Leben mit dem Hochwasser Ausgewählte Hochwasserereignisse des 20. Jahrhunderts im Tiroler

von Irene Maria Meier

1 Einleitung 1.1 Ziele und methodische Vorgehensweise Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, das Leben der Lechtaler Bevölkerung in Zusammenhang mit dem „Wild- Mag. Irene Maria Mei- fluss“ und der damit verbundenen Naturgefahr er stammt aus dem Außer- Hochwasser zu sehen. Dazu dient ein Vergleich ausge- fern und hat sich mit dem wählter Hochwasserereignisse, welche diverse Lechver- Verhalten des angeblich bauungsprogramme vor und während des 20. Jahrhun- letzten Wildflusses Europas derts zur Folge hatten. Ein Schwerpunkt dieser Arbeit beschäftigt. Ähnliche Natur- liegt darin, den Wandel im Umgang mit der Naturgefahr ereignisse zählen seit weni- gen Jahren in ganz Europa Hochwasser im Tiroler Lechtal zu verdeutlichen, wobei zu den brisanten Fragen, die die Beschreibung eines aktuellen Schutzprogrammes über das Jahr des Wassers im Rahmen eines EU-Projektes (LIFE-Natur: Wildfluss- hinaus reichen. landschaft Tiroler Lech) als Beispiel für die gegenwär- tige Entwicklung dient. Um einen Einblick in die Thematik der Diplomarbeit zu ermöglichen beinhaltet dieser Aufsatz folgende Schwerpunkte: Der erste Teil dieser Arbeit umfasst allgemeine Informationen zu Lebensraum Lech- tal und Wildfluss Lech, welche die Grundlage für weitere Betrachtungen bilden. Anschließend wird auf die Hochwasserproblematik im Tiroler Lechtal eingegangen und dazu das Hochwasserereigniss von 1999 als aktuelles Beispiel hervorgehoben. Der Vergleich von vier ausgewählten Hochwasserereignissen des 20. Jahrhunderts im Rahmen der Diplomarbeit führte zur Darstellung spezieller Wetterkonstellationen und Großwetterlagen, die bei entsprechend ungünstigen Rahmenbedingungen Auslöser für extreme Hochwassererscheinungen im Tiroler Lechtal sind. Im abschließenden Teil dieser Arbeit wird erläutert, wie die Bevölkerung des Lechtales mit der Naturgefahr Hochwasser umgeht und welche Schutzmaßnahmen im Zuge der rund hundert Jahre alten Lechbauprojekte getroffen wurden. Weiters wird ein alter- natives Lechbauprojekt vorgestellt, das seit dem Ereignis von 1999 mit baulichen Maßnahmen verfolgt wird und im Gegensatz zu den bisherigen Lechbauprogrammen einen natürlichen und nachhaltigen Hochwasserschutz zum Ziel hat. 5 Beiträge Innsbrucker Jahresbericht 2001/02

2 Der Lech - größter und reichster „Grundbesitzer“ des Tales 2.1 Lage des Untersuchungsgebietes Das Lechtal kann allgemein als jene durch fluviale und glaziale Prozesse entstan- dene Talform verstanden werden, in der der Lech rezent fließt und die aus der Talaue, den würm- und postglazialen Terrassen, sowie den begleitenden Talhängen besteht (vgl. Bürger 1991 S. 33). Im Nordwesten Tirols erstreckt sich das Tiroler Lechtal von der Landes-grenze zu bei Warth bis zur etwa 80 Kilometer nordöstlich gelegenen Staatsgrenze zur Bundesrepublik Deutsch-land bzw. dem Freistaat Bayern. Geographisch betrach- tet wird als Lechtal das gesamte alpine Einzugsgebiet und Teile des ausseralpinen Einzugsgebietes des Lech bezeichnet, historisch allerdings gehen diese Bezeichnun- gen weit auseinander. Das Kerngebiet des Lech mit seinen Bewohnern, der Lechtaler Bevölkerung, umfasst dabei nur den Talabschnitt zwischen der Lechklamm bei Prenten bis zur Talverengung bei . Als Grundlage für die weiteren Ausführungen soll als Tiroler Lechtal die Region verstanden werden, die sich vom Ursprung des Lech am Formarinsee bis zum Lechfall oder Magnustritt bei Füssen erstreckt und somit mit dem Begriff Einzugsgebiet gleichgesetzt werden kann. Dazu gehören auch die Sei- tentäler, deren Wildbäche wichtige Geschiebelieferanten des Hauptflusses sind.

Abb. 1: Lech bei – Hochwasser 1999 (Foto: Lipp 1999) 6 Hochwasser Lechtal

In Folge der mehrfachen eiszeitlichen Vergletscherung, in den letzten 1,5 Milli- onen Jahren (Pleistozän), entwickelte sich der Flussraum des Lech und sein Ein- zugsgebiet am Nordabhang der Alpen, ähnlich wie andere alpine Flüsse (z.B. Isar, Inn, etc.) zu einer dynamischen alpinen Wildflusslandschaft. Da aber das Lech- gebiet im Tiroler Raum nicht in vergleichbarem Maße anthropogen überprägt wur- de, wie die Flusssysteme von Isar oder Inn, ist der Lech heute eines der letzten Beispiele einer naturnahen Flusslandschaft in Mitteleuropa. Das Lechtal liegt in den Nördlichen Kalkalpen, die ausschließlich aus kalk- alpinen Schichten aufgebaut werden und komplizierte strukturgeologischen Verhält- nisse aufweisen. Aus diesen komplexen Schichtfolgen, den klimatischen Verhältnis- sen und den vielfältigen Abtragsformen ergeben sich die für das Lechtal typischen geomorphologischen und hydrogeologischen Erscheinungsformen. Sedimentgesteine aus dem Mesozoikum, vor allem der Trias, des Jura und der Kreidezeit bauen die Lechtaler Alpen im unmittelbaren Bereich des Lechtals auf. Zu den ältesten Fest- gesteinen zählen der alpine Bundsandstein, rötliche und grünliche Schiefer und Rau- wacken aus dem älteren Trias. 2.2 Flusscharakteristik Der Lech entspringt nahe des Formarinsees in Vorarlberg auf etwa 1880 m über NN. Anich verzeichnete diesen Ort in seiner Karte von Tirol ebenso wie Huber 1770 in der von Vorarlberg „als Wasserlauf im Hintergrund des Zugtales oberhalb der Mün- dung des Markbaches auf der Alpe Formarin“ (vgl. Stolz 1936, S. 47). Eine Quelle des Lech gibt es nicht, man könnte entweder die Quelle des Formarin- bzw. des Markbaches angeben oder die Stelle, an der sich die beiden vereinigen. Ein direkter Abfluss des Formarinsees zum Lech existiert aber nicht. Der Lech bildet sich aus dem Zusammenfluss einiger Rinnsale, die über die Alpe Formarin fließen (siehe Abb. 2) und schließlich einen Bergbach entwickeln. Diese Wasser folgen dem Weg durch enge Schluchten, überqueren bei Warth die Grenze nach Tirol und durchfließen bis Steeg eine enge Klamm, bis sie erneut besiedeltes Gebiet erreichen. An dieser Stelle weitet sich der Talboden nahe der Kaiserbachmündung und das Tal öffnet sich auf eine Breite von ca. 500 m. In Folge lassen sich drei verschiedene Landschaftsräume unterscheiden, die nacheinander auftreten: ein Längstal zwischen Steeg und Häselgehr, in dem der Lech fast ausschließlich im anstehenden Gestein fließt, eine etwas engere Durchbruchs- strecke zwischen Häselgehr und Weißenbach, die von breiten Schotterflächen besonders an den Mündungsbereichen des Bschlaberbaches, Hornbaches und Schwarzwasser- baches gekennzeichnet ist und zuletzt die Beckenreihe von , die erneut breite Umlagerungsstrecken aufweist. Geomorphologisch lässt sich der Lech somit zum Teil als gestreckter Fluss, im überwiegenden Maße jedoch als verzweigter Fluss klassifizieren (vgl. Scheuermann und Karl 1990, S. 27; Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft 1996, S. 33). 7 Beiträge Innsbrucker Jahresbericht 2001/02

