SPD – 07. WP Fraktionssitzung: 30. 01. 1973 (Tonbandtranskript)

7.

30. Januar 1973: Fraktionssitzung (Tonbandtranskript)

AdsD, SPD-BT-Fraktion 7. WP, 6/TONS000017 (Erster Teil); 6/TONS000018 (Zweiter Teil). Titel: »Fraktionssitzung vom 30. 01. 1973«. Beginn: 15.15 Uhr. Aufnahmedauer: 00:46:09 (Erster Tonbandteil); 02:29:21 (Zweiter Tonbandteil). Vorsitz: Wehner.

Sitzungsverlauf: A. TOP 1: Informationen (Zukunft von EURATOM und der Gemeinsamen Forschungs- stelle; Notwendigkeit von Steuererhöhungen 1973, Bundeshaushalt 1973 und mögliche Erhebung eines Konjunkturzuschlags; Zeitpunkt für das Auslaufen der Investitionssteu- er; angebliche öffentliche Äußerungen von Staatssekretär Schlecht aus dem Bundesmini- sterium für Finanzen über die erwartete Höhe der Inflation Ende 1973; Differenzen zwi- schen SPD und FDP über die Notwendigkeit für einen Konjunkturzuschlag; verstärkte Zusammenarbeit zwischen dem Postbusbetrieb der Deutschen Bundespost und den Busbetrieben der Deutschen Bundesbahn; Zuständigkeiten für Verbraucherschutz und Verbraucherpolitik beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten; Einrichtung einer Fraktionsarbeitsgruppe für Verbraucherpolitik; Aufgabenverteilung zwischen dem Parlamentarischen Staatssekretär Moersch und dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, Apel; Zweck und Datum der geplanten Reise von Außenminister Scheel nach Griechenland; bessere Koordinierung wichtiger Bundestagsdebatten inner- halb SPD-Fraktion und zwischen den Koalitionspartnern). B. Vorbereitung der Plenarsitzung: TOP 2: Tagesordnung und Ablauf der Plenarsitzung. – TOP 3: 1. Beratung Kartellgesetznovelle. – TOP 4: 1. Beratung Postverfassungsgesetz. – TOP 5: 1. Beratung Viertes Strafrechtsreformgesetz. – TOP 6: 1. Beratung Zweites Ge- setz zur Änderung des Weingesetzes. C. Sonstiges: TOP 7: Besetzung der Bundestagsausschüsse. – TOP 8: Schriftführer. – TOP 9: Ältestenrat. – TOP 10: Humanitäre Hilfe für Vietnam. – TOP 11: Terminplanung. – TOP 12: Nächste Termine. – Verschiedenes.

[A.] Wehner: Die Sitzung ist eröffnet. Vor dem Beginn unserer Arbeit möchte ich einer Genossin gedenken, die am 25. Januar verstorben ist und die dem Deutschen von 1949 an bis 1969 angehört hat, Dr. Elinor Hubert, die während dieser ganzen Zeit zu denen gehörte, die hier in der Fraktion und in einer unermesslichen Arbeit, durch die sie uns viel Vertrauen, vor allem in der Ärzteschaft, und überall dort, wo Menschen in diesen Bereichen tätig sind, Zutrauen gewonnen hat, vieles geleistet hat. Sie bedarf meines Rühmens nicht. Ich möchte ihr auch in dieser Sitzung unserer neuen Bundes- tagsfraktion unseren Dank nachrufen. Ich danke der Fraktion. (Die Fraktion setzt sich.) Heute hat Engelbert Sander seinen Geburtstag, und ich möchte ihm gern (Beifall.) mit unseren guten Wünschen diese Blumen geben. Alles Gute. Genossinnen und Genossen, gestern hat erstmals der in der vorigen Woche neu ge- wählte Fraktionsvorstand tagen können.1 Ich möchte bei dieser Gelegenheit denjenigen

1 Zum Wahlvorschlag für den Fraktionsvorstand vgl. die SPD-Fraktionssitzung am 17. Januar 1973, SVP D, online. Zur Wahl vgl. die SPD-Fraktionssitzung am 23. Januar 1973, SVP C, online.

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danken, die dem bis dahin amtierenden, aus der vorigen Periode stammenden Frakti- onsvorstand angehört und damit der Fraktion gedient haben, die ausgeschieden sind, sei es, dass sie andere Pflichten übernommen haben, sei es aus anderen Gründen. Ich möchte aber auch bei dieser Gelegenheit all denen danken, die sich hier in der vorigen Woche zur Wahl gestellt haben, gleichgültig wie das Ergebnis dann ausgegangen ist, und meine Sache kann es nicht sein, dem Fraktionsvorstand sozusagen selbst Glück zu wünschen, aber ich denke, die Fraktion wird aus ihrem Interesse heraus wünschen, dass es eine gute Zusammenarbeit gibt. Ich möchte noch etwas nachholen, wozu es vorher keine Gelegenheit gab, nämlich denjenigen Genossinnen und Genossen danken, die viel Arbeit hineingesteckt haben in jenes Fest2, das am 18. in Bad Godesberg (Beifall) so viele aus der Fraktion vereinigt hat, nämlich , , Thea Kox, Helmut Becker, Manfred Wende, Erich Wolfram, Heinz Frehsee, Dieter Walkhoff und Hubert Vogtländer. Schönen Dank. Sicher wird vieles von dem, worum ihr euch da bemüht habt, ohne dass man es dann bemerkt hat, dass man sich hat bemühen müssen, noch bei manchen lange erfreuliche Erinnerungen nachwirken lassen. Und nun zur Tagesordnung. Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? Ich möchte einige Genossen, die sich heute haben entschuldigen lassen müssen, hier vermelden, darunter sind auch zu ihrem Bedauern Klaus Dieter Arndt und Alex Möller. Klaus Dieter Arndt musste und muss zu einer Diskussion, in der unter anderem der Herr Dregger3 und auch der Herr {…} seine Kontrahenten sind, das ging nicht mehr umzu- stellen, und Alex Möller zu einem Gespräch über dringende Dinge mit den Herren vom Bundesverband der Deutschen Industrie, nicht aus Vergnügen, sondern weil es erfor- derlich ist. Zur Tagesordnung wird das Wort nicht gewünscht? Dann ruf’ ich auf Informationen. Wer hat Fragen, Genossinnen und Genossen? Bitte, Gerd Flämig. Flämig: Ich habe eine Frage an die Kollegen vom Technologieministerium. Trifft es zu, dass in der letzten Sitzung des Ministerrates in Brüssel4 es zu harten Auseinanderset- zungen gekommen ist in Bezug auf die Zukunft der Europäischen Atomgemeinschaft, insbesondere um die Zukunft der Gemeinsamen Forschungsstelle, wo ja rund 2 000 Wissenschaftler und Forscher arbeiten? Trifft es zu, dass Minister Lefèvre5 die Frage aufgeworfen hat, dass man die Gemeinsame Forschungsstelle auflösen will? Welche Haltung nimmt die Bundesregierung ein und insbesondere was geschieht, wenn so was passieren sollte, wie die Auflösung der Gemeinsamen Forschungsstelle, mit dem Insti- tut für Transurane in Karlsruhe? Wehner: Wer von der Regierungsseite beantwortet diese Fragen? Bitte ! Hauff: Es ist so, dass es im EURATOM-Ministerrat in den beiden letzten Sitzungen, also im Dezember vergangenen Jahres und im Januar dieses Jahres, Beratungen gab über ein Mehrjahresforschungsprogramm für die Gemeinsame Forschungsstelle. In diesen beiden Sitzungen konnte keine Einigung erzielt werden. Die Kommission hat einen Vorschlag unterbreitet, der am Widerstand der französischen und britischen

2 Gemeint ist das Fraktionsfest. 3 MdB/CDU und Mitglied des Bundesvorstands der CDU. 4 Die 219. Sitzung des Ministerrats fand am 12. Dezember 1972 statt. Vgl. EUROPA-ARCHIV 1973, Z 10. 5 Theo Lefèvre, belgischer Staatssekretär für Wissenschaftspolitik.

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Regierung vor allen Dingen, aber zum Teil auch an der niederländischen Regierung gescheitert ist. Die Bundesregierung hat in beiden Sitzungen bekannt gegeben, dass sie den Vorschlag der Kommission im Wesentlichen unterstützt. Es läuft darauf hinaus, dass zwischen 1 500 und 1 600 Mitarbeiter in einem definierten Forschungsprogramm in dem Zentrum weiter tätig werden können. Dieser Kompromissvorschlag hat aber nicht die Zustimmung der Engländer und der Franzosen gefunden. Aus diesem Grunde hat der amtierende Präsident die Kommission aufgefordert, zur nächsten Sitzung, die am 5. Februar stattfinden wird, ein Papier vorzulegen, in dem die rechtlichen, finanziellen und personellen Konsequenzen einer möglichen Schließung vorbereitet werden.6 Nicht mit der Absicht, es zu tun, sondern er hat wortwörtlich ausgeführt, dass es hier darum geht, den Mitgliedern des EURATOM-Ministerrats klarzumachen, was sie da eigent- lich entscheiden und ob dies juristisch überhaupt möglich ist. Die Bundesregierung dringt nach wie vor darauf, dass das Mehrjahresforschungspro- gramm auch tatsächlich verabschiedet wird, und zwar nicht deswegen, weil sie von ihrem wissenschaftlichen Wert völlig überzeugt wäre, sondern vielmehr aus allgemei- nen, insbesondere integrationspolitischen Überlegungen. Wir halten es für unmöglich, dass im Zeitpunkt der Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft zugleich im selben Augenblick die Gemeinsame Forschungsstelle eingestellt wird. Dies ist ein Gedanken- gang, den der Bundeskanzler ja auch bei verschiedenen Anlässen, nicht nur öffentli- chen, sehr klar und deutlich den beteiligten Partnern in diesem Zusammenhang klarge- macht hat. Wir stehen im Augenblick noch mitten in Verhandlungen mit den Staaten, die Vorbehalte haben und es ablehnen wollen. Es ist offen, wie das Ergebnis aussieht. Klar ist jedenfalls eins, an der Bundesrepublik wird das Mehrjahresprogramm nicht scheitern. Falls es scheitert, ist dann selbstverständlich auch das Institut in Karlsruhe betroffen. Wehner: Gibt es Zusatzfragen? Keine. Dann, . Pawelczyk: Ich bitte das Finanzministerium um eine Stellungnahme zur Frage der Notwendigkeit von Steuererhöhungen in diesem Jahr. Wir konnten in den letzten Ta- gen zwei widersprechende Meldungen lesen. Die eine ging davon aus, dass das Steuer- aufkommen wider Erwarten hoch ausfällt, und die andere besagt, dass wir wahrschein- lich um Steuererhöhungen nicht herumkommen würden.7 Wehner: Wer – Zusatzfrage ist schon vorweg. Entschuldige bitte, {…} Genosse Rappe. Rappe (Hildesheim): Es vergeht in den Veranstaltungen des Wahlkreises, sicher auch bei anderen, und auch in gewerkschaftlichen Veranstaltungen keine Diskussion ohne Fragen nach [dem] Konjunkturzuschlag. Es gibt auch dazu die verschiedensten Äuße- rungen, von so in der Richtung, die nächste Zeit. Der Wirtschaftsmi- nister [meinte], man könne diese Frage nach dem 8. Februar entscheiden. Auch Conrad Ahlers hat sich dazu schriftlich geäußert. Frage also –, (Heiterkeit.) na ja, das ist doch so etwas wie {…} der Fraktion. Die Frage also –, (Beifall. Heiterkeit.) die Frage also: Kommt es denn und wie sieht die Sache aus? Darüber müssen wir doch Rede und Antwort geben.

6 Vgl. bspw. den Artikel »Annäherung der Standpunkte bei den Forschungsministern«; »Frankfurter Allgemeine Zeitung« vom 19. Januar 1973, S. 3. 7 Vgl. bspw. den Artikel »Schmidt deutet die Möglichkeit von Steuererhöhungen an«; »Frankfurter Allgemeine Zeitung« vom 29. Januar 1973, S. 5.

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Wehner: Helmut Schmidt. Schmidt (Hamburg): Es ist in der Tat zu früh, um beide Fragen genau und präzise zu beantworten, und niemand soll in dieser Frage sich hinreißen lassen, sich festzulegen, ehe er alle Tatsachen und alle Zahlen zusammen hat. Das will ich mal vorwegstecken, dass du verstehst, es ist völlig unmöglich, diese Fragen endgültig heute zu beantworten. Dazu wäre unter anderem notwendig, auch formal, dass das Kabinett sich dazu schlüs- sig gemacht hätte, das ist bisher nicht der Fall, und dazu ist materiell notwendig, dass es weiß, was es im Jahreswirtschaftsbericht und was es im Haushalt 1973 zur Sache zu beschließen beabsichtigt.8 Diese Regierung hat noch keine einzige normale Kabinetts- sitzung im Sinne der üblichen Regierungsroutine gehabt seit der Regierungserklärung9. Die routinemäßige Arbeit läuft erst an. Ich gehe mal vorweg, indem ich auf den Haus- halt hinweise. Der Haushalt 1973 sollte nach dem Kabinettsbeschluss des vorigen Sep- tembers, vom 6. September vorigen Jahres10, einen Umfang haben auf der Ausgabensei- te von 120,4 Milliarden Mark. Dieses war damals als eine im Wesentlichen stabilitätspo- litisch motivierte Festlegung gemeint gewesen. Die stabilitätspolitischen Motive dürften inzwischen noch stärker geworden sein, als sie damals waren. Man braucht sich nur den Lebenshaltungskostenindex anzugucken. Wenn es also nach mir ginge, und ich muss hier im Konjunktiv reden, bliebe der Bundeshalt bei 120,4 Milliarden begrenzt. Ich weiß nicht, ob die Bundesregierung sich so schlüssig machen kann, denn die Bedräng- nis, in die der Finanzminister gebracht wird von einer Reihe von Kollegen, die alle für ihre Mehrausgabenwünsche durchaus gute Gründe haben, ist im Augenblick im Ender- gebnis noch nicht abzusehen. Das ist der erste Abschnitt meiner Antwort. Der zweite Abschnitt muss darauf hinweisen, dass, selbst wenn die Bundesregierung, wenn das Parlament den Bundeshaushalt ’73 auf 120,4 Milliarden begrenzen würde durch Beschluss, dann immer noch auf der Einnahmenseite dieses Haushalts voraus- sichtlich eine Finanzierungslücke von sechs Milliarden besteht. Nun kann man bei einer solchen Finanzierungslücke natürlich verschiedener Meinung sein darüber, womit sie ausgefüllt werden soll. Prinzipiell kann sie auf zweierlei Weise ausgefüllt werden, ent- weder oder zum Teil durch Kreditaufnahme und/oder durch Steuererhöhungen. Für den, der die konjunkturpolitische Debatte der letzten Wochen und Monate mitgemacht hat, wird es sich vollständig ausschließen, sechs Milliarden Kredite aufzunehmen in 1973, denn der konjunkturpolitische Push auf die Preise bedarf hier keiner näheren Erläuterung. Ein deficit spending in Höhe von sechs Milliarden kann nicht in Betracht kommen bei dieser konjunkturellen Überhitzung, in die wir schon mitten hineinmar- schieren. Vom Konjunktur- {…}11 sechs Milliarden Finanzierungslücke so weit als möglich durch Steuererhöhungen auf- gebracht werden. Jetzt komme ich zum dritten Abschnitt meiner Antwort. Wenn es schon konjunktur- politisch wünschenswert erscheint, die Steuern zu erhöhen, die richtigen, die echten Steuern zu erhöhen, nicht irgendwelche Pseudosteuern, dann spricht außerdem natür-

8 Der Jahreswirtschaftsbericht 1973 der Bundesregierung wurde am 21. Februar 1973 veröffentlicht. Vgl. BT Drs. 07/225. Die Beratungen für den Bundeshaushalt 1973 begannen knapp sechs Wochen später am 3. April 1973. Vgl. BT Plenarprotokoll 07/25. 9 Zur Regierungserklärung am 18. Januar 1973 vgl. BT Plenarprotokoll 07/7, S. 121–134. 10 An der Sitzung am 6. September 1972 nahmen auch die Fraktionsvorsitzenden von SPD und FDP, Wehner und Mischnick, teil. Vgl. KABINETTSPROTOKOLLE DER BUNDESREGIERUNG 1972, online. 11 Die Aufnahme ist an dieser Stelle für wenige Sekunden unterbrochen.

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lich dafür, unsere eigene, das ist aber nur eine sozialdemokratische und nicht eine koali- tionsmäßig von beiden Seiten geteilte, Vorstellung, dass wir im Laufe dieser Legislatur- periode doch nun wirklich zum Beispiel im Sinne dieses sogenannten Langzeitpro- grammentwurfes den Anteil des Staates an der Verwendung des Sozialprodukts auswei- ten wollen. Dieses kann man ganz gewiss nicht tun, indem man die Kredite auf die Dauer ausweitet, jedenfalls nicht in dieser Konjunktursituation, das bedarf echter Steu- ermehreinnahmen. Aber ich sage ausdrücklich, darüber gibt es keine Verständigung bisher in der Koalition. Das ist ein sehr schwieriges Gebiet, und ich muss jetzt auch bitten, dass das nun nicht in die Pressedienste gebracht wird, was ich hier sage. Wird sich ja leider Gottes trotzdem rumsprechen bei der Geschwätzigkeit, die hier in Bonn nun mal besteht. Jetzt kommt der nächste Abschnitt der Antwort. Ich habe im ganzen Wahlkampf öf- fentlich gesagt, es muss ’73 eine Steuererhöhung stattfinden. Das hat auch jeder, wenn- gleich zähneknirschend, uns abgenommen, und ich müsste ein Idiot sein, nach gewon- nener Wahl das zurückzunehmen. (Beifall.) Aber das wiederum ist eine von den meisten, keineswegs leider von allen, Sozialdemo- kraten nur und nicht darüber hinaus geteilte Vorstellung, die ich eben gesagt habe. Jetzt kommt der nächste Abschnitt. Selbst wenn wir allgemeine Zustimmung bekämen für eine Steuererhöhung in ’73, wirksam noch im Haushaltsjahr ’73, dann muss ich doch darauf hinweisen, dass diese technisch, wenn man sich die Arbeit der Finanzmini- ster – der Finanzämter, Entschuldigung – anschaut, dass das technisch eigentlich nur bei ganz wenigen Steuerarten überhaupt diskutabel ist, ganz abgesehen davon, dass wir die Gewerkschaftsführungen, etwa die der IG Metall, in die Pfanne hauen würden, wenn wir die Mehrwertsteuer im Jahre ’73 erhöhen würden. Jetzt kommt der letzte Abschnitt der Antwort. Diejenigen, die nur über Konjunktur nachzudenken haben und die keine Verantwortung tragen für die Bedeckung des ’73er Staatshaushalts und die auch gar keine Verantwortung tragen wollen für die Erweite- rung des staatlichen Korridors überhaupt auf mittlere Sicht, für diejenigen, die im Au- genblick nur an der Konjunktur ihr Handeln orientieren, liegt allerdings ein sogenann- ter Konjunkturzuschlag nahe. Darüber hat es vor Regierungsbildung ausführliche Ge- spräche unter den beiden Koalitionsdelegationen gegeben. Das Ergebnis jener Gesprä- che war, dass die Bundesregierung über diese Frage eines Konjunkturzuschlages, der ja ausdrücklich einstimmig von den Sachverständigen uns empfohlen worden ist, dass die Bundesregierung, die neu zu bilden ist, darüber befinden werde, wenn es soweit ist, das heißt, wenn der Zeitpunkt heranreift, in dem man das entscheiden muss. Es gibt zwei denkbare Zeitpunkte in diesem Frühjahr, das zu entscheiden. Das eine ist der Jah- reswirtschaftsbericht, das andere ist der Haushaltsbeschluss des Kabinetts. Ich bin per- sönlich, aber das habe ich schon beinahe Angst auszusprechen, weil das morgen in den Zeitungen steht, ich bin persönlich gegen den Konjunkturzuschlag. Wenn ich mich so –, (Beifall.) wenn ich mich so öffentlich geäußert hatte, wie hier eben zitiert worden ist, dann aus Disziplin gegenüber Koalitionsabsprachen, dann nur deswegen. Auf der andern Seite muss man auch sehen, dass der Abschöpfungseffekt gegenüber diesem Übermaß an Kaufkraft, die in der Bundesrepublik herumschwimmt, nicht nur bei uns, auch in an- dern Staaten Europas herumschwimmt, dass der Abschöpfungseffekt natürlich mit einem Konjunkturzuschlag wesentlich wirksamer erzielt werden kann als mit einer echten Steuer – und daran kann es gar keinen Zweifel geben. Das eine, das sind Grö-

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ßenordnungen, die sich verhalten wie fünf zu eins etwa oder wie vier zu eins. Wenn es je zu einem Konjunkturzuschlag käme, dann sollte man ihn auf keinen Fall rückzahlbar machen. Diesen Unfug haben wir mit dem dicken Inflationskurs in diesem Sommer wirklich erlebt. Kein Mensch kann vorhersagen, wann eine konjunkturelle Situation eintritt, in der man tatsächlich zurückzahlen kann. Jedenfalls weiß man das im Voraus nicht und kann sich im Voraus darauf nicht gesetzlich festlegen. Ich muss aber noch auf eins hinweisen: Nach meiner sozialdemokratischen Vorstellung muss ja nicht nur im Laufe dieser vier Jahr auf den Feldern jener inneren Reformen weitergearbeitet werden, die kein Geld kosten, sondern eben auch auf den Feldern jener inneren Reformen, die Geld kosten. Manche kosten viel, und [es] muss finanziert wer- den. Aufgrund dessen gehe ich davon aus, dass wenn schon nicht im Laufe des Jahres ’73 wesentlich Steuern erhöht werden können, aus den technischen Gründen, von de- nen ich sprach, dass das zum Inkrafttreten 1. Januar ’74 wirklich notwendig ist. Es ist sehr schwierig, wenn man gleichzeitig verfolgt, wie die Sprecher der FDP auf diesem Gebiete öffentlich davon reden, besonders dick unterstreichen, an jedem Wochenende erneut, von der Aufkommensneutralität der Steuerreform und von der Gleichzeitigkeit aller Gesetze zur Steuerreform. Das heißt, da das in den Koalitionsverhandlungen nicht zum Ergebnis geführt worden ist, haben wir innerhalb der Koalition noch sehr viel zu tun, wenn wir für eine Finanzierung sorgen wollen, der Ausweitung des Staatskorri- dors qua öffentlicher, qua Gemeinschaftsaufgaben oder wie du das immer nennst, öf- fentlicher Leistungen. Ich hatte noch eine Bemerkung im Hinterkopf, die mir jetzt grade wieder einfällt. Ich hab’ alles argumentiert bisher unter der Voraussetzung, Kabinett und Bundestag wür- den einen Haushalt beschließen in der Größenordnung von 120,4 Milliarden. Wenn wir annehmen, dass wir das so beschließen, würde ich gleichwohl außerordentlich vorsich- tig sein mit Prognosen in Bezug auf den Lebenshaltungskostenindex und dessen Ver- lauf im Lauf des Jahres 1973. Um ein Beispiel zu geben: Wenn wir die Ausgaben fünf Milliarden höher setzen würden, dann kann überhaupt kein Mensch öffentlich sich in Bezug auf den Verlauf des Lebenshaltungskostenindex äußern, es sei denn, er gibt Zah- len an, die zerstörerisch wirken in der Psychologie, zerstörerisch wirken. Staatshaushalt ist einer der Faktoren, die den inflatorischen Prozess hier in Deutschland bewirken, nicht nur die Ausgabenhöhe, auch die Finanzierungsart. Einer der Faktoren. Im Grunde müsste diese Partei wissen, dass sie vier Jahre mit Sicherheit regiert, möglich- erweise, sehr wahrscheinlich, acht so wie das aussieht auf der Gegenseite, bei den Schwarzen, dass sie vier Jahre mit Sicherheit regiert. Im Grunde müsste diese Partei wissen, diese Regierung, dass sie im Jahr ’73 und ’74 zu sparen hat, damit in ’75 und ’76 Spielraum entsteht, finanzieller Spielraum entsteht. (Beifall.) Aber das lässt sich leicht aussprechen, es geht offenbar in andere Gehirne nur sehr schwer hinein oder jedenfalls führt es dort sehr schwer zur Konsequenz, sehr schwer zur Konsequenz. Wenn man Mitglied der ÖTV ist, wie ich seit einem Vierteljahrhun- dert, und mit den Kollegen [Gespräche] führt, die da dieses ausgehandelt haben im Lauf der letzten 14 Tage, dann kann man von deren Interessengesichtspunkt aus nur sagen, verdammt noch mal, es ist an der untersten Grenze dessen, was sie eigentlich hätten verlangen können. Wenn man umgekehrt eben Beifall geklopft hat bei dem Satz, den ich sprach, die ersten zwei Jahre sparen, damit man Spielraum hat, finanzwirtschaftli- chen, die letzten zwei Jahre, von denen will ich schon mal wissen, wer da eben geklopft hat. Dies steht an der allerobersten Grenze dessen, was finanzwirtschaftlich erträglich ist. Das muss man auch sehen. Tatsächlich macht die Bundesbahn in diesem Frühjahr

