derFahrgast Interview

Deutschland-Takt Besser für alle!

ch wünsche mir einen Deutschland- triebsformen versuchen die örtlichen fährt, legt die 36 Kilometer via Bundes­ „Itakt“ titelte am 12. April 2012 der ­Verkehrsverbünde, immer näher an die autobahn 3 und Bundesstraße 67 in gut „Münchner Merkur“ die Überschrift eines Kunden heranzukommen. Es hat sich viel 35 Minuten zurück. Interviews mit dem neu gewählten Bun- verändert und nicht ohne Grund fuhren Wer gleiches mit öffentlichen Verkehrs­ desvorsitzenden des Fahrgastverbandes im Jahr 2011 so viele Menschen mit öffent- mitteln tun möchte, ist über eine Stunde PRO BAHN, Jörg Bruchertseifer. lichen Verkehrsmitteln wie nie zuvor. länger unterwegs. Mit dem RE 5 fährt man Im Laufe des Interviews brachte es der von Emmerich nach Empel-Rees. Dort Augsburger mit einem einfachen Satz Schlechte Anschlüsse ­besteht eine Wartezeit von 49 Minuten, weiter auf den Punkt und konkretisierte vertreiben Kunden ehedem es dann mit der Buslinie 61 nach seine Forderung: „Ein Deutschlandtakt, Bocholt geht. Ankunft ist dort ­weitere der einen lückenlosen öffentlichen Ver- Aber halt! Oft verliert der öffentliche Ver- 44 Minuten später. Gesamtreisezeit: kehr von A nach B möglich macht.“ Bun- kehr dann an Attraktivität, wenn von A 99 Minuten. Und wie viel kostet das dann? desweiter lückenloser öffentlicher Ver- nach B keine Direktverbindung möglich Wie viel das kostet? Zumindest die kehr, am besten von Haustür zu Haustür? ist, sondern unterwegs umgestiegen wer- ­Internetauskunft der Deutschen Bahn AG Es drängt sich die Frage auf: Warum gibt den muss. Vielleicht sogar mehrfach. kann den Preis nicht nennen. Ist das ein es das heute noch nicht? Lange Wartezeiten an Umsteigebahn- ­attraktives Angebot? Der heutige öffentliche Personenver- höfen sind ein Ärgernis und halten poten- Sicherlich, der Blick zum Niederrhein kehr ist mit den alten Tagen kaum noch zu zielle Fahrgäste von der Nutzung des zeigt ein bewusst gesuchtes Negativ­ vergleichen: Eine Vielzahl an kompeten- ­öffentlichen Verkehrs ab. Unsichere und beispiel und es gibt bereits heute gut ten Anbietern erbringt mit immer moder- damit häufig verpasste Anschlüsse vertrei- funktionierende und eng aufeinander neren Fahrzeugen Verkehrsleistung von A ben die mühsam gewonnenen Kunden ­abgestimmte Takte sowie RE-Linien, die nach B, die Zuständigkeit der Aufgaben- vielleicht sogar wieder. längst ganze Bundesländer durchfahren träger ist regionalisiert (und immer dann Eine Herausforderung, denn der Mo- und damit großzügige Möglichkeiten für ein Erfolg, wenn die Aufgabenträger ihre dal-Wettbewerber Auto kennt weder Um- die Fahrgäste schaffen. Aber für einen Aufgaben auch tragen), mit neuen Ver- steigezeiten noch Hetzerei beim Über- ­flächendeckend gut nutzbaren öffent­ gang, geschweige denn lichen Verkehr muss eben auch der Fokus komplizierte Konstruk­ auf ­lokale Probleme gelegt werden. tionen wie Über-Eck-An- Woran scheitert der Deutschland-Takt schlüsse. bislang? Wir sprachen mit Hans Leister, ­einem wichtigen Vertreter der Initiative Ein kleines Beispiel: Wer Deutschland-Takt, in der auch der Fahr- von Emmerich nach gastverband PRO BAHN vertreten ist. Bocholt mit dem Auto Foto: © AKN Eisenbahn AG; Grafik: Matthias Oomen Der Bahnhof Ulzburg Süd ist ein Knotenpunkt im Netz der AKN Eisenbahn AG. Hier treffen die AKN-Stammstrecke (Hamburg-Altona – Kalten- kirchen – Neumünster) und die Alsternordbahn, auf der heute bis nach Norderstedt Mitte verkehrt wird, aufeinander. Zusätzlich beginnen und enden hier Züge nach Elmshorn. Der Bahnhof verfügt über zwei Mittelbahnsteige mit drei Gleisen. Das mittlere Gleis ist von beiden äußeren Bahnsteigen aus erreichbar. Eine intelligente Lösung für einen besseren Taktverkehr.

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DER FRAGEBOGEN an Hans Leister Mehr Deutschland-Takt ist machbar Der Deutschland-Takt ist ein Teil einer gesamteuropäischen Entwicklung zum Taktfahrplan und zum geordneten Zugang zum Schienennetz. Darüber sprach derFahrgast mit Hans Leister, einem Exponenten der Initiative Deutschland-Takt.

langfristigen Zielfahrplan für Fernverkehr gen oder überkommene Strukturen über- und Nahverkehr festzulegen, mit opti- haupt nicht infrage stellen wollen. mierten Anschlüssen und vorgefertigten DB AG oder Politik – wir müssen beide Güterzugtrassen in ausreichender Kapa­ überzeugen. Bei der DB AG wächst die zität, und nach diesem integrierten Ziel- ­Akzeptanz für den Planungsansatz „erst Fahrplan den Infrastrukturausbau auszu- Fahrplan, dann Infrastruktur festlegen“. richten? Gleichzeitig muss man Nah- und Die Politik muss vor allem bereit sein, sich Fernverkehr auch beim Tarif wieder mehr überhaupt für den Schienenverkehr und zusammenführen. Eine Gruppe von Fach- einen attraktiven öffentlichen Verkehr zu leuten hat sich zum Ziel genommen, für engagieren und erkennen, welches Wäh- diesen Planungsansatz zu werben. ler-Mobilisierungspotenzial ein Deutsch- land-Takt entwickeln kann: Begrenzung

derFahrgast: Hat dieses Engagement von Energieverbrauch und CO2-Emission Zur Person mit Ihrer Tätigkeit bei einem bestimmten im Verkehr, durch einen deutlich attrakti- Unternehmen zu tun? veren öffentlichen Verkehr anstatt durch Hans Leister war 1991–1994 beim Land Einschränkungen für den Straßenverkehr. Brandenburg als Projektleiter für die Leister: Überhaupt nicht! Die SNCF als ­Konzeption des Regionalverkehrs Berlin- das Unternehmen, das hinter meinem derFahrgast: Was ist der wesentliche Brandenburg zuständig. 1994–2000 ­Arbeitgeber Keolis steht, war übrigens Unterschied zwischen dem Deutschland- war er bei der Deutschen Bahn AG als lange Jahre skeptisch gegenüber Takt- Takt und der derzeitigen Strategie der Regionalbereichsleiter­ der DB Regio und fahrplänen und dem Planungsgrundsatz Bundesregierung(en)? als Konzern­be­auftragter für Brandenburg „erst Fahrplan festlegen, dann Infrastruk- tätig. Es folgte der Wechsel zum Wettbe- tur planen“. Letztlich hat in Frankreich Leister: Ich denke, dass keine Bundes­ werber Connex (heute Veolia). Seit 2006 der Infrastrukturbetreiber RFF die syste- regierung in letzter Zeit eine Strategie ist Hans Leister Geschäftsführer der Keolis matisch nullsymmetrischen Fahrpläne, zum Schienenverkehr hatte. Die Koali­ Deutschland, die unter der Marke Euro- wie sie im Dezember 2011 eingeführt tionsvereinbarung enthält jedoch erst- bahn SPNV betreibt (u.a. hat die wurden, veranlasst und durchgesetzt. mals einen Prüfauftrag für den Deutsch- in Nordrhein-Westfalen zwei wichtige Mittlerweile ist auch die SNCF überzeugt land-Takt. Bisher war dieser Auftrag noch elektrische RB- und RE-Netze gewonnen). von den Vorteilen des Systems. nicht in Angriff genommen, man beginnt Hans Leister ist seit 1971 Mitglied der Mein Engagement für den Deutsch- im Bundesverkehrsministerium gerade SPD, seit 1994 Mitglied der Gewerkschaft land-Takt ist unabhängig von unmittel­ mit der Arbeit. Transnet (heute EVG) und seither auch baren geschäftlichen Interessen, ich will Bundestag und Bundesregierung ver- politisch in der Bahndiskussion engagiert. mich für den Schienenverkehr allgemein wenden derzeit noch die alten Planungs- einsetzen. strukturen, vor allem den Bundesver- kehrswegeplan. Die Abläufe bei diesem derFahrgast: An wen richtet sich die Planungs- und Entscheidungsinstrument derFahrgast: Herr Leister, Sie engagieren ­Forderung nach einem Deutschland- sind überholt, das wird immer deutlicher. sich seit geraumer Zeit für den Deutsch- Takt in erster Linie? An die Politik oder Der Deutschland-Takt wird nur über eine land-Takt. Warum? an den Netzbetreiber AG grundlegende Reform der Bundesver- (DB AG)? kehrswegeplanung im Bereich des Schie- Leister: Wir brauchen in Deutschland ein nenverkehrs kommen. Diese Reform ist Schienennetz, das ein Höchstmaß an Nut- Leister: Die Initiative Deutschland-Takt ist ohnehin mehr als überfällig. zen für die Kunden bietet sowie hohe keine mächtige Lobby-Gruppe, die etwas Auslastung für die DB Netz AG ermög- fordert. Wir versuchen zu überzeugen, derFahrgast: Wer profitiert von einem licht, und das bei besserer Zuverlässigkeit und das gelingt uns immer besser. Wem Deutschland-Takt in erster Linie? und Pünktlichkeit. Die Rahmenbedingun- auch immer wir die Idee Deutschland-Takt gen sind sehr begrenzte verfügbare In­- in Ruhe erklärt haben, war danach entwe- Leister: Fast alle: vestitionsmittel, und die Bestellung von der Deutschland-Takt-Fan oder zumindest – Natürlich die Passagiere und ÖPNV-Nut- fast zwei Dritteln aller Fahrplantrassen als bereit, sich näher damit zu beschäftigen. zer, aber ebenso die Güterverkehrskun- null-symmetrische Taktfahrpläne bzw. Das Problem ist aber, dass manche Ent- den, denen Systemtrassen schnellere integraler Taktfahrplan durch die Länder. scheidungsträger gar keine Zeit haben, und überholungsfreiere Verbindungen Was liegt da näher als der Ansatz, einen sich mit solchen Sachfragen zu beschäfti- bringen.

derFahrgast 2/2012 21 derFahrgast Interview

– Der Steuerzahler, weil die Investitionen teils schon lange, teils erst seit jüngster aber keine optimale Vernetzung mit dem in das Schienennetz gezielt und mit ho- Zeit Länder mit systematischem Fahrplan Nahverkehr, trotz des aufwändigen Aus- hem Nutzeffekt vorgenommen wer- oder integralem Taktfahrplan. Durch den baus des Erfurter Hauptbahnhofes. den. Nahverkehr und die grenzüberschreiten- Im Ausland war sicher Frankreich ein – Der Infrastrukturbetreiber DB Netz AG. den Linien ist auch der deutsche Fernver- ganz schlechtes Beispiel, aber dort hat sich Das Beispiel Schweiz zeigt: Extrem hohe kehr in der Praxis nicht mehr „frei“, son- letzten Dezember vieles entscheidend Auslastung des Netzes bei hoher Zu­ dern weitgehend festgelegt. Es ist eben verbessert. Vorher wurde Kapazität ver- verlässigkeit ist möglich. Wir schaffen kein Zufall, wenn man im ICE sitzt und zu schenkt durch nicht-systematische Fahr- es heute, wegen der Engpässe in den den Minuten 0 oder 30 einen entgegen- pläne. Die Anschlüsse aus den TGV-Zügen Knoten unser Netz nur halb so gut aus- kommenden ICE vorbeirauschen sieht, in den Regionen waren dürftig. Der öf- zulasten wie die Schweizerischen Bun- sondern ein von den Nachbarländern und fentliche Verkehr war kein Gesamtsystem, desbahnen (SBB), bei schlechterer Be- dem Nahverkehr erzwungenes System. Da sondern eine Sammlung von Linien, die triebsqualität. ist es sinnvoll, den nächsten Schritt zu tun, zufällig manchmal Anschluss aneinander – Die DB AG, weil sie die Chance be- das System auch dazu zu nutzen, den hatten, manchmal nicht. kommt, wie die SBB zum Leitunterneh- Fahrplan langfristig festzulegen und den men der Infrastruktur eines ganzen Lan- Infrastrukturausbau danach auszurichten. derFahrgast: Der integrale Taktfahrplan des zu werden. Diesen Anspruch haben beruht auf dem Prinzip, dass in einem die Bürger heute gegen die DB AG auch derFahrgast: Und nennen Sie uns auch Knotenbahnhof alle Züge zur gleichen schon, aber die DB AG kann ihm heute bitte ein typisches Beispiel, wo die Reisen- Zeit ankommen und abfahren, so dass aus nicht wirklich gerecht werden. den aufgrund ungünstig gestalteter Infra- allen Richtungen in alle Richtungen um- – Die Wettbewerber, weil für die Aus- struktur ein schlechtes Angebot vorfin- gestiegen werden kann. Der Bahnhof schreibungen langfristig Klarheit hin- den! Was müsste hier zur Verbesserung ­Zürich ist ein Musterbeispiel dafür. Ist die- sichtlich der Linienentwicklung von der Situation getan werden? ses Konzept für alle großen Knoten wie Nah- und Fernverkehr gegeben sein Stuttgart, Mannheim, Köln oder Hanno- wird, natürlich abhängig vom weiteren Leister: Es ist kein Zufall, dass die Knoten, ver die einzige sinnvolle Möglichkeit, effi- Infrastrukturausbau. die ganz besonders unter Kapazitätseng- zienten Bahnverkehr zu organisieren? pässen leiden, oft schlechte Anschlüsse Welche Alternativen sehen Sie? Nicht profitieren werden Befürworter aufweisen. Hamburg ist hier als typischer ­eines ungeregelten „Open Access“-Mo- Problemfall zu nennen. Die Anschlüsse Leister: Die Knoten Basel, Zürich und Bern dells, d.h. der Idee von einem ungeregel- im Hamburger Hauptbahnhof sind ver­ sind sicher eindrucksvoll: Im 30-Minuten- ten Trassenwettlauf durch neue Betreiber bes­serungsfähig, aber das Problem liegt Takt füllen und leeren sich die Bahnhöfe im Fernverkehr. Aber es ist ohnehin abso- in ­einer altmodischen und nicht ausrei- und haben zu den Minuten 0 und 30 je- lut unrealistisch, im Bahnverkehr bei der- chend dimensionierten Infrastruktur. Ein weils Anschluss von überall nach überall. art begrenzter Infrastrukturkapazität, schlechtes Beispiel für Infrastrukturaus- Generell sind aber Taktknoten in der Re­ wie wir sie in Deutschland haben, das bau in Deutschland ist die Planung der gion viel wichtiger als im Fernverkehrs- Wettbewerbsmodell des Luftverkehrs an- Neubaustrecke Erfurt – Nürnberg: 65 Mi- Hauptnetz, wo man oft nur in einer Rich- zuwenden. Auch ist mit dem Nahverkehr nuten Fahrzeit der ICE-Züge von Erfurt tung einen starken Umsteigeverkehr hat. der wesentliche Teil des Schienenperso- nach Nürnberg bedeutet, dass nicht an Im Hauptnetz reichen daher oft Rich- nenverkehrs bereits anders organisiert als beiden Enden echte Taktknoten möglich tungsanschlüsse, also keine Null- oder im Open Access. sein werden, unter Einbeziehung optima- 30er Knoten. Im Nebennetz, wo die Züge ler Anschlüsse von den Regionalverkehrs- nur im Stundentakt oder 2-Stunden-Takt derFahrgast: Nennen Sie uns ein konkre- zügen im Stundentakt. Da Nürnberg als fahren und Anschlüsse auch an das regio- tes Beispiel, wo der Deutschland-Takt Taktknoten wohl gesetzt ist, kann Erfurt nale Busnetz wichtig sind, sind funktionie- schon gut funktioniert! Hauptbahnhof nicht gleichzeitig Taktkno- rende Taktknoten oft viel wichtiger für ten sein, obwohl die Infrastruktur-Voraus- das Gesamtsystem des öffentlichen Ver- Leister: Integrale Taktfahrpläne gibt es in setzungen im Bahnhof dafür erfüllt sind. kehrs. vielen deutschen Bundesländern, und im- Denn die ICE-Züge werden dort nach In- Am Anfang der Diskussion hat ein be- mer öfter sind diese über Ländergrenzen betriebnahme der Neubaustrecke etwa kannter Vertreter der DB AG ja geäußert, hinweg abgestimmt. Auch der deutsche zu den Minuten 15 bzw. 45 vorbeikom- mit dem Deutschland-Takt müsse der Köl- Fernverkehr fährt weitgehend nullsym- men und haben Richtungsanschlüsse, ner Dom abgerissen werden. Das ist natür- metrisch im Takt, weist einige funktio­ lich Unfug. Köln muss nicht Nullknoten nierende Taktknoten und viele Richtungs- mit 20 Bahnsteigkanten sein, und der anschlüsse auf und ist häufig mit dem Dom kann stehen bleiben. Gerade in Köln Nahverkehr gut verknüpft. Es fehlt noch kann man aber studieren, dass eine opti- ein länderübergreifender langfristiger male Kapazitätsausnutzung durch einen Planungsansatz, der von allen Beteiligten systematischen Taktfahrplan erst möglich akzeptiert ist. Mustergültige Taktknoten wird. Systematische Richtungsanschlüsse mit Fern- und Nahverkehr weisen zum sind in Köln ja auch seit 1971 Realität. Beispiel Ingolstadt oder Magdeburg auf. Die Vertaktung wird nicht nur vom derFahrgast: Es wird immer wieder die Nahverkehr, sondern auch von den Nach- Forderung publiziert, dass für dicht befah- barländern erzwungen: Österreich, Frank- Foto: © Rainer Engel rene Neubaustrecken vorher ein Betriebs- reich, Dänemark, die Tschechische Repu- : Veraltete Gleis- konzept entworfen wird. Halten Sie das blik, die Niederlande und Dänemark sind strukturen verhindern bessere Anschlüsse. für sinnvoll?

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Leister: Die Neubaustrecken in Deutsch- Leister: Der Planungsansatz eines land wurden gebaut, ohne dass man die Deutschland-Takts wäre ein geeignetes Fahrplanauswirkungen in den Knoten Instrument, um die verschiedenen Interes- vorher überhaupt nur untersucht hatte. sen miteinander in Einklang zu bringen. Das haben die Fachleute längst als Fehler Wenn in den Korridoren die als notwen- erkannt. Deutschland-Takt bedeutet, dass dig erkannte Zahl guter Güterverkehrs- man erstens eine Neubau-Strecke hin- trassen mit berücksichtigt wird, ist die sichtlich des Betriebsprogramms und des EU sicher zufrieden. Sie will ja nur errei- Foto: © Matthias Oomen Fahrplans optimiert, dass man zweitens chen, dass Güterverkehrsunternehmen die Auswirkungen auf die Knoten, auf berechenbare Bedingungen und freie die regionalen Taktfahrpläne und auf Trassen in guter Qualität vorfinden, wie das deutsche und europäische Fernnetz eben in der Schweiz. Hauptbahnhof: Vor allem im untersucht und dass man drittens nach der Ruhrgebiet steht die Takt-Planung vor entsprechenden Abstimmung so baut, derFahrgast: Wenn die Infrastruktur nur Herausforderungen. Insbesondere Über- dass ein optimaler Nutzen für alle ent- eine sinnvolle Verbindung zwischen zwei Eck-Anschlüsse sind hier anspruchsvoll. steht. Wenn man Neubaustrecken nach Knotenbahnhöfen zulässt, wie soll dann diesem Prinzip plant und baut, dann ist Wettbewerb zwischen verschiedenen man automatisch beim Deutschland-Takt. ­Unternehmen möglich sein? Grenzübergängen abgestimmt ist. Das ist Die fahrplantechnischen Auswirkungen eigentlich nichts Neues: Schon seit Jahr- einer an zentraler Stelle gebauten Neu- Leister: Ungeregelter Open Access-Wett- zehnten weiß jeder, der in Deutschland baustrecke betreffen fast das ganze Netz, bewerb und Deutschland-Takt schließen Fernverkehrsfahrpläne macht, dass der oft sogar halb Europa. Wer drauf los baut, sich aus, solange es nicht ausreichend Ka- Anschluss in Basel das deutsche Fern- ohne sich um Betriebsprogramm und pazität bei der Infrastruktur gibt. Interes- netz bestimmt. In Zukunft muss auch beim Fahrplan zu kümmern, investiert ohne santerweise zeigt der französische Netz- Infrastrukturausbau berücksichtigt wer- Sinn und Verstand. betreiber RFF, wie man in einem solchen den, dass es an den Grenzen „passt“. Mit System trotzdem ein gewisses Maß an Taktfahrplänen in einer Vielzahl von Län- derFahrgast: Dem Taktverkehr der Reise- Wettbewerb zulassen kann: Die franzö­ dern wird das Problem sicher nicht ein­ züge wird nachgesagt, er verhindere sische Infrastruktur hat Systemtrassen, die facher. ­einen effizienten Güterverkehr, weil die nur zum Teil an die SNCF vergeben wer- Güterzüge immer wieder Reisezüge vor- den, einen anderen Teil hält die RFF zu- derFahrgast: Bedeutet Deutschland- beilassen müssten. Ist das zutreffend? rück für künftige Wettbewerber, denen Takt, dass der Fernverkehr künftig vom Oder würde auch der Güterverkehr vom sie solche Systemtrassen anbieten will. Bund bestellt werden muss? Deutschland-Takt profitieren? Selbst das kann in Deutschland nur be- dingt funktionieren, da die Infrastruktur Leister: Ein Deutschland-Takt ist mit unter- Leister: Natürlich ist es schwierig, wenn in den Knoten und Engpassabschnitten zu schiedlichen Organisationsformen des man auf ein historisch gewachsenes Netz hoch belastet ist. Fernverkehrs denkbar und nicht etwa au- ein Taktfahrplansystem legt. Dann ist die tomatisch mit mehr Staatseinfluss verbun- Betriebsführung nicht optimal, das er­ derFahrgast: Wie sieht es mit den Takt- den, wenn denn das dominierende Unter- leben wir. Unser Netz in Deutschland ist verkehren in den Nachbarländern aus? nehmen das Projekt sich zu Eigen machen heute ja noch nicht einmal an die Takt- würde (wie es in der Schweiz der Fall war). fahrplansysteme angepasst, die die Län- Leister: Mit Ausnahme Polens verfolgen Frankreich hat einen Weg gefunden, die der mit der Regionalisierung seit 1996 ein- alle Nachbar-Netzbetreiber einen sys­ Schweiz einen anderen. Der Initiative geführt haben. Das ist der Grund dafür, tematischen Fahrplan oder sogar einen Deutschland-Takt wurde manchmal un- dass wir bei mäßiger Auslastung schlechte integralen Taktfahrplan. Wettbewerb im terstellt, uns ginge es nur darum, den Betriebsqualität besonders auch für den Hauptnetz gibt es dagegen fast nirgends, Fernverkehr unter Staatseinfluss zu stel- Güterverkehr haben. wenn man von der (im Takt verkehren- len und in den Ausschreibungswettbe- Wenn man dagegen die Infrastruktur den) Westbahn in Österreich und den werb zu überführen. Das stimmt so nicht. am Fahrplan der Reisezüge ausrichtet und ­Zügen der DB AG/Österreichischen Bun- Umgekehrt ist es aber nicht zu leugnen, gleichzeitig die notwendige Kapazität desbahnen (ÖBB) nach Italien absieht. dass der Fernverkehr der DB AG eine für den Güterverkehr mit berücksichtigt, ­wesentliche strukturbildende Rolle für kann man eine sehr hohe Auslastung derFahrgast: Wie sollten verschiedene das deutsche Wirtschaftssystem und für des Netzes bei guter Betriebsqualität er­ Taktsysteme über die Grenzen hinweg die Gesellschaft darstellt und sich schon reichen, mit Verfügbarkeit guter System- ­koordiniert werden? Brauchen wir da- gefallen lassen muss, dass diese Rolle hin- Trassen für den Güterverkehr. Das lässt für eine europäische Koordinationsbehör- terfragt wird, gerade von den Regionen, sich hervorragend in der Schweiz stu­ de? die sich „abgehängt“ fühlen. Auf jeden dieren, wo es ja neben dem integralen Fall sollten Fern- und Nahverkehr mehr als Taktfahrplan für die Fahrgäste den Sys­ Leister: Mit der Forderung nach einer bisher ein Gesamtsystem des öffentlichen temfahrplan für die Güterverkehrsunter- ­neuen Behörde bin ich zurückhaltend. Verkehrs bilden. Es liegt an der DB AG, nehmen gibt. Aber Zuschüsse in den Infrastrukturaus- ­dafür einen Vorschlag zu machen, der mit bau sollten europäische Behörden ebenso dem Wettbewerb im SPNV kompatibel ist. derFahrgast: Wie verträgt sich der wie der Bund davon abhängig machen, Deutschland-Takt mit dem von der EU ge- dass die Betriebsprogramme in einen derFahrgast: Wir danken Ihnen für das forderten Vorrang für Güterzüge? Deutschland-Takt passen und dieser mit Gespräch. den Nachbarländern in den wichtigen

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