2.3 Einzugsgebiet Der Lech ist einer der größten rechtsseitigen Zuflüsse der oberen Donau und entwässert zwischen der Iller im Westen, dem Inn im Süden und der Isar im Osten ein Gebiet von ca. 3900 km². Er durchfließt dabei von der Quelle (Vorarlberg) bis zur Mündung in die Donau (östlich von Donauwörth) eine Strecke von 255 km (vgl. Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft 1996, S. 3). Zwischen Prenten (bei Steeg) und Weißhaus (Staatsgrenze) beträgt die Höhen- differenz rund 330 m auf einer Strecke von 61 Kilometern, was ein natürliches Gefäl- le von 6,3 ‰ bei Steeg und 3,6 ‰ bei Weißhaus ergibt (vgl. Amt der Tiroler Landes- regierung - Bundeswasserbauverwaltung 1978, S. 10). Vom Ursprung bis zur österreichischen Staatsgrenze beträgt das Einzugsgebiet 1405,9 km², die restlichen T! liegen auf deutschem Staatsgebiet. Zwischen Steeg und Weißenbach nimmt die Ein- zugsgebietsgröße langsam zu, erst der Rotlech, der Archbach und die Vils als größte Lechzubringer lassen die Fläche des Einzugsgebiets deutlich rascher ansteigen. Der Talboden des Lech von Steeg bis zur Staatsgrenze weist eine Fläche von rund 100 km² auf, die Talbreite schwankt zwischen 300 m (Steeg) und 4-5 km (Reutte) (vgl. Amt der Tiroler Landesregierung - Bundeswasserbauverwaltung 1978, S. 20).

Abb. 2: „Die Wiege des Lech“ auf der Alpe „Formarin“ (Quelle: Miller F. R. und R. Reile 1990, S. 11) 8 Hochwasser Lechtal

2.4 Abflussverhalten Das Abflussgeschehen am Lech wird durch seine Lage am Nordrand der Alpen und die dafür charakteristischen hohen Niederschlagsmengen (Nordstaulagen) vor allem im Frühjahr und in den Sommermonaten, sowie die temperaturbedingte langan- haltende Schneebedeckung geprägt. Während des Frühjahrs kommt es im Lechtal regelmäßig zu Hochwasserabflüssen, besonders dann, wenn eine Regenperiode über längere Zeit andauert und der warme Regen bei relativ hohen Temperaturen bis in hohe Lagen vordringt. Das Abschmelzen der restlichen Schneevorräte in den Seiten- tälern wird dadurch begünstigt, und es kommt zu Spitzenabflüssen, die innerhalb kürzester Zeit hohe Wasserstände verursachen und durch die Größe und den aktuel- len Stand der Einzugsgebiete (Vegetationsperiode, Vorbenetzung, ...) bedrohliche Aus- maße annehmen können. In den Sommermonaten können Gewitterregen kurzfristige Niederschlagsspitzen auslösen, die Hochwasserwellen nach sich ziehen, die aber bei Beruhigung der allgemeinen Wettersituation relativ rasch wieder abklingen. Die Win- termonate sind im allgemeinen von Niedrigwasserperioden gekennzeichnet, da der Niederschlag in geringeren Mengen und vorwiegend als Schnee fällt. Neben der Häufigkeit und Intensität der Niederschläge, hängt das Abflussverhalten von der Ausbildung der Böden und der Vegetationsdecke, aber noch entscheidender vom Gesteinsuntergrund ab (Naturraumpotential des Einzugsgebietes). Infolge weit- reichender Verkarstung fließt ein Großteil des Wassers unterirdisch ab, wie dies bei sehr durchlässigen Wettersteinkalkschichten der Fall ist. Die Allgäuschichten enthal- ten im Gegensatz dazu wasserstauende Gesteine und die Lockergesteine sind je nach Ablagerungsbedingungen, Schwankungen in Bezug auf Wasserdurchlässigkeit unter- worfen (vgl. Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft 1996, S. 17). Zur genauen Erhebung des Abflusses (Durchfluss in einem Gerinnequerschnitt) aus einem Einzugsgebiet bedarf es ständiger Beobachtungen des aktuellen Wasser- standes, um für den jeweiligen Querschnitt Abflussmengen errechnen zu können, die zur Ermittlung von Wasserstands-Durchfluss-Beziehungen herangezogen werden kön- nen (vgl. Amt der Tiroler Landesregierung Abtl. VIh. Wasserwirtschaft 1994, S. 1). Deshalb dienen vor allem langjährig geprüfte Aufzeichnungen an verschiedenen Pe- geln mit unterschiedlich großen Einzugsgebieten als Vergleichswerte. Am Lech sind derartige Vergleiche schwierig, da wenig Datenmaterial über einen längeren Zeitraum von unterschiedlichen Pegeln vorhanden ist. Im Lechtal gab es zwar im Laufe dieses Jahrhunderts mehrere Pegelstellen, die regelmäßig abgelesen und deren Wasserstände aufgezeichnet wurden, meist hatte man aber die Werte in unterschiedlichen Perioden erfasst, was zu wenig vergleichbaren Aufzeich- nungen führte. Zum Teil wurden einige Pegel im Laufe der Zeit aufgelassen (Bsp. Grießau, Klimm, Unterhöf, ), weil sie entweder durch die starke Geschiebe- führung oder nur durch den Betrieb eines Lattenpegels unsichere bis unbrauchbare Abflusswerte lieferten oder durch hohe Wasserstände und Frühjahrshochwässer be- 9 Beiträge Innsbrucker Jahresbericht 2001/02 einträchtigt wurden. Verlässliche Angaben lieferte vor allem der Pegel Steeg, der durch seine günstige Lage, 3 km von der Schluchtstrecke zwischen Warth und Prenten entfernt, den Zufluss ins Tiroler Lechtal wiedergibt. An dieser Stelle beträgt die Fläche des Einzugsgebietes 247,9 km². Die nachfolgende Tabelle 1 zeigt die wichtigsten Pegelstellen (vom Ursprung bis zur Staatsgrenze) und die Größen der jeweiligen Einzugsgebiete im Lechtal.

Pegelnullpunkt Pegel Gewässer [m ü.A.] Einzugsgebiet [km²] Lech Zürsbach 1455,00 23,4 Lech Lech 1437,48 82,5 Steeg Lech 1109,29 241,7 Hornbach 957,31 64,0 Rieden Rotlech 882,90 85,9 Lechaschau Lech 836,09 1012,0 Vils-Lände Vils 802,95 199,3

Tab.1: Pegelstellen im Tiroler Lechtal (Quelle: Amt der Tiroler Landesregierung Abtl. VIh. Wasserwirtschaft 1994, S. 6)

2.5 Gerinnegeometrie und Bettgestaltung (Feststoffe, Feststoffherde und Geschiebe- haushalt) Im Rahmen der Bettbildungsprozesse ist ein Fluss bestrebt, ein Gleichgewichts- profil herzustellen, d. h. dass er durch Erosions- und Akkumulationsprozesse über seine gesamte Laufstrecke versucht, Gefällsunterschiede auszugleichen. Der Lech strebte nach dem Abschmelzen des Würmeises auch einem derartigen Gleichgewichtszustand mit ausgeglichener Feststoffbilanz entgegen, indem er versuchte, sich einen Weg durch die mächtigen Ablagerungen zu schaffen, die durch das Ab- schmelzen der Gletscher und den darauffolgenden Transport großer Schottermengen ins Tal entstanden sind. Wie die Terrassenstufen des Talbodens zeigen, ist die Sohle in der Folgezeit stufenweise tiefer gelegt worden. Als natürliche Geschiebefracht wird jene Geschiebemenge bezeichnet, die in einen Fluss sowohl von seinen Zubringern zum Weitertransport (Geschiebetrieb) einge- bracht, als auch vom Fluss selbst durch Tiefen-, bzw. Seitenerosion mobilisiert wird (vgl. Amt der Tiroler Landesregierung - Bundeswasserbauverwaltung 1978, S. 46-47). Sieht man von dem im Zuge der Eintiefung sehr ergiebigen Geschiebeherd „Lech- sohle“ ab, dann stammen die Feststoffe aus den Seitenbächen (Wildbächen) des 10 Hochwasser Lechtal

