ISSN 1866-0843

HEFT 274 – JUNI 2009 49. JAHRGANG

• Feiern zum Weltfriedenstag 2009 • Auf den Spuren des Paulus (III) • Bundeskanzler Brandt und die • Programm der Akademie Oberst Helmut Korn INHALT AUFTRAG 274 • JUNI 2009 • 49. JAHRGANG

EDITORIAL ...... 3 BLICK IN DIE GESCHICHTE 50 Jahre Bundeswehr: Willy Brandt: SEITE DES BUNDESVORSITZENDEN ...... 4 Der vierte Bundeskanzler und die Bundeswehr von Dieter Kilian ...... 53 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK 20 Jahre Mauerfall FEIERN ZUM WELTFRIEDENSTAG 2009 von Jörg Schönbohm ...... 65 Internationaler Soldatengottesdienst in Köln von Bertram Bastian ...... 5 KIRCHE UNTER SOLDATEN Miles christianus 49. WOCHE DER BEGEGNUNG DES LAIENAPOSTOLATS Predigt von Joachim Kardinal Meisner . . . . 6 Katholikenrat 2009 Festakt zum Weltfriedenstag in Bonn von Ralf Eisenhardt ...... 74 von Bertram Bastian ...... 7 Bundeskonferenz GKS 2009 74 SICHERHEIT UND FRIEDEN von Paul Brochhagen ...... 5. Petersberger Gespräche zur Sicherheitspolitik KATHOLISCHE ARBEITSGEMEINSCHAFT von Andreas Rauch und Frank Geldmacher . . 8 FÜR SOLDATENBETREUUNG

SACHAUSSCHUSS SICHERHEIT UND FRIEDEN Papstaudienz März 2009 von Rainer Krotz ...... 75 Zur Proliferationsproblematik von Werner Bös ...... 11 Einladung Mitgliederversammlung FGKS e.V. von Hubert Berners ...... 76 Sitzung in Hammelburg Ende April von Bertram Bastian ...... 16 AKADEMIE DR. HELMUT KORN II. Vaticanum und GKS Einstimmung in das 12. Seminar von Klaus Liebetanz ...... 17 von Karl-Jürgen Klein ...... 77 Programm des 12. Seminars GESELLSCHAFT NAH UND FERN von Karl-Jürgen Klein ...... 77 Auf den Spuren des Paulus (III. Teil) von Paul Schulz ...... 22 AUS BEREICHEN, STANDORTEN UND GKS Paulus in Ephesus von Andreas Rauch ...... 27 GKS-KREIS INGOLSTADT Lebendige Steine gefragt Neuer Militärpfarrer in Ingolstadt ...... 79 von Karl-Heinz Fleckenstein/ZENIT . . . . . 34 BWK ULM Deutsche humanitäre Hilfe für irakische Neuer Seelsorger im BwK Ulm ...... 79 Flüchtlinge in Jordanien von Klaus Liebetanz ...... 39 GKS-KREIS KÖLN Die Feuerwehr der Päpste Familienwochenende ...... 79 von Paul Schulz/ZENIT ...... 41 Domradio ...... 80

BILD DES SOLDATEN GKS-BEREICH SÜD Als Soldat in Verantwortung – allein mit Gott? Dekanatsarbeitskonferenz ...... 81 von Gerhard Stolz ...... 44 GKS-KREIS BONN Mediengespräch im Katholischen Fußwallfahrt Buschhoven ...... 82 Militärbischofsamt von Bertram Bastian ...... 46

RELIGION UND GESELLSCHAFT KURZ BERICHTET: 21, 26, 38, 43, 45, 46, 49, 64, 73, 82 Gemeinschaft Katholischer Männer Deutschlands BUCHBESPRECHUNGEN ...... 83 von Paul Schulz ...... 47 Erklärung der GKMD IMPRESSUM ...... 84 von Paul Schulz ...... 48 Männer in Bewegung von Paul Schulz ...... 50

UNSER TITELBILD: Die „Betenden Hände“ wurden von Albrecht Dürer vor 500 Jahren auf einem Skizzenblatt angefertigt. Als Studie für einen Altar einer Frankfurter Dominikaner Kirche soll der Meister seine eigenen Hände als Muster genommen haben und diese Skizze bei dem im Altarbild vorhandenen Apostel eingesetzt haben.

2 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 • 49. JAHRGANG editorial: Gemeinschaften engagiert, denn zusammen kann man nun Liebe Leserschaft, mal mehr erreichen als eine Einzelperson. Damit komme ich auf unser katholisches Verbands- Warum habe ich die beten- leben zu sprechen. In der letzten Ausgabe stellte ich Ihnen den Hände von Albrecht Dürer die Katholische Akademikerarbeit Deutschlands vor, in (1471 - 1528) als Titelbild dieser Ausgabe wird unser Ehrenvorsitzender Paul Schulz gewählt? Vor 500 Jahren Ihnen etwas über die Gemeinschaft Katholischer Männer bestellte der Frankfurter Patrizi- Deutschlands (GKMD) sagen, deren Vizepräsident er ist. er Joseph Heller einen Altar zur Die GKMD war Mitinitiator der Studie „Männer in Bewe- Ausschmückung einer Frank- gung“, die im Frühjahr veröffentlicht wurde und in die hier furter Dominikanerkirche bei kurz eingeführt wird. Dürer. Zur Studie eines beten- In der nächsten Ausgabe werden wir uns dann dem den Apostels, fertigte Dürer diese Skizze an. Die Haupt- ZdK widmen, um das es ja reichliche Verwirrungen gegeben tafel des Altars, das bestellte Meisterwerk, wurde 1614 hat. Es hieß in der Presse, dass die katholischen Bischöfe an Maximilian I. von Bayern verkauft und beim Brand Deutschlands den Vizepräsidenten, Heinz-Willhelm Brock- der Residenz in München 1729 vernichtet. Eine Kopie des mann, als neuen Präsidenten abgelehnt hätten. Dies ist nicht Altars, angefertigt vom Nürnberger Malers Jobst Harrich ganz korrekt, er bekam nicht die notwendige 2/3 Mehrheit (1580 - 1617), heute im Frankfurter Historischen Muse- der Bischöfe. Eine große Zahl der Bischöfe hat ihm aber um, ist vom ehemaligen Meisterwerk noch zu bewundern, zugestimmt. Hier ist also einmal Aufklärungsbedarf nach wenn da nicht die Skizze wäre. Diese „Kleinigkeit“ blieb außen und Gesprächsbedarf nach innen. im Gedächtnis der Gläubigen und feierte im 20. Jahrhun- Die Laien berufen sich auf das II. Vaticanum und des- dert eine Renaissance. Gerade nach dem Zweiten Welt- sen Umsetzung in der Würzburger Synode. Die Grundlagen- krieg fand man die Darstellung der Hände in fast jedem dokumente sind aber nicht Allgemeingut, deshalb erscheint Haushalt. In der Auseinandersetzung in Berlin um „Pro- in dieser Ausgabe ein Beitrag des Mitgliedes des Sachaus- Reli“ machte eine Partei mit diesem Symbol Werbung. Ob schusses Sicherheit und Frieden, Klaus Liebetanz, zu dem II. dafür oder dagegen, ob der Volksentscheid erfolgreich war Vatikanischen Konzil und in der nächsten Ausgabe wird ein oder nicht, wichtig war vor allem anderen, dass in unserer anderes Mitglied des Sachausschusses, Manfred Heinz, aus Hauptstadt noch nie so intensiv über Religion gesprochen der Sicht des Theologen einen Beitrag dazu abgeben. Diese und diskutiert wurde, wie in diesen Tagen. Beiträge sollen Ihnen, liebe Leserschaft, Appetit machen, sich Aber so wie die Darstellung der betenden Hände in den mehr mit den Veröffentlichungen über diese beiden großar- Haushalten verschwand, so ließ auch das Beten nach, so- tigen Ereignisse, II. Vatikanische Konzil und Würzburger wohl in den Familien als auch in der Öffentlichkeit. Wer Synode, zu beschäftigen. Selbstverständlich können Sie auch miterlebt hat, wie eine kleine Pilgerschar beim Beten des gerne schriftlich zu den Artikeln Stellung nehmen. Rosenkranzes von anderen Wanderern oder Joggern betrach- tet wird, der versteht, was ich damit sagen will. Gerade ab- In Hamburg trifft sich das Laienapostolat der Katholi- seits von bekannten Pilgerwegen fällt so eine kleine, beten- schen Militärseelsorge und wird sich auf den den 2. Ökume- de Gemeinschaft stets auf und wird betrachtet, als käme sie nischen Kirchentag 2010 in München vorbereiten. Dazu soll von einem andern Stern. Der Gesellschaft geht es so gut, auch eine Erklärung abgegeben werden. Eine Einstimmung dass sie anscheinend keinen Gedanken mehr an Gott und auf die Versammlung des Katholikenrates beim Katholi- die Religion verschwendet. Das Wesentliche des Glaubens, schen Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr gibt Ihnen ihn zu leben und zu zeigen, wird von einem großen Teil der der Vorsitzende Ralf Eisenhardt. Danach findet in diesem Menschen reduziert auf das Zahlen der Kirchensteuer und Tagungshaus die Bundeskonferenz der GKS statt, zu der un- oft noch nicht mal das. Man gibt sich gläubig, tritt aber ser Bundesvorsitzender die Einstimmung geschrieben hat. wegen der Kirchensteuer aus der Kirche aus! Das Zwiespäl- Die Einladung zum 12. Seminar der Akademie Oberst tige dieser Argumentation kommt den Menschen gar nicht Helmut Korn in Fulda finden Sie ebenfalls in dieser Ausga- in den Sinn. Ein bekannter Schriftsteller stellt seinen Glau- be. Es wäre schön, wenn wir uns bei der in Hamburg oder ben so dar: „Ich glaube zwar an Gott, aber mit seiner Kir- Fulda Gelegenheit träfen, um über die verschiedenen The- che komme ich nicht klar.“ Hier kann man die Auffassung men zu diskutieren. Sollten Sie verhindert sein, so können gewinnen, dass sich jemand die Rosinen aus dem Lebens- Sie auch schreiben, die Adresse finden Sie im Impressum kuchen rauspicken möchte. An Gott glauben – ja, aber nichts auf der Rückseite unseres AUFTRAGs. dafür tun oder gar in der Kirche mitarbeiten, um eventuell vorhandene Missstände zu beseitigen – das ist zu mühsam. Mit herzlichen Grüßen aus Bonn Ist Glauben und Religion also Privatsache? Christ sein, das heißt nicht nur, in der Kirche beim Sonntagsgottesdienst Präsenz zu zeigen, sondern auch sei- nen Glauben zu zeigen und zu leben. Indem man sich in

3 SEITE DES BUNDESVORSITZENDEN

Ut unum sint! Von der Einheit der Christen und der Geschlossenheit von Bischöfen und Laien

m so genannten Hohepriesterlichen Gebet, dem und Kirche unabdingbar die materielle Wertschöp- IAbschiedsgebet des Herrn, das wir auszugswei- fung oder neudeutsch das „Fonds rising“ folgen, se am 7. Sonntag der Osterzeit als Evangelium ge- wenn wir wirklich als unabhängiger katholischer hört haben, bittet Jesus den Vater: „Alle sollen eins Verband wahr- und ernstgenommen werden wollen. sein:…“. Die Argumente liegen auf der Hand, sie werden lei- Diese beeindruckenden Worte denschaftlichd diskutiert; das ist gut geben gleich dreifach Gelegenheit, so! Es war nicht zu erwarten, dass Bezug zur gegenwärtigen Situation aalle einer Meinung sind. Wenn wir in der Ökumene, in der deutschen uuns aber über die Ziele einig sind, Ortskirche und in der GKS her- sollten die Fragen der praktischen zustellen. UmsetzungU von sekundärer Bedeu- Ich kann mich des Eindrucks tungt sein und nicht zu existenziel- nicht erwehren, dass die Querelen llen Problemen hochstilisiert wer- um die Wahl eines neuen Vorsit- dden. Als Bundesvorsitzender der zenden des Zentralkomitees der GKS werde ich mich im Bundes- deutschen Katholiken Einigen eine vorstandv und abschließend vor der „klammheimliche Freude“ berei- BundeskonferenzB unmissverständ- ten. Da wird über „am Tropf der lichl für einen Mitgliedsbeitrag ein- Bischöfe hängen“ schwadroniert setzen. Wir werden uns nicht die und schlicht verkannt, dass die FingerF verbrennen, sondern aus Kirchensteuermittel im Wesent- demd Feuer der demokratischen De- lichen von den Christgläubigen batteb geläutert hervorgehen. selbst als Werte geschöpft wur- Ich bitte Sie alle um ihr Ge- den. Wenngleich die Bündelung bbet für einen guten Ausgang der der Meinungen im deutschen Katholizismushlii eine i VerhandlungenVh dl auf beiden Sorgenfelder. „Komm Mammutaufgabe des ZdK ist, bleibt sie unverzicht- Heiliger Geist und erfülle die Herzen deiner Gläu- bar. Die GKS und ihre Vertreter im ZdK werden un- bigen und entzünde in ihnen das Feuer deiner Lie- verändert Beides tun: Einerseits selbstbewusst und be …“ unabhängig den Weltauftrag der Laien wahrnehmen, andererseits aber den Schulterschluss mit den Bi- ie Ökumene ist mit Blick auf den 2. Ökume- schöfen halten – „sentire cum ecclesia“, um noch Dnischen Kirchentag 2010 in München Gene- einmal die Sprache von Mutter Kirche zu bemühen. ralthema der 49. Woche der Begegnung vom 14. bis So sollte es unter beständigem Gebet gelingen, den 19.09.2009 in Hamburg. Zwei Beiträge zur Einstim- gegenwärtigen Konflikt zu lösen und keine Krise mung darauf finden Sie in diesem „AUFTRAG“. herbeizureden. Für die kommende Urlaubszeit wünsche ich Ih- nen, dass Sie sich gut erholen und vielleicht auch in weiterer Bezug drängt sich auf: Im Zug der etwas Abstand von den Sorgen und neue Perspek- EDiskussion über eine neue „Ordnung“ der GKS tiven gewinnen, um dann im Herbst mit besserem überstrahlt das Reizthema Mitgliedsbeitrag die ge- Überblick und neuem Schwung die anstehenden samte Debatte. Mit dem neuen Grundsatzprogramm Aufgaben zu bewältigen zu können. haben wir uns erst 2007 Klarheit über unsere „Ziele und Wege“ verschafft und die Alleinstellungsmerk- Paul Brochhagen male der GKS definiert. Nach der ideellen Wertset- Bundesvorsitzender zung muss in der heutigen Situation von Gesellschaft

4 AUFTRAGAUFTRAG27 2744 • JJUNIUNI 2009 9 WELTFRIEDENSTAG Feiern zum Weltfriedenstag Seit über 40 Jahren feiern die katholischen Gläubigen auf aller Welt den 1. Januar als Weltfriedenstag. Die Katholische Militärseelsorge feiert zusammen mit den Laien überall in den Diözesen diesen Tag, allerdings über das ganze Jahr gestreut. Die Terminvorschau im AUFTRAG bemüht sich, die größten Veranstaltungen immer rechtzeitig anzukündigen. Stellvertretend für alle werden die beiden Feierlichkeiten im Köln-Bonner Raum (Bonn ist erster Dienstsitz des Bundesministers der Verteidigung) dargestellt. Der Internationale Soldatengottesdienst in Köln und der Weltfriedenstag in Bonn sind zwei Seiten einer Medaille: Feier des Weltfriedenstages in der Ka- tholischen Militärseelsorge.

Internationaler Soldatengottesdienst im Hohen Dom zu Köln

VON BERTRAM BASTIAN m Januar eröffnet der Internationa- nen Teilstreitkräften/OrgBereichen und rechtere Grundlagen stellen werde (s. Ile Soldatengottesdienst im Hohen der Bundespolizei mitgestaltet wurde a. Beitrag Mediengespräch im KMBA, Dom zu Köln die Veranstaltungen an- (Bild 2). Die Predigt von Kardinal S. 46). Der Militärgeneralvikar bedank- Meisner, welche kurz und prägnant war, handelte von dem „miles christianus“ (christlicher Soldat) und ist als eigener Artikel im Folgenden abgedruckt. Be- eindruckend waren die Uniformen der Teilnehmer an verschiedenen Lehrgän- gen des Bundessprachenamtes Hürth, die zusammen mit dem Kantor des Köl- ner Domes die Fürbitten in den unter- schiedlichen Landessprachen, immer gefolgt von der deutschen Fassung, Bild 2: Der Generalinspekteur vortrugen (Bild 3). General Wolfgang Schneiderhan Bild 1: (von links) Joachim Kardinal Anschließend wurden Delegatio- beim Erinnerungsfoto mit Meisner, Bundesminister Dr. Franz nen der teilnehmenden Soldaten und den beteiligten Soldaten im Josef Jung, Generalinspekteur Bundespolizisten mit den anwesenden Maternushaus General Wolfgang Schneiderhan Würdenträgern und politisch Verant- beim Empfang im Maternushaus wortlichen zu einem Empfang in das Maternushaus gebeten. Für alle Teil- lässlich des Weltfriedenstages, der in nehmer war unterdessen auf der Dom- diesem Jahr unter dem Motto steht: platte die Möglichkeit zum Gespräch „Die Armut bekämpfen – den Frieden mit den anwesenden Militärseelsor- schaffen“. Der Leitende Katholische gern, zu einer Stadtbesichtigung und/ Militärdekan Mainz mit vorläufigem oder zu einem wärmenden Imbiss. Dienstsitz in Koblenz, Monsignore Rai- Bundesminister Dr. Jung betonte in ner Schnettker, lud mit dem Erzbischof seinem Grußwort den Stellenwert der Bild 3: Die internationalen Vertreter von Köln, Joachim Kardinal Meisner, Militärseelsorge gerade im Hinblick im Soldatengottesdienst bei den zu dieser Feier ein. Fast 1500 Gäste auf die Wertevermittlung, ohne die ein Fürbitten folgten am 08.01.09 dieser Einladung Auslandseinsatz die jungen Soldatin- in den Kölner Dom, unter ihnen der nen und Soldaten vor noch größere te sich bei allen deutschen Bischöfen, Bundesminister der Verteidigung, Dr. Probleme stellen würde als ohnehin stellvertretend hier Kardinal Meisner, Franz Josef Jung, sowie der General- in den kulturell fremden Gegenden dafür, dass nach langer Zeit alle Vakan- inspekteur der Bundeswehr, General gegeben sind. Der Apostolische Pro- zen in den Dienstposten der Militär- Wolfgang Schneiderhan (Bild 1). Solda- tonotar Militärgeneral Walter Waken- seelsorge durch Abstellung von Pries- ten aus verschiedenen Nationen sowie hut überbrachte die Grußworte des tern aus den Diozösen gefüllt wurden. Vertreter der Bundespolizei rundeten Militärbischofs Dr. Walter Mixa und Den Gedanken der neuen ZDv aufgrei- das Bild ab. An der Spitze der Katho- bedankte sich beim Minister für des- fend, mahnte der Bundesvorsitzende lischen Militärgeistlichkeit feierte der sen freundliche Worte, denen immer der GKS, Oberstleutnant Paul Broch- Apostolische Protonotar Militärgene- auch die Taten folgen würden. Er wies hagen, die Truppe, den neuen Unter- ralvikar Walter Wakenhut zusammen auf die neue Zentrale Dienstvorschrift richt auch einzufordern, damit dieser mit Kardinal Meisner den Gottesdienst, (ZDv) 10/4 „Lebenskundlichen Unter- im Truppenalltag die notwendige Ge- der durch Messdiener aus verschiede- richt“ hin, die diesen auf neue, zeitge- wichtung erhielte.

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 5 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

Internationaler Soldatengottesdienst im Hohen Dom zu Köln Miles christianus

VON JOACHIM KARDINAL MEISNER

Papst Benedikt XVI. hat den Wenn Krieg geführt wurde, dann fielen fengewalt nicht lösen und nachhaltig 1.diesjährigen Weltfriedenstag Hab und Gut der Unterlegenen ganz unterbinden kann. Es gilt, die Ursa- und damit auch den heutigen In- selbstverständlich den Siegern zu. All- chen der Auseinandersetzung zu fin- ternationalen Soldatengottesdienst zu oft blieb es nicht beim Raub von den und zu beseitigen, nicht nur die unter das Motto gestellt: „Die Ar- Besitztümern; auch die unterworfenen Symptome zu kurieren. Aber bei ei- mut bekämpfen, den Frieden schaf- Menschen selbst wurden verschleppt, ner schweren Erkrankung ist das Fie- fen“. Ein Heiliger, der sein ganzes verkauft und versklavt. Wie steht es ber ebenfalls nur ein Symptom – und Leben diesem Motto gewidmet hat, also um die „Friedenskompetenz“ des kann doch lebensbedrohlich werden. ist Sankt Martin († 397), der Sol- Militärs, nach solch schlimmen Erfah- Soll der Seemann, der von Piraten als dat und Offizier, der spätere Mönch rungen durch all die Jahrhunderte? Geisel genommen wurde, in Gefan- und Bischof von Tours. Als er vor Hat das englische Sprichwort nicht genschaft bleiben und um sein Leben Amiens einen armen, frierenden Recht, das sagt: „Soldaten im Frieden bangen, bis die Wirren in Somalia ein Bettler sitzen sieht, teilt er mit die- sind wie Kamine im Sommer“? Ende gefunden haben? Nein: Es ist le- gitim, wenn ungerechte Gewalt durch Will man auf solche Fragen red- Gegengewalt eingedämmt wird; es ist 2.lich antworten, dann reicht es legitim, dass man Opfer befreit und nicht, in Stereotypen zu denken und gefährdete Menschen aus Krisenge- sich auf vorgefasste Meinungen zu bieten evakuiert. Es ist legitim, wenn verlegen. Selbstverständlich: Wenn – neu aufflammende Gewalt im Keim wie beispielsweise jetzt wieder in Af- erstickt wird. Und es ist mehr als nur rika – militärische oder paramilitäri- legitim, wenn man durch Hilfs- und sche Horden sengend und brennend Aufbaudienste schon erste Schritte durchs Land ziehen, wenn eine Solda- hin zu einem wirklich stabilen Frie- teska plündert und mordet, raubt und den tut. Der große Papst Johannes vergewaltigt, dann hat das nichts mit Paul II. hatte keine Scheu, sich in al- dem Aufbau von Frieden und Wohl- ler Deutlichkeit gegen den Irakkrieg Der Kölner Erzbischof Joachim stand zu tun. auszusprechen. Gleichwohl sagte er Kardinal Meisner bei der Predigt im Aber es gibt eben nicht nur solche einmal: „Der eigentliche Kern der Hohen Dom zu Köln Söldnerbanden, die nichts anderes Berufung zum Soldaten ist nichts an- sind als bewaffnete Unholde in größe- deres als die Verteidigung des Guten, sem seinen Soldatenmantel. So hilft rer Zahl. Es gibt auch jene, die über der Wahrheit und vor allem jener, die er dem Armen auf Kosten eigener Ordnung und Sicherheit der Heimat zu Unrecht angegriffen werden“. Bequemlichkeit. Den Spott seiner wachen. Insbesondere in demokra- Es war derselbe Papst, der in ei- Umgebung nimmt Martin ebenso tischen Staaten hat das Militär eine ner Generalaudienz (Mittwoch, 1. De- in Kauf wie die drei Tage Haft, die ganz andere Funktion als in Diktatu- zember 2004) darauf hingewiesen hat, er erhält, weil er Armee-Eigen- ren oder Anarchien. Auch wenn Kri- dass ein solcher militärischer Einsatz tum beschädigt hat. Einschlägig tiker es nicht wahrhaben wollen: Ziel zur Verteidigung des Guten auch eine interessierte Kreise vereinnahmen demokratischer Armeen ist es gerade, religiöse Dimension aufweisen kann. den Heiligen gerne für ihre Kri- Frieden zu schaffen und zu erhalten. Denn – um Johannes Paul II. wörtlich tik am Militär, weil er nach seiner Die Männer und Frauen zum Beispiel, zu zitieren – „wenn die Rechte der Ar- Bekehrung zum Christentum aus die sich für die Sicherheit der Schiffs- men verletzt werden, verübt man nicht dem Heer austrat. Aber tatsächlich besatzungen vor der Küste Somalias nur eine politisch unkorrekte und mo- hat Martin diesen Schritt eher als einsetzen, geben uns ein aktuelles Bei- ralisch verwerfliche Tat. Der Bibel zu- Wechsel des Feldherren verstan- spiel eines heiligen Martin. Sie haben folge verübt man auch eine gegen Gott den; er war geradezu Prototyp des mit denjenigen, die im Landesinneren gerichtete Tat, ein religiöses Verbre- „miles christianus“, des christli- die Bevölkerung ausplündern und bis chen, denn der Herr ist Hüter und An- chen Soldaten. aufs Blut quälen, nichts gemein. walt der Elenden und Unterdrückten, Aber macht man nicht den Bock der Witwen und Waisen (vgl. Ps 68,6), zum Gärtner, wenn man die Bekämp- Es ist leider wahr: In vielen Län- das heißt derer, die keinen mensch- fung der Armut in die Hände des 3.dern werden Menschen durch lichen Beschützer haben.“ Ein Sol- Militärs legt? Denn Militär und Ar- Armut sowie wirtschaftliche und so- dat, der bereit ist, sein Leben für den mut – das war über weite Phasen der ziale Ungerechtigkeit in den Kampf Frieden und die Sicherheit der Armen Menschheitsgeschichte geradezu ein getrieben. Und es ist auch wahr, dass einzusetzen, darf sich als Diener Got- Verhältnis von Ursache und Wirkung. man solche Konflikte mit bloßer Waf- tes verstehen – wie der heilige Mar-

6 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 WELTFRIEDENSTAG tin. Sein Einsatz für das Gute macht ihn zum „Defensor“, zum Verteidiger Weltfriedenstag in Bonn der Menschlichkeit, und prägt damit VON BERTRAM BASTIAN sein Tun als defensives Handeln. Ein solcher Soldat kämpft nicht für eige- ne Interessen, nicht für Macht oder er Festakt zum Weltfriedenstag in Besitz, sondern er bekämpft, was an- DBonn folgt traditionsgemäß dem deren die Menschenwürde raubt. Er Internationalen Soldatengottesdienst steht unter einem hohen moralischen in Köln nach. Am Donnerstag, den Anspruch. 05.03.09 feierte die Gemeinschaft Ka- tholischer Soldaten in Bonn im Col- „Armut bekämpfen – Frieden legium Josephinum mit dem Festred- 4.schaffen“: Diese Zielsetzung führt uns mitten hinein in das Ver- ständnis kirchlicher Gemeinschaft. Von den ersten Gläubigen der Jeru- salemer Urgemeinde berichtet die Apostelgeschichte, dass sie alles ge- meinsam besaßen. Und unser Heili- ger Vater Benedikt XVI. hat in sei- ner Antrittsenzyklika über die Liebe (Dominus Caritas est, DCE die Red.) betont: „Innerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen darf es keine Armut derart geben, dass jemandem die für ein menschenwürdiges Leben nötigen Güter versagt bleiben“ (DCE 20). Ar- Oberstabsfeldwebel Joachim Bundesminister a.D. Dr. Norbert mut und Elend dürfen nicht Anlass zu Lensch, Vorsitzender GKS-Kreis Blüm beim Vortrag in der Aula des bewaffneten Konflikten bieten, son- Bonn, bei der Begrüßung der Gäste Collegium Josephinum dern müssen uns Motiv dafür sein, sich den Notleidenden zuzuwenden! ner Bundesminister a.D. Dr. Norbert gen, richtete ein Grußwort an die Gäs- So wächst die große „Zivilisation der Blüm. Seinen Festvortrag stellte Dr. te, unter ihnen die stellvertretende Liebe“, die zu schaffen uns allen ge- Blüm unter das Motto: Gerechtigkeit Landrätin, Uta Gräfin Strachwitz, so- meinsam aufgetragen ist und wie sie schafft Frieden. wie Vertreter von Justiz, Polizei und uns der heilige Martin beispielhaft In seiner Begrüßung verdeutlichte Verwaltung. Als ranghöchster Geist- vorgelebt hat. Oberstabsfeldwebel Joachim Lensch, licher nahm Abt Raphael der Sieg- Der Überlieferung zufolge laute- Vorsitzender des GKS-Kreises Bonn, burger Abtei Michaelsberg an der ten Martins letzte Worte: „Mein Herr, dass die Auslandseinsätze der Bun- Veranstaltung teil. es ist ein harter Kampf, den wir in dei- deswehr dem Frieden dienten und Dr. Blüm begann seine Ausfüh- nem Dienste in diesem Dasein führen. im Einklang mit der Lehre der Kir- rungen mit einem Dank an die Bun- Nun aber habe ich genug gestritten. che seien. Der Bundesvorsitzende der deswehr. Er selbst, als weißer Jahr- Wenn du aber gebietest, weiterhin für GKS, Oberstleutnant Paul Brochha- gang, musste nie Soldat werden, aber deine Sache im Felde zu stehen, so er habe noch im Luft- soll die nachlassende Kraft des Al- schutzkeller erlebt, ters kein Hindernis sein. Ich werde wiew es sich anfühle, die Mission, die du mir anvertraust, wennw man in einer getreu erfüllen. Solange du befiehlst, kriegerischen Aus- werde ich streiten. Und so willkom- einandersetzung um men dem Veteranen nach erfüllter sein Leben bangen Dienstzeit die Entlassung ist, so bleibt müsse. Er betonte, mein Geist doch Sieger über die Jah- dass Frieden kein re, unnachgiebig gegenüber dem Al- Geschenk sei, son- ter.“ Der heilige Martin soll hier und dern sich verdient heute für unser Bestreben stehen, die werdenw müsse. Die Armut zu bekämpfen und den Frieden Bundeswehr habe aufzubauen – einen Frieden, der die einen großen Anteil pax romana und jeden Frieden, den daran, dass diese Re- die Welt zu geben vermag, bei weitem Bundesminister a.D. Dr. Norbert Blüm inmitten der publik seit 60 Jahren übersteigt. Möge Gott Sie alle bei die- Gäste beim anschließendem Empfang im Foyer des in Frieden sich habe sem Bemühen schützen und segnen. Collegium Josephinum entwickeln können.

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 7 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

Der Bundesminister a.D. ging in Petersberger Gespräche zur Sicherheit seinen weiteren Ausführungen auf die katholische Soziallehre ein, die den Vorteil habe, dass sie nicht eine Schwarz-Weiß-Malerei sei, sondern Die NATO – Bilanz und Perspektiven Gegensätze wie z.B. den Liberalismus VON FRANK GELDMACHER1 UND ANDREAS RAUCH2 und den Sozialismus in einer vernünf- tigen Art und Weise verbinde. Aus m 14. März 2009 fanden auf dem Petersberg bei Bonn die 5. Pe- der Geschichte heraus erteilte Dr. tersberger Gespräche zur Sicherheit statt. Angesichts des bevor- Blüm den Ideologien eine klare Ab- stehenden 60. Jahrestages der NATO stand die Veranstaltung un- sage, da diese den Menschen nicht A ter dem Thema „Die NATO – Bilanz und Perspektiven“. Hauptdiskutanten fördern würden. Er schilderte seine waren unter anderem Bernand de Montferrand, Botschafter der Franzö- Gespräche als aktiver Politiker mit sischen Republik, Generalleutnant Jürgen Bornemann, Militärausschuss Diktatoren wie General Pinochet in der NATO, und Botschafter Eberhard Pohl, Sonderbeauftragter für Sicher- Chile, in denen er die Idee der Ge- rechtigkeit vertrat. In seinem wei- heitspolitik im Auswärtigen Amt. Vorher trug die Vorsitzende des Verteidi- teren Vortrag führte er aus, dass die gungsausschusses des Deutschen Bundestages, MdB Ulrike Merten (SPD), Idee der Freiheit und Gerechtigkeit über die Situation der Bundeswehr vor. zwar Macht und Panzer besiegt hät- te, aber nur, weil sie durch Waffen Verbesserung der Versorgung nen Jahren umgesetzt wurde. Seit 2001 geschützt wurde. von Bundeswehrsoldaten könnten Frauen freiwilligen Dienst in Die heutige Gefahr sah der ehe- undestagsabgeordnete führten allen Laufbahnen der Bundeswehr leis- malige Bundesminister in der starken Bkein von der übrigen Welt abge- ten. Dieser Dienst der Frauen in der Hinwendung zu den monetären Wer- schottetes Orchideen-Dasein, sondern Bundeswehr habe sich bewährt. Seit ten. Dies seien nicht nur die Aktionä- sie stünden voll im Leben. Dies mache 2001 habe sich der Anteil der Frauen, re, die eine möglichst hohe Rendite ein Rückblick auf die vergangenen die als Soldatin Dienst leisten, nahezu erstreben, sondern dies fange in klei- zwölf Monate deutlich, so Ulrike Mer- auf gut 15.000 verdreifacht. Am 1. Ja- nen Dingen an, beim „Schnäppchenjä- ten. Vor dem Hintergrund der vielfäl- nuar 2005 trat das Gesetz zur Durch- ger“. Es gipfele darin, dass man sage, tigen Veränderungen der letzten Jahre setzung der Gleichstellung von Solda- man ließe das Geld für sich arbeiten. habe der Deutsche Bundestag gehan- tinnen und Soldaten der Bundeswehr „Nur der Mensch arbeitet“führte Dr. delt und zahlreiche Gesetze verab- in Kraft. Mit diesem Gesetz würde zum Blüm aus und brachte bei seinen Bei- schiedet, um die sozialen Belange der einen die Gleichstellung von Soldatin- spielen auch manche Anekdote aus Soldaten und ihrer Angehörigen an die nen und Soldaten der Bundeswehr so- seiner Lehrlingszeit. Diese Zeit sei veränderten Herausforderungen durch wie die Beseitigung bestehender und auch seiner Sozialisierung gewidmet die Auslandseinsätze der Bundeswehr die Verhinderung künftiger Diskrimi- gewesen, fügte er hinzu. Er habe Aus- anzupassen. Ziel sei es dabei auch, die nierung wegen des Geschlechtes ange- dauer und Hartnäckigkeit gelernt und Attraktivität des soldatischen Dienstes strebt. Seit 2005 sei es möglich, auch mit einem Augenzwinkern „ohne mei- zu steigern, deren Wahl von einer Viel- für Soldatinnen und Soldaten (befris- ne Zeit bei Opel hätte ich die CDU zahl unterschiedlicher Faktoren be- tete) Teilzeitbeschäftigungen aus Für- nicht überlebt“. Bildung sei wichtig, stimmt würde. Sie reichten hinsichtlich sorgegründen zu beantragen, etwa für damit sich Werte in einer Gesellschaft des Auslandseinsatzes von Bundes- Kinder und pflegebedürftige Ange- entwickeln könnten. Europa stünde wehrsoldaten von einer guten Betreu- hörige. Jedes Jahr machten mehre- nicht nur für Wohlstand sondern vor ung der Soldaten und ihrer Familien re Soldatinnen und Soldaten hiervon allem für Werte und den Kernsatz – so Ulrike Merten weiter – über eine Gebrauch. des Glaubens, dass alle Menschen gute Ausbildung bis hin zu einer be- Weiter sagte Ulrike Merten, dass gleich seien vor Gott. Die Soldaten darfsgerechten Ausrüstung, Unterbrin- grundsätzlich auch die Vereinbarkeit hätten eine schönen Beruf, beendete gung und Bezahlung der Soldaten. von Familie und Dienst als ein neues Dr. Blüm seinen Vortrag, sie verteidig- Die Vorsitzende des Verteidigungs- Feld der Inneren Führung verstanden ten Freiheit und Gerechtigkeit! ausschusses führte anhand von Bei- werden und in konkrete Maßnahmen Nach dem Schlusswort des Katho- spielen aus, wie dies in den vergange- mit einem Betreuungskonzept umge- lischen Militärpfarrers Bonn, Militär- setzt werden müsse. Hinsichtlich des dekan Benno Porovne, endete der of- 1 Frank Geldmacher ist Gymnasialleh- Punktes Vereinbarkeit von Familie und fizielle Teil der Veranstaltung mit der rer an einer christlichen Schule in Beruf müsse die Bundeswehr weiter- Rotterdam und promoviert derzeit an Nationalhymne. der Universität von Amsterdam, er war hin eine Vorbildfunktion übernehmen. Trotz Termindruck ließ es sich auch Co-Autor beim Beitrag im AUF- Hier sei schon viel geschehen in den Bundesminister a.D. Dr. Blüm nicht TRAG 273 „Rom in der christlichen vergangenen Jahren – beispielsweise nehmen, beim Empfang im Foyer des Spätantike. Rom und die Barbaren“ was die Flexibilisierung der Arbeits- Collegiums Josephinums noch mit den 2 Professor ehrenhalber Dr. Andreas zeiten angeht. Solche Angebote seitens M.Rauch ist Gymnasiallehrer im kirch- Gästen zu reden und genoss das „Bad lichen Dienst und Lehrbeauftragter an des Arbeitgebers seien ein wichtiges in der Menge“. der Universität zu Köln Kriterium der Berufsentscheidung für

8 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK junge Menschen, die heute selbstver- trag zur Aktivität der Bundeswehr ge- tionelle Umgang der Amerikaner ständlich Familie und Beruf mitein- leistet worden. Mit der Abschaffung der mit den Europäern als einer al- ander vereinbaren könnten. In diesem „Ost-Besoldung“ sei der notwendige lein entscheidenden und domi- Zusammenhang begrüßte Ulrike Mer- Schritt der Angleichung im Bereich nierenden Macht sei einer part- ten die Arbeiten zur Einrichtung von der Streitkräfte gelungen. Als beson- nerschaftlichen Zusammenarbeit Kindergärten durch die Bundeswehr deren Erfolg der Arbeit des Deutschen gewichen, die mit einer stärkeren an einigen Standorten. Bundestages in jüngerer Zeit dürfe die Inanspruchnahme der Europäer, Der Deutsche Bundestag habe vor Wehrsolderhöhung von zwei Euro pro also auch mit mehr Risiken und dem Hintergrund des Berichtes über Tag 2008 angesehen werden. Zudem Lasten, verknüpft sei. den maroden Zustand westdeutscher sei es für die Parlamentarier von gro- – Die Erweiterung der NATO: in Kasernen Konsequenzen gezogen und ßer Bedeutung, dass sich die Soldaten den Jahren seit 1994 habe sich das die Haushaltsmittel für den Bauun- auf eine gute sanitätsdienstliche Ver- NATO-Bündnis von 19 auf nun- terhalt und für Baumaßnahmen er- sorgung im Einsatz verlassen könnten. mehr 28 (2009) erweitert, wobei höht. Zwischen 2008 und 2011 stün- Als weiteren Erfolg der parlamentari- hierbei die neuen NATO-Länder den hierfür bis zu 677 Millionen Euro schen Arbeit könne gemäß den Worten Kroatien und Mazedonien bereits bereit. Auf den Weg gebracht seien von Frau Merten das Dienstrechtsneu- eingerechnet seien. Hinsichtlich Modellversuche zum Bau von Pendler- ordnungsgesetz vom November 2008 Mazedonien gäbe es wegen des appartements, um die große Zahl von gewertet werden. Innerhalb dieser Ge- Namens „Mazedonien“ Streit, da Soldatinnen und Soldaten zu berück- setzesnovelle seien deutliche Verbes- Griechenland diese Bezeichnung sichtigen, die nicht mehr an einen neu- serungen für die Bundeswehrsoldaten für sich beanspruche, doch gel- en Standort umzögen. etwa bei der Erhöhung des Auslands- te dieses Problem im Prinzip als verwendungszuschlages erzielt wor- gelöst. Bessere Absicherungen von Soldaten den. Alle diese Maßnahmen hätten – Artikel 5 des NATO-Vertrages im Auslandseinsatz ihren Preis. Die Betriebsausgaben der bliebe wohl in seiner jetzigen Form ei Auslandseinsätzen stelle die Bundeswehr würden im Jahr 2009 auf auch in Zukunft erhalten. Es sähe Bsoziale und wirtschaftliche Absi- rund 800 Mio. Euro steigen, was vor- derzeit nicht danach aus, dass cherung der Soldatinnen und Soldaten rangig auf einen erhöhten Mehrbedarf neue sicherheitspolitische Hand- sowie ihrer Familien ein besonderes beim Personal zurück zu führen sei. lungsfelder der NATO erschlossen Problem der Fürsorge dar, führte die würden, auch wenn Überlegungen Vorsitzende aus. Im Jahr 2002 habe Neue sicherheitspolitische für eine „globale Sicherheitsarchi- der Deutsche Bundestag bereits das Herausforderungen tektur“ dies nahe legen würden. Einsatzversorgungsgesetz beschlos- ach Ulrike Merten äußerte sich – NATO und Russland stünden sen. Offen sei danach noch der feh- Nauf der Petersberger Tagung der gegenwärtig in einem gewissen lende Rechtsanspruch auf Weiterbe- deutsche Botschafter bei der NATO, Spannungsverhältnis zueinander, schäftigung und die Versorgung von Eberhard Pohl, in einem Referat zur nachdem es mit der „partnership Zeitsoldaten und Reservisten in der aktuellen sicherheitspolitischen Lage. for peace“ einige Zeit ganz gut Bundeswehr bei Einsatzunfällen gewe- Der Vertreter des Auswärtigen Amtes gelaufen wäre. Nach wie vor stel- sen. Deshalb sei es im Dezember 2007 hob auf den machtpolitischen Para- le Russland keinen militärischer zum in Kraft treten des Einsatzwei- digmenwechsel nach 1989/90 ab und Gegner für die NATO dar. Als si- terverwendungsgesetzes gekommen, auf die komplexe Lage in jüngerer cherheitspolitische Probleme hät- welches die Weiterverwendung nach Zeit. So seien neben den klassischen ten sich jedoch der geplante Ra- Einsatzunfällen regelt und internatio- Gefährdungslagen – etwa in Europa ketenabwehrschirm in Polen, der nal einmalig sei. – und weiter schwelenden Konflikten Kaukasus, die Diskussion um die Weiter ausgebaut würde die zivil- auch neue Herausforderungen zu be- NATO-Erweiterung sowie mögli- berufliche Aus- und Weiterbildung der stehen: Umwelt- und Klimaprobleme, cherweise neuer NATO-Mitglieder Bundeswehrsoldaten, welche unverän- Terrorismus in unterschiedlichsten Er- und der Georgien-Konflikt heraus- dert ein wichtiger Eckpfeiler für die scheinungsformen etwa in der Bedro- gebildet. Strittig mit Russland sei- Gewinnung junger, bildungsorientier- hung von Informationssystemen und en auch ein möglicherweise neu- ter und engagierter Männer und Frauen Energieversorgungsstrukturen. Diese es sicherheitspolitisches Konzept für den freiwilligen Dienst in der Bun- neuen Herausforderungen und Gefähr- der NATO. deswehr darstelle. Es seien jährlich bis dungslagen seien bei einer eventuellen zu 40.000 Soldatinnen und Soldaten, Überarbeitung des sicherheitspoliti- er deutsche militärische Vertreter die sich außerhalb ihrer Verbände im sches Konzeptes der NATO von 1999 Dim Militärausschuss von NATO, Studium, in der Berufsausbildung zu zu berücksichtigen. EU und WEU, Generalleutnant Jür- Beginn ihrer Dienstzeit oder in Maß- Botschafter Pohl ging auf vier gen Bornemann, stellte fest, dass die nahmen der Berufsförderung zu Ende Punkte ein: Arbeiten für eine Überarbeitung des ihrer Dienstzeit befänden. – Die transatlantischen Beziehun- NATO-Vertragskonzepts gerade erst Mit der spürbaren Erhöhung der gen: sie stellten nach wie vor die begonnen hätten und ein formeller Auf- Dienst- und Versorgungsbezüge in Grundlage europäischer Sicher- trag des NATO-Rates hierzu noch er- 2008 und 2009 sei ein wichtiger Bei- heitspolitik dar. Doch der tradi- teilt werden müsse. Nachdem das letz-

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 9 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK te, überarbeitete NATO-Konzept aus Operationskonzept erstellen, so Bor- Die NATO sei ein Bündnis, in dem dem Jahr 1999 datiere, erwarte GenLt nemann. In diesem Zusammenhang die Kräfte nicht automatisch ohne das Bornemann die Billigung eines neuen stelle sich die Frage, in wie weit Ar- Wissen der politischen Organe, einge- NATO-Konzeptes im Jahr 2010. tikel 5 des NATO-Vertrages verändert setzt würden. Die Krisen der Gegen- Bornemann führte aus, dass das werden müsste oder nicht. wart eine politisch-militärische Be- neue Konzept der NATO neue Struk- handlung und die Einsätze erforderten turen schaffe und Aufgaben neu ver- Französische NATO-Vollmitgliedschaft einen breiter gefassten, sicherheitspo- teile. Wie dies erreicht werden solle, ereits am 11. März 2009 hatte der litischen Rahmen. hänge vom künftigen Selbstverständnis Bfranzösische Staatspräsident der Außerdem möchte Frankreich – der NATO ab. GenLt Bornemann warf Öffentlichkeit mitgeteilt, dass Frank- so Botschafter de Montferrand – bei vier Fragen auf: reich seinen Platz im Atlantischen der Überarbeitung des NATO-Konzep- – Soll die NATO ein Verteidigungs- Bündnis wieder voll und ganz einneh- tes gestaltend mitwirken. Dabei müs- bündnis bleiben oder sich evolu- men würde. Diese Entscheidung wurde se Artikel 5 des NATO-Vertrages die tionär zu einer Sicherheitsorgani- durch das französische Parlament am Grundlage für das Atlantische Bündnis sation weiterentwickeln? 17. März 2009 bestätigt. Nach 43 Jah- bilden, so der Botschafter. Gleichzei- – Soll die NATO zu einer größeren, ren nimmt damit Frankreich Abschied tig solle die NATO seine militärischen globalen Struktur finden? von der Entscheidung General Charles Fähigkeiten ausbauen, damit sie aktiv – Soll die NATO mit anderen Ak- de Gaulles, die integrierte Struktur der werden könne, wenn die Sicherheit des teuren (z.B. der EU) eng zusam- NATO zu verlassen. Dass diese Ent- Bündnisses auf dem Spiel stünde. Als menarbeiten? scheidung möglich wurde, hänge mit Probleme sieht der Botschafter das Ver- – Soll die NATO zu neuen Entschei- der grundlegenden Entwicklung der hältnis der NATO zu Russland an sowie dungsverfahren finden? NATO und der internationalen politi- die Tatsache, dass 22.000 Beamte im schen und strategischen Situation in Hauptquartier in Brüssel 66.000 Sol- Der deutsche militärische Vertre- Europa seit Ende des Kalten Krieges daten im Einsatz gegenüber stünden – ter nannte ebenso wie Botschafter Pohl zusammen, so der französische Bot- also ein Beamter für drei Soldaten! die veränderten, neuen Sicherheitsri- schafter in Deutschland, Bernard de siken, mit denen sich die NATO aus- Montferrand bei den 5. Petersberger Spannungen zwischen schwierigen einandersetzen müsse: So hätten sich Gesprächen. Rahmenbedingungen die Risiken und Gefährdungen im NA- Als de Gaulle die integrierte NA- und unterschiedlichen Interessenlagen TO-Gebiet sowie weltweit grundlegend TO-Struktur verließ, ging er von drei Diskutiert wurden auch sicher- verändert. Die klassischen zwischen- Feststellungen aus: heitspolitische Aspekte aus der Sicht staatlichen Bedrohungen bestünden – einem Ungleichgewicht zwischen der deutschen Bevölkerung, wie sie in zwar weiterhin, aber asymmetrische den Bündnispartnern, der Bevölkerungsumfrage des Sozial- Bedrohungen, vor allem durch Staa- – einem fehlenden Verantwortungs- wissenschaftlichen Instituts der Bun- ten mit zerfallenden Staatsstrukturen gefühl der Europäer und deswehr (SOWI) aus dem Jahr 2008 (failed states) wie etwa Somalia oder – von einer Automatik der Gewalt- dargestellt wurden. Danach fühlt sich dem Kongo und eine global agierende, anwendung. die deutsche Bevölkerung zu 90 Pro- organisierte Kriminalität stellten neue Dieses habe sich seither grundle- zent sicher. 53 Prozent der Bevölke- Herausforderungen für die NATO dar. gend geändert. Vor allem drei Verände- rung meint, Deutschland solle sich Als Bedrohung nahm Bornemann vor rungen ließen sich ausmachen: eher auf die Bewältigung seiner eige- allem fundamentalistisch organisierte Heute sei das Bündnis viel aus- nen Probleme konzentrieren, 47 Pro- Gruppen und einen Anstieg der Anzahl gewogener: Die Amerikaner würden zent hingegen sind der Auffassung, von Staaten mit Massenvernichtungs- partnerschaftlich mit den Europäern dass Deutschland in der Außenpo- waffen wahr – etwa die ballistischen zusammenarbeiten, die wiederum den litik eine aktive Rolle spielen sollte Flugwaffen im Iran und Nordkorea. historischen Beschluss gefasst hät- (im Jahr 2007 55 Prozent). Hinsicht- Hinzu würden neue Szenarien im ten, eine europäische Verteidigung lich den internationalen Organisati- Umweltbereich wie etwa eine fort- aufzubauen. Die Europäische Sicher- onen genießt die Europäische Uni- schreitende Klimaerwärmung und heits- und Verteidigungspartnerschaft on vor der OSZE und den Vereinten Umweltverschmutzung treten, deren (ESVP) existiere heute in den euro- Nationen das beste Ansehen unter Folgen im Einzelnen heute noch gar päischen Verträgen sowie in Brüssel den deutschen Bürgern. Den höchs- nicht bekannt seien (z.B. Überflutun- mit Institutionen und vor Ort in den ten Akzeptanzgrad hinsichtlich den gen, Wetterveränderung, Wüstenaus- Einsätzen. Auslandseinsätzen der Bundeswehr breitung). Weiter seien mögliche Ge- Es sei heute ein Bündnis – so der erzielte 2008 in der Wahrnehmung fährdungen auf dem Gebiet der In- französische Botschafter in Deutsch- der deutschen Bevölkerung KFOR/ formationstechnologie zu nennen. So land – in dem die Staaten ihre Verant- EUFOR und ISAF. geht Bornemann davon aus, dass es in wortung übernähmen. So wie es keine Auf der Petersburger Tagung wur- naher Zukunft zu Anschlägen auf den Abgaben ohne Gegenleistung gebe, so de deutlich, dass es immer schwieri- Informationssektor oder auf lebens- könne man sich auch nicht vorstellen, ger wird, die unterschiedlichen In- wichtige Ressourcen kommen könn- dass ein Land das Leben seiner Solda- teressen der NATO-Mitglieder unter te. Hier müsste die NATO ein neues ten leichtfertig aufs Spiel setze. einen Hut zu bringen. Dies wird auch

10 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK bei der möglichen Überarbeitung des learen Abrüstung (Bundesaußenmi- die Rolle eines Weltpolizisten über- NATO-Vertrages eine Rolle spielen. nister Frank Steinmeier) und dem nehmen soll. Unstreitig steht fest: Es Schon innerhalb der Bundesregierung Klimawandel (Bundeskanzlerin An- gibt neue Herausforderungen in der wird ein Meinungsspektrum deut- gela Merkel) befassen. Auf dem Pe- internationalen Politik, die neue si- lich, wenn davon gesprochen wird, tersburg herrschte eher die Meinung cherheitspolitische Konzepte notwen- die NATO solle sich mit der nuk- vor, dass eine künftige NATO nicht dig machen. ❏

Sachausschuss Sicherheit und Frieden Entwicklungen bei der Weiterverbreitung von nuklearer (Waffen-)Technologien (9. gekürzte Fortschreibung – Zeitraum Februar 2009 bis April 2009)

VON WERNER BÖS

ie Redaktion wird auch weiterhin über das Monitoring der Proliferationsproblematik des Sachausschus- ses „Sicherheit und Frieden“ berichten. Wie gewohnt, verzichten wir auf die detaillierte Wiedergabe der Dchronologischen Ereignisse und werden uns auf die Bewertungen des Autors stützen. An der chronologi- schen Entwicklung interessierte Leser könne diese bei der Redaktion AUFTRAG per e-mail abrufen (redaktion- [email protected]).