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eine Tariferhöhung wie noch nie vorher. Da wird wirklich zugelangt und das, was sie an Lohn- und Gehaltssteigerungen bezahlen muss, überdeckt den Einnahmezuwachs aus der Tariferhöhung. Muss man alles nur sehen oder noch anders ausgesprochen, selbst auf die Gefahr hin, dass es draußen gedruckt wird. Ich möchte aber wirklich bitten, das zu versuchen, dass man es unter sich hält. Wir hatten die Wahl, nach dem Wahltag ein Haushaltssicherungsgesetz zu machen oder aber zwei Jahre sparsam den Haushalt zu fahren, um wieder ins Reine zu kommen. Wir hatten die Wahl. Wir hatten uns entschlossen, kein Haushaltssicherungsgesetz zu machen. Hatten wir während des ganzen Wahlkampfs gesagt. Da müssen wir jetzt aber auch die Fähigkeit haben, a) zu sparen bei den Ausgaben und b) uns und unseren Partner dahin zu bringen, die Steuer- erhöhungsbeschlüsse tatsächlich zu fassen. Klopfen ist ja einfach, aber es vor seinem Unterbezirksparteitag zu vertreten, ist nun etwas schwieriger, schon etwas schwieriger. Darauf will ich nur aufmerksam machen. Ich komme zurück zum Ausgangspunkt, Genosse. Verlange nicht von einem Mitglied der Regierung in diesem Augenblick, dass er erklärt für das Kabinett, es gibt keinen Konjunkturzuschlag oder es gibt keine Steuererhöhung, sondern bitte versuche zu verstehen, dass ehe man nicht diesen ganzen Umkreis von zusammenhängenden Ent- scheidungen gleichzeitig entscheidet, dass man vorher nur Geschwätz von sich geben kann. Man muss sich alle Möglichkeiten gegenwärtig offenhalten. Ich nehme an, dass hier der Zeitraum, in dem dieser Schwebezustand, in dem man noch nicht genau weiß, wo es drauf hinausläuft, weil man eben auch einen Koalitionspartner hat, wird das noch ein bisschen dauern, dieser Schwebezustand mag drei oder vier Wochen noch brauchen. So ungefähr würde ich das einschätzen. Wehner: Danke. Wir haben zwar eine Reihe Wortmeldungen, von denen ich nicht weiß, ob darunter solche sind, die als Zusatzfragen zu werten sind. Ich frage halt so: Rolf Böhme? {…} Antje Huber? (Zwischenruf Huber: Nein!) Hans-Jürgen Wischnewski? (Zwischenruf Wischnewski: Andere Frage.) Dieter Schinzel? Hermann Oetting? (Zwischenruf Oetting: Ja.) Bitte! Oetting: Helmut Schmidt, ich muss ein paar Fragen stellen oder vier Fragen, um mich etwas klüger zu fragen. Erste Frage: Ist die Investitionssteuer mit Ende vergangenen Jahres ausgelaufen? Zweite Frage: Hat die Investitionssteuer bis zu acht Milliarden Mark, wie ich es irgendwo in der Zeitung gelesen habe, eingebracht? Dritte Frage: Wäre die Investitionssteuer nicht im Zusammenhang mit der derzeitigen konjunkturellen Situation wünschenswert? Vierte Frage: Ist nicht damals in der Fraktion, ich war da noch nicht im Bundestag, so gesagt worden, dass die Investitionssteuer auslaufen soll, ich kenne das also nur aus der Presse, dass die Investitionssteuer auslaufen soll, wenn die Steuerreform einsetzt zum 1. Januar ’73? Porzner: Die Investitionssteuer, das war eine Übergangsregelung im Zusammenhang mit der Einführung der Mehrwertsteuer12, die ist 1967 beschlossen worden und ist seit 1968/69 ausgelaufen von acht auf null Prozent, heuer wird sie zum ersten Mal nicht

12 Das Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer) trat am 1. Januar 1968 in Kraft. – Zum »Umsatzsteuerge- setz (Mehrwertsteuer)« in der Fassung vom 29. Mai 1967 vgl. BGBl. 1967, I, Nr. 30, S. 545–564.

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mehr erhoben. Zwei Punkte machten je eine Milliarde aus, sind also insgesamt vier Milliarden D-Mark, die heuer nicht erhoben würden, wenn sie noch ganz bestünde, aber das hat niemand von uns damals auch wollen können. Das gehört zum Mehrwert- steuersystem. Ist also ausgelaufen und zweitens mit den Beträgen, zwei Punkte – eine Milliarde D-Mark vom letzten Jahr auf dieses Jahr. Die Frage dazu, die du gestellt hast, die gehört genau zu dem, was Helmut Schmidt schon behandelt hat. Ob es Steuererhö- hungen gibt und welche Steuererhöhungen mit welchem Ziel, Investitionsnachfrage, Verbrauchsnachfrage, zu treffen ist, je nachdem, welches man anstrebt, das ist eben alles erst zu entscheiden. Wir haben in der letzten Legislaturperiode versucht, diese Steuer anzuhalten, das heißt, wenigstens bei den zwei Prozent zu bleiben. Die Mehrheitsver- hältnisse, die wir damals hatten, machten es uns unmöglich und deswegen ist der ausge- laufen. Wehner: Frage an Hermann Oetting, jetzt mal unabhängig davon, was du von den Antworten – wie du sie wertest, sind deine Fragen damit beantwortet? (Zwischenruf Oetting: Ja.) Ja, dann gibt es Zusatzfragen? Heinz Rapp! Rapp (Göppingen): Staatssekretär Schlecht13 hat dieser Tage vor dem Lenkungsaus- schuss der Konzertierten Aktion erklärt, man solle die Preissteigerungsrate gegen Ende des Jahres auf vier Prozent zurückführen, damit man unter sechs Prozent im Jahres- durchschnitt kommt. Frage an Helmut Schmidt: Sollte dieser Unfug wahrhaft Schiller- scher Geschwätzigkeit nicht abgestellt werden? Wollen wir uns wieder in die Situation begeben, dass man Ende des Jahres mit dem Finger auf uns zeigt und dass man uns mit Verminderung von Prozentzahlen attackiert, die wir unter Umständen, sowie die Ver- hältnisse jetzt liegen, wahrscheinlich nicht werden halten können. Wenn wir es je schaf- fen sollten, die Voraussetzungen dazu sehe ich nicht, dann soll man nachher auf die Pauke hauen und nicht jetzt voraus durch solche Zahlen vorgeben. (Vereinzelter Beifall.) Schmidt (Hamburg): Zur letzten Frage kann ich nur sagen: Ich habe seit dem Juli letz- ten Jahres sorgfältig vermieden, ein einziges Mal auch nur irgendwo eine Zahl, wie heißt es so schön im Jargon, zu projizieren. Die Zahl, die da genannt wurde, aus dem Munde jemandes, dem ich das eigentlich nicht zutraue, dass er das so gesagt hat, manchmal stehen ja komische Sachen in den Zeitungen, nicht, muss nicht so gesagt worden sein, die Zahl, die da genannt worden ist, ist ganz sicher nicht zum Jahresende ’73, unter keinen Umständen, zu erreichen. Dies gesagt zu haben, heißt nicht, dass die sozialdemokratische Regierungsfraktion sich abfinden kann mit den gegenwärtigen Inflationsraten. Das wird uns auf die Dauer nicht honoriert, sondern, soll man nichts drüber vormachen, die öffentliche Finanzwirtschaft ist nur einer der Faktoren, die auf die Inflationsrate Einfluss haben. Ein anderer Faktor ist die Außenwirtschaft und der vorhin schon von jemand im Gespräch genannte Exportüberschuss in Höhe von 20 Milliarden ist natürlich für das Güterangebot im Inlande kein erfreulicher Beitrag. Auf der andern Seite muss man dabei aber sehen, dass die Gesamtzahlungsbilanz der Bun- desrepublik seit Juli letzten Sommers, seit den währungspolitischen Abschottungsmaß- nahmen ausgeglichen verläuft, eher noch ein klein bisschen defizitär. Nicht, das sind also verschiedenartige Erwägungen, die hier ins Urteil hinein einfließen.

13 Otto Schlecht (parteilos) war seit 1973 beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Wirt- schaft.

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Das dritte Feld, das Verhalten der wirtschaftenden Subjekte, da wird immer – und das hat auch eine große Bedeutung, das ist schon richtig – auf die Tarifparteien geguckt, man muss natürlich auch immer gucken auf diejenigen, die kaufen, und auf diejenigen, die verkaufen, die Preise festlegen. Nun habe ich hier keine übertriebene Erwartung von einer Verschärfung des Wettbewerbsgesetzes, nicht. Es ist eine alte Forderung von uns, und das werden wir nun auch endlich hinkriegen, aber dass davon die Preise sin- ken, das sollte eigentlich niemand nach draußen verkünden, nicht, denn das wird so nicht eintreten, wird so nicht eintreten! Ich wollte noch eine Fußnote machen zur Investitionssteuer. Die Antwort von Konrad Porzner war völlig korrekt bis auf eine Ergänzung. Nicht nur die Mehrheitsverhältnisse waren nicht so, sondern eben der damalige Wirtschafts- und Finanzminister wollte das auch nicht. Ich habe damals im Kabinett dafür gekämpft, dass sie aufrechterhalten blie- be.14 Ich konnte mir das gut vorstellen, dass sie noch eine Zeit lang gegolten hätte. Der hat das nicht gewollt, der . Sie jetzt wieder einzuführen, würde aus den Gründen, die Konrad Porzner genannt hat, auch konjunkturell nicht in Betracht zu ziehen sein. Wenn man aus konjunkturellen Gründen ein bisschen Investitionen dämp- fen will, dann müsste man, dafür wäre ich durchaus, dann müsste man die steuerliche Zulassung der degressiven Abschreibungen auf Gebäude aufheben, die erst 1965 einge- führt worden ist. (Beifall.) Wehner: Gibt es noch Zusatzfragen? Bitte, Genosse Rappe! Rappe (Hildesheim): Helmut Schmidt, ganz verstehe ich diese Frage Konjunktursteuer nicht. Die Diskussion in diesem Punkt. Die Frage, die du aufzeigst und die hier in der Fraktion ja irgendwann auch diskutiert werden muss, die Frage Steuererhöhung war völlig richtig, insgesamt, allgemein als Frage auch mit Blick auf 1976. Das ist aber ein Paar Schuhe für sich. Die Frage Konjunktursteuer jetzt, in diesem Jahr, trifft eine ganz bestimmte Schicht und nur ganz bestimmte Kreise. Das ergibt Diskussionen in unserem eigenen Bereich, die wir nach meiner Ansicht schwer verkraften können. Wenn eine Frage von Steuerbelastungen allgemeiner Art zur Debatte steht, ist das eine ganz andere Sache, die wir zu diskutieren haben. Wehner: Ich will nicht dem Finanzminister erschweren, auch auf diese Frage zu ant- worten, ich gebe jedoch zu bedenken, dass jede Antwort, die ich mir im Vorhinein denken kann, dass Schmidts Stellung zum Konjunkturzuschlag, die ja keine für einen solchen ist, morgen, übermorgen zu fortgesetzten Anfragen und Kommentaren führt. Das ist das Problem. Obwohl in dieser meiner Äußerung auch schon wieder eine Ant- wort steckt, was gar nicht zu vermeiden ist, gar nicht zu vermeiden ist. Aber Helmut Schmidt wird das vielleicht besser sagen können oder wollen. Schmidt (Hamburg): Wenn der Genosse Rappe gesagt hat, ihn befriedigt die Antwort nicht, also ich glaube, du wirst lange suchen müssen, bis du eine Regierung findest, die dich in ökonomischen Dingen voll befriedigt. Nicht. Es ist auch besser, du machst das allein, befriedigst dich alleine auf dem Gebiet. {…} für dich alle logisch erscheinen. Hier hast du es zu tun mit einer Koalitionsregierung in einer Koalition, die leider Gottes, als die Regierung gebildet wurde, auf dem Steuerfeld sich nicht vorher schlüssig gemacht

14 Neben Schmidt protestierten auch andere Kabinettsmitglieder gegen Schillers Wunsch, die Investiti- onssteuer auslaufen zu lassen. Vgl. die protokollierten Äußerungen Schmidts in der Sitzung des Bun- deskabinetts am 8. September 1971; DIE KABINETTSPROTOKOLLE DER BUNDESREGIERUNG 1971, online.

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hat, damit ich das mal ganz deutlich ausspreche. Ich kann das nicht nachträglich heilen dadurch, dass ich öffentliche Erklärungen abgebe, die den Koalitionspartner letztlich eher in seiner Haltung versteifen, das war ja das, was Herbert eben gemeint hat, als dass wir ihn auf die Seite unserer Argumentation herüberziehen. Und da ich das nun mal am Wickel habe, will ich auch sagen, bitte tut mir den Gefallen und fangt nun nicht auch noch an, öffentlich zu philosophieren über die Frage, die hier eben jemand schon am Wickel hatte, ob wir nicht aufwerten sollten in dieser Situation. Wir können das alles noch viel komplizierter machen. Wir können durch öffentliche Spekulationen eine ganze Menge Unheil anrichten. Das ist ein schwieriger Partner, mit dem wir es im Augenblick zu tun haben, der sich noch viel stärker vorkommt, als er geworden ist durch die achteinhalb Prozent, noch viel stärker vorkommt. Man braucht nur mal die Rede zu lesen, die der Landwirtschaftsminister vor ein paar Tagen in Berlin gehalten hat15, um sich darüber klar zu sein. Es kann irgendwann einmal schwierig werden mit dem Partner, da wird man einerseits behutsam, andererseits fest versuchen müssen, ihn dahinzubringen. Nur – solange das Kabinett überhaupt noch nicht ange- fangen hat, über diese Fragen sich miteinander zu unterhalten, glaube ich nicht, dass eine Außensteuerung des Koalitionspartners durch öffentliche Äußerungen von Sozial- demokraten zustande gebracht werden kann. (Beifall.) Wehner: Als wir in der vorigen Periode seinerzeit vor die Wahlmöglichkeit gestellt wurden, eine Entscheidung Konjunkturzuschlag rückzahlbar und so weiter zu fällen16, habe ich der Ansicht einiger Mitglieder der Fraktion Rechnung getragen, einen mir freundlicherweise kurz vorher übergebenen, sehr direktiv gefassten und auch nach- rechnungsfähig begründeten Vorschlag eingebracht, weil dem entsprechenden und vor dem entsprechenden Gespräch, das im Regierungsrahmen geführt werden musste. Dies ist damals nicht akzeptiert worden, und danach ist, wobei es hier jetzt gar nicht darum geht, ob die Leute aus der anderen, zur Koalition gehörenden Fraktion dies oder andere das getan haben, unmittelbar danach die absurdeste, der Wahrheit gegenteilige Erklä- rung über das Schreiben der Fraktion in der Frage Konjunkturzuschlag gegeben und seither auch in den Artikeln von Fachleuten, Fachkorrespondenten und Leitartikeln immer wiederholen. Es ist uns klar gewesen, dass die Fraktion damals keine andere als diese Lösung, in der Fraktion war die Neigung zu einer anderen Lösung stärker, und ich habe versucht, der Fraktion dabei zu helfen, in der Regierung durchzukommen. Das ging damals nicht. So eine Lage möchte ich nicht, dass wir sie wiederbekommen. Vor allen Dingen, weil ich genau weiß, dass das Erinnerungsvermögen der meisten Beteiligten schon nach sehr kurzer Zeit den Vorgang sich ganz anders darstellen lässt. Ich bin zum Beispiel Gegenstand fortgesetzter Behauptungen, ob mit Namensnennung oder ohne Namensnennung, dass dies eine Taktik gewesen sei, weil damals {…}. Das schlägt der Wahrheit ins Gesicht, ist aber von denen, die das geschrieben haben, nicht böswillig gemeint, sondern so hat man sie damals informiert. Das ist die Lage, und ich nehme an, wir stehen vor Notwendigkeiten, vor denen ich keine Angst hätte, nur, die wir uns nicht dadurch sozusagen erschweren sollen oder dürfen, dass wir anderen ge- nügend weiche Stellen zu geben scheinen, in die sie nicht nur hineinstoßen, sondern in denen sie auch herumwühlen. Eins muss ja wohl nach allen unseren Erfahrungen in den

15 Gemeint ist die Rede von Bundesminister Ertl zur Eröffnung der 37. Internationalen Grünen Woche in Berlin. Zum Wortlaut der Rede vgl. BULLETIN 1973, Nr. 10 vom 29. Januar 1973, S. 89–91. 16 Zur Diskussion über das Konjunkturprogramm der Bundesregierung, das unter anderem den rück- zahlbaren Konjunkturzuschlag enthielt, vgl. die SPD-Fraktionssitzung am 7. Juli 1970, online.

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vorigen Perioden klar sein, dass an der Fraktion vorbei keine schwerwiegende Ent- scheidung dieser Art beschlossen werden kann. (Beifall.) Ich verstehe Helmut Schmidts Äußerungen in Rücksicht auf diese Lage, die ja auch ihm nicht fremd ist, um das milde zu sagen. Sind unter den Wortmeldungen, die ich hier noch hatte, zum Beispiel Schlaga, noch Zusatzfragen? Schlaga! Schlaga: Helmut Schmidt, nicht Philosophie, sondern nur ein ganz kleines Stück Philo- logie. Ist es denn überhaupt notwendig, dass wir diesen politisch hochbrisanten Begriff Konjunkturzuschlag oder Konjunktursteuer verwenden müssen? Ist denn der zwin- gend von den Volkswirtschaftlern vorgeschrieben? Was wir damit für eine Pleite erlebt haben, was die Auslegung anbetrifft, und was für Nachhall es in der Bevölkerung gege- ben hat, das wissen wir. Können wir uns da nicht etwas anderes einfallen lassen? Ich halte das jedenfalls für denkbar, zumal du ja selber sagst, wenn wir eventuell davon Gebrauch machen, dann eben möglicherweise nicht zurückzahlen. Dann entfällt doch sowieso diese Formulierung, die wir vor drei Jahren mal gebraucht haben. Schmidt (Hamburg): Meine persönliche Präferenz in Bezug auf die Benutzung des Instruments habe ich ja wohl vorhin deutlich genug gesagt. Was aber nun die Termino- logie angeht, natürlich kann man sich alles Mögliche ausdenken. {…} Der Gesetzgeber hat es so ins Stabilitätsgesetz reingeschrieben, und zwar ganz wesentlich unter sozial- demokratischer Federführung. Das muss man also noch eine Zeit lang so ertragen, nicht, das steht da drin im Stabilitätsgesetz. Das ist angeblich das modernste konjunk- turpolitische Instrumentarium der Welt. Da haben wir das so reingeschrieben. Nicht ich, ich war daran unbeteiligt, aber ich hab’ das damals auch nicht beanstandet. Das muss ich auch bekennen. Wehner: Sind noch Zusatzfragen? Dann gebe ich eine Frage sozusagen {…} für die, die es dann unmittelbar angeht, ob es denkbar wäre, diese Fragen und Antworten, voraus- gesetzt, dass die Beantworter damit einverstanden [sind] und bis zur letzten Silbe das in der Hand haben, als eine Orientierungshilfe für die Mitglieder der Fraktion gegeben werden können. Wobei ausgelassen werden kann diese oder jene Bezeichnung. Ich gebe das nur zu erwägen. Wenn es sich völlig verböte, wird das sicher begründet werden. Sollen wir den Versuch also machen? Nehmen das vom Band ab und werden mit Hel- mut Schmidt darüber reden. Dann nächste Fragen. Hier sind noch einige Wortmeldun- gen. Rolf Böhme! Böhme: Ich hab eine Frage an das heute noch zuständige Ministerium für die Post, und zwar ist die Frage aus den Reihen von Genossen aus der Postgewerkschaft an mich herangetragen worden. Die Frage bezieht sich auf eine Äußerung von Staatssekretär Gscheidle, abgedruckt in der Zeitschrift »Schussfahrt« im Januar 1973 und dort ist an- gedeutet, dass der Omnibusdienst der Bundespost aufgegeben wird und der Bundes- bahn angegliedert werden soll. Es hat in der Vergangenheit (Unruhe.) schon öfters Pläne dieser Art gegeben. Die Bediensteten selbst von der Bundespost, die betroffenen Omnibusfahrer, haben dies regelmäßig abgelehnt. Die jetzige Äußerung von Gscheidle hat große Unruhe unter den Bediensteten ausgelöst. Ich möchte aber fragen, was an dieser Äußerung von Gscheidle dran ist. Wehner: Volker Hauff. Hauff: Zum jetzigen Zeitpunkt, Genossinnen und Genossen, gibt es keinerlei konkre- ten Anlass, der nahelegen würde, dass die Postbusse der Bundespost in die Regie der Bundesbahn übergehen. Es gibt in einigen Regionen eine Diskussion darüber, wie das

