärmeliebenden Säumen der zahlreichen Kie- sierter Geländekante des "Hohenlohe", ähnlich fernwäldchen. In den meist kleinbäuerlichen Wald- Hangkante des Ochsenthomerberges nördl. von parzellen sind örtlich fossile Ackerterrassen anzu- Etting. treffen. Mit vielgestaltigem Relief ausgestattet, umsäumen In der Südlichen Frankenalb (NR 082) erinnern die Vorländer der Frankenalb (NR 110/111/112) Flurrelikte wie schmalstreifige Gemengfluren im in einer Breite von 5 - 10 km die Albstufe. Der Eichstätter Raum oder stark zersplitterte Kleinstpar- Wechsel von tonigen Liasböden, die ein eher flach- zellen im Anlautertal an die Erbsitte der Realteilung hügeliges Relief ausbilden, mit den Stufenbildnern und die Auflösung der Allmende. Im Anlautertal des Dogger- und Rhätsandsteines, prägt die Oberflä- sind darüber hinaus noch letzte Spuren der altertüm- chengestalt zwischen dem Flachland des Mittelfrän- lichen Feldgraswirtschaft anzutreffen. kischen Beckens und dem Albhochland.

157 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Vor allem die schweren Liasböden werden traditio- Der Trauf von Frankenhöhe und Steigerwald ist nell obstbaulich genutzt; das ausgeprägte Relief der durch kleinteilige Agrarstrukturen und weit unter- Terrassen erfährt dadurch eine zusätzliche Steige- durchschnittliche Besitzgrößen gekennzeichnet. rung. Allenfalls im überlappenden "Grenzsaum" Unregelmäßig geformte Flurstücke lassen zahl- zwischen Tonen und Sandsteinen entstanden besser reiche Zwickel- und Grenzflächen zu. Vor allem nutzbare Ackerböden. am Fuß des Steigerwaldes befinden sich alte, sehr Charakteristisch sind auch die kleinparzellierten kleinstrukturreiche Weinbergslagen mit hohem Bra- Gemengfluren in den stadtnahen Räumen im cheanteil; die Randbereiche zeichnen sich noch stel- oberfränkischen Raum um Bamberg und Hallstadt, lenweise durch alte Obstbäume (Walnußbäume am die häufig noch zahlreiche Flachraine und exten- "Frankenberg" bei Ippesheim!) aus. siv genutzte Vorgewende aufweisen. Im Bereich der sandigen Aufschüttungsterrassen Der gesamte Naturraum ist deutlich von der Realtei- von Aisch, Rednitz, Regnitz und Pegnitz existieren lung geprägt; die noch überwiegend kleinteilig ge- lokal bedeutsame Sandrasen an Wegen, Bö- nutzte Agrarlandschaft mit ihrer hohen Grenzlinien- schungen und Entnahmestellen, teilweise in enger dichte ist durch anstehende Flurbereinigungsverfah- Nachbarschaft zu ertragsarmen Sandäckern und ren akut bedroht! Ackerbrachen. Beispiele: Beispiele: - Hohe Dichte an Flach- und Stufenrainen in Teil- - Ausgeprägte Rankenlandschaft mit Streuobst gebieten des Albvorlandes (NR 112) im Raum südwestl. Neustadt a. d. Aisch (NR 114/113); zwischen Bamberg, Hallstadt und Baunach; - Hohe Dichte an Flach- und Stufenrainen an den - Hohe Dichte hangparalleler Stufenraine im Gipskeuper-Randhöhen der Frankenhöhe (NR Forchheimer Land im Übergang zur Nördlichen 114), Quellbereich der Altmühl; Frankenalb (NR 112/080), auch Seitentäler des - Acker- und Grünlandterrassen mit schmalen Großenoher Tales zwischen Forchheim und Lauf Streifenfluren im Hangbereich oberhalb Emskir- a.d. Pegnitz, insgesamt durch Streuobst(bra- chen (NR 113); chen) charakterisiert; - Terrassensysteme südl. der Bibert (NR 113) zwi- - Kleinstraine an den Flurgrenzen schmaler "Hand- schen Zirndorf und Roßtal; tuchäcker" in den Seitentälern von Rednitz, - Hangparallele Hecken-Ranken-Komplexe am Roth, Aurach und Wiesent (NR 112); Steigerwaldrand, Biberttal mit Nebenbächen im - Flach- und Stufenraine im stark zerschluchteten Raum Scheinfeld; Lias-Vorland (NR 110) der Südlichen Alb zwi- -Alte, überwiegend verbrachte Weinbergster- schen dem Hahnenkamm, den Zuflüssen der Alt- rassen im Gipskeuper zwischen Obermain und mühl und Weißenburg i. Bayern; Steigerwald sowie im Raum Marktbergel. - Hecken- und Obstbaum-Ranken an den Schwamm- kalkhängen der Ehrenbürg (östlich Forchheim); Die Landschaft der Haßberge (NR 116) weist - Stufenranken an den Niederterrassenkanten (riß- viele verwandte Züge mit Steigerwald und Franken- u. würmeiszeitliche Auenterrasssen) im Unteren höhe auf. Beherrschende Elemente des steilen Regnitztal südlich von Bamberg. Haßbergetraufes sind - vorwiegend im Sandstein ausgebildete - Keuperstufen mit tonigen Zwischen- Während das eigentliche Mittelfränkische Becken lagen. Der Traufbereich, das schmale zerriedelte (NR 113) ein reliefarmes Gebiet mit überwiegend Hochflächenband und die westlichen Übergangs- großflächigen Ackerfluren darstellt, ist der Grenz- bereiche zum Baunach-Hügelland (NR 117) sind bereich zum Keuperbergland des Steigerwaldes noch vielfach von sehr extensiven Landnutzungen (NR 137/115) und zur Frankenhöhe (NR 114) sehr und hohem Brachflächenanteil geprägt. Flachgrün- ausdrucksvoll gestaltet. Der vielfältige geologisch- dige, extensiv bewirtschaftete Kalk- und Sandäcker morphologische Formenschatz spiegelt sich in der mit Nachbeweidung der Brache sowie zahlreiche Vielfalt der verschiedensten Agrotopausprägungen Schaftriften bestimmten bis in die 60er Jahre d. Jh. wider (vgl. ORGIS 1979). die Landschaft. Der Grenzbereich zu den Randhöhen von Steiger- Als Relikte dieser traditionellen Agrarnutzung fin- wald und Frankenhöhe ist fließend und wird nur den sich wertvolle Ruderal- und Staudenfluren deutlich an der allmählich zunehmenden Reliefener- wärmeliebender Standorte an Wegrändern und gie und der aufkommenden Geländeterrassierung. offenen Steilböschungen mit anstehendem Ge- Der Steigerwaldtrauf selbst ist ein mehrfach ge- stein kleinflächig in der Landschaft zerstreut. Sie treppter Stufenabfall, die vordersten Stufen lösen stellen heute wichtige Kontakt- und Ergänzungsbio- sich in zahlreiche, weit ins Mittelfränkische Becken tope zu den Brachäckern mit sekundären Magerra- vorstoßende Gipskeuperriedel auf. In den Formen sen dar. der gestuften Flußterrassen von Bibert, Farrnbach, Die Keuperstufe der Haßberge ist in zahlreiche Tal- Aurach und Zenn wiederholt sich der Aufbau der gassen und flache Rücken zerriedelt, die westwärts Keuperlandschaft im Kleinen: Ein rascher Wechsel den Übergang in das Gäuland der Mainfränkischen zwischen reinen Sandböden auf den Rücken und Platten, ostwärts in das verwandte Itz-Baunachhü- Hängen und den mergeligen Tonen in den Senken. gelland (NR 117) darstellen. Zwischen Main, Itz und In nicht flurbereinigten Landstrichen schlägt sich Baunach prägen über den Main hinwegreichende die Reliefvorgabe in zahlreichen, meist hangpa- Lias-Inseln mit schweren Tonböden den Land- rallelen Rankensystemen nieder. schaftscharakter. Die vorgelagerten, schwer acker-

158 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen baulich nutzbaren Feuerlettensäume lassen durch In der Windsheimer Bucht (NR 131) berühren sich Terrassierungen noch Spuren des früheren Wein- Landschaftselemente des mainfränkischen Gäus mit und Hopfenbaus zwischen niederwaldartigen Nut- denen der angrenzenden Keuper-Berglandschaften. zungen erkennen. Das früher sehr kleinteilige Nut- Im Randbereich des breit angelegten Aischgrunds zungsmosaik mit einem außergewöhnlichen Reich- bilden Steinmergelbänke und Gipskeuperstufen tum der verschiedensten Kleinstrukturen (Ranken- typische Landterrassen mit überwiegend hangpa- und Hohlwegesysteme, alte Weinberge) ist heute rallelen Ranken aus. Die südexponierten Hänge vielfach durch Nutzungsaufgabe, durch Flurbereini- tragen stellenweise noch alte Weinbergslagen von gungen und Erstaufforstungen bedroht. hoher ökologischer wie kulturhistorischer Wertig- keit. Beispiele: - Hecken-Ranken-Komplexe an den steilen Keu- Beispiele: perstufen und dolomitischen Steinmergelbänken - Hangparallele Rankensysteme im Schichtstu- der "Nassacher Höhe" am Haßbergetrauf (NR fenland der Windsheimer Bucht; 116); - Rankensysteme im Aischtal einschließlich der - Ausgeprägte Terrassensysteme im Baunach- Seitentäler (NR 131); grund (NR 117) mit teils hangparallelen, teils - Äußerst kleinstrukturreiche Weinbergslagen im hangsenkrechten Grenzrainen (Relikte früherer Raum Ipsheim (NR 131), kulturhistorisch be- Wein- und Hopfenkulturen); deutsame Weinbergshäuschen. - Hohe Dichte an Flach- und Stufenrainen im Be- reich des Feuerlettens/ Baunachgebiet (NR 117); Das Schweinfurter Becken (NR 136), das Steiger- - Konzentration äußerst kleinstrukturreicher Wein- waldvorland (NR 137) und weite Bereiche des bergslagen am Maintalnordhang/ südl. Hang der Grabfeldes (NR 138) sind überwiegend intensiv Haßberge (NR 117). genutzte Ackerlandschaften mit äußerst geringen Waldanteilen. Das Nutzungsmosaik der (ehemals) Abseits der relativ einheitlichen Hochflächenland- kleinparzellierten Realteilungslandschaft ließ trotz schaft des Mainfränkischen Gäus sind die Muschel- der geringen Reliefunterschiede ökologisch wert- kalkplatten im Bereich des Maintals (NR 133), volle Räume mit hoher Grenzliniendichte entstehen. nördlich davon bis zum Grabfeld (NR 138) und im Aufgrund früher Flurbereinigungen und entspre- Bereich der Marktheidenfelder Platte (NR 132) chender landwirtschaftlicher Intensivierung sind die relativ stark zertalt. Ähnliches gilt für den von Wern kleinflächigen Biotopreste heute weitgehend iso- und Lauer entwässerten Teil (NR 135). liert. Alle diese Bereiche sind durch ausgesprochen Beispiele: trockenes Klima und durch einheitlichen Muschel- -Geländekanten mit offenen, steinigen Rohbo- kalkuntergrund mit harten Schichtpaketen des Wel- denaufschlüssen über Grenzdolomit (Schichten lenkalkes und Keupers gekennzeichnet. Im Gegen- des Unteren und Mittleren Keupers) im Schwein- satz zu den verkarsteten flachgründigen Muschel- furter Becken (NR 136); kalkrendzinen an Steilhängen ergeben die Verwitte- - Sandwege, Sandranken im Bereich der Flug- rungsprodukte des Lettenkeupers und der Löß- und Terrassensande des Maintals (NR 136) zwi- decken fruchtbare Ackerböden. schen Feldgemüse und Heilkräuteranbau; Die Muschelkalklagen stellen - im Gegensatz zu den - Rankenkomplexe im Bereich des Lettenkeupers angrenzenden Buntsandsteinlandschaften - durch- an süd- bis südwestexponierten Hängen, Berei- gängig alte Siedlungsräume mit jahrhundertelanger che der Volkacher Mainschleife (NR 137); Weinbautradition dar. Die hohe Reliefenergie der - Rankenkomplexe im trockenen, flachgründigen verbreiteten Steillagen sowie die traditionell klein- Muschelkalk des Grabfeldgaus. teilige Landnutzung der alten Realteilungssitte Die Buntsandsteinlandschaften der Südrhön (NR schufen abwechslungsreiche Vegetationsmosaike 140), des Sandsteinspessarts (NR 141) und Sand- aus Scherbenäckern, Weingärten, beweideten Kalk- steinodenwaldes (NR 144) sind überwiegend spät- magerrasen und lichten Kiefernwäldchen. besiedelte Waldlandschaften. In mehreren Rodungs- Diese Räume zeichnen sich noch heute durch viele und Ausbauperioden bis ins 18. Jh. hinein entstand verschiedenartige Grenzflächen, wenig genutzte eine abwechslungsreiche Kulturlandschaft, die alle "Zwickelbiotope" und jahrhundertealte Wege- Übergänge vom waldfreien Acker- und Wiesenland trassen aus. bis zu völlig waldumschlossenen Rodungsinseln Beispiele: und Rodungsgassen aufweist (vgl. SCHMIDT in - Hecken-Ranken-Komplexe im Lößbereich der MEYNEN & SCHMITHÜSEN 1962). Marktheidenfelder Platte (NR 132), in verschie- Vor allem der geröllführende Untere und Mittlere denen Mainseitentälern, z.B. im Rimbachtal; Buntsandstein bildet sehr flachgründige, durchlässi- - Ackerterrassen mit hangparallelen Ranken im ge Böden, die allenfalls für anspruchslose Feldkul- Bereich zwischen den Steilhängen im Mittleren turen geeignet sind. So existiert in der Südrhön noch Maintal (NR 133) und angrenzenden Trocken- ein relativ hoher Anteil extensiv genutzter Wiesen wäldern; und Schafhutungen. In den nicht flurbereinigten - Ranken, hangparallele Böschungen im Werntal Realteilungsgebieten prägen Raine und Ranken mit (NR 135) im Kontakt zu bedeutenden Hecken- Streuobst wesentlich den Landschaftscharakter. Nur komplexen. an den lößüberdeckten Gleithängen und Terrassen

159 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen der Saale konnten sich ertragreiches Ackerland, tope"), verursacht das Gelände- und Lokalklima Obstbau und Rebflächen etablieren. Ackerbrachen eine bemerkenswerte Verschiedenheit von Oberflä- unterschiedlichen Alters stellen wertvolle Standorte chengestalt und Landnutzung: Die Spannweite für sekundäre Sandrasen und Refugien gefährdeter reicht von den wärmebegünstigten Lagen des Re- Ackerwildkräuter dar. gentals (NR 404), der Cham-Further-Senke (NR 402) und der Donaurandhänge (NR 406/407), wo Beispiele: alte Terrassen an früheren Weinbau erinnern, bis zu - Hecken-Ranken-Komplexe in den landwirt- den rauhen und niederschlagsreichen Hochlagen mit schaftlichen Grenzertragslagen im Bereich zwi- ertragsschwachen Weiden und "Steinäckern". schen Mittlerem Buntsandstein und dem Mu- Vor allem Granite und Quarzite (Pfahlzone!) bilden schelkalkzug (NR 140), z.T. "parkartiger Cha- flachgründige, trockene Sand- und Steingrusböden rakter" durch Streuobstbestände; mit äußerst geringen Ertragszahlen aus. Im Ein- - Schmale Langstreifenfluren ("Handtuchäcker") flußbereich hoher Niederschläge und niedriger Jah- mit zahlreichen Grenzrainen in den Realtei- restemperaturen ("Schneelöcher" des Inneren lungsgebieten der Südrhön im Übergang zum Bayerischen Waldes/NR 403) sind podsolige Ran- Grabfeld (NR 138), viele landwirtschaftliche ken ein häufiges Erscheinungsbild. Kleinstbetriebe; Die Landwirtschaft der vergangenen Jahrhunderte - Alte Weinbergsterrassen im Saaletal (NR 140). hat die ungünstigen Voraussetzungen mit extremer Standortanpassung beantwortet. Die kleinstandört- Der Buntsandsteincharakter von Spessart und Oden- liche Nutzungsdifferenzierung äußerte sich einer- wald wird örtlich durch Klimaeinflüsse aus dem seits in der geradezu intimen Verzahnung zwischen warm-trockenen Maintal überlagert. So dringen im Äckern und den als Wiesen- und Weideland genutz- Bereich der "Wertheimer Höhe" und im linksmaini- ten Rainen und Ranken an den Besitzgrenzen. Die- schen Buntsandstein am Fuß der Muschelkalkstufe ses (heute kaum mehr nachvollziehbare) Nutzflä- zwischen Gemünden und Marktheidenfeld Floren- chenmosaik ist durch historische Flurkarten für das elemente des mainfränkischen Muschelkalks in die 19. Jh. bis in die unmittelbare Nachkriegszeit hinein bodensaure Flora ein. belegt (vgl. Kap. 1.6.2.1, S.141). Klimatisch begünstigte Acker- und Weinbaulagen Andererseits begegnete man der allgemeinen Man- mit entsprechenden Terrassierungen sind vorwie- gelsituation örtlich mit extremen Eingriffen und gend an den "Sonnenhängen" des Mains anzutref- Übernutzungen. Jahrhundertelange Streuentnahme, fen. Waldweide und die Feldgras- und Birkenbergwirt- schaft (belegt zumindest für Teilgebiete des Falken- Beispiele: steiner Vorwaldes/NR 406 und Lallinger Win- - Kleinteilige Terrassierungen in den Ortsrandla- kels/NR 407) haben Standort und Pflanzenwuchs gen im Mainspessart (NR 141), Terrassen, Mau- entscheidend mitgeprägt. ern mit Streuobst, von Privatgärten in die offene Die früher "gemeinen" bodensauren Magerrasen, Landschaft ausgreifend; Steinfluren und Zwergstrauchheiden als eigentliche - Zahlreiche Rankensysteme im Bereich der Main- Produkte dieses "Raubbaues" sind heute vielerorts talhänge, Übergangsbereiche zu Spessart und nur noch an ausgehagerten Steilranken, Feld- und Odenwald; Wegrainen zu finden (vgl. LPK-Band II.3 "Bo- - Ranken im Bereich der lößbedeckten Terrassen densaure Magerrasen"). im Durchbruchstal des Mains zwischen Hom- Beispiele: burg und Miltenberg (NR 141); - Hecken-Ranken-Komplexe im nordwestl. Fran- - Hecken-Ranken-Komplexe im Bereich des kri- kenwald (NR 392) im Raum Kronach (Fortset- stallinen Vorspessarts (NR 142) südl. der zung im grenznahen Thüringen); Aschaff über kiesig-grusigen, nährstoffarmen - in den Randlagen des Fichtelgebirges hin zur Verwitterungsböden. Münchberger und Wunsiedler Hochfläche im Die Mittelgebirgslagen von Frankenwald und Raum Sparneck bis Schwarzenbach (NR 394/ Fichtelgebirge, von Oberpfälzer und Bayeri- 393), zwischen Marktleuthen und Selb, Vordere schem Wald sind wegen ihrer häufigen Steilhänge Leite um Wunsiedel (NR 395); und verbreiteten Grenzertragsböden als regionale - Kleinparzellierte Fluren mit zahlreichen Terras- Schwerpunktgebiete für Raine und Ranken anzu- sierungen und Hochrainen im Oberpfälzer Stift- sprechen. land (NR 401), Räume um Friedenfels, Falken- Eine wichtige lokale Bedeutung dieser Agrotope berg und Floß; liegt in der Bewahrung alter Flurrelikte. So sind -Höhenlinienparalleler Hecken-Rankenkomplex die Radialhufen der Frankenwalddörfer auf das Leit- nordwestl. Wiesensüß im Raum Hohentreswitz liniensystem der Raine und Ranken ausgerichtet; (SAD); vergleichbares gilt für die Waldhufendörfer des In- - Rankenkomplexe (höhenlinienparallel und -senk- neren Bayerischen Waldes (vgl. Kap. 1.6.1.1.2, S. recht) im Naabhügelland (NR 401) südl. Naab- 136). burg, konzentriert im Raum Schwarzenfeld östl. Während sich der unterschiedliche Gesteinscharak- Luigendorf, Raubersberg bei Krandorf und nördl. ter vorwiegend in den "Großformen" der naturräum- Willhof (engmaschiges Netz parzellenbegren- lichen Untereinheiten niederschlägt ("Falkenberger zender Schmalraine); weitere nördl. des Pfahls Granitkuppengebiet", vgl. LPK-Band II.15 "Geo- bis zum Schwarzachtal im Raum Neukirchen-

160 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Balbini, südwestl. Rottendorf am Grafenberg Hohlwege auf einen Bruchteil der ursprünglichen (SAD); Zahl reduziert (vgl. Kap.1.11.2.2, S.238). - Schmale Grenzraine östl. Schmidgaden (NR Die Verbreitung von Hohlwegen im Alpenvor- 401/SAD), vermutlich erst in neuerer Zeit ange- land deckt sich mit denen der wichtigsten Ranken- legt; landschaften. Ähnliches gilt für die schwäbischen - Rankenrestpotential, überwiegend eutrophiert und südostbayerischen Schotterplatten. Allgemein zwischen landwirtschaftlichen Intensivnutzun- sind es die stärker zertalten und zerriedelten Berei- gen im Rötzer Hügelland (NR 401); che im Umkreis alter, bäuerlicher Siedlungen. Auf- - Hecken-Rankenkomplexe, mit Lesesteinen oder grund des kühlen, niederschlagsreichen Klimas sind großen Granitblöcken durchsetzt im Bereich der "Feuchtevarianten" mit quelligen, sogar nieder- Waldhufendörfer um Finsterau, Regenseitentä- moorartigen Böschungsanschnitten möglich, im ler um Bodenmais (NR 403); "Tuffbereich" können Hohlwege sogar Kalksinter- - Hohe Konzentration an Flach- und Stufenrainen bildungen aufweisen. Auch die südlichen Lößfazies nördl. der Pfahlzone bis Cham (NR 402); sind durchwegs feuchter. - Steile, südexponierte Ranken, sandig-grusige Beispiele: Wegränder im Randgehänge des Regen- und - Teilbereiche im Oberallgäu im Raum um Bu- Chambtales, z.B. südl. des Weilers Stadel bei chenberg und Nesselwang (NR 035/036); Regenstauf (R), bedeutende Rankensysteme bei Steffling und Neuhaus (SAD); - Teilbereiche der Grundmoränen zwischen Am- mer- und Starnberger See bis zum Staffelsee (NR - Stark terrassierte Wiesengelände im Lallinger 037); Winkel, Hecken-Rankenlandschaften (NR 407); - Riedellandschaft der Iller-Lechplatten (NR 046), - Ranken mit lokal bedeutsamen Kalkmagerrasen, vor allem Seitentäler der Mindel (und Kammel- Donaurandgehänge des Passauer Abteilandes tal) und Oberneufnacher Hügelland, z.B. Hohl- (NR 408), Vorwaldgneis mit eingesprengten wege von Haldenwang, Jettingen, Konzenberg; Kalklinsen, Raum zwischen Hofkirchen und Vilshofen; -Lößhohlwege der Alzplatte (NR 053), vorwie- - Regional bedeutsame Lößrankenkomplexe im gend im Grenzbereich zwischen Altmoränen und rißeiszeitlichen Schotterriedeln der Inn- und Randbereich des Passauer Abteilandes (NR 408) Alzzuflüsse, südl. Kraiburg a. Inn, nördl. Titt- südl. der Donau zwischen Pleinting und Al- kofen; moning; - Ausgeprägte Rankenlandschaften in den stärker - Teilbereiche der Würmschotterriedel zwischen zertalten Lagen des Passauer Abteilandes nördl. Chiemsee und Traun (NR 038). der Donau, lokale Schwerpunktgebiete im Hü- Im Tertiärhügelland konzentrieren sich Hohlwege gelland zwischen Gaißa, Ilz und Kleiner Ohe vorwiegend im Bereich der asymmetrischen Täl- (Flach- und Stufenraine) sowie Bereiche nördl. chen. Je nach örtlicher Situation werden verschiede- Hauzenberg und um Breitenberg (höhenlinien- ne tertiäre Fazies sowie Löß- und Lößlehmdeck- parallele Ranken mit wertvollen Magerrasen); schichten unterschiedlicher Mächtigkeit aufge- - Rankenkomplexe, hangparallel und -senkrecht, schlossen. Zusammen mit den Ranken stellen Hohl- z.T. mit Lesesteinformen, grenznahe Lagen der wege hier letzte Refugialstandorte für Magerrasen Wegscheider Hochfläche (NR 409) zum österr. dar. Mühlviertel zwischen Ranna und Osterbach. Das traditionelle stern- bis halbkreisförmige Er- schließungssystem vom Dorf in die Feldflur ist heu- 1.8.2.2 Hohlwege te oft nur noch an bruchstückhaft erhaltenen Hohl- wegen zu erkennen. In stärker zertalten Landschaften mit hoher Relief- energie und leicht erodierbarem Untergrund waren Beispiele: (!) Hohlwege weitverbreitete Erscheinungsformen. - Seitentälchen des Kollbachtales und Vilsneben- Landschaften mit asymmetrischen Tälchen sind na- täler (NR 060); türlicherweise meist reich mit Hohlwegen ausge- - Teilbereiche der Lößplatten- und Riedelland- stattet. Ein markantes Beispiel dafür ist das System schaft südl. der Rott, nördliche Isenzuflüsse der asymmetrischen Seitenbäche im Itz-Baunach- südl. Neumarkt St. Veit (NR 060); Hügelland: Die linken Zuflüsse sind steil und kurz, - Asymmetrische Tälchen im Oberbayerischen die Abflußrinnen stellen Hohlwege dar, die als sol- Tertiärhügelland (NR 062) im Steilanstieg nördl. che zur Auffahrt aus den Talsiedlungen auf die Lias- der Amper; hochfläche genutzt werden (OTREMBA, in MEY- - Pfaffenhofener Hügelland (NR 062), regionaler NEN & SCHMITHÜSEN 1962: 189). Schwerpunkt, bedeutende Agrotopkomplexe Wenn die tiefen Lößhohlen im Kaiserstuhl auch aus Rankensystemen und tiefen Hohlwegen, ins- "den" Hohlweg schlechthin zu verkörpern scheinen, besondere Paarleite südwestl. Hohenwart; so können die weniger spektakulären bayerischen -Südliche Ränder des Dungaus (NR 064), Ver- Hohlwege dafür mit einer erstaunlichen geologi- zahnungsbereiche zum Donau-Isar-Hügelland schen Vielfalt aufwarten. Die folgenden Beispiele (NR 062). beschränken sich auf nennenswerte Restvorkom- men in "hohlwegrelevanten" Naturräumen - ein- Im sanft geschwungenen Oberpfälzer Hügelland schneidende Landschaftsveränderungen haben die (NR 070) treten Hohlwege meist nur in den stärker

161 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen reliefierten Grenzlagen zum Oberpfälzer Wald Bereich der Schnaider Lias-Insel (NR 112), lo- und zur Frankenalb in Erscheinung. kale Häufungen im Raum um Bamberg, Baun- Ältere Flurwege in den Sandgebieten weisen jedoch ach und Lauter (NR 112/117); häufig hohlwegartige Eintiefungen mit ausgepräg- - Hohlwege im Dogger des Forchheimer Landes ten Geleisen und beidseitigen Ranken auf. In abge- und im Randbereich der stark zertalten Lias- legenen Seitentälern erinnern noch Trifthohlwege Hochfläche westl. Forchheim (NR 112); an das Betriebssystem der Allmendweide, das hier - Hohlweg im Dogger bei Bernau - Menchau, nahe erst in den 60er Jahren zum erliegen kam. von Thurnau (NR 112); Beispiel: - Hohlweg im Posidonienschiefer des Lias am Fuß des Leyerberges bei Hetzles (NR 112/FO); - Seitentäler der Waldnaab mit bedeutenden Hohl- wegen und Ranken. - Altweg, z.T. hohlwegartig vertieft zum Plateau der Neubürg, führt aus dem Lias durch den Dog- Das Obermainische Hügelland (NR 071) kann da- ger hinauf zum Weißen Jura (NR112/FO). gegen insgesamt als Schwerpunktgebiet bedeuten- der Hohlwegsysteme betrachtet werden, insbeson- Das Fränkische Keuper-Lias-Schichtstufenland dere im Einzugsbereich des Obermains. Zusätzliche (zwischen den südwestl. Randausläufern der Fran- Bedeutung erhalten die z.T. jahrhundertealten kenhöhe und dem Obermain bei Haßfurt) weist zahl- Hohl- und Hangwege durch ihre landestypischen reiche Konzentrationspunkte überaus wertvoller Felsenkeller, die - streckenweise zu ganzen Keller- Hohlwege auf. Ihre landesweite Bedeutung liegt gassen vereinigt - dem Raum ein eigenes Gepräge einerseits in der ökologischen Standortvielfalt, die verleihen und an vergangene Brautraditionen erin- zahlreichen bedrohten Arten unersetzliche Lebens- nern (vgl. Kap.1.9.5.1, S.191 ). räume bietet, zum anderen bieten die Aufschlüsse der Keuperhohlwege hervorragenden Einblick in Beispiele: den komplexen geologischen Aufbau der Schicht- - Kellergassen im Kronacher und Mitwitzer Bunt- stufenlandschaft. Darüber hinaus erinnern sie mit sandstein; ihren Felsenkellern an zahllose lokale Brautraditio- - Komplexe aus Hohlwegen und Ranken in den nen; sie sind oft die einzigen Zeugen vergangener Itzseitentälern im Coburger Raum; Niederwaldwirtschaft und bergen letzte Spuren ehe- - Muschelkalkhohlwege in kleinstrukturierter Acker- maliger Triften oder vergessener Altstraßen. landschaft am Muschelkalkzug bei Trebgast. Beispiele: Die Hohlwege der Frankenalb befinden sich vor- - Keuperhohlwege im Mittelfränkischen Becken wiegend in den Randbezirken zwischen der zerklüf- (NR 113), vorwiegend im Randbereich zum Feu- teten Jurahochfläche und den Überdeckungen mit erletten-Lias-Saum des Albvorlandes zwischen Alblehm und Kreide. Aisch und Reicher Ebrach östl. Pommersfelden; Ein weiterer Schwerpunkt ist in den stark zertalten - Keuperhohlwege mit zahlreichen Felsenkellern Dogger- und Liasrändern zum Albvorland hin fest- auf der rechten Talseite zwischen Neustadt/ zustellen. Vor allem der Dogger weist verschiedenen- Aisch u. Höchstadt; orts Erd- und Felsenkeller auf. - Gipskeuperhohlen an den Randausläufern der Frankenhöhe, vor allem Seitentälchen von Zenn Beispiele: und Aurach (NR 113); - Ausgeprägte Hohlwegsysteme im Bereich der - Hohlwege und Ranken im Verzahnungsbereich Hollfelder Kreide (NR 080); zwischen Gipskeuper und Löß im Raum um - Hohlwege im Kontaktbereich zu Kalksinterter- Feuchtwangen zwischen Sulz und Wörnitz (NR rassen ("Kalkgasse") am Westrand der Fran- 113); kenalb, Malm-Dogger-Grenze mit Quellaustrit- - Hohlwege im Kontakt zu den alten Weinbergen ten am Albanstieg (NR 080) zur Hochfläche der am Rand der Frankenhöhe, Bereiche südl. Bad "Langen Meile" bei Ebermannsstadt; Windsheim bis Burgbernheim; - Hohlwege im Kontakt zu den Flugsanddünen - Gut erhaltene Muldenhohlwege in den Wüstun- des Neumarkter Beckens (NR 081); gen des Steigerwaldes (NR 115); - Felsenkeller im Doggersandstein des Albrandes - Hohlwege im Anschluß an die extensiven Wein- um Neumarkt und Deining (NR 081); bergslagen zwischen Steigerwald und Main - Hohlwege im Bereich der Alblehmüberdeckung (Knetzgau, Ebelsberg, Eichelberg), am Steiger- südwestl. Berching (südl. der Altmühl) und Sei- waldrand als Relikt der Mittelwaldnutzung (NR tentäler der Altmühl (NR 082); 115/137); - Hohlwege am Albanstieg (NR 081) bei Irgerts- - Relikte ehemaliger Trifthohlwege im Steilan- heim b. Ingolstadt, Übergangsbereich zum Ter- stieg des Haßbergetraufes (NR 116) bei Nassach, tiärhügelland (NR 062). am Nordrand der Haßberge hin zum Grabfeld Auffällig ist das verstärkte Auftreten von Hohlwe- sowie im Weisachgrund (NR 116); gen im schmalen Dogger-Lias-Saum im gesamten - Zahlreiche, gut ausgeprägte Hohlwegsysteme Westrandbogen des Albvorlandes. im Keuperhügelland des Baunachgebietes (NR 117), lokale Schwerpunkte an den Prallhängen Beispiele: der Baunach, örtlich mit Felsenkeller; - Hohlwege mit Felsenkellern im Doggersand- - Gipskeuperhohlen im südlichen Grabfeld (NR stein nördl. Weißenburg i. Bay. (NR 110), im 138) als Gassen in den früher niederwaldartig

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genutzten Beständen, heute größtenteils ver- - Hohlwege, Klingen im Buntsandstein des Lohr- buscht. tales zwischen Partenstein und Frammersbach (NR 142). Im Tauberland (NR 129) ist in der stark zertalten Muschelkalklandschaft der Mittleren Tauber ein Die Hohlwege der Mittelgebirge Nord- und Nord- weit verzweigtes System aus Klingen und Kerben ostbayerns entsprechen nur selten dem "überwie- anzutreffen, die teilweise als Hohlwege Verwen- gend gehölzfreien" Grundtyp; in der Vergangenheit dung finden. wiesen sie (aufgrund einer intensiveren Brennholz- nutzung) vermutlich stärker verlichtete Bereiche Beispiele: auf. - Bereiche der Mittleren Tauber um Tauberzell; - Steinachhänge. Teile des Oberpfälzer Waldes und weite Bereiche des Frankenwaldes zeichnen sich durch Hohl- und Hangwege mit einzelnen Felsenkellern oder ganzen Hohlwege in der Mainfränkischen Muschelkalk- Kellergassen aus. Besonders "geschichtsträchtig" platte treten zum einen als Klingen und Kerbtälchen sind die Hohlwegrelikte um die Radialhufendör- in den zentralen Muschelkalkbereichen in Erschei- fer von Fichtelgebirge und Frankenwald. Das nung, zum anderen trifft man hier auch auf ausge- radial ausstrahlende Wegesystem ist heute oft nur prägte Lößhohlwege. Vor allem die stärker zer- noch im Bereich der alten Hohlgassen nachvollzieh- schnittenen Ränder der mächtigen Lößplatten wei- bar. sen - im Gegensatz zum fast völlig ausgeräumten "Gäu"- noch bemerkenswerte Restvorkommen auf. Hinsichtlich des geologischen Untergrundes sind keine eindeutigen Schwerpunkte auszumachen. Al- Der einzigartige Biotopcharakter der steilen Löß- lerdings scheinen die schneller und tiefgründiger wände und Böschungen tritt im ausgesprochen zersetzbaren Gneise die Ausformung der Hohlwege trockenen Weinbauklima auch weitaus markanter in etwas zu begünstigen. In den Wärmegebieten im Erscheinung als in den sehr viel feuchteren Lößland- Regental und am Südrand der Donau sind stellen- schaften Altbayerns. weise sogar Lößwege anzutreffen. Radiale Hohl- Besonders wertvoll sind die alten Lößhohlen im wegsysteme sind/waren für das Fichtelgebirgsvor- Anschluß an die unbereinigten Weinberge im land, das Vogtland und die Münchberger Gneismas- Maintal; verschiedentlich dringen hier Florenele- se besonders typisch. mente der Rebflächen auf die Böschungen und Rän- Beispiele: der der Hohlwege vor. - Hohlwege im Kulm des Frankenwaldes, tiefer gelegene Täler verschiedentlich mit Felsenkel- Beispiele: ler, Rodachtal (NR 392); - Hohlwegreste im Ochsenfurter Gau (NR 130), - Hohlwege im Granit und Gneis, vorwiegend in beeinträchtigt durch angrenzende Intensiväcker; den Randlagen des Fichtelgebirges (NR 394) zur -Lößhohlen im Einzugsbereich des Mittleren Selb-Wunsiedler Hochfläche (NR 395), Berei- Mains (NR 133) und seiner Keuperseitentälchen che zwischen Selb und Marktleuthen, im Wei- (Breitbachtal, Illtal); ßenstädter Becken mit Felsenkeller, ebenso im - Zahlreiche Hohlwege in der randlichen Über- östl. Fichtelgebirge (z.B. am Schirndinger Ho- gangszone zum Keuper, überwiegend verbuscht, henberg); in der Windsheimer Bucht (NR 131) mit mar- - Kellergassen im Falkenberger und Flossenbür- kanten Einzelbäumen, weitere Hohlen zwischen ger Granit (NR 400/401); Steigerwald und Aischgrund, Aischtal ein- - Alte Flurwege mit Aufschlüssen im Leuchten- schließlich der Seitentäler (NR 131); berger Granit (NR 401); - Muschelkalkklingen in den Seitentälern der - Hohlwege und Ranken als prägende Bestandtei- Fränkischen Saale. le der kleinstrukturreichen Gneiszone nördl. des Pfahls im Raum Neukirchen-Balbini (NR 401) In den Buntsandsteinlagen von Südrhön, Spessart bis Cham (NR 402); und Odenwald finden sich Hohlwege in den löß- -Lößhohlwege in der Regensenke (NR 404), am überwehten Hängen des Unteren Mains, verschie- Südrand des Donautals (NR 406/407), Bereiche dentlich auch in den engen Kerbtälchen der Main- um Mitterfels und Schwarzach; zuflüsse und im Einzugsbereich der Fränkischen - Hohlwege im Ilz-Gaißa-Hügelland (NR 408), Saale. überwiegend im Gneisbereich, örtlich mit ver- schiedenen tertiären Aufschlüssen. Beispiele: - Hohlwege im Buntsandstein des Odenwaldes 1.8.2.3 Lesesteinformen und Trockenmauern (NR 141), vor allem enge Nebentäler am Unter- main südl. Amorbach; In allen Ackerlagen mit flachgründigen, steinigen -Lößhohlen im Kontakt zu den alten Weinbergen Böden und schwer verwitternden "Härtlingen" fal- an den Maintalhängen, lößüberdeckte Lagen des len Lesesteine an. Zentrale Verbreitungsschwer- Oberen Buntsandsteins, in teilweise hoher Dich- punkte sind die Jura- und Muschelkalklagen der te um Klingenberg (NR 142); Frankenalb und der Mainfränkischen Platten.

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Ein weiterer Schwerpunkt liegt in den "Urgesteins- Beispiele: lagen" der ostbayerischen Rumpfgebirge, vorwie- - Landschaftsprägende Steinrücken im Kronacher gend im Bereich der harten Granite und Quarzite. Muschelkalkzug südl. Kronach bis Berneck und im Stadtsteinacher Raum; Trockenmauern und sämtliche andere Lesesteinfor- men waren im Gesamtgebiet des fränkischen Wein- - Zahlreiche Lesesteinformen unterschiedlichster baus (einschließlich der brachgefallenen Lagen und Ausprägung auf der Weißmainkuppenalb im der fossilen Weinbaurelikte im Wald) allgemein ver- Grenzbereich zur Frankenalb (NR 071/080); breitet; heute sind sie nur noch in unbereinigten - Basaltlesesteinwälle im Oberpfälzer Hügelland Lagen zu finden. im Grenzbereich zum Fichtelgebirge (NR 070/ 394). Außerhalb weinbaufähiger Lagen deuten Mauern und Steinwälle in heutigen Grünlandgebieten meist Die verkarstete Hochfläche der Frankenalb stellt auf früheren Ackerbau hin, häufig in Bereichen sog. den wichtigsten Verbreitungsschwerpunkt für Lese- "landwirtschaftlicher Grenzertragsböden" (Bayeri- steinhaufen dar. Zum Albtrauf und -vorland hin scher Wald, Frankenalb, Alpenvorland). nehmen mit steigender Reliefenergie in den Hang- lagen die höhenlinienparallelen Steinriegel zu (vgl. Einzelne Mauerreste, Steinriegel und -haufen im HAHN 1985). Alpenvorland sind oft die letzten Zeugen des früher viel weiter verbreiteten Ackerbaus, der noch im 19. Beispiele: Jh. bis zum Alpennordrand vorstieß. - Vielfach gegliederte Komplexe aus Trocken- mauern, Steinriegeln und Streuobst-Terrassen Auf die (hier häufige) Verwendung von Lesesteinen zwischen Magerrasen und Brache in den Real- im dörflichen Siedlungsbereich als Gebäudesockel, teilungsgebieten im Forchheimer Land (NR Umgrenzungs- und Stützmauern kann im Rahmen 080/112); dieses Bandes nicht näher eingegangen werden. - Verschiedene Lesesteinformen und Mauern im Die in den Wiesen und Weiden anzutreffenden oberfränkischen Jura, vor allem auf der Malm- "Findlinge" werden im LPK-Band II.15 "Geotope" hochfläche im Raum Scheßlitz (NR 112); behandelt. - Lesesteinhaufen in hoher Dichte im Hochland der Heiligenstädter Alb (NR 080), Hanglagen Die Lesesteinrelikte häufen sich im Randbereich der mit gestaffelten Steinwällen und Trockenmau- gefalteten Vorlandmolasse (tertiäre Schotter, Kon- ern; glomerate, Sandsteine) im Allgäuer Raum und im - Gestaffelte Treppensysteme von Trockenmau- Endmoränenzug des Inn- und Salzachgletschers, der ern in der Hersbrucker Alb (NR 080); neben kalkalpinen Schottern und Konglomeraten - Zahlreiche Lesesteinformen in der Jurahochflä- auch zahlreiche zentralalpine Granite und Gneise che (Malm/Dolomit) des Nürnberger Landes bis enthält. Sulzbach-Rosenberg (NR 081), hier z.T. als frag- Beispiele: mentarische Trockenmauern (setzen sich als - Trockenmauern, Steinriegel in den Iller- und Ranken mit Lesesteinkern fort); Lechvorbergen (NR 035/036) im Raum Buchen- - Zahlreiche Steinriegel in der Oberpfälzer Alb berg b. Kempten und um Nesselwang; (NR 081) im Raum Amberg - Sulzbach, Ber- - Reste alter Trockenmauern im südlichen Am- ching - Lauterhofen und um Litzlohe; mer-Loisach-Hügelland (NR 037); - Zahlreiche Lesesteinformen, vereinzelt Trocken- - Verschiedene Lesesteinrelikte im Inn-Chiem- mauern im Bereich der Südlichen Alb (NR 082), see-Hügelland (NR 038) und Salzachhügelland vor allem Anlautertal, Altmühltal und Seitentä- (NR 039), hier vor allem im Bereich der Endmo- ler; ränenwälle zwischen Waging und Traunstein; - Lesesteinanhäufungen am Lintlberg (NR 082/ - Berchtesgadener Lesesteinwälle, z.B. Maria KEH), z.T. auch jüngeren Datums (werden noch Alm; in den 90er Jahren aus den "Steinäckern" gele- - Lesesteinwälle im Raum Oberstaufen, Immen- sen, meist aber nicht mehr in traditioneller Weise stadt, Sonthofen. an den Stufenrainen geschichtet, sondern ziellos im Gebüsch abgelagert). Die Agrarlandschaften der Schotterplatten und Im Bereich der leicht verwitternden Keupersand- des Tertiärhügellandes sind ihrer meist tiefgründig steine des Mittelfränkischen Beckens (NR 113) sind verwitterten Böden wegen im allgemeinen frei von (abgesehen von einzelnen, verstreuten Steinhaufen) Lesesteinformen; auch Trockenmauern sind kein keine landschaftsprägenden Lesesteinformen vor- Bestandteil des traditionellen Siedlungs- und Land- zufinden. schaftsbildes. Das Keuperbergland von Steigerwald und Fran- Im Oberpfälzisch-Obermainischen Bruchschol- kenhöhe kann dagegen mit verschiedenen wertvol- lenland weisen vor allem die Muschelkalklagen des len Trockenmauern, Treppen und Steinriegeln auf- Obermainischen Hügellandes (NR 071) z.T. zahlrei- warten, überwiegend im Bereich der Randhöhen mit che Lesesteinhaufen und -riegel auf. Im Bereich der unbereinigten alten Weinbergslagen. Der Weinbau kontinental beeinflußten trockenen Kalk- und Sand- im Steigerwald konzentriert sich hauptsächlich auf steinrücken beherbergen sie wertvolle Kalkmager- die Myophorien- und Estherienschichten des Mitt- rasen und Steinfluren. leren (Gips)-Keupers (vgl. ORGIS 1979).

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Beispiele: Weitere Beispiele: - Kunstreiche Treppensysteme, historisch wert- - Zahlreiche Steinriegel im Muschelkalk des volle alte Weinbergshütten am Steigerwaldtrauf "Ochsenfurter Berges" bei Kleinochsenfurt; (NR 115) und Steigerwaldvorland (NR 137) bis - Hangparallele Stützmauern im Muschelkalk der zur Mainleite bei Schweinfurt; Maintalhänge bei Kitzingen und entlang der - Steinriegel, z.T. auch andere Lesesteinformen im Bahnlinie Würzburg - Aschaffenburg bei Gam- gesamten Vorderen Steigerwald (NR 115), vor- bach (Buntsandstein); wiegend im Bereich der dolomitischen Horizon- - Trockenmauern in überwiegend brachgefallener te und Steinmergelbänke des Keupers. Weinberglage "Langenberg" bei Retzstadt. Die ökologisch wie auch kulturhistorisch wertvoll- Die Randlagen des unterfränkischen Weinbaus sten Trockenmauern im Keuper konzentrieren sind vielfach durch Weinbergsbrachen und verfal- sich am Obermain zwischen Steigerwaldvorland lende Mauern und Treppen gekennzeichnet. Dazu (NR 137) und dem Haßbergeanstieg (NR 116) zählen zahlreiche Mainseitentäler, das Saaletal nördl. des Mains. "Paradebeispiel" dafür sind die am Südrand der Rhön (NR 140), die wärmebegün- äußerst kunstreich angeordneten Mauer- und Trep- stigten Maintalhänge von Spessart (NR 141) und pensysteme ("Fischgrätenmuster") der Weinbergs- Odenwald (NR 144) sowie die zum Main abfallen- lage Steinbach-West (jetzt z.T. flurbereinigt). den Hänge der Marktheidenfelder Platte (NR Weitere Beispiele: 132). Die vielfältigen Lesesteinformen und Trockenmau- - Steinriegel im Gipskeuper am Nordrand der ern der Buntsandstein- und Muschelkalklagen ver- Haßberge im Grenzbereich zum Grabfeld (NR anschaulichen die jeweiligen geologischen Schich- 116/138), z.T. streuobstbestanden; ten bzw. Fazies; besonders bemerkenswert in dem - Verschiedene Lesesteinformen im Bereich der Zusammenhang die "Michelbacher Lage" im Vor- "Härtlingszüge" des Rhätsandsteins (Oberer spessart (NR 142): die einzige Weinbergslage Fran- Keuper) im Krumbachtal (NR 116) und im Grab- kens im "Urgestein" des abgetragenen Rumpfgebir- feld (NR 138) bei Prappach; ges mit Quarziten und Glimmerschiefern (vgl. - Trockenmauern in den Keuperhöhen des Oberen Kap.1.9.3, S.185). Mains (oberfränk. Bereich des Itz-Baunach-Hü- gellandes). Weitere Beispiele: -Mächtige, gut sichtbare Muschelkalkriegel und Neben dem Frankenjura stellen die Muschelkalkla- Trockenmauern in den Randlagen der Markthei- gen an Tauber und Main weitere zentrale Schwer- denfelder Platte (NR 132/133); punktgebiete für Lesesteinriegel und Trockenmau- ern dar. - Verfallende Trockenmauern in verschiedenen kleineren Mainseitentälern (Breitbachtal), Mu- Im Tauberland (NR 129) prägen die mächtigen schelkalklagen im Kontakt zum Mainfränki- Muschelkalkriegel elementar den Charakter der ver- schen Gäu, teilweise lößüberdeckt; karsteten Hochfläche und der stark zertalten Hänge. In den brachgefallenen Weinbergen bilden die Stein- - Zahlreiche Trockenmauern im Anschluß an die riegel markante Parzellengrenzen senkrecht zur Felsbandfluren des Saaletals einschließlich klei- Hangfallinie aus und werden so zu Zeugen der frü- nerer Seitentäler, Steinriegel im Bereich ske- her viel ausgedehnteren Rebflächen. lettreicher Muschelkalkböden; - Hangparallele bis schräg verlaufende Trocken- Beispiele: mauern, verbunden durch zahlreiche Steinriegel - Zahlreiche landschaftsprägende Steinriegel im im Muschelkalk des Werntales (NR 135), Unter- Bereich der Mittleren Tauber bei Tauberzell und hänge z.T. im Buntsandstein; Nebentäler der Tauber (Steinachtal); - Weinbergsterrassen N Neustadt a. Main (Bunt- -Taubermündung (nur geringer bayerischer An- sandstein) ; teil im äußersten Westen des Lkr. Würzburg). - Erhaltene Terrassen mit einzelnen Überresten von Mauern und Treppen im wiederbewaldeten Der scharfe Reliefgegensatz zwischen der Hochflä- Randbereich der alten Weinbergslagen im Spes- che und den rebflurbedeckten Talhängen des sart, ebenso in verschiedenen Kerbtälern des Mittleren Main (NR 133) prägt das örtliche Land- nordöstl. Sandsteinodenwaldes. schaftsbild in bestimmender Weise. Großen Anteil daran haben die charakteristischen Neben dem anthropogenen Formenschatz der alten Steinriegel, Mauern und Treppensysteme im Rest- Weinbaulandschaften von Spessart und Odenwald bestand der unbereinigten Weinberge und zahlrei- weisen vor allem die extensiv genutzten Acker- chen Brachen. Das Mittlere Maintal weist mit die und Grünlandgebiete der Südrhön (NR 140) ver- höchsten Anteile ökologisch wie ästhetisch wert- schiedene naturraumtypische Lesesteinformen auf. vollster Lagen mit weinbergstypischen Kleinstruk- Insbesondere die flachgründigen, mit grobem Block- turen auf (vgl. SCHMIDT & LEICHT 1985). schutt bedeckten Böden des Unteren und Mittleren Buntsandsteins ("Rötquarzit" und "Felssandstein") Im hervorragend erhaltenen Trockenmauersystem lassen Lesesteinformen erwarten. Im Bereich der der "Gambacher Hänge" wird der geologische Basaltdurchbrüche vor der vulkanischen Hochrhön Übergang vom Wellenkalk zum Buntsandstein sind ebenfalls charakteristische Steinriegel entstan- des Spessarts markant dokumentiert. den.

165 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Beispiele: - Verschiedene Lesesteinformen im Raum zwi- - Basaltsteinriegel im Bereich der Basaltkomple- schen der "Pfahlzone", dem Schwarzachtal und xe im bayerisch-hessischen Grenzgebiet ("Kup- der Cham-Further-Senke (NR 401/402) bei penrhön"), ebenso nördl. der Saale zwischen Bi- Cham (Gneiszone mit kleineren Graniteinspren- schofsheim und Fladungen (einzelne Basalt- gungen); schlote, von größeren Wellenkalkresten umman- - Ausgeprägte Steinrückenlandschaften, teilweise telt). auch Trockenmauern im Granit des Inneren Neben den Weinbaulandschaften Mainfrankens und Bayerischen Waldes (NR 403), vor allem im der verkarsteten Alb stellen die nord- und ostbaye- Bereich der Waldhufendörfer um Finsterau und rischen Mittelgebirge den dritten großen Verbrei- Mitterfirmiansreut (Extensivwiesen und -wei- tungsschwerpunkt für Lesesteinformen. Das "Urge- den, Heckenfragmente); stein" der alten Böhmischen Masse, ein kaltes und - Steinriegel in teilweise hoher Dichte im Falken- regenreiches Höhenklima sowie eine gänzlich ande- steiner Vorwald (NR 406), örtlich trockenmau- re Landnutzung (vielfach extensiv beweidetes erartig geschichtet, südöstl. Konzell in der Flur Grünland) schufen jedoch sehr spezifische Standort- von Rattenberg/Gneißen (SR) entlang verschie- voraussetzungen. Von morphologischen Ähnlich- dener Waldrandabschnitte (sehr verschiedenar- keiten einmal abgesehen, hat die Muschelkalkklinge tig strukturiert von bodensauren Trockenfluren an Tauber und Main kaum eine Gemeinsamkeit mit bis zu waldgeprägten, farnreichen Ausbildun- dem Granitlesesteinriegel in den Hochlagen des In- gen); neren Bayerischen Waldes! Weil die hier ebenfalls - Steinriegel im Lallinger Winkel (NR 407) bis zu weit verbreiteten Ranken sehr häufig Lesesteinker- den Randhängen der Donau bei Bogen; früher ne aufweisen, ist eine eindeutige Abgrenzung oft z.T. extensiv beweidet; unmöglich; örtlich werden die Begriffe "Rain" und - Verschiedene Steinriegel im Granit des Passauer "Steinriegel" sogar synonym verwendet (vgl. PE- Abteilandes (NR 408) und der Wegscheider TER 138, GERSTBERGER 311, zit. in ORTSAUS- Hochfläche (NR 409), verbreitet innerhalb ran- SCHUSS KALTENBACH 1980). Gehölzfreie kenreicher Teillandschaften. Steinriegel sind in den ostbayerischen Mittelgebir- gen selten und meist nur in den ausgesprochen rau- 1.8.2.4 Kleinstrukturkomplexe hen Hochlagen anzutreffen (vgl."Steinrücken" im Erzgebirge bei TRÖGER 1960). Die folgenden Ver- Kleinstrukturelemente wie z.B. Hecken, Feldgehöl- breitungsangaben überschneiden sich daher teilwei- ze oder Gräben sind nicht gleichmäßig verteilt, son- se mit der "Heckenverbreitung" (vgl. LPK-Band dern bilden zusammen mit flächenhaften Biotopen II.12 "Hecken und Feldgehölze"). ein jeweils spezifisches Grundgerüst der Kultur- landschaft (vgl. "ökologische Zellen", KNAUER Im Frankenwald (NR 392) und Fichtelgebirge 1988,1990). Vergleichbares gilt für Anordnung (NR 394) entstammen die Lesesteinformen meist und Verteilungsmuster der Agrotoptypen in der den sehr verwitterungsresistenten Gesteinen des Erd- Gesamtflur. altertums (Kulm, Phyllite des Kambriums) bzw. den Zur Formulierung "flurbezogener" Pflege- und Ent- oft nur schwach metamorphen Graniten und Gnei- wicklungsleitbilder (vgl. Kap. 4.2.1) ist eine Analy- sen. se und Typisierung der jeweiligen "Agrotopmu- Beispiele: ster" in den verschiedenen bayerischen Agrarland- - Verschiedene Lesesteinformen im Grenzbereich schaften zwingend erforderlich. Als Vorbilder kön- zwischen Wunsiedler Hochfläche (NR 395) und nen sowohl überlieferte bäuerliche Kulturlandschaf- dem Hohen Fichtelgebirge (NR 394). ten wie auch erhaltene, intakte Teillandschaften un- terschiedlicher Naturräume dienen. Relief, Nut- Die montanen Grünlandgebiete im Inneren zung und Agrotopausstattung liefern die erforder- Bayerischen und Oberpfälzer Wald stellen die lichen Basisdaten zur Bildung von Agrotopstruktur- Schwerpunktvorkommen der mächtigen Stein- Einheiten ("Agrotopkomplexe"). Im folgenden wird wälle, die teilweise erst in diesem Jahrhundert im das naturraumspezifische Verteilungsmuster für drei Zuge staatlich gelenkter "Entsteinungskampagnen" grundsätzlich verschiedene Landschaftstypen bei- planmäßig angelegt wurden. spielhaft erläutert. Besonders reich an Steinriegeln und sonstigen Lese- Die Agrarlandschaft des Tertiärhügellandes (NR steinen sind die Granitlandschaften sowie Bereiche 060/062) wird überwiegend von schmalen linearen mit besonders verwitterungsresistenten Quarz- und oder sehr kleinflächigen Biotopstrukturen durch- Granitporphyren. Gneislandschaften sind im allge- drungen. Dabei sind reliefreiche Landschaftsteile meinen ärmer an Lesesteinen, da der Gneis weniger grundsätzlich besser ausgestattet als reliefarme. Ty- zur Blockbildung neigt und schneller verwittert (vgl. pische Kleinstrukturelemente sind Ranken und TRÖGER 1960: 21). Hohlwege entlang der steileren Leiten in den asym- metrischen Seitentälchen der Hauptentwässerer Beispiele: (Isar, Inn) (Abb. 1/61, S. 167). - Steinwälle entlang der Flurstücksgrenzen im Flossenbürger und Leuchtenberger Granitgebiet Vergleichbare Landschaften sind: (NR 400), geprägt durch ehemalige extensive - Iller-Lech-Schotterplatten Beweidung (TIR und im Raum Wildstein - Aindlinger Terrassentreppe (SAD); -Fürstenfeldbrucker Hügelland

166 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

-Isen-Sempt-Hügelland - Traufbereiche und Randausläufer von Franken- - Itz-Baunach-Hügelland höhe, Steigerwald und Haßberge (Keuper); Der Typ der traditionellen Fränkischen Realtei- - Traufbereiche der Frankenalb (Lias-Feuerletten) lungslandschaft ist allgemein durch kleinparzel- und enge Durchbruchstäler, vorwiegend der lierte oder schmalstreifige Gemengfluren (vgl. Südlichen Alb (Anlautertal, Altmühltal). GUNZELMANN 1987: 75) charakterisiert. Eine Neben diesen ausdrucksstarken Landschaften exi- Vielzahl an Flach- und Stufenrainen erzeugt in stiert ein zweiter Typ fränkischer Realteilungsgebie- Abhängigkeit von Relief und Besitzstruktur Land- te mit kleinparzellierter Flur, der sich vorwiegend in schaften äußerst inniger Nutzflächendurchdringung und höchster Randliniendichten. den weiträumigen Becken etablierte: - Schweinfurter Becken, vor allem nährstoffarme Die häufig gestaffelten Rankensysteme treten so- Terrassensande des Mains; wohl höhenlinienparallel wie auch senkrecht zur - Flug- und Terrassensande des Mittelfränkischen Fallinie auf und sind durch Flachraine weiter unter- Beckens ("Nürnberger Knoblauchsland"). gliedert. Bei entsprechenden geologischen Verhält- nissen sind die Raine und Ranken ganz oder teil- Trotz des nahezu ebenen Reliefs zeichnen sich diese weise durch Steinriegel- und Mauersysteme er- Landschaftsräume (ursprünglich!) durch ein klein- setzt (vgl. Kap.1.8.2.1, S.155, und Kap.1.8.2.3, flächiges Nutzungsmosaik und eine Vielzahl an S.163). Schräg verlaufende Mauersysteme ("Ziegel- Flachrainen und Vorgewenden (hohe Grenzlinien- anger-Steinbach" am Obermain; Weinberge im Wern- dichte!) aus. tal) bereichern die Palette durch ihre besonders Diese Ähnlichkeit der so gegensätzlich anmutenden kunstfertige Ausführung. Landschaften ("Becken-" und "Traufbereiche") be- Diese Typen sind im allgemeinen durch ihre hohe ruht auf gemeinsamen agrarstrukturellen Aus- Reliefenergie gekennzeichnet. Es sind Landschaften gangsvoraussetzungen: der engen Durchbruchstäler und steilen Traufberei- • Erbsitte der Realteilung; che der Trias- und Juraschichtstufen: • überwiegend ungünstige Böden (ertragsarme - Maintal, vorwiegend im Muschelkalk und Bunt- Sande, schwer zu bearbeitende Lias- und Keu- sandstein; pertone, flachgründige, teilweise verkarstete - Werntal, Tal der Fränkischen Saale und Tauber- Muschelkalkrendzinen an Steilhängen); tal (vorwiegend Muschelkalk, z.T. auch Bunt- • hohe Bevölkerungsdichte, unmittelbare Nähe sandstein); städtischer Ballungszentren (Nürnberg - Erlan-

Abbildung 1/62 Kleinstrukturkomplexe um Freinhausen im Pfaffenhofener Hügelland (ALPENINSTITUT 1992, unpubl.)

