Titel Unter Männern Demontiert durch die Intrigen ihrer Parteifreunde, hat dem CSU-Chef die Kanzlerkandidatur antragen müssen. Für den Herausforderer Gerhard Schröders kann sich die Führungskrise der Schwesterpartei zum größten Wahlkampfrisiko entwickeln.

o sehen Krönungsfeierlichkeiten aus. Die 258 Glühbirnen angeschaltet, die Kanzler-Herausforderer Sunter der 13 Meter hohen Decke dem Stoiber* Kaisersaal der Münchner Residenz jene Il- lumination garantieren, die man gemeinhin als festlich bezeichnet. 1400 Gäste stehen und warten voller Spannung, ihr Geraune verrät die Ungeduld. War er das schon? Kommt er pünktlich? Wird er reden? Don- nerwetter, was für eine Karriere! Mehrere Saaldiener huschen vorneweg, die Sorge um das Gelingen des Abends ins Gesicht gefurcht. Und dann er, der Haus- herr, der Gastgeber, der Ministerpräsident des Freistaates und nun eben auch der Kan- didat für das wichtigste politische Amt, das die Republik zu vergeben hat. Edmund Stoi- ber kommt, im Smoking, unter der schwar- zen Fliege den Bayerischen Verdienstorden, das Kinn nach vorn gereckt, an der Seite JENS WOLF / DDP JENS WOLF CDU-Chefin Merkel, Generalsekretär Meyer* Eingeständnis einer Niederlage

Gattin Karin. So schreitet er zuerst durch den Kaisersaal, dann durch den Vierschim- melsaal, um schließlich im ehemaligen Thronsaal das Defilee abzunehmen. Dort steht er unter einem blau-grauen Baldachin genau an der Stelle auf dem roten Teppich, an der sich früher der Thron der Wittelsbacher befand. Wilfried Scharnagl nähert sich, der frühere Chefre- dakteur des „Bayernkurier“. Ein Hände- druck, ein leiser Glückwunsch, dann ist schon der Nächste an der Reihe. Der Neujahrsempfang für Presse, Funk und Fernsehen ist ein Ritual, das in diesem

* Vergangenen Freitag, links: in Magdeburg; rechts: im Ägyptischen Museum in der Münchner Residenz.

22 den, ist er schließlich gesprungen. Der Ein- CDU wieder vorn serjurist aus Oberaudorf bei Rosenheim will Welche Partei würden Sie wählen, wenn am nächsten es seinem bis zur Übergröße verklärten Sonntag Bundestagswahl wäre? Lehrmeister Franz Josef Strauß nachma- chen – und um das Kanzleramt kämpfen. 49 Es ist deutlich mehr als eine Zählkandi- 1999 2000 2001 Januar datur, denn in den letzten Monaten hat Bundestagswahl 45% 2002 sich die Situation in Deutschland gewan- September 1998 42 delt. Die Wirtschafts- und die Stimmungs- lage lassen heute den Schluss zu: Stoiber 40,9 40 % 38 39 hat – wenn er keine großen Fehler macht 39 39 38 und in seiner Vergangenheit keine allzu 35,1 großen Risiken schlummern – durchaus 35% 37 36 36 eine Chance. 34 Zwar ist die Union in den neuesten Um- fragen zum ersten Mal seit anderthalb Jah- 30% ren wieder an der SPD vorbeigezogen, 10% 97810 6,7 doch gleichzeitig registrieren die Demo- 7 8 6,2 6 7 skopen in der Bevölkerung keine große 7 7 Wechselstimmung. 1998 war das anders. 5,1 5% 5 557 5 Nach 16 Jahren Helmut Kohl wollte die NFO-Infratest und Infratest dimap für ARD/„Bericht aus Berlin“ große Mehrheit endlich eine neue Regie- rung sehen. Jahr noch perfekter inszeniert ist als sonst. Merkel beriet sich mit den wenigen Ver- Dennoch trifft Stoibers Kandidatur die Da präsentiert sich am Abend seines größ- trauten, die ihr noch geblieben waren. Regierung zu einer Zeit, wo sie selbst nicht ten politischen Erfolgs der Kandidat als ein Dann fügte sie sich ins Unvermeidliche. gerade als Siegertruppe dasteht. Vom Ab- Mann, der sich alles zutraut – selbst den Die K-Frage wäre sonst ohne sie beant- schwung getrieben, durch aufreibende De- Job im Kanzleramt. wortet worden. batten über Bundeswehreinsätze und Si- Die Münchner Blindenmusiker schmet- Nun also wird es Stoiber sein, der im cherheitspaket genervt, sind die Akteure tern die Fanfare, und dann redet er. Von Herbst gegen die rot-grünen Regenten an- bis hin zum Kanzler sichtlich ermattet. So den Bayern, die im 14. Jahrhundert in Ber- tritt. Bis zuletzt hatte er gezaudert. Doch als hatten sich Schröder und Fischer ihr rot- lin regiert hätten, dort, wo sich jetzt das die Umfragen von Woche zu Woche besser grünes Reformprojekt nicht vorgestellt. Kanzleramt befindet, und er weiß von Her- und die von ihm selbst orchestrierten Rufe Angesichts der außenpolitischen Heraus- ausforderungen zu berichten, denen man aus den eigenen Reihen immer lauter wur- forderungen geriet die Innenpolitik fast von sich stellen müsse – und seien sie auch noch so schwierig. In ihm hat die Union nun nach monate- langem Ringen endlich den Mann gefun- den, der sie in den Wahlkampf gegen Ger- hard Schröder führen soll. So erfolgreich hatten die Stoiber-Freunde in der CDU in den vergangenen Tagen ihre eigene Vor- sitzende beschädigt, dass Angela Merkel am Freitag schließlich aufgeben musste. Bis zuletzt hatte sie noch auf eine gütli- che Einigung gedrängt, die es ihr ermögli- chen würde, die K-Frage ohne Gesichts- verlust zu beantworten. Doch da war der Führungsmannschaft der Union das Ver- fahren schon längst entglitten. Zu syste- matisch hatten etliche der Spitzenfunk- tionäre in der vergangenen Woche end- gültig die Demontage ihrer Vorsitzenden betrieben. Am Freitagnachmittag blieb der sicht- lich erschöpften Ex-Kandidaten-Kandida- tin nichts mehr übrig, als nach der Vor- standssitzung ihrer Partei in Magdeburg vor die Mikrofone zu treten und zu ver- künden, was zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon jeder wusste: „Ich verzichte auf die Kanzlerkandidatur.“ Den Ausschlag gab ein Anruf des hessi- schen Ministerpräsidenten. Am Mittwoch- abend hatte Roland Koch sie aus seinem Urlaubsort in den Tiroler Bergen angeru- fen und ihr rüde ausgerichtet, sie sei nicht

„berechtigt“, als Kandidatin anzutreten. / LAIF / ZENIT BUTZMANN

MAURIZIO GAMBARINI / DDP MAURIZIO Das Telefonat endete lautstark. Kanzler Schröder: Vom Abschwung getrieben