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sinnvoll verwaltet werden könnte. Es ist aber keine Generalregelung, sondern bezieht sich auf einige Regionen, wo wir erhebliche Schwierigkeiten von der Post her haben. Wehner: Zusatzfragen? Situationen sind ja recht unterschiedlich. Ich meine nur, abge- sehen von dem, was hier bei der eingehenden Begründung der Frage, die gestellt wor- den ist, gibt es auch noch Fragen anderweitig Betroffener, nämlich derjenigen, die in ihrem Wohngebiet darauf fortgesetzt gestoßen werden, dass sich die beiden {…}, obwohl das alles zur selben Bundesrepublik Deutschland gehört {…}. (Beifall. Unruhe.) Ich kenn’ das und das ist in manchen Gebieten noch viel schrecklicher als dort, wo ich das kenne und wo fortgesetzt und völlig umsonst darüber geklagt wird. Ich möchte sagen, dass ich natürlich niemandem zu nahe treten will und auch nicht darf, dass es da eigenartige Hoheitsauffassungen bei diesen dafür Verantwortlichen gibt und dass es keinerlei Möglichkeiten bisher gegeben zu haben scheint, dies noch, ich will ja nicht sagen in einer Regie, sondern so, dass es den in diesem Falle Benutzer, das sind ja auch Verbraucher, und ich rede hier von Verbrauchern, {…} es ist eine schreckliche Sache. Zu diesem Punkt . Apel: Ich möchte nur eine Ergänzung geben. Schon in der letzten Legislaturperiode waren wir einer Meinung, und das ist auch das politische Ziel, dass DB und Postbus- verkehr {…} sollen, dass wir die Werkstätten zusammentun mit dem Ziel der Fusion und hat völlig recht, diese Art von Defizitproduktion, die nicht den Konsumenten nutzt, ist unsinnig, und hat hier nur das politische Ziel genannt, das in jedem Fall verwirklicht werden muss. Im Übrigen ist es Teil des Nah- verkehrskonzeptes und ist so auch zu betrachten. Wehner: Wolfgang Schwabe, war eine Zusatzfrage? Schwabe: Eine Zusatzbemerkung, die an sich helfen soll. Ich selbst habe meine ersten Schritte in die Bundespolitik, wenn auch ohne Erfolg, 1953 bei der damaligen Wahl gemacht. Damals waren die beiden so verfeindet, dass es noch lange keinen gemeinsa- men Fahrplan gab. Ich habe für mein Geld {…} (Heiterkeit.) {…} in der Sache möchte ich sagen denen, die jetzt erboste Postler vor sich haben, ich habe das in meinem Wahlkreis {…}. Man kann mit Vernünftigem weiterkommen. Man muss dafür sorgen, dass die nicht gleich glauben, dass sie in Zukunft ihre Werkstatt 100 km entfernt nur haben, sondern man muss sagen, dass das beibehalten wird im Wesent- lichen, was seither geplant ist {…}, und jetzt müsst ihr Folgendes denen noch sagen: Es werden ja jetzt schon vernünftigerweise so viele Fahraufträge von der Bundesbahn und von der Bundespost an Private vergeben, dass auch hier die Frage der Organisation stärker zusammenwachsen kann. Und hier noch ein Bonbon, was ihr den hinterwäldle- rischen Postlern, wenn es solche noch geben sollte, {…} aber wenn da auch noch welche rückständig sind, dann sagt denen, dieses: Im Moment – {…}17 {…}18

[N. N.]: Liebe Genossinnen und Genossen, es gibt erboste Postler, es gibt aber auch erboste Eisenbahner, denn die Neuordnung des Postreisedienstes schreitet zügig voran und zum Beispiel im Wartungsdienst ist es so, dass in bestimmten Gebieten die War-

17 Ende der Aufnahme bzw. des Tonbands. 18 Beginn der Aufnahme bzw. des Tonbands.

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tung bei der Bundespost vorgenommen wird und einige Kilometer weiter bei der Bun- desbahn gemeinsam für Post und Bahn. Und im Postreisedienst ist es ebenso, dass Li- nien von der Bahn übernommen worden sind, bestimmte Linien von der Post, zum Beispiel in Hessen im Oberpostdirektionsbezirk Frankfurt ist das schon weit vorange- schritten. Dort ist zum Beispiel in Fulda der Wartungsdienst bei der Bundesbahn und in Bad Hersfeld bei der Bundespost. Wer eine genaue Unterrichtung wünscht, kann vom Bundespostministerium eine Broschüre erhalten, wo der Fortschritt der Dinge genau verzeichnet ist. Wehner: Sind hier noch Zusatzfragen? Ich wollte nur sagen: das moderne Deutschland. Danke! (Gelächter. Beifall.) Antje Huber! Huber: Genossinnen und Genossen, ich bin am Wochenende anlässlich der Grünen Woche mit dem Verbraucherausschuss beim Bundesernährungsminister in Berlin gewe- sen.19 Ich bin jetzt – (Unruhe. Zwischenruf.) ja, ja –, ich bin jetzt über drei Jahre als Mitglied der Fraktion in diesem Ausschuss und ich möchte hier mal sagen, obwohl ich nicht immer an allen Sitzungen teilnehmen konnte, weil die Terminplanung mit uns nicht abgesprochen wird, muss ich doch hier mal sagen, dass diese Arbeit in diesem Ausschuss außerordentlich frustrierend ist. Ich finde, dass ein Ausschuss in ein Ministerium, dem natürlich der Schwerpunkt Ein- kommenspolitik in der Landwirtschaft obliegt und das ganz natürlich sich um Absatz- fragen kümmert und dessen Minister stolz ist, wenn er in Brüssel Preiserhöhungen für Agrarprodukte durchsetzen kann, dass hier die Diskussion über Verbraucherfragen auf gewisse Grenzen stößt. Und ich finde, dass wir, wenn wir Verbraucherpolitik über- haupt ernst nehmen wollen, mit der Verschwisterung, die wir jetzt haben, und mit der Ansiedlung grade in diesem Bereich Schluss machen sollten. Wenn wir in Berlin dann eine öffentliche Diskussion haben und dann wird gesagt, eigentlich sei alles ganz fein und es bestünde bei den Verbrauchern das Bestreben, viel Geld auszugeben, etwa für die Ernährung und man gebe ja auch viel Geld aus für gute Nahrungsmittel und dies wollten die Leute ja auch so und hier sei ein guter Markt und das sei doch alles ganz erfreulich und überhaupt sei alles sehr nett, dann betrachte ich dies nicht als Anliegen der Verbraucherpolitik. Man sollte das irgendwo ansiedeln, wo man wenigstens glaub- würdiger diskutieren kann, denn sonst brauchen wir das gar nicht alles aufzunehmen und allein mit dem Gesichtspunkt, etwas mehr Verbraucheraufklärung, ein paar Mark mehr, ist sicherlich nichts getan. Hier muss handfeste Arbeit geleistet werden, so schwierig das in Abstimmung mit den anderen Problemen immer sein mag. Ich wäre also dafür, diesen Bereich bei grade dieser Stelle hier aufzugeben. Wehner: Ich meine, ich fasse diese Ausführungen von Antje Huber so auf, dass sie eine Frage begründen sollen, für die es aber vielleicht keinen gibt, an den sie direkt gestellt werden kann, nämlich wollen wir und wenn, wie wollen wir Verbraucherinteressen oder Verbraucherpolitik in unserer so vielgefächerten politischen Wirklichkeit machen? Aber vielleicht ist jemand, der in dieser Beziehung grüner ist als ich. Martin Schmidt! (Heiterkeit.)

19 Gemeint ist die Rede von Bundesminister Ertl zur Eröffnung der 37. Internationalen Grünen Woche in Berlin. Vgl. Anm. 15.

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Schmidt (Gellersen): In Berlin habe ich weder die Rede bei der Eröffnung noch andere Reden des Ministers Ertl verfolgt. (Unruhe.) Im Übrigen möchte ich die Fraktion noch immer darauf aufmerksam machen, dass eine Kommission aufgrund der Koalitionsgespräche noch gebildet werden muss, die das gesamte Programm für den Ernährungsminister noch feststellen soll. Diese Kommissi- on ist zur Stunde noch nicht einberufen worden. Ich frage mich daher, ob Minister Ertl im Rahmen des Grünen, des Agrarberichts, eine Erklärung diesbezüglich mit uns ab- stimmen wird, ich warte darauf. Aber man muss es abwarten. Wehner: Es ist gut, dass man das auf diese Weise hört, dass ihr euch darum nicht weiter habt kümmern können, weil ihr der Meinung wart, andere seien so zuständig, dass ihr ihnen nicht vorwegkommen dürft. (Zwischenruf Schmidt (Gellersen): Nein, nein, Herbert.) Aber ihr ein Koalitionsgespräch, so habe ich das verstanden, wahrscheinlich sogar ge- mischt Bundestag, Fraktionsseite und Regierungsseite, braucht – dringend. Schmidt (Gellersen): Ich habe zweimal an das Gespräch erinnert und ich meine, das müsste genügen. Wehner: Das ist gut. Zu diesem Punkt . Focke: Liebe Antje, liebe Genossen und Genossinnen, ich kann leider zu dem Thema nicht so viel sagen, wie ich eigentlich das Herz davon voll habe. Es ist vollkommen richtig, hier liegt ein Gebiet, wo wir eine sehr viel größere Anstrengung machen müs- sten, und diese Anstrengung muss eigentlich ausgehen von einem nicht von besonderen wirtschaftlichen Interessen orientierten Ministerium, um die Sache nun wirklich im Sinne der Verbraucher grundsätzlich anzupacken. Es gibt eine Passage in der Regie- rungserklärung, die einen sehr guten Ansatzpunkt für eine solche Anstrengung bildet, wozu sich allerdings nach dem gegebenen Zuschnitt der Zuständigkeiten in der Bun- desregierung nun eine zwischenministerielle Arbeitsgruppe oder irgendetwas institu- tionalisieren muss. Du kannst dich drauf verlassen, dass [ich] den Hebel, den ich im Bundesministerium für Jugend und Familie und Gesundheit habe, Ausgangspunkt Gesundheit, Lebensmittelrecht, versuchen werde, in dieser Richtung zu nutzen. Wehner: Zusatzfragen oder Bemerkungen? Bitte, Hans-Jürgen Junghans! Junghans: Genossinnen und Genossen, beim Stand dieser Diskussion bitte ich doch auch die Fraktion, auch in den kommenden Überlegungen bei der Konstituierung von Arbeitsgruppen und Arbeitskreisen mit zu bedenken – ich halte das für sehr wichtig, weil sehr viele Gebiete von der Gesundheitspolitik, Agrarpolitik, Wirtschaftspolitik bis hin Arzneimittel hineinschießen –, ob es der Fraktion nicht doch möglich sein könnte, dass wir eine besondere Arbeitsgruppe Verbraucherpolitik in dieser Fraktion ins Leben rufen. Es gibt so viele Arbeitsgruppen für alle möglichen sehr wichtigen Dinge, sicher- lich, möcht’ das sehen, alles ist also wichtig, wenn ich das alles sehe, von Umwelt- schutz, alles wichtig, aber ich finde, auch die Frage der Verbraucherpolitik wäre es wert zu überlegen, ob wir nicht doch in dieser Fraktion eine Arbeitsgruppe, die über, natür- lich über mehrere Ministerien, auch über verschiedene Arbeitskreise hinwegreichen müsste, zu bilden. Ich bitte das zu überlegen auch für die zukünftigen Dinge, die hier zur Konstituierung in der Fraktion in Frage stehen. Wehner: Ich denke, das wird eine Rolle spielen. Ich habe dennoch Lust, nicht zu ver- hehlen, dass selbst, wenn wir eine solche Gruppe zustande bringen, und ich nehme [an], wir bringen sie zustande, auch wie diese Fragen ja in den Sitzungen, die wir wieder haben werden, der Obleute der Fraktion in den Ausschüssen eine Rolle spielen wird,

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dass das leider nicht ersetzt, was fehlen wird, nämlich im Kabinett eben nicht Zersplit- terung und nicht an den Problemen vorbeireden, weil jeder seinen besonderen kleinen Spielplatz oder seinen besonderen kleinen Zuständigkeitsbereich halten will. Koste es auch, was es wolle! Und es kostet, leider. Das ist die Frage. (Beifall.) Das ist ein ohnmächtiger Ausdruck, das weiß ich ganz genau. Nur – die Fraktion und ich selbst möchten nicht sich darüber täuschen, dass, so richtig das ist, was eben gesagt worden ist, dies nicht das ersetzt, was auf der Regierungsseite leider auch diesmal fehlen wird. Das ist die Tatsache. Da gibt es nicht einen, der das hätte ändern können, aber die Frage des Zusammenfassens ist die entscheidende Frage dort. Aber wir werden weiter diese Gedanken bringen. Dann Hans-Jürgen Wischnewski! Wischnewski: Die Frage mag technisch klingen, aber sie betrifft letztendlich die Positi- on eines Kollegen in der Regierung und das gute Koalitionsverhältnis. Ich frage die Bundesregierung: Wie ist die Aufgabenteilung zwischen den beiden Parlamentarischen Staatssekretären beziehungsweise Staatsministern im Auswärtigen Amt?20 Oder kon- kret gesagt: In welchen Fragen haben wir uns an wen zu wenden? Wehner: Hans Apel! Apel: Genossen, erste Bemerkung. Das, was man Meinungsbildung im Auswärtigen Amt nennt, die interne Arbeit also, ist nicht aufgeteilt, sondern da nehmen die drei politischen Figuren, ich beziehe hier den beamteten Staatssekretär Paul Frank mit ein, gemeinsam teil, zusammen mit den Direktoren, sodass also auch der Europastaatssekre- tär21 voll informiert und einbezogen ist in die Meinungs- und Willensbildung des Am- tes. Was die Außenvertretungen anbelangt, so haben wir uns so geeinigt, dass ich in dieser Fraktion Rede und Antwort stehe zu den Fragen der Außenpolitik, die mit dem Auswärtigen Amt zusammenhängen, soweit sie der Kanzler nicht selber beantwortet, und ich auch entgegennehme die Wünsche aus der Fraktion, die generell an das Aus- wärtige Amt herangetragen werden, weil ja dortselbst sowieso die Maschinerie die Antworten vorbereiten muss und nicht die Parlamentarischen Staatssekretäre. Was die Außenvertretung anbelangt, so ist die Arbeitsteilung auch sehr klar. Alles das, was mit europäischer Integration zusammenhängt, liegt bei mir und das wird auch zur Teilung der Beantwortung der Fragen in der Fragestunde führen, und alles das, was zusammen- hängt mit der Vertretung des Ministers muss natürlich der Staatssekretär machen, der auch der gleichen politischen Gruppierung angehört, nämlich Karl Moersch. Ich glaube also, damit ist in etwa klar, wie das gehen kann und wie es gehen wird. Wehner: Sind da Zusatzfragen? Keine. Dann nächste Frage, Dieter Schinzel. Schinzel: Wir haben vor einigen Wochen aus der Presse entnehmen können, dass der Außenminister beabsichtigt, einen Griechenland-Besuch durchzuführen. Ich möchte jetzt gerne wissen, ob diese Meldung tatsächlich zutrifft, und wenn ja, ob wir erfahren können, welche Gründe dafür sprechen, diesen Besuch durchzuführen. Apel: In dem Reisekalender des Außenministers steht für dieses Jahr eine Reise nach Zypern, Griechenland und Türkei. Der Zeitpunkt ist selbst noch nicht abgecheckt und auch noch nicht die Modalitäten der Reise selbst. Ich habe mit meinem Chef darüber geredet, und wir haben einige Modelle durchgedacht, wie das sich in Athen selbst ge- stalten könnte.

20 Gemeint sind Hans Apel (SPD) als Staatsminister und Karl Moersch (FDP) als Parlamentarischer Staatssekretär. 21 Apel meint sich damit selbst.

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Ich möchte zur Sache selbst zwei Bemerkungen machen. Erste Bemerkung: Auch Wal- ter Scheel, aber auch die SPD-Bundestagsfraktion bleibt bei ihrer Haltung, was die Bewertung dieses Regimes anbelangt, und ich habe mit Befriedigung gehört, dass der neue Kommissar der EWG-Kommission, der für die Außenhandelsbeziehungen zu- ständig ist, Christopher Soames, dieser Tage erklärt hat, dass es an der Haltung der EWG zu Griechenland, das heißt Suspendierung der Assoziierung, nichts zu ändern gibt, und auch die Haltung der Fraktion zu andern Fragen, die wir hier wiederholt diskutiert haben22, steht also im Zusammenhang mit dieser Reise überhaupt nicht zur Debatte. Was nun die Reise selber anbelangt, so meine ich, muss man hierzu auch zwei- erlei sagen. Einmal muss der Außenminister überall dort hinfahren, wo er Außenpolitik vertreten muss, und damit nicht nur in Länder, die demokratische Strukturen haben, sondern auch in Länder, die keine demokratischen Strukturen haben, wenn das das außenpolitische Interesse der Bundesrepublik verlangt. Zweite Bemerkung: Genossen, wir haben mit Befriedigung, mit Freude – diejenigen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, wissen das so wie ich – festgestellt, dass zwei Genossen, so kann man sie nennen, weil sie Sozialdemokraten sind, in diesem Jahr Haftverschonung haben und sehr aktiv in Griechenland sind. Genossen, um die sich diese Fraktion in Petitionen immer wieder bemüht hat. Das haben wir zu verdanken unter anderem der Tatsache, dass Staatssekretär Frank in Griechenland war und wir auf diplomatischem Wege Dinge arrangieren konnten, die man nicht offen ansprechen kann. Ich meine also, Schlussbemerkung, die Bewertung der Reise selbst hängt von den Modalitäten der Reise ab, und über die wird zu sprechen sein, aber nicht hier, sondern im Amt selber mit dem Außenminister und sicherlich auch im Kabinett. Wehner: Zusatzfragen? Erst Hans-Jürgen Wischnewski und dann Herta Däubler- Gmelin. Wischnewski: Zwei Zusatzfragen. Eins: Warum gilt nicht mehr das Wort des Auswär- tigen Amtes, das uns vor den Wahlen gesagt worden ist oder kurz nach den Wahlen, ich bitte um Entschuldigung, dass mit der Reise des Staatssekretärs Frank die Reise für die Bundesrepublik die politischen Gespräche vorerst abgedeckt sind? Zweitens: Welche anderen Außenminister von EWG-Ländern waren innerhalb der letzten zwei Jahre in Griechenland? Wehner: Auch eine Zusatzfrage, Herta Däubler-Gmelin. Däubler-Gmelin: Gehört zu den Modalitäten, über die nicht gesprochen werden soll, auch die Frage oder die Tatsache, dass es stimmt, dass Herr Scheel in Griechenland über Militärhilfe verhandeln soll? Wehner: Hans Apel. Apel: Um mit der letzten Frage anzufangen: hat mir gesagt, dass darüber nicht geredet wird und dass diese Frage zurzeit überhaupt nicht zur Debatte steht, auch nicht zur Debatte steht, weil die Griechen ja hinsichtlich der amerikanischen Militärhil- fe eine hier bekannte Haltung eingenommen haben. Modalitäten heißen, liebe Herta, heißen konkret, wie wird man in Athen selbst, wenn der Außenminister dort ist, das Gespräch und die Beziehung zu den dort oppositionellen Politikern herstellen, wie kann man das machen beziehungsweise wie kann man es nicht machen. Das ist die zentrale Frage, die sich hier stellt und die muss man wirklich mit aller Ruhe und Ge- duld betrachten, weil das zwei Seiten hat. Auch zum Beispiel die Seite, dass diejenigen,

22 Nach dem Putsch der Obristen 1967 wurde das 1962 in Kraft getretene Assoziierungsabkommen mit der EG ausgesetzt. – Vgl. dazu auch die SPD-Fraktionssitzung am 26. April 1967, SVP A, online.

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die in Griechenland selbst sitzen, unter Umständen wieder im Gefängnis landen, wenn da Kontakte hergestellt werden oder nicht. Das muss man sehr ruhig sehen. Was also die Bemerkung von Hans-Jürgen Wischnewski anbelangt, zwei Fragen, so stimmt es, dass nach meiner Einschätzung der Dinge Walter Scheel, äh – dass in der letzten Zeit kein westlicher Außenminister in Griechenland gewesen ist. Was die Äuße- rungen des Amtes anbelangt, dass es vorerst keine Notwendigkeit gibt, so stimmt das ja auch, denn der Begriff vorerst ist ja durchaus zeitlich unbestimmt. Wehner: Sind noch Zusatzfragen? Bitte! Schinzel: Ich hab’ auf den einen Teil der Frage hier keine Antwort erhalten, ich wollte nämlich wissen, welche Gründe dafür vorliegen, Scheel nach Athen reisen zu lassen. Diese Frage ist also nicht beantwortet worden und – , (Zwischenrufe.) ja, es gab keine inhaltlichen Gründe, nicht wahr. Wenn gesagt wird, dass wir in jedes andere Land auch reisen können, müssen, das eine Diktatur ist, weil wir uns darauf beschränken können, ist das für mich kein Grund zunächst mal. Ich möchte eine posi- tive Bestimmung haben, warum Scheel da hinfährt. Die Tatsache, dass zwei Deutsche Haftverschonung erhalten haben, kann nicht Grund sein, nach Griechenland zu fahren. Man muss ja auch die Situation in Griechenland selbst beurteilen. Ich habe keinen ein- zigen Griechen gesprochen bei meinem Besuch, der über diesen angekündigten Scheel- Besuch erfreut gewesen wäre, im Gegenteil, von der konservativen Seite bis zu den Linken haben sie alle das verurteilt. Ich möchte also gerne wissen, welches inhaltliche Ziel mit dieser Reise verknüpft ist. Wenn es keins gibt, dann würde ich vorschlagen, dass wir entweder auf einer nächsten Fraktionssitzung darüber diskutieren hier und dann seitens der Fraktion eine Stellungnahme zu dieser Absicht abgeben, oder aber, (Unruhe.) falls die Meinung hier klar ist in dieser Fraktion, dann zumindest zum Ausdruck brin- gen, dass wir eine solche Reise nicht wünschen. Das Weitere kann ja dann der Frakti- onsvorstand machen. Wehner: Wenn wir dann allerdings alle Länder vorher auf eine Liste bringen und nicht nach dem Alphabet, sondern bei G anfangen, werden wir mehrere Monate zu tun ha- ben, zu begründen und zu entscheiden darüber, ob jemand dort oder dorthin reist oder ob man nur reist, wenn man so oder so, ohne Absicht und Auftrag hinfährt. Nur, ich will das damit nicht vertiefen, habe nichts dagegen, dass man solche Fragen stellt. Ganz so, Genosse Schinzel, lässt sich die Außenpolitik der Bundesrepublik nicht machen! (Beifall.) Hans Apel! Apel: Ich hab’ dem eigentlich nichts hinzuzufügen. Ich muss also hier auch darauf auf- merksam machen, dass es eine ganze Reihe von Gründen gibt, hier Gespräche zu füh- ren. Ich denke zum Beispiel nur an die Tatsache, dass Griechenland Mitglied eines Verteidigungsbündnisses ist, in dem wir auch Mitglied sind, zum Beispiel. Und dieses [ist] ein wesentlicher Grund, hier Gespräche zu führen, ohne dass man damit irgend- welche Fronten zwischen Militärregierung und undemokratischen Regimen und unse- rem zieht. Ich möchte im Übrigen wirklich darum bitten, dass wir das tun, was Herbert Wehner hier in die Debatte geführt hat, nämlich die Meinung, die Sozialdemokraten zu dieser Frage vertreten, und die, die [die] Bundesregierung hier zu vertreten hat, weil sie außenpolitische Interessen zu vertreten hat, dieses nicht miteinander zu vermengen. Wehner: Da war noch eine Wortmeldung, Gansel, wenn die dazugehört, dann bitte!