167 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

gen - Bamberg - Schweinfurt - Würzburg - - Sandsteinspessart, kristalliner Vorspessart und Aschaffenburg). Odenwald; Daraus resultiert eine sorgfältige Standortanpassung - Verkarstete, klimatisch ungünstige Hochflächen mit häufigem Kulturwechsel auf engstem Raum so- der Frankenalb und der Oberpfälzer Alb; wie die starke Hinwendung zu landwirtschaftlichen - Wald- und heckenreiche Teile des Obermaini- Sonderkulturen, die im stadtnahen Raum günstige schen Hügellandes; Absatzmärkte eröffnen: Wein, Obst, früher auch -Grünlandgebiete des Voralpenlandes. verstärkt Hopfen (Talhänge und Traufbereiche); Feldgemüse, Heil- und Gewürzkräuter (Becken- landschaften mit leichten Sandböden) (Abb. 1/63, S. 1.8.3 Verteilung auf die Landkreise 168). Der dritte Typ kleinstrukturreicher Agrarland- schaften umfaßt die spät besiedelten Wald- und Das folgende Kapitel soll vor allem Stellenwert und Grünlandgebiete. Am Beispiel der vergleichsweise Verantwortlichkeit der einzelnen Landkreise für die "jungen Agrotope" (Ranken, Lesesteinwälle) wird verschiedenen Agrotoptypen bzw. -komplexe ver- der allmähliche "Zersplitterungsprozeß" der ur- deutlichen. Kriterien dafür sind zum einen Häufig- sprüng-lichen mitteleuropäischen Waldlandschaft zur keit und Dichte der jeweiligen Agrotopausprägun- kleinteiligen Kulturlandschaft deutlich ablesbar gen, zum anderen ihr kulturgeschichtlicher und hei- (vgl. RINGLER, 1981: 42). matkundlicher Stellenwert. Einzelne Landkreise stehen in besonderer Verantwortung für verschiede- Typisch ist ein oft eng verzahntes Nebeneinander ne Agrotoptypen (Rain- und Rankensysteme, Mau- von einzelnen Steinblöcken, Lesesteinriegeln und erterrassen, Hohlwege etc.), die in hervorragender Ranken mit durchgängiger Gehölzbestockung (häu- Weise kultur- und heimatgeschichtliche Zusammen- fig Baumhecken!), Zwergstrauchheiden mit küm- hänge verkörpern (vgl. Kap.1.9.5, S.190 ). merndem Gebüsch und "kurzgehaltenen" Stufenrai- nen. Sämtliche Agrotoptypen waren bis in die jün- Dies betrifft vor allem Überreste früherer Acker- gere Vergangenheit feste Bestandteile der extensi- und Weinbergslagen ("Fossile Terrassen") sowie ven Grünlandnutzung (Mahd, Beweidung); zusam- hangsenkrechte Raine, Ranken und Lesesteinfor- men mit den Bauernwaldparzellen dienten sie zu- men, die (ohne besonderen Erosionsschutzwert) dem (oft gleichzeitig!) zur häuslichen Brenn- und ausschließlich alte Besitzgrenzen nachzeichnen. Nutzholzgewinnung. Dazu haben alte Flurverfassungen und Anbausyste- Derartige "Hecken-Ranken-Komplexe" charakte- me ihre Spuren in besonders kleinteiligen oder risieren zum einen die eigentlichen typischen Mit- sonstwie eigentümlich geformten Flurteilen hinter- telgebirgslandschaften (Bayerischer und Ober- lassen (vgl. Kap. 1.6.1.1). pfälzer Wald, Frankenwald und Bayerische Rhön). Ein zweiter Schwerpunkt liegt bei Hohlwegen, die Daneben sind sie auch prägende Bestandteile der als "Kellergassen" fungieren oder letzte Überreste sonstigen spätbesiedelten Waldlandschaften und historischer Flurwege, wie z.B. Radialwegsysteme* "rauhen" Hochflächen (Abb. 1/64, S. 169): oder Altstraßen, darstellen.

Abbildung 1/63 Kleinstrukturkomplexe im Taubertal; (ALPENINSTITUT 1992, unpubl.)

* Prinzipiell weist jede historische Flur ein radiales Wegesystem auf, da stets die kürzeste Verbindung in die Feldflur bzw. zu den Nachbarorten gesucht wurde. Radialwege sind daher eigentlich weit stärker verbreitet, aber meist nicht mehr als Naturwege erhalten.

168 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/64 Kleinstrukturkomplexe um Falkenberg im Oberpfälzer Wald (ALPENINSTITUT 1992, unpubl.)

Abb. 1/65, S. 170, zeigt einige, aus der Masse des (lfm/ha) beziehen sich dabei auf die "Spitzenwerte" noch Vorhandenen herausragende Objekte in Bay- verschiedener Landkreisteile. ern (kein Anspruch auf Vollständigkeit). Überragende Bedeutung für Flachraine hat dabei insbesondere der Lkr. MIL (bis zu 50 lfm/ha). Wei- Die folgenden Angaben stützen sich im wesentli- tere Vorranglandkreise sind: KT (38 lfm/ha), HAS chen auf eine Auswertung der Kleinstrukturkartie- (28 lfm/ha), WÜ (26 lfm/ha). rungen der LBP* und der Biotopkartierung Bayern Von überragender Bedeutung für Stufenraine ist der (Flachlandkartierung). Die Angaben zur Dichte Landkreis HAS (bis zu 113 lfm/ha). Weitere Vor- (lfm/ha) beschränken sich auf Landkreisteile, die im ranglandkreise sind WÜ und MIL (jeweils 40 Rahmen der Kleinstruktur- und Nutzungskartierung lfm/ha); von erheblicher Bedeutung auch die Lkr. erfaßt wurden (Stand Nov. 1991). MSP (19 lfm/ha), KG und NES. Überragende Bedeutung für Hohlwege hat der Lkr. Sämtliche Regierungsbezirke Bayerns beinhalten MIL (7 lfm/ha); weitere Vorranglandkreise: MSP, zumindest regional oder lokal bedeutsame Vorkom- WÜ (3 lfm/ha); von erheblicher Bedeutung auch die men bestimmter Agrotopausprägungen (s. Abb. Lkr. HAS, NES und KT. 1/66, S. 171). Die Auflistung nennt vor allem cha- rakteristische, aus der Masse des noch vorhandenen Von überragender Bedeutung für Trockenmauern Bestandes herausragende Beispiele und soll in erster (außerhalb Weinbergslagen!) ist der Lkr. MSP (3 Linie als Diskussionsgrundlage für weitere Erhe- lfm/ha); weitere Vorranglandkreise: HAS (0,5) und bungen und wissenschaftliche Forschungen dienen. MIL (0,2). Ein Anspruch auf Vollständigkeit wird nicht erho- - Hangsenkrechte Steinriegel (Muschelkalkklin- ben. gen) an den Steinach-Hängen im Taubergebiet Unterfranken (WÜ); Sämtliche Agrotope kommen in z.T. außerordent- - Kulturhistorisch bedeutsame Weinbergslage mit lich hoher Dichte vor. Die folgenden Angaben schräg verlaufenden Trockenmauern ("Fisch-

* Kommt in Weinbergslagen nicht zur Anwendung. Weinbergsmauern sind bei den "Dichteangaben" nicht mit erfaßt. Die wichtigsten Lkrs. sind MIL, WÜ, MSP (vgl. Biotopkartierung).

169 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/65 Verbreitung alter Wirtschaftssysteme und herausragender (Agrar)Kultur-Relikte in Bayern

170 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/66 Verbreitung der Agrotoptypen in Bayern

171 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

grätmuster") in der Lage Steinbach-West/Ziegel- (63), FO (43), LIF (36), WUN (35), BT (24) und HO anger (HAS) - zur Hälfte flurbereinigt! (20). - Kulturhistorisch bedeutsame Weinbergslage Überragende Bedeutung für Hohlwege: WUN (5 "Apostelgarten" bei Michelbach (AB) am West- lfm/ha); Vorranglandkreise: BA und BT (jeweils um rand des fränkischen Weinbaus mit zahlreichen 3 lfm/ha); von erheblicher Bedeutung auch KC, KU alten Mauern und Steinhalden, Flurhüterhäus- und HO. chen mit eindrucksvollem Tonnengewölbe aus Vorranglandkreise für Trockenmauern und Lese- dem 18./19. Jh.; steinformen: BA (14 lfm/ha), FO (9) und BT (8); - Kulturhistorisch bedeutsame Weinbergslage von erheblicher Bedeutung noch KC und WUN. "Klingenberg am Main" (Hohenberg, Rauschen- - Mehrteilige Streifenflur, Kellergassen um Neu- berg, Schloßberg), quertrassierte, schmale Bunt- des b. Marktleuthen (WUN); sandsteinterrassen, ausgeführt in hoher bautech- - Hohlwege, z.T. mit Kellern b. Raithenbach, nischer Perfektion (MIL); Richtung Ottenlohe/Gde. Schirnding (WUN); -Schräg verlaufende Trockenmauern im Werntal - Radialhufenflur der Frankenwalddörfer Birn- (MSP); baum, Lahm, Effelter, Neuengrün (KC); - Alte Weinbergsterrassen, Mauern aus dem 19. - Kleinparzellierte Gemengefluren um Hallstadt Jh. am Untermain, überwiegend bewaldet oder (BA); streuobstgenutzt, z.B. bei Kirschfurth (MIL); - Realteilungslandschaften der Frankenalb um Al- - Hangsenkrechte Parzellengrenzen mit Steinrie- lersdorf, Troschenreuth, Dachsstadt, Pegnitz, geln zwischen Äckern und Weinbergen; Reste Gräfenberg (FO); alter Realteilungslandschaft um Marktbreit - Trockenmauer mit eingebautem Wetterschutz (KT); (Nische) auf der Frankenalb bei Poxdorf (BA); - Kleinteilige Realteilungslandschaften der Süd- - Radialwegsystem, hohlwegartig in die Feldflur rhön bei Unterweißenbronn (NES), Stangenroth ausgreifend bei Grafenreuth (WUN); (KIS); - Kellergassen bei Oberröslau (WUN); im Stock- - Kulturhistorisch bedeutsamer Weinbergsweg heimer Becken bei Wolfersdorf, Burggrub, "Kapellensteig", von Frickenhausen (b. Ochsen- Steinwiesen b. Ludwigsstadt (KC); bei Unter- furt) in den Weinberg führend, umgebende Reb- haid im Maintal, Baunach- und Itzgrund (BA); flur großlagenbereinigt; - Altstraßenrelikt mit Trockenmauer bei Lauen- - Stationsweg bei Neustadt am Main (MSP), stei- stein zwischen Kronach und Saalfeld (KC); ler Fußweg mit grobem Buntsandsteinpflaster - Muldenhohlweg im Bereich der Steigerwaldwü- (Kreuzweg und zugleich Erschließungsweg der stung Schmerb (BA); Weinberge gepflasterter Fußweg); -Frühmittelalterliche Altstraße (Baunach - Bam- - Hangparallele, im Westteil auch schräg den berg), als Spurenstrang gefächerter Hohlweg Hang hinauflaufende Mauerterrassen aus Bunt- ("Röthengaß") südlich Baunach, etwa 500 m sandstein im historischen Weinberg "Herrles- lang (BA); berg" bei Neustadt a. Main (MSP); - Historischer Altweg "Nach den Malmäckern" - Kellergassen bei Breitbrunn, Untermerzbach, bei Rattelsdorf, Gmk. Höfen, bis zu 6 m tiefer, Recheldorf (HAS); etwa 200 m langer Lößhohlweg, vermutlich alte Verbindung nach Freudeneck und Mürsbach - Triftwegerelikte ("Geißlerweg") bei Nassach (BA); (HAS); - Viehtriftweg zwischen Stetten und Schönsreuth/ - Fossile Weinbergsterrassen mit Trockenmauern Stadt Lichtenfels, früher auch als Kirchweg ge- am Ebelsberg zwischen Stettfeld und Ebelsbach nutzt. Breite Grünstreifen neben dem eigentli- (HAS); am "Pottenberg" (MIL); chen Weg. Gefährdet durch BAB-Projekt.; - Fossile Weinbergsterrassen mit alten Trocken- - Alter Flurweg mit Streuobst als erhaltener Ab- mauern in der kulturhistorisch bedeutsamen schnitt der Chaussee Kulmbach - Melkendorf Lage "Machtilshausen" (KS) im Umfeld des (KU); Klosters Fulda (Weinbau bereits aus karolingi- - Fossile Weinbergsterrassen/"Hopfenberge" mit scher Zeit bezeugt), Mauern exakt gearbeitet aus hangsenkrechter Parzellierung im Bereich der Muschelkalkquadern, dicht aufeinander fol- Flurteile "Röthen", "Knock" und "Kraiberg" in gend; der Gemarkung Baunach (BA); - Ehemalige Weinberge bei Sulzthal (KS) mit al- - Fossile Weinbergsterrassen der "Ködnitzer Wein- ten Trockenmauern zwischen großflächigen, leite" im Tal des Weißen Mains östl. Kulmbach, früher beweideten Trockenrasen. südwestexponierte Hänge im Muschelkalk mit Oberfranken dicht aufeinanderfolgenden, senkrecht zum Hier kommen Agrotopausprägungen in hervorra- Hang verlaufenden Lesesteinriegeln (KU). gender Dichte und Ausstattungsqualität vor. Von Mittelfranken überragender Bedeutung für Flachraine ist der Lkr. Schwerpunktverantwortung liegt hier bei Flach- und BA (86 lfm/ha); weitere Vorranglandkreise sind Stufenrainen; daneben spielen Hohlwege zumindest WUN (59) und LIF (41); erhebliche Bedeutung lokal (Steigerwaldtrauf) eine durchaus bedeutende kommt auch FO und KC (jeweils um 13) zu. Rolle. Überragende Bedeutung für Stufenraine hat BA Vo n überragender Bedeutung für Flachraine ist der (157 lfm/ha); weitere Vorranglandkreise sind KC Lkr. AN (ca. 280 lfm/ha (!) um Häslabronn-Zai-

172 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen lach); wichtiger Vorranglandkreis auch WUG (81); - Kellergassen ("Bierkelller") bei Falkenberg, von erheblicher Bedeutung noch NEA (22) und Flossenbürg, Neualbenreuth (TIR); um Deus- LAU (19). mauer (NM). Vorranglandkreise für Ranken: WUG, LAU (34 Schwaben lfm/ha) und AN (29); von erheblicher Bedeutung Vor allem die Ranken und Hohlwege zwischen Iller auch FÜ, NEA. und Lech spielen hier eine dominante Rolle. Vor- Vorranglandkreise für Hohlwege: AN (2 lfm/ha), ranglandkreise für Flachraine sind NU (38 lfm/ha), NEA (1) und FÜ (O,5); von erheblicher Bedeutung A (37), AIC (31) und GZ (28); von erheblicher noch WUG sowie RH. Bedeutung auch MN (20). Lesesteinformen und Trockenmauern sind nur im Vorranglandkreise für Ranken: AIC (55 lfm/ha), A Lkr. LAU (Hersbrucker Alb) in nennenswertem (54), GZ (52) und MN (41); von erheblicher Bedeu- Umfang vorhanden (Vorranglandkreis). tung auch der Lkr. OA (17). Vorranglandkreise für Hohlwege: MN, AIC und GZ - Hangsenkrechte Steinwälle im Taubertal bei (um 5 lfm/ha) sowie A (4 lfm/ha); von erheblicher Tauberzell, Röttingen, Bieberehren (AN); lokaler Bedeutung auch Lkr. OAL (2). - Kulturhistorisch bedeutsame Weinbergslagen Lesesteinformen und Trockenmauern sind allenfalls "Untere Tauberweg-Berge" und "Untere Setz- in den Lkr. DON, OA und OAL von gewisser lokaler berge", Gde. Adelshofen bei Rothenburg o. d. T., Bedeutung. mit Trockenmauern und großen Lesesteinhalden (AN); - Fossile Ackerterrassen, durchsetzt mit einzelnen - Besonders kleinteilige Realteilungslandschaften Birken, in heutiger Grünlandnutzung im Raum um Häslabronn-Zailach, Königshofen, Banzen- Weißenhorn - Babenhausen (NU); weiler, Mörlach, Aichau-Thürnhofen (AN); - Fossile Ackerterrassen mit Trockenmauern im - Kleinparzellierte Gewannflur um Österberg Voralpengebiet bei Buchenberg (OA); (RH); - Hohlwegeabschnitte des Stättner Auersbergs- - Fossile Ackerterrassen mit Trockenmauern und kiys (OAL), typische alte Flurwege auf dem Treppensystemen in der Hersbrucker Alb bei Zwieselberg b. Roßhaupten (OAL). Hohenstein; ähnlich zwischen Obertrubach und Niederbayern Neudorf; um Hetzendorf; bei Wallsdorf; um Sämtliche Agrotoptypen sind hier zu finden: Im Krottensee; Kagenthal, Bärnhof (LAU); Tertiärhügelland vor allem Ranken und Hohlwege; - Kellergassen um Weißenburg i. Bay. (WUG); im Bayerischen Wald zusätzlich Steinriegel. Vor- um Berolzheim (NEA). ranglandkreise für Flachraine sind vor allem SR (33 lfm/ha), DEG (30), DGF (30), LA (24), FRG (19) Oberpfalz und PA (16); von erheblicher (lokaler) Bedeutung Sämtliche Agrotoptypen sind hier vorhanden. Von auch PAN, KEH. erheblicher Bedeutung für Flachraine sind die Lkr. Von überragender Bedeutung für Ranken ist der Lkr. CHA (39 lfm/ha) sowie SAD und AS (jeweils um SR (bis zu 135 lfm/ ha); Vorranglandkreise sind: PA 14 lfm/ha). (54 lfm/ha), FRG (47), KEH (40), LA (32), DGF Bei den Ranken überragt AS (126 lfm/ha); weitere (27) und PAN (24); von erheblicher Bedeutung auch Vorranglandkreise sind NM (49 lfm/ha), CHA (44) REG (12). und SAD (36). Der Lkr. TIR dürfte ebenfalls von Schwerpunktlandkreise für Hohlwege sind KEH vorrangiger Bedeutung sein (ca. 180 in der Biotop- (2,5 lfm/ha), SR und PA (je 1,8) sowie FRG (1,6); kartierung erfaßte Ranken!), wurde jedoch von der von erheblicher Bedeutung auch LA und PAN (je- Kleinstrukturkartierung bislang nicht berührt. weils etwa 40 Hohlwege in der Biotopkartierung Vorranglandkreise für Hohlwege sind CHA (2,8 erfaßt! ). lfm/ha), AS (1,8) und SAD (1,0); gleichfalls NEW Von überragender Bedeutung für Steinriegel, z.T. und TIR (letzterer mit ca. 46 in der Biotopkartierung auch für Trockenmauern, ist der Lkr. FRG (46 erfaßten Hohlwegen!); von erheblicher Bedeutung lfm/ha); von erheblicher Bedeutung auch die Lkr. auch NM. REG (6 lfm/ha) und SR (4 lfm/ha). Vorranglandkreise für Lesesteinformen und Trok- kenmauern: Lkr. AS, CHA (jeweils 18 lfm/ha), - Hangsenkrechte Parzellierung in den Streifen- gleichfalls NM (über 66 Stck. allein im Flurbereini- Gewannfluren (Steinriegel/Trockenmauern) der gungs-Gebiet Lauterhofen); von erheblicher Bedeu- Waldhufendörfer Mitterfirmiansreut, Finsterau, tung auch SAD. Grainet; St. Oswald am Hochfeld (FRG); - Hangsenkrechte Parzellengrenzen auf der Weg- - Fossile Ackerterrassen im Kiefernwald, Wa- scheider Hochfläche (PA); cholder als Weiderelikt in der Oberpfälzer Alb - Langstreifenflur mit hangsenkrechter Parzellie- um Utzenhofen (AS); unter Laubmischwald rung um das Hofmarksdorf Münchsdorf (PAN); (ehemaliger Eichel-Mastwald) bei Neusath - Huterelikte (Wacholder) auf Steinriegeln um (NM); Vorderfreundorf (FRG); Ziegenhutung um Rohr- - Fossile Weinbergsterrassen im Regental bei münz (DEG); Thierlstein (CHA); - Fossile Ackerterrassen mit Lesesteinwällen und - Trifthohlwege als Allmendweiderelikt um -haufen im Bereich ehemaliger Niederwälder Wampenhof (NEW); um Haunkenzell (SR);

173 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

- Relikte alter Feldgraswirtschaft um Oberaign/ 1.9 Bedeutung für Naturschutz Brotjacklriegelgebiet (DEG); und Landschaftspflege - Fossile Weinbergsterrassen im Donautal zwi- schen Deggendorf und Hengersberg; Bach, Warum ist die Erhaltung, Pflege und Wiedergewin- Ober- und Niederwinzer (DEG); nung von Agrotopen so wichtig? Was bedeuten sie - Ehemalige Weinbergsterrassen im Ortsteil Win- für das Bild der Heimat, für den Landschaftshaus- zer bei Kelheim. halt und die Lebensgemeinschaften? Darauf gibt Oberbayern dieses Kapitel eine geraffte Antwort, und zwar ge- Auch hier sind sämtliche Agrotoptypen vorhanden, trennt nach den Aspekten Arterhaltung, unbelebte allerdings in recht unterschiedlicher Verteilung in- Naturgüter, landschaftliche Eigenart, Erd- und Hei- nerhalb der einzelnen Landkreise. matgeschichte. Von erheblicher lokaler Bedeutung für Flachraine sind die Lkr. FFB (23 lfm/ha), ED (19) und PAF 1.9.1 Arterhaltung (10). Schwerpunktlandkreise für Ranken sind EI (59 In den gängigen Lebensraumbilanzen gefährdeter lfm/ha) und PAF (55 lfm/ha); von erheblicher loka- Arten sind Raine, Hohlwege, Wegränder, Waldrand- ler Bedeutung auch ND und STA (jeweils über 50 in stufen u. dgl. "Nutzungszwickel" meist nur unterge- der Biotopkartierung erfaßte Ranken!). ordnet oder gar nicht ausgewiesen. Als relativ un- auffälliges, aber um so dichter gesponnenes Netz Vo n überragender Bedeutung für Hohlwege ist vor sind sie nichtsdestoweniger unentbehrlich für die allem der Lkr. PAF (3,2) mit über 70 (!) in der Erhaltung des bayerischen Genreservoirs.* Ihre Art- Biotopkartierung erfaßten Hohlwegen; ein weiterer erhaltungsfunktionen liegen vor allem in der Vorranglandkreis ist EI (2 lfm/ha); von gewisser • lokaler Bedeutung sind auch ND, STA und WM. Arche Noah-Funktion für Reliktarten lokal oder Schwerpunktlandkreis für Lesesteinformen und regional verschwundener Flächenbiotope, die Trockenmauern ist EI (4,4 und 9,4 lfm/ha), von sich gewissermaßen wie Schiffbrüchige an den erheblicher lokaler Bedeutung sind einzelne Trok- letzten auffasernden Linear- und Zwickelstruk- turen dieser Räume "anklammern" ("Artenrefu- kenmauern im Lkr. PAF. gialfunktion"); - Streifengemengefluren, Parzellen ohne Hofan- • zeitweiligen Ausweich- oder Asylfunktion für schluß, durch Realteilung verschmälert, Anlau- Arten, die störungs-, witterungs- und saisonbe- tertal um Enkering, um Lippertshofen, auf dem dingte Nahrungs- und Lebensraumklemmen der Pfleimberg bei Titting (EI); übrigen Agrarlandschaft im Agrotopnetz über- - Relikte alter Feldgraswirtschaft im Anlautertal dauern bzw. abpuffern; bei Enkering (EI); • Teilhabitatfunktion für viele, andere Landschaft- - Fossile Ackerterrassen im Alpenvorland auf der steile mitnutzende Organismen. "Ratzinger Höhe" (RO), zahlreich auch im Weil- heimer Hügelland um Jenhausen (WM); 1.9.1.1 Arterhaltung Pflanzenwelt - Bedeu- - Fossile Weinbergsterrassen im Chiemgau bei tung für den botanischen Artenschutz Gstadt und Rimsting (RO), am Weinberg bei Seeon. Ebenso Pfrombacher Heckengebiet bei Für die Beurteilung des floristischen Schutzwertes Wartenberg/ED u.a.; der einzelnen Agrotopstrukturen ist es von entschei- dender Bedeutung, die jeweiligen Pflanzenbestände - Fossile Ackerterrassen mit Trockenmauer um in Relation zur Standort- und Artenvielfalt des Ge- Gruiwang (WM); samtgebietes einzuordnen. - Uralter Höhenweg auf der "Hart" von Pähl nach Vorkommen von "Rote-Liste-Arten" spielen bei der Andechs, streckenweise hohlwegartig und mit öffentlichen Akzeptanz von Naturschutzzielsetzun- parallelen Spurensträngen; angrenzender lichter gen nach wie vor eine wichtige Rolle, da dieses "Weidewald" und "Hartweiden" (WM) an Obb; Kriterium für den Schutzwert einer Fläche inzwi- - Hitorische Wegefrassen mit Hehlwegresten um schen auch außerhalb der Fachwelt allgemein aner- Echerschwang, Ingenried, N Schwabsoien und kannt ist. Angesichts der völlig unzureichenden, Sachsenried, zwischen Burggen und Tannenber, allenfalls punktuellen Erfassung der floristischen um Bernbeuern (WM); Ausstattung von Agrotopstrukturen können freilich - Umgriffsbiotope (Scheunenwand/Dachziegel) einzelne, z.T. mehr oder weniger zufällig kartierte um alte Torfhütten im Erdinger und Dachauer Rote-Liste-Arten kein alleiniger Wertmaßstab für Moos (ED/FS/DAC); die Schutzwürdigkeit von Rainen und anderen - Stufenraine am Hirschberg/Pähl und bei Fischen Agrotopstrukturen sein. Insbesondere die "land- (Ammersee). kreisbedeutsamen Arten" (vgl. ABSP-Bände), aber

*So dünnt die Steppenart Chorthippus apricarius (Feldgrashüpfer) am westl. Verbreitungsrand stark aus und ist fast nur noch an Feldgrenzen anzutreffen (vgl. RECK o.J.); vergleichbares gilt für Wiesensilge (Silaum silaus) u. Pracht-Nelke (Dianthus superbus), die als Charakterarten der Stromtalwiesen im Kollbachgebiet/PAN ihre südl. Verbreitungsgrenze erreichen und hier nur mehr an Ranken u. Waldrandstufen zu finden sind (STEIN 1991).

174 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen auch sonstige regional oder lokal wichtige Arten Reste artenreicher Glatthaferwiesen finden sich an (Erfahrungen von Gebietskennern sind gerade hier Ranken der Freibachleite zwischen Osterndorf und unerläßlich!) sollten bei der Beurteilung von Agro- Kumpfmühl, z.B mit Büschel-Glockenblume (Cam- topen nach Möglichkeit berücksichtigt werden (vgl. panula glomerata), Knöllchen-Steinbrech (Sa- Kap.1.10.2, S.202). xifraga granulata) oder Knolligem Hahnenfuß (Ra- In den sehr intensiv genutzten Agrarlandschaften nunculus bulbosus) (vgl. STEIN 1991, GLAS- beherbergen Wegränder, insbesondere aber Acker- HAUSER & WÖLFL 1992). raine nur in Ausnahmefällen seltene Pflanzenarten, Bei den Pleintinger Lößranken (PA) handelt es sich wobei vor allem Magerrasenarten der BROMETALIA um Reste hochgradig gefährdeter Kalkmagerrasen ERECTI, SEDO-SCLERANTHETEA und NARDO-CAL- (z.T. auch wertvolle, versaumte Stadien); Teilflä- LUNETEA eine gewisse Rolle spielen. chen des Gebietes können als überregional bedeut- Immerhin fanden RUTHSATZ & OTTE (1987) in sam eingestuft werden. einem 20 x 4 km umfassenden Untersuchungstran- Der Komplex aus hintereinander gestaffelten Ran- sekt quer über die Donauniederung allein auf Feld- ken, Hohlwegfragmenten und Böschungsanschnit- und Wegrainen 220 höhere Pflanzenarten (davon ten stellt einen Schwerpunkt des floristischen Arten- 104 Arten mit weniger als 5% Stetigkeit in den schutzes in Niederbayern dar. Vegetationstabellen). Bei einigen der als "gefährdet" Anzutreffen sind z.B.: eingestuften Arten (z.B. bei Kickxia spuria und An- - Kicher-Tragant (Astragulus cicer, RL 3) themis cotula) handelt es sich um Arten der Acker- - Schlangen-Lauch (Allium scorodoprasum, RL 3) begleitflora, die nur sporadisch aus den Äckern in -Frühe Segge (Carex praecox, RL 3) die angrenzenden Raine einwandern. Der Anteil an - Filz-Segge (Carex tomentosa, RL 3) der Flora des Gesamtgebietes beträgt etwa 1/3. Be- - Aufrechte Waldrebe (Clematis erecta) reits dieses Ergebnis macht deutlich, daß sowohl - Kreuz-Enzian (Gentiana cruciata, RL 3) Wegränder wie auch Ackerraine durchaus einen we- - Ungarisches Habichtskraut (Hieracium bauhini, sentlichen Beitrag zum floristischen Reichtum eines RL 3) Gebietes leisten können. - Ausdauernder Lein (Linum perenne, RL 1) In noch biotop-ärmeren Kulturlandschaften etwa - Zierliches Schillergras (Koeleria gracilis) des Tertiärhügellandes, des Altmoränengebietes, - Helm-Orchis (Orchis militaris, RL 3) der Münchberger Hochfläche oder des Vogtlandes - Dolden-Milchstern (Ornithogalum umbellatum, ist der Agrotop-Beitrag zum pflanzlichen Gesamtar- RL 3) teninventar noch bedeutend höher. -Gewöhnliche Küchenschelle (Pulsatilla vulga- Als Beispiel für eine hochintensiv genutzte Agrar- ris var. oenipontana, RL G)* landschaft sei das ehemalige Klostergut Scheyern Obwohl Untersuchungen aus verschiedenen Regio- (143 ha) im nordwestlichen Tertiärhügelland er- nen Deutschlands einen Bestandesrückgang zahlrei- wähnt, wo im Rahmen des FAM-Projektes auch cher Grünlandarten verzeichnen (vgl. MAHN & Vegetationsaufnahmen von Hecken- und Waldsäu- FISCHER 1989), stehen bisher nur wenige Arten men, Ranken, Feld- und Wegrainen angefertigt wur- der Wirtschaftswiesen auf der Roten Liste. Generell den. In diesen Vegetationseinheiten wurden 320 sind jedoch alle mager-trockenen Ausbildungen der Pflanzenarten bestimmt, darunter viele ehemals flä- Glatthaferwiesen, Goldhaferwiesen und Weidel- chig in Wiesen und Weiden verbreitete (vgl. POPP grasweiden, der Feucht- und Streuwiesen mehr oder 1886 - 1891), die heute nur noch in den extensiv weniger stark gefährdet und heute größtenteils nur bewirtschafteten Randstrukturen zu finden sind noch an Hochrainen, mageren Wegeböschungen, (PFADENHAUER et al. 1991: 71 f.). sonstigen Versteilungen oder entlang von Weide- Im Gebiet der Kollbach- und Freibachleite (PAN) zäunen ("Zaungasseneffekt") anzutreffen (vgl. Kap. erreichen wärmeliebende Arten sowie Stromtalarten 2.3.2.1). des Grünlandes an Nutzungszwickeln, Wegrändern Vor allem in vergleichsweise extensiv genutzten und Flurstücksgrenzen ihre regionalen Verbrei- Landschaften wachsen regional oder lokal seltene tungsgrenzen. Neben den bereits erwähnten Charak- und gefährdete Pflanzenarten auch oder vor allem terarten der Stromtalwiesen Peucedanum carvifolia auf Flurgrenz- und Wegrandbegleitstandorten (vgl. (Kümmelblättriger Haarstrang) und Silaum silaus z.B. KAULE et al. 1983). Ist der Rumpfflächenbe- (Wiesen-Silge) haben im Münchsdorfer Gebiet an stand von Magerrasen, Xerothermsäumen, Steinflu- Ranken, Feldwegrändern und Waldrandstufen noch ren, Hutungen, Magerwiesen, Extensiväckern wie in eine Reihe weiterer, z.T. landkreisbedeutsamer Ma- vielen Kulturlandschaften Bayerns ganz oder weit- gerrasen-Arten regionale Schwerpunktvorkommen gehend verschwunden, so bilden Agrotope oft das wie z.B.: allerletzte Auffangnetz für stark reduzierte - Heide-Nelke (Dianthus deltoides) Fragmentpopulationen der verlorenen Flächen- - Kleines Knabenkraut (Orchis morio, RL-Bayern 3) biotope. In ihnen vollzieht sich dann das letzte Auf- - Zierliche Sommerwurz (Orobanche gracilis) flackern regressiver Populationen, das sich indes-

*Die Varietät mit schmäleren Blattzipfeln ist eine Übergangsform und vermittelt bereits zur östlichen Pulsatilla grandis (Große Küchenschelle). Nach FÜRSCH (1984) besteht damit auch hohes wissenschaftliches Interesse an der Erhaltung dieser Küchen- schellenpopulation.

175 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen sen bei entsprechenden Anstrengungen auch wieder - Sprossende Hauswurz (Jovibarba sobolifera, anfachen und auf Extensivierungsflächen oder Neu- RL 3 G)) Biotope ausdehnen läßt. - Alpen-Leinblatt (Thesium alpinum, RL 3) KNOP & REIF (1982) fanden auf den von ihnen -Bläuliche Sommerwurz (Orobanche coerule- untersuchten Rainen Nordost- und Ostbayerns eine scens, RL 2) Reihe von Arten, die zumindest lokale Seltenheit -Früher Ehrenpreis (Veronica praecox, RL 3) aufweisen, z.T. aber auch auf der RL-Bayern stehen. - Platterbsen-Wicke (Vicia lathyroides , RL 3 Seltene Arten wie Arnika (Arnica montana, RL- - Sand-Veilchen (Viola rupestris, RL 3) Bayern 3) oder der Fransen-Enzian (Gentiana cilia- ta) besiedelten ausschließlich wenig gestörte, nähr- Bezeichnenderweise werden immer größere Anteile stoffärmere Raine zwischen extensiv genutztem artenschutzrelevanter Neufunde nicht mehr in "klassi- Grünland. An mesophilen Saumarten konnten u.a. schen Biotopen" der Biotopkartierung, sondern auf Silberdistel (Carlina acaulis), Küchenschelle (Pul- technogenen oder agrarischen Saumstrukturen ge- satilla vulgaris), Echtes Tausendgüldenkraut (Cen- macht. Solche bemerkenswerten Standorte sind in taurium erythraea) und Mittleres Leinblatt (Thesi- Bayern Legion (Abb. 1/67, S. 178). um linophyllum) nachgewiesen werden. Eine ausge- Als besonders illustre Neu- oder Wiederfunde an sprochene Rarität ist die von KNOP & REIF (1982) Agrotopen und agrotopartigen Strukturen, insbeson- auf drei Grünlandrainen vorgefundene POLYTRI- dere an unausgebauten Wegen, Wegböschungen und CHUM PILIFERUM-SCLERANTHUS PERENNIS-Gesell- -anrissen, Waldkanten, Sandbracherändern, seien bei- schaft. Diese an Sand-Trockenrasen erinnernde Ge- spielhaft genant: Spergula pentandra, Trifolium stria- sellschaft ist mangels geeigneten Substrats im UG tum, Phleum paniculatum, Adonis flammea, Aira prae- im allgemeinen selten; die wenigen Standorte auf cox, Androsace elongata, A. septentrionalis (NES, flachgründigen Feldrainen liegen im nicht flurberei- SW, KT), Mibora minima (AB, MIL), Centaurea ste- nigten Gebiet etwa 1,5 km südlich von Wirsberg nolepis (GZ, DIL, ND, A, MN), Corrigiola litoralis (KU). (AB), Minuartia hybrida. In seiner Arbeit über die Rainvegetation der nördli- Besonders spektakuläre Beispiele für "schiffbrüchige" chen Oberpfalz fand BARTHEL (1992) als einzige Pflanzenarten, die sich aus ursprünglich flächigen Po- Art der Gefährdungsstufe 2 den Lämmersalat (Ar- pulationen auf Flur-Randstrukturen zurückgezogen noseris minima)* auf einem lückigen Breitranken haben: im Stiftland, daneben aber eine ganze Reihe weiterer • der Österreichische Ehrenpreis (Veronica au- seltener und bemerkenswerter Arten (vgl. Tab. 1/33, striaca), der außer auf der Garchinger Heide nur S. 177) mit z.T. ähnlichen Biotopansprüchen. mehr auf südlich abgesprengten Acker-Kiesgru- Von herausragender Bedeutung für den floristischen benrändern siedelt (LEMMERTZ 1986); Artenschutz im Nürnberger Land sind im Bereich der • die Purpur-Schwarzwurzel (Scorzonera purpu- Kuppenalb westlich der Pegnitz die Dolomitsand- rea), deren letzter niederbayerischer Standort ein Trockenrasen (HELICHRYSO-FESTUCETUM). flureingelagerter, halbruderaler Zwickelstandort Sie liegen meist als schmale, südexponierte, oft ist (DFG); nur meterbreite Bänder vor den Kiefernwäldern, • das Adonisröschen (Adonis vernalis), welches ne- auf Feldrainen. Diese Ausbildung macht deutlich, ben den Sieben-Hügeln bei Nordheim (NEA) auch daß mit Rote Liste-Arten (durchschnittlich "nur" einige südlich vorgelagerte Gipsranken besiedelt; etwa 3,7 bzw. 2,6) allein eine Gebietsflora nicht • das Mönchskraut (Nonea pulla), welches im Naab- hinreichend zu bewerten ist. Aussagekräftiger ist in tal (R) spezifisch die "gestörten" Grenzbereiche diesem Fall die Zahl regional seltener Arten: hier Acker-Trockenrasen benötigt; liegt der Sandtrockenrasen mit 3,6 (Schildflechten- • seltene Federgrasarten (z.B. Stipa joannis), die Ausbildung) bzw. 6,8 Arten (Hauswurz-Ausbil- sich beispielsweise bei Karlstadt (MSP) auf Acker- dung) weit an der Spitze (HEMP 1990: 25). Solche Grenzbereiche zentrieren; trockenrasenartigen Raine und Säume stellen zu- • die in Bayern fast ausgestorbene Silberscharte sammen mit den Felsfluren (Felsschaumkressenflur, (Jurinaea cyanoides), die z.B. an den Astheimer Mauerpfefferflur) auf Mauern, Lesesteinhaufen Sanden am Wegrain konzentriert ist; und kleinen Felskuppen unersetzliche Lebensräu- • der Ausdauernde Lein (Linum perenne) von des- me für viele, in der Frankenalb sonst seltene Arten sen in den 60er Jahren riesigen Populationen des dar. Hierzu zählen beispielsweise: Donautals wenige Kleinstbestände an Ranken, - Mondraute (Botrychium lunaria, RL 3 G) Grabenzwickeln, Deich-Acker-Kontaktzonen üb- - Felsschaumkresse (Cardaminopsis petrea, RL P) riggeblieben sind (MEIEROTT 1990, ZAHLHEI- -Sand-Hornkraut (Cerastium semidecandrum) MER 1979, MERGENTHALER mdl.) - Binsen-Knorpelsalat (Chondrilla juncea, RL 2) Ein südbayerisches Gegenstück zum Ausdauernden - Echte Kugelblume (Globularia punctata, RL G) Lein ist die Träubelhyazinthe (Muscari botryoides). - Sand-Strohblume (Helichrysum arenarium, RL An die in den 50er Jahren dunkelblau eingefärbten 2 G) Wiesen des Lechraines S Landsberg erinnern heute nur

* Neufund gegenüber SCHÖNFELDER & BRESINSKY (1990). Galt im Kartenblatt als verschollen.

176 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/33 Bedrohte, geschützte und floristisch interessante Arten auf Rainen der nördlichen Oberpfalz (BARTHEL 1992)

177 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/67 Bemerkenswerte floristische Neufunde an Agro- und Technotopen (ALPENINSTITUT, unpubl.)

mehr Streifen-Restbestände an Wegrainen und Ran- (1886, zit. in HOLZ 1988) noch als Ackerunkräuter ken. Ähnlich ist der Krokus (Crocus albiflorus ) im von meist offenen bis lückig bewachsenen Stellen außeralpinen Südwestbayern und in den alpinen Talla- beschrieben sind, heute praktisch nur noch außerhalb gen aus einer Mähwiesen-Massenart zu einer Agrotop- der Ackerflächen zu finden. Beispiele dafür sind ins- Art der Zaungassen und Hagrandstreifen geworden besondere eine Reihe pontischer oder pontisch-medi- (z.B. MB, TÖL, WM). terraner "Steppenarten", wie z.B. Allium rotundum Im bayerischen Artenschutz wenig beachtet, gleich- (Runder Lauch), Althea hirsuta (Rauher Eibisch), wohl von besonderer Bedeutung sind die "Grauzo- Melampyrum arvense (Acker-Wachtelweizen) oder nen" zwischen Steppenresten, Magerrasen und Nonea pulla (Mönchskraut). Nach MEUSEL (1943) Weinbergs- und Ackerfluren, also halbruderale Ma- zeigen diese Arten ein ausgeprägtes Arealgefälle in gerrasen mit einer nicht vom Naturschutz gesteuerten Ost-West-Richtung. und steuerbaren (!) Stördynamik. Zu den vorgenannten Viele der klassischen seltenen Ackerwildkräuter sind "Spitzenarten" zählen beispielsweise auch die Wein- heute fast nur mehr in Agrotopen i.w.S. (Randstreifen) bergs- und Schopfhyazinthe (Muscari neglectum - oder eigentlich nicht mehr ackerzugehörigen, aber ge- MSP, WÜ, KT, NEA; Muscari comosum - R, NM, legentlich pflug- oder schleppergestörten Rainen an- AS), der Ackerwachtelweizen (Melampyrum arven- zutreffen. Als Beispiele seien der Lämmersalat (Arno- se), der Ackergoldstern (Gagea villosa), die beiden seris minima), der Gelbe Günsel (Ajuga chamaepitys) Kleinschmielen (Aira caryophyllea, Aira praecox) und und der Igelsame (Lappula squarrosa) genannt. andere RL-Arten. Auf steilen Ranken mit z.T. offenem Boden sind kurz- Die meisten Arten der Ackerbegleitflora in Mitteleu- lebige Arten der Ruderal- und Segetalfora anzutreffen, ropa befinden sich heute an ihrer Arealgrenze. Viele wie z.B. die Hundszunge (Cynoglossum officinalis), Pflanzenarten wurden durch die Veränderungen der Adonisröschen (Adonis aestivalis) oder der Feld-Rit- landwirtschaftlichen Produktionsmethoden an einen tersporn (Consolida regalis); an aufgerissenen Stellen vergleichsweise engen Grenzbereich ihres Gesamtvor- am Ackerrand finden sich Vorkommen von Althea kommens verdrängt. Sind diese Arten auch nicht als hirsuta (Rauher Eibisch) und Lathyrus hirsutus (Be- Spezies insgesamt gefährdet, so sind doch Arealränder haarte Platterbse) (vgl. RÄTH 1991). bzw. -vorposten als Ausgangspunkte für die Bildung Aufgrund der intensivierten Ackernutzung, sind Ar- neuer Sippen und Lokalrassen unentbehrlich (vgl. ten, die von älteren Autoren wie z.B. HELLURG HOLZ 1988: 251).

178 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Eine ganze Reihe hochbedeutsamer Vorkommen dung der Arten an bestimmte Habitattypen relativ sind auf einzelne Agrotoptypen beschränkt. Stell- gut bekannt; sie eignen sich daher in besonderem vertretend für viele andere seien genannt: Färber- Maße, den Artenschutzwert von Agrotopen aufzu- waid (Isatis tinctoria), Goldlack (Cheiranthus chei- zeigen. rii), Ceterach (Ceterach officinarum), Sandkraut Zahlreiche Insektengruppen profitieren vom hohen (Arenaria leptoclados), der Streifenfarn (Asplenium Blütenangebot, insbesondere von der hohen Anzahl x heufleri) für Weinbergsmauern, die Osterluzei unterschiedlicher morphologischer Blütengruppen (Aristolochia clematitis) für Hohlwege und Trok- an Rainen und Wegrändern (vgl. Abb. 1/68, S. 179). kenmauerfüße Unterfrankens und des südl. Steiger- So wurden von PRINZ (1986) über 70 % aller walds/Windsheimer Bucht (siehe auch Kap. 1.4.3). Schwebfliegen (Syrphiden, Ord. DIPTERA) im Öko- Ob das die Lößhohlen im Kaiserstuhl kennzeichnen- system Feldrain erfaßt. Die überragende Bedeutung de großartige Vegetationsmosaik aus Lößflechten von Wegsäumen z.B. für Tagfalter während blüten- und Blaualgenüberzügen, hochwertigen Trockenra- ärmerer Zeiten der Wiesen und Magerrasen doku- senfragmenten und Anemone sylvestris-Säumen mentieren u.a. BÖTTCHER et al. (1992). (vgl. FISCHER 1982) auch in Bayern nennenswerte Xerotherme Offenlandstandorte (aufgerissene Weg- Vorkommen hat, muß gezielten Untersuchungen ranken, Steinhaufen, Mauern) werden von z.T. vorbehalten bleiben. hochbedrohten Ameisenarten, aber auch von selte- nen xerophilen Gehäuseschnecken besiedelt. Da- 1.9.1.2 Arterhaltung Tierwelt - Bedeutung neben spielen Agrotope vor allem noch für Spinnen, für den zoologischen Artenschutz für Reptilien sowie für einige Vogelarten und Kleinsäuger der offenen Feldflur eine wichtige Rol- Besondere Bedeutung kommt Agrotopen für die le. Erhaltung des landschaftstypischen Tierartenpoten- In Bereichen, in denen noch Flächenbiotope vorhan- tials überall dort zu, wo flächenhafte Biotope auf den sind, können Agrotope (neben Dämmen, Wald- kleine Reste zusammengeschmolzen oder bereits völlig verschwunden sind. säumen, Hecken etc.) als Bausteine eines Verbund- systems fungieren (vgl. Kap. 2.6.4). Die nachfolgen- Die bereits angesprochene Refugial-, Ausweich- den Angaben beruhen größtenteils auf nur kursori- und Teilhabitatfunktion von Agrotopen ist mittler- schen Erhebungen und Beifunden, eine zusammen- weile auch durch faunistische Untersuchungen hin- schau steht nich aus (vgl. auch Kap. 1.5.4). reichend belegt. Insbesondere für helio- und thermo- phile Insekten zeichnet sich eine überragende Be- Heuschrecken deutung ab. Einigermaßen gut dokumentiert ist dies Im Bereich der Pleintinger Lößterrassen gelang vor allem für z.T. hochbedrohte Vertreter aus der ZEHLIUS (1993, briefl.) der Nachweis von 12 Heu- Gruppe der Heuschrecken, der Laufkäfer, der Tag- schreckenarten, darunter folgender Rote Liste-Arten falter, Widderchen und "Kleinschmetterlinge" trocken-warmer Offenlandstandorte: Omocestus sowie der Wildbienen u.a. "Stechimmen" (aculea- haemorrhoidalis (Rotleibiger Grashüpfer), RL 2; te Hymenopteren). Bei diesen Gruppen ist die Bin- Chorthippus apricarius (Feld-Grashüpfer), RL 2;

Abbildung 1/68 Anteile blütenbesuchender Insekten, auf- geschlüsselt nach Ordnungen (aus PRINZ 1986)

179 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Chorthippus mollis (Verkannter Grashüpfer), RL 3; Tagfalter/ Widderchen Gryllus campestris (Feldgrille), RL 3. Hinzu kom- ZEHLIUS (1993, briefl.) fand bei den Geländeerhe- men die potentiell gefährdeten bzw. stark rückläufi- bungen im Bereich der Pleintinger Lößterrassen insge- gen Chorthippus dorsatus (Wiesengrashüpfer, me- samt über 32 Arten, darunter als Bewohner lückiger sophil) und Chrysochraon brachyptera (Kleine Sukzessionsstadien und Trockenrasen die in weiten Goldschrecke, Saumart). In den Freinhausener Ran- Teilen ihres Verbreitungsgebietes stark zurückgehen- ken waren vor allem die Saumarten vollständig ver- den Tagfalter Issoria lathonia (Kleiner Perlmutterfal- treten (neben den bereits genannten Chrysochraon ter), Lycaena phleas (Kleiner Feuerfalter), Lysandra brachyptera und Chorthippus apricarius u.a. noch coridon (Silbergrüner Bläuling), Melanargia galathea die ebenfalls rückläufige Metrioptera bicolor (Schachbrett), Zygaena filipendula (Blutströpfchen- (Zweifarbige Beißschrecke) (HAASE et al. 1990). Widderchen), des weiteren Papilio machaon (Schwal- Laufkäfer benschwanz), RL 3; Thymelicus actaeon (Matt- Intensiv genutzte Ackerbaulandschaften bieten in scheckiger Braundickkopffalter), RL 2; Zygaena der Regel nur mesophilen Feldarten geeigneten Le- ephialtes (Veränderliches Widderchen), RL 2; Zy- bensraum. Die faunistische Kurzanalyse des Flurberei- gaena meliloti (Steinklee-Widderchen), RL 3. nigungsgebietes Münchsdorf (PAN) erbrachte immer- Als eine Besonderheit des Pleintinger Gebietes konnte hin den Nachweis von insgesamt 37 Laufkäferarten der stark gefährdete Schwarzblaue Moorbläuling (12 Probenahmen in Feldrainen bzw. Brachland, (Maculinea nausithous) nachgewiesen werden. Die Äcker während der Vegetationsperiode 90/91). Etwa vor allem aus Randbereichen gestörter Niedermoore 25 % dieser "Feld- und Wiesenarten" können nur dann bekannte Art kommt in verinselten Biotopen bzw. in offene Habitate eindringen, wenn diese mit Hecken- Linearbiotopen offenbar gut zurecht, wobei eine Prä- zeilen bzw. Buschgruppen durchsetzt sind (BAEHR & ferenz für einzeln stehende Exemplare der Raupenfut- BAEHR 1991). terpflanze Sanguisorba major (Großer Wiesenknopf) Dagegen stellen schütter bewachsene Feldraine, auffällt (ZEHLIUS 1992, mdl.). Maculinea nausithous Brachäcker und sonnenexponierte Böschungen wurde auch im Bereich des auffallend terrassierten auch für xerophile Arten häufig wichtige Sekundärle- Wiesengeländes zwischen Zueding und Rohrstetten bensräume dar (vgl. PAULUS 1980). Die an offenes (Lallinger Winkel) angetroffen. Nach SCHULZE Gelände angepaßten Coleopteren waren (ähnlich wie (1992) handelt es sich bei der 12, 5 ha großen Probe- die Arten der Ackerbegleitflora) ursprünglich auf fläche um eines der bedeutendsten Tagfalter-Habitate Steilhänge, Flußufer und neu entstandene Waldlich- im Lkr. DEG. Insgesamt konnten 28 Arten nachgewie- tungen beschränkt und besiedelten von hier aus das sen werden, unter den 6 landkreis- bzw. überregional offene Kulturland. bedeutsamen Arten auch der in Bayern stark gefährde- So waren im Lößrankengebiet um Pleinting (PA) zahl- te Violette Feuerfalter (Heodes alciphron). reiche seltene, z.T. gefährdete Laufkäferarten sowohl Im Bereich der Freinhausener Ranken (PAF) gelang mittlerer wie auch trocken-warmer Standorte anzutref- der Nachweis des inzwischen vom Aussterben bedroh- fen: u.a. der "potentiell gefährdete" Amara ulrichii ten Kreuzenzian-Ameisenbläulings (Maculinea alcon (Ulrichs Großlaufkäfer), eine anspruchsvolle Art mitt- ssp. rebeli) (HAASE et al. 1990). lerer Standorte, der als "selten" eingestufte Amara tricuspidata (Großer Dreispitz-Kamellaufkäfer) sowie Wildbienen die gefährdeten Diachromus germanus (Blauhals- Derzeit gelten etwa 80 % aller in Bayern vorkommen- Schmucklaufkäfer), RL 2 und Anisodactylus signatus den Wildbienen als gefährdet (neuere Bewertung (Metallischer Schmucklaufkäfer), RL 3. Letzere drei durch WARNKE). Nach HASSLER & GREILER zählen zu den Arten extensiv genutzter Ackerbauland- (1989) können mindestens 10% der heimischen Wild- schaften (Geländeerhebungen 1991/92 durch W. LO- bienen in Hohlwegen auftreten. In Baden-Württem- RENZ, mitgeteilt durch ZEHLIUS 1993, briefl.). berg wurden nicht weniger als 30 gefährdete Arten Für die mesophilen Arten reichstrukturierter Kultur- (von denen einige in Bayern bereits ausgestorben sind) landschaften erwiesen sich die versaumten Bereiche in Hohlwegen nachgewiesen. der Freinhausener Ranken und die brachgefallenen WARNKE konnte im Pleintinger Lößrankengebiet die Ackerterrassen von besonderer Bedeutung. Hier kon- Maskenbiene Prosopis punctata (= Hylaeus puncta- zentrierten sich mehr als 50 % sämtlicher ökologischer tus, RL Bayern 1!) nachweisen (zit. nach ZEHLIUS Gruppen mit Ausnahme der typischen Trockenrasen- 1992, briefl.). Insgesamt konnten etwa 40 (!) Rote arten, die in der Regel einen größeren Flächenanspruch Liste-Arten nachgewiesen werden, darunter die stark haben. Die auf initiale Magerrasen und rohe Sandbö- gefährdeten Wildbienen Megachile alpicola, Antho- den angewiesenen Arten besiedelten zuvörderst die phora aestivalis, Eucera longicornis, Eucera tubercu- anstehenden Sandlinsen, strahlten aber auch auf die lata, Halictus punctatissimus, Halictus sabulosus, Ro- neuangelegten Ranken aus. Im Gebiet gelang der phites canus, Andrena mitis, Andrena strohmella so- Nachweis der beiden "stark gefährdeten" Arten Maso- wie Bombus subterranus. reus wetterhalli (Dünenlaufkäfer, hauptsächlich auf Sandböden) und Callistus lunatus (Mondfleck-Lauf- Ameisen käfer, thermophil) (HAASE et al. 1990). Von den etwa 40 Ameisenarten, die nach LAWITZKY MÜNCH (1988) fand bei seinen Untersuchungen im (in SCHOLL et al. 1985) in Weinbergen zu erwarten Hohenloher Land über 20 Laufkäferarten fast aus- sind, konnten 15 im Bereich von Trockenmauern im schließlich an Steinriegeln, darunter eine Reihe typi- NSG "Pfaffenberg" (Steinbach-West, HAS) nachge- scher Bewohner von Trockenbiotopen. wiesen werden.