Lechtales. Durch eine hohe Reliefenergie und Verwitterungsintensität (z.B. durch den Wechsel von Frost– und Auftauvorgängen) im Einzugsgebiet, verbunden mit dem beachtlichen Niederschlags-aufkommen gelangen Lockermaterial unterschied- licher Korngröße und Schwebstoffe in die zahlreichen Lechzubringer. Die Geschiebefracht des Lech ist erheblichen Schwankungen unterlegen (teilweise bedingt durch Verbauungsmaßnahmen). In Füssen errechnete Ertl 1950 (vgl. Ertl 1950 in Weiss 1984, S. 29) eine mittlere jährliche Geschiebefracht von 140.000 m³/a, welche später allerdings von Bauer 1979 (vgl. Bauer 1979 in Weiss 1984, S. 29) auf maximal 110.000 m³/a reduziert wurde. Im Rahmen der Lechtalstudie beschäftigte man sich erneut mit der Frage der jährlichen mittleren Geschiebefracht, die durch die Lechzubringer in den Lech transportiert werden. Klenkhart (2000, S. 203) kam dabei zum Ergebnis, dass durchschnittlich von den Tiroler Seitenbächen des Lech (es wur- den dabei 37 Wildbacheinzugsgebiete untersucht, mit Ausnahme der Vils) 170.000 m³ Geschiebe eingebracht werden. Dabei stamme der Hauptanteil aus „feingrusigen, offenen Hangschuttflächen (Hauptdolomit) bzw. Schwemm- und Murkegeln, die sich aus diesem Material gebildet haben“. Ebenso wie die Geschiebefracht wird auch der Schwebstoffgehalt des Lech seit 1924 an einer Messstelle bei Füssen erhoben. Nach Angaben des Bayerischen Landesamtes für Wasserwirtschaft beträgt die mittlere jährli- che Schwebstofffracht, gemessen im Zeitraum 1924-79 230.000 m³. Davon wird ein erheblicher Teil (60 %) vom Forggensee zurückgehalten (vgl. Weiss 1984, S. 28-31). Die mittlere Schwebstofffracht der Periode 1924-1990 beträgt gerundet 310.000 m³, wobei ein maximaler Messwert 1970 mit rund 970.000 m³ und ein minimaler im Jahr 1947 mit rund 49.000 m³ Schweb- fracht aufgetreten sind. Die Jährliche beiden Extremwerte zeigen, wie Einzugsgebiet Geschiebefracht erheblich die Schwankungsbreite (m³) der Schwebfracht im Lechgebiet Kaiserbach bei Steeg 7.000 sein kann. Daraus ergeben sich Alperschonbach bei Bach 14.000 Probleme für die zuständige Bau- Griesbach und Bernhardsbach 16.000 leitung, weil sie entsprechende bei Maßnahmen setzen muss, die Otterbach 17.000 den großen Schwankungsbreiten Weißenbach 11.500 annähernd angepasst sind (vgl. Amt der Tiroler Landesregierung Vils, Einzugsgebiet: 199,4 km² 15.000 - Institut für Wasserbau, Univer- sität Innsbruck 1990, S. 10). Tab. 2: Jährliche Geschiebefrachten einiger wich- tiger Geschiebelieferanten aus den Seiten- Entscheidend für die Fest- tälern. (Quelle: Amt der Tiroler Landesre- stoffverfrachtung sind unter ande- gierung - Institut für Wasserbau, Universi- rem „regulierungsbedingte Ver- tät Innsbruck 1990, S. 10). 11 Beiträge Innsbrucker Jahresbericht 2001/02

änderungen der Gerinnegeometrie, der längerfristige Rückhalt von Geschiebemengen in den Geschiebestausperren der Seitentäler und die gewerbliche Entnahme von Geschiebe größeren Umfangs, sowie Stauhaltungen samt Ausleitungen von Abflüs- sen“ (vgl. Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft 1996, S. 33). Eintiefungen des Flussbetts bei Laufeinengung wurden im Lechtal hauptsächlich durch oben ge- nannte Gründe und die daraus folgenden Feststoffdefizite beobachtet. Nach Verlan- dung der Rückhaltesperren entspannte sich jedoch die Situation entsprechend, weil der Geschiebeeintrag wieder nahezu ungestört verläuft. Als Ergänzung zeigt Tab. 2 die jährlichen Geschiebefrachten einiger wichtiger Geschiebelieferanten aus den Seitentälern. 3 Hochwassersituation im Tiroler Lechtal Hochwasser ist am Lech ein natürliches Phänomen, das bei gegebenen Rahmen- bedingungen, wie Schneeschmelze im Frühjahr und Frühsommer oder Wassersättigung der Böden durch vorangegangene Niederschlagsereignisse bei gleichzeitigem hefti- gem Niederschlagsaufkommen auftritt. Für das Lechgebiet typisch ist aber auch das rasche Ansteigen der Pegelstände bei sommerlichen Gewittern mit hoher Niederschlags- menge und -intensität in Form von Regen und Hagel. In diesem Fall gehen die hohen Wasserstände relativ rasch nach Ende des Niederschlagsereignisses zurück und pen- deln sich wieder auf die für die jeweilige Zeit durchschnittlichen Pegelstände ein. Diese immer wiederkehrenden natürlichen Ereignisse, mit denen die Lechtaler Be- völkerung umzugehen weiß, können aber auch gefährlichere Dimensionen annehmen, wenn beispielsweise die Schneeschmelze relativ rasch durch eine Wärmeperiode im Frühjahr einsetzt, und gleichzeitig die Schneefallgrenze in höhere Lagen (2000-3000 m ü. A.) ansteigt (z. B. wurde im Mai 1999 am Reuttener Hahnenkamm die Winter- schneedecke von über 200 cm zu Monatsbeginn bis zum Monatsende vollständig abgebaut; vgl. Amt der Tiroler Landesregierung Abtl. VIc. Hydrographischer Dienst 2001). Die Schneemengen, die in den Lechtaler Seitentälern im Frühjahr immer noch sehr beträchtlich sein können (Staulage am Alpennordrand) schmelzen innerhalb kür- zester Zeit ab und führen zum stetigen Ansteigen der Lechtaler Pegel durch die Wasser- mengen der wildwasserführenden Seitenbäche. Die Folgen derartiger Hochwasser sind Sachschäden an Gebäuden und Schutzbauten, die vor allem während der letz- ten 120 Jahre am Lech errichtet worden sind. 3.1 Hochwasser Himmelfahrt und Pfingsten 1999 (11.-12. und 20.-22. Mai) Weitreichende Flächen im Einzugsgebiet der Donau und des Bodensees waren im Mai 1999 von einem „Jahrhunderthochwasser“ betroffen, ausgelöst durch langan- haltende starke Niederschläge und eine vorangegangene bzw. gleichzeitige Schnee- schmelze bis in Höhen von 2500 m ü. A. (vgl. Fuchs, Rapp, Rudolf 1999, S. 26). 12 Hochwasser Lechtal

Erdrutsche, Muren und Überschwemmungen verursachten in Süddeutschland, Öster- reich und der Schweiz Schäden in Milliardenhöhe. Zu den die Hochwasserereignisse steuernden Faktoren zählten vor allem auch große Schnee-vorräte in den Alpen, die auf Niederschlagsereignisse des vorangegan- genen Februars zurückgingen. Bereits während dieser Zeit akkumulierten sich über- durchschnittlich hohe Wassermengen in der mächtigen Schneedecke, die innerhalb weniger Tage gebietsweise um mehrere Meter anstieg (z. B.: : 17.-24. 02. 1999, Zunahme der Schneedecke 160 cm). Aus dieser Situation entwickelte sich hohe Lawinengefahr im Alpenraum, die unter anderem zur Lawinenkatastrophe in Galtür (23.02.1999) führte. Das allgemeine Niederschlagsgeschehen beruhigte sich im März und erreichte durchwegs normale Werte. Im April stieg die Niederschlags- tätigkeit erneut an und führte zur Wassersättigung der Böden, die gleichzeitig mit dem hohen Wasservorrat der Schneedecke eine Voraussetzung für Hochwasser im Falle eintretender starker Niederschläge waren (vgl. Fuchs, Rapp, Rudolf 1999, S. 27).