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Gansel: Die Bemerkung von Herbert Wehner muss mich dazu zwingen, mit aller Nai- vität danach zu fragen, in welche anderen Staaten, zu deren politischem System wir ein ähnlich gespanntes Verhältnis haben wie zu Griechenland, der Außenminister im kommenden Jahr zu reisen gedenkt. Wehner: Ich meine, darf ich die Frage so verstanden haben, dass du tatsächlich wissen willst, in welche Länder überhaupt in diesem Jahr gereist wird unter diesen Vorzei- chen? Ich meine, ich habe nichts dagegen. Ich will nur sagen, für das Verhältnis dieser Fraktion zu dem Problem, dass man Außenpolitik machen muss und mit wem, kann das, was dabei rauskommt, ganz gut sein, aber zunächst einmal hieße das, man kann nicht deswegen, bis alle diese Fragen beantwortet und, wie man hier sagt, ausdiskutiert sind, die Außenpolitik in den Wartestand setzen. Das kann man auch nicht. Aber Hans Apel! Apel: Genossen, ich kann den ganzen Ansatz dieser Debatte überhaupt nicht akzeptie- ren und begreifen. Der Ansatz ist doch der, dass die Fragesteller so tun, als könnten wir durch eine Nichtreise oder durch eine Debatte darüber irgendetwas im Lande selbst bewegen. Dieses sind selbst die Griechen, die ich hier getroffen habe, und ich treffe von Zeit zu Zeit Griechen, die der Meinung sind, selbst die Griechen, die ich hier gespro- chen habe und die ich getroffen habe, durchaus nicht, durchaus nicht, im Gegenteil, sie sind der Meinung, dass wir das Gespräch suchen müssen, und zwar das kritische Ge- spräch. Und wer also die Aufzeichnungen gelesen hat von dem Gespräch, das Paul Frank in Athen geführt hat, der sieht, dass diese kritische Betrachtung der Frage dort- selbst stattgefunden hat, dass eben nicht fraternisiert worden ist, dass kritisch argumen- tiert worden ist, aber – Genossen, entschuldigt – auch argumentiert worden ist aus der Perspektive eigener verteidigungspolitischer und sicherheitspolitischer Überlegungen und Erwägungen und das scheint mir grade in der Perspektive von MBFR und KSZE auch ein berechtigtes Anliegen zu sein. Ich könnte dieser Reise kritische Töne nur abgewinnen, wenn der Außenminister in Athen selbst nicht die richtige Perspektive seines Auftretens dortselbst finden würde. Aber ich hab’ ja auf die Frage von Herta Däubler-Gmelin gesagt, dass dieses eben Gegenstand unserer Besprechungen ist, dass dieses sehr wohl abgewogen sein muss. Der Außenminister ist vor einiger Zeit in Spa- nien gewesen, ist dort aufgetreten und hat das Ganze dort auch so gemacht, dass es keineswegs peinlich und nachteilig für die demokratische Opposition im Lande selbst gewesen ist und dennoch nützlich für unsere außenpolitische Position, die wir als Land, als Bundesregierung, nicht als Partei, zu vertreten haben. Wehner: Noch zu diesem Komplex, Lother Wrede. Wrede: Genossinnen und Genossen, ich denke, wir sind uns einig darüber, dass unsere politische Einstellung als Sozialdemokraten zu totalitären Regimen, auch zum griechi- schen Regime, hier überhaupt nicht zur Diskussion steht. Aber dies ist die eine Seite. Ich meine, die amtliche Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland ist die andere, und ich erlaube mir die Frage, wo ständen wir wohl mit unserer Außenpolitik, insbe- sondere auch mit unserer Ostpolitik, wenn wir unsere politische Einstellung, beispiels- weise zu den kommunistischen Regimen, zum Maßstab der amtlichen Politik gemacht hätten, dann gäbe es das nicht. (Beifall.) Wehner: Noch eine Zusatzfrage, Hansen! Hansen: An Hans Apel. Hans, ich würde es in der Tat für besser halten, statt dem Ge- nossen Schinzel indirekt, ganz gleich von welcher Seite, eine Rüge zu erteilen, vielleicht mit ihm darüber zu reden, ob man nicht im Arbeitskreis Auswärtiges und Inneres

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durchaus viel Stoff hätte, wenn schon Realpolitik betrieben werden soll mit einer sol- chen Reise, ohne Unterschiede auf die Ideologien, die in bestimmten Systemen vorherr- schen, ob man nicht einen ganzen Wunschkatalog hier mit an die Hand geben müsste, der dann auch Rückwirkungen hätte auf das Verhalten griechischer Behörden wie der Botschaft hier in Deutschland unseren Gastarbeitern gegenüber, zum Beispiel. Ich will mal daran erinnern, dass wir drei Jahre lang uns bemüht haben, sowohl Genscher, um es ganz deutlich zu sagen, und einigen Koryphäen im Auswärtigen Amt, das weißt du, als du noch normales Mitglied warst im Auswärtigen Arbeitskreis genauso gut wie ich, die dazu zu kriegen, wenigstens zuzugeben, dass es organisierten Terror gegen griechische Gastarbeiter, veranlasst von der Botschaft, gibt, nicht zuletzt auch über einen griechi- schen Schulrat und das Innenministerium Genscher hat das immer abgedeckt, hat sich nie dazu verstehen wollen. Das sollten wir dann nicht in der Fraktion, aber in den Ar- beitskreisen mal sehr deutlich und gründlich besprechen. Danke schön. Wehner: Nichts dagegen, auch in der Fraktion die Details, siehe dort. Eine Bitte auch an dich: Wenn jemand einen anderen Pflichtenbereich übernommen hat, sollte man das ein wenig weniger als nun nicht mehr normales Mitglied, das geht vielleicht nicht, außer in Fällen, in denen man absolut gegenteilige Meinungen austragen muss. Aber dann soll es um die Meinung gehen. Hans Apel! Apel: Ja, nur noch einen Satz. Also, ich hab ’ hier nicht gedacht, dass irgendwelche Rü- gen verteilt worden sind, von niemandem. Ich habe also nur versucht, und das haben wir alle versucht, die debattiert haben, die außenpolitischen Notwendigkeiten mit den gefühlsmäßigen und moralischen Bindungen auf einen Nenner zu bringen. Ich finde es sehr gut, dass Karl-Heinz Hansen hier ein Angebot gemacht hat, und ich würde es für nützlich halten, wenn wir dieses Gespräch suchten. Ob man es in einem Arbeitskreis tun sollte, weiß ich nicht, aber ich habe euch ja gesagt, ich habe mit meinem Außenmi- nister darüber geredet, und es wäre gut, wenn wir dieses Gespräch demnächst führten. Er ist genauso wie wir der gleichen Meinung, was seine Grundeinstellung anbelangt. Wehner: Umso notwendiger, ihm alles das zu sagen, was bei uns die Dinge eben sehr beschwert und bedrückt. Helmut Schmidt! Schmidt (Hamburg): Genossinnen und Genossen, ich hab’ mir keine Meinung gebil- det, ob gegenwärtig eine solche Reise zweckmäßig ist oder nicht. Dazu verfüge ich auch nicht über ausreichenden Überblick über den gegenwärtigen Stand der Dinge dort und zwischen denen und uns. Nur meine ich, dass man, wenn man neu in diese Fraktion gekommen ist, sich versuchen muss vorzustellen, dass wenn Brandt und Scheel über- einstimmen, dass so etwas zweckmäßig ist, dass man zunächst einmal von der Vermu- tung ausgehen sollte, in der Vorstellung, dass Brandt sich das überlegt hat und Scheel auch. Ich habe ein bisschen Sorge, die Diskussionen der letzten Fraktionssitzungen scheinen mir eine Tendenz anzukündigen, dass die Regierung immer nur noch dann handeln darf, wenn das vorher hier in irgendwelchen großen Gremien beschlossen ist. Dieses führt dazu, dass diese Regierung handlungsunfähig gemacht werden kann. Es ist eh schwer genug, wie wir vorhin an einem andern Beispiel gesehen haben, den Koalitions- partner wieder einzustimmen auf normales routinemäßiges Zusammenarbeiten. Es kann auch nicht sein, ich sehe jetzt mal von Griechenland ab, es kann auch nicht sein, eigentlich, früher war das jedenfalls nicht so, dass die Angehörigen der eigenen Frakti- on in irgendeinem Punkte, X oder Y, auf irgendeinem Felde, A oder B, öffentlich die Bundesregierung kritisieren für das, was sie sagt, und das muss erst mal dann hier sein. (Beifall.)

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Mir kommt es ein bisschen so vor, als ob manche Mitglieder der Fraktion ihre eigene Mitverantwortung noch nicht ganz erfasst haben. Die Fraktion ist ein Diskussionskind, da kann man auch alles auseinandernehmen, was die Regierung gemacht hat, sicherlich. Manchmal kann das auch zweckmäßig sein, das im Vorwege zu tun, aber die Vorstel- lung, dass man hier im Vorwege zensiert etwas, was andere sich doch überlegt haben, die Vietnamdebatte hat mich da ein bisschen erschreckt, muss ich sagen. Wer alles in dieser Fraktion hat öffentlich den Kanzler gerügt? Und hatte weiß Gott recht, sich so verhalten zu haben, wie er sich verhalten hat! Ein bisschen Vertrauen in die politische Berufserfahrung eines Mannes wie Brandt oder Scheel sollte man auch haben. Wenn dann wirklich was schiefgegangen ist, kann man es immer hinterher noch kritisieren, aber dieses ist nicht die Bundesregierung. Die Bunderegierung hat verfas- sungsmäßige Pflichten und denen muss ein Mann wie Scheel nachkommen. Ich gestehe offen, ich würde gefühlsmäßig das im Augenblick auch nicht für besonders wün- schenswert halten. Ich sage dir genauso, ich halte es auch nicht für besonders wün- schenswert, dass er nach Kairo fährt, aber ich mische mich da nicht ein, weil ich ihm in seiner Berufserfahrung und dem seiner Beamten mindestens so viel zumute und zu- traue, wie ich mir selber auf meinem Felde auch zutraue, und es gibt viele Dinge, die man nicht öffentlich so ausbreiten kann. Wenn Brandt das, was er in Sachen Vietnam vor Weihnachten versucht hat, öffentlich ausgebreitet hätte, wäre es nur noch schiefer gegangen. Und so bitte ich euch herzlich, ein bisschen Vertrauen zu haben in Leute, die ihren politischen Beruf schon lange ausüben und die auf diesem Felde eine ganze Men- ge Erfahrung besitzen. (Beifall.) Wehner: Norbert Gansel. Gansel: Da Helmut Schmidt ja doch die Grundsatzfrage angesprochen hat, die noch hinter dem Griechenland-Problem steht, nämlich das Verhältnis der Neuen zu den Erfahrenen und die Frage des Stils, wie in dieser Fraktion gefragt und diskutiert wird, muss ich noch mal etwas sagen zu meiner Frage vorhin. Wir sind uns doch wohl alle darüber im Klaren, dass der Besuch Scheels in Griechenland nicht irgendein Staatsbe- such ist, sondern dass das zumindest eine Entwicklung im deutsch-griechischen Ver- hältnis ist von einiger Bedeutung, die abweicht von den bisherigen Verhältnissen, und deshalb war doch die Frage des Genossen Schinzel vollkommen zurecht gestellt, und gerade weil wir Neuen in der Öffentlichkeit Sachen mit zu verantworten haben, die wir bisher kritisieren durften, weil wir bestimmte Informationen nicht hatten, gerade deshalb müssen wir doch auch nach diesen Informationen fragen, und gerade auch deshalb müsst ihr uns doch eine Antwort in der Sache geben und könnt nicht mit einem allgemeinen Verweis auf die Bedeutung der Realpolitik für die Außenpolitik im Allge- meinen es bewenden lassen. Griechenland ist doch nicht irgendein Fall, sondern da hängen viele Erfahrungen, viele Emotionen ja nicht nur aus unserer Partei, sondern auch vieler anderer drin, und ich meine, Schinzel hatte gefragt nach einer bemerkens- werten Entwicklung, wie man das so schön sagt, im Verhältnis der Bundesrepublik zu Griechenland und in der Sache hat er keine Antwort dazu bekommen. Dann müssten wir, ich will das heute nicht verlängern, aber es war ja der Vorschlag gemacht, es im Ausschuss oder in einer Fraktionssitzung noch einmal diskutieren, aber bitte, versteht das, gerade weil Helmut Schmidt appelliert hat an die Neuen, gerade das verpflichtet auch dann, in der Sache zu informieren, damit wir auch unseren Kopf hinhalten können für Sachen, die wir kennen, und nicht uns hinstellen müssen und sagen, wir vertrauen, dass die erfahrenen Genossen das schon richtig gemacht haben. Das können wir einfach nicht. (Vereinzelter Applaus.)

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Wehner: {…} Norbert, und ich hoffe nur sehr, dass das kein Jubel- oder Freund- schaftsbesuch wird. Das ist sicher eine übereinstimmende Meinung. Nur – über diese Fragen soll man und wird man hoffentlich im Arbeitskreis reden und was {…}. Wolf- gang Schwabe hatte noch dazu eine Zusatzfrage. Schwabe: Ein kurzer Bericht aus der europäischen Sicht, davor eine Vorbemerkung an den Genossen Gansel und an andere. Die eingehende Information ist immer dann am besten möglich, wenn man sich die Mühe macht, in die Arbeitskreise zu gehen und dort die Dinge erfährt, und das ist dann gründlicher, tiefer und weniger emotionell, als es hier jetzt neuerdings manchmal in der Fraktion angelaufen ist. Man geht hin, die Ar- beitskreise sind frei, die Ausschüsse sind nicht frei in diesem Fall. Also Mitwirken im Arbeitskreis. Und nun zu Europa. Wir haben im Ausschuss für Griechenland in Europa vor wenigen Monaten nochmal eine ausgezeichnete Darstellung der Sachlage durch Dahrendorf, der damals noch als Kommissar für Außenpolitik zuständig war. Im Europäischen Parla- ment wird im Augenblick ein sehr eingehender Bericht gefertigt zur griechischen Situa- tion, und ich glaube, es wird für unsere Genossen von Wichtigkeit und von Interesse sein, dass die neue Kommission jetzt, durch Soames vertreten, durch den Briten, vor wenigen Tagen im Griechenland-Ausschuss zunächst einmal festgestellt hat, dass auch die neue Kommission sich absolut an die Entscheidung der vorigen betreffend Grie- chenland anschließt. Das ist das eine. Das andere, wir haben die Diskussion im Grie- chenland-Ausschuss mit nachhaltiger Unterstützung sozusagen von der linken Seite unseres belgischen Genossen Califice23, der aber jetzt soeben Arbeitsminister gewor- den ist und dort ausscheidet, wir haben van der Stoel24 von den Holländern, der das ausgezeichnet macht. Ich selbst darf mich auch zu denen rechnen, die die linke Position dort einnehmen, haben dann auf der anderen Seite gegenüber unsere eigenen Bundes- tagsabgeordneten, etwa Herrn Aigner25 und andere, uns immer wieder nachhaltig durchzusetzen. Wir tun das mit allem Nachdruck, auch mithilfe der italienischen und französischen Freunde, wobei die Gaullisten wiederum anderer Ansicht sind. Auch wer darüber Näheres will, mag es im Arbeitskreis dann sich erklären lassen. Apel: Genossen, zwei Bemerkungen. Erste Bemerkung: Norbert, ich glaube, und auch Dieter, eins solltet ihr zur Kenntnis nehmen: Der Protest gegen das Regime in Grie- chenland beginnt nicht mit der 7. Wahlperiode des Deutschen Bundestages, sondern da hat diese Fraktion und diese Partei schon immer wieder reagiert.26 Ich selber bin zwei- mal, einmal für die Fraktion, einmal für die Partei, dortselbst gewesen. Zweitens, ich habe hier eine Antwort gegeben. Es ist falsch, Norbert, wenn du sagst, ich habe keine gegeben, und diese Antwort heißt: Der Termin der Reise steht nicht fest und die Moda- litäten der Reise stehen auch nicht fest. Und damit ist klar, dass das Angebot, das hier gemacht worden ist, nämlich darüber zu reden und dann anschließend durch mich oder durch euch mit dem Außenminister zu reden, ein echtes und faires ist. Im Übrigen hat mich ja auch diese Frage von Dieter Schinzel gar nicht überrascht. Er hat das fairerweise mit mir vorher abgesprochen, und insofern versuchen wir gar nicht, hier gegenseitig irgendetwas zu spielen, was wir nicht spielen, sondern vertrauensvoll die Dinge so zu regeln, wie sie geregelt werden sollen. Mein Angebot steht.

23 Alfred Califice wurde 1973 im Kabinett Leburton Minister für öffentliche Arbeiten. 24 Max van der Stoel, späterer niederländischer Außenminister. 25 Heinrich Aigner, MdB (CSU). 26 Gemeint ist das nach dem Putsch der Obristen 1967 ausgesetzte Assoziierungsabkommen mit der EG von 1962. Vgl. Anm. 22.

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Wehner: Gibt es noch zu diesem jetzt aktuellen Griechenland-Komplex? Keine weite- ren Fragen. Dann nächste Frage, Peter Conradi. Conradi: Frage an den Fraktionsvorstand, damit die Manöverkritik der Plenardebatten der vergangenen Woche nicht nur außerhalb geführt wird in der Partei, sondern auch hier zur Sprache kommt. Es ist der Eindruck entstanden, einmal die Antworten aus der Fraktion auf zu erwartende Äußerungen der CDU, ich denke etwa an Dregger, auch an Wex, an Weizsäcker, die Antworten unserer Fraktion seien eher zufällig zustande ge- kommen, als geplant gewesen. Es ist zum Zweiten der Eindruck entstanden, die Frakti- on habe in ihrer Interpretation der Regierungserklärung sich eher defensiv verhalten, wohingegen die Regierungsmitglieder, insbesondere auch der Bundeskanzler in seiner letzten Rede, die Regierungserklärung offensiv vertreten hätten. Und drittens ist der Eindruck entstanden, wir hätten uns die Themen von der Opposition aufnötigen lassen, es versäumt auf Themen, die der Opposition unangenehm gewesen wären, die aber bei uns ganz wichtiger Bestandteil der Regierungserklärung waren, also etwa Berufsbil- dung oder Bodenrecht, wir hätten es versäumt, diese Themen von uns aus stärker in die Debatte einzubringen.27 Frage an den Fraktionsvorstand: Was war eure Intension, was war eure Strategie für diese Debatte? Wehner: Hier haben die Genossen der Arbeitskreise dargelegt vor der Debatte, was sie in ihren Kreisen besprochen und was sie ihrer Meinung nach herausfinden konnten, was wir insgesamt zu erwarten haben. Und wir haben ja damals gehört und haben wäh- rend der Debatte auch miteinander Fühlung gehabt, dass wir jeweils diejenigen, die nach Meinung dieser Arbeitskreise dazu etwas zu sagen oder wie wir die Debatte wei- terzuführen hätten und sie von gewissen Punkten der anderen weg- und in unserem Sinne weiterzuführen, um diese möglich zu machen. Das war der Hergang. Die kriti- sche Bemerkung, ich glaube an Regierungsmitglieder, wegen der, oder war das eine allgemeine, ich weiß es nicht, dass von unserer Seite die Regierungserklärung und die Politik mehr defensiv behandelt worden seien, zum Unterschied vom Bundeskanzler, die könnten vielleicht Genossen aus der Regierung, soweit es sie betrifft, beantworten. Insgesamt konnten wir einen Zeitrahmen nicht völlig sprengen und insgesamt konnten wir auch nicht für die jeweilige Verfassung und die besonderen Atmosphären, die wäh- rend einer solchen Debatte entstehen, alles korrekt programmieren. Wenn wir den Vorgang nehmen, der an dem einen Abend zu den Bemerkungen führte, dass der Vor- sitzende der CDU/CSU am nächsten Tag nochmal in Gegenwart des Bundeskanzlers darauf zurückkommen werde, das sind Sachen, die kommen in Debatten solchen Grades gelegentlich vor, und man muss dann sehen, das Beste daraus zu machen. Aber vielleicht können wir das noch verdeutlichen, worauf diese Absicht zu einer solchen, die sicher in Fällen wie diesem sinnvoll sein könnten, Manöverkritik hinausläuft und wo die schwachen Punkte gesehen wurden, wenn das verdeutlicht würde durch die, die das ausdrücken wollten. Georg Schlaga! Schlaga: Genossinnen und Genossen, ich bedauere, dass es hier natürlich schon etwas weit fortgeschritten in der Zeit, meiner Auffassung nach hätten wir eine solche Debatte, und zwar sehr ausgiebig, schon im Mai des vergangenen Jahres führen müssen in An- schluss an die Ostdebatte, an die Vertragsdebatte, denn damals gab es sicher eine ganze

27 Zur Debatte über die Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 vgl. BT Drs. 07/7, 07/8, 07/9 und 07/10. – Der Bundeskanzler antworte am 26. Januar 1973 auf die Kritiker seiner Regierungserklärung vom 18. Januar. Vgl. BT Plenarprotokoll 07/10, S. 361–369.

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Menge zur Debattenstrategie zu sagen.28 Abgesehen davon, dass die Regierung, viel- leicht war das so geplant, aber niemand wusste das, über Gebühr Zeit in Anspruch genommen hatte, dass Vereinbarungen über die Zeiteinteilung zwischen Regierung, Opposition und Koalition getroffen worden waren, von denen man ja nun inzwischen wieder runtergekommen ist, bin ich der Auffassung, dass diese Debatte hier durchaus verdient, einer kritischen Würdigung unterzogen zu werden, und ich habe dem im Grundsatz, was Conradi gesagt hat, nichts hinzuzufügen. Die Antwort von Herbert Wehner hat mich allerdings auch nicht befriedigt. Daher ein Vorschlag, der sich auch aus einer gewissen Naivität heraus ergibt, so wie ich das drei Jahre hinaus hier beobach- tet habe: Ist es denn nicht möglich, so eine Art Koordination oder einen Koordinator für eine große Debatte, natürlich nicht für eine Landwirtschaftsdebatte oder eine Wehrdebatte oder irgendeine in sich begrenzte Debatte, zu bestellen, zu beauftragen, der tatsächlich dann noch einmal mit den jeweiligen Arbeitskreisvorsitzenden ab- spricht, wie das läuft und wie das im Einzelnen entweder verhalten oder eben etwas angriffslustiger laufen soll. Das ist das eine, und ich habe zwei andere Dinge noch dazu, die ich, wie ich meine, anbringen zu sollen. Genossen, wir haben eine Regierung gebildet und haben eine Menge von begabten und guten Leuten aus der Fraktion in die Regierung gegeben. Es ist also nicht so, dass wir nun, ich will niemandem zu nahetreten, ich schließe mich ja ein, dass wir über übermäßig viele ausgebildete und inzwischen routinierte Talente verfügen. Ich bin also der Auffassung, dass man davon mehr Gebrauch machen sollte, entsprechende Reserven zu mobilisieren in der Fraktion, und ich sage das nicht aus irgendeinem Gefühl des Neides oder des Betroffenseins heraus, ich habe mich jedenfalls gewundert, dass die FDP immerhin acht Neue in die Debatte geschickt hat und dass der Außenminister, wenn ich mich nicht irre, sechs- oder siebenmal gesprochen hat. Das war natürlich eine gute Reklame nach außen hin. Wir sollten das einmal etwas näher untersuchen und uns einige Gedanken darüber machen. Und dann nur noch eine ganz kleine Anmerkung zum Schluss, Genossen. Wenn ich dann einen gestandenen Minister, bisher Staatssekretär, reden höre und hinterher, der also nun schon wirklich sehr viel geleistet hat für die Bundesrepublik, und hinterher höre, dass die Frau, die Genossin Präsidentin dann, oder war es in diesem Fall ein Ver- treter, die Glückwünsche zur Jungfernrede ausspricht, Genossen, kann man diesen Zopf nicht endlich abschneiden?29 Ich halte davon wirklich nichts. Dürr: Genossinnen und Genossen, ich glaube, es ist gut, wenn wir uns hier ein wenig über Debattenstrategie unterhalten. Bloß ein Beispiel von Schorsch Schlaga war nicht ganz zutreffend, das mit den Ostverträgen und der Debatte über eine Regierungserklä- rung. Ich glaube, Debatten über Regierungserklärungen werden besser verglichen mit Haushaltsdebatten, wo es auch quer durch den Blumengarten von Anfang bis Ende geht und wo wir nur zwei feste Punkte haben, nämlich erstens das Naturgesetz, dass die Bayern am Freitag um elf Uhr nach Hause fahren und dann es beendet werden muss, und zweitens, dass wir der Opposition

28 Zu den Vor- und Nachbereitungen der SPD-Fraktion in der Debatte um die Ratifizierung des Mos- kauer und Warschauer Vertrags vgl. die drei SPD-Fraktionssitzungen am 10. Mai 1972, online, und die beiden SPD-Fraktionssitzungen am 17. Mai 1972, online. 29 Gemeint ist vermutlich die Rede von Bundesminister Bahr, der bis 1972 beamteter Staatssekretär im Kanzleramt war. Allerdings wurde weder Bahr noch Bundesminister Vogel explizit gratuliert, da »der Jungfernreden von Bundesministern […] üblicherweise nicht gedacht« werde, so Bundestagsvi- zepräsident Jaeger. Zur Sitzung am 24. Januar 1974 vgl. BT Plenarprotokoll 07/8, hier S. 183.