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15 von den 31 in Steinriegeln des Hohenloher Landes spinnenverwandte). Für diese Art lag bisher erst ein nachgewiesenen Ameisenarten waren im untersuchten einziger Nachweis aus dem Muschelkalkgebiet bei Gebiet fast ausschließlich auf diesen Lebensraumtyp Grainberg/Ufr. vor (STADLER 1932, zit. in beschränkt (davon 11 gefährdete Arten) - sowohl xero- SCHOLL 1980). thermophile Arten, wie z.B. Leptothorax unifasciatus, Reptilien, Amphibien RL-Bayern 3) als auch vergleichsweise hygrophilere (z.B. Formica sanguinea, RL- Bayern 4R). BANSE et al. (1988: 30) bestätigen die herausragende Totz einer nur sehr unvollständigen Erfassung konn- Bedeutung von Steinriegeln für den Reptilienschutz. te VYTRISAL (1991) an den Weinbergsmauern am Im Flurbereinigungsgebiet Philippsreut (FRG) konn- Pfaffenberg und Ebelsberg (HAS) insgesamt 173 ten 2/3 der Bergeidechsennachweise (Zootoca vivipa- Arten aus 5 Hymenopterenfamilien registrieren - ra, in den RL der BRD und Nachbarländer als "gefähr- MIOTK (1979b) fand "nur" 150 Arten am Kaiser- det" eingestuft) und fast alle Kreuzotternfunde (Vipera stuhl - darunter mehrere vom Aussterben bedrohte berus, RL 2) an diesem Strukturtyp erbracht werden oder verschollene Arten (vgl. 1.5.4.6). (z.B. Steinriegelkomplexe um Hinter- und Mitterfir- miansreut und Philippsreut, am Vorderscheibling, um Landschnecken die Rodungsinsel Marchhäuser). Auch steinblockrei- K. WOLF (1986) fand in neuangelegten, nur 2-3 m che Wege- und Straßenböschungen haben sich als breiten Rainstreifen entlang von Feldern einige bedeutsam für die Kreuzotter erwiesen. kleine, xerotherme Gehäuseschnecken, die im Neu- vorschlag der Roten Liste als "potentiell gefährdet" Die Nachweise des Grasfrosches (Rana temporia) in eingestuft sind: Pupilla muscorum, Cecilioides acicula terrestrischen Lebensräumen liegen im UG von BAN- und Helicella obvia. Das Vorkommen von xerophilen SE et al. (1988) zu 61 % im Bereich von Steinranken. Arten auf den frischen Biotopstreifen beruht auf deren Die besondere Bedeutung der Ranken für den Gras- Präferenz für kurzrasige, trockene Rohbodenstandorte. frosch (wie auch für die ebenfalls hier nachgewiesene Erdkröte Bufo bufo) liegt in der günstigen Unter- Im Bereich der Pleintinger Lößterrassen gelang ein schlupfmöglichkeit neben dem unmittelbar an- Nachweis der RL 1-Art Chondrula tridens (Dreizahn- schließenden Nahrungshabitat (Wiese). Vielfraßschnecke), eine Art trocken-warmer Offen- landbiotope (nachgewiesen auch für Freinhausen, vgl. Vögel HAASE et al. 1990). Als weitere gefährdete Trocken- Auf die überragende Bedeutung einer reich geglieder- rasen-Arten traten auf: Ceciloides acicula (Blind- ten Offenlandschaft für die rückläufigen Bestände des schnecke), RL 3; Granaria frumentum (Wustige Korn- Rebhuhns (Perdix perdix, RL 3) soll hier nicht mehr schnecke), RL 2; Pupilla muscorum (Moospüppchen), weiter eingegangen werden (vgl. Kap.1.5.4, S. 102). RL 4; Succinella oblonga (Kleine Bernsteinschnecke), RL 3; Truncatellina cylindrica (Zylinderwindel- schnecke), RL 4 R. Insgesamt konnten um die 35 Gehölzfreie bzw. mit vereinzelten Bäumen oder Sträu- Schneckenarten festgestellt werden (ZEHLIUS 1993, chern bestandene Ranken, insbesondere auch Steinrie- briefl.). Auch in Freinhausen (PAF) konzentrierten gel fungieren als wichtige Singwarten und oft genutzte sich die Nachweise der Trockenrasenarten auf kleine Aufenthaltsbereiche für z.T. gefährdete Brutvogelar- und schwachwüchsige Magerrasenreste im Bereich ten offener Wiesenbereiche. BANSE et al. (1988) nen- der Ranken (HAASE et al. 1990). nen hier insbesondere das Braunkehlchen (Saxicola rubetra, RL 2). Zäune und frei stehende Zaunpfosten WILLECKE (1983) fand an Trockenmauern eine können eine vergleichbare Funktion einnehmen. artenreiche Schneckenfauna mit zahlreichen, z.T. ge- Säugetiere fährdeten xerothermophilen Arten, z.B. Chondrula tri- dens (RL-Bayern 1), aber auch mit gefährdeten hygro- BRAUN (1986) fand in Hohlwegen des Nordbayern philen Arten. Von den 10% der einheimischen Land- ähnlichen Kraichgaus mit 20 Säugetierarten ein Fünf- schneckenarten, für die nach MIOTK (1989) Mauern tel aller heimischen Säuger. Die standortbedingten unverzichtbare Lebensräume darstellen, sind inzwi- Habitateigenschaften (z.B. Windstille, Nahrungsreich- schen bereits ein Drittel gefährdet. tum und -vielfalt, großes Nischenangebot etc.) ermög- lichen etlichen gefährdeten Arten, wie z.B. der Zwerg- Spinnen maus (Micromys minutus, RL Bayern 3) und der Feld- Unbestritten ist die hohe Bedeutung agrotop-imma- spitzmaus (Crocidura leucodon, RL Bayern 3) den nenter Qualitäten (wie z.B. Teilbrachen) für netzbau- Aufbau relativ hoher Populationsdichten (vgl. Abb. ende Spinnen. Darüberhinaus belegen gezielte fauni- 1/69, S. 182). stisch-ökologische Aufnahmen, wie z.B. die Kartie- rung und Bewertung der Weinbergslage Steinbach- Als Kleinstsäuger ist die Zwergmaus insbesondere auf West (SCHOLL 1980; SCHOLL et al. 1985, 1986) die möglichst rasche Erwärmung ihres Habitats angewie- überragende Bedeutung hochwertiger Komplex-Le- sen. Ihr Vorkommen in stark besonnten, relativ gehölz- bensräume, vor allem hinsichtlich des Versteckreich- armen Agrotopstandorten (z.B. sehr junge Gehölzan- tums, der aus der Vielzahl unterschiedlich exponierter flugstadien, kraut- und grasreiche Staudenfluren) stellt Mauern, Mauereinstürze und einzelnen, flach auf sie in eine Reihe mit wärmeliebenden Arten, wie sie dem Boden liegenden Steinen resultiert. hauptsächlich unter den wechselwarmen Reptilien So konnten hier in einem Fangzeitraum von drei Wo- oder Insekten anzutreffen sind. Nach Einschätzung chen insgesamt etwa 48 Webspinnen-Arten (ARA- von MILBRADT (1993, mdl.) ist die Zwergmaus in NEAE) in Bodenfallen erbeutet werden, darunter auch Bayern "selten" (Zufallsbeobachtungen u.a. in der ein Exemplar von Atypus piceus (einheimische Vogel- Oberpfälzer Rankenlandschaft um Schmidgaden).

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1.9.2 Zur Bedeutung der Agrotope als Schäd- zu gebieten (vgl. auch Kap. 2.3.3 und LPK-Band lingsregulativ für angrenzende landwirt- II.12 "Hecken- und Feldgehölze"). schaftliche Nutzflächen Es kann freilich nicht Aufgabe dieses Bandes sein, alle ökologischen Verflechtungen zwischen den Das Teilkapitel spricht den Themenkreis "Integrier- Tier-Lebensgemeinschaften der Agrotope und den ter" bzw. "Biologischer Pflanzenschutz" aus tier- entsprechenden Zoozönosen der angrenzenden ökologischer Sicht an. Grundsätzliches Ziel "biolo- landwirtschaftlichen Nutzflächen im Sinne einer gischer" Bekämpfungsmaßnahmen ist es, einer vom "Generalbilanz" aufzuzeigen. Wertvolle Beiträge wirtschaftlichen Standpunkt her nicht mehr tolerier- zur Darstellung der "Schädlings-Nützlings-Dyna- baren Zunahme von Schadorganismen auf den Kul- mik" in Agrarlebensräumen liefern z.B. SCHER- turflächen durch Einsatz sog. "Prädatoren"* Einhalt NEY (1955, 1957, 1958); HODEK (1962, 1973);

Abbildung 1/69 Querprofil Lebensraum Hohlweg (nach BRAUN 1986)

*Prädatorenkomplex: räuberisch bzw. parasitär lebende Fraktion der Agrotopfauna.

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TISCHLER (1980); STECHMANN (1982); Marienkäfern, Schwebfliegen), daneben Minier- NYFELLER (1982); CARTER & DIXON (1984); Insekten, Blattkäferlarven, in den zusammenge- ÖTTL (1984), SOTHERTON (1985); MÜLLER sponnenen Blättern Schlupfwespen; als Blattbe- (1986); KNAUER (1986); WELLING (1987); satz Wanzen; MARSHALL & SMITH (1987); WELLING & - im Stengel: Larven von Palpenmotten (Klein- KOKTA (1988); KOKTA (1988); WRATTEN & schmetterlinge), POWELL (1991); GREIG-SMITH (1991); - in der Wurzel: Larve eines Wicklers (Klein- REGNAT (1992). schmetterling). Die nachfolgende stark komprimierte Darstellung ist angelehnt an ZWÖLFER & STECHMANN Während der Rainfarn in der Vegetationsperiode (1986). einen deutlich höheren Inidviduen-Besatz aufweist, enthalten die überwinternden Beifuß-Stengel 856 Insekten, die Stengel des Rainfarns dagegen "nur" 1.9.2.1 Agrotope als Reservoir 304 Individuen. Die überragende Bedeutung der von Schad- und Nutzorganismen genannten Ruderalstauden als Reservoire für para- Als "Schädlinge" eingestufte Tierarten angrenzen- sitisch bzw. räuberisch lebende "Schädlingsvertil- der landwirtschaftlicher Nutzflächen werden von ger" wird durch folgende Aufschlüsselung zwischen ihren "Gegenspielern" mit als Nahrungsressource Phytophagen, Parasiten und Episiten (Räuber) be- genutzt. Der Großteil der in den Agrotopen (bzw. legt (Tab. 1/34, S. 183). Feldhecken, Waldmänteln etc.) lebenden Tierarten Ob die Freßfeinde von Schadinsekten in der Lage gehört weder in die Kategorie der Schad- noch der sind, deren Populationszunahme entscheidend zu Nutzorganismen im eigentlichen Sinn ("indifferente verhindern, hängt u.a. auch vom Vorhandensein Arten"). wildkrautreicher Bestände zwischen den Kultur- Die Rolle dieser "Indifferenten" ist noch weitgehend pflanzen insbesondere in der Phase der sommerli- unerforscht; nach dem jetzigen Kenntnisstand neh- chen Nahrungsdepression ab: "In der Zeit, da die men viele unter ihnen als Wirt oder als Beute von Schwarze Bohnenlaus zu den Feldbiotopen fliegt, ist landwirtschaftlichen Nutzorganismen eine entschei- Lysiphlebus fabarum, ihr Hauptparasit, hier beson- dende Funktion im Agrarökosystem ein. Dazu ge- ders auf Wurzelblattläuse konzentriert, die in Reser- hört z.B. der weitaus größte Teil der bekannten voirbiotopen auftreten. Anfangs wird deshalb die Blattlausarten. Für den Aphidophagenkomplex Blattlaus von der Blattlaus-Schlupfwespe nur in den ("Blattlausfresser") fungieren sie jeweils als Winter- Reservoirbiotopen benachbarter Feldränder befal- bzw. Frühjahrsnahrung (wichtig vor allem für den len, von wo sich der Parasit ausbreitet, und erst rechtzeitigen Populationsaufbau) und/oder als später wird sie auf der gesamten Fläche befallen, wo "Ausweichnahrung" (wichtig bei Beutemangel in der Parasit bei Zunahme der Blattlauspopulation der Hauptvegetationszeit) (vgl. Kap.1.9.2.3, S.184). beträchtliche Wirksamkeit erlangen kann" (HO- DEK 1962: 45). Parasitäre Hautflügler wie z.B. Schlupfwespen, Erz- Bei den Schwebfliegen (Syrphiden) wird die Wirk- wespen, Brackwespen, Zehrwespen und Aphidien, also wichtige "Nützlinge" im Sinne des Biologi- samkeit gegenüber Blattlauskolonien wesentlich durch die Nahrungsökologie der Imagines beein- schen Pflanzenschutzes, besuchen als Imagines häu- flußt. Vor allem in den Anfangsstadien des Befalls fig Blüten. Eine Bestandsaufnahme parasitischer der Kulturpflanzen durch die Blattläuse treten die Hymenopteren an Grasrainen und Heckensäumen Schwebfliegen am zahlreichsten in den angrenzen- erbrachte allein für die Wilde Möhre (Daucus caro- ta) 68 verschiedene Arten mit annähernd 600 Indi- viduen (HASSAN 1967). Die Wirtstiere dieser Hautflügler(larven) sind in der Regel phytophage Tabelle 1/34 Arten (z.B. Blattläuse) der Äcker, die aber nur bei ausreichender Begleitvegetation auf Rainen, Flur- Rainfarn (Tanacetum vulgare) und Beifuß (Artemisia wegen usw. in größerer Dichte vorhanden sind. vulgaris) als Reservoir für Schädlingsvertilger (nach KLAUSNITZER (1968) belegt die herausragende KLAUSNITZER 1968) Bedeutung der an Wegrändern sehr häufigen Ru- deralstauden Tanacetum vulgare (Rainfarn) und Ar- temisia vulgaris (Gewöhnlicher Beifuß) als Lebens- stätte einer Vielzahl räuberisch und parasitär leben- Rainfarn (Tanacetum vulgare) der Insekten. Insgesamt konnten am Rainfarn min- Pflanzenfresser (Phytophage) 73 Arten destens 145, am Beifuß 134 Insektenarten nachge- wiesen werden. Einzelne Rainfarn-Exemplare wa- Parasiten 46 Arten ren von nahezu 830 Insekten-Individuen befallen. Räuber (Episiten) 26 Arten Dabei lebten an einer Pflanze gleichzeitig folgende Organismen: Beifuß (Artemisia vulgaris) -im Blütenstand: eine Kolonie Blattläuse (gleich- Phytophage 79 Arten zeitig Treffpunkt von Ameisen, Marienkäfern, Zweiflüglern und Schwebfliegen); Parasiten 42 Arten - in den Blütenköpfen: Gallen von Gallmücken; Episiten 13 Arten - auf den Blättern: besetzt mit einer Kolonie von Röhrenläusen (diese wiederum prädadiert von

183 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen den Rainbiotopen auf. Von Bedeutung sind in diesem Entscheidend ist, daß die Prädatoren in landwirtschaft- Zusammenhang auch die optischen Wirkungen vor lichen Kulturen gegenüber ihrer Beute einen Entwick- allem der auffällig rot- bis blauviolett blühenden lungsvorsprung erringen. Agrotope spielen hier (zu- Körbchenblütler (z.B. Centaurea jacea, Cirsium-Ar- sammen mit Feldhecken) eine wichtige Rolle sowohl ten u.a. mehr). - als Nahrungsressource für die erwachsenen Stadi- In Weinbaugebieten ist unter dem Aspekt der biologi- en; schen Schädlingsbekämpfung vor allem den Parasiten - als Reservoir von Wirten und Beutetieren für die (hauptsächlich Schlupfwespen, Erzwespen, einige Larvenstadien sowie Fliegen-Familien, z.T. auch parasitische Pilze) größere - als temporäre Refugien*. Bedeutung beizumessen. Deren "praktische Lei- stungsfähigkeit" hängt ganz wesentlich von der Zahl Untersuchungen von HODEK (1962) zur Überwinte- der potentiellen Wirtsarten ab. Für eine effektive bio- rung von Coccinelliden (Marienkäfer) erbrachten Aus- logische Bekämpfung scheinen vor allem Parasiten sagen zum Migrationsverhalten von Coccinella sep- geeignet, die auf ein oder allenfalls sehr wenige Schad- tempunctata (Siebenpunkt). Die in Kulturökosyste- organismen fixiert sind. Die Larven des als "Heu- und men häufige Art überwintert an "Stellen, welche die Sauerwurms" bekannten Traubenwicklers (Clysia am- kultivierten Flächen unterbrechen, und zwar am häu- biguella) werden von über einhundert Arten von Para- figsten in Feldrainen, Brachflächen, Windschutzstrei- siten prädatiert, die wiederum größtenteils vom Vor- fen und Waldrändern" (HODEK 1962: 43). handensein "ökologischer Zellen" im Weinberg ab- Die Imagines der neuen Marienkäfer-Generation hängig sind. Parasiten des "Springwurms" (Larve vom schlüpfen meist bis zur Periode des "Populations- Springwurmwickler Sparganothis pilleriana) haben tiefs" der Blattläuse aus und übersiedeln von den bisweilen sogar große Kalamitäten zusammenbrechen Feldern auf Raine und sekundäre Wirtspflanzen, wo lassen. So vermag die Fliege Staurochaeta vibrissata sie Reserven zur Überwinterung ansammeln. Oft allein bis zu 60 % der Springwurmlarven zu vertilgen. finden die Käfer gleich nach dem Verlassen der Bei einer pfälzischen Kalamität um 1903 waren in Winterlager ihre Beute in unmittelbarer Nähe des manchen der traditionell bewirtschafteten, mit Klein- Winterquartiers, so z.B. auf rainständigen Kümmer- biotopen durchsetzten Weinbergen bis zu 90 % der exemplaren vom Pfaffenhütchen (Euonymus euro- Springwürmer mit Raupenfliegen und Schlupfwespen paeus). parasitiert (DEIXLER & RIESS 1978). Weniger vagile Arten unter den Schädlings-Präda- toren wie z.B. entomophage Laufkäfer profitieren 1.9.2.2 Agrotope als "Relais" für bei ihrer (Frühjahrs)wanderung vom Überwinte- mobile Breitbandprädatoren rungsquartier in das Feldinnere (vgl. Abb. 1/70, S. 185) von einem engmaschigen Agrotop-Netz, das Eine Reihe von Landwirtschaftsschädlingen haben ihnen erlaubt, einerseits das Nahrungsangebot der sich als sehr bewegliche Langstreckenwanderer erwie- Äcker zu nutzen, andererseits den raschen Rückzug sen, die aus z.T. weit entfernten Überwinterungsquar- in nahegelegene geschützte Bereiche ermöglicht tieren bzw. "Überwinterungswirten" in landwirtschaft- (vgl. auch Kap. 1.5.3.1 u. Kap. 1.5.3.4). liche Kulturen einwandern und dort in relativ kurzer Zeit große Populationen aufbauen können. Das heißt, 1.9.2.3 Schädlings-Nützlingsdynamik Nützlinge, die im Sinne des Biologischen Pflanzen- am Beispiel der Blattlaus-Prädatoren schutzes wirksam sein wollen, müssen mindestens ebenso flexibel und beweglich sein wie ihre Beute. Das Problem der zwischen Agrotopen und Feldkul- Diese Voraussetzung erfüllen eine Reihe von Entomo- turen ablaufenden "Schädlings-Nützlings-Dyna- phagen-Gruppen ("Insektenfresser"), z.B. mik" beleuchtet bereits HODEK (1962) am Beispiel -Marienkäfer (COCCINELLIDAE) mit Vertretern der von Blattlaus-Kalamitäten in Rübenfeldern. Danach Gattungen Coccinella, Calvia, Adalia u.a.; sollte nicht die Menge der überwinternden - Schwebfliegen (SYRPHIDAE) mit Vertretern der Blattlauseier auf den primären Wirtspflanzen (wie Gattungen Episyrphus, Syrphus etc; z.B. dem Pfaffenhütchen) maßgebliches Kriterium für den Einsatz von Insektiziden sein, sondern die - Weichwanzen (MIRIDAE), z.B. Atractotomus- oder "Feststellung des Verhältnisses der Blattläuse zu Deraeocoris-Arten; ihren natürlichen Feinden zur Zeit des beginnenden - Florfliegen (CHRYSOPIDAE): Chrysopa-Arten. Befalls der Rübenfelder" (HODEK 1962: 48). Die Die meisten Vertreter dieser Insektengruppen können wichtigste Maßnahme zur gezielten Förderung der ein breites Spektrum an Beutearten nutzen ("poly- Prädatoren liegt in der Sicherung der Überwinterung phag"); sie sind beweglich, z.T. sogar ausgesprochene und der Nahrungsquellen. Die Blattlausfresser mi- "Langstreckenwanderer"; sie sind relativ euryök und grieren bereits gegen Ende des Sommers vom Feld sie sind zum großen Teil multivoltin (d.h., sie können weg zu den Rainen oder zu anderen nächstgelegenen in einem Jahr in mehreren Generationen auftreten). nicht kultivierten Flächen.

* Gemeint ist die Refugialfunktion von Agrotopen im zeitigen Frühjahr (auf den Feldern kein Beuteangebot, noch kaum Eiweiß- bzw. Kohlehydratquellen in Form von Pollen, Nektar, Honigtau). Beim "Ernteschock" im Aug./Sept. sowie nach Pestizidausbrin- gungen stellt sich die Situation ähnlich dar.

184 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/70 Entomophage Laufkäfer auf ihrer Früh- jahrswanderung ("spring dispersal") vom Überwinterungsplatz in die Getrei- defelder Auswertung von Fallenfängen (WRATTEN & POWELL 1991)

Die fortschreitende Zusammenlegung der Feld- Wahrscheinlich erzeugt eine größere "Bandbreite" schläge und die Vernichtung von "Saum- und verschiedenartiger ökologischer Bedingungen ("Ha- Zwickelbiotopen" verringert die potentiellen Win- bitatvielfalt") in der Kulturlandschaft auch eine stär- terlager ganz erheblich. So fordert HODEK (ebd.) kere zwischenartliche Konkurrenz innerhalb der bereits Anfang der 60er Jahre, das Brachflächenpo- Schadorganismen und verhindert auf diese Weise tential keinesfalls zu vernichten, sondern viel- wirksam das "Überhandnehmen" einzelner Arten. mehr "(...) neue derartige Stellen zu schaffen - dies auch im Zusammenhang mit den neuen Aufga- ben [!] der Gesundung der Landschaft." Gefordert 1.9.3 Bedeutung für die wird die Betrachtung der gesamten Biozönose der abiotischen Ressourcen (Naturgüter) einzelnen Feldkultur. So ist z.B. der pollen- und nektarspendende Pflanzenbestand am Rain, der zu- gleich Wirtspflanzen für zahlreiche indifferente Aufgrund ihrer (potentiell) hohen Raumdurchdrin- Blattlausarten stellt, für die gesamte Agrarbiözö- gung und schlagweisen Kompartimentierung sind nose von ausschlaggebender Bedeutung: Agrotope i.w.S. (einschließlich Hecken) ein zentra- les "Organsystem" der Landschaft zur Steuerung • Blühende Pflanzengürtel ziehen adulte Schweb- horizontaler Verlagerungsprozesse (Bodenerosion). fliegen an, die damit in den umliegenden Feldern Für die zentralen Ressourcen Wasser und Boden schon vor dem Massenbefall von Kulturschäd- sind Agrotope eine Filter-, Brems- und Rückhal- lingen große Populationen aufbauen können. te-Infrastruktur. Auch das Windfeld und der Wär- • Wirtschaftlich belanglose Blattlausarten auf rain- mehaushalt der bodennahen Luftschicht werden ins- ständigen Pflanzen sind Nebenwirte einiger besondere von reliefaufteilenden Agrotopen be- hochwirksamer Arten parasitischer Schlupfwe- einflußt. spen (z.B. Gegenspieler der Schwarzen Bohnen- blattlaus). Diese abiotischen Steuerungsfunktionen setzen na- türlich merkliche Flächenanteile und "Maschen- Anknüpfend an die Untersuchungen von HODEK dichten" voraus. Die Randlinienlänge kann schon (1962) stellen nach MÜLLER (1986) die an Disteln bei relativ geringen Agrotopflächenanteilen (in in- vorkommenden Vertreter der Aphis fabae-Gruppe tensiv genutzten Ackerlandschaften üblicherweise (Schwarze Bohnenblattlaus) ein eigenes, in seiner kaum mehr als 3%) ganz beträchtlich sein. Wirtswahl auf Disteln spezialisiertes Taxon dar In "durchschnittlich intensiv" genutzten Bereichen (APHIS FABAE CIRSII-ACANTHOIDES). Das heißt, fand KLEYER (1991) 3,7% und in relativ extensi- Ackerdistelbestände können nicht mehr länger ven Landschaftsteilen rund 7% ausdauernd bewach- als "Brutstätten" für schädliche Blattlausarten sene Fluranteile, die weitgehend mit dem Agrotop- angesehen, sondern müssen vielmehr als erwei- system gleichgesetzt werden können. terte Nahrungsbasis für landwirtschaftlich wich- tige "Blattlausfeinde" betrachtet werden. Vo n es - In durchrationalisierten Höchstertragsgebieten kann sentieller Bedeutung ist dies vor allem für bestimmte dieser Flächenanteil auf wenige Promille zurückge- Marienkäfer-Arten, die nach dem Zusammenbruch hen. Doch ist auch hier ein potentielles Rainnetz von von Blattlauspopulationen in Feldkulturen dringend 2-5 % der LN selbst bei höheren Schlaggrößen kei- auf "Ausweichbeute" angewiesen sind.* neswegs eine Utopie, wenn man jeden Schlag auf 2 (längsseitige) Raine "verpflichtet" (vgl. Kap. 4.2.1.2). Blattläuse werden indes nicht nur von "Räubern" (siehe Marienkäfer-Arten) attackiert, sie stehen Die folgenden Unterkapitel heben einige Bedeu- auch einer Phalanx von Parasiten und Hyperparasi- tungsaspekte für Mikroklima, Wasserhaushalt und ten gegenüber (s. Tab. 1/ 35, S. 186). Bodenschutz heraus.

* Zur praktischen Bedeutung der Phytophagen-Komplexe für eine umweltverträgliche Landwirtschaft vgl. auch VÖLKL 1986, VÖLKL & KELLER 1991.

185 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/35 Wichtige Parasiten und Hyperparasiten von Blattläusen (WRATTEN & POWELL 1991)

Parasiten Hyperparasiten

BRACONIDAE (Brackwespen) MEGASPILIDAE Aphidius rhopalosiphi Dendrocerus carpenteri Aphidius picipes Aphidius ervi CYNIPIDAE, CYNIPOIDEA (Gallwespen) Praon volucre Phaenoglyphis villosa Ephedrus plagiator Alloxysta victrix Toxares deltiger Alloxysta macrophadna APHELINIDAE, CHALCIDOIDEA (Erzwespen) PTEROMALIDAE, CHALCIDOIDEA

1.9.3.1 Mikroklima Rohbodenpioniere zeichnen sich durch ihr oft einige Meter tief reichendes, immer wieder neu austreiben- Hangterrassen, Trockenmauern, z.T. auch Steinrie- des Wurzelsystem aus. So können Kriechquecken- gel können bei entsprechender Exposition trocken- Rasen auf nährstoffreichen Böden jährlich mehrere warme Klimainseln inmitten kälterer und feuch- Quadratmeter durchwurzeln. Damit üben sie eine terer Areale ausbilden. Aufgrund der hohen Wär- nicht zu unterschätzende "Heilfunktion" in hochbe- mespeicherung bei Tage erfolgt in den frühen lasteten Intensivlandschaften aus (vgl. MÜLLER Abendstunden eine starke Ausstrahlung, die die 1978). Auf nahezu ebenen Flächen können entspre- Umgebungstemperatur merklich ansteigen läßt. Im chend intensiv durchwurzelte Flachraine vergleich- traditionellen Terrassen-Weinbau wird dieser Effekt bare Funktionen übernehmen (vgl. STÖSSER 1974; zur Verbesserung der Wärmekapaziät von Boden RÖSER 1988). und bodennaher Luftschicht seit Jahrhunderten ge- nutzt (vgl. Kap. 1.3.2). 1.9.3.3 Bodenschutz

1.9.3.2 Wasserhaushalt Ihren wesentlichsten Beitrag zur Bewahrung der unbelebten Naturgüter leisten die Agrotope beim Alle relief- und hangunterteilenden Agrotope, also Bodenschutz. insbesondere Ackerterrassen, Ranken, Steinriegel, aber auch schon niedere Raine Unter natürlichen Verhältnissen wären in Mitteleu- • lenken das naturgegebene Wasserabflußsystem ropa lineare Bodenabträge* im wesentlichen auf um; Hochwasserereignisse beschränkt. Die Bodenneu- • verlängern im allgemeinen die Fließlängen des bildung würde den Bodenabtrag sogar um einiges Oberflächenabflusses bis zum Vorfluter; übertreffen. Wenn heute auf beträchtlichen Flächen • erhöhen das Gesamt-Einsickerpotential der Flur Bodenabträge als Folge von Erosionsprozessen stär- durch Vermehrung relativ ebener Bereiche (Ter- ker sind als die Bodenneubildungsrate, so hängt dies rassen) und durch die stark verbesserten Ver- eng mit der Umgestaltung der Agrarlandschaft sickerungsmöglichkeiten in lockeren Stein- durch den Menschen zusammen (KARL 1981: 55). packungen und wenig verdichteten (pflugsoh- lenfreien!) Rainbereichen; Bereits in früheren Jahrhunderten unterlagen Acker- • erhöhen damit indirekt die agrarökologisch baugebiete, vor allem aber Weinbaulandschaften ei- wirksame Wasserverfügbarkeit der Flur und tra- ner z.T. außergewöhnlich hohen Bodenerosion, die gen damit zur besseren Überbrückung von erst durch Terrassierung auf ein erträgliches Maß Trockenperioden bei, sie vergleichmäßigen also verringert wurde. So errechnet BREIDER (1968) für den Wasservorrat der landwirtschaftlichen Nutz- ein Weinbaugebiet im Oberen Muschelkalk im Ver- flächen. lauf von 1.000 Jahren pro ha Anbaufläche einen erosionsbedingten Bodenverlust zwischen 3.000 Darüberhinaus können auf Ranken oder Steinwällen und 8.000 m3 (vgl. Kap. 1.3.1.3). Ein Beweis für die stockende Tiefwurzler die in die tieferen Boden- Bodenerosion in der Vergangenheit sind auch die schichten verfrachteten Nährsalze aus dem Boden z.T. mächtigen Auelehmablagerungen in den herauslösen und damit die Belastung des Grundwas- Flußtälern ackerbaulich genutzter Hügelländer und sers verringern. Insbesondere Erstbesiedler und Mittelgebirge. Daß große, auf der Gesamtfläche ero-

* Bodenabträge werden unterschieden in flächenhafte Erosion (schleichender, kaum erkennbarer Abtrag) und linienhafte Graben- erosion (erfolgt plötzlich, richtet oft spektakuläre Schäden an) (AID 1985b).

186 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen sionsgeschädigte Gebiete dennoch selten vorkamen, nicht einsickern kann (QUIST 1986). Agrotope dafür sorgten "die enge Gemenglage von Wald, bremsen den Oberflächenabfluß und verlangsa- Hecken, Acker, Grünland und Brache und die men so die Abtragungsvorgänge: In hängigem damit zusammenhängende starke landschaftliche Gelände verlaufen (verliefen) die Längsgrenzen der Gliederung" (KARL 1981: 56). Besitzparzellen in der Regel ebenso isohypsenparal- lel** wie die Bearbeitungsrichtung der Felder, die Für die eher extensiv bewirtschafteten Gebiete Ackerterrassen bzw. Raine, Lesesteinstufen, Hek- Klumpbrunn und Wollsberg (Löß-Hügellandschaft) ken etc. Zusammengenommen ergibt dies ein Sy- konnte in den letzten 40 Jahren ein mittlerer Boden- stem mit erheblicher erosionsmindernder Wirkung abtrag von allenfalls 10 t/ha u. Jahr ermittelt werden. (s. Abb. 1/72, S. 188). Dagegen zeigten die verhältnismäßig intensiv ge- Als Indiz für diese Wirkung nennt HAHN (1985) die nutzten und stufenrainarmen Untersuchungsgebiete jeweilige Stufenhöhe ("Sprunghöhe"), welche die Friesentaler Grund und Bonartshäuser Hof mit 32 Terrassen mit zunehmendem Gefälle erreichen (s. bzw. 41 t/ha u. Jahr wesentlich höhere Abtragsraten Abb. 1/73, S. 189). (CLEMENS 1989, zit. in KLEYER 1991: 29). Stufenraine verkürzen nicht nur die wirksamen Als die wesentlichsten Faktoren für den heutigen Hanglängen, sondern verkleinern auch sukzessive Bodenabtrag gelten die Neigungswinkel. Das heißt, die Flächen (Terras- • die Umgestaltung des Kleinreliefs, insbesondere sen) zwischen den Ranken werden "immer ebener", die Beseitigung von Hangterrassen und hangpa- bis der Erosionsprozeß praktisch "stillsteht" (vgl. rallelen Rainen im Rahmen der Flurbereinigung RICHTER 1965). Das Erosionsmaterial wird nicht (vgl. Kap. 1.11.1.1.1 u. 1.11.1.1.2, S. 208f.); mehr bis zum Hangfuß transportiert, sondern ledig- • die im Zuge neuer Flureinteilungen zunehmen- lich bis zur nächsten Stufe, wo eine neue "Akkumu- den Hanglängen; lationsbasis" entsteht. Ein Lesesteinkern kann die- • die Vergrößerung der Gewanne und die von der sen Vorgang noch wesentlich verstärken (siehe auch neuen Gewannform vielfach erzwungene Be- Kap. 1.1.2, Kap. 1.1.5 und Kap. 1.6.2.1). wirtschaftung in der Hang-Fallinie; Neben Ranken und Lesesteinstufen tragen auch • die Ausweitung des Ackerbaus (insbesondere sämtliche anderen landschaftsgliedernden Klein- des Maisanbaus) auf stark erosionsgefährdete, und Faserbiotope (Wegraine, Waldrandstufen, in die vormals grünlandgenutzte Hanglagen. Ackerflur eingestreute Bracheparzellen u. dgl.) zur Verminderung der Bodenerosion bei. Die am meisten erosionsgefährdeten "Defizitberei- che" in Bayern benennt ausführlich Kap. 3.3.3. Vor Bedeutung hinsichtlich Winderosion allem dort sind gliedernde und erosionsbremsende Bodenabtrag durch Wind trägt ebenso wie Wasser- hangparallele Ackerterrassen- und Rankensysteme erosion zum Verlust von humosem Oberboden bei. von entscheidender Bedeutung für die Erhaltung der Bei grobskelettreichen (steinigen) Böden führt das Bodenfruchtbarkeit, den Schutz von Grundwasser selektive Ausblasen der Feinbestandteile zu einer und eintragsgefährdeten Oberflächengewässern. relativen Steinanreicherung bis zur Ausbildung ei- nes "Steinpflasters". Empfindliche Kulturpflanzen- Bedeutung hinsichtlich Wassererosion bestände (z.B. junge Saaten) können durch Über- Der jährliche Bodenabtrag in t/ha (A) ist abhängig deckung und Windschliff ("Sandstrahlgebläse") von der Niederschlagsintensität (R), der Bodenero- dauerhaft geschädigt oder gar vernichtet werden. dierbarkeit (K), der Hanglänge (L), der Hangnei- Zur Winderosion kommt es insbesondere bei gung (S), der Bewirtschaftung (C)* sowie von ge- • troffenen Erosionsschutzmaßnahmen (P). Daraus ungenügender Bodenbedeckung (spät bestellte Feldschläge, spät deckende Kulturen wie z.B. ergibt sich folgende Gleichung für den Bodenabtrag Mais, Rüben); (WISHMEIER & SMITH 1978; zit. nach VOGL & • SCHWERTMANN 1988): bei trockenen Böden mit erosionsanfälligen Korn- größen (vor allem Fein- und Mittelsandfraktion A = R . K . L . S . C . P zwischen 0,1 und 0,5 mm Durchmesser) bzw. stark zersetzten Moorböden; Die Einzelfaktoren der Gleichung erläutert Abb. • bei kritischer Windgeschwindigkeit (ab etwa 5 1/71, S. 188. m/sec. geraten die Körner der Fein- und Mittelsand- fraktion in Bewegung und werden verblasen). Die Bodenverluste sind überdies abhängig von der Anbaufrucht: z.B. weist jährlicher Maisanbau eine Agrotope im engeren Sinn (Gras- und Krautraine) um 60% höhere Bodenabtragsrate auf als Zuckerrü- können nur sehr beschränkt Funktionen bei der Be- ben. Beim Getreidebau kommt es im Winterhalbjahr kämpfung von Winderosion wahrnehmen. Entschei- zur Erosion, wenn der Boden gefroren oder wasser- dend sind eine Stabilisierung der Bodenoberfläche gesättigt ist. Ebenso ist im Frühjahr mit starkem auf breiter Front und eine wirksame Bremsung des Abtrag zu rechnen, wenn der Boden zwar trocken, Windes (z.B. durch Rückführung stark verwehungs- aber oberflächlich verkrustet ist, so daß das Wasser gefährdeter Ackerlagen in Grünland; durch senk-

* C-Faktor entspricht Bearbeitung und Bodenbedeckung. ** Quer zum Gefälle verlaufend (Isohypse = geogr. Verbindungslinie zwischen Orten mit gleicher Meereshöhe).

187 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/71 Faktoren der Bodenabtragsgleichung (VOGL & SCHWERTMANN 1989: 128)

Abbildung 1/72 Isohypsenparallele Besitzgrenzen ver- mindern die Bodenerosion; gez. nach Top. Karte 6032 ("Scheßlitz") recht zur Hauptwindrichtung angelegte Schutzstrei- Niedermoore (z.B. Donaumoos, Niedermoor-Rand- fen, Hecken, Knicks) (AID 1985b). Aufgrund der bereiche der Münchner Schotterebene). Wind- vorherrschenden Topographie und Bodenverhält- schutzziel ist vorrangig die Herabsetzung der Wind- nisse spielt die Winderosion in Bayern freilich nur geschwindigkeit durch eine Erhöhung des Luftwi- eine geringe Rolle. Betroffen sind allenfalls wenig derstandes ("Rauhigkeit"). kohärente Böden, z.B. trockene Lößauflagen in den Gäulandschaften, die (Flug)sandgebiete in den Erreicht wird dies durch flächig über die Flur ver- schwach reliefierten Becken und Senken und die teilte, gehölzbestockte Breitraine mit einer mög- organischen Böden degenerierter (entwässerter) lichst unregelmäßigen ("durchblasbaren") Firstlinie

188 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

1.9.4 Landschaftsbild, landschaftliche Eigenart

Agrotope bestimmen als Lineatur oder inneres Kon- turensystem das Erscheinungsbild der Flur. Sie ma- chen die Flurform, also den jeweils landschaftstypi- schen Bauplan der Flur, erst richtig erlebbar. "Ge- brauchslandschaft" wird so zur eigentlichen Kultur- landschaft. Agrotope unterteilen, gliedern, kammern agrarische "Großlandschaften" zu überschaubaren Räumen, die dem Betrachter neben optischen Reizen zugleich Sicherheit und Geborgenheit vermitteln. Damit tra- gen Agrotope entscheidend zum seelischen Wohlbe- finden des Menschen bei. In einer Zeit, in der land- wirtschaftlich genutzte Flächen meist keine Aus- flugsziele mehr darstellen, sondern lediglich zur Abbildung 1/73 Erreichung attraktiverer Ziele möglichst rasch Sprunghöhe von Geländestufen in Beziehung zum Ge- durchquert werden, eröffnet dieser Aspekt neue Per- fälle (HAHN 1985: 93) spektiven (vgl. ASSEBURG 1985). Schon wenige Dezimeter breite, hochgrasbewachse- ne Schmalraine mit relativ geringer biologischer (J. MÜLLER 1989) (vgl. auch LPK-Band II.12 Bedeutung übernehmen eine gewisse visuelle Struk- "Hecken und Feldgehölze", Kap. 1.9.2.3). turierungsfunktion. Mögliche Zielkonflikte Stufenraine spiegeln durch ihren Verlauf, ihre Höhe Unter dem Gesichtspunkt des abiotischen Res- und ihre Dichte nicht nur Gefällsrichtung und Steil- sourcenschutzes, insbesondere der Bekämpfung heit der Landschaft wider, sondern verdeutlichen von Winderosion mag die Forderung nach einem auch unmerklich ablaufende Vorgänge der Boden- höheren Bestockungsgrad für Gras- und Krautraine erosion. Die jeweilige "Eigenart" der Landschaft (s.o.) zu rechtfertigen sein. Im Einzelfall kann dies wird also nach außen hin sichtbar und präsent jedoch zu erheblichen Zielkonflikten zwischen dem (GLASHAUSER & WÖLFL 1992, vgl. HERIN- oben genannten "allgemeinen Ressourcenschutz" GER 1980). So verleihen Ackerterrassen mit weni- und zentralen Forderungen des Arten- und Biotop- gen tiefbeasteten Eichen und sparsam "hingetupf- schutzes, u. U. auch des "ästhetischen Ressourcen- ten" Gebüschgruppen der manchmal etwas herben schutzes" (siehe Kap.1.9.4, S.189) führen. Tertiärlandschaft weitaus mehr Reiz als etwa lehr- buchhaft aufgebaute Windschutzstreifen oder gar Wie bereits mehrfach erwähnt, ist ein Großteil ins- blockartige Anpflanzungen. besondere der seltenen bzw. stark rückläufigen Ar- ten auf Bereiche lokaler Bodenerosion (siehe vege- Blütenreiche Wegraine können die Erlebniswirk- tationsarme Rohböden, Hangabbrüche, Steinrut- samkeit einer ansonsten reizarmen Ackerlandschaft schen, feinerdearme "Skelettböden" u. dgl.) drin- erheblich steigern: Aufgrund ihrer Kontrastwirkung gend angewiesen. Bei Artenhilfsmaßnahmen steht zu den angrenzenden Nutzflächen kommt den bunt- die Erhaltung und Neuschaffung solcher Standorte blumigen Randstreifen eine herausragende ästheti- häufig sogar im Mittelpunkt. sche Bedeutung zu. Der phänologische Kalender ist vielerorts nur mehr hier erlebbar: "Beginnend mit Daneben kollidiert eine starke "Linearisierung" der dem Barbarakraut im April, über Malven, Glocken- Landschaft (besonders ausgeprägt bei manchen blumen, Thymian, Dost, Flockenblumen, Gras- und "Windschutzstreifen") mit spezifischen Habitatan- Heidenelke im Hochsommer bis zu Greiskräutern sprüchen einiger Offenlandarten, die z.T. ein hinder- und Storchschnabelarten im Herbst blüht und duftet nisfreies Sichtfeld brauchen (alle Wiesenbrüter) der Wegrand das ganze Jahr" (BELLER 1985: 58). oder die aufgrund ihres Bewegungsmusters bzw. ihres Territorialverhaltens hochwüchsige Hecken- Darüberhinaus geben selbst nur wenig erhöhte Feld- zeilen als "optische Barrieren" empfinden (z.B. und Wegraine den Hängen eine "plastische Wirkung Feldlerchen, möglicherweise auch Schmetterlinge und verleihen der Landschaft ein charakteristisches u.a. Artengruppen - vgl. Kap. 1.5.3.3). Gepräge" (WALZ 1978: 1132). Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß gera- Die folgenden Merkmale kennzeichnen das alte We- de die von der Winderosion am stärksten betroffenen genetz einer Dorfflur im Niederbayerischen Tertiär- Landschaften (z.B. Donaumoos) ihren gegenwärti- hügelland (vgl. GLASHAUSER & WÖLFL 1992: gen Zustand nicht so sehr einer "Ausräumung", son- 57 ff.): dern vielmehr äußerst massiven Eingriffen in den • Sternförmige Erschließung der Ackerflur auf Boden- und Grundwasserhaushalt "verdanken". dem kürzesten Weg vom Dorf aus, wobei die Eine bloße "Kammerung" durch Raine, Wind- Wege oft im spitzen Winkel die Parzellen durch- schutzstreifen, Gehölzinseln u.ä. "Biotopbausteine" schneiden; kann zwar zu einer optischen Verbesserung führen, • Steigerung der Topographie: die Wegtrasse stellt aber keinesfalls eine "Reparatur" oder gar nimmt selbst kleinste Geländebewegungen, "Heilung" der eigentlichen Landschaftsschäden dar. Mulden und Rücken auf;

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• Anstieg der steileren Talhänge bevorzugt auf Doch nicht nur Blütenfülle, Farben- und Formen- kürzestem Wege senkrecht zu den Höhenlinien, reichtum beeindrucken, sondern schon allein die daher oft Hohlwege ausformend; Tatsache, daß die kargen Mauern überhaupt als • leicht geschwungene Wegeführung ohne "Stan- Standort für pflanzliches Leben in Frage kommen: dardkurven aus der Retorte", ohne Geraden und "Eine aus der Mauerfuge sich entfaltende Pflanze rechte Winkel. wirkt ganz anders, als wenn sie am Boden neben anderen Pflanzen steht. Da wird sie zur Persönlich- Die allmähliche Herausbildung der Wegebreiten, keit, wie ein freistehender Baum." (LOHMANN das leicht eingetiefte Profil und die "ausfransenden" 1986: 66). Ränder kennzeichnen das zurückhaltende Erschei- Der Farbton des roten Buntsandsteins oder des hel- nungsbild schwachbefestigter Wege. Abhängig von len Muschelkalks findet sich z.T. in den Grundmau- der Beanspruchung gibt es sämtliche Übergänge ern und Steinbauten der alten Häcker- und Acker- vom nahezu vegetationsfreien Erdweg bis zum bürger-Städtchen am Main wieder. Besonders be- schmalen Wiesenpfad mit hüfthohem Aufwuchs im eindruckende, schon von weitem sichtbare Mauer- Frühsommer. Durch die in der Regel ungeplante, im Landschaften zeigen sich durchgehend am Prall- Laufe der Jahrhunderte eingeschliffene "Trassie- hang des Mains zwischen Zeil und Ebelsbach, z.T. rung" sind diese Wege - vergleichbar der Nervatur allerdings durch eine schrankenlose Siedlungstätig- eines lebendigen Organismus - zum integralen Be- keit visuell bereits stark beeinträchtigt (z.B. Neu- standteil der landwirtschaftlichen Flur geworden. bausiedlung von Ebelsbach!). Von der berühmten Schon die Farbe der Wegdecke entscheidet ganz "Fischgrät"-Anlage von Steinbach-West ("Pfaffen- wesentlich über die landschaftliche Einpassung. Je- berg") mit schräg auf die Treppen zulaufenden Mau- der Naturraum läßt am Weg "Fundstücke" zurück: erzügen sind nach einer heiß umstrittenen Rebflur- Da gibt es den gelblichen Kies im Bereich der Schot- bereinigung heute nur noch wenige Teile im Origi- terplatten und im Tertiärhügelland, die blendend nalzustand erhalten. Die klingenberger Mauerter- weißen Malmschotter auf den Jurahöhen, die fahlen rassen ergäben-aneinander greiht - ein 180 km lan- Sande im Mittelfränkischen Becken, die erdigen ges "Steinband". Röt-Tone im Keuper, die anthrazitfarbenen Basalt- schotter in der Hochrhön (...). Nur das an Ort und Ihr jeweils eigenes, charakteristisches Bild verdan- Stelle gewonnene Material bürgt gleichermaßen für ken die fränkischen Weinbaulandschaften insbeson- die "biologische" wie auch für eine gestalterisch dere folgenden Reliefformen (vgl. LEICHT 1985; optimale Einbindung neuer Flurwege bzw. ausge- SCHMIDT 1985): besserter Teilabschnitte. Entsprechend eingefärbte • Eng gestaffelte Terrassen- und Treppensysteme: "Zuschlagstoffe" in Beton-Fertigmischungen müs- vor allem im Buntsandstein der Maintalhänge sen demgegenüber minderwertige, wenn nicht un- (z.B. Gambacher Hänge, Klingenberg) und im taugliche Plagiate bleiben. Kristallinen Vorspessart (z.B. "Apostelgarten" Ob wagentiefe, fast unbewachsene Steilwände mit bei Michelbach); zahllosen Uferschwalbennestern oder kaum durch- • Mächtige, zusammengetragene Steinriegel und dringbares Dickicht aus Brombeerschleppen und Trockenmauern im Muschelkalk: z.T. noch ver- Waldrebe - nicht nur in den alten Weinbergslagen breitet im Taubergebiet; des Kaiserstuhls zählen (zählten) Hohlwege zu den • Kleine Landstufen, die an verschiedene Keuper- visuell eindrucksvollsten Reliefformen. Wie kein schichten gebunden sind: vor allem Steigerwald- anderes Landschaftselement verknüpfen Hohlwege trauf (Linie Bullenheim-Iphofen-Michelau, al- Dorf und Feldflur, führen Natur so unmittelbar in lerdings wurden hier viele Lagen schon früh den Siedlungsraum hinein. totalbereinigt). Im Bayerischen Wald oder in der Hochrhön sind breite, z.T. mit Baumhecken bestockte Steinwälle, 1.9.5 Erd- und Heimatgeschichte im Wechsel mit schmäleren, allenfalls zwerg- strauchbestandenen Riegeln von besonderer land- Eng mit dem Landschaftsbild ist der Aspekt der schaftlicher Bedeutung. Heimatgeschichte verwoben: Die Identifikation mit Bis in den Spätherbst hinein kontrastieren fruchten- "Heimat" setzt das Erkennen eines unverwechselbar de Gehölze wie z.B. die Vogelbeere mit ihren oran- typischen, vertrauten, nicht austauschbaren Land- geroten Trauben auf das reizvollste mit den steiner- schaftsbildes voraus. Dies entspricht den wesentli- nen Wällen, verstreut liegenden Haufen und Fels- chen Merkmalen der traditionellen Kulturland- brocken. Darüberhinaus bieten solche Steinwälle schaft. bei einiger Gelduld gute Gelegenheit zur Freiland- Die Elemente der traditionellen Kulturlandschaft Beobachtung unserer einheimischen Reptilien. Die zeugen von kulturgeschichtlichen Leistungen und erste Begegnung mit Zauneidechsen an besonnten sind daher ein Wert an sich. Sie dienen überdies als Steinplätzen dürfte den Grundstein für so manche Anschauungsobjekte, die lange zurückliegende Ver- spätere Herpetologen-Laufbahn gelegt haben. hältnisse illustrativ, lebensnah und einprägsam an Einen jahreszeitlich oft auffallend wechselnden An- die jüngere Generation vermitteln. Von besonderer blick bieten die Trockenmauern der alten fränki- Lebendigkeit und Sinnfälligkeit sind diese Land- schen Weinberge. Zu den spektakulärsten Farbereig- schaftsstrukturen immer dann, wenn sie in der Ge- nissen im Mai und Juni dürften die mit dem Gold meindeflur nicht nur museales Relikt sind, sondern des Färberwaids geradezu überschütteten Buntsand- in die heutige Landbewirtschaftung einbezogen steinmauern der Gambacher Hänge/MSP gehören. werden können, ohne dabei Schaden zu nehmen.

190 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

1.9.5.1 Agrotope als Leitfossilien der Flur hinterlassen haben, gehört z.B. der "Goldene traditionellen Kulturlandschaft Steig", der dem Salzhandel zwischen dem Fürstbi- stum Passau und dem Königreich Böhmen diente (s. Raine, Steinriegel u. ä. Flurgrenzbiotope vermit- Abb. 1/74, S. 192). Wenige Hohlwegabschnitte und teln oft ein anschauliches Bild von Besitzstruktur vereinzelte Hufeisenfunde geben noch da und dort und Erbrecht innerhalb einer Region, legen Zeugnis Zeugnis vom ehemaligen Verlauf (HEIMATKUND- ab über Anbaubedingungen, Betriebsstruktur und LICHER ARBEITSKREIS WOLFSTEIN 1968). der Art der Landbewirtschaftung früherer Genera- Von ähnlicher überregionaler Bedeutung wie die tionen (vgl. Kap. 1.6). Die Segetalflora der Getrei- "gulden Strass" waren auch der "Rennsteig" im Thü- deäcker, die z.T. nur mehr hier anzutreffen ist, ringer Wald und als einer der bekanntesten der stammt, ebenso wie die Wildformen unseres Getrei- "Rennwege"** die "Hohe Straße" in den Haßber- des, größtenteils aus den Steppengebieten des gen. Ostens oder dem Mittelmeerraum. Die Archäo- Letztere ist seit dem Frühmittelalter als "Hoch- phyten unter den Ackerwildkräutern werden so zu straße" belegt. Wahrscheinlich bis in die frühe Neu- lebenden "Zeugen alter bäuerlicher Wirtschaftsfor- zeit diente sie als Fernverbindung zwischen Hall- men und Kulturen" (SCHUMACHER 1980: 447). stadt b. Bamberg und Sulzfeld (Grabfeld) und weiter Die der bäuerlichen Kultur entstammenden Land- in Richtung Fulda. Die Namen der beiden Aus- schaftselemente sind vorwiegend der Seßhaftigkeit, gangsorte deuten auf ihre Funktion beim Salzhandel dem Boden und dessen Bewirtschaftung verhaftet. hin. Auf das hohe Alter und die herausgehobene Neben den Orts-, Haus- und Flurformen zählen ins- Bedeutung des Weges weist auch die Tatsache hin, besondere auch die alten Wegenetze zu den wirk- daß die Wegetrasse noch im 19. Jh. im Staatsbesitz samsten und relativ beständigen Merkmalen der war und erst um 1870 auf die Gemeinden überging. Kulturlandschaft im Sinne von "Leitfossilien" (vgl. Die Wegeführung ist noch heute in ihrem histori- CONRAD 1975: 49). schen Verlauf erhalten, z.T. sogar noch als unbefe- Setzt man z.B. die vorgefundene Flurstruktur und stigter Erd- und Grünweg (Abschnitt zwischen die Bezeichnungen alter Flurwege zueinander in der Staatsstraße Stettfeld-Baunach und Pettstadt) . Beziehung, so läßt sich mancherorts das relative Vor allem diesem Abschnitt kommt ein "hoher hi- Alter der Wege einigermaßen sicher abschätzen: storischer und denkmalpflegerischer Wert zu, da "Wege, welche im Anstoß der Gewanne verlaufen, Altstraßen dieser Bedeutung nur noch höchst selten keine zusammengehörigen Grundstücke spitzwin- in einem älteren Zustand erhalten sind" (GUNZEL- kelig durchschneiden, zuweilen links und rechts im MANN 1990).**** HABERMANN (1994) belegt Eigentum der Gemeinde liegende größere Raine historische Wegetrassen mit Hohlwegabschnitten aufweisen, sind alte Wege, die bis zur Fluraufteilung um den Auerberg (Landkreis Ostallgau und Weil- bei oder bald nach der Ortsgründung zurückreichen heim-Schangau). (...). Hingegen sind Wege, welche viele Grundstücke Auf die z.T. bemerkenswerte Rolle von Hohlwegen im spitzen Winkel durchschneiden, neueren Ur- in Märchen und romantischen Sagen (siehe "Frei- sprungs, neu im historischen Sinn, sie können also schütz" oder "Wilhelm Tell") soll hier nicht näher schon etliche Jahrhunderte bestehen." (HEIDER eingegangen werden. Noch aufschlußreicher sind 1954, zit. in GLASHAUSER & WÖLFL 1992: 58). die zahlreichen Darstellungen von alten Heer- So lassen sich Wege mit der Bezeichnung "Hoch- straßen, Kirchensteigen und Hohlwegen in den an straße" oder "Ochsenweg"* oft bis in die vorkaro- bestimmte Landschaften gebundenen Volkssagen lingische Zeit zurückführen. Häufig tragen die alten **** Römerstraßen in Bayern derartige Namen (siehe Als "geologische Fenster" eröffnen uns Hohlwege, Kap.1.9.5.2, S.193). aber auch andere Erdaufschlüsse, bäuerliche Diese alten Flurwege sind als Teil alter Verkehrswe- Kleinabbaue etc. die stratigraphischen Serien einer ge heute oft die letzten Zeugen ehemals wichtiger Landschaft wie kaum ein anderer siedlungsnaher Verkehrs- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen Lebensraum. Besonders bemerkenswerte Auf- Dörfern, Regionen, manchmal sogar über Länder- schlüsse des Gipskeupers beschreibt BUSCH grenzen hinweg zwischen fernhandelstreibenden (1967) an Hohlwegen der Steigerwaldrandstufe öst- Staaten. Zu den berühmtesten Beispielen für solche lich und nördlich Altmannsdorf und südlich Falken- länderübergreifenden Handelswege, die bis zum stein - lohnende Objekte nicht nur für den Heimat- heutigen Tag Spuren in der landwirtschaftlichen kundeunterricht von Schulklassen!

* Vgl. "Ochsenstraße" bei Hardt auf der Donauhochterrasse des Regensburger Gäus (ABSP Regensburg: 53). ** Rennweg (von "Rainweg"), also ein Weg entlang von Gebiets-, Territoriumsgrenzen (GUNZELMANN 1992, mdl.). *** Niederschrift über den Ortstermin am 15.3.1990: Im Zuge einer anstehenden Flurbereinigung soll der Weg in verschiedenen Ausbaustufen befestigt werden. Das LfD, Außenstelle Bamberg, kommt mit der FlbDir Würzburg überein, daß der Wegeabschnitt aufgrund seiner erheblichen historischen Bedeutung vor dem Ausbau wissenschaftlich dokumentiert werden soll. Wichtige Wegecharakteristica sollen beim vorgesehenen Ausbau nach Möglichkeit bewahrt bleiben. **** "Früher fuhr das Geisterpaar auch über die Äcker des Pfarrers, und am nächsten Tag sah man die Straße in der Furche. Das verdroß den Herrn [...] stellte das nachtfahrende Paar und befragte es, warum sie nicht wie andere ehrliche Leute auf der Landstraße oder im Hohlweg blieben und verbot ihnen das Abweichen vom Weg." (Aus: BÖCK 1986: 262: Das gräfliche Ehepaar von Natternberg als Nachtgload).