Wettersituation und Großwetterlage Der Mai 1999 war tirolweit um 1-2 °C zu warm und zu feucht und im westlichen Nordalpenraum sehr niederschlagsreich, sodass die Wasserführung vor allem in Nordtirol bis zu 100% über dem Monatsmittelwert lag. Zu Monatsbeginn kennzeich- nete sehr wechselhaftes Wetter das Witterungsgeschehen. Nach der ersten Maiwoche steuerte ein kräftiges Tief westlich der Britischen Inseln aus Südwest ein Störungs- system gegen die Alpen, welches erhebliche Niederschlagsmengen verursachte. Das Tief zog am 9. und 10. Mai langsam gegen Ostdeutschland, woraufhin sich die allge- meine Witterung entspannte. An der Südseite des Tiefs verlief eine Kaltfront, die sich entlang des Alpennordrands ausdehnte und eine West-Ost verlaufende Regenzone aufbaute. Extreme Niederschlagsmengen bewirkten im westlichen Nordalpenraum (Außerfern, ) einen erheblichen Anstieg der Wasserstände. Es regnete bis in Höhenlagen um 2400 m ü.A., was die Schneeschmelze beschleunigte. Die Front blieb während dieser Periode nahezu ortsfest und die Niederschlagsgebiete zogen bis zum 15. Mai parallel zur Front ostwärts über den bayerischen Alpenraum. Schließlich drehte sich die Höhenströmung über Nordwest auf Nord und führte zu einer merkli- chen Abkühlung, Gewitter und Schauer hielten jedoch an. Wetterbesserung aufgrund von kurzfristigem Hochdruckeinfluss und Warmluftzu- fuhr aus dem Süden setzte erst gegen 18. Mai ein, aber bereits am 20. des Monats wanderte erneut ein Höhentief über Österreich hinweg. Eine langgezogenen Tiefdruck- rinne, die sich von der Adria bis zum nordöstlichen Deutschland erstreckte, führte auf ihrer Westseite kühle und feuchte Atlantikluft gegen die Alpen. In der Nacht vom 20. auf den 21. Mai kam in diese Tiefdruckrinne ein Teiltief aus Oberitalien hinzu und steuerte der Strömung feuchte und warme Mittelmeerluft entgegen. Diese feuchtwarme Meeresluft wurde in nördlicher Richtung über die kühle Atlantikluft gehoben, wo- 13 Beiträge Innsbrucker Jahresbericht 2001/02 durch ein über mehrere Tage anhaltendes ortsfestes Starkregenband über Süddeutsch- land im Staubereich der Nordalpen entstand. Diese Störungsdurchgänge aus Nord- west führten in Tirol und Vorarlberg erneut zu außergewöhnlich intensiven Nieder- schlägen mit Hochwasser im westlichen Nordtirol und dem anschließenden südbayerischen Raum. Am 23. Mai kam es nach dem Durchzug einer Kaltfront zu einer leichten Wetterberuhigung, wechselhaftes Wetter, begleitet von Schauern und Gewittern hielt jedoch bis zum Monatsende und Junibeginn an. Die Temperaturen stiegen während dieser Phase langsam an (vgl. Amt der Tiroler Landesregierung Abtl. VIc. Hydrographischer Dienst 2001, S. 1-2 (vorläufige Daten); Bundesamt für Wasser und Geologie. Landeshydrologie und -geologie 2000, S. 21-23; Fuchs, Rapp, Rudolf 1999, S. 28-34 und www.bayern.de/lfw/hnd/hw210599/titelseite.htm, S. 1).

Niederschlag und Abfluss Der Mai 1999 war im Tiroler Nordalpenraum ebenso wie der extrem schnee- und lawinenreiche Februar durch enorme Niederschlagsereignisse gekennzeichnet (siehe nachfolgende Tabelle). Dabei ereigneten sich die ergiebigsten Niederschläge (vgl. Tab. 3) im westlichen Nordalpenraum mit Zentrum Ausserfern, so wurden an meh- reren Messstellen im Stau der Allgäuer Alpen (Reuttener Hahnenkamm, Tannheim und - Tab. 4) bis zu 500 l/m² an Niederschlag gemessen (vgl. Amt der Tiroler Landesregierung Abtl. VIc. Hydrographischer Dienst 2001).

Monatssumme Monatssumme Station Niederschlag in mm Lufttemperatur in °C 276,1 keine Werte vorhanden Vorderhornbach 292,0 11,6 Forchach 334,6 keine Werte vorhanden Höfen-Oberhornberg 391,5 12,1

Tab. 3: Monatssummen von Niederschlag in mm und Lufttemperatur in °C ausge- wählter Stationen (Quelle: Amt der Tiroler Landesregierung Abtl. VIc. Hydro- graphischer Dienst 2001)

In abgeschwächter Form setzten sich die großen Regenmengen in östlicher Rich- tung entlang des nördlichen Alpenbogens fort und blieben auch im Tiroler Unterland ergiebig, während im südlich des Inn gelegenen Nordtirol zwischen Oberem Gericht und Kitzbüheler Alpen mit durchschnittlich weniger als 200 l/m² am wenigsten Niederschlag fiel. Der westliche Nordalpenraum und damit das Ausserfern war im Gegensatz zu den übrigen Regionen Tirols, wo das Niederschlagsmaximum eindeutig am 21. Mai lag und extreme Niederschlagswerte vorwiegend in dieser zweiten Periode ver- 14 Hochwasser Lechtal zeichnet wurden, von beiden erwähnten Niederschlagsperioden (11./12. Mai und 20.-22. Mai 1999) betroffen. Auch hier wurde das absolute Maximum am 21. Mai erreicht, bei dem an einigen Außerferner Messstellen bis zu 200 mm Niederschlag fielen ( 180 mm, Hahnenkamm bei Reutte 185 mm, Jungholz 191 mm, Reutte 212 mm - siehe folgende Tabelle).

Beobachteter größter Bisher größte Hn (mm) Tagesniederschlag Beobacht-- Monatssumme für Mai Messstelle am 21.5.99 ungsbeginn hn (mm) Datum hn/Jahr 1999 Gramais 93,8 91,2 19.01.1910 1865 240/1930 276,1 Boden 110,5 91,5 10.06.1965 1957 204/1965 282,4 126,0 117,3 02.08.1901 1900 260/1930 332,0 Forchach 135,6 104,0 20.01.1951 1895 256/1930 335,0 Reuttener 185,0 73,6 29.08.1995 1986 476,0 Hahnenkamm Reutte 212,5 131,5 10.06.1965 1895 286/1940 391,0 Tannheim 158,5 148,2 09.08.1970 1895 337/1964 479,0 Jungholz 190,6 78,3 14.02.1990 1980 215/1987 457,0

Tab. 4: Vergleich bisher größter gemessener Tagesniederschläge mit dem Niederschlag vom 21. Mai 1999 (Quelle: Amt der Tiroler Landesregierung Abtl. VIc. Hydro- graphischer Dienst 2001)

In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist, dass die Anzahl der Niederschlags- tage im Nordalpenraum nicht erheblich vom langjährigen Mittelwert abwich (100 - 110 %), hingegen die Niederschlagsmengen und die Intensität nahezu das Vierfache des Monatsmittelwertes erreichten (ersichtlich aus der nachfolgenden Tabelle 5). Aufgrund überdurchschnittlich hoher Niederschlagsmengen wurde im oberen Lechtal und im Einzugsgebiet der Vils durch die Störungsdurchgänge aus West auch eine deutliche Erhöhung der Abflüsse festgestellt. So wurde am oberen Lech im Bereich von Steeg während des ersten Hochwasserereignisses vom 12./13. Mai die höchsten Abflussspenden (siehe Tab. 6) seit Aufzeichnungsbeginn (im 19. Jahrhundert) regist- riert (vgl. Amt der Tiroler Landesregierung Abtl. VIc. Hydrographischer Dienst 2001). Lechabwärts entspannte sich die Hochwasserwelle und lag unter dem 50jährlichen Abflussereignis des Pegels von Steeg, da sich das Wasser in den breiteren Talbereichen und Umlagerungsstrecken ausdehnen konnte. Die Wasserstände gingen in der folgen- den Woche langsam zurück, aber die Böden blieben wassergesättigt, weil es immer wieder leicht regnete und nur selten aufhellte. Am Nachmittag des 21. Mai setzten erneut starke Regenfälle am nördlichen Alpenbogen ein, die wie bereits eine Woche 15 Beiträge Innsbrucker Jahresbericht 2001/02

Regionale Verteilung der Niederschläge in Prozent vom Monatsmittelwert 1981-1995 Außerfern entlang der Allgäuer Alpen und Tannheimer Berge bis 400 % Außerfern entlang der Lechtaler Alpen; Raum Fernpass, über 300 % Mieminger Plateau bis zum Inntal Vom Karwendel über das Rofan, Sonnwendgebirge bis zu den 220 - 270 % Chiemgauer Alpen und Kaisergebirge Paznaun, Oberinntal, Kaunertal, Pitztal, Ötztal bis 200 % Vom Wipptal über Tuxer Alpen, Zillertal und Kitzbüheler Alpen 140-170 % (bis Hochfilzen) Osttiroler Pustertal, oberes Lesachtal verbreitet 130-160 % Im Einzugsgebiet der Isel vom Felbertauern bis gegen Lienz 110-130 %