Iran der Teheraner Spitze langfristig su- Chancen der liberalen Kandidaten ie als privat deklarierte Reise chen wird. Hält man die Aussagen von schmälern, ebenso jene der konser- DGerhard Schröders im Februar US-Präsident Obama und Irans Präsi- vativen Pragmatiker. Mit beiden aber des Jahres in den Iran erregte in- dent Ahmadinedschad dazu nebenei- ließe es sich leichter verhandeln als ternationales Interesse wegen seiner nander, könnte man den Eindruck ge- mit dem zu radikalen Tönen neigen- dortigen Gesprächspartner. Wegen winnen, direkte Verhandlungen seien den Amtsinhaber. seiner Opposition zur Bush-Regie- zum Greifen nahe. Erstmals seit der Um zu verhindern, dass Amts- rung sah die iranische Führung in Islamischen Revolution 1979 zeigen inhaber Ahmadinedschad die Ge- Schröder offenbar einen politischen beide Seiten ernsthaft und auf höchs- spräche für seinen Wahlkampf aus- Gesinnungsgenossen, der die irani- ter Ebene Dialogbereitschaft. schlachten kann, erwägen die USA, sche Sicht der Dinge verstehen und Tatsächlich aber hat die US-Re- sich direkt an den geistlichen Füh- sie der Welt erklären werde. Man hat gierung ebenso wie die Sechsergrup- rer Ayatollah Ali Chamenei zu wen- im Iran nicht vergessen, dass Schrö- pe, die aus den fünf Veto-Mächten im den. Dieser hat ohnehin die Entschei- der sich als Kanzler vehement gegen UN-Sicherheitsrat und Deutsachland dungsgewalt in Fragen der nationalen die von den USA erwogene Option besteht, im Atomstreit mit dem Iran Sicherheit und kontrolliert auch das gestellt hatte, den Iran wegen seines einen diplomatischen Balanceakt zu Atomprogramm. Chamenei hat sich Atomprogramms anzugreifen. bewältigen, dessen Ausgang völlig jedoch schon mehrmals kritisch zu Dem Gespräch mit dem irani- offen ist. Die Annäherung wird ein dem Regierungswechsel in Washing- schen Präsidenten und wiederholten mühsamer Prozess werden und steht ton geäußert: „Ein politischer Wan- Holocaust-Leugner Ahmadinedschad unter enormem Zeitdruck. Zwar ar- del in Washington ist nicht zu erken- hätte Schröder ausweichen können, ja beiten die USA noch an einer Iran- nen. Die amerikanische Regierung müssen. Wohl gemerkt: Das gilt nur Strategie, dennoch ist eine Vorent- setzt ihren bisherigen Kurs fort, es für diese Begegnung, nicht für die scheidung gefallen, dass über Irans gibt keine Zeichen, die darauf hin- generelle Philosophie des Umgangs Atomprogramm im Rahmen der Sech- weisen würden, dass die Amerikaner mit dem Iran. Im Gegenteil, dem Iran sergruppe verhandelt werden soll, in ihre früheren Fehler wiedergutma- muss Gelegenheit gegeben werden, der Teheran dann direkt mit Washing- chen wollen.“ aus der fundamentalistischen Politik- ton sprechen kann. Der frühere iranische Präsident Ecke herauszukommen. Eine zu frühe Kontaktaufnahme Mohammed Chatami hatte lange ge- Mit dem Amtsantritt von Barack könnte Ahmadinedschad im Wahl- zögert, wollte zur Wahl gar nicht an- Obama verliert auch die Schurken- kampf stärken. Er könnte Verhand- treten, aber die Reformer ließen nicht staat-Theorie an Bedeutung. Der neue lungen als großen Erfolg verkaufen, locker, bis er im Februar seine Kan- amerikanische Präsident hat selbst um die schlechte Wirtschaftslage im didatur bekannt gab. „Nur Chatami angedeutet, dass er den Dialog mit Land zu überspielen. Das würde die kann die Massen dazu bewegen, an die

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 11 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

Urnen zu kommen, dann schaffen wir für ein militärisches Atomprogramm Präsident Obamas Initiative ge- es auch Ahmadinedschad abzulösen“, nutzen. Dennoch warnt Israel vor der genüber Russland, auf den Aufbau meinten die Reformer. „Es kommt auf atomaren Bewaffnung des Iran: „Das einer Raketenabwehr in Osteuropa die an, die 2005 zu Hause blieben. ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zu verzichten, zielt als Gegenleistung Wenn sie wiederkommen, gewinnen zu Nuklearwaffen.“ Auch die fünf Moskaus direkt auf die Unterstützung wir auch wieder“. Der 65-jährige Cha- Veto-Mächte im Sicherheitsrat der der amerikanischen Iran-Politik ab. tami, Staatspräsident von 1997 bis UNO und Deutschland befürchten, Man will bei der Eindämmung des 2005, hatte Bedenken anzutreten, da wie die Mehrheit der Internationa- iranischen Atomprogramms endlich seine Reformen in der zweiten Amts- len Gemeinschaft, dass Teheran den vorankommen. Wenn Russland mit- periode gescheitert waren. In Iran ist Bau der Atombombe anstrebt, wes- hilft, dass Iran keine Atombomben laut Verfassung nicht der Präsident, halb das Regime schon mehrmals baut, braucht man auch keine Rake- sondern der religiöse Führer das ei- mit Sanktionen belegt und zur Ein- tenabwehr dagegen, lautet die Logik. gentliche Staatsoberhaupt. So wur- stellung der Urananreicherung auf- Dieser Vorschlag ermöglicht es bei- den alle seine Reformpläne für ein gefordert wurde. den Seiten, ohne Gesichtsverlust ei- offeneres, weltlicheres System, das Die USA haben wiederholt kri- nen bedeutenden Streitpunkt aus dem jedoch für den iranischen Klerus und tisiert, dass Russland den Iranern Weg zu räumen. die treuen Revolutionsgarden ein ab- beim Bau des Atommeilers in Bu- Dass Russland bedingungslos auf solutes Tabu war, blockiert und Zei- schehr hilft. Eine Kooperation zwi- die USA zugehen könnte, ist jedoch tungen geschlossen sowie Dissiden- schen Moskau und Teheran gefährde unwahrscheinlich. Die russische Re- ten verhaftet. die Front gegen den Iran im UNO-Si- gierung wird nur dann eine Überein- Der Tiefpunkt seiner ersten Re- cherheitsrat. Russland kann als Ve- kunft in Sachen Iran mit den Ame- gierungszeit war die Parlamentswahl tomacht im Entscheidungsgremium rikanern schließen, wenn dies kei- 2004, bei denen die Reformer von der Vereinten Nationen Sanktionen ne drakonischen Maßnahmen gegen- dem Wächterrat einfach disqualifi- gegen Teheran verhindern. Zudem, über dem Iran bedeutet. Dazu zählen ziert wurden und die politischen Wi- so wird geargwöhnt, verschafften sich schärfere Sanktionen und Gewalt. dersacher aus dem konservativen La- die Iraner durch die Zusammenarbeit Russland und Iran haben seit Mitte ger zwangsläufig ins Parlament ka- mit den Russen weiteres wertvolles der 90er-Jahre ihre Wirtschaftsbezie- men. Atom-Wissen. Teheran und Moskau hungen ausgebaut: Das Handelsvo- Mit russischer Hilfe hat der Iran haben auch ein langfristiges Abkom- lumen ist von 600 Mio. auf 3,7 Mrd. im Februar erstmals einen Testlauf men über die Belieferung von Bu- Dollar im vergangenen Jahr gestiegen. seines Atomkraftwerkes in Buschehr schehr mit schwach angereichertem Russland setzte auf Iran als Export- gestartet, ohne angereichertes Uran Uran geschlossen, das für Atomwaffen markt für Nukleartechnik und verhan- zu verwenden. Teheran will das einst ungeeignet ist. Mit dem Uran soll der delte einen zehnjährigen Lieferver- von deutschen Firmen begonnene, Reaktor mit 1000 Megawatt Leistung trag für Brennelemente. Beide verein- nun von den Russen fertig gebaute angetrieben werden. Moskau nimmt barten die Gründung eines gemeinsa- Kraftwerk so schnell wie möglich in auch die abgebrannten Brennstäbe men Energiekomitees, um gemeinsa- Betrieb nehmen. Der islamische Got- wieder zurück. me Öl- und Gas-Förderprogramme in tesstaat unterstreicht mit dieser Ak- Allerdings betreibt Iran in Na- Iran und Drittstaaten zu beginnen. tion erneut seine Entschlossenheit, tans auch eine eigene Uran-Anrei- Allerdings, dass Iran heute mit Russ- sein umstrittenes Atomprogramm vo- cherungsanlage, die von der interna- land vermehrt Geschäfte macht, heißt ranzutreiben. Dies dient nach Anga- tionalen Gemeinschaft misstrauisch nicht, dass sich Teheran irgendetwas ben der Regierung in Teheran allein beobachtet wird. Trotz des UN-Ver- von Moskau sagen ließe. der Energiegewinnung, obwohl Iran bots wird sie weiter betrieben. Hoch Während der jahrelangen, zähen über große Öl- und Gasreserven ver- angereichertes Uran eignet sich für Verhandlungen über Sanktionen ge- fügt. Der Verdacht, dass das Mullah- den Bau von Bomben. Iran bekräftigt gen den Iran ist deutlich geworden, Regime heimlich Atomwaffen entwi- immer wieder, am Zeitplan für die dass Moskau und Washington das ckelt, bleibt unausgeräumt. Anreicherung von Uran für angebli- Land völlig unterschiedlich einschät- Die Internationale Atomenergie- che Energiegewinnung festzuhalten. zen. Die russische Führung glaubt behörde IAEA inspizierte bereits die In den kommenden fünf Jahren sei schlichtweg nicht daran, dass vom im Bau befindliche Anlage und ist die Inbetriebnahme von 50 000 Zen- iranischen Atomprogramm eine exis- auch berechtigt, den dann Betrieb trifugen geplant. tenzielle Gefahr ausgeht. Natürlich befindlichen Reaktor zu überprüfen. Auch ein angeblich betriebsberei- wünscht auch sie sich, dass Tehe- „Der Iran handelt im Fall Buschehr tes Schwerwasserkraftwerk der Iraner ran keine Atomwaffen besitzt. Doch absolut legal und verstößt mit dem beunruhigt die IAEA. Beim Betrieb bestimmt dieses Szenario nicht das Testlauf nicht gegen internationale eines solchen Werkes fällt waffenfä- sicherheitspolitische Denken Mos- Beschlüsse“, heißt es aus der Behör- higes Material an. Eine „mögliche mi- kaus. de. Jedes Land habe das Recht, die litärische Dimension“ des iranischen Die Politik des „ausgestreckten Kernkraft friedlich zu nutzen. Atomprogramms kann die IAEA nach Hand“ Präsident Obamas wirft vier Unter normalen Umständen lässt ihrem Kenntnisstand nicht ausschlie- Fragen auf: Wie viele Zugeständnis- sich der Reaktor in Buschehr nicht ßen. se muss der Westen machen, weil der

12 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

Gegner weder militärisch noch durch ten ins Regal verbannt. Und das alles gemeinsam verfolgt worden ist. Ihre andere Zwangsmittel wie Boykotte beherrschende Thema der westlichen Forderung nach Aussetzung der Uran- und Sanktionen zu besiegen ist? Wie Iranpolitik, den Streit ums Nuklear- anreicherung durch den Iran war als weit darf der Westen dabei gehen, programm, erwähnt Obama nicht ein Vorbedingung für weitere Verhand- wenn wir nicht unsere Werte verraten einziges Mal. Denn nun soll „die gan- lungen auch vom UN-Sicherheitsrat wollen? Können wir mit Feinden Isra- ze Bandbreite der Fragen“ behandelt übernommen worden. Die Ankündi- els voraussetzungslos und „ergebnis- werden, und dies könne nicht durch gung Obamas, darauf als Vorausset- offen“ reden? Grundsätzlich gefragt, „Drohgebärden“ befördert werden, zung für direkte Gespräche zwischen lässt sich mit radikalen Islamisten sondern nur durch „wechselseitigen Washington und Teheran verzichten überhaupt Realpolitik machen? Respekt“. Obama stellt Iran vor die zu wollen, unterläuft diese sorgsam Obamas Grußadresse zum irani- Wahl, seinen „berechtigten Platz un- aufgerichtete rote Linie. Das kann schen Neujahrsfest Nouruz ist eine ter den Völkern“ einzunehmen oder vom Regime des Iran nur als Be- kühne Probe darauf. Der Präsident weiter auf Einfluss durch „Terror und lohnung für sein dreistes Ignorieren geht am sechzigsten Tag seiner Amts- Waffen“ zu setzen. von Beschlüssen des Sicherheitsrates zeit eine waghalsige Wette ein – dass Der iranische geistliche Führer verstanden werden. Infrage gestellt er ein Regime, das seit Generationen Chamenei hat es sofort verstanden: wäre damit auch die Legitimation von Antiamerikanismus lebt, durch Die Neujahrsbotschaft verbirgt unter der Sanktionen, die von der interna- Verhandlungsofferten in die Weltge- einer dicken Schicht von zuckersüßen tionalen Gemeinschaft mühsam auf meinschaft zurückholen könne. Ris- Nettigkeiten eine glasklare Botschaft, die Beine gestellt wurden. Das Kal- kant ist die Sache nicht nur für ihn die das diplomatische Spiel um den kül, Teheran werde sich im Gegenzug selbst, sondern auch für die Gegen- Mullahstaat verändert. Darum gab der entgegenkommend zeigen und auf die seite. Denn Obama räumt mit Freund- Ajatollah in seinem Kommentar dem militärische Nutzung der Atomener- lichkeit ein Überlebensmittel des Re- Verdacht Ausdruck, die USA könn- gie verzichten, ist sehr optimistisch. gimes ab: den hässlichen Amerikaner. ten „unter dem Samthandschuh eine Aus freien Stücken, ohne gravierende Indem er respektvoll von der „Islami- Gusseisenhand versteckt haben“. Die Nachteile fürchten zu müssen, wird schen Republik“ spricht, ist das nicht iranische Führung fordert nun, dass eine iranische Regierung kaum je weniger als die grundsätzliche Aner- den schönen Tönen auch Taten folgen auf die nukleare Option verzichten. kennung der islamischen Revolution sollten und präsentiert eine lange Lis- Denn die würde dem Iran eine un- Chomeinis und seiner Nachfolger. Si- te an Vorbedingungen für Gespräche. angefochtene Hegemonialstellung in cher ist es kein Zufall, dass ihm der Dass Teheran wirklich an neuen Be- der Region sichern. Sofern sich das Präsident des „Kleinen Satans“, der ziehungen zu den USA interessiert ist, Regime tatsächlich auf Gespräche israelische Präsident Schimon Pe- lässt sich zumindest daraus nicht ab- mit den USA einlässt, könnte es sie res, mit seiner eigenen Neujahrsan- leiten. Die kühle Reaktion Teherans nach bewährtem Muster in die Länge sprache an das „edle iranische Volk“ auf den mutigen Schritt Obamas zeigt, ziehen, um Zeit für die Entwicklung zur Seite springt – die Iraner mögen dass man dort nicht so recht weiß, wie seiner nuklearen Kapazitäten zu ge- „ihren berechtigten Platz unter den auf die verbale Umarmung zu reagie- winnen. Und selbst wenn der Iran in aufgeklärten Nationen der Welt“ ein- ren ist. Amerikanische Avancen stür- Kontrollen seiner Atomproduktion nehmen. Zwar ruft er die Iraner zum zen Teheran, das eine Annäherung einwilligte, wäre das keine Garantie, Sturz ihrer Führung auf, aber: „Ich bin ebenso wünscht wie fürchtet, stets in dass er diese Übereinkunft einhal- sicher“, so Peres, „der Tag ist nicht Verwirrung. Eine gewisse Irritation ten würde. fern, an dem wir zu gut nachbarlichen ist verständlich, hatte doch Obama Erweist sich der Iran trotz Ob- Beziehungen zurückkehren können.“ die amerikanischen Sanktionen ge- amas großzügigen Offerten weiter Obama zieht in seiner Ansprache kur- gen Iran verlängert. Mitten hinein in unnachgiebig, sind nur noch zwei zerhand einen Strich unter Jahrzehnte den iranischen Wahlkampf wird den Alternativen übrig: Sich entweder gescheiterter amerikanischer Iranpo- Iranern eine Alternative zur Selbsti- mit der Nuklearbewaffnung des Iran litik. Drei Minuten genügen ihm, um solation geboten. Jeder Kandidat wird abzufinden und zwecks Erhalt des mit dreißig Jahren Sprachlosigkeit zu sich dazu verhalten müssen. Machtgleichgewichts in der Region brechen. Implizit beerdigt er die Po- Ein rascher Durchbruch ist nicht zuzulassen, dass arabische Staaten litik des „regime change“, indem er zu erwarten, dabei hat Obama die mit der atomaren Aufrüstung nach- sich an „das Volk und die Führer der Hälfte seines Pulvers schon vor Be- ziehen. Oder auf die militärische Op- islamischen Republik Iran“ – eine ginn konkreter Verhandlungen als tion zurückzukommen und zu versu- lange vermiedene Formel – wendet. Vorleistung verschossen. Mit „harter chen, die iranischen Atomanlagen Seine Regierung, sagt er, habe sich Diplomatie“ wollte Obama den Kon- zu zerstören. Das würde, wenn über- „nun der Diplomatie verschrieben“. flikt um das iranische Atomprogramm haupt noch möglich, freilich weitaus Dialog statt Konfrontation, Anerken- lösen, hatte er versprochen. Jetzt aber schwieriger und gefährlicher sein als nung statt Eindämmung – so der neue wirkt seine diplomatische Initiative in noch vor zwei, drei Jahren. In beiden Kurs. Das ist eine bedeutende Verän- dieser Frage eher weich gespült. Um Fällen kann das, was jetzt wie ein derung. Damit ist die Option des Mi- den Iran zu Verhandlungen zu be- Erwachen friedfertiger Beziehungen litärschlages zwar nicht völlig ausge- wegen, will Obama die Linie verlas- aussieht, im Handumdrehen ins Ge- schlossen aber relativ weit nach hin- sen, die von USA und EU jahrelang genteil umschlagen

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 13 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

Nordkorea spräche und die Nordkoreaner konn- amerikanische Regierung sich doch ordkorea heizt die Spannungen ten sich nicht darüber einigen, was zu direkten Gesprächen bereit findet Nin Ostasien weiter an. Es werde die Inspektoren in den Atomanlagen und sein Triumph wird vollständig einen Kommunikations-Satelliten in kontrollieren dürfen, um sicherzu- sein. Er hat es in den vergangenen den Weltraum schießen, verkündete gehen, dass Pjöngjang wie verspro- Jahren immer wieder verstanden, die das Militär im März. „Die Vorberei- chen sein Nuklearprogramm been- USA und die asiatischen Nachbarn tungen für den Abschuss eines Sa- det. Gleichzeitig wartete Pjöngjang mit Drohungen zu erpressen – und telliten vom Typ Kwang-mongsong-2 auf 200 000 Tonnen Schweröl, die bei sie gleichzeitig gegeneinander aus- auf der Rakete Unha-2 gehen rasch den Pekinger Atomgesprächen u.a. zuspielen. voran.“ Die USA und die asiatischen versprochen, aber noch nicht von Ver- Die Verurteilung der Nordkorea- Nachbarländer wie Südkorea, Japan handlungspartnern USA, Russland, ner durch den UN-Sicherheitsrat fiel und China befürchten, dass sich hin- China und Japan sowie Südkorea ge- einstimmig aus – auch China und ter dem geplanten Start ein neuer liefert wurden. Russland stimmten der Erklärung zu, Raketentest verbergen könnte. Un- Zwar behauptete Pjöngjang, sei- in der betont wird, dass der Raketen- gewöhnliche Aktivitäten auf der Ra- nen Fernmeldesatelliten erfolgreich start vom 5. April die Resolution 1718 ketenbasis Musudan-ri im Nordosten in den Orbit geschossen zu haben, der des Sicherheitsrats verletzen würde. des Landes, mit Tests von Raketenmo- nun „unsterbliche Revolutionshym- In dieser Resolution von 2006 ver- toren, Installation von Radargeräten nen“ zu Ehren des 1994 verstorbenen hängte der Sicherheitsrat – als Reak- und Instellungbringen einer Mittel- Staatsgründers Kim Il-sung und sei- tion auf den Atomwaffentest vom Ok- streckenrakete mit 6000 Kilometer nes Sohnes Kim Jong Il ausstrahle. tober 2006 – u.a. ein Waffenembargo Reichweite deuteten darauf hin. Aber amerikanische und südkoreani- und verbot den Verkauf von Luxus- US-Außenministerin Clinton hat- sche Experten fahndeten vergeblich artikeln für die Elite des darbenden te, ebenso wie ihr südkoreanischer nach dem Neuankömmling im Or- Landes. Zudem wurden alle Mitglie- Amtskollege Yu Myung-hwan, die Re- bit. Er sei, verkündeten sie, schlicht der der Vereinten Nationen angewie- gierung in Pjöngjang gewarnt, die und einfach ins Wasser gefallen. Im- sen, bestimmte Vermögenswerte der Finger von einem Test zu lassen. Der merhin: Die Trägerrakete ist ziem- Nordkoreaner einzufrieren. würde „provozierend“ wirken. Zudem lich weit geflogen, jedenfalls weiter Aus Prostest gegen die Kritik des nach internationaler Auffassung ein als beim ersten Test vor drei Jahren Weltsicherheitsrats an seinem Ra- Raketenstart, auch für einen Satelli- in 2006. Nordkorea hat erhebliche ketentest ist Nordkorea aus den in- ten, ein Verstoß gegen die UN-Resolu- Fortschritte beim Bau von Langstre- ternationalen Gesprächen über sein tion 1718 von 2006 ist, die von Nord- ckenraketen unter Beweis gestellt. Atomwaffenprogramm ausgetreten. korea verlangt, Raketentests einzu- Wie Nordkorea es geschafft hat, die Die letzten Gespräche der Sechser- stellen. Entsprechend kritisieren auch Sanktionen der Vereinten Nationen zu Runde fanden bereits im Juli 2008 andere Staaten und der UN-General- umgehen, wissen nur das Land und statt und waren seitdem unter Vor- sekretär Ban Ki-moon das nordkorea- seine iranischen, pakistanischen und wänden boykottiert worden. Zugleich nische Vorhaben. Die große Sorge: Die chinesischen Geschäftspartner. Mit erklärte es die Zusammenarbeit mit von US-Spionagesatelliten gefilmten dem Start der Rakete hat Pjöngjang der Internationalen Atomenergiebe- Röhren könnten vielmehr doch eine noch einmal bewiesen, wie löchrig hörde IAEA für beendet und forderte neue Version der Langstreckenrake- die Verbote sind, mit denen die Ver- alle IAEA-Inspektoren zur Ausrei- te Tae-podong-2 sein, die rund 6700 einten Nationen und ein Teil der in- se auf. Darüber hinaus will Pjöng- Kilometer fliegen kann. Hawaii und ternationalen Gemeinschaft versucht, jang seine Atomanlagen reaktivieren. Alaska wären damit bedroht. Bei ei- Nordkorea zu isolieren. Kim Jong Ils Diese Maßnahmen stoßen weltweit nem Start im Sommer 2006 fiel die Interesse ist klar: Er muss nach in- auf Unverständnis und Kritik. Chi- Rakete nach wenigen Sekunden ins nen Stärke zeigen und seine Militärs na und Russland fordern Nordkorea Meer. Drei Monate später zündeten zufrieden stellen. Gleichzeitig will auf, rasch an den Verhandlungstisch Nordkoreas Militärs ihre erste unter- er der Welt signalisieren, dass mit zurückzukehren. irdische Atombombe. ihm nicht zu spaßen ist. Wer Atom- Seit dem vermuteten Schlagan- Mit einem erneuten Raketentest sprengköpfe und Raketen hat, dem fall Kims im August 2008 ist die Stel- will Kim den neuen US-Präsiden- kann man nicht mehr drohen. Nord- lung der Hardliner im Militär stär- ten Obama wohl zu Zugeständnissen korea hat bewiesen, dass es Druck ker geworden, was sich auf die Hal- und weiteren Wirtschaftshilfen zwin- aushalten kann. Jetzt kann es sich auf tung Nordkoreas auch im Atomstreit gen. Pjöngjang versteht sich auf po- das internationale Feilschen konzen- auswirkt. Das neue südkoreanische litische Erpressung und hat wenig zu trieren. Wichtigster Adressat dieser Weißbuch kommt zu dem Schluss, verlieren. Botschaft ist der neue US-Präsident, dass Nordkorea über 40 Kilogramm Der Satellitenstart oder Raketen- mit ihm will Kim auf Augenhöhe ver- waffenfähiges Plutonium verfüge, die test Anfang April fiel in eine Zeit, in handeln. für einen Angriff auf Südkorea trai- der die komplizierten Verhandlungen Nordkoreas Führer Kim Jong Il nierten Sondereinheiten auf 180.000 um die Zukunft des nordkoreanischen geht aus der Raketenkrise als Sieger Soldaten verdoppelt würden und sei- Nuklearprogramms feststeckten. Die hervor. Nun braucht der Machthaber ne Marine durch U-Boote und neue Verhandlungspartner der Sechser-Ge- nur noch darauf zu warten, dass die Torpedos verstärkt habe.

14 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

Exkurs zur atomaren davon. Und es gibt fast 3000 Tonnen aren Sprengköpfen sollten auch In- Abrüstung: spaltbaren Materials in vierzig Län- terkontinentalraketen und Langstre- or 66 Jahren haben die Atomwaf- dern – genug, um mehr als 250 000 ckenbomber in einem neuen Vertrag Vfen das Licht der Welt erblickt. Atombomben zu bauen. erfasst werden. Er zeigte sich vor der Sie sollten den Weltkrieg gegen Nazi- Ein erster Schritt auf dem Weg zu ständigen Abrüstungskonferenz der Deutschland und Japan gewinnen hel- einer vollständigen Abrüstung kann Vereinten Nationen überzeugt, dass fen. Danach waren sie dazu bestimmt, das gemeinsame Verständnis sein, angesichts des erneuten Interesses der die gewaltige Armee der Sowjetunion dass der einzige Zweck der Atom- USA am Abrüstungsprozess „heute davon abzuschrecken, ganz Europa zu waffen darin liegt, abzuschrecken, zum ersten Mal nach Ende des Kalten erobern. Vor fast zwanzig Jahren war dass andere sie einsetzen. Der Wegfall Krieges der Zeitpunkt gekommen sei, diese Bedrohung mit dem Zerfall der der militärischen Existenzgründe der wirkliche Fortschritte bei der Wieder- Sowjetunion verschwunden. Atomwaffen, könnte den Weg frei ma- aufnahme des globalen Abrüstungs- Es wird behauptet, dass Atom- chen für einen radikalen Neuanfang prozesses auf einer breitgefächerten waffen nötig sind, um die Weitergabe in der Abrüstungspolitik. Für die Ver- Agenda zu erreichen.“ von Atom- und anderen Massenver- hinderung eines Atomschlags durch Präsident Obama hat eine Re- nichtungswaffen zu verhindern. Von gesicherte Vergeltungsfähigkeit, also duzierung von Atomwaffen zwar all- anderer Seite wird gesagt, dass sie durch Abschreckung, ist eine erheb- gemein als ein wichtiges Ziel seiner zur Zerstörung tief verbunkerter Zie- lich kleinere Zahl von Atomwaffen er- Präsidentschaft bezeichnet. Seine Re- le in feindlichen Staaten erforderlich forderlich als für eine atomare Kriegs- gierung hat aber noch nicht klar er- seien. Doch in Wahrheit gibt es heu- führung. Die USA könnten ihr atoma- kennen lassen, in welchen Bereichen te nur eine wirkliche Aufgabe für z.B. res Inventar z.B. auf 1000 Atomwaf- der nuklearen und der konventionel- amerikanische Atomwaffen: den Ein- fen für alle Waffensysteme reduzieren len Rüstung sie die Prioritäten für Ver- satz von Atomwaffen durch andere zu – von den zirka 7000 ihres aktuellen handlungen mit Russland sowie mit verhindern. Bestandes – und trotzdem zum ver- anderen nuklear bewaffneten Staa- Die Atompolitik der Nuklear- nichtenden Gegenschlag imstande ten und aufstrebenden Militärmäch- mächte ist noch immer dem Kalten bleiben. ten setzen will. Krieg verhaftet, obwohl sich die Be- Die Glaubwürdigkeit der Atom- Bei seiner Erklärung beim NA- drohungen dramatisch verändert ha- staaten gegen die Proliferation könnte TO-Gipfel in Straßburg und dem an- ben. Inzwischen kommt die größ- bei Anwendung einer solchen kontrol- schließenden EU-USA-Treffen in te Gefahr von Terroristen, die einen lierten Abrüstungs-Doktrin wieder- Prag Anfang April hatte Barack Ob- verheerenden Schlag gegen die USA hergestellt werden. Dies wiederum ama eine schöne Botschaft: Die Welt und andere Staaten planen und dazu könnte einen Fortschritt in Sachen von den Atomwaffen zu befreien. „Als Atomwaffen einsetzen könnten. Die- Nichtweitergabe bewirken. Der An- die einzige Weltmacht, die schon eine se Gefahr wird durch die andauern- reiz, nationale Sicherheit über den Be- Atomwaffe eingesetzt hat, haben wir de Proliferation und das Streben von sitz von Atomwaffen schaffen zu wol- die moralische Verpflichtung zu han- Staaten nach Beherrschung der Nuk- len, würde deutlich reduziert, statt- deln.“ Vor der Kulisse der mittelal- leartechnologie ständig vergrößert. dessen könnten Sicherheitsgarantien terlichen Prager Burg breitete Obama Die Überprüfung der amerikani- das Bedürfnis nach staatlicher Unver- seine Ideen aus, wie die Vision einer schen Haltung gegenüber der atoma- sehrtheit befriedigen. atomwaffenfreien Welt zu verwirkli- ren Bewaffnung hat begonnen. Das Nur eine Welt ohne Atomwaffen chen sei: Amerika wolle die Führung aufregendste Beispiel dafür ist die ist letztlich eine Garantie dafür, dass beim Abbau der nuklearen Waffenar- Vision einer atomwaffenfreien Welt sie nicht eingesetzt werden. Können senale übernehmen. Amerika werde wie sie im letzten Jahr von ehemali- die Vereinigten Staaten unter Präsi- sofort den Vertrag gegen Atomtests gen Außenministern der USA Geor- dent Obama die Führung übernehmen umsetzen und seine nuklearen Waf- ge Shultz, William Perry und Henry und eine Initialzündung auslösen? fen verringern sowie noch in diesem Kissinger entworfen wurde. Ihre Visi- Ein Zeichen von Hoffnung könn- Jahr mit Russland eine Reduktion on hat eine breite parteiübergreifen- te sein, dass sich die Außenminister der atomaren Sprengköpfe vereinba- de Unterstützung gefunden. Dadurch Russlands und der Vereinigten Staa- ren. Auch das Abkommen über die könnte Präsident Obama die Chance ten bereits bei ihrem ersten offiziel- Nichtweiterverbreitung von Nukle- haben, die Vernichtung aller Atom- len Treffen Anfang März 2009 in Genf arwaffen, der Atomwaffensperrver- waffen zum Ordnungsprinzip seiner zuversichtlich über die Aufnahme trag, solle durch neue internationa- Atompolitik zu machen. einer neuen Verhandlungsrunde zur le Institutionen und Sanktionen bei Die Größenordnung dieser He- atomaren Abrüstung äußerten. Der Verstößen strikter umgesetzt werden. rausforderung ist enorm, vor allem russische Außenminister bezeichne- Die USA wollen binnen eines Jahres politisch, aber auch weil sich heute te die Aufnahme von Verhandlungen einen internationalen Gipfel zu nuk- überall auf der Welt Atombomben über ein Nachfolgepaket für den zum learer Sicherheit abhalten. Den Län- befinden und weiter gebaut werden. Jahresende 2008 auslaufenden ers- dern, die an der zivilen Nutzung von Es gibt ungefähr 25 000 Atomwaf- ten Abrüstungsvertrag für strategi- Atomenergie interessiert seien, müs- fen weltweit. Russland und die Ver- sche Atomwaffen (Start I) von 1991 se ein Angebot geschaffen werden einigten Staaten besitzen 95 Prozent als „oberste Priorität“. Neben nukle- (Brennstoffbank), das sie davon abhal-

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 15 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK te, in die Anreicherungs-Technologie drohung durch den Iran anhält, nicht seien in einer globalisierten Welt un- einzusteigen. In seiner Amtszeit will groß genug einzuschätzen. Obama hat gleich schwieriger, als sie es in den Obama zudem erreichen, dass alles die Verstimmung Russlands über die vergangenen Jahrzehnten war, aber waffentaugliche Nuklearmaterial si- US-Raketenpläne richtig taxiert und selbst in denen hätte der nukleare chergestellt wird. versucht mit einer Initiative für we- Geist nicht in die Flasche zurück ge- Das klingt simpel, ist aber ein niger Atomwaffen eine neue Ära der zwungen werden können. hartes Stück Arbeit. Vorerst jeden- Verständigung einzuleiten. Der Kreml Weltweit kommt der Renaissance falls hat er sich mit dem russischen kann einen abrüstungspolitischen Er- der Kernkraft und der Gefahr der Ver- Präsidenten Medwedjew darauf ver- folg auf der Weltbühne gleichfalls gut breitung von Atomwaffen eine wach- ständigt, wenigstens eine Welt mit we- gebrauchen. sende Bedeutung zu. Mit der Verbrei- niger Atomwaffen zu schaffen. Auch Obama treibt seine Initiative zei- tung der zivilen Nutzung der Kern- das ist schon eine Erfolgsmeldung. tig voran, weil er weiß: Auch seine energie auch in der arabischen Welt Wenn sich die Supermacht USA und Zeit im Amt ist begrenzt. Mit Blick auf wächst aber die Gefahr, dass Atom- die Großmacht Russland einig sind, den Iran, Nordkorea und die mögliche technologie in falsche Hände gerät das Arsenal an Nuklearwaffen zu ver- atomare Bewaffnung anderer Staaten und zum Bau von Waffen verwendet ringern und ein Nachfolgeabkommen hat Präsident Obama ein ganz wich- wird. Die nukleare Abrüstung aber ist für den Start-Vertrag auszuhandeln, tiges Signal gesetzt. die Voraussetzung für die Nichtver- zeugt dies von einer neuen Atmosphä- Andererseits halten durchaus breitung. Sie wird nur funktionieren, re zwischen Washington und Mos- zahlreiche kritische Stimmen eine wenn die fünf offiziellen Atommäch- kau. Die Chancen eines Neubeginns Welt ohne Atomwaffen für einen schö- te USA, Russland, China, Frankreich ist nach den schwerwiegenden Dif- nen Traum, der gut klingt, aber wohl und Großbritannien ihre Arsenale ab- ferenzen über die Frage eines Rake- kaum umgesetzt werden kann, son- bauen. Solange das nicht geschieht, tenabwehrschirms, an dem Obama dern zum Scheitern verurteilt sei. Die werden andere Länder an Atomwaf- weiterarbeiten will solange die Be- Chancen für eine nukleare Abrüstung fen weiter arbeiten. ❏

Sachausschuss Sicherheit und Frieden Sitzung des Sachausschusses in Hammelburg

VON BERTRAM BASTIAN

rigadegeneral Josef Blotz, Kom- len Gesprächen bei einem Getränk Sudan-Einsatzes als UN-Beobachter Bmandeur der Infanterieschule überging. vor (siehe auch AUFTRAG 273, S. und General der Infanterie, hatte Am Samstag, nach dem Früh- 23). Zwei Mitglieder des Sachaus- vom 24. bis 26. April 2009 in die stück, trug Hptm a.D. Günter Neuroth schusses hatten sich vorbereitet, über Schule eingeladen, um dem Aus- über seine Erfahrungen während des das II. Vatikanische Konzil vorzutra- schuss die Gelegenheit zu geben, ein ganzes Wochenende zu disku- tieren und dabei „Truppenluft“ zu schnuppern. Nach dem Beziehen der Unterkünfte und nach dem Abendes- sen, begann der erste Sitzungsteil mit dem Geistlichen Wort, welches vom Ausschussmitglied Manfred Heinz vorgetragen wurde. Das Protokoll der letzten Sitzung wurde gebilligt, die Tagesordnung angenommen. Da der Beauftragte für die Proliferation, Oberst a.D. Werner Bös, verhindert war, wurde sein Beitrag vorgelesen und nur „andiskutiert“. Weil die Zeit schon fortgeschritten war, wurden noch Erfahrungen über das Politi- kergespräch der GKS am 26.03.09 im KMBA mit MdB Elke Hoff (FDP) Bild 1:Einweisung des Sachausschusses in das Übungsdorf Bonnland durch ausgetauscht, bevor man zu informel- BrigGen Josef Blotz (Dritter von rechts)

16 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

an diesem Zentrum unterrichtet wer- den (Bild 2). Die gesamte Bandbreite der Einsätze kam ebenso zur Sprache, wie die Auswertung der Erfahrungen dieser Einsätze und deren Umsetzung in Anweisungen und Vorschriften. Vor dem gemeinsamen Abendessen war eine wichtige Entscheidung zu treffen. Mit einer Stimme Enthaltung wählte der Sachausschuss Oberst Josef Schmidho- fer zu seinem neuen Vorsitzenden. Bild 2: BrigGen Josef Blotz (links Bild 3: Nach dem gut besuchten Beim anschließenden Beisammen- stehend) stellt den Leiter des VN- Gottesdienst setzte sich der sein wurde von Klaus Liebetanz noch Ausbildungszentrums, Oberst Ausschuss noch mit der Gemeinde der Dokumentarfilm über den Jesuiten Reinhard Barz (rechts stehend), auf eine Tasse Kaffee zusammen und promovierten Paläontologen Pierre dem Ausschuss vor Teilhard de Chardin gezeigt, der uns sowie der Würzburger Synode nicht diesen Theologen näher brachte (sie- gen Aus der Sicht des engagierten allgemein bekannt sind. he auch folgenden Beitrag von Klaus Laien trug Maj a.D. Klaus Liebetanz Vor dem Mittagessen stellte BrigGen Liebetanz). vor, dessen Ausführungen im nach- Blotz dem Ausschuss die Ausbildungs- Am Sonntag feierte der Ausschuss folgenden Artikel festgehalten sind. einrichtungen in der Saaleck-Kaser- zusammen mit dem katholischen Mili- Die Ansicht des Theologen über das ne vor, darunter auch das Übungsdorf tärpfarrer Stephan Frank und der Mili- Konzil wurde von Dipl.-Theol. Man- Bonnland (Bild 1), in dem auch an die- tärgemeinde in der Kuratie Christkönig fred Heinz vorgetragen und wird im sem Wochenende übende Truppe sich (Standortkirche auf dem Lagerberg) den nächsten AUFTRAG veröffentlicht. auf den Einsatz vorbereitete. Nach dem Gottesdienst und setzte sich noch mit Der Ausschuss hatte beschlossen, die- Mittagessen trug der Leiter des VN- der Gemeinde auf eine Tasse Kaffee se Vorträge zu halten, da die grund- Ausbildungszentrums, Oberst Rein- zu Gesprächen in den Pfarrgemeinde- legenden Papiere des II. Vaticanum hard Barz, über die Lehrgänge vor, die saal (Bild 3).

Sachausschuss Sicherheit und Frieden Das 2. Vatikanische Konzil – Eine Herausforderung für die Gemeinschaft Katholischer Soldaten (GKS)

VON KLAUS LIEBETANZ

it dem folgenden Beitrag beabsichtigt der Autor darzulegen, dass die katholische Kirche mit den Er- kenntnissen und Ergebnissen des 2. Vatikanischen Konzils (1962-65) endgültig das Mittelalter verlas- Msen hat und sich – wie keine andere Religion – auf der Höhe der Zeit befindet. In diesem Bewusstsein dürfen katholische Soldaten auch im Alltag ihren Glauben zuversichtlich bekennen. Ferner fordert der Autor die Mitglieder der GKS und insbesondere den Sachausschuss „Sicherheit und Frieden“ auf, die Sicherheitspolitik im Lichte der Konzilskonstitution (GS) „Gaudium et spes“ zu betrachten und daraus die entsprechenden Schlussfol- gerungen zu ziehen und öffentlich zu vertreten. Nachfolgend werden einzelne Ergebnisse des 2. Vatikanischen Konzils aufgeführt und kommentiert.

Grundlegende Änderungen im Verhältnis zu lassen. In der „Erklärung über das Neuen Bundes mit dem Stamme Ab- den nichtchristlichen Religionen Verhältnis der Kirche zu den nicht- rahams geistlich verbunden ist.“ as Konzil von Florenz (1442) christlichen Religionen“ vollzieht „Deshalb kann die Kirche auch Dhält noch feierlich fest „extra das 2. Vatikanische Konzil eine ra- nicht vergessen, dass sie durch je- ecclesia nulla salus“ (außerhalb der dikale Änderung. nes Volk, mit dem Gott aus unsag- Kirche kein Heil). Juden und Hei- In dieser Erklärung steht zum baren Erbarmen den Alten Bund den (Moslems) wurde deshalb fol- Verhältnis zu den Juden: „Bei ihrer geschlossen hat, die Offenbarung gerichtig beschieden, dass sie das Besinnung auf das Geheimnis der des Alten Testamentes empfing und ewige Heil nicht erlangen können, Kirche gedenkt die heilige Synode genährt wird von den Wurzeln des es sei denn, sie würden sich taufen des Bandes, wodurch das Volk des guten Ölbaums, in den die Heiden

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 17 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK als wilde Schösslinge eingepfropft Herzen sucht, seinen im Anruf des Zukunftsreligion und zum „Motor“ für sind.“ Gewissens erkannten Willen unter die Bemühungen um die Vollendung „Da also das Christen und Juden dem Einfluss der Gnade in der Tat der Welt. Der christliche Glaube kann gemeinsame geistliche Erbe so reich zu erfüllen trachtet, kann das ewi- nicht mehr verdächtigt werden, „Opi- ist, will die Heilige Synode die gegen- ge Heil erlangen. Die göttliche Vor- um für das Volk zu sein“, das von den seitige Kenntnis und Achtung fördern, sehung verweigert auch denen das eigentlichen Problemen der unter- die vor allem die Frucht biblischer zum Heil Notwendige nicht, die ohne drückten Menschen ablenke. Deshalb und theologischer Studien sowie des Schuld noch nicht zur ausdrücklichen hat diese Pastoralkonstitution nichts brüderlichen Gespräches ist.“ Anerkennung Gottes gekommen sind, an Aktualität eingebüßt. Über das Verhältnis der Kirche zu jedoch, nicht ohne die göttliche Gna- Beispiel: Lateinamerika den Moslems gibt es in dieser Erklä- de, ein rechtes Leben zu führen sich Bei der lateinamerikanischen Bi- rung nur einen relativ kurzen, inhalts- bemühen.“ schofskonferenz in Medellin 1968 starken Abschnitt, der hier vollständig Die prophetische Konzilsschrift hat sich die Kirche ganz im Sinne wiedergegeben werden soll: „Gaudium et spes“ spricht sich in des 2. Vatikanischen Konzils ein- „Mit Hochachtung betrachtet die ihrer Schlussziffer eindeutig für den deutig zur vorrangigen Option für die Kirche auch die Muslime, die den Aufbau und die Vollendung der Welt Armen und Unterdrückten bekannt. alleinigen Gott anbeten, den leben- in der Kraft des dreieinigen Gottes Die Bischöfe wollten in ihrer Mehr- den und in sich seienden, barmher- aus (GS, Ziff. 93). Alle Christen und heit nicht mehr ausschließlich auf zigen und allmächtigen, den Schöp- alle Menschen guten Willens (wie z.B. der Seite der Mächtigen und Groß- fer Himmels und der Erde, der zu den Muslime und nichtreligiöse Humanis- grundbesitzer stehen. Das war ein Menschen gesprochen hat. Sie bemü- ten) sind dazu aufgerufen, zusammen- entscheidender Paradigmenwechsel. hen sich, auch den verborgenen Rat- zuarbeiten und ihren Teil zu einer ge- Dieser schmerzliche Prozess mit zahl- schlüssen sich mit ganzer Seele zu un- rechteren Welt beizutragen. losen Opfern unter den Christen führ- terwerfen, so wie Abraham sich Gott te in den letzten Jahrzehnten zu einer unterworfen hat, auf den der islami- Zweites Vatikanum beispiellosen Demokratisierung die- sche Glaube sich gern beruft. Jesus, und die Befreiungstheologie ses Kontinents. Heute gibt es keine den sie allerdings nicht als Gott aner- Die Pastoralkonstitution „Gau- Militärdiktaturen in Lateinamerika. kennen, verehren sie doch als Prophe- dium et spes“ legte das Fundament In El Salvador, dem Land des Mar- ten, und sie ehren seine jungfräuliche für die Befreiungstheologie im ka- tyrerbischofs Oscar Romero, wurde Mutter Maria, die sie bisweilen auch tholischen Bereich. Dies kommt zu dieser Tage in demokratischer Wahl in Frömmigkeit anrufen. Überdies er- Beginn dieser Schrift wie folgt zum ein neuer sozialdemokratischer Prä- warten sie den Tag des Gerichtes, an Ausdruck: sident gewählt, der die seit Jahrzehn- dem Gott alle Menschen auferweckt „Vor seinen Augen steht also die ten herrschende Arena-Partei mit ih- und ihnen vergilt. Deshalb legen sie Welt der Menschen und der gesamten ren Todesschwadronen ablöst. ( vgl. Wert auf sittliche Lebenshaltung und Menschheitsfamilie im Zusammen- dazu den Artikel im AUFTRAG 272, verehren Gott besonders durch Gebet, hang des Alls der Dinge, in dem sie S. 21ff „Peace Brigades International Almosen und Fasten. lebt; die Welt, der Schauplatz der Ge- (PBI) – eine vorbildliche Antwort auf Da es jedoch im Lauf der Jahr- schichte des Menschengeschlechts, unsere Zeit“). Der katholische Theo- hunderte zu manchen Zwistigkeiten von seinen Anstrengungen, Nieder- loge Gustavo Gutierrez hat 1971 als und Feindschaften zwischen Chris- lagen und Siegen geprägt, die Welt, erster den Begriff „Theologia de la li- ten und Muslimen kam, ermahnt die die nach dem Glauben der Chris- beration“ geprägt, die sich vom mar- heilige Synode alle, das Vergangene ten in der Liebe des Schöpfers ihre xistischen Klassenkampf mit Waffen- beiseite zu lassen, sich aufrichtig um Grundlegung und ihren Bestand hat; gewalt unterscheidet. gegenseitiges Verstehen zu bemühen die unter die Herrschaft der Sün- und gemeinsam einzutreten für Schutz de geraten, von Christus aber, dem Benedikt XVI. als politischer Missionar und Förderung der sozialen Gerech- Gekreuzigten und Auferstandenen, in Afrika tigkeit, der sittlichen Güter und nicht der die Macht des Bösen gebrochen, Auf seiner jüngsten Reise nach zuletzt des Friedens und der Freiheit befreit ist, bestimmt, verwandelt zu Afrika im Februar 2009 wollte der für alle Menschen.“ (Kleines Konzils- werden nach Gottes Heilsratschluss Papst die Afrikaner im Sinne der recht kompendium, Karl Rahner, Herbert und so zur Vollendung zu kommen“ verstandenen Befreiungstheologie mit Vorgrimler, Herderverlag S. 357) (GS, Ziff. 2). folgenden Worten aus der Lethargie Darüber hinaus nimmt das 2. Vati- Während die mittelalterliche Kir- herausreißen: „Steht auf, erhebt euch, kanische Konzil in der dogmatischen che dazu neigte, Gott zu finden, in macht euch auf den Weg. Schaut voll Konstitution über die Kirche „Lumen dem man die Welt hinter sich ließ, Vertrauen in die Zukunft, vertraut auf Gentium“ im Kapitel 16 auch zu de- fordert „Gaudium et spes“ die Gläu- die Verheißungen Gottes und lebt in nen Stellung, die an nichts glauben bigen dazu auf, in die Welt zu gehen seiner Wahrheit.“ Er prangerte Kor- (Agnostiker): und am Aufbau und der Vollendung ruption und Unterdrückung an. Alle „Wer nämlich das Evangelium derselben teilzunehmen, um dabei Schichten müssten sich am Aufbau Christi und seine Kirche ohne Schuld Gott zu finden. Damit wird der christ- der Zivilgesellschaft beteiligen. „An- nicht kennt, Gott aber aus ehrlichem liche Glaube zu einer Einigungs- und gesichts von Schmerz und Gewalt, von

