82 BUND DEUTSCHER FUSSBALL-LEHRER INTERNATIONALER TRAINER-KONGRESS 2014 83

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Teilnehmer der Podiumsdiskussion (v. li.): Moderator Michael Leopold (Sky), Christian Streich (SC Freiburg), Armin Veh (VfB Stuttgart), Helmut Sandrock (DFB), (Eintracht Frankfurt) und (Nationaltrainer Kamerun)

dern alle waren entspannt und haben gemeinsam nach vorne Volker Finke Nach der WM 2014 in Brasilien: Wo steht der geschaut. Wir haben charakterliche großartige Spieler, die un- Ich glaube schon, dass sich in den letzten Jahren etwas ver- ser Land auch außerhalb des Platzes sehr gut vertreten haben. ändert hat. Seit etwa zehn Jahren wird ballorientiert gespielt und man versucht Überzahlsituationen zu schaffen. Man ar- deutsche Fußball sportlich und organisatorisch? Volker Finke beitet aus den Räumen und jeder muss Verantwortung über- Ich fand dazu eine Collage im Internet sehr treffend: „Portu- nehmen, unabhängig vom System. Ich möchte noch etwas gal hat Ronaldo, Argentinien hat Messi, Brasilien hat Neymar anderes anmerken: Der Erfolg der Deutschen bei der WM hat Die Expertenrunde gibt Einblicke von der WM-Rückschau bis zur -Vorbereitung. und Deutschland hat eine Mannschaft“. Dem Bild entspricht, auch ganz viel damit zu tun, dass diese Mannschaft logistisch dass einige Spiele durch Einwechslungen entschieden wurden. und was die Unterbringung angeht, so gut versorgt worden ist. Da muss man ins Ausland gehen um schätzen zu lernen, Michael Leopold gen Eindruck vermittelt, dass sie das alles leben. Und deshalb Michael Leopold was eine gute Betreuung um die Mannschaft herum wert ist. Nach der WM: Volker Finke, wie geht es in Kamerun weiter? haben wir diese Weltmeisterschaft auch verdient gewonnen. Auffällig waren die verschiedenen Grundordnungen. Werden sich diese Trends in der Fußballbundesliga widerspiegeln? Michael Leopold Volker Finke Helmut Sandrock Gerade dieser vermeintliche Luxus wurde intensiv diskutiert. In Kamerun wurde versucht zu ermitteln, warum wir ausge- Als Mitglied der DFB-Delegation habe ich einen weiteren As- Armin Veh schieden sind. Wir hatten ein sehr gutes Trainingslager, bis pekt erlebt: „Elf Freunde müsst ihr sein“. Heutzutage hat die- Es wird keine völlig neuen Systeme mehr geben, aber neue Helmut Sandrock zum Freundschaftsspiel mit Deutschland eine gute Entwick- ses Motto nicht mehr die Bedeutung, aber der Teamgeist hat Trends. Zum Beispiel Juventus Turin, sehr erfolgreich in Italien, Diese Rahmenbedingungen gehören zur Professionalität und lung, aber dann ist etwas passiert, was ich auf keinen Fall im den Erfolg erst ermöglicht. Das umfasste die Stammspieler, die hat schon lange Zeit mit Dreierkette gespielt. Mannschaften, zur guten Vorbereitung. Das Campo Bahia war zweckmäßig. Detail erläutern möchte. Deshalb habe ich Änderungsvorschlä- Spieler von der Bank, die Trainer und das Funktionsteam. die das nicht gewohnt sind, bekommen dann Schwierigkeiten. Wir haben die 23 Spieler in vier Wohnhäusern in Wohnge- ge gemacht. Aus den folgenden Gesprächen wird das Weiter- meinschaften auf engem Raum eingeteilt, da bestand durch- arbeiten geklärt, ich stehe ja noch ein Jahr unter Vertrag. Christian Streich Thomas Schaaf aus ein gewisses Risiko. Wir haben aber bewusst auf dieses Was mir dazu noch aufgefallen ist, ist die Kommunikation Wichtig ist, wie eine Grundformation interpretiert wird. Wir Konzept gesetzt, um Selbstdisziplin und Selbstverantwortung Michael Leopold nach außen. Das Interview von Per Mertesacker war ein gu- haben bei der WM viele Spieler kennen gelernt, die aus einer innerhalb dieser Wohngemeinschaft entstehen zu lassen. Wir Wie ist die WM in der Rückschau zu bewerten? tes Signal nach außen. Gerade weil die Mannschaft nach dem Grundposition sehr aktiv waren. Wir werden kein neues Sys- haben bewusst den Lebensraum eng gehalten, um die Kom- Ghana- und dem Algerien-Spiel so sehr in der Kritik stand. tem mehr erfinden, dafür sind wir mit elf Spielern auf dem munikation und das Zusammensein der Spieler zu stärken. Thomas Schaaf Denn sie stand in einer Art und Weise in der Kritik, die ich Platz zu begrenzt. Aber wir werden immer Nuancen