Tab. 5: Regionale Verteilung der Niederschläge in Prozent vom Monatsmittelwert 1981- 1995 (Quelle: Amt der Tiroler Landesregierung Abtl. VIc. Hydrographischer Dienst 2001) zuvor zu Hochwasserbildung an Lech und Vils führten. Dabei erreichten die Flüsse ihre Scheitelwerte in der Nacht zum 22. Mai. Die Hochwasserspitze am Lech Pegel Steeg entsprach einem 40jährlichen Hochwasserereignis und lag damit nur gering- fügig unter dem bereits eine Woche zuvor erreichten Wert (siehe Tab. 6 und 7). Der Abfluss am Pegel Lechaschau steigerte sich durch die hohen Abflussspenden der Lechzubringer aus den Seitentälern zwischen Steeg und Lechaschau auf ein 100jährliches Hochwasserereignis (Abb. 3) vergleichbar mit der Hochwassersituation von 1910, die jedoch weitaus größere Dimensionen erreichte. Gründe dafür waren, dass es damals keine ausreichenden Verbauungsmaßnahmen gab und dem Lech

Hochwasserabflüsse am 12. und 13. Mai 1999 Jähr- Pegel Gewässer E wirks Datum HQ Q lich- HHQ [m³/s] [km²] [m³/s] [l/s.km²] keit seit: 1951: 171 am Steeg Lech 241,7 12.05. 185 765 ~50 17.06.1993 Vorderhorn- Hornbach 64,0 12.05. 52,0 813 >10 1975: 57,4 am bach 17.06.1982 1971: 481 am Lechaschau Lech 931,0 12.05. 545 585 ~25 15.10.1981 1961: 200 am Vils Vils 198,1 13.05. 185 934 ~30 10.08.1970 Tab. 6: Hochwasserabflüsse am 12. und 13. Mai 1999 (Quelle: Amt der Tiroler Lan- desregierung Abtl. VIc. Hydrographischer Dienst 2001) 16 Hochwasser Lechtal

Hochwasserabflüsse am 21. und 22. Mai 1999 Jähr- Pegel Gewässer E wirks Datum HQ Q lich- HHQ [m³/s] [km²] [m³/s] [l/s.km²] keit seit: 1951: 185 am Steeg Lech 241,7 22.05. 179 741 ~40 12.05.1999 Vorderhorn- 1975: 57,4 am Hornbach 64,0 22.05. 63,0 984 ~20 bach 17.6.1982 1971: 545 am Lechaschau Lech 931,0 22.05. 814 874 ~100 12.05.1999 1961: 200 am Vils Vils 198,1 22.05. 310 1565 >100 10.08.1970 Tab. 7: Hochwasserabflüsse am 21. und 22. Mai 1999 (Quelle: Amt der Tiroler Lan- desregierung Abtl. VIc. Hydrographischer Dienst 2001)

Abb. 3: Abflussdarstellung - Lech Pegel Lechaschau - Mai 1999 (Abflusswerte vgl. Amt der Tiroler Landesregierung Abtl. VIc. Hydrographischer Dienst 2001) somit 1910 weitaus größere Flächen zur Ausuferung zur Verfügung standen. Außer- dem war der Lech zur damaligen Zeit noch nicht in gleichem Maße eingetieft wie 1999 und trat daher leichter über die Ufer. 3.2 Schaden - Hochwasser 1999 (11. - 12. und 20. - 22. Mai) Das Hochwasser von 1999 verursachte im ganzen Bezirk Reutte Schaden in mehrfacher Millionenhöhe (laut Angaben öffentlicher Stellen jenseits der 100 Mil- lionen Schilling-Grenze = 7,27 Millionen Euro). 17 Beiträge Innsbrucker Jahresbericht 2001/02

Neben den Lechanrainern waren vor allem Siedlungen in unmittelbarer Nähe von Wildbächen betroffen, da die anhaltenden Regenfälle bei gleichzeitiger Schnee- schmelze Muren auslösten. Gemeinden wie etwa Wängle und Höfen im Talkessel von Reutte, (Loisach) und (Lussbach) in Zwischentoren und das Planseegebiet einschließlich des Ammerwaldes waren davon am stärksten betrof- fen. Die Planseebundesstraße war daraufhin für einige Zeit nicht befahrbar, ebenso die Bahnverbindung zwischen Ehrwald und Garmisch Partenkirchen (Deutschland), weil zahlreiche Muren und Erdrutsche die genannten Verbindungen an mehreren Stellen verlegt hatten. Im Lechtal zwischen Steeg und Weißenbach gab es geringere Schäden zu verzeichnen, die hauptsächlich auf überflutete Keller zurückzuführen sind. Durch die Anhebung des Grundwasserspiegels kam es vereinzelt zur Überflu- tung der Augebiete, die zum Teil als Heimweiden genutzt werden. Im Bereich des Lech entstand an Uferverbauungen (Längsleitwerke, Buhnen, Uferdeckwerke, Uferanrisse) erheblicher Sachschaden, zum Teil wurden sogar Ufer- böschungen vom Lech mitgerissen. Diese Schäden konnten durch entsprechende bau- liche Maßnahmen, wie etwa durch Bruchsteinsicherung und die Instandsetzung be- schädigter Uferdeckwerke in den letzten Jahren behoben werden (mündl. Mitteilung Klien, Baubezirksamt Reutte). Am meisten vom Hochwasser betroffen waren die Gemeinden Lechaschau (Waidasiedlung), Reutte (Tränke und Unterlüß) und (Alte Straße, Kohlplatz) (Abb. 4). Schäden an Gebäuden konnten nicht verhindert werden, obwohl die Feuer- wehren des Reuttener Talkessels und benachbarter Gebiete mit ca. 2300 Mann in stundenlangem Dauereinsatz standen. Zum Teil wurden Dämme zum Schutz der Wohn- häuser errichtet. Auch Sportanlagen in Reutte (Tennisplätze) und Pflach (Sportheim, Fußballplatz und Tennisplätze) waren von Schlamm bedeckt und wurden verwüstet. Durch intensive Nutzung und hohe Inwertsetzung der lechnahen Gebiete, besonders durch die Ansiedlung von Gewerbebetrieben und Lagerflächen in die Nähe des Gefährdungsbereiches, kam es besonders in der Gemeinde Pflach (Abb. 5 und 6) zu derart hohen Schadenssummen (siehe nachfolgende Tabelle).

Abb. 4: Lech im Bereich der Lechaschauer Lechbrücke (22.05.99); überflutetes Grund- stück in Lechaschau Fotos: Werner Höck, Lechaschau 18 Hochwasser Lechtal

Hochwasser 1999 Schaden Gemeinde Pflach Schadenssumme in ATS und Euro beschädigte Häuser und Grundstücke 83.118.000,00 6.040.420,60 beschädigte Betriebe und Sportanlagen 26.660.000,00 1.937.457,80 beschädigte Verkehrs- und Versorgungsanlagen 6.435.677,78 467.698,94 Summe 116.213.677,78 8.445.577,34

Tab. 8: Schadenssumme Hochwasser 1999 in Pflach (aus: Kosten-Nutzen Rechnung, zur Verfügung gestellt von DI Wolfgang Klien, Baubezirksamt Reutte)

Abb. 5: Hochwasser Mai 1999 - Luftbild, Gemeinde Pflach, Blick Richtung Norden Foto: Innenministerium, zur Verfügung gestellt von DI Wolfgang Klien, Baubezirksamt Reutte

3.3 Ergebnisse der vergleichenden Betrachtung der Hochwasserereignisse von 1901, 1910, 1912 und 1999 In diesem Kapitel sollen jene meteorologischen Rahmenbedingungen verdeut- lichet werden, die durch den Vergleich der vier genannten Hochwasserereignisse (von denen in diesem Aufsatz nur das Ereignis von 1999 genauer vorgestellt wur- de) festgestellt werden konnte. Details zu den weiteren drei Ereignissen (1901, 1910, 1912) können der vollständigen Diplomarbeit entnommen werden. Folgende meteorologischen Bedingungen und Wetterkonstellationen können im Lechtal bei ungünstigen Rahmenbedingungen (z.B. Wassersättigung; wiederholte, bzw. 19 Beiträge Innsbrucker Jahresbericht 2001/02