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(Unruhe. Zwischenruf.) – der Halbsatz war doch nicht ganz todernst gemeint –, und zweitens, dass wir der Opposition die Möglichkeit, Themen ihrerseits anzuschneiden, die wir nicht ganz hun- dertprozentig unbeantwortet lassen können, nicht nehmen können. Das muss man mit berücksichtigen, und was den Koordinationsstab für solche Debatten betrifft, da kann man drüber reden und kann ihn auch durchführen, aber dann müssen wir uns von vor- herein verschwören, dass keiner derjenigen, der nach Koordinationsstab seine Rede nicht loslassen darf, dann den Satz schreit, wo bleibt hier in dem Saftladen die Demo- kratie. Wehner: . Ravens: Liebe Genossinnen und Genossen, es hat in dieser Debatte eine vorherige Abstimmung zwischen den Fraktionen, den beiden Koalitionsfraktionen und der Re- gierungsbank gegeben und es hat sie während der ganzen drei Tage gegeben. Im Übri- gen, und von daher ist der Versuch gemacht worden, die Debatte, soweit das überhaupt möglich ist in diesem Umfang, zu steuern. Dies ist in einigen Fällen eben dann nur möglich, und dadurch entsteht der Eindruck eines Übergewichts von der Regierungs- bank, wenn man, um das Thema zu wechseln, von der Möglichkeit Gebrauch macht, von der Regierungsbank her jederzeit zu reden. Das muss man natürlich dann sehen. Das ist das Eine. Das Zweite: Ich habe dem, was Hermann Dürr in seinem Schlusssatz gesagt hat, nichts hinzuzufügen. Ich habe gemerkt, wie schwierig so was ist. Wehner: . Corterier: Da wir grade über die Debatten reden, möchte ich den Fraktionsvorstand bitten, auch die Frage der Redezeit noch einmal zu überprüfen. Wir haben ja in der vorletzten Legislaturperiode diese neue Bestimmung eingeführt, und ich habe den Ein- druck, dass wir in der letzten Periode sie weitgehend durchbrochen haben. hat bereits in ihrer Antrittsrede eine Andeutung gemacht, dass sie von sich aus anstrebt, diese Bestimmung nun einzuhalten. Aber ich möchte bitten, dass der Frakti- onsvorstand sich mal mit der Frage befasst, und ich glaube, es sollte grundsätzlich so sein, dass vielleicht ein Hauptredner natürlich länger spricht, aber dass im Übrigen diese Frist eingehalten werden sollte, vor allem auch deswegen, dass alle Fraktionsmit- glieder, die in den Arbeitskreisen mitarbeiten, auch die Gelegenheit haben, dann zu dem Thema, mit dem sie sich befasst haben, nach Möglichkeit zu sprechen im Plenum. Wehner: Das ist sicher richtig und notwendig, außerdem {…}, dass die Möglichkeiten durch Praxis eingeschränkt werden, dass es bei der anderen Seite sozusagen zu den Ehrenzeichen gehört, jeweils vorher für so und so viel Minuten jemanden anzumelden. Andererseits, Genossen, gibt es in solchen Debatten Situationen, die könnte man, auch wenn man meint, eine Debatte ließe eine Regieführung zu, in diesem Falle als Koordi- nator bestellt, nicht in erster Linie mit Redezeiten und Ähnlichem, sei es wieder in die Ordnung bringen, sei es aus dem Gedächtnis zu bringen. Was an dem einen Abend plötzlich zu Eruptionen geführt hat, das hätte niemand dadurch, dass man sagt, wir haben aber noch so und so weiter, ich muss mich hier in Acht nehmen, um die Gefühle von keinem einzigen hier [zu] verletzen. Ich habe nicht davon geredet, aber in einer bestimmten Situation hielte ich es für unvermeidlich, am nächsten Morgen zu dieser Sache zur Entgiftung zu reden. (Beifall.) Für Koordination anderer Art war in dieser Situation kaum Raum. Das ist ein Mangel. Ich habe das auch bedauert, dass von uns weniger zu Worte gekommen sind, als es bei FDP der Fall zu sein scheint, und wir müssen das bei der nächsten Gelegenheit mit

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Bestimmtheit ändern. Nur glaubt bitte eines nicht, dass es wirklich an dem liegt, was hier mit einem Koordinator gemeint wird. Und lieber Georg Schlaga, die Frage im Mai war eine Frage der Politik und nicht der Regie der Debatte, und wenn ich darüber mei- ne Meinung sagen dürfte, dann würden wir einige Tage zu reden haben. Nur – das würde niemandem helfen. Dazwischen haben wir eine Bundestagswahl mit diesem Ergebnis, und ich bitte herzlich darum, Dinge, die sich nicht miteinander vergleichen lassen, nicht dann doch hineinzubringen, weil sie die einen entweder dazu zwingt, sich auf die Zunge zu beißen, an dem Tag und dann bis zum 17. [Mai 1972]. Da war ja auch inzwischen eine Fraktionssitzung, oder nicht? Ich möchte keine Bälle zurückgeben. Ich habe am Morgen des einen Tages, nachdem ich in der Nacht abgelehnt habe, über die Köpfe der Fraktion eine für 8.30 Uhr angesetzt gewesene Fraktionssitzung abzusagen, hier die Frage gestellt, bleiben wir bei unserer Tagesordnung, und alle waren der Mei- nung, wir bleiben. Und jeder kann sich erinnern, der dabei sein musste, wie es am Nachmittag anders war, oder? Und wie dann hier in diesem Saal beschlossen wurde eine Woche später, bis dahin Zeit lassen. Ich möchte niemandes feurige Kohlen. Wir haben Glück gehabt, denn wir haben eine Situation bekommen, in der wir dennoch bei der Wahl das Ganze, die ganze Kette wieder erkennbar machen konnten für die Leute, dass zeitweilig nach diesem 10. [Mai 1972] und 17. [Mai 1972] sehr wenig Aussichten gehabt zu haben schienen. Aber bitte, ich wollte damit nur sagen, das war eine Frage der politischen Taktik einschließlich dessen, was mit der Debatte zusammenhängt. Oder wollen wir darüber reden, dass an dem einen Tage es das eine von den zwei Ma- len gewesen ist, an dem ich zum Beispiel, ich rede ungern da von meiner Person, das Wort nicht bekommen habe, obwohl ich oben aufgezeichnet war. Wem würde das heute dienen? Ist mir zweimal in über 23 Jahren im Bundestag geschehen. Das eine Mal an dem Tag, der nicht deshalb, sondern jetzt aus einem andern Grund verschiedentlich in Erinnerung gebracht worden ist, September ’68, da hat der damalige Präsident30 mir gesagt, es sei ein bedauerliches Versehen passiert, obwohl ich damals Mitglied des da- maligen Kabinetts war31, und das andere Mal war an jenem 10. Mai, undramatisch sag’ ich das. Nur, das ist nicht allein eine Frage der Koordination, eine Frage des Zusam- menfassens und Zusammenordnens einer ganzen Reihe politischer Faktoren, taktischer Notwendigkeiten, unterschiedlicher Meinungen über sie und ich bin sehr froh, wenn es darüber möglich ist, in unserer Fraktion, ohne dass sich alles das anstauen muss und zum Geschwür werden kann, geredet wird, und wir sollten es zu einer Regel zu ma- chen versuchen bei Debatten von größerem Gewicht, darüber tatsächlich zu reden. Aber immer mit einer bestimmten Prise, weil es nicht nur die Frage ist, wie koordiniert man es und wie lässt man ablaufen die eigene Reihe in einer solchen Debatte. Wer wünscht weiter das Wort? Norbert Gansel! Gansel: Mich ermutigt dein letzter Satz, doch noch ganz kurz eine Anregung zu geben, und zwar wiederum aus der Position dessen, der bisher draußen gestanden hat und alles von draußen gesehen hat. Mir ist erst jetzt klargeworden, wie das System der Wortmel- dung und die Taktik so einer Debatte bei uns läuft, und ich glaube, vielleicht kann nur ein Neuer so eine Anregung geben, ich glaube, wenn wir bei solchen, na, ich will mal sagen, politischen Generaldebatten das System der Wortmeldungsverteilung über die Arbeitskreise durchführen, so wird es immer so ausgehen, dass wir versuchen, auf ein- zelnen Arbeitskreisgebieten gewissermaßen Punkte zu sammeln, und ich glaube, dieses

30 Gemeint ist Eugen Gerstenmeier. 31 Wehner war während der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD, Dezember 1966 bis Oktober 1969, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen.

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Verfahren und diese Einstellung rührt aus einer gewissen Routine. Man kann das auch, beliebtes Wort, mit Betriebsblindheit bezeichnen. Ich glaube, für die Öffentlichkeit, für die politisch interessierte Öffentlichkeit vor allen Dingen, geht es im Wesentlichen darum, dass die großen Leitlinien sichtbar werden. Das ist ja auch deutlich geworden in der Berichterstattung des Fernsehens, die das alles gestellt hatten unter Solidarität, neue Mitte, Gerechtigkeit, Freiheit und so weiter und so fort. Das sind aber Einteilungs- schemata, die wir in unseren Arbeitskreisen nicht haben, und ich glaube, bei diesen Generaldebatten müssen wir uns ein anderes System der politischen Auseinanderset- zung mit der CDU vorstellen, etwa so, dass wir uns einrichten, was wird von denen kommen. Ich glaube, es war voraussehbar, dass Weizsäcker noch einmal seine Weishei- ten über Lebensqualität vom CDU-Parteitag wiederholen würde, oder dass der Herr Dregger noch einmal sein Konzept ausbreiten würde, und es wäre wichtig gewesen, auf diese Punkte hin von uns hier Diskussionsbeiträge vorzubereiten und zu bringen. Das ist aber über das Wortmeldungssystem Arbeitskreise nicht möglich. Ich bitte wirklich darum, mal drüber nachzudenken, ob wir bei solchen Generaldebatten nicht von vor- herein die Planung durchführen sollten, einmal, was bringt die CDU in diesen großen Leitgedanken und was müssen wir offensiv bringen, und dann müssen wir die Wort- meldungen entsprechend vorbereiten und streuen und nach Möglichkeit mit Kurzbei- trägen arbeiten, die man doch auch dann zentral koordinieren muss. Insofern, meine ich, war der Vorschlag von Schlaga richtig. Ich bitte, wirklich für diese Generaldebatten diese Anregung mal aufzunehmen und zu erwägen und zum nächsten geeigneten Zeit- punkt darüber zu diskutieren. Wehner: Pawelczyk. Pawelczyk: Ich schlage vor, dass wir darauf verzichten, jetzt so quasi aus dem Stand neue Strategien zu entwickeln, sondern dass wir das nun mal wirklich gründlich vom Fraktionsvorstand prüfen lassen und dann das zum Tagesordnungspunkt machen. (Vereinzelter Beifall.) Wehner: Was soll ein Tagesordnungspunkt werden, wenn ich bitten darf? (Unruhe.) Ich meine, ich bin für vieles zu haben. Ich glaube nicht, dass man das, ich versuche, jede Härte zu vermeiden, wie in einer noch so hochgradigen Schule machen kann, diese politischen Auseinandersetzungen hier, nicht in diesem Raum, sondern in diesem Haus. Das ist keine Strategieschulung oder ein entsprechendes Schema. Wir können über unsere Erfahrungen und darüber reden, was wir besser machen müssen und wer das besser machen kann, d’accord, nur Genosse Pawelczyk, deswegen frage ich, wie du dir wohl vorstellst, dass in dieser Fraktion über Strategie gesprochen wird? Wenn das also so verallgemeinert gesagt wird, wäre ich froh, damit wir im Fraktionsvorstand tatsäch- lich imstande sind, wenn es geht, wenn es überhaupt geht, dieser Anforderung zu genü- gen. Pawelczyk! Pawelczyk: Hier sind eine Menge von Anregungen gegeben worden, zu denen ich nicht die vorletzte zähle, sie beginnt bei der Einteilung der Redner, sie geht über die Dauer der einzelnen Redner und sie geht darum, wie viel Redezeit wir dem Einzelnen, und zwar dem ersten Redner und allen danach Folgenden anbieten sollen. Hier geht es doch im Grunde darum, dass diejenigen, die in den einzelnen Arbeitskreisen sich thematisch vorbereiten, mehr zu Gehör gebracht werden. Das waren doch Dinge, die hier überein- stimmend festgestellt wurden. Mein Petitum ging dahin, diese Diskussion hier aus dem Stand jetzt nicht ins Endlose zu verlängern, sondern die Anregungen zusammenzu- sammeln, die sind ja hier alle festgehalten, und dann einen Vorschlag zu entwickeln.

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Wehner: Gut. Kann damit dieser Punkt abgeschlossen werden? (Zwischenrufe: Jawohl!) [B.] Wehner: Dann ruf’ ich auf den Punkt 2 der Tagesordnung und gebe Manfred Schulte das Wort. Schulte: Genossinnen und Genossen, wir haben über den Ablauf dieser Woche zu sprechen.32 Morgen, wie bereits angekündigt, sollen die Ausschüsse konstituiert wer- den. Vor einigen Minuten habe ich gehört von der CDU/CSU, dass sie offensichtlich mit ihrem Ausschusstableau, Verteilung der Ausschusssitze, also der Abgeordneten der Fraktion auf die einzelnen Ausschüsse, Schwierigkeiten haben, und sie bitten nun dar- um, die für 9 Uhr vorgesehene Konstituierung auf 16.30 Uhr zu verschieben. Ich glau- be, wenn eine solche Bitte geäußert wird, sind wir jedenfalls bislang einem solchen Wunsch nachgekommen. Ich werde das weiterverfolgen, ob das unbedingt 16.30 Uhr sein muss. Dies scheint mir relativ spät zu sein. Allerdings muss ich darauf hinweisen, dass wir sowohl morgen als auch Donnerstag je zwei Fragestunden von 14 bis 16 Uhr haben, dies als eine Ausnahmeregelung deshalb, weil sich eine sehr große Anzahl von Fragen angesammelt hatte und eine Verabredung bestand in der vergangenen Woche, bei der Aussprache über die Regierungserklärung keine Fragestunden zu haben. Dies vorweg. Ich bitte also, den Termin 16.30 Uhr zunächst einmal so zu nehmen. Wenn sich noch etwas anderes ergeben sollte, wird dies per Rundschreiben und Durchsage mitgeteilt werden. Nun zum Ablauf der Plenarsitzung am Donnerstag. Wir haben inzwischen, wie mit dem Koalitionspartner vereinbart, eine Reihe von Gesetzen initiativ eingebracht. Es handelt sich ausschließlich um Gesetze, die bereits in der letzten Legislaturperiode im Bundestag in den Ausschüssen behandelt worden sind. Die Situation sieht zur Stunde wie folgt aus: Die Abgabenordnung kann in erster Lesung gemacht werden33, und zwar ohne Debatte. Sie wird dann überwiesen. Bei der Postverfassung34, bei der wir darauf verzichtet hätten, Erklärungen abzugeben, verlangt die CDU neuerdings, eine kurze Erklärung im Plenum abzugeben, und deshalb müssen wir gleich darüber anhand des Tagesordnungspunktes sprechen. Das Weingesetz35, das von Willi Fischer hier vorge- tragen wird, die Änderung wird aller Voraussicht nach von allen drei Fraktionen einge- bracht werden, Willi Fischer wird dazu Stellung nehmen, das soll ohne Debatte gehen. Beim Kartellgesetz36, bei der Kartellgesetznovelle will auch die CDU im Gegensatz zu uns reden. Wir müssen uns darauf einstellen. Sie glaubt, mit einer kurzen Erklärung auszukommen. Viertes Strafrechtsänderungsgesetz oder viertes Strafrechtsreformge-

32 Zu den Plenarsitzungen, einschließlich der Fragestunde, vom 31. Januar und 1. Februar 1973 vgl. BT Plenarprotokoll 07/11 und 07/12. 33 Zum Entwurf der SPD- und FDP-Fraktion vom 25. Januar 1973 einer Abgabenordnung vgl. BT Drs. 07/79. 34 Zum von SPD- und FDP-Fraktion eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Unternehmens- verfassung der Deutschen Bundespost (Postverfassungsgesetz) vom 25. Januar 1973 vgl. BT Drs. 07/81. 35 Zum Entwurf von SPD-, CDU/CSU- und FDP-Fraktion vom 30. Januar 1973 eines zweiten Geset- zes zur Änderung des Weingesetzes vgl. BT Drs. 07/86. 36 Zum Entwurf von SPD- und FDP-Fraktion vom 25. Januar 1973 eines zweiten Gesetzes zur Ände- rung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vgl. BT Drs. 07/76.

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setz37, das ebenfalls auf die Tagesordnung kommen wird, da hat die CDU angemeldet, dass sie selbst nicht das Bedürfnis habe, dazu zu sprechen. Da hatten wir aber bereits unsere Präferenz deutlich gemacht, dass wir dazu reden wollten. Dies sind die Gesetze, die jetzt absehbar am Donnerstag erscheinen werden, wenn wir uns darauf verständi- gen. Der Ältestenrat ist noch nicht konstituiert. Wir treffen uns heute Abend nochmal in einer interfraktionellen Besprechung um 18 Uhr, dann werden diese Dinge fest ver- abredet, aber ich glaube, dass wir davon ausgehen können. Es gibt darüber hinaus ein Papier, darauf steht eine Änderung des Wohnungseigen- tumsgesetzes und der Verordnung über das Erbbaurecht. Das ist eine Initiative des Bundesrates.38 Hier plädieren wir dafür, dies noch nicht in erster Lesung in dieser Wo- che zu machen. Ich weiß nicht, ob da andere Absichten bestehen. Außerdem gibt es eine erste Beratung ebenfalls eines vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs einer Ände- rung des Bürgerlichen Gesetzbuches und anderer Gesetze.39 Auch hier meinen wir, das habe noch nicht die Dringlichkeit, dass wir es in dieser Woche bereits in erster Lesung haben müssen. Es konnte auch noch kein Einvernehmen darüber erzielt werden, ob das ohne Debatte möglich ist. Es gibt darüber hinaus wie immer, ihr werdet eine umfang- reichere Tagesordnung vorfinden, eine Reihe von Punkten, die dann ohne Debatte abgehandelt werden und in die Ausschüsse überwiesen werden, die dann nicht von politischer Relevanz sind. Wehner: Danke. Wird das Wort gewünscht? Wir haben ja noch zu einzelnen Punkten, von denen eben die Rede war, hier auch unsere eigene Tagesordnung. Dann ruf’ ich auf Hans-Jürgen Junghans zur Kartellgesetznovelle. Junghans: Genossinnen und Genossen, die Fraktion hatte uns die Ermächtigung gege- ben, in der letzten Woche die Kartellrechtsnovelle in alter Form, das heißt in der Fas- sung praktisch vom Mai 197140, wieder einzubringen mit einer Begründung, die noch auszuhandeln war.41 Wir haben sie ausgehandelt, die Kartellrechtsnovelle ist einge- bracht worden. In der Debatte um die Regierungserklärung ist dazu sowohl von dem Minister42 wie von uns aus, von mir selber aus, sehr viel gesagt worden im Grundsatz. Ich hatte deswegen plädiert, dass im Fraktionsvorstand ohne Debatte, um nicht eine Suppe lauwarm werden zu lassen, aber wenn das so ist, wie Manfred Schulte hier eben berichtet hat, dass die CDU im Nachklappen den Kennlaut der Erklärung vom Frakti- onsvorsitzenden , der wohl die Lücke erkannt hat, hier konkret zu wer- den, das machen will, wir werden sie darauf hinweisen müssen, warum sie denn in die- ser Situation nicht ihren eigenen Entwurf, den sie in der Schublade haben, nicht auch eingebracht haben. Das hat ja wohl auch seine Gründe in der CDU/CSU-Fraktion! Ich schlage deshalb vor, dass wir in einer kurzen Erklärung alle noch mal unsere Dinge zusammenfassen müssen, auch um das in dieser Runde noch mal deutlich zu machen. Ich schlage vor, und komme hier wahrscheinlich auch dem Wunsche unserer neuen

37 Zum SPD- und FDP-Fraktionsentwurf vom 25. Januar 1973 eines Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vgl. BT Drs. 07/80. 38 Zum Bundesratsentwurf vom 16. Januar 1973 eines Gesetzes zur Änderung des Wohnungseigen- tumsgesetzes und der Verordnung über das Erbbaurecht vgl. BT Drs. 07/62. 39 Zum Gesetzentwurf des Bundesrates vom 16. Januar 1973 zur Änderung des Bürgerlichen Gesetz- buchs vgl. BT Drs. 07/63. 40 Zur Fassung aus der 6. Wahlperiode vgl. BT Drs. 06/2520. 41 Zum Entwurf von SPD- und FDP-Fraktion vom 25. Januar 1973 eines zweiten Gesetzes zur Ände- rung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vgl. BT Drs. 07/76. 42 Bundesminister für Wirtschaft, FDP, . Zu dessen Äußerungen während der Debatte über die Regierungserklärung vgl. BT Plenarprotokoll 07/8, S. 266.