191 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/74 "Die gulden Strass" (HEIMATKUNDLI- CHER ARBEITSKREIS WOLFSTEIN 1968)

Gleichsam am Ende der Produktionskette stehen als landschaft funktionslos geworden und dem Verfall Lagerstätten von Bier und Feldgemüse die Erd- und preisgegeben. Einige Initiativen sind inzwischen um Felsenkeller, die vor allem in Oberfranken (Bam- den Erhalt dieser Anlagen bemüht, wobei neben berger Raum), z.T. aber auch in Mittelfranken und dem Denkmalschutzaspekt auch Naturschutzinte- in der Oberpfalz als "Kellergassen" manchmal gan- ressen ("Fledermausschutz") zum Tragen kommen ze ländliche Straßenzüge präg(t)en. Zur Lagerung (vgl. TÄUFER 1990; BEIERKUHNLEIN et al. boten sich insbesondere die porösen Sandsteine des 1990). Gelegentlich leben aber schon vergessen ge- fränkischen Keupergebietes an (GUNZELMANN glaubte Traditionen wieder auf, wie das Beispiel des 1987). Die eigentliche "Hochzeit" der Felsenkeller "Zoigl-Biers" aus dem oberpfälzischen Falkenberg im Stadtgebiet von Bamberg war der Zeitraum zwi- beweist. Die selbstgebraute, in den zahlreichen Fel- schen 1750 und 1800. Demgegenüber entsteht das senkellern des Ortes gelagerte Bier-Spezialität er- Gros der Kelleranlagen im ländlichen Umfeld z.T. freut sich seit den 70er Jahren wieder großer Beliebt- erst 100 Jahre später (WALTER 1975). Die Keller, heit (ANONYMUS 1992). die auch während des Hochsommers eine Tempera- Aufgeschichtete Lesesteinhaufen und Steinriegel tur von 8° C hielten, waren ursprünglich vor allem künden von der Mühsal des bäuerlichen Alltags zur Lagerung des neu aufgekommenen untergärigen unserer Vorfahren und dem Zwang, den ungünstigen Biers unentbehrlich gewesen. Wo es die Besitzver- Anbaubedingungen beharrlich die eigenen beschei- hältnisse und der geologische Untergrund gestat- denen Möglichkeiten entgegenzusetzen, um aus teten, errichtete man die Keller bevorzugt an nord- dem kargen Boden etwas "herauszuholen". Auch in und nordostexponierten Hängen. Bald erfolgte ein vielen Magerrasen und Heiden erinnern Steinriegel z.T. provisorischer Ausschank, nicht selten folg- und Felsblöcke an die heute oft kaum mehr nach- ten Zusatzeinrichtungen wie Sitzgelegenheiten, vollziehbaren Bewirtschaftungsumstände aus Freiluftbühnen, Kegelbahnen u. dgl. Damit ent- (manchmal gar nicht so lange) zurückliegenden Zei- standen bei allen Bevölkerungsschichten beliebte ten (vgl. auch LPK-Band II.3 "Bodensaure Mager- Naherholungseinrichtungen, die bis ins frühe 20. rasen"). Mit den zutage geförderten Steinblöcken Jh. in ganz Franken stark verbreitet waren ("Som- wird überdies ein kleiner Einblick in die Erdge- merkeller"). schichte der Region gewährt. Heute sind die meisten dieser Kelleranlagen ebenso Althergebrachte Anbauweisen und kaum mehr be- wie viele andere Elemente der historischen Kultur- herrschte Kulturtechniken, wie z.B. der traditionelle

192 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Steillagen-Weinbau können mit Hilfe ihrer sicht- von einer reichen sprach- und damit kulturschöpfe- und erfahrbaren Relikte ("Mauerterrassen") doku- rischen Kraft (vgl. Kap. 1.1). mentiert werden. Vor der Einführung des Katasterwesens dienten die Mühe und handwerkliches Geschick erforderte der Flurnamen vor allem zur Besitz- und Steuerfeststel- Bau von Trockenmauern. Infolge ihrer Persistenz lung; die bäuerliche Bevölkerung gebrauchte sie zur zeugen sie nicht nur im fränkischen Raum von der Bezeichnung ihrer Besitzanteile und zur Orientie- ehemaligen Ausdehnung des Weinbaus, der sich rung in der Feldflur. Vor allem die "Kulturnamen", auch auf Gebiete erstreckte, in denen schon längst die Flurteile nach ihrer Beziehung zum verändern- keine Rebe mehr wächst (vgl. auch Kap. 1.6.1.3). In den und gestaltenden Menschen oder nach früheren dieser Hinsicht handelt es sich bei den Trockenmau- Besitz- und Rechtsverhältnissen benennen, geben ern im wörtlichen Sinn um "Kultur"-Denkmale. zahlreiche Hinweise auf die Nutzungsgeschichte Die Maßnahmen der Weinbergsflurbereinigung, die von Landschaftsbestandteilen (vgl. SCHNETZ in Bayern seit den 50er Jahren erfolgen, haben nur 1963: 57-73). So wird z.B. das Kopfstück eines eine kleine Zahl dieser Anlagen nicht erfaßt (vgl. Ackers, wo der Pflug gewendet wird, als Anwander, Kap.1.11.1.1.2, S.215). Vom bis heute verbliebenen Fürsaum oder Anthaupt bezeichnet; die Stelle, wo Restbestand an historischer Weinbergslandschaft zwei Äcker zusammenstoßen, dagegen Zwerch, hat das Landesamt für Denkmalpflege sechs Wein- Zwierenäcker oder Zwierten*. bergsanlagen für die Aufnahme in die Denkmalliste Der Grasrain, wo Äcker und Wiesen aufeinander- vorgeschlagen (BREUER 1983): stoßen hieß "Somfleck" ("Saumfleck") oder Für- • Apostelgarten nordöstlich von Michelbach/AB saum. Als Grenzzeichen dienten auch Bäume, Stei- (Urgesteinslage, riesige Lesesteinhalden, Mau- ne oder Pfähle, hiervon zeugen noch Namen wie ern und Treppen aus dem 18./19. Jh., Flurhüter- Mal- oder Zielbaum, der Heustein (vgl. "heien") häuschen mit eindrucksvollem Tonnengewöl- oder der Ramstein **. be); Für Hegen und Schonen erscheint gleichbedeutend • Klingenberger Weinbergsterrassen der Lagen das "Heien", wobei das "Hei" oder "Gehai" z.B. für Hochberg, Rauschenberg und Schloßberg/MIL einen gehegten Wald oder für eine Zaun- und Grenz- (eng an die Topographie angelehnt, Gesamtkom- wehr stehen kann. Bei "geheiten Wiesen" war häufig plex gilt als eine der großartigsten Weinbergsan- der Viehtrieb untersagt, nach SCHNETZ (1963) lagen im Buntsandstein; schmale, quergezeilte sind viele "Heuberge" oder "Heuwege" wahrschein- Mauerterrassen beweisen hohe technische Per- lich auf ein Verbot der Weidenutzung oder der Trift fektion); zurückzuführen. • Kallmuth oberhalb von Homburg am Main/MSP Viele Flurnamen erinnern an die verschiedenen Ab- (läßt mehrere Phasen der Entstehung bzw. Wie- zäunungen, die die mittelalterliche Ackerflur vom derherstellung erkennen: im Mittelteil der Anla- Weideland abgetrennt hatten; Beispiele dafür sind ge barockes Weinbergshäuschen, Südteil im 19. die Feldriegel, Riegeläcker und Grindel, die Pfahl- Jh. nach Abschwemmkatastrophe erneuert); reute und die gepfählten Teile. Der Epfad war die • Weinberge südöstlich von Machtilshausen/KG gesetzlich vorgeschriebene Umzäunung zwischen (dicht aufeinander folgende Mauern, aus Mu- den Ackerzelgen der Dreifelderwirtschaft, ähnlich schelkalkquadern sehr sorgfältig gearbeitet, dem Ehag oder Ehfrieden. Der Landgraben bezeich- überwiegend brachgefallen); nete häufig die Grenze zwischen zwei Herrschafts- • bezirken; andere Benennungen für Grenzen sind Lagen Untere Tauberweg-Berge und Untere Scheid oder Gescheid, ein Ende oder Rand wurde Setzberge bei Rothenburg o.d.T./AN (neben häufig Ort genannt ("Ortsäcker"). Trockenmauern auffallend große Lerseteinhal- den); Auf den kultur- und heimatgeschichtlichen Stellen- • wert alter Wegenamen wie "Rennweg", "Hoch- Ziegelanger ("Steinbach-West") unterhalb Stein- straße" oder "Ochsenweg" wurde bereits hingewie- bach/HAS (eine der östlichsten Weinbergsanla- sen. In der Münchsdorfer Flur (PAN) rechnen gen Frankens mit auffallender, landschaftsprä- GLASHAUSER & WÖLFL (1992: 58) z.B. den gender Mauerkonstruktion: "Fischgrätenmu- alten Kirchweg zwischen Münchsdorf und Thann- ster" - heute teilbereinigt). dorf ("Hochstraße") oder die "Brunnstraße" von Münchsdorf nach Obergrafendorf zu diesen "sehr 1.9.5.2 Agrotope als Hort alten Wegen". Nach HAUSHOFER (1957: 76) be- mundartlicher Überlieferungen zieht sich der Flurname "Speckbichl" im Bereich der Pähler "Hart" (WM) auf einen mit "Steinen oder Im Agrotopsystem und in der Flurform ist nicht Prügeln befestigten Weg". selten ein reicher Schatz an mundartlich-soziokultu- Die besondere Bedeutung der Flurnamen ist auch reller Überlieferung verankert. An einzelne Regio- und gerade darin zu sehen, daß "sie nicht sterben, nen gebundene, z.T. sehr alte Bezeichnungen wie wenn die Objekte, an denen sie haften, verschwin- "Houchroa", "Koutzeiln" oder "Kreppen" zeugen den". Inzwischen scheint jedoch auch dieses imma-

* Äcker, die quer zu Längsbeeten liegen. ** Vgl. mhd.: "ram" für "Ziel" oder "Mark".

193 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen terielle Kulturerbe durch agrarstrukturelle Verände- Insofern kann und darf dieses Kapitel nicht "Er- rungen gefährdet. Für die nach einer Flurbereini- haltenswertes" von "Entbehrlichem" scheiden. gung verbliebenen, meist erheblich vergrößerten und von Zwickeln bereinigten Parzellen sind in den Bewertungen werden aber nach wie vor benötigt, neueren Flurkarten meist erheblich weniger Flurna- nämlich, um die begrenzten Mittel zur Pflege, Wie- men eingetragen als in den älteren Kartenwerken derinstandsetzung, Neuanlage und Netzvervollstän- (GLASHAUSER & WÖLFL 1992: 29). digung von Agrotopsystemen auf die wertvollsten Objekte, Flurteile und Fluren zu konzentrieren. Durch das Vergessen und Verdrängen des sprachli- Hierzu werden Kriterien und Bewertungsmethoden chen Kulturerbes wird ein "Teufelskreis" besonderer vorgestellt und erläutert. Am Anfang stehen bereits Art in Gang gesetzt: Immer schneller ablaufende veröffentlichte und praktizierte Ansätze zur natur- Landschaftsveränderungen, die fast immer mit der schutzfachlichen, landschaftlichen und heimat- "Preisgabe alles Schönem" (vgl. MÜLLER-FUNK kundlichen Beurteilung (vgl. 1.10.1). Anschließend 1988) einhergehen, werden immer weniger zur (Kap.1.10.2, S.202) werden unter Berücksichtigung Kenntnis genommen. So wie viele Nutzlandschaften dieser Erfahrungen agrotopangepaßte Bewertungs- durch Ausräumung und Nivellierung verarmt sind, kriterien empfohlen. haben sich auch die Bedeutungsinhalte unserer Sprache reduziert. Sprache paßt sich also der Wahr- nehmung von Wirklichkeit an. CLAUSEN (1988) 1.10.1 Vorhandene und bereits meint sogar: Wir gehen "ohne Begriffe durch leer- praktizierte Bewertungsansätze gewordene Natur". Diese reduzierten Sprachge- Die exemplarisch für unterschiedliche Anwen- wohnheiten wiederum sind es, die das gesellschaft- dungszwecke ausgewählten Beurteilungsgänge kön- liche Handeln bestimmen und damit die Verände- nen hier nur knapp skizziert werden. Sie beziehen rung der Welt (vgl. WÖBSE 1987: 1). sich meist auf das Gesamtspektrum an Saumbio- So erscheint es als ein Gebot der Stunde, daß auch topen, Kleinstrukturen und kulturhistorisch prägen- und gerade bei der ländlichen Neuordnung der den Bestandteilen, greifen also über Agrotope im Sprachschatz der alten Flurnamen vor dem Verges- Sinne dieses Bandes deutlich hinaus (Ausnahme: sen bewahrt bleibt. Bereits seit 1950 ist der VER- Hohlwegbewertung nach FISCHER 1982a). Alle- BAND FÜR ORTS- UND FLURNAMENFOR- samt haben sie überwiegend "defensiven" Charak- SCHUNG e.V. damit beauftragt, alle von der Flur- ter, bewerten also fast ausschließlich* das Alte, noch bereinigung betroffenen Flurnamen auf ihre Erhal- Vorhandene, nicht das Fehlende und eigentlich Not- tungswürdigkeit hin zu überprüfen; hierzu liegen wendige. umfangreiche Flurnamensammlungen aus ganz Bayern vor (vgl. BAUER 1981, 1986). 1.10.1.1 Kleinstrukturbewertung und "Öko- Ergiebigste Quellen zum Auffinden alter Flurnamen bilanz" in der ländlichen Entwicklung sind heute (nach WÖLFL 1991, mdl.): • Uraufnahmen (Landesvermessungsamt); In Bayern ist die Kleinstrukturkartierung (AU- • WECK 1978, 1979 a u. b, 1983) inzwischen für alle Ergänzungskarten zum Liegenschaftskataster Flurbereinigungsmaßnahmen obligatorisch.** Die (Vermessungsämter); ökologische Bilanzierung ("Ökobilanz") ist kein • Liquidationspläne und Ergänzungskarten (Ver- eigenständiges oder zusätzliches Instrumentarium, messungsämter); sondern mit allen erforderlichen Arbeitsschritten in • Grundsteuerkataster der Gemeinden (Bayeri- die Landschaftsplanung der Flurbereinigung inte- sches Hauptstaatsarchiv). griert. Bewertungen werden in allen Arbeitsschrit- ten ("Stufen") vorgenommen (vgl. Abb. 1/75, S. 196). Bei der "Vorbilanz" werden die Ergebnisse der Bestandsbewertung denen des geplanten Zustandes 1.10 Bewertung einzelner gegenübergestellt. Zur eigentlichen "Ökobilanz" in Flächen, Objekte und Fluren der Stufe 3 (s. ökologische Nachbilanz) liegen noch keine aussagekräftigen Erfahrungen vor (vgl. dazu Flur- und agrotopbezogene Bewertungsmethoden auch MANGER 1993). wurden einst entwickelt, um bei den damals unab- Das Instrumentarium soll auch die Überprüfung der wendbaren Struktureingriffen wenigstens die wert- geplanten Maßnahmen im Sinne einer "Umweltver- vollsten Objekte auszunehmen. Saumbiotope soll- träglichkeitsprüfung"*** ermöglichen und damit ten allerdings spätestens seit dem Inkrafttreten der eine landschaftsökologische Optimierung bewirken EG-Agrarreform 1992 und den damit manifest ge- (HABER et al. 1991: 4). wordenen Extensivierungszielen nirgends mehr ge- Beim derzeit üblichen Verfahren werden Gelände-, opfert werden. Vegetations- und technische Strukturen für das

* Vgl. aber Ansätze zur landschaftsökologischen Optimierung in der "Ökobilanz". ** 1992 wurde die Kleinstrukturkartierung durch die (flächendeckende) "Struktur- und Nutzungskartierung" (SNK) abgelöst. *** In Bayern wird die UVP in die "Planaufstellungs- und Planfeststellungsrichtlinien Flurbereinigung" aufgenommen (vgl. § 3 des UVPG) (vgl. MANGER 1993).

194 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Verfahrensgebiet flächendeckend in der landwirt- Die Bewertung der genannten Einzelfaktoren mün- schaftlichen Flur erfaßt (neben Rainen und Hecken det schließlich in eine 5-stufige Skala. Dabei kann z.B. auch Einzelbäume, Baumgruppen, Gras- und auch ein als "gering" oder "durchschnittlich" einge- Krautfluren, Gewässerrandstreifen u.ä.). Eine jähr- stuftes Element einen hervorragenden Einzelfaktor liche "Arbeitsleistung" von 75.000 ha Kartierfläche besitzen. Einer "einfachen" Entscheidung für Er- in Bayern (etwa 7.000 bis 8.000 Kleinstrukturen) halt oder Beseitigung soll damit bewußt vorge- (vgl. AUWECK 1979) dokumentiert die beträchtli- beugt werden. Mit der Wertkategorie "gesetzlich che praktische Bedeutung dieses Verfahrens für den geschützt" werden rechtsverbindliche Festsetzun- gesamten Agrotopbestand. gen wie "geschützter Landschaftsbestandteil" oder Nach AUWECK (1979: 382) muß die Bewertung "6d-Fläche" eindeutig in Text und Karte markiert. ausdrücken, ob aus fachspezifischer Sicht ein Land- Die Beurteilung kann den Schutzstatus bestätigen schaftselement zu erhalten ist, ersetzt werden kann, oder aber hinterfragen (z.B. wenn der Schutzstatus verlagerbar ist oder evtl. ganz beseitigt werden aufgrund starker Beeinträchtigungen nicht mehr ge- könnte. rechtfertigt erscheint). Einzelelement-bezogene Bewertung Raumbezogene Bewertung Die Bewertung einzelner Biotop- bzw. Strukturele- Voraussetzung für die spätere Bewertung eines Ob- mente reicht in der Regel für eine aussagekräftige jektes ist dessen Einstufung in einen "Elementtyp" Beurteilung der biologisch-ökologischen Situation (z.B. "gras- und krautartiger Bestand"). Ranken, nicht aus. Bekanntermaßen besteht für die Erhaltung Stufenraine werden jedoch nicht als "Vegetation", insbesondere empfindlicher Arten bzw. Lebensge- sondern unter "Geländestruktur" erfaßt. Mehr- meinschaften nur dann eine realistische Chance, fachnennungen wie Rainvegetation/ ruderaler Grün- wenn nicht nur einzelne Flächen, sondern die ge- landsaum sind zwar gruppenbezogen (siehe "Gelän- samte Kulturlandschaft gewisse Mindestanforde- destruktur") möglich; anders als bei der früheren rungen erfüllt. Es mußten daher Kriterien gefunden Kleinstrukturkartierung kann jedoch ein Objekt werden, welche Rückschlüsse auf die räumliche Ge- nicht mit mehreren Vegetationsbezeichnungen (Ein- samtsituation im Verfahrensgebiet ermöglichen zelgehölz, Magerrasen, Wildstaudenflur usw.) be- (HABER et al. 1991): legt werden. Verschiedene Vegetationstypen sind, • "soweit darstellbar", getrennt aufzunehmen. Biotop- bzw. Kleinstrukturendichte (bezogen auf alle Flächen, die bereits in der Einzelele- Die eigentliche Bewertung wird für folgende Fakto- ment-Bewertung berücksichtigt wurden); ren durchgeführt: • Nutzungskonflikte mit der Landwirtschaft (z.B. • physischer Zustand (Alter, Größe, Gesundheits- fehlende Pufferzonen); und Pflegezustand) - also z.B. "vital, intakt" bzw. • Biotopvernetzung ("Vernetzungszustand"). "stark gestört"*; • Beim Kriterium "Biotopvernetzung" werden alle na- Bedeutung für den Naturhaushalt bez. Flo- turbetonten Strukturen, die angrenzen oder max. 50 ra/Fauna (Rote-Liste-Arten, Standortbedingun- m voneinander entfernt liegen, zu Biotopkomplexen gen, Zusammensetzung und Häufigkeit der Vor- zusammengefaßt, die wiederum durch Barrieren kommen) - z.B. "spezifische Standortbedingun- "zerstückelt" sein können. Für die Ermittlung des gen, seltene oder gefährdete Tier- und Pflanzen- arten" bzw. "unspezifische Standortbedingun- "Vernetzungskennwertes" wird schließlich die An- gen, häufige Ubiquisten"; zahl der Objekte durch die Anzahl der Komplexe • geteilt: gestalterische Bedeutung (Beitrag zum Land- • schaftsbild, Raumwirkung) - z.B. "starke Raum- Kennwert = 1: d.h., alle Objekte bzw. Strukturen sind verinselt ("Pessimum"); wirkung" bzw. "geringe oder unerwünschte • Raumwirkung"; Kennwert = Anzahl der Objekte: alles "optimal • Funktion (ökologisch, gestalterisch, nutzungs- vernetzt". flankierend) - z.B. "ertragsfördernd/ kulturell be- Diese raum- oder flurbezogene Bewertung soll vor deutsam" bzw. "geringe Nutzfunktion/ kulturell allem dazu dienen, objektive Daten über die Aus- belanglos". stattung von Landschaftsräumen mit extensiv bzw. ungenutzten Landschaftselementen im Sinne von Die Bewertung der Funktion stellt (anders als bei "Indikatormodellen" (s.u. "Diskussion") zu gewin- den drei erstgenannten Faktoren) keine reine "Sta- nen. tus-Quo"-Erfassung dar, sondern bezieht sich auch auf die zukünftige (potentielle) Bedeutung. Das Als langfristige Perspektive postuliert AUWECK heißt, voraussichtliche Entwicklungsprozesse (also (1979) die Ermittlung objektiver "Wertzahlen" für z.B. von einem verbuschenden Saum zu einer lücki- Naturräume in Abhängigkeit von ihrer Nutzungs- gen Strauchhecke) sollen im Sinne einer Prognose struktur (wie z.B. "Mindestdichten pro 100 ha" oder bei der Beurteilung eines Elementes von vornherein "Mindestflächenteile"). Die von AUWECK (1979) miteinbezogen werden. genannten vorläufigen Richtwerte zeigt Tab. 1/36) .

* Hier ausgesprochen negativ belegter Begriff. Auf die große Bedeutung von mechanisch z.T. "stark gestörte" Raine, Wegranken für seltene Arten bzw. Lebensgemeinschaften wird in diesem Band mehrfach hingewiesen (z.B. Kap. 1.4/1.7.2).

195 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/75 Integration der "Ökobilanz" in die Landschaftsplanung der Flurbereinigung (HABER et al. 1991) * bereits bestehender Arbeitsschritt, jetzt modifiziert ** neuer Arbeitsschritt dunkel hinterlegt: Bewertungsschritte in der "Ökobilanz"

196 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/36 Kleinstrukturdichte Ausstattung des Anzahl/km2 Landschaftsraumes mit Bewertung von Kleinstrukturdichten (AUWECK 1979) Kleinstrukturen (Angabe der Bereichsgrenzen nach Auswer- < 7 zu gering tung des bis dahin vorliegenden Datenmate- rials) 7 bis 15 durchschnittlich > 15 reich

Hinsichtlich des prozentualen Flächenanteils von einensystemtheoretisch sanktionierten "Mittelwert" Kleinstrukturen an der Bezugsfläche bewertet AU- hin "ausgedünnt". Wie sehr dieses fragwürdige Prin- WECK 1979) weniger als 1,5 % als "zu gering", ein zip bereits heute gängige Praxis ist, haben gerade die Kleinstrukturanteil größer 3 % wird bereits als "gemäßigten" Flurbereinigungsverfahren jüngeren "reich" eingestuft.* Datums gezeigt (vgl. z.B. RUDOLPH & SACHTE- Diskussion: LEBEN 1991). Vor allem der neue, flächen- und raumbezogene Ansatz läßt die Kleinstruktur- und Nutzungskartie- 1.10.1.2 Weitere Bewertungs- rung der LBP auf den ersten Blick sogar gegenüber ansätze fürKleinstrukturen der jetzigen Biotopkartierung "fortschrittlicher" er- scheinen (vgl. auch LPK-Band II.12 "Hecken und SÖHNGEN (1975) (zit. n. KAULE 1986) be- Feldgehölze", Kap. 1.10.11.4.3). Dennoch bleiben schränkt sich auf eine reine Bewertung für die entscheidende Kritikpunkte. direkte Anwendung in der örtlichen Landschafts- Die Kritik an der Einzelbiotopbewertung (Frag- planung (im Sinne einer praktischen Entschei- würdigkeit der "simulierten Prognose", Nichter- dungshilfe). Informationen über Qualität und Ei- fassung wertbestimmender Initialvegetation usw.) genschaften der erhobenen Objekte sind in Form soll hier nicht mehr wiederholt werden (siehe Kap. von Bewertungsziffern ausgedrückt (5-stufige 3.4.1). Wichtiger erscheint es, auf Schwachpunkte Punktskala) - vermitteln aber keine für Außenste- der flurbezogenen Bewertung hinzuweisen (vgl. hende ohne weiteres nachvollziehbare Objektbe- auch SCHELLENBERG & SORG 1988): schreibung (vgl. AUWECK 1979). Die "Biotopdichte" ist auf rein quantitativ ermit- Bewertet werden folgende Kenngrößen: telte Flächenanteile fixiert; besondere Qualitäten • bleiben unberücksichtigt. Davon ausgehend, wer- Allgemeine Parameter (z.B. Strukturtyp, Aus- den bei der "Vernetzung" alle naturnahen Elemen- dehnung, Alter); te unabhängig von Größe und Qualität (ob Mager- • Vegetation (Artenanzahl/seltene Arten); rasen-Relikt oder nitrophiler Heckensaum) schlicht- • Spezielle Biotopqualitäten aus tierökologi- weg "aufsummiert", d.h., sie sind beliebig aus- scher Sicht, wie z.B. Gradientenausbildung, tauschbar bzw. rekombinierbar. Habitatgliederung, Phytophagen- bzw. Präda- Nicht zugestimmt werden kann darüberhinaus der toren-Komplexe etc. (vgl. VÖLKL & KEL- Auffassung von AUWECK (1982), in der Pla- LER 1991); nungspraxis könnte - im Rahmen solcher oder • Landeskulturelle Bedeutung (Erosionsminde- ähnlicher "Indikatormodelle" (vgl. SCHALLER rung, Filterwirkung); 1981) - die Erfassung exakt quantifizierbarer Pa- • Landschaftsbild/ Raumwirksamkeit. rameter "stellvertretend für nicht meßbare [!] Größen oder gar für das Verhalten komplizierter MORITZ (1989) führt verschiedene weitere Kenn- Teilsysteme verwendet werden." größen zur Bewertung von Landschaftsstrukturen Solche scheinbar "objektiven" Rechenoperatio- an (ohne Punktskalierung): • nen verführen im Regelfall dazu, beschreibende Arten der Roten Liste (sollen keinesfalls als Kenngrößen wie etwa Singularität, Repräsentanz, ausschließliches Kriterium für die Schutzwür- Intaktheit (s. Kap 1.10.2.1) bevorzugt durch stand- digkeit verwendet werden); ardisierte, relativ einfach zu ermittelnde "Wert- • Seltenheit eines Ökosystemtyps (korrespo- zahlen" (wie z.B. Mindestausstattung mit naturna- niert nicht zwangsläufig mit der Seltenheit von hen Landschaftsbestandteilen, Mindestdichten bestimmten Pflanzen- und/oder Tierarten); etc.) zu ersetzen. "Überdurchschnittlich" ausge- • Ersetzbarkeit (praktisch nicht ersetzbare Struk- stattete Flurteile würden dann grundsätzlich auf turen bilden "Tabuflächen");

* Hinzuweisen ist auf die beträchtlichen naturräumlichen Unterschiede. So liegen z.B. die Kleinstrukturanteile im Donaumoos unter 1 %, im angrenzenden Tertiärhügelland bei etwa 4 % (vgl. UNGER 1979). Stark gekammerte Landschaften können Kleinstruk- turanteile von weit über 10 (20) % aufweisen (vgl. Kap. 1.8). KLEINKE (1989) ermittelt für den Bayerischen Wald "Spitzenwerte" mit Kleinstrukturdichten von über 50/km2 (im FB-Gebiet Rosenau allein über 31 km an Rainen, Hecken, Ufersäumen). Nach der Flurbereinigung entspricht die Kleinstrukturdichte um Rosenau mit 16,5/km2 ziemlich genau dem von AUWECK (1979, 1982) apostrophierten "Durchschnittswert".

197 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

• Diversität (Artendiversität, Strukturdiversität, Berücksichtigt werden vor allem Gestalt und Lage, Nutzungsdiversität); floristische und faunistische Qualitäten sowie die • Natürlichkeit (kann im Widerspruch zu den ökologische (Gesamt)bedeutung. Als "optimal" vorgenannten Kriterien stehen!); wird bezeichnet, was für Hohlwege der historischen • Bodenart (erlaubt ggf. Rückschlüsse auf stand- Kulturlandschaft als typisch und charakteristisch ortbedingte Empfindlichkeiten). anzusehen ist (ohne meßbaren "Erfüllungsgrad"). Kriterien: Das Bewertungsverfahren von GRABSKI (1985) - Größe des Hohlwegsystems (also z.B. ausge- eignet sich insbeondere für die Beurteilung von dehntes, mehrere hundert Meter langes System landschaftsverändernden Maßnahmen im Zuge mit Seitenästen, ausgeprägte "Lößsporne" an von Verfahren der ländlichen Entwicklung. Alle Hohlweggabeln oder nur kurzer Hohlweg ohne Kriterien werden gleich gewichtet (drei- bzw. Seitenäste); fünf-stufige Punktwerteskala). Bei der Gesamtbe- - Tiefe des Hohlwegs (stellenweise um 10 m oder urteilung kommt den jeweiligen Einzelwerten weniger als 4 m tief) ; eine relativ hohe Bedeutung bei. - Lage, landschaftlicher Charakter, Struktur Neben allgemeinen Qualitätsmerkmalen (Intakt- (z.B. fast senkrechte Wände, landschaftsgestal- heit, Alter, Dimension) stehen folgende Kenn- tend oder untypische Lage, flache Böschungen); größen im Mittelpunkt: - Pflanzengesellschaften (typische, gut entwik- • Kulturlandschaftsprägende Bedeutung (ge- kelte, großflächig vorhandene Gesellschaften bietsspezifische Repräsentanz, ggf. besonde- wie z.B. Halbtrockenrasen, wärmeliebende Säu- rer kulturhistorischer Wert); me, Lößflechten oder vorwiegend häufige Ru- • Bedeutung für das Landschaftsbild (erstreckt deralgesellschaften); sich auf Gestalt- und Bildqualität). Gemeint - Vegetationsmosaik (typisch, klar und großflä- sind die Eigengestalt des jeweiligen Elements chig entwickelt, d.h., am Oberrand PRUNO-LIGU- sowie Raumwirkung und "Einpassung" in ein STRETUM-Heckenges., umgeben von Storch- komplexes Landschaftsbild (z.B. durch "En- schnabel-Saum; an Steilwänden Lößflechten- semblewirkung", Form, Farbe, Material); Ges., auf Simsen Trocken- bzw. Halbtrockenra- • Bedeutung für den Landschaftshaushalt. Im sen oder Mosaik untypisch bzw. nicht ent- Vordergrund steht der Wert als "schutzwürdige wickelt); Lebensstätte für die Tier- und Pflanzenwelt" - Pflanzenarten (z.B. mehrere submediterrane (z.B. hinsichtlich Habitat- und Artenvielfalt, Arten vorhanden wie Anemone sylvestris, Refugialfunktion etc.); Peucedanum oreoselinum, Aster linosyris etc. • Bedeutung für die Landnutzung (Zweckerfül- oder ohne Vertreter dieser Gruppe, "Aller- lungsgrad, Funktion). Hoch bewertet werden weltsarten"); z.B. intakte Hohlwege, die noch in herkömm- - Lebensmöglichkeiten für Tiere (z.B. als Hy- licher Weise die Feldflur erschließen; ebenso menopteren-Brutbiotope geeignet oder "unge- Rankensysteme mit hohem Erosionsschutz- eignet", kein Unterschied zu jungen freistehen- wert. Wertsteigernd sind singuläre Funktionen den Böschungen). (die also nicht anderweitig, z.B. von techni- Die sieben Einzelbewertungen werden schließlich schen Einrichtungen, übernommen werden addiert und zu einer "Endnote" zusammengefaßt können). (5-stufige Skala von "ausgezeichnet" bis "mangel- haft"). Subjektiven Einschätzungen soll möglichst 1.10.1.3 Bewertung von Hohlwegen wenig Raum gelassen werden; dennoch gelingt es nach FISCHER (1982) nicht, in jedem Fall absolute Zahlen zur Festlegung der Bewertungsskala heranzuziehen. Das Bewertungsmodell von FISCHER (1982) So ist die Festlegung des Flächenanteils von be- zielt insbesondere auf einen Vergleich unter- stimmten Pflanzengesellschaften ohne großen tech- schiedlich gut ausgeprägter Hohlwege bzw. Hohl- nischen Aufwand nicht möglich und beruht daher wegfragmente ab. Im Vordergrund stehen die öko- i.d. Regel auf einer (subjektiven) Schätzung; ein logische Bedeutung, daneben auch ihr land- sporadisches Einzelvorkommen einer seltenen Art schaftsbestimmender Charakter. Die Bewertung darf nicht mit einem Massenvorkommen derselben dient auch einer objektiven Beurteilung von Land- Art in einem anderen Hohlweg gleichgesetzt wer- schaftsveränderungen durch Eingriffe im Zuge den; alle Nistmöglichkeiten etwa für Hautflügler von Verfahren der ländlichen Entwicklung und können bei der Bonitierung nicht gefunden bzw. Nutzungsaufgabe.* gezählt werden usw. Mit dem "Artenschutzwert" Zur Bewertung dienen 7 Kriterien (können jeweils und dem "Landschaftswert" gehen überdies zwei optimal/durchschnittlich/schlecht ausgebildet sein). unterschiedliche Kriterienkomplexe in die Gesamt-

* So konnten 1978 von den knapp 100 noch vorhandenen Hohlwegen im Kaiserstuhl nur mehr einer als "ausgezeichnet", lediglich 4 weitere als "sehr gut" bewertet werden. Nur wenige Jahre später war aufgrund von Flurbereinigungsmaßnahmen der am besten bewertete Hohlweg stark negativ verändert, einer der "sehr guten" Hohlwege ganz verschwunden. Das Gebiet der beiden Hohlwege war bereits in den 70er Jahren als Naturschutzgebiet vorgeschlagen worden (FISCHER 1982: 18).

198 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen bewertung ein, die nicht zwangsläufig miteinan- zu. Aufgrund des hohen Erhebungsaufwandes und der gekoppelt sein müssen. der relativ anspruchsvollen Kriterien eignet sich die Gegenüber der "Sigma-Methode" nach SCHWA- Sigma-Methode weniger für Standard-Verfahren BE-BRAUN (1985) (s.u.) zeichnet sich die hier (wie z.B. Biotop-, Kleinstrukturkartierung). Sinn- beschriebene Methode durch einen geringeren Zeit- voll anzuwenden wäre das Verfahren jedoch bei der aufwand bei der Datenerhebung aus. Ausweisung vorrangig zu pflegender "Erhaltungs- gebiete" bzw. Förderzonen (vgl. Kap. 4.3). 1.10.1.4 Bewertung von Mosaiklandschaften mit der "Sigma-Methode" nach 1.10.1.5 Bewertung von Weinbergs- SCHWABE-BRAUN (1985) strukturen nach SCHMIDT (1985)

Ziel der "Sigma-Methode" (vgl. auch TÜXEN 1979, Für die Beurteilung von Strukturelementen in der WILMANNS & TÜXEN 1979) ist es, komplexe fränkischen Weinbaulandschaft hat SCHMIDT Landschaftseinheiten ("Mosaiklandschaften") einer (1985) auf eine streng operationable Bewertung möglichst objektiven und nachvollziehbaren Be- (Punktskalierung) verzichtet. Die Kriterien bezie- wertung zugänglich zu machen. Von SCHWABE- hen sich jeweils auf die BRAUN (1985) am Beispiel der Weidfeld-Komple- • ökologische sowie die xe des Schwarzwalds erprobt, scheint das Verfahren • landschaftsästhetische bzw. heimatkundliche grundsätzlich geeignet, Bewertungsvorschriften für Bedeutung. "Agrotopkomplexe" (vgl. Kap. 1.8.2.4) methodisch zu befruchten. Auch die Habitatansprüche vieler Diesen Kenngrößen werden keine einheitlichen (agrotop-relevanter) Tiergruppen verlangen z.T. ein "Eichmaßstäbe" zugrundegelegt, vielmehr wird jede bestimmtes Mosaik von Pflanzengesellschaften. "Einzelelementgruppe" "individuell" gewürdigt. Wesentliche Kenngrößen bei der Sigma-Methode Deutlich wird vor allem die unterschiedliche Wer- sind (Auswahl, Beispiele z.T. leicht abgeändert): tigkeit vorrangig ökologisch (s. "Wildgrasfluren") bzw. morphologisch-strukturell definierter Forma- - Zahl der Gesellschaften (ohne Einzelbäume, tionen (s. Abb. 1/76). Heckenfragmente); - Strukturvielfalt ("erwünschte" Formationen); Der Autor nennt Bewertungsansätze für folgende - Vorkommen seltener Arten bzw. bedrohter Sip- Agrotop-Gruppen: pen, insbesondere an Randarealen; Böschungen und Raine - hoher wissenschaftlicher Wert: Eiszeitrelikte • Ökologischer Wert: zum Teil Bedeutung als (siehe Grünerlen-Reliktbestand an Wegrainen Fortpflanzungsraum; wichtige Funktion für die im Vorderallgäu; BRESINSKY 1959); pflanzen- Ausbreitung von Tierarten bzw. für den Indivi- geographische Übergangsformen, syntaxonomi- duenaustausch zwischen Populationen räumlich sche Varietäten, Kleinarten usw.); getrennter Teilhabitate. - letzte Restbestände früher weiter verbreiteter • Landschaftsästhetischer Wert / Landschaftsbild: Gesellschaften. ergibt sich häufig aus dem Mangel an anderen Reliktvorkommen und/oder relativ kleinflächig ver- raumwirksamen Strukturen. breitete Ausbildungen werden "automatisch" hoch Hohlwege bewertet. Kriterien wie "Vielfalt" und "regionale • Ökologischer Wert: großer Artenreichtum an Seltenheit" kommt also hier ein relativ hoher Rang Pflanzen und Tieren; Rahmenbedingungen:

Abbildung 1/76 Der ökologische (punktiert), landschaftsästhetische (gerastert) und heimatkundliche (schraffiert) Wert weinberg- stypischer Formationen und Strukturen (SCHMIDT 1985: 79)

199 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

stark bewegtes Relief, vielfältiges Mosaik an Folgende Faktoren werden einer Punktbewertung Mikrostrukturen, differenziertes Kleinklima, (4-teilige Skala von "geringwertig" bis "hervorra- Reichtum an Randlinien. gend") unterzogen: • Landschaftsästhetischer Wert / Landschaftsbild: • gliedernd und belebend. Erhaltungswert (Grad der formalen Erhaltung/ Erhaltung der Funktion): Kriterien der formalen Steinriegel Erhaltung sind Unversehrtheit bzw. Verfrem- • Ökologischer Wert: allgemein hohe Bedeutung dung oder Verfälschung. In ihrer Funktion erhal- speziell für Kleinsäuger, Reptilien, Vögel, tene Landschaftselemente (z.B. noch beackerte Schnecken, verschiedene Arthropoden-Grup- Terrassen) werden höher bewertet als "fossile" pen. Formen. • Landschaftsbild / heimatkundlicher Wert: stark • Regionaltypische Bedeutung: Quantitative Ge- raumwirksam, prägten "Regionalcharakter". sichtspunkte bewerten ein Element um so höher, Mauern und Steintreppen als es gehäuft in einem bestimmten Gebiet anzu- • Ökologischer Wert: ähnlich Steinriegel, insbe- treffen ist (regionale Repräsentanz). Die beson- sondere wenn reich an Hohlräumen, z.T. auch dere Qualität liegt in der "Einzigartigkeit" (Ex- Zerfallsstadien in störungsarmer Umgebung. klusivität), d.h. ein Lesesteinwall, der die letzte • Landschaftsbild / heimatkundlicher Wert: ähn- intakte Hufenflur eines Gebiets "nachzeichnet", lich Steinriegel, zusätzlich Ensemblewirkung/ wird entsprechend hoch eingestuft. Fernwirkung; bei historisch bedeutsamen Anla- • Seltenheit: Im Sinne von "Rarität" bemißt sich gen z.T. auch Alter. Seltenheit weniger an einer absoluten Zahl als am Verhältnis zwischen "Verfügbarkeit" und 1.10.1.6 Bewertung historischer Kulturland- "Nachfrage". Rar gewordene Elemente (z.B. schaftselemente nach GUNZELMANN hangsenkrechte Grenzraine) müssen entspre- (1987) chend hoch bewertet werden. Auf der anderen Seite sinkt z.B. der "Ensemblewert" einer Acker- Für den Begriff der "Historischen Kulturlandschaft" terrassenlandschaft mit der Anzahl der bereits sind keine eindeutigen Zeitgrenzen definiert - Kul- herausgelösten Einzelelemente. Vorkommen turlandschaft war zu allen Zeiten zahlreichen Verän- müssen also immer in einem größeren Raumzu- derungen und Umgestaltungen ausgesetzt. sammenhang betrachtet werden. Als mögliche "Bestimmungsgrößen" nennt GUN- • Gestalterischer Wert: Bezieht sich auf den Ei- ZELMANN (1987: 41 ff.): genwert des Objektes, d.h. seine formal-ästheti- • Einen hohen Anteil persistenter (bis in die heutige sche Ausprägung im Vergleich zu Elementen Zeit hinein "überlebter") Elemente und Struktu- ähnlichen Typs. ren wie Ackerterrassen, Wald-Feld-Grenzen, • Landschaftswirkung: Bewertet z.B. die raum- Lesesteinzeilen (also Agrotope i.e.S.); gliedernde Wirkung eines Hohlweges, die visu- • ein großes "Geschick" hinsichtlich der Einpas- elle Einbindung in den Landschaftszusammen- sung von Kulturelementen und -ökosystemen in hang. den jeweiligen Landschaftsraum (der Autor • Ökologischer Wert: Artenschutz, Gesellschafts- spricht hier von einem "unbewußten Gefühl für schutz, Schutz der (unbelebten) Naturgüter (Bo- Maßstäblichkeit"). Räumlich eng begrenzte Ver- den, Wasser etc.). änderungen wie Mauerterrassen, Lehmgruben • Ökologischer Demonstrationswert: Demon- etc. schufen immer wieder neue Lebensstätten*, strieren Kulturlandschaftselemente (z.B. Mauer- die "von Natur aus" so nicht da waren; terrassen) besonders plakativ die Einpassung be- • Subsistenzwirtschaft, Mehrfachnutzungen (z.B. stimmter Wirtschaftsweisen an die natürliche Nachweide auf Brachäckern; Raine zur Grünfut- Umwelt (siehe Steillagenbewirtschaftung), so tergewinnung und als Standort für Obstbäume kommt diesen - unabhängig vom "eigentlichen" usw.). ökologischen Wert - eine besondere Bedeutung Zu den Agrotopen i. e. S. zählen die von GUNZEL- zu. MANN (1987) untersuchten historischen Kultur- • Touristische Bedeutung: "Historische Kultur- landschaftselemente Hohlweg, Ranken bzw. Acker- landschaften" steigern das "Fremdenverkehrs- terrassensystem. Der Autor rechnet aber auch potential" (z.B. Wanderwege, geologische Lehr- Steinbrüche (siehe LPK-Band II.17 "Steinbrüche"), pfade usw.). Lehmgruben (vgl. LPK-Band II.18 "Kies-, Sand- • Wissenschaftlicher Wert: Wert als Forschungs- und Tongruben"), Hügelgräber und Wiesenbewäs- objekt, z.B. für Geschichte, Geographie, Ar- serungsanlagen ("Archäotope") zu denjenigen chäologie etc. menschlichen Hinterlassenschaften, die heute auch • Alter: Die höchste Bewertung (= 4 Punkte) er- aus der Sicht der Denkmalpflege einer besonderen halten Elemente, die der Zeit vor 400 n. Chr. Fürsorge bedürfen. entstammen; Objekte der Nachkriegszeit (nach

* Nach STECHMANN (1984, zit. in JEDICKE 1990) fanden sich in der bäuerlichen Kulturlandschaft um die Mitte des 19. Jhs. etwa doppelt so viele Arten (höherer) Gefäßpflanzen wie in der ursprünglichen Landschaft.

200 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

1950) werden generell als "wertlos" bzw. "ge- stellten Bewertungsverfahrens weitgehend davon ringwertig" eingestuft. ab, wie objektiv, zuverlässig und gültig dessen Er- gebnisse sind. Nach Auffassung der Autoren sind Jeder bewertete Faktor hat grundsätzlich die gleiche Objektivität und Zuverlässigkeit durch Vorgabe Prioriät. In der Praxis kann dies dazu führen, daß ein operationaler Regeln und standardisierter Formblät- Landschaftselement mit sehr hoher ökologischer ter in zufriedenstellendem Maße gegeben. Der Bedeutung (z.B. Vorkommen von RL-1-Arten) in Nachweis der Gültigkeit (mißt das Verfahren tat- der Gesamtbewertung stark abfällt, wenn sonst nur sächlich das, was es messen soll?), ist für die Be- durchschnittliche Punktzahlen erzielt werden. Die stimmung der ästhetischen Potentialwerte über "Ge- Einstufung in die höchste Gesamtwertstufe verlangt fallensurteile" von Versuchspersonen überprüft allerdings, daß jede der genannten 9 Faktorengrup- worden (s.o.). Sie war also sehr von der Qualität der pen nicht weniger als 3 Punkte erreicht, also minde- zur Verfügung gestellten Planungsinformation ab- stens "hochwertig" ist. hängig.* 1.10.1.7 Weitere Ansätze zur Bewertung EWALD (1978) bewertet Zustände und Veränderun- kulturlandschaftlicher Qualitäten gen der traditionellen Kulturlandschaft vor allem unter den Gesichtspunkten von "Natürlichkeits- Landschaft wurde (wird) immer dann quantifiziert, grad" und "Vielfalt", wobei zwischen (meßbaren) wenn sie Handelsgut (z.B. Bauland) oder Ausbeu- Werten und nicht quantifizierbaren Wertvorstellun- tungsobjekt (Kiesgrubenareal, "Weizenboden" etc.) gen unterschieden wird. Mehr oder weniger gut darstellt. Vor allem für den Bereich der mehr oder quantifizierbar sind landschaftliche Kenngrößen minder intensiv genutzten Agrarlandschaft fehlen wie Anzahl und Verteilung von naturnahen Land- noch immer Wahrnehmungskriterien ohne diesen schaftsbestandteilen bzw. von Elementen des tradi- zweckrationalen Bezug. MÜLLER-FUNK (1988) tionellen Formenschatzes, von grund- und auf- spricht hier vom "ästhetischen, zweckfreien Blick", rißbestimmenden Elementen der zweiten und drit- der an entscheidenden Punkten mehr sieht, "Muster, ten Dimension wie z.B. Wegenetz, Parzellengefüge, Gestaltung, Zusammenhänge, Analogien" wahr- Kulturartenverteilung, Relief, Gehölze usw. Wert- nimmt. bestimmend ist hier das "menschliche Maß", also die HOISL et al. (1988, 1991, 1992a,b) beschreiben ein von Handarbeit geprägten Proportionen der tra- Bewertungsverfahren zur Beurteilung von land- ditionellen Kulturlandschaft. schaftsästhetischen Auswirkungen im Zuge von Schwieriger zu beurteilen, weil im allgemeinen Flurbereinigungsmaßnahmen. Maßgebend für die nicht "meßbar", ist der Grad der harmonischen Bestimmung ästhetischer Verluste/ Gewinne ist zum Raumbeziehungen zwischen Mensch und Land- einen der vorhandene "Gestaltwert" der Landschaft, schaft. EWALD (1978: 224) demonstriert diese im- zum anderen die Intensität der geplanten Maßnah- materielle Kenngröße an der Veränderung vom ehe- men. maligen Verhältnis: Mensch-Haustier-Flur zum Grundsätzlich negativ erscheinen in der ästheti- heutigen Verhältnis: Mast-Futterzukauf-Gülleüber- schen Bilanz typische Maßnahmen der Nutzungsin- hang oder an der Entwicklung der Landwirtschaft tensivierung wie Umbruch, Schlagvergrößerung, zum technisch-industriellen Landbau. Alle diese neu angelegte Flurbereinigungswege ohne Bepflan- Prozesse haben ihre Spuren in der Flur hinterlassen, zung usw. Dagegen führen Maßnahmen, die das zum Verlust charakteristischer Bestandteile und da- Erlebnis von mehr Naturnähe ermöglichen (genannt mit zur "Trivialisierung" der Agrarlandschaft ge- werden "Wegebepflanzung, Anlage naturnaher Fließ- führt (vgl. Kap.1.11.3.3, S.251). So sieht denn auch gewässer, Anlage von Feuchtbiotopen usw.") in der CONROD (1975) das Landschaftsbild als den Spie- Bilanz von HOISL et al. (1992a) zu einem ästheti- gel aller gegenwärtig im Raum wirkenden kultur- schen "Zugewinn". schöpferischen oder kulturzerstörenden Kräfte. Mittels Publikumsbefragungen wurden z.B. die äs- thetischen Auswirkungen / Wirkungen unterschied- Als "primäre Merkmale" oder "Leitfossilien" der lich ausgebauter Flurwege untersucht. Wesentliche Kulturlandschaft werden alle aus der Seßhaftigkeit Ergebnisse daraus finden sich in Kap. 3.2.3. Be- herrührenden Erscheinungsformen bezeichnet. Da- denklich stimmen muß, daß "landschaftsästheti- zu rechnet der Autor neben Gehöft-, Orts- und Flur- sche Gewinne" fast ausschließlich über Bepflan- formen auch die typischen Elemente der ländlichen zungsmaßnahmen erzielt wurden. So konnte auf "Sakrallandschaft". Gemeint sind z.B. Feldkapellen, der Jurahochfläche von Niedermirsberg (FO) eine Flur- und Wetterkreuze, Marterl und Totenbretter; "Zunahme des ästhetischen Potentials um 9% [...] im weiteren Sinne aber auch alte Kirchwege, Pro- fast ausschließlich über die konsequente Bepflan- zessionswege wie die in Altbayern häufigen "Kal- zung der Wege in den Hochlagen erreicht werden." varienbergwege" oder die für Unterfranken sehr Nach der abschließenden Einschätzung von HOISL wichtigen "Stationswege". Diese waren oft gleich- et al. (1992b) hängt die Brauchbarkeit des vorge- zeitig Kreuzweg und Erschließungsweg der Wein-

* Die zu bewertenden Elemente wurden nicht "vor Ort" aufgenommen, sondern vorhandenen Kartenunterlagen entnommen. Die mittels einer "geschichteten Stichprobe" ausgewählten 121 Testpersonen bewerteten Fotos von Flurbereinigungsmaßnahmen u. Landschaftsausschnitten verschiedener Untersuchungsgebiete (HOISL et al. 1992).

201 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen berge (häufig im Mainspessart, z.B. Neustadt a. Über diese Bewertungsansätze hinaus wird ein um- Main) (GUNZELMANN 1993, briefl.). fassender Kriterienkatalog entwickelt, der insbeson- Auch bei HERINGER (1980) sind kulturlandschaft- dere auf "historisch gegebene Erlebnisformen" zu- liche Qualitäten nicht auf ihren "ästhetischen Selbst- rückgreift. Damit soll der gesamte, geschichtswis- zweck" (vgl. aber FALTER 1992) reduziert. Über senschaftlich aufbereitete Fundus menschlicher Er- die charakteristischen Erscheinungsformen einer lebnismöglichkeiten als Wertkategorie herangezo- Landschaft hinaus ist landschaftliche Eigenart im- gen werden. Dabei verfolgt FALTER die Intention, mer auch "Gütemaß für besondere und ausgewo- Natur nicht nur für die jetzige und nächste Genera- gene ökologische Beziehungen in einem bestimm- tion zu erhalten, sondern womöglich "für Generatio- ten abgrenzbaren Raum." Diese besonderen Quali- nen mit wieder gesteigertem Empfindungsvermö- täten entziehen sich praktisch immer einer meßtech- gen". Auf diese vom Autor vornehmlich aus dem nisch-instrumentellen Bewertung durch naturwis- Bereich "Flußlandschaft" entwickelten Kategorien senschaftliche Instrumentarien, die im wesentlichen der ästhetischen Wahrnehmung soll hier nicht im auf einer "Sammlung und Aneinanderreihung von Detail eingegangen werden. Aus der Fülle des An- Daten und Meßgrößen" beruhen. Eine Alternative gebots seien nur einige wenige Ansätze herausge- sieht der Autor vor allem im beschreibenden Unter- griffen, die besonders geeignet erscheinen, quantifi- suchen und Werten, im "Frage- und Antwortspiel zierende Bewertungsmodelle für kulturlandschaftli- der Natur an den Menschen und umgekehrt". Auf che Qualität wenn nicht zu ersetzen, so doch zu welche Weise schafft und erhält der Mensch durch ergänzen: (trotz) Inanspruchnahme der Natur landschaftliche - In Kunstwerken niedergelegte Gestaltquali- Eigenart? Folgende Fragen bieten sich an (vgl. tät als "Eichmaß": So erschließt nahezu jede STEIDL 1991, HERINGER 1980): Epoche der Landschaftsmalerei einen bestimm- ten dominierenden Aspekt landschaftlicher - Wird die ursprüngliche Vielfalt an Wildarten, Wirklichkeit (vgl. bei RINGLER 1987: "Sujet- Kleinrassen (und/oder Kultursorten) durch Pfle- gebiete" von Rembrandt als "Dorado" für die ge und Rücksichtnahme erhalten? heutige Kleinstrukturkartierung); - Wird die Landschaft durch eine kleinteilig-diffe- - Erlebbarer Raum: Landschaft als Bühne, Er- renzierte Inanspruchnahme so genutzt, daß der lebnis- und Erfahrungswert im Gegenüber von ursprüngliche "Bauplan" der Natur (Standortpo- Natur und "Selbstgemachtem" (z.B. Trocken- tential) noch "durchschimmern" darf? mauerbau im Prallhang von Main, Tauber, Saa- le...); - Gesteht der Mensch pflanzlichen und tierischen Lebenspartnern "Spielräume" (Zwickelbiotope, - Stimmung, Atmosphäre: ein in der Agrarland- Mauerfüße, Abbruchkanten usw.) zu, wo sich schaft eher selten betonter Aspekt. Man denke "Eigenarten" entwickeln können? jedoch an den Farb-Dreiklang der früheren Zel- genwirtschaft, an die Farbakkorde blühender Den bisher umfassendsten qualitativen Ansatz zur Ackerraine und Randstreifen, an Lerchentriller, Landschaftsästhetik* im Naturschutz liefert FAL- das "Knattern" auffliegender Rebhuhnketten, TER (1992). Der Autor wendet sich entschieden das Zirpen der Feldgrille usw.); gegen die "Multiple-Choice-Ästhetik" sog. "ope- - Historische Individualität: Die Prägung der rationabler" Bewertungsverfahren (vgl. HOISL Landschaft durch ihre Bewohner (und umge- et al. 1992a,b). Als Gegenpol zu solchem Reduktio- kehrt) bringt das Bild einer "vergeschichtlich- nismus bei empirischen Erhebungen wird zunächst ten" Landschaft in ihrer jeweiligen kulturellen eine Optimierung des Befragungsansatzes vorge- Überformung hervor (z.B. Weinberglandschaf- schlagen. Nach FALTER (S. 102) sollten "die Ver- ten, Steinrückenlandschaften, Gäulandschaften suchspersonen aufgefordert werden, ausführliche u.ä.). Schilderungen zu verfassen. Dabei wäre dann nicht der Durchschnitt interessant, sondern gerade die Erlebnisspitzen und individuellsten Eindrücke." 1.10.2 Empfehlungen zur Bewertung Der Autor verweist in diesem Zusammenhang auf die Arbeit von KRAUSE (1981), der Bereiche mög- Die vorstehend skizzierten Ansätze würdigen viele, licher Wertminderung durch Landschaftseingriffe aber nicht alle Funktionen und Bedeutungsinhalte wie folgt kategorisiert: von Saumbiotopen der Flur. Bisher meist nur unge- nügend beachtet wurden beispielsweise die räumli- Erlebniswert, Wert für das Heimaterleben, Wert che Kohärenz mit agrotopverwandten Flächenbio- für das Erleben von Geschichtlichkeit, Inspirati- topen wie Magerrasen, Trockenwälder, Halden, ver- onswert und Sensibilisierungswert (ergänzt von narbten Abbaustellen; die Kohärenz bzw. "Verma- FALTER (1992) durch "Erkenntniswert für die öko- schung" verschiedener Agrotoptypen und -dimen- logische Betrachtung, Gleichniswert für ein Sich- sionen untereinander; die Gesamtausstattung von selbst-Erkennen des Menschen in der Natur). Fluren; die örtliche Refugialfunktion für Arten, de-

*Ursprünglich nicht nur Lehre vom Schönen, sondern vom Wahrnehmbaren überhaupt und seiner Wirkung auf den Menschen. In dieser Bedeutung sieht FALTER (1992: 100) Ästhetik als Komplementärstück zur quantifizierenden Naturbetrachtung.

