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Deutschland

Johann Friedrich COTTA

BIOGRAPHIE

09-1/2 Die Hand über der ganzen Welt : Johann Friedrich Cotta, der Verleger der deutschen Klassik / Peter Kaeding. - : Cotta, 2009. - 493 S. ; 24 cm. - ISBN 978-3-7681-9712-0 : EUR 29.90 [#0303]

Nach dem was man seit Albert Schäffles Cotta von 18951 und zuletzt Moni- ka Neugebauer-Wölks Doppelbiographie Revolution und Constitution - die Brüder Cotta von 1989,2 aus den verschiedenen großen Briefwechsel- ausgaben seit Wilhelm Vollmers Briefwechsel zwischen Schiller und Cot- ta von 18763 und den dreibändigen Briefen an Cotta von 1925 - 19344 weiß, gibt es nur wenige Persönlichkeiten der sog. Goethezeit, die so nach einer umfassenden biographischen Darstellung verlangen wie Johann Friedrich Cotta. Blickt man auf sein vielfach verwobenes Wirken als „Bon- aparte“, als „“ des deutschen Buchhandels, als Schöpfer des zu seiner Zeit größten und bedeutendsten Verlagsimperiums, als Protagonist im Kampf für „Pressfreiheit“ wie für die Autoren- und Verlegerrechte, als Di- plomat und Politiker, als Industriepionier und Großagrarier in Württemberg und Bayern, als Gesprächspartner der Klassiker wie als vertrauter Berater von Königen und Fürsten, verspricht sein Leben eine fesselnde Darstellung.

1 Cotta / Albert Schäffle. - Berlin : E. Hofmann, 1895. - V, 109 S. - (Geisteshelden ; 18). - Das Werk vereinigte eine Reihe von biographischen Aufsätzen aus der All- gemeinen Zeitung, die Schäffle für diese Sammlung noch einmal bearbeitet hat- te. 2 Revolution und Constitution - die Brüder Cotta : eine biographische Studie zum Zeitalter der Französischen Revolution und des Vormärz / Monika Neuge- bauer-Wölk. Mit einem Geleitwort von Otto Büsch. - Berlin : Colloquium-Verlag, 1989. - X, 679 S. : Ill. ; 24 cm. - (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kom- mission zu Berlin ; 69). - Zugl.: Berlin, Freie Univ., Habil.-Schr., 1988. - ISBN 3- 7678-0765-3. 3 Briefwechsel zwischen Schiller und Cotta / hrsg. von Wilhelm Vollmer. - Stutt- gart : Cotta, 1876. - XXII, 719 S. 4 Briefe an Cotta. - Stuttgart : Cotta. - [1]. Das Zeitalter Goethes und 1794 - 1815 / hrsg. von Maria Fehling. - 1925. - X, 530 S. : Ill. - 2. Das Zeitalter der Restauration : 1815 - 1832 / hrsg. von Herbert Schiller. - 1927. - XIV, 580 S. : Ill. - 3. Vom Vormärz bis Bismarck : 1833 - 1863 / hrsg. von Herbert Schiller. - 1934. - XIV, 630 S. : Ill. Quellen scheinen hinreichend vorhanden: die überbordende Fülle von fast 4400 nachgewiesenen Briefen von Johann Friedrich Cotta, das Cotta-Archiv im Deutschen Literaturarchiv Marbach mit weit mehr als – geschätzt – 30.000 Briefen an ihn und seinen Verlag, mit einer Vielzahl von Geschäfts- büchern und -unterlagen, die auch die industriellen und landwirtschaftlichen Aktivitäten umfassen, Spuren in Lebenszeugnissen und Briefen Dritter und zuhauf in den Behördenarchiven. Wenn gleichwohl diese umfassende biographische Darstellung Johann Friedrich Cottas bis heute nicht vorliegt, dann rührt das aus den fast un- überwindbaren Schwierigkeiten, die eben in der Vielfalt der überdies eng verwobenen Handlungsfelder, die je nach ökonomischen, politischen oder soziokulturellen Handlungsbedingungen und -spielräumen, je nach den per- sonellen Konstellationen mit ihren eigenen Motiv- und Interessenlagen ein- gehend zu erhellen wären, vor allem aber am Mißverhältnis zwischen der Ereignisdichte und den so spärlichen dazu vorhandenen Äußerungen des Protagonisten. Cotta hinterließ keinerlei Tagebücher oder sonstige autobio- graphische Aufzeichnungen; es war nicht nur der „Drang der Geschäfte“, der ihn bei seinen Briefen zur knappen Sachlichkeit und zur größten Zu- rückhaltung, was persönlich-familiäre Mitteilungen anging, bestimmte. Über Dritte wie über Politik wie über die Interna verlegerischer oder politischer Strategie, über sein Denken und Wünschen ließ er sich nur äußerst ungern vernehmen, woran die Briefüberwachung ebenso ihren Anteil hatte wie sein vorsichtiger, ja furchtsamer Charakter, der ihn auch viele Briefe seiner Briefpartner dem „Vulcan opfern“ ließ, wie sein „eignes Talent“ für ein „ge- heimnißvolle[s] versteckte[s] u. äußerst verschloßene[s] Treiben“ (so Carl Bertuch an seinen Vater aus Wien), das gepaart war mit seltner Intransi- genz seiner Überzeugungen und Gesinnungen. Kaedings Lebensbeschreibung leistet wenig von dem, was man sich von einer Biographie Johann Friedrich Cottas verspricht. Dabei war dem Verlag in Erinnerung an Liselotte Lohrers ungemein verdienstvolle Verlagsge- schichte Cotta : Geschichte eines Verlags5 nichts zu aufwendig, als daß er es nicht eingesetzt hätte: gutes festes Papier, Fadenheftung, Leinenein- band, ausgesuchte Typographie („Die Lyon des niederländischen Entwer- fers Fred Smeijers ...“ S. 492) mit Marginalien, viel Weißraum, der Cottagreif als Kapitelinitiale und auf geschwungenen Zierrat gesetzte pagina. Das al- tertümlich fein aufgemachte Werk zielt wohl auf ein breites Publikum, das man für eine außergewöhnliche, ja epochale Gestalt der Goethezeit gewin- nen will. Entsprechend fabuliert der Autor einen hypotaktischen Roman auf der „Grundlage“ von handverlesenen edierten und also allesamt bekannten Quellen. Die Erzählung bedient sich grundsätzlich des Präsens, wohl auch um den Leser das turbulente Geschwind-geschwind-„in Eil“ des Cottaschen Lebens fühlen zu lassen, wobei sie – ohne Nachdenken, ohne Sorge um teils komplexeste Hintergründe und Zusammenhänge, ohne urteilende Di- stanz und irgendeine These – alles in ein chronologisches, allerdings nur