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Kollegen nach, einen neuen Kollegen, der sich damit befasst hat, Dr. Uwe Jens schlage ich vor, dann diese kurze Erklärung abzugeben. Wehner: Wird das Wort gewünscht zu dem Punkt Kartellgesetznovelle? Bitte, Manfred Schmidt. Schmidt (Schwabenhausen): Ich möchte nicht eventuelle Verhandlungen mit der FDP stören, aber ich würde ganz gerne wissen, soweit das jetzt gesagt werden kann, wie es bei den Verhandlungen mit der Preisbindung, der zweiten43, ansteht, ob dazu was ge- sagt wird im Plenum oder ob dazu noch nichts gesagt werden kann? Wehner: Hans-Jürgen Junghans. Junghans: Erstens, ich habe im Plenum zu dem Thema was gesagt. Ich meine, das ist wohl unüberhörbar gewesen. Zweitens, wir haben in unserer Arbeitsgruppe eindeutig die Punkte, es ging hier nämlich nicht nur [um] Preisbindung der zweiten Hand, abge- stimmtes Verhalten, Marktbeherrschung, Fusionskontrolle, Pressefusionskontrolle, Missbrauchsaufsicht bei den sogenannten Knebelungsverträgen, es sind ja eine Reihe von Punkten, die wir eingeführt haben, unter dem Punkt, dass mit der FDP im Laufe der Verhandlungen, die Zusicherung haben wir, über die Ergänzungen und Verbesse- rungen im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens einschließlich der Unterstützung der Bundesregierung gesprochen wird. Die FDP hat bisher noch keine äquivalente Arbeits- gruppe, wie wir sie haben, gebildet. Wir sind also in Sachgespräche im Einzelnen noch nicht eingetreten, konnten wir nicht. Das ist meine Auskunft, aber wir haben die Zusi- cherung, dass wir über jeden dieser Punkte, einschließlich Preisbindung, du hebst auf den »Spiegel«-Artikel mit Sicherheit ab44, einschließlich Preisbindung, aber auch ein- schließlich Preisempfehlung, sprechen. Wehner: Weitere Wortmeldungen dazu? Wenn nicht, dann nehme ich an, dass die Fraktion mit dem Vorschlag Junghans einverstanden ist. Auch was die Erklärung mor- gen betrifft? Ich rufe auf Manfred Wende zu dem Postverwaltungsgesetz.45 Wende: Liebe Genossinnen und Genossen, die Reform der Postverfassung war schon in der Regierungserklärung von 1969 angekündigt.46 Wir haben sie dann im Ausschuss, im Verkehrsausschuss, durchberaten in zwei öffentlichen Anhörungen und sehr vielen Einzelberatungen und haben dann auch die Zustimmung des mitberatenden Ausschus- ses für innerdeutsche Beziehungen und auch des Innenausschusses bekommen. Ausge- blieben war das Votum des Wirtschaftsausschusses, der damalige Vorsitzende des Wirt- schaftsausschusses47 hatte die Postverwaltungsreform überhaupt nicht auf die Tages- ordnung gebracht. Das war der Grund, warum diese Reform nicht bereits in der letzten

43 Gemeint ist die Preisbindung der zweiten Hand, also die vertikale Preisbindung, zwischen dem Erzeuger und dem Händler. Die SPD setzte sich dafür ein, diese Absprachen zu verhindern, weil sie den Wettbewerb zwischen den Einzelhändlern behinderten und zugleich für ein höheres Verbrau- cherpreisniveau im Einzelhandel führten. 44 Gemeint ist der Artikel »Schwierige Geschichte«. Darin wurde berichtet, dass die FDP massivem Druck aus ihrer Wählerschaft ausgesetzt sei, sich weiterhin dafür einzusetzen, dass Herstellern auch in Zukunft erlaubt sein sollte, verbindliche Preise für den Einzelhandel vorzugeben. Vgl. »Der Spie- gel«, Nr. 5 vom 29. Januar 1973, S. 22 f. 45 Zum von SPD- und FDP-Fraktion eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Unternehmens- verfassung der Deutschen Bundespost (Postverfassungsgesetz) vom 25. Januar 1973 vgl. BT Drs. 07/81. 46 Vgl. die Regierungserklärung von Bundeskanzler Brandt am 28. Oktober 1969, in der Brandt an- kündigte, dass die Bundespost eine neue Unternehmensrechtsform erhalten sollte; BT Drs. 06/5, S. 25. – Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung aus der 6. Wahlperiode vgl. BT Drs. 06/1385. 47 Vermutlich ist Gerhard Kienbaum (FDP) gemeint, der den Vorsitz bis zum 15. Juni 1972 innehatte.

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Legislaturperiode verabschiedet werden konnte. Es ist nun eine Koalitionsvereinbarung mit der FDP zustande gekommen auf der Basis der abschließenden Ausschussberatung des Ausschusses für Verkehr, des Post- und Fernmeldewesens der 6. Legislaturperiode, dieses Gesetz nun einzubringen. Wir haben uns jetzt in der letzten Woche auch in der noch alten Arbeitsgruppe und im Arbeitskreis Wirtschaftspolitik damit befasst. Wir haben uns mit der FDP darüber abgesprochen und wollen nun diese Postverfassung einbringen. {…}48 Änderungen aufweist, die im Wesentlichen auf Anregung der Deutschen Postgewerk- schaft zurückgehen. Es war möglich, hier einige Änderungen durchzuführen, die zum Beispiel bei der Frage des Aufsichtsrates in diesem neuen Unternehmen Post die In- teressen der Arbeitnehmer wesentlich besser zum Zuge bringen, als es in der Regie- rungsvorlage vorgesehen war. Da war, wenn ich das nur mal als Beispiel anführen darf, die Regelung vorgeschlagen, einen Aufsichtsrat mit 24 Personen zu installieren, je acht davon aus der Politik, von der Arbeitnehmerseite und von der Wirtschaft. Die Rege- lung, die jetzt gefunden worden ist, sieht vor, dass 25 Mitglieder den Aufsichtsrat bil- den, darunter zehn aus der Politik, wobei das so zu verstehen ist, dass fünf vom Bun- destag und fünf vom Bundesrat delegiert werden, zehn Vertreter der Arbeitnehmer, die ja auch von der Gewerkschaft kommen können, und fünf aus der Wirtschaft, sodass wir de facto hier, das muss man wohl expressiv verbis nicht extra feststellen, aber de facto hier eine für die Arbeitnehmer außerordentlich befriedigende Regelung gefunden haben. Es ist außerdem noch vorgesehen, dass eine Art Arbeitsdirektor installiert wird, das heißt, in einem fünfköpfigen Vorstand ist einer ausschließlich für Personalfragen zuständig, und er kann nicht gegen die Mehrheit der Arbeitnehmervertreter im Auf- sichtsrat bestellt werden. Das ist auch eine dringende Sache gewesen, die die Postge- werkschaft gewünscht hat. Außerdem ein weiterer Punkt, dass die Befugnisse des Auf- sichtsrates erweitert werden auch auf die Zustimmung zu grundsätzlichen Fragen des Personalwesens. Wenn ich jetzt einmal diese drei Dinge genannt habe, es sind noch zwei andere, wie zum Beispiel die Frage des Einvernehmens, dass das nur noch zwischen dem zuständi- gen Postminister und dem Minister für Finanzen nötig ist, wenn es um Gebührenfragen geht, und mit dem Innenminister, wenn es um Fragen der Tarifverträge geht, dann könnt ihr sicher verstehen, dass es eine beachtliche Sache ist, dass das in der letzten Legislaturperiode mit der FDP zusammen möglich gewesen ist, und die Gewerkschaft ist auch damit einverstanden gewesen, sodass wir also diese Geschichte nun einbringen wollen. Auch wir hatten hier nicht vor, das mit einer Debatte zu machen, weil wir na- türlich hier dieses Reizthema Post, nicht wahr, wenn ich an Postgebühren denke, nicht unnötig ins Gespräch bringen wollten. Nachdem ich aber jetzt auch gehört habe, dass die CDU hier eine Erklärung abzugeben wünscht, wird es nötig sein, und wir haben uns auch im Kreis darüber unterhalten und auch gestern im Vorstand, als ich das vor- trug, dass auch von unserer Seite dann jemand etwas dazu sagt, vielleicht grade diese fünf wichtigen Punkte, die eine Änderung gegenüber der Regierungsvorlage darstellen, kurz erläutert, und ich wollte euch dazu vorschlagen, dass das der Kollege Ollesch von der FDP übernimmt in einer gemeinsam von der FDP und uns zu verabredenden Er- klärung, weil grade der Kollege Ollesch hier einen ganz beachtlichen Anteil an dem hat, was grade auch auf der Arbeitnehmerseite hier zu verzeichnen ist und was nun in dieser neuen Reform der Postverfassung drin steht.

48 Die Aufnahme ist an dieser Stelle für knapp drei Sekunden gestört.

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Wehner: Danke. Friedhelm Farthmann. Farthmann: Genossen, ich glaube nicht, auch im Hinblick auf die Diskussion, die wir darüber schon in der vorigen Legislaturperiode geführt haben, dass an diesem Kom- promiss ernsthaft was geändert werden kann. Ich würde bloß darum bitten, diesen Kompromiss nun nicht als etwas besonders Befriedigendes hinzustellen. Das ist er nicht, sondern er ist ein Kompromiss, den wir akzeptieren müssen, wenn wir über- haupt die Postverfassung durchbringen. Er birgt in seinem Inhalt für meine Gefühle erhebliche Gefahren. Erstens habe ich nie verstehen können, warum die Wirtschaft in dem Postaufsichtsrat institutionell vertreten sein soll. Ich habe sehr viel Verständnis dafür, dass die Verbraucher da reingehören, aber nicht die Wirtschaft, und zum Zwei- ten ist es auch im Grunde nicht das, was wir in der freien Wirtschaft anstreben, nämlich ein Gleichgewicht von Anteilseignern, die hier die Vertreter der Politik sind, und den Arbeitnehmern. Aber ich bin ja dafür, dass wir im Interesse einer Verabschiedung der Postverfassung darüber den Mantel des Schweigens breiten. Wir müssen uns nur wegen der Sprachregelung darüber klar sein, dass das ein Kompromiss ist, nicht eine befriedi- gende Lösung. Wehner: Wird weiter das Wort gewünscht? Nicht der Fall. Dann ruf’ ich auf Hans de With zu dem Punkt Strafrechtsreformgesetz.49 de With: Liebe Genossinnen und Genossen, das Vierte Strafrechtsreformgesetz bein- haltet die Reform des Sexualstrafrechts. Eingebracht haben wir den Entwurf in der Fassung des Berichts des Strafrechtssonderausschusses der letzten Legislaturperiode.50 Wir haben den Entwurf deswegen so rasch eingebracht, weil wir meinen, dass nach nunmehr zweijähriger Diskussion diese Geschichte rasch vom Tisch muss und weil sich dem ja die Reform des [Paragraphen] 218 anschließen soll. Was den Inhalt des Entwur- fes anlangt, darf ich darauf hinweisen, dass nach den Beratungen der letzten Legislatur- periode noch fünf Streitpunkte zur Opposition offen waren, und zwar betraf das die Frage, ob der Strichjunge strafbar sein sollte oder nicht, wir meinen Nein, ob es be- stimmte Form der Ehegattenkuppelei geben sollte, wir meinen Nein, ob das Erzie- hungsprivileg, wie man sagt, ausgedehnt werden soll auf andere, wir meinen Ja, und wie die Pornografie gehandhabt werden soll, (Heiterkeit.) außerdem ob eine Bestimmung aus dem Gesetz der jugendgefährdenden Schriften ge- strichen werden soll oder nicht. Wichtig bei diesem Vorhaben ist noch eines, dass das Vierte Strafrechtsreformgesetz den Paragraphen 131 enthält, und zwar betrifft dieser die Verherrlichung oder Verniedlichung von Gewalt. Hierzu hat es einigen Wirbel gegeben. Wir aber meinen, dass wir die alte Fassung wieder einbringen sollten. Erstens ist nicht allein eine Schilderung einer Grausamkeit mit Strafe bedroht, nur dann, wenn hierdurch eine Gewaltverherrlichung eintritt, und zweitens wird von dieser Vorschrift nicht die Berichterstattung erfasst. Überdies gibt es noch einen Kunstvorbehalt. Ich glaube, nachdem die Probleme während der letzten zwei Jahre hinreichend diskutiert sind, muss ich nicht weiter auf Einzelpunkte eingehen. Ich darf wiederholen: Wir sind daran interessiert, dieses Vorhaben möglichst rasch vom Tisch zu bringen, damit wir in unserer Arbeit, ich denke an 218, fortfahren können. Danke schön.

49 Zum SPD- und FDP-Fraktionsentwurf vom 25. Januar 1973 eines Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vgl. BT Drs. 07/80. 50 Zum schriftlichen Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform vom 14. Juni 1972 über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Reform des Straf- rechts vgl. BT Drs. 06/3521.

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Wehner: Wer wird denn dazu reden, Hans? de With: Wir wollen hierüber noch mal heute Abend im Ausschuss sprechen. Ich möchte meinen, dass auf jeden Fall eine Erklärung abgegeben werden soll, denn die Geschichte ist zu wichtig, als dass sie ohne Erklärung unter den Tisch gebügelt werden sollte, und ich meine, hierzu muss der Opposition einiges gesagt werden, wenn auch nicht lang, aber doch kurz und deutlich. (Zwischenrufe: Wer?) Ich sage, wir wollen uns heute Abend im Arbeitskreis hierüber noch klar werden. Wir haben noch keinen Beschluss gefasst. Wehner: Dann wird es aber Zeit! Muss die Fraktion das eben so in der Hoffnung hin- nehmen, dass ihr das tatsächlich heute Abend {…} macht. Was ich zur Sache sagen möchte, lieber Hans, ich will dich nicht animieren und darf es nicht, weil wir haben hier einen ganzen Block von Sachen vor uns und dazu muss {…} zu einer interfraktionellen Besprechung, die auch dieses mit betrifft wieder, aber der Fraktion in dieser Zusam- mensetzung muss gegeben werden, nicht heute, aber wenn es dann zu der Behandlung dieses Strafrechtsreformgesetzentwurfes hier kommt, gesagt werden, woraus sich das entwickelt hat, was jetzt da drinsteht, damit jeder es mit gutem Gewissen vertreten kann, wenn er es vertreten will oder muss. Das ist wohl nicht vermeidlich. de With: Einer alten Tradition entsprechend habe ich vor, ich wollte das nicht beson- ders ankündigen, auch zu diesem Entwurf wiederum ein Papier vorzulegen, dass in kurzen Worten die Geschichte wiedergibt, auf die Hauptstreitpunkte aufmerksam macht und unseren bisherigen Standpunkt darlegt, damit das von jeder Genossin und Genossen zuhause im Wahlkreis als Redeunterlage genutzt werden kann. Wehner: Vielen Dank, dann kommen wir zum plötzlich dringend notwendig geworde- nen Zweiten Gesetz Änderung des Weingesetzes51, das sich ja mit gewissen Termin- verpflichtungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ergeben hat. Willi Fischer! Fischer: Genossinnen und Genossen, am 1. April tritt wiederum eine neue Verordnung der Kommission in Kraft, wie nicht anders zu erwarten wieder perfektionistisch zu 150 Prozent, beinhaltet die Form und die Gestalt, wie die Aufstellung von Begleitdoku- menten beim Transport von Wein dies vorgenommen wird als auch die Durchfüh- rung.52 Diese Verordnung der Kommission gibt 21 Ermächtigungen den Mitgliedstaa- ten, nationale Durchführungsverordnungen hierzu zu erlassen. Diese Durchführungs- verordnung wird nicht – da die hier die Regelungen getroffen werden müssen, die bis- lang in der Rechtsverordnungsermächtigung von 50 und Paragraph 57 des Weingeset- zes nicht gedeckt sind, ist es erforderlich, den Paragraphen 50 und 57 des Weingesetzes den Erfordernissen dieses Gemeinschaftsrechts entsprechend zu ändern und zu novel- lieren. Aus Zeitgründen, am 23. März muss bereits der Bundesrat darüber entscheiden, kann dies nur durch eine Gesetzesinitiative der drei Fraktionen erfolgen. Heute Mor- gen in dem interfraktionellen Gespräch wurde Einigung erzielt, dies ohne Debatte einzubringen. Soeben erhielt ich von der FDP Mitteilung, dass dort die Sache eingeseg- net ist. Von der CDU, von der Opposition, steht es noch aus, wurde aber heute Mor- gen keine Unklarheit darüber gelassen, dass dort ebenfalls das Ja kommt. Was materiell geregelt wird, bezüglich Begleitdokumente und Buchführungspflicht, wird dann in der

51 Zum Entwurf von SPD-, CDU/CSU- und FDP-Fraktion vom 30. Januar 1973 eines zweiten Geset- zes zur Änderung des Weingesetzes vgl. BT Drs. 07/86. 52 Gemeint ist die EWG-Verordnung Nr. 1769/72 vom 26. Juli 1972, online.

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Rechtsverordnung, das heißt in der Novellierung der Weinüberwachungsverordnung, geregelt werden. Wehner: Wird das Wort dazu gewünscht? Wird das – passieren lassen. [C.] Wehner: Dann kommen wir zu dem Punkt 7. Ausschüsse. Manfred Schulte. Schulte: Genossinnen und Genossen, dieser Tagesordnungspunkt heißt ganz schlicht Ausschüsse. Was sich dahinter verbirgt, habt ihr zum Teil schon gesehen durch die Papiere, die wir euch heute im Laufe des Tages in eure Fächer gelegt haben. Ich möchte die einzelnen Bereiche unterteilen und zunächst noch ein paar Worte sagen zur Aus- schussbesetzung, das heißt also zu dem diesmal wie eigentlich nie zuvor schwierigen Versuch, allen Genossinnen und Genossen der Fraktion eine vernünftige Mitwir- kungsmöglichkeit in den Ausschüssen zu garantieren. Wir geben uns nicht der Illusion hin, dass dies hundertprozentig gelungen ist, aber ich glaube sagen zu dürfen, es ist ein sehr hoher Prozentsatz erreicht in dem Versuch, individuelle Wünsche mit den fachli- chen Wünschen der amtierenden Arbeitskreisvorsitzenden und Obleute und diesmal auch sehr starken regionalisierten Wünschen in Übereinstimmung zu bringen. Ich möchte zu den Listen, die euch vorliegen, ein paar inzwischen vollzogene, einvernehm- lich vollzogene Änderungen bekanntgeben, damit, und dies ist ja wichtig, dies morgen bekannt ist für die Konstituierung. Dies betrifft folgende Genossinnen und Genossen und folgende Ausschüsse. Finanz- ausschuss: Es ist bei den ordentlichen Mitgliedern der Genosse Polkehn zu streichen und dafür der Genosse Huonker einzusetzen. Im 6. Ausschuss, Finanzausschuss: Ich werde das so langsam vorlesen, dass jeder die Korrektur vornehmen kann. Der Genosse Polkehn ist zu streichen und der Genosse Huonker einzusetzen bei den ordentlichen Mitgliedern. Bei den Stellvertretern ist der Genosse Gerstl zu streichen und der Genos- se Müller (Schweinfurt) einzusetzen. Beim Ausschuss 14, Ausschuss für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, ist der Genosse Huonker zu streichen und dafür der Genosse Polkehn einzusetzen, also ein relativ einfacher Wechsel. Deshalb musste auf der Stellvertreterseite der Genosse Pol- kehn gestrichen werden, und nun habe ich etwas gemacht, was ich der Betroffenen in diesem Zusammenhang noch gar nicht mitgeteilt habe, ich habe Anke Riedel-Martiny dort zur Stellvertreterin gemacht, und sie war, glaube ich, bislang lediglich Stellvertreter in wirtschaftliche Zusammenarbeit, und ich hab’ ihr das zunächst mal aufgebürdet. Man kann darüber wohl noch reden, wenn sie nicht will, aber das ist für dieses Tableau. Beim Ausschuss 15 für innerdeutsche Beziehungen ist auf der Stellvertreterseite der Genosse Schmidt (Gellersen) zu streichen und dafür der Genosse Gerstl einzusetzen. Dies ist auch einvernehmlich erfolgt. Dies ist im Augenblick alles, was noch zwischen- zeitlich korrigiert werden konnte. Nun erlaubt mir bitte noch ein Wort dazu. Ich habe es schon mehrfach gesagt, aber die vielen Anrufe, die ich erhalten habe, und die vielen Wünsche legen es mir nahe, noch- mal darauf hinzuweisen. Wir wollen morgen konstituieren. Bereits einen Tag nach der Konstituierung werden neue Wünsche angemeldet. Ich habe bereits eine Reihe von Wünschen gesammelt, und es wird dann in einem permanenten Prozess der Versuch unternommen, hier einvernehmliche Regelungen von Austauschen vorzunehmen. Dies gelingt in aller Regel, und ich bitte noch einmal ganz herzlich darum alle Genossinnen und Genossen, nicht zu glauben, hier sei nun für den Rest ihres Lebens ihr politisches Schicksal besiegelt, (Heiterkeit.)

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sondern dies wird geregelt, Freunde, und zwar einvernehmlich, und die Erfahrung der Vergangenheit zeigt uns auch, dass dies möglich ist. Dies ist das Tableau für die Konstituierung – und dazu noch ein Wort. Jetzt fragt na- türlich mancher, ich bin ja zweimal ordentliches Ausschussmitglied, ich kann doch nicht zur Konstituierung zu gleicher Zeit in zwei Ausschüssen sein. Da werden wir natürlich darauf aufpassen, dass diese Ausschüsse nicht alle zur gleichen Zeit sich kon- stituieren. Das können sie auch gar nicht, weil die Konstituierung jeweils von einem, entweder von der Präsidentin oder einem Vizepräsidenten vorgenommen wird, und das sind ja nur fünf. Die müssen das also auch nacheinander machen. Außerdem ist die Konstituierung nichts anderes als die Feststellung, die Begrüßung durch den Präsiden- ten und die Feststellung, dass man sich auf einen Ausschussvorsitzenden und einen Stellvertretenden Ausschussvorsitzenden geeinigt hat, und dann hat der Ausschussvor- sitzende das Wort. Und ich kann mir eigentlich kaum vorstellen, dass morgen schon dort Ausschussarbeit geleistet werden kann oder soll. Dies ist der Themenkreis Aus- schussbesetzung. Ihr seht aus der Tatsache, dass sich die Anzahl der Ausschüsse, und dies war ja nicht immer ganz klar, nicht verändert hat, dass sich die Größenordnungen nur in dem Rahmen verändert haben, den ich vor kurzem hier vortragen konnte, dass sich die sehr hart geäußerten Wünsche der CDU/CSU nicht durchgesetzt haben und dass wir sie abwehren konnten, was ja in einem andern Fall für uns zu einer sehr schweren Belastung geführt hätte. Wir haben am Freitag, auch für diejenigen, die nicht mehr dabei waren, die Beschlüsse ja dann einvernehmlich im Plenum gefasst. Die zweite Frage, die zur Verhandlung anstand und die uns nun über Wochen beschäf- tigt hat und die ebenfalls sehr schwierig war, auch in der Vergangenheit ist es nie leicht gewesen, war die Vergabe der Ausschussvorsitze an die Fraktionen, und hier habt ihr ebenfalls ein Papier vor euch liegen, aus dem ihr den materiellen Inhalt der erzielten Einigung ersehen könnt. Aber bitte erlaubt mir, dass ich dazu noch ein paar Worte sage. Im Verlauf der Diskussionen gab es so gut wie keinen Ausschuss, von dem wir nicht geglaubt hätten, dass er eine Priorität für uns darstellte. Dass wir bei 19 Ausschüs- sen aber nur neun bekommen können, das können wir auch durch unsere Mehrheit nicht verändern, und ihr alle wisst da. Es [war] also eine Verteilung 9 zu 9 zu 1 vorzu- nehmen, wobei ich noch diese etwas makabre Geschichte noch einmal erwähnen muss, hätten wir uns auf 18 geeinigt, wäre nach diesem Proportionalsystem die Verteilung 8 zu 8 zu 2 herausgekommen, und ich rechne es unserem Koalitionspartner, der FDP, hoch an, dass die Frage nicht dringlicher gestellt worden ist, warum haben wir denn nicht nur 18 ständige Ausschüsse, denn dann hätte sich ja naturgemäß eine bessere Situation für die FDP ergeben. Die FDP hat dies nicht ernsthaft verfolgt, und das hat uns die Arbeit erleichtert. Aber dafür gab es einen Wunsch der FDP, der euch allen bekannt ist, nämlich den Vorsitz im Finanzausschuss zu haben, und es war eigentlich jedem, der sich mit der Materie etwas näher vertraut gemacht hat, alsbald klar, dass von unserer Warte aus alles verhindert werden musste, um zu dem berühmten Zugreifver- fahren zu kommen53. Im Zugreifverfahren wäre es nicht möglich gewesen, Notwen- digkeiten, die die Fraktion mit Sicherheit übereinstimmend sieht, auch sicherzustellen, denn wir saßen hier am kürzeren Hebel.

53 Zugreifverfahren gab es dann, wenn im Ältestenrat keine Übereinkunft über die Verteilung der Ausschussvorsitze erzielt wurde. Jede Fraktion hatte bei diesem Verfahren in der Reihenfolge, die vom zuvor gewählten mathematischen Berechnungsverfahren vorgegeben wurde, die Möglichkeit, auf einen Ausschussvorsitz »zuzugreifen«, der noch frei war und den sie haben wollte.