18 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

Armut und Hunger, von Korruption zugleich, soll er angehen gegen alles Zukunft der Bundeswehr“ aus christ- und Machtmissbrauch kann ein Christ Unrecht und jede Unterdrückung, licher Sicht ein wesentlicher Fort- nie schweigen“, so Benedikt XVI, der gegen die Unduldsamkeit und Will- schritt im offiziellen sicherheitspo- als ehemaliger Konzilstheologe ein kürherrschaft eines einzelnen oder litischen Denken. Dieser Fortschritt Verfechter der recht verstandenen einer politischen Partei. Redlich und macht sich u.a. an folgenden im Weiß- Befreiungstheologie ist. gerecht, voll Liebe und politischen buch 2006 verwendeten Begriffen Mutes, soll er sich dem Wohle aller fest: „umfassender Sicherheitsbe- Das Konzil fordert die Beteiligung der Laien widmen.“ (GS, Ziff.75) griff“, „Werteorientierung deutscher am demokratischen Prozess Bedauerlicher Weise gibt es zur- Sicherheitspolitik“, „Beseitigung „Aus dem lebendigeren Be- zeit in Deutschland zu wenig Chris- struktureller Krisenursachen“ und wusstsein der menschlichen Wür- ten, die bereit sind, politische Ver- die „Responsibility to protect“. An- de erwächst ja in den verschiedenen antwortung zu übernehmen. Dage- spruch und Einsatzwirklichkeit stim- Teilen der Welt der Eifer, eine neue gen gibt es jedoch eine große Anzahl men in mancherlei Hinsicht noch rechtliche Ordnung zu schaffen, in Christen, die zwar in ihrer Selbstein- nicht überein. der die Rechte der menschlichen Per- schätzung durchaus fromm sind, die son im öffentlichen Leben besser ge- sich aber sorgfältig von der Politik Fehlendes schlüssiges Gesamtkonzept schützt sind, so etwa das Recht auf fernhalten und sich häufig über die Dem deutschen militärische Aus- Versammlungs-, Vereinigungs- und „Charakterlosigkeit der Politikerklas- landseinsatz muss ein in sich schlüs- Meinungsfreiheit und das Recht auf se“ beklagen. Dieser Widerspruch siges Gesamtkonzept (comprehensive privates und öffentliches Bekenntnis zeigt, dass „Gaudium et spes“ bei approach) zu Grunde liegen, das den der Religion. Der Schutz dieser per- manchen deutschen Katholiken noch zivilen Mitteln, wie rechtstaatlicher sonalen Rechte ist nämlich die not- nicht angekommen ist. Andererseits Polizeiaufbau, wirksame Entwick- wendige Bedingung dafür, dass die soll nicht vergessen werden, dass die lungszusammenarbeit und die Förde- Bürger einzeln oder organisiert am öf- CDU/CSU, als Antwort der katholi- rung rechtstaatlicher Strukturen min- fentlichen Leben und an der Leitung schen und evangelischen Christen destens den gleichen Nachdruck ver- des Staates tätigen Anteil nehmen.“ in Deutschland auf den Nationalso- leiht wie den militärischen Mitteln. (GS, Ziff. 73) zialismus, mit der Entwicklung und Der stellv. Fraktionsvorsitzende der Wo sie sich auf den Grundsatz der Durchsetzung der „Sozialen Markt- CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Rechtstaatlichkeit und die Garantie wirtschaft“ und dem europäischen Andreas Schockenhoff, zuständig für der Freiheitsrechte stützt ist die De- Einigungsstreben – inklusive einer Außen-, Sicherheits- und Europapo- mokratie die Regierungsform, die der Friedenszone von Portugal bis Lett- litik, geht mit Recht davon aus, dass Würde des einzelnen Menschen am land – zum menschlichen Fortschritt sich Friedensmissionen nach Been- angemessensten ist. „Agere sequitur erheblich beigetragen hat. Sie ist da- digung der Kampfhandlungen aus 20 esse“ (Das Handeln folgt dem Sein). her mit Recht eine Partei der „prak- % militärischer Absicherung und 80 Glauben und demokratisches Han- tischen Befreiungstheologie“, ohne % zivilem Aufbau zusammensetzen deln bedingen einander, da „auch dass viele ihrer Mitglieder und Funk- müssen (BT-Debatte vom 16.10.08). die demokratische Gesellschaft von tionsträger diesen Umstand über- Halbherzigkeit wie bei der deutschen Kräften lebt, die sie selbst nicht her- haupt realisiert haben. Darüber hin- Führungsaufgabe in Afghanistan zum vorbringen kann“ (Böckenförde). Von aus kann jedoch nicht verschwiegen dortigen rechtstaatlichen Polizeiauf- daher kommt den durch den Glauben werden, dass auch in der SPD Chris- bau darf nicht zur Verlängerung des vermittelten Werten eine grundlegen- ten dienen, welche dem Allgemein- militärischen Engagements führen. de Bedeutung für den Zusammen- wohl und der sozialen Gerechtigkeit Soldaten dürfen nicht Lückenbüßer hang des Staates und dem Schutz der verpflichtet sind. für mangelhaften politischen Wil- menschlichen Würde zu. len sein. Die neue Rolle des Soldaten Der „ehrenvolle Beruf des Politikers“ „Wer als Soldat im Dienste des Der militärische Einsatz muss „Die heute dem Volk und be- Vaterlandes steht, betrachte sich als von Anfang an Hilfe zur Selbsthil- sonders der Jugend so notwendige Diener der Sicherheit und Freiheit fe sein. Die Eigenverantwortlichkeit staatsbürgerliche Erziehung ist eif- der Völker. In dem er diese Aufga- („Ownership“) der Betroffenen muss rig zu pflegen, so dass alle Bürger be recht erfüllt, trägt er wahrhaft zur klare Priorität haben (GS, Ziff. 86). am politischen Leben aktiv teilneh- Festigung des Friedens bei.“ (GS, Es ist daher auch nicht Aufgabe deut- men können. Wer dazu geeignet ist Ziff. 79) scher Soldaten, die „Kohlen für ande- oder sich dazu ausbilden kann, den Diese Forderung stellt eine Wen- re Völker aus dem Feuer zu holen“. schweren, aber zugleich ehrenvollen de im Selbstverständnis des Soldaten So ist z.B. die Drogenbekämpfung in Beruf des Politikers auszuüben, soll dar, weil es nicht mehr ausschließlich Afghanistan in erster Linie eine Auf- sich darauf vorbereiten und sich in um die Interessen der eigenen Na- gabe der afghanischen Sicherheits- der Ausübung dieses Berufes eifrig tion geht, wie das in der Vergangen- kräfte. Folgerichtig muss die Bun- bemühen unter Hintansetzung eige- heit selbstverständlich war. Insofern deswehr im Ausland in erster Linie ner Bequemlichkeit und wirtschaftli- ist das neue „Weißbuch zur Sicher- Ausbildungsarmee für die einheimi- cher Vorteile. Sittlich intakt und klug heitspolitik Deutschlands und zur schen Soldaten sein, sobald es die

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 19 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

Lage zulässt. Es müssen allerdings der vielen vom Scheitern bedrohten Pessimist ist, sondern eine Glaubens- geeignete Vorkehrungen getroffen Staaten („failing states“), eine wich- frage, nämlich ob man Jesus Christus, werden, dass ausgebildete Soldaten tige Aufgabe in der Phase der Stabi- dem Sohn des lebendigen Gottes die nicht anschließend dem organisier- lisierung zu. Damit trägt das solda- Kraft zutraut, diese von seinem Vater ten Verbrechen oder gar dem direk- tische Tun, wenn es in der rechten geschaffenen Welt zu vollenden. Des- ten Gegner dienen. Weise und Gesinnung ausgeführt halb stellt das Konzil in „Gaudium et wird, wahrhaft zum Frieden bei. spes“ wie folgt fest: Das Verhältnis von „Gaudium et spes“ „Der Herr ist das Ziel der mensch- und der „Agenda for peace (VN) Das Paradies liegt nicht hinter uns lichen Geschichte, dem das Streben In den Ziffern 88 und 90 geht sondern vor uns! der Geschichte und der Zivilisation „Gaudium et spes“ auf die Zusam- Die zweitausendjährige Geschich- gilt, der Mittelpunkt der Menschheit, menarbeit und Angewiesenheit von te des Christentums hat gezeigt, dass aller Herzen und Freude und Erfül- Christen und internationalen Orga- Theologie nur Sinn macht, wenn sie lung ihrer Sehnsucht. Ihn hat der Va- nisationen wie folgt ein: sich mit der realen Welt auseinan- ter von den Toten auferweckt, erhöht Der Auftrag der Christen zur Hil- dersetzt. So nimmt es nicht wunder, zu seiner Rechten gesetzt; ihn hat er feleistung (Ziff. 88) dass der französische Jesuit und stu- zum Richter der Lebendigen und der „Zum Aufbau einer internationa- dierter Paläontologe, Pierre Teilhard Toten bestellt. Von seinem Geiste be- len Ordnung, in der die Freiheit aller de Chardin (1881-1955), der den Wi- lebt und geeint, schreiten wir der Voll- wirklich geachtet wird und brüder- derspruch zwischen biblischer Pa- endung der menschlichen Geschichte liche Freundschaft herrscht, sollen radiesgeschichte und den Erkennt- entgegen, die mit dem Plan seiner Lie- die Christen gern und von Herzen nissen der Naturwissenschaft über be zusammenfällt: „Alles in Christus mitarbeiten, und das um so mehr, die Entwicklung des Lebens auflöste, zu erneuern, was im Himmel und auf als der größte Teil der Welt noch das 2. Vatikanische Konzil wesentlich Erden ist“ (Eph 1, 10) (GS, Ziff. 45) unter solcher Not leidet, dass in beeinflusst hat. Er hat unter ande- Die früheren Gegner der Katho- den Armen Christus selbst mit lau- rem nachgewiesen, dass die Mensch- lischen Kirche haben abgewirtschaf- ter Stimme die Liebe seiner Jünger heit an mehren Orten unterschied- tet aufruft. Die Menschen dürfen kein lich voneinander entstanden ist. Es Mit den Ergebnissen des 2. Vati- Ärgernis nehmen müssen an der gab also kein Urpaar Adam und Eva. kanischen Konzils besonders mit der Tatsache, dass einige Nationen, in Nach Auffassung des 2. Vatikanischen Schrift „Gaudium et spes“ hat die denen die Mehrzahl der Einwohner Konzils ist Jesus Christus das Ziel Kirche viele Engstirnigkeiten abge- Christen sind, Güter in Fülle besit- der menschlichen Geschichte (GS, legt und gültige Antworten auf unsere zen, während andere nicht genug Ziff. 45). Die menschliche Geschich- Zeit gefunden. zum Leben haben und von Hunger te endet daher nach Überzeugung der Die großen Ideologien, die der und Krankheit und Elend aller Art durch das Konzil grundlegend refor- Kirche ein baldiges Ende voraussag- geplagt werden.“ mierten katholischen Kirche nicht – ten, wie der Marxismus, der Natio- Die Beteiligung der Christen in wie die düsteren und pessimistischen nalsozialismus, der Neo-Liberalis- den internationalen Institutionen Zukunftsaussagen des „Club of Rom“ mus und nicht zuletzt die 68er Bewe- (Ziff. 90) (1980) – in einer Katastrophe son- gung (Macht kaputt, was euch kaputt „Eine hervorragende Form des dern in der Vollendung der Welt. Es macht!) haben abgewirtschaftet und Internationen Wirkens der Chris- ist eine aberwitzige Vorstellung, dass versagt, wie man an ihren Ergebnis- ten ist zweifellos die Mitarbeit, die der allmächtige und allgegenwärtige sen sehen konnte. Der Sozialismus sie einzeln und organisiert in den Schöpfergott sich den Lauf der Ge- hat sich trotz einiger Anfangserfol- vorhandenen und zu gründenden schichte aus den Händen nehmen ge als Sackgasse der Geschichte er- Einrichtungen zur Förderung der lässt. Die Vater-Unser-Bitte „Dein wiesen. Seine unbestreitbaren guten Zusammenarbeit unter den Natio- Reich komme“ ist keine leere Flos- Anregungen wurden im 2. Vaticanum nen leisten. ... Solche Vereinigun- kel und bezieht sich sinnvoller Weise aufgenommen und zur Vollendung ge- gen tragen nicht wenig dazu bei, nicht nur auf das Jenseits. Die Kon- führt. Wir Katholiken haben keinen den Sinn für die Weltprobleme zu zilsschrift „Gaudium et spes“ spricht Grund uns in irgendeiner Form zu entwickeln, was Katholiken gemäß sich in ihrer Schlussziffer eindeutig verstecken. Wir befinden uns auf der ist, und das Bewusstsein wahrhaft für den Aufbau und die Vollendung Höhe der Zeit. Das gilt in besonde- weltweiter Solidarität und Verant- der Welt in der Kraft des dreieinigen rer Weise für die katholische Kirche wortung zu wecken.“ Gottes aus (GS, Ziff. 93). Alle Chris- in der dritten Welt, wie der Autor auf „Gaudium et spes“ und die ten und alle Menschen guten Willens seinen zahlreichen Besuchen in den „Agenda for peace“ der Vereinten (wie z.B. Muslime und nichtreligiöse entferntesten Gegenden der Welt fest- Nationen (1992) dienen beide der Humanisten) sind dazu aufgerufen, stellen konnte. weltweiten Entwicklung zu Frieden ihren Teil zu einer gerechteren Welt Nachholbedarf der europäischen und Gerechtigkeit und damit der beizutragen. Katholiken Vollendung der Welt nach Gottes Dass die Zeit des Paradieses vor Die europäischen Katholiken, ins- Willen. Dem Soldaten kommt bei der uns liegt, ist nicht eine Frage der Ge- besondere die deutschen, scheinen je- Friedenskonsolidierung, angesichts mütslage, ob man eher Optimist oder doch die Ergebnisse und Erkenntnisse

20 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK des 2. Vatikanischen Konzils nicht be- ten Gottesdienst um 19:30 Uhr in St. auseinandersetzen. Das gilt in beson- sonders erst zu nehmen. Befreiungs- Maria Trastevere. Die Gemeinschaft derer Weise für den Sachausschuss theologie hält man für einen Termi- hat darüber hinaus den nachhaltigen „Sicherheit und Frieden“. Er sollte nus Technicus (Spezialbegriff) einer Frieden in Mosambik (1992) und Gu- die Sicherheitspolitik im Lichte von Theologie, welche die marxistisch- atemala (1996) durch vertrauliche Ge- „Gaudium et spes“ betrachten und leninistische Gesellschaftsanalyse spräche mit allen Parteien am jeweili- daraus die entsprechenden Schluss- zur Grundlage hat und daher nichts gen Bürgerkrieg vermittelt und organi- folgerungen ziehen und öffentlich ver- mit der Kirche zu tun hat. Mit dieser siert jährlich das Weltfriedenstreffen treten. Im Sinne einer recht verstan- Deutung der Befreiungstheologie hat der Religionen. Einer der Gründer- denen Befreiungstheologie muss sich man das Problem eines notwendigen väter der Gemeinschaft Sant’Egidio, der Sachausschuss „Sicherheit und Umdenkens elegant umgangen. In Andrea Riccardi, hat stellvertretend Frieden“ mutig, klug und entschlos- Deutschland besteht die Gefahr, dass für die Gemeinschaft den Karlspreis sen auch mit Fehlentwicklungen der die sonntägliche Heilige Messe zu ei- 2009 bekommen. derzeitigen Sicherheitspolitik ausei- ner bürgerlichen Veranstaltung wird, Schlussfolgerungen für die Ge- nandersetzen, um zu klaren, sachlich bei der im Grunde alles beim Alten meinschaft Katholischer Soldaten begründeten Aussagen und Forderun- bleiben soll. Jugendliche fühlen sich Die Gemeinschaft Katholischer gen zu kommen. Das gilt in beson- nur selten angesprochen. Was aller- Soldaten (GKS) bezieht sich beson- derer Weise für das unausgewogene dings der Geist des 2. Vatikanischen ders auf die Ergebnisse des 2. Va- Verhältnis der Mittel für militärische Konzils auch in Europa bewirken tikanischen Konzils. Das setzt vor- Stabilisierung und dem zivilen Wie- kann, zeigt die studentisch gepräg- aus, dass GKS-Mitglieder eine gute deraufbau in den Einsatzgebieten. te Gemeinschaft Sant’Egidio in Tras- Kenntnis der Konzilsschrift „Gaudi- Christliche Soldaten haben aufgrund tevere (Rom) mit ihren über 20.000 um et spes“ haben und sich mit den ihres Glaubens eine besondere Ver- Mitgliedern, über 400 Suppenküchen wesentlichen Erkenntnissen und For- antwortung für die friedliche Entwick- in Rom und den täglich gut besuch- derungen dieser prophetischen Schrift lung ihrer Einsatzregion. ❏

Kurz berichtet Wissenschaftler Rohe warnt vor Hetze gegen den Islam

er Erlanger Islamwissen- Scharia für die heutige Zeit zu in- lem nicht die Gleichberechtigung Dschaftler und Jurist Mathias terpretieren. „Die Aussagen der Bi- von Frau und Mann. Eine weitere Rohe hat vor „geistiger Brandstif- bel können auch nicht kommentar- Gruppe lebe einen „integrativen tung und Hetze“ gegenüber dem los übernommen werden. Genauso Islam“, für den die Religionsfrei- Islam gewarnt. Wenn Muslime so ist es mit dem Koran.“ Die Mehr- heit Teil der islamischen Kultur gefährlich wären, wie oft behaup- heit der Islamwissenschaftler ver- sei. Die Gruppe der „Ex-Muslime“ tet, „wären wir alle längst tot“, tritt nach Einschätzung von Rohe dagegen halte den Islam für refor- sagte der Wissenschaftler der Uni mittlerweile die Auffassung, dass munfähig. Erlangen-Nürnberg am 6. Mai in von der Scharia “nur der Ein-Gott- Rohe betonte, der Islam in Köln. Er sehe keine gewaltbereite Glaube unabänderlich ist.“ Deutschland müsse auch in Zu- Mehrheit unter den Muslimen in Die Muslime in Deutschland kunft unter dem Schutz der Reli- Deutschland und auch keine Isla- unterteilte Rohe in fünf Gruppen je gionsfreiheit stehen. Das gehöre misierung der Gesellschaft, betonte nach ihrer Offenheit für islamisti- zum Rechtsstaat. Die Frage, ob der Gründungsdirektor des Erlan- sche Überzeugungen. Die Gruppe in Deutschland Moscheen gebaut ger Zentrums für Islam und Recht der „Islamisten“ will danach „Die werden dürfen, hänge allerdings in Europa. weltliche Macht im Staat“ und sieht nicht davon ab, ob in muslimisch Rohe sprach sich für einen dif- einen Gegensatz zwischen Demo- geprägten Ländern Kirchen gebaut ferenzierten Umgang mit dem Be- kratie und Islam. Die „Alltagsprag- werden dürften, so der Forscher. Er griff der Scharia aus. „Die meisten matiker“ sind laut Rohe für sol- hält es für falsch, dass Politiker und Regeln und Normen der Scharia che Gedanken empfänglich, weil Kirchenvertreter dies in Moschee- entsprechen unserem Rechtsver- sie ihre Religion nicht hinterfra- debatten immer wieder miteinander ständnis“, sagte der Jurist. Nur ein gen. Die „traditionellen Muslime“, verknüpften. Rohe sprach bei einer kleiner Teil sei problematisch. Ent- die in Moscheevereinen die Mehr- Veranstaltung der Karl- Rahner- scheidend sei, alle Aussagen der heit bildeten, akzeptierten vor al- Akademie. (KNA)

AUFTRAGAUFTRAG27 2744 • JJUNIUNI 2009 21 GESELLSCHAFT NAH UND FERN

Paulinisches Jahr 2008 / 2009 Auf den Spuren des Saulus Paulus aus Tarsus in der heutigen Türkei Teil III und Schluss: Ikonion, Lystra, Ephesus Land der Urchristen − heute Diaspora

VON PAUL SCHULZ

„Diese aber schüttelten den Staub von ihren Füßen und zogen nach Ikonion“ (Apg 13.51)

it dieser bezeichnenden Geste Mendet der erste Missionsversuch von Paulus und Barnabas in Antio- chien in Pisidien. Der Weg von dort in das als Zentrum religiöser Bewe- gungen und Begegnungen bekannte Ikonion im anatolischen Hochland beträgt weniger als 90 km auf einer römischen Staatsstraße und war für die Apostel auch zu Fuß in zwei bis drei Tagen zu bewältigen. Das Ikonion der Apostelgeschich- te (13,51-14,6; s. Kasten unten) ent- wickelte sich zwei Jahrtausenden zur türkischen Großstadt Konya (s. Kasten S. 23) und harrt heute begraben unter

Ikonion einem Hügel im Stadtpark noch sei- zur gewaltsamen Vertreibung der Grie- Das antike Ikonion (Iconium) besteht ner archäologischen Erschließung. Im chen aus der Türkei 1923 war Konya seit dem 8. Jh.v.Chr.; Hauptstadt Ly- 13. Jh. war Konya die Hauptstadt des immerhin noch griechisch-orthodoxer koniens in der römischen Provinz 2 Galatien. Heimat der hl. Thekla, die Sultanats der anatolischen Seldschu- Bischofssitz.“ eine Schülerin des Paulus war und ken (Rum-Seldschuken). Im dortigen Drei Schwestern, die zum italieni- nach der Legende als erste Märty- Mevlana Kloster entstand der Der- schen Zweig des Franziskanerordens rerin des Christentums gilt; tatsäch- wisch-Orden (s. Kasten S. 23), der gehören, hüten in der neugotischen St. lich soll sie aber in Ikonion Ende im gesamten späteren Osmanischen Pauls-Kirche in der Nähe des Stadthü- des 1. Jh. eines friedlichen Todes gestorben sein.* − Ikonion wurde Reich (1299-1923) eine bedeuten- gels das christliche Erbe. Die Kirche 1080 von den Seldschuken erobert de Rolle in Politik und Religion ge- wurde 1910 für rund tausend christ- und war ab etwa 1134 Hauptstadt spielt hatte. Konya ist eine moder- liche, ausländische Bahnarbeiter er- der Rum-Seldschuken, welche den ne, vom Islam geprägte, anatolische richtet, die am Bau der unter deut- Grund zur Turkisierung Anatoliens Provinzhauptstadt mit der größten scher Planung und Leitung stehen- gelegt hatten. Hier wurde beim 3. 1 Kreuzzug von Friedrich Barbarossa Moscheendichte der Türkei . „Nir- den Eisenbahnstrecke von Istanbul im Jahr 1190 die Schlacht von Iko- gendwo sonst in der offiziell laizisti- nach Bagdad beteiligt waren. Einen nion geschlagen. − Heute ist Iconi- schen Türkei tragen so viele Frauen Priester gibt es hier nicht. Zwei bis um ein Titularerzbistum der römisch das Kopftuch, nirgendwo sonst ertönt dreimal jährlich kommt ein Geistli- katholischen Kirche. die Stimme des Muezzins, der fünfmal cher aus Ankara, einmal im Jahr be- * = s. Fußnote 2 sowie auch: Anselm Kraus, am Tage zum Gebet ruft, so laut. ... Bis „Christliche Stätten in islamischen Ländern. 2 Michael Heesemann „Paulus von Sklavin des lebendigen Gottes“, auf Website: Tarsus. Archäologen auf den Spuren 1 In der Türkei gibt es rund 70.000 Mo- des Völkerapostels“, St. Ulrich Verlag, www.sendbote.eu/messaggero/pagina_artico- scheen. Ihr Bau wird privat fi nanziert. Augsburg 2008, S. 107 ff.; dort ist auch lo.asp?IDX=363IDRX=85 Der Staat gewährt allerdings Zuschüsse die mit einer antiken Erzählung verwo- für den Unterhalt bauhistorischer oder bene apokryphe Legende der Erzmärty- architektonisch wertvoller Moscheen. rerin Thekla ausführlich besprochen.

22 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 PAULUSJAHR

sucht der Bischof von Izmir die kleine Kirche. Dann kommt es vor, dass ein muslimischer Theologieprofessor der islamisch-theologischen Hochschule Kontakt für einen Gedankenaustausch aufnimmt oder zu Vorlesungen einlädt. Nach Auskunft der Schwester, die un- serer Gruppe bereitwillig die Kirche

Tanzende Dewische Derwisch [von pers. Darwiš – Bettler] islamischer Bettelmönch, Angehöri ger eines Derwisch-Or- dens (seit 12. Jh). Die D. suchen durch geistige Versenkung und as- ketischen Übungen die mystischen Vereinigung mit Gott. Ihre Riten sind oft mit Musik und Tanz (Wir- beltanz der tanzenden Derwische) verbunden. Der Orden war im Os- manischen Reich seelsorglich und karitativ tätig, wodurch er die Volks- frömmigkeit prägte und beträchtli- chen sozialen und politi schen Ein- fluss gewann. Konya war für Jahr- hunderte zum islamischen Zentrum Mevlana Kloster in Konya (Mevlana − unser Meister) mit dem Mau- geworden, dessen Sultane auch soleum (r.) des persischen Mystikers Cellaleddin-i-Rumi (1207-1273), religiöses Oberhaupt des Reiches der dort die Schule der „tanzenden Derwische“ (s. Kasten rechts) ge- waren. Die D. sind heute wegen gründet hatte; heute islam. Museum und bedeutender Wallfahrtsort türk. ihres Widerstands gegen politisch- soziale Reformen und weil sie sich Muslime. an die Kultvorschriften und das Al- Konya (auch: Konia), Hauptstadt der türkischen Provinz K. in Innerana- koholverbot des islamischen Rechts tolien, 1027 m ü.M., von 2.300 m hohen Bergen des Taurusgebirge nicht gebunden fühlen in der Türkei umgeben. Nach Berechnungen von 2008 um 960.000 Einw., Univ., und fast allen arabischen Ländern theolog. Hochschule; Getreidehandel, Nahrungsmittel-, Papier- und als religiöser Orden verboten. Die tanzenden Derwische sind heute al- Metallindustrien; 1992 wurde eine Straßenbahn in Betrieb genommen, lerdings nicht nur in Konya zu einer die ausschließlich ausgediente Straßenbahnwagen aus Köln benutzt. Touristenattraktion geworden.

Eingepfercht in eine moderne Bebauung, wie sie heute in allen Großstädten der Welt zu finden ist, liegt die 1910 erbaute St. Paul-Kirche in Konya. Sie ist zugänglich für alle, die einen Blick ins Innere werfen wollen, gleich ob aus Neugierde oder aus Interesse an einer hier fremden Religion

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 23 GESELLSCHAFT NAH UND FERN zeigt, leben in Konya fünf Katholiken und drei evangelische Familien. Den- noch ist die Kirche ganztägig geöff- net. In der Zeit zwischen Ostern und Herbst treffen gelegentlich christliche Reisegruppen zu einem Kurzbesuch ein. Die kleine Gemeinde ist eine Ge- betsgemeinschaft, soziale und pfarr- liche oder gar öffentliche Aufgaben können nicht wahrgenommen werden. So geht es nur um eine stille Präsenz in der dominanten islamischen Ge- sellschaft. Hin und wieder kommen neu- gierige muslimische Besucher in die Kirche. Daraus ergeben sich, so die Schwester, Fragen, die zu guten Dia- logen führen, aber sich auch zu po- Unter diesem Hügel liegt Lystra in Lykaonien. Deutlich fällt die künstliche lemischen und problematischen Ge- Anlage der Stätte auf. Auf dem Plateau befand sich ein römisches sprächen entwickeln können. Tür- Castrum (Militärlager), dessen Besatzung (Veteranen der römischen kischsprachige Hinweistafeln erläu- Legion) Kontroll- und Sicherungsaufgaben gegen Angriffe und Einfälle von tern den Besuchern, was sie in der Banden aus dem südwestlich gelegenen Taurusgebirge wahrnahmen. Am Kirche vorfinden und geben so be- Fuß des Hügels entlang eines Baches befand sich die „zivile“ Siedlung. hutsame Informationen zu christli- Vermutlich ohne Synagoge, denn Paulus predigte in Lystra entgegen seiner chen Glaubensdarstellungen und -in- sonstigen Gewohnheit von Beginn an auf einem öffentlichen Platz. Spuren halten katholischer Prägung. Da wir der Missionsarbeit des Apostels Paulus sind − wenn überhaupt noch an einem Sonntag in Konya nach den vorhanden − unter dem Schutt von zwei Jahrtausenden verborgen. verwehten Spuren des Apostels Pau- (Fotos: PS) lus suchen und auch noch einen Sa- lesianerpater unter uns haben, freuen sich die Schwestern, dass wir sie bit- ten und einladen, die Sonntagsmesse die Stadt spaltet. Die Juden fassen Also fordert er ihn auf: „Stell dich auf- in ihrer Kirche zu feiern. Wenn auch die Predigten von Paulus und Barna- recht auf deine Füße!í“ (Apg 14,10). die Spuren das Apostels unter dem bas als Gotteslästerung auf. Schließ- Der Mann springt auf und geht umher. Schutt der Geschichte und der ge- lich wollen die Juden und Heiden Die Griechen sehen dieses Wunder. sellschaftlichen Ereignisse verborgen Paulus, Barnabas und die Gläubigen Sie halten Paulus und Barnabas nun sind, so wird bei der Messfeier ein Bo- steinigen. Als Paulus und Barnabas für Mensch gewordene Götter und gen über 2000 Jahre geschlagen und von dem geplanten Anschlag erfah- beginnen ihnen zu opfern. In dem in dieser extremen Diasporasituation ren, fliehen beide nach Lystra, das entstehenden Tumult merken Paulus wird viel vom Geist der auch damals einen knappen Tagesmarsch (35 km) und Barnabas nicht gleich, was da vor kleinen frühchristlichen Gemeinde südwestlich von Ikonion liegt. sich geht, da die Griechen Lykaonisch spürbar: So als sei nicht nur Christus, sprechen. Nachdem sie aber begriffen sondern auch sein Apostel selbst in Lystra haben, was passiert, zerreißen sie ihre dieser Stunde anwesend. n Ikonion unter Schimpf und Schan- Kleider − also Zeichen für Entsetzen In Ikonion beginnt für Paulus und Ide aus der Stadt gejagt, mit Stei- gegen gotteslästerliches Treiben − Barnabas alles sehr gut. Wie üblich nen, Müll und Exkrementen bewor- und versuchen, den Griechen klar zu gehen sie in die Synagoge und erhal- fen und nun angekommen in Lystra! machen, dass sie nur sterbliche Men- ten dort auch Gelegenheit, das Evan- Die Menschenmenge empfängt die schen sind, die das Evangelium pre- gelium zu verkünden. Viele Juden und Beiden neugierig, man hat ja schon digen. Bemerkenswert ist, wie genau Griechen3 werden bekehrt und lassen viel von ihren skandalösen Auftrit- Lukas die in Lystra gehaltene Predigt sich taufen. Die ungläubigen Juden ten gehört, von den Bekehrungen und überliefert hat (Apg 14,15-17). Doch hetzen aber wie üblich die Heiden den Massentaufen. Neugierig wie die das Volk von Lystra versteht kaum, gegen Paulus, Barnabas und die mitt- Menschen nun einmal sind, wollen sie was sie ihm sagen wollen. lerweile Gläubigen auf, so dass sich hören, was Paulus zu sagen hat: Man Die Begeisterung der Leute von 3 Mit „Griechen“ sind nicht nur Griechen hörte ja von einem neuen Gott! Lystra über das Wunder wechselt aber im eigentlichen Sinn gemeint, sondern In Lystra hört ein Mann, der von sehr bald in Wut, als sie bemerken, auch so genannte „Gottesfürchtige“; Geburt an gelähmt war, Paulus reden, dass ihre „neuen Götter“ nicht mit- diese sind Heiden, die am Synagogen- denn der predigt ja in der Öffentlich- spielen. Denn aus Antiochia und Iko- gottesdienst teilnehmen und das Mose- Gesetz teilweise einhalten, aber nicht keit vor den Griechen. Paulus erkennt, nion kommen Juden an, denen es ge- beschnitten sind. dass der Mann gläubig geworden war. lingt, das Volk von Lystra aufzuhetzen

24 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 PAULUSJAHR

Paulus zu steinigen. In der Meinung nem Mitarbeiter. Sie ziehen durch – Er reist von Stadt zu Stadt, so wie er sei tot, lassen sie Paulus vor dem die Städte und übermitteln den Ge- der heilige Geist ihn führt. Stadttor liegen. Hier wird deutlich, meinden die Beschlüsse des „Apo- – In fast jeder Stadt gibt es eine Syn- wie auch damals schon Starkult und stelkonzils in Jerusalem( (48/49)“, agoge, in diese geht er zunächst Vergötterung von Idolen schnell in welche u.a. gebieten, Götzenopfer- und predigt das Evangelium. Hass und Aggression umschlagen, fleisch und Unzucht zu meiden (s. – Meistens wird er dann aus der wenn Erwartungen nicht erfüllt wer- Apg 15,22-29). So werden die Ge- Synagoge geworfen, nimmt aber den. Vor der Stadt steht Paulus auf meinden gefestigt und gewinnen im- diejenigen mit sich, die auf ihn und geht weiter, gefolgt von einigen mer mehr neue Gläubige. hören und ihm glauben. Gibt es wenigen Jüngern, die also doch gläu- Während der in Phil 2,19-22 er- keine Synagoge oder glauben ihm big geworden sind. Auch an Paulus wähnten Gefangenschaft des Paulus die Juden nicht, predigt er auf muss ein Wunder geschehen sein, − wahrscheinlich in Ephesus − war der Straße oder an öffentlichen wenn er bereits einen Tag, nachdem Timotheus bei ihm. Nach 1 Tim 1,3 Plätzen. er halbtot eine Steinigung überstand, ist er der Beauftragte des Apostels für – Er verkündet offensichtlich über- sich schon wieder auf den Weg in die die Kirche von Ephesus. In den bei- zeugend und kraftvoll die neue nächste Stadt begeben konnte. den Timotheusbriefen erhält er von Lehre, denn es kommt meistens Paulus zieht mit Barnabas wei- Paulus Richtlinien für die Ausübung schnell zur Gründung von neuen ter nach Derbe, wo sie viele Jünger des kirchlichen Amtes und der per- Gemeinden. gewinnen. Auf ihrem Rückweg pas- sönlichen Lebensführung. – Er predigt an zentralen Orten, so sieren sie die gleichen Städte wie Die weitere Spurensuche führ- dass viele Menschen die Möglich- auf dem Hinweg, dort stärken sie die te die Pilgergruppe nach Ephesus. keit haben, ihm zuzuhören und neuen Gemeinden und ermahnen sie, Dorthin war der Apostel auf seiner ihm zu glauben. im Glauben zu bleiben. Im Jahr 49 2. Missionsreise gekommen, nach- – Er kommt zu vielen Gemeinden kehren Paulus und Barnabas nach dem er zuvor seinem Ruf nach Grie- zurück und stärkt sie in ihrem fast vierjähriger Abwesenheit an den chenland gefolgt war, wo er u.a. Ge- Glauben. Ausgangspunkt der 1. Missionsreise, meinden in Philippi, Thessalonich, nach Antiochia (Syrien) zurück. Athen und Korinth gründete. Weil Land der Urchristen − heute Diaspora es ihn aber nach Syrien zurückzog, Die Paulusbriefe erwähnen christ- 2. Missionsreise ließ er in Ephesus nach dreimonati- liche Gemeinden in Ephesus, Kolos- (Apg 15,36 – 18,22) 50-53 gem Aufenthalt sich nicht überreden, sä, Hierapolis, Laodizea und Galatia. Bereits im Frühjahr 50 bittet Pau- länger zu bleiben, sondern überträgt Der Schreiber der Offenbarung richtet lus in Antiochia Barnabas, ihn auf ei- Silas und Timotheus die weitere Mis- sich an die sieben Kirchen von Ephe- ner weiteren Reise durch die Städte sionsarbeit dort und zieht selbst wei- sus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sar- zu begleiten, in denen sie das Wort ter nach Cäsarea, von dort aus nach des, Philadelphia und Laodicea, alle des Herrn verkündet haben, um nach- Jerusalem − wo er am Aposteklonzil in Kleinasien gelegen. Jahre später zusehen, wie es den Gemeinden dort teilnimmt − und kommt zuletzt wie- schreibt Ignatius von Antiochia an die geht. Barnabas möchte daraufhin Jo- der nach Antiochia in Syrien. christlichen Gemeinden in Ephesus, hannes mit dem Beinamen Markus Erst die 3. Missionsreise (Apg Magnesia, Tralli, Philadelphia und mit auf diese Reise nehmen. Dies 18,23 – 19,20) der Jahre 53 bis 58 Smyrna. Ende des ersten Jahrhunderts aber möchte Paulus nicht, da Johan- lässt ihn für zwei ereignisreiche Jahre sind fünfzig Orte mit christlichen Ge- nes sie auf der ersten Missionsreise in Ephesus weilen. Nirgendwo sonst meinden bekannt; davon gehören 24 verlassen hatte und nicht mit ihnen hat Paulus sich so lange aufgehalten zu dieser Region; im Jahr 180 sind es ans Werk gegangen war. Darüber zer- wie in Ephesus. Auch deshalb wird 57 von 101 Orten. streiten sie sich und trennen sich Ephesus im ersten Jahrhundert die Nach der Konstantinischen Wen- schließlich. Barnabas nimmt Johan- „kulturelle Hauptstadt“ der neuen de (313) fanden immerhin die ersten nes mit nach Zypern. Paulus zieht Religion, in Konfrontation und Aus- acht Ökumenischen Konzilien auf mit Silas nach Syrien und Zizilien tausch mit dem griechisch-römischen heute türkischem Boden statt: Nizäa und von dort weiter nach Derbe und Denken. Im Dialog der Religionen I (325), Konstantinopel I (381), Ephe- Lystra. Dort in Lytsra, wo er im Jahr und Kulturen schälte sich die eigene sus (431), Chalkedon (451), Konstan- davor noch gesteinigt wurde, trifft er Identität der Christen heraus. tinopel II (553), Konstantinopel III auf einen Gläubigen mit dem Namen Über das Wirken des Apostel (680-681), Nizäa II (787) und Kon- Timotheus. Diese junge Mann wird Paulus in Ephesus informiert im Ein- stantinopel IV (869-870). in der Apostelgeschichte und in den zelnen der nachfolgende Beitrag von Neben Märtyrern (Polykarp von Paulusbriefen häufig genannt. Er ist Andreas M. Rauch „Paulus in Ephe- Smyrna, Blasius) schenkten die christ- der Sohn eines griechisch-heidni- sus“ (s.S. 27) lichen Gemeinden in Kleinasien der schen Vaters und einer zum Chri- Kirche große Bischöfe und Theolo- stentum bekehrten jüdischen Mutter. Die Missionsstrategie des Paulus gen: Meliton von Sardes, Irenäus von Paulus lässt Timotheus aus Rück- Die Missionsstrategie des Pau- Lyon (gebürtig aus Smyrna), Niko- sicht auf die zu bekehrenden Juden lus kann wie folgt auf den Punkt ge- laus von Myra, Basilius von Caesarea, beschneiden und macht ihn zu sei- bracht werden: Gregor von Nyssa, Gregor von Nazi-

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 25 GESELLSCHAFT NAH UND FERN anz, Johannes Chrysostomus, Ephräm wurden Moslems, um den ständigen gen aus anderen Kirchen). Ich denke, der Syrer. Diskriminierungen zu entgehen, halten dies entspringt nicht der Angst vor einer Bischof Luigi Padovese, italie- jedoch in ihrem Herzen den Glauben Christianisierung der Türkei, sondern nischer Kapuziner und seit November wach, in den sie durch ihre Familie dient der eigenen Identitätsfindung, hineingeboren wurden. indem man sich mehr oder minder kla- Die Kirchen verschwinden, die re Feindbilder schafft. Gläubigen werden weniger, kirchli- Die Laizität des türkischen che Einrichtungen müssen schließen: Staates, von Kemal Atatürk behaup- Krankenhäuser, Hospize und Schulen. tet, und seine Neutralität gegenüber Dies liegt auch an der fehlenden staat- den Religionen sind noch nicht voll lichen Unterstützung, die nicht jenen umgesetzt. Die Kirche muss als recht- Richtlinien entspricht, die 1923 in liche Körperschaft anerkannt werden: Lausanne festgelegt wurden. Rückgabe der konfiszierten Güter, Til- In dieser Minderheitensituation gung der religiösen Zugehörigkeit im hat die katholische Kirche in der Türkei Ausweis und eine effektive Anerken- folgende Kontur behalten: Erzdiözese nung der Minderheitenrechte, nicht Izmir, Apostolische Vikariate Istanbul nur der Christen, sind notwendig. Man und Anatolien mit Sitz in Iskenderun denke nur an die Aleviten, die 15 bis (alle drei lateinischer Ritus); Arme- 20 Prozent der türkischen Bevölkerung nisch-Katholische Kirche (eine Erzdiö- ausmachen und dennoch diskriminiert Bischof Luigi Padovese, zese); Chaldäische Kirche (Erzdiözese werden. Jeder kann ein guter türkischer Apostolischer Vikar für Anatolien Amida); Syrisch-Katholische Kirche Bürger sein, unabhängig von seiner re- (Foto: Internet) (Patriarchal-Vikariat). Außer den Bi- ligiösen Ausrichtung, egal ob Christ, schöfen von Izmir und Anatolien resi- Moslem, Sunnit oder Alevit. 2004 Apostolischer Vikar für Ana- dieren alle in Istanbul. Die Gläubigen Es reicht nicht, die Gesetzgebung tolien, äußert sich in einem Beitrag im 480.000 Quadratkilometer großen zu ändern, sondern Vorurteile gegen- „Diaspora mit großer Tradition“ in der Apostolischen Vikariat Anatolien le- über Europa müssen ausgeräumt wer- Zeitschrift Sendbote (www.sendbo- ben zum großen Teil im Süden, in den den – so wie in Europa die Vorurteile te.com/messaggero/pagina_articolo. Pfarreien Mersin, Adana, Iskenderun gegenüber der Türkei. Nach meiner asp?IDX=356IDRX=84) zur Situation und Antiochia. Meinung kennen beide Seiten zu we- der katholischen Kirche in der Türkei Diskriminierung. Die Presse nig voneinander. Zudem wurde und wie folgt (stark gekürzt): weckt Misstrauen gegen die Christen wird Religion vom Staat instrumen- „Es stimmt uns traurig, angesichts und eifert gegen einen christlichen talisiert, um politische und ethnische solch dichter christlicher Vergangen- Proselytismus (Abwerben von Gläubi- Ziele durchzusetzen.“ ❏ heit, dass sich im letzten Jahrzehnt der christliche Bevölkerungsanteil in der Türkei auf nur noch 0,15 Prozent reduzierte, konzentriert auf Istanbul, Smyrna (Izmir) und Mersin. Noch be- Kurz berichtet drückender wird es für einen Europäer, der durch Städte und Dörfer reist: Die Wehrbeauftragter kritisiert Hürden für Vertrauenspersonen meisten Kirchen wurden umgewandelt er Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe, hat den Um- in Museen, Moscheen, Schulen, Biblio- Dgang des Verteidigungsministeriums mit den Vertrauenspersonen theken oder gar Scheunen. bei der Bundeswehr kritisiert. Ohne nachvollziehbaren Grund verwei- Noch Ende des 19. Jhs. betreuten gere das Ministerium den in Auslandseinsätzen tätigen Ansprechpart- wir Kapuziner am Schwarzen Meer acht nern das Recht, in den dortigen Feldlagern Versammlungen aller Ver- Kirchen: in Samsun, Trabzon, Inebolu, trauenspersonen zu organisieren. In einem Gastkommentar der in Berlin Sinope, Varna, Burgas, Costanza, Ke- erscheinenden Zeitschrift „Kompass„ des katholischen Militärbischofs rasonda und Erzurum. Daneben gab (Ausgabe 95/09) beklagte Robbe eine anhaltende Diskussion über die es orthodoxe und armenische Kirchen Rechte der Vertrauenspersonen bei einzelnen Auslandseinsätzen. Diese und Klöster. Geblieben sind uns noch Debatte sei ihm „unverständlich“. zwei Kirchen, in Samsun und Trabzon, Die Vertrauenspersonen, so Robbe, seien ein fester Bestandteil des mit knapp zehn Katechumenen und Prinzips der Inneren Führung und aus der Bundeswehr „nicht wegzuden- fünf bis sechs getauften Katholiken ken“. Sie seien Mittler zwischen Soldaten und Dienstvorgesetzten und vor Ort. Die anderen wenigen Christen hätten damit eine Brückenfunktion. Er habe vom Ministerium bislang leben verstreut, ohne geistlichen Bei- keine überzeugende Antwort erhalten, weshalb sich die Vertrauensperso- stand. Ich traf auf armenische Chri- nen bei Auslandseinsätzen nicht mehr versammeln sollten. Das Problem sten, die sonntags 50 Kilometer weit solle zügig geklärt werden. „Ein Hinauszögern schadet dem vertrauens- fahren nach Samsun, um an einer vollen Zusammenwirken“, so der SPD-Politiker Robbe. (KNA) Messe teilzunehmen. Einige Christen

26 AUFTRAGAUFTRAG27 2744 • JJUNIUNI 20099 PAULUSJAHR

Zum 2000. Geburtstag des Völkerapostels Paulus in Ephesus Auf den Spuren des Heiligen in Kleinasien

VON ANDREAS M. RAUCH

aulus war nie so volkstümlich oder beliebt wie etwa Petrus gewesen, aber sein christlicher Verkündigungs- dienst entfaltet sich wirkungsmächtig in der damals bekannten Welt und bis heute. Die in griechischer PSprache verfassten Briefe des Paulus, der bedeutendsten Gestalt des Urchristentums, stellen die ältesten li- terarischen Zeugnisse des Christentums dar und sie sind prägend für die katholische Kirche in Vergangenheit und Gegenwart.