202 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen ren flächige Primärlebensräume reduziert oder ver- 5) Verbesserung der Erholungsattraktivität und -be- schwunden sind. nutzbarkeit auch außerhalb der klassischen Er- holungslandschaften. Dieses Teilkapitel entwickelt kein kartiererfreundli- ches, universell und bequem anwendbares Bewer- Diesen Eichmaßstäben sind die nachfolgend umris- tungsrezept, sondern beleuchtet auch Gesichtspunk- senen Bewertungkriterien verpflichtet. te, die sich einem simplen Schnellverfahren entzie- hen, nichtsdestoweniger aber unverzichtbar sind. 1.10.2.1 Gesamtbewertung Die Schnellaufnahme des in einem zugewiesenen von Fluren und Flurteilen Planungsgebiet vordergründig Sichtbaren genügt nicht. Rasch gewinnbare Agrotopdaten sollte man In einer bayernweiten Bewertungsrangfolge reprä- auf den jeweils größeren Raum projizieren und mit sentiert jede Flur (jedes Verfahrensgebiet, jede Ge- übergreifenden Artenschutzdaten und Zielaussagen markung, jedes umreißbare Agrotopsystem) hin- verschneiden (z.B. ABSP). sichtlich ihrer Agrotopausstattung einen bestimm- ten Rang(platz), einen bestimmten kulturlandschaft- Ähnlich wie viele kommunalen Fachplanungen lichen Charakter oder eine bestimmte Struktur- krankte bisher auch die Flurplanung am "Isolationis- ausprägung. mus", d.h. an mangelnder Einbeziehung des bereits Da ein umfassender bewertungsfähiger Überblick vorhandenen, wenn auch oft nicht ohne Mühe nutz- immer noch aussteht (vgl. aber erste Ansätze in Kap. baren Datenhintergrundes und an der Beschränkung 4.3), bleibt dies vorläufig ein Postulat. Dies entbin- des Betrachtungshorizontes auf das momentane det indessen nicht von ernsthaften Anstrengungen, "Auftragsgebiet". Demgegenüber einen sach- und dieses Defizit durch eine vergleichende Synopsis zeitgerechten Standard zu setzen, ist Aufgabe dieses über alle bayerischen Kulturlandschaften hinweg zu Kapitels. beheben. Aus landschaftspflegerischer und naturschutzfachli- Bayerns Kulturlandschaften verdienen es, nicht nur cher Sicht ist ein dreischrittiges Vorgehen geboten: ad hoc, sondern strategisch vorausschauend gewür- digt und qualitativ eingeschätzt zu werden. A Gesamtbewertung einer Flur oder eines größeren Reichgegliederte Fluren sind gewissermaßen "Ge- Agrotopsystems nach landesweiten, zumindest samtkunstwerke" mit jeweils eigenem "Stuck", also aber regionalen Kriterien (Kap.1.10.2.1, S.203); mit eigenständiger landschaftsästhetischer und kul- BBewertung der räumlichen Konfiguration ("Ver- turgeschichtlicher Ausstrahlung, darin durchaus mit netzung") innerhalb einer Flur (Kap.1.10.2.2, historischen Bauwerken vergleichbar. S.204); Fluren haben als Gesamtgefüge einen bestimmten C Bewertung des einzelnen Elementes (Kap.1.10.2.3, Repräsentanzwert für Agrotoptypen, historische S.205). Flurverfassungen und Kulturlandschaftscharaktere. Vor jeder Planung sollte man nach dem Rangplatz Dabei kann der Schritt C nicht sinnvoll ohne A und und der Repräsentativität einer Agrarlandschafts- B getan werden. einheit im Gesamtspektrum bayerischer Kulturland- Bewertungen setzen also Maßstäbe (Ziele) voraus, schaften fragen. Benötigt wird also ein "Bewer- die von den betrachteten Elementen und Elementsy- tungsdach", das eine a priori-Einstufung eines Agro- stemen unterschiedlich erfüllt werden (Zielerfül- topsystems ermöglicht. lungsgrade). Die Bedeutung eines Einzelelements, z.B. eines Rai- Folgende Bewertungsfundamente setzte bereits der nes oder einer Hecke ist nicht isoliert, sondern nur LPK-Band I in seinem Kapitel 5: im Rahmen eines Gesamtgefüges zu ermessen. 1) Trendwende bei der Ausdünnung der Populati- Welche Merkmale sollten in einer derartigen voraus- onssysteme - Stabilisierung des "biogenetischen schauenden Gesamtbewertung berücksichtigt wer- Erbes" (Artenvorrates) in seiner gesamten räum- den? lichen Repräsentanz - wenig mobile und ausbrei- • Räumliche Ausdehnung tungsschwache Arten möchten so verteilt sein, Die räumliche Reichweite eines (mehr oder we- daß ihre Populationen innerhalb von Gemarkun- niger) zusammenhängenden Agrotop-(Rain-, gen und Gemeinden in sich funktions- und exi- Hecken-, Altwege-, Mauer-)Systems steht nicht stenzfähig bleiben. nur für kulturlandschaftliche Schönheit, ja manch- 2) Stärkung der Wechselbeziehungen zwischen un- mal Monumentalität, sondern auch für tieröko- terschiedlichen Biozönosen der Kulturland- logische Lebensraumkapazität (Leitlinienreich- schaft - intensive Durchdringung agrarischer tum, Vielfalt der Ausweichmöglichkeiten, Ar- Produktionsbereiche mit relativ naturnahen Re- tendiversität usw.). Innerhalb weitgehend kahler gulativ-Ökosystemen - möglichst vielfältige Landschaften fallen Fluren mit wenigen Einze- Bindungen der Tierwelt eines Landschaftsele- lelementen heraus, darin wiederum Teilflächen mentes an benachbarte Flächen. mit vernetzten Systemen begrenzter Ausdeh- 3) Bessere Wasser- und Stoffrückhaltung, Trend- nung ("marginale Extensivbereiche"). umkehr bei der allgemeinen Eutrophierung. Weitläufige Mauer-, Rain- (und Hecken)syste- 4) Hervorhebung der überlieferten ästhetisch-kul- me sind schon recht selten geworden. Ihnen ge- turhistorischen Individualität der Kulturland- bührt die höchste Wertstufe. Keinesfalls darf die schaften und Fluren. hier z.T. noch erhebliche Ausdehnung als Vor-

203 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

wand für die Ausdünnung der Struktur miß- mißverstanden werden dürfen. Nach HOVESTADT braucht werden. et al. (1991) ist die Ausbreitungsfähigkeit von • Individuen zwischen Populationen einer der Netzwerkdichte Schlüsselfaktoren zum erfolgreichen Arten- Die Dichte von Verknüpfungs- und Schnittstel- schutz. Der "Vernetzungserfolg" innerhalb einer len zwischen Rain und Wegrand, Rain und Flur muß sich demnach vorrangig an diesem Krite- Hecke usw. ist ein grobes Maß für die Vielfalt rium messen lassen (vgl. Kap. 2.6). der Ausbreitungsmöglichkeiten mäßig mobiler Arten, für den Wechsel zwischen "Knotenpunkt- Die Isolation eines Habitats/Biotops kann z.B. aus- biotopen" (Treffpunkte von Agrotopen) und gelöst werden durch Aneinandergrenzen von Le- Korridoren, für die Kammerung der Landschaft bensräumen verschiedener Biotoptypen. Einige Ar- in unterschiedliche Sichtfelder und Erlebnisräu- ten benötigen aber gerade diese Grenzbereiche ent- me (Erholungsqualität). Als Maß der Netz- weder direkt als Lebensraum ("klassische" Saum- werkdichten kann die Agrotoplänge pro Fläche oder Ökotonarten) oder aber in verschiedenen Le- (lfd. m/ha) herangezogen werden. bensphasen (= eigentlicher gedanklicher Ansatz al- "Dichtraingebiete" sind in Bayern schon sehr ler Planungskonzepte zur "Biotopvernetzung"). selten geworden. Verschiedene Biotoptypen werden so zu einem ver- netzten Mosaik angeordnet, daß sie zur Steigerung • Typenvielfalt innerhalb einer Flur der Wanderungsmöglichkeiten zwischen ver- Jeder zusätzliche Agrotoptyp erweitert das Ar- schiedenen Biotopen beitragen (vgl. HEYDE- ten- und Lebensraumspektrum eines Land- MANN 1988; RÜCKERT & SCHÖN 1988; BULL schaftsausschnitts. Fügen sich Raine verschiede- et al. 1976). Als Planungskonzept erhält dieser zu- ner Sprunghöhe mit Altwegen unterschiedlicher nächst unspezifische Ansatz dann Bedeutung, wenn Einschnitt-Tiefe, mit Trockenmauern, Lese- eine Tier- oder Pflanzenpopulation davon direkt be- steinformen, Hecken und intakten Waldsäumen troffen ist (vgl. "Präsenz konzeptbestimmender Ar- zusammen, ist die höchste Strukturdiversität er- ten", in Kap.1.10.2.3, S.205). reicht. Der zweite Ansatz im Schutzkonzept "Biotopver- Von diesem Optimum sind die einzelnen Land- netzung" stellt die Frage nach der Verbindung schaftsausschnitte verschieden weit entfernt. gleichartiger Lebensräume zur Steigerung des • Repräsentanz und Singularität bestimmter Agro- Artenaustausches zwischen Populationen in ei- toptypen ner Lebensrauminsel (siehe Straßenrandstreifen Fluren können durch besonders schöne und ty- für Pflanzen bei RATTAY-PRADE 1989). Dienen pische Ausprägung bestimmter Elemente ausge- solche Biotopverbindungen gleichzeitig als Lebens- zeichnet sein. So gibt es "Elitegebiete" für Hohl- raum für die Art, dann steigern sie deren Populati- wege, Steinriegel, Hochranken usw. onsgröße. Haben sie diese Eigenschaft nicht, so muß Seltene Typen finden sich nur in wenigen Fluren wenigstens ihre Funktion als Bewegungskorridor Bayerns, so z.B. noch genutzte aufgefächerte nachgewiesen sein. Die Schaffung von Lebens- Wege, zusammenhängende Trockenmauersyste- raumkorridoren halten HOVESTADT et al. (1991) me (ehemaliger) Ackergebiete (z.B. DEG). für wesentlicher gegenüber dem Anbieten bloßer "Bewegungskorridore". • Intaktheit alter Flurverfassungen Zeichnen Raine und Wege noch unverfälschte Angaben über sog. "Minimumflächen" bzw. "Min- originale Schlagverteilungen und Flurformen destabstände" zwischen isolierten Lebensräumen nach, so verdienen sie Pietät und sorgfältige sind ausschließlich einzelartenbezogen statthaft Pflege. In einigen nichtbereinigten Landschaften (vgl. Kap. 1.5.3). Desgleichen müssen grob verall- können die Saumbiotope annähernd 1.000 Jahre gemeinernde Angaben zur "Mindestausstat- alt sein. tung" von Fluren mit naturnahen Flächenantei- Bestimmte Fluren zeigen noch besonders schön len, Landschaftselementen, Kleinstrukturdich- das Urmuster der Gründerzeit. Es sind Kulturre- ten usw. ("10 %-Regel") als rein spekulativ ab- likte höchsten Ranges. gelehnt werden. Wie schon in Kap.1.10.2.1, S.203, ausführlich begründet, eignen sich isolierte Meß- • Artenausstattung größen wie "räumliche Ausdehnung" und "Netz- Restpopulationen allgemein gefährdeter Kenn- werkdichte" allenfalls zur Einschätzung (tier)ökolo- arten der Feldfluren und bestimmter Randstruk- gischer Lebensraumkapazität innerhalb bestimmter turen verleihen den betreffenden Gebieten einen Flurteile bzw. Habitatkomplexe, keinesfalls aber als Wert, der nicht nur auf das Einzelelement Rain, Rahmenvorgabe für den Eingriffsfall von Flurneu- Hecke usw., sondern auf das gesamte Biotopge- ordnungsmaßnahmen! füge der Flur zurückgeführt werden muß. In diesem Sinne sind auch die nachfolgenden Krite- rien aufzufassen. Agrotope bzw. agrotopähnliche 1.10.2.2 Bewertung der Strukturen sind als Verbundelemente für den gene- "Vernetzung" innerhalb einer Flur tischen Austausch mit Flächenbiotopen besonders wertvoll und geeignet: Mit der Vernetzung eröffnen sich eine Reihe alter- • wenn sie möglichst ähnliche abiotische Bedin- nativ zu gestaltender Raumstrukturen ("räumliche gungen (z.B. Mikroklima) wie der "anzuknüp- Konfiguration von Agrotopelementen"), die freilich fende" Lebensraum aufweisen; z.B. Raine und nicht als bloße architektonische "Spielwiesen" Ranken mit lückiger Vegetationsstruktur und ho-

204 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

hem Rohbodenanteil ("Kalkmagerrasen-Mikro- Agrotope können (zumindest regional) seltene und/ klima"); oder gefährdete Arten beherbergen, wenn sie • wenn sie ähnliche Vegetationszusammenset- • eine ausreichende Breite besitzen, um eine ei- zung aufweisen (Eignung als Nahrungshabitate genständige Tier/Pflanzen-(Lebens)-gemein- für phytophage "Zielarten" des Biotopver- schaft aufzubauen (je breiter, um so geringer der bunds); Einfluß konkurrierender Arten, Ubiquisten aus • wenn sie die selbe Vegetationsstruktur aufwei- den angrenzenden landwirtschaftlichen Nutzflä- sen, wie die zu verbindenden Flächenbiotope chen); (Vermeidung von mikroklimatischen oder ver- • gute Lebensbedingungen für relativ anspruchs- haltensbedingten Barrierewirkungen für an be- volle (in der Intensivlandschaft besonders be- stimmte Vegetationsstruktur gebundene Tierar- nachteiligte) Gruppen bieten (zum Beispiel rela- ten); tive Nährstoffarmut für Arten der Mager- und • wenn sie einem ähnlichen Pflegerhythmus unter- Halbtrockenrasen; eine lückige Pflanzendecke liegen wie die zu verbindenden Flächenbiotope für helio- und xerothermophile, vielfach Rohbo- (Einpassung des Generationszyklus von "Zielar- den-gebundene Tierarten bzw. für konkurrenz- ten" des Biotopverbundes in den Pflegerythmus schwache Therophyten); der Agrotope); • Reste ehemaliger Flächenbiotope darstellen • wenn die Agrotopstrukturen gut in "Leitlinien" (lange Faunentradition); der Landschaft eingebunden sind, z.B. entlang • in unmittelbarem räumlichen Kontakt mit Flä- von Geländestufen verlaufen, an Waldrand-be- chenbiotopen bzw. deren Resten stehen ("Auf- gleitende Säume angebunden sind usw. (Zahlrei- füllungsmöglichkeit" durch Zuwanderung nach che Arten "orientieren" sich in ihrem Ausbrei- lokalen Aussterbeereignissen bzw. Einwande- tungsverhalten bevorzugt an solchen Leitstruk- rungschancen auch für wenig mobile (Tier)ar- turen). ten); • Teil eines noch intakten Agrotopverbundes in 1.10.2.3 Bewertung einzelner Elemente kleinparzellierten Gebieten darstellen (Eignung als Teilhabitat für Biotopkomplexbewohner wie Wie bereits herausgestellt wurde, kann die Bewer- z.B. Schlingnatter); tung einzelner Agrotopelemente nur in der Zusam- • reich an "Mangelstrukturen" sind (z.B. Abbruch- menschau mit ihrer Raumstruktur sinnvoll gesche- kanten oder Hanganrisse, v.a. im Löß, alte hen. So müssen auch die nun folgenden Kenngrößen Trockenmauern mit Flechten- und Moosbe- jeweils in einem hierarchischen Gesamtzusammen- wuchs, unverfugte Mauern oder Trockenmauern hang gesehen werden: Das lebendige Gefüge einer mit altem verwittertem Kalkmörtel, besonnte Flur ist stets mehr (wert) als die Summe ihrer Ein- Steinriegel, morsche Holzpfosten); zelelemente. Das Einzelelement bemißt sich wieder- • geringen Störungen durch Freizeitaktivitäten um am Gesamtwert größerer, übergeordneter Agro- ausgesetzt sind (Rückzugsmöglichkeit für stö- topsysteme (-komplexe, regionaler und überregio- rungsempfindliche Tierarten wie z.B. Rebhüh- naler Verbundsysteme). ner); Maßgeblich sind: • über die gesamte Vegetationsperiode ein reiches Präsenz konzeptbestimmender Arten Nahrungsangebot mit hoher Diversität z.B. an Auf die wichtige Naturschutzstrategie der konzept- verschiedenen Blütentypen aufweisen (Nah- bestimmenden Arten (Schlüsselarten, Zielarten) rungshabitat und Überbrückungshilfe blütenar- (vgl. HOVESTADT et al. 1991) soll hier nicht mehr mer Perioden für agrotop-indigene Blütenbesu- im Detail eingegangen werden. Dafür maßgebliche cher und Blütenbesucher aus dem Agrotop-Um- Informationen finden sich vor allem in den Kap. feld). 1.4.3 u. 1.5.4 sowie in 1.9.1.1 u. 1.9.1.2, S. 174 ff. (Arterhaltung Pflanzen- und Tierwelt). Alle hier ge- Einigermaßen fundierte Aussagen über Erfolg oder nannten Arten sind als "konzeptbestimmend" im Mißerfolg von Artenhilfsmaßnahmen (Lebens- Sinne dieses Bewertungskapitels aufzufassen. raumkorridore, Biotopverbundmaßmen etc.) lassen Weiter zu beachten ist , daß die vegetationskundlich- sich nur über eine Nachkontrolle, die sich an den floristische und die zoologische Bedeutung eines Vorgaben der "Bioindikatoren" (konzeptbestim- Lebensraumes sehr oft nicht übereinstimmen (vgl. menden Arten) mißt, treffen. Das heißt, auf ausge- SCHLUMPRECHT & VÖLKL 1992). Die faunisti- wählten Flächen (Magerrasenreste, magere Raine, sche Bewertung von Agrotopen sollte grundsätzlich Ranken, Böschungen etc.) findet eine qualitative durch die Erhebung möglichst vieler Tiergruppen Überprüfung der Bestandsentwicklung landkreisbe- mit unterschiedlichen Habitatansprüchen durchge- deutsamer Pflanzen- und Tierarten aus der Erstkar- führt werden. Hinweise zu Mindestanforderungen tierung statt. bei faunistischen Erhebungen (Arthropodengrup- So empfiehlt GROSSMANN (1988: 108) für pen) geben z.B. DUELLI et al. (1990). Heckensäume, Raine und Ranken u. a. Arten wie Auch aufgrund des nach wie vor unzureichenden Dianthus deltoides, Anthoxanthum odoratum, Poly- Erfassungsgrades artenschutzbedeutsamer Agro- gala vulgaris, Lychnis viscaria. An charakteristi- tope wird an dieser Stelle auf ein letztendlich will- schen Tieren werden z.B. Chorthippus apricarius kürliches Herausgreifen einzelner "Spitzenarten" (Feld-Grashüpfer), Decticus verrucivorus (Warzen- verzichtet. Daher nur soviel: beißer) oder Gryllus campestris (Feldgrille) genannt

205 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

(für Untersuchungsgebiet Kirchberg im Passauer • je geringer die Verluste unter den Prädatoren Abteiland). sind (Insektizideinwehung, Abflämmen redu- Durch Einrichtung von Dauerbeobachtungsflächen zieren die Dichte der "Gegenspieler"); und quantitative Beobachtung der Bestandsentwick- • je artenreicher die Flora (wichtig ist vor allem lung ausgewählter Zeigerarten kann diese Nachkon- ein großes Angebot morphologisch unterschied- trolle noch ausgedehnt werden (s. "Arten-Monito- licher Blütengruppen, attraktive "Blütenpulks") ring" durch den Bezirk Mittelfranken und den Bund und je strukturreicher ("geschichteter") der Ve- Naturschutz in BN 1991b). getationsaufbau der Agrotope ist; Im "FAM-Projekt Scheyern" (vgl. PLACHTER et • je breiter, großflächiger und "nischenreicher" die al. 1992) kommen für die Monitoring-Phase als einzelnen Agrotopstrukturen sind und je "eng- Indikatorarten in Betracht: maschiger" das Agrotopgefüge ist (verbessert - netzbauende Spinnen der Krautschicht (z.B. Ar- das Angebot z.B. an "Ausweichbeutetieren" - die giope bruennichi - Wespenspinne); größere "Bandbreite" unterschiedlicher ökologi- scher Verhältnisse vermindert die Gefahr des - Geradflügler, z.B. "Massenauftretens" einer Schadart). - Gryllus campestris - Feldgrille • je zahlreicher die "Netzanschlüsse" zu Kontakt- - Chorthippus apricarius - Feldgrashüpfer lebensräumen wie z.B. Heckenzeilen, Waldmän- - Chorthippus montanus - Sumpfgrashüpfer tel, Einzelbäume, Totholz etc. sind (deutlich ver- - Chorthippus dorsatus - Wiesengrashüpfer besserte "Relais-Funktion" für Langstrecken- - Chorthippus albomarginatus - Weißrandiger wanderer, vgl. Kap. 1.9.2.2). Grashüpfer; Hinsichtlich des Erosionsschutzwertes sind alle - Vogelarten, z.B. Alauda arvensis - Feldlerche; hangparallel verlaufenden Strukturen (gleich ob - Schwebfliegen. Ranken, Steinriegel, Mauern, Hecken etc.) als be- sonders hochwertig einzustufen. Vor allem in Fluren Über die im UG vorkommenden Arten hinaus haben mit defizitärer Ausstattung (vgl. Kap. 3.3.3) kommt auch solche Arten Indikatorfunktion, die bisher nur der Erhaltung jedes einzelnen dieser Agrotopele- als Gäste anzutreffen waren bzw. in zurückliegenden mente höchster Stellenwert zu. Jahren bodenständig waren, z.B. Saxicola rubetra Gestaltqualität/Erlebniswert/"Historische Indi- (Braunkehlchen), Perdix perdix (Rebhuhn) u. wei- vidualität" tere zuwandernde Arten. Das Material der Steinhaufen und Lesesteinriegel Ausprägung von typspezifischen Pflanzen-/Tier- stammt in der Regel aus dem nächsten Umkreis. Bei gemeinschaften Trockenmauern, insbesondere bei Stützmauern an Hoch zu bewerten sind vor allem jene Gesellschaf- Wegen und Straßen, ist dies nicht zwangsläufig der ten, die sich auf mageren und warm-trockenen Fall. Mauern aus autochthonem Material verdienen Standorten ausbildeten und dort u.U. eine Pionier- höhere Bewertung als jene aus allochthonem Ge- rolle übernehmen, z.B. die Felsspalten- und Mauer- stein. Bei Lesesteinformen und Mauern ist u.a. auch fugengesellschaften oder die Mauerpfeffer-Triften die Bandbreite der Korngröße von Bedeutung (Fu- auf Lesesteinformen und Trockenmauern. (Ähnli- genbild). ches gilt für die Flechtenvegetation.) Hinsichtlich der Hohlwege können die unterschied- Die Ausprägung dieser Gesellschaften demonstriert lichen Typen betrachtet werden; der klassische (re- zum einen die Durchsetzungsfähigkeit von Pflanzen zente) Kastenhohlweg ist - zumindest in Lößgebie- auch bei unwirtlichen Standortbedingungen, ist an- ten - höher zu bewerten als der Muldenhohlweg, der dererseits aber auch ein Indiz für eine geringe Be- bereits als Degenerationsform angesehen werden einflussung dieser räumlich eng begrenzten Lebens- muß. Dies gilt nicht für Sandgebiete, für die der räume durch die angrenzenden Nutzflächen (z.B. Muldenhohlweg charakteristisch ist. Auch mehr- durch Düngergaben). Bei zunehmender Durchmi- spurige Hohlwege sind hoch zu bewerten. schung, z.B. mit Arten des Wirtschaftsgrünlandes, Ein weiterer, zugleich kulturhistorischer Aspekt des verringert sich die Wertigkeit dieser Wuchsorte. Kriteriums Geomorphologie ist Reliefveränderung Entsprechendes gilt für die Habitatqualität vorran- durch anthropogene Strukturen, wie sie bereits bei gig zoologisch definierter Standorte. der Hangterrassierung angesprochen wurde. Zum Wert als Schädlingsregulativ/ Ressourcenschutz- Teil wurde, wie bei Dammwegen, diese Reliefierung wert bewußt vorgenommen, teilweise ist sie unbeabsich- tigtes Ergebnis einer bestimmten Nutzung, wie bei- Diese Bewertungskriterien subsummieren die we- spielsweise die Entstehung von Hohlwegen oder die sentlichen Aussagen aus Kap. 1.9.2 u. 1.9.3, S. Umbildung eines Hohlweges in eine Terrasse infol- 182ff. ge fortgesetzter (abtragender) Pflugarbeit auf einer Grob vereinfacht läßt sich folgende Faustregel auf- Böschungsseite. stellen: Der Regulationseffekt von Agrotopen ist Geländemodellierungen solcher Art sind sowohl umso größer, je stärker die Ausgangsposition der geomorphologisch wie auch kulturhistorisch und "Nützlinge" in den Rainen, (Hecken)säumen u. ä. landschaftsästhetisch positiv zu bewerten, da die Grenzlinienbiotopen ist, und je besser "bedienbar" Strukturvielfalt der Landschaft erhöht wurde und die landwirtschaftlichen Nutzflächen sind. dies in einem Umfang und einer "Geschwindigkeit" Das heißt, die Bedeutung der Agrotopfauna als vonstatten ging, so daß der Lebewelt ausreichend Schädlingsregulativ ist um so höher: Reaktionsmöglichkeiten blieben. Das naturraum-

206 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen charakteristische Meso- und Makrorelief wurde da- elemente Objekte aus der Zeit nach 1950 bestenfalls durch nicht überprägt, manchmal wird es durch das als "geringwertig" ein, während Elemente der Früh- anthropogene Kleinrelief sogar noch verdeutlicht geschichte (vor 400 n. Chr.) die höchste Wertschät- (z.B. Kulturterrassen an Drumlin-Hängen im Alpen- zung genießen. vorland). Daneben soll aber auch an die naturwissenschaftli- Ein gehäuftes Auftreten von Agrotopen (bei Wegen che (pflanzengeographische, syntaxonomische) Be- in Ausprägung als Grün- oder Erdwege) ist auf jeden deutung von eigentümlichen Übergangsformen, Va- Fall positiv zu bewerten, da diese auf die lokal oder rietäten, und/oder regional bedeutsamen Kleinarten regional traditionelle Form der Landbewirtschaf- erinnert sein. tung hinweisen und einen Einblick in die Lebensum- stände der Vorfahren und ihren Umgang mit natür- lichen Ressourcen bieten (Kap.1.9.3, S.185). Unter Umständen können sogar unverwechselbare lokale 1.11 Gefährdung, Rückgang, Zustand Besonderheiten auftreten, z.B. in der Ausfertigung der Trockenmauern. Die kulturgeschichtliche Be- Feld- und Wegraine, alte Flurwege und sonstige deutung eines Agrotops erhöht sich, wenn mit die- "Rand- und Zwickelbiotope" haben in den letzten sem Element historische Begebenheiten verknüpft Jahrzehnten sowohl quantitativ wie auch qualitativ werden können (z.B. Raubritterscharmützel in größte Einbußen erlitten. Im folgenden Kapitel wird Hohlwegen, Steinhaufen im Bereich historischer den Ursachen dieser Entwicklung nachgespürt. Wüstungen usw.). Flur- und Wegenamen können Kap. 1.11.1 nennt die wichtigsten Gefährdungsursa- hier gelegentlich wertvolle Hinweise geben (vgl. chen; 1.11.2 (S. 236) dokumentiert (ansatzweise) Kap.1.9.5, S.190). den Rückgang; Kap.1.11.3 (S.244) ist der Versuch, Bedeutsam ist auch, ob die jeweiligen Agrotope den Status quo hinsichtlich Pflegezustand und Le- noch heute in ihrer traditionellen Form genutzt wer- bensraumvernetzung zu resümieren. den bzw. ihre ursprüngliche Funktion beibehalten Nicht unerwähnt bleiben darf der immense "Kul- haben, z.B. die Verkehrsnutzung (auch Fußweg) in turschaden" durch Verluste gewachsener Flur- Hohlwegen oder die Weide von Kleinvieh bzw. die strukturen und Wegesysteme, die häufig herausra- Gewinnung von Futter auf Rainen. gende heimatgeschichtliche Werte, aber auch ästhe- Ein "hochwertiges" Landschaftsbild zeichnet sich tische Funktionen verkörpern (vgl. Kap.1.11.3.3, durch Abwechslungsreichtum und optische Vielfalt S.251). aus, die durch die linearen Agrotope als gliedernde, Ein eklatanter Mangel an detaillierten wissenschaft- modellierende und belebende Elemente hervorgeru- lichen Untersuchungen sowie fehlende statistische fen wird, ohne daß dieses "Bild" überladen wirkt. Je Bezugsgrundlagen machen flächendeckende Aussa- mehr der Landschaftsausschnitt ein harmonisches gen vorerst unmöglich; der Darstellung von Einzel- Ensemble, ein "Gesamtthema" - u.U. mit mehreren beispielen wird deshalb relativ breiter Raum einge- unterschiedlichen Agrotoptypen und anderen Klein- räumt. strukturen - bildet, um so höher wird sein Erlebnis- wert. 1.11.1 Gefährdung Bei der Beurteilung des Landschaftsbildes sind Nah- und Fernwirkung zu unterscheiden; kleinteili- In der traditionellen Kulturlandschaft waren Agro- ge Strukturen wirken vor allem aus der Nähe prä- tope selbstverständlicher Bestandteil der Feldflur. gnant. Netzwerke niedriger, nahe besehen eher un- Erst mit dem technischen und agrarstrukturellen scheinbarer Raine oder Wegsäume wirken in ent- Wandel der Nachkriegszeit verkümmerten sie - wie sprechender Maschendichte auf weithin sichtbaren auch andere naturnahe Landschaftsbestandteile - Hangpartien als optisches Filigran. Verschiedene zum "gering geschätzten ökonomischen Produkti- Materialien (Stein, Sand, Holz, Blätter, Gras u.a.), onsfaktor" (vgl. MAYER-TASCH 1987: 42). Tierarten, Formen, Farben, Düfte, Oberflächen- Zwischen intensivst genutzten Flächen geradezu strukturen, Vogelstimmen und andere Tierlaute, der "eingeklemmt", sind Agrotope als typische Vertreter Wechsel von Licht und Schatten steigern das Land- der Saum- und Randzonenbiotope heute durch den schaftserleben und damit den Erholungswert. Erho- meist sehr engen Kontakt zu bedrohenden Um- lung in diesem Sinne braucht keine Möblierung welteinflüssen überdurchschnittlich beeinträchtigt der Landschaft mit Parkbänken, Brotzeittischen und gefährdet (vgl. RINGLER 1981: 42; RUTH- und Grillplätzen, sondern fühlt die Geborgenheit SATZ & HABER 1982: 117; STICHMANN 1986; und den Erlebniswert solchen "Landschaftsin- MÖLLER, RUWENSTROTH et al. 1984: 114 ff.; ventars" (DENECKE 1969; BLAB 1986; KAULE MORITZ & BOLTE 1988: 35 ff.; KORNECK & 1986; BLAB & VOGEL 1989; JEDICKE 1990). SUKOPP 1988; RÖSER 1988). Neben der direkten Wissenschaftlicher Wert Beseitigung durch Flurbereinigung, Wegebau und Gemeint ist hier vor allem der Wert herausragender sonstige Baumaßnahmen ist eine breite Faktoren- Einzelschöpfungen als Forschungsobjekt für die kette indirekter Einwirkungen an der qualitativen (Agrar)geschichte, die Historische Geographie, Gefährdung mehr oder weniger stark beteiligt. möglicherweise auch für die Archäologie (Altersda- Die eigentlichen Ursachen beider Wirkungsbereiche tierung "römischer" Ackerterrassen, Unterbau von sind jedoch im agrarstrukturellen Wandel der jün- Altstraßen usw.). GUNZELMANN (1987) z.B. stuft geren Vergangenheit begründet (vgl. dazu auch Kap. bei der Bewertung historischer Kulturlandschafts- 2.3).

207 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

1.11.1.1 Direkt wirkende Faktoren Enge Zusammenhänge zwischen Flurbereini- gungsverfahren der 50er bis 70er Jahre und einem Als direkte Einwirkung ist allem voran die vollstän- auffallenden Rückgang der Artenvielfalt und dige oder teilweise Beseitigung von flurbegrenzen- Häufigkeit von Pflanzengesellschaften sind durch den Agrotopen (Raine, Steinriegel, Mauern) durch vegetationskundliche Untersuchungen in den Flurbereinigung und Eigenbereinigung anzu- Haßbergen (WEBER 1975) dokumentiert. Demzu- sprechen. Wegraine, Hohlwege und sonstige alte folge korreliert der überproportionale Rückgang Flurwege sind vor allem durch neuzeitlichen Wege- insbesondere seltener und gebietsspezifischer Pflan- ausbau und Neutrassierungen in der Feldflur ge- zenarten deutlich mit der "Rigorosität" und dem fährdet. Baulanderschließung für Siedlungs- und Zeitpunkt des jeweiligen Flurbereinigungsverfah- Gewerbegebiete, Wochenend- und Freizeitanlagen rens. stellen im Umfeld stark expandierender Ballungs- Negative Einflüsse der Flurbereinigung auf die Fau- räume eine erhebliche Gefährdung für sämtliche na der Agrarlandschaft sind u. a. durch BIRNSTIEL Kleinbiotope der Feldfluren und Weinberge dar. (1977), PREUSS (1980) sowie FLIER & WESCHE (1982) dokumentiert. So zeigen unbereinigte Acker- 1.11.1.1.1 Feldflurbereinigung flächen eine deutlich höhere Artendiversität und Besiedelbarkeit durch stenöke "Spezialisten". Nach Schwerwiegende ökologische Auswirkungen von Untersuchungen von REICHHOLF (1976) im süd- Flurbereinigungsverfahren (vor allem jene der 70er ostbayerischen Inntal erlitt die Tagfalterfauna infol- und frühen 80er Jahre) auf Naturhaushalt, Biotop- ge Flurbereinigung mit nachfolgender Nutzungsin- ausstattung und Landschaftsbild sind durch zahlrei- tensivierung einen beträchtlichen Rückgang der Ar- che Veröffentlichungen dokumentiert (u. a. MOR- tenvielfalt (um 57%) und Häufigkeit (um 94%). TENSEN 1958, BRIEMLE 1976, MEISEL & Verschiedene Auswirkungen von Grundstückszu- HÜBSCHMANN 1976, EWALD 1978, SUKOPP sammenlegungen auf agrarische Kleinbiotope erör- 1981, BADER & SCHWERTMANN 1981, MIL- tern MÖLLER & RUWENSTROTH (1984) durch BRADT 1981, SCHWERTMANN 1982, WEIGER Fallbeispiele aus der bayerischen Rhön. & FROBEL 1983, RINGLER 1987, RIBBE et al. Vor allem in Landesteilen mit noch reichhaltigem 1988, HAHN & WEIGER 1988, KLEIN 1989, RU- Bestand an naturnahen Flächen wird eine grundsätz- DOLPH & SACHTELEBEN 1991). liche Verschlechterung der ökologischen Bilanz Als häufigste Negativ-Auswirkungen werden ge- durch Flurbereinigungsmaßnahmen befürchtet, und nannt: dies selbst "bei bestem Willen der zuständigen Flur- • bereinigungsbeamten" (HAHN o.J.: 2). Besonders Verlust von Saum- und Grenzlinienbiotopen in- nachteilige Folgen sind demnach zu erwarten für folge von Schlagvergrößerungen; - Terrassenlandschaften der Mittelgebirge; • Verstärkte Bodenerosion infolge Beseitigung - Bereiche mit hohem Streuobstanteil sowie für hanggliedernder Kleinstrukturen; - die unterfränkischen Weinbergslandschaften. • Nivellierung der Standortverhältnisse und der Nutzungsvielfalt infolge Bodenmeliorationen; Die Zusammenlegung kleinerer Flurstücke zu • Beschleunigung der Landnutzungsintensivie- größeren Bewirtschaftungseinheiten steht im allge- rung und Erschließung; meinen im Mittelpunkt jedes Flurbereinigungsver- • Beschleunigung des landwirtschaftlichen Struk- fahrens. Welche Rolle hat die Flurbereinigung bis in turwandels durch Begünstigung agroindustriel- die jüngste Vergangenheit bei der Beseitigung von ler Großbetriebe. Flurgrenzbiotopen gespielt ? Wie sind Meliorations- maßnahmen, Flurbereinigung und Nutzflächenin- Nach SUKOPP (1981: 258) stehen die Faktoren tensivierung verknüpft ? "Beseitigung von Ökotonen und anthropogenen Die folgenden Abschnitte geben hierzu einige Ant- Sonderstandorten" (Raine, Böschungen, Steinrie- worten, wobei auch ökonomische, psychologische gel, Mauern) an der Spitze der Einzelursachen, die und soziologische Motive früherer "Landeskultur" den nach wie vor ungebremsten Artenrückgang der nicht ausgespart bleiben. Nur so ist eine sachgerech- letzten Jahre zu verantworten haben. Vom Verlust te Auseinandersetzung mit der Ländlichen Entwick- dieser Standorte am stärksten betroffen sind dem- lung der Gegenwart überhaupt möglich (vgl. dazu nach Trockenrasen, Ruderalfluren und thermophile auch Kap. 3.2). Staudenfluren. Zwischen 1800 und 1850 betrug die Durchschnitts- Daß Landwirtschaft und Flurbereinigung nicht zu größe einer Ackerparzelle in Bayern ungefähr ein Unrecht als Hauptfaktoren für die zu beklagenden Tagwerk, also etwa 0,34 ha (STUTZER 1988). Daß Arten- und Biotopverluste genannt werden (KOR- Zusammenlegungen kein ausschließliches Phä- NECK & SUKOPP 1988), belegt das Ergebnis einer nomen der Nachkriegzeit sind, beweist u.a. folgen- Biotopnachkartierung (WEIGER & FROBEL 1983: de Notiz in einer Veröffentlichung des Landwirt- 440): Von 643 aufgenommenen Beeinträchtigungen schaftlichen Vereins in Bayern: " [...] in neuerer Zeit waren nahezu 40% dem Verursacherkomplex Zusammenlegungen mit erneutem Eifer betrieben, Landwirtschaft/Flurbereinigung zuzuordnen. Als man beschränkt sich jedoch darauf, den einzelnen Einzelursachen wurden besonders häufig durch den Besitzungen eine Größe und Form zu geben, dass sie Strukturwandel ausgelöste Nutzungsintensivierun- leicht und zu jeder Zeit zugänglich sind und sich gen (Grünlandumbruch in Ackerflächen, Verfüllun- ihrer Lage entsprechend bearbeiten lassen." (AN- gen von Senken mit Erdaushub etc.) genannt. ONYMUS 1861). Die Rentabilitätssteigerung der

208 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Landwirtschaft als Leitmotiv für die Neuordnung fahrt aneinandergrenzten, so daß alle die gleiche der Agrarstruktur war von jeher meist der planenden Fruchtfolge einhalten mußten" (HULLER 1991: Gestaltung der Kulturlandschaft übergeordnet (NA- 62). Nach den Maßnahmen der Bodenordnung bear- GEL 1978). Tab. 1/37, S. 210, spiegelt die Maßnah- beitet ein Landwirt statt der ursprünglichen 12 nun- menpalette von Änderungen der Flurstruktur in ei- mehr durchschnittlich 4 größere Parzellen von etwa nem Zeitrahmen von mehr als 1.500 Jahren wider. 2,7 ha. Seit dem 20. Jh. steht die Beseitigung der Flurzer- Die Abbildungen 1/77, S. 211, und 1/78, S. 212, splitterung im Vordergrund, meist einhergehend mit zeigen die dramatischen Veränderungen des Flur- einer starken Zunahme der Schlaggrößen. So musters, dargestellt an den Besitzständen der Orts- wurden bei Flurbereinigungsverfahren die Schläge fluren Schöpfendorf und Frankenhof: Statt der für im Bundesdurchschnitt im Verhältnis 1 : 3 ver- den Raum typischen Streifengewannflur beherr- größert: von 4 ha auf 7 ha in der norddeutschen schen nun große Blockfluren das Bild. Der Vorher- Tiefebene; von 0,4 ha auf 1,8 ha in süddeutschen Zustand des Weilers Frankenhof läßt deutlich die Realteilungsgebieten bei überwiegend hängigem ursprünglich hangparallele Bewirtschaftungsrich- Gelände (KAULE 1984: 568). tung der einzelnen Schläge erkennen. Vor kurzem betrug die durchschnittliche Parzellen- größe in Bayern vor einer Flurbereinigung 0,8 ha, Neben dem allein durch Schlagvergrößerung verur- nach dem Verfahren 2,0 ha (BAYERISCHER sachten Rückgang von Saumbiotopen entlang der AGRARBERICHT 1990, zit. in GLASHAUSER & ehemaligen Grenzraine wurden im Rahmen der Bo- WÖLFL 1992: 176). denneuordnung noch 55 km alte Flurwege beseitigt Deutliche Schlagvergrößerungen sind selbst für und humisiert (HULLER 1991: 869). Darüber hin- jüngste Verfahren belegt; so wurden z.B. im Verfah- aus wurden 16 alte Gemeindenutzungsrechte (All- rensgebiet Absberg (WUG), einem Teilgebiet der menden) von der Teilnehmergemeinschaft abgelöst, Gruppenflurbereinigung Brombachsee, Schlagver- wobei in Siebeneichen für 8 Bauern die Rechtleran- teile in Grund und Boden ausgewiesen wurden; das größerungen im Verhältnis 1 : 5 vorgenommen. Bei Flächen mit Sonderkulturen (landschaftstypischer frei gewordene Gemeindeland wurde als Bauland Streuhopfenanbau mit Kirschen) konnte meist "nur" für 66 neue Wohnbauplätze zur Verfügung gestellt. eine Formverbesserung und Erschließung mit Feld- Aus dem Landzwischenerwerb nach § 52 FlurbG wegen erreicht werden. Aufgrund der stark rückläu- (43 ha) wurden zusätzlich erhebliche Flächen für figen Bedeutung des arbeitsintensiven Streuobstan- den überörtlichen und örtlichen Straßenbau, für Sport- und Freizeitanlagen und sonstigen kommu- baus war eine "großzügige Zusammenlegung" mit Rücksicht auf die Gleichwertigkeit der Landabfin- nalen Bedarf ausgewiesen (insgesamt 23 ha); nicht dung meist nicht möglich (GARTZKE 1991: 40). eingerechnet ist hier der Flächenbedarf für die ei- Ähnliche Zusammenlegungen sind u. a. für das gentliche Infrastruktur der Feldflur (106 km befe- Kammeltal (GZ) und das Gebiet der Gruppenflur- stigte, 51 km unbefestigte neue Wirtschaftswege, 12 km Vorfluter, 15 Wasserrückhaltungen), die neuen bereinigung Illschwang (AS) in der Mittleren Fran- kenalb belegt (NIEDERMEIER et al.1991, HUL- Ortsausfahrten (13) und rückwärtigen Hofer- LER 1991). schließungen (17). Inwieweit für diese Infrastruktu- reinrichtungen weitere Saum- und Grenzlinienbio- Weitere Beispiele aus der Flurbereinigungspra- tope geopfert wurden, kann aus der Flächenstatistik xis nicht gesichert entnommen werden. Nachfolgend wird die anhaltende Bedrohung von Agrotopen durch Zusammenlegung und Bodenme- Es ist jedoch anzunehmen, daß insbesondere Schmal- lioration an Beispielen besonders kleinteilig struk- raine mit Altgrasfluren, Trittrasen und sonstige turierter Landschaften verdeutlicht. Das z.T. noch "Gras- und Krautfluren" ohne 6d-1-Charakter den immer wirksame Gefährdungspotential vieler Flur- Maßnahmen in ganz beträchtlichem Umfang zum bereinigungsverfahren wird durch Bildvergleiche Opfer fielen, ohne in einer Flächenstatistik je zu (alte und neue Flurkarten), neuere Untersuchungs- erscheinen. Beeinträchtigt wurden auch etliche ergebnisse und nicht zuletzt durch aktuelle Publika- wertvolle Waldrandstandorte mit Magerrasen und tionen der Ländlichen Neuordnung in Bayern (vgl. wärmeliebenden Saumgesellschaften über flach- StMELF 1991) belegt. gründig anstehendem Dolomit (HERRE 1992, mdl.), die in der Oberpfälzer Alb unersetzliche Netz- 1) Flurbereinigung in Realteilungslandschaften punkte für Trockenrasenverbundsysteme darstellen. Am Beispiel Illschwang (AS/Mittlere Frankenalb) Bei der Einleitung des Flurbereinigungsverfahrens offenbart sich - stellvertretend für andere Realtei- 1977 existierte zudem lediglich eine sehr grobe Bio- lungslandschaften - die Problematik von beson- topkartierung (1: 50.000) als einzige naturschutz- ders kleinparzellierten Fluren: Vor der Einleitung des Verfahrens 1977 bewirtschafteten die Landwirte fachliche Bewertungsgrundlage im Verfahrensge- 2836 Flurstücke mit einer durchschnittlichen Flä- biet (HERRE 1992, mdl.); schmale Saum- sowie kleinere "Zwickelbiotope" innerhalb der landwirt- chengröße von 0,84 ha, wobei ein Betrieb im Schnitt schaftlichen Flur dürften ausnahmslos durch dieses 12 Flurstücke, mancher sogar bis zu 40 (!) Einzel- doch sehr grobe Aufnahmeraster gefallen sein. parzellen besaß: "Hohe Feldrandverluste und zahl- reiche Vorgewende mit unproduktiven Wendezeiten Ob angesichts dieser Begleitumstände die ange- waren die Folge. Vereinzelt herrschte [...] noch der strebten Naturschutzziele (Bewahrung der differen- Flurzwang, weil Parzellen verschiedener Eigentü- zierten, bäuerlichen Kulturlandschaft, räumliche mer in dichter Gemenglage ohne ausreichende Zu- Vernetzung isolierter Biotope etc., vgl. HULLER

209 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/37 Inter/nationale und regionale, geplant vorgenommene Strukturveränderungen im ländlichen Raum (NAGEL 1978: 14)

210 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/77 Zusammenlegung des Grundbesitzes in der Ortsflur Schöpfendorf, dargestellt an einigen Besitzständen (HULLER 1991: 66/67)

211 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

1991: 63 f.) erreicht wurden, muß zumindest stark "[...] Bodenauffüllungen und Materialentnahmen in Zweifel gezogen werden. sind nicht geplant. [...] Zur Schaffung von einheit- lich bewirtschaftbaren Flächen sind nur ganz wenige Schwerwiegende Beinträchtigungen und Verluste Veränderungen an den Landschaftselementen vor- an Grenzrainen und sonstigen kleinflächigen Agrar- gesehen. Die Beseitigung einzelner Raine erfolgt biotopen infolge von Schlagvergrößerungen sind für nur dort, wo es für eine rationellere Bearbeitung zahlreiche weitere Flurbereinigungsgebiete in ehe- notwendig ist. [...] Durch Planierungen sollen nur maligen Realteilungslandschaften dokumentiert, ganz wenige kleine Raine (Höhe kleiner als 1 m) die hier nur exemplarisch angeführt werden können beseitigt werden. Sie erfolgt nur, wo die neue Be- (vgl. auch Kap.1.11.2, S.236). wirtschaftungsrichtung dies erfordert [...]" (FLUR- BEREINIGUNGSDIREKTION BAMBERG 1989, So wurden im Verfahrensgebiet Kunreuth (FO), zit. in RUDOLPH & SACHTELEBEN 1991). Bei einem Teil der Gruppenflurbereinigung Forchheim- der Gruppenflurbereinigung Eggolsheim (FO) Süd, neben flächenhaften Rodungen wertvoller kommt es neben Verlusten an Grenzrainen zu mas- Streuobstbestände insgesamt fast 4 km Raine einge- siven Grünlandumbrüchen (zwischen 50 und 80% ebnet, davon über 1,9 km markante Stufenraine mit aller Wiesenflächen), wobei auch "traditionelle einer Sprunghöhe von mindestens 1 m und darüber. Wiesenlagen, erosionsgefährdete Hanglagen und Ein landschaftsprägender Geländerücken von etwa Wasserschutzgebiete" nicht verschont wurden (RU- 0,15 ha wurde ebenfalls vollständig planiert (RU- DOLPH & SACHTELEBEN 1991). DOLPH & SACHTELEBEN 1991). Der Erläute- rungsbericht zum Plan über die gemeinschaftlichen Die Zerstörung von kleinteiligen Realteilungsfluren und öffentlichen Anlagen nach § 41 FlurbG vermel- zeigt sich auch am Beispiel der Flurbereinigung det dazu: Oberzenn (NEA): "Die Bewirtschaftungsrichtung

Abbildung 1/78 Zusammenlegung des Grundbesitzes in der Ortsflur Frankenhof, dargestellt an einigen Besitzständen (HULLER 1991: 64)

212 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen wurde [...] an den Verlauf der Straßen und Gräben jedoch erst seit den 50er Jahren mit dem Einsatz [des Wege- und Gewässerplanes] z.T. ohne Rück- verbesserter Hilfsmittel: Mit Kompressoren und sicht auf natürliche Gegebenheiten, z.B. Böschun- Autosteinbrechern konnte der Zerkleinerungsgrad gen, angepaßt." (Erfahrungsberichte örtlicher Kreis- der Steinblöcke so weit erhöht werden, daß anstelle gruppen des BUND NATURSCHUTZ IN BAY- der bisher immer höheren Steinriegel und -haufen ERN E. V., zit. in HAHN & WEIGER 1988). Von nun vermehrt Baumaterial für Wege, Silos und Jau- der großflächigen Zusammenlegung besonders chegruben anfiel (RINGLER et al. 1990: 220). betroffen waren danach vor allem kleine Streu- Bis in die 50er Jahre hinein hatten der Drang nach obstinseln an Ranken, Böschungen und Wald- Bodenmelioration und Ödlandkultur also eine randstufen. Rodungen und Flächenplanie wurde Wachstumsphase (!) der Steinriegel verursacht. Das nach den Erfahrungen der örtlichen Kreisgruppen Freilegen der Blöcke mit Pickel und Schaufel und "ausschließlich durch Maschinen, die im Auftrag das Abschleppen war mit einem hohem Anteil an und auf Rechnung der Flurbereinigung arbeiten", Handarbeit verbunden, der später wirtschaftlich im- durchgeführt (HAHN & WEIGER 1988: 12 ff.). Die mer untragbarer wurde (SCHARF 1952: 27; MO- vergrößerten Ackerflächen präsentierten sich nach SER 1962: 102). der Bodenneuordnung maschinengerecht ausge- Wenn die frühe "Entsteinung" ursprünglich auch räumt. Neupflanzungen wurden überwiegend außer- zur Bildung der mächtigen Riegel und Lesestein- halb der landwirtschaftlichen Nutzflächen durchge- haufen beigetragen hatte, so darf doch nicht überse- führt (vgl. dazu auch Kap. 3.4.7). hen werden, daß sie erster und wichtigster Grund- Ähnliche für den Naturschutz unbefriedigende Re- stein für alle weiteren Maßnahmen der Meliora- sultate vermelden HAHN & WEIGER (1988) z. B. tion und Bodenordnung in den Grenzertragslagen für das Verfahren Neusitz-Kirnberg bei Rothen- der bayerischen Mittelgebirge war. Erst die Entstei- burg o. d. T. (AN): Neben verschiedenen Hochrai- nung schuf die Voraussetzungen für Landtausch, nen und Ranken wurden Ackerkuppen und sonstige Bodenentwässerung und spätere Flurbereinigungs- Kleinökotone mit immensem Maschineneinsatz be- verfahren. Sie wurde somit zum "Schlüsselfaktor" seitigt, u. a. ein 250 m langer, hangparallel laufender für die Intensivierung zahlloser landwirtschaftli- "aufgesattelter" Graben (alte Acker-Wiesengrenze) cher Marginalstandorte, die wiederum den Verlust mit wertvoller Hochstaudengesellschaft; Brutbiotop ungezählter Kleinstbiotope und Felsrandstreifen in für Zaunkönig und Wendehals. Die Beseitigung ei- der Feldflur mit sich brachte: Auf den versteinten niger Grenzraine geschah z.T. "unter der Hand" Flächen mußte "den Felsen im Bogen ausgewichen durch Absprachen vor Ort; auf nachträglichen (!) werden, Randstreifen von Hand umgegraben und Flurbegehungen wurde zusätzlichen Wünschen etli- nächgesät werden [...]" (MÜCK 1957, zit. in cher Landwirte nachgegeben und eine weitere Zer- RINGLER et al. 1990: 221). störung genehmigt (HAHN & WEIGER 1988: 8). Beseitigung von Steinrainen: Die starke Parzellie- 2) Flurbereinigungen in Mittelgebirgsland- rung mit den vielen Steinrainen (stellenweise über 6 schaften m breit, über 3 m hoch!) hemmte die Grundstücks- Im Bayerischen Wald führten vor allem die frühen zusammmenlegung wie auch eine verstärkte Me- Flurbereinigungen der 50er und 60er Jahre zu enor- chanisierung und Motorisierung der Landwirt- men Verlusten an landschaftsprägenden Feldrainen schaft. Stand vor dem 2. Weltkrieg die Ödlandkulti- und Steinriegeln (vgl. Kap.1.11.2, S. 226). Selbst in vierung im Vordergrund, so wandte man sich ab den stark hängigem Gelände wurde häufig ein Großteil 50er und 60er Jahren verstärkt der Verbesserung der der Ranken beseitigt. kulturfähigen, aber bislang nur sehr extensiv nutz- Meliorationswesen und Ödlandkultivierung im baren Grundstücke zu. Die Beseitigung der Steinrie- Bayerischen Wald (vgl. RINGLER et al. 1990: 216 gel erfolgte im kombinierten Raupen- und Kom- ff.). Die Anfänge privater Kulturarbeit leisteten vor pressoreinsatz. Nach Abfuhr des Rodungs- und allem böhmische Siedler; die noch ungebändigte Sprengmaterials wurden die bis zu 6 Meter breiten Wildnis wurde ihnen stückweise zugeteilt: "[...] al- Streifen planiert und mit dem abgeschobenen Hu- les eine Wirrnis und Wildnis voll Haselstauden und mus bedeckt (MOSER 1962: 102; RINGLER et al., Wacholdergestrüpp. [...] Die Findlingssteine waren 1990: 225). sogleich aufgelesen und als wuchtige Mauer [...] Allein in der Zeitspanne zwischen 1950 und 1960 aufgeschichtet." (SCHRÖNGHAMMER-HEIM- fielen nach MOSER (1962) insgesamt 650.000 m3 DAL 1955, zit. in RINGLER et al. 1990). Bereits gerodetes oder gesprengtes Steinmaterial an; der vor dem 19. Jh. waren viele Einzelgrundstücke in Altlandkreis Regen stand dabei mit über 1.800 ha mühseliger Handarbeit von großen Steinblöcken be- entsteinter Fläche an der Spitze, gefolgt von den freit worden, die auf kaum einer Rodungsfläche Altlandkreisen Grafenau und Roding mit etwa oberhalb der Talböden fehlten. Von dieser ersten 1.400 ha. Da mit Raupe und Unimog jährlich "nur" Kulturtätigkeit berichten noch heute jahrhunderteal- etwa 15 km Steinriegel bewältigt werden konnten, te Steinriegel als letzte Zeugen. zog sich die Beseitigung meist über mehrere Jahre Die eigentliche "Ödlandkultivierung" setzte je- hin. Der Nutzflächengewinn pro km Steinriegel be- doch erst mit staatlicher Hilfe zu Beginn des 20 Jh. trug durchschnittlich etwa 0,3 ha (MOSER 1962); ein und steigerte sich mit der Gründung sog. Öd- der für die Beseitigung erforderliche Personal- und landgenossenschaften in den 30er Jahren zu ihrem Mitteleinsatz war nur innnerhalb großflächiger Kul- ersten Höhepunkt. Dem hochgesteckten Ziel ("Kul- turvorhaben wie Flurbereinigungsverfahren denk- tivierung sämtlichen Ödlandes") näherte man sich bar.