kennen Die WM war sehr begeisternd, alle Mannschaften waren sehr nicht nachvollziehen konnte. Die Spieler haben sich gewehrt. lernen, die eine Zeit lang stark sein werden, weil sie unge- Michael Leopold aktiv. Einige bislang nicht besonders erfolgreiche Mannschaf- wohnt sind. Dann muss man sich ständig neu ausrichten, um Das ITK-Motto, im Erfolg die Weichen für die Zukunft zu stel- ten haben sich jetzt anders präsentiert und nach vorne ge- Michael Leopold gegen eine bestimmte Formation besser agieren zu können. len, impliziert im Umkehrschluss, dass man auch Fehler macht? spielt. Das schnelle und offensive Spiel auf sehr hohem techni- Das Auftreten der Mannschaft neben dem Platz beeindruckt. schen Niveau war eine sehr positive Erkenntnis. Michael Leopold Helmut Sandrock Helmut Sandrock Ist die Herausforderung in den nächsten Jahren, aus einer ur- Das ist tatsächlich so: Erfolg verleitet dazu, sich zurückzuleh- Armin Veh Die Spieler wussten, dass wir bei einer unglücklichen Leistung sprünglichen Grundordnung während des Spiels zu variieren? nen. Doch das Rad dreht sich weiter. Wir alle stehen in der Deutschland hat schon in den letzten Turnieren richtig gut möglicherweise haarscharf ausgeschieden wären. Dieses Be- Verantwortung, die großartige Arbeit, die mit der Talentför­ Fußball gespielt, zum Teil sogar noch erfrischender mit viel Of- wusstsein, ein Spiel nicht überzubewerten, dem Gegner Re- Christian Streich derung und der Trainerausbildung geleistet wurde, fortzufüh- fensivgeist. Doch die Mannschaft hat dazugelernt. Viele Spie- spekt zu zollen, demütig mit dem Ergebnis umzugehen, war Es geht um die Interpretation von Spielsituationen. Wir müs- ren. Wir haben die beste Trainerausbildung weltweit. Das ist ler hatten Negativerlebnisse und sind gereift. Die Spieler und nicht verordnet. Auch nach dem Brasilien-Spiel hat sich nie- sen die Spieler so trainieren, dass sie ihre Laufwege gemäß der der Schlüssel dafür, dass wir so gute Spieler haben. Wir müssen auch das gesamte Team um sie herum haben den glaubwürdi- mand als Torschütze oder über die Schlagzeilen definiert, son- taktischen Lage wählen. Das führt zu Handlungsschnelligkeit. die Basis weiter stärken, aus der die Spieler, Trainer, Betreuer 84 BUND DEUTSCHER FUSSBALL-LEHRER

und Manager nachwachsen. Die DFB-Akademie wird nochmal Freiburg schon länger mit schwimmenden Spitzen, die nicht eine Steigerung, um die Fußballentwicklung in Deutschland unbedingt vorne stehen und auf die Flanke warten. weiter voranzutreiben. Wir wollen die Synergien aus den Spitzenbereichen der Trainer-, Spieler-, Schiedsrichter- und Armin Veh Managerausbildung nutzen und in diesem offenen Haus des Es wird in Zukunft wieder Spieler geben, die auf den Außen- Dialoges konzentrieren. Das soll letztlich der gesamten Fuß- bahnen spielen können. Wir bilden die Spieler so aus, dass sie ballstruktur und den Vereinen in der Breite zugute kommen. mehrere Systeme beherrschen. Was die Stürmer betrifft, bin ich überzeugt, dass der klassische Stürmer nicht ausstirbt. Michael Leopold 2009 schlug Deutschland im U21-WM-Finale England. In der Michael Leopold Startelf sieben aktuelle Weltmeister. Dazu Johnson, der in der Wer schließt die Lahm-Lücke? WM für die USA gespielt hat und Schmelzer. Bei England ein- zig und allein James Milner im WM-Kader. Ist das Zufall? Helmut Sandrock Mit Blick auf die U-Mannschaften bin ich zuversichtlich, dass Armin Veh Spieler auf allen Positionen oben reinwachsen. Das ist sicher kein Zufall. Die Leistungszentren leisten eine sehr gute Arbeit. Andererseits schmeißen die Engländer mit Thomas Schaaf immens viel Geld herum und kaufen Spieler von außerhalb. Wenn sich jemand zurückzieht ist es immer die Chance für ei- Deshalb haben es die jungen englischen Spieler besonders nen anderen, diese Position einzunehmen. Oft genug haben schwer. Wir lassen unsere jungen talentierten Spieler in der sich Spieler enorm entwickelt, weil sie auf einmal in eine Situ- Bundesliga spielen, so dass sie Spielpraxis bekommen und sich ation hineingedrängt werden. Man sucht immer Gegenmittel in der höchsten Liga entwickeln und verbessern können. gegen eine Formation und dafür wird man