Zur Genese der paulinischen Theologie nen des Römischen Reiches wie etwa onsarbeit des Paulus fand – wie die ach dem Tod und der Auferste- Kleinasien missionierte. Dass diese der meisten Apostel – über jüdische hung von Jesus bildeten sich Gruppe nicht wie zahlreiche ande- Gemeinden und jüdische Mitstreiter Ndrei Gruppierungen innerhalb re Sekten jener Zeit irgendwo in der zumeist im griechischen Kulturraum der Gemeinde von Jerusalem heraus. Bedeutungslosigkeit versandete, hat statt. In Kleinasien und in Ephesus Unter der Leitung eines der „Brüder sie ausschließlich dem Engagement war die Gesamtlage politisch relativ von Jesu“, Jakobus, der im Jahr 62 n. des charismatisch wirkenden Paulus entspannt. Außerdem zog die Hei- Chr. den Märtyrertod erlitt, entstand zu verdanken. ligkeit des Ortes Ephesus aufgrund ein judenchristlicher Kreis, der nur eine jüdische Reformbewegung sein wollte. Die jüdischen Behörden sa- hen diesen Kreis als eine pharisäi- sche Richtung an, da ihm auch eini- ge Pharisäer angehörten, weshalb sie die Gruppierung um Jakobus unbe- helligt ließen. Ein zweiter Kreis for- mierte sich um Petrus und die Söhne des Zebedaios, Jakobus und Johan- nes. Auch diese hielten am Gesetz des Moses fest, wollten es jedoch nicht als Zwang verstanden wissen. Eine dritte Gruppe unter ihrem Führer Stepha- nos kann als die Gruppierung der so genannten „Hellenisten“ bezeichnet werden, da sie um eine Interpretati- on von Jesu nicht nur in griechischer Sprache, sondern auch im Sinne grie- chischer Philosophie und Kultur be- müht war. Der Neutestamentler Carl Schneider schreibt: „Hier wurde aus dem Messias Jesus der hellenistische leidende und auferstehende Erlöser- gott, aus dem jüdischen Reinigungs- In römischer Zeit bildete das grie- seiner Tempel – etwa dem Domitian- akt nach Art essenischer Taufe wur- chisch geprägte Kleinasien eine eige- Tempel, das Pyrtaneion, dem Hadri- de ein Mysteriensakrament, aus dem ne Provinz „asia“ und hatte Ephesus anstempel und dem Tempel der Arte- Erinnerungsmahl ähnlich dem Pas- zur Hauptstadt. Der Apostel Paulus, mis, welcher zu den sieben Weltwun- sahmahl ein hellenistisch-sakramen- der aus der kleinasiatischen, von Grie- dern zählte – viele kulturell und reli- tales Kultmahl.“ (Schneider, a.a.O., chen bewohnten Stadt Tarsus stamm- giös interessierte Menschen an. S. 443) So lag es nahe, dass nach te, hielt sich während seiner dritten Aufgrund des Hafens in Ephe- dem Tod des Erzmärtyrers Stephanos Missionsreise knapp drei Jahre in sus, der allerdings versandete und diese Gruppierung vor allem in den der Stadt Ephesus auf, und zwar in heute nicht mehr erkennbar ist, be- vom Hellenismus geprägten Regio- den Jahren 54-57 n.Chr. Die Missi- stand ein direkter Schiffsverkehr mit

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 27 GESELLSCHAFT NAH UND FERN

der Celsus-Bibliothek (Bild 3) , die ihren Namen vom römischen Statt- halter der Provinz Asien, Celsus (105- 107 n.Chr.), ableitet, besaß Ephesus nach der Bibliothek im ägyptischen Alexandrien die zweitwichtigste Bib- liothek in den römischen Provinzen. Ephesus verfügte über mehrere Gym- nasien, so dem Theater-Gymnasium, welches zur Ausbildung von Thea- terkünstlern diente und das größte Gymnasium in Ephesus war. Daneben gab es noch das Vedius-Gymnasium und das Ostgymnasium. Es existierten Theater, in denen Bildung und Unter- haltung gepflegt wurden: Das Odeion und das Große Theater. Kurzum, wer sich in Ephesus mit seiner religiösen Überzeugung behaupten konnte, dem gelang häufig auch anderen Orten in Kleinasien Einflussnahme. So erging es auch dem heiligen Paulus. Aber Bild 1: Die Kuretenstraße, die Prachtstraße von Ehesus. Einst beleuchteten nicht nur das: Nahezu alle Päpste und in der Nacht rund 50 Laternenfackeln den von Säulen bestandenen Bischöfe der christlichen Gemeinde in Pflasterweg aus Granitquadern. Am Ende der leicht abfallenden Straße Rom stammten in den ersten beiden befindet sich die Agora mit der Celsusbibliothek (Bild 3, S 29). nachchristlichen Jahrhunderten aus der Provinz Asia mit seiner Haupt- die Soldaten, die Kleinasien kontrol- stadt Ephesus. lierten, aber auch neue Befehle und neue Nachrichten. Ephesus bildete Die Machtfülle von Ephesus zur Zeit des Paulus das Machtzentrum ie Bedeutung der an der ägäi- der römischen Provinz Asien. Dschen Küste gelegenen Provinz Das schlug sich auch in der Stadt- Asia und seiner Hauptstadt Ephe- architektur von Ephesus nieder, die sus liegt in der Wirkungsmächtigkeit in Teilen bis heute erhalten oder wie- seiner zahlreichen Städte und Kult- der errichtet ist; gerade in den ver- stätten begründet: Illium (Troja), As- gangenen Jahren wurden in Ephesus sos, Pergamon, Priene, Pamukkale umfangreiche Restaurierungsarbei- und Hierapolis sowie Aphrodisias − ten durchgeführt, so dass wir heute um nur einige zu nennen. Jeder die- wieder einen Eindruck vom antiken ser Orte steht für Macht, finanziellen Bild 2: Zur römischen Alltagskultur Ephesus haben. Besonders in den Reichtum, Wirtschaftskraft, Bildung gehörte auch diese öffentliche so genannten „Hanghäusern“, in der im Sinne von Platon und Aristoteles Bedürfnisanstalt an der Prachtstraße einst die Reichen von Ephesus wohn- sowie die kulturelle und religiöse Fül- aus dem 1. Jh. Die wasserbespülten ten, werden gegenwärtig von österrei- le der römischen Provinz Asien. Toiletten sind an den Außenwänden chischen Archäologen umfangreiche Illium war in römischer Zeit be- des ca. 30 qm großen Raumes Sicherungs- und Restaurierungsar- siedelt (Troja IX. von 85 v.Chr. bis ca. ohne Zwischenwände aufgereiht. beiten vorgenommen. Die nur wenige 500 n.Chr.) und aufgrund der Sagen In der Mitte befindet sich ein Meter von den Hanghäusern entfernt des Homer (niedergeschrieben um Wasserbecken mit Fontäne zur liegende, mit Säulen gesäumte Ku- 700 v.Chr.) überregional bekannt. In Neutralisierung sonstiger retenstraße ist die Prachtstraße von der römischen Provinz Asia siedelten Geräusche. Der Fußboden war Ephesus (Bild 1). Wer diese Straße zahlreiche Volksgruppen, von denen mit Mosaiken ausgelegt. entlang geht, der erspürt nicht nur die Griechen die Größte bildete. Als einen Hauch von Geschichte und rö- Hafenstadt hatte Illium in römischer anderen Hafenstädten in Kleinasien mischer Alltagskultur (Bild 2) , son- Zeit noch eine gewisse Bedeutung, und dem gesamten Mittelmeerraum, dern auch einen Abglanz von Macht bevor es in spätantiker Zeit, also im so auch mit Rom. Nach Rom lieferte des Imperium Romanum in der etwa 5. Jh., größtenteils durch ein Erdbe- die Provinz Asien einen großen Teil 200.00 Einwohner zählenden Haupt- ben zerstört wurde und über fünfhun- ihrer Steuereinnahmen sowie Produk- stadt von „asia“. dert Jahre unbewohnt blieb. Erst im te wie Naturstein, Steinmetzarbeiten Ephesus zeichnete sich vor al- Hochmittelalter war Illium wieder bis und Lebensmittel ab. Von Rom kamen lem als Bildungszentrum aus. Mit Anfang des 14. Jahrhunderts in byzan-

28 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 PAULUSJAHR

Schachbrett angelegt, welches von einer Stadtmauer umschlossen war. Zentrum von Priene bildet das auch heute beeindruckende, durch ein Erd- beben zerstörte Athena-Heiligtum, von dem einige Säulen wieder aufge- richtet wurden; im Prinzip sind die ge- samten durch das Erdbeben zerstörte Bau- und Säulenmaterialien noch im- mer vorhanden, so dass der Athena- Tempel – ähnlich wie in Aphrodisias – theoretisch wieder aufgebaut werden könnte. In Priene finden sich Reste des Heiligtums der ägyptischen Göt- ter, eines Theaters aus griechischer Zeit sowie Fundamente großzügiger Stadthäuser. Ein Naturwunder in der Provinz Asia bilden die baumwollweißen Sin- terterrassen von Pamukkale hoch über den Felsen des Mäander-Tals, in de- nen Thermalquellen mit einer ‚Ba- Bild 3: Celsusbibliothek. Seit 1895 nimmt das Österreichische Archäolo- dewassertemperatur’ von rund 35˚ C gische Institut planmäßige Ausgrabungen vor. Besonders bekannt ist der entspringen. Schon in römischer Zeit Wiederaufbau der sog. Celsusbibliothek aus dem frühen 2 Jh. n.Chr. – nicht nutzten viele Menschen in den nahe nur ein Bibliotheksgebäude, sondern gleichzeitig das Grabmal des Stifters gelegenen Thermen von Hierapolis Tiberius Iulius Celsus Polemaeanus. diese Warmwasserquellen. In den rö- mischen Thermenanlagen ist heute tinischer Zeit besiedelt (Troja X.) und Die von Griechen gegründete ein Antiken-Museum untergebracht. Bischofssitz – zuvor bereits von ca. Stadt Pergamon stärkte ebenfalls den Neben Pergamon zählte Hierapolis 350 bis 500 n.Chr. – gewesen. Aus der Ruf und das Ansehen der Provinz Asi- zu den wichtigsten Heil- und Kuror- römischen Zeit unter der Herrschaft en und damit von Ephesus. Pergamon ten des Imperium Romanum. Auch des Kaisers Augustus (27 v.Chr. bis 14 besaß eine berühmte Bibliothek mit Christen waren hier schon in früher n.Chr.) sind noch Reste des Athena- rund 200.000 Schriftrollen, die spä- Zeit aktiv gewesen, so der Diakon Tempels erhalten geblieben. ter als Schenkung nach Alexandrien Philippos (5 Jh. n.Chr.), an den heute Neben Illium kam auch Assos, kamen. Da es lange Auseinanderset- eine Wallfahrtskirche erinnert. welches auf einer imposanten Berg- zungen zwischen Pergamon und Ale- Als abschließendes Beispiel für kuppe am Meer liegt, in der römi- xandrien gab, wurde in Pergamon das die Machtfülle der Provinz Asia und schen Provinz Asia eine überregio- so genannte Pergamentpapier erfun- von Ephesus sei Aphrodisias ange- nale Bedeutung zu. Aus der Zeit der den. In Pergamon sind heute noch führt, welches im 20. Jh. umfangrei- griechischen Besiedelung um ca. 530 Reste des Asklepieion, welches als che Ausgrabungsarbeiten erfuhr, die v.Chr. gibt es in Assos einen dorischen Kurort, Stätte der Medizin und als zu einer teilweisen Wiederherstellung Athena-Tempel und ein Theater aus heiliger Platz diente, zu sehen. Das des antiken Aphrodisias führten. Die dem 3. Jh. v.Chr., von dem noch Res- römische Theater, das Amphitheater kulturelle und religiös bedeutsame te erhalten sind ebenso wie von den sowie das untere, mittlere und obere Stadt, benannt nach der griechischen mächtigen Stadtmauern von Assos. Gymnasium künden vom Bildungs- Göttin Aphrodite, stand in enger Be- Überregional bekannt wurde Assos anspruch der Stadt. Die Heiligtümer ziehung zum römischen Kaiserhaus durch den griechischen Philosophen wie die Akropolis und der Dionysos- und hatte zu Zeiten des Paulus ihre Aristoteles, der um 347 v.Chr. nach Tempel zeugen vom religiösen Inte- Blütezeit als Wallfahrts- und Fest- Assos kam, dort seine erste Rheto- resse der Bürger von Pergamon. In spielort. Außerdem war Aphrodisi- rik-Schule gründete und selbst in As- der Roten Halle in Pergamon, einem as im Imperium Romanum für seine sos drei Jahre lang unterrichtete, be- monumentalen Tempel aus der ersten Steinmetze und ihre Werkstücke be- vor er Lehrer des jungen Alexander, Hälfte des 2. Jhs. v.Chr., wurden die kannt. So wurden Sarkophage sowie dem Sohne Philipps von Mazedoni- drei ägyptischen Götter der Isis, Se- Statuen aus Granit und Marmor in alle en, wurde. Der heilige Paulus selbst rapis und Harpokrates verehrt. Teile des römischen Herrschaftsge- war auf seiner dritten Missionsreise Zur Provinz Asia gehörte auch bietes geliefert. in Assos gewesen und aus der Apos- Priene, ein ganz besonderer Ort von telgeschichte erfahren wir, dass auch hoher kultureller und architektoni- Paulus unter den Griechen Lukas und seine Reisegefährten sich scher Strahlkraft. Priene wurde in ei- phesus und die genannten Städte dort trafen. nem rechtwinkeligen Schnitt wie ein Eder Provinz Asia waren zur Zeit AUFTRAG 274 • JUNI 2009 29 GESELLSCHAFT NAH UND FERN des Paulus so wohlhabend gewesen, Einflüssen aus anderen Kulturkreisen dass in ihnen unzählige Menschen wie etwa der ägyptischen Religion, so sich bilden und studieren konnten. dass die tradierten Götter etwas aus Ephesus war eine von den Griechen Zeittafel der „Mode“ gerieten. Das monothe- geprägte Stadt der Dichter und Den- istische Judentum hingegen erschien ker – ähnlich wie das Athen der römi- ca. vielen Menschen attraktiv, weil sich schen Zeit – in der viel über philoso- 9 n.Chr. Paulus die Ausrichtung auf einen Gott eben phische und religiöse Fragen disku- in Tarsus klarer und eindeutiger darstellt als auf tiert wurde und in der die Menschen (Kleinasien) eine Vielzahl von Göttern. in jeder Hinsicht offen und interes- geboren Zu Recht konnte Paulus die Krise siert waren. Die römischen Kaiser ca. des damaligen Polytheismus als Chan- Augustus und Tiberias, aber auch 34 n.Chr. Damaskus- ce für seinen christologischen Mono- ihre Nachfolger Hadrian und Claudi- Erlebnis theismus ansehen, während die Juden us, investierten durch Bauwerke und ca. die Verkündigung eines Gekreuzigten Bildungsstätten in der Provinz Asia. 36-46 n.Chr. Paulus in als Sohn Gottes als einen Skandal Aufgrund der zahlreichen philosophi- Tarsus und „Dummheit der Heiden“ wahr- schen und religiösen Strömungen in (Kleinasien), nahmen. Doch im Unterschied zur Ephesus hatte jedoch Paulus auf dem Missionierung römischen Provinz Judäa mit seiner „Markt der Weltanschauungen“ einen in Kleinasien Hauptstadt Jerusalem und zur Provinz harten Stand. ca. Syria stellten die Juden in der Provinz Paulus versuchte in seinen Pre- 46-48 n.Chr. 1. Missions- Asia lediglich eine kleine Minderheit digten und Briefen, seine griechi- reise mit dar, die letztlich nicht auffallen und schen Zuhörer über den Sport anzu- Barnabas deshalb sich auch nicht in religiösen sprechen, um seine christliche Welt- 48/49 n.Chr. Apostelkonzil Fragen in der Öffentlichkeit beson- anschauung den „Heiden“ besser ver- in Jerusalem ders profilieren wollte. Zudem konn- ständlich zu machen. So schrieb Pau- 49-52 n.Chr. 2. Missions- te Paulus in der Provinz Asia auf ein lus im zweiten Brief an Timotheus, reise des religiös interessiertes gebildetes Pu- der etwa seit 50 n.Chr. Mitarbeiter Paulus blikum treffen, weshalb Paulus lange und Beauftragter des Apostels Pau- (u.a. mit Debatten über die religiöse Praxis der lus in Ephesus war: „Und wer an ei- 1. Aufenthalt Christen führen musste – zu einem nem Wettkampf teilnimmt, erhält den in Ephesus Zeitpunkt, wo es kaum feste Regeln Siegerkranz nur, wenn er nach den 51/52 n. Chr.) im Christentum gab. Regeln kämpft.“ (2 Tim 2,5). Oder 53-58 n.Chr. an die Korinther formuliert Paulus 3. Missions Christliche Archäologie in Ephesus wie folgt: „Wisst ihr nicht, dass die, reise m sich der antiken Stadt Ephesus welche in der Rennbahn laufen, zwar 54-56 n.Chr. 2. Aufenthalt Uund Paulus anzunähern, müssen alle laufen, aber einer den Preis emp- in Ephesus wir zunächst objektiv feststellen, dass fängt? Lauft so, dass ihr ihn erlangt. 58 n.Chr. Verhaftung wir das Fach Altertumskunde oder Jeder aber, der kämpft, ist enthaltsam des Paulus Alte Geschichte erst seit dem Hoch- in allem; jene freilich, damit sie einen 58-60 n.Chr. Paulus in mittelalter in Europa kennen, ebenso vergänglichen Siegeskranz empfan- Gefängnis in die theologische Disziplin der Alten gen, wir aber einen unvergänglichen. Caesarea Kirchengeschichte. Die christliche Ich laufe nun so, nicht wie ins Unge- 60/61 n.Chr. Schiffsbruch Archäologie stellt sich als eine Unter- wisse; ich kämpfe so, nicht wie einer, und Überwin- disziplin der Alten Kirchengeschichte der in die Luft schlägt; sondern ich zer- terung auf dar, die Ende des 19. Jhs. entstand. schlage meinen Leib und knechte ihn, Malta Zur gleichen Zeit wurde das Fach damit ich nicht, nachdem ich anderen 61-63 n.Chr. unter Archäologie als Teil der Geschichts- gepredigt, selbst verwerflich werde.“ Bewachung wissenschaft geschaffen, deren Ar- (Kor 9,24-27) Paulus selbst war wohl römischer beit rasch in Archäologische Institu- kein sportlicher Mensch, sondern eher Soldaten in te im In- und Ausland aufwuchs. Das klein und untersetzt sowie von zahl- Rom wichtigste, archäologische Werk in reichen Krankheiten geplagt. um jüngerer Zeit zu Paulus stammt vom In Ephesus, aber auch in anderen 64 n.Chr. vermutlich Düsseldorfer Wissenschaftsjournalis- Teilen des römischen Reiches sah sich 3. Aufenthalt ten Michael Hesemann aus dem Jahr Paulus mit polytheistischen Religio- in Ephesus 2008, in dem vor allem archäologi- nen konfrontiert. Doch zur Zeit des 66/67 n.Chr. Märtyrertod sche Erkenntnisse über die Grablege Paulus befanden sich der griechische des Paulus des Paulus in der Kirche San Paolo und römische Polytheismus in einer in Rom fuori le mura in Rom und den mut- „Krise“, weil es zu viele Götter gab. maßlichen Sarkophag des Heiligen Außerdem kam es teilweise zu neuen Berücksichtigung finden. Die Wur-

30 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 PAULUSJAHR zeln für ein archäologisches Engage- der Synagoge predigen. Danach nahm verlieren“. (Apg 19,27). Die Tragwei- ment in Deutschland finden sich im er seine Jünger und wechselte über zur te dieser Äußerung lässt sich damit deutschen Klassizismus, also in einer Schule des Tyrannus. Paulus soll dort vergleichen, als wenn Lourdes seinen Liebe zur griechischen und römischen zwei Jahre lang täglich von der fünf- Wallfahrtsstatus und seinen religiösen Antike und zur deutschen Romantik ten bis zur zehnten Stunde, also von Tourismus verlieren würde. sowie ihrer Ausläufer wie etwa der elf bis vier Uhr, gelehrt haben, also zur deutschen Orientbegeisterung, in der heißesten Tageszeit, da ihm dann ein Ephesus und das Paulinische sich ein Verliebtsein in alte Ruinen Schulraum zur Verfügung stand. Kirchenverständnis und antike Stätten, in Sonnen- und Der Evangelist Lukas berichtet as Kirchenverständnis des Paulus Mondlicht, in Natur und Wasser Weg von den Schwierigkeiten, die Paulus Dschält sich auf dem Apostelkonzil brachen. in Ephesus hatte. Der bekannte Auf- in Jerusalem im Jahr 48 n.Chr. deut- Aus Sicht der christlichen Ar- ruhr der Silberschmiede im Theater lich heraus. Paulus tritt damals für chäologie stellt sich Ephesus als von Ephesus (Bild 4) kommt als ein ein Christentum ein, dass keine Ge- eine der sieben Gemeinden der Of- gutes Beispiel daher, wie sich manch- setzesreligion wie das Judentum ist. In fenbarung dar, die von Johannes, ei- mal Menschen mit geschäftlichen In- diesem Sinne übt es in der Wahrneh- nem Priester aus Ephesus, um 110 teressen mit anderen religiös orien- mung des Paulus auch nur eine mit- n. Chr. niedergeschrieben wurden. Dieser ephenische Priester darf nicht mit dem Apostel Johannes verwech- selt werden. Die in der Offenbarung des Johannes genannten Gemeinden in Kleinasien erfreuten sich in der christlichen Welt seit der Spätanti- ke eines hohen Besucherinteresses. Es handelt sich neben Ephesus um Smyrna, Pergamon, Tyatira, Sardes, Philadelphia und Laodizea. Alle Orte liegen nicht weit vom heutigen Izmir entfernt. Wie bereits skizziert stammten die ersten Christen aus jüdischen Gemeinden, wo Apostel wie der hl. Paulus auf ein besonderes Interesse am christlichen Glauben stießen. Als Paulus auf seiner zweiten Missions- reise um 52 n.Chr. von Korinth nach Ephesus kam, brachte er Priska und Aquila mit. Aus der Apostelgeschich- Bild 4: Theater in Ephesus mit Blick auf die Akardiane, der zweiten, zum te erfahren wir (Apg 18,2-4), dass der (heute verlandeten) Hafen führenden Prachtstraße von Ephesus. In diesem Zeltmacher Aquila Jude aus Pontus Theater, das 25.000 Menschen Platz bot, soll der in der Apostelgeschichte war und Priska seine Frau und dass (19,21-40) geschilderte Aufruhr der Silberschmiede und Devotionalien- beide kurz vorher aus Rom nach Ko- händlern des Artemistempels (Bild 5) stattgefunden haben. rinth gekommen waren, da ein Edikt des Kaisers Claudius aus dem Jahr 49 tierten Menschen zusammentun, um telbare Bindung der Christen an die n.Chr. alle Juden zwang, Rom zu ver- gemeinsam Neuerungen zu verhin- Zehn Gebote und an das Gesetz Mo- lassen. Paulus blieb nur kurze Zeit in dern. Als Paulus predigte: „die mit ses aus. Vielmehr überzeugte Paulus Ephesus und predigte in der örtlichen Händen gemachten Götter seien keine beim Apostelkonzil im Jahr 48 mit der Synagoge. Auf die Aufforderung, doch Götter“ (Apg 19,26), ließ der Absatz Argumentation, dass die Urgemeinde länger zu bleiben, erwiderte er: „Ich von silbernen Nachbildungen der Göt- zur Freiheit vom Gesetz berufen und werde wieder zu euch kommen, wenn tin Artemis und ihres Tempels dras- allein der Gottes- und Nächstenliebe Gott es will.“ (Apg 18,21). Dann ver- tisch nach. Demetrius, der Anfüh- verpflichtet sei. Damit trat Paulus ei- ließ er Ephesus und kehrte über Cae- rer der Silberschmiede, warnte seine ner christlichen Strömung entgegen, sarea nach Jerusalem zurück. Zunftgenossen davor, dass viele ihre die das Gesetz Moses verpflichtend Auf seiner dritten Missionsreise Arbeit verlieren würden, wenn Paulus machen wollte. um 54-56 n.Chr. fand Paulus in Ephe- weiter so predigen würde und äußerte: Auch in Ephesus sah sich Pau- sus bereits weitere Christen vor, die „... dem Heiligtum der großen Göttin lus mit diesbezüglichen Bemühun- den Verkündigungsdienst des Evan- Artemis droht Gefahr, nichts mehr zu gen konfrontiert. Damit hat Paulus geliums betrieben, etwa durch seine gelten, ja sie selbst, die von der gan- die Selbstständigkeit des christlichen Freunde Priska und Aquila. In Ephe- zen Provinz Asia und von der ganzen Glaubens gegenüber der jüdischen sus konnte Paulus drei Monate lang in Welt verehrt wird, wird ihre Hoheit Frömmigkeit behauptet. Der Kreu-

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 31 GESELLSCHAFT NAH UND FERN zestod von Jesu hat den jüdischen und nur von ihr ließ er sich auch fi- sonsten in den Paulusbriefen oder in Heilsweg des Gesetzes ein für alle nanziell unterstützen. Wahrscheinlich der Apostelgeschichte von Johannes Mal außer Kraft gesetzt und den Bund schrieb Paulus diesen Brief während und Maria gesprochen worden wäre. mit Gott wirkungsmächtig erneuert. seiner Gefangenschaft in Ephesus, Von Maria kündet heute noch bei Allein Tod und Auferstehung Jesu wenn auch in der Apostelgeschich- Ephesus das Haus der Maria (Mery- sind als Heilsgeschehen Grund für te hierzu nichts ausgeführt wird. In em Ana), zu der auch viele Muslime die Aussicht der Menschen auf Erlö- Ephesus gibt es einen soliden Stein- pilgern, da auch im Islam Maria als sung. Allein durch den Glauben wird bau auf einem Hügel, etwa einen Ki- Heilige verehrt wird. Das Marienhaus der sündige Mensch gerechtfertigt lometer westlich des Theaters, den steht auf Bauelementen des ersten (Röm 3,21 ff). man von altersher als Gefängnis des nachchristlichen Jahrhunderts, was Die heutige Sammlung der 14 Paulus bezeichnet. archäologisch belegt ist. Die Gestalt Briefe des Paulus ist unvollständig, des heutigen Hauses stammt aus dem da einzelne Briefe verloren gingen. Kirchenkonzil in Ephesus 12. oder 13. Jh. Wichtige Briefe des Apostels wur- s ist schwierig, etwas über Pau- Zur Gesamterscheinung von den wohl schon früh gesammelt, wie Elus und die Existenz von Christen Ephesus aus christlicher Sicht ge- es der zweite Petrusbrief belegt: „Das im ersten Jahrhundert in Ephesus zu hört die Marienkirche. Der ca. 260 hat euch unser geliebter Bruder Paulus schreiben, da wir hierzu außer den m lange Bau entstand im 2. Jh. n.Chr. mit der ihm verliehenen Weisheit ge- Paulus-Briefen und der Apostelge- als Marktbasilika. Hier feilschten also schrieben; es steht in allen seinen Brie- schichte kaum Zeugnisse aus der Zeit Händler und Wechsler, bevor im 3. fen, in denen er davon spricht. In ih- des ersten Jahrhunderts haben. Zur oder 4. Jh. die Christengemeinde den nen ist manches schwer zu verstehen.“ christlichen Bedeutung von Ephesus Kommerzbau umgestaltete. Im Jahr (2 Petr 3,15) In der Briefesammlung gehört sicherlich, dass der Apostel 431 n.Chr. fand hier das dritte Öku- wird zwischen den Gefangenenbrie- Johannes um das Jahr 40 n.Chr. nach menische Konzil statt, bei dem es um fen, bei denen er wohl in Haft saß Ephesus kam und sich dort niederließ. Maria, die Mutter Jesu, ging. So wurde und die an die Gemeinden in Ephe- Die Kirchenväter bezeugen, dass er in in Ephesus das Glaubensdogma ver- sus, Philippi, die Kolosser und an Phi- seinen späteren Jahren den Gemein- abschiedet, dass Maria als Jungfrau lemon gerichtet waren und den Pas- den in der Provinz Asia vorstand, ei- Jesus durch das wunderbare Wirken toralbriefen – so an Timotheus und nes natürlichen Todes starb und in des Heiligen Geistes empfing, gebar Titus – unterschieden. Die heutige Ephesus (Selcuk) begraben wurde, und nach der Geburt Jesu in jungfräu- Forschung geht davon aus, dass einige wo heute die Johannesbasilika steht licher Ehe mit Joseph zusammenlebte. Schreiben dieser Briefesammlung von (s.a. Bild 5 S. 32). In byzantinischer Mit der Zuerkennung des Titels „Got- Mitarbeitern und Schülern des Paulus Zeit hieß dieser Ort Johannes Theolo- tesgebärerin“ (Theotokos) durch das verfasst oder überarbeitet wurden, so gos, was aber nicht beweist, dass Jo- Konzil von Ephesus wird der beson- die Briefe an die Epheser, Kolosser, hannes hier wirklich gelebt hat. Um dere Charakter der Mutterschaft Ma- Timotheus und Titus. Der Brief an die einen spätantiken Gedenkstein, dem rias hervorgehoben: Sie ist nicht nur Epheser enthält die bedeutendsten angeblichen Grab des Johannes, wur- Mutter des Menschen Jesus, sondern theologischen Aussagen im Neuen de eine kleine Kirche gebaut, die der seiner ganzen gottmenschlichen Ein- Testament über die Kirche, vor allem byzantinische Kaiser Justinian zur heit (hypostatische Union). durch die Mahnung des Paulus zur Kathedrale ausgebaut hat. Schließlich sei darauf verwiesen, Einheit, der Pflicht zur Nächstenliebe Ebenfalls aus Sicht der christli- dass Ephesus spätestens seit dem z2. und durch seinen Gedanken über eine chen Archäologie und der Bibelfor- Jh. christliche Bischofsstadt und Ver- christliche Familienordnung. schung nicht belegbar ist die Über- waltungssitz der Diözese Asia war. Die Den ersten und zweiten Brief an lieferung, dass der Apostel Johannes Diözese Moesiae hatte Thessaloniki, die Korinther, den Brief an die Gala- Maria, die Mutter Jesu, nach Ephesus die Diözese Pontica Nikomedeia und ter und den Brief an die Philipper hat brachte, wo sie bis zu ihrem Lebens- die Diözese Oriens Antiochia als Ver- Paulus in Ephesus verfasst. Vor allem ende auf einer Anhöhe südlich von waltungssitz. Diese vier oströmischen der zweite Brief an die Korinther zeugt Ephesus gelebt haben soll. Es wird an- Diözesen übten ihre Verwaltungstä- von den Spannungen und dem wech- genommen, dass Johannes der Lieb- tigkeit auch in Zeiten der Christen- selvollen Verlauf in der Missionstä- lingsjünger Jesu war, weshalb Jesus verfolgung im 3. Jh. aus, wobei mehr tigkeit des Paulus. Im Brief an die ihm seine Mutter anvertraute. Dem als 40 Jahre, also zwischen 260 und Galater versucht Paulus, mit Irrleh- widerspricht, dass es andere Überlie- 303 n.Chr., die Christen einigerma- ren aufzuräumen, vor allem mit dem ferungen gibt, nachdem Johannes im ßen Ruhe vor Verfolgung seitens des Festhalten an jüdischen Traditionen Jahre 44 n.Chr. das Martyrium erlitt römischen Staates hatten. Vor allem und Gesetzen wie der Beschneidung. und dass Maria auf dem Berge Zion Handwerker, Händler und Sklaven Die Gemeinde in Philippi (Ostma- in Jerusalem starb, dort, wo heute die traten dem Christentum bei. In den zedonien) war die erste christliche Kirche der Dormition steht. So besteht vier Diözesen Asia, Moesia, Pontica Gemeinde auf europäischem Boden, die Überlegung, dass sowohl Johan- und Oriens erreichten in manchen die er um das Jahr 50 n.Chr. auf sei- nes wie Maria sich nur zeitweise, also Städten und Dörfern im 3. Jh. die ner 2. Missionsreise gründete. Diese vor 50 n.Chr., in Ephesus aufgehalten Christen die Bevölkerungsmehrheit, Gemeinde wuchs ihm sehr ans Herz haben. Es wäre anzunehmen, dass an- weshalb Kaiser Diokletian gerade in

32 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 PAULUSJAHR den oströmischen Provinzen beson- macher, um seinen Lebensunterhalt so liebt, gab er seinen einzigen Sohn ders hart gegen die Christen in den zu verdienen, so wohl auch in Ephe- als Opfer dar, um durch Leiden, Tod Jahren 303-305 vorging. Im gesam- sus. Paulus war nie so volkstümlich und Auferstehung Jesu, dem Chris- ten Imperium Romanum machen zu oder beliebt wie etwa Petrus gewesen, tus, für alle Zeiten ein Zeichen der Ende des 3. Jhs. die Christen nicht aber sein christlicher Verkündigungs- Liebe, des Friedens und der Erlö- mehr als zehn Prozent der Bevölke- dienst entfaltet sich wirkungsmäch- sung für alle Menschen guten Wil- lens zu setzen. Die in Griechisch verfassten Brie- fe des Paulus, der bedeutendsten Ge- stalt des Urchristentums, stellen die ältesten literarischen Zeugnisse des Christentums dar – der erste Brief an die Thessalonicher dürfte im Jahr 50 n.Chr. geschrieben sein – und sie prä- gen die katholische Kirche bis heute. Die Schriftdokumente des Paulus ver- weisen auf eine sittlich begründete, von dem Gebot der Liebe bestimm- ten Existenz von Menschen vor Gott, in dem sie erzählen von Moral und Unmoral, Freundschaft und Hass, Keuschheit und Unzucht, Gut und Böse, und sie legen in ihrer ganz ein- maligen, theologischen Komplexität Zeugnis ab vom Wirken des heiligen Paulus in Ephesus. ❏

Bild 5: Das Artemision, der Tempelbezirk der griechischen Göttin Artemis in Literaturhinweise: Ephesus. Von der einst imposanten, zu den sieben Weltwundern zählenden – Blake, Everett C.; Edmonds, Anna Anlage bezeichnet heute nur noch die Säule in Vordergrund den einstigen G.: Biblische Stätten in der Tür- Standort. Links der Säule, auf dem Hügel, die Johannesbasilika, daneben kei. Istanbul 2002 weiter links die Isa-Bei-Moschee und auf der Hügelkuppe das Kastell von – Böckle, Franz: Fundamentalmo- Ephesus (Fotos: PS). ral. München 1986 – Cimrin, Hüseyin: Ephesos. Die rung aus, zu Ende des 4. Jhs. gerade tig in der damals bekannten Welt und Weltstadt der Antike. Antalya einmal ein Drittel der Bevölkerung – – Hesemann nennt ihn den erster 2006 und da war die christliche Religion Globalisierer des Christentums – bis – Erim, Kenan T.: Aphrodisias. Is- bereits römische Staatsreligion! In heute. Von Paulus erhielt Jesus den tanbul 2008 den ersten Jahrzehnten des 5. Jhs. Beinamen „christós“ (der Gesalbte) – Hesemann, Michael: Paulus von wurden dann die Christen aber rasch als ständigen Titel, mitunter sogar als Tarsus. Archäologen auf den Spu- zur Bevölkerungsmehrheit im Impe- Eigennamen. Die Vorstellung von Je- ren des Völkerapostels. Augsburg rium Romanum – vor allem in den sus auf Erden als Gott in Menschen- 2008 oströmischen Gebieten. gestalt entsprach ganz dem damaligen – Korfmann, Manfred: Troia/Wi- griechischen Denken. lusu. Überblick und offizieller Die Bedeutung der paulinischen Theologie Die Bedeutung der paulinischen Rundgang. Istanbul 2005 aulus entstammt einem gläubi- Theologie liegt in ihrer Abkehr von – Scheck, Frank Rainer: Türkei. Pgen, jüdischen Elternhaus aus der mosaischen Gesetzesreligion (He- Die Westküste. Köln 2005 dem Stamme Benjamin und seine El- teronomie) und ihrer Hinwendung zu – Schneider, Carl: Das Christen- tern gaben ihm den Namen Saul, dazu einer Religion der Liebe, die den ei- tum, in: Golo Mann, Alfred Heuß, den ähnlich klingenden griechischen genverantwortlich handelnden Men- August Nitschke (Hg): Propylä- Namen Paulos. Dieser zweite Name schen (Autonomie) in die Mitte stellt: en Weltgeschichte, Band 4, Ber- Paulos – lateinisch Paulus – besteht Gottesliebe und Nächstenliebe bilden lin, Frankfurt am Main 1991, S. also von Geburt an und ist nicht in die alleinigen Maßstäbe christlicher 429-486 Zusammenhang zu setzen mit seinem Religion. Die christliche Hoffnung – Schwarz, Ulrich: „Vor die Lö- Damaskuserlebnis um 33/34 n.Chr. auf Erlösung charakterisiert sich wen!“. Fast 300 Jahre wa- Die Missionstätigkeit des Pau- nicht in einem rechnerischen Abwä- ren die Christen Sündenbö- lus fand unter größten Entbehrungen gen von Sünden und Heilstaten, son- cke des Römischen Reiches, statt, bei denen der Apostel sein Le- dern durch die Liebe Gottes und da- in: Das Ende des Römischen Rei- ben nicht schonte. Wahrscheinlich ar- raus hervorgehend durch die Gnade ches. Spiegel-Heft Geschichte Nr. beitete Paulus immer wieder als Zelt- Gottes allein. Weil Gott die Menschen 1, 2009, S. 104-107

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 33 GESELLSCHAFT NAH UND FERN

Christen im Heiligen Land Lebendige Steine gefragt

VON KARL-HEINZ FLECKENSTEIN 1

1. Wer sie sind, wie viele es noch ten Jahrhundert wurden die Chri- Dazu gibt es noch ungefähr 300 gibt und wie man ihnen helfen sten mehr und mehr arabisiert. Das bis 400 Hebräisch sprechende Katho- heißt, sie nahmen unter den neu- liken in den Städten Beersheva, Haifa, kann en Herrschern die arabische Kultur Jerusalem, Tel Aviv und Jaffa. mmer wieder taucht in Gesprächen und ihre Sprache an. Man könnte es Idie Frage auf: „Wer sind eigentlich vergleichen mit der Amerikanisie- Wie viele Christen zählt man heute die Christen im Heiligen Land?“ Wir rung Deutschlands nach dem zweiten im Heiligen Land? stellen dann gerne die Gegenfrage: Weltkrieg: Wer spricht heute noch von Was schon im Jahre 1964 Papst „Was glauben Sie, in welcher Spra- „blauen Arbeitshosen“? Jeder redet Paul VI. bei seinem Heilig-Land-Be- che beten denn heute die Christen im natürlich von „Jeans“. Und wer wür- such als Sorge geäußert hatte, ist lei- Heiligen Land?“ de noch von einer „Musikgruppe“ und der heute schon ein nicht zu überse- Die Antworten fallen dann ganz ihren „Liedern“ sprechen? Das heißt hender Trend geworden: „Ich befürch- verschieden aus. Die einen meinen: heute „Band“ und „Songs“. te, dass das Land Jesu eines Tages „Natürlich Latein.“ Warum aber in Also ein ähnlicher Prozess ge- keine lebendigen Steine mehr hat.“ Latein? Heute feiert man doch die schah bei den Christen in Palästina ab Und dieser Prozess hat geradezu ga- Messe in der Landessprache. „Also dem Jahr 638 mit der Eroberung Jeru- loppierende Züge angenommen. dann in Hebräisch.“ Aber Hebräisch salems durch Omar. Manche Christen Beispielsweise gab es im Raum ist ja die Sprache der Juden. Diese wurden zwangsmuslimisiert, andere Bethlehem vor 50 Jahren unter den haben doch ihre eigentliche Religion konnten ihren Glauben beibehalten. 8.000 Einwohnern 6.000 Christen. und beten natürlich in der Synagoge Vor allen in den kleineren Orten, Heute sind es bei 40.000 Einwohnern auf Hebräisch. Einige wagen dann wo die Hand der neuen Herren des noch 12.000. die zaghafte Vermutung: „Vielleicht Landes nicht hinreichte. Aber alle Laut einer Volkszählung des Ot- auf Arabisch. Aber ist Arabisch nicht nahmen die arabische Kultur an und tomanischen Reichs im Jahre 1914 die Sprache des Islam?“ sprachen natürlich auch Arabisch. betrug damals die christliche Bevöl- Ja, das stimmt schon, und doch Und so ist es bis heute geblieben. kerung 20 Prozent der Gesamtbevöl- ist die Sprache der Lokalchristen im Manchmal wird den Lokalchri- kerung. Heute ist sie dramatisch auf Heiligen Land das Arabische. Und sten die Frage gestellt: „Wann hat knapp 2 Prozent geschrumpft. Ins- wie kam es dazu? Wenn wir in der sich eigentlich deine Familie be- gesamt leben gegenwärtig nur noch Apostelgeschichte vom Pfingstwun- kehrt?“ Man denkt dabei an einen 165.000 Christen in Israel und Pa- der lesen, dann begegnet uns ein bun- Übertritt vom Islam zum Christen- lästina. tes Völkergemisch: Juden, Griechen, tum. Diese Fragestellung ist jedoch Die Zahl der aus Bethlehem stam- Parther, Bewohner von Pontus und falsch. Die Lokalchristen gehen eth- menden Christen in den Vereinigten der Provinz Asien, Kreter und auch nisch auf die Urchristen zurück. Noch Staaten und Südamerika beispiels- Araber, um nur einige zu nennen. Die heute findet man in Betlehem die Fa- weise ist zehnmal so groß wie derer Menschen, die damals in Palästina miliennamen Daoud, was David be- in Bethlehem und Umgebung. lebten, waren natürlich hauptsäch- deutet, oder Hazboun, was dem he- lich Juden, so wie die ersten Jünger bräischen Heshbon gleichkommt. Im Worin besteht heute die große Versuchung Jesu. Ihre Umgangssprache war Ara- Hohen Lied wird der Bräutigam nicht der Christen im Heiligen Land? mäisch, eine Art hebräischer Dialekt. müde, die Schönheit seiner Braut zu Das Heilige Land ist am Ausblu- Die Sprache der römischen Besat- bewundern, und ihre tiefgründigen ten – durch eine fortschreitende Emi- zungsmacht war Latein. Die höheren Augen vergleicht er mit den Teichen gration der Christen. Viele sehen auf- Schichten sprachen auch Griechisch. von Heshbon. grund der politischen Instabilität und In diesen drei wichtigsten Sprachen Zusätzlich zu den traditionellen, der wirtschaftlichen Misere keine Zu- begegneten sich die Menschen der Arabisch sprechenden christlichen kunft mehr für ihre Kinder. Durch die frühchristlichen Zeit. Kirchen existiert heute noch die Be- Mauer, die allmählich wie ein Monster Mit dem Araberansturm und der wegung der Messianischen Juden. die ganze Westbank einschließt, ha- neuen Religion des Islam im sieb- Immer wieder kommt es vor, dass Is- ben viele Familienväter ihre Arbeit in raelis durch eine innere Eingebung Jerusalem oder in den benachbarten 1 Der Autor ist Theologe, Reiseleiter und heraus plötzlich verstehen, dass Jesus Orten verloren. Diese Menschen füh- Schriftsteller und lebt seit mehreren der seit Jahrhunderten von ihrem Volk len sich wie in einem unfreiwilligen Jahren im Heiligen Land. Der Beitrag war in drei Teilen bei der ersehnte Messias ist. Und sie erken- Ghetto eingeschlossen. Mache nennen Nachrichtenagentur ZENIT am 21., 23. nen ihn freudig als ihren Herrn und mit einer bitteren Ironie die palästi- und 24.04.2009 erschienen. Erlöser an. nensische Autonomie die Selbstver-

34 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 GESELLSCHAFT NAH UND FERN waltung ihres eigenen Gefängnisses. bestimmten Volk, in einer bestimmten Keine Almosenempfänger, sondern Die Arbeitslosigkeitsrate ist bis zu Zeitepoche und in einem bestimmten Hilfe zur Selbsthilfe 80 Prozent und mehr hoch geklettert. Land inkarniert hat. Sie bewegen sich Die Christen im Heiligen Land Viele arbeiteten in Betlehem im Be- auf seinen Spuren und werden wie die wollen keine Almosenempfänger sein. reich des Tourismus und der Pilger- Jünger Zeugen des leeren Grabes. Was sie brauchen, ist eine Hilfe zur reisen. Viele Gruppen machen jedoch Sie beginnen, mit ganz neuen Au- Selbsthilfe, indem man ihnen kräftig dort nur einen kurzen Besuch. gen die Bildreden Jesu zu verstehen, unter die Arme greift, damit sie bald Wenn eine Familie Glück hat, die ja in diesem Heiligen Land ihren auf eigenen Füßen zu stehen kom- dann ist die Mutter vielleicht noch als „Sitz im Leben“ haben. Das Evange- men. Initiativen und Fantasie haben Krankenschwester oder Lehrerin in lium ist plötzlich nicht mehr ein ver- sie genug. einer der christlichen Einrichtungen staubtes Buch aus längst verflosse- Der katholische Ortspfarrer des tätig. Der Mann aber sitzt zu Hause nen Zeiten, es wird für die Menschen 9.000 Einwohner zählenden Städt- als Arbeitsloser untätig herum. Man des 21. Jahrhunderts zu ihrer eigenen chens Beit Jala, Abuna Nidal, kommt kann sich gut vorstellen, dass eine Erfahrung. sich vor wie eine „lebendige Klage- solche Situation Spannungen in der mauer“, wenn seine Schäfchen mit Familie schafft, die nicht leicht ab- ihren täglichen Nöten und Problemen zubauen sind. zu ihm kommen. Soll er wie alle ande- Mancher verkauft seinen Grund 2. Hilfe zur Selbsthilfe und die ren ins gleiche Horn der Hoffnungs- und Boden oder den Familienschmuck, Frage nach dem friedlichen losigkeit blasen? Nein und nochmals um für die nächsten Monate oder Jahre Miteinander nein! Es muss noch einen anderen über die Runden zu kommen oder die Weg geben, diesen Stier der Resi- nötigen Mittel zur Auswanderung zu m den „lebendigen Steinen“ – gnation bei den Hörnern zu packen haben. Junge Menschen in Betlehem Uden Christen im Heiligen Land und in die Knie zu zwingen. Mit an- machen Abitur und haben noch nicht – wirklich hautnah zu begegnen, ver- deren Worten: Abuna Nidal nimmt die Jerusalem gesehen. bringen die Pilger einen halben Tag ausweglos erscheinende Situation als in einer christlichen Gemeinde, beten Herausforderung an. Dabei hegt er Was kann man von außen gegen und singen mit ihnen und tauschen eine tiefe innere Überzeugung: Es ist dieses Ausbluten tun? sich gegenseitig aus. Da kommt es oft für ihn unvorstellbar, dass nicht auch Damit sich die Christen nicht ver- zu Freundschaften und manchmal so- heute dort, in dem Land, wo das erste gessen fühlen müssen, sind heute gar zu Städtepatenschaften. Pfingstwunder geschah, der Heilige mehr denn je vor allem Solidaritäts- Auch Patenschaften auf kleinerer Geist am Werk ist. reisen gefragt. Schließlich ist ja das Ebene, beispielsweise für die Aus- Also versucht Abuna Nidal die Land der Bibel die geistliche Heimat bildung eines Kindes, sind sehr will- Antenne seiner Seele auf Empfang aller Christen. Jeder Pilger, der heu- kommen. Abuna Louis ist Pfarrer der einzustellen. Eine ganze Reihe neu- te dorthin reist, bedeutet ein sichtba- katholischen Gemeinde in Jafa di Na- er Ideen drängen sich ihm auf: Aus res Zeichen der Hoffnung. Deswegen zaret. Aber nicht nur das. Er beklei- Passivität und Hilflosigkeit soll Krea- bauen wir für unsere Gruppen, wenn det auch das Amt des Direktors der tivität erwachsen. Gerade dort, wo möglich, mindestens eine oder zwei Lateinischen Privatschule in seiner die Schwierigkeiten am größten sind; Übernachtungen in Betlehem ein. Pfarrei. Und da er ja seine Lehrer be- denn schon lange macht sich der junge Solche Solidaritätsreisen zu den solden muss, haben die Familien ein Seelsorger Gedanken um die ungün- Ursprüngen unseres Glaubens bedeu- Schulgeld zu zahlen. Obwohl manche stige Entwicklung vieler Familien. ten gleichzeitig auch für die Pilger ei- Eltern diesen jährlichen Betrag von nen großen inneren Gewinn; denn sie 550 EURO nicht aufbringen können, Zuviel zum Sterben und zu wenig, begegnen im Heiligen Land sozusagen hat Abuna Louis bis jetzt noch kein um zu leben dem Fünften Evangelium. Sie sehen Kind weggeschickt. Dabei vertraut Seit dem Mauerbau haben zahl- die gleiche Landschaft, durch die Je- er auf die „Hilfe von oben“, die sich reiche Väter in Jerusalem ihre Arbeit sus gewandert ist, sie erleben manch- nicht selten durch solche Patenschaf- verloren. Jetzt sitzen sie untätig zu mal sogar einen ähnlichen Sturm auf ten äußert. Hause herum. Das wiederum schafft dem See Genesaret, wie ihn die Jün- Da auch muslimische Kinder sei- schnell Aggressionen und Unmut in ger im kleinen Fischerboot des Petrus ne Schule besuchen, entsteht über der eigenen Umgebung. Im besten durchstehen mussten, während ihr den Kontakt mit den Schülern eine Fall kann sich der eine oder ande- Meister seelenruhig hinten im Heck Frieden stiftende Brücke zu den El- re als Gelegenheitsarbeiter auf dem weiterschlief, sie aber dann wegen tern. Falsche Vorurteile werden ab- Bau oder als Taxifahrer noch ein paar ihrer Kleingläubigkeit anschließend gebaut, man lernt sich und die Reli- Schekel verdienen. Zuviel zum Ster- tadeln musste: „Warum seid ihr so gion des anderen kennen und schät- ben, zu wenig, um zu leben. Wenn die ängstlich? Ich bin doch immer bei zen. Abuna Louis ist fest davon über- Familie Glück hat, dann bietet sich euch!“ zeigt, dass gerade die Bildung und für die Ehefrau vielleicht die Chance Die Heilig-Land-Pilger entdek- Ausbildung der Jugend der einzige als Lehrerin oder Krankenschwester ken, dass sich der Gottmensch als Schlüssel in eine bessere Zukunft in einer der christlichen Institutionen lebendige Ikone des Vaters in einem bedeuten. an. Aber wohin dann mit den Klein-

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 35 GESELLSCHAFT NAH UND FERN kindern, während die Mutter für den „Die haben ja selbst genug von die- ter den intelligenten Menschen rea- nötigen Lebensunterhalt aufkommen sem Segen im Haus.“ Also suchte der lisierbar sein? muss? gewitzte Seelsorger bei Freunden in Sind nicht Israelis und Palästi- Da kommt Abuna Nidal der zün- Frankreich eine Marktlücke für Oli- nenser, Juden, Christen und Musli- dende Gedanke: „Bei drei ledigen venöl aus Taybeh. Und tatsächlich, me alle Kinder des gleichen Schöp- Schwestern, die gut mit Babys um- was anfänglich keiner für möglich fers, Nachkommen des gleichen Va- gehen können, richten wir eine Kin- gehalten hätte, funktioniert heute ta- ters Abraham? Sollten nicht Juden derkrippe ein!“ Das Drei-Mädelhaus dellos. Sogar die Europäische Ge- und Palästinenser gemeinsam ver- nimmt den Vorschlag begeistert auf. meinschaft macht mit. Sie lässt die stehen, dass sie beide zum Heiligen Und damit könnte allen geholfen wer- Ware steuerfrei über die französische Land gehören, dass dieses Land nicht den. Aber woher das Geld nehmen, Grenze. nur einem Volk allein gehört? Sie um den Raum kindgerecht zu gestal- Aber auch die Mütter in Taybeh sind Blutsbrüder und verehren den- ten? Eine Pilgergruppe aus Speyer wollten ihren Beitrag leisten. Ihrer selben Gott. Deshalb sind sie gerade- erfährt von Abuna Nidals Anliegen. Spezialität ist Kuskus. Inzwischen zu verpflichtet, im Geiste Abrahams Bald sind ein paar Tausend Euro ge- sind auch ihre Produkte schön ver- zu handeln. sammelt als Hilfe zur Selbsthilfe. Das packt in den französischen Super- Ein sprechendes Beispiel dafür ist ist für alle Beteiligten sehr wichtig: märkten zu finden. der Abrahamsbrunnen in Beersheba. nicht als Almosen für bettelnde palä- Abuna Raed weiß: Wenn die das Im Buch Genesis im 21. Kapitel lesen stinensische Christen. Der Abuna legt Ausbluten der Christen in meiner wir, dass die Knechte des Abimelech darauf größten Wert: „Unsere Würde Gemeinde durch die fortschreitende Abraham den Brunnen weggenommen geht uns über alles! Eure Investition Emigration stoppen will, dann muss hatten, den er dort gegraben hatte. Ob- soll uns nur helfen, auf eigenen Bei- ich meinen Leuten Arbeitsplätze ver- wohl die beiden Stammeshäupter sich nen zu stehen.“ schaffen. Warum nicht durch die Her- kurz vorher gegenseitig versprochen Der Heilige Geist hat gezündet. stellung von Friedenslampen mit ei- hatten, weder sich noch ihre Nach- Und schon ist der Pastor dabei, die nem passenden Friedensgebet dazu? fahren zu hintergehen. Nun stellte nächste Inspiration zu realisieren. Das war das Stichwort, das ihm ei- Abraham Amimelech zur Rede. Der „Unsere Großmütter könnten Rosen- nes Tages wie ein erleuchtender Blitz aber ist völlig ahnungslos hinsicht- kränze knüpfen und bei jeder Perle durch den Kopf ging. Heute sind rund lich des begangenen Unrechts. So ein Ave Maria mit hineinverknoten. 30 junge Familien bei der Herstellung schlossen sie erneut einen Friedens- Und wenn viele so handeln, dann der Friedenslampen beschäftigt. Mit pakt und besiegelten ihn mit der Op- kann am Ende selbst der Himmel diesen Lampen möchte Abu Raed alle ferung von sieben Lämmern in dem nicht mehr widerstehen und muss Kirchen der Welt erreichen. Und er Bewusstsein, dass genug Wasser für uns den ersehnten Frieden schen- ist fest davon überzeugt: „Wenn alle beide Gruppen vorhanden ist. Das ist ken“, denkt der Abuna in seinem Christen auf dem Erdball diese Lam- eine Geschichte, die heute nichts an unverschämten Gottvertrauen. Schon pe anzünden und gleichzeitig mit dem Aktualität eingebüßt hat. Führt man spinnt er seine Gedanken weiter: „An- Friedensgebet Gott bestürmen, dann nicht auch heute im Mittleren Osten dere Frauen sind geschickt im Stik- kann selbst der Himmel nicht wider- Kriege um das Wasser, das „flüssi- ken. Bald werden wir den Touristen stehen, uns den ersehnten Frieden zu ge Gold“? Und ist nicht auch heute ein buntes Sortiment origineller Ge- schenken.“ Wasser genug für alle da, wenn jeder schenkartikel, bunt bestickte Sofakis- sparsam damit umgeht? sen, Kleider, Blusen, Festtagskleider Besteht Hoffnung auf ein friedliches Das Gleiche gilt auch für das präsentieren.“ Für das Startkapital Miteinander? Land. Hatte nicht Abraham in Gen zum Einkauf des Rohmaterials grei- Wenn die Bibel doch recht hat, 13,9 zu Lot gesagt: „Gehst du zur fen Abuna Nidal nochmals Heilig- dann ist die Friedensvision des Pro- Rechten, dann gehe ich zur Linken. Land-Pilger unter die Arme. Der er- pheten Jesaia auch keine Utopie: Wo Oder gehst du zur Linken, dann gehe loschene Funke der Hoffnung beginnt der Wolf und das Lamm friedlich bei- ich zur Rechten.“ Was wir heute in erneut im Aschenhaufen enttäuschter einander liegen und wo das Kind un- diesem Land brauchen, sind Men- Erwartungen zu glimmen. beschadet am Schlupfloch der Natter schen mit einer Wir-Mentalität. Nur Abuna Raed, der Lateinische spielt. Das so etwas tatsächlich in der gemeinsam lässt sich dieses kleine Pfarrer von Taybeh, dem Ephraim der Natur möglich ist, lasen wir kürzlich Stück Erde in ein Paradies verwan- Bibel, erlebte eine Olivenölschwem- in einer Zeitungsnotiz. Da wollte man deln, an dem alle teilhaben können. me, als man ihm als Schulgeld für die in einem Naturpark in Albanien ei- Kinder an seiner katholischen Privat- nem ausgehungerten Wolf einen jun- schule statt Banknoten Ölkanister ins gen, lebendigen Esel zum Fraß vor- Haus brachte; denn der Ort ist reich werfen. Doch was keiner für möglich 3. Worin heute ihre große gesegnet mit Tausenden von Oliven- hielt: Esel und Wolf freunden sich an Herausforderung besteht bäumen, der Lebensader der Bevöl- und leben nun gemeinsam im glei- Es scheint geradezu paradox: Die- kerung. „Ich kann doch nicht mit dem chen Gehege. Und wenn das unter ses Land, in dem die Versöhnung zwi- Öl meine Lehrer bezahlen“, drängte instinktabhängigen Tieren möglich schen Gott und dem Menschen statt- sich Abuna Raed der Gedanke auf. ist, warum sollte das nicht auch un- fand und von dem aus der ganzen Welt