der spiegel 3/2002 23 Titel

dass der Arbeitsplatzab- sprechen und so seinen wichtigsten Erfolg, Stoibers Stärken bau rasant an Tempo ge- die Haushaltssanierung, noch auf der Ziel- winnt, kaum dass die geraden gefährden? Welche der folgenden Aufgaben kann Konjunktur auch nur ein Deshalb tritt Stoiber jetzt an, obwohl er Edmund Stoiber bzw. Angela Merkel gut bisschen schwächelt. zum Thema Kanzlerschaft stets das Ge- oder sehr gut lösen? Der Standort ist unter genteil erklärt hatte: „Meine Lebensaufga- 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% Rot-Grün eben keines- be ist Bayern“ und „Ich habe diesen Ehr- wegs fit und krisenfest ge- geiz überhaupt nicht“, hatte er Anfang 1999 Merkel Stoiber worden. Im Gegenteil: noch zu Protokoll gegeben – und blieb sich Deutschland im Ausland gut repräsentieren Deutschland steht beim drei Jahre lang treu. Wachstum als europawei- Nur der CSU-Landesgruppenchef Mi- die Sicherheit der Bürger tes Schlusslicht da. Jetzt chael Glos war sich immer sicher: „Es wird gewährleisten rächt sich, dass die Regie- Bittprozessionen nach München geben.“ die Wirtschaft rung – nach Jahren des Wie sollte er ahnen, dass sich die K-Frage ankurbeln Stillstands unter Helmut in einem dramatischen Machtkampf ent- Kohl – ihre Reformarbeit scheiden würde? das Bildungssystem so schnell eingestellt hat. Monatelang hatte die CDU-Vorsitzende wettbewerbsfähig machen Abend für Abend ver- versucht, das Verfahren offen zu halten. die Zuwanderung breiten die Nachrichten Im Einvernehmen mit ihrem Kollegen aus richtig regeln neue pessimistische Mel- Bayern werde sie der Union am Ende eine dungen: Die Krankenkas- Lösung präsentieren. Beide vermieden es etwas für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tun sen erhöhen ihre Beiträge stets, sich selbst als Kandidaten ins Ge- auf nun durchschnittlich spräch zu bringen. Zumindest öffentlich. die Arbeitslosigkeit 14 Prozent, Deutschlands Doch dann kam die vergangene Woche, NFO-Infratest-Umfrage für den senken SPIEGEL vom 8. bis 10. Januar; Abschwung verschärft und die mühsam aufrechterhaltene Fiktion rund 1000 Befragte; an 100 das Gesundheitssystem fehlende Prozent: „weiß nicht“/ sich, die Zahl der Ar- eines offenen Verfahrens brach zusammen. reformieren keine Angabe beitslosen wird im Januar Fasziniert konnte die Nation verfolgen, wie zum ersten Mal seit ei- Angela Merkel von ihren Gegnern poli- den Aufbau nem Jahr wieder die Vier- tisch hingerichtet wurde. Am Ende ist Stoi- Ost vorantreiben Millionen-Grenze über- ber zwar der Kanzlerkandidat der Union, springen. doch an der Spitze der CDU steht eine Par- allein ins Abseits. In einem großen Kraftakt Das ist die Ausgangslage für den Kandi- teichefin, die viel von ihrer ursprünglichen war es der Koalition zwar frühzeitig gelun- daten Stoiber, und sie ist so übel nicht. „It’s Autorität verloren hat. gen, endlich auch in Deutschland eine Steu- the economy, stupid!“ (Es geht um die Begonnen hatte die Woche der Wahrheit erreform, die für Milliardenentlastung beim Wirtschaft, Dummkopf!), hatte James Car- am Montag im verschneiten Wildbad Bürger sorgte, zu verabschieden. Schröder ville, der legendäre Wahlkampfstratege Bill Kreuth. Als Edmund Stoiber mittags zur und Co. organisierten den Atomausstieg Clintons, 1992 seinem Team eingebläut – jährlichen Klausurtagung der CSU-Lan- und setzten ein neues Staatsbürgerschafts- und damit die Wahlen gegen US-Präsident desgruppe eintrifft, weiß er, dass die Ent- recht in Kraft. Doch schon die Rentenre- George Bush Senior fulminant gewonnen. scheidung im Machtkampf mit Merkel un- form wurde unter dem massiven Druck der Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft – nach mittelbar bevorsteht. 250 Reporter, Foto- Interessengruppen zum Reförmchen klein dieser Devise will auch Stoiber antreten, grafen und Kameraleute warten schon seit geraspelt. Seitdem fehlt der Atem für fest darauf bauend, dass sich die Lage wei- Stunden im Schnee – so viele wie nie zuvor. schwierige Veränderungen. ter verschlechtern wird. Er weiß, dass dem Über das Wochenende hatten die Und vor allem zeigte sich, dass die öko- Kanzler bei diesem Thema weitgehend die Chefs der beiden Schwesterparteien die nomischen Veränderungen schneller waren Hände gebunden sind. Wie soll er als Spannung in Interviews ein weiteres Mal als die staatlichen Renovierungsarbeiten. Amtsinhaber auch mit schlechten Wirt- angeheizt. Spätestens mit Merkels Ankün- Schröder muss heute feststellen: Renten- schaftsdaten in den Wahlkampf ziehen? digung („Ich bin bereit zur Kanzlerkandi- und Steuerreform haben nicht verhindert, Soll er wirklich Milliardenprogramme ver- datur“) ist die Machtprobe offen ausge-

Der Leidensweg der Angela Merkel Stationen im Machtspiel um die Kanzlerkandidatur 10. April 2000 Der CDU-Parteitag in folger Laurenz Meyer, das Plakat am Essen wählt Generalsekretärin Angela könne die Vorsitzende nächsten Tag zurück. Merkel mit überwältigender Mehrheit sich nicht leisten. 1. Februar 2001 zur Parteivorsitzenden. Sie kündigt der 18. November 2000 Merz empfiehlt sich als Regierung Schröder „eine gepfefferte Die Union liegt in Kanzlerkandidat. CSU- Opposition“ an. Meinungsumfragen Polenz Generalsekretär Thomas 14. Juli 2000 Obwohl die CDU in weit hinten. Auf dem CSU-Parteitag in Goppel erklärt, zum Meyer mit Wahlplakat Bremen, Berlin und Brandenburg mit- München erklärt Stoiber, er stehe für eine ersten Mal komme regiert, stimmen diese Länder der rot- Kanzlerkandidatur „definitiv“ nicht zur „das Echo vor dem Ruf“. Merz verzichtet später. grünen Steuerreform zu. Für Merkel und Verfügung; die Delegierten feiern Merkel 24. April 2001 Die CDU gibt bekannt, dass der Fraktionschef , distan- frenetisch. ehemalige Schatzmeister Walther Leisler Kiep eine ziert sich CSU-Chef Edmund Stoiber, 23. Januar 2001 Die CDU-Führung Million Mark auf seinen Konten entdeckt habe, sei dies kein guter Tag gewesen. präsentiert ein Wahlplakat, das Auf- die der CDU gehören könnten. Kiep hatte die CDU- 23. Oktober 2000 Merkels General- nahmen von Schröder zeigt, die wie Spitze bereits vor den Landtagswahlen in Rhein- sekretär Ruprecht Polenz tritt zurück. Fahndungsfotos angeordnet sind. land-Pfalz und Baden-Württemberg Ende März Einen zweiten Fehlgriff, so der Nach- Nach einem Proteststurm zieht Merkel informiert.

24 der spiegel 3/2002 schlagen ist, wenn sie diese Machtprobe verliert. Für Michael Glos ist der Dienstag der wichtigste Tag seines Plans. Endgültig will er seinem Chef, dem ewig Zaudernden, den Rückzug verbauen. Er fordert ihn auf, sich vor den Abgeordneten so deutlich zu erklären, dass er nicht mehr zurückkann. Stoiber spielt mit. Er dränge sich nicht auf, erklärt er hinter verschlossenen Türen, aber er werde sich einem Ruf auch nicht entziehen. „Die Kanzlerkandidatur war in meiner persönlichen Lebensplanung nicht vorgesehen“, sagt er, und so sei er auch erst in den letzten Wochen zum Schluss ge- kommen, kandidieren zu müssen. Wolfgang Schäuble gehört zu denen in der CDU, die ihn bearbeitet hatten:

ANDREAS SCHOELZEL ANDREAS „Manchmal steht man vor Entscheidun- Parteichefin Merkel*: Unbefangenheit als Trumpf gen, bei denen keine Alternative ohne Ri- siko ist.“ Stoiber entscheidet sich für das brochen. Seit Tagen treiben die Spitzen- lisieren, dass ihm von Stunde zu Stunde Risiko mit den besseren Aussichten. funktionäre der beiden Parteien ihre Han- mehr „Geisterfahrer“ entgegenkommen. Der Pressekonferenz am Mittag entzieht dyrechnungen nach oben. Jeder telefoniert Stoiber gibt in Kreuth derweil die perso- sich der CSU-Chef. Glos muss ran. „Wir mit jedem, und jeder telefoniert mit Ange- nifizierte Unschuld. „Ich verstehe nicht ganz können nur erfolgreich sein, wenn die Har- la Merkel. die Aufgeregtheiten“, sagt er in die Mikro- monie mit der CDU erhalten bleibt“, sagt Der hessische CDU-Vorsitzende Roland fone. Wo ist eigentlich das Problem? Es sei er. Vorher hat er noch schnell mit dem Mit- Koch erholt sich angeblich beim Skiurlaub doch selbstverständlich, dass beide Partei- intriganten Merz in Berlin telefoniert. Der in Tirol, doch an Schnee hat er in diesem vorsitzenden „die Frage der Kanzlerkandi- fordert, die CSU müsse den Druck auf Mer- Jahr kein Interesse. Pausenlos ruft er sei- datur für sich positiv beantworten“. kel noch erhöhen. Die CDU allein schaffe ne Parteifreunde in Deutschland an. Mer- Stoiber verschweigt, was am Freitag zu- es möglicherweise nicht. „Wir werben um kel, so die einhellige Meinung, muss zum vor passiert ist: Da überraschte ihn Merkel die Zustimmung unserer Schwesterpartei Aufgeben bewegt werden. am Telefon mit dem Angebot, sich doch für das Angebot, das die CSU macht, näm- Nur einen gibt es, der die Spielregeln schon eine Woche früher – also vor der lich ihren Parteivorsitzenden als einen der nicht verstehen will: Unionsfraktionschef CDU-Klausurtagung in Magdeburg – zum Kanzlerkandidaten zu präsentieren“, dik- Friedrich Merz, der unbedingt verhindern Gespräch zu treffen. Stoiber lehnt ab. Er tiert Glos den Journalisten in die Blöcke. will, dass ihn eine gescheiterte Kanzler- fürchtet, Merkel könne versuchen, ihn zu Noch während er redet, meldet die kandidatin Merkel von der Spitze der Frak- überrumpeln. Deutsche Presse-Agentur („Eil!“): „CSU tion verdrängt. Also bekennt er in Radio Nach wie vor beharrt die Parteivorsit- bittet CDU um Zustimmung für Kanzler- und Fernsehen offen seine Sympathie für zende auf ihrem Anspruch, kandidieren zu kandidaten Stoiber.“ Bei CSU-Generalse- Stoiber. Der kann ihm nicht gefährlich können. Ihre Gegner sind ratlos: „Dreißig kretär Thomas Goppel klingelt das Handy. werden. Leute erzählen Merkel, sie sei nicht die Es ist sein CDU-Amtskollege Laurenz Nur der nordrhein-westfälische Landes- richtige Kandidatin, aber das beeindruckt Meyer, fassungslos. vorsitzende Jürgen Rüttgers steht noch un- sie überhaupt nicht.“ Wer bei der Präsidi- Goppel selbst weiß von nichts. „Hat beirrt zu Merkel. Doch auch er muss rea- umsklausur überhaupt abstimmungsbe- Glos das wirklich gesagt?“, fragt er den rechtigt sei, möchte sie wissen. Europa-Abgeordneten In- * Am 10. April 2000 nach ihrer Wahl zur Parteivorsitzen- Merkel will nicht aufgeben. Sie go Friedrich und herrscht den auf dem Essener CDU-Parteitag. weiß, dass sie politisch ange- seine Pressesprecherin an:

17. Juni 2001 Merkel gelingt es nicht, den Baden-Württemberg wollen dar- ehemaligen Parteichef Wolfgang Schäuble aufhin Stoiber schon im Dezem- 3./4. Dezember 2001 Die als Spitzenkandidat für die Wahlen im Berliner ber zum Kandidaten küren. Delegierten des CDU-Partei- Abgeordnetenhaus durchzusetzen. November 2001 Die rot-grüne tags in Dresden feiern so- 12. Oktober 2001 Die Delegierten des CSU- Koalition verliert in Umfragen ihre wohl Merkel als auch Stoi- Parteitags in Nürnberg reagieren auf Merkels Mehrheit. CSU-Landesgruppen- ber. Doch der Beifall für den Auftritt mit demonstrativem Desinteresse. Bei chef Michael Glos dementiert CSU-Vorsitzenden dauert einer abendlichen Gala macht sich Meldungen über einen „Geheim- rund 20 Sekunden länger. der Kabarettist Gerd Fischer über plan“, Stoiber als Kandidat Stoiber auf dem CDU-Parteitag 6. Januar 2002 Merkel die „ausgemerkelte und abgemey- Anfang Januar auszurufen. erklärt in einem Interview erte CDU“ lustig, der Saal johlt. erstmals öffentlich: „Ich bin bereit zu einer 21. Oktober 2001 Die CDU verliert Kanzlerkandidatur.“ Stoiber bekundet am bei der Wahl zum Abgeordneten- nächsten Tag ebenfalls seine Bereitschaft. haus in Berlin 17 Prozent der Stim- 11. Januar 2002 Nach einem Gespräch mit men und erzielt mit 23,8 Prozent Stoiber in Bayern erklärt Merkel bei der CDU- das schlechteste Ergebnis seit Klausurtagung in Magdeburg, dass sie auf 1950. Christdemokraten aus Leisler Kiep Berliner CDU-Spitzenkandidat Steffel, Merkel die Kanzlerkandidatur verzichtet. TELEPRESS, IPON, DPA, ACTION PRESS, DDP ACTION IPON, DPA, TELEPRESS,

der spiegel 3/2002 25 THOMAS EINBERGER / ARGUM THOMAS Ministerpräsident Stoiber beim Diplomatenempfang am vergangenen Donnerstag: „Ich mache das aus Verantwortung“

Oberkirchenrätin Dorothea Greiner ihre Fürbitte sprach: „Ich wünsche dir Men- schen, die dir widersprechen, wenn nötig. Der Mann, der sich durchringt Die dich hinterfragen, die dir neue Wege weisen, so dass du deine Meinung über- Er gilt als ehrgeizig und machtbewusst, prüfst.“ Jedem Einzelnen wünschte sie aber auch, er möge erfahren, wie „unfer- und doch hat er lange gezögert. Pflicht oder Neigung – was treibt tig“ er sei. „Weil noch vieles in dir ausein- Edmund Stoiber nun zur Kanzlerkandidatur? ander klafft, mit dir im Streit liegt.“ Da lächelte er nicht. r blickt aus dem Fenster der Staats- nere Mehrheitsentscheidungen, gibt es Ab- Als er die Kirche betrat, sah es aus, als kanzlei auf den verschneiten Hof- wägungen, Ja-aber-Beschlüsse: Wie viel hätte er einen Auftrag, und als er heraus- Egarten hinaus. „Glauben Sie mir“, Prozent Kanzlerkandidat ist er, wenn er kam, auch. Immer sieht er so aus. Wann hat sagt Edmund Stoiber, „ich bin nicht ge- sich selber prüft? 60 Prozent? 80 Prozent? er ihn sich gegeben? Wann hat er beschlos- blendet. Ich habe jetzt nicht dieses Ziel vor Oder 100? sen, dass das seine Pflicht sei: Ich muss al- mir, das ich immer erreichen wollte.“ Stoiber, das ist dieser CSU-Mann, der les richtig machen? Ich muss der Beste sein? Es ist Donnerstagmittag, der bayerische immer so verschlossen erscheint, so nüch- Er war nicht immer so, ganz früh jeden- Ministerpräsident hat das konsularische tern, der viele zum Stutzen bringt: Wie? falls nicht. Er war kein Streber, dieser Jun- Corps Bayerns empfangen, Generalkon- Der soll Oberbayer sein, und katholisch ge aus Oberaudorf, dessen Familie ärmer suln und Konsuln aus Spanien, Brasilien, noch dazu? Ein graublonder Herr von 60 war als die meisten und dessen Vater es Jugoslawien und so weiter, hat staatsmän- Jahren, einer mit angeborenen Bügelfal- nicht recht geschafft hatte im Leben, lange nisch Hände geschüttelt, Grußworte ge- ten und Gewohnheitsgriff zur Krawatte; war er arbeitslos, und die Mutter versuch- tauscht und versichert, Bayern sei ein verspannt wirkt er oft, wirkte er mehr denn te, mit ihrem Ehrgeiz alles wettzumachen: „weltoffenes und gastfreundliches Land“. je, so wie er in Wildbad Kreuth über das Geh aufs Gymnasium, Junge. So hat’s der Jetzt gönnt er sich eine Tasse Kaffee, Glatteis schritt, auf frierende Journalisten Strauß gemacht, und der Adenauer auch, es ist ein halbwegs ruhiger Moment in die- zu. Er schwieg zu jener Frage, die allen und aus denen ist was geworden, oder sen hektischen Tagen, er spricht von der die wichtigste war. Fast sah es so aus, als nicht? Edmund hat sich mehr für Fußball Kandidatenfrage, und er sagt: „Ich mache ob er vor den Kameras fliehen würde. interessiert, und in der zweiten Klasse am das aus Verantwortung. Aus Verantwor- Er zeigte sich kaum. Er Gymnasium flog er durch. tung als Parteivorsitzender. Glauben Sie ließ reden. Abends zog er Wegen Latein. mir das.“ zum Gottesdienst in die Aber es muss doch an Dreimal schon, sagt er, habe man ihn Kreuther Kapelle ein, wo ihm genagt haben, dieses sehr ernsthaft in die Bundespolitik rufen die CSU „Nun freut euch, Abseitsstehen. Es wurde wollen. Immer sei er in Bayern geblieben, ihr Christen“ sang; er kam nichts mit dem Fußball, ein er, Stoiber, der doch als Machtmensch gilt, zu spät. Er begnügte sich Fritz Walter, das hat er bald als maßlos ehrgeizig, passt das etwa? Und mit einem Schemel, als kein erkannt, würde er nie. diesmal, so sagt er, habe er sich „durchge- Platz mehr war. Er sang Aber Respekt braucht der rungen, zur Verfügung zu stehen“. mit, obwohl er nicht be- Mensch, und irgendeine Es ist die Woche von Kreuth, da sich in sonders gut ist darin, und Idee, wo es langgeht im der Union die Mehrheiten formieren, er dann versank er in sich Leben, und nach und nach hat es jetzt verkündet: Er wird es machen. selbst. wurde er dann doch so, Aber will er es wirklich auch? So wie es Hat er zugehört? Einmal Stoiber, Verlobte Karin (1966) wie die Mutter es ge- äußere Mehrheiten gibt, gibt es ja auch in- musste er lächeln, als Frau „Nicht dazwischenreden“ wünscht hat. Ist eifrig ge-

26 der spiegel 3/2002 Titel

„Stellen Sie das richtig!“ Doch was soll ei- worden. Hat Jura studiert. Und hat die mern über die mangelnde Leistungsbereit- gentlich richtig gestellt werden? Politik entdeckt, die konservative natür- schaft der Jugend spricht und als Beleg sei- In Berlin sitzt Merkel in ihrem Büro lich – später, in seiner persönlichen Ge- ne eigene Familie anführt. und nimmt Hiobsbotschaften entgegen. schichtsschreibung, hat er den Moment Es soll noch einen anderen Edmund Stoi- „Du bist wohl auch für Stoiber?“, begrüßt sehr weit vorverlegt: 1952 habe er im Ra- ber geben, sagen Freunde, einen, der ent- sie ihre Besucher, die sich verlegen win- dio zum ersten Mal Franz Josef Strauß spannt sein kann und Witze machen – der den, weil sie sich schon längst abgesetzt gehört. Das habe ihn „ungeheuer aufge- Öffentlichkeit zeigt er den nicht. Die sieht haben. „Angela“, versucht sich der Bun- wühlt“. Da war er zehn. einen Mann, der seine Pflicht tut, immer, destagsabgeordnete Eckart von Klaeden Mit 17 ist er in die Junge Union einge- egal, was passiert. So wie am Aschermitt- herauszureden, „der Stoiber ist für uns ein treten, mit 51 war er bayerischer Minister- woch 1979, als er auf einem Podium in der Sparbuch mit wenig Zinsen – du bist eine präsident – er ist einen geraden Weg ge- Passauer Nibelungenhalle stand. Kurz da- Aktie.“ gangen, anders als Schröder, den er schon vor hatte er erfahren, dass seine Mutter ge- Merkel kennt inzwischen die Ausflüch- erlebt hat, als er in dem noch einen „ech- storben war. Aber man sagt wenigstens ein te. „Du bist doch sicher auch für gestan- ten, marxistischen Sozialisten“ sah. Er paar Sätze. Man rennt nicht einfach weg. dene Männer“, verspottet sie ihre Ge- selbst war damals schon CSU-Generalse- Jetzt sei es wieder die Pflicht, so sagt er, sprächspartner. Doch auf Ironie reagieren kretär. Eisern, aktenfleißig hat er seinen die ihn dazu bringe, als Kanzlerkandidat die Herren empfindlich. „Unberechenbar“ Aufstieg betrieben. Diese Bilder von Schrö- bereitzustehen. Er ist bayerischer Minis- sei sie, schimpfen sie, im Wahlkampf ein der, Fischer, Lafontaine im Oktober 1998, terpräsident in seiner prächtigen Staats- unkalkulierbares Risiko. „Frauen wählen außer sich vor Begeisterung über die neue kanzlei, er empfängt Diplomaten, reist ins doch nicht Frauen, Ossis nicht Ostdeutsche Koalition – unvorstellbar bei einem wie Ausland, pflegt Wirtschaftskontakte wie – die Leute wählen doch jemanden, der ihm. Bei Stoiber gilt es schon als bemer- ein Kanzler, eigentlich macht er schon lan- ihre Probleme löst“, sagt ein Präsidiums- kenswert, wenn er sich nach einem Wahl- ge nicht nur Europa-, sondern auch Welt- mitglied. sieg das Bier wieder schmecken lässt, in politik, ganz so, als wäre der Freistaat ein Es ist schon dunkel, als an diesem Diens- Maßen, nach wochenlanger Abstinenz. Er echter Staat. Warum also nach Berlin? tagabend Wolfgang Schäuble in Kreuth ist ja kein Genussmensch, keiner, der sich Er bestreite, sagt er mit Blick auf den eintrifft. Die CSU-Abgeordneten unter- einem Sieg lustvoll hingeben kann. Erfolg, verschneiten Hofgarten, dass er der Hund brechen ihr Abendessen und applaudie- das heißt für ihn: Ich bin es. Ich hab’s ge- sei, „den man zum Jagen tra- schafft. Und was muss ich jetzt tun? gen muss“. Aber seine innere Schon eine öffentliche Umarmung fällt Mehrheitsentscheidung – bei ihm schwer. Steif wirkt das oft, so, als müss- 100 Prozent liegt die sicherlich te er immer noch üben, wenn er öffentlich nicht. Er muss ja der Beste sein, seine Frau Karin umfasst, mit der er ver- er muss ja gewinnen, und so heiratet ist seit 33 Jahren, und auf Fotos richtig klar ist es nicht, ob die sieht das manchmal so aus, als hätte man Opposition wirklich Aussichten zwei Urlaubsbekanntschaften nebeneinan- hat auf einen Sieg. Aber die der gestellt: So, jetzt rückt mal ein bisschen Chancen steigen. Im Novem- zusammen. Danke, das war’s. ber, sagt Stoiber, habe er ent- Man zeigt keine Gefühle, keine sanften schieden, dass er antreten wer- jedenfalls. Die aggressiven schon. Das Pol- de; da fing die Union an, wieder tern, das Handkantenschlagen auf Redner- Tritt zu fassen. Lust hat er jetzt tribünen – das macht er gern, auch wenn schon. Vielleicht zu 80 Prozent? die Sätze, in die er seine Ausbrüche klei- Liberal gibt er sich nun, will det, oftmals enden im Nichts. Kein Impro- niemand erschrecken mit rech- visierer, kein einnehmender, spontaner, ten Parolen, und führt als einen verführerischer Redner, wie es Gerhard Grund für die große Unterstüt-

Schröder sein kann – Stoiber sagt ja selbst, zung in der CDU seine baye- AP dass er da nicht wie der Bundeskanzler sei, rischen Wahlsiege an: „Zwei- Wirtschaftspolitiker Stoiber im Eurofighter: Steiler Aufstieg „der sich gut darstellen kann, und dann ist mal hatte ich mehr als 50 Pro- nichts dahinter“. Stoiber trägt Sachfragen zent – da sagen sich etliche in der CDU, das ren, als der frühere CDU-Chef in den Spei- vor, immer wieder Sachfragen, und eines muss doch ein Mann der Mitte sein.“ sesaal rollt. Kurz darauf zieht er sich mit seiner Lieblingswörter heißt: „Kompe- Kein böses Wort über Angela Merkel, Stoiber zurück. tenz“. Oder gar „Kompetenz-Kompetenz“. natürlich nicht. Als „hartnäckig“ und „kom- Der Bayer weiß bereits, wie Schäuble Manche seufzen, wenn er wieder mal petent“ habe er sie erlebt, „sehr schnell“ die Lage einschätzt: Der erfahrene Polit- den Lehrer Lämpel macht: Zeigefinger argumentiere sie und „präzise“, dank der Stratege hält die Unterschiede zwischen hoch, Kinn hoch und alles besser wissen. Er Tatsache, dass sie nicht wie so viele im der politischen Bundesliga in Berlin und hat hohe Ansprüche, an sich und an ande- Politikbetrieb Juristin sei, sondern Natur- den einzelnen Bundesländern für „drama- re ebenso. An seine Ehefrau den, dass sie wissenschaftlerin – „wie übrigens damals tisch“. Nur wenn das Zusammenspiel rei- ihm nicht in die Parade fährt, denn „eine auch Lafontaine“. bungslos klappt, hat Stoiber eine Chance, Frau, die ihrem Mann beim Regieren da- Den Namen Stoiber kenne sie schon lan- zum Schröder-Nachfolger gewählt zu wer- zwischenredet, wollen die Bayern nicht“, ge, habe Merkel ihm mal erzählt. Früher, den. Er sichert dem CSU-Chef seine volle hat er nach seiner Wahl zum Ministerprä- zu DDR-Zeiten, habe sie beim Abspülen Unterstützung zu. sidenten gesagt. An seine Kinder auch, gern Personen aus der westdeutschen Politik Der abendliche Merkel-Auftritt in den zeigt er sich mit den beiden Töchtern, die memoriert, da war er auch schon dabei. „Tagesthemen“ stößt in Kreuth auf wenig Jura studiert haben, nur auf den Sohn ist Das klingt sympathisch. Und auch so, als Interesse. Nur fünf CSU-Abgeordnete hat er weniger stolz. Der hat gerade so seine ob er sagen wollte: Mädchen, nun lass mal, es zu dieser Stunde ins Fernsehzimmer des Banklehre hinter sich gebracht, und es kann du bist ja noch jung. Du hast noch eine ehemaligen Kurhauses verschlagen. Zum vorkommen, dass der Vater in Hinterzim- Weile Zeit. Barbara Supp ersten Mal erklärt Merkel öffentlich, die Entscheidung werde bis zum Beginn der

der spiegel 3/2002 27 DPA Stoiber-Förderer Strauß (3. v. l.), Stoiber*: Scharfmacher und Zuschläger nächsten Bundestagssitzungswoche fallen, sehen werden mit Leuten, die wie Verlie- Merkel hat nur noch eine Option, wenn also noch vor dem 22. Januar. Und: „Ich rer aussehen. sie wirklich antreten will: Sie muss ihren halte nichts davon, dass wir uns in irgend- Nach dem Händedruck vom Bundes- Rücktritt androhen. Prompt geistern ent- eine Kampfabstimmung hineinbegeben.“ präsidenten will sie gleich weg, aber da ist sprechende Gerüchte durch die Haupt- „Die will keine Abstimmung in der Frak- eine Mauer von Kameras und die Frage, ob stadt, doch Merkel dementiert. tion“, sagt einer der Zuschauer. „Wir ja es eigentlich fair sei, was die CSU mit ihr Die Unsicherheit der Merkel-Gegner auch nicht“, meint ein anderer. veranstalte. Sie redet von dem Verfahren, bleibt. Was die Freunde als Nervenstärke In der CDU wird Merkels Aussage als auf das man sich geeinigt habe, ein Ver- auslegen, empfinden ihre Gegner zuneh- erstes Eingeständnis der Niederlage ge- fahren, an das nur noch sie glaubt. Sie hält mend als Halsstarrigkeit und Realitätsver- wertet. Führende Funktionäre basteln den das nicht mehr aus, weg hier. Allein stürmt weigerung. Am Donnerstag schließlich ganzen Tag an einem Ausstiegsszenario. sie die Treppe hinunter. muss auch Merkel erkennen, dass die K- Bei der Klausurtagung in Magdeburg, so Zurück im Büro, ist die Stimmung nicht Frage beantwortet ist. „Das Verfahren ist der Plan, soll das Kandidatenthema be- besser. Die K-Frage entgleitet der Führung beendet“, seufzt ein Präsidiumsmitglied: wusst verschwiegen werden. Dann wäre es immer mehr. Alle Dämme scheinen ge- „Als Naturwissenschaftlerin wird sie die für Merkel leichter, ihren Verzicht zu be- brochen zu sein. Ein führender Unionspo- Fakten zur Kenntnis nehmen.“ gründen. Alles soll so aussehen, als hätte sie litiker nach dem anderen meldet sich in Nach seinem Telefonat am Abend zu- Stoiber freiwillig die Kandidatur angeboten. Interviews zu Wort und ruft nach Stoiber. vor ist der hessische Ministerpräsident Es ist Mittwoch. Tag drei der Woche der Entscheidung. Im Sturmschritt eilt Angela Merkel am Morgen die Treppen zum ANGELA MERKEL KENNT IHRE PARTEI UND DEREN GESCHICHTE ZU WENIG Schloss Bellevue hinauf: Neujahrsempfang des Bundespräsidenten. Erst rennt sie Jür- Offenbar will keiner den Zug verpassen. Im Koch nicht davon überzeugt. Er bricht sei- gen Trittin von den Grünen in die Arme, Saarland ist es gar die Landtagsfraktion, nen Ski-Urlaub ab. Anders als geplant will dann von der CDU. Alles die mit Dreiviertelmehrheit einen solchen er nun doch an der Klausurtagung in Mag- Gegner. Kurzer Gruß, gequältes Lächeln, Beschluss fasst. deburg teilnehmen. Er hält es nach wie vor weiter im Gedränge. Immer wieder guckt Merkel reagiert hektisch. In Absprache für möglich, dass die Vorsitzende den sie zur Seite und nach hinten, als erwarte mit ihr und CDU-Generalsekretär Laurenz Durchmarsch plant. sie ständig Attacken. Meyer führt ihr letzter wichtiger Verbün- Doch die hat sich entschieden. Am Don- Endlich ein Vertrauter, Friedrich Merz deter, der nordrhein-westfälische Landes- nerstagabend besucht sie einen der letz- kommt. Angela Merkel reckt den Hals zum vorsitzende Jürgen Rüttgers, einen einstim- ten politischen Freunde, die sie noch hat. Gruß. Merz eilt auf sie zu, sie lächelt, migen Beschluss des Geschäftsführenden Sie will Stoiber die Kandidatur anbieten. strahlt fast ein wenig, dann ist er da, aber Landesvorstands herbei: Die CDU-Vorsit- Am nächsten Morgen schon. Was er da- nein, er meint nicht sie, er meint Jürgen zende sei die aussichtsreichere Kandidatin. von halte? Er rät zu. Noch am gleichen Möllemann neben ihr, grüßt ihn herzlich, Doch kaum hat sich die Nachricht von Abend vereinbart sie mit Stoiber einen speist danach seine Parteivorsitzende mit der Entscheidung verbreitet, melden sich Frühstückstermin bei ihm zu Hause in einem Nicken ab und wendet sich sofort schon führende Stoiber-Befürworter aus Wolfratshausen. Das Verfahren, dass sie so wieder Möllemann zu. Die beiden plau- NRW zu Wort: Von Einigkeit könne keine gern unter Kontrolle behalten hätte, ist be- dern, lachen, Angela Merkel steht dane- Rede sein. Sie haben Recht. In Wahrheit endet. Anders, als sie gedacht hat. ben, und keiner guckt sie an. Keiner hat ein sind die 192000 CDU-Mitglieder in NRW Merkels Desaster offenbart mit einem Wort für sie übrig, als wollte man nicht ge- zwischen beiden Bewerbern gespalten. Ei- Schlag sämtliche schweren Defizite, mit de- nige Abgeordnete rufen ihre CSU-Kolle- nen die Parteivorsitzende seit ihrem Amts- * Mit den CSU-Politikern Theo Waigel und Gerold Tand- gen in Kreuth an, um sich von dem Be- antritt zu kämpfen hat: Die CDU-Chefin ler am 29. Dezember 1987 in Moskau. schluss zu distanzieren. kennt ihre eigene Partei und deren Ge-

28 der spiegel 3/2002 Titel schichte nicht hinreichend, sie ist persönlich nicht tief genug verwurzelt und hat es nicht geschafft, Unterstützer um sich zu scharen. Am Anfang war gerade die Unbefangen- heit ihr größter Trumpf. Weiblich, geschie- den, ostdeutsch, protestantisch, aber vor al- lem politisch unbefleckt – das waren die At- tribute, die Merkel an die Macht brachten. Die CDU-Mitglieder sehnten sich nach einer von den Dreckspritzern der Kohlschen Spendenaffäre gesäuberten Führung. Die Delegierten des Parteitags in Essen im Frühjahr 2000 wählten eine Reformato- rin, nicht aber eine zukünftige Kanzler- kandidatin – nach der verheerenden Wahl- schlappe 1998 und der existenzbedrohen- den Spendenaffäre hielt diesen Posten auch niemand für so wichtig. Als Ostdeutsche blieb Merkel in der west- deutsch dominierten Union bis heute selt- sam fremd. Ihr fehlt die Verwurzelung im Wiederaufbau-Deutschland. Wenn Merkel, wie vor einem Jahr in der 68er-Debatte im

Bundestag, die Bundesrepublik des Jahres PILICK STEFANIE 1949 als freiheitliches Land bezeichnete und Konkurrenten Merkel, Stoiber*: Höhepunkt einer beispiellosen Karriere Außenminister Joschka Fischer aufforderte, für seine Vergangenheit als linker Steine- „Emma“. Die Männer dächten „im Traum Der war damals noch Ministerpräsident werfer „Buße zu tun“, schüttelten selbst nicht daran, eine Schwanzlose in ihre Wett- von Niedersachsen und hatte die CDU- wohlgesinnte Parteifreunde den Kopf. pissrunden aufzunehmen“, spottet die Frau nach dem Scheitern der Energie-Kon- Merkel vertraut nur ihrer Pressespre- Ober-Emanze, mit der sich Merkel schon sensgespräche in den Medien vorgeführt. cherin Eva Christiansen und ihrer Büro- mal freundschaftlich unterhält. „Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn irgend- leiterin Beate Baumann. Zu vielen Partei- Freilich hat die CDU-Chefin im Umgang wann genauso in die Ecke stellen werde“, zirkeln hat sie keinen Zugang. Der mit Personalfragen auch jenes Händchen sagte Merkel 1997 der Fotografin Herlinde Koch, der Niedersachse , vermissen lassen, das die wirklich Mächti- Koelbl. „Ich brauche dazu noch Zeit, aber der Saarländer Peter Müller – sie alle ent- gen brauchen. Ihr erster Generalsekretär, eines Tages ist es so weit.“ stammen jener Seilschaft der „Jungen der zurückhaltende Bundestagsabgeord- Irgendwann, vielleicht. Wilden“, die sich seit Jugendtagen und nete Ruprecht Polenz, scheute das media- Nun erklimmt also Edmund Stoiber im politischen Festen in Bierkellern kennt. le Rampenlicht. Ihre zweite Wahl, der Alter von 60 Jahren die höchste Stufe für Merkels Problem sei das Nicht-dazu- frohsinnige Westfale Laurenz Meyer, er- einen CSU-Politiker, die bislang nur der Gehören, schreibt Alice Schwarzer in klärte nassforsch, einen weiteren Miss- Gottvater der Partei, Franz Josef Strauß, der jüngsten Ausgabe ihrer Zeitschrift griff könne sich Merkel nicht erlauben. erreicht hat – die Kanzlerkandidatur. Doch inzwischen gilt er als Vorläufiger Höhepunkt einer beispiello- genau das. sen Karriere. Kometenhaft stieg Stoiber Kohl machte 1979 vor, wie nach dem Jurastudium in der CSU auf. Als man sich als CDU-Chef in ei- arbeitswütiger Quereinsteiger durfte er sich ner Kandidatendebatte ge- rasch als persönlicher Referent des dama- schickter verhalten kann als ligen Umweltministers Max Streibl be- jetzt Merkel. Als der Pfälzer währen und zog mit 33 als Abgeordneter in erkannte, dass Franz Josef den Bayerischen Landtag ein. In seiner ers- Strauß als Kanzlerkandidat ten, Aufsehen erregenden Rede wetterte nicht mehr zu verhindern war, er dort gegen die Nacktbader an der Isar. schickte er den niedersächsi- 1976 empfahl er sich Strauß mit einem schen Ministerpräsidenten Büchlein „Politik aus Bayern“. Ernst Albrecht als Zählkandi- Mit anderen CSU-Jungpolitikern for- daten der CDU. Zuerst verlor derte er damals, den Ministerpräsidenten Albrecht gegen Strauß, dann durch Parteichef Strauß zu Strauß gegen Bundeskanzler ersetzen. Damit erwarb sich Stoiber das Helmut Schmidt – und nur Vertrauen des bayerischen Sonnenkönigs. Kohl ging als Sieger aus der 1978 holte Strauß ihn als seine rechte Hand, Niederlage hervor. er avancierte zunächst zum Generalse- Dabei hatte Angela Merkel kretär der Partei, dann zum Leiter der es sich so schön ausgedacht. Staatskanzlei. Bereits als Bundesumwelt- Die Rolle als Scharfmacher und Zu- ministerin hatte sie sich vor- schläger des Poltergeists Strauß verfolgt genommen, Gerhard Schrö- Stoiber bis heute. Mit rhetorischen Ausfäl-

LAURENCE CHAPERON der einmal herauszufordern. len wie der Warnung vor einer „durchrass-

Christdemokratin Merkel* * Oben: am 4. Dezember 2001 auf dem CDU-Parteitag in Ostdeutsch und protestantisch Dresden; unten: im März 2000 an der Ostsee.

der spiegel 3/2002 29 Titel

den die Ungerechtigkeit bei Schröders Steuerreform sofort beseitigen. SPIEGEL: Die bringt den Bürgern eine Ent- „Kampf um beste Lösungen“ lastung von 30 Milliarden Euro. Was ge- fällt Ihnen daran nicht? CSU-Chef Edmund Stoiber über seine Strategie Stoiber: Sie hat die Großkonzerne be- vorzugt und den Mittelstand vergessen. SPIEGEL: Sie werden nun, was Sie sein Stoiber: Dass wir Probleme, die jeder als Das spürt heute gerade Ostdeutschland, wollten: Kanzlerkandidat der Union. Was solche empfindet, im Wahlkampf auf- denn jede Firma, die nicht als Aktienge- empfinden Sie? greifen werden. Zum Beispiel will ich, sellschaft gegründet wurde, leidet unter Stoiber: Man spürt schon, dass man da dass wir einen spürbaren Abbau von dieser Steuerreform. eine große Aufgabe gestellt bekommt. Da Bürokratie hinbekommen. Ich will weni- SPIEGEL: Hauptthema des Wahlkampfs ist viel Vertrauen auf Seiten der CDU ger steuerliche Belastung, weil die Men- wird die Arbeitslosigkeit. Was wollen Sie und CSU, das freut mich natürlich. Das ist schen selbst wieder ein Mehr an Freiheit zur Schaffung neuer Jobs tun? ganz ohne Zweifel ein sehr schöner Tag verlangen. Eine Staatsquote von 50 Pro- Stoiber: Wir brauchen erstens Wachstum in meinem politischen Leben. zent, das bedeutet doch, dass jeder zwei- und zweitens eine Entriegelung des zu star- SPIEGEL: Was ist Ihr Vorsatz für den an- te Euro unseres gemeinsam erwirtschaf- ren Arbeitsmarktes. Allein durch die Neu- stehenden Wahlkampf, der ja mit dem teten Sozialprodukts vom Staat ausgege- regelung des 325-Euro-Gesetzes gingen heutigen Tag begonnen hat? ben wird. Das ist zu viel. etwa eine Million Arbeitsplätze verloren. Stoiber: Ich will, dass es ein Wahlkampf SPIEGEL: Die meisten Probleme – Büro- SPIEGEL: Welche Rolle spielt in Ihrem der Kompetenz wird, des Ringens um die kratie, Steuerbelastung, Staatsquote – Wahlkampf das Ausländerthema? bessere Lösung. Es darf Stoiber: Ich werde kei- nicht nur ein Medien- nen Ausländerwahlkampf wahlkampf und vor allem führen, aber ich werde kein Diffamierungswahl- auch kein Thema ausspa- kampf werden. Das habe ren, das die Menschen be- ich mir vorgenommen, wegt. Das wäre grund- und ich hoffe, das gilt auch falsch. Wir sind ein aus- für Gerhard Schröder. länderfreundliches Land, SPIEGEL: SPD-Generalse- wir haben unter den kretär Franz Müntefering großen Ländern der EU nannte Sie bereits einen den höchsten Ausländer- „Spalter“. anteil und vollbringen da- Stoiber: Ich erwarte nichts her eine enorme Inte- anderes von Herrn Mün- grationsleistung. 500000 tefering, aber ich hoffe, Menschen kommen jedes das wird sich nicht fort- Jahr hierher. Eine Stadt setzen. Für mich sind das so groß wie Dortmund die Methoden von ges- muss jedes Jahr integriert tern, sich nicht sachlich werden. auseinander zu setzen, SPIEGEL: Und ein Mehr an

sondern persönlich diffa- EINBERGER / ARGUM THOMAS Zuwanderung … mierend zu werden. Und Ministerpräsident Stoiber: „Schröder hat die Wähler enttäuscht“ Stoiber: … packt dieses ich empfinde die Vokabel Land nicht. Wir werden „Spalter“ diffamierend einem Minister- sind nicht erst in der Ära Schröder ent- doch, wenn wir ehrlich sind, schon jetzt präsidenten gegenüber, der ein Land standen. Vor dieser Regierung hat 16 Jah- mit der geforderten Integrationsleistung regiert, in dem eine gute Stimmung re lang die Union den Kanzler gestellt. nicht fertig. Wenn wir mehr Menschen herrscht und in dem eine ausgewogene Stoiber: So einfach kann es sich der Kanz- nach Deutschland holen wollen, ein Mehr soziale Symmetrie besteht. ler nicht machen. Er hat den Leuten ja an Zuwanderung in unsere Sozialkassen, SPIEGEL: Sie klingen so gemäßigt. Heißt ganz konkret versprochen, er werde die in unseren Arbeitsmarkt, dann kostet das das, wir werden Stoiber, den Scharfma- Arbeitslosigkeit auf 3,5 Millionen zurück- Kraft und Geld. Die Kommunen pfeifen cher, den Zuspitzer und Frontal-Angrei- führen. Wenn ich das nicht erreiche, so schon jetzt aus den letzten Löchern. fer in diesem Wahlkampf nicht erleben? Schröder sinngemäß, dann habe ich kein SPIEGEL: Doch ein Ausländerwahlkampf? Stoiber: Die Zeit hat sich geändert. Heu- Anrecht, wiedergewählt zu werden. Man Stoiber: Nein, aber wenn es mit der Re- te akzeptieren selbst die eigenen Anhän- kann die Wähler heute nicht einfach so gierung keine Einigung in diesen Fragen ger nicht mehr die überzogene Ausein- hinhalten, die haben ihm geglaubt. Er hat gibt, dann ist es neben dem Hauptthema andersetzung. Immer mehr Menschen sie enttäuscht. Wirtschaft und Arbeitslosigkeit automa- achten bei uns Politikern darauf, wie wir SPIEGEL: Wo noch wollen Sie attackieren? tisch ein weiteres in den nächsten Mona- miteinander umgehen. Stoiber: Überall da, wo Unsinniges ge- ten. Weil die Leute darüber reden, weil 60 SPIEGEL: Das heißt, Sie wollen einen Wahl- schehen ist in den letzten drei Jahren, bis 70 Prozent kein Mehr an Zuwande- kampf um die Mitte führen und sich kei- werden wir ansetzen. Wir werden nach rung wollen. Das verstehe ich unter argu- nen Lagerwahlkampf aufnötigen lassen? einem Wahlsieg das Gesetz zur Schein- mentativem Wahlkampf: reden über das, Stoiber: Es wird ein Wahlkampf um die selbständigkeit wieder ändern, weil es zu was los ist in Deutschland. Wenn wir das besten Lösungen. Die Leute können doch weniger Selbständigkeit und damit zu we- nicht tun, überlassen wir das Thema jenen mit den Begriffen links, rechts, Mitte niger Beschäftigung geführt hat. Wir wer- Parteien, mit denen ich nichts zu tun ha- nichts mehr anfangen. den dann auch die nächste Ökosteuer- ben will oder die ich verdrängen will. SPIEGEL: Und das bedeutet konkret? Erhöhung sofort streichen. Und wir wer- Interview: Gabor Steingart

30 der spiegel 3/2002 eine Kopie der FPÖ-Politik“. maroden Stahlwerk Maxhütte werden Alles, was er mache, so Haider, schwächelnde Wirtschaftszweige in Bay- „kündigt er mit drei Wochen ern nicht weniger stark mit Subventionen Verzögerung in Deutschland durchgefüttert als in anderen Bundes- an“. Tatsächlich fürchtet Stoi- ländern. Und wenn ein Wirtschaftsminister ber die Rechtspartei des Ham- im Bund oder in den Ländern zum x-ten burger Senators Ronald Schill: Mal einen Anlauf wagt, das Ladenschluss- „Die Grünen“, meinte er ver- gesetz zu lockern, kann er sicher sein: gangene Woche, „haben auch Der erbittertste Widerstand kommt aus mal als ein Ein-Themen-Partei Bayern. begonnen.“ „In Bayern“, lobte der CDU-Linke Hei- Andererseits sind sich auch ner Geißler 1998, „kann auch ein Sozialar- Kanzler Schröder und Stoiber beiter ohne Gewissensbisse Union wählen.“

ROLAND MAGUNIA / DDP ROLAND MAGUNIA in vielem näher, als man Während Altkanzler Helmut Kohl damals Hamburger Rechtspopulist Schill: Von Stoiber gefürchtet zunächst glauben könnte. „Wir das „Bündnis für Arbeit“ platzen ließ und beide kämpfen um dieselbe sich auch deshalb die vernichtende Nie- ten Gesellschaft“ löste er vor 13 Jahren Klientel“, erkannte der Bayer schon 1995, derlage bei der Bundestagswahl 1998 ein- Empörung im ganzen Land aus – er nahm als Schröder noch Regierungschef in Nie- handelte, legte Stoiber in Bayern großen diese Entgleisung später öffentlich als Feh- dersachsen war. Der Populist Schröder, lob- Wert auf ein gedeihliches Funktionieren ler zurück. Zugleich erlebte Stoiber aus di- te der christsoziale Amtskollege damals, sei seines Regionalbündnisses von Regierung, rekter Nähe, wie Strauß als CSU-Chef und „mit Sicherheit der Einzige, der den Volks- Gewerkschaften und Arbeitgebern. Bay- Ministerpräsident sein Land vom Agrar- parteicharakter der SPD noch retten kann“. erns DGB-Chef Fritz Schösser, SPD-Abge- ins Hightech-Zeitalter beamte. Der Versuch von Kanzler Schröder und ordneter im Bundestag, pflegt beste Bezie- Nach dem Tod seines politischen Zieh- SPD-Generalsekretär Franz Müntefering, hungen zum christsozialen Regierungschef vaters und einem kurzen Intermezzo mit Stoiber als dumpfen Rechtskonservativen und feierte ihn – zum Ärger seiner Genos- dem Strauß-Nachfolger Streibl führt Stoi- und unsozialen Arbeitgeberfreund anzu- sen – einmal gar als „Lichtgestalt“. Dem ber die bayerische Erfolgsstory fort, nur greifen, könnte erheblich schwerer verfan- Stoiber „das Etikett der sozialen Kälte an- professioneller. gen als von ihnen erhofft. zuheften“, prophezeit Schösser, werde Ganz bewusst pflegte Stoiber das politi- Vor allem in der Wirtschafts- und Ar- „außerordentlich schwierig“. sche Profil der CSU, für das Strauß den beitsmarktpolitik – die Stoiber zum zen- Stoiber als Vorkämpfer gegen lähmende Grundstein gelegt hatte: straff-autoritär in tralen Wahlkampfthema machen will – Bürokratie, schwindsüchtige Sozialkassen Fragen der inneren Sicherheit, konservativ- ähneln sich der Kanzler und sein Heraus- und den unflexiblen Arbeitsmarkt? Jeden- patriarchalisch oder klerikal-verklemmt in forderer auf verblüffende Weise. Als Spe- falls nicht in der Praxis – da legte sich die der Gesellschaftspolitik, pragmatisch-libe- zi der Bosse versteht es der Bayernregent, Stimme Bayerns immer quer, egal ob unter ral gegenüber der Wirtschaft, aber immer immer mehr Spitzenforscher und Hoch- Kohl oder Schröder. Immer wenn die auf sozialen Ausgleich und Konsens mit technologie-Betriebe in die Boomregion schwarz-gelbe Koalition in ihrer letzten den kleinen Leuten bedacht. Und natürlich um München zu locken. Ordnungspoliti- Amtsperiode die Lohnfortzahlung kürzen, mit scharfer Abgrenzung gegen alles Nicht- sche Wirtschaftstheorien wie Merkels die Rente reformieren oder die Ausgaben Bajuwarische, komme es nun aus dem Rest „neue soziale Marktwirtschaft“ interessie- für Kuren kürzen wollte, stand Stoiber auf der Republik, aus Brüssel oder noch fer- ren Stoiber dabei so wenig wie Schröder – der Bremse: mal aus Sorge um das soziale neren Weltgegenden. beide machen lieber mit den Top-Chefs Profil der Union, mal aus Angst vor Um- Das „Geheimnis der CSU“, stellte Stoi- Geschäfte in Hinterzimmern, agieren als satzverlusten seiner Bäder im Bayerischen ber-Rivalin Merkel mehrmals verblüfft fest, Türöffner für Unternehmen und als Feuer- Wald. „ist, dass sie Positionen von weit rechts bis wehrleute im Krisenfall. Genauso erfolgreich legte der Landes- zu denen von vertritt – Auf die Herausforderungen der Globa- fürst im Sommer 2000 sein Veto ein, als und keiner nimmt ihr das übel.“ lisierung gibt Stoiber meist dieselben struk- CDU-Chefin Angela Merkel und CSU-Vize Einerseits behauptet der österreichische turkonservativen Antworten wie der SPD- mit der SPD einen Kom- Rechtspopulist Jörg Haider, Stoiber sei „nur Kanzler. Von der Landwirtschaft bis zum promiss über die Rentenreform aushandeln wollten. Nicht etwa, weil Christdemokraten Rüttgers, Koch, Merz: Jeder telefonierte mit jedem ihm die sozialdemokrati- schen Reformer zu zöger- lich vorgingen – er sah die „soziale Balance“ gestört. Das rot-grüne Rentenkon- zept komme einer „Ent- eignung“ künftiger Rent- ner gleich, geißelte Stoiber das Konzept und legte die Union gegen das Votum des Unions-Wirtschaftsflü- gels auf einen strikten Blockadekurs fest. Partei- vize Seehofer forderte fortan im Stoiber-Auftrag mehr Geld für Witwen und Waisen, Niedrigverdiener und Frauen. Ein aktueller Fall von FOTOS: JENS WOLF / DDP JENS WOLF FOTOS: LAURENCE CHAPERON Besitzstandswahrung liegt 31 noch im Bundesrat: Während Stoiber wort- gewaltig „mehr Flexibilität auf dem Ar- beitsmarkt“ und die „Öffnung der Flächen- tarife“ anmahnt, will er Städte und Ge- meinden per Gesetzentwurf verpflichten, ihre Aufträge nur noch an Firmen zu ver- geben, die den gültigen Tariflohn zahlen. Die Bundesregierung hat sich den Stoiber- Vorschlag inzwischen zu Eigen gemacht – und kassiert dafür nun kräftig Prügel von den Brüsseler Wettbewerbshütern. Viele Unternehmer zweifeln deshalb, ob Stoiber wirklich der Richtige für sie ist. Sein Poltern gegen Europa ist Managern und Wirtschaftsführern genauso unange- nehm in Erinnerung wie sein Widerstand gegen das Zuwanderungsgesetz. Als BDI-Präsident Michael Rogowski vor wenigen Wochen die CSU-Spitze im

bayerischen Kreuth beschwor, dem Ge- PECHAR / DPA setzentwurf von Bundesinnenminister Otto Anti-Strauß-Demonstration (1980 in ): Leidvolle Erinnerungen Schily zuzustimmen, ließ ihn Stoiber kühl abblitzen: Die Industrie möge mehr für die 1980 war es besonders schlimm. Alle Ver- nigstens ein bisschen. Wechselseitige Rem- betriebliche Ausbildung tun, statt „bei Eng- suche, die Aktivitäten der Bonner CDU- peleien zwischen Unionspolitikern aus pässen am Arbeitsmarkt sofort nach Zu- Zentrale mit denen der Münchner CSU- Nord und Süd klingen meist wie folkloris- wanderung zu rufen“. Landesleitung zu koordinieren, endeten im tisches Beiwerk zur Unterhaltung des In seiner neuen Rolle als gemein- Chaos. Stoiber und der damalige CDU-Ge- Wählerpublikums. samer Kanzlerkandidat von CDU und neralsekretär Heiner Geißler belauerten Doch in der politischen Praxis könnten CSU werde sich Stoibers Widerstand ge- sich und gingen aufeinander los wie Katz alte und neue Eifersüchteleien noch im- gen das Zuwanderungsgesetz in Wohl- und Hund. Geißler setzte auf einen argu- mer jedes gemeinsame Projekt bedrohen – gefallen auflösen, sagen führende Unions- mentativen Wahlkampf, die CSU-Führung besonders einen gemeinsamen Bundes- politiker voraus. Um das Gerede vom verlangte eine emotionale Kampagne. tagswahlkampf. Rechtsruck in der Union durch seine Kan- Auch die Arbeit der gemeinsamen Wahl- Nach beinahe jeder Wortmeldung aus didatur zu widerlegen, werde Stoiber im kampfkommission von CDU und CSU München pflegt die CDU-Vorsitzende Mer- Wahlkampf demonstrativ moderate Posi- scheiterte am Kleinkrieg der Parteizentra- kel zu betonen, dass sie die „Statik“ der tionen besetzen. Im Kampf um die Mehr- len. Das Konrad-Adenauer-Haus in Bonn Union zu bewahren wisse: Die CDU sei heit im Norden, Westen und Osten dürfe er war für die CSU-Leute praktisch Feindes- die große Schwesterpartei, bei der CSU handele es sich nur um die regionale Er- gänzung. STOIBER WEISS, WIE SCHWER ES IST, MIT DER CDU WAHLKAMPF ZU MACHEN Umgekehrt greifen die gleichen Refle- xe. Nach den Wahlsiegen der CDU in Ba- nicht als ausländerfeindlicher Hardliner land. Deshalb musste Stoiber im Bonner den-Württemberg und anderswo müsse die auftreten. Regierungsviertel eine Villa anmieten. Er CSU-Spitze aufpassen, warnte Stoiber sei- Der Industrie empfahl sich der Kandidat stattete sie mit Möbeln aus der alten CSU- ne Parteifreunde vergangenen Sommer noch am Freitag, kaum hatte Merkel ihren Parteizentrale in der Münchner Lazarett- hinter verschlossenen Türen im Kloster Verzicht publik gemacht, mit anderen Ver- straße aus und setzte ein paar Strauß-Ge- Banz, dass die Schwesterpartei nicht über- sprechungen: Er werde als Kanzler, ver- treue hinein. mütig werde. Mancher von denen könne kündete er im Bayerischen Rundfunk, die Die Grabenkämpfe von damals und die „vor Kraft kaum noch laufen“. Ökosteuer nicht weiter erhöhen, das Be- Strauß-Niederlage haben sich tief ins kol- Großmäuligkeit und Minderwertigkeits- triebsverfassungsgesetz erneut überarbei- lektive Gedächtnis der Unionsparteien ein- komplex gehören im Verhältnis der Uni- ten und den Atomausstieg rückgängig ma- gegraben. Stoiber, aber auch die damals onsparteien nach wie vor untrennbar zu- chen. Das geht ans Eingemachte rot-grüner noch jungen Bundestagsabgeordneten sammen. „Wenn du jemandem von der Politik. Wolfgang Schäuble, Michael Glos und CSU die Hand gibst“, höhnte Roland Koch Ein anderes Problem kennt Stoiber nur Volker Rühe wollen die Fehler von damals noch vergangenen Freitag in der CDU-Prä- zu gut aus seiner Zeit als Adlatus von Franz im Jahr 2002 auf keinen Fall wiederholen. sidiumssitzung, „dann zählen sie danach Josef Strauß: wie schwierig es ist, als CSU- Tatsächlich hat sich das Klima seither an beiden Händen ab, ob noch alle fünf Kandidat mit dem CDU-Apparat Wahl- geändert. Im Vergleich zu den saftigen Be- Finger dran sind.“ kampf zu machen. Er hat leidvolle Erinne- leidigungen und öffentlichen Demütigun- Der Harmonie kaum förderlich ist auch rungen an das Wahljahr 1980, als sein Herr gen, die sich die Männerfreunde Strauß das schlechte Verhältnis der Generalse- und Lehrmeister versuchte, das Bonner und Kohl beibrachten, behandeln sich Mer- kretäre Laurenz Meyer (CDU) und Tho- Kanzleramt zu erobern. kel und Stoiber mit Samthandschuhen. mas Goppel (CSU). Die beiden halten Der Versuch scheiterte nicht nur am Anders als Strauß ist Stoiber kein bayeri- nichts voneinander und besprechen nur Kandidaten, sondern auch wegen pro- scher Poltergeist, sondern ein preußisch das Nötigste. Wohl auch deshalb setzte grammatischer, professioneller und politi- wirkender Managertyp. Und auch die ideo- Merkel bei Stoiber im Wohnzimmer durch, scher Unvereinbarkeiten mit der Schwes- logischen Schlachten von damals – „Frei- dass Meyer den gemeinsamen Unions- terpartei – und wegen der Verwandt- heit statt Sozialismus“ – haben sich weit- kampf leiten werde. schaftsfehden, die CDU und CSU seit gehend erledigt. Beide Generalsekretäre haben noch nie Gründung der Bundesrepublik 1949 mit Sogar die traditionelle Rivalität zwischen einen größeren Wahlkampf organisiert. unterschiedlicher Intensität austragen. CDU und CSU hat sich abgeschliffen – we- Aber beide haben bereits eigene Werbe-

32 der spiegel 3/2002 Titel agenturen engagiert. Unter dem Druck der bahnung beteiligt war. Mal musste er die Gelder – könnte Stoibers Wahlchancen knappen Finanzen – CDU und CSU sind Frage beantworten, ob es denn stimme, durchkreuzen. Nicht auszudenken, was gleichermaßen klamm – werden sich alle dass er beim Leuna-Lobbyisten Dieter Hol- zum Beispiel eine Pleite des Münchner Me- wohl unter dem Dach der CDU-Zentrale zer in den achtziger Jahren wiederholt und dienzaren Leo Kirch für Stoiber bedeuten zusammenraufen müssen. gern Urlaub gemacht habe. Sechs oder sie- könnte: Ihm hat der Freistaat mit Krediten Doch trotz solcher Querelen – die Chan- ben Ferienaufenthalte in der Villa des Ge- in Milliardenhöhe ausgeholfen, die dann cen für Stoiber stehen so schlecht nicht. schäftsmannes an der Côte d’Azur bis 1989 auf immer verschwunden wären. Die Chefin des Allensbacher Instituts für räumte er ein. Das größte Risiko für Stoiber ist jedoch Demoskopie, Renate Köcher, sieht Union In München stießen Journalisten darauf, eine führungslose CDU. Noch im vergan- und SPD derzeit gleichauf bei 35 Prozent. dass Holzers, Stoibers und die Marianne- genen Herbst hatte der Bayer angekündigt, Das „Sympathiepotenzial“ er werde nur als Kanzlerkan- von CDU und CSU liege aber Schröders Herausforderer didat antreten, wenn jemand bei 40 Prozent, berichtete sie in der Schwesterpartei für bei der CSU-Klausurtagung Wenn der Bundeskanzler direkt gewählt Ordnung sorgen könne. Mer- in Kreuth. Wermutstropfen: werden könnte, wen würden Sie wählen? kel kann diese Rolle nach Es herrsche keine Wechsel- 58 ihrer Entmachtung bei der 55 60% stimmung beim Wahlvolk. 49 55 53 54 53 Kandidatenkür kaum noch Die werde sich höchstens bei ausfüllen – ihre Garantie- 50% einer anhaltend schlechten Schröder erklärung für die Geschlos- Wirtschaftslage entwickeln. 39 39 senheit der Union war eher 36 36 40% Und wenn die Union ihre 34 30 34 ein Appell. zahlreichen Risiken im Wahl- 30% Vier Jahre nach dem Ende kampf unter Kontrolle behält. NFO-Infratest-Umfrage für der Ära Kohl steht die CDU Stoiber ARD/„Bericht aus Berlin“; Im Umgang mit den Medien, rund 1300 Befragte 20% noch mitten in der Diado- räumen selbst Stoiber-An- chenphase. Die einstige Zen- hänger ein, hat der Heraus- 2001 2002 tralmacht ist zerfallen, und forderer gegenüber Schröder Jan. Febr. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez. Jan. kein neues Kraftzentrum hat kaum eine Chance. Die Spon- bislang das alte ersetzt. Die taneität des Kanzlers, seine lässigen Strauß-Stiftung in ein und demselben Haus Regionalfürsten sind vor allem auf die ei- Sprüche und Eingebungen vor Fernsehka- Nachbarn sind. Stutzig machte sie, dass auf gene Macht und die eigene Zukunft be- meras kann kein Medienberater dem oft dem Appartement, das auf den Namen von dacht – wie Roland Koch oder Peter Mül- hölzernen Stoiber antrainieren. Stoibers Frau Karin eingetragen ist, keine ler. Und dem Fraktionschef Friedrich Merz Auch wird seine Vergangenheit als engs- Hypotheken lasten. Die Staatskanzlei er- ist fast jedes Mittel recht, um zu verhin- ter Strauß-Mitarbeiter in den kommenden klärte, Stoiber habe die 47-Quadratmeter- dern, dass Merkel ihn im Amt beerbt. Monaten nochmals in allen Details durch- Wohnung für mehr als 200000 Mark „aus Das ist der möglicherweise entscheiden- wühlt. Erspartem bezahlt“. de Unterschied zur SPD des Wahljahres Immer wieder, so fürchten die CSU-Ma- Und seit Jahren droht der Kauferinger 1998. Die Sozialdemokraten verfügten da- nager, werde Stoiber mit unangenehmen Geschäftsmann Karlheinz Schreiber, CSU- mals über einen Leitwolf und starken Fragen aus der Zeit des Straußschen Ami- Mitglied und Schlüsselfigur im Parteispen- Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine, ob- go-Systems konfrontiert. denskandal der CDU, von Kanada aus un- wohl der als Kanzlerkandidat zu Gunsten So musste er einmal einräumen, dass er verhohlen mit seinem Wissen aus vergan- Schröders verzichtet hatte. Selbst Schrö- an einem Airbus-Geschäft seines Ziehva- genen Tagen. der hörte, wenn es drauf ankam, im Bun- ters mit der DDR zumindest bei der An- Auch jede Pleite der bayerischen Staats- destagswahlkampf auf das Kommando des regierung – wie etwa die 1999 aufgedeckte unumschränkt herrschenden Parteichefs. * Im Februar 2001 auf der Nürnberger Spielwarenmesse. Finanzaffäre um staatliche Wohnungsbau- Die Einheit zerbrach erst nach dem Wahl- tag. Niemand in der CDU CSU-Politiker Stoiber, Kanzler Schröder*: „Wir kämpfen beide um dieselbe Klientel“ dürfte in der Lage sein, den Lafontaine der Union zu ma- chen. Glück für Gerhard Schröder? Für Angela Merkel ist die Zukunft womöglich doch noch nicht vorbei. Nach den der- zeitigen Umfragen könnte die Bundestagswahl mit einem Patt enden – weder Rot-Grün noch CDU/CSU und FDP hät- ten eine Regierungsmehrheit. Und hätte die SPD am Ende auch nur ein paar Stimmen mehr als die Union, bliebe Stoiber wohl in München, in Berlin stünde eine Große Ko- alition an – mit einer Vize- kanzlerin Angela Merkel. Ulrich Deupmann, Konstantin von Hammerstein, Wolfgang Krach, Hartmut Palmer, Michael Sauga, Christoph Schult THOMAS LANGER / ACTION PRESS LANGER / ACTION THOMAS

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