Abb. 6: Hochwasser Mai 1999 - Luftbild, Gemeinde Pflach, Blick Richtung Westen Foto: Innenministerium, zur Verfügung gestellt von DI Wolfgang Klien, Baubezirksamt Reutte langandauernde Regenfälle; gefrorene Böden, etc.) zu erhöhter Hochwassergefahr führen und Extremereignisse auslösen (Grundlage für diese Aussagen bildet der detaillierte Vergleich der ausgewählten Extremereignisse). · Hoher Wasservorrat in Form einer überdurchschnittlich mächtigen Schneede- cke; stundenlanger Dauerregen (Westwetterlage und Nordstau am Nordalpen- rand) und Wassersättigung des Bodens durch vorangegangene Niederschlags- ereignisse bei gleichzeitig einsetzender Schneeschmelze vor allem im Frühjahr. · Heftige Gewitterregen im Hochsommer - gleichzeitig (bei entsprechender In- tensität) Murgänge in die Seitenbäche, die zu Verklausungsgefahr durch ver- größerte Geröll- und Holzfracht führen und damit die Situation verschärfen. · Heftiger Dauerregen auf ausgetrocknete Böden (verursacht durch vorange- gangene lange Trockenperiode) - das Wasser versickert nicht, sondern fließt sofort nahezu vollständig oberflächlich ab. 4 Der Umgang mit der Gefahr - Hochwasserschutz einst und heute 4.1 Einführung Natürliche Verhältnisse an Fließgewässersystemen existieren in Mitteleuropa mit Ausnahme einiger weniger Streckenabschnitte alpiner Flüsse kaum noch. Grund dafür 20 Hochwasser Lechtal ist, dass der Mensch in unseren Kultur-, Industrie- und Stadtlandschaften die meisten Flüsse sicherheits- und nutzungsorientiert ausgebaut hat (vgl. Patt 2001, S. 409). Regulierungsmaßnahmen (Korrekturen) an Fließgewässern zur Reduzierung der Hochwassergefahr und zum Zwecke der Landgewinnung wurden in zunehmenden Maße seit dem 19. Jahrhundert vorgenommen. Anfangs beschränkten sich derartige Maß- nahmen auf Fließgewässerbegradigungen durch Längsverbauungen. Die dadurch er- zielte Laufverkürzung erhöhte das Gefälle und die Fließgeschwindigkeit, was die Schaf- fung von Querbauwerken erforderte. Dem natürlichen Geschiebetrieb begegnete man mit Geschiebesperren und Rückhaltebecken in den Seitentälern der Hauptflüsse. Sohleintiefung und das Trockenfallen der Aubereiche waren die natürlichen Konse- quenzen in vielen Flusssystemen. Die dadurch geschaffenen günstigeren Vorausset- zungen für Nutzungen in den ehemals regelmäßig überschwemmten Auzonen, führten zur Ansiedlung von Wohn- und Gewerbeflächen (in Großstädten auch Industriezonen) in den flussnahen Gebieten. Extreme Hochwasserabflüsse müssen nun in den verbliebenen, verkleinerten Ab- flussprofilen und eingeengten Flussquerschnitten abgeführt werden, was eine Ge- fährdung der gewässernahen Bereiche nach sich zieht (vgl. Patt 2001, S. 409-410). Im Tiroler Lechtal begegnete man der Hochwassergefahr anfangs mit örtlicher Erfahrung und versuchte dem Fluss durch Siedlung auf höher gelegenen Flächen, auszuweichen. Als man jedoch im Zuge der Bevölkerungszunahme größere Flächen benötigte, näherte man sich dem Lech und kultivierte flussnahe Flächen für landwirt- schaftliche Zwecke. Damals begann man mit ersten lokalen Uferschutzmaßnahmen (Bau von Archen), aber je weiter man sich dem Fluss näherte, desto häufiger wur- den die Schäden durch Hochwasser und Überflutung. Man sah sich gezwungen, neue Projekte zu planen, und somit ein Leben nahe des Flusses möglich zu machen. Ohne geeignete bauliche Maßnahmen sah man keine Zukunft für das Lechtal, da

Abb. 7: Lech bei Erach. Auwald bei Hochwasser vor der Verbauung Foto: Baubezirksamt Reutte 21 Beiträge Innsbrucker Jahresbericht 2001/02 neben der Landwirtschaft kaum zusätzliche Einkünfte zu erwarten waren, und die ansässige Bevölkerung somit auf die geringen Erträge aus den kleinbäuerlichen Betrieben angewiesen war. Trotz aller gesetzten baulichen Maßnahmen, die Auswir- kungen auf den Lebensraum und die Flussdynamik hatten, ist die Vorgangsweise der zuständigen Landesbaudirektion aufgrund der wirtschaftlich schwierigen Situation im Lechtal zu erklären. Die Bevölkerung hatte in erster Linie die Sicherung der Lebensgrundlage zum Ziel. 4.2 Hochwasserschutz von damals - Die Lechverbauung: Baumaßnahmen und deren Folgen „Das Lechtal ist wegen seiner Entlegenheit und der Bescheidenheit seiner Bewohner in früheren Zeiten ganz vernachlässigt worden. Man entnahm dem Tale wohl was es an Naturprodukten hat wie Holz und Mineralien, ohne auch nur im geringsten für die wirtschaftliche Hebung dieses Landesteiles etwas zu tun“ (Krapf 1910, S. 3). So beschreibt Krapf 1910 die damalige wirtschaftliche Situation im Tiroler Lech- tal und übt auch indirekt Kritik an der Vorgangsweise des Staates und der Landes- verwaltung, die den abgeschiedenen Landesteil über Jahrhunderte vernachlässigten und keine Subventionen für entsprechende Maßnahmen zur Verbesserung der wirt- schaftlichen Lage des Tales bereit stellten. Lange Zeit musste ein Großteil der männ- lichen Bevölkerung ihre Lebensgrundlage im Ausland verdienen und Kinder mussten als Hilfskräfte im „Schwabenland“ arbeiten (Meier, mündliche Mitteilung). Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden von staatlicher Seite Gewässer- regulierungs-maßnahmen, Wildbachverbauungen und Straßenbauprojekte unterstützt, um das Leben der Lechtaler zu sichern und einer Abwanderung in wirtschaftlich günstigere Landesteile entgegenzuwirken. Zuvor waren die Gemeinden bzw. die Grund- eigentümer auf sich alleine gestellt und konnten ihre Kulturflächen nur notdürftig vorübergehend schützen. Die jährlich im Frühjahr auftretenden Hochwasserwellen rissen die provisorischen Archen meist mit sich, neue Uferanbrüche mussten mü- hevoll gesichert und Schutzbauten saniert werden. Der erste einheitliche Regulierungsentwurf von bis zur bayerischen Gren- ze, der in den 1870iger Jahren vom Landesbauamt ausgearbeitet und dem Landesaus- schuss zur Bewilligung vorgelegt wurde, scheiterte an den erforderlichen finanziellen Mitteln. Die Landesbauleitung stellte daraufhin einigen Gemeinden, die am meisten von Hochwasserereignissen betroffen waren und jährlich mit der Naturgefahr zu kämp- fen hatten, Pauschalbeträge zur Verfügung, die vorübergehend die Finanzierung klein- räumlicher Schutzmaßnahmen (Archen) ermöglichten. Diese hielten den jährlichen Frühjahrshochwassern meist nicht stand und mussten ständig neu errichtet, bzw. die Schäden mussten behoben werden (vgl. Krapf 1909 und 1910; Land Tirol 1975). Aufgrund eines Erlasses der Regierung (Landesgesetzblatt Nr. 37 vom 15. Au- gust 1896) begannen die Arbeiten an einem größeren zusammenhängenden 22 Hochwasser Lechtal