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Es wurde in den Verhandlungen bald klar, dass zum Beispiel die CDU/CSU nicht den Haushaltsausschuss gegriffen hätte, sondern es darauf hätte ankommen lassen, dass wir ihn gegriffen hätten, um dann zu sagen, zum ersten Mal in der Geschichte des Bun- destages hat die Opposition nicht Haushaltsausschuss bekommen. Dies in der Addition mit dem Wunsch des Koalitionspartners gab wirklich eine deutliche Präferenz für den Versuch, eine Einigung herbeizuführen. Dies muss ich vorwegschicken, damit jeder- mann klar wird, dass wir hier nicht einfach ganz frisch, fromm, fröhlich, frei vorgehen konnten, sondern dass wir hier sehr sorgfältig taktieren mussten. Dies ist nun das Er- gebnis, und das Ergebnis wird sicherlich durch die Fraktionen bewertet werden. Ich darf hier vortragen, dass der Fraktionsvorstand dieses Ergebnis in seiner gestrigen Sit- zung gebilligt hat und dieses Ergebnis der Fraktion zur Annahme empfiehlt. Ich möch- te in diesem Zusammenhang zugleich noch etwas vortragen, ist, glaube ich, auch verteilt worden, aber es soll noch einmal vorgelesen werden. Der Vorstand unterbreitet der Fraktion auch einen Vorschlag für die personelle Besetzung. In den Ausschüssen, die wir durch die Vergabe erhalten haben, sind dies in der Reihenfolge: Beim Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung der Genosse Hans de With, beim Innenausschuss der Genosse Fritz Schäfer, beim Ausschuss für Ernährung, Landwirt- schaft und Forsten der Genosse Martin Schmidt (Gellersen), bei Arbeit und Soziales der Genosse Ernst Schellenberg, beim Verteidigungsausschuss der Genosse Schmidt (Würgendorf), für Jugend, Familie und Gesundheit der Genosse Rudi Hauck, beim Ausschuss für Verkehr der Genosse Börner, beim Ausschuss für Forschung und Tech- nologie und für das Post- und Fernmeldewesen der Genosse Lohmar und beim Aus- schuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit der Genosse Brück. Wir haben des Weiteren neun stellvertretende Vorsitzende zu stellen, und hier bitte ich auch, eine Vorbemerkung machen zu dürfen. Die ganze Sache war etwas schwierig dadurch, dass wir bestimmte Vorstellungen hatten und dass man hier ja nicht einfach austauschen kann, denn die FDP hat einen Ausschuss, und wir mussten dann, weil das vice versa nicht hinzukriegen war, der FDP einen stellvertretenden Ausschussvorsitz aus unserem Tableau überlassen, damit das Verhältnis 9 – 9 – 1 wieder hinkam. Dies hat sich erst heute im Laufe des Tages ergeben, sodass ich das nicht mehr mitverteilen konnte, und ich darf hier vorlesen, wie es nun aussieht. Die CDU/CSU erhält in allen Ausschüssen, die auf unserer Seite stehen, den stellvertretenden Vorsitz. Wir erhalten in allen Ausschüssen der CDU/CSU und dem der FDP zugefallenen Ausschuss Finanzen den stellvertretenden Vorsitz mit der Ausnahme, das ist ein ausgehandeltes, einver- nehmlich hergestelltes Ergebnis, des Sportausschusses. Hier ist unser Koalitionspartner bereit, den Stellvertretenden Ausschussvorsitz zu übernehmen. Es war zunächst vom Vorstand her der Genosse Friedel Schirmer hierfür vorgesehen. Ich habe mich mit ihm darüber unterhalten, und er hat erklärt, dass er damit einverstanden sei, und ich hoffe, dass dies so in Ordnung geht. Zu den Genossen, zu den Namen stellvertretende Vorsitzende ist Folgendes zu bemer- ken. Beim Petitionsausschuss gibt es nun wohl eine Präferenz nach einer Besprechung, die stattgefunden hat unter den vorgesehenen Mitgliedern des Petitionsausschusses, und wie mir im Laufe des Nachmittags mitgeteilt worden ist, soll dort der Genosse Hansen stellvertretender Vorsitzender werden. Für den Auswärtigen Ausschuss schlägt der Vorstand den Genossen Mattick vor. Sportausschuss hatte ich erwähnt. Für den Rechtsausschuss den Genossen Günther Metzger, für den Haushaltsausschuss den Genossen Karl Haehser, für den Wirtschaftsausschuss den Genossen Ehrenberg, für den Ausschuss Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, auch wohl in der Gruppe untereinander abgesprochen, den Genossen Schwedler, im Ausschuss für innerdeutsche Beziehungen den Genossen Egon Höhmann, im Ausschuss für Bildung und Wissen-

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schaft den Genossen Rolf Meinecke und im Finanzausschuss den Genossen . Ich muss noch hinzufügen, es wird in dieser Legislaturperiode nur ein Sonderausschuss gebildet. Dieser Sonderausschuss fällt uns zu, Vorsitzender – Vorschlag des Vorstandes – der Genosse Adolf Müller-Emmert. Außerdem ist es eine feste Verabredung mit der CDU/CSU und auch der FDP, dass der Rechtsausschuss einen Unterausschuss bildet für Ehe- und Familienrechtsreform. Darüber haben wir hier bereits diskutiert. Ein erster Unterausschuss eines Ausschusses fällt uns zu. Hier Vorschlag des Vorstandes der Genosse Jürgen Schmude. Und natürlich gehen wir auch davon aus, ich bin eben danach gefragt worden, dass wie in der Vergangenheit der Haushaltsausschuss wieder einen Rechnungsprüfungsausschuss bildet, und wie ich erfahren habe, gibt es in dem Bereich in der Arbeitsgruppe eine Einigung auf den Genossen Alwin Kulawig. Dies ist das gesamte Tableau, wie wir es heute der Fraktion vorstellen können, und ich möchte hier meine Berichterstattung abschließen. Sicherlich gibt’s zum einen oder anderen noch Ergänzungen in der Darstellung. Danke schön. Wehner: Danke. Wer wünscht das Wort? Werden andere Vorschläge gemacht? Was die Vorschläge betrifft, die auf jener alphabetischen Liste stehen, hat Schulte gesagt, dass die unmittelbar für Änderungswünsche, soweit diese die Zahl unserer Mitglieder und Qualität unserer Mehrheit nicht kaputtmachen würden, zur Verfügung steht, damit man im Laufe der Zeit der Ausschussarbeit diesen Änderungen gerecht wird. Was die Ausschussvorsitze betrifft und die jetzt auch mündlich gegebenen für stellver- tretende Ausschussvorsitzende, müsste heute entschieden werden, wenn morgen die Konstituierung vorgenommen werden soll. Eine andere Frage ist, dass die Fraktion sich dann in der kommenden Woche über die Arbeitskreisvorsitze und die Obleute in den Ausschüssen dort, wo das nicht identisch sein soll mit etwa dem stellvertretenden Aus- schussvorsitz klarwerden muss. Darüber ist gestern nur erst eine erste Erörterungsrun- de im Fraktionsvorstand gehalten worden, ohne dass man zu Vorschlägen kommen kann bei einer noch nicht geklärten Besetzung der Ausschussvorsitze und der Stellver- treter. Wer wünscht dazu noch das Wort? Wenn keine Vorschläge kommen, Genossen, dann muss ich bitten, dass wir die Zustimmung oder die Ablehnung oder die Enthaltung zu diesen Vorschlägen hier jetzt feststellen, und zwar einmal, was die Ausschussvorsitz- Zuteilung oder -Zuschlag betrifft, zum andern, ja, was uns zufällt. {…} und dann, was die Stellvertreter betrifft. Ich stelle fest, mit dem sogenannten Tableau in Bezug auf die Ausschüsse, die neun, die einen sozialdemokratischen Vorsitz haben, wird dies akzep- tiert oder gibt es dafür Änderungsvorschläge? Dann bitte ich ums Handzeichen derer, die es akzeptieren. Danke. Gegenteilige Meinung? Stimmenenthaltungen? Dann hätten wir darüber zu befinden, ob hier noch geredet werden soll über Einzelvor- schläge betreffend die Vorsitzenden, die hier aufgezeichnet sind. Wird dazu das Wort gewünscht? Änderungsvorschläge? Werden keine Änderungsvorschläge, dann bitte ich, wenn Einverständnis ist, über sie alle abstimmen, darüber auch festzustellen, ob dies überwiegend oder nicht überwiegend Zustimmung findet. Diejenigen, die dem zu- stimmen, bitte ich um das Handzeichen. Danke. Gegenteilige Meinungen? Stimment- haltungen? Entsprechend hätten wir uns zu entscheiden über die nach dieser Berichterstattung uns mit den stellvertretenden Vorsitzen zufallenden Ausschüsse. Gibt es da hinsichtlich der Personen andere Vorschläge als die hier Genannten? Wenn das nicht der Fall ist, bitte ich um das Handzeichen derer, die das akzeptieren. Danke. Die gegenteilige Meinung? Stimmenenthaltungen? Dann wäre das klar, und wir hätten nunmehr die Aufgabe, dass,

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soweit es an uns liegt, die Konstituierung der Ausschüsse so vor sich gehen kann, wie das notwendig ist, damit sie ihre Arbeit anfangen können, soweit ihnen etwas zugewie- sen oder soweit sie sich von der jeweiligen Regierungsseite, von der Regierungsseite her berichten lassen, um sich damit zu befassen. Dann wäre dieses also zunächst erledigt. Dann kommen die Schriftführer. Manfred Schulte hat das Wort. Schulte: Die Schriftführer links und rechts vom Präsidenten, ihr kennt sie inzwischen, müssen auch wieder benannt werden. Wir haben uns darauf geeinigt, mit 19 Schriftfüh- rern in dieser Legislaturperiode auszukommen. Verteilung: 9 – 9 – 1. Die Namen liegen euch vor. Wir bitten um Billigung des Vorschlages. Wehner: Hier wird gefragt, ob die alle zählen können, da müsste man natürlich – Schulte: Wir haben festgestellt, dass sie alle noch nach der algebraischen Methode und nicht nach Mengenlehre arbeiten. Wehner: Ich weiß das nicht. Ich meine, sonst müssten wir hier jeden einzelnen jetzt bitten, sich dazu zu erklären. Aber wenn die Fraktion darauf geneigt ist, gnädig zu verzichten. Gibt es andere Vorschläge? (Zwischenruf.) Eine neue Lesart. Werner Marquardt sagt, wir konnten nicht lesen. Zählen ja. Wenn hier keine anderen Vorschläge gemacht werden, bitte ich um Entscheidung derer, die der Liste zustimmen wollen. Ich bitte ums Handzeichen. Danke. Die gegenteilige Mei- nung? Stimmenthaltungen? Dann kommen wir zu dem Kapitel Ältestenrat. Manfred Schulte. Schulte: Auch der Ältestenrat muss wieder funktionsfähig werden. Die Größe ist in der Geschäftsordnung des Bundestages festgelegt. Überlegungen, eventuell dieses Gremium zu verkleinern, sind zumindest zurückgestellt worden. Wir haben bei 23 Mitgliedern elf zu stellen, Verhältnis 11 – 10 – 1. Wir bitten um Billigung dieses vom Vorstand ge- machten Vorschlages. (Zwischenruf.) Habe ich mich versprochen? Nein, 11 – 10 – 2. Wehner: Werden hier andere Vorschläge gemacht? Wenn keine anderen Vorschläge gemacht werden, bitte um das Handzeichen derer, die diesem Vorschlag von Collet und so weiter zustimmen. Danke. Gegenteilige Meinung? Dann kommen wir zum Punkt 10. Der Fraktionsvorstand hatte zur Aufgabe gestellt bekommen, der Fraktion einen Vorschlag zu unterbreiten bezüglich eines Beitrags aus dieser Fraktion für humanitäre Hilfe an Vietnam.54 Gestern hat der Fraktionsvorstand beschlossen, der Fraktion zu empfehlen, jedes Mitglied möge nach Kräften dazu beitra- gen, dass ein Betrag für humanitäre Hilfe an beide Teile von Vietnam gegeben werden kann. Der Fraktionsvorstand hatte Erkundigungen eingezogen, welche Organisationen Gewähr dafür böten, dass Mittel solcher Art tatsächlich für humanitäre Hilfe nach beiden Teilen geleitet werden. Nach der Meinung des Fraktionsvorstandes wäre das Deutsche Rote Kreuz, das in Verbindung mit dem Internationalen Roten Kreuz arbei- tet, in Anspruch zu nehmen. Der Fraktionsvorstand empfiehlt nicht, dass jedes Mit- glied so oder so viel D-Mark beisteuern solle, sondern stellt es den Mitgliedern anheim, je nach ihrer Situation und ihrem Willen zu diesem Gesamtbeitrag ihren, ihren Mög- lichkeiten entsprechend, beizutragen. Es ist geschätzt worden, dass solche Möglichkei- ten wohl etwa zwischen 250 und 600 Mark liegen würden. Es wird bei einem der Par-

54 Vgl. die SPD-Fraktionssitzung am 17. Januar 1973, SVP A, online.

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lamentarischen Geschäftsführer Gelegenheit gegeben, die persönliche Spende dort einzubringen und gegebenenfalls auch den Vermerk eintragen zu lassen bezüglich der Abzugsfähigkeit dieses Betrages. Das ist die Empfehlung, die ich nach dem Fraktions- vorstand zu geben habe. Das Wort hat Adolf Scheu. Scheu: Nicht direkt zur Frage der Beiträge der Fraktionsmitglieder, sondern zum Ge- samtproblem, das morgen in der Regierung verhandelt wird, möchte ich noch einen Vorschlag machen. Ich möchte aber das zurückstellen, bis diese Frage geklärt ist. Wehner: Was übrige Fragen betrifft, gestern hatte mich Eppler, der weg musste, ge- fragt, ob wir im Zusammenhang Tagesordnungspunkt, der dort heißt »humanitäre Hilfe« auch über andere als diese Spendenfrage sprechen würden, ihm geantwortet »nein«, und über andere Sachen, wenn möglich, sollte dann heute, das ist aber eine Sache des Kabinetts, ich habe gehört, das werden die morgen behandeln, würde jeden- falls hier zur Verfügung stehen. Hier geht es zunächst nur um das und das andere dann erörtern, das heißt, wenn es gewünscht wird. Wer wünscht zu dieser Spendenfrage? (Zwischenruf: Vahlberg!) Wer? (Zwischenruf: Vahlberg!) Genosse Vahlberg. Vahlberg: Ich nehme das erste Mal das Wort in der Fraktion, möchte mich kurz vor- stellen. Ich heiße Jürgen Vahlberg, komme aus München. Genossinnen und Genossen, ich möchte nicht auf die angegebene Höhe des Betrages eingehen, sondern an einen Punkt anknüpfen der Diskussion, die wir hier geführt haben das vorletzte Mal, vorletz- te Fraktionssitzung. Fred Zander hat damals gesagt, dass es wenig Sinn hätte, wenn die Fraktion Geldbeträge entrichten würde, ohne damit eine politische Aussage zu verbin- den, und wenn ich mich recht entsinne, so sind wir auch so verblieben, dass der Frakti- onsvorstand den Auftrag bekommen hat, eine entsprechende Erklärung vorzubereiten, die mit beigegeben werden kann, wenn wir hier zu finanziellen Leistungen finden. Ich meine, dass es auch tatsächlich nicht sinnvoll wäre, nur finanzielle Leistungen zu geben. Das vorletzte Mal sind Begriffe gefallen wie Ablass und Freikaufen. Ich meine, wir können es uns gegenüber der Öffentlichkeit nicht leisten, kommentarlos solch einen Betrag dem Roten Kreuz zur Verfügung zu stellen. Wir müssen damit eine politische Aussage verknüpfen. (Vereinzelter Beifall.) Wehner: Wer wünscht weiter das Wort? Wolfgang Schwabe! Schwabe: Ich möchte eine allgemeine Überlegung noch mit einfügen, dass ich zuhause in meinem Kreis, wo das DRK tätig ist, auch unter sozialdemokratischer Leitung, aber wo wir allerdings auch eine Arbeiterwohlfahrt haben, die dabei leider offenbar nicht eingespannt ist, was mir sympathischer wäre, dass wir uns zurückgehalten haben bis zum Ergebnis der heutigen Darstellung, dass ich aber auf alle Fälle gesagt habe, dass, wenn wir im Kreis eine Sammlung machen, ich mich insbesondere auch verpflichtet fühle, abgesehen von der selbstverständlichen Solidarität hier in der Fraktion, auch im Kreis deutlich zu machen, dass uns, die wir politisch tätig sind, bei einer Spende, bei einer gemeinsamen Spende, hier es auf keinen Fall erlaubt sein kann, zu passen etwa mit der Ausrede, ich hab’s woanders schon getan. Wehner: Was die Arbeiterwohlfahrt betrifft, so hatten wir uns vorher auch erkundigt und es gibt auch eine schriftliche Äußerung dazu, dass die Arbeiterwohlfahrt nicht, noch nicht jedenfalls, zu solchen Organisationen gehört, die in dieser Richtung mit Sicherheit Gespräche weiterbringen kann. Das hatten wir {…}, sondern wir hatten er-

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kundigt, durch wen kann man {…} sind wir dann auf diese Empfehlung Deutsches Rotes Kreuz gekommen. Rolf Meinecke! Meinecke (Hamburg): Genossinnen und Genossen, es ist bestätigend und einer Überle- gung wert, ob man mit dieser Spende der Sozialdemokratischen Bundestagsfraktion eine politische Aussage verbindet, und man muss darüber tatsächlich einige Minuten nachdenken. Die Situation allerdings hat sich seit dem damals von mir hier etwas spon- tan gemachten Vorschlag – und für das, was wir daran an misslichen Bemerkungen in [der] Presse eingehandelt haben, habe ich mich im Fraktionsvorstand entschuldigt –, aber die Situation hat sich in diesen 14 Tagen, und das war auch vorauszusehen, geän- dert. Fred Zanders Bedenken kamen auch wohl daher, dass zu diesem Problem und der Haltung der Bundesregierung und ihrer Bereitschaft, auf diesem Gebiet neu humanitäre Hilfe zu gestalten und die finanziellen Mittel aufzuwenden, wobei es diesmal eben nach den Aussagen der Bundesregierung darauf ankam, im Gegensatz zu den vergangenen sieben Jahren, seitdem das erfolgt ist, ausschließlich für das sogenannte Südvietnam, für beide Teile Vietnams etwas zu tun, die Fraktion nicht vorprellen sollte vor der Regie- rungserklärung. Ich glaube, dass die Aussagen des Bundeskanzlers, die Aussagen in der Regierungserklärung und die Diskussionen und die Bekräftigungen von Abgeordneten aller Fraktionen, aber insbesondere von unseren Genossen in der Regierungserklärung ausreichen, um festzustellen, dass diese Fraktion dem Aufruf des Deutschen Roten Kreuzes, durch ihren Präsidenten im Fernsehen an die ganze Bevölkerung ergangen, sehr schnell und rasch gefolgt ist und dass sie natürlich mit diesen humanitären Hilfs- maßnahmen große Hoffnungen und Wünsche an die Erringung friedlicher Zustände in diesem Land knüpft. Und ich glaube, bei dieser Erklärung sollte man es dann, um nicht jetzt wieder ins falsche Licht gesetzt zu werden, bewenden lassen. Wehner: Herta Däubler. Däubler-Gmelin: Genossen, ich glaube nicht, dass man dem folgen sollte, was der Rolf Meinecke grade sagte. Ich meine, die SPD-Fraktion hat hier ein bisschen mehr die Ver- pflichtung, eine politische Erklärung abzugeben. Ich möchte mich deshalb dem an- schließen, was der Genosse Vorredner vor dem Genossen Meinecke sagte. Ich habe mal eine Bitte, könnten wir nicht bis zur nächsten Fraktionssitzung eine kleine Redaktions- konferenz einsetzen aus drei, vier Mann, die hier eine politische Erklärung vorbereitet. Ich bin nämlich der Auffassung, dass wenn wir nur alle selber für uns humanitär spen- den wollen, dann können wir das auch als Einzelperson tun, dazu brauchen wir nicht den Weg über die Fraktion zu gehen. Danke. Wehner: Das braucht man auch nicht. Nur – hier hat es im Bundestag eine Erklärung des Bundeskanzlers, die eine Bitte und eine Art Aufruf einschloss, gegeben. Dies ist im Protokoll nachzulesen. Wenn wir jetzt der Meinung sein sollten, wir werden das zu- sätzlich durch eine politische Erklärung mit einer besonders hohen Spende beantwor- ten, ist dem ja nichts entgegenzustellen. Ich bitte nur um eins, die Sache mit dem Ablass nun endlich aus dem Spiel zu lassen und auch die Sache aus dem Spiel zu lassen, man könnte ja wohl auch anders spenden! Das tun manche sogar und man rechnet es nicht gegenseitig auf. Hier waren wir im Bundestag Zeugen und Adressaten einer Erklärung, die der Bundeskanzler abgegeben hat. Und jetzt ist meine einzige Frage die, abgesehen davon, dass, was immer gut sein kann, eine Redaktionskommission gewählt und diese etwas verfasst, ob wir unabhängig davon, bis die damit fertig wird, und wir brauchen ja vorher das Geld nicht weiterzugeben, damit man ganz genau wird, ob wir vorher der Meinung sind, dass diesem Beschluss, das heißt, der Fraktion zu empfehlen, den der Fraktionsvorstand mir aufgetragen hat, hier zu berichten, ausdrücklich auch mit der Erklärung, wir erwarten nicht, dass die Fraktion beschließt, sie gäbe etwas oder gäbe so