36 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 GESELLSCHAFT NAH UND FERN die Versöhnung geschenkt wurde, hat gener Erfahrung kennt: im Schicksal weg. Auf der kilometerlangen Men- bis heute die eigene Aussöhnung noch des Abgewiesenseins und des Flücht- schenschlange liegt die Aura einer nicht gefunden. Und doch: Auch wenn lings nach Ägypten. geradezu pfingstlichen Freude. Nie- die Christen eine verschwindende Basem, der Autoelektriker und mand kann sich ihr entziehen. Eine Minderheit darstellen, sollen sie ge- Sammler von Oldies, stellt natürlich strahlende Mutter führt ihre fünfjähri- rade deshalb „Salz der Erde“ sein – seinen schönsten Wagen aus den 50er ge Tochter im blauen Kleidchen einer erst recht in jenem Land, in dem die- Jahren, den er eigentlich nur als Hoch- „Maria-Bambina“ an der Hand. Ein se Worte das erste Mal in die Herzen zeitsauto für ganz spezielle Freunde Ehepaar hält die bunten Papphände gesät wurde. herausrückt, der „Madonna“ zur Ver- wie himmlische Schattenspender über Christsein im Heiligen Land be- fügung. Dann ist es soweit: Langsam den Kinderwagen. Ein kleiner Drei- deutet eine Berufung zu einem schwie- trudeln die Menschen im Hof der Sale- käsehoch ist auf den Schultern seines rigen Leben. Aber hatten es die ersten siananer ein. Immer mehr junge Leute Vaters eingeschlafen. Doch im Traum Christen leichter? Da die biblischen füllen den Platz. Aber nicht nur die klammert er sich noch an die große Stätten und Heiligtümer nicht zu Mu- Jugend ist dabei. Auch die jung Ge- blaue Papp-Hand, als wolle er sich seen werden dürfen, wird es immer bliebenen zeigen ihre Solidarität mit an der Hand des himmlischen Vaters eine lebendige christliche Gemein- der neuen Generation. Kennt doch festhalten. Junge Männer scheuen schaft an diesen Orten geben, auch die Begeisterungsfähigkeit kein Al- sich nicht, offen den Rosenkranz zu wenn die Statistiken uns ein anderes ter – ebenso wenig wie die Liebe, die tragen, obwohl Zaungäste sie neugie- belehren wollen. Gibt es Anzeichen Güte und die Menschenfreundlich- rig beäugen. Die Prozession wird zu dafür? Ja! keit. Solche Eigenschaften gehören einer Manifestation des bewussten Ja zur ewigen Jugend. eines Lebens aus dem Geist Gottes. Stopp der Resignation Die Studenten aus dem Priester- Ein Verkehrsstoppschild mit ei- Durch die Mauer-Einschließung seminar in Beit Jala verteilen an alle ner Hand darauf zeigt an, dass sich werden Pfarreien geradezu heraus- Anwesende eine überdimensionale die Menschenschlange von dem Sei- gefordert, zu geistlichen Oasen zu Hand aus buntem Karton. Gilt doch tenweg auf die Hauptstraße von Beit werden. Viele entdecken ganz neu gerade die Hand im Orient als Zeichen Jala zubewegt. Es ist, als würde dieses den großen Wert der eucharistischen für die segnende Hand Gottes. Hier Schild heute eine total andere Bedeu- Anbetung und dadurch den Heiligen will sie Symbol für die offene Hand tung gewinnen: Stopp der Resigna- Geist mit seinen Gaben der Hoffnung, des Heiligen Geistes mit seinen viel- tion! Stopp der Mutlosigkeit! Stopp! der Liebe und der Versöhnung. fältigen Gaben sein. Der Heilige Geist hat auch heute noch Familien erfahren sich wie in der Die Sonne wirft ihre letzten, mat- Überraschungen auf Lager! Urkirche als „domus ecclesia“, als ten Strahlen durch die Zweige der Und noch etwas erweist sich an Hauskirche. Allein im Monat Mai be- Pinienbäume. Der Hügel von Cre- diesem Nachmittag mit vollkommen suchte Abuna Nidal 120 Familien und misan ist wie in ein goldenes Licht anderen Vorzeichen: Der fließende betete mit ihnen den Rosenkranz. getaucht. In diesem Moment erreicht Verkehr, der selbstverständlich die „Hätte der Heilige Geist nicht ein blank poliertes „Schnauferl“ aus Vorfahrt hätte, ist durch die jubeln- auch ein Sonderangebot für unse- dem Baujahr 1953 den von Menschen den, von Geist erfüllten Menschen re Jugend?“, fragt sich der Pfarrer übersäten Platz. Auf dem mit Blumen gestoppt: Busse, Taxis, Lastautos ... während der Vorbereitungen auf das geschmücktem Autodach steht die Aus dem Fenster eines Jeeps mit der Pfingstfest. „Na klar doch! Durch ein Fatima- Madonna, das sichtbare Zei- gelben Jerusalem-Nummer wandern ‚Pfingsten der Jugend‘“ eingebunden chen für die Hauptperson an diesem verwunderte Blicke zu dieser Lobes- in eine Prozession von dem drei Kilo- pfingstlichen Ereignis 2007. So wie hymnen singenden Jugend. Seltsam! meter entfernten Salesiananer-Kloster sich damals im Jahre 33 die Apostel Was mag der Grund dafür sein? Cremisan bis nach Beit Jala. Das soll im einmütigen Gebet um die Mutter Die Prozession erreicht im Hof eine Manifestation der Freude und ihres Herrn geschart hatte, so scharen des Priesterseminars ihren Zielpunkt. des Glaubens werden! Aus der Über- sich heute ihre Kinder um sie, wäh- Der Bischof tritt ans Mikrofon. Mit zeugung heraus, dass das eigentliche rend die Prozession sich langsam in sprühendem Geist in seinen eindring- Paradies in uns und unter uns beginnt. Bewegung setzt, allen voran der Bi- lichen Worten erinnert er die Jugend Ganz gleich, in welcher Situation wir schof von Nazareth und neben ihm an ihre Würde und große Verantwor- uns befinden. Abuna Nidal kann den Abuna Nidal und zwei Franziskaner tung: „Ihr seid das Erbe der Apo- Bischof von Nazareth, Monsignore von der Geburtsbasilika. stel im Land der Bibel! Dieses Ver- Boulos Marcuzzo, für das Vorhaben Zweimal hält die Prozession für mächtnis sollt ihr weitergeben – durch gewinnen. Gleichzeitig weiß er, welch eine kurzen Statio: Meditation über euer Glaubenszeugnis im Alltagsle- große Liebe die Christen seiner Ge- Gebet und Glaube, Sendung und ben. Jesus hält auch heute sein Ver- meinde mit Maria, der Mutter Jesu, Zeugnis. Der glorreiche Rosenkranz sprechen. Er lässt uns nicht als Wai- verbindet. Gerade in diesen schweren wird von jungen Frauen und Männern sen zurück. Auch uns hat er seinen Zeiten. Ist sie ihnen nicht nur Mutter, intoniert, dazwischen Marienlieder. Geist gesandt. Dieser Geist trägt euch zu der sie jederzeit kommen dürfen? Beim „Ave, Ave, Ave Maria“, dem durch alle Dunkelheiten und Wirrnis- Sie erweist sich auch als Vorbild in Refrain des Lourdesliedes, schwingen se hindurch. Dieser sein Geist macht all ihren Nöten, die auch sie aus ei- die Symbolhände über die Köpfe hin- euch frei von allen inneren und äuße-

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 37 GESELLSCHAFT NAH UND FERN ren Zwängen, frei von allen unguten Und dieses Land ist das Land unserer seiner Heilig-Land-Pilgerreise im Geistern der Ichverkrampfung, des Väter. Deshalb gehört es uns. Jahre 1964 auf dem Berg der Se- Selbstmitleids, des Hasses, der Hoff- Die Christen werden sich hüten, ligpreisungen: nungslosigkeit oder der Flucht in die irgendeine Gruppe einseitig zu verur- – „Selig sind wir, wenn wir uns von Droge. Lebt nach dem Geist! Gebt ihm teilen: Es geht letztlich nicht um Pro- der Gewalt der Gewaltlosen for- Raum in eurem Leben! Und er wird Juden oder Pro-Palästinenser, son- men lassen, wenn wir die todbrin- durch euch handeln – als Friedens- dern um Pro-Jesus mit seinem großen gende Macht des Hasses und der stifter, als Erbauer einer neuen Ge- Herzen für alle, indem sie in einer oft Rache zurückweisen, wenn wir sellschaft nach dem Gebot der Liebe hoffnungslos erscheinenden Situation Großmut des Verzeihens aufbrin- und der Versöhnung.“ Hoffnung zu säen versuchen. gen, wenn wir gerechte Arbeits- Gleichzeitig kleben die Christen bedingungen schaffen, wenn wie Brückenbauer zwischen den Völkern nicht so ausschließlich im Sinne ei- danach streben, Friede und Güte Einerseits haben die Christen ihre ner Blut- und Bodentheologie an der zu verbreiten. religiösen Wurzeln im Judentum: Mit Erdscholle, denn sie leben aus dem – Selig sind wir, wenn wir es vorzie- den Juden verbindet sie das Alte Te- Bewusstsein, dass das Reich Gottes hen, unterdrückt zu werden, als stament. Während diese auf das Kom- letztlich nicht von dieser Welt ist, selbst andere zu unterdrücken, men des Messias warten, der ein Frie- wenngleich es darum geht, diese Welt wenn wir Hunger haben nach Ge- densreich errichten wird, harren die im Geist der Bergpredigt umzugestal- rechtigkeit und einem ständigen Christen auf die Wiederkunft Jesu in ten. Wobei die Seligpreisungen nicht Fortschritt in der Menschheit. seiner sichtbaren Herrlichkeit. Inzwi- als Belohnung, sondern als Bedingun- – Selig sind wir, wenn wir in die- schen leben sie in der zweiten An- gen aufzufassen sind: ser Zeit und über die Zeit hinaus kunft durch seinen Heiligen Geist. Wenn du Kind Gottes genannt immer wieder neu bereit sind, Und dieser Geist ist der Gleiche, der werden willst, dann musst du dich als für unsere Brüder zu arbeiten, zu auch die Propheten mit seiner Kraft Friedensaktivist bewähren. kämpfen, zu leiden und zu dienen, und Weisheit erfüllt hat. – Wenn du das Land besitzen willst, denn dann werden wir in Ewig- Andererseits verbindet die Chri- dann musst du sanftmütig sein. keit nicht enttäuscht sein, son- sten im Heiligen Land mit den Mus- – Wenn du Barmherzigkeit erwar- dern dem ähnlich werden, der zur limen ihre gemeinsame Sprachen und test, dann musst du selbst barm- gleichen Zeit Stärke und Milde Kultur. Oft sind Juden und Muslime herzig sein. besaß, unserem göttliche Meister, sehr exklusiv in ihren Ansichten: Das – Keiner hat das wohl treffender Jesus Christus selbst.“ ❏ ist unser von Gott verheißenes Land. akzentuiert als Paul VI. während

Kurz berichtet Schwach gerüstet

ür Friedenstruppen war 2008 danesischen Krisenprovinz Darfur Friedensmissionen durch den UN- Fkein gutes Jahr. Vor allem die lässt den Einsatz von 26.000 Frie- Sicherheitsrat. Dieser beschäftige Blauhelme der Vereinten Nationen, denssoldaten und Polizisten zu, doch sich mehr mit dem Atomprogramm aber auch andere Friedensmissi- waren Ende 2008 nur 15.000 Mann in Nordkorea oder den anti-israeli- onen litten darunter, dass immer im Einsatz. In Somalia, wo seit 2007 schen Äußerungen des iranischen weniger Staaten bereit sind, Trup- eine Friedenstruppe der Afrikani- Staatspräsidenten als mit den Re- pen oder Ausrüstung für militärisch schen Union steht, sollten 8.000 gionen, „in denen man selbst die riskante Einsätze zu stellen. Das internationale Soldaten stationiert Friedenstruppen stationiert hat“. geht aus dem „Annual Review of sein, tatsächlich waren es Ende Nötig seien auch Reformen bei der Global Peace Operations“ hervor, 2008 nur 2.650. Die UNO überneh- Entsendung der UN-Soldaten: Im den das New Yorker Center on In- me sich zunehmend im Blick auf Kongo habe es Monate gedauert, ternational Cooperation (CIC) und die Zahl möglicher Friedenstrup- bis die gecharterten Transportflug- die Deutsche Gesellschaft für die pen, so CIC-Direktor Bruce Jones. zeuge für die Friedenstruppen ein- Vereinten Nationen Ende April in Weltweit seien 120.000 Blauhelme satzbereit waren. Schon die Aus- Berlin vorstellten. im Einsatz gewesen. Damit nähere schreibungsmodalitäten der UNO Vor allem in Afrika fehlt es den sich die Staatengemeinschaft ihrer seien ein langwieriger bürokrati- Friedenstruppen an Personal: Das Kapazitätsgrenze. scher Prozess, der jedes flexible gemeinsame Mandat von UN und Jones beklagte auch die po- Handeln unmöglich mache. Afrikanischer Union in der westsu- litische Vernachlässigung vieler (KNA-ID 18)

38 AUFTRAGAUFTRAG27 2744 • JJUNIUNI 2009 9 GESELLSCHAFT NAH UND FERN

Folgen eines Krieges Deutsche humanitäre Hilfe für irakische Flüchtlinge in Jordanien

VON KLAUS LIEBETANZ

m folgenden Beitrag beabsichtigt Major a.D. Klaus Liebetanz (Mitglied des Sachausschusses „Sicherheit und Frieden“ der Gemeinschaft Katholischer Soldaten (GKS) und Prüfer für Projekte der deutschen humanitären Hilfe Iim Ausland) die Aufmerksamkeit nicht nur der Öffentlichkeit und der verantwortlichen Politiker auf die zivilen Folgen von Militäreinsätzen zu richten, sondern auch die Soldaten über solche Auswirkungen zu informieren. Das Schaffen von Sicherheit allein als Abwesenheit von Krieg genügt nicht, es müssen stabile Verhältnisse in ei- ner betroffenen Region durch die dort lebende Bevölkerung geschaffen werden, um solche geschilderten Flücht- lingsschicksale zu vermeiden. Es gilt mit einem umfassenden Ansatz Krisen- oder Kriegsregionen zu befrieden.

Zur Situation der irakischen Flüchtlinge Deutsche humanitäre Hilfe Shehadeh, ein Assistent und eine Se- in Jordanien für die irakischen Flüchtlinge kretärin. Nabil Shehadeh war jahr- Die Situation der irakischen Der Arbeitsstab Humanitäre Hil- zehntelang erfolgreicher Kaufmann Flüchtlinge in Jordanien stellt sich fe des Auswärtigen Amtes unterstützt und war 17 Jahre Ältester bei der dem Prüfer nach einem Besuch finanziell einige deutsche Hilfsor- „AoG“. Vor sechs Jahren wurde er beim UNHCR am 20.04.2009 wie ganisationen bei der Verteilung von von den o.a. Denominationen zum Pro- folgt dar: Der UNHCR (UN-Flücht- Nahrungsmitteln an besonders be- grammmleiter gewählt. Seine lange lingskommissar) hat ca. 52.000 ira- dürftige Flüchtlingsfamilien in Jor- Erfahrung als Kaufmann hilft ihm bei kische Flüchtlinge in Jordanien re- danien. Eine dieser Organisationen der Beschaffung und Durchführung gistriert. Im Rahmen des „Benefici- ist die evangelikale Hilfsorganisation von Rehabilitationsprojekten. Dies aries Information System“ (BIS), in NEHEMIA, die seit dem ersten Golf- machte sich u. a. bei der Beschaffung dem die Nichtregierungsorganisatio- krieg (1991) irakische Flüchtlinge un- der Nahrungsmittelpakete bemerkbar. nen (NGO) und Internationale Orga- terstützt. Nehemia ist der Prophet, der Sowohl JECRaD als auch eine andere nisationen (IO) namentlich die Emp- nach Rückkehr des jüdischen Rest- Hilfsorganisation hatten monatliche fänger von Hilfsleistungen melden, volkes aus der babylonischen Gefan- Nahrungsmittelpakete im Wert von wurde festgestellt, dass die Zahl der genschaft, die Mauern von Jerusalem 35 Euro im Projekt. Während sich die irakischen Flüchtlinge bei 72.003 wieder aufbaute. anderen Organisationen im wesentli- Personen liegt. Die Dunkelziffer der chen auf Linsen, Weizen und Bohnen irakischen Flüchtlinge in Jordani- JECRAD, eine vorbildliche beschränkten, konnte JECRaD auch en wird jedoch wesentlich höher ge- lokale Hilfsorganisation hochwertige Proteinnahrung wie Ge- schätzt, weil viele Iraker in Jorda- Die Partnerorganisation von flügelfleisch, Corned Beef, Thunfisch nien – nach Angaben des UNHCR NEHEMIA in der Hilfe für irakische und vor allem Milchpulver anbieten. völlig zu Unrecht – fürchten, bei ei- Flüchtlinge in Jordanien ist JECRaD Außerdem trifft Nabil Shehadeh auf- ner Registrierung schneller ausge- (The Jordanian Evangelical Commit- grund seiner langjährigen Irakerfah- wiesen zu werden. Die jordanische tee for Relief and Development). Das rung besser die Essgewohnheiten der Regierung schätzte 2008 die Zahl der „Jordanian Evangelical Committee“ irakischen Flüchtlinge. Von diesen irakischen Flüchtlinge in Jordanien ist der Zusammenschluss von fünf wird er mit Abba Nabil (Vater Nabil) auf 450.000 Personen. World Visi- folgenden evangelikalen Denomina- angesprochen und genießt großes Ver- on schätzt 400.000 und die deutsche tionen in Jordanien: Baptisten, Freie trauen unter den Irakern. Botschaft in Amman geht von 300.000 Evangelische Kirche, die „Allianz“, JECRaD und NEHEMIA stüt- Personen aus. Nach Angaben des Nathzarin Church und die „Assem- zen sich auf eine Vielzahl von gering UNHCR gibt es monatlich im Durch- bly of God Church“ (AoG). Diese fünf vergüteten Helfern (Verpackung und schnitt ca. 300 Rückkehrer in den Gruppierungen unterhalten 55 Ge- Transport) ab. Darüber hinaus betreibt Irak. Die Zahl der Übersiedler in an- meindezentren in Jordanien. JECRaD Nabil Shehadeh ein Netzwerk von dere Länder (USA, EU und Australi- wurde 1991 anlässlich der Flücht- „Focal Points“ (ehemalige irakische en) betrug in der Zeit vom 01.01.2008 lingsströme aus dem Irak infolge des Flüchtlinge) in verschiedenen Bezir- bis 01.04.2009 7.986 Personen. Die 1. Golfkrieges gegründet. Es betreibt ken von Amman und hält so die Lis- deutsche Aufnahme von irakischen heute Projekte im Irak, Libanon und te der Bedürftigen auf dem neuesten Flüchtlingen (2.500 Personen) hat Jordanien (Rehabilitation von zer- Stand. Die deutsche Botschaft in Am- gerade begonnen. Das Problem der störten sozialen Einrichtungen) und man bestätigt aus eigener Anschauung irakischen Flüchtlinge wird Jordani- hat einen Büroraum im Gebäude der dieses gut funktionierende Netzwerk en noch viele Jahre beschäftigen. In gemeinsamen kirchlichen Organisa- für die Erhebungen. Die von JECRaD den Nachbarländern Syrien und Liba- tion „Jordanian Evangelical Commit- unterstützten irakischen Flüchtlinge non halten sich 600.000 bzw. 400.000 tee“ gemietet. Zum Stab von JECRaD sind überwiegend Moslems (Sunniten irakische Flüchtlinge auf. gehört der Programm Manager Nabil und Schiiten). Unter den unterstützten

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 39 GESELLSCHAFT NAH UND FERN

Christen (Chaldäer, mit Rom uniert, UNHCR. Die Miete beträgt 100 JD. nach Jordanien fliehen konnte. Dort assyrische Orthodoxe, Katholiken) Khalid bemüht sich um Gelegenheits- lebte sie mit ihren Kindern zwei Jahre gibt es nur wenige Evangelikale. Als arbeiten. Im letzten Monat musste die in einem kleinen Raum neben einer Sonderform gibt es noch die „Nachfol- Familie einen Schrank verkaufen, um Bäckerei. Tagsüber hielten sich Rat- ger des Täufern Johannes“, eine „Mi- die Miete zu bezahlen. Die Familie ten in ihrer Behausung auf, die nachts schung“ aus christlichen und musli- ist dringend auf Nahrungsmittelhilfe in die Bäckerei wechselten. JECRaD mischen Glauben. angewiesen. besorgte ihr eine kleine, bessere Woh- nung und gebrauchte Möbel. Miriam Schicksale der Flüchtlingsfamilien Besuch bei Familie G. ist ausgebildete Kauffrau und Ein Schwerpunkt der Prüftätig- Mostafa R. Ghelan verrichtet gelegentlich Putzarbeiten keit ist stets das Gespräch mit den Mostafa besitzt Frau und drei Kin- gegen geringes Entgelt. Zurzeit prüft Betroffenen. Im Folgenden sollen ei- der und hat im Irak als Goldschmied die deutsche Botschaft in Verbindung nige Schicksale aufgeführt werden. gearbeitet. Er gehört zu den „Nach- mit dem UNHCR eine Übersiedelung Die Namen der Familien sind aus Si- folgern von Johannes dem Täufer“. nach Deutschland. Bis dahin ist sie cherheitsgründen geändert. Sie wurden nördlich von Basra von noch weiter auf Nahrungsmittelhilfe den Schiiten vertrieben und flohen angewiesen. Besuch bei Familie nach Bagdad. Dort wurde sein sie- Hamed K. Khalid benjähriger Sohn gekidnappt. Um sei- Besuch bei der Familie von Die zehnköpfige Familie besteht aus nen Sohn auszulösen, musste er sein Frau Fatima R. Ali Großeltern, Eltern und sechs Kindern. Goldschmiedewerkzeug, sein Haus Fatima R. hat drei Kinder, zwei Jun- Hamed K. war Flugzeugtechniker und und den Restschmuck verkaufen. Er gen mit 10 und 8 Jahren und ein Mäd- seine Frau Lehrerin mit Hochschul- floh mit seiner Familie nach Jordani- chen mit 7 Jahren. Sie lebte mit ih- abschluss. Sie lebten bis 2006 in Fa- en. In Amman bewohnt er mit seiner rem Mann und den Kindern in Bag- ludscha (Irak). Sie sind Schiiten und Familie eine kleine Wohnung, für die dad. Noch vor dem Sturz Sadams tra- wurden von den dort lebenden Sunni- er 80 JD zahlen muss. Vom UNHCR ten der Mann und später auch sie ten vertrieben. Hameds Bruder wurde erhält er 140 JD Unterstützung. Von zum christlichen Glauben über. Die von sunnitischen Milizen erschossen. einer Schuhfabrik erhält er gelegent- Verwandten ihres Mannes unternah- Die Großfamilie erhält vom UNHCR lich Schuhe zur Endbearbeitung, um men alles, um ihren Mann zu einer 180 Jordanische Dinare (1 JD = 1,10 ein kleines Zubrot zu verdienen. Die Rückkehr zum Islam zu bewegen und Euro), davon müssen allein 140 JD Familie will unter keinen Umständen drohten ihm schließlich mit der Tö- für die Miete bezahlt werden. Hamed wieder in dem Irak zurückkehren. tung. Sie sagten, ihr Mann brächte darf als registrierter Flüchtling keine Seinem anwesenden Bruder hatten Schande über die gesamte Großfami- reguläre Arbeit aufnehmen. Er un- die Schiiten ins Bein geschossen. Die lie. Eines Tages wurde ihr Ehemann terstützt mit Hilfe seines 13-jährigen Schussverletzung ist heute noch zu von einem Verwandten tödlich ange- Sohnes die Familie mit Gelegenheits- erkennen. Die Familie ist weiter auf schossen. Er starb im Krankenhaus. arbeit. Ihr Verdienst ist sehr gering. Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Als die Frau aus dem Krankenhaus Ohne die monatliche Nahrungsmittel- mit ihren Kindern in die Wohnung unterstützung von JECRaD käme die Besuch bei der Familie von zurückkehrte, war die Inneneinrich- Familie nicht durch. Nach Aussage Frau Miriam G. Mostafa tung durch die Verwandten zerstört der Frau sind die letzten fünf Tage Miriam G. lebt allein mit ihren bei- worden. Noch vor dem Tod ihres Man- vor der Nahrungsmittelausgabe sehr den Kindern, ein Junge mit 16 Jahren nes waren die Amerikaner in den Irak hart. Oft weiß sie nicht, was sie den und ein Mädchen mit 14 Jahren. Sie einmarschiert. Fatima hatte für einige sechs Kindern vorsetzen kann. Fami- gehören zu den „Nachfolgern von Jo- amerikanische Soldaten in der Nähe lie Ghelan gehört zu den wenigen ira- hannes dem Täufer“. Ihr Mann wurde ihrer Wohnung Essen gekocht. Sie kischen Flüchtlingen, die in den Irak nach dem Einmarsch der Amerikaner ging nach der Zerstörung ihrer Woh- zurückkehren wollen, wenn es die Si- 2003 von muslimischen Extremisten nung zum Kompaniechef der ameri- cherheitslage zulässt. aufgesucht und dazu überredet, an kanischen Einheit und erzählte ihre einem „Ausbildungslager“ teilzuneh- Geschichte. Dieser brachte sie und Besuch bei Familie men. Er kam ziemlich verändert wie- ihre Kinder in die „Grüne Zone“ von Ali M. Hussein der und trug einen Vollbart. Sie wei- Bagdad, wo sie über zwei Jahre lebte Die Familie hat fünf Kinder. Sie sind gerte sich, ihrem Mann mit den bei- und für die Amerikaner als Putzhilfe arabische Moslems aus Mosul, die von den Kindern zu folgen und floh nach arbeitete. Eines Tages wurde sie von Sadam im Kurdengebiet angesiedelt Bagdad zu ihren Eltern und Schwie- ihren Verwandten aufgelauert, als sie wurden. Sie wurden nach dem Sturz gereltern. Der Mann folgte ihr und die „Grüne Zone“ verließ und wurde von Sadam durch kurdische Sunni- verlangte die Herausgabe der Kinder. schwer verletzt. Die Amerikaner rie- ten vertrieben. Zuvor hatte man ei- Des Weiteren nahm er die Pässe der ten ihr nun, den Irak zu verlassen. nen Sohn gekidnappt, um der Auf- Kinder, um eine Flucht aus dem Irak JECRaD besorgte ihr und den drei forderung zum Verlassen von Mosul zu verhindern und drohte, sie zu töten. Kindern eine kleine Wohnung. Sie Nachdruck zu verleihen. Die Familie Ihr Schwager besorgte ihr gefälschte spricht mittlerweile gut Englisch. In erhält 140 JD als Unterstützung vom Papiere für die Kinder, so dass sie Zusammenarbeit mit dem UNHCR

40 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 GESELLSCHAFT NAH UND FERN prüft die amerikanische Botschaft Aus dem Vatikan eine Übersiedlung in die Vereinigten Staaten. Bis zur Übersiedlung ist die n jüngster Zeit sah sich der Vatikan wegen seines innerkirchlichen Kri- Familie noch auf Nahrungsmittelhil- senmanagements oft harter Kritik ausgesetzt. Das Krisenmanagement fe angewiesen. Inach der Erdbebenkatastrophe in den Abruzzen aber findet in Italien eine positive Resonanz. Mit Wort und Tat auf allen Ebenen haben Papst Schlussfolgerungen für die humanitäre Hilfe und Vatikan im April viele Sympathien im Land (zurück-)gewonnen. Und und für die Entwicklungszusammenarbeit gerade mit sehr einfachen Gesten (z.B. seinem Besuch in d‘Aquila am 28. Die Anzahl von Familien iraki- April) hat Benedikt XVI. das oft beförderte Image vom volksfernen Profes- scher Flüchtlinge in Jordanien, die soren-Papst im Apostolischen Palast korrigiert. dringend auf Nahrungsmittelhilfe an- Das Erdbeben in den Abruzzen zu Beginn der Karwoche, nach den gewiesen sind, ist immer noch be- Opferzahlen das schwerste in Italien seit 30 Jahren, wurde auch zur pasto- trächtlich. JECRaD ist aufgrund sei- ralen und karitativen Herausforderung für die Kirche. Nach jüngster Zäh- nes sehr erfahrenen Netzwerkes in be- lung kamen bei dem Beben am 6. April 294 Menschen ums Leben. sonderer Weise geeignet, die wirklich Mit acht ihrer 26 Feuerwehrmänner beteiligte sich die vatikanische Bedürftigen zu identifizieren und zu Brandwache an den Rettungsarbeiten im Erdbebengebiet in Mittelitali- unterstützen, was auch von der deut- en. Der Sicherheitschef des Vatikanstaats, Domenico Giani, hatte noch in schen Botschaft bestätigt wird. Ein völliger Abbruch der Nahrungsmit- der Nacht unmittelbar nach den verheerenden Erdstößen den Einsatz mit telhilfe würde besonders Haushalte den zuständigen Stellen in der Kurie abgestimmt. Nachstehend ein bei mit allein erziehenden Frauen und ZENIT erschienener Artikel von Ulrich Nehrsinger über die „Feuerwehr kinderreiche Familien in eine erheb- der Päpste“. (PS) liche Notlage bringen. Aufgrund der traumatischen Er- fahrung vieler Flüchtlinge wird die Masse dieses Personenkreises in Jor- danien bleiben. Die hohe Anzahl der Die Feuerwehr der Päpste Flüchtlinge aus dem Irak stellt für das VON ULRICH NERSINGER gastfreundliche Königreich Jordani- en eine große Belastung dar. Es wird daher empfohlen, dass die deutsche as schwere Erdbeben in Mittelita- der eher symbolisch ist – gemessen Botschaft Amman in Zusammenar- Dlien – in L’Aquila und Umgebung am Ausmaß der Katastrophe und der beit mit dem Bundesministerium für – hat viele Opfer gefordert, Verletzte Zahl der Helfer des Zivilschutzes – wirtschaftliche Zusammenarbeit und und Tote. Tausende von Menschen wir wollen in dieser großen Not da Entwicklung (BMZ) prüft, ein größe- haben ihr Hab und Gut verloren. Die sein und unsere Hilfe anbieten. Das res Berufsbildungsprogramm aufzu- Zahl der Obdachlosen nimmt ein er- ist auch eine moralische Unterstüt- legen, dass mindestens zu 50 % den schreckendes Ausmaß an. Bemer- zung für die Menschen die leiden – irakischen Flüchtlingen in Jordanien kenswert jedoch ist die Hilfe, die im Namen des Papstes“. offen steht. Damit könnte Deutsch- den Erdbebenopfern aus ganz Italien Die Feuerwehrleute des Heiligen land einen wichtigen und nachhal- zu Teil wird. Unter den vielen Hel- Vaters leisten ihren Dienst in der Ort- tigen Beitrag zur Lösung des iraki- fern, die seit Montag in den Abruz- schaft Onna, die durch das Erdbeben schen Flüchtlingsproblems in Jorda- zen im Einsatz sind, befinden sich fast zur Gänze von der Landkarte ge- nien leisten. ❏ auch Mitglieder der vatikanischen löscht wurde. Paolo De Angelis, Kom- Feuerwehr. mandant der vatikanischen Feuer- Der Kommandant der vatikani- wehr, berichtete aus Onna: „Die Lage schen Gendarmerie, Dr. Domenico ist katastrophal. Der Ort ist zerstört, Giani, der in der Vatikanstadt für die allein hier haben die Hilfskräfte 40 Sicherheitsdienste und den Zivil- Leichen aus den Trümmern gebor- Redaktionsschluss schutz verantwortlich zeichnet, sag- gen. Wir arbeiten mit den italieni- te gegenüber Radio Vatikan: „Noch schen Feuerwehrleuten zusammen, AUFTRAG 275 in der Nacht, sobald wir von dieser wir überprüfen die Statik der Häuser, enormen Tragödie erfahren haben, die stehen geblieben sind und beglei- September 2009: habe ich mit unseren Vorgesetzten ten auch die Überlebenden in die gesprochen, mit Bischof Boccardo Trümmer ihrer Häuser, um in kurzer und Kardinal Lajolo; wir haben dann Zeit und streng überwacht das wich- Freitag, das Staatssekretariat informiert ... In tigste Hab und Gut sicher zu stellen. diesem schmerzhaften Moment haben Die Bevölkerung hat unsere Ankunft 24. Juli 2009 wir es als unsere Pflicht gesehen, dass als großes Zeichen der Solidarität ge- auch die Feuerwehr des Vatikanstaa- wertet. Die Menschen brauchen hier tes einen Beitrag leistet. Auch wenn jetzt Trost und Unterstützung jeder

AUFTRAGAUFTRAG27 2744 • JJUNIUNI 2009 41 GESELLSCHAFT NAH UND FERN

Art, ihnen wurde ja alles entrissen. Vizeleutnant, einem Unteroffizier im sche Maschinen zur Bekämpfung von Diese Geste der Solidarität seitens des Rang eines Adjutanten, vier Wacht- Feuerbränden; nach dem einhelligen Vatikanstaates bedeutet für uns sehr meistern, 20 Korporalen, einem Ober- Urteil von Fachleuten stellten die Ge- viel – persönlich wie beruflich.“ trompeter, vier Trompetern und 110 räte sogar englische und französische Eine Feuerwehr, so wie sie uns Gemeinen. In einem Tagesbefehl aus Erfindungen in den Schatten. heute vertraut ist, gab es im alten Kir- dem Jahre 1847 definierte Monsignore Von dem Leistungsstand ihres chenstaat seit dem Jahre 1810. Sie war Grassellini, der Gouverneur der Ewi- Feuerwehrkorps überzeugten sich die in dem von den Franzosen besetzten gen Stadt, den „militärischen“ Auftrag Päpste durch Feuerwehrübungen und Rom nach dem Vorbild der „Sapeurs- der Vigili mit den Worten: „Die Waffen -präsentationen im Vatikan, denen sie Pompiers“ von Paris entstanden. Sie der Feuerwehr sind Waffen des Frie- persönlich beiwohnten. Das Interes- unterstand dem emsigen Marchese dens, der Sorge und der Sicherung des se der Römer an diesen Darbietungen Giuseppe Origo, der sie mit viel En- öffentlichen Wohls“. war so groß, dass der Majordomus des gagement aufgebaut hatte. Der Aris- In den Palästen des Vatikans und Papstes den Zutritt durch „biglietti“, tokrat, ein begnadeter technischer des Quirinals befanden sich die bei- Eintrittskarten, regeln musste. Wenige Tüftler, hatte für sie auch die ersten den zahlenmäßig stärksten Abteilun- Wochen vor dem Ende des alten Kir- Geräte zur Brandbekämpfung entwor- gen des Korps. Kleinere Einheiten chenstaates, am 3. Juli 1870, konnte fen und konstruiert. waren unter anderen bei der Ponte S. Pius IX. (1846-1878) im Belveder- Nach seiner Rückkehr in die Ewi- Angelo, der Kirche S. Ignazio und im ehof des Vatikans noch einer großan- ge Stadt (1814) und der Wiedererrich- Palazzo Gaetano stationiert. Bei allen gelegten Demonstration zuschauen, tung des Kirchenstaates (1815) be- größeren öffentlichen Veranstaltun- während deren Verlauf ihm die neu- hielt Papst Pius VII. (1800-1823) die gen in der Ewigen Stadt hatten Ab- esten Löschapparate und Speziallei- Feuerwehr bei, wandelte sie in eine teilungen des Korps ex officio anwe- tern vorgeführt wurden. Bei dieser Ge- militärische Einheit um und verfüg- send zu sein. Vigili wurden auch zu legenheit wurde erstmals eine Leiter te ihre Eingliederung in die päpstli- jeder Theater- und Operaufführung gezeigt, die mit ihren verschieden auf- che Armee. Die Leitung der Feuer- entsendet. einander geschobenen Teilen schnell wehr beließ der Papst in den bewähr- In Rom, aber auch in Bologna eine erhebliche Höhe erreichte, um ten Händen des Marchese Origo. Der und Ancona, wo ebenfalls päpstli- Personen aus Gefahren zu retten. Markgraf entwarf eine hydraulische che Feuerwehrkorps stationiert waren, Nach der Besetzung Roms am 20. Pumpe, die in Gegenwart von Kar- bewiesen sich die „Vigili Pontifici“ September 1870 und der Einverlei- dinalstaatssekretär Ercole Consal- nicht nur im Löschen von Bränden, bung des Kirchenstaates in das Kö- vi, des Gouverneurs von Rom, Mon- sondern sie brillierten auch durch nigreich Italien blieb die im Vatikan signore Tommaso Bernetti, und des die Erfindung neuer Löschgeräte und stationierte Einheit der Vigili del Fu- Generalschatzmeisters der Apostoli- der Herausgabe richtungsweisender oco in verkleinertem Umfang beste- schen Kammer, Monsignore Belisario Fachliteratur. In der Ewigen Stadt ta- hen; ihr Quartier nahm sie in einem Cristaldi, erfolgreich erprobt wurde. ten sich neben dem Marchese Origo Gebäudetrakt beim Damasushof des Cristaldi setzte sich dann dafür ein, zwei Wachtmeister des Korps durch Vatikanpalastes. In der Regierungs- dass das Korps weitere Geräte zur Einfallsreichtum und Können her- zeit Papst Leos XIII. (1878-1903) kam besseren Erfüllung seiner Aufgaben vor: Angelo Luswergh und Domenico der päpstlichen Feuerwehr auch die erhielt. Marcelli. Ihre Apparate und Sicher- Aufsicht über den durch Wasserkraft Papst Leo XII. (1823-1829) un- heitsvorrichtungen erprobten und de- betriebenen Aufzug zu, der Besucher terstellte die Vigili del Fuoco im Jah- monstrierten die beiden Techniker des Vatikans in die Gemächer des re 1827 dem „Monsignor Governato- sogar in der Öffentlichkeit, vor einem Papstes brachte. re di Roma“ (Gouverneur von Rom) großen Publikum, so zum Beispiel am Dieser seltsam anmutende Fahr- und entzog sie damit der Befehlsge- 26. Juni 1829 beim Mausoleum des stuhl ersetzte eine noch seltsamere walt der militärischen Autoritäten des Augustus. „Wir ernteten großen Ap- Konstruktion aus der Barockzeit – Kirchenstaates. Nach dem Tode des plaus und vielfaches Da Capo!“, hieß der barocke Aufzug wurde durch be- Marchese Origo ernannte Papst Gre- es in dem Rapport, den Luswergh und sonders kräftige Männer, die sich in gor XVI. (1831-1846) den Herzog Marcelli ihrem Vorgesetzten nach der einer Art Tretmühle befanden, in ei- von Sermoneta, Michelangelo Caeta- Vorführung übergaben. nem schwierig zu dirigierenden Ma- ni, zum Kommandanten der Vigili. Ein Berühmt wurden zwei in franzö- növer in die Höhe gehievt; die letzte eigenes Reglement bekam das Korps sischer Sprache verfasste Werke des Persönlichkeit, die mit diesem Fahr- erst am 28. Dezember 1845. Was Dis- aus dem päpstlichen Bologna stam- stuhl den Papst aufsuchte, war Edu- ziplin und Ränge anging, behielt es menden Cavaliere Giovanni Aldini: ard VIII. gewesen, als er noch Prince seinen militärischen Charakter bei. „Art de se preserver de l’action de la of Wales war. Der Stab setzte sich aus dem kom- flamme“ (Paris 1830) und „Sur le in- Am 11. Februar 1929 wurde mit mandierenden Oberst, einem Oberst- cendies“ (Paris 1831). 1839 präsen- den Lateranverträgen die Aussöh- leutnant, Quartiermeister, Stabsarzt, tierten Angelo Luswergh, mittlerwei- nung von Kirche und italienischem Chirurgen und Sekretär zusammen; le zum Offizier befördert, und Pietro Staat besiegelt. Für die Feuerwehr die Kompanie selber bestand aus: ei- Biondi der römischen Bevölkerung auf des Papstes blieb zunächst alles beim nem Hauptmann, einem Leutnant und öffentlichen Plätzen neue hydrauli- Alten. Erst im Jahre 1941 entschloss

42 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 GESELLSCHAFT NAH UND FERN sich Papst Pius XII. (1939-1958), rem Tuch – ähnelt der Uniform der nerzbischof Dr. Alois Wagner. Im No- das Corpo dei Vigili del Fuoco neu zu italienischen Feuerwehr und ist von vember 2005 erhielt Papst Benedikt ordnen. Die vatikanische Feuerwehr kastanienbrauner Farbe. XVI. von DaimlerChrysler Italia einen wurde der Gouverneursbehörde des Die vatikanische Feuerwehr ist Mercedes Benz Econic überreicht; der Vatikanstaates (Direzione Generale der heilige Barbara anvertraut. Die im Löschwagen eignet sich besonders für dei Servizi Tecnici – Generaldirektion 4. Jahrhundert in Kleinasien verstor- die engen und verwinkelten Straßen der Technischen Dienste), unterstellt. bene Märtyrerin teilt sich das Patronat der Vatikanstadt. Sie bestand aus zehn Mann, ausge- jedoch mit dem heiligen Leo IV., der Im Quartier des Korps befinden wählt aus den technischen Diensten im Jahre 847 beim Brand des Borgo, sich auch die zentralen Alarmanla- des Vatikans, die unter der Leitung des Viertels rund um St. Peter, dem gen des päpstlichen Palastes, die mit zweier Offiziere in zwei Geschwadern Feuer durch eine Segensgeste Einhalt allen Nebengebäuden wie den Vatika- Dienst taten. geboten hatte (im Papstpalast, in den nischen Museen, der Bibliothek, dem Ihre Ausbildung erhielten die Vi- Stanzen Raphaels, ist diese Szene in päpstlichen Geheimarchiv, der Dru- gili in der „Scuola Centrale Antincen- einem berühmt gewordenen Fresco ckerei und der Audienzhalle verbun- di di Roma“, der Zentralschule Roms verewigt worden). den sind. Das besondere Augenmerk für Brandbekämpfung. Dem Korps Detaillierte Angaben zur Ausrüs- der päpstlichen Feuerwehr gilt St. wurde ein neues Quartier im Belve- tung sind nur wenige bekannt. Für das Peter. Jeden Abend, nach der Schlie- derehof des Vatikans zugeteilt. Der Jahr 1995 sprach Niccolò Del Re in ßung der Basilika, unterziehen zwei Papst ließ den Ausrüstungsbestand seinem Buch „Mondo Vaticano“ von Feuerwehrleute unter Mitwirkung der überprüfen und durch neue Geräte er- drei Feuerwehrautos und zwei Leiter- Sampietrini (Arbeiter der Dombau- gänzen; zudem ordnete er neue Brand- fahrzeugen, die eine Leiter ausgefah- hütte von St. Peter) das Gotteshaus schutzbestimmungen an und übertrug ren 30 Meter lang, die andere 12 Me- einer eingehenden Überprüfung. Die ihre Überwachung den Vigili. ter. Die Anschaffung moderner Aus- Hinzuziehung der Sampietrini ist nö- Schon im Verlaufe des Zweiten rüstungsgegenstände und Fahrzeuge tig, denn niemand ist so gut mit den Weltkrieges bewährte sich die Neuor- wurde in neuerer Zeit durch Geld- und geheimsten Winkeln der Basilika ver- ganisation. Obschon der Vatikanstaat Sachspenden ermöglicht. So überga- traut wie sie. als neutraler Staat von allen Mächten ben am 28. Oktober 1998 oberöster- Bei kleineren und mittleren Brän- offiziell anerkannt war, fielen dennoch reichische Feuerwehrleute ihren va- den vertraut man im Vatikan ganz mehrfach Bomben alliierter Flugzeuge tikanischen Kollegen ein neues Fahr- auf die Professionalität der eigenen auf sein Hoheitsgebiet. Der schwerste zeug. Zu den Sponsoren des Wagens Feuerwehr. Für größere Brände liegt Vorfall ereignete sich am Abend des gehörten neben den Feuerwehren und im Governatorat des Vatikanstaates, 5. November 1943. Gegen 20.10 Uhr der Landesregierung Oberösterreichs der weltlichen Regierung des Kir- warf ein Flugzeug vier Bomben über auch die Raiffeisenbank des Bun- chenstaates, ein Katastrophenplan den Vatikan ab. Der erste Sprengsatz deslandes. Angeregt worden war die bereit, der auch den Einsatz itali- ging vor dem Palazzo dei Tribunali Spende durch den verstorbenen, aus enischer Feuerwehrkräfte mit ein- (Gerichtspalast) nieder, die zweite der Diözese Linz stammenden Kurie- schließt. (ZENIT) Bombe explodierte nahe der Apsis der Petersbasilika, die dritte hinter dem vatikanischen Gouverneurspalast, die letzte der Bomben detonierte zwischen Kurz berichtet dem Bahnhof des Kirchenstaates und dem abessinischen Priesterkolleg. Die Staatsrechtler: Menschenwürde-Argument nicht überstrapazieren Feuerwehr war nur wenige Minuten er Würzburger Staatsrechtler Horst Dreier hat vor einem inflationären nach dem Angriff zur Stelle. DVerweis auf die Menschenwürde in gesellschaftlichen Debatten gewarnt. 2002 wurde ein neues Gesetz zur Wer selbst in banalen Fällen damit argumentiere, trivialisiere diese Grund- Verwaltung des Vatikanstaates erlas- norm, sagte Dreier am Donnerstagabend im oberbayerischen Tutzing. Auf sen. Die vatikanische Feuerwehr ord- Dauer könnte dadurch die Kernsubstanz von Artikel 1 des Grundgesetzes nete der Papst der neu geschaffenen geschwächt werden. Für Dreier ist die Menschenwürde ein normativer An- „Direktion der Sicherheitsdienste und spruch auf gegenseitige Achtung aller Bürger. Respekt vor der Menschenwürde bedeutet nach Ansicht des Philoso- des Zivilschutzes“ zu. Aktuell verfügt phen Robert Spaemann, dass jede Person zähle. Dabei betonte er den Zu- das Korps an die dreißig Feuerwehr- sammenhang zwischen Menschenwürde und menschlicher Natur. Menschen- leute, die unter einem Kommandanten würde sei an keine andere Eigenschaft gekoppelt als die Zugehörigkeit zur und zwei Geschwaderführern ihren Gattung Homo sapiens. Dies müsse bei der Definition des Begriffs beach- Dienst leisten. Ihre Dienstzeit umfasst tet werden. Spaemann kritisierte, dass stattdessen heute oft nur noch die vierundzwanzig Stunden, auf die je- Freiheit des Menschen als Ausgangspunkt genommen werde. Diese erge- weils ein arbeitsfreier Tag folgt. Alle be sich jedoch erst aus der Natur des Menschseins. Dreier und Spaemann vierzehn Tage wird eine Freizeit von äußerten sich bei einer Veranstaltung der Akademie für Politische Bildung zweiundsiebzig Stunden gewährt. Die in Tutzing in Zusammenarbeit mit der Katholischen Universität Eichstätt- Arbeitsuniform des Korps – je nach Ingolstadt. (KNA) Jahreszeit aus leichtem oder schwe-

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 43 BILD DES SOLDATEN

Bundeskonferenz GKS 2008 Als Soldat in Verantwortung – Allein mit Gott? er Bericht über das Ergebnis der Bundeskonferenz setzt die Berichtserstattung aus AUFTRAG 273 – März 2009 fort. Der Berichterstatter (Oberstleutnant Gerhard Stolz) schreibt für die im Einsatz befindliche DOberfeldwebel Magdalena Maria Gorska, deren erlebte Eindrücke als Eingangsstatement kursiv wieder- gegeben werden. Mein Name ist Oberfeldwebel laufen und fragte, ob er was von einer rund um das Feldlazarett, eine Gruppe Magdalena Maria Gorska, ich bin Übung heute Morgen gehört habe. Als kümmerte sich um die leichtverletzten die Gleichstellungsbeauftragte (Mili- Antwort grinste er mich an. Soldaten! Der Rest konnte abrücken! tär) des Streitkräfteunterstützungskom- Ich war vielleicht eine halbe Stun- Ich hatte die Aufgabe, mich um mandos (GleiBmil SKUKdo). de in meinem Büro! Da hörte ich die die Leichtverletzten mit zu kümmern! Ich bin seit 02.07.2001 Soldatin ganze Zeit bei meinen S6 Offz das Te- Als ich gerade am Feldlazarett ange- und habe schon zwei Auslandseinsätze lefon klingeln! kommen war, haben die Kameraden hinter mir (3. und 13. EinsKtgt (Ein- Plötzlich Alarm! einen schwerverletzten Soldaten rein satzkontingent) 2003 und 2007) OK, die Übung, dachte ich mir! getragen! Der Anblick hat mir für ei- Bevor ich am 18. März 2007 nach Bis ich den S3 schreien hörte: „Wo ist nen Moment die Luft geraubt. Afghanistan verlegt habe, hat mich den mein EOD (explosive ordnance Es ging alles so schnell, wir legten meine beste Freundin aus Bremerha- disposal – Kampfmittelräumung)?“ die Splitterschutzweste und Waffen ab ven besucht. Wir haben uns über mei- Da wurde es mir klar, das ist keine und haben das Sanitätspersonal un- nen ersten Einsatz unterhalten. Bei Übung! Das ist Realität! Ich löste auf terstützt. einem Glas Wein haben wir noch die Befehl des JOC MINIMIZE (Kontakt- Die Zeit rannte! Ich weiß es nicht, Eindrücke dieses Einsatzes besprochen. sperre) aus, gleichzeitig meldete sich wie lange ich im Feldlazarett gewesen Während dieser Zeit ist ein Attentä- mein S6 Offz und der Kryptoverwal- bin und an manche Situationen kann ter gegen einen Bus der Bundeswehr ter und wollten die Lage wissen! Ein ich mich nicht mehr erinnern, aber ich (2003) gefahren. Vier Soldaten star- paar Minuten später war die komplet- dachte daran, dass der liebe Gott mich ben und es gab 25 schwer und leicht te Teileinheit vor Ort! Bis zu diesem diesmal verschont hatte? Verletzte! Ich habe zu ihr gesagt: „ Ich Moment war es noch nicht klar, was bete zu Gott, dass dieser Einsatz ruhi- überhaupt passiert war! Ich meldete Ergebnisse Arbeitsgruppe 2, ger wird und dass nicht wieder Schlim- die Stärke an das JOC und hörte von Bundeskonferenz 2008 mes passiert“. einem Kameraden aus dem Reservezug Die Arbeitsgruppe 2 beschäftig- Am 18. März 2007 vormittags den Ruf: „OFw Gorska!“. Innerhalb te sich während des Bildungsteils der stand ich am Flughafen Köln-Bonn einer Minute hatte ich meine Split- Bundeskonferenz mit dem Teilaspekt und habe mich auf die 4,5 Monate in terschutzweste an, mein Gewehr G36 „Soldat in Verantwortung – Allein mit Kunduz gefreut. Neue Aufgabe, end- war teilgeladen und ich hatte meinen Gott?“, auch in diesem Fall unter Be- lich wieder ein richtiger Soldat sein! Helm auf! Mein Kamerad sagte nur: rücksichtigung der besonderen Ver- Hurra! „ Pass auf dich auf“. Ich rannte raus hältnisse im Einsatz. Ausgangspunkt Nach mehreren Einweisungen im und bei den Flaggen warteten schon war die oben angeführte Schilderung Lager wurde ich durch den Chef der Teile meines Reservezuges! Bis dahin eines sehr persönlichen Erlebnisses. Stabskompanie einem Reservezug zu- wussten wir noch nicht, was passiert geteilt. Unsere Aufgabe war es, wenn war und ob wir raus müssen. Ein ganz Ist der Soldat im Einsatz „Al- die Schutzkompanie bei einem Massen- schreckliches Gefühl! lein mit Gott“ – dies war die Frage- anfall von Verletzten (Anschlag, Unfall Über Funk haben wir die Sprüche stellung. usw.) selbst versprengt wird, einen äu- zum JOC gehört, ein Anschlag, verletz- Im Vordergrund stand in erster ßeren Ring zur Sicherung aufzubauen! te Soldaten, wie viele? Wer? Keine Ah- Linie die Diskussion über die Ver- Meine Aufgabe war im Notfall mich nung! Die Stimmung! Das komische antwortung des militärischen Füh- um Frauen zu kümmern, da dies in Gefühl im Bauch! Erste Meldungen rers in seiner Rolle als Menschenfüh- einem muslimischen Land sehr streng kamen, verletzte deutsche Soldaten! rer, aber auch über die vorhandene gesehen wird! Wir haben die Alarm- Ich dachte nur, Gott sei Dank, nur Ver- Schuldfähigkeit im Tun und Handeln stufen geübt und dachten nie, dass letzte! Nach einer guten halben Stun- in der Verantwortung vor Gott und den sie einmal wirklich ausgelöst werden de. kam dann aber die Gewissheit! Auf Menschen. würden! einem Markt hat sich ein Attentäter in Dann kam der 19. Mai 2007, mei- die Luft gejagt: drei tote Soldaten und Was habe ich an Verantwortung ne Teileinheit hatte überwiegend Ba- zwei Schwerverletzte. mehrere Leicht- als militärischer Führer zu tragen? seday (freien Vormittag), mit einigen verletzte, Wir müssen nicht raus! Un- (Grafik 1) anderen Soldaten hatte ich Schicht- sere Gruppen wurden sofort aufgeteilt, dienst. Ich bin mit einem Hauptfeld- eine Gruppe hat sich um die toten Sol- Wer gibt einem diese Verantwor- webel von der Küche in den Stab ge- daten gekümmert, eine Gruppe sicherte tung?