213 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Während der "Landhunger" nach landwirtschaftli- Als Maßnahmen der "Landschaftspflege" werden chen Grenzertragsböden etwa 20 Jahre nach Kriegs- "an geeigneten Stellen" 3 Vogelschutzgehölze von ende im Bayerischen Wald bereits im Schwinden insgesamt 0,4 ha ausgewiesen. begriffen war, konzentrierten sich Entsteinungs- und Biotopverluste eines ganz "normalen" Flurbereini- sonstige Meliorationsmaßnahmen nun "hauptsäch- gungsverfahrens, wie es sich hundertfach in ähnli- lich auf kleine und kleinste Ödlandinseln inmitten cher Weise abgespielt haben dürfte, werden hier aus der landwirtschaftlichen Nutzflächen oder auf klei- der nüchtern-zweckrationalen Sichtweise eines an- ne Teilstücke zur Begradigung von Grundstücks- gehenden Agraringenieurs dokumentiert. Die hohen grenzen" (MOSER 1962: 107). Feldrain-Verluste (von mindestens 35 ha bei einer Als indirekte Folgen von Entsteinungsmaßnahmen Gemeindefläche von 1147 ha) müssen aus heutiger können festgehalten werden: Sicht um so mehr bestürzen, als das Zusammenle- • Deutlicher Intensivierungs- und Mechanisie- gungsverhältnis von 1,8:1 (REIDL 1967: 12) ausge- rungsschub auf Acker- und Grünlandstandorten; sprochen moderat erscheint. • erhöhter Einsatz von Agrochemikalien; Das Verfahren wird vom Autor selbst als "tiefer • Aufstockung der Großvieheinheiten (GV/ha). Eingriff in die festgefügte Ordnung der bäuerlichen Für sämtliche Flurbereinigungsverfahren im Betriebe" empfunden: "Bei vielen älteren Leuten Bayerischen Wald gilt: treten [..] unerwartete psychologische Hemm- • schwellen auf, alte Gewohnheiten aufzugeben und Alle flurbereinigten Gebiete zeigen bezüglich neue Wege zu beschreiten." Die vergrößerten Schlä- ihrer Ausstattung mit Rainen und Hecken enor- ge wurden zudem von den Bauern offensichtlich me Defizite gegenüber dem vor-bereinigten Zu- kaum angenommen: "Leider ist zu beobachten, daß stand. • nach der Übernahme der neuzugeteilten Flächen Vor allem die frühen Verfahren der 50er und 60er trotz geringerer Zahl neuer Flurstücke eine Vielzahl Jahre führten generell zu Ausräumungsraten von von Bewirtschaftungsschlägen gebildet werden, so über 90% (vgl. RINGLER et al. 1990). daß oft der Eindruck einer unbereinigten Gemar- • Die Reduzierung der Flurzersplitterung durch kung entsteht. Auch die Betriebsorganisation wird Zusammenlegung steht immer für eine Aufwei- kaum geändert [...]" (REIDL 1967: 18). tung des Rainsystems und damit für eine Zerstö- rung der biologisch besonders wirksamen Saum- Die ökologische Wirkungsbilanz mittlerer und biozönosen. jüngster Flurbereinigungsverfahren im Bayeri- • schen Wald (vgl. KLEINKE 1989; RINGLER et al. Die flurbereinigten Gebiete zeigen deutlich er- 1990) zeigt noch immer keine eindeutige Trendwen- höhte Präferenzen für Bodenerosion (vgl. AU- de. Zwar werden insbesondere heckenbestockte ERSWALD & SCHMIDT 1986). Ranken zunehmend geschont bzw. "lebend ver- Die Flurbereinigung Heindschlag (REIDL 1967) pflanzt" (vgl. UNGER 1981), trotzdem offenbarte im Altlandkreis Wolfstein (FRG) steht beispielhaft z.B. das Gruppenflurbereinigungsverfahren "Na- für viele "Standardflurbereinigungen" der frühen tionalpark West" ganz erhebliche Defizite und 60er Jahre (Anordnung des Verfahrens 1960; Neu- Mängel - trotz seiner Prämierung als "erfolgreicher verteilungsplan und vorläufige Besitzeinweisung Beitrag zur Erhaltung eines reizvollen Landschafts- 1966): Die Agrarstruktur ist ausgesprochen klein- bildes" (MAGEL 1987): bäuerlich: 50% aller Betriebe bewirtschaften weni- • Beim Verfahren Rosenau (1973-1984) wurde ein ger als 10 ha, wobei Betriebe unter 5 ha überwiegen Großteil der Raine planiert; die Vertreter des (LANDWIRTSCHAFTSZÄHLUNG 1960, zit. in Naturschutzes und des Nationalparkamtes wur- REIDL 1967). Die schmale Langstreifenflur des den beim gesonderten Besprechungstermin zur Straßendorfes Heindlschlag besitzt einzelne Flur- Rain- und Heckenproblematik nicht zugezogen stücke mit Breiten zwischen 10 und 15 Metern. Als (HAUG, mdl. zit. in KLEINKE 1989). vordringlichste Aufgaben der Flurbereinigung gel- • Beim Verfahren St. Oswald (1973-1986) wurden ten die Beseitigung der Flurzerplitterung und "un- ebenfalls - entgegen vorher getroffener Verein- günstig geformter Grenzen" sowie Maßnahmen der barungen - etwa die Hälfte aller Ranken entfernt; Bodenordnung ("Bodenverbesserungen"): damit wurde der durchgängig maschinellen Be- "Die große Flurzersplitterung brachte eine große wirtschaftbarkeit wiederum Vorrang eingeräumt Anzahl von Feldrainen mit sich. [...] verursachen mit gegenüber Interessen von Landschafts- und Bo- ihren Randeinwirkungen und Bewirtschaftungser- denschutz. schwernissen erhebliche Ertragseinbußen. Breiten • Das Verfahren Schönanger (1973-1989) zeich- von 10 - 15 m der Feldraine waren durchaus keine nete sich zwar durch eine relativ geringe Umle- Seltenheit, da sie vielfach als Ablagerungsplätze gung der alten Flurgrenzen aus (wesentliche Ein- von Steinen, Gerümpel und dgl. mehr dienten. [...] griffe wurden bereits früher vorgenommen!); die So wurde insgesamt eine Fläche von 35 ha an Feld- erstmals im Gesamtgebiet vorgenommene Klein- rainen beseitigt. [...] Der stark felsige Untergrund, ja strukturkartierung (LBP/ KLEYN) erfolgte be- oft bis an die Oberfläche reichende Fels stellen merkenswerterweise erst nach (!) der Umvertei- große Arbeitshindernisse dar, besonders bei dem lung und Drainung. Trotzdem wurden noch ver- heutigen Maschineneinsatz. So wurden im Rahmen schiedene Ranken entfernt; die noch erkennba- der Flurbereinigung auch auf diesem Gebiet erheb- ren Arbeitsspuren erlaubten eine Beweissi- liche Verbesserungen durchgeführt." (REIDL 1967: cherung des vorherigen Zustandes (KLEYN 16 ff.) mdl., zit. in KLEINKE 1989).

214 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Zusätzlich zu den stellenweise erheblichen Verlu- wie in Kap. 3.4.3 noch einmal zusammenfassend sten an Rainen und Ranken (vgl. Kap.1.11.2.1, eingegangen. S.236) wurde vielfach das bewegte Hügellandrelief durch Aufschüttung von Senken eingeebnet und ni- Die "Evolution" der Flurbereinigung vom "Nivellie- velliert (KLEINKE 1989). rungsinstrument" zum Eckpfeiler einer zukunftsori- entierten Agrar- und Umweltpolitik setzt voraus, RINGLER et al. (1990) chronologisieren Flurberei- daß die zahlreich vereinnahmten Schlagworte mo- nigungen im Bayerischen Wald; als Ergebnis muß derner Landschaftspflege ("Vernetzung", "Saum- vor allem bei den relativ frühen Verfahren generell strukturen" etc.) auch im Planungsalltag ihre Ent- von sehr hohen "Ausräumungsverlusten" ausgegan- sprechung finden (vgl. MILBRADT 1981, MAGEL gen werden. 1985, HAHN & WEIGER 1988, RUDOLPH & Eingriffe mit sehr negativen Auswirkungen auf SACHTELEBEN 1991, LPK-Band I "Einfüh- das "Agrotopgrundgerüst" der Kulturland- rung"). schaft sind durch zahlreiche weitere Veröffentli- Für den Fortbestand der Agrotope dürfte die chungen dokumentiert, die im folgenden nur mehr Auseinandersetzung mit der Flurbereinigungs- stichpunktartig aufgegriffen werden: praxis zur alles entscheidenden "Überlebensfra- ge" werden. Flurbereinigung Quellenreuth (HO), südöstliches Oberfranken, ehemaliges "Zonenrandgebiet" mit äußerst ungünstigen Boden- und Klimaverhältnis- 1.11.1.1.2 Weinbergsflurbereinigung sen (flachgründige, kalkarme Perm- und Silurver- witterungsböden/"Bayerisch Sibirien"); 1965 noch Das komplexe Standortmosaik der alten, traditionell geringer Anteil Feldgraswirtschaft/Brachweide. Die bewirtschafteten Weinberge mit z.T. nur wenige Me- Bodenmelioration umfasste u.a. das Abschieben ter breiten Mauerterrassen, schmalen Kleinstparzel- von "verteilt über die ganze Flur vorkommenden len und ausgefahrenen Hohlwegen mußte einer ra- Hochrainen" und das Einebnen "buckliger" Ab- tionalisierten Weinbergsbewirtschaftung - wie sie hänge (GRÄSSEL 1975: 32). Ungünstig geformte seit den 50er Jahren verstärkt propagiert wurde - Flurstücke wurden auf "rechteckige Formen" ge- zweifellos im Wege stehen. Im Vergleich zur übri- bracht. Aufgrund der umfangreichen Planierung gen Landwirtschaft wurde die "Rückständigkeit" derartiger "Bewirtschaftungshindernisse" nahm das des Weinbaus immer unerträglicher empfunden. "Öd- und Unland" um rund 20% ab. Der hohe Flä- Bilder einer nur wenige Jahrzehnte zurückliegenden chenbedarf für Infrastruktureinrichtungen (Park- Arbeitsmühsal vermittelt LINCK (1977: 31) aus plätze, Mülldeponie, großzügige Ausweisung von dem Zabergäu: "Noch in den 50er Jahren [...] sah Gebäude- und Hofflächen, umfangreiche Straßen- man [...] in den Weinbergen des Zabergäus Kuhfuhr- und Wegebaumaßnahmen) ließ keine wesentliche werke, die sich mühsam auf unbefestigten, ausge- Erhöhung der landwirtschaftlichen Nutzflächen zu. fahrenen Hohlwegen durchquälten. Die Büttenträ- ger mußten [...] auf engen Weinbergsstaffeln und Flurbereinigung Tondorf (LA), Tertiärer Anstieg halsbrecherischen Mauern herumbalancieren." von den Tallagen des Isartales, diluviale Deck- und Lößlehme; durch Maßnahmen der Bodenordnung Die Weinbergsflurbereinigung sollte mit einer Ver- stieg die durchschnittliche Schlaggröße auf rund 5 besserung der kaum mehr zumutbaren Arbeitsbe- ha; selbst größere Schläge über 3 ha wurden zu 9 ha dingungen vorrangig die Auflassungstendenzen (!) großen Bewirtschaftungseinheiten zusammenge- stoppen, die seit Mitte des 19. Jhs. aufgrund wirt- legt (z.B. "Geichetfeld" in der Gündlkofener Gemar- schaftlicher Umstrukturierungen und neuer Reb- kung, zit. in MAHLER 1989). Die Landwirte rea- krankheiten eingesetzt hatten. Als einstmalig gierten auf die überdimensionierten, auch ökono- größtes Weinanbaugebiet Deutschlands war Fran- misch unsinnigen Flächengrößen (vgl. REISCH ken von dieser Schrumpfung (auf etwa ein Zehntel 1982, QUIST 1985) mit nachfolgender Parzellie- der ursprünglichen Ausdehnung) in besonderem rung in zwei oder mehrere Bewirtschaftungsschläge Maße betroffen; dieser Prozeß konnte erst durch die (MAHLER 1989: 10). Flurkartenvergleiche (Ur- neuzeitliche Rebflurbereinigung gestoppt werden aufnahme 1812/Einlagenkarte Mitte der 60er Jahre (LEICHT 1985). Mit dem Ersatz der teuren Hand- zu Beginn des Verfahrens verglichen mit aktueller arbeit durch kostengünstigeren Maschineneinsatz Kleinstrukturkartierung) ergaben neben Hecken- sollten die Produktionskosten gesenkt werden, die auch stärkste Rainverluste (MAHLER 1989: 36 in Deutschland im Schnitt zwei- bis sechsmal höher f.). Entgegen den zahlreich vorgebrachten Mahnun- anzusetzen waren als in Frankreich oder Italien gen und Forderungen (vgl. SCHEMEL & ENGL- (ZILLIEN 1974, zit. in WERNER & KNEITZ MAIER 1982; REGIERUNG VON NIEDERBAY- 1978). Tatsächlich gelang es, den Arbeitsaufwand ERN 1979, WASSERWIRTSCHAFTSAMT durch Rationalisierung und Technisierung erheblich LANDSHUT 1989, zit. in MAHLER 1989) wurde zu senken; verschiedene Quellen nennen Einsparun- der Ressourcenschutzwert hanggliedernder und ter- gen von Arbeitsstunden von 330 Std./ha/a (GLIE- rassierender Kleinstrukturen in der Flurbereini- SCHE 1987: 29), 1.400 Std. (MARQUART 1991, gungspraxis gering geschätzt. mdl.) bis zu 2.700 Std. für Steillagen im Neckarraum (SCHINDELE 1976, zit. in WERNER & KNEITZ Auf das Konfliktpotential zwischen der Flurbereini- 1978: 597). Höhere Erntemengen sind dagegen of- gungspraxis und den Belangen von Naturschutz und fenbar nur in sehr bescheidenem Umfang (etwa 5%) Landschaftspflege wird in den Kap. 3.2.5/3.2.6 so- zu erwarten (INSTITUT FÜR BETRIEBSWIRT-

215 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

SCHAFT UND MARKTFORSCHUNG, Geisen- • Umwendung der Bewirtschaftungsrichtung in heim, zit. in GLIESCHE 1987: 29). Hangfallinie: erfordert das Beseitigen der hang- Noch zu Beginn des 20. Jh. werden auf 61% der parallelen Mauer- und Terrassensysteme. gesamten Rebfläche Frankens Parzellen unter 1 ha • Rein technisch konstruierte Wasserableitung, bewirtschaftet (KARL 1978). Vor allem die Extrem- konzentriert auf Rückhaltebecken: Ersatz der al- steillagen an den Prallhängen von Main, Wern und ten Wasserstaffeln, Verringerung der natürlichen Saale sind durch jahrhundertelange Realteilung Retention, Abflußerhöhung. (vgl. GRADMANN 1931) auf "Handtuchbreite" • Aufweitung der Zwischenräume zwischen den verschmälert und mit zahllosen Bewirtschaftungs- Rebzeilen: Beseitigung alter hangsenkrechter hindernissen "gespickt". All dies wird in den 50er Lesesteingrenzen und sonstiger Bewirtschaf- und 60er Jahren zum maßgeblichen Auslösefaktor tungshindernisse (Felsnasen, Gebüschgruppen für eine der größten Umwälzungen in der süddeut- etc.). schen Kulturlandschaft überhaupt: "Die alten Reben • Ersatz alter Trockenmauern an Hangwegen [werden] entfernt, Mauern, Böschungen und Raine durch verfugte Betonstützmauern. beseitigt, Hohlwege zugefüllt und das Gelände so • Einführung der Drahtrahmenerziehung der Re- planiert, daß möglichst von Weg zu Weg Sicht be- ben: ersetzt die alten Rebpfähle aus Holz, Verlust steht, wobei die neuen Wege in ganzer Breite in das von Alt- und Totholzbestandteilen. gewachsene Gelände eingeschnitten werden." • Ausdehnung der Wirtschaftsflächen über die alte (FlbDir WÜRZBURG 1973, zit. in WEIGER 1979). Wald-Feld-Grenze hinaus: Eingriffe in die wär- Während in der historischen Weinbergslandschaft meliebenden Waldsäume der Trockenwälder am die Steillagen erst durch Terrassierung kulturfähig Oberhang. wurden, wird im neubereinigten Weinberg das Ge- • Schlagvergrößerung mit Sekundärwirkung: ver- fälle meist für den Seilzugbetrieb genutzt. Das na- stärkte Technisierung und Intensivierung der Be- türliche Hanggefälle wird durch Planie dem techni- wirtschaftung, z.B. Tiefpflügen der Rebfläche, schen Ideal eines "schräg gestellten Brettes" mit verstärkter Dünger- und Biozideinsatz. vorgegebener Neigung angenähert. Seit den 50er Jahren besitzt man dafür geeignete Planierraupen Konkrete Auswirkungen der Weinbergsbereini- und Gleitbagger, die auf Hängen bis zu 50% Gefälle gung auf Strukturen, Lebensgemeinschaften, fahren und dementsprechend "Berge versetzen" abiotische Ressourcen und Landschaft sind durch können (LINCK 1977: 32 ff.). zahlreiche Veröffentlichungen dokumentiert (u.a. LINCK 1965; AUVERA 1966; KLEMMER 1971; Seither dringt die Weinbergsbereinigung auch auf WERNER & KNEITZ 1978; KARL 1978; ORGIS derartige Steillagen vor. Gegenüber der traditionel- 1977,1979; KRIETER 1980; HELFRICH 1982; len Weinbergswirtschaft, die seit den Anfängen des SCHMIDT et al. 1985; ZELTNER et al. 1986; SEI- fränkischen Weinbaus (etwa Mitte des 8. Jhs., vgl. LER 1986; GLIESCHE 1987; MATTHÄUS & RO- dazu BREIDER 1974; LEICHT 1985) bis zur Mitte WECK 1988; KUTSCHEIDT 1974, BECK des 20. Jh. kaum Veränderungen erfuhr, stellt die 1984/1985, TAMKE 1985). moderne Rebflurbewirtschaftung eine Revolution ungeheuren Ausmaßes dar. Auswirkungen auf weinbergstypische Kleinstruktu- ren und Lebensgemeinschaften: Weinbergsflur- Abb. 1/79, S. 217, stellt schematisiert den Wandel bereinigungen gehen im allgemeinen mit der kom- der Weinbergsterrassen dar. pletten Einebnung des Feinreliefs (Terrassen, Hohl- Nachfolgend sind einige "Schlüsselfaktoren" der wege), der Beseitigung sämtlicher Kleinstrukturen jetzigen Standardbewirtschaftung genannt, die und Zerstörung ökologisch wertvoller Bereiche im Zusammenhang mit Maßnahmen der Weinbergs- (Magerrasen, thermophile Staudensäume etc.) ein- flurbereinigung zu besonders einschneidenden Le- her (vgl. Kap.1.11.2, S.236). Von den pflanzlichen bensraumveränderungen geführt haben (vgl. MU- Lebensgemeinschaften sind im besonderen betrof- SER & SCHNECKENBURGER 1956; LINCK fen: 1965; ENDRISS 1965, 1966; WECKLEIN 1975; - Mauerfugengesellschaften, WERNER & KNEITZ 1978; KARL 1978; WEI- - Arten der Wegsäume und Brachegesellschaften, GER 1979; ORGIS 1979; HELFRICH 1982; - Synanthrope Arten der alten Weinberge*, z.T. SCHMIDT et al. 1985; SCHWAB 1986; GLIE- verwilderte Heil- und Gewürzpflanzen. SCHE 1987): AUVERA (1966: 15 ff.) berichtet über die Vernich- • Einsatz von Seilzügen: erfordert die Vollplanie tung letzter Refugien von Weinbergstulpe, Trauben- von Terrassen, Hangmulden und -rücken. hyazinthe und Deutscher Schwertlilie, die vor der • Vollerschließung durch hangparallele Wege in Bereinigung der Weinbergslage bei Köhler die Mau- regelmäßigen Abständen: ersetzt die windungs- ern "überwucherten". Auch ein Wuchsort der selte- reichen, oft hohlwegartigen Saumpfade. nen mediterran-alpinen Berg-Kronwicke (Coronilla

* Z.B. verwilderte Heil- und Gewürzpflanzen wie der im 19. Jh. noch überall auf Mauern verbreitete Ysop (Hyssopus officinalis) (SCHENK 1848, zit.in AUVERA 1966: 66). Heute ist die Art bis auf wenige zersplitterte Einzelvorkomen praktisch verschwun- den.

216 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen coronata) am Steilhang eines Schluchtweges fiel bußen; ähnliches gilt für artenreiche Ausbildungen einer frühen Rebflurbereinigung zum Opfer (AU- der Wegränder und Brachen (z.B. Mittelkleesäume, VERA 1966: 27). Salbei-Glatthaferwiesen). Demgegenüber behaup- Bei der Großlagenbereinigung des Schwanberges teten sich Arten weitverbreiteter Unkrautfluren wie am nordwestl. Steigerwaldrand (Verfahren 1962- etwa Zaunwinden-Queckengesellschaften, Melden- 1978) erfuhr die insbesondere durch gipsliebende und Gänsefußfluren. Arten geprägte Flora einschneidende Verluste, u.a. Tab. 1/38, S. 218, zeigt eine Gegenüberstellung von einen starken Rückgang des Immenblattes (Melittis Artenzahlen verschiedener Weinbergsbiotope in be- melisophyllum). Die einst durch Hohlwege, Runsen reinigten und nicht bereinigten Lagen. und kleine Brachen vielfältig gegliederten Rebflä- Die Veränderungen der weinbergstypischen Fau- chen präsentieren sich heute als völlig kleinstruktur- na durch Flurbereinigungsmaßnahmen (vgl. WER- freie, nahezu endlose Monokultur von insgesamt NER & KNEITZ 1978: 602 ff.) betreffen insbeson- 430 ha (KARL 1979: 54). dere folgende Tiergruppen: Erhebliche Negativauswirkungen auf die floristi- • Schnecken (Mollusca); durch Zerstörung von sche Zusammensetzung dokumentieren auch Rainen und Hecken, vor allem über Löß- und SCHWAB (1986) und ZELTNER et al. (1986) für Tertiärgrund, sind Verluste bemerkenswerter die Keuper-Weinberge im Neckargebiet um Stutt- Vorkommen, insbesondere thermophiler Arten gart. Vergleiche zwischen nicht flurbereinigten, zu verzeichnen. reich mit Saumbiotopen ausgestatteten Rebflächen • Insekten (Insecta) und Spinnen; Verarmung der und "regelbereinigten" Nachbarstandorten erbrach- Fauna vor allem durch Verlust der Futterpflan- ten Verlustraten von z.T. über 50%. Vor allem Arten zen und vertikaler Kleinstrukturen, vermehrten der Mauer- und Steingrusfluren, auch verschiedene Einsatz von Bioziden, Ersatz der hölzernen Moose und Flechten, erlitten empfindliche Ein- Weinbergspfähle durch Drahtrahmenziehung (u.

Abbildung 1/79 Rebterrassen im Wandel (nach KÜHLHORN, aus JÄGER & SCHAPER 1961: 170)

217 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/38 Artenzahl von Kleinbiotopen in bereinigten und nicht bereinigten Weinbergslagen (ZELTNER et al. 1986: 116)

Weinbergsbereich Hausmei- Lenzenberg Ailenberg Neckar- sterklinge halde

Kleinbiotope nicht vor nach nicht bereinigt bereinigt der Umlegung bereinigt

Rebflächen 90 98 102 137 ca. 90 Brachen und Ruderalflächen 98 117 - 137 - Mauern und Staffeln 90 124 - 155 -

Gesamtartenzahlen 160 198 102 210 ca. 90

a. damit erklärt VOGEL 1937, zit. in WERNER Grenzertragsstandorte zu intensivieren. Vor allem & KNEITZ: 603 das nahezu völlige Verschwin- kleinere Brachen in leicht intensivierbaren Lagen den der Blutroten Singzikade (Tibicen haemato- werden häufig beseitigt; gleichzeitig steigen die des)); Verlust von Brutmöglichkeiten für sand- Pachtpreise: Besonders auffällig zeigt sich dies Phä- und lößbrütende Insekten durch Wegeausbau, nomen in den 80er Jahren am Untermain: Vor der Verlust von Rohbodenböschungen. Bereinigung brachgelegene, oft dem Einzelbesitzer • Reptilien (Reptilia); spürbare Rückgänge bei in der exakten Abgrenzung gar nicht bekannte Flä- Mauer- und Smaragdeidechsen, belegt u.a. für chen sind plötzlich einer unerwarteten Nachfrage das Nahegebiet durch NIEHUIS (briefl., zit. in ausgesetzt. Vorher "wertlose" Hanglagen werden WERNER & KNEITZ: 605), vor allem durch großflächigen Nutzungen zugeführt (MICHEL Zerstörung der Trockenmauern. 1980: 109; PRAUTZSCH: 1980: 118). • Vögel (Aves); Rückgänge z.B. bei Höhlen- und Andererseits führen vor allem jüngere Verfahren Nischenbrütern durch Beseitigung von Trocken- nicht selten zu Konzentrationen größerer, als "Bio- mauern bzw. Vermörteln von Mauerfugen, be- tope" ausgewiesener Parzellen, die meist in öffent- troffen u.a. Steinschmätzer (Oenanthe oenan- liches Eigentum übergehen. Damit werden z.B. the), Zipammer (Emberiza cia) und Zaunammer Weinbergsböschungen nicht mehr als Eigentum der (Emberiza cirlus). einzelnen Winzer kleinteilig differenziert gepflegt, sondern fallen überwiegend brach (HELFRICH Auswirkungen auf Bodenstruktur und Erosions- 1982). Negative Folgen sind deutliche Verluste an disposition beschreibt u.a. KRIETER (1980) für Diversität und Grenzliniendichte. rheinhessische Lößstandorte. Danach zählen die mit Sämtliche Weinbergsflurbereinigungen der Vergan- hohem Investitionsaufwand durchgeführten Wein- genheit waren mit stärksten Auswirkungen auf bergsflurbereinigungen im "Rheinfrontbereich" das Landschaftsbild verbunden. AUVERA (1966: zwischen Worms und Mainz heute zu den Räumen 15) beklagt in ihrem Nachruf auf den Casteller höchster Erosionsgefährdung. Auch nach Flurberei- Schloßberg (im Gipskeuper des Steigerwaldtraufs nigungen im Iphofener Raum kam es zu starken östl. Kitzingen) den Verlust "gewachsener" Formen- Überflutungsschäden durch "rein technisch aufge- vielfalt: "Die schmalen Terrassen, die oft nur für 3 baute, konzentrierte Wasserableitung" (WEIGER Pflanzen pro Rebzeile Raum boten, waren mit mäch- 1979). Tiefgreifende Veränderungen der Boden- tigen Gipskeuperblöcken abgestützt, zwischen de- struktur sowie Verluste der natürlichen Retention nen zuweilen Weinstöcke wurzelten. [...] Heute ist ließen sich auch durch aufwendigste Technik (Rück- die Lage bereinigt, Flora und Stützmauern ver- haltebecken, Schlammfänge etc.) nicht wettmachen schwunden, die Neupflanzungen erstrecken sich (zu Auswirkungen der Großlagenbereinigung am ohne Unterbrechung in langen Zeilen bis zum Gip- Kaiserstuhl vgl. auch ENDRISS 1957, 1966; fel. Der Anblick dieser Anlage verursacht [...] Un- BAUM 1976). Mit den Umgestaltungen ist überdies behagen". häufig eine Abnahme des Humusgehaltes verbun- Die "bucklige Welt" des Kaiserstuhls mit seinen den. BUCHMANN (1979: 64) zufolge kann die ungezählten schmalen Terrassen und Hohlwegen Humusabnahme so weit gehen, daß nur totes Ge- wurde durch eine über Jahrzehnte andauernde steinsmaterial zur Bildung des neuen Rebstandortes Großflurbereinigung bis zur Unkenntlichkeit "um- vorliegt. gestaltet". Kennzeichen der neuen Großlagen sind Auswirkungen auf Bewirtschaftungs- und Pfle- großflächige Ebenen, harte geometrische Formen, geintensität: Auch die Weinbergsflurbereinigung ein aufwendiges Straßennetz und eine einheitliche unterstützt den Trend, verstärkt landwirtschaftliche Ausrichtung der Rebzeilen (ENDRISS 1957, 1966).

218 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

BAUM (1976, zit. in WERNER & KNEITZ 1978: "totalbereinigt"; der Oberhang einer äußerst auf- 599) vergleicht die landschaftsverändernde Dimen- wendigen und fachlich nicht unumstrittenen Sa- sion der Rebflurbereinigung "mit dem Braunkohlen- nierung unterzogen (vgl. 1.11.3.2.4). tageabbau oder mit Autobahnbaustellen" (vgl. auch STERN 1979). Über heiß umstrittene Großlagen- Als Flurbereinigungen mit z.T. erheblichen Auswir- flurbereinigungen in Baden-Württemberg (z.B. kungen auf die Weinbergslandschaft Unter- und "Michelsberg" im Zabergäu/Neckar) und Rhein- Mittelfrankens gelten auch das Verfahren "Ipsheim" landpfalz ("Mittelhaardt" am Steilrand des Haardt- (Aischtal/NEA), der "Gommersberg" bei Hammel- gebirges bei Deidesheim) berichten LINCK (1977) burg (Saaletal/KS) sowie die Lagen "Thüngers- und HELFRICH (1982). heim" bei Veitshöchheim und "Escherndorf-Köhler" im Mittleren Maintal. Weitere Beispiele für Rebflurbereinigungen mit meist krassen Auswirkungen auf Strukturvielfalt Was in den 50er Jahren mit den "Pionierverfahren" und Landschaftsbild: Erlenbach-Castell bei Marktheidenfeld oder Mar- • kelsheim a.d. Tauber begann, hat (zumindest in Bereinigung der Lage "Escherndorf-Köhler" Franken) mittlerweile seinen Höhepunkt bereits (Mittleres Maintal im unteren Bogen der Volka- überschritten (KARL 1978: 336). cher Mainschleife): Bereits zu Beginn der 60er Jahre wurde der markant ausgebildete Prallhang Etwa zwei Drittel aller fränkischen Weinbergslagen oberhalb von Köhler einer umfassenden Umge- sind bereinigt: Bis 1981 wurden in 88 Verfahren staltung unterzogen. Kein "Quadratmeter des über 2.700 ha Rebfläche neu geordnet; bis Anfang Hanges" blieb unbeeinflußt. Die geologischen 1986 über 2.900 ha; in Ertrag standen zu diesem Aufschlußverhältnisse wurden auf ein Minimum Zeitpunkt 4.672 ha (FlurbDir WÜRZBURG; reduziert, so daß der Hang im nachbereinigten BMELF, zit. in GLIESCHE 1987: 8; ZELTNER et Zustand "auch nicht mehr einen geologischen al. 1986). Fingerzeig" bietet (RUTTE 1962: 181). Vor allem in den intensiven Weinbaulandschaften • Bereinigung des "Pfülben" bei Randersacker des Steigerwaldvorlandes, des Schweinfurter (Mittleres Maintal/WÜ): Bei dem stark umstrit- Beckens, der Wern-Lauer und Marktheidenfelder tenen Verfahren wurden nicht nur zahlreiche Platte sind durch Flurbereinigung und Intensivie- Muschelkalkklingen beseitigt, sondern auch rung heute nahezu alle weinbergstypischen Elemen- eine kulturhistorisch bedeutsame Mauer aus te und Strukturen verschwunden. Im gesamten frän- dem 18. Jh. ("Teufelskeller", erbaut von Balthas- kischen Muschelkalk existiert kein einziges ge- ar Neumann) zerstört (HAAS 1985, zit. in GLIE- schlossenes Mauersystem mehr (LEICHT 1985), SCHE 1987). vgl. dazu AUVERA (1966: 18). Übriggeblieben • Bereinigung der Lagen "Oberschwarzach" sind einzelne Flächen zwischen geschlossenen und "Wiebelsberg" (Gipskeuper im Steiger- Bereinigungsgebieten (z.B. im Mittleren Maintal) waldtrauf/KT): Rückgang ökologisch bedeutsa- sowie kleinere oder abseits gelegene Lagen in der mer Magerrasen und Heckenzeilen um 73 bzw. "Peripherie" des fränkischen Weinbaus. Der weite- 83%. In Oberschwarzach wurde ein lößüber- ren Expansion des Intensivweinbaus sind sowohl deckter, bis zu 10 m tiefer Keuperhohlweg von von der Topographie wie auch aus Vermarktungs- herausragender ökologischer und kulturhistori- perspektiven (EG-Anbaustopp) Schranken gesetzt scher Bedeutung bis in den oberen Hangbereich (vgl. KARL 1978; WEIGER 1979). hinauf verfüllt. Etwa 20.000 m3 Boden mußten Obwohl die Bereinigung der "klassischen Lagen" dazu bewegt werden (KARL 1978, 1979). heute weitgehend abgeschlossen ist, können Natur- • Bereinigung der Lage "Tauberzell" im Tau- schutzkonflikte im Zusammenhang mit Rebflurum- bertal (AN): Das Verfahrensgebiet umfaßte etwa legungen nach wie vor nicht ausgeschlossen wer- 11 ha einer typischen kleinstrukturreichen Mu- den. Insbesondere der Trend zu schwer überschau- schelkalklage. Bis auf eine aus Erosionsschutz- baren Gruppenbereinigungen in den weinbaulichen gründen belassenen Terrasssenkante und einzel- Randlagen gibt Anlaß zu neuer Sorge. Schon KARL ne hangsenkrechte Steinriegel wurden sämtliche (1978: 336) verweist auf "besonders problemati- Klingen, Lesesteinwälle und sonstige charakte- sche" Verfahren am Nord-West-Abfall des Steiger- ristischen Elemente beseitigt. Die Lage galt als waldes. Vielfach handelt es sich um traditionelle eine der letzten derartig kleinstrukturierten Steil- Lagen, die aufgrund ihrer Kleinteiligkeit und dich- lagen im mittelfränkischen Taubergebiet, wo ten Durchsetzung mit Bracheinseln von besonderem noch flächenhaft in arbeitsintensiver Weise ökologischem Wert sind; letzteres gilt auch für ver- Weinbau betrieben wurde. Verfahrensdauer schiedene Buntsandsteinlagen im Spessart und 1977-1985 (LINK, 1991 mdl.). Odenwald. • Bereinigung der Lage "Steinbach-West" Die neueren Verfahren sollen vorrangig den Wein- (Oberes Maintal bei Ebelsbach/HAS): Das bau in schwierig zu bewirtschaftenden Steillagen durch seine fischgrätartigen Mauerstrukturen erhalten. Wenn auch größere bodenordnerische ausgezeichnete Gebiet sollte "aufgrund seiner Maßnahmen wie Beseitigung von Mauern und Trep- pflanzen- und tierökologischen Bedeutung und pen heute kaum mehr durchgeführt werden, sind seiner Bedeutung für das Landschaftsbild" Verluste ökologisch wertvoller Bereiche dennoch (KARL 1979: 55) ursprünglich ganz aus der nicht auszuschließen. Bei der Gruppenflurbereini- Bereinigung herausgenommen werden. Schließ- gung Erlenbrunn-Klingenberg-Großheubach lich kam man zu einer "Kompromißlösung": Der (MIL) wurde auf örtlichen, massiven Druck einzel- Unterhang wurde nach herkömmlicher Weise ner Winzer in Großheubach die Neuanlage von Reb-

219 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen flächen in biotopkartierten Trockenrasen gestattet Diese Auffassung nach dem Prinzip "und bist du (STRITZINGER 1992, mdl.). Andernorts werden nicht willig, so brauch’ ich Gewalt" spricht zwar den relativ gut bewirtschaftbare Lagen bevorzugt zu- agrarökologischen Zielsetzungen Hohn, die ja gera- sammengelegt, schwierige Steillagen dagegen oft de eine Verzahnung zwischen Kultur- und Nichtkul- ganz aus der Bewirtschaftung genommen (MAR- turland einfordern (vgl. z.B. LUTZ 1950, ZWÖL- QUART, UNB WÜ, 1991 mdl.). Der "etwas sensi- FER 1978, KNAUER 1988, 1990), sieht sich aber blere Umgang" bei noch anstehenden Verfahren in der gängigen Praxis vieler Landwirte bestätigt. (MARQUART 1991, mdl.) ist als ein erster Erfolg Unberechtigte Übergriffe auf Grenz- und Weg- der parzellenscharfen Strukturkartierung und natur- raine: Ein "Gewohnheitsrecht" zum Unterpflügen schutzfachlichen Bewertung aller ökologisch und von Rainen (vgl. MAUCKSCH 1987: 139) läßt sich landschaftsästhetisch bedeutenden Lagen zu sehen weder heute juristisch begründen noch ist es irgend- (SCHMIDT et al. 1985). Oberhalb einer jeweils wo in der Geschichte belegt (s.u.). Unberechtigte festzusetzenden Wertstufe sollen keine weinberg- Übergriffe auf "naturbelassene, im fremden Eigen- typischen Strukturelemente mehr beseitigt werden. tum stehende Grundstücke" können sogar Ansprü- Dennoch werden, meist auf Drängen der Besitzer, che auf Schadenersatz wegen Eigentumsverletzung noch immer neue Verfahren eingeleitet, wie jüngst oder ungerechtfertigter Bereicherung auslösen in Retzbach (MSP), wo auf einer ca 8 ha großen (NdsUM 1988: 14; HMLWLFN 1991; BGB nach Skillage ca 80 % der alten Trockenmauern entfernt 812 ff., 823, 985, 1004). Das örtlich noch existieren- wurden, trotz eines faunistisch sehr hochwertigen de Recht zum Überfahren von Nachbargrund- Bestandes (ELSNER 1995, mdl.). stücken ("Schwengel- oder Trepprecht" als Relikt der Allmende) begründet keineswegs die Beseiti- 1.11.1.1.3 Eigenbereinigung gung bzw. Schmälerung von Rainen (vgl. NdsUM 1988: 19). Die Grenzraine waren in der Vergangenheit - ebenso Eigenbereinigung umfaßt im folgenden sowohl das wie Feldzäune und Hecken - durch zahlreiche Ver- unberechtigte Übergreifen auf Raine und Wegränder ordnungen vor Übergriffen einzelner Landnutzer in kommunalem Eigentum wie auch das eigenmäch- geschützt. Um eigenmächtiges "Einfangen" oder tige Beseitigen von Grenzrainen und Ranken, die "Beifangen" zu verhindern, schritt man seit dem 16. sich im Eigentum einzelner Landwirte befinden. Als Jahrhundert zur "Versteinung" der Allmende. Motive gelten - ähnlich wie bei Flurbereinigungen - Eine Schutzmaßnahme zugunsten des Gemeinlan- u.a.: des war in dem alljährlich wiederkehrenden Brauch • der Wunsch nach Grundstückszusammenlegun- zu sehen, die Marksteine zwischen der bebauten gen und großflächigeren Bewirtschaftungsein- Flur und dem Gemeindeland zu "räumen und zu heiten; verpflocken". Das bedeutete, die Grenzsteine von • die Beseitigung von Rain und Hecke etc. als Überwachsungen und Erdreich zu säubern und da- Bewirtschaftungshindernis,Intensivierungshe neben einen Pfahl zu schlagen. In Penzenhofen im mmschuh, Schädlingsherd und "Schandfleck". Nürnberger Land hatte z.B. jeder, der an die "Ge- mein" angrenzende Grundstücke besaß, bis "8 Tage Einer hessischen Studie zufolge (HMLWLFN Hrsg. nach Walpurgis [Beginn der Hutsaison] zu seinen 1991) summieren sich die Flächenverluste an Saum- Rainen und Steinen einen Pflocken drey Schuh hoch und Grenzlinienbiotopen durch unberechtigte Inan- zu schlagen" (Gemeindeordnung Penzenhofen von spruchnahme auf etwa 0,6 bis 0,7% der gesamten 1696). Diese Maßnahme ist zumindest für alle nürn- Ackerflächen. Ob diese Übergriffe vieler Landwirte bergischen Dörfer als obligatorisch belegt (u.a. auf Raine und Wegränder durch Maßnahmen der nachgewiesen in den Gemeindeordnungen Aicha Flurbereinigung unterstützt oder "abgebremst" wer- 1628, Brunn 1690, Grünsberg 1764, zit. in SCHÖL- den, ist gegenwärtig umstritten. Nach MAUCKSCH LER 1973: 34). (1987: 36) ist eine "günstige Zusammenlegung" Den "Dorfvierern"* oblag die jährliche Kontrolle Voraussetzung für die Sicherung von Restflächen- der Gemarkung. Wer über die Marksteine hinaus den und Linearbiotopen. Dies bedingt eine Unterord- Gemeinboden beackert, Grenzsteine ausreißt, weg- nung der Agrar- und Biotopstruktur eines Land- schafft oder selbst wieder setzt, begeht schweren schaftsraumes gegenüber dem technischen Fort- Frevel gegen die Dorfgemeinschaft (vgl. die zahlrei- schritt und der maschinellen Ausstattung: "Wenn chen Sagen über bestraften Grenzfrevel, z.B. bei Maschinenausstattung und Agrarstruktur miteinan- BÖCK 1977, 1986). Beschädigte Grenzsteine wer- der korrespondieren [...] besteht nicht die Gefahr, den auf Kosten der Anlieger erneuert. Bis zur Ver- daß Biotopstrukturen in die Felder ragen [!] und steinung der Gemein haben sich die Nutzer an die daher der Vernichtung ausgesetzt sind. Wegen der Beschreibungen des ungefähren Grenzverlaufs zu heutzutage enorm großen Wirkung der Maschinen halten, der vor allem durch natürliche Marken wie müssen sich die Biotopstrukturen auch nach ihnen Felsen, Ranken, Bäume oder Hecken markiert war richten, um von ihnen nicht vernichet zu werden (SCHÖLLER 1973: 34 f.; vgl. auch "Heustein" oder [...]". "Ramstein" bei SCHNETZ 1963: 57 ff.).

* Aus der Mitte der Dorfgemeinschaft bestellte Vertrauensleute, heißen anderswo auch "Dreier" (SCHÖLLER 1973: 18).

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Der genaue Verlauf der Grenzen und der Standort selbst haben erheblichen Einfluß auf die Linear- und der Hutsteine wird anläßlich großer "Hutumgänge" Restflächenbiotope in der Agrarlandschaft. Eine be- vor allem der jüngeren Dorfjugend mit fühlbaren sondere Gefährdung ist gegeben, wenn die Nutzung Handgreiflichkeiten nahezu "eingebleut": Im Ver- über die eigentlichen Grundstücksgrenzen hinaus lauf der "Hutbereutung" zu Altdorf 1772 werden geht (vgl. MÖLLER & RUWENSTROTH 1984: sämtliche Bürgersöhne und andere Kinder der Stadt 98) und zwar bei jedem Hutstein, wie "bey allen andern merck- - durch Arbeits- oder Nutzungsabsprachen bzw. würdigen Pläzen nach genauer Besichtigung und - durch Verpachtung bzw. Zupachtung. Es entste- Erklärung der Gegend von dem Vierer Johann Peter hen größere durchlaufende Anbauflächen glei- Hirschmann zur steten Erinnerung und Angedenken cher Fruchtart, als die Besitzstruktur eigentlich nebst einer Haarrupfe mit 3 kr [Kreuzer, Bayer. erwarten läßt. Münze, entspr. 35 Pfennig, vgl. HOBMAIER 1979] beschänket". Mit "Gedenkzüchtigung" und "Ge- Untersuchungen von MÖLLER & RUWENSTROTH denkgabe" sollte dem Dorfnachwuchs die Erinne- (1984: 100) in der Bayerischen Rhön ergaben, daß rung an den richtigen Grenzverlauf zeitlebens ein- insbesondere bei sehr kleinen Besitzstücken unter geprägt werden (STADTARCHIV ALTDORF, zit. 1 ha häufig die einheitliche Bewirtschaftung über in SCHÖLLER 1973: 268). Die vielen historisch die Besitzstücksgrenzen hinausgeht und damit die belegten Gegenmaßnahmen, Verordnungen und Grenzflächenbiotope gefährdet. Auch abseits von Rechtsstreitigkeiten lassen darauf schließen, daß die Zusammenlegungen im Rahmen von Flurbereini- Verletzung der Grundstücksgrenzen zur persönli- gungsmaßnahmen offenbart sich der Wunsch nach chen Bereicherung seit jeher ein häufiges Delikt großflächigerer Landnutzung, so daß entsprechende gewesen sein muß. Absprachen oder Verpachtungen stattfinden. Beson- ders gefährdet erscheinen wiederum sehr schmale, Die Breite der Raine zwischen den Feldern war mit einfachen Mitteln zu beseitigende Grenzraine, meist genau definiert und durfte nicht angetastet insbesondere auch hangsenkrechte Raine ohne be- werden, um die Futterbasis der gemeindlichen Nut- sonderen Erosionsschutzwert. zungsberechtigten (Beweidung, "grasen und krau- Welche Rolle die Eigenbereinigung durch Flur- ten") nicht zu schmälern (vgl. Kap. 1.6.1.1, S. 132). stückszusammenlegung, Beseitigung von Restflä- So mußte in Engelthal (LAU) jeder Anrainer von chen und nachfolgender Intensivierung (unabhängig seinem Feld 1 Schuh zum Rain hin liegen lassen, so von Flurbereinigungsmaßnahmen) tatsächlich bei daß jeder Rain mindestens 2 Schuh breit war (GE- der Umstrukturierung der Agrarlandschaft spielt, MEINDEORDNUNG ENGELTHAL 1706, zit. in bleibt nach wie vor Spekulationen überlassen. Wis- SCHÖLLER 1973: 57). Auch im 19. Jh. war die senschaftlich fundierte Untersuchungen dazu fehlen Respektierung der Flurstücksgrenzen Gegenstand weitgehend. SCHMIDT et al. (1985) nennen den gesetzlicher Bestimmungen: "[...] daß ein jeder mit Faktor "Eigenbereinigung" als Hauptgefährdungs- dem Pflug, der Egge oder dem Grabscheit wenig- ursache für die Kleinstrukturen zahlreicher Wein- stens zwei Fuß vom Grabenrand entfernt bleiben bergslagen (die jedoch sämtlich auch von Regelflur- und zur Erhaltung derselben Anwandbeete anlegen bereinigungen berührt wurden). muß (LANDBAUWEGEVERORDNUNG DES KURFÜRSTENTUMS HESSEN, § 154, Polizey- Vor allem bei einzelnen Hobby- und Feierabendwin- Vorschriften zur Sicherung der Wege selbst, zit. in zern ist gelegentlich der Trend festzustellen, ihre CASPARSON et FICK 1846: 126). Rebparzellen nach "Vorgartenmanier" zu bewirt- schaften und jegliche naturnahen Bestandteile als Wenn heute das Eigentum ländlicher Gemeinden "Schädlingsherde" und "Schandflecken" rigoros zu durch unrechtmäßige Übergriffe auf Raine und beseitigen. Andere Beobachtungen lassen jedoch Wegränder betroffen ist, scheuen sich Gemeinderat vermuten, daß die Flurbereinigung häufig dazu bei- und Bürgermeister aus Gleichgültigkeit und lokal- trägt, daß derartige Maßnahmen überhaupt erst er- politischer Rücksichtnahme meist, von ihren Rech- griffen werden. Bereits im "Vorfeld" kann ein anste- ten auf Wiederherstellung des früheren Zustands hendes Verfahren erhebliche Unruhe in die Besitz- Gebrauch zu machen. Vielfach ist in Vergessenheit struktur bringen, wie aus dem Untermaingebiet be- geraten, daß neben Wegrändern auch häufig Raine richtet wird: "Wenn nur der Geruch einer Flurberei- als frühere Allmendflächen nach wie vor im Grund- nigung in der Luft liegt, gehen Landwirte [...] in besitz der Kommunen sind. Der Gemeinde als Ei- Bereiche hinein, die sie jahrzehntelang nicht inter- gentümerin obliegt die Pflicht, den Vermögensge- essiert haben." (PRAUTZSCH 1980: 118). Solche genstand Grundbesitz gegen widerrechtliche Zer- Übergriffe sind häufig mit sehr schmerzlichen Ver- störung zu schützen und geeignete Gegenmaßnah- lusten verbunden. So wurden z.B. letzte Exemplare men zu treffen, wie z.B. die ordnungsgemäße Er- von Arnica montana auf einem schmalen Feldrain mittlung und Abmarkung des Grenzverlaufs, eine im Nabburger Raum durch Unterpflügen des Rains deutlich sichtbare Markierung durch Pflöcke oder vernichtet. Möglicherweise hatte der Bauer Nut- Anpflanzungen (NdsUM 1988: 16). zungseinschränkungen befürchtet (BARTHEL Übergriffe auf Raine durch den Eigentümer: 1991, mdl.). Schwieriger noch als der Schutz von Grenzlinien- biotopen in kommunalem Besitz dürfte die Siche- 1.11.1.1.4 Flurwegeausbau rung von Rainen und Ranken sein, die im Eigentum einzelner Landwirte stehen. Sowohl Flurverfassung Der Ausbau des Flurwegenetzes führt in aller Regel (Besitzstrukur) wie auch die Landbewirtschaftung zur Beseitigung ökologisch wertvoller Erd- und

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Graswege und leistet nicht selten der Verfüllung und ner Gemeindemitglieder unabhängig zur Ausfüh- sonstiger Zweckentfremdung von Hohlwegen Vor- rung gebracht" werden. Abtretungen von Grund und schub. Der moderne Wegebau heutiger Prägung Boden wurden auch gegen den Willen der jeweili- trägt wesentlich zur Isolation und Entnetzung noch gen Anrainer durchgesetzt, wenn die nötige Erwei- weitgehend intakter Kulturlandschaften bei; vor al- terung des Wegedammes ein "successives Wegneh- lem Asphalt- und Betonwege sowie stark verdichte- men vom angrenzenden eben unbebauten Privatei- te und intensiv genutzte Schotterwege wirken als genthum" [brachliegender Anwandstreifen] erfor- "Barrieren" zwischen naturnahen Restflächen (vgl. derte (Landwegebauverordnung des Kurfürsten- auch "zunehmender Ausbaustandard" in Kap. tums Hessen, § 76, zit. in CASPARSON & FICK 2.3.2.4). 1846: 81 ff.; vgl. dazu FlurbG (1976), § 40; RIBBE et al. (1988: 6 ff.). Bei Flurbereinigungsverfahren steht (neben der For- derung nach Zusammenlegung) meist der Aus- und Bereits vor über 150 Jahren wurde der "Nutzen guter Neubau von Erschließungswegen auf der Wunschli- Landwege" zur Verbesserung der landwirtschaftli- ste der Landwirte obenan (vgl. Ergebnisse zur Ak- chen Situation immer wieder eindringlich beschwo- zeptanz der Flurbereinigung, in BENDIXEN 1989: ren (GREGER 1824; CASPARSON & FICK 1846). 144 ff.; STAUBER 1989). Vor allem in jüngeren Die meist nicht geplant angelegten Bauernwege be- Flurbereinigungsverfahren nimmt der Wegeaus- standen häufig aus mehreren durcheinanderlaufen- und Neubau oft eine zentrale Stellung ein. Selbst in den Wagengeleisen, die ständiges Ausweichen auf Weinbaugebieten mit insgesamt eher geringem Ver- die kultivierten Feld- und Wiesengründe erzwangen kehrsaufkommen werden "befestigte, zweispurige (vgl. Kap. 1.6). Zufahrtswege mit Steigungen nicht über 8 %" gefor- Unbefahrbare Wege hinderten die Bauern häufig dert (WEBER 1979: 14). Als häufigstes Motiv für daran, ihr Land zum günstigsten Zeitpunkt zu bestel- den Neu- und Ausbau von Wirtschaftswegen wird len, Dünger auszufahren, die Ernten einzubringen; u. a. die "Verbesserung der Einkommensverhältnis- eine Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktivi- se durch eine rationellere Landbewirtschaftung un- tät war damit ausgeschlossen: "Statt aus einer ent- ter Einsatz moderner Landbautechnik" genannt fernten Mergel- oder Gypsgrube fruchttreibende (STAUBER 1989: 90) wie z.B.: Fossilien, [...] von den öffentlichen Straßen Koth • Beseitigung agrarstruktureller Mängel aufgrund und von anderen Grundstücken Behelfs einer unzureichender Erschließung; vortheilhaften Erdmischung die fehlende Boden-Art • Verminderung des Arbeitsaufwandes bzw. zur herbeizufahren, bleibt er zu Hause hinter dem Ofen Arbeitserleichterung und-einsparung; sitzen und läßt das Vieh im Stall hungern [...]." Der • schlechte Wegezustand verleidete demnach dem Senkung der Produktions-, Maschinen- und Be- Bauern alle "Lust zur erhöhten Thätigkeit in seinem triebsmittelkosten; Gewerbe" (CASPARSON & FICK 1846). • Schaffung günstiger Voraussetzungen für einen überbetrieblichen Maschineneinsatz, Begünsti- Als besonders beeinträchtigend werden Hindernisse gung von Zu- und Nebenerwerbslandwirten. im Querprofil angesehen, wie zu nahe am Weg ste- hendes Gesträuch, Zaunhecken oder Hohlwege: Solche Forderungen an eine neuzeitlich erschlosse- "[...] Hohlgassen genannt, welche den Abfluß des ne Feldflur sind keineswegs nur ein Produkt unserer Wassers bei Regengüssen verhindern, so daß dassel- Tage. Der folgende Exkurs in die Vergangenheit des be stehen bleibt und dann statt eines Weges einen Wegebaus soll eine objektivere Einschätzung der Sumpf bilden muß, oder in denselben fortzuströmen gegenwärtigen Umgestaltungen ermöglichen (vgl. gezwungen ist, und dadurch dem Weg die unebene dazu Kap. 1.6.1.2 ff.). Gestalt eines Flußbettes giebt, welches auch wieder Gut ausgebaute Flurwege galten seit jeher als mit den Forderungen an einen Weg im Widerspruch Sinnbild einer fortgeschrittenen Landeskultur steht." (Kreisdirektor Johann von OBERNBERG, und wurden von Staat und Obrigkeit dementspre- zit. in GREGER 1824 ). Diesen Mißständen suchte chend gefördert, gelegentlich auch ohne den erklär- man bereits zu Beginn des 19. Jhs. mit der (teilwei- ten Willen der betroffenen Grundstückseigner. So sen) Auffüllung von Hohlwegen zu begegnen: "Die klagt z.B. im Jahre 1861 der Ausschußbericht der tiefen und engen, jedoch unausweichbaren Hohlwe- Kulturgenossenschaft des Unteren Freisinger Moo- ge bei Eschenbach, Kirchenthumbach, Auerbach, ses über die "außerordentlichen Schwierigkeiten" Neuhaus, Thundorf, Troschenreuth, Ebersberg, hinsichtlich des Beitrittes der Bauernschaft jenseits Michelfeld, Poppenberg, Bieberach etc. wurden er- der Isar: "[...] Bedürfnis seien ihnen die Moosgrund- höht [...]. Durch Herstellung eines guten Weges [...] stücke nicht, da sie ohnehin cultiviertes Land im immer fünf und zehen andere schädliche Wege kas- Überfluß hätten [...]. Würde durch die Entwässerung siert." Durch die Anlage eines Vicinalweges von und durch Straßen und Wege ein Nutzen erzielt, wie Hopfmoh nach Auerbach im Eschenbacher Landge- sie selbst zugeben, so geschehe es ohne ihr Zutun richtsbezirk (Obermain) gelingt es, die "durch 100 und sie ersparten dabei die Auslagen." (Bay. HStA, Wagengeleise durchschnittene, für den Fußtritt ge- Reg.Akten, zit. in STEIDL 1991: 39). fährliche" Pinzigödung unter die Gemeinden Hopf- Um den gerade aufkeimenden Fortschritt in der moh, Pinzig und Dombach zu verteilen und "in Landwirtschaft weiter voranzutreiben, wurde nicht Jahr und Tag ohne viele Kosten" zu kultivieren nur die Verkoppelung der Grundstücke durch "ge- (OBERNBERG, zit. in GREGER 1824). eignete Landesverordnungen" unterstützt, auch We- Eine Empfehlung bestand darin, die Hohlgasse gebaumaßnahmen konnten vom "Eigensinn einzel- durch "Einhacken auf beiden Seiten" so zu erwei-

222 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen tern, daß in der Mitte des Weges eine Erhöhung wie vor werden schwach befestigte Wege zu entstand und beiderseits der Wagengeleise der Ab- Schwarzdecken- oder Betonwegen ausgebaut. fluß des Wassers gewährleistet war. Zwei Wagen Folgende Wegekategorien spielen beim Wegeaus- sollten nebeneinander vobeikommen. Wo die dazu bau eine Rolle (BAYERISCHER FLURBEREINI- erforderlichen Ländereien bereitstanden, war man GUNGSBERICHT 1981/82, zit. in TESDORPF bestrebt, den neuen Weg neben die Hohlgasse zu 1984: 290): verlegen; die Folge waren eine Reihe parallel ver- - Schwer befestigte Wege (sog. Bautypen 1 und 2 laufender Hohlwegstränge (EDELMANN 1965: 8 mit Bitumen); ff.). - Beton und Pflaster (Bautyp 3 und 4); Ebenso wie die zahllosen Weghindernisse stand die - leicht bituminös befestigt (Bautyp 5); Beschaffenheit des Wegekörpers einer zügigen Be- - Spurplatten (Bautyp 6); nutzung entgegen. Ein morastiger Boden ließ die Fuhrwerke tief einsinken, während die in Sandge- - Kies oder Schotterwege (Bautyp 7); bieten häufigen Flugsanddünen den Rädern kaum - Einfachbefestigung (Bautyp 8). Widerstand boten: Die Spur eines jeden Rades fiel Der verstärkte Ausbau wird heute hauptsächlich mit sogleich wieder zusammen, was die Bewegung auf der inzwischen hochmechanisierten Agrarwirt- solchen Böden noch mehr erschwerte (CASPAR- schaft gerechtfertigt: Vor 1945 waren ländliche SON & FICK 1846). Wege meist nur in sehr geringem Umfang befestigt; Ein weiterer Feind des Wegebaus war die Staunässe. einfache Schüttungen aus Schotter- oder Kies Die erforderliche Wasserableitung geschah durch herrschten vor. Anlage von Wegseitengräben, durch die Wölbung des Weges und die konvexe Form des Wegedammes. Die landwirtschaftlichen Transporte wurden über- Je weicher das Ausgangsmaterial und je breiter der wiegend mit Ochsen- und Kuhgespannen und eisen- Weg geplant war, um so höher sollte die Wölbung bereiften Fahrzeugen durchgeführt, die an die Fahr- sein. Am günstigsten werden Bodenarten wie "gro- wege verhältnismäßig geringe Anforderungen stell- ber fester Sand, mit etwas Lehm vermischt" oder ten. Nach dem Krieg suchte die Landwirtschaft kiesige Böden beurteilt. Wege solcher Beschaffen- durch verstärkte Mechanisierung und Rationalisie- heit entbehrten aller Befestigungsmaßnahmen und rung dem Arbeitskräftemangel zu begegnen und mit wurden nur so weit in der Gestaltung des Querprofils der Aufwärtsentwicklung der übrigen Wirtschaft verändert, wie es "Bequemlichkeit, Sicherheit und Schritt zu halten. Die Abbildungen 1/80, S. 223, und Entwässerung" erforderten (CASPARSON & FICK 1/81, S. 224 veranschaulichen die Zusammenhänge 1846). Einfache Hilfsmaßnahmen zur Wiederher- zwischen Betriebsmittelstruktur und Bauleistungen stellung einfacher Wegebefestigungen finden sich im landwirtschaftlichen Wegebau (OTT 1966). bei DENECKE (1969: 73). Der Ausbau der Flurwege galt als unabdingbare Zum Ausbauzustand des Flurwegenetzes in der Voraussetzung für die Mechanisierung des landwirt- Gegenwart: Die Gesamtfläche für das nicht öffent- schaftlichen Verkehrs, für eine verbesserte Grund- liche Wegenetz (Feld- und Waldwege) ist heute an- stückserschließung und die Hinwendung zu Inten- nähernd so groß wie das der öffentlichen Verkehrs- siv- und Sonderkulturen, die eine Steigerung der flächen: Für Baden-Württemberg gibt TESDORPF Erträge und eine Erhöhung der Betriebseinnahmen (1984: 97) etwa 75.000 ha an, was 44,1% der Ver- ermöglichten (OTT 1966: 324) (s. Abb. 1/82, S. kehrsfläche des Landes entspricht. 225). Mindestens ein Viertel der Flurwege ist heute bereits Konsequenz hiervon war eine Erschließung der schwer befestigt (Asphalt, Bitumen, Beton); ein Feldflur in noch nie dagewesenem Ausmaß: Allein weiteres Viertel ist leicht befestigt (Schotter, Kies); zwischen 1956 und 1965 entstanden im Bundesge- der Rest sind unbefestigte Erd- und Graswege. Nach biet mit einem Kostenaufwand von 4,58 Milliarden

Abbildung 1/80 Landwirtschaftliche Zugkräfte in der Bundesrepublik Deutschland ("Grüner Bericht" 1966, in OTT 1966: 323) 1 Pferd = 1,1 Zugkrafteinheiten 1 Zugochse = 0,5 Zugkrafteinheiten 1 Zugkuh = 0,2 Zugkrafteinheiten

223 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

DM an die 108.500 km befestigte Wege, wobei etwa Teer-, Beton-, Pflaster- oder Plattendecke (TES- die Hälfte im Zuge von Flurbereinigungen gebaut DORPF 1984: 290). wurden (OTT 1966). Die Dichte des landwirtschaftlichen Wegenetzes ist Der Gesamtumfang des befestigten landwirtschaft- jeweils abhängig von der Topographie, der Besitz- lichen Wegenetzes betrug in den 70er Jahren bereits struktur und der Art der Bodennutzung (BOR- etwa 265.000 km; die Gesamtdichte der asphaltier- CHERT 1980). Nach KLEMPERT (1979) weisen ten Wege beläuft sich heute auf etwa 3,6 km/km2. folgende Gebiete deutlich erhöhte Wegedichten auf: Ungefähr 73% aller Flurwege werden im Zuge von - Gebiete mit steigender Hangneigung; Feld- und Weinbergsbereinigungen hergestellt - Gebiete mit schwer bearbeitbarem Boden; (OTT 1966, 1975; BORCHERT 1980; WEIGER - Ackerbau in Hanglagen bis zu 12% (gegenüber 1987). Futterbau- und Grünlandwirtschaft); Nach einer Veröffentlichung der Bayerischen Flur- - Realteilungsgebiete (gegenüber Anerbengebie- bereinigungsverwaltung lag allein in den Jahren ten). 1979 bis 1982 die Bauleistung der schwer befestig- ten Wege bei 1.904 km (= 21,1%); der leicht befe- Der Bedarf an ländlichen Erschließungswegen stigten Wege bei 3.151 km (34,9%). Rund ein Drit- kann daher nicht aus einer standardisierten tel aller neu gebauten Flurwege trägt damit eine "Wegedichtenzahl" per Tabelle, sondern nur in-

Abbildung 1/81 Bauleistungen im landwirtschaftlichen Wegebau / befestigte Wege in km, bezo- gen auf das Bundesgebiet im Zeitraum von 1956 bis 1965 (nach OTT 1966: 325 f.)