5 Cotta : Geschichte eines Verlags ; 1659 - 1959 / Liselotte Lohrer. - Stuttgart : Cotta, 1959. - 190 S. : Ill. sparsam datiertes Nacheinander schüttet. Einfalt ist Trumpf. Über weite Strecken ist Kaedings biographisches Geschäft das synoptische Ausschrei- ben von einigen Briefwechseln (vor allem mit Schiller, Goethe, Schelling und Fichte) samt ihren Erläuterungen und den hier beigezogenen sekundären Quellen, die in teils innere („Cotta denkt“, „Cotta ist empört“) und äußere Handlungen transformiert werden, ohne daß der Autor je darauf reflektierte, daß Briefe, und wie sehr erst Geschäftsbriefe, in denen es letztlich um Geld geht, adressatenbezogene „performative Akte“ sind und nicht Expektoratio- nen eines sich auslassenden offenen Gemüts. Simplifizierung ist die Devise – entsprechend treten in den eingeschossenen Erzählungen der „großen Geschichte“ die großen Männer auf, alles wird in der Lieschen-Müller- Perspektive eingeebnet, die sich durch völlige Distanzlosigkeit und holzschnitthafte, fast karikaturistische, jedenfalls klischeehafte Zeichnung und Etiketten, Gefühle und Affekte, vor allem aber durch das penetrant- lebhafte Gefühl der Kolportage auszeichnet, man sei ganz dicht dabei. Autor und Lektorat haben offenbar mit Bedacht alles unternommen, um der Biographie jeden Anschein zu nehmen, es handle sich um ein wissenschaft- liches Werk. Es gibt kein Personenregister, keine chronologische Tafel mit markanten Lebensdaten J. F. Cottas und allgemeinhistorischen Daten. Den Leser erwarten keine verschreckenden Anmerkungen oder Fußnoten; der Literaturvermerk („Als Grundlage dienten mir u. a.“) exzelliert durch Schlampigkeit in der bibliographischen Verzeichnung, offenbare Unvollstän- digkeit („u. a.“), durch ein Sammelsurium von veralteten Ausgaben und überholter Forschungsliteratur. Daß Kaedings Biographie den Stand der Forschung einerseits ignoriert – und entsprechend viele Irrtümer, Fehler und Schiefheiten in der Darstellung vorkommen – , daß er andererseits sich, oh- ne die Titel in seinem „u.a.“-„Literaturvermerk“ zu nennen, bei anderen be- dient, macht die Totalverweigerung gegenüber wissenschaftlichen Stan- dards vollkommen. Ärgerlich ist dabei nicht einmal Kaedings Text, der sei- nem Gegenstand nicht gerecht wird, sondern ein Verlag und ein Lektorat, die sein Verständnis biographischer Autorschaft goutieren und folgendes als rotgeprägten Text auf den Rückumschlag setzen: „Nie zuvor ist der Lebens- lauf dieses ‚seligen Barons’ () so kenntnisreich geschildert worden, mit so viel ironischem Verständnis für den Widerspruch zwischen Ökonomie und geistigem Anspruch. Eine mitreißende Biographie aus der Zeit Goethes und Schillers.“ Bernhard Fischer

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