44 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 BILD DES SOLDATEN

Diskussion dazu wurde nicht geführt, da sie an anderer Stelle hinreichend behandelt wurde. Wie gehe ich als militärischer Führer mit der Verantwortung um? Die Verantwortung leitet den Vor- gesetzten in seinem Tun (Grafik 2)

Wem gegenüber bin ich Rechen- schaft schuldig? Dazu führte der ehemaliger Ge- Graphik 1 neralinspekteur, Admiral Wellershoff, Graphik 4 folgendes aus: Diese Verantwortung wird dem „Ein wesentliches Merkmal er- ner hat es erleben müssen, wie wich- Vorgesetzten kraft Gesetz übertragen, folgreicher Führung ist das Vertrau- tig „diese“ Kameradschaft ist und der Umfang richtet sich dabei nach en in die Führungsfähigkeit der Vor- sein kann, wenn man sie denn benö- Auftrag und den damit verbundenen gesetzten“ tigt. (Grafik 4) Auflagen und Randbedingungen. Der Vorgesetzte als militärischer Führer Die Konfrontation mit dieser Her- muss sich dieser Verantwortung be- ausforderung, auch in der Konkurrenz wusst sein, sie leben und erleben, sie zu den anderen Rollen, wie Ehemann/ dokumentieren, sie zeigen, auch de- Ehefrau und Familienvater oder Mut- monstrativ, vor allem in schwierigen ter, ist die Herausforderung, die an Lagen. Der Vorgesetzte zeigt damit uns alle im Einsatz gestellt werden. seine uneingeschränkte Verantwor- Wie endet der offene Brief unse- tung für die ihm übertragenen Auf- rer Frau Oberfeldwebel Magdalena gaben und für das Menschenpotenzi- Maria Gorska: al. Die besondere Bedeutung entsteht „Die Zeit rannte! Ich weiß es durch die Besonderheit der Einsätze nicht, wie lange ich im Feldlazarett und der damit verbundenen interkul- Graphik 3 gewesen bin und an manche Situati- turellen Problematiken. Die teilweise onen kann ich mich nicht mehr erin- Abgeschiedenheit im Einsatz, aber Der militärische Führer ist dem- nern, aber ich dachte daran, dass der auch die entstandenen Lücken und nach abhängig von diesem Verhältnis, liebe Gott mich diesmal verschont Defizite in den Friedensstandorten es aufzubauen und zu erhalten und hat?“ verstärken die Situation, in der sich zu pflegen, ist seine oberste Pflicht. Die Frage nach dem – „allein der Vorgesetzte, der militärische Füh- (Grafik 3) mit Gott?“ stellt sich uns nicht, für rer befindet. uns Gläubige ist er da, er begleitet Verantwortung versteht sich aber uns, beschützt uns, ist unser Halt nicht nur als Verpflichtung als Vor- und unsere Stütze, jederzeit, rund gesetzter, sondern auch als Kamerad. um die Uhr. Nur im Einsatz – unter den besonde- Der Soldat, die Soldatin im Ein- ren Bedingungen – zeigt es sich, wie satz hat den Weg zu dem Militärseel- Kameradschaft gelebt wird, die Ver- sorger gefunden, man braucht keine antwortung dafür ist eine andere als Landkarte, um ihn zu finden, denn im Friedensbetrieb und so manch ei- auch er ist präsent! ❏

Kurz berichtet Graphik 2 Papst mahnt zur Aufnahme von Flüchtlingen Verantwortung wird aber auch ge- apst Benedikt XVI. hat zum Weltflüchtlingstag an die Pflicht zur Aufnahme von Schutzsuchenden erinnert. Er beklagte die „schwierige und bisweilen geben von Gott. Christ sein heißt, Ver- P dramatische Lage der Flüchtlinge“, die wegen Kriegen, Verfolgung oder Katas- antwortung haben für den Nächsten, trophen ihre Heimat verlassen müssten. Die Anstrengung aller sei nötig, um die ihn schützen, ihn hüten, für ihn da Ursachen dieses „so traurigen Phänomens“ zu beseitigen, sagte der Papst. Der sein, in jeder Lebenslage sein An- Welttag der Migranten und Flüchtlinge war erstmals von Benedikt XV. (1914- sprechpartner sein, sein Berater, sein 1922) 1914 unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs ausgerufen worden. Die Beschützer. UN-Generalversammlung übernahm im Jahr 2000 die Initiative und führte den Letztendlich kommt dem Gewis- 20. Juni als Weltflüchtlingstag ein. (KNA) sen eine herausragende Rolle zu, die

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 45 BILD DES SOLDATEN

Neuer Lebenskundlicher Unterricht Mediengespräch im Katholischen Militärbischofsamt

VON BERTRAM BASTIAN

m 22. April 2009 fand mit Ver- Oberst i.G. Gerhardt erklärte wei- den Fragen nach den Werten relativ Atretern der deutschen Presse im terhin, dass innerhalb dieser Blö- schnell ein Vertrauensverhältnis he- Katholischen Militärbischofsamt ein cke dem durchführenden Ethiklehrer rausbilde, welches dann den Seelsor- Mediengespräch bezüglich des neu- Grobziele vorgegeben seien, die er mit ger in Einzelgesprächen – gelöst von en Ethikunterrichtes statt. Der Ka- seiner Methodik erreichen solle. Hin- der Unterrichtung – fordern würde. tholische Militärbischof für die Bun- tergrund sei immer, dass keine religi- Wie wichtig dies sei, bestätigten die deswehr, Dr. Walter Mixa, und der öse Unterrichtung stattfände, sondern anwesenden Leitenden Dekane, die Referatsleiter im Bundesministeri- ein Ethikunterricht zur Erlangung der aus ihren gesammelten Einsatzerfah- um der Verteidigung Fü S i 3, Oberst ethisch-kulturellen Kompetenz. Er rungen berichteten. i.G. Dipl.-Päd. Peter Gerhardt, trugen sagte weiter, dass deshalb die Teilnah- Auf die Frage, wie stark sich die über die Neugestaltung des Lebens- me auch nicht freigestellt sein könne, Anzahl der zu leistenden Unterrichts- kundlichen Unterrichtes vor und stell- da es hier nicht um das Grundrecht stunden erhöhen würde, führten die ten sich anschließend den Fragen der der freien Religionsausübung ginge, anwesenden Dekane aus, dass kei- Pressevertreter. sondern einzig und allein um die best- ne relevante Erhöhung erwartet wer- In der einführenden Stellungnah- mögliche Vorbereitung auf den Aus- de, da ja bisher auch Lebenskundli- me von Oberst i.G. Gerhardt stellte landseinsatz. cher Unterricht zu leisten war. Eine dieser die Notwendigkeit dar, dass Militärbischof Mixa ergänzte die Erhöhung werde nur an Schulen und die Soldaten und Soldatinnen eine Ausführungen aus der Sicht der Ku- sonstigen besonderen Ausbildungs- ethisch-kulturelle Kompetenz vermit- rie und machte an Beispielen seiner stätten erwartet. Um Vakanzen zu telt bekommen, bevor sie in die neu- Besuche im Ausland und bei den überbrücken, die durch Militärpfar- en Einsätze geschickt werden. Dies Truppenteilen in Deutschland, die rer im Einsatz auch zur jetzigen Zeit bedeute, dass die schon in Angriff im Einsatz Soldaten durch Terror- schon vorhanden wären, sei beschlos- genommene Ausbildung jetzt in der anschläge verloren hatten, deutlich, sen worden, aus Kirchensteuermit- neuen Vorschrift (Zentrale Dienstvor- wie wichtig es sei, diese Art von Un- teln sogenannte Springer einzusetzen, schrift 10/4 (zE)1 „Lebenskundlicher terrichtung zu leisten. Gerade der die schwerpunktmäßig eingesetzt, zur Unterricht“ Selbstverantwortlich le- Pfarrer als ausgebildeter Ethiker sei Entlastung der Militärpfarrer im Hei- ben – Verantwortung für andere über- hier die Idealbesetzung, da sich aus matland dienten. ❏ nehmen können) abgedeckt würde. Der Referatsleiter führte weiter aus, indem Ziele und Maßgaben vorge- schrieben würden, könnten die Mi- litärpfarrer beider Konfessionen als Kurz berichtet Ethiklehrer den jungen Menschen die Werte vermitteln, welche die Soldaten benötigten, um im Einsatz auch un- ter Stresssituationen richtig handeln Paulusjahr war großer Erfolg zu können. Das Curriculum der neu- artigen Ausbildung sei in drei große ls „großen Erfolg“ hat der logen“ der Kirche. Sein Wir- Blöcke unterteilt: AMainzer Kardinal Karl ken habe wesentlich zum Auf- Lehmann am 18.06.09 das stieg des Christentums beige- – Individuum und Gesellschaft von Papst Benedikt XVI. aus- tragen. Die Entscheidung des – Persönliche Lebensführung und soldatischer Dienst gerufene Paulusjahr gewertet. von ihm maßgeblich geprägten – Moralische und psychische Bei einem Vortrag im Mainzer Apostelkonvents in Jerusalem, Herausforderungen im Dom hob Lehmann besonders nicht nur Juden den Weg zum soldatischen Dienst die „eindrucksvolle Zusam- christlichen Bekenntnis zu menarbeit mit der evangeli- öffnen, nannte Lehmann „das 1 (zE) bedeutet, die Vorschrift ist zur Er- schen Theologie“ hervor, die wichtigste Ereignis in der Ge- probung – in diesem Falle für drei Jahre vorher so nicht abzusehen ge- schichte der Urkirche“. – erlassen worden. Die alte Vorschrift wesen sei. Lehmann bezeich- Das Gedenkjahr endete am ist vorläufi g außer Kraft gesetzt und kann erst nach Abschluß der Erprobung nete Paulus als „ersten Theo- 28. Juni. (KNA) und dem Inkrafttreten der endgültigen Vorschrift ZDv 10/4 vernichtet werden.

46 AUFTRAGAUFTRAG27 2744 • JJUNIUNI 2009 9 RELIGION UND GESELLSCHAFT

Katholische Verbände und Organisationen in Deutschland Gemeinschaft der Katholischen Männer Deutschlands (GKMD) ie GKS ist seit der Zeit ihrer Vorgängerin, des Königsteiner Offizierkreises (KOK), also seit den 1960er Jahren Mitglied in der Gemeinschaft der Katholischen Männer Deutschlands (GKMD). Dies ist nicht ver- Dwunderlich, da zumindest bis zur Öffnung der Bundeswehr für den Dienst von Frauen in den Streitkräften der Soldatendienst eine reine Männerdomäne war. Allerdings hat die GKS neben den berufsspezifischen Män- nerthemen immer die Familienarbeit in ihr Apostolat einbezogen. Diese Verantwortung der Männer für Part- nerschaft und Familie ist auch für die GKMD ein Schwerpunktanliegen.

Die Gemeinschaft der Katholi- Örtlicher Mittelpunkt schen Männer Deutschlands (GKMD) katholischer Männerseel- ist ein Zusammenschluss sorge und Männerarbeit ist – von katholischen Verbänden, die die Stadt Fulda, die in der sich mit Männerseelsorge und Zeit des Nationalsozialis- Männerarbeit befassen, mus Zufluchtsstätte für die – der Männerwerke und Männerge- katholische Männerarbeit meinschaften sowie und eine Zelle im kirch- – der Diözesanstellen für Männer- lichen Widerstand gegen seelsorge. das NS-Regime war. Hier Neben den Diözesanstellen sind fand am 29./30. November dies 20 überdiözesane Verbände und 1938 die erste überdiöze- Gemeinschaften1. sane und überverbandli- Die GKMD arbeitet eng mit der che Männerseelsorgekon- kirchlichen Arbeitsstelle für Män- ferenz statt. Zum erweiter- nerseelsorge und Männerarbeit in ten Arbeitskreis der Män- den deutschen Diözesen zusammen. nerseelsorge gehörte da- Diese ist eine pastorale Einrichtung mals u.a. auch Pater Alfred der Deutschen Bischofskonferenz. Sie Delp SJ2. Er und andere hat den Auftrag, die Aufgaben einer katholische Blutzeugen des zeitgemäßen Männerpastoral bewusst Widerstandes gegen den zu machen, zu fördern und ihre Rea- Nationalsozialismus3 prä- lisierung in Diözesen und Verbänden gen bis in die Gegenwart anzuregen und zu begleiten. das Bewusstsein von Auf- trag und Sendung der katholischen Männlichkeit statt. Dies betrifft 1 GKMD-Mitgliedsverbände: Ackermann- Männerseelsorge und Männerarbeit alle Dimensionen des Lebens der Gemeinde, BKMuF − Bund Kath. in Deutschland. Männer. Ziel der Arbeit ist es da- Männer u. Frauen, BKU − Bund Kath. – Katholische Männerseelsorge und her, Männer zu unterstützen, den Unternehmer, Bund der Historischen Dt. Schützenbruderschaften, Bundesver- Männerarbeit findet heute inmit- Rollenwandel, der ihnen durch einigung kath. Männergemeinschaften ten eines radikalen Wandels der die gesellschaftliche Entwicklung u. Männerwerke, CV − Cartellverband Geschlechterrollen und in einer hin zu einem partnerschaftlichen der kath. dt. Studentenverbindungen, tief greifenden Krise traditioneller Miteinander der Geschlechter ab- DJK – Dt. Jugendkraft, Gemeinschaft der Vinzenzkonferenzen Deutschlands, verlangt wird, mitgestaltend zu GKS − Gemeinschaft Kath. Soldaten, 2 P. Alfred Delp (* 1907) war 1941 durch vollziehen. Damit leistet sie ei- KAVD − Kath. Akademikerverband die Vermittlung des Münchner Män- nen wichtigen Beitrag für eine Deutschlands, KKV − Bundesverband nerseelsorgers P. Rupert Mayer SJ in geschlechtergerechte Gestaltung der Kath. in Wirtschaft u. Verwaltung, diesen Kreis gekommen. Er wurde am KLB − Kath. Landvolkbewegung 02.02.1945 in Berlin-Plötzensee wegen aller Lebensbereiche. Katholi- Deutschlands, Kolpingwerk, KV − Kar- seiner Zugehörigkeit zu dem an der Ver- sche Männerarbeit begleitet Män- tellverband kath. dt. Studentenvereine, schwörung des 20. Juli 1944 beteiligten ner dabei, ihre Beziehungs- und Landesverband kath. Männergemein- Kreisauer Kreises um Helmut Graf von Partnerschaftsfähigkeit auf der schaften in Bayern, MC − Marianische Moltke hingerichtet. Männerkongregation, SKM − Katho- 3 Erinnert sei an Prälat Dr. Otto Müller einen Seite und ihre Kompetenz lischer Verband für soziale Dienste in (verstorben im Gefängnis Berlin- und Eigenständigkeit in der Ge- Deutschland, St. Nikolaus-Schifferver- Tegel am 12.10.1944), Nikolaus Groß staltung des persönlichen und re- band, Stefanus-Gemeinschaft, Zent- (hingerichtet in Berlin-Plötzensee am ralverband der Mitarbeiter u. Mitar- 23.01.1945), Bernhard Letterhaus ligiösen Lebens auf der anderen beiterinnen in Einrichtungen der kath. (hingerichtet in Berlin-Plötzensee am Seite zu kultivieren. Sie lädt die Kirche Deutschlands. 11.11.1944). Männer ein, ihren Weg „in der

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 47 RELIGION UND GESELLSCHAFT

Gemeinschaft mit der Kirche zu – die ökumenische Männerstudie Jeweils im Mai treffen sich die gehen und ihre Suche nach Iden- 2008 „Männer in Bewegung“ (s.S. Delegierten der Mitgliedsverbände tität und gelingendem Leben im- 50). und Diözesanstellen zur Hauptver- mer wieder neu am Evangelium Die GKMD steht gemeinsam mit sammlung im Bonifatiushaus in Ful- auszurichten“4. Aktuelle Beispie- der kirchlichen Arbeitsstelle in en- da. Alle fünf Jahre wählt die Haupt- le für die kirchliche Männerarbeit gem Kontakt mit der Männerarbeit der versammlung ein vierköpfiges Präsi- werden in den folgenden beiden Evangelischen Kirche Deutschlands. dium. Seit 1969 − also seit 40 Jahren Beiträgen vorgestellt. Dies sind Und wie schon beim ersten ökumeni- − stellt die GKS den Vizepräsidenten – eine bei der Hauttagung der schen Kirchentag 2003 in Berlin wer- als Vertreter der Verbände. Dies war GKMD am 07.05.2009 veröffent- den die für die kirchliche Männerar- von 1969 bis 1996 Oberst a.D. Hans- lichte männerpolitische Erklä- beit Verantwortlichen auch im Jahr Georg Marohl, dem bei der Wahl im rung (s.u.) und 2010 wieder ein gemeinsames Män- Jahr 1996 Oberstleutnant a.D. Paul nerzentrum in München betreiben. Schulz nachfolgte. (PS) Die GKMD ist darüber hinaus Mit- glied in UNUM OMNES, einer 1948 in Mehr zur katholischen Männerseel- 4 Richtlinien für die Männerseelsorge und kirchliche Männerarbeit vom Lourdes gegründeten internationalen sorge und Männerarbeit unter: 19.11.2001. Vereinigung katholischer Männer. www.kath-maennerarbeit.de

Katholische Männer fordern Debatte über Vaterrolle

ine breite gesellschaftliche Debatte über die Vaterrolle und über unterstützende Maßnahmen für Väter for- dert die Gemeinschaft der Katholischen Männer Deutschlands (GKMD). Immer mehr Väter wollten ihre EAufgaben in der Familie aktiv gestalten, heißt es in einer am 7. Mai in Fulda von der Hauptversammlung der GKMD ohne Gegenstimmen verabschiedeten „Männerpolitischen Erklärung“. Es gelte, klare Grundlagen dafür zu schaffen, dass Mütter und Väter zwischen Familie, Erwerbsarbeit und verschiedenen Teilzeitmodellen ohne Probleme wählen könnten. In ihrer Erklärung spricht sich die GKMD unter anderem für eine gleiche Behandlung von Vätern und Müt- tern in Fragen des Sorgerechts und für eine gezielte Förderung von Jungen durch geschlechtsspezifische Lern- arrangements in Kindertagesstätten und Schulen aus. Auch brauche es eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die spezifische Situation pflegebedürftiger Männer im Alter. Ausdrücklich wird in der Erklärung betont, Grundlage für Gleichstellungspolitik sei, dass die Perspektive beider Geschlechter gleichermaßen Berücksichtigung finde. Die Männerperspektive müsse zu einem unverzicht- baren Bestandteil von Gleichstellungspolitik werden. Mit ihrer Erklärung reagiert die GKMD auf die Ergebnisse der am 18. März veröffentlichten und von ihr sowie der Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland initiierten Studie „Männer in Bewegung“ (s.S 50).

Die Erklärung im Wortlaut

Frauen und Männern gerecht werden Aktuell bestärkt sieht sich die GKMD dabei durch die Ergebnisse Männerpolitische Erklärung der zweiten repräsentativen Männer- studie „Männer in Bewegung. Zehn der Gemeinschaft der Katholischen Männer Deutschlands (GKMD) Jahre Männerentwicklung in Deutsch- land“. Die Studie, von der GKMD und der Männerarbeit der EKD in Auftrag Präambel allen Lebensbereichen stehen wir vor gegeben, wurde im März 2009 der Öf- Die Gemeinschaft der Katholi- vielfältigen Herausforderungen in Ge- fentlichkeit vorgestellt. Sie ist unmit- schen Männer Deutschlands (GKMD) sellschaft und Kirche. In dieser Situa- telbarer Anlass für diese männerpo- wendet sich mit der vorliegenden Er- tion politisch und pastoral angemessen litische Erklärung der GKMD zu den klärung an die, die in Kirche, Staat, für die Menschen tätig zu sein, setzt vier Schlüsselbereichen: Parteien, Wirtschaft, Verbänden und voraus, dass dieses Handeln sich vom – Gleichstellungspolitik Medien Verantwortung tragen und Ent- Anspruch der Geschlechtergerechtig- – Familienpolitik scheidungen treffen. Durch die welt- keit leiten lässt. Wir wollen Frauen – Generationengerechtigkeit weit verflochtenen Entwicklungen in und Männern gerecht werden. – Gewaltprävention

48 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 RELIGION UND GESELLSCHAFT

Männerpolitische Positionen und Forderungen – Förderung familien- und väter- – Förderung und Durchführung von der GKMD in der Gleichstellungspolitik freundlicher Betriebe Jungenprojekten in Jugendarbeit Grundlage für Gleichstellungspo- – Ausbau der Angebote für Väter und Jugendhilfe unter Berück- litik ist, dass die Perspektive beider (und ihre Kinder) in Kitas, Schu- sichtigung unterschiedlicher So- Geschlechter gleichermaßen Berück- len und Familienbildung zialisationsbedingungen von Jun- sichtigung findet. Die Männerper- – Unterstützung und Stärkung ak- gen und jungen Männern etwa mit spektive muss somit unverzichtba- tiver Vaterschaft in Bildungsar- Migrationshintergrund rer Bestandteil von Gleichstellungs- beit zu b) Pflege: politik werden. Die GKMD fordert – Sensibilisierung der Öffentlich- deshalb: Männerpolitische Positionen und keit für die spezifische Situati- – eine Überprüfung und ggf. No- Forderungen der GKMD zu Fragen der on pflegebedürftiger Männer im vellierung bestehender Gleich- Generationengerechtigkeit Alter stellungsgesetze, sofern die Män- Die Frage, wie gerechte Verhält- – die begleitende Unterstützung von nerperspektive nicht oder nur nisse zwischen den Geschlechtern Männern, die in ihrer Familie und unzureichend Berücksichtigung herzustellen sind, ist eng mit der Pro- im Ehrenamt Pflegetätigkeiten findet blematik der Generationengerechtig- übernehmen. Ermutigende Bei- – eine geschlechterparitätische Be- keit verzahnt. Aus Männerperspekti- spiele sollten öffentlich gemacht setzung von Gleichstellungsein- ve ergeben sich hierbei zwei Brenn- werden. richtungen punkte: – Initiativen zur Erhöhung des Män- – politische und kirchliche Unter- a) die Bildungsbenachteiligung neranteils in den Pflegeberufen stützung beim Aufbau eines bun- von Jungen desweiten Netzwerkes von Män- b) die Situation von pflegenden Männerpolitische Positionen und Forderungen nerorganisationen und -initiati- und zu pflegenden Männern der GKMD mit Blick auf die Gewaltprävention ven („Bundesforum Männer“) Gewalt ist nach wie vor ein bren- – finanzielle und personelle Stär- In beiden Feldern sieht die GKMD nendes Thema in unserer Gesell- kung der Männer-, Jungen- und erheblichen Handlungsbedarf und schaft. Männer sind nicht nur Täter, Väterarbeit fordert deshalb von Kirche und Staat sondern noch häufiger Opfer von Ge- als den beiden großen Bildungs- und walt. Daher fordert die GKMD: Männerpolitische Positionen und Forderungen Sozialträgern: – den Ausbau von Beratungsange- der GKMD in der Familienpolitik zu a) Jungenförderung: boten für Männer, die gewalttätig Die Frage der Vereinbarkeit von – gezielte Förderung von Jungen geworden sind Familie und Beruf stellt sich heute in durch geschlechtsspezifische Ler- – einen öffentlichen Diskurs über unserer Gesellschaft für Mütter und narrangements in Kitas sowie im Opfererfahrungen von Männern Väter gleichermaßen. Immer mehr Elementar-, Primar- und Sekun- – die Stärkung von Vater-Sohn-Be- Männer, die Vater werden, wollen dar-I-Bereich der Schulen als not- ziehungen in der Familien- und ihre Aufgaben als Väter aktiv gestal- wendige Ergänzung zur koeduka- Väterarbeit ten. Das ist für die Kinder und damit tiven Erziehung – gezielte Freizeit- und Qualifizie- für die Zukunft unserer Gesellschaft – Maßnahmen zur Erhöhung des rungsprogramme für gewaltbe- von grundlegender Bedeutung. Des- Anteils männlicher Erzieher und reite Jungen und junge Männer halb braucht unsere Gesellschaft eine Lehrer vor allem im Elementar- in strukturschwachen Regionen, breite gesellschaftliche Debatte über und Primarbereich, besonders sozialen Brennpunkten oder mit die Vaterrolle sowie über unterstüt- auch durch Verbesserung von Migrationshintergrund zende familienpolitische und pastora- Ausbildung und Vergütung Fulda, den 7. Mai 2009 le Maßnahmen für Väter. Die GKMD fordert deshalb: – klare Grundlagen zu schaffen, dass Mütter und Väter zwischen Familienarbeit, Erwerbsarbeit Kurz berichtet und verschiedenen Teilzeitmo- Resolution für Jungen dellen ohne Probleme wählen können ungen laufen immer mehr Gefahr, zu den Verlierern in unserer Gesellschaft zu – weitere steuerliche Entlastung Jgehören. U. a. stellen sie mehr Schulabbrecher als Mädchen, machen deutlich von Paaren mit Kindern seltener das Abitur und sind öfters gewaltauffällig. Auf der anderen Seite fehlt – gleiche Behandlung von Vätern es ihnen oft an männlichen Bezugspersonen – daheim, im Kindergarten und in und Müttern in Fragen des Sor- der Schule.Aus diesem Anlass hat der Verband Katholischer Männergemein- gerechts schaften (VKM) Hildesheim eine Resolution verabschiedet. Der Verband fordert – Ausbau von Krippenplätzen für Rahmenbedingungen, die Jungen besser gerecht werden und die Bereitschaft Kinder unter drei Jahren, Be- von Männern fördern, als Erzieher oder Grundschullehrer zu arbeiten. zahlung von Tageseltern verbes- Vollständige Erklärung auf der Website: http://www.vkm-hildesheim.de sern

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 49 RELIGION UND GESELLSCHAFT

Ein Beispiel aus der „Männerarbeit“ der GKMD Studie 2008 „Männer in Bewegung“ Ein ökumenisches Projekt

ie leben, denken, fühlen Männer? Was bestimmt ihr Leben und was wünschen sie sich? Und was hat sich bei ihnen in den letzten zehn Jahren verändert? Eine Fülle von Antworten gibt die Studie „Män- Wner in Bewegung. Zehn Jahre Männerentwicklung in Deutschland“. Erstellt haben sie Rainer Volz und Prof. Dr. Paul M. Zulehner im Auftrag der Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Ge- meinschaft der Katholischen Männer Deutschlands (GKMD) – mit Förderung des Bundesministeriums für Fami- lie, Senioren, Frauen und Jugend.

ie Untersuchung setzt eine Vor- Dgängerstudie „Männer im Auf- bruch“ von 1998 fort und erlaubt so einen Blick auf die Verände rungen und Entwicklungen im vergangenen Jahrzehnt. Und da neben 1.470 Män- nern auch 970 Frauen befragt wur- den, ist ein Vergleich zwischen den Geschlechtern möglich. Gerade da zeigt sich Erstaunli- ches: Während die Modernisierung bei den Frauen rasch voranschreitet, hängen die Männer deutlich hinterher. Doch selbst die traditionell denken- den Männer bewegen sich: Sie sind gegenüber 1998 deutlich offener, was die Berufstätigkeit von Frauen und die Betreuung von Kleinkindern au- ßer Haus betrifft. Der familiale Lebensraum ist Männern und Frauen weiterhin sehr wichtig; an Bedeutsamkeit zugelegt haben z.B. die Bereiche Freunde und Freizeit. Gegenüber der Vorgänger- studie neu ist das Thema „Pflege“.

50 AUFTRAGAUFTRAG 272744 • JJUNIUNI 200920099 RELIGION UND GESELLSCHAFT

Während mittler weile die Väter ihre Bedeutung für ihre Kinder deutlicher erkennen und sich in deren Betreuung aktiv einbringen, sträuben sich viele Männer noch, die Versorgung kran- ker und alter Angehöriger zu über- nehmen. Doch ist immerhin rund die Hälfte bereit, dafür die Berufstätigkeit um 50 % oder mehr zu verringern. Auch das Thema Gewalt ist ge- genüber 1998 neu im Fokus der Stu- die. Bei 28 % der Männer und 14 % der Frauen findet sich eine stark ras- sistisch und sexistisch eingefärbte Gewaltakzeptanz. Und: Männer sind öfter als Frauen nicht nur Täter son- dern auch Opfer von Gewalt! Damit bestätigen sich Untersuchungen der letzten Jahre. Das sind nur einige Beispiele aus der Fülle der Daten. Weitere Themen der Studie sind z.B.: – Lebenswelt Arbeit Politik – Politik – Haushalt – Scheidungen – Männerfreundschaften und Vereine – Gesundheit – Sexualität Gefühle – Gefühle – Leid und Tod – Persönlichkeit – Männerarbeit

Die Studie war am 18. März 2009 in Berlin vom EKD-Rats vorsitzenden, Bischof Dr. Wolf gang Huber, und dem Beauftragten der DBK für Männer- seelsorge, dem Bamberger Erzbischof Dr. Ludwig Schick, im Beisein von Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen der Öffentlichkeit präsentiert worden. Prof. Dr. Paul Zulehner stellte dabei einige besonders auffällige Er- gebnisse der Studie vor. Erzbischof Schick unterstrich bei der Präsentation, dass die Verände- rungen bei der Religiosität und spe- ziell unter den Männern bei der Ein- stellung zur Kirche bemerkenswert sei: Bezeichneten sich 1998 nur 16 % der männlichen Kirchenmitglie- der als kirchenverbunden, sind es 2008 29 % (Frauen: 24 % und 28 %). Auch die Kirchensympathie bei den Nichtmitgliedern ist gestiegen. Eine Chance für die Kirchen und beson- ders für die kirchliche Männerarbeit! „Die Verbundenheit der Mitglieder mit

AUFTRAGAUFTRAG 272744 • JJUNIUNI 20200909 51 RELIGION UND GESELLSCHAFT ihrer jeweiligen Kirche und die Sym- pathie von Nichtmitgliedern ist stärker geworden.“ Die Kirche werde dabei sowohl als Bewahrerin traditioneller Lebensmodelle als auch als „innova- tiver Motor für Neues“ gesehen, sagte Schick. Danach erwarten mittlerwei- le 31 % der Männer von den Kirchen Unterstützung bei der Neugestaltung ihrer Männerrolle, 1998 waren es le- diglich 12 %.

er Ratsvorsitzende der EKD, Bi- Dschof Huber, hob das Entstehen einer neuen Vätergeneration hervor. „Inzwischen erkennen auch Männer, dass es nicht nur Verzicht bedeutet, Erwerbsarbeit und Familienleben mit- einander in Einklang zu bringen, als Väter für ihre Kinder präsent zu sein oder sich die Aufgaben fair mit ihren Partnerinnen zu teilen“. Bundesfamilienministerin von der Leyen unterstrich, „Ehe, Familie, die Erziehung der Kinder und die Sorge für die Alten sind alles Ecksteine unseres Sozialen Fundaments. Wie fest dieses in Zukunft steht, hängt ganz entschei- dend davon ab, ob und wie schnell eine partnerschaftlichere Verteilung der Aufgaben zwischen Frauen und Männern gelingt.“ (GKMD/PS)

Hinweise: Die Studie „Männer in Bewegung. Zehn Jahre Män- nerentwicklung in Deutsch- land“ ist als Band 6 der For- schungsreihe des Bundes- familienministeriums im Nomos-Verlag erschienen. Bestellung und Down- load sind möglich unter fol- gendem Link:

www.bmfsfj.de/bmfsfj/ generator/BMFSFJ/ Service/Publikationen/ publikationen, did=121150.html

Quelle der Grafiken: Studienpräsen- tation von Prof. Dr. P.M. Zulehner.

52 AUFTRAGAUFTRAG27 2744 • JJUNIUNI 2009 9 BLICK IN DIE GESCHICHTE

Zeitgeschichte – 50 Jahre Bundeswehr Willy Brandt, der vierte Bundeskanzler (1969-74) und die Bundeswehr Versöhnung trotz Widersprüche

VON DIETER KILIAN

illy Brandt wurde am 18. Großvater Ludwig Frahm (1875- Dezember 1913 in Lübeck 1934)4, ein Landarbeiter aus Meck- Wals Herbert („Herb“) Ernst lenburg, war die männliche Bezugs- Karl Frahm geboren. Seine Mutter person seiner Kindheit. Er war Ende Martha Luise Wilhelmine Frahm 1915 mit vierzig Jahren als Soldat (1894-1969; geborene Ewert), eine des „Landwehr-Bataillons Lübeck“5 Verkäuferin, heiratete erst Jahre spä- in den Ersten Weltkrieg gezogen. So- ter.1 Die Identität des Vaters gab sie mit kann davon ausgegangen werden, lange nicht preis. Und so blieben die dass Ludwig Frahm um 1895 zunächst ersten drei Lebensjahrzehnte des spä- eine dreijährige aktive Dienstzeit als teren Bundeskanzlers lange unter ei- Soldat geleistet hat, vermutlich im 2. ner Nebeldecke des Schweigens, der Hanseatischen Infanterie-Regiment Halbwahrheiten und der Diffamierung Nr. 76, das seit 1878 mit zwei Bataillo- verborgen – seitens der Familie, durch nen (darunter das Füsilierbataillon) in Brandt selbst und durch seine politi- Lübeck stationiert war;6 der Verband schen Gegner. Erst 1948, als Brandt unterstand der 17. Division. Im Er- seine Wiedereinbürgerung beantrag- sten Weltkrieg diente Frahm zunächst te, teilte ihm die Mutter den Namen in der Festung Metz, später kämpfte seines wirklichen Vaters „kommentar- er im Raum Reims. Wiederholt lag los auf einem Zettel“ mit: John Hein- er im Lazarett. Gegen Ende des Krie- rich Möller (1887-1958), ein gelernter ges wurde er bei einem Trommelfeu- Buchhalter und Realschullehrer aus er verschüttet und verwundet. Stief- Bild 2: Willy Brandt als Junge im Hamburg, der 1912 kurz in Lübeck vater Emil Kuhlmann (1880-1969) „Marine-Look“ gelebt hatte.2 Zu dieser Zeit wog der und John Möller dienten ebenfalls als Makel nicht-ehelicher Geburt, der Soldat. Alle drei kehrten 1918 wieder scher Tradition“7 aufgewachsen. In nicht nur den Eltern, sondern auch heim, zwei von ihnen verwundet: Lud- seinen Jugendjahren waren nur noch dem Kind angelastet wurde, schwer. wig Frahm und John Möller. 362 Soldaten in Lübeck stationiert.8 In Brandts Erinnerungen tragen Kind- In seinen Erinnerungen schreibt Sie gehörten zum Stab der Reichs- heit und Jugend die Überschrift „un- Brandt, er wäre „in antimilitaristi- wehrbrigade 9, dem Stab des II. Ba- behaust“. Allerdings gab es in seinem taillons und der 5. und 8. Kompanie späteren Leben ähnlich fragile Fami- des Infanterieregiments (IR) 6, sowie 3 Brigitte Seebacher. lienstrukturen. 4 Ludwig Frahm war nicht sein leiblicher der 5. Kompanie des IR 17. Soziale 1 Erst 1927 heiratete sie Emil Kuhlmann. Großvater, denn Brandts Großmutter und gesellschaftliche Verbindungen Sohn Günther, Brandts zweiter Halbbru- Wilhelmine Frahm hatte Tochter Martha zu diesen Verbänden hat es mit Si- der, wurde 1928 geboren. mit in die Ehe gebracht. In Herbert cherheit nicht gegeben. Und so blie- 2 John Möller heiratete 1919 Helene Matz Frahms Abiturzeugnis (1932) ist er ben seine einzigen Berührungspunk- (* 1891). Sohn Heinz (* 1919), Willy jedoch als Vater mit dem Beruf „Kraft- te zum Militär die Pickelhaube, das Brandts erster Halbbruder, fi el 1944 als fahrzeugführer“ angegeben. Großmutter Soldat in der Ukraine. Wilhelmine Ewert war bereits 1913, d.h. Spielzeuggewehr und der obligatori- 3 Brandt war von 1941 bis 1948 mit vor der Geburt ihres Enkels gestorben. sche Matrosenanzug (Bild 2), den er Carlotta Thorkildsen verheiratet und 5 Lübeck war ein eigener Aushebungsbe- als Junge bisweilen trug. Vermutlich hatte mit ihr eine Tochter (Ninja). Nach zirk des IX. Bundes-Armeekorps in Al- führte letzterer dazu, dass er Marine- der Scheidung heiratete er 1948 Rut tona, aus dem dieser Verband gebildet offizier werden wollte und Militärmu- Bergaust (geborene Hansen; 1920- wurde. 2006). Aus dieser Ehe gingen drei 6 1897 wurde das II. Bataillon des 3. 7 Brandt, Willy, Erinnerungen, S. 430. Söhne (Peter, Lars und Matthias) hervor. Hanseatischen Infanterieregiments Nr. 8 Archiv der Hansestadt Lübeck, Lübeck 1983 heiratete Brandt ein drittes Mal: 162 aufgestellt. und sein Militär, S. 101.

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 53 BLICK IN DIE GESCHICHTE sik mochte, die er offenbar bei Platz- beiterpartei (SAP). Dr. Julius Leber nahm sich 193411 das Leben. Im konzerten bisweilen gehört hatte. (1891-1945), zweimal verwundeter April 1933 floh Brandt als Zwanzig- Leutnant im Ersten Weltkrieg, nach jähriger auf dem Kutter „TRA 10“ unächst ging Herbert Frahm sie- Brandt ein „kraftvoller Frontoffizier“ des Fischers Paul Stooß von Trave- Zben Jahre auf die St. Lorenz- der noch kurzzeitig in der Reichs- münde auf die dänische Insel Lol- Knaben-Mittelschule. 1928 bekam wehr gedient und 1921 die Chefre- land und von dort über Kopenhagen er als einziger Arbeiterjunge9 ein Sti- daktion des Lübecker „Volksboten“ nach Norwegen. Es war zugleich der pendium für das Johanneum-Gymna- übernommen hatte, war lange väter- Bruch mit seinem Mentor Leber, den sium. Lübeck war seit August Bebel licher Förderer des rebellischen jun- er nicht mehr wiedersehen sollte. (1840-1913)10 eine Hochburg der gen Herberts. Beide verband neben Brandt kannte Skandinavien von Sozialdemokratie, aber gleichwohl der politischen Arbeit ihre Herkunft, einem Schüleraustausch und einem „unterschied man sich von ande- denn auch Leber war das Kind einer Ferienaufenthalt ein wenig. Die poli-

Bild 3: Der Fluchtweg Brandts in Norwegen 1940 ren“, beschreibt Brandt später die unehelichen Beziehung. Vergeblich tische Lage Norwegens hatte sich ver- Kluft zum hanseatischen Bürgertum. versuchte Leber, ihn vom Wechsel schlechtert: Die Arbeitslosenquote lag Mit sechzehn Jahren trat er der So- zur SAP abzuhalten und vor einer bei 35 %, die nationalsozialistische zialistischen Arbeiterjugend (SAJ) zunehmenden Radikalisierung zu Bewegung fand großen Zulauf, und bei. Er warf der SPD vor, den Na- bewahren. Flüchtlinge wurden keineswegs mit tionalsozialismus und die Brüchig- 1932 bestand Herbert das hu- offenen Armen aufgenommen. Brandt keit der Weimarer Republik zu un- manistische Abitur. Da sein Stipen- erlernte die norwegische Sprache und terschätzen. In schnellem Abstand dium nicht bewilligt wurde, konnte begann in Oslo als Journalist zu ar- wechselte er innerhalb des linken er nicht studieren und arbeitete als beiten. Er schrieb für die gesamte Lagers: 1930 zur SPD und 1931 Volontär in der Schiffsmaklerfirma F. skandinavische Linkspresse und en- zur radikalen Sozialistischen Ar- H. Bertling KG. Als Hitler Reichs- gagierte sich gegen das Hitler-Regime kanzler wurde, prägte der Kampf ge- mit dem Tenor: Deutschland ist nicht 9 Brandt, Willy, Erinnerungen, S. 89. gen die Nationalsozialisten die Fa- Hitler. Die skandinavische Lebensart 10 Bebel war der Sohn eines Unteroffi ziers; er starb 1913 in einem Sommerhaus in milie: Da nach ihm gefahndet wur- mit ihrer zivilen Orientierung prägte Zürich, das ihm ein deutscher Offi zier de, wählte Herbert den Tarnnamen 11 Brandt, Willy, Erinnerungen, S. 97; geschenkt hatte. „Willy Brandt“. Großvater Ludwig nach anderen Angaben starb er 1935.

54 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 BLICK IN DIE GESCHICHTE den jungen Mann nachhaltig. Seine anderen Seite gestanden“ zu haben, Am 18. April 1940 ging ein briti- Zuneigung zu Norwegen blieb bis an wurde von Brandts politischen Geg- sches Expeditionskorps – unterstützt sein Lebensende. Brandt ist bis heu- nern forciert. Doch in der Rückschau von französischen und exilpolnischen te der erste deutsche Spitzenpolitiker, ist er nicht haltbar. Daran, dass z.B. Kräften – mit 13.000 Soldaten bei der über längere Zeit im Ausland ge- Clausewitz sogar als aktiver Offizier Trondheim an Land, doch es verließ lebt hat. 1936 kehrte er für ein paar von Preußen zu Russland übergelau- Norwegen bereits 14 Tage später. In Monate nach Deutschland zurück und fen war, wurde nicht gedacht. Adenau- Oslo hatte man nicht an einen deut- hielt sich – als norwegischer Student ers abfällige Bemerkung von „Herrn schen Angriff geglaubt, auch Brandt Gunnar Gassland getarnt – bei einer Brandt alias Frahm“,15 dem „vater- nicht. Süffisant schreibt er, es wären SAP-Gruppe in Berlin auf. Von Febru- landslosen Emigranten“ wirkte in „traurige Einheiten“ gewesen, aller- ar bis Ende Juni 1937, während des konservativen Kreisen nach. Über- dings mit einem „eindrucksvollen“ Spanischen Bürgerkriegs, ging er als dies ist die Behauptung, Brandt hät- Vorrat an Tennisschlägern.17 Die sechs Verbindungsmann der SAP-Auslands- norwegischen Divisionen mit zusam- zeitung nach Barcelona. Zeitweise war men 60.000 Mann waren hoffnungs- er an der Aragón-Front bei Huesca in los unterlegen. Bis Juni 1940 wurden Katalonien als Beobachtungsposten, ca. 130.000 deutsche Soldaten nach war aber – anders als z.B. George Or- Norwegen überführt In Süd- und Mit- well oder Ernest Hemingway – selbst telnorwegen rückte die Wehrmacht nicht an Kampfhandlungen beteiligt.12 zügig ins Landesinnere vor (Bild 3). Die Frage nach dem Weshalb bleibt Nur im äußersten Norden des Lan- unbeantwortet: möglicherweise kam des, um Narvik, wurde erbittert ge- er nicht in die Lage, zur Waffe grei- kämpft. Nach dem deutschen Angriff fen zu müssen. Ein Hauptgrund dürfte floh Brandt nach Norden zunächst aber gewesen sein, dass Brandt nie- ins 210 km entfernte Gudbrandsdal mals an einer militärischen Ausbil- und von dort an den Langfjord. Doch dung teilgenommen hat. Seine Waffe als die Wehrmacht am 2. Mai die Re- war die Feder, nicht das Gewehr. Er gion abriegelte, saß er zwischen dem räumt jedoch ein, dass er gekämpft Meer und 1500 m hohen, kaum über- hätte, wäre es dazu gekommen: „Ich windbaren, schneebedeckten Bergen würde mich nicht schämen, wenn ich Bild 4: Hauptmann Fritz Nippus, in der Falle. Bei dem Dorf Mittet am – wie es einige meiner Freunde taten der Lagerkommandant Brandts Langfjord schloss er sich einer ver- – mit der Waffe in der Hand verteidigt 1940 sprengten Truppe von etwa 50 nor- hätte, was sich mir als die Sache der wegischen Zivilisten und Soldaten an legalen spanischen Republik und der te auf deutsche Soldaten geschossen, und traf Leutnant Paul Gauguin, den europäischen Demokratie darstellte. nicht nur falsch, sondern in hohem Enkel des französischen Malers Paul Ich sehe das heute nicht anders als Maße heuchlerisch. Wäre es zur Zeit Gauguin, wieder, den er aus Spanien damals.“13 des Kalten Krieges zu einer militäri- kannte. Wäre Brandt als Deutscher An anderer Stelle schreibt er ähn- schen Auseinandersetzung zwischen erkannt worden, hätte er mit hoher lich: „Ich bin dem Schicksal dankbar, Ost und West gekommen, hätten die Wahrscheinlichkeit um sein Leben dass es mich nicht vor die Entschei- „deutschen Brüder“ beider Seiten – fürchten müssen. Und so tauschte er dung gestellt hat, mit der Waffe gegen ohne Skrupel, weil beide individu- seine Bekleidung mit Gauguin: Brandt meine deutschen Landsleute zu kämp- ell in einer Notwehrsituation – auf schlüpfte in die norwegische Uniform fen. Die Entscheidung, wie sie auch einander geschossen und schießen und Gauguin in Brandts Zivil.18 Die gelautet hätte, wäre immer tragisch, müssen. Angriffe auf den Emigranten Gruppe geriet in deutsche Kriegs- jedoch nie eine Schande gewesen.“14 Brandt kamen allerdings auch von ei- gefangenschaft – seine erste direkte genen Parteigenossen, die zu Hause Begegnung mit deutschen Soldaten. icht wenige Offiziere der Bun- geblieben waren. 1938 wurde ihm die Brandt wurde nicht als Deutscher Ndeswehr standen Brandt ableh- deutsche Staatsbürgerschaft entzogen; erkannt. Die Gefangenschaft in der nend gegenüber. Emigranten galten zehn Jahre später bekam er sie zurück kleinen Schule im Dorf Dovre (Dom- als keine guten Deutschen. Der Vor- und behielt den Namen, den er im Exil bas) in Mittelnorwegen war kurz und wurf, während des Krieges „auf der geführt hatte. moderat. Die Wachmannschaft unter 12 s.u.a. Spiegel-Gespräch Nr. 12/1961. Am 9. April 1940 besetzten deut- dem väterlichen westfälischen Haupt- Zu Brandts Tätigkeit in Spanien siehe: sche Truppen Norwegen. Gesichert mann Fritz Nippus (1893-1965; später Brandt, Willy, Draußen, S. 185 ff. durch starke Marine- und Luftstreit- Bundeskanzler a.D. Schröder hinge- kräfte landeten insgesamt sieben Divi- Draußen, S. 221 ff. gen sagte in einer Sendung des NDR sionen in Narvik, Trondheim, Bergen, 17 Brandt, Willy, Links und frei, S. 298. zum 95. Geburtstag von Brandt am Kristiansand, Stavanger und Oslo.16 18 Die Osloer Tageszeitung „Aftenpo- 18.12.2008 fälschlicherweise, Brandt sten“ schrieb am 10.01.1955 und am habe auch gekämpft. 15 Brandt, Rut, Freundesland, S. 132. 01.11.1956, Brandt habe „am Krieg (in 13 Brandt, Willy, Links und frei, S. 216. 16 Zum präventiven Charakter der Beset- der Region) Trondelag als norwegischer 14 Brandt, Willy, Draußen S. 13. zung Norwegens, siehe: Brandt, Willy, Soldat“ teilgenommen.

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 55 BLICK IN DIE GESCHICHTE

Major), Chef der 1. Kompanie des In- Brandt mit Freifahrtschein, Gefange- Nach der Besetzung des Landes fanterieregiments 345,19 (Bild 4) der nensold und Entlassungspapieren in flüchteten König Håkon VII. (1872- bereits im Ersten Weltkrieg an der seinen „Heimatort Oslo“ entlassen. 1957) und die norwegische Regie- Front gewesen war, hatte den Auftrag, Doch nun war das besetzte Nor- rung. Reichskommissar Josef Terbo- die Gefangenen gut zu behandeln, wegen für Brandt höchst unsicher ven (1898-1945/ Freitod) schuf zu- „weil die Norweger doch auch ‚Ger- geworden, denn seine Identität war nächst einen kommissarischen Staats- manen‘ seien.“20 Die wenigen Bilder der deutschen Botschaft22 durch sei- rat. 1942 bildete Vidkun Quisling aus dem kleinen Lager in der örtli- ne journalistische Arbeit bekannt. (1887-1945), der Führer der norwegi- chen Schule zeigen eine lockere At- Daher wechselte er im Sommer 1940 schen nationalsozialistischen „Nasjo- mosphäre. Brandt nennt in seinen Er- über die grüne Grenze ins neutrale nal Samling“ (Nationale Sammlung), innerungen den Familiennamen des Schweden, wo er in Stockholm weiter- als Ministerpräsident eine neue Re- kommandierenden Offiziers, was sehr hin als Journalist arbeitete, aber von gierung, die mit dem Deutschen Reich kollaborierte,24 doch die angestreb- te Nazifizierung Norwegens gelang nicht. Im Gegenteil: Quislings Po- litik und die Außerkraftsetzung der norwegischen Verfassung stieß auf erbitterten Widerstand. Marinechef in Norwegen waren die Generalad- mirale Hermann Böhm (1884-1972) und ab 1943 Otto Ciliax (1891-1964; Ritterkreuz). In jüngster Zeit sind durch KGB- Veröffentlichungen Gerüchte über Brandts Geheimdienstkontakte wieder aufgetaucht: Mit einiger Wahrschein- lichkeit beschränkte sich der Wider- stand nicht allein auf journalistische Mittel. Sicher wurden z.B. auch In- formationen über Truppenbewegun- gen und -stationierung ausgetauscht. Allerdings darf deren Einfluss auf die Kriegführung nicht überbewertet Bild 5: Das Leben im Gefangenenlager Dovre war ungezwungen und locker. werden; es war kein bewaffneter Wi- In der Gruppe vermutlich Willy Brandt (Pfeil), dazu rechts Vergleichsbilder derstand.25 Betrachtet man überdies aus B.‘s norwegischen Jahren. die Fülle der publizistischen Arbeit Brandts – in einer ihm fremden Spra- ungewöhnlich ist und daher als Aus- den schwedischen Behörden argwöh- che −, wird schnell klar, dass ihm für zeichnung verstanden werden muss. nisch beobachtet wurde. Brandt ver- Spionage-Aktivitäten kaum Zeit blieb. Nippus überlebte den zweiten Krieg. urteilte den deutschen Überfall auf Im Winter 1943 traf Brandt in Stock- Von Brandts Identität erfuhr er erst Norwegen, bezeichnete die Operation holm durch Vermittlung des deut- später aus der Zeitung, doch er fand aber als eines der „kühnsten Kapitel schen Unternehmers Wolfgang Geld- eine Fotografie, die möglicherweise der neueren Kriegsgeschichte“. Über macher den Oberstleutnant Theodor Brandt im Lager zeigt (Bild 5).21 Im den Befehlshaber, Generaloberst Ni- Steltzer (1885-1967)26, der für das Juni 1940 – nach vier Wochen – wurde kolaus von Falkenhorst (1885-1968; Transportwesen der Wehrmacht in Ritterkreuz), schreibt Brandt: „Er 19 Deutsche Dienststelle (WASt) vom 24 So traten z.B. ca. 6.000 Norweger der 08.01.2009. Das Regiment 345 gehörte war der typische Vertreter jener Offi- Waffen-SS bei. bis 1941 zur 196. Infanteriedivision un- ziersschicht, die zwar gelegentlich ei- 25 s. dazu: Brandt, Willy, Zwei Vaterländer, ter Generalleutnant Richard Pellengahr nen Sonderstandpunkt markierte, aber S. 25 ff. In einem Brief vom 26.08.1944 (1883-1964; Ritterkreuz). niemals den Mut aufbrachte, offen schreibt er: „Ich versäume keine 20 s. Brandt, Willy, Links und frei, S. gegen das nazistische Verbrechertum Gelegenheit des direkten Kontak- 301 ff. Offenbar hat Brandt auch über aufzutreten.“23 tes mit den hiesigen SU-Leuten politische Themen mit den Soldaten (= Sowjetunion), um so neue gesprochen – siehe: Brief Brandts vom Eindrücke zu gewinnen und das 27.12.1941 an Arne Ording, in: Brandt, persönliche Verhältnis so gut wie Willy, Zwei Vaterländer, S. 64 ff. 22 Heinrich Sahm (1877-1939) war von möglich zu normalisieren.“ (S. 21 Zu einem persönlichen Kontakt 1935 bis zu seinem Tod Gesandter in 209). zwischen beiden nach dem Krieg kam Oslo. Sein Sohn Ulrich Sahm (1917- 26 Im 1. Weltkrieg Generalstabsoffi zier; es nicht. Ein Großneffe, Hauptmann 2005) wurde später unter Brandt schwerverwundet. 1920-1933 Landrat Holger Nippus, kam am 20.03.2003 in Botschafter in Moskau. des Kreises Rendsburg. 1945 zum Tode Kabul bei einem Bunderwehreinsatz 23 Brandt, Willy, Draußen, S. 255 ff. ; s.a.: verurteilt, jedoch kurz vor Kriegsende ums Leben. Wein, Martin, Willy Brandt, S. 201. freigelassen.

56 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 BLICK IN DIE GESCHICHTE

Norwegen zuständig war. Steltzer ge- den österreichischen Generaloberst dieser Zeit entstand sein Buch mit hörte dem Widerstandskreis um Hel- Dr. Lothar Rendulic (1887-1971; Ei- dem irreführenden Namen „Verbre- muth James Graf Moltke an. Da – nach chenlaub mit Schwertern) abgelöst. cher und andere Deutsche“. Das in Brandts Aussage – Steltzer es ablehn- Nach nur einem Monat übernahm der Norwegisch verfasste Buch – die ei- te, Fragen zu beantworten, die ihn ebenfalls österreichische General der gentliche Übersetzung lautet „Verbre- in Gewissenskonflikt bringen könn- Gebirgstruppe Franz Böhme (1885- cher und das andere Deutschland“ – ten, kann davon ausgegangen werden, 1947/Ritterkreuz; Freitod) das Amt; war für norwegische Leser bestimmt. dass er ihm auch solche gestellt hat- er kapitulierte am 8. Mai 1945. We- Der Titel war – obgleich bis 2007 kei- te oder stellen wollte,27 was die vor- nige Tage zuvor, am 29. April, führte ne vollständige Übersetzung vorlag34 angegangene Feststellung stützt. Am Brandt in Oslo ein Telefongespräch – eine Steilvorlage für seine Gegner, 24. Juni 1944, einen knappen Mo- mit SS-Obergruppenführer Wilhelm um ihn als Verfechter der These von nat vor dem Anschlag auf Hitler, traf Rediess (1900-1945/Freitod), dem der deutschen Kollektivschuld zu be- Brandt den deutschen Diplomaten Dr. zichtigen, Brandt beschrieb darin die Adam von Trott zu Solz (1909-1944) Nürnberger Prozesse differenziert und in Stockholm,28 der ihn fragte, ob er sachlich – von Anklage keine Spur. sich einer neuen deutschen Regie- Vor allem skizzierte er – mit einer rung als Skandinavien-Beauftragter Fülle heute vergessener Informatio- zur Verfügung stellen würde. Brandt nen – die Lage der Bevölkerung im wusste also vom Widerstand gegen zerstörten Deutschland; so schreibt Hitler: „Im Winter 1942/43 erhielt er u. a.: „Besondere Umstände haben ich – … von einem deutschen Offizier, sie (= die Deutschen) zu Werkzeugen der ab und zu über Stockholm kam – – und Opfern – des Nazismus werden gewisse Hinweise auf die Koalition lassen.“ „… sollte ein hinreichender von Führungskräften unterschiedli- Beweis gegen die törichte Behaup- cher antinazistischer Gruppen, die sich tung sein, alle Deutschen seien Nazis darauf einstellten, nach der – wie im- gewesen.“35 mer sich vollziehenden – Entmachtung Brandts Worte differenzieren. Hitlers die Verantwortung übernehmen Auch an anderer Stelle tritt er der zu können.“29 These von der Kollektivschuld ent- Das geplante Attentat auf Hitler gegen: „Das deutsche Volk trägt nicht hingegen war ihm nicht bekannt, und die Alleinschuld am Kriege. … Tatsa- er rechnete auch nicht mit einem Auf- che ist aber, dass Hitler-Deutschland stand des Offizierkorps. Bild 6: Brandt als Presseattaché in diesen Krieg entfesselt hat.“36 „Du hast völlig recht, …, dass norwegischer Uniform 1947 wir nicht auf die Wehrmacht setzen nde 1946 kam Brandt nach Ber- können.“30 obersten SS-Führer in Norwegen, in Elin und nahm am 17. Januar 1947 Brandt bescheinigte der Wehr- dem er vergeblich versuchte, Infor- seine Arbeit als ziviler Presseatta- macht ein insgesamt diszipliniertes mationen über den Waffenstillstand ché der norwegischen Militärmission, Auftreten in Norwegen: „Die deut- zu erfahren.32 wenngleich in norwegischer Uniform schen Offiziere in Norwegen haben Am 8. November 1945 bestieg im Range vergleichbar dem eines Ma- vielfach eine korrekte, zuweilen auch Brandt in Oslo eine britische Kurier- jors (Bild 6), auf.37 1948 entschied er eine menschlich anständige Haltung maschine und betrat in Bremen zum 34 Erst 2007 gab die Bundeskanzler- an den Tag gelegt.“31 ersten Mal seit 1936 wieder deut- Willy-Brandt-Stiftung eine vollständige Die persönliche Begegnung mit schen Boden. Von dort reiste er nach Übersetzung (norweg. Titel: „Forbrytere seinem Lagerkommandanten Nippus Nürnberg, wo er bis 1946 als „War og andre tyskere“) heraus. ist mit Sicherheit in dieses Urteil ein- Correspondent“ für norwegische Zei- 35 Brandt, Willy, Verbrecher und andere Deutsche, S. 38 und 54. Brandt wandte geflossen. Der Hass der Bevölkerung tungen über die Kriegsverbrecher- sich gegen die These des Briten Sir richtete sich vor allem gegen die „po- prozesse berichtete. Hier lernte er Robert Vansittart (sog. „Vansittaris- lizei-politische Seite der Fremdherr- Erika Mann (1905-1969), die Toch- mus“), die von einem kriegerischen schaft“. Ende 1944 wurde Militär- ter des Nobelpreisträgers Thomas deutschen Volkscharakter ausgeht. Er befehlshaber von Falkenhorst durch Mann, kennen. Doch ihre feindliche bezeichnet sie in Zwei Vaterländer als „Rassenpolitik mit ungekehrten Vorzei- Haltung allen Deutschen gegenüber chen“ (S. 165). 27 Brandt, Willy, Erinnerungen, S. 135 f., stieß ihn ab: „Wir waren antimilitari- 36 Brandt, Willy, Berliner Ausgabe Bd. 2, sowie: Links und Frei, S. 372. stisch und antinationalistisch – nicht Dokument Nr. 8, S. 163 f. zit. in: Gre- 28 Brandt, Willy, Links und frei, S. 364 ff. antinational.“33, schreibt Brandt. In bing, Helga, Willy Brandt, Der andere 29 Brandt, Willy Links und frei, S. 368. Deutsche, S. 42. Von Trott wurde kurz nach dem An- 32 ebd. S. 377 f. 37 Im August 1940 hatte er von der nor- schlag hingerichtet. 33 ebd. S. 44. Auch Markus Wolf, der wegischen Exilregierung in London die 30 Brandt, Willy, Brief an Arne Ording vom spätere Spionagechef der DDR, war norwegische Staatsbürgerschaft erhal- 27.12.1941, in: Zwei Vaterländer, S. 71. als Korrespondent des sowjetzonalen ten; Ende 1947 gab er sie zurück. Ade- 31 Brandt, Willy, Links und frei, S. 249 ff. Berliner Rundfunks in Nürnberg. nauer ging fälschlicherweise davon aus,

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 57 BLICK IN DIE GESCHICHTE sich für die endgültige Rückkehr nach nehin war seine Stadt für Soldaten der sten und der 25-jährigen des Zweiten Deutschland. 1949 wurde er als Ber- Bundeswehr in Uniform tabu. Gleich- Weltkrieges zu sprechen. Die beiden liner Abgeordneter in den Bundestag wohl kannte er eine Reihe hochran- kannten sich. Heusinger hatte 1959 gewählt, dem er bis 1957 und später giger Soldaten der Bundeswehr, wie nach Vermittlung durch Oberstleut- von 1965 bis 1992 angehörte – ins- z.B. Generalleutnant Cord von Hobe nant a.D. Dr. Beermann (1912-1975; gesamt ca. 35 Jahre. 1951 wurde er (1909-1991), der 1959 – in Zivil – später Brigadegeneral) Brandt inoffi- Mitglied des Berliner Abgeordneten- die Gedenkrede zum 20. Juli gehal- ziell bei Planungen zur Verteidigung hauses und war von 1955 bis 1957 ten hatte oder die Generale Heusinger Westberlins im Falle eines sowjeti- dessen Präsident. In dieser Funkti- und Speidel. schen Angriffes beraten.41 Doch am 18. August sagte Brandt in einem handschriftlichen Brief ab; vermut- lich hatten die westalliierten Stadt- kommandanten Bedenken gegen eine Beteiligung der Bundeswehr. Wahrscheinlich hatte kein Regie- rungschef eines anderen deutschen Bundeslandes bis heute von Amts- wegen einen solch häufigen und en- gen Kontakt zu hochrangigen alli- ierten Militärs wie Willy Brandt als Regierender Bürgermeister. Zwischen 1955 und 1966 sind allein 61 Treffen z.B. bei diversen Anlässen wie An- tritts- und Abschiedsbesuchen, Bäl- len und Paraden mit den alliierten Stadtkommandanten und einer gro- ßen Zahl hochrangiger Offiziere foto- grafisch dokumentiert, hinzukommen viele private Begegnungen; so feierte Bild 7: Truppenbesuch des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Willy Familie Brandt den Sylvesterabend Brandt beim PzBt 144 im Juni 1961. 1963 in der Villa des US-Stadtkom- mandanten. Als Regierender Bürger- on versuchte Brandt, Berliner und „Ich glaube, es war eine große Sa- meister der geteilten und bedrohten alliierte Soldaten einander näher zu che, von der etwas ausstrahlen wird, Frontstadt wusste er um die Lebens- bringen und rief im Dezember 1955 dass der General von Hobe heute Mit- notwendigkeit des Bündnisses mit seine Mitbürger dazu auf, Soldaten tag für … die Bundeswehr gesprochen den Westalliierten und pflegte diese zu Weihnachten nach Hause einzu- hat. Wir sind ihm dankbar, dass er un- Bindungen. Seine Beziehung zu den laden. Im Herbst 1957 wurde Brandt ter uns ist, und bitten ihn, die Grüße … Stadtkommandanten war gut und ver- als Nachfolger des verstorbenen Otto dieser Stadt…, dem Minister und der trauensvoll. Wann immer Brandt in Suhr (1894-1957)38 zum Regierenden Bundeswehr auszurichten.“40 den USA war, versäumte er es nicht, Bürgermeister von Berlin gewählt und In seiner Rede zum 20. Juli 1959 General Clay aufzusuchen und ihm behielt dieses Amt bis er 1966 in das sagte Brandt: „Es ist ein nationalpoli- von „seiner Stadt“ zu berichten.42 An Kabinett Kiesingers trat. Sein Chauf- tisches Ereignis, dass der höchste Offi- der Schnittstelle zum Ostblock erleb- feur, Georg Holly, war Soldat gewesen, zier der Bundeswehr, General Heusin- te er täglich hautnah, dass Freiheit doch ihm „… wurde keine wirklich per- ger, … zum diesjährigen 20. Juli von des Schutzes bedarf. Für ihn war die sönliche Beachtung zuteil.“, schreibt der ‚Tat gegen das Unrecht und gegen militärische Bedrohung kein theoreti- Lars Brandt.39 1958 starb Brandts leib- die Unfreiheit‘ spricht … General Spei- sches Szenario.43 Er hatte sie während licher Vater John Möller; Kontakt hat del hat mir mit herzlichen Grüßen aus der Abriegelung, der Luftbrücke und keiner von beiden gesucht. Fontainebleau telegrafiert, dass er … mit uns allen an diesem Tage treu ver- 41 S. Meyer, Georg, , S. ls Regierender Bürgermeister bunden ist.“ 765 ff. hatte Brandt keinerlei dienstli- Am 3. Juli1964 hatte Brandt 42 Brandt, Willy, Begegnungen und Ein- A sichten, S. 33. che Beziehung zur Bundeswehr. Oh- den pensionierten Generalinspek- 43 Auch Egon Bahr äußerte in einem teur Heusinger eingeladen, bei der Interview in der FAZ vom 29.04.2005 dass Brandt Soldat in der norwegischen für den Herbst geplanten Gedenkver- (mit Stefan Aust und Frank Schirr- Armee war (Protokoll der Sitzung des anstaltung von Senat und Abgeordne- macher) ähnliche Gedanken: „Ich CDU-Parteivorstands vom 06.07.1960). tenhaus anlässlich der 50-jährigen habe die Russen als Bedrohung 38 Franz Amrehn (1912-1981; CDU) führte erlebt. Und ich bin auch heute das Amt nur kommissarisch vom 30.08 Wiederkehr des Ausbruchs des Er- sicher, wenn sie relativ risikolos bis 03.10.1957. 40 Brandt, Willy, Tischrede im Haus der die Westsektoren hätten nehmen 39 Brandt, Lars, Andenken, S. 46. Kaufl eute in Berlin am 20. Juli 1959. können, hätten sie das getan“.

58 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 BLICK IN DIE GESCHICHTE während des Baus der Mauer hautnah kanzler. Auch in dieser Rolle hatte Kanzler Kiesinger nahm Außenmini- erlebt. Die Einbettung Westdeutsch- er mit den Streitkräften wenig zu tun. ster Brandt nicht teil. lands in die NATO war daher für ihn Ständig hingegen war er nun mit si- ach den Bundestagswahlen im unverzichtbar. „1960 in Hannover, bei cherheitspolitischen Themen befasst; NHerbst 1969 wurde Willy Brandt meiner Nominierung zum Kanzlerkan- so traf er bei Sitzungen des NATO- am 28. Oktober zum vierten Bundes- didaten, hatte ich bekundet, für unsere Rates die Generale Gerhard Wessel kanzler gewählt. Generalleutnant a.D. Verteidigungspolitik werde Bündnist- (1913-2002) und Hellmuth Hauser Graf Baudissin (1907-1992), der nach reue oberste Richtschnur sein.“44 (* 1916),46 die als „Deutsche Militä- seiner Pensionierung der SPD 1968 Und so vertrat er in der Sicher- rische Bevollmächtigte“ (DMV) das beigetreten war, unterstützte den heitspolitik und auch in der Frage der atomaren Bewaffnung einen be- hutsameren Kurs als seine Mutterpar- tei. Dennoch votierte Brandt bei der Abstimmung über die Bundeswehr mit Nein. 1961 besuchte er vermut- lich zum ersten Mal einen Truppen- teil der Bundeswehr. Auf einer Wahl- kampfreise als Kanzlerkandidat der SPD traf er am 19. Mai beim Stab der 3. Panzerdivision in der Este- tal-Kaserne in Buxtehude ein und wurde durch Generalmajor Christian Müller (1904-1992), den Divisions- kommandeur, begrüßt. Danach nahm Brandt am Rekrutenunterricht in der Fernmeldeausbildungskompanie 1/3 teil. Nur einen Monat später, am 21. Juni 1961 folgte der zweite Besuch, diesmal in Koblenz. Am Vormittag besuchte er Truppen der 5. Panzer- Bild 8: Antrittsbesuch der Bundeswehrführung beim Kanzler 1969 division und der Panzerbrigade 14 (v.l.: GenLt Steinhoff, Insp Lw, BMVg Helmut Schmidt, Bundeskanzler unter ihrem Kommandeur Brigade- Willy Brandt, General de Maizière, GenInsp, GenLt Schnez, Insp H) general Karl-Theodor Molinari (1915- 1993; Ritterkreuz; später General- BMVg bei der NATO vertraten, sowie Wahlkampf Brandts. Helmut Schmidt major). Er nahm an einer Gefechts- bei denen des Bundessicherheitsra- wurde Verteidigungsminister, Gene- übung des Panzerbataillons 144 unter tes auch Generalinspekteur Ulrich de ralinspekteur de Maizière blieb im Oberstleutnant Gerd von Born-Fallois Maizière (1912-2006). Amt (Bild 8). Brandts Verhältnis zur (1913-1998; Ritterkreuz) auf dem Im August 1968 erfolgte die In- Bundeswehr blieb auch als Kanzler Standortübungsplatz Schmittenhöhe vasion von Truppen des Warschauer distanziert. Vizeadmiral Rolf Stein- teil und kletterte – wahrscheinlich Paktes (WP) in die CSSR. Außen- haus (* 1916) zitiert Verteidigungs- erstmals in seinem Leben – auf einen minister Brandt hielt einen militäri- minister Leber wie folgt: „Brandt hat Kampfpanzer M 48 (Bild 7). Vor dem schen Einmarsch des WP noch An- erst recht kein Verhältnis zu den Sol- Stabsgebäude des Bataillons enthüll- fang August für unwahrscheinlich. daten. Militärische Verteidigung ist te er eine Skulptur des „Berliner Bä- Die Bundeswehr hatte im Rahmen für ihn eine fremde Welt.“47 ren“, der im Wappen des Bataillons ihrer Manöverplanung vom 15. bis Ein Grund der Zurückhaltung lag verewigt ist.45 Nach einem gemein- zum 21. September die Großübung sicherlich auch darin, dass Brandt samen Mittagessen bei der Brigade „Schwarzer Löwe“ in Ostbayern ge- 1969 mit Helmut Schmidt einen Chef 14 besuchte Brandt den Stab des III. plant. Brandt wandte sich gegen Zeit auf die Hardthöhe entsandt hatte, Korps unter dem Kommandierenden und Raum dieses Manövers, da er der sich wie kaum ein anderer in General Heinrich Gaedcke (1905- glaubte, der WP würde dies als es- den Facetten von Militärpolitik und 1992; Ritterkreuz). Am 2. Juli 1965 kalatorische Reaktion verstehen. Die Militär auskannte. Allerdings nutzte nahm Brandt an der Wehrpolitischen Übung wurde daraufhin nach Baden- Schmidt bisweilen das politische Ge- Informationstagung der SPD in Stutt- Württemberg verlegt. An der großen wicht Brandts. So nahm der Kanzler gart teil. Truppenparade auf dem Nürburgring – mit Helmut Schmidt, Staatssekre- Im Kabinett Kiesinger übernahm am 6. Juni 1969 anlässlich des 20. tär Willy Berkhan (1915-1994) und Brandt zwischen 1966 und 1969 das Jahrestages des Bestehens der NATO General de Maizière – bereits am 16. Außenamt und wurde zugleich Vize- im Beisein von NATO-Generalsekre- Januar 1970 an einer Arbeitstagung 44 Brandt, Willy, Erinnerungen, S. 431. tär Manlio Brosio (1897-1980) und mit 200 Unteroffizieren in Hamburg- 45 S. Bärenkurier 2008, hrsg. Traditions- 46 Wessel (Heer) von 1963 bis 1968 und 47 Steinhaus, Rolf, Soldat Diplomat, S. verband PzBtl 144/344. Hauser (Luftwaffe) von 1968 bis 1970. 198.

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 59 BLICK IN DIE GESCHICHTE

Wandsbek teil, die Minister Schmidt Brigadegeneral befördert. 1974 folgte ihren Antrittsbesuch beim neuen Bun- im Rahmen seiner Bestandsaufnahme ihm Brigadegeneral Dr. Hans-Georg deskanzler: Minister Schmidt wurde durchführte. In seiner Regierungser- Zuber (1916-1995; später Generalma- von Generalinspekteur de Maizière klärung vom 28. Oktober 1969 hatte jor); zwischenzeitlich war die Gruppe und den Inspekteuren Schnez (Heer), der neue Kanzler diese angekündigt, in „II/ 3“ umbenannt worden. Gerber Steinhoff (Luftwaffe), Zenker (Marine) und ihre Ergebnisse sollten in Refor- und Zuber waren bisher die einzigen, und Dr. Hockemeyer (Sanitätsdienst) men münden: „Die Bundesregierung die im Range eines Brigadegenerals begleitet. weiß, dass unsere Soldaten in vielen im Kanzleramt dienten. Es war keine Im Vorwort zum „Weißbuch 1970“ Einheiten und in vielen Funktionen leichte Zeit für die Bundeswehr. Die schreibt Brandt: „Die Soldaten der bis an die Grenze der Leistungsfähig- Schere zwischen Mittel und Auftrag Bundeswehr verdienen den Respekt und keit gefordert werden.“ hatte sich weiter geöffnet und die Dis- die Anerkennung unserer Gesellschaft, Zu den vorrangigsten Maßnahmen kussion über den inneren Zustand der die in Freiheit leben und in gesicher- gehörten Wehrgerechtigkeit, Entbü- Streitkräfte angeheizt. Beim Offizier- tem Frieden arbeiten will.“ Doch hier rokratisierung, die Aufstockung der und Unteroffiziernachwuchs gab es gab es keine Fortschritte: Bis heute Ausbilder, die Einsetzung einer Wehr- große Lücken. Öffentlich wurden The- dümpelt die Integration der Armee strukturkommission und vor allem die sen und Gegenthesen zum „Selbstver- vor sich hin. Neuordnung der Offizierausbildung. ständnis der Bundeswehr“ formuliert: Im Januar 1970 besuchte Brandt Im „Weißbuch 1970“ wurden die Er- „Schnez-Studie“, „Leutnante 70“ und ein Vorführungsschießen der Artil- gebnisse veröffentlicht. Egon Bahr (* „Hauptleute von Unna“. Im Dezember lerie auf dem Truppenübungsplatz 1922), der wohl engste Mitarbeiter 1971 wandten sich 30 Wehrpflichti- Münsingen, an dem die 3. Batterie Brandts, hatte als Kind mehrere Jahre ge des Panzerbataillons 183 aus Boo- des Raketen-Artilleriebataillons 102 in Torgau, dem Standort des Reiter- stedt in einem offenen Brief an Brandt aus Pfullendorf unter seinem Kom- regiments 10, gewohnt. „Seit Torgau und forderten ihn auf, die „friedens- mandeur Major Hans Jochen Wagner begleitete mich der ungewöhnliche feindliche Demagogie der CDU/CSU“ teilnahm. Dreiklang von Soldaten, Stenografie zurückzuweisen.50 Die Haltung der Zu Beginn seiner ersten USA-Rei- und Musik.“48 Bevölkerung blieb gleichgültig, die se als Kanzler im April 1970 besuchte 1942 hatte er sich freiwillig zur der Außerparlamentarischen Opposi- Brandt das Taktische Aus- und Wei- Luftwaffe gemeldet, wurde dann zur tion feindlich. Die Anträge auf Wehr- terbildungszentrum Flugabwehrrake- Flak versetzt.1943 kam Bahr als Fah- dienstverweigerung schnellten in die ten der Luftwaffe im texanischen Fort nenjunker zu einer Vierlingsbatterie Höhe. Keiner von Brandts drei Söh- Bliss in El Paso52 unter Oberst Werner auf den Flugplatz Abbeville in West- nen, Peter (* 1948), Lars (* 1951) Meng (1915-2003; später Brigadege- frankreich, danach zur Luftkriegs- und Matthias (* 1961), hatte gedient. neral). Am 24. Juli 1970 empfing der schule 6 (LKS VI) nach Kitzingen. Zwar brauchten sie, als sie in Berlin Kanzler den Vorstand des Deutschen Als jedoch bekannt wurde, dass er wohnten, keinen Grundwehrdienst zu Bundeswehrverbandes unter Oberst eine „nicht-arische“ Großmutter hat- leisten, wohl aber als sie nach Bonn Heinz Volland (* 1921). Am 9. Sep- te, musste er – kurz vor Beförderung umzogen. Und freiwillig wäre es ohne- tember 1970 besuchte Brandt mit Mi- zum Oberfähnrich – die Armee ver- hin möglich und ein positives Signal nister Schmidt und Luftwaffeninspek- lassen, eine bittere Zäsur für den gewesen. Ob Brandt selbst es gewollt teur Steinhoff das Manöver „Schwar- jungen Offizieranwärter. Conrad Ah- hätte, kann nicht beantwortet werden, zer Himmel“ auf dem Truppenübungs- lers (1922-1980), ein weiterer enger die Söhne jedenfalls wollten es nicht: platz Münsingen und dem Fliegerhorst Vertrauter Brandts, war von 1969 bis Peter, der älteste, stand damals dem Lechfeld. Angesichts der sinkenden 1972 Leiter des Presse- und Infor- marxistisch-trotzkistischen Flügel Bereitschaft zum Wehrdienst wandte mationsamtes der Bundesregierung nahe und gehörte zu den führenden sich Brandt am 19. November 1970 und hatte von 1941 bis 1945 als Fall- Mitgliedern des Spartacus-Bundes. in einem Schreiben an die Konferenz schirmjäger49 u.a. auf Kreta und bei Lars und Peter Brandt spielten 1966 der Ministerpräsidenten, in dem er Monte Casino gekämpft, zuletzt als in der Verfilmung der Novelle „Katz seine Beunruhigung über die steigen- Oberleutnant. und Maus“ von Günter Grass mit. In de Zahl der Wehrdienstverweigerer In der Gruppe II/2 des Kanzler- einer Szene hängte sich Lars ein Rit- ausdrückte und eindringlich darum amtes (Sicherheitspolitik, Verteidi- terkreuz um den Bauch, was damals bat, in den Schulen auf die Notwen- gungsfragen und Bundessicherheits- zu einem Sturm der Entrüstung in digkeit der Bundeswehr hinzuwei- rat) folgte 1970 der Heeres-Oberst Dr. Medien und Bevölkerung führte. „Ich sen: „Beim jungen Menschen (muss) Johannes Gerber (1919-2004; spä- nahm an, der ganze Rummel war von Verständnis geweckt werden für die ter Generalmajor) seinem Luftwaf- ihm (= Brandt) und seinen Beratern Notwendigkeit einer ausreichenden fen-Vorgänger Dr. Ortmanns. Gerber einkalkuliert.“51 Verteidigung als Voraussetzung jeder wurde als erster Offizier auf diesem Entspannungspolitik.“53 Dienstposten mit Dienstantritt zum m 8. Dezember 1969 machte die Führungsspitze der Bundeswehr 52 Brandt, Willy, Begegnungen und Ein- 48 Bahr, Egon, Zu meiner Zeit, S. 16. A sichten, S. 379. 49 Auch Ahlers Sohn Detlev diente bei 53 Brandt, Willy, Schreiben an die den Fallschirmjägern und schied als 50 s. Bundesarchiv BA-MA 2/11939. Konferenz der Ministerpräsidenten der Leutnant d.R. 1973 aus. 51 Brandt, Lars, Andenken, S. 83. Länder, Bibliothek der Friedrich-Ebert

60 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 BLICK IN DIE GESCHICHTE

Es brachte keine Änderung. Und rungsängste vor der Bundeswehr hatte fehlen. In „Begegnungen und Einsich- so registrierte Brandt im März 1971 er nicht, doch seine direkten Begeg- ten“ findet nur General Steinhoff Er- im Bundestag „mit Sorge die innere nungen mit Soldaten blieben unper- wähnung: „General Steinhoff, damals Abwendung eines Teils der heranwach- sönlich und steif. Hier kam offenbar Leiter der deutschen Militärmission in senden Generation von den Pflichten, zum Tragen, was Sohn Matthias auf Washington, legte Wert darauf, dass er die ihnen von Staat und Gesellschaft den Vorhalt sagte, sein Vater wäre „ex- und seine Offiziere mit mir zusammen- abverlangt werden“. Aufgrund des Be- trem verschlossen“ gewesen: „Das ist trafen; an der Spitze des Bonner Vertei- richts der Wehrstrukturkommission ja Teil des Phänomens Willy Brandt: digungsministeriums wurde das nicht wurde der Grundwehrdienst auf 15 dass er dem Anonymen eine große Nähe gnädig aufgenommen.“60 Monate herabgesetzt. vermitteln konnte und dem konkreten Die Bundeswehr wird nur in we- Das innere Verhältnis Brandts zur Gegenüber gerade nicht.“56 nigen Sätzen beiläufig berührt, grund- Bundeswehr und zum Militär kann Auch Bruder Lars bestätigt: „Sei- sätzliche Gedanken fehlen. Spiegel- nur skizziert werden: Zum einen war ne Verschlossenheit, gar Hilflosigkeit bildlich kommt auch in Rut Brandts es widersprüchlich, und zum ande- im persönlichen Umgang fiel einigen Erinnerungen weder ein Soldat der ren wurde manches durch die das auf, die mit ihm zu tun hatten.“57 Bundeswehr, noch diese als Organisa- Amt gebietende Akzeptanz äußerer Und Helmut Schmidt spricht dies tion vor. Zwar betont Brandt gelegent- lich Sympathie für die Bundeswehr: „Unsere Bundeswehr, die Offiziere und Soldaten der Bundeswehr sollen wis- sen, dass ihre Dinge bei uns gut auf- gehoben sind.“61, aber seine Worte stehen oft im Widerspruch zur Par- tei. Sinn für Gesten war ihm keines- wegs fremd, wie sein Kniefall in War- schau 1970 beweist, aber gegenüber dem militärischen Zeremoniell hatte er Vorbehalte, so empfand er es z.B. „nicht als ein großes Unglück,“ als dieses bei seiner Ankunft in Moskau im August 1970 unter dem Zeitplan litt,62 oder wenn er von „sogenann- ten militärischen Ehren“ schreibt, die er sich bei einem Besuch des KZ Buchenwald in der DDR verbe- ten hatte.63

Bild 9: Bundeskanzler Willy Brandt beim Großen Zapfenstreich für m Oktober 1971 wurde Brandt der Generalinspekteur Ulrich de Maizière 1972; r. von Brandt der Nachfolger IFriedensnobelpreis verliehen. Am Admiral Armin Zimmermann. 28. Februar 1972 besuchte der Kanz- ler das II. Korps in Ulm; Kommandie- Formen überdeckt. Er selbst sagt: in einem Brief an Brandt an: „. ... dass render General war Generalleutnant „Meine Haltung zu den militärischen Du tatsächlich ... bis an die Grenzen der Dipl.-Ing. Helmut Schönefeld (1916- Dingen spiegelte den Wandel der Pro- Selbstachtung Dich überwinden mus- 1997). Brandt nahm am 23. März 1972 blemstellungen von den dreißiger zu stest, während Du im Innern erkennbar am Großen Zapfenstreich zu Ehren den achtziger Jahren. Aufgewachsen andere Meinungen hegtest.“58 des aus dem Amte scheidenden Ge- in antimilitaristischer Tradition, hat- Niemand kann erwarten, dass neralinspekteurs de Maizière teil, eine te ich rasch gelernt, dass der nazisti- sich eine seit frühester Jugend ein- Geste, die ein deutscher Regierungs- schen Herausforderung weder mit ra- gepflanzte Aversion gegen alles Mi- chef einem scheidenden hohen Offi- dikalen Sprüchen noch mit gefalteten litärische auf einmal in Sympathie zier erstmals gewährte (Bild 9). Nach- Händen beizukommen war; …, dass verwandelt. In Brandts „Erinnerun- folger wurde Admiral Armin Zim- Kriege in den Köpfen von Menschen gen“ wird nur ein General der Bun- mermann (1917-1976). Im Juli 1972 begannen.“54 deswehr namentlich erwähnt: Gene- übernahm Georg Leber das Amt des Helmut Schmidt stellt fest, dass ralleutnant Wessel als Präsident des Verteidigungsministers. Die einge- „Brandt … nicht zur … militärstra- BND.59 Andere hohe Offiziere, die in tegischen Analyse“ neigte.55 Berüh- dieser Zeit die Bundeswehr prägten, 60 Brandt, Willy, Begegnungen und Ein- sichten, S. 90. Stiftung C 1887, s.a.: Grundsätze sozial- 56 STERN-Interview vom 15.10.2003. 61 Brandt, Willy, Die SPIEGEL-Gesprä- demokratischer Sicherheitspolitik, SPD 57 Brandt, Lars, Andenken, S. 20. che, S. 44 f. (Hrsg.), Bonn 1973, S. 45 f. 58 Schöllgen, Gregor, Willy Brandt – Die 62 Brandt, Willy, Begegnungen und Ein- 54 Brandt, Willy, Erinnerungen, S. 430. Biographie, S. 245. sichten, S. 428. 55 Schmidt, Helmut, Außer Dienst, S. 42. 59 Brandt, Willy Erinnerungen, S. 333. 63 Brandt, Willy, a.a.O., S. 499.

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 61 BLICK IN DIE GESCHICHTE leiteten Reformen begannen sich po- notwendige Elemente für eine Lösung ner Ägyptenreise in Begleitung des sitiv auszuwirken. Am 16. Juni 1972 der deutschen Frage. Kommandeurs der 3. ägyptischen Ar- besuchte Brandt das „militärische Am 26. Oktober 1972 besuchte mee, General Ahmed Badawi (1927- Biwak“ des BMVg. Auf einer Kund- Brandt deutsche und alliierte Luftwaf- 1981), an einigen Schauplätzen des gebung in Koblenz am 4. November fentruppen auf dem NATO-Flugplatz Oktoberkrieges 1973. Am 1. und 2. 1972 sagte der Kanzler: „Natürlich in Ramstein. Mai 1974, wenige Tage vor seinem respektieren wir das Grundrecht auf In den vorgezogenen Neuwah- Rücktritt, brachte die Fregatte „Köln“ Wehrdienstverweigerung aus Gewis- len am 19. November 1972 fuhr unter ihrem Kommandanten, Fre- sensgründen. … Aber dieses Grund- Brandt den größten Wahlsieg in der gattenkapitän Klaus-Dieter Sievert recht ist nicht dazu da, dass es politisch Geschichte der SPD ein. In seiner (* 1935; später Flottillenadmiral), ei- missbraucht … wird. Man sollte auch zweiten Regierungserklärung vom nen bedrückten Kanzler nach Helgo- nicht versuchen, künstlich einen Unter- 18. Januar 1973 führte der wieder- land und zurück nach Wilhelmsha- schied … zu konstruieren, als ob dem gewählte Kanzler aus: „Die Freiheit, ven (Bild 10). Bedingt durch seinen sogenannten ‚Kriegsdienst‘ in der Bun- an Entspannung und Ausgleich mit- überraschenden Rücktritt am 6. Mai deswehr ein ‚Friedensdienst‘ außerhalb zuwirken, wird uns nicht geschenkt. 1974 gab es keine offizielle Verab- der Bundeswehr gegenüberzustellen Wehrpflicht, Verteidigungshaushalt schiedung durch die Bundeswehr mit sei. Mein Verständnis von den staats- und Zivilverteidigung betrachten wir einem Großen Zapfenstreich. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt ließ Brandt trotz vielfältiger an- derer Verpflichtungen die Verbin- dung zur Armee nicht völlig abrei- ßen. So nahm er am 7. Oktober 1975 am Empfang für Georg Leber auf der Hardthöhe zu dessen 55. Geburtstag teil. Am 17.11.1977 traf Brandt Ge- neralleutnant a.D. Graf Baudissin auf dem SPD-Parteitag in Hamburg. Am 11. März 1982 hielt Brandt – auf Anregung von Minister Apel – im Ollenhauer-Haus im Rahmen eines „Forums Bundeswehr“ einen Vortrag, in dem er sich zur Bundeswehr be- kannte und sie gegen Anfeindungen in Schutz nahm.65 Am 8. Februar 1984 kritisierte Brandt im Bundestag die Entschei- dung Kanzler Kohls, Minister Wörner Bild 10: Ein ernster Bundeskanzler Willy Brandt 1974 auf der Fregatte trotz dessen Rücktrittsgesuchs im „Köln“. Amt zu belassen. Brandts Eintreten für General Kießling, dessen Namen bürgerlichen Rechten und Pflichten nicht nur als Notwendigkeiten, son- er nicht erwähnte, war zwar in erster lässt es nicht zu, zu demjenigen aufzu- dern als sinnvollen Dienst für die freie Linie parteipolitisch motiviert,66 doch blicken, der sich auf ein selbstgezim- Gemeinschaft unserer Bürger; er hilft er hätte nicht das Wort ergreifen müs- mertes moralisches Podest stellt.“ unserer Friedensarbeit. Präsenz und sen. Vielleicht war es auch die Ge- Am selben Tag nahm Brandt an ei- Kampfkraft der Bundeswehr müssen ner Wehrpolitischen Tagung der SPD erhalten bleiben.“ 65 Apel, Hans, Sicherheitspolitik und in Bonn teil, zu der Verteidigungsmi- 1973 wurde die „Konferenz für Parteiräson, in: Vom Kalten Krieg zur deutschen Einheit, Hrsg. vom MGFA, nister Leber eingeladen hatte. Auf der Sicherheit und Zusammenarbeit in Verlag Oldenbourg, S. 258; s.s.: C2531 Pressekonferenz führte er u. a. aus: Europa“ (KSZE) eröffnet und im Au- Rede und Diskussionsbeiträge am 11. „Mit politischer Instabilität oder ein- gust 1975 – nach Brandts Amtszeit März 1982 in Bonn auf dem Forum Bun- seitigem Verzicht auf Verteidigungsbe- – die „Schlussakte von Helsinki“ un- deswehr der SPD (Hrsg.), Bonn 1982, reitschaft wäre der Sicherung des Frie- terzeichnet. Am 16. Oktober 1973 be- in: Vom Kalten Krieg zur deutschen Einheit, MGFA, Verlag Oldenbourg, dens nicht gedient. … Unsere Sicher- suchte Brandt das Manöver „Reforger Hans Apel, S. 258 64 heitspolitik ist und bleibt verankert in V“. Am 7. Juni 1973 traf er Israels 66 Plenarprotokoll 10/52 des 52. Sitzung der Atlantischen Allianz.“ Verteidigungsminister, General Mos- des BT, S. 3685 ff. Kießling hatte Ähnlich hatte er sich bereits zehn he Dayan (1915-1981), und am 21. Brandt in den frühen 60er Jahren Jahre zuvor auf dem Parteitag der SPD April 1974 weilte Brandt während ei- einmal in der Evangelischen Akademie in Tutzing getroffen (Kießling, Günter, im Mai 1962 in Köln geäußert, als er 64 Manöver „REFORGER” = Return of Versäumter Widerspruch, S. 197); dass betonte, europäische Einigung und Forces to Germany (zwischen 1969 und Brandt sich daran erinnern konnte, transatlantische Partnerschaft wären 1993). kann ausgeschlossen werden.

62 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 BLICK IN DIE GESCHICHTE ste eines Mannes, der wusste, was es Internationale Entwicklungsfragen“ Die Beisetzung erfolgte auf dem heißt, unter Verleumdungen leben zu („Nord-Süd-Kommission“). Waldfriedhof in Berlin-Zehlendorf müssen. Brandt nahm am 12.11. 1985 Seine hanseatische Disziplin wur- (Bild 11). Trotz der Widersprüche an einer Feierstunde im Ollenhauer de u.a. sichtbar, als Kanzler Kohl den wurde auch bei Brandt das achte Ge- Haus anlässlich des 30. Geburts- Todkranken im Herbst 1992 am Kran- bot, das Verbot falsches Zeugnis zu re- tages der Bundeswehr teil. Bei der kenbett besuchte, und Brandt darauf den, diesmal von konservativer Seite, sicherheitspolitischen Tagung der bestand, ihn angekleidet zu empfan- missachtet. Es spricht viel dafür, dass SPD am 26.11.1986 in Bonn sagte gen: „Ich bleibe nicht im Bett, wenn Brandt – nach einer langen, von der der Altkanzler: „Die Bundesrepublik mein Bundeskanzler kommt.“68 Geschichte und seinem Lebensweg findet ihre Sicherheit nur im Bündnis geprägten Distanz zum deutschen Mi- mit den übrigen … Partnern. … Aber illy Brandt starb am 8. Oktober litär – in seinen späten Jahren abge- wir möchten die Bundesrepublik nicht W1992 in Unkel am Rhein. Am rückt ist, auch wenn es ihm zeitlebens sehen … ohne Definition der eigenen 17.Oktober 1992 wurde er im Berli- eine fremde Welt geblieben ist. sicherheitspolitischen Vorstellungen.“ ner Reichstag mit einem Staatsakt ge- Brandt fügte – ähnlich wie Kiesinger ehrt, an dem auch Generalinspekteur Literatur: – hinzu: „Sicherheit und Frieden … (* 1939) teilnahm. – Apel, Hans, Sicherheitspolitik sind nicht zu schaffen, wenn wir die Danach trugen Bundeswehroffiziere und Parteiräson, in: Vom Kalten Sicherheitsvorstellungen des Ostens nicht mit berücksichtigen …“ Seine Haltung zum NATO-Dop- pelbeschluss und zur Nachrüstung hingegen blieb zwiespältig. „Noch in der Zeit als Bundeskanzler, danach verstärkt, hatte ich die Logik von Ab- schreckung und sich hochschaukeln- dem Gleichgewicht so logisch nicht mehr finden können.“67

illy Brandt beobachtete mit Sor- Wge die Verschlechterung der Ost-West-Beziehungen Ende der 70er Jahre: die Aufstellung sowjeti- scher Mittelstreckenraketen (SS-20) und den Einmarsch in Afghanistan. Und so folgte Brandt dem Kurs sei- nes Nachfolgers Schmidt nur aus Lo- yalität, nicht aus Überzeugung. Als dieser 1982 durch ein konstrukti- Bild 11: Ehrengrab von Alt-Bundeskanzler a.D. Willy Brandt auf dem ves Misstrauensvotum sein Amt ver- Waldfriedhof in Berlin-Zehlendorf. lor, brauchte Brandt keine Rücksicht mehr zu nehmen. Am 13. September den Sarg aus dem Reichstagsgebäude Krieg zur deutschen Einheit, Ver- 1983 eröffnete er der Öffentlichkeit, und das Stabsmusikkorps intonierte lag Oldenbourg, München 1995 dass er von Anfang an Bedenken das „Lied vom guten Kameraden“. Es – Archiv der Hansestadt Lübeck gegen den NATO-Doppelbeschluss sollte als ein Zeichen der Versöhnung (Hrsg.), Lübeck und sein Mili- gehabt hätte und sprach sich gegen und endgültigen Heimkehr in sein Va- tär von den Anfängen bis 1939, die Nachrüstung aus; zugleich be- terland interpretiert werden. „Weizsä- Kleine Hefte zur Stadtgeschichte, kannte er sich aber zur NATO-Zuge- cker glaubte, auf eine militärische Eh- Heft 16; bearb. von Otto Wieh- hörigkeit und zur Bundeswehr – ein rung … verzichten zu sollen, weil er es mann und Antjekathrin Grass- sicherheitspolitischer Spagat. Auf im Falle Willy Brandts nicht passend mann nach einer Zusammenstel- dem Kölner Parteitag im November fand, dass Soldaten in Erscheinung lung von Georg Fink, Lübeck votierte die SPD mit großer Mehrheit traten. Es bedurfte einiger Erklärun- 2000 erstmalig gegen den NATO-Doppel- gen … , damit der Staatsakt … doch – Bahr, Egon, Zu meiner Zeit, Otto beschluss. 1976 wurde Brandt zum noch mit militärischen Ehren umrahmt Siedler Verlag, München 1996 Präsidenten der Sozialistischen In- wurde. Schließlich war auch dies der – Bolesch Hermann Otto; Leicht ternationale (SI) gewählt und behielt ausdrückliche Wunsch des todkranken Hans Dieter, Der Lange Marsch dieses Amt bis kurz vor seinem Tod. Mannes, den er bei unserer letzten Be- des Willy Brandt. Ein Porträt des 1977 übernahm er den Vorsitz ei- gegnung geäußert hatte.“69 neuen deutschen Bundeskanz- ner „Unabhängigen Kommission für 68 Zit. in: Schöllgen, Gregor, Willy Brandt, lers S. 291. 67 Brandt, Willy, Erinnerungen, S. 356. 69 Kohl, Helmut, Erinnerungen 1990- 1994, S. 488.

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 63 BLICK IN DIE GESCHICHTE

– Brandt, Lars, Andenken, Carl Kanzlers Willy Brandt, VS Verlag Bildnachweis: Hanser Verlag, München 2006 für Sozialwissenschaften – Bundesarchiv (0), Archiv der so- – Brandt, Rut, Freundesland. Erin- – Rundel, Otto, Kurt Georg Kie- zialen Demokratie der FES (1, 5), nerungen, Verlag Hoffmann und singer Sein Leben und sein poli- Verfasser (2), Privatarchiv Robert Campe, Hamburg 1992 tisches Wirken, Verlag W. Kohl- Nippus (3, 4), Oberstleutnant a.D. – Brandt, Willy, Die Spiegel-Ge- hammer, Stuttgart 2006 Werner Fey (6), de Maizière (8), spräche 1959-1992, Hrsg. Böh- – Schöllgen, Gregor, Willy Brandt, Traditionsgemeinschaft „Köln“ me, Erich und Wirtgen, Klaus Propyläen Verlag, Berlin 2001 (9), Florian Lindner (10), Inter- DVA Stuttgart 1993 – Schröck, Rudolf, Willy Brandt net (11). – Brandt, Willy, Erinnerungen, Pro- Eine Bildbiographie, Heyne-Bio- pyläen, Ullstein Verlag, Frank- graphie 12/211, München 1995 Verfasser: furt 1989 – Schmidt, Helmut, Außer Dienst – Dieter Kilian, Oberst a.D.; Mili- – Brandt, Willy, Verbrecher und an- Eine Bilanz, Siedler Verlag, Mün- tärattaché 1980-84 in Pakistan und dere Deutsche, Ein Bericht aus chen 2008 1991-94 in Saudi-Arabien; zahlreiche Deutschland 1946, bearb. von – Seebacher, Brigitte, Willy Brandt, Veröffentlichungen Einhart Lorenz, Bundeskanz- Piper Verlag, München 2004 im AUFTRAG, ler Willy Brandt Stiftung, Verlag – Steinhaus, Rolf, Soldat Diplomat, u.a. in: AUFTRAG J.H.W. Dietz, Bonn 2007 Koehlers Verlagsgesellschaft, Nr. 251/Juli 2003 – Brandt, Willy, Bundeskanzler Herford 1983 (Sonderdruck) „Is- Brandt und Reden und Inter- – Wein, Martin, Willy Brandt Das lam und Westliche views, Verlag Hoffman und Cam- Werden eines Staatsmannes, Auf- Welt; AUFTRAG pe Hamburg 1971 bau Taschenbuch Verlag, Berlin Nr. 259/August – Brandt, Willy, Reden und Inter- 2003 2005 bis 268/De- views 1973 zember 2007 „Die Bundespräsiden- – Brandt, Willy, Draußen – Schrif- Besonderer Dank gilt Herrn Ro- ten und die Bundeswehr“ sowie ab Nr. ten während der Emigration, bert Nippus, dem Traditionsverein 269/März 2008 „Die Bundeskanzler Hrsg. von Struve, Günter, Inter- PzBtl 144/344 und dem Archiv der und die Bundeswehr“ (Adenauer Nr. nationale Bibliothek Bd. 94, 2. sozialen Demokratie der Friedrich- 269 bis 271, Erhard Nr. 272 und Kie- Aufl. 1976, Verlag J.H.W. Dietz Ebert-Stiftung (FES) in Bonn. singer Nr. 273). Nachf., Berlin – Brandt, Willy, Begegnungen und Einsichten. Die Jahre 1960-1975, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1976 – Brandt, Willy, Zwei Vaterländer, Kurz berichtet Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2000 – Brandt, Willy, Links und frei. Umfrage: Die meisten Deutschen Mein Weg 1930 – 1950 1982, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1982 sind stolz auf ihr Land – Grebing, Helga, Willy Brandt. Der andere Deutsche, Wilhelm Fink Verlag, München 2008 ber 90 % der wahlberech- sind zwei Drittel der Deutschen – Kießling, Günter, Versäumter Wi- Ütigten Deutschen halten die stolz auf die Republik. 94 % derspruch, v. Hase & Koehler Ver- Bundesrepublik für eine Erfolgs- gaben an, gerne in der Bundes- lag, Mainz 1993 geschichte. Das ergab eine am republik zu leben. Knapp drei – Kohl, Helmut, Erinnerungen 7. Mai in Berlin vorgestellte re- Viertel sind stolz auf das Grund- 1990-1994, Verlag Droemer Kn- präsentative Umfrage zum De- gesetz. Die Stiftung wollte nach aur, München 2007 mokratieverständnis der Deut- eigenem Bekunden die Ñemoti- – Merseburger, Peter, Willy Brandt schen, die die CDU-nahe Kon- onale Lage in Deutschland mes- 1913-1992 Visionär und Realist, rad-Adenauer Stiftung (KAS) in senì. Für die Erhebung befragte DVA München, 2002 Auftrag gegeben hatte. ÑVon ei- Infratest dimap im Auftrag der – Meyer, Georg, Adolf Heusinger, nem übergestülpten Grundge- KAS Mitte März 1.292 Wahlbe- Dienst eines deutschen Soldaten setz kann nicht die Rede seinì, rechtigte, darunter 776 in den 1915 bis 1964, Verlag Mittler & sagte KAS-Vorsitzender Bern- alten und 516 in den neuen Bun- Sohn, Hamburg 2001 hard Vogel (CDU). Laut Studie desländern. (KNA) – Rosenberger, Sigrid Elisabeth, Der Faktor Persönlichkeit in der Politik, Leadershipanalyse des

64 AUFTRAGAUFTRAG27 2744 • JJUNIUNI 2009 9 BLICK IN DIE GESCHICHTE

Blick in die jüngere deutsche Geschichte 20 Jahre Mauerfall – 20 Jahre friedliche Revolution

VON JÖRG SCHÖNBOHM

er 9. November 1989 zählt zu den Sternstunden der deutschen Geschichte. Gewaltfrei demonstrier- ten die Bürger der DDR für Freiheit und Demokratie. Damit besiegelten sie das Ende der kommunis- „Dtischen Diktatur. Die SED-Machthaber wurden durch die friedliche Revolution der eigenen Bürger in die Knie gezwungen. In diesem Jahr feiern wir den zwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls. Wo früher der Todes- streifen verlief, schlägt heute das Herz des wiedervereinigten Deutschlands. Unfreiheit und Repressalien gehö- ren der Vergangenheit an. Für eine ganze Generation von Wendekindern ist die Einheit in Freiheit mittlerweile alltägliche Normalität geworden. Natürlich gibt es noch viel zu tun und so manches liegt noch immer im Argen. Dennoch können wir stolz darauf sein, was wir in unserem wiedervereinigten Land bisher erreicht haben. Wir sind endlich wieder ein Volk.“ Mit dieser Ankündigung hatte der Verband Katholischer Männergemeinschaften im Bistum Hildesheim (VKM) am 25. April zu einem Rückblick auf „20 Jahre Mauerfall“ eingeladen. Bei der Diözesanversammlung des VKM hielt der brandenburgische Innenminister und Generalleutnant a.D. Jörg Schönbohm vor rund 180 Männern im Soldatenheim in Munster/Örtze den nachstehend dokumentierten Vortrag. (Zwischenüberschrif- ten durch die Redaktion eingefügt)

ass ich heute, über 60 Jahre gar nicht bewusst miterlebt haben. Ich Erinnerung an diese erste Zeit nach nach der Gründung der Bun- erinnere mich noch sehr gut an diese Mauerfall und Einheit, um zu begrei- Ddesrepublik und der DDR, Zeit, nicht zuletzt, weil sie für mich fen, was wir in den letzten 20 Jahren und fast 50 Jahre nach dem Bau der direkte Auswirkungen hatte. alles geschafft haben. Der bevorste- Mauer, in einem wiedervereinigten Als Junge war ich mit meiner Fa- hende Jahrestag ist daher ein willkom- Deutschland lebe, macht mich sehr milie aus meiner brandenburgischen mener Anlass, um an diesen beson- glücklich. Die Grenze zwischen Ost Heimat geflohen, ebenso wie meine deren Glücksfall der deutschen Ge- und West existiert nicht mehr. Die Frau mit ihrer Familie. Und so bedeu- schichte zu erinnern. Zugleich bietet Mauer ist weg, ebenso wie der Todes- tete die Spaltung Deutschlands für uns es sich an, einmal eine – natürlich streifen. Wer heute durch Berlin geht, auch die Trennung von der Heimat. nur vorläufige – Bilanz der Wieder- muss schon ganz genau hinschauen, Der Kollaps des Sozialismus und der vereinigung zu ziehen. Wie steht es um noch irgendwo die letzten Spuren Fall der Mauer ermöglichten uns nach eigentlich 20 Jahre nach dem Fall der von Teilung, Gewalt und Unmensch- Jahrzehnten die Rückkehr. Mauer um die deutsche Einheit? Wie lichkeit zu entdecken. Kaum noch weit ist es tatsächlich mit dem so ge- etwas erinnert heute an die Mauer. Die Bundeswehr als Vorreiter der Einheit nannten „Aufbau Ost“ gediehen? Wel- Durch den Garten unseres Hauses Mit der Einheit am 3. Oktober che Probleme haben wir gemeistert, in Kleinmachnow verlief noch vor 20 1990 begann meine Amtszeit als Be- welche stehen uns noch bevor? Und Jahren die Grenze zwischen Ost und fehlshaber des Bundeswehrkomman- vor allem: Wie steht es um die inne- West. Wenn ich dies manchmal Gäs- dos Ost. In den folgenden Monaten re Einheit? Sind wir wirklich schon ten bei uns erzähle, merke ich häu- habe ich von Strausberg aus meine wieder ein Volk, eine Schicksalsge- fig, wie weit diese Zeit – vor allem alte Heimat neu kennengelernt: die meinschaft und eine Nation, die ge- für die jüngere Generation – bereits Soldaten, die Menschen, die Land- meinsam ihre Zukunft in die Hände entfernt ist. schaft, auch die schlechten Straßen nehmen will? Wenn sich am 9. November die- und die damaligen Wohnverhältnis- ses Jahres der Fall der Mauer zum 20. se. Die Deutsche Einheit ist das Verdienst Mal jährt, dann bedeutet das, dass für Die Bundeswehr war Vorreiter der der Bürger der ehemaligen DDR eine ganze Generation von Wendekin- Einheit. Schulen wurden schon früh 1989/1990 haben wir endlich „Ei- dern die Einheit in Freiheit alltägliche in den Osten verlegt. Wehrpflichtige nigkeit und Recht und Freiheit für das Normalität geworden ist. Viel hat sich wurden ab dem 1. Juli 1991 von West deutsche Vaterland“ erreicht. Das ist grundlegend verändert in diesen zwei nach Ost und umgekehrt einberufen eines der großartigsten Wunder un- Jahrzehnten, viel hat sich auch im Be- – trotz anfänglicher Proteste. Im Ok- serer Geschichte und wir haben al- wusstsein der Deutschen in West und tober 1991 erklärte ich als Inspekteur len Grund dankbar zu sein. Für uns Ost geändert. des Heeres, dass unser Projekt des Deutsche erfüllte sich ein jahrzehn- Die letzten 20 Jahre scheinen wie Heeres heißt: „Das deutsche Heer telanger Traum. im Fluge vergangen zu sein, auch – Armee der Einheit“. Die Bürger der ehemaligen DDR wenn einige hier im Raum die Ereig- Unglaublich viel ist seither ge- können stolz darauf sein, dass sie im nisse des Jahres 1989 wahrscheinlich schehen. Manchmal bedarf es der November 1989 die Fesseln der DDR-

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 65 BLICK IN DIE GESCHICHTE

Zwangsherrschaft gesprengt haben. Durch die gewaltfreie Revolution wur- den die kommunistischen Machthaber im Arbeiter- und Bauerstaat endgültig in die Knie gezwungen und die Spal- tung unseres Landes überwunden. Entscheidend ist, dass die Wiederver- einigung keine einseitige Entschei- dung des Westens war. Es waren die Bürger der DDR, die auf die Straße gegangen sind und das SED-Regime davongejagt haben! Das ehemalige Mitglied des Po- litbüros Günter Schabowski sag- te kürzlich dazu in einem Interview mit der Bild-Zeitung etwas sehr Auf- schlussreiches: „Der Sozialismus als marxistisches Weltverbesserungssystem ist gescheitert. Von der Oktoberrevoluti- on bis zum Mauerfall waren viele Jahr- zehnte Zeit zum Experimentieren. Wir Am 04.10.1990, einen Tag nach der deutschen Wiedervereinigung, haben uns die Theorie von Marx stets übernahm Generalleutnant Jörg Schönbohm als Befehlshaber Ost in Leipzig dahingelogen auf die Realität.“ Und das Kommando über die Streitkräfte der ehemaligen DDR, die damit Teil der weiter: „Hätten wir die Mauer nicht Bundeswehr wurden. (Bildquelle: Bundesarchiv Leipzig) geöffnet, hätten wir unter Umständen an Laternen hängen können.“ Es war vor dem Kommunismus eine eigene zum Bewusstsein und hilft ihnen, also allein der Druck des Volkes, das nationale Identität entwickelt hatten, einen festen Klassenstandpunkt mit Parolen wie „Wir sind ein Volk“ konnte sich die DDR nur aus der Ideo- zu gewinnen. Er trägt wesentlich und „Deutschland einig Vaterland“ logie heraus definieren. Scheiterte die dazu bei, sozialistische Verhaltens- die Machthaber in die Enge trieben. Ideologie, scheiterte auch der Staat. weisen zu festigen, Verantwortung Ich war mir zur Wendezeit sicher, Das war der Grund dafür, warum die für das Ganze zu übernehmen und dass die Folgen der Trennung schon DDR soviel Wert auf ideologische In- klassenbewusste Entscheidungen bald überwunden sein würden. Heu- doktrination legte. zu treffen. Die Möglichkeiten des te muss ich sagen: Ich habe mich ge- Da die „Herausbildung der kom- Literaturunterrichts, auf die ge- täuscht. Ich habe unterschätzt, wie munistischen Moral“ frühstmöglich samte Persönlichkeit der Schüler prägend die Erziehung in dem kom- beginnen sollte, wurden sogar Hort- einzuwirken, sind zu nutzen, um munistischen System anscheinend nerinnen dazu angehalten, bereits bei ihre Liebe zum sozialistischen Va- gewesen ist. den Kleinsten die „Fähigkeit und den terland, zur Arbeiterklasse und zu Willen, Nützliches für das Kollektiv zu ihrer marxistisch-leninistischen Das totalitäre Menschenbild des DDR-Staates leisten“ herauszubilden. Freiheitsstre- Partei und ihre Freundschaft mit Für die DDR war die kommu- ben und Unverwechselbarkeit des In- der Sowjetunion und den ande- nistisch-sozialistische Ideologie das dividuums sollten auf diese Weise aus ren sozialistischen Brudervölkern bestimmende Element. Die DDR ver- den Köpfen ausgemerzt werden. zu vertiefen. Untrennbar damit stand sich als erster Arbeiter- und Ziel war die „Produktion des verbunden ist die Erziehung zum Bauernstaat. Nur aus der kommuni- neuen Menschen“, der systemloy- Hass gegen Imperialismus und stischen Ideologie heraus leitete sie al war und problemlos in die Kader Militarismus und zur Solidarität ihre Identität und Legitimation da- des Staatsapparates integriert wer- mit allen für Frieden, Freiheit und von ab. Bereits in Artikel 1 der Ver- den konnte. Zu diesem Zweck wurde nationale Unabhängigkeit kämp- fassung der DDR von 1968 heißt es frühstmöglich mit der Erziehung zur fenden Völkern.“ daher: „Die Deutsche Demokratische „sozialistischen Persönlichkeit“ und Wer sich dieser Indoktrination Republik ist ein sozialistischer Staat der Einordnung in das Kollektiv be- widersetzte oder auch nur den An- deutscher Nation. Sie ist die politi- gonnen. Was in den Horten begann, schein erweckte, kritisch und eigen- sche Organisation der Werktätigen in setzte sich an den Schulen fort. Las- ständig zu denken, der musste die Stadt und Land, die gemeinsam unter sen Sie mich exemplarisch aus dem Konsequenzen tragen. So schrieb Führung der Arbeiterklasse und ihrer Lehrplan „Deutsche Sprache und Li- beispielsweise das Ministerium für marxistisch-leninistischen Partei den teratur“ von 1985 zitieren (Klasse 9 Volksbildung vor, nur solche Schü- Sozialismus verwirklichen.“ und 10): ler zu fördern, die „ihre Verbunden- Im Unterschied zu den anderen „Der Literaturunterricht bringt heit mit der DDR durch ihre Haltung Staaten des ehemaligen Ostblocks, den Schülern ihre Stellung in der und gesellschaftliche Aktivität bewie- die als Nationalstaaten schon lange sozialistischen Gesellschaft tiefer sen haben.“

66 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 BLICK IN DIE GESCHICHTE

Ein befreundeter Arzt, heute ein Moral erklärt. An die Stelle der bibli- Ein schweres Erbe: die DDR war pleite geachteter Professor in Potsdam, schen 10 Gebote traten nun die „10 Mit dem 3. Oktober 1990 sind schilderte mir einmal, wie er als kri- Gebote der neuen sozialistischen Sitt- wir an einen ganz entscheidenden tisch denkender Schüler in der DDR lichkeit“. Eines dieser Gebote lautete Punkt unserer nationalen Geschich- behandelt wurde. Trotz hervorragen- beispielsweise: „Du sollst das Volks- te angelangt. Die deutsche Nation ist der Noten in der Grundschule – fast eigentum schützen und mehren.“ Ein mit Zustimmung unserer Nachbarn nur Einsen wurde dem 14jährigen der anderes: „Du sollst stets nach Verbes- und der Großmächte in einem Staat Zugang zur Oberschule verwehrt. In serung deiner Leistungen streben, spar- – in der Bundesrepublik – vereint. der Begründung hieß es dazu lapidar: sam sein und die sozialistische Arbeits- Es mag sein, dass wir noch nicht so- „Es bestehen ernste Bedenken, dass disziplin festigen.“ Oder auch: „Du weit sind, wie wir gerne wären. Es trotz ansprechender schulischer Lei- sollst das Kollektiv achten und seine mag auch sein, dass der sogenannte stungen eine erfolgreiche Erziehung Kritik beherzigen.“ „Aufbau Ost“ noch immer etwas hin- im Sinne des gesellschaftlichen Fort- Der staatlich verordnete Atheis- terher hinkt und die Verhältnisse noch schritts und unseres Staates, wie sie den mus wurde auch durch die Einführung nicht vollständig angepasst sind. Bei Oberschulen in der DDR zur Aufgabe der Jugendweihe systematisch fortge- allen berechtigten Klagen, dürfen wir gemacht wird, kaum gewährleistet ist.“ führt. Theoretisch war die Teilnahme aber nie aus den Augen verlieren, was Ihm wurde anschließend der Weg über freiwillig, aber die „Klassenkollekti- wir in den vergangenen 20 Jahren er- die Mittelschule empfohlen. So funk- ve“ gingen im Regelfall gemeinsam reicht haben. tionierte Erziehung in der DDR! und bei der Lehrstellensuche wurde Gerade bei der Ost-West-Debatte Wer sich dem System – allen Wi- nachdrücklich auf die Bedeutung der gibt es einiges klarzustellen: Ostdeut- derständen zum Trotz – dennoch ernst- Jugendweihe hingewiesen. Es entwik- sche Haushalte stehen zum Beispiel haft widersetzte, geriet schnell in die kelte sich ein sublimer Zwang; Teil- heute viel besser da als es normaler- Fänge der Staatssicherheit. Zum Ende nahme am Konfirmationsunterricht weise dargestellt wird. 1990 lagen der DDR gab es über 90.000 haupt- bedeutete Widerstand. die neuen Länder kaufkraftbereinigt amtliche Mitarbeiter und 174.000 in- Im Ergebnis hat die DDR in 40 auf dem Niveau eines durchschnitt- offizielle Mitarbeiter. D.h. auf 62 Ein- Jahren als atheistischer Staat auch lichen westdeutschen Haushalts am wohner der DDR kam ein Mitarbeiter hier die Gesellschaft – konsequenter Ende der Fünfziger Jahren. Bereits des MfS − weltweit eine einmalige Re- als in allen benachbarten sozialisti- Mitte der Neunziger Jahre war der lation. In den 40 Jahren des Bestehens schen Bruderstaaten – umgekrem- Osten bereits auf dem westdeutschen der DDR gab es auf diese Weise über pelt und entchristlicht. Im Übrigen Niveau von 1992 angelangt. Das be- 620.000 inoffizielle Mitarbeiter. mit anhaltendem Erfolg: Noch heute deutet einen Wohlstandssprung von Übrigens: Viele der ehemaligen Stasi- gehen in Ostdeutschland dreimal so über drei Jahrzehnten innerhalb von Spitzel bekleiden heute noch hohe po- viele Jugendliche zur Jugendweihe wenigen Jahren. litische Ämter. Nicht wenige haben es wie zur Konfirmation. Auch beim Geldvermögen haben sich sogar in bundesrepublikanischen Über vier Jahrzehnte versuchten die Ostdeutschen gewaltig aufgeholt. Parlamenten bequem gemacht. Von die DDR-Machthaber auf diese Weise, Unmittelbar nach der Wende betrug den 203 Bundestags- bzw. Landtags- einen „neuen Menschen“ zu schaffen. das Vermögen der Ostdeutschen nur abgeordneten der Linken wird jeder Dieser Anspruch wurde konsequent ca. ein Fünftel von dem der Westdeut- Zehnte durch Stasi-Unterlagen aus auf alle Gesellschaftsbereiche über- schen. Heute ist es weit mehr als die der Birthler-Behörde belastet. Selbst tragen. Das Erziehungssystem, die Hälfte. Doch auch wenn der Aufhol- ein waschechter hauptamtlicher Mit- Stasi-Bespitzelungen und Bevormun- prozess deutlich spürbar ist, darf man arbeiter des MfS hat es über die Li- dungen jeglicher Art kennzeichneten nicht vergessen, dass die Wirtschafts- ste der Linkspartei in den Bundestag das Menschenbild der herrschenden kraft der neuen Länder bisher gerade geschafft. SED. Das Individuum galt wenig, das einmal zwei Drittel des westdeutschen Aber noch in einem anderen Be- Kollektiv hingegen alles. Niveaus erreicht hat. Hier haben wir reich leistete das kommunistische Sy- Es wundert nicht, dass sich immer noch eine Menge Arbeit vor uns. stem ganze Arbeit. In vier Jahrzehnten mehr Bürger diesem Repressions- und Bedenkt man aber, welches Erbe schafften es die SED-Machthaber, die Kollektivierungssystem durch Flucht uns die DDR nach vierzig Jahren so- DDR fast komplett zu entkirchlichen entzogen. Insgesamt waren es über zialistischer Misswirtschaft hinter- und zu entchristlichen. 1950 gehör- 3,4 Millionen Menschen. Da sich un- lassen hat, muss es eigentlich wie ten noch 85 Prozent der DDR-Bür- ter ihnen vor allem gesellschaftliche ein Wunder erscheinen, wie weit wir ger einer Kirche an. 1989 waren es Leistungsträger des drangsalierten heute gekommen sind. Ich empfeh- gerade einmal noch 25 Prozent. Von Bürgertums befanden, hatte die DDR le in diesem Zusammenhang einmal SED-Mitgliedern wurde der Kirchen- in diesem Bereich einen enormen die Lektüre des sogenannten Schürer- austritt erwartet und für Angehörige Aderlass zu verzeichnen. Dies wirkt Berichts zur wirtschaftlichen Lage der bewaffneten Organe und der Stasi bis heute nach. In vielen Bereichen – der DDR, den der damalige Chef der war er Pflicht. in Politik, Gesellschaft und Kultur – Staatlichen Plankommission, Gerhard Schon 1958 hatte Ulbricht die fehlt es in Ostdeutschland noch immer Schürer, auf Veranlassung von Egon marxistisch-leninistische Ethik zur spürbar an genügend Leistungsträgern Krenz im Oktober 1989 dem SED- einzig objektiven Wissenschaft der und bürgerlichen Eliten. Politbüro vortrug. Schürer kommt am

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 67 BLICK IN DIE GESCHICHTE

Ende seines Berichts zu dem Schluss, gelungen. Gerade einmal 13 Prozent konkurrierende Systeme miteinander dass die DDR nicht mehr zahlungs- der Befragten äußerten die Meinung, zu versöhnen. fähig ist „Allein ein Stoppen der Ver- sie seien mit der Wiedervereinigung Wo unterschiedliche Prägungen, schuldung würde im Jahre 1990 eine zufrieden. Noch beunruhigender ist, Sinnhorizonte und Voraussetzungen Senkung des Lebensstandards um 25- dass immer mehr Menschen die so- aufeinander prallen, da kommt es not- 30 Prozent erfordern und die DDR ziale Marktwirtschaft oder das de- gedrungen zu Reibungen. Für solche unregierbar machen. [...] Es muss mit mokratische System an sich in Fra- Mammutprojekte braucht man einen aller Deutlichkeit darauf hingewiesen ge stellen. langen Atem. Für so etwas braucht werden, dass der Ausweg aus der Lage man auch immer ein wenig Mut – die [...] Veränderung der Wirtschafts- durchaus auch Mut zur Verände- und Gesellschaftspolitik erfordere‘ ine Ahnung tat sich rung und zur Reform. Vor allem aber Auf gut deutsch: Die DDR war „Eauf, die vielen zur gläu- braucht man Rückgrat, um das, von pleite! Das System war gescheitert! bigen Gewissheit wurde: Hier dem man überzeugt ist, dass es richtig Das können wir gar nicht häufig ge- ist weder Berechenbares noch ist, auch gegen Widerstände durchzu- nug ansprechen. Zumal es zunehmend rein Zufälliges geschehen. setzen. Ich halte es daher auch für ein aus der öffentlichen Wahrnehmung Hier war nicht nur das Maß Zeichen von Rückgratlosigkeit, wenn verdrängt wird. Wer die Ausarbeitung voll und die Zeit reif. Hier sind man von Reformen, zu denen man Schürers mit ihrer schonungslosen auch nicht allein Menschen sich einmal mühsam durchgerungen Zusammenstellung der Fakten einmal am Werk gewesen. Hier hat hat, nur aus politischem Machtkalkül gelesen hat, der wird sich nicht mehr Gott selbst ein Zeichen gesetzt wieder abrückt. darüber wundern, dass die ansatz- und unser Tun mit seiner Hil- Regelmäßig werden Studien oder weise Bereinigung dieser Probleme fe begleitet. Er hat uns – mit Bücher von Leuten veröffentlicht, die Milliarden und Abermilliarden ver- den Worten von Psalm 66 aus- angeblich die Kosten der Einheit be- schlingen musste und dass die jungen gedrückt – ‚in die Freiheit hin- rechnet haben wollen. Abgesehen da- Bundesländer etwa bei der Arbeits- ausgeführt‘.“ von, dass es sich korrekterweise nicht produktivität in einigen Bereichen um die „Kosten der Einheit“ oder noch immer etwas zurückfallen. (Bischof Gerhard Feige, des demokratischen Umbruchs han- Es ist eigentlich schade, dass trotz Magdeburg, im Fastenhirten- delt, sondern vielmehr um die Ko- dieser Erfolge, die Berichterstattung brief 2009 zum Fall der Mauer sten des kommunistischen Erbes der über die neuen Länder zumeist einen vor 20 Jahren) DDR, würde mich eher mal ein Buch negativen Grundtenor hat. Jahrelang über den „Profit der Einheit“ inter- reihte sich eine Hiobsbotschaft an essieren. die andere. So etwas bleibt natürlich Wer spricht heute noch vom nicht folgenlos. Zum einen schrek- Es ist insbesondere die Arbeitslo- „Atomtod“ oder vom Krieg? Die ken die dauernden Negativschlag- sigkeit, die die Menschen häufig jeg- Kriegsgefahr für unser Land und für zeilen potenzielle Investoren ab; wer licher Perspektive beraubt. Schließ- unsere Nachbarn ist überwunden. Der will schließlich schon ein Projekt in lich ist Arbeitslosigkeit nicht nur ein Frieden ist ein Geschenk für uns alle einer Region finanzieren, die schein- Problem für die öffentlichen Kassen, in Ost und West. Die Bürgerkriege bar wirtschaftlich am Boden liegt? sondern immer auch ein persönliches bleiben hoffentlich beendet und in Die Konsequenz ist: Aufträge und Schicksal. Arbeit ist eben vor allem der stürmischen Peripherie wie z.B. in Geld bleiben aus, die Region fällt auch etwas Sinn- und Identitätsstif- Georgien schweigen die Waffen. immer weiter ab – ein Teufelskreis. tendes. Daher sollte die Bekämpfung Warum hat bisher noch nie je- Gleichzeitig bewirken die ständigen der Arbeitslosigkeit nicht nur ein wirt- mand berechnet, welchen durchaus Negativschlagzeilen noch etwas ande- schaftspolitisches Anliegen sein, son- auch finanziellen Gewinn unsere Ge- res. Man muss sich einmal vorstellen, dern auch ein soziales, psychologi- sellschaft aus der Einheit gezogen was es für das Selbstbewusstsein der sches und moralisches. Es ist natür- hat? Natürlich hat die Wiederverei- Ostdeutschen bedeutet, tagtäglich zu lich klar, dass wir die Situation auf nigung eine Menge Geld gekostet, sie hören, man lebe doch eigentlich im dem Arbeitsmarkt im Osten nicht von hat aber doch auch eine Menge Geld Armenhaus Deutschlands, in einem heute auf morgen verbessern können. gespart. Völlig selbstverständlich nut- Deutschland zweiter Klasse. Die Überführung der sozialistischen zen wir heute Synergieeffekte in Ver- Planwirtschaft in eine freie Marktwirt- waltung und Wirtschaft; wir brauchen Erfolge werden in Frage gestellt schaft war und ist eine gewaltige Auf- keine hochgerüstete Armee mehr, die Es dürfte daher keinen verwun- gabe, die – das war absehbar – nicht an der innerdeutschen Grenze steht; dern, dass die Begeisterung und die problemlos von statten gehen würde. völlig selbstverständlich nutzen wir Aufbruchstimmung der Wendejahre Ich selber habe, als ich 1990 mit der wirtschaftliche Ressourcen aus Ost 1989/1990 allmählich Resignation Aufgabe betraut wurde, die 90.000 und West; greifen auf das geistige und Ernüchterung gewichen ist. Dies Mann starke ehemalige NVA aufzu- Potenzial von nunmehr 80 Millionen belegen auch zahlreiche Umfragen: lösen und zumindest teilweise in der Deutschen zurück. Beispielsweise hält mittlerweile nur Bundeswehr zu integrieren, gemerkt, Es stimmt natürlich: Die Erbla- noch jeder Zehnte den Aufbau Ost für wie schwierig es ist, zwei ehemals sten die DDR waren enorm. Und es

68 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 BLICK IN DIE GESCHICHTE stimmt auch: Es war sehr teuer, das mals nehmen mittlerweile einzelne Studien von Forsa und Emnid Wirtschaftssystem zu reformieren, die Regionen der neuen Länder bundes- besagen, dass jeder neunte Deutsche öffentlichen Einrichtungen im Ge- weit eine technologische Spitzenstel- – in Ost und West zu gleichen Teilen sundheits- und Sozialsystem zu er- lung ein. – es begrüßen würde, wenn die Mau- neuern, den Wohnungsbestand zu ver- Ich möchte heute aber auch nicht er noch stünde. Andere Umfragen bessern, Wasserstraßen und Kommu- ein zu positives Bild der Situation belegen, dass nur etwa jeder zehnte nikationsverbindungen zu sanieren. zeichnen. Trotz aller Erfolge – da sind Ostdeutsche unsere Gesellschaftsord- Nicht zu vergessen die ungeahnten wir uns alle einig – stehen die neuen nung für gerecht hält. Bei aller Vor- Umweltschäden, die beseitigt wer- Länder immer noch vor gewaltigen sicht vor solchen Umfragen, sollten den mussten. Es war aber auch im- Problemen. Eines dieser Probleme, uns solche Zahlen nachdenklich stim- mer klar, dass diese finanzielle Last das die neuen Länder momentan ganz men: Was sagt das über den tatsäch- nicht von den Ostdeutschen alleine besonders belastet, ist die Abwan- lichen Stand der Einheit aus? getragen werden kann. Das sollte eine derung. Für manche, insbesondere Eigentlich dürften wir von solchen gemeinsame Aufgabe für alle Deut- ländliche Gebiete Ostdeutschlands Ergebnissen aber gar nicht überrascht schen sein. sprechen Experten bereits von einer sein. Sie sind doch nur die logische Erlauben Sie mir aber an dieser „demografischen Implosion“. Vor al- Konsequenz unseres systematischen Stelle Ernst Jünger zu zitieren. Er, lem die Jungen und Gutausgebildeten Vergessens und Verdrängens. Weil wir dem das ständige Lamentieren über − darunter auch sehr viele Frauen − Angst davor haben, jemandem vor den die Kosten der Einheit immer zu wi- verlassen häufig ihre ostdeutsche Hei- Kopf zu stoßen, meiden wir die Dis- der war, sagte 1993 etwas sehr Wah- mat. Die Folge ist: ganze Landschaften kussion über die menschenverachten- res, das zum Nachdenken anregen bluten aus, Orte verschwinden teil- de Politik des SED-Regimes. sollte: „Wenn ein Bruder vor der Tür weise von der Landkarte. Die Konzen- steht, bitte ich ihn herein, führe ihn zu tration auf einige wenige Ballungsräu- Tendenzen des Verdrängens Tisch und bewirte ihn und frage nicht, me (z.B. im Speckgürtel um Berlin) in und Beschönigens was es kostet.“ Kombination mit dem Geburtenknick Die Folgen dieses Verhaltens kön- Natürlich sind wir mit der Zeit nach der Wiedervereinigung stellt die nen wir tagtäglich beobachten: Der etwas bescheidener und realistischer neuen Bundesländer, insbesondere DDR-Alltag wird beschönigt, die ver- geworden. Dennoch glaube ich, wir die mit einem hohen ländlichen An- brecherischen Untaten des Regimes haben alles Recht stolz auf das zu teil, vor enorme Probleme. Dieser be- relativiert. Mittlerweile sehen selbst sein, was wir erreicht haben. Wir ha- drohlichen Entwicklung der Entvölke- ranghohe Offiziere des ehemaligen ben viel erreicht, wissen aber auch, rung ganzer Landstriche müssen wir MfS nichts Anrüchiges mehr daran, dass noch viel zu tun ist. dringend entgegenwirken. sich zu einer Ehemaligen-Konferenz Ein anderes Problem, das ich an- zu treffen, um sich dort als „Kund- Probleme trotz positiver Entwicklung sprechen möchte, ist der Umgang mit schafter des Friedens“ zu feiern. Es Die Ausgangslage für eine weite- der Geschichte der DDR. Im vergan- ist die Tendenz des Verdrängens und re positive Entwicklung des Ostens ist genen Jahr veröffentlichte der For- Beschönigens, die es der Stasi-Elite gut. Wir haben viele Menschen, die schungsverbund SED-Staat eine Stu- von damals heute ermöglicht, selbst- voller Ideen und Tatkraft sind. Dies die über das DDR-Bild von Schülern. bewusst über ihre vermeintliche „Er- müssen wir nutzen. Wir müssen jetzt Die Forscher hatten dafür tausende folgsbilanz“ zu plaudern und damit dafür sorgen, dass sich das Wachstum Jugendliche – Ostdeutsche wie West- ihren Opfern von damals dreist und verstetigt. Daher sind wir gut beraten, deutsche, Gymnasiasten wie Gesamt- verhöhnend ins Gesicht zu lachen. wenn wir vor allem auf Innovationen schüler – über ihr Bild von der DDR Nicht selten geht die bewusste Ver- und neue Technologien setzen. Es ist befragt. Das Ergebnis der Untersu- harmlosung der SED-Diktatur als so daher auch ganz besonders wichtig chung ist besorgniserregend: genannte „Ostalgie“ durch. Dass mich den ostdeutschen Hochschul- und Nur etwas mehr als die Hälfte der niemand falsch versteht. Jedem sei- Forschungsstandort zu fördern. Wir befragten Schüler war der Meinung, en nostalgische Schwärmereien ge- brauchen eine leistungsfähige Hoch- die DDR sei überhaupt eine Dikta- gönnt – in Ost wie in West. Es gibt schul- und Forschungsinfrastruktur tur gewesen. Jeder Dritte äußerte so- jedoch Bereiche, wo diese Nostalgie im Osten. Im Zuge des Transformati- gar die Ansicht, die Staatssicherheit umschlägt in Relativierung oder sogar onsprozesses sind bereits jetzt zahl- sei ein ganz normaler Geheimdienst Verherrlichung. reiche starke Forschungsstandorte gewesen – ein Geheimdienst wie ihn Das Bild der DDR als totalitä- als Kristallisationskerne zukünfti- jeder Staat hat. Besonders bestürzend rer Unterdrückungsstaat verschwin- gen Wachstums entstanden. Vor al- fand ich, dass annähernd 20 Prozent det zunehmend aus der öffentlichen lem in den Bereichen Nano-Techno- der Schüler den Standpunkt vertra- Wahrnehmung. Es ist eine natürliche logie, Umwelt- und Geoforschung so- ten, Republikflüchtige seien selbst Reaktion, Unangenehmes zu verges- wie in den Bereichen Gesundheit und Schuld gewesen, wenn an der Gren- sen und sich der Zukunft zuzuwen- Medizin sind überdurchschnittliche ze auf sie geschossen wurde. Das ist den. Aber wir dürfen nicht zulassen, Forschungsaktivitäten zu erkennen. ein schlimmer Befund über den tat- dass aus Nostalgie und zum Teil be- Durch eine konsequente .Stärkung sächlichen Stand der Aufarbeitung wusster Geschichtsverfälschung nur ihres jeweiligen Alleinstellungsmerk- der DDR-Vergangenheit. noch die Erinnerung an einen ver-

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 69 BLICK IN DIE GESCHICHTE meintlich fürsorglichen Solidarstaat gegen weggesperrt und zum Archiv- eingesperrt waren, ebenso rechtlos wie zurückbleibt. gut. Der Auseinandersetzung mit den die KZ-Opfer. Auch nach 1945 wur- Wohlmeinend wird von der DDR Folgen der SED-Herrschaft stellt man de hier weiter gefoltert und getötet, heute eher als missglücktem Experi- sich in der Regel nur in Fachkreisen starben Menschen an den furchtbaren ment denn als Diktatur gesprochen. außerhalb der Öffentlichkeit. Verhältnissen im sowjetischen Spezial- Die über tausend Grenz- und Mauer- Die Verantwortlichen des DDR- lager. [...] An sie muss deshalb umso toten, der Überwachungsapparat der Unrechtssystems lachen sich ins nachdrücklicher erinnert werden, da Stasi, die Drangsalierungen von Chri- Fäustchen, während sie ihre Staatspen- ihrer über 40 Jahre lang an diesem Ort sten und Oppositionellen, die Indok- sion beziehen. Sie stellen sich in der überhaupt nicht gedacht wurde.“ trination der Jugend, die Beschrän- Linkspartei ungeniert und selbstbe- Die Empörung über diese Worte kung der Meinungs- und Reisefreiheit wusst in die Tradition der SED und war damals gewaltig. Der ehemalige und die Degradierung des Rechts als übernehmen sogar das alte Partei- Generalsekretär des Internationalen Mittel zur Durchsetzung des Sozialis- vermögen. Sie fühlen sich durch ihre Sachsenhausenkomitees behauptete, mus beginnen sich dabei im Nebel der Wahlerfolge bestätigt ganz nach dem ich habe damit zu einem Gedenken DDR-Verklärung aufzulösen. Motto: „Den Sozialismus in seinem an die „Mörder, Peiniger und Quäler“ Rückblickend war die Unterdrük- Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.“ der damaligen KZ-Insassen aufgeru- kung das „System“. Dazu herrscht Als Demokraten sind wir zur Erin- fen. Auch Claudia Roth schloss sich ringsum Schweigsamkeit. Die Funk- nerung und zur Aufklärung verpflich- der Kritik an. Sie behauptete, ich habe tionäre, die einstmals das System tru- tet. Insbesondere den jungen Men- die ehemaligen KZ-Häftlinge „mit ei- gen, leben heute unbehelligt unter schen, die sich kein eigenes Bild von ner unerträglichen Gleichstellung von uns. Diejenigen jedoch, die unter den der Wirklichkeit der DDR machen Tätern und Opfern“ provoziert. Einschränkungen am meisten litten, konnten, müssen wir vermitteln, was Diese unfassbare Ignoranz und die ihre Verwandten nicht besuchen der Unterschied zwischen Diktatur die historische Ahnungslosigkeit durften, deren Kinder am Abitur und und Demokratie ist. Der Geschichts- machen mich noch immer wütend. Studium gehindert wurden, weil sie klitterung gilt es mit allen Mitteln Glücklicherweise haben nicht alle so nicht linientreu waren, schweigen. entgegenzuwirken. Allem voran ist gedacht wie die Grünen-Vorsitzende. Sind es der Druck schmerzvoller Er- dies natürlich eine gesellschaftliche Ich habe damals auch viel Zuspruch innerung und auf der anderen Seite Aufgabe. bekommen. Arroganz oder Scham, die zum kol- Aber auch für die Politik besteht Heute hat sich die Aufregung ge- lektiven Vergessen führen? Handlungsbedarf. Die intensive Aus- legt. In der Zwischenzeit ist auch der Es fehlt eine ehrliche Selbstre- einandersetzung mit der Geschichte Generalsekretär des Sachsenhausen- flexion auf das eigene Leben im Rä- der DDR gehört auf dem Lehrplan je- komitees nicht mehr im Amt. Es hat derwerk einer gefährlich alltäglichen der Schule. Zudem benötigen wir in sich herausgestellt, dass er jahrelang Gewohnheits-Diktatur. Das vor allem diesem Bereich eine Verbesserung hauptamtlicher Mitarbeiter der Stasi verhindert seit Jahren eine für das und Intensivierung von Maßnahmen war und musste deshalb von seinem vereinte Deutschland so wichtige ge- der politischen Bildung. Auch die Posten zurücktreten. meinsame Diskussion der Menschen Landesregierung in Brandenburg hat Das, was viele Menschen in den unterschiedlichster Biografien über dies erkannt und wird in diesem Be- sowjetischen Speziallagern ertragen das, was die DDR wirklich war und reich einiges unternehmen. mussten, darf niemals aus unserer Er- wollte. Das ist ein schwerwiegendes Wir brauchen in Deutschland eine innerung getilgt werden. Aus diesem Defizit, das beileibe nicht allein den ehrliche Aufarbeitung und einen ehr- Grunde müssen sie ein lebendiger ehemaligen DDR-Bürgern vorzuwer- lichen Umgang mit der DDR-Zeit. Teil der deutschen Erinnerungskul- fen ist. Falsche politische Prognosen Dazu zählt u.a. auch, dass man der tur werden, ebenso wie die SED-Dik- und hier und da auch westdeutsche Opfer des kommunistischen Regimes tatur endlich als Bestandteil unserer Arroganz haben so manchen Ostdeut- in angemessener Weise gedenkt. 2005 gemeinsamen deutschen Nationalge- schen wieder ins nostalgische DDR- gedachte ich in einer Rede vor Über- schichte begriffen werden muss. Das Boot getrieben. Auch der ostdeutsche lebenden des KZ Sachsenhausen aus- Leiden der Häftlinge verpflichtet uns Schriftsteller Wolfgang Hilbig wirft drücklich auch der unschuldigen Op- zur Erinnerung. Wir können und dür- (1997) die Frage auf, ob es vielleicht fer des sowjetischen Schweigelagers, fen diese Menschen nicht vergessen. „erst jener Beitritt zur Bundesrepublik das nach 1945 auf dem Gelände des Die Opfer gehören in die Mitte des war, der die Ostdeutschen zu den DDR- ehemaligen Konzentrationslagers er- öffentlichen Gedenkens. Bürgern werden ließ, die sie nie gewe- richtet wurde. Die Entrüstung war Um tatsächlich aus der Geschich- sen sind, jedenfalls nicht, solange sie gewaltig. Ich möchte Ihnen die ent- te zu lernen, brauchen wir eine ge- dazu gezwungen wurden.“ scheidenden Sätze noch einmal vor- schichtsbewusste Gedenk- und Er- lesen, weil es meine feste Überzeu- innerungskultur. Dies ist umso wich- Ehrlicher Umgang mit der DDR-Zeit gung ist, dass es nach wie vor richtig tiger, da die Erinnerung an dieses So bezieht sich die Aufarbeitung ist, was ich damals gesagt habe. Ich dunkle Kapitel unserer Geschichte unserer Geschichte zumeist nur auf sagte wörtlich: „Es wäre unrecht, hier zunehmend verblasst. Auch die Zeit- 12 Jahre Nationalsozialismus. Die 40 in Sachsenhausen nicht auch der Men- zeugen von einst werden nicht unbe- Jahre DDR-Geschichte werden hin- schen zu gedenken, die nach 1945 hier grenzt von ihren Erlebnissen berich-

70 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 BLICK IN DIE GESCHICHTE ten können. Es ist an uns allen, ihre gut um seine Bürger kümmere, sei der Prozess in Gang zu halten, die Einheit Schicksale im Herzen und in den Verlust von Freiheit verkraftbar. mit Leben zu füllen und zu dem einen Köpfen zu bewahren, um durch die Das ist die Einstellung, die es den Volk, zu der einen Nation zu werden, Erinnerung an das Geschehene, un- politisch Radikalen – rechts wie links für die die Menschen im Herbst 1989 sere freiheitliche und demokratische – ermöglichte, so stark zu werden. Sie demonstriert haben. Gemeinschaft zu stärken und sie zu versprechen die Rundumversorgung, Der französische Historiker und immunisieren gegen Intoleranz und die gelenkte Wirtschaft – kurz: den Schriftsteller Ernest Renan hat 1882 Menschenverachtung. starken Staat. Das dies zu Kosten der versucht zu erklären, was eigentlich Das sind wir allen denen schuldig, Freiheit des Einzelnen geht, scheint eine Nation ausmacht. Er kam zu dem die unter der SED-Diktatur so großes immer weniger Menschen zu beküm- Ergebnis: „Eine Nation lebt von dem Leid erfuhren. Aus diesem Grunde mern. Das ist eine bedenkliche Ent- Gedanken, in der Vergangenheit große ist es auch richtig, politischen Häft- wicklung, der wir entgegen arbeiten Dinge gemeinsam getan zu haben und lingen, die mindestens sechs Monate müssen. andere in der Zukunft miteinander tun in einem DDR-Gefängnis inhaftiert Aber, auch das möchte ich an zu wollen,“ Für Renan ist die Nation waren, eine monatliche Rente zu zah- dieser Stelle betonen, ich bin der fe- eine große Solidargemeinschaft, die len. Diese Opferrente kann natürlich sten Überzeugung, dass wir hier nicht durch das Gefühl für die Opfer gebil- nicht mehr als ein Symbol sein – und mit Verboten weiterkommen werden. det wird, die erbracht wurden und die sie wird natürlich auch nie eine wirk- Darum halte ich auch die gegenwär- man noch zu erbringen bereit ist. Sie liche Wiedergutmachung sein – aber tige Debatte über ein NPD-Verbot für setzt eine Vergangenheit voraus und ich glaube, für diese Menschen ist falsch. Sie wird uns in diesem Punkt lässt sich dennoch in der Gegenwart es vor allem wichtig, Anerkennung nicht weiterführen. Sinnvoller ist es, durch ein greifbares Faktum zusam- zu erfahren – Anerkennung, dass ih- die NPD weiterhin genau durch den menfassen: die Zufriedenheit und den nen damals Unrecht angetan wurde Verfassungsschutz beobachten zu las- klar ausgedrückten Willen, das ge- und wir das heute nicht einfach ver- sen. Dass einige SPD-Länder statt- meinsame Leben fortzusetzen. gessen wollen. Mittlerweile wurden dessen nun beschlossen haben, alle Eine Solidargemeinschaft, die übrigens weit über 60.000 Anträge V-Männer abzuziehen und damit auf eine gemeinsame Vergangenheit hat eingereicht. wichtige Erkenntnisse aus dem Innen- und die der Wille zu einer gemeinsa- Umso schändlicher ist es, dass leben der Partei zu verzichten, halte men Zukunft verbindet – dies ist ein immer mehr ehemalige Stasi-Leu- ich für grob fahrlässig. schönes Bild der Nation. Ich wünsche te versuchen, sich dreist die Opfer- mir, dass wir in Deutschland irgend- Rente zu erschleichen. Zunehmend Die Einheit ist noch nicht vollendet wann dahin kommen werden, dass kommt bei der Überprüfung der Re- Staatliche Einheit führt nicht au- auch wir uns als Solidargemeinschaft habilitierungsanträge heraus, dass der tomatisch zu innerer Einheit – das mit einer gemeinsamen Vergangenheit Antragsteller selbst für die Staatssi- haben wir nach 1990 gelernt. Die und einer gemeinsamen Zukunft ver- cherheit gearbeitet hat. Frühere Täter Wiedervereinigung mag mittlerweile stehen werden. geben sich heute als Opfer aus. Wer volljährig sein, in Wirklichkeit steckt Die aktuelle Diskussion über die sich aber selbst in das Unrechtssy- sie aber noch in den Kinderschuhen. Wiedervereinigung erinnert mich an stem verstrickt hat, darf nicht als po- Wir haben durchaus noch einen wei- eine Geschichte aus dem Alten Testa- litisch Verfolgter anerkannt werden. ten Weg vor uns, bis wir wirklich von ment (2 Mose 16). Als Moses die Is- Erst recht besteht dann kein Anspruch der Vollendung der Einheit sprechen raeliten aus der ägyptischen Sklaverei auf finanzielle Leistungen aus Steu- können. Aber werden wir überhaupt führte und mit ihnen durch die Wüste ergeld. jemals die Einheit vollendet haben? zog, hörte er statt Dank für die Befrei- Die Wiedervereinigung war eine Vielleicht ist dieser Ansatz auch ung, nur Murren über das wenige und historische Sensation. Leider ver- falsch. Nur etwas Statisches, etwas schlechte Essen in der Wüste. Die Is- schwindet dieses Empfinden zuneh- Unbelebtes – ein Kunstwerk oder raeliten beschwerten sich bei Moses: mend aus dem Bewusstsein der Be- ein Gebäude – kann wirklich voll- „Wollte Gott, wir wären in Ägypten völkerung.. Daher ist es wichtig, den endet und fertig gestellt werden. Et- gestorben durch des Herrn Hand, da Menschen die Bedeutung dieses Er- was Lebendes aber, etwas Beseeltes wir bei den Fleischtöpfen saßen und eignisses immer wieder in Erinnerung oder Menschliches ist niemals fer- hatten die Fülle Brot zu essen; denn zu rufen. Der Wiedervereinigung zu tig, niemals abgeschlossen. Aus die- ihr habt uns ausgeführt in diese Wü- gedenken heißt auch immer, sich zur sem Grunde werden auch menschli- ste, dass ihr diese ganze Gemeinde Demokratie zu bekennen. In diesem che Beziehungen niemals „vollendet“ Hungers sterben lasset.“ Sicherlich Zusammenhang muss uns ein weite- werden. Wir dürfen die Wiederverei- war die Sklaverei für die Israeliten res Ergebnis der vorhin schon zitierten nigung nicht als singulären Akt be- hart – sie hat aber auch bequem ge- Studie des Forschungsverbunds SED- trachten, der mit der Unterschrift un- macht. Ein Knecht verlernt schnell Staat beunruhigen: Ein Viertel der be- ter den Einheitsvertrag am 3. Oktober für sich selbst zu sorgen. Er ist es ge- fragten Schüler gaben an, sie fänden 1990 abgeschlossen wurde. Stattdes- wöhnt, durch seinen Herrn versorgt es eigentlich gar nicht so schlimm, sen dauert die Wiedervereinigung an zu werden. Das ist der Grund warum dass die DDR-Bürger weniger Frei- – sie ist ein Prozess und wir sind tag- die Israeliten Moses für ihre Situation heiten hatten. Solange sich ein Staat täglich aufs Neue dazu aufgerufen den in der Wüste verantwortlich machen.

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 71 BLICK IN DIE GESCHICHTE

Schließlich war er es ja, der sie aus wohltätige Hand des Arztes sein noch 1989 über eine mögliche Wie- der Knechtschaft Ägypten in die Frei- Gesicht wieder erhielt, allmählich dervereinigung dachten. heit geführt hatte. Jetzt in der Wüste sehen lernen muss.“ Gerhard Schröder sagte beispiels- verklären sie ihre Zeit in der Sklave- weise noch im Juni 1989: „Nach vier- rei und erinnern sich nur noch an die Wir müssen in unserem wieder- zig Jahren Bundesrepublik sollte man fetten Gerichte in den „Fleischtöpfen vereinten Land erst wieder lernen, eine neue Generation in Deutschland Ägyptens“. Keiner erinnert sich mehr von der Freiheit von der Kleist spricht nicht über die Chancen einer Wie- daran, wie sie damals nach Freiheit Gebrauch zu machen – und wir müs- dervereinigung belügen. Es gibt sie hungerten. sen lernen, wie man eine im besten nicht“. (Bild, 12.06.1989). Nur weni- Vielleicht bedarf es erst einer Sinne normale nationale Identität aus- ge Wochen später bezeichnete er eine neuen Generation, die in Freiheit bildet. Eine solche Identität ist not- auf Wiedervereinigung gerichtete Po- und Eigenverantwortung groß gewor- wendig, um die ideellen und seeli- litik sogar als „reaktionär und hoch- den ist, um die alten „Fleischtöpfe“ schen Kräfte zu sammeln, damit wir gradig gefährlich“. (Hannoversche zu vergessen. Vielleicht wird auch in uns in den jetzigen stürmischen Zei- Allgemeine Zeitung, 27.09.1989). Deutschland noch viel Zeit vergehen, ten, erfolgreich bewähren. Im Dezember 1989 erklärte Gün- bis wir unsere alte Denkweise abge- Wir Deutschen machen es uns ter Grass dem Bundesparteitag der legt haben. nicht leicht mit unserer Identität – das SPD in Berlin unter großem Beifall Eine Politik, die den Einzelnen ist nicht erst seit dem Ende des Krie- der Delegierten, wir Deutschen hätten unmündig macht, die ihn entwöhnt, ges so. Die Frage nach Deutschland, „wegen Auschwitz“ das Recht auf die sein eigenes Leben zu gestalten, ist als Nation und ihrem Ethos, war für Einheit unseres Volkes verwirkt. grausam, weil sie den Menschen des viele durch die Verbrechen des Na- Auch der spätere Außenminister Besten beraubt: seiner Einzigartig- tionalsozialismus verschüttet, sie war Joschka Fischer forderte im Oktober keit, seiner Kreativität und der Befrie- in der Nachkriegszeit durch den Ost- 1989: „Vergessen wir die Wiederver- digung, etwas geleistet zu haben. Wo- West-Gegensatz und die Teilung über- einigung, halten wir die nächsten 20 hin die Entmündigung führen kann, lagert und damit – wenn man so will – Jahre die Schnauze darüber.“ (DIE hat mein Landsmann Kleist vor knapp für lange Zeit ausgesperrt. Spätestens WELT, 15.09.2000). 200 Jahren erklärt. Seine Erkenntnis- seit den Sechzigern galt die Nation Als Fraktionsvorsitzender der se gelten noch heute: als suspekt. Die 68er verbreiteten, Grünen im hessischen Landtag setzte „Jede Beschränkung der Freiheit dass man sich für sein Vaterland ge- er sich sogar dafür ein, dass das Wie- hat die notwendige Folge, dass fälligst zu schämen habe. Durch die dervereinigungsgebot aus der Verfas- der Beschränkte dadurch in eine Verbrechen des Nationalsozialismus sung gestrichen werden sollte. (DIE Art Unmündigkeit tritt. Wer seine hatte die Nation in ihren Augen jeg- WELT, 22.07.2000) Kräfte nicht gebrauchen darf, ver- liche Existenzberechtigung einge- All das gehört zur historischen liert das Vermögen sie zu gebrau- büßt. Stattdessen forderte man die Wahrheit. All das darf nicht unter den