Schweiz am Wochenende 24. Juni 2017 gestern W 11 Im Ausland zu Hause

VON DENNIS BÜHLER Der abtretende Aussenminister hat eine Annäherung

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. . . zu Hause misstraut So wohl sich die die meisten Aussenminis- ter auf roten Teppichen und an internatio- nalen Konferenzen fühlten, so gerne gin- gen sie innenpolitischen Konflikten und Begegnungen mit dem Stimmvolk aus dem Weg. Keiner der drei zwischen 1970 und 1993 regierenden welschen SP-Bundesräte René Felber Micheline Didier Burkhalter Pierre Graber, Pierre Aubert und René Fel- 1988–1993, 1999–2002, - 2012–2017, ber setzte sich in der Deutschschweiz ge- Calmy Rey nug für seine Anliegen ein. Und das, ob- SP, Neuenburg CVP, Freiburg 2003–2011, SP, Genf FDP, Neuenburg wohl just in der öffnungsskeptischen Deutschschweiz europapolitische Abstim- mungen gewonnen werden müssen. Folge- richtig kassierte der fast schon öffentlich- ten erzielen, sondern auch den Souverän pa nun alle anderen Politikbereiche. Jeder plomatie» ausrief. Mal überschritt sie die keitsscheue Aubert 1986 eine schallende überzeugen, der hierzulande in der Aus- Bundesrat aber machte in seinen Dossiers Demarkationslinie zwischen Nord- und Ohrfeige: Mehr als drei Viertel der Stim- 15 senpolitik viel stärker mitmischt als in an- eigene Aussenpolitik. Und auch institutio- Südkorea in knallroten Schuhen, die sie menden verwarfen den von ihm propagier- deren Staaten.» nell band man das EDA zurück: Als die Re- später versteigern liess, mal trat sie offen- Aussenminister zählt ten UNO-Beitritt. gierung vor zwei Jahren den in Ungnade siv für die Anerkennung des Kosovo ein. die Schweiz, seit die- Wie seine Vorgänger aus der Romandie gefallenen Yves Rossier degradierte, über- «Sie entrüstete sich zu häufig über irgend- ses Amt zu Beginn Kollegiale Konkurrenz verpasste es auch Burkhalter, seine Politik Jahrzehntelang war das Aussendeparte- gab sie das Verhandlungsmandat dem welche internationalen Vorgänge», sagt des Ersten Weltkriegs in der Deutschschweiz zu erklären und zu ment (EDA) eher unbeliebt: Der mehrheit- Staatssekretär für internationale Finanzfra- Widmer. «Zwar betonte sie die Bedeutung 1914 geschaffen wur- verteidigen. Nicht nur im Vorfeld der An- lich bürgerliche Bundesrat überliess es gen, der dem Finanzdepartement unter- der Neutralität, doch lebte sie diese sehr de. Zuvor hatte sich nahme der Masseneinwanderungsinitiative gönnerhaft einem seiner zwei SP-Vertreter, steht (seit April liegt die Verantwortung aktivistisch.» jeweils der Bundes- im Februar 2014, als Burkhalter lieber Tee Deutschschweizer gewährten Lateinern wieder beim EDA). Seit einigen Jahren In den vergangenen fünf Jahren brachte präsident um die Be- mit dem japanischen Kaiser Akihito trank, den Vortritt. Die wichtigere Aussenwirt- übernehmen zudem Asylministerin Simo- Burkhalter wieder Ruhe ins Departement, ziehungen zum Aus- als für ein Nein zum Abschottungsbegeh- schaftspolitik wurde im Volkswirtschafts- netta Sommaruga und ihr Staatssekretariat ein wenig Langeweile gar. Von seiner Amts- land gekümmert. Am ren der SVP zu kämpfen; sondern auch bei departement entworfen, dem freisinnige für Migration etliche aussenpolitische zeit dürfte bald wenig mehr in Erinnerung 20. September wählen seinem Engagement für ein institutionelles Magistraten vorstanden. Mit dem Ab- Funktionen. bleiben als sein starkes Jahr 2014 an der National- und Stände- Rahmenabkommen mit der EU, für das er schluss der bilateralen Verträge, die unter Auch deshalb flüchten sich Aussenminis- OSZE-Spitze. Dennoch, sagt Widmer, sei räte eine Nachfolgerin sich seit Jahren wider alle politischen Reali- Federführung von CVP-Aussenminister Fla- ter von je her gerne auf die internationale Burkhalter insgesamt ein guter Aussen- oder einen Nachfolger täten starkmacht. «In der Schweiz muss ein vio Cotti verhandelt und von dessen Nach- Bühne. Besser als all ihre männlichen Kol- minister gewesen. «Gut, aber nicht über- für Didier Burkhalter. Aussenminister in erster Linie ein guter In- folger Joseph Deiss unterschrieben wur- legen beherrschte dieses Spiel Micheline durchschnittlich.» Burkhalter habe sich nenpolitiker sein», sagt Experte Widmer. den, änderte sich das nur vordergründig. Calmy-Rey, Burkhalters direkte Vorgänge- unauffällig in die Gilde seiner Vorgänger «Er muss nicht nur im Bundesrat Mehrhei- Zwar überstrahlte die Beziehung zu Euro- rin, die das Zeitalter der «öffentlichen Di- eingereiht.