224 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/82 Flurwegeausbau im Ortsteil Schwingen, Gde. Quellenreuth/Hof a.d. Saale (GRÄSSEL 1975)

225 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen dividuell ermittelt werden. Allenfalls sind Dichte- Richtung führt ein tief eingeschnittener Hohlweg in zahlen benachbarter Gebiete mit ähnlichen Verhält- die Feldflur. Neben ihm wurde auf gleicher Höhe nissen vergleichbar (KLEMPERT 1979: 220). [...] schon vor langer Zeit ein zweiter Weg angelegt Wie bereits in Kap.1.11.1.1.1 (S.208) angesprochen, [...], auf einer Seite von einer Baum- und Strauchrei- haben die Flurbereinigungsverfahren im Bayeri- he begleitet. Das wirkt sich dahingehend aus, daß schen Wald häufig zu krassen Eingriffen in die ein relativ breiter Streifen Bodenfläche durch den Topographie der Hügellandschaften geführt. Neben Weg verbraucht wird und der Bewirtschaftung nicht den traditionellen Streifenfluren sind insbesondere zur Verfügung steht." (GRÄSSEL 1975: 25). auch die alten Wegesysteme besonders negativ be- Bereits vor den Wegebaumaßnahmen im Rahmen rührt. Der Verlauf der Altwege war im allgemeinen der Flurbereinigung erhielt Quellenreuth 1963 einen durch topographische Gegebenheiten und frühere neuen Anschluß an die nahe B 289, der den früheren Besitzverhältnisse bestimmt, die Wege selbst meist hohlwegartigen und schmalen Weg ersetzte. nur schwach befestigt, wobei ausschließlich au- Die Wegebaumaßnahmen sind während der fast tochthoner Silikatschotter verwendet wurde. Seit achtjährigen Bauzeit mit großen Erdbewegungen, den 50er Jahren entstehen auch hier infolge von vor allem mit Aufschüttungen des Geländereliefs, Arrondierungen vermehrt neue Wegetrassen, die verbunden. U.a. werden neben 13 km unbefestigten sich nicht mehr an Geländevorgaben orientieren Wegen ("Anwand- und Wanderwege entlang der (vgl. RINGLER et al. 1990: 263). An die Stelle der Bachläufe und Waldränder") rund 12 km Schotter- alten Erd- und Graswege rücken Asphalt- und Be- wege und 6,3 km stark befestigte Bitumen- und tonbahnen. Betonwege neu erstellt. Die Trassen der neuen Wege Nach der Gruppenflurbereinigung Aicha v. Wald folgen nicht mehr dem alten Wegverlauf und zer- sind in Nammering (PA) die Flurwege und "abge- schneiden vielfach die (während der Bauzeit noch schwemmten" Hangwege "geteert oder gepflastert". nicht arrondierten) Flurstücke der Bauern, was ne- Nicht ohne Stolz wird vermerkt, daß es den Bauern ben Bodenverlusten auch zu Mehraufwand an Ar- vor Ort erst mit Hilfe der Flurbereinigung gelang, beit (!) führt. Nach Fertigstellung der neuen Trassen "Jahrhundertealtes in 15 Jahren unserer Zeit anzu- wurden nahezu sämtliche alten Flurwege - ein- passen", ohne das Gesicht der Landschaft zu zerstö- schließlich der vormals zahlreichen Hohl- und ren: "Und das alles ohne Gewalt gegen Bach und Hangwege - planiert und mit Humus bedeckt. Die Weg" (GÜLL 1991: 153). neuen Wegeböschungen sind maschinengerecht ge- Beim Flurbereinigungsverfahren Quellenreuth staltet, so daß sie in der Folge "mit dem Schlepper- (HO) standen u.a. auch umfangreiche Wegebau- mähwerk gemäht" werden können. Das Ausmähen maßnahmen an, die in der Bauzeit von 1966 - von Hand unterbleibt seitdem (GRÄSSEL 1975: 1971/72 zur Ausführung kamen (vgl. GRÄSSEL 37). 1975: 23 ff.). Als besonders nachteilig wurden ins- Gleichzeitig mit dem Wege- und Gewässerausbau besondere die folgenden Mängel des alten Wegenet- wurde der Dorfplatz von Schwingen, der sich noch zes empfunden: in den 60er Jahren als typischer Grünanger mit Wei- • Wege ohne dauerhaften Belag (überwiegend herkette präsentierte, einer umfassenden "Sanie- Schotterdecken), teilweise eingetieft mit Geleis- rung" unterzogen: Der als unschön empfundene An- bildung, nicht ganzjährig befahrbar; ger ("zwar gemäht, aber nicht durch anderweitige • ausgefahrene Hang- und Hohlwege, z.T. nach Bepflanzung verschönert") wird befestigt, die Wei- Unwettern stark ausgespült mit Schlaglöchern; her eingefüllt und durch unterirdische Löschwasser- stellenweise kommt der "blanke, schiefrige Un- behälter ersetzt. tergrund" zum Vorschein; Abb. 1/82, S. 225, illustriert die zu einem ganz • unzureichender Wegquerschnitt der Hohlwege erheblichen Teil vom Wegeaus- und Neubau verur- erlaubt kein Ausweichen entgegenkommender sachte Umgestaltung der Dorfflur. Kein Altweg Fahrzeuge; durch Verwehungen im Winter häu- blieb unangetastet; das vernetzte Grünflächensy- fig unpassierbar. stem - ursprünglich von den quellenreichen Feucht- wiesen über die Wegseitenstreifen bis zum Dorfan- Besonders negativ ist vermerkt, daß solche Hohl- ger reichend - ist völlig aufgelöst. wegpassagen von Mähdreschern nicht benutzt wer- Als Resultat der insgesamt über 1,3 Mio. DM teuren den konnten und deswegen große Umwege zum Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur (zu Erreichen der Flurstücke erforderlich wurden. 82,3% aus Bundes- und Landesmitteln bezuschußt) Schwierigkeiten gab es auch bei "Ladewagen in präsentieren sich schließlich auf der Habenseite: Tiefladerbauweise"; ein Rad mußte stets außerhalb • Geringerer Zeitbedarf für Transportarbeiten; der Geleise laufen. • Als besonders hinderlich wurde der bewachsene geringerer Verschleiß an landwirtschaftlichem Mittelstreifen beim "Transport von Sternradrech- Gerät, vor allem an Schleppern; wendern" empfunden: "Der hohe Mittelstreifen zwi- • erhöhte Erschließung einzelner Flurstücke durch schen den Geleisen streift häufig an den Sternele- z.T. mehrere Zufahrten; menten und verbiegt diese. Der Verschleiß an den • Einsatz leistungsfähigerer Maschinen wie großer Geräten ist deshalb sehr hoch und führt zu häufigen Mähdrescher, Hackfruchtvollernter etc.; Reparaturkosten. Ein Umweg wird aus Zeitgründen • intensivere Bewirtschaftung auch abgelegener [...] meist nicht gefahren." (GRÄSSEL 1975: 31). Grünlandparzellen. Der "unnütze Flächenverbrauch" wird ebenfalls den Durch die Beseitigung der Kleinstrukturen ging alten Flurwegen angelastet: "Vom Dorf in südliche nach Einschätzung der örtlichen Jägerschaft der

226 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

"Bestand an Rebhühnern erheblich zurück", wie In den Weinbaugebieten sind vor allem die Hang- auch insgesamt ein "erheblich verringerter Wildbe- fuß- und Unterhangbereiche ortsnaher Lagen betrof- stand" im Gemeindegebiet beklagt wird (zit. in fen, wo oft massiv Gewerbe-, Wohn- und Freizeitan- GRÄSSEL 1975: 50). lagen ausgewiesen werden. Die Orte der engen Bei der Gruppenflurbereinigung Eggolsheim und Flußtäler haben kaum andere Expansionsmöglich- im Verfahrensgebiet Kunreuth (FO) kommt es zu keiten als im Hangbereich. Insgesamt etwa 10% von erheblichen Eingriffen in die besonders hochwerti- 342 kartierten fränkischen Weinbergslagen sind gen Wegökosysteme des Albvorlandes (RUDOLPH durch Bebauung bzw. Ausweitung von Siedlungs- & SACHTELEBEN 1991): gebieten akut gefährdet (SCHMIDT et al. 1985). Vor allem noch extensiv genutzte oder brachgefallene Das neue Wegenetz ist außerordentlich dicht (80 Südhänge in landschaftlich sehr reizvollen Lagen lfm/ha) und umfaßt insgesamt 44,6 km. Fast 2/3 aller werden zunehmend von Wochenendhäusern be- Wege im Verfahrensgebiet sind mehr oder weniger drängt. Besonders gefährdet sind auch alte Brachen stark befestigt ausgebaut: Asphalt- oder Betonpfla- in den Randlagen des Weinbaus mit noch relativ sterwege, Betonspurwege und Schotterwege mit niedrigen Grundstückspreisen (z.B. Saaletal, Main- stark verdichtetem Unterbau ergeben einen Anteil tal um Schweinfurt, Marktheidenfelder Platte und von insgesamt ca. 62%. Zudem wurden die Aus- Werntal; vgl. auch LPK-Band II.5 "Streuobst"). bautypen mehrerer Wege falsch deklariert. So sind im Wege- und Gewässerplan 10 Wege mit einer Die Abnahme sog. "Ödlands" in der gemeindli- Gesamtlänge von 1.650 Metern als unbefestigte chen Flächennutzungsstatistik infolge von Bebau- Wirtschaftswege ("Erd- und Graswege") deklariert, ung ist als Alarmsignal für eine drastische Gefähr- die bei den Baumaßnahmen mit einer bis zu 20 cm dung von wenig genutzten Böschungen, Brachein- mächtigen Schotterdecke und Wegseitengräben ver- seln und ähnlichen "Randbiotopen" in der Peripherie sehen werden. Die "unbefestigten" Wege entspre- der Ortschaften zu werten. Aus der Sicht von Natur- chen damit dem Ausbautyp der "Schotterwege". schutz und Landschaftspflege sind derartige Flä- Insgesamt 600 m Altwege wurden vollständig besei- chen bedeutende Indikatoren für das biotische Re- tigt. Häufig wurde die neue Wegtrasse exakt auf die generationspotential eines Raumes (vgl. BEIRAT Alttrasse gelegt; bei dem durchwegs breiteren FÜR RAUMORDNUNG 1976, zit. in BORCHERT Wegquerprofil führte dies durchwegs zur beidseiti- 1983: 306). gen (!) Zerstörung der alten Wegraine mit z.T. hoch- Die Neufassung des Gesetzes über Bodennutzungs- wertigen Pflanzenbeständen. Hohlwege wurden und Ernteerhebung (1979) sieht nicht mehr das alte häufig zumindest einseitig durch Anlage von Paral- Begriffspaar "Ödland" und "Unland"* vor, sondern lelwegen schwer beeinträchtigt. Kleinere Abbruch- nur noch die Kategorie "Unland". Danach umfaßt kanten, u.a. Erdaufschlüsse des anstehenden Dog- Unland Flächen, die nicht geordnet genutzt werden, gersandsteins, wurden durch die geschilderten Aus- wie Felsen, Steinriegel, größere Böschungen, Dü- baumaßnahmen grundsätzlich vernichtet. nen, stillgelegtes Abbauland, ferner Geröll, Glet- Ähnliche Eingriffe in teilweise hochempfindliche scher, Spülflächen, Strandflächen, Aufschüttungen, Wegökosysteme waren bei der Gruppenflurberei- Ödland und Brache. Katasteramtlich ist Unland da- nigung Illschwang (AS) zu beklagen. Während in durch gekennzeichnet, daß es mit keinen Wertzahlen der landwirtschaftlich intensiv genutzten Zone der der Bodenschätzung belegt ist; Bodenart und -zu- lehmigen Albüberdeckung "nur" relativ eutrophier- stand lassen demnach keine ausreichende Lei- te Grünland- und Trittfluren geschädigt wurden, wa- stungsfähigkeit für eine profitable landwirtschaftli- ren im Bereich des anstehenden Dolomits - vor che Nutzung erwarten. allem im Kontakt zu den hochwertigen Waldrändern Nach einer Schätzung von NAGEL (1978) wurden - schwere Verluste an Magerrasen und wärmelieben- in der BRD allein bis Mitte der 70er Jahre im Zuge den Säumen hinzunehmen. Darüber hinaus scheint von Flurbereinigungsverfahren mindestens 1.000 ha der Flurwegebau um Illschwang verstärkte Nachfra- sog. "Öd- und Brachlandes" (einschließl. Grenzer- ge auf den Aus- und Neubau von Gemeindeverbin- tragsflächen, zeitweise ungenutzte Flächen) wieder dungsstraßen auszulösen (HERRE mdl. 1992; vgl. einer geregelten Nutzung zugeführt. HULLER 1991). Untersuchungen von BORCHERT (1983) in der Gemeinde Wachtberg ergaben, daß rund 57% der 1.11.1.1.5 Baulanderschließung "Unlandflurstücke" stark hängiges Gelände bzw. Böschungen umfassen, überwiegend Steilböschun- Baulanderschließung reduziert und beeinträchtigt gen an Bachläufen, in Steinbrüchen, Hohlwegen vor allem Agrotope in Ortsrandlage, in erster Linie sowie Geländestufen und Flächen mit stark beweg- alte Flurwegsysteme, Böschungen und Hohlwege tem Relief. Abb. 1/83, S. 228, schlüsselt die unge- sowie zahlreiche Kleinstrukturen in alten Wein- nutzten Gemeindeflächen von Wachtberg nach ihrer bergslagen. geomorphologischen Ausprägung auf.

* In der Fachliteratur wird zwischen Öd- und Unland unterschieden: Danach ist Ödland im Gegensatz zum Unland zur Nutzung geeignet, d.h., ein Kultivieren ist grundsätzlich möglich. Zum Ödland zählen z.B. Heide- oder Moorflächen (BORCHERT 1983: 300).

227 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/83 Flächen mit keiner erkennbaren Nutzung in Prozent der geomorphologischen Kate- gorien" (BORCHERT 1983: 308).

Der meist "schleichende" Verlust wichtiger Kom- 1.11.1.2 Indirekt wirkende Faktoren pensationslebensräume im Siedlungsumfeld wird im allgemeinen kaum als "Biotopvernichtung" regi- Selbst wenn die Agrotope in ihrer "baulichen" Ge- striert und entsprechend dokumentiert. Die einzige stalt scheinbar unverändert erhalten bleiben, sind die Informationsquelle für flächendeckende räumliche dort angestammten Arten bzw. Lebensgemeinschaf- Veränderungen ist derzeit die amtliche (Gemeinde)- ten durch eine Vielzahl von Einflüssen und Faktoren Statistik der Flächennutzungen. bedroht. An vorderster Stelle zu nennen sind hier die Stoffeinträge durch Mineral- und Wirtschaftsdünger Die enorme Ausdehnung von Siedlungs- und Indu- (vgl. Kap.1.11.1.2.1, S.228), dann die diversen Bio- strieflächen auf Kosten landwirtschaftlicher Nut- zidanwendungen (Kap.1.11.1.2.2, S.233). zungen kann für zahlreiche Landschaften Bayerns Zuletzt wird noch kurz auf das Problem der "wilden durch Flurkartenvergleiche dokumentiert werden. Ablagerungen" eingegangen (Kap. 1.11.1.2.3). Besonders krasse Veränderungen zeigen Vergleiche im fränkischen Keuper-Lias-Land um Heilsbronn Als weitere "indirekt" wirkende Faktoren, die meist und in der Hersbrucker Alb: während die Landschaft zwar die "Baulichkeit", nicht aber die "Wesenheit" noch in den 30er Jahren durch kleinparzellierten der Agrotope unangetastet lassen, sind vor allem die Streuhopfenanbau zwischen ausgedehnten Obstbe- veränderten Gewohnheiten bei der Landnutzung zu ständen geprägt war, hat sich seither die Siedlungs- nennen. Neben dem Wandel in der Landwirtschaft fläche vervielfacht. selbst ist hier vor allem der Trend zu paralandwirt- schaftlichen Nutzungen und das veränderte Freizeit- Auch auf die landschaftlich exponierte Lage des verhalten (z.B. Golfplätze, Rasenski etc.) zu nennen. "Michelsberges" wurde wenig Rücksicht genom- Die Darstellung dieser Faktoren(ketten) und Wir- men. Wieviele Grenzraine, jahrhundertealte Wege kungsgefüge bleibt jedoch Kap. 2.3 vorbehalten. und sonstige Kleinstflächenbiotope dadurch besei- tigt worden sind, läßt sich allenfalls erahnen (s. Abb. 1.11.1.2.1 Nährstoffeinträge 1/84, S. 229). Dokumentiert ist dagegen die bereits stark fortge- Die Bedeutung des Nährstoffressourcenangebots schrittene Zerstörung der terrassierten Hangkante für den Trophiegrad des Rains wurde bereits in des Ochsenthomerberges nördlich von Etting im Kap.1.7.1 (S.149) erläutert. Im folgenden steht die Einzugsbereich von Ingolstadt; der Hangbebauung zunehmende Eutrophierung als Belastungsfaktor fiel ein lokaler Schwerpunkt artenreicher Halb- der Rainbiozönose im Mittelpunkt. trockenrasen zum Opfer (FAUST 1989: 27). Noch Ende des 19. Jhs. betrug der durchschnittl. Verbrauch von Mineraldüngern (Handelsdünger) in Auch der überregional bedeutsame Lößranken- der deutschen Landwirtschaft weniger als 5 kg/ha u. Komplex am Ortsrand von Pleinting (Stadt Vilsho- Jahr. Der gesamte Stickstoffeinsatz lag sogar noch fen) ist (obwohl Bestandteil des kommunalen Land- Mitte der 60er Jahre unter 60 kg/ha, auf Grünland schaftsplanes) in seiner Peripherie durch örtliche nur 26 kg/ha - weniger als der z.T. heute allein über Baulandausweisungen nach wie vor gefährdet; noch die Luft stattfindende Stickstoffeintrag (KLAPP Anfang der 90er Jahre wurde durch die Parkplatzer- 1971, zit. in GLASHAUSER & WÖLFL 1992, vgl. weiterung eines ortsansässigen Gewerbebetriebes ELLENBERG 1985) (s. Abb. 1/85, S. 230). der wahrscheinlich letzte lokale Wuchsort der Heute ist nahezu die gesamte Fläche Mitteleuropas Brandorchis (Orchis ustulata) vernichtet. einem Nährstoffeintrag über die Luft, über Fließge- Die charakteristischen sternförmigen Erschließungs- wässer und flächige Einschwemmungen ausgesetzt. wege im Ortsrandbereich vieler Dörfer sind neben Allein der Stickstoffeintrag lag 1984 in der Bundes- Straßenbaumaßnahmen und Flurbereinigung eben- republik Deutschland in einer Größenordnung von so durch Baulanderschließung gefährdet. Böschun- etwa 40 kg N/ ha und Jahr; in einer emittentenfernen gen und Steilhänge von Hohlwegen werden abgetra- Lage wurde ein jährlicher Stickstoffeintrag zwi- gen, verflacht oder künstlich stabilisiert. schen 20 und 30 kg N/ ha und Jahr (ELLENBERG

228 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/84 Ausdehnung der Siedlungsflächen im Raum Hersbruck (ALPENINSTITUT 1991, unpubl.)

229 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/85 Durchschnittliche Nährstoffzufuhr (Han- delsdünger und Wirtschaftsdünger) je ha landwirtschaftliche Fläche in Deutsch- land von 1878/79 bis 1978/79 (nach DIERCKS 1986)

1985, zit. in PLACHTER 1988) ermittelt. Diese trat-Austrägen und damit zur steigenden Grundwas- Menge entspricht (in einem Zeitraum von 5 bis 10 serbelastung in Größenordnungen "weit jenseits Jahren) einer landwirtschaftlichen Volldüngung für heutiger Grenzwerte" führen kann. alle Ökosysteme, auch für jene, die nur unter nähr- stoffarmen Verhältnissen existieren können. Im Bei einer rein mineralischen Stickstoffdüngung, die Randbereich von Gehölzen sind die (Nähr)Stoffein- nicht wie die organische Düngung neben dem Stick- träge noch deutlich höher! stoff ein Spektrum weiterer Mineralien enthält, ist Phosphatdünger praktisch notwendiger Zusatz. Die mineralische Stickstoffdüngung wird als in- Nach einer aus Rheinland-Pfalz stammenden Studie dustrielles Produktionsmittel ertragsbezogen einge- entfallen rund 17% der Phosphatbelastung in Ober- setzt, d.h. die Höhe des Einsatzes wird im wesentli- flächengewässern auf Einträge aus der Landwirt- chen durch die jeweils gegebenen Preisverhältnisse schaft, wobei allein 9% aus Bodenerosion und Aus- und die Ausdauer der Kulturpflanze, Nitratgaben waschung resultieren (LANDESREGIERUNG aufzunehmen, bestimmt. In Nord-Schleswig wur- RHEINLAND-PFALZ 1984, zit. in BRINK & den noch 1988 in der landwirtschaftlichen Beratung BAUMGARTNER 1989, vgl. auch KÖSTER & für Weizen bedenkenlos Stickstoffgaben bis zu 300 SEVERIN 1987). kg N / ha (!) empfohlen (BRINK & BAUMGART- NER 1989: 45). Über die Bodenabschwemmung von höherliegen- den Äckern gelangen Düngemittel mehr oder weni- Die Ablösung des "Natursystems" (Festmist) durch ger direkt in die angrenzenden Raine und Ranken; das "Industriesystem" (mineralische Stickstoffdün- die Düngewirkung wird hier also durch die Boden- gung) kann weitreichende Konsequenzen zur Folge erosion verstärkt. In vielen landwirtschaftlich ge- haben, z.B. Störungen der Mykorrhiza, irreversible nutzten Gebieten sind Nitrat- und Phophatdüngung Schädigungen der biologischen Filterschichten in in hohem Maße korreliert (KLEYER 1991: 37). Bei größeren Bodentiefen (vgl. BRINK & BAUM- spezialisierten Großbetrieben mit Zuckerrüben- GARTNER, 1989: 46 f.). Im Zusammenhang mit fruchtfolgen, die nach jährlichen Bodenanalysen ge- nachgewiesenen Nitratverlagerungen in tiefere Bo- düngt werden, können jedoch auch sehr niedrige denschichten (vgl. MAIDL & FISCHBECK 1986, Phosphat- und hohe Stickstoffwerte auftreten. zit. in BRINK & BAUMGARTNER 1989: 47) ist KLEYER zufolge erscheint das gegenüber Stick- eine nachhaltige Störung des biologischen Kohlen- stoff im Boden immobilere Phosphat bezüglich der stoff-Filters* vorstellbar, was zu stark erhöhten Ni- Bodenerosion als Umlagerungsindikator geeigneter.

* Die Festlegung von Nitrat hat Kohlenstoff als Energielieferanten für die abbauenden Mikroorganismen zur Voraussetzung. Kohlenstoff in Spuren findet sich noch in Tiefen bis 15 cm. Es wird vermutet, daß aufgrund des steigenden Nitrateintrags in den Boden und der damit einhergehenden erhöhten Umsetzungsprozesse dieser C-Vorrat in größeren Tiefen abnimmt (OBERMANN 1981, zit. in BRINK & BAUMGARTNER 1989).

230 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Im Kraichgau ermittelte KLEYER (1991: 65 ff.) auf HEINDL (1991: 322) für frische Standorte Vertreter Äckern oberhalb von Stufenrainen eine mittlere der Urtica dioica- Gruppe (z.B. mit Galium aparine, Phosphatdüngung von 79 kg/ha u. Jahr, wobei die Galeopsis tetrahit, Heracleum sphondylium), auf Verteilung mehrere "Gipfel" aufweist, da die unter- trockenen Standorten auch Arten der Eselsdistelflu- schiedlichen Fruchtfolgeglieder verschiedene Dün- ren (ONOPORDETALIA), vor allem Daucus carota- germengen bekommen. Die Mittelwerte der Nitrat- Gesellschaften. düngung lagen bei 111 kg/ha u. Jahr. KLEYER Im Kontakt zu frischen Fettwiesen, z.T. auch Brach- zufolge ist dieser Wert relativ niedrig; die Stickstoff- wiesen, verschiebt sich der Schwerpunkt im Spek- düngung aller agrarökonomisch untersuchten Schlä- trum der MOLINIA-ARRHENATHERETEA-Grünland- ge* pendelte zwischen 160 und 200 kg/ha (vgl. gesellschaften dagegen zugunsten eher mesophiler LORENZ & STAHR 1989). Wiesenarten (Holcus lanatus-Gruppe mit Rumex acetosa, Ranunculus acris, Campanula patula, Die Untersuchungen erbrachten teilweise deutlich Leucanthemum vulgare u. a.). höhere N-Vorräte der Stufenrainböden im Vergleich zu den darüber liegenden Äckern, wobei die Zunah- KOPECKY (1978: 100 ff.) berichtet von der Aus- me der P- und K-Mengen ganz offensichtlich mit breitung eutraphenter Arten an ursprünglich ver- dem Eintrag in Verbindung zu bringen ist. Ein signi- hältnismäßig mageren Standorten der submontanen fikanter Zusammenhang zwischen Bodenab- Stufe des Vorgebirges Orlicke’ hory (Nordostböh- tragsrate und Phosphatwerten ergab sich aus- men). Neben der Zunahme relativ anspruchsvoller schließlich dann, wenn die Breite des Saumes ARRHENATHERETALIA-Arten, wie z.B. Wiesen-Fuchs- zum Acker an der oberen Stufenrainkante gering schwanz (Alopecurus pratensis), wird die Ausbrei- war. Bei gleichbleibenden Eintragsparametern tung z.B. von Giersch (Aegopodium podagraria), (gleicher Acker, gleiche berechnete Erosion) fanden Bärenklau (Heracleum spondylium), Kletten-Lab- sich z.T. große Variationen der verfügbaren P- und kraut (Galium aparine), Brennessel (Urtica dioica), K-Mengen im horizontalen Verlauf der Stufenraine, Zaun-Winde (Vicia sepium), Gewöhnlicher Hohl- was indiziert, daß der Stoffeintrag nicht flächenhaft, zahn (Galeopsis tetrahit) u.a. ausgesprochen nitro- sondern punktuell in stochastischer Verteilung ver- philer Arten als Problem vor allem der letzten läuft (KLEYER 1991: 67). Jahrzehnte angesprochen. Auch die quantitative Ausbreitung einiger Arten der Transektuntersuchungen von RÜCK et al. (1989) straßen- und wegbegleitenden Vegetation wird ver- zeigten eine "Nährstoffspitze" an den Rändern von mutlich von der jeweiligen Intensität des Ackerbaus Stufenrainen, die zur Mitte hin abnimmt (vgl. dazu erheblich beeinflußt. Nach KOPECKY (1978: 126) auch Kap. 1.3.3). hat das Brachliegen von Äckern in den ersten Nach- Zunehmender Nährstoffgehalt anthropogen be- kriegsjahren die Ausbreitung von "Derivatgesell- einflußter Saumstandorte schaften" (vgl. Kap. 1.4.1.2) mit Quecke (Agropy- pron repens) in der submontanen Stufe des Untersu- Vielleicht die wesentlichste Gefahr für die Vielfalt chungsgebietes in hohem Maße begünstigt. der Agrotop-Lebensgemeinschaften geht von dem hohen Nährstoffangebot durch mineralische und or- Ähnliches gilt für die raschere Ausbreitung von ganische Düngung, Kalkung und atmosphärischen konkurrenzkräftigen Arten wie z.B. Breitblättriger Eintrag aus. Nicht zu Unrecht wird heute vielfach Ampfer (Rumex obtusifolius), Acker-Kratzdistel von einer "Verbrennesselung" von Wiesen, Wei- (Cirsium arvense), Giersch (Aegopodium podagra- den, Böschungen bis hin zu Magerrasen und ria), Bärenklau (Heracleum sphondylium), Weiches Wald(rand)standorten gesprochen (vgl. z.B. BERG Honiggras (Holcus mollis) usw. nicht nur auf den & MAHN 1990, MEISEL & HÜBSCHMANN unbestellten Äckern, Wiesen und Weiden, sondern 1976, zit. in SCHMIDT & WALDHARDT 1991: auch in der straßen- und wegebegleitenden Saumve- 175). getation. Durch Nährstoffzufuhr ausgelöste Verän- derungen der Dominanzverhältnisse können im Ex- Durch die Nährstoffzufuhr von angrenzenden ge- tremfall zu Umwandlungen in völlig andere Gesell- düngten Feldern und Wiesen werden insbesondere schaften führen. So zeigt sich etwa in Mainfranken die äußeren Bankette, bei Wegseitengräben die die zunehmende Eutrophierung der Straßen- und äußeren Grabenkanten eutrophiert. Zusammen mit Wegränder in einer Abfolge sehr artenreicher, halb- einem anwachsenden Humusgehalt, z.T. auch mit trockenrasen-artiger Bestände in direkter Nachbar- veränderter Bodenstruktur verursacht der Eutro- schaft zu aufgelassenen Weinbergen über "Rumpf- phierungsprozeß graduelle Abwandlungen der Ar- gesellschaften" mit der Sichelmöhre (Falcaria vul- tenzusammensetzung und / oder Änderungen in der garis-Basalgesellschaft) bis hin zu den reinen Dominanzstruktur**. Als Zeigerarten nitrophiler Aus- Quecken-Rasen direkt neben Intensiväckern oder bildungen in Kontakt zu Intensivkulturen nennt -weinbergen (vgl. Kap. 1.4.1.4).

* An 60 Probestellen von Stufenrainböden stand in 0,5 m Tiefe teilweise angewitterter Löß (Bodenhorizonte Cv bis C) an. Mit dem pot. Bodenabtrag korreliert wurden 49 Stufenrainböden, wo die Bewirtschaftungsdaten der oberhalb gelegenen Äcker bekannt waren (KLEYER 1991: 65). ** Dominanz beschreibt die relative Menge einer Art in der Flächen- und Raumeinheit im Vergleich zu den übrigen Arten. In der Pflanzensoziologie wird Dominanz auch durch den "Deckungsgrad" ausgedrückt (SCHAEFER 1992).

231 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

In diesem Zusammenhang wird deutlich, daß die (2) eutraphenten Saumgesellschaften der Agrar- DIPLOTAXI- AGROPYRETUM (ruderaler Stinkrauken- landschaft erst sekundär zu einer Diasporen- Queckenrasen auf umgestaltetem Rebgelände, Quelle "potentiell gefährlicher Unkräuter" (vgl. ebenfalls S-exponiert) KOPECKY: 228) geworden sind. Die Ausbrei- VALERIANA- BRACHYPODIUM- ARRHENATHERION- tungsrichtung verläuft in der Regel von den Wirt- Gesellschaft (Fiederzwenken-dominierte Fettwie- schaftsflächen zu den Agrotopstandorten; der Um- senbrache auf N-exponierter Böschung, eine heute kehrvorgang (Ackerrain als "Unkrautherd") muß weitverbreitete Böschungsgesellschaft am Kaiser- demgegenüber eine eher untergeordnete Rolle spie- stuhl) len. Auch ohne Großflurbereinigung geschieht also eine Thermophile Fiederzwenken- oder Trespenrasen Umstrukturierung der Vegetation, befinden sich Ge- mit höheren Anteilen an stenöken Kalkmagerrasen- sellschaften hoher Diversität und Evenness auf dem und Saumarten (s. Bupleurum falcatum-Gruppe) Rückzug und werden durch artenarme Gesellschaf- finden sich praktisch ausschließlich im Kontakt zu ten niedriger Evenness ersetzt, in denen oft manch- Halbtrockenrasen, Gebüschbrachen oder felsigen mal nur eine Grasart dominiert. Dies gilt vor allem Hanganschnitten, wo sie vor übermäßiger Nähr- für gut mit Wasser versorgte Böschungsrasen; stoffzufuhr geschützt sind bzw. die Einwanderung kleinklimatische Extreme (z.B. also sehr steile, entsprechender Arten überhaupt erst stattfinden flachgründige und besonnte Standorte erhöhen da- kann. gegen Diversität und Evenness und können so der Die zunehmenden anthropogenen Einflüsse führen anthropogen verursachten Nivellierung entgegen- in der Regel zu absinkenden Diversitäts- und Even- wirken (vgl. Kap. 1.3.2). ness-Werten* der Pflanzengesellschaften bzw. Ge- Auf eutrophierten Mauern sind, vorzugsweise in sellschaftskomplexe , wie FISCHER (1982) am Bei- hocherosiven Lößgebieten, weit verbreitete Stick- spiel von Lößböschungen im Kaiserstuhl erörtert. stoff-Zeiger anzutreffen, wie z.B., So ist die extrem artenarme, von der Brennessel - Kompaßlattich (Lactuca serriola), dominierte URTICA-ARTEMISIETA-Fragmentgesell- - Kanadischer Katzenschweif (Conyza canaden- schaft durch niedrigste Diversität und Evenness ge- sis), kennzeichnet. Eine hohe Diversität, hervorgehend - Flughafer (Avena fatua), aus hoher Artenzahl und hoher Evenness, besitzt - Hecken-Knöterich (Polygonum dumetorum), dagegen die MESOBROMION-Fragmentgesellschaft, -Gänsedistel (Sonchus oleraceus). die naturnahen Halbtrockenrasen nahesteht. Die Aufdüngung des Wirtschaftsgrünlandes hat FISCHER (1982) modifiziert die Feststellung von stark zu einer veränderten Artenzusammensetzung HAEUPLER (1980: 34), daß externe, insbesondere der Agrotopvegetation beigetragen. Mit der "Ver- mechanische Störungen grundsätzlich den Even- besserung" der Bergwiesen und Weiden haben sich ness-Wert von Pflanzengesellschaften ansteigen las- Arten wie z.B. Alopecurus pratensis, Festuca pra- sen. Nach FISCHER (S. 225) trifft dies nur für den tensis, Poa pratensis, Dactylis glomerata, Trisetum Fall zu, daß Eingriffe "so schwach sind, daß sie an flavescens, Phleum pratense und Festuca rubra ssp. der Gesellschaftszugehörigkeit des Bestandes nichts rubra auf Straßen- und Wegrändern der Umgebung ändern." Ist dagegen der Eingriff so einschneidend, ausgebreitet (KOPECKY 1978: 126). Das Dauer- daß sich eine ganz neue Gesellschaft entwickelt, grünland wird zunehmend durch Feldfutterbau, ar- können die Evenness-Werte deutlich absinken. Der tenarme Gemenge und Weidelgrasansaaten ersetzt. Autor belegt diese Aussage anhand von Gesell- Wegraine, vor allem aber Wegmittelstreifen sind schaftsvergleichen aus dem Kaiserstuhl. Verglichen heute nicht selten einheitlich vom Italienischen Wei- werden jeweils Altböschungen, die seit ihrer Anlage delgras (Lolium multiflorum), einem konkurrenz- vor Jahrzehnten bzw. Jahrhunderten (mit Ausnahme starken und häufig angesäten Kosmopoliten, domi- gelegentlichen Abflämmens) nicht mehr verändert niert. wurden (1) und Böschungen, die durch Flurverän- Dieser floristischen Verarmung nahezu aller Grün- derungen seit den 50er Jahren entstanden (2): landgesellschaften (vgl. dazu auch Kap. 1.11.2.4) (1) steht die Zunahme weniger, fast ausschließlich eu- traphenter Gräser und Kräuter gegenüber (s. Tab. XEROBROMION- Fragmentgesellschaft (anthropo- 1/39, S. 233). gen überformter Trockenrasen auf S-exponierter Altböschung) Im Zuge der fortschreitenden Ruderalisierung der Landschaft zeigen überdies verschiedene Neo- MESOBROMION- Fragmentgesellschaft (artenreicher phyten, wie z.B. Sisymbrium altissimum (Hohe Rau- Halbtrockenrasen auf N-exponierter Altböschung) ke), Cardaria draba (Gemeine Pfeilkresse) oder

* Änderungen der Diversität ("Mannigfaltigkeit") von Planzengesellschaften im Zuge von Sekundär-Sukzessionen betrachten z.B. HAEUPLER (1980), STÖCKER & BERGMANN (1977), HELMECKE (1975, 1978), SHAFI & YARRANTON (1973). Evenness beschreibt den Grad der "Gleichverteilung der Individuen auf die Arten" (vgl. HAEUPLER 1980, zit. in FISCHER 1982: 220). Gesellschaften oder Bestände hoher Artenzahl und Evenness, damit auch hoher Diversität, werden oft als "ökologisch besonders hochwertig" eingestuft.

232 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/39 Durch Aufdüngung zunehmende Grünlandarten (MAHN & FISCHER 1989: 262)

Gräser Kräuter Elymus repens (Gewöhnliche Quecke) Bellis perennis (Gänseblümchen) Alopecurus pratensis (Wiesen-Fuchsschwanz) Capsella bursa-pastoris (Hirtentäschel) Arrhenatherum elatius (Glatthafer) Cirsium arvense (Acker-Kratzdistel) Bromus hordeaceus (Weiche Trespe) Plantago major (Breit-Wegerich) Dactylis glomerata (Knaulgras) Ranunculus repens (Kriechender Hahnenfuß) Festuca pratensis (Wiesen-Schwingel) Rumex crispus (Krauser Ampfer) Lolium perenne (Ausdauernder Lolch) Rumex obtusifolius (Breitblättriger Ampfer) Phleum pratenis (Wiesen-Lieschgras) Stellaria media (Gewöhnliche Sternmiere) Poa annua (Einjähriges Rispengras) Taraxacum officinale (Gewöhnlicher Löwenzahn) Poa pratensis (Wiesen-Rispengras) Urtica dioica (Große Brennessel) Poa trivialis (Gewöhnliches Rispengras) Trisetum flavescens (Goldhafer)

Bunias orientalis (Orientalische Zackenschote) eine Bombus pascuorum stehen. An größeren Wildpflan- gewisse Ausbreitungstendenz. Ähnliches scheint zenbeständen, vor allem an Ballota nigra, Cirsium- für Brassica nigra (Schwarzer Senf), Alopecurus und Carduus-Arten wurde zwar während des Höhe- myosuroides (Acker-Fuchsschwanz), Hordeum mu- punktes der Entwicklung der Hummelvölker punk- rinum (Mäuse-Gerste) oder Bromus inermis (Wehr- tuell noch eine hohe Aktivitätsdichte beobachtet, lose Trespe) zu gelten (vgl. HEINRICH 1984). doch waren auch hier die Artenzahlen stets gering Die vieldiskutierte Ausbreitung des Salzschwadens und zeigten immer wieder die gleichen Artenspek- (Puccinellia distans) soll hier nur am Rande erwähnt tren. Für die Zeit der Jahrhundertwende sind im werden, da dieser Prozeß bisher in erster Linie ent- Untersuchungsgebiet dagegen noch 17 echte Hum- lang von streusalzbelasteten, in der Regel überge- meln (Bombus) sowie 5 Schmarotzerhummeln ordneten Straßen sowie im Bereich von Industriean- (Psithyrus) belegt. Ähnlich alarmierende Entwick- lagen beobachtet wurde. HEINRICH (1984: 35) be- lungen hinsichtlich der Artendiversität sind auch für tont jedoch die Nachbarschaft solcher "Salzschwa- Blattläuse und Collembolen (vgl. NOACK 1984, zit. den-Monozönosen" zu sehr artenarmen Agropyron- in HEINRICH 1984: 35) belegt und deuten sich auch Rasen (mit Chenopodium glaucum, Chenopodium für Feldheuschrecken (KÖHLER 1984) an. Wel- rubrum, Sonchus arvensis, Cirsium arvense etc.), chen Einfluß dieser Nivellierungsprozeß auf die die sich gleichfalls als Folge bestimmter anthropo- Entstehung von (Kultur)schädlingspopulationen gener Belastungen (Herbizideinsatz, Überdüngung, ausübt, kann derzeit noch nicht hinreichend abge- Verkehrsemissionen, Staubauflagen, Deponie land- schätzt werden (vgl. Kap. 1.9.2). wirtschaftlicher und kommunaler Abfälle usw.) her- ausbilden. 1.11.1.2.2 Biozideinträge Wie aber reagiert die Tierwelt auf die zunehmende Eutrophierung der Landschaft? Hierzu ist bisher Neben der Beseitigung der Kleinstrukturen ist die relativ wenig bekannt. Fundierte tierökologische Biozidbehandlung der landwirtschaftlichen Flächen Untersuchungen im Bereich agrarischer und indu- eine weitere Hauptursache für den Artenschwund in strieller Hochbelastungsgebiete der früheren DDR der Feldflur (vgl. z.B. SCHUHMACHER 1982). deuten jedoch auf auffällige Veränderungen im Hin- Erhöhter Biozidbedarf besteht insbesondere (vgl. blick auf Artenzusammensetzung und Verteilungs- STÖSSER 1974, MAYR 1986), muster der ober- und unterirdischen Fauna hin. Ana- - wenn Biotopstrukturen als "Nützlings-Habitate" log zur floristischen Verarmung der Phytozönosen fehlen und ist eine Selektion weniger belastungsresistenter - bei vereinfachten, engen Fruchtfolgen bzw. bei Tierarten bzw. Artengruppen als sehr wahrschein- Spezialisierung auf wenige, meist hochempfind- lich anzunehmen. liche Kulturen bzw. Sorten. Wie Untersuchungen der Universität Halle (vgl. In der Studie von NIEBERG (1985: 180 ff.) wird ein DORN 1991) zeigten, setzt sich z.B. die Hummel- eindeutiger und enger Zusammenhang zwischen fauna großer Gebiete nur noch aus 8-10 (von insge- dem Aufwand für Pflanzenbehandlungsmittel (PBM) samt 36 in Mitteleuropa nachgewiesenen) Arten zu- und dem Anteil an Intensivkulturen innerhalb eines sammen . Häufig stellen sogar nur noch ein bis zwei Betriebes festgestellt. Bei insgesamt 12 untersuch- Arten mehr als 90 % der ermittelten Individuen- ten Variablen (z.B. Flächenausstattung, Zugehörig- zahlen, wobei an erster Stelle die bei Feldbeobach- keit zu bestimmten Agrarregionen) hat der Anteil an tungen nicht unterscheidbaren Bombus terrestris Intensivkulturen die stärkste Beziehung zum Biozi- und Bombus lucorum sowie Bombus lapidarius und deinsatz: steigender PBM-Aufwand mit zunehmen-

233 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen dem Anteil der Intensivkulturen Weizen, Zuckerrü- verfrachtet; bei der thermischen Abdrift werden die ben, fallender Aufwand mit zunehmendem Grün- Substanzen in gasförmigem Zustand unter bestimm- landanteil. Die Studie belegt eine indirekte positive ten Voraussetzungen über weite Entfernungen trans- Korrelation zwischen Flächenausstattung und portiert (MAYR 1986). PBM-Aufwand, d.h., mit steigender Flächenausstat- Selektivherbizide werden gegen bestimmte Pflan- tung nimmt der Intensivkulturanteil zu, der Grün- zenarten bzw. -gruppen (z.B. gegen Zweikeimblätt- landanteil ab.* Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die rige in Getreide- oder Maiskulturen) eingesetzt; sie Göttinger ASG-Studie "Umweltrelevanz der Agrar- vernichten insbesondere empfindlichere Arten. struktur" (1984: 117 f., zit. in BRINK & BAUM- Selbst bei Arten mit langer Keimfähigkeit ist es GARTNER 1989: 78). Danach haben insbesondere demnach nur eine Frage der Zeit, bis der nicht erneu- Marktfruchtbetriebe und Veredelungsbetriebe höhe- erte Samenvorrat im Boden endgültig erschöpft ist re PBM-Aufwendungen als alle anderen Betriebssy- (HEYDEMANN 1980, SCHUHMACHER 1982). steme. In der Folge können relativ herbizidresistente Wild- Betriebe mit Sonderkulturen (intensiver Wein-, pflanzen den "freigeräumten" Platz einnehmen. Der Obst- oder Hopfenanbau) nehmen im allgemeinen Deckungsgrad der Wildpflanzen verringert sich absolute "Spitzenplätze" beim PBM-Aufwand ein. häufig durch den Biozideinsatz nicht - in diesem Fall So betragen z.B. die Kosten für PBM bei Hopfen steht den Kulturpflanzen nach der Biozidbehand- 1.450 DM/ha u. Jahr; bei Sommerweizen dagegen lung nicht mehr Platz als vorher zur Verfügung (vgl. nur 150 DM/ha u. Jahr (nach KTBL 1981, zit. in ADOLPHI 1976, LEIN 1982). SCHILLING 1984: 525). Beim Ausfall von Rainpflanzen durch direkte und Nach einer Feststellung von NIEBERG (1985: 180) indirekte (vgl. Abdrift) Biozidbehandlung kann eine steigt der PBM-Aufwand nicht nur linear mit dem Konzentration phytophager Arten, z.B. wurzelfres- Intensivfrucht-Anteil des jeweiligen Betriebes, son- sender Drahtwürmer (ELATERIDAE) oder Spring- dern "tendenziell überproportional" an, was sich schwänze (COLLEMBOLA) an den Kulturpflanzen "nicht nur mit der höheren Pflanzenschutzbedürftig- stattfinden (vgl. HEYDEMANN 1980, FRANZ & keit der Intensivfruchtarten, sondern auch mit der KRIEG 1982, LEIN 1982, KLINGAUF & WA- Erscheinung eines sich selbst verstärkenden chemi- CHENDORF-NEUMANN 1986). schen Pflanzenschutzes [...] erklären läßt" (zit. in Von den rainbewohnenden Tieren sind insbesondere BRINK & BAUMGARTNER 1989: 79). Damit ist solche Arten betroffen, die auf Wildkräuter als Nah- ausgedrückt, daß die Resistenzbildung den Ein- rungs- und Bruthabitat angewiesen sind, so z.B. die satz immer neuer Biozide nach sich zieht. Selbst im Regelmechanismus des Agrarökosystems wich- überzeugte Vertreter der konventionellen Landwirt- tigen Blattlausparasiten der Gatttung APHIDIIDAE schaft** müssen einräumen, daß es innerhalb des (vgl. Kap. 1.9.2.3). Wegen ihrer extrem kurzen Ent- Systems - intensive Pflanzenproduktion mit hohem wicklungszeit können sie rascher auf Blattlauskala- Dünger- und PBM-Einsatz und einseitiger Frucht- mitäten reagieren als räuberische Blattlausvertilger folge - kein längerfristig wirksames Mittel gegen (BRAUNS 1985). Auf zahlreiche Nützlinge wirken Resistenzbildung gibt. Herbizide als Kontaktgift - als besonders empfind- Im Zeitraum von 1970 bis 1979 stieg die in der BRD lich zeigte sich bei Versuchen die als Eipararasit abgesetzte Wirkstoffmenge von PBM um das zwei- bekannte Schlupfwespe Trichogramma cacoecidae. einhalbfache (von 12.000 t/Jahr auf 30.533 t im Aufgrund der verminderten Parasitierung kann das Mittel der Jahre 1977-79). Seitdem blieb das Niveau Auftreten entsprechender Kulturpflanzenschädlinge etwa auf gleicher Höhe, abgesehen von leichten indirekt gefördert werden (vgl. TANKE & FRANZ Schwankungen bei einzelnen Wirkstoffgruppen. So 1978, DFG 1985, ASSMUTH et al. 1986). HEYDE- war bei Fungiziden eine Zunahme, bei Wachstums- MANN (1980) geht davon aus, daß mit jeder ver- reglern (Halmverkürzern etc.) dagegen eine leichte nichteten Pflanzenart durchschnittlich 10 Wirbello- Abnahme zu verzeichnen, während der Anteil der se ausfallen. Herbizide mit 18.652 t (Mittelwert der Jahre 1982 Wirbeltiere können sowohl direkt vom Ausfall der bis 1984) im wesentlichen gleich blieb (vgl. Wildkräuter an Rainen und Wegrändern wie auch vom WOHLERS 1984, HILDEBRAND et al. 1986: 14, Rückgang der entsprechenden phytophagen Beutetie- zit. in BRINK & BAUMGARTNER 1989). re betroffen sein (vgl. MÜLLER 1971, KLINGAUF Von Biozideinfluß sind nicht nur die eigentlichen & WACHENDORF-NEUMAMM 1986). So wird landwirtschaftlichen Nutzflächen und die unmittel- der Populationsrückgang, z.B. von Rebhuhn, Wach- bar angrenzenden Raine, Ranken und Wegränder tel oder Feldhase, auch mit dem fehlenden Angebot betroffen, sondern infolge von Abdrift auch weiter an Wildkräutern begründet (vgl. HEYDEMANN entfernte Agrotopstrukturen. Bei der unmittelbaren 1980, ENGELHARDT et al. 1985, HELFRICH Abdrift werden die Spritztröpfchen mit dem Wind 1991, HELFRICH & FRANZ 1991).

* Die Ergebnisse beruhen auf einer Auswertung von einzelbetrieblichen Daten aus Buchführungsbetrieben in Niedersachsen mittels multibler Regressionsanalyse (BRINK & BAUMGARTNER 1989). ** "Durch die Auflockerung der (Mais)-Fruchtfolge kann man diese Entwicklung (Resistenzbildung) zwar verzögern, aber nicht völlig aufhalten." Durch die lange Lebensdauer der Unkrautsamen "wird ihre Entwicklung bei erneutem Maisanbau unter derselben Voraussetzung (...) wiederum begünstigt" (KEES 1987: 57).