Abb.8: Häselgehr (Häternach) vor der Regulierung 1911; Regulierungsfeld Gutschau und Rauhwand oberhalb der Streimbachmündung Fotos: Baubezirksamt Reutte Regulierungsprojekt. Die 2,7 km lange beidseitige Regulierung Höfen- wurde vom Landeskulturamt ausgeführt, die Erweiterung nach dem Hochwasser von 1901 beschlossen und daraufhin von Ehenbichl bis Unterletzen fortgeführt. Gleichzeitig zu diesem umfangreicheren Vorhaben trafen die Gemeinden des Lech- tals immer häufiger lokale Regulierungsmaßnahmen, was 1905 zur Einführung einer eigenen Gebietsbauleitung im Bezirk Außerfern führte. Diese sollte in Zukunft die Schaffung von Uferschutzbauten am Lech regeln und effektivere Schutzkonzepte um- setzen. Die gesetzten Maßnahmen waren nicht effektiv genug und mit der Zeit wurde die administrative Behandlung der einzelnen kleinen Bauten zu kompliziert, sodass 1907 die Planung eines einheitlichen 1. Generalprojektes vom Landesauschuss beauftragt wurde. Bevor erste bauliche Schritte wirksam werden konnten, ereignete sich das Junihochwasser von 1910. Eine neuerliche Überarbeitung der vorhande- nen Konzepte wurde erforderlich, weil die Auswirkungen dieser bisher größten beo- bachteten Hochwasserkatastrophe Dimensionen erreichten, denen die geplanten Uferschutzbauten niemals auch nur annähernd stand gehalten hätten. Als das 2. überarbeitete Generalprojekt, das ein System von kombinierten Quer- und Längsbauten vorsah, genehmigt werden sollte, kam es zum Hochwasserereignis vom 8. und 9. Mai 1912, und die geplanten Maßnahmen erwiesen sich erneut als unzureichend. Bis Dezember 1913 war ein 3. Generalbauprojekt mit einer Reichweite von Steeg bis zur Landesgrenze ausgearbeitet und konnte 1914 dem Bewilligungs- verfahren zugeführt werden, das aber infolge des 1. Weltkrieges nicht mehr zur sofortigen Umsetzung kam. Nach dem ersten Weltkrieg wurden die Regulierungsmaßnahmen 1920, unter Berücksichtigung des 3. Generalregulierungsprojektes, durch staatliche Subventio- nen im Bereich der gefährdeten Siedlungen im Lechtal wieder aufgenommen. 23 Beiträge Innsbrucker Jahresbericht 2001/02

Dazu wurde das Lechtal in drei Streckenabschnitte (Steeg-Elmen; Elmen-Weißen- bach; Weißenbach-Landesgrenze) unterteilt, die je nach natürlicher Beschaffenheit unterschiedlich gehandhabt werden sollten. In den Jahren 1928-1933 konzentrierte man sich auf die Erstellung von Beton- traversen (Abb. 9) im Raum Reutte, Oberpinswang und . Die nachfolgenden Programme (1933-1938) waren bereits von der Wirtschaftskrise geprägt und dienten als Arbeitsbeschaffungsprogramme. Im ganzen Tiroler Lechtal sollten weiterhin Bauten zum Schutz der Siedlungen errichtet und die bereits bestehenden Traversenbauten und Längswerke saniert bzw. ergänzt werden. Die anschließenden Projekte umfassten vor allem die Regulierungsarbeiten im Bereich der Mündungsstrecke der Vils und des linksufrigen Leitwerkes in Lechaschau. Von 1938 bis 1940 erfolgte die Fertigstellung der Planseebachmündung und die Weiter- führung der Bauarbeiten an den Großtraversen des Tales. Während des zweiten Weltkrieges waren die Regulierungsarbeiten zum Teil ein- gestellt oder beschränkten sich auf Arbeiten im Mündungsbereich des Namlos- und Schwarzwasserbaches und kleinere Instandsetzungen und Sanierungen. Nach dem zweiten Weltkrieg nahm man hauptsächlich Ausbesserungen und Ufersicherungen vor. Ergänzungsarbeiten und der Bau von weiteren Traversensystemen und Leitwer- ken zum Schutz der Siedlungen und der Lechtaler Bundesstraße orientierten sich nach wie vor am 3. Generalprojekt der Lechregulierung aus dem Jahr 1914. Langsam beschränkte man sich jedoch auf die Erhaltung der bestehenden Anla- gen, ohne weitere Neubauten herzustellen. Somit erschien auch das Generalprojekt von 1914 überholt und man entschloss sich, ein neues Lechbauprogramm auszuarbei- ten, das auf den neuesten Stand der Technik gebracht würde und in dem die bisheri- gen Erfahrungen (z. T. auch negative Folgen, wie die Sohleintiefung, die weit über das ursprünglich gewünschte Maß hinausging) im Rahmen der Lechregulierung berück- sichtigt würden.

Abb. 9: Betontraverse bei Musau; Musau Ober Pinswang, Bruchstein Traversenpaar Fotos: Baubezirksamt Reutte 24 Hochwasser Lechtal

1978 wurde das neue Projekt vorgestellt, das hauptsächlich die Bekämpfung der Tiefenerosion und die verbesserte Regelung des Hochwasserabflusses zum Ziel hatte (vgl. Scheuermann und Karl 1990, S. 39). Da man die ungünstigen Auswir- kungen des Feststoffentzuges durch den Rückhalt der Geschiebestausperren in den Seitentälern des Lechtales erkannt hatte, wollte man dem Problem durch die Re- duktion des Gefälles aufgrund des Einbaus von Querschwellen und Sohlrampen be- gegnen. Dadurch erhoffte man sich die Drosselung des Transportvermögens und nachfolgend eine Verbesserung des Geschiebehaushaltes im Flussbett. Weiters forderte das Programm eine Eindämmung der gewerblichen Schotter- entnahmen, um eine Regenerierung der natürlichen Geschiebemenge im Lech zu ermöglichen. Der Hochwasserschutz sollte durch gezielte Vorkehrungen, wie die Ver- stärkung der Uferschutzmaßnahmen und den Erhalt bzw. die Neuschaffung von geeig- neten Retentionsflächen gesichert werden. Der Bau, der im Projekt von 1978 geplanten Sohlrampen wurde letztendlich nicht in dieser Form umgesetzt, weil man dadurch die natürlichen fluvialen Mechanismen des Lech (wie etwa Verzweigungen zu bilden oder zu mäandrieren) eingeschränkt hätte. Es wurde 1989 nur eine Sohlrampe im Tiroler Lechtal (350m flussabwärts der Ulrichsbrücke) errichtet, um der Eintiefung, die in diesem Streckenabschnitt zwi- schen 1975 und 1984 drei Meter betrug, entgegenzuwirken. Aufgrund naturschutzrechtlicher, und ökologischer Bedenken gegenüber neuer- lichen Lechbauprogrammen, den wasserbaulichen Erfahrungen in Zusammenhang mit Hochwasserschutz und ökonomischer Kalkulationen, zog man von Bund- und Landesseite (Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft und Tiroler Landes- regierung) die Konsequenz und stellte eine Überprüfung aller für das Lechtal und den Lech relevanter Teilbereiche von wissenschaftlicher Seite in Auftrag (Pilotstu- die Lech-Außerfern). Die Ergebnisse und Erfahrungen des langjährigen Forschungsprojektes, das 1996 abgeschlossen werden konnte, sind Grundlage heutiger Hochwasserschutz- maßnahmen, die wesentlich schonendere und naturnahere Bauprogramme verfol- gen, als Jahrzehnte zuvor. Hauptaugenmerk jeglicher Lechbaukonzepte liegt nach wie vor auf der Sicherung und des Schutzes des menschlichen Siedlungsraumes, aber zusätzlicher und wesentlicher Bestandteil aller aktuellen Hochwasserschutz- maßnahmen ist der Schutz des natürlichen Wildflusssystems Lech und des dort noch vorhandenen ungestörten Lebensraumes. 4.3 Hochwasserschutz heute - LIFE Seit 11. Juli 2001 liegt die endgültige Zusage für das zweitgrößte jemals vergebe- ne LIFE-Projekt der EU vor, und die Arbeit zur Umsetzung des Naturschutzprojektes „Wildflusslandschaft Tiroler Lech“ konnte ab diesem Zeitpunkt offiziell beginnen. 25 Beiträge Innsbrucker Jahresbericht 2001/02