die zentrale Spitze auch unbedingt brauchen. Deshalb wird die Ausbildung dahin Helmut Sandrock gehen, möglichst vielseitig aufgestellt zu sein. Aus diesem Grund liegt in England die Quote der Rekrutier- barkeit von potentiellen Spielern der Premier League für die Michael Leopold Nationalmannschaft bei 30 Prozent. Bei uns liegt die Quote Steckt auch in der Videoanalyse noch Zukunftspotenzial? bei etwa 60 Prozent, ein extremer Vorteil! Christian Streich Michael Leopold Ich habe in der A-Jugend Videoanalysen gemacht, angesichts Wie schwer ist es, zwischen der Förderung junger Spieler und der Dauer und Uhrzeit sicherlich nicht immer hundertprozen- dem Erfolgsdruck die Balance zu finden? tig produktiv. Aber das Medium ist sehr gut. Der Spieler weiß hinterher mehr über das Spiel und bestimmte Situationen. Thomas Schaaf Deshalb arbeite ich häufig damit, weil ich hoffe, dass die Spie- Man muss keinen bestimmten Jahrgang in der Mannschaft ha- ler im Laufe des Jahres das Spiel besser zu lesen lernen. ben, sondern Qualität. Wenn die Nachwuchsspieler Qualität mitbringen, dann spielen sie. In den letzten Jahren konnten Thomas Schaaf viele junge Spieler in der Bundesliga Fuß fassen. Darauf grün- Oft fragen die Spieler selbst nach Videos. Wir filmen auch un- det sich eben diese Auswahlmöglichkeit für die Nationalelf. ser eigenes Training, so dass wir die Übungen hinterher mit den Spielern besprechen können. Die Spieler sind sehr inter- Christian Streich essiert daran, eine solche Einschätzung zu bekommen. Wenn Vor eineinhalb Jahren waren die Queens Park Rangers letzter man ihnen ihre Aktionen noch einmal vorführt, hilft das un- der Premier League und haben im Winter 100 Millionen für glaublich in der Entwicklung. Entscheidend ist das Gefühl da- neue Spieler ausgegeben. Sie sind trotzdem klar abgestiegen. für, in welchem Maße man diese Analysen einsetzt. Dort werden Fehler gemacht, die mit riesigen Investitionen kaschiert werden sollen. Wir müssen in Deutschland dafür sor- Michael Leopold gen, dass weiterhin Vereine nicht von wenigen Menschen mit Zur Bundesliga: Wie ist der aktuelle Stand der Vorbereitung? sehr viel Geld abhängig werden. In Freiburg schaffen wir es schon viele Jahre, immer wieder in der Bundesliga zu spielen, Thomas Schaaf weil wir mit vielen jungen Spielern etwas erarbeiten. Wir mussten am Kader größere Veränderungen erleben. Aber wir waren fleißig und haben ein gutes Team, wir haben eine Volker Finke gute Gemeinschaft, die etwas bewegen will. Wie viel das wird, Ich erinnere mich an ein Interview mit Arsene Wenger aus wird spannend. Ich freue mich auf die Bundesliga! dem Jahr 2000. Die Franzosen hatten damals die unglaublich erfolgreiche Generation mit Zidane. Wenger meinte, Frank- Armin Veh reich habe aufgrund der Ausbildung und der Kolonisation Ich bin nach Stuttgart gekommen, um dort etwas entwickeln zehn Jahre Vorsprung vor allen anderen in Europa. Und doch zu können. Wir müssen sicher am Kader noch etwas machen, hat das deutsche Konzept das französische komplett über- weil die Ansprüche in Stuttgart ziemlich hoch sind, wieder in- rollt. Wir haben von ihnen gelernt und es später viel besser ternational zu spielen. Dem können wir momentan nicht ge- gemacht. Jetzt müssen wir weiter an uns arbeiten. recht werden aber das wollen wir entwickeln.

Michael Leopold Christian Streich Gibt es auf den Außenverteidigerpositionen und auf der Posi- Wir haben nicht so viele Spieler abgegeben wie letztes Jahr tion des Stoßstürmers ein Problem in der Ausbildung? und wir spielen nicht mehr im Europapokal. Daher haben wir ganz andere Voraussetzungen. Wir möchten uns konsolidie- Christian Streich ren, um nicht immer so viele Abgänge erleben zu müssen. Wir Es gab ja Gründe dafür, warum die Trainer so aufgestellt ha- sind über viele Jahre fester Bestandteil der Bundesliga und ben. In der nächsten Zeit werden wir wieder vermehrt Außen- müssen nicht immer Angst haben, dass es abwärts geht. Ein verteidiger haben, die den Ansprüchen der Nationalmann- Spieler muss keinen Zwischenschritt mehr machen, sondern schaft gerecht werden. Bezüglich der Stürmer spielen wir in kann direkt von uns zu einem großen Verein wechseln. ‹