234 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Auf mögliche Gefahren von Fungiziden im Zusam- als sie lebend zu beobachten waren" (HESELER menhang mit einer Schädigung der Darmbakterien- briefl., zit. in WERNER & KNEITZ 1978). Der flora des Feldhasens verweisen ENGELHARDT et starke Rückgang der Mauereidechse (Lacerta mura- al. (1985: 33). Bestimmte Quecksilberverbindun- lis) ist zum einen auf die Beseitigung der Nahrungs- gen, die bis in die jüngere Vergangenheit als Beiz- quellen zurückzuführen; zum anderen wird durch mittel zur Anwendung kamen können bei Feldhasen das im Körper angesammelte Gift zusätzlich die insbesondere in Maisanbaugebieten zu erheblichen Fruchtbarkeit herabgesetzt (LINCK 1954, KLEM- Schwermetall-Belastungen führen. MER 1971). Eine toxische Wirkung von Fungiziden gegenüber Bei Rebhühnern und anderen Feldvogelarten waren feldtypischen Tierarten wurde z.B. bei Laufkäfern neben einer erhöhten Sterblichkeit von adulten Tie- und verschiedenen Blattlausantagonisten nachge- ren auch Veränderungen im Brutablauf und -verhal- wiesen. Vielfach werden Fungizide mit Insektiziden ten, geringere Gelegegröße, Dünnschaligkeit der oder Acariziden (biozide Wirkung insbesondere ge- Eier sowie erhöhte Sterblichkeit von Embryonen gen Milben) gemischt. Fungizide können u. U. sogar und Nestlingen zu beobachten. Bei fehlerhafter bzw. zu verstärkten Blattlauskalamitäten beitragen, in- überdosierter Ausbringung und erhöhten Austrägen dem letztere offenbar durch diese Substanzen gegen können u. U. selbst Fische oder Weidevieh gefährdet Pilzinfektionen geschützt sind. Auch schwefelhalti- sein (vgl. HERFS 1968, CONRAD 1978, FRANZ ge Fungizide haben sich gegenüber vielen Schäd- & KRIEG 1982, MAIER 1985, BRAUNS 1986). lingsantagonisten als schädigend herausgestellt Besonders nachteilige Folgen für die komplexen (vgl. HERFS 1968, BRAUNS 1986, HEIMBACH Regelmechanismen innerhalb der Agrarbiozönose 1988). hat die Schädigung der sog. "Indifferenten", also Rund 70% der Fungizide werden allein im Wein- von Arten, die nicht in das menschliche "Nützlings- und Obstbau verbraucht (CLAUS 1975), wobei in Schädlings-Schema" passen, von der bioziden Wir- der Regel die gesamte Weinbaufläche behandelt kung aber ebenso wie die "Schädlinge" betroffen wird, seit den 70er Jahren meist über Hubschrau- sind. Die Rolle der meisten Indifferenten im Agrar- bereinsätze (vgl. BÖTTCHER 1972, zit. in WER- lebensraum ist noch weitgehend unerforscht; "un- NER & KNEITZ 1978: 610 f.) Aus wirtschaftlichen schädliche" Blattläuse können z.B. als "Wirt" oder und organisatorischen Gründen erfolgt der Einsatz Beutetier eine lebenswichtige Funktion für die z.T. nicht mehr gezielt in Abhängigkeit von der Schädlingsantagonisten haben. Eine Beseitigung Witterung, sondern in kontinuierlichen Terminsprit- dieser vermeintlich "unwichtigen" Tiere kann daher zungen gemäß der Wirkungsdauer der jeweiligen kaum abschätzbare Auswirkungen auf die Biozöno- Mittel. Die im Weinbau angewendeteten Fungizide se der Feldflur haben (vgl. z.B. ZWÖLFER 1978, haben insbesondere auch auf die Flechtengemein- KNAUER 1984). schaften der Felsköpfe, Weinbergsmauern und Verschiedenen Untersuchungen zufolge zeigten sich Steinriegel einen "gewaltigen Einfluß bis zur Aus- Kulturpflanzenschädlinge gegenüber toxischen rottung" (TÜRK 1992). Während Herbizid-, z.T. Substanzen wesentlich widerstandsfähiger als ihre auch Insektizidspritzungen im Weinbau derzeit eher Antagonisten bzw. indifferente Arten (vgl. SCHER- rückläufig sind, sind Alternativen zum Fungizidein- NEY 1958, HERFS 1968, CRITCHLEY 1972a, satz derzeit noch kaum in Sicht (STRENG 1992, 1972b, STEINER 1978). mdl.). KICKUTH (1987) stuft nach seinen Untersuchungen Viele Insektizide wirken in der Regel unspezifisch; über die ökotoxologischen Wirkungen von Pflan- sie vernichten bzw. schädigen also außer den Kul- zenbehandlungsmitteln die bislang üblichen Zulas- turpflanzenschädlingen auch andere Lebewesen. sungstests als sehr unzureichend ein. Störende Ef- MAYR (1986) stuft etwa zwei Drittel der Insektizide fekte auf die Informationsübertragung im Agraröko- als bienengefährlich ein, wobei neben der Honigbie- system seien in ihrer Komplexität nicht abschätzbar, ne auch sämtliche, z.T. bereits sehr gefährdete Wild- die Möglichkeiten für unvorhersehbare Wechsel- bienen betroffen sind. Im Regierungsbezirk Südba- wirkungen enorm groß. KICKUTH zufolge kann den kam es 1970 erstmals zu einem großen Bienen- grundsätzlich nicht von "umweltverträglichen" Pe- sterben durch Rebschutzmittel. Alle Großflächen- stiziden gesprochen werden (vgl. Kap. 2.3.2.2). verfahren treffen auch die Unter- bzw. Nebenkultu- ren, weshalb vor der Anwendung bienengefährli- cher Mittel blühende Pflanzen durch Mähen oder 1.11.1.2.3 "Wilde Ablagerungen" Abbrennen beseitigt werden müssen. In den nicht bereinigten Lagen sind davon die Mauern, Wegraine Vielfach werden Hohlwege und abseitige Böschun- und Steinriegel, in den umgelegten Fluren die Par- gen als willkommene Möglichkeit zur Ablagerung zellen mit Gründüngung, die eine gute Bienenweide von Unrat, Gartenabfällen und Erdaushub betrach- darstellen (Kleearten) betroffen (vgl. WERNER & tet. Auch Lesesteinhaufen "laden" manchen Anrai- KNEITZ 1978: 613 f.). ner und Landwirt zum Abladen von Grünabfällen Als direkte Folge von Insektizidspritzungen in und Ernterückständen ein. Wo sich in der Vergan- Weinbergen konnte HESELER "mehrmals beob- genheit Lesesteinewälle auftürmten, erfolgen heute achten, daß Lederlaufkäfer und Goldlaufkäfer am Ablagerungen von (Bau)-Schutt. Auf Rainen und Tag nach den Hubschrauberspritzungen tot oder Wegrändern wird übriggebliebene Spritzbrühe ent- noch zitternd, also partiell gelähmt, auf den Wein- leert, werden Düngersäcke "vergessen" und Altrei- bergswegen lagen, und zwar in viel größerer Zahl, fen abgeladen. Immer wieder ist auch die Unsitte zu

235 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen beobachten, daß abgefräster Straßenasphalt auf 1/86, S. 237) belegt. Innerhalb einer Zeitspanne von Wald- und Feldwegen landet (MATERN 1993). kaum mehr als 20 Jahren sind um den Weiler Thann Organische Ablagerungen führen zum Aufkommen im Falkenberger "Granitkuppenland" fast sämtliche meist langlebiger, stark eutropher Ruderalvegetati- Granitknocks, Ranken und Hohlwege mit wertvol- on, wie z.B. Brennesselfluren, Holundergebüsch len Magerrasen verschwunden. oder Brombeergestrüpp. Konkurrenzschwache, oli- gotrophe Pflanzenbestände werden dadurch ver- 1.11.2.1 Raine und Ranken drängt (vgl. Kap. 1.11.1.2.1). Baustellenabfälle, Hausmüll und Kunststoffabfälle oft undefinierbarer Vor allem die Flurbereinigungsverfahren der 50er Zusammensetzung sind nicht nur eine potentielle bis 70er (z.T. auch 80er) Jahre dürften häufig zu Bedrohung für Boden und Trinkwasser, sondern Totalverlusten geführt haben, wovon die völlig werden möglicherweise auch zu Todesfallen für ausgeräumten Fluren einzelner Landschaften stum- Kleintiere und nistmaterialsuchende Vögel. mes Zeugnis ablegen. Besonders betroffen sind wei- Anders sind Haufen aus weitgehend homogen zu- te Bereiche des Tertiärhügellandes, wie z.B. das sammengesetzten Bruchsteinen, u.U. auch Tonzie- Erdinger "Holzland" (ED) oder auch die Kreide- geln zu beurteilen, wie sie früher häufig zum Aus- Molasse-Landschaft im Übergang zum Jurazug der bessern von Wegen und Hofzufahrten benutzt wor- Frankenalb (KEH). Weitere Beispiele früher Berei- den sind. Ablagerungen dieser Art können ggf. als nigungen mit "Totalverlusten" sind für die intensiv "Steinschüttungen" in die Feldflur integriert werden genutzten Becken- und Hochflächenlandschaften (vgl. Kap. 4.2.4). Nordbayerns belegbar: 1.11.2 Rückgang Besonders betroffen sind u.a. das Neumarkter Becken, der größte Teil des Mittelfränkischen und Eine bayernweite Quantifizierung des Rück- Schweinfurter Beckens, die Hochflächenbereiche gangs ist aufgrund fehlender statistischer Bezugs- der nördlichen Frankenalb um Forchheim, Teile des grundlagen derzeit unmöglich. Lediglich für Trok- Kronacher Sandsteinrückens, praktisch der gesamte kenmauern im Bereich der alten Weinberge sind Grabfeldgau, Teile des Odenwaldvorlandes, der gebietsweise gesicherte Angaben vorhanden. Unge- Münchberger Platte. Dazu kommen immense Verlu- zählte Raine und Steinriegel sind durch Flurbereini- ste in verschiedenen Mittelgebirgsregionen Nord- gung und Eigenbereinigung verschwunden, zahllo- ostbayerns, wie z.B. im Falkenberger Granitkuppen- se Hohlwege und alte Flurwege dem Ausbau des land oder Rötzer Hügelland (TIR); von jüngeren Wegenetzes zum Opfer gefallen, ohne daß diese Verfahren der 80er Jahre besonders schwer betroffen Verluste auch nur ansatzweise registriert wurden. sind das Grafenauer Hügelland, Teile des Sonnen- Während in den frühen Flurbereinigungsverfahren waldes und Saldenburger Berglandes (FRG) (vgl. beseitigte Rain-Kilometer der Öffentlichkeit als auch Kap. 3.3.3). "Erfolgsquoten" vielfach nicht ohne Stolz präsen- tiert wurden (vgl. MOSER 1962; REIDL 1967), Zum Vergleich: Die Dichte an "geomorphologi- lassen die Verfahren unserer Tage kaum mehr ver- schen Strukturen" erreicht in nicht flurbereinigten lässliche Aussagen ohne aufwendige Recherchen Landschaften z.T. Spitzenwerte von 564 lfm/ha, al- vor Ort zu (vgl. z.B. RUDOLPH & SACHTELE- lein für Flachraine wurde in der Flur von Häslabronn BEN 1991). Aussagekräftig sind im allgemeinen (AN) eine Dichte bis zu 280 lfm/ha ermittelt (Klein- auch Flurkarten- und Luftbildvergleiche. Zu be- strukturkartierung der LBP, vgl. Kap.1.8, S.154). achten ist hier allerdings, daß eine Veränderung der Nach Untersuchungen von KNOP & REIF (1982) Flurstücksgrenzen nicht "per se" mit aktuellen Ver- schrumpfte in flurbereinigten Gebieten die Hecken- lusten an Grenzrainen gleichzusetzen ist; z.T. wur- dichte häufig um über 50 %, z.T. um zwei Drittel der den einzelne Raine bereits in weit zurückliegender ursprünglichen Ausstattung. Dabei sind die Verluste Zeit entfernt oder waren an den Flurgrenzen nie an unbestockten Rainen im Vergleich zu Hecken besonders ausgeprägt. In stärker terrassierten weit überproportional, weil die Hemmschwelle ge- Hanglagen sind jedoch Veränderungen der Flur- genüber einer Beseitigung von Rainen i.d.R. sehr struktur nahezu immer mit erheblichen Verlu- viel geringer ist (KLEYN 1991, mdl.; vgl. KAULE sten an Rainen und Ranken gleichzusetzen (Hö- & BEUTLER 1981; MORITZ & BOLTE 1988). henlinienkarten bzw. topographische Karten zu Rate Bei der Gruppenflurbereinigung Nationalpark- ziehen!). Zukünftig sollte das Hauptaugenmerk auf West (FRG) war bei sämtlichen Einzelverfahren die von der Kleinstrukturkartierung der LBP bereits eine erhebliche Abnahme der Rain- und Hecken- erfaßten Gebiete gerichtet werden, vor allem auch dichte festzustellen. Allein beim Verfahren Rosenau im Zusammenhang mit den beabsichtigten Vorher- (Grafenauer Hügelland) wurden insgesamt 15,6 km Nachher Vergleichen der "Ökobilanz" (vgl. Kap. Raine beseitigt (vgl. KLEINKE 1989, zit. in RING- 1.10.1.1). LER et al. 1990: 296 ff.). Infolge fehlender Bestandsaufnahmen bzw. quanti- tativer Verlustbilanzen kann der Rückgang nur ex- Abnahme von Kleinstrukturen (Hecken/Ranken) emplarisch anhand einzelner Untersuchungsergeb- zwischen 1970 und 1988: nisse dargestellt werden. Im allgemeinen sind - in - Verfahren Rosenau: Verlustrate: 60% Abhängigkeit von Naturraum und Besitzstruktur - jeweils ganze Kleinstrukturkomplexe vom Rück- - Verfahren St. Oswald: Verlustrate: 45% gang betroffen, wie der Kartenvergleich (s. Abb. - Verfahren Schönanger: Verlustrate: 27%

236 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/86 Rückgang an Kleinstrukturen um Thann bei Falkenberg (ALPENINSTITUT 1992, unpubl.)

237 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Die Rosenauer Flur wurde zwischen 1973 und 1979 fast überall eingeackert (REICHHOLF 1973: 101). bereinigt; St. Oswald zwischen 1978 und 1983, Auch für die ackerbaulich geprägte Löß-Hügelland- Schönanger Ende der 80er Jahre. Auch hier bestä- schaft des Kraichgaus wurden Verlustraten von 40% tigte sich wieder der Grundsatz: Je länger eine Berei- für Stufenraine ermittelt (flurbereinigte Gemarkung nigung zurückliegt, desto größer die Biotopverluste Eschelbach im Kreis Sinsheim, nach KLEYER & (vgl. Kap.1.11.1.1.1, S.208). LAMBERT 1989, zit. in KLEYER 1991). Bei der Flurbereinigung Heindlschlag (FRG), ei- Der großflächigen Planierung der Rebterrassen fal- nem Verfahren der frühen 60er Jahre, wurde wahr- len im allgemeinen auch sämtliche Raine und Bö- scheinlich der größte Teil der Feldraine beseitigt, schungen zum Opfer, wie HELFRICH (1982) für die insgesamt mindestens eine Fläche von 35 ha (bei rheinpfälzische Weinbergslage "Mittelhaardt" ein- einer Gemeindefläche von 1.147 ha; vgl. REIDL drucksvoll belegt. Bei dem Verfahren wurden neben 1967: 17). Graswegen auch alle Raine in einer Gesamtlänge Ähnliche Erfahrungen liegen aus dem Unterallgäu von 2.500 m beseitigt. vor. So wurden in einem 8 km2 großen Gebiet neben Nicht unerwähnt bleiben darf der erhebliche Flä- diversen anderen Eingriffen (Grünlanddrainagen, chenverlust durch unberechtigte Maßnahmen ein- Vorfluterausbau etc.) 24 km Hecken und 43 km zelner Landwirte (vgl. Kap.1.11.1.1.3, S.220). Nach Raine beseitigt (SCHAFFER & ZETTLER 1984, Schätzungen von JORDAN (HMLWLFN, 1991) zit. in MORITZ & BOLTE 1988: 36). beträgt der Verlust an Saumbiotopen der Feldflur Auch in jüngeren Verfahren wurde empfindlich in durch Überackern der Weg- und Feldraine etwa 0,6 den Bestand alter Raine eingegriffen. Der Beseiti- bis 0,7% der gesamten Ackerflächen. Auf bayeri- gung "einzelner Raine" fielen im Flurbereini- sche Verhältnisse übertragen, würde dies einem Ver- gungsverfahren Kunreuth (FO) immer noch über lust von 12.000 bis 15.000 ha gleichkommen (zum 3.900 Meter zum Opfer (vgl. RUDOLPH & SACH- Vergleich: die Gesamtfläche der bayerischen Natur- TELEBEN 1991). schutzgebiete betrug 1991 etwas über 100.000 ha). Eine deutliche Abnahme der Weg- und Feldraine im Niederbayerischen Tertiärhügelland dokumen- 1.11.2.2 Hohlwege und alte Flurwege tieren GLASHAUSER & WÖLFL (1992). Auf- grund von Flurkarten- und Luftbildvergleichen wur- Die Gefährdung alter Flurwege durch Wegebau- de für den Zeitraum zwischen 1825/26 und 1990 in maßnahmen ist bereits in Kap. 1.11.1.1.4, S.221, der Münchsdorfer Flur (PAN) ein Rückgang von ausführlich dargestellt. Quantitative Verlustbilan- 59% (Wegraine) bzw. 71% (Feldraine) ermittelt. zen liegen allenfalls für Einzelfälle vor. Untersu- Im niederbayerisch-oberösterreichischen Grenzge- chungen von BORCHERT (1980) zeigen über einen biet am Inn führte die Flurbereinigung seit Mitte der knapp vierzigjährigen Beobachtungszeitraum hin- 60er Jahre zu einem starkem Strukturwandel. Insbe- weg eine stete Abnahme von unbefestigten Flurwe- sondere verschwanden die mehr als 800 km langen gen: Die Wegekategorien III B (Graswege) und Feldraine; die Feldbegrenzungen wurden auf rund III A/ II B (leicht befestigte Sand-Kies-Wege), nah- 20 % reduziert. Im Zuge der durch die Zusammen- men zwischen 1938 und 1976 um 27% ab; im glei- legung begünstigten Nutzungsintensivierung wurde chen Zeitraum war eine Zunahme der Asphaltwege auch dieser Rest von Grenzrainen im Laufe der Zeit um nahezu 250% zu verzeichnen (s. Abb. 1/87, S.

Abbildung 1/87 Zunahme stark befestigter Hauptwirtschaftswege zwischen 1953 und 1975 in der TK 25 5307 "Rheinbach" (BORCHERT 1980: 382)

238 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

238). Vor der Flurbereinigung (1968 - 1972) waren nung unterzogen wurden (vgl. Kap. 1.11.1.1.2, auf einer 18 km2 großen Testfläche noch 10 km2 S.215). ohne schwere Wegebefestigung, nach Abschluß des Die intensiv bewirtschafteten Rebflächen des Verfahrens kein einziger Quadratkilometer mehr Steigerwaldvorlandes, des Schweinfurter Beckens, (BORCHERT 1980: 382). der Wern-Lauer und Marktheidenfelder Platte prä- Für das 554 ha große Flurbereinigungsgebiet Kun- sentieren sich inzwischen weitgehend ausgeräumt. reuth (FO) verzeichnen RUDOLPH & SACHTE- Im gesamten fränkischen Muschelkalk existiert LEBEN (1991) die Beseitigung von rund 600 m kein geschlossenes Mauersystem mehr (LEICHT unbefestigten Erd- und Graswegen durch Verfüllung 1985; vgl. dazu AUVERA 1966: 18). Vor allem und Humisierung. Zusätzlich wurden 26 km alte die flacheren Hänge des Mittleren und Oberen unbefestigte Wege ausgebaut und 10 km Wege neu Muschelkalks im Maintal wurden häufig bis zur angelegt. Durch das breitere Wegeprofil wurden die Hangoberkante intensivbereinigt. alten Wegraine nahezu vollständig vernichtet (vgl. Den starken Rückgang von Trockenmauern infol- Kap. 1.11.1.1.4, S.221). ge einer Rebflurbereinigung dokumentiert HEL- Insgesamt dürfte dem verstärkten Ausbau des Wege- FRICH (1982) für den rheinpfälzischen "Mittel- und Straßennetzes in den letzten Jahrzehnten ver- haardt". Neben der Vernichtung sämtlicher Raine mutlich der Großteil der alten Flurwege und Hohl- und Graswege wurden über 8.000 m Trockenmau- gassen zum Opfer gefallen sein. Für das Wegenetz ern zerstört, dies bedeutete eine Reduzierung auf der Münchsdorfer Flur (PAN) im niederbayerischen ein Sechstel des ursprünglichen Bestandes. Abb. Tertiärhügelland verzeichnen GLASHAUSER & 1/89, S. 241, belegt den überproportionalen Rück- WÖLFL (1992: 62) neben der Begradigung und gang der Mauern im Verfahrensgebiet. Zum Ver- Ausrundung der Linienführung mehrerer Wege und gleich: Für den Stuttgarter Keuper schätzt LINCK Straßen auch den Verlust von mindestens 700 m (1965), zit. in WERNER & KNEITZ (1978: 598) Hohlwegen durch ein Höherlegen der Trasse. Be- eine durchschnittliche Mauerdichte von 5.000 m2 reits vor dem derzeit anstehenden Neuordnungsver- pro ha unbereinigter Rebfläche. fahren hat die Münchsdorfer Feldflur damit bereits Die Abnahme von Lesesteinriegeln ist für die die Hälfte ihrer ursprünglich vorhandenen Hohlwe- großen "Entsteinungsaktionen" im Bayerischen ge eingebüßt. Wald am besten dokumentiert (vgl. Kap. 1.11.1.1.1, Noch um 1930 existierten in der heute intensivst S.208). genutzten und nahezu völlig ausgeräumten Feldflur So beschreibt MOSER (1962: 110 f.) für ein 760 ha der Gemeinde Vilsheim b. Landshut mehrere großes Flurbereinigungsgebiet (FRG) die Beseiti- Hohlwege von der Tiefe eines vollbeladenen Heu- gung von 2/3 aller Steinriegel auf einer Länge von wagens; die Böschungen waren vermutlich über- insgesamt 52 km. Pro Kilometer beseitigter Lese- wiegend magerrasenartig ausgeprägt. Die ältere Be- steinwall wurde ein Nutzflächengewinn von etwa völkerung erinnert sich noch heute an die damals 0,3 ha erzielt. Tab. 1/40, S. 242, gibt einen Über- keineswegs seltenen "Schusternagerl" (Frühlings- blick über den Umfang der Entsteinungsarbeiten Enzian) an den steilen Buckeln. Mit dem Verschwin- zwischen 1950 und 1960 in den Altlandkreisen den der Hohlwegaufschlüsse, der Lehmgruben und der heutigen Bayerwaldkreise REG, FRG, R, sandigen Böschungsanschnitte sind neben unwie- CHA, DEG, PA (RINGLER et al. 1990: 227). In derbringbarer Artenfülle und Landschaftsqualität diesem Zeitraum fielen nach MOSER (1962) ins- auch aussagekräftige Bodenaufschlüsse für erdwis- gesamt 650.000 m3 gerodetes oder gesprengtes senschaftliche Feldaufnahmen verlorengegangen Steinmaterial an. In welchem Ausmaß neben ein- (vgl. PFAFFL 1987: 12). zelnen Findlingsblöcken auch geschichtete Stein- Der Vergleich zwischen dem Grafenreuther Wege- riegel und -haufen entfernt wurden, läßt die Stati- netz von 1876 u. 1987 (Abb. 1/88, S. 240) zeigt die stik nicht erkennen. "Kehrseite" des modernen Straßen- und Wegeaus- Deutlich wird jedoch, daß die Entsteinungstätig- baus: Die vormals durch Wegränder und Raine keit dieser Zeit überwiegend auf bereits kultivier- spinnwebartig vernetzte Feldflur ist heute fast aller ten Wiesen und Äckern stattfindet; die "Ödland- "Grünlandspangen" beraubt und durch die Umge- kultur" nimmt nur mehr geringe Prozentanteile hungsstraße von der Siedlung regelrecht "abgerie- der Landkreisflächen ein. gelt". Neben der mehr oder minder gezielten Entfernung von Mauern und Steinriegeln im Zuge von Flur- 1.11.2.3 Trockenmauern und Steinriegel bereinigungen und Nutzflächenintensivierung sind darüberhinaus ungezählte Lesesteine der Be- Teilweise recht aussagekräftige Bilanzen liefern seitigung "steinreicher" Ranken und Ackerterras- Kleinstrukturvergleiche bereinigter und unberei- sen zum Opfer gefallen. nigter Weinbergslagen, während die Verluste von Steinriegeln und anderer Lesesteinbiotope der Feld- 1.11.2.4 Biotopverluste flur nur in Ausnahmefällen nachvollzogen werden (historische Vergleiche) können. In rebflurbereinigten Lagen sind nahezu alle wein- Der besondere Wert historischer Landschaftsbe- bergstypischen Kleinstrukturen verschwunden; da- schreibungen und alter Florenlisten liegt im von betroffen sind mindestens zwei Drittel aller frän- Kenntlichmachen schleichender Prozesse und kischen Weinberge mit einer Rebfläche von etwa Veränderungen, die sonst meist so gut wie unbe- 3.000 ha, die bis Mitte der 80er Jahre einer Neuord- merkt bleiben.

239 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/88 Veränderung des Flurwegenetzes um Grafenreuth / Wunsiedler Hochfläche (ALPENINSTITUT 1991, unpubl.)

240 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/89 Flurbereinigungsverfahren Forst-Deidesheim IV 1977/78 - Kleinstrukturdichte vor (schraffiert) und nach (leerer Balken) der Flurbereinigung (nach HELFRICH 1982)

241 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/40 Landkreis 1950 - 1960 davon Ödland entsteinte in % Entsteinungen im Bayerischen Wald (RINGLER et al. 1990: 227) Fläche in ha Regen 1.862 5,3 Grafenau 1.468 3,5 Roding 1.380 3,2 Regensburg 830 3,8 Viechtach 738 5,1 Bogen 683 2,6 Waldmünchen 661 5,9 Wolfstein 568 6,1 Wegscheid 397 3,3 Cham 360 6,1 Deggendorf 212 2,8 Kötzting 31 6,4 Passau 10 0,0

Die gegenwärtige Grünlandwirtschaft ist nach unvollständig behandelte und daß eine Reihe von KORNECK & SUKOPP (1988) am Rückgang Neophyten damals noch nicht eingewandert waren. von 46 % der aktuell gefährdeten Rote-Liste-Ar- Für die Gesellschaften der Ackerraine trifft diese ten maßgeblich beteiligt. Von 680 auf Grünland Feststellung offensichtlich in noch stärkerem Maße vorkommenden Arten gelten nach MAHN & FI- zu als für die aus relativ verbreiteten Arten zusam- SCHER (1989) mittlerweile 519 als gefährdet. mengesetzten Wegrandfluren. Neben Magerrasen- Daß der Bestandesrückgang in zunehmendem arten und Arten wärmeliebender Saumgesellschaf- Maße auch vor früheren "Allerweltsarten" der ten erscheinen insbesondere auch Ruderalpflanzen Raine und Triften nicht haltmacht, zeigt Tab. 1/41, mäßig trockener Standorte besonders rückläufig. So S. 243. beschreibt HOFFMANN (1857) in seiner Flora von Freising den Gemeinen Andorn (Marrubium vulga- Die immer wichtiger werdende Refugialfunktion re /RL-1) als verbreitete Art des Freisinger Hügel- der Raine belegen RUTHSATZ & OTTE (1987) landes: "Sandfelder, Wegränder zwischen Vötting mit einem Vergleich der Florenausstattung (Ag- und Giggenhausen, dann auf den Sandhügeln bei rarlandschaft um Ingolstadt). Die Grundlage hier- Rudlfing". für bildeten alte Florenlisten (STREHLER 1840/ Vergleiche von Verbreitungsangaben einiger Leit- 41, ERDNER 1913/ 14), entsprechende Listen der arten extensiv genutzter Ackerfluren und Grün- "Floristischen Kartierung Mitteleuropas" sowie länder (REUSS 1831 für den "Unterdonaukreis") die Einschätzung der Arthäufigkeit durch die Au- verdeutlichen den bestürzenden Rückgang früher torinnen selbst. Fazit dieser vergleichenden Un- überall ganz "gemeiner" Arten (Tab. 1/42, S. 244). tersuchungen ist, daß die meisten Pflanzen, die heute an Wegrändern und Ackerrainen wachsen, Die Klassifikationspläne* des 19. Jhs. vermitteln ein im Gesamtgebiet wesentlich seltener als vor 150 recht genaues Bild von der früheren Ertragssituation Jahren auftreten (s. Abb. 1/90, S. 244). des Acker- und Wieslandes. Über die Schätzungen des Heuertrags eröffnen sie uns die Möglichkeit, die Viele der ehedem als "gemein", "häufig" oder damaligen Wiesen und Weiden parzellenscharf zu "verbreitet" eingestuften Arten müssen heute um typisieren, ja sogar den Vegetationsbestand zu "re- 1 - 2 Stufen seltener eingestuft werden (RUTH- konstruieren". Für die Münchsdorfer Flur (PAN) im SATZ & OTTE 1987: 150). Der relativ große niederbayerischen Tertiärhügelland ermittelten Anteil der mit einem Fragezeichen (?) versehenen GLASHAUSER & WÖLFL (1992: 75ff.) beim Heu- Arten in der 1840 aufgestellten Einstufung erklärt ertrag der Wiesen enorme Schwankungsbreiten zwi- sich daraus, daß STREHLER einige Artengrup- schen 2,7 und 74 dt/ha. Fast 15% des Grünlandes pen (Farne, Orchideeen, Sauergräser) nicht bzw. waren kaum mähwürdige, arme Berg- und Wildheu-

* Um eine Bemessungsgrundlage für die Besteuerung festzulegen, wurden nach dem Gesetz von 1828 in Bayern alle Grundstücke nach dem mittleren Jahresrohertrag je Tagwerk in eine bestimmte Bonitätsklasse eingereiht. Maßgeblich war der tatsächlich erwirtschaftete Ertrag, nicht die Ermittlung der potentiellen Ertragsfähigkeit nach der natürlichen Standortgunst (vgl. Bodenschät- zungen des 20. Jh.). Die Ergebnisse wurden für jede Gemarkung in dem sog. Klassifikationsplan festgeschrieben, der für jedes Flurstück die Ertragsklasse in römischen Ziffern festhält (vgl. GEIGER 1830; ZIERL 1845; HEIDER 1954, zit. in GLASHAUSER & WÖLFL 1992: 195f.) Einsehbar sind die Klassifikationspläne heute beim Landesvermessungsamt.

242 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Tabelle 1/41 Grünlandarten mit Bestandesrückgang, die nicht auf der Roten Liste der BRD stehen (Auswahl aus MAHN & FISCHER 1989: 262, nach MEISEL 1979 u.a.)

Gräser Kräuter Leguminosen Agrostis canina Achillea ptarmica Lathyrus pratensis (Hunds-Straußgras) (Sumpf-Schafgarbe) (Wiesen-Platterbse) Agrostis stolonifera Betonica officinalis Lotus corniculatus (Ausläuferbildendes Straußgras) (Heil-Ziest) (Gewöhnlicher Hornklee) Agrostis tenuis Calluna vulgaris Lotus uliginosus (Rotes Straußgras) (Besenheide) (Sumpf-Hornklee) Anthoxanthum odoratum Caltha palustris Medicago lupulina (Gewöhnliches Ruchgras) (Sumpfdotterblume) (Hopfenklee) Avena pubescens Prunella vulgaris Trifolium campestre (Flaumhafer) (Gewöhnliche Braunelle) (Feld-Klee) Brachypodium pinnatum Ranunculus bulbosus Trifolium dubium (Fiederzwenke) (Knolliger Hahnenfuß) (Kleiner Klee) Briza media Rhinanthus minor Trifolium pratense (Zittergras) (Kleiner Klappertopf) (Roter Wiesenklee) Bromus racemosus Rhinanthus serotinus Trifolium repens (Einarmige Trespe) (Großer Klappertopf) (Weißklee) Carex canescens Saxifraga granulata Viccia cracca (Graue Segge) (Knöllchen-Steinbrech) (Vogel-Wicke) Carex leporina Senecio jacobea (Hasenpfoten-Segge) (Jakobs-Kreuzkraut) Carex nigra Stellaria graminea (Schwarze Segge) (Hain-Sternmiere) Carex panicea Succisa pratensis (Hirsen-Segge) (Teufelsabbiß) Cynosurus cristatus Tragopogon pratensis (Kammgras) (Wiesen-Bocksbart) Danthonia decumbens Veronica chamaedrys (Dreizahn) (Gamander-Ehrenpreis) Festuca ovina (Schaf-Schwingel) Luzula campestris (Hain-Simse) Luzula multiflora (Vielblütige Simse) Nardus stricta (Borstgras) Scirpus sylvaticus (Wald-Simse)

wiesen mit Heuerträgen unter 15 dt/ha. Rund 30% Das Verbreitungsmuster dieser Magerrasenbestände dieser magerrasenartigen Bestände fanden sich an schildern GLASHAUSER & WÖLFL (1992: 76) als Waldsäumen, Feld- und Wegrainen, die Breiten von "bandartig vernetzt" zwischen den steilen Hangla- bis zu 10 Metern (!) einnehmen konnten. gen der Kollbach- und Freibachleite, den Weg- und Ihr Flächenanteil lag damit erheblich über den ge- Feldrainen im Münchsdorfer Feld, den Gemeinde- düngten Zweischnittwiesen. Zu berücksichtigen ist weiden und den Bach- und Gräbenrändern der Talla- dabei, daß bei der Klassifikation nur ein Teil der ge (vgl. dazu auch Kap. 1.11.3). Als typische Vege- Weg- und Feldraine (vermutlich die breiteren und tation für die steileren Hanglagen, Säume und Raine "ertragreicheren") mit Ertragszahlen belegt wurde, sind bodensaure, z.T. wechselfeuchte Magerrasen, so daß der tatsächliche Bestand magerer Grasraine Halbtrockenrasen, wärmeliebende Säume und Bin- wohl noch weit darüber lag. senfluren anzunehmen (STEIN 1991).

243 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/90 Einschätzung der Bedeutung der heuti- gen Artenzusammensetzung der Vegeta- tion an Wegrändern und auf Ackerrainen für die Flora des Gesamtgebietes aus der Sicht von 1840 (STREHLER 1840/41) im Vergleich zu 1980 (RUTHSATZ & OTTE 1987)

Tabelle 1/42 Verbreitung von Leitarten extensiv genutzter Äcker und Grünländer (aus GLASHAUSER & WÖLFL 1992)

Leitart 1831 (REUSS) 1991 (STEIN) Erodium cicutarium "auf Äckern, an Straßen fast Lkr.-bedeutsame Art, nur mehr (Reiherschnabel) überall" in Grenzertragsäckern/Steill. Dianthus deltoides "auf Wiesen, an Straßen Lkr.-bedeutsame Art, (Heide-Nelke) ziemlich gemein" Einzelvorkommen (Freibachleite/Hohlweg) Campanula glomerata "fast überall auf Wiesen und Lkr.-bedeutsame Art, "stark (Büschel-Glockenblume) Grasplätzen" gefährdet"

1.11.3 Zustand Daneben muß aber auch die "Befindlichkeit" des gegenwärtig vorhandenen Agrotopbestandes hin- sichtlich Struktur, Stoffkreisläufen und Lebensge- Dieses Kapitel beschreibt den gegenwärtigen Zu- meinschaften betrachtet werden. stand von Agrotopen als Ergebnis der bereits behan- delten Einflüsse und Veränderungsprozesse. Dies Zuletzt wird der ästhetische und kulturland- betrifft zunächst den Systemzustand der gesamten schaftliche Zustand der Flur in knapper Form Flur. Erst die Kenntnis von Zustandsmängeln des analysiert. Ein Problembewußtsein hierfür herzu- gesamten Flurgefüges gibt "Trittsicherheit" für Op- stelllen wird immer dringender vor dem Hintergrund timierungs- und Neugestaltungsvorschläge. eines überstürzt ablaufenden Landschaftswandels,

244 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen der sich auch und besonders in der Normierung und Bei einem "Rundblick" über die Agrarlandschaften Nivellierung der Flurstruktur niederschlägt. Bayerns sind folgende allgemeine Ausstattungsde- fizite unübersehbar: 1.11.3.1 Raumstruktur des Agrotop- 1) Schlagzwischenräume fehlen in den meisten systems (Vernetzungszustand) Fluren oder sind nur mehr in unvernetzten Frag- menten vorhanden. Die Netzdichte von Rainen, gut ausgebildeten Weg- 2) Die Gesamtausstattung Bayerns muß daher als säumen, Hohlwegen u. dgl. ist unverkennbar mit unzureichend charakterisiert werden. Intensitätsgraden und Bodenwertzahlen von 3) Wo Agrotopsysteme agrarökologisch am nötig- Agrarlandschaften verknüpft. sten wären (Intensivgebiete), sind sie generell Eine überdurchschnittliche Ausstattung zeichnet nur am spärlichsten vorhanden. mehr sehr wenige Räume aus, wie Abb. 1/91, S. 245, 4) Überdurchschnittliche Netzdichten kennzeich- veranschaulicht. Darüber legt sich heute als zusätz- nen fast nur noch agrarische Marginalzonen (kli- liche verteilungsbestimmende Größe das Raummu- matisch-edaphisch benachteiligte Gebiete) und ster (vorwiegend älterer) abgeschlossener Flurberei- lokal ungünstige Lagen innerhalb begünstigter nigungsverfahren. Agrargebiete. Im Vorblick auf die in Kap. 4.1 zusammengefaßten 5) Ein lokaler "Ausräumungsverzicht" zurücklie- Umweltqualitätsziele von Agrotopsystemen und gender Flurbereinigungsverfahren orientierte Agrarlandschaften werden strukturelle Ausstat- sich generell eher an den Restzonen reduzierten tungsdefizite hier zunächst allgemein diagnostiziert, Nutzungsinteresses ("Restflächenbiotope" in in Kap. 3.3 geographisch konkretisiert. Grenzertragslagen) als an agrarökologisch-land- schaftsstrukturellen Erfordernissen. 6) Als Ergebnis dieser fortschreitenden Entnetzung präsentieren sich seltsam isolierte "Netzfrag- mente" inmitten bereinigter Fluren (z.B. Wie- senacker/NM, Tertiäranstieg/ED/FS/LA/DGF, Diabaskuppen und Härtlingsversteilungen im Vogtland/HO). Abb. 1/92, S. 246, veranschaulicht nochmals schlag- lichtartig Veränderungsprozesse und Status quo heutiger Agrarökosysteme. Augenfälligstes "Krank- heitssymptom" ist die hochgradige Isolation und Entnetzung des ehemals komplex verknüpften Ag- rotopsystems. Die früher von Breitrainen regelrecht "umgürteten" Ackerfluren präsentieren sich jetzt als überdimensionierte Großblöcke; die durchgängigen Flurkorridore zwischen Siedlung und Wald sind völ- lig aufgelöst. Betrachtet man über das Agrotopsystem hinaus den Zustand der Gesamtflur, werden vor allem gra- vierende Veränderungen hinsichtlich der Acker- Grünlandverteilung augenfällig. Während das ehemals durchgängige "Grünlandband" der Talau- en, Raine und Rankensysteme immer mehr zer- stückelt wird, sind in zunehmendem Maße Grün- landparzellen in die traditionellen Ackerlagen "ein- gestreut". Für das Untersuchungsgebiet der Münchs- dorfer Flur im Niederbayerischen Tertiärhügelland (PAN) ermittelten GLASHAUSER & WÖLFL (1992: 85) nur noch 38% des gesamten Grünlandes auf ausgewiesenen Grünlandstandorten (nach ALP). Gegenüber dem Vergleichsjahr 1825/26 wer- den heute etwa dreimal soviel "eigentliche" Grün- landstandorte von Äckern eingenommen. Diese Äcker liegen nicht mehr wie früher an Hängen und niveauhöheren Auflandungen, sondern zu 68% in den stärker hochwassergefährdeten und grundwas- sernäheren Niederungen (vgl. "Nutzungsumkehr" in Kap. 2.3.2.2). Der Waldzuwachs im Gebiet geht eindeutig zu La- sten der magerwiesenartigen Steilhänge der Koll- Abbildung 1/91 bach- und Freibachleite auf Grenzertragsstandorten. Dichte verschiedener Agrotope in kleinstrukturkar- Nicht mehr bewirtschaftete "Sukzessionsflächen" tierten Flurbereinigungsgebieten der ehemaligen Hutungen, schlecht zugängliche

245 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/92 Entnetzung und Isolation am Beispiel der Randlinger Flur (b. Simbach/Inn)

246 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

"Zwickel", Randstreifen an den Fließgewässern so- Magerraine, das der Reliefvorgabe entspringt und wie Teile der Rankensysteme sind durch Erstauffor- dem Erosionsschutz dient. Die mageren Raine und stungen aufs äußerste gefährdet (vgl. Kap. 2.3.1). die parkartige Hutung (rechter unterer Bildteil) ste- In ihrer Analyse kommen GLASHAUSER & hen in direktem Kontakt zu den Feuchtwiesen der WÖLFL (1992: 102) auf den Verlust von insgesamt Kollbachaue und der nach NW abzweigenden Sei- fast 2/3 des ehemaligen Bestandes an Weg- und tentälchen. Im linken unteren Bildteil ist eine breite, Feldrainen. Diese Einbußen wiegen um so schwerer, z.T. hohlwegartige Trift zu erkennen. als das Netzwerk der Raine und Ranken das Gros 1990 ist der Steilacker weitgehend "ausgeräumt"; magerrasenartiger Vegetation in der Münchsdorfer die "Hutung" fiel nach Aufgabe der Nutzung der Flur stellt(e). Die Hauptursachen für den Bestands- Sukzession anheim und entwickelte sich zum ge- einbruch liegen zum einen in der starken Verschmä- schlossenen Wäldchen; eine weitere "Ödung" wurde lerung*, zum anderen in der "Entnetzung" ehe- schon in den 30er Jahren mit Fichten aufgeforstet mals zusammenhängender Rainsysteme. Dieser (ARETIN, mdl. zit. in GLASHAUSER & WÖLFL "Entnetzungsprozeß" ist aus einer Interpretation al- 1992). Die Trift verschmälerte sich zu einem "ge- ter (1825/26) und neuer Flurkarten (1990) aus dem wöhnlichen" Feldweg, der seine hohlwegartigen Gebiet gut nachvollziehbar (vgl. Abb. 1/93, S. 247, Züge bis heute bewahrt hat. und Abb. 1/94, S. 248). Die flach nach Süden ansteigende Münchsdorfer Innerhalb eines großen Steilackers bei Leberfing Feldflur steht 1825 aufgrund ihrer fruchtbaren (Abb. 1/93, S. 247) existiert 1825 ein System breiter Lößlehmdecke ganz unter Ackernutzung (Abb.

Abbildung 1/93 Veränderungen und Ist-Zustand von Rainsystemen in Steillagen am Beispiel der Münchsdorfer Flur im Niederbayerischen Tertiärhügelland (GLASHAUSER & WÖLFL 1992)

* "Zu der zahlenmäßigen Gegenüberstellung [...] noch anzumerken, daß die 1990 verbliebenen Raine praktisch nirgends mehr in der früheren Breite [häufig 5 m, stellenweise bis zu 10 m] vorliegen, sondern vielfach auf Reststreifen zusammengeschrumpft sind, die den Namen Rain eigentlich nicht mehr verdienen" (GLASHAUSER & WÖLFL 1992: 102 f.).

247 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/94 Veränderungen und Ist-Zustand von Wegrainen/Acker-Grünland-Verteilung am Beispiel der Münchsdorfer Flur (GLASHAUSER & WÖLFL 1992)

1/93, S.247 ). Die Feldwege werden lückenlos von "Sperr-Riegel" dar. Das viel zu schmale Kalk-Ma- mageren Rainen unterschiedlicher Breite begleitet, gerrasenband an der Böschungskante liegt wie ab- die nur einmal jährlich gemäht werden und Heuer- geschnitten zwischen dem Rebgelände und dem po- träge unter 9 dt/ha liefern. tentiell besiedelbaren, weil teiloffenen Kiefern-Hu- 1990 ist die Ackerflur mosaikartig durch Grünland- tewald. nutzungen durchbrochen; die reinen Ansaatwiesen mit nur wenigen hochproduktiven Futtergräsern ha- 1.11.3.2 Zustand in biozönotischer ben jedoch nichts mehr gemein mit den blumenrei- und ökochemischer Hinsicht chen Ein- und Zweischnittwiesen der Vergangen- heit. Die Wegraine sind nur noch bruchstückhaft Raine, Ranken, Flurzwickel vorhanden, extrem verschmälert und durch die Stoff- Bis auf wenige Ausnahmen sind nahezu alle Ranken einträge angrenzender Intensivnutzungen eutrophiert heute brachgefallen, frühere Nutzungen wie Bewei- und floristisch verarmt. den, gelegentliche Mahd oder Brennholzhieb sind Zwischen den wenigen verbliebenen naturnahen weitgehend aufgegeben. Dies gilt auch für die aller- Streifen und "Zwickeln" liegen heute praktisch meisten anderen Linearbiotope der Feldflur (Hohl- überall z.T. hochintensiv bewirtschaftete Agrarflä- wegsböschungen, Lesesteinriegel u. dgl.). Wegrän- chen. Was im Tertiärhügelland oder auf den Schot- der, manchmal auch -böschungen werden dagegen terplatten Mais, Zuckerrüben und Hopfen (sind), noch häufiger gemäht und sind z.T. (zumindest me- sind an den Talhägen des Mains die Intensivkulturen chanisch) hochintensiven Belastungen ausgesetzt des Weinbaus. Abb. 1/95, S. 249, zeigt zwei typische (vgl. Kap. 2.1). Lebensraum-Situationen in der Gegenüberstellung. Die Auswirkungen des Brachfallens auf die Bio- Während der extensiv bewirtschaftete "Alte Wein- zönosen der wichtigsten Agrotoptypen werden im berg" Teil eines durchgängigen Biotop-Verbunds für Kap. 2.2 beschrieben. Brachgefallene Raine und Xerotherm-Arten vom Maintal bis zu der früher Ranken werden in der Regel von hochwüchsigen, niederwaldgenutzten Hochfläche war, stellt (in der konkurrenzstarken Arten beherrscht, sind reich an naturräumlich ähnlichen Situation) der flurbereinig- Phytomasse und haben hohe Nährstoffgehalte im te Weinberg einen biologisch hochwirksamen Boden.

248 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Abbildung 1/95 Eignung des Lebensraumtyps "Weinberg" für xerotherme Arten des Lebensraumkomplexes "Trockenstand- ort" (RITSCHEL-KANDEL et al. 1991: 31)

Durch vermehrten Nährstoffeintrag, gleichmäßigere Quecken-Trockenfluren mit Restvorkommen wär- Wasserversorgung und kulturtechnische Maßnah- meliebender Saumarten bereits fleckenweise mit men sind sowohl trockene Ranken wie auch staunas- wuchskräftigeren Konkurrenten wie Brennessel- se Hänge und Senken in gleichmäßig frische Stand- oder Waldrebenherden durchsetzt. orte umgewandelt worden. Vereinheitlichte Stand- Wenngleich solche halbruderalen Bestände nicht als ortbedingungen haben dazu geführt, daß verschie- akut gefährdet einzustufen sind, so ist ihr flächen- denartige, kontrastierende Artengemeinschaften hafter Rückzug doch sehr bezeichnend für den ge- durch gleichartige ersetzt werden. Das verengte Le- genwärtigen Zustand der gesamten Agrarlandschaft. bensraumspektrum wird zu immer größeren Tei- Offene Hohlwege und magerrasenartige Ackerbra- len von immer weniger Arten ersetzt. Besonders chen sind ebenfalls nur im Promillebereich in der gravierende Einbrüche haben alle mehrjährigen, Agrarlandschaft vertreten. Schwach gedüngte, ex- kleinwüchsigen und skleromorphen Arten hinneh- tensiv bewirtschaftete Äcker mit floristisch wertvol- men müssen, die nur noch in extensiv bewirtschaf- leren Saumbereichen existieren oft nur noch im Be- ten Gebieten anzutreffen sind. Im Abnehmen be- reich von Terrassen, die zu schmal für eine maschi- griffen sind daher insbesondere: nengerechte Intensivierung sind (KLEYER 1991: • Halbtrockenrasen, Quecken-Halbtrockenfluren; 177). • wärmeliebende Saumgesellschaften; Die früher vorherrschenden mageren Wiesen und • Pionierstadien lückiger Magerrasen, Sand- und Weiden sind nahezu überall auf wenige Säume und Steingrusfluren. "Flurzwickel" geschrumpft. Wie gering der Ge- samtflächenanteil dieser Magerwiesen heute ist, be- Vor allem in nährstoffreichen Löß- und Lößlehmge- legt - stellvertretend für viele andere Gebiete - eine bieten beherrschen meist artenarme Trittpflanzenge- Gegenüberstellung von Flächenanteilen unter- sellschaften, Quecken- und Brennesselfluren das Er- schiedlicher Wiesentypen 1844/45 und 1990 (ermit- scheinungsbild der Raine und sonstigen Saumbio- telt für die Münchsdorfer Flur im Niederbayerischen tope. Tertiärhügelland). Siehe Tab. 1/43, S. 250. Im Untersuchungsgebiet von KLEYER (1991) wa- Während in den meisten Ackerlandschaften ein star- ren auf Stufenrainen fast alle noch verbliebenen ker Rückgang landschaftsprägender Einzelbäume

249 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen zu beobachten ist (vgl. LPK-Bände II.5 "Streuobst" kehrsgewohnheiten und verschwindet allmählich und II.14 "Einzelbäume und Baumgruppen"), haben aus dem Erscheinungsbild der Feldflur. Die verblie- sich auf Stufenrainen, Steilhängen und nassen Sen- benen Altwege (wie auch die neu angelegten Flur- ken seit 1945 Gehölze regional z.T. deutlich ausge- wege) sind dafür intensiveren Belastungen durch breitet (vgl. KLEYER 1991: 54). Auf diese Weise höheren Reifendruck und schwereren Achslasten wird die bereits konstatierte Nivellierung der ur- ausgesetzt (vgl. Kap. 2.1.6.1). sprünglichen landschaftlichen Mannigfaltigkeit und Bei zunehmender Belastung gelangen insbesondere Heterogenität noch zusätzlich durch das Gehölzauf- die kleinwüchsigen annuellen Arten unter den Tritt- kommen überlagert. pflanzen zur Dominanz, wie z.B. das Einjährige Sind Ranken und Feldraine also überwiegend durch Rispengras (Poa annua); (vgl. Kap. 1.7.2). Verbrachung, Verbuschung, Eutrophierung und Obwohl die Vegetation der Wegraine insgesamt "Zerstückelung" geprägt, so leidet ein Großteil der durch steigende Stoffeinträge gekennzeichnet ist, so Wegraine (insbesondere in landwirtschaftlichen In- fehlen doch die früher punktuell immer wieder vor- tensivgebieten) unter übertriebenem "Pflegeaktio- handenen Stickstoffakkumulationen (Ammoni- nismus": Die oft auf wenige Dezimeter reduzierten akstickstoff im Tierkot) heute weitgehend. Neben Grünstreifen ähneln nach einer mehrmaligen Mahd einer Reihe verschiedener sog. "Ammoniakpflan- in ihrer Struktur kurzgeschorenem Zierrasen. Vor zen" an Wegen, die z.T. auf sehr spezifische Stand- allem ebene, hindernisfreie Randstreifen neben neu- ortqualitäten angewiesen sind, können indirekt so- angelegten Flurwegen oder Beton-Spurbahnen etc. gar Bewohner gänzlich anderer Habitate betroffen sind solcher "Intensivbehandlung" ausgesetzt. sein. So ist das Aussterben der Flechtenart Arapti- Erd- und Graswege chia ciliaris ganz offensichtlich mit dem Verschwin- Vor allem die kleineren Erd- und Graswege, die z.T. den der alten staubigen Flurwege in Verbindung zu als sog. "Duldungswege" nur zeitweise genutzt wur- bringen; die ammoniakliebende Rindenflechte ist den und unter den Landwirten als Überfahrtsrecht ersatzlos auf die Standortkombination Alleebaum/ festgelegt waren (DEUTSCH 1973, zit. in KLEYER Staubweg/organische Dünger angewiesen (TÜRK 1991: 54), mußten nach Flurbereinigungsverfahren 1992). eingemessenen befestigten Wegen weichen. Ein Hohlwege Großteil der alten Wiesenpfade und fußläufigen Ver- Selten befahrene Hohlwege sind häufig verfallen, bindungswege verfällt aufgrund veränderter Ver- stark verbuscht und z.T. zu "wilden Müllkippen"

Tabelle 1/43 Flächenanteile unterschiedlicher Wiesentypen im Vergleich (nach GLASHAUSER & WÖLFL 1992: 88)

250 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen umfunktioniert; die Sohlbereiche noch benutzter kann entweder auf ein hohes Alter der Mauer oder Wege sind andererseits häufig stärker befestigt oder aber falsche Pflegemaßnahmen hindeuten. Ein gar asphaltiert (vgl. Kap.1.11.1.1.3, S.220). Selbst nachträgliches Verfugen von Trockenmauern be- auf den ersten Blick "ungestört" erscheinende Hohl- wirkt einen Kalkeintrag, was zu einem höheren Was- wege weisen durch Düngereinträge, durch Pflügen sergehalt der Mauer führen kann, da die Feuchtigkeit und Eggen bis zur Hangoberkante mehr oder weni- nun länger gehalten wird. Bei Frost reißt der Ze- ger starke Beeinträchtigungen auf. mentmörtel durch die "Elastizität" der Trockenmau- Das starke Gehölzaufkommen verschattet die offe- er; Wasser und Feinerde können in die Risse eindrin- nen Steilwände und die oft magerrasenartigen Bö- gen und so den Gehölzaufwuchs beschleunigen. schungsflanken. Durch den Verlust dieser ohnehin rar gewordenen "Mangelbiotope" haben u. a. Haut- Ähnliches trifft auch für die früher nur mit Kalkmör- flügler wie Wildbienen und Grabwespen ihr Brut- tel lose verfugten Hangmauern und Böschungs- habitat eingebüßt, andere xerophile Arten (Sand- stützmauern an Wegen und Straßen zu, die heute laufkäfer, Zauneidechse) ihren "Aufheizplatz" ver- überwiegend in Betonbauweise mit massiven Fun- loren. In intensiv bewirtschafteten Agrargebieten damenten gefertigt werden. Die spezifischen Habi- sind selbst an steilen Böschungsabschnitten inzwi- tatqualitäten der Trockenmauern werden zerstört, schen Störungszeiger eutropher Pflanzengemein- gleichzeitig eine alte Handwerkstradition ausge- schaften verbreitet. So konnte KLEYER (1991) nur löscht. Im übrigen präsentieren sich Trockenmauern noch in den extensiv genutzten Teilräumen seiner ebenso wie die bereits angesprochenen Steinriegel Untersuchungsgebiete an Hohlwegpararendzinen überwiegend verbuscht; ein erheblicher Teil der oft Quecken-Trockenfluren oder Halbtrockenrasen vor- jahrhundertealten Mauersysteme in brachgefallenen finden. Lagen ist bereits verfallen, übererdet oder liegt sogar unter neu bestocktem Wald (vgl. 1.6.3.3). Das zunehmend schattigere und feuchtere Klima begünstigt schattenverträgliche, feuchte- und nähr- stoffliebende Arten und Lebensgemeinschaften, die 1.11.3.3 Zustand der Flur in ästhetischer und in der heutigen Kulturlandschaft ohnehin eher über- kulturlandschaftlich-funktionaler repräsentiert sind. Im Zunehmen begriffen sind da- Hinsicht her z.B. Brennesselfluren und Brombeergestrüpp, gebietsweise bildet auch die Waldrebe (Clematis Alle abrupten Änderungen von Strukturen in der vitalba) massive, alles verdrängende "Vorhänge" Kulturlandschaft, die sich über längere Zeiträume (SCHULDES 1991: 21). hin entwickelt haben, führen zu tiefgreifenden Stö- rungen und Brüchen, überkommene Traditionen Vor allem in Siedlungsnähe oder im Umfeld von Wochenend- und Freizeitanlagen sind Hohlwege werden in den "Bereich des Musealen" verwiesen nicht selten mit standortfremden Ziergehölzen, ge- (ASSEBURG et al. 1985). So begrenzt heute viel- legentlich auch mit "Christbaumkulturen" bestan- fach eine tiefe Ackerfurche anstelle des ehemaligen Raines die Feldflur. den. Von den landschaftsökologischen Schäden der Aufgrund der heute meist fehlenden Nutzung durch Schlagvergrößerung abgesehen, ist die Zusammen- regelmäßigen Stockhieb ist ein "Verkahlen" der Ge- legung kleiner Flurstücke zu rationellen Bewirt- hölze an den Oberkanten "von innen heraus" zu schaftungseinheiten mit zum wirksamsten Faktor beobachten, wodurch ihr biologischer und ästheti- eines Landschaftswandels geworden, der sich im scher Wert erheblich reduziert wird. "vergrößerten und vergröberten Linienmuster" auch Lesesteinriegel/Trockenmauern und gerade in der Agrarlandschaft niederschlägt (s. Das Letztgesagte gilt ebenso für den gegenwärtigen Bildvergleiche in ANL 1986). Zustand der meisten Steinriegel, -wälle und -haufen: EWALD (1978: 108 ff.) beklagt den Verlust "ge- Der Stockhieb zur Brennholznutzung ist weitgehend wachsener" Formen und den Ersatz innig miteinan- entfallen, so daß gehölzfreie Lesesteinformen vor der verzahnter und überlappender Grenzbereiche allem in wald- und gebüschreichen Landschaften durch die harte Trennlinie der Geraden: "Die bau- schon als Rarität zu betrachten sind. Auch hier sind lich-technischen Maßnahmen [...] heben die tradier- Verluste insbesondere der warm-trockenen Offen- ten konkaven und konvexen Formen [...] und die landhabitate zu beklagen, wie etwa der "Aufwärm- damit untrennbar verbundenen punktuellen, saum- plätze" für die wechselwarmen Kreuzottern, Eidech- artigen und flächenhaften Bedeutungen im Natur- sen oder xerophilen Insekten. Schwierig zu bewirt- haushalt auf. Die Gerade ersetzt den aus verschiede- schaftende Flurstücke mit zahlreichen Lesesteinfor- nen Gründen gewachsenen - oft geschwungenen men unterliegen darüber hinaus einem hohen Auf- und ungelenken - Grenzstreifen zwischen Nut- forstungsdruck (vgl. Kap. 2.3.1). Der ohnehin karge zungsbereichen; die vermessungstechnisch wohlde- Restbestand der vormals ganze Landschaften prä- finierte Grenzlinie tritt an die Stelle eines reichhal- genden Trockenmauern präsentiert sich ebenfalls tigen Saumes [...]". überwiegend in biotisch wie auch landschaftsästhe- Abb. 1/96, S. 252, zeigt diese totale Strukturver- tisch mangelhaftem Zustand. Reparaturen werden änderung der bäuerlichen Kulturlandschaft am heute oft nicht mehr in der sachgemäßen Handwerk- Beispiel der Geisdorfer Flur in der Nördlichen Fran- stechnik ausgeführt. Vor allem die Mauerkronen kenalb. werden häufig betoniert. Das vielfältige Formeninventar der alten Gewann- Der Zustand der Mauerfugen, die auch schon von flur mit rundlichen Ausbuchtungen, Verlaufsände- einzelnen Gehölzsämlingen besiedelt sein können, rungen, schmalster bis breiter Gewannstöße ist auf

251 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen wenige schematische Grundmuster wie Rechtecke Bewuchs in Abhängigkeit von der Beanspru- und Parallelogramme reduziert; die gebuchteten chung wird durch "starre" Asphalt- oder Beton- Grenzlinien der Streifengewanne sind durch wenige decken zerstört. Geraden ersetzt. Deutlich erkennbar auch die ver- kürzte und begradigte Wald-Feld-Grenze (Abb. Der Landschaftswandel betrifft jedoch nicht nur 1/96, S. 252; vgl. RINGLER et al. 1990: 301 ff.). die "ästhetische Oberfläche" der Landschaft, sondern äußert sich in tiefgreifenden Veränderun- Neben den gravierenden Veränderungen der Flur- gen im funktionalen System der Landnutzung, in struktur ist auch der neuzeitliche Straßen- und We- Verlusten traditioneller Werte und Funktionen. gebau nahezu immer mit schmerzlichen Einbußen Den funktionalen Wandel eines Flurwegesystems der alten Wegecharakteristik verbunden, die sich beschreiben GLASHAUSER & WÖLFL (1992) am wie folgt im Erscheinungsbild niederschlagen (vgl. Beispiel der Münchsdorfer Flur (PAN): GLASHAUSER & WÖLFL 1992: 62 f.): Eine früher bedeutende Nord-Süd-Verbindung von • Begradigung und Ausrundung der Linien- Münchsdorf nach Eichendorf hat diese Funktion führung: Die leichten Krümmungen des alten völlig verloren; mehrere abkürzenden Fahrwege in Wegeverlaufes sind häufig durch Geraden und steilem Gelände sind vernachlässigt oder aufgelas- "Standardkurven" nach dem "Diktat" des Kur- sen. Die Ursachen dafür liegen in der fortgeschritte- venlineals ersetzt. nen Motorisierung und den größeren und schnelle- • Verlust des Hohlwegcharakters durch Höher- ren landwirtschaftlichen Maschinen. So benutzte legen der Trasse: Das Wegeprofil präsentiert man früher den zwar beschwerlicheren, aber kürze- sich heute "aufdringlich" erhöht, während die ren Weg die steile Freibachleite hinunter zur Kumpf- Altwege immer leicht muldenförmig eingetieft mühl statt des weiteren Umweges über Osterndorf, waren. um von Mainberg nach Thanndorf zu gelangen. Der • Verlust von "gewachsener" Individualität: letzte bis heute benutzte Fußweg, der "Dellendorfer- Das jeweils eigentümliche "Wegebild" mit Kirch- und Schulweg" mit einem Hochsteg über die wechselndem Querprofil und unterschiedlichem Kollbach, ist von Münchsdorf aus nur noch bis zur

Abbildung 1/96 Flurformen um Geisdorf vor und nach der Flurbereinigung (ALPENINSTITUT, in RINGLER 1987:186)

252 Landschaftspflegekonzept Bayern, Bd.II.11 Agrotope z StMLU/ANL 1997 Kap. 1: Grundinformationen

Pointstraße vorhanden, die weitere Abkürzung als verschmutzen" (Meinung aus der Bevölkerung, "Wiesenweg" nach Dellendorf existiert bereits nicht mitgeteilt von WÖLFL 1991). mehr (WATZL 1991 mdl., zit. in GLASHAUSER & WÖLFL 1992). Die allgemeine Geringschätzung gegenüber dem kulturellen Wert alter Wege ließe sich an zahllosen Die alten Viehgassen hatten bereits mit Einführung Beispielen dokumentieren. Über mangelnde Sensi- der Stallfütterung und Aufgabe der regelmäßigen bilität beim Umgang mit kulturgeschichtlichen Trift zu den Gemeindeweiden ihre Aufgabe verloren Zeugnissen klagt bereits in den 60er Jahren der und wurden auf die übliche Feldwegbreite reduziert. HEIMATKUNDLICHE ARBEITSKREIS WOLF- Nach Abschluß des derzeit laufenden Flurbereini- STEIN (1968), als westlich der Ortschaft Schief- gungsverfahrens soll die Zufahrt zu den Feldern weg* (FRG) ein hohlwegartiger Abschnitt des ural- nicht mehr wie bisher durch den jetzigen Hohlweg, ten Salzhandelsweges "Goldener Steig" im Zuge der sondern über zwei parallel angelegte, neue Flurwege Flurbereinigung aufgefüllt wurde: "Mit solchen erfolgen: Denkmälern schwinden [..] Überlieferungen. Bald Die Traktoren und Landmaschinen sollen in der [werden] nur noch ein paar Orts- und Flurnamen [...] überwiegend ländlich geprägten Marktgemeinde an jene jahrtausendealte, wichtige Fernstraße unse- nicht mehr "durch den Ort fahren und die Straßen rer Heimat erinnern." (vgl. Kap. 1.9.5, S. 190).

* Der Ort (mhd. "schefweg" = "Schiffweg") wurde benannt nach dem "Weg, der zu den Salzschiffen nach Passau" führte. Noch im 16. Jh. stellte das Dorf fünf Säumer. Der "Goldene Steig" erinnert an die reichen Einkünfte, die der Saumhandel in guten Zeiten abwarf (HEIMATKUNDLICHER ARBEITSKREIS WOLFSTEIN 1968:35ff.).

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