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und so viel, ob dem nicht stattgegeben werden kann. Wenn es andere Gründe gibt, bin ich auch damit einverstanden, dann muss man das feststellen. Wer wünscht weiter das Wort? Hermann Spillecke. Spillecke: Genossinnen und Genossen, ich will nur einen Satz dazu sagen. Mir reicht es vollkommen, wenn der Fraktionsvorsitzende nach Eingang der Spenden aller Mitglie- der der Fraktion mitteilen kann der Öffentlichkeit, die Sozialdemokratische Bundes- tagsfraktion hat aus ihrem humanitären Selbstverständnis heraus gemeint, sie müsse etwas Besonderes tun. Lasst das sein mit Redaktionspapieren und lasst es sein mit ent- sprechenden politischen Erklärungen. Hier kommt es ausschließlich auf das humanitäre Motiv an und sonst gar nichts! (Beifall.) Wehner: Philipp Seibert. Seibert: Ich unterstütze den Vorschlag von Herbert Wehner, auch die Art, wie wir eine Spende machen können, in der Form, doch halte ich eine politische Aussage für über- flüssig, nachdem wir eine politische Aussage bereits haben, und ich kann mir nicht vorstellen, dass all diejenigen, die jetzt spenden in der Bundesrepublik, eine politische Aussage dazu machen wollen. Wir sollten daher grade im Hinblick auf den Betrag, der hier zusammenkommt, hier sollte man auf eine politische Aussage verzichten und sich lediglich der humanitären Aktion damit stillschweigend anschließen. Wehner: Horst Krockert. Krockert: Ich kann diese letzte Auffassung nicht teilen. Wir sind die sozialdemokrati- sche Bundestagsfraktion und nicht einer von den vielen, die in dieser Zeit nun auch spenden aus humanitären Gründen. Im Übrigen können wir nicht davon absehen, dass wir unter Bezugnahme auf die Tatsache, dass hier rein humanitäre Motive vorliegen, nun doch eine Auseinandersetzung hinter uns liegt, wo die Frage, ob wir uns äußern oder nicht, damals von uns durch das Schweigen negativ beantwortet, nun aber irgend- wie noch eine Antwort erfahren muss. Herbert Wehner hat darauf hingewiesen, dass der Kanzler eine Erklärung abgegeben hat. Dies ist richtig. Wenn etwa die Spende eine Antwort darauf sein soll, dann kann ich mir gut vorstellen, dass auch eine damit ver- bundene Erklärung der Fraktion als Antwort dafür in Frage kommt. Dies muss gar keine Konkurrenz zum Kanzler sein. Auf der anderen Seite sehe ich nicht ganz ein, dass mit seiner Erklärung das Problem für uns bereits erledigt sei. Wehner: Wird also jetzt beantragt – bitte, Sieglerschmidt! Sieglerschmidt: Genossinnen und Genossen, inzwischen hat der Parteivorstand eine Erklärung abgegeben. Ich weiß nicht, was die Fraktion darüber hinaus erklären soll. Wehner: Günter Wichert. Wichert: Ich habe eine Frage. In welcher Höhe gedenkt denn die Bundesregierung ihre Vietnamhilfe im Haushalt anzusetzen? Gibt es darüber schon – (Zwischenrufe.) Wehner: Genossinnen und Genossen, ich bitte darum, dass wir das danach behandeln. Ich denke doch nicht, dass wir das, was wir, ob mit oder ohne zusätzliche Erklärung, zu spenden bereit sind, abhängig [machen] können oder wollen von den Summen, die die Regierung (Beifall.) mit den Steuermitteln geben wird. Darüber habe ich gebeten, dass uns Eppler bezie- hungsweise andere auch noch, wenn das dort aus Ressortgründen notwendig ist, dann die entsprechenden Ausführungen geben. Gut – nicht hier in der Fraktion, und es geht

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ja nur darum, wenn das notwendig ist, sie zu machen, dass wir [uns] nicht jetzt, son- dern anschließend an die Erledigung dieses Punktes machen. Ich hatte nicht das Recht und nicht den Auftrag vom Fraktionsvorstand her zu ersuchen, die Fraktion möge beschließen, dass jeder eine Spende gibt, sondern ich hatte das Recht und die Pflicht zu erklären, der Fraktionsvorstand hat beschlossen, der Fraktion zu empfehlen, und wenn jetzt ein Antrag aus der Fraktion kommt und der die Unterstützung findet, dass außer- dem oder überhaupt oder vielleicht nur unter der Bedingung, dass eine Erklärung von der Fraktion ausgegeben, sich mit dem Thema beschäftigt, dann muss man darüber entscheiden. Was die Erklärung betrifft. Ich hoffe nicht, dass man darüber entscheidet, ob hier beschlossen werden soll, ob überhaupt eine Spende oder nicht. Es [ist] jenen unbenommen, die sie nicht geben wollen, oder denen, die sie sehr viel höher geben wollen, es so oder so zu halten. Das wollte der Fraktionsvorstand mit diesem seinem gestrigen Beschluss, war kein Beschluss Mehrheit – Minderheit, sondern ein ausdrück- licher Beschluss. Wird also beantragt, dass hier eine Erklärung formuliert werden soll, dann bitte ich um das Handzeichen derer, die das unterstützen. Danke. Die gegenteilige Meinung? Das war die Mehrheit. Ich setze voraus, dass, ob oder ob nicht eine Erklä- rung, jedenfalls die Tatsache, dass diejenigen, die sich an einer Spende beteiligen wollen, daran nicht gehindert sind durch irgendetwas. Das war der Sinn dieses Vorschlags, und es wird dann hier mitgeteilt werden, bei welchem Parlamentarischen Geschäftsführer diese Beträge abgegeben oder aufgezeichnet werden können. Nun zu einem anderen Punkt. ! Eppler: Genossinnen und Genossen, die Schwierigkeit liegt darin, dass die Bereitschaft zu spenden im humanitären Bereich sehr groß ist, der Bedarf aber, vor allem wenn einige Monate vorbei sind, in der eigentlichen Entwicklungshilfe wesentlich größer sein wird als in der humanitären Hilfe, die ja vor allem die unmittelbaren Kriegsfolgen im Auge hat, also Versehrtenbetreuung, Flüchtlingsbetreuung und Ähnliches. Wir gehen also in der Bundesregierung davon aus, dass die humanitäre Hilfe überwiegend über Spenden geleistet wird. Es gibt da verschiedene Schätzungen von Organisationen, die auf ziemlich hohe Spenden hoffen. Bisher ist im Bundeshaushalt für humanitäre Hilfe Südvietnam, das hat also damit noch nichts zu tun, zehn Millionen eingesetzt. Es sollen morgen weitere 30 Millionen für beide Teile Vietnams, das heißt für ganz Indochina, beschlossen werden. Die Schwierigkeit liegt technisch darin, wo sind Ansatzpunkte etwa in Nordvietnam für das Leisten solcher Hilfe. Deshalb werden diese 30 Millionen zum größeren Teil über die Vereinten Nationen geleitet, die diese Ansatzpunkte haben, zum andern Teil über nationale Organisationen, die ebenfalls solche Ansatzpunkte auch in Nordvietnam haben. Der nächste Punkt ist die Entwicklungshilfe. Wir müssen da mit wesentlich größeren Summen vom Bund aus einsteigen. Ich gehe aus von einer Summe, die mindestens das Dreifache dieser 30 Millionen ausmacht, und hier liegt nun die Schwierigkeit darin, dass, wenn man Entwicklungshilfe leisten will, etwa in Nordvietnam, dies nicht gut über die UNO einfach geht, da kann man vielleicht einen Teil machen, sondern dass man dazu direkte Ansatzpunkte, also wohl auch diplomatische Beziehungen haben muss. Nun ist das so schwierig nicht, wie es aussieht, denn seit Hans-Jürgen Wischnewski einen Grundsatz aufgestellt hat für die deutsche Entwicklungshilfe, an dem wir festhalten, nämlich dass man Entwicklungshilfe nur leisten kann, wo nicht geschossen wird, denn sonst funktioniert das einfach nicht. Da gehen die Projekte nicht. Seither ist es auch klar, dass wir Entwicklungshilfe in Nordvietnam nur leisten können in dem Augenblick, wo wirklich Friede herrscht, in dem Augenblick, wo aber der Friede da ist, scheinen wir auch nach Rücksprache mit dem Auswärtigen Amt die diplomatischen Beziehungen keinen unüberwindlichen Hindernissen zu begegnen. Das

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heißt, wir wissen sehr wohl, dass man humanitäre Hilfe ohne Beziehungen machen kann, über UNO, über Organisationen, Entwicklungshilfe im großen Maßstab nicht. Meinecke (Hamburg): Ich glaube, man soll der Bundesregierung sehr dankbar sein, dass sie sehr schnell bereit ist, hier bestimmte Entscheidungen zu fällen, sowohl bezüg- lich einer aktuellen humanitären Hilfe wie auch im Hinblick auf eine sehr langfristige Entwicklungshilfe. Bei den ganzen Problemen, die damit zusammenhängen, und bei den Möglichkeiten, auch im Parlament hierzu mit zu beraten, mit zu sprechen, haben wir immer wieder festgestellt in diesen letzten sieben Jahren, gab damals im vorletzten Bundestag den Ausschuss Vietnam-Hilfe, es gab dann den Ausschuss Biafra-Hilfe, der hier gegründet wurde, und wir haben im letzten Bundestag beide Unterausschüsse zusammengeführt als einen Unterausschuss Humanitäre Hilfe, haben wir festgestellt, dass diese klassische Einteilung und die Trennung, die Erhard Eppler eben geschildert hat, der aktuellen humanitären Hilfe im Anschluss an naturgemachte oder menschge- machte Katastrophen und die Projekte in der Entwicklungshilfe nicht so klassisch in der praktischen Politik zu trennen sind, weil das Leben eben anders ist. Und da gibt es ein breites Spektrum von Hilfsmaßnahmen, die sind weder eben rein humanitäre noch sind es klassische Objekte der Entwicklungshilfe. Ich will das hier jetzt gar nicht näher ausführen, aber kann als Anekdote, kann es auch mit einem Satz sagen, wir haben da- mals, und Erhard, du warst da mit in diesem Unterausschuss damals, doch wohl ein halbes Jahr gekämpft und gerungen, um der Bundesregierung damals auszureden, als humanitäre Hilfe die Müllabfuhr in Saigon zu übernehmen. Nur, um mal zu sehen, welche absurden Vorstellungen man denn auch so entwickeln kann in diesem Zusam- menhang, und ich wollte nur an die Bundesregierung, aber auch an die Genossen in den Arbeitskreisen, hier die Anregung weitergeben, dass wir bei den künftigen Bewilligun- gen der Summen, bei dem ins Auge fassen der finanziellen Dimensionen, und das wer- den dann wohl noch ganz erhebliche Dimensionen werden, dann bald auch darange- hen, die parlamentarische Mitberatung hier zu sichern und dass man dann vielleicht im Auswärtigen Ausschuss und vorher im Arbeitskreis in der Fraktion alsbald, das muss nicht sofort sein, im Gegenteil, man soll vielleicht sehr rasch diesen Beschluss der Bun- desregierung erst mal verwirklichen, aber die parlamentarische Mitberatung in einem solchen Unterausschuss Humanitäre Hilfe dann für die Zukunft und die nächsten Jahre gewährleistet. Wehner: Adolf Scheu! Scheu: Genossinnen und Genossen, ich bin auf einem ganz andern Weg wie Erhard Eppler zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen. Jeder, der Spendenaktionen kennt, weiß, dass diese nach wenigen Monaten auslaufen, wenn die größte menschliche Not irgendwo beseitigt ist. Und ich habe mir einen Gedanken gemacht, wie man auf eine gute Weise Entwicklungshilfe einmal nicht nur vom Haushalt heraus machen könnte und die Sache popularisieren könnte, und zwar der Gedanke der Nothilfe Berlin, die Nothilfe Berlin von 1949 bis 1956 mit der bekannten Zwei-Pfennig-Briefmarke, zu einer Nothilfe Vietnam neu aufzunehmen. Ich habe inzwischen festgestellt, dass diese kleine Briefmarke, nicht die anderen steuerlichen Aktionen bei der Nothilfe Berlin, damals in Summe in etwa sieben Jahren über 400 Millionen Mark gebracht haben. Wenn wir das beschränken würden, so wie damals, auf Briefe und Postkarten im In- land, würde der Betrag pro Jahr heute weit mehr sein als damals, wo er 50 bis 60 Mil- lionen betragen hat. Man sollte das nicht abtun damit, dass man sagt, die Postgebühren sind an sich schon hoch genug. Diese zwei Pfennig hätten mit Postgebühren überhaupt nichts zu tun, sondern würden Nothilfe Vietnam heißen und könnten nicht mit der Post insofern identifiziert werden und mit Gebühren. Es wäre eine völlig soziale Maß-

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nahme. Der, der nur fünf oder zehn Briefe im Monat schreibt, zahlt also für diese Briefe nur zusätzlich zehn oder 20 Pfennig. Die Industrie würde nicht belastet davon. Die Wirtschaft könnte sich nicht beschweren, weil Drucksachen und Werbedrucksachen auch damals ausgenommen waren, sondern nur Briefe und Postkarten. Ich würde also doch dringend empfehlen, sich einmal diese alten Zahlen, ich habe sie im Einzelnen hier, anzusehen und zu überlegen, ob das nicht eine großartige Sache wäre, ohne Haus- haltsbelastung, ohne Mittel des Haushalts eine zusätzliche Entwicklungshilfe für drei Jahre zu machen und dafür ein Gesetz vorzubereiten. Wehner: Eugen Glombig. Glombig: Genossinnen und Genossen, ich möchte eine Anregung für die Mitglieder der Bundesregierung, vor allem an Erhard Eppler geben. Wir wissen aus eigenen bitte- ren Erfahrungen, aus den Folgen der beiden Weltkriege, dass unter den Massennot- ständen solcher Kriege vor allem der Massennotstand der Kriegsopfer besonders gra- vierend ist, weil neben der materiellen Notlage auch die körperliche Notlage hinzu- kommt. Ich möchte darum bitten, dass der Erfahrungsschatz, der leider oder Gott sei Dank erworben worden ist in diesem Lande, bei der Eingliederung von Behinderten besonders diesem gequälten Land Vietnam als Ganzes zukommt, und dass vor allem diese Hilfe den behinderten Kindern, die durch Kriegseinwirkung zu ihrer Behinde- rung gekommen sind, besonders zukommt. (Beifall.) Wehner: In diesem Zusammenhang erwähne ich nur, dass Alex Möller mir die Ablich- tung eines Schreibens heute gegeben hat, die von der Stiftung Rehabilitation in dieser Frage an den Bundeskanzler gerichtet worden ist, wo das Kuratorium, dem also Alex Möller als Präsident vorsteht, sich in dieser Beziehung auch gerührt hat. Aber das woll- te ich nur erwähnt haben. Hans-Jürgen Wischnewski! Wischnewski: Liebe Genossinnen und Genossen, erst eine Bemerkung an den Genos- sen Scheu wegen der Briefmarken. Ich bitte Folgendes dabei zu berücksichtigen. Wir haben in der Bundesrepublik Wohlfahrtsmarken. Die Beträge dafür gehen an die Wohl- fahrtsverbände, insbesondere auch an diejenigen, die bereit sind, sich in Vietnam zu engagieren. Es gibt seit dem vergangenen Jahr eine erhebliche Differenz zwischen den Wohlfahrtsorganisationen und den Sportorganisationen wegen der Olympiamarken, weil die Wohlfahrtsorganisationen meinen, dort ist ihnen zu viel weggenommen wor- den. Ich habe also die Bitte, dass man das mit in die Überlegungen einbezieht und ent- sprechend behutsam vor sich geht. Und nun, das sage ich auch deshalb, weil ich glaube, dass wir nicht genauso verfahren sollten wie in der Berlinfrage, (Vereinzelter Beifall.) und nun eine Frage grundsätzlicher Natur. Ich stimme mit Erhard Eppler, mit Rolf Meinecke überein, aber ich möchte auch einen Rat geben morgen für die Kabinettsberatung. Wir kennen eigentlich die humanitäre Hilfe und die Entwicklungshilfe. Wenn man aber die Situation genau analysiert in Vi- etnam, dann weiß man, dass es diesmal zwischen diesen beiden Dingen noch etwas Anderes geben muss – und ich meine, die Bundesregierung sollte sich auf diesem Ge- biet ganz besonders engagieren. Das ist, ich will es mal mit dem Arbeitstitel nennen, die Beseitigung von Kriegsschäden. Dabei geht es in einem Bauernland, und Vietnam ist ein Bauernland, insbesondere um zwei Probleme: Das erste ist das möglichst schnelle Be- mühen, die Landwirtschaft wieder in Ordnung zu bringen. Dabei sind zwei Aufgaben zu lösen. Die erste, im großen Umfange technische Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, um überhaupt zerbombtes Land wieder landwirtschaftlich nutzbar zu machen,

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das heißt, es müssen technische Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden, in sehr kurzer Zeit, die in der Lage sind, größere Erdbewegungen vorzunehmen. Das Zweite ist die Zurverfügungstellung von Kunstdüngern. Auch auf diesem Gebiet wäre die Bundesregierung mit Sicherheit in der Lage, sehr schnell zu helfen. Ich mache diese beiden Angaben, weil ich mich in der Zwischenzeit bemüht habe, einiges über die Si- tuation in Nordvietnam zu erfahren. Und das Andere ist die Wiederherstellung der Transportwege. Diese beiden Gebiete sind weder humanitäre Hilfe noch Entwick- lungshilfe, wie wir sie im üblichen Sinne durch die Erstellung von Projekten kennen. Ich glaube, dass diesen jetzt in der nächsten Phase ganz besondere Bedeutung beige- messen werden muss, neben der humanitären Hilfe selbstverständlich, wie sie hier an- gesprochen ist, und ich wäre dankbar, wenn in Bezug auf die beiden Fragen die Bun- desregierung dem ganz besondere Aufmerksamkeit widmen würde. Wehner: Adolf Scheu. Scheu: Ich will sagen, dass ich sehr enttäuscht darüber bin, dass die Fraktion zu dem Gedanken offenbar durch nicht genügendes Mitdenken keine Stellung genommen hat. (Unruhe. Zwischenrufe) Das kann man schnell, wohl was ablehnen. Wenn ein anderer sich aber Gedanken ge- macht hat, eingehende Gedanken und die Dinge untersucht hat. Es ist einfach kein Argument, dass das Notopfer Berlin nun eine einmalige Sache bleiben sollte und dass womöglich dann für alle möglichen anderen und ähnliche Notfälle wieder so etwas gemacht werden soll. Vietnam ist etwas so Außerordentliches und etwas so Außerge- wöhnliches, dass es gar keinen Vergleich mit irgendwelchen anderen Notständen aus- hält. Darüber sollten wir uns doch eigentlich einig sein, und wenn da der Gedanke aufkommt, dass man durch eine Möglichkeit, mit einem Zwei-Pfennig-Märkchen, min- destens im Jahr dieselbe Summe, wahrscheinlich das Doppelte, nämlich 50 bis 60 Mil- lionen Mark, so wie in den Jahren ’48 bis ’56, zusammenzubringen, dann sollte man das doch nicht so einfach vom Tisch wischen mit der Bemerkung, man sollte das Notopfer Berlin nicht wiederholen. Das Notopfer Vietnam wäre wirklich eine großartige Sache, die zusätzlich und ohne Haushaltsmittel und ohne auslaufende Spendenaktionen in drei, vier, fünf Monaten drei Jahre laufen könnte, wenn man das wagen würde. Wehner: Erhard Eppler. Eppler: Ich bin Eugen Glombig vor allem dankbar für seine Anregung. Wir denken schon in ähnlicher Richtung wie er. Zu Adolf Scheu: Wir machen uns in meinem Ministerium auch Gedanken darüber, wie man in nächster Zeit das private Engagement auf diesem ganzen Gebiet stärker zum Tragen bringen kann. Aber ich halte mich für völlig inkompetent, jetzt darüber zu urteilen, ob dies in dieser Form, Adolf, möglich ist. Es könnte ja sein, dass die Sekretä- rin, die das da draufkleben muss, dass das Gehalt für diese Sekretärin wahrscheinlich teurer ist als diese Zwei-Pfennig-Marken, die da geklebt werden. Ich würde also doch drum bitten, dass wir die Frage, wie man so etwas macht, dann doch noch miteinander besprechen. Das, was Hans-Jürgen gesagt hat, ist bereits in unserem Programm drin. Obwohl dies nicht klassische Entwicklungshilfe ist, wollen wir es als Entwicklungshilfe machen, zusätzlich dazu das ganze Thema der Wiederaufforstung, das eines der wich- tigsten in Vietnam sein wird. Wehner: Dietrich Sperling. Sperling: Ich meine, Adolf Scheu hat recht, wenn er sagt, dass man über seinen Gedan- ken noch mal nachdenkt, weil es in der Tat drauf ankommt, zusätzliche Mittel zu mo- bilisieren. Ich halte die Zwei-Pfennig-Marken deswegen für unmöglich, weil man die

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nur über Pflicht kriegen könnte, und ich sehe noch nicht die Briefträger, die also das Nachporto erheben können. Wir machen damit unsere Briefträger – , (Zwischenruf.) na ja, aber seither haben sich die Gehälter der Briefträger erhöht, und die müssten also für {…} aufkommen. Ich möchte im Anschluss an Adolf Scheu die Leute, die für die Post verantwortlich sind, bitten zu erwägen, ob man nicht einen Satz Vietnamhilfe druckt und darin eine möglichst teure Sammlermarke mit kleiner Auflage hat. Die bringt dann was. (Zwischenrufe.) Wehner: Wird weiter das Wort gewünscht? Ich hoffe, dass in Verbindung mit dem Kabinett {…} wir hier eine Gelegenheit haben, in den einschlägigen Arbeitskreisen, und zwar so, dass man das auch möglichst quer macht und nicht nur in dem einen das, was man politisch zu sagen hat, in dem andern, wie es mit den Finanzen steht, dass man das dann hier auch einmal mit einigen der Vorschläge, von denen einige hier heute ange- klungen sind, konkret diskutieren kann. Sehr schnell also. Ich rufe auf Punkt 11, . Timm: Genossinnen und Genossen, ihr habt am Freitag letzter Woche in euren Fä- chern die Tagungsfolge für den Rest des Jahres gefunden. Ich weiß, dass es kein Ideal- plan ist, aber es war das Bestmögliche unter festgegebenen Daten, mit denen wir zu rechnen hatten. Einmal die Kalenderdaten. In diesem Jahr liegt Pfingsten ganz spät, Juni, 10./11. Juni. Dann war ein anderes gegebenes Datum bereits die Vorankündigung bis Mai, die ihr ja schon kanntet. Das konnten wir also um die Osterpause nicht mehr ändern. Ein weiteres ist unsere politische Absicht gewesen, nämlich in diesem Jahr den Haushalt auf jeden Fall vor der Sommerpause zu verabschieden, und das war der Hauptpunkt, denn in Rücksprache mit den Leuten des Haushaltausschusses in all den Fragen der Drucklegung, der Beratungszeit, die notwendig ist, hat sich herausgestellt, dass wir unbedingt eine Sitzungswoche nach Pfingsten brauchen. Wir haben mal ge- dacht, wir könnten mit den Pfingstferien sozusagen die Sommerpause beginnen lassen, das geht also nicht. Jetzt war die Frage, wie – und da ist also das etwas Ungewöhnliche herausgekommen, dass es praktisch für uns keine Pfingstferien gibt, sondern dass wir unmittelbar nach Pfingsten eine halbe Woche und dann noch einmal eine halbe Woche, dann kommt der Fronleichnamstag mitten in die Woche hinein, tagen werden zur Ver- abschiedung zweite, dritte Lesung Haushalt. Das heißt, die Sommerpause beginnt dann mit dem 21. Juno bis 12. September. Damit ist auch in etwa diesem anderen fixen Da- tum, das ist der Sommerferienbeginn der Kinder, der Schulkinder, Rechnung getragen, vom 15. Juno bis 12. September, Bayern schließt ab mit 12. September. Genossen, jetzt noch eine kleine Änderung, die sich inzwischen ergeben hat, und das betrifft die Okto- berwoche. Ja, CDU-Parteitag ist also inzwischen festgelegt vom 7. bis 10., sodass wir diese beiden Wochen, 7. bis 10. Oktober und darauf folgende Woche einfach umtau- schen, die erste wird eine sitzungsfreie Woche, die darauffolgende wird eine Tagungs- woche. So etwas Ähnliches kann sich eventuell noch einmal im November ergeben, wenn die Daten für den FDP-Parteitag fest vorliegen, aber dann würde es auch nur ein Austausch Tagungswoche – sitzungsfrei werden. Wehner: Danke. Wird das Wort dazu gewünscht? Nicht der Fall. Wer wünscht das Wort zu Verschiedenem? Schulte: Genossinnen und Genossen, ich bin noch ein paarmal gefragt worden, ob es dabei bleibt, dass die Konstituierung der Ausschüsse morgen 16.30 Uhr, genauer gesagt ab 16.30 Uhr, erfolgt. Es gibt keine andere Information. Wir gehen davon aus und blei-

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ben bei diesem Termin, ab 16.30 Uhr, das heißt eine halbe Stunde nach Beendigung der Fragestunde Konstituierung der Ausschüsse. Plenum übermorgen, Beginn 9 Uhr.

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