Der Geographische Rahmen für das LIFE - Naturschutzprojekt am Lech ist das 4.138 ha große Natura 2000-Gebiet im Außerfern. Die natürliche Flussdynamik des Lech prägte das Landschaftsbild im Tiroler Lechtal nachhaltig und schuf die weitrei- chenden Auwaldbereiche mit ihren einzigartigen Lebensräumen. Im letzten Jahrhundert wurden flussbauliche Maßnahmen aufgrund des zuneh- menden Flächen- und Nutzungsbedarfes notwendig, und Regulierungsmaßnahmen begannen den natürlichen Fließgewässercharakter zu beeinflussen. Die Bevölkerung versuchte die Hochwassergefahr mit den damals möglichen Mitteln und Vorstellungen einzudämmen, daher ist es wichtig, die verschiedenen Lechbauprogramme immer vor ihrem historischen Hintergrund zu betrachten. Das LIFE - Projekt verfolgt gezielte Hochwasserschutzmaßnahmen bei gleichzei- tigem Schutz des Lebensraumes von Pflanzen und Tieren. Neben der Sohleintiefung soll auch die Grund-wasserabsenkung gestoppt werden und die für die Region äußerst wichtige land- und forstwirtschaftliche Nutzung, Jagd und Fischerei und die gewerbli- che Schottergewinnung aufrechterhalten bleiben. Besonders die Jagd nimmt in eini- gen Teilen des Lechtals einen wichtigen Stellenwert ein, weil ein zu großer Wildanteil schädlich für den Baumbestand und das Aufkommen eines natürlichen Schutzwaldes (besonders in steilen Hangbereichen der Seitentäler, z. B. Schwarzwassertal) wäre. Auch die gezielte Schotterentnahme ist im Lechtal durchaus vertretbar und wurde in den letzten Jahrzehnten verfolgt, da ein zu großer Anteil an Geschiebe Siedlun- gen im Beckenbereich von Reutte (Reutte, Pflach) gefährden würde. Durch Gefällsabnahme besonders in diesem Bereich, kommt es zur Verlangsamung der Fließ-geschwindigkeit und zu Anlandungstendenzen in diesem Streckenabschnitt. Würde man die Schotterentnahme gänzlich verbieten, müsste man im Bereich von Lechaschau bzw. Reutte den Schotter aus dem Flussbett baggern, damit beim all- jährlichen Hochwasser im Frühjahr die Keller der Anrainer nicht unter Wasser stün- den (mündliche Mitteilung: Klien). Zur Erreichung der genannten Schutzziele sind flussbauliche Maßnahmen nötig, die im Gegensatz zu Regulierungsmaßnahmen alter Lechbauprogramme nicht die Eindäm- mung des Flusses, sondern die Aufweitung bestimmter Streckenabschnitte verfol- gen. Weiters soll die gezielte Öffnung von Geschiebestausperren in Seitentälern einiger Lechzubringer den Geschiebehaushalt des Lech wieder annähernd in ein Gleichge- wicht bringen. Dies soll aber sehr langsam und schrittweise erfolgen, damit man feststellen kann, wo das mobilisierte Geschiebe anlandet. Es sollte schließlich nicht sofort von der Strömung erfasst und weggeschwemmt werden und womöglich in einem Bereich zum Stillstand kommen, in dem die Ablagerungen keine ökologi- schen Vorteile für den Aubereich haben, sondern im schlechtesten Fall sogar die Hochwassergefahr vergrößern und aus der Sohle gebaggert werden müssten. Weiters sind im Projektgebiet Revitalisierungsmaßnahmen an Nebengewässern geplant, die die gezielte Reaktivierung kleiner Seitengerinne und trockengefallener

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Altarme des Lech verfolgen, um den Fischbestand zu erweitern, weil dadurch wieder vermehrt Rückzugsbereiche und Laichplätze für Fische entstehen. Auch bei Hochwassergefahr könnten Fische wieder in Seitengewässer ausweichen und würden nicht den extrem schwebstoffreichen und sauerstoffarmen Hochwasserwellen zum Opfer fallen. Neben den genannten wasserbaulichen Maßnahmen sind vor allem Artenschutz- und Wiederansiedlungsprojekte geplant, um die natürliche Flora und Fauna im Lech- tal zu bewahren bzw. neu zu initiieren. Durch gezielte Besucherlenkungsprogramme und neu errichtete Lehrpfade im Projektgebiet soll in Zukunft verhindert werden, dass sensible und gefährdete Arten in ihrem Lebensraum gestört werden. Gleichzeitig wird dadurch den Besuchern die ökologische Vielfalt in der Nationalparkregion näher- gebracht und die Aufmerksamkeit für die gefährdeten Besonderheiten geweckt. Diese Art des sanften Tourismus wird auch als wirtschaftliche Chance und Alternative für die beteiligten Gemeinden betrachtet und soll allgemein zur ökologischen Bewusstseins- bildung innerhalb der Bevölkerung beitragen (www.tiroler-lech.at). Die Finanzierung dieses Projektes (rund 7,78 Mio. Euro) erfolgt zur Hälfte durch die EU, der Rest wird durch nationale Quellen gedeckt, wobei ein Großteil der Kosten vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Was- serwirtschaft und dem Land Tirol, aber auch dem WWF Österreich getragen wird. Die Projektdauer wurde auf einen Zeitraum von fünf Jahren begrenzt, die Umset- zung des Konzeptes im Tiroler Lechtal sollte somit im Jahr 2006 abgeschlossen sein.

5 Zusammenfassung Naturereignisse, die aufgrund ihrer Intensität Schaden anrichten, erhöhen das Risikobewusstsein der ansässigen Bevölkerung und der Ruf nach sofortigen präventi- ven Schutzmaßnahmen seitens der öffentlichen Hand wird laut. Diese Entwicklung war auch im Lechtal nach dem Hochwasser von 1999 er- kennbar. Die Einstellung der Lechanrainer in Bezug auf vorbeugenden Hochwasser- schutz und den damit verbundenen Baumaßnahmen änderte sich schlagartig. Hielt man geplante Schutzmaßnahmen zuvor noch für überflüssig, zum Teil sogar für über- trieben, weil man mehrere Jahrzehnte nicht mehr mit derartigen Hochwasser- problemen konfrontiert war, so forderte man schließlich mit hohem öffentlichen Druck entsprechende Schutzmaßnahmen (mündliche Mitteilung, Baubezirksamt Reutte). Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass die Konfrontation zwischen anthropogenen Interessen und natürlichen Prozessen, bedingt durch die zunehmende Inwertsetzung

27 Beiträge Innsbrucker Jahresbericht 2001/02 der alpinen Bereiche, von der ansässigen Bevölkerung als Gefährdung empfunden wird (vgl. Fuchs, S., Keiler, M. und A. Zischg 2001 p. 161). Wie auch bereits nach den Ereignissen von 1901, 1910 und 1912, als man bestehende Pläne für Lechbauprogramme neu überarbeitete und mit der Umsetzung der Bauprojekte begann, so wurden auch nach dem Hochwasser von 1999 gezielte und verstärkte Schutzmaßnahmen getroffen. Standen in den 20iger Jahren des 20. Jahrhunderts Verbauungsmaßnahmen zur Eindämmung des Lech im Vordergrund und wurden auch nach diesem Schwerpunkt umgesetzt, so baut man diese heute zum Teil wieder zurück, um für den Lech größere Flächen für Umlagerungs- und Retentionsprozesse zu gewinnen. Die schädlichen Folgen der ersten Lech- bauprogramme (Sohleintiefung, Senkung des Grundwasserhorizontes, Ungleich- gewicht im Geschiebehaushalt durch den Rückhalt in den Seitentälern, etc.), die zum Zeitpunkt der Umsetzung noch nicht zu erahnen waren, gilt es heute zu mini- mieren und auszugleichen. Man versucht durch langsame Schaffung eines annä- hernd ausgeglichenen Fließgewässerhaushaltes die Hochwassergefahr am Lech, vor allem im Beckenraum von Reutte, einzudämmen. Dieser merkbare Wandel im Umgang mit der Naturgefahr Hochwasser im Tiroler Lechtal wird durch ein EU-Projekt und die Unterstützung der Österreichischen Bun- desregierung, Tiroler Landesregierung und dem WWF gefördert. Das Ziel ist der Schutz dieser weitgehend noch erhaltenen natürlichen Wildflusslandschaft.

„Ungebunden eilten seine Wasser dahin, hier in viele Arme und kleinere Rinnsale sich teilend, dort sich wieder vereinigend, hier tiefe reißende Wirbel bildend, dort wieder wellenschlagend, über seichtes Kiesgeschiebe strömend, ununterbrochen wechselnd in seinem Laufe, am ungeschützten Kiesufer ständig nagend und zerstörend, an deren Stelle aber wieder Geschiebe ablagernd und Inseln und Auen aufbauend; das ist in kurzen Worten das Bild unseres alten Lechflusses“

(Abschied eines Ornithologen vom „alten“ Lech, aus Fischer (1926) in Bayerisches Landesamt für Wasserwirtschaft 19, 1984, S. 49).

6 Ausgewählte Literatur Amt der Tiroler Landesregierung (Hrsg.) Abtl. Wasserbau - Baubezirksamt Reutte, DI Wolfgang Klien. (2001): Angaben zur Umsetzung des LIFE - Projektes, Beschreibung der Maßnahmen.

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