Deutschland

Mit Münteferings Berufung unternimmt sitz zu übernehmen, wie ihm unterstellt SPD Bundeskanzler und SPD-Chef Gerhard wird. Schröder einen wichtigen Schritt zur Neu- Das will offenbar auch Schröder nicht, Kampf der ordnung an der Parteispitze, um die ver- dem an einer halbwegs ausgewogenen unsicherten Sozialdemokraten zu beruhi- Machtbalance zwischen seinen Stellver- gen. Obgleich Parteichef, delegiert Schröder tretern gelegen sein muss. Zur Verblüffung zweiten Reihe die tägliche Arbeit im Willy-Brandt-Haus der Öffentlichkeit stützte er deshalb wie- künftig an zwei Vize-Vorsitzende: Münte- der demonstrativ den Fraktionschef Peter Wer wird hinter Gerhard Schröder fering soll die Partei vorsichtig moderni- Struck, den er intern wegen dessen vor- sieren, bis zur Landtagswahl in Nordrhein- lauten Äußerungen zur Steuerreform her- der mächtige Mann in der Westfalen im kommenden Mai kalmieren be gerüffelt hatte. Fraktionsmitglieder be- Partei: Franz Müntefering oder und danach den Bundestagswahlkampf kräftigten, dass der Kanzler damit die ? 2002 vorbereiten.Verteidigungsminister Ru- Stimmung bei den sozialdemokratischen dolf Scharping dagegen ist für die Abfas- Abgeordneten ziemlich korrekt einschätze: in eher langweiliger Programmpunkt sung eines zeitgemäßen Programms und „Müntefering hat in der Fraktion keine wird an diesem Mittwoch im Kabi- als Vorsitzender der Euro-Sozialisten für Mehrheit, und wenn Schröder ihn unter- Enett plötzlich interessant: Bau- und internationale Kontakte zuständig. stützt, schafft er es erst recht nicht.“ Verkehrsminister Franz Müntefering prä- Damit hat der Kampf um den ersten Struck – sichtlich gezeichnet von den sentiert seinen 18-seitigen Bericht über den Platz in der zweiten Reihe des Schröder- jüngsten Aufregungen – sieht das Sperr- Regierungstransfer von Bonn nach Berlin. Machtsystems begonnen. Scharping, der feuer der vergangenen Wochen gegen sich Schröders Beauftragter für die Umzugs- sich immer schon für kanzlerreif befunden als Resultat von Strippenziehereien in den kartons will Vollzug melden. Er habe sei- hatte und keinen Grund sieht, von dieser eigenen Reihen. Keinen Moment habe er jedoch an Rücktritt gedacht. „Ich kann kämpfen und mache das bis zum Ende der Legislaturperiode.“ Anders als der Niedersachse Struck hat sein Fraktionskollege mental schon den Schlussstrich gezogen. Die Gerüchte über seine baldige Ablösung sind ihm nicht verborgen geblieben. Er werde wohl am Abend des 5. September gerade noch die Verluste der SPD bei den Wahlen im Saarland und in Brandenburg verkünden dürfen, heißt es in Führungs- kreisen der Partei, dann sei Schluss. Von sich aus will Schreiner nicht aufge- ben: „Ich bin Fallschirmjäger, die werfen die Flinte nicht ins Korn.“ Und „abwegig“ nennt er das Gerücht, er werde als Minister nach Saarbrücken gehen, sollte gewinnen.Als Sozialpolitiker habe er sein Thema für die Arbeit in der Frak- tion: „Ich bleibe in Berlin.“ Interne Partei-Spekulationen sahen auch andere Möglichkeiten.Wenn ,

F. OSSENBRINK F. Schröders Mann für alle Fälle, das Ver- SPD-Kontrahenten Müntefering, Scharping: Balance der Macht kehrsministerium übernimmt, könnte der Sozialexperte Schreiner als Parlamen- ne „konzeptionellen Maßnahmen abge- Auffassung abzurücken, fühlt sich als tarischer Staatssekretär ins Arbeitsminis- schlossen“. Damit sei „die Aufgabe, ziel- programmatischer Vordenker in einer terium von Walter Riester wechseln. Ein und zeitgerecht den Umzug der Bundes- aussichtsreichen Ausgangsposition für ministrabler SPD-Youngster, den der Kanz- regierung nach Berlin umzusetzen, erfüllt“. künftige Machtveränderungen. Die Ar- ler gern ins Kabinett geholt hätte, ist nicht Das Eigenlob ist eine Art Abschiedsrede: beit am Grundsatzprogramm gilt seit in Sicht. Mission erfüllt, auf zu neuen Taten. den Zeiten von Hans-Jochen Vogel und Gute Karten als Verkehrsminister hat, Womöglich unmittelbar nach der Land- als Sprungbrett zum neben dem als Außenseiter gehandelten tagswahl im Saarland am Sonntag, spätes- Parteivorsitz. Parlamentarischen Staatssekretär und tens aber nach dem SPD-Parteitag im De- Von einer Rivalität mit Müntefering will SPD-Abgeordneten Lothar Ibrügger, vor zember soll der bei den Genossen hoch Scharping jedoch nichts wissen. Er habe allem NRW-Wirtschaftsminister Peer Stein- angesehene Sauerländer, vorerst kommis- „mit dem Franz“ noch nie Schwierigkeiten brück, der sich bereits in Kiel in diesem sarisch, seinen Job als Generalsekretär der gehabt, sagte er in der vergangenen Woche: Amt empfohlen hatte. Berliner Parteizentrale antreten. „Ich werde auch keine bekommen.“ Noch Offen ist noch, was mit Münteferings an- Eile tut Not. Denn am 7. September en- im April aber hatte Scharping den Plan ge- derem Parteiamt geschieht, dem NRW- det die Frist, bis zu der Anträge auf Sat- stoppt, einen „Generalsekretär“ zu ernen- Landesvorsitz. Wenn Ministerpräsident zungsänderungen für den Parteitag im De- nen, der schon damals nur Müntefering den Posten auf dem zember eingereicht werden können. Die hätte heißen können. Wenn Scharping Landesparteitag im Januar für sich rekla- Installation eines mächtigen Generalse- jetzt zustimmt, dürfte er sicher sein, dass miert, wird sich der vornehmlich in Berlin kretärs anstelle des derzeit weniger be- es Müntefering zurzeit nicht gelingen kann, arbeitende Müntefering dem Wunsch kaum deutungsvollen Parteigeschäftsführers er- neben diesem herausragenden Partei- verschließen können. Petra Bornhöft, fordert aber das Votum der Delegierten. posten auch noch den Fraktionsvor- Jürgen Leinemann, Alexander Szandar

26 der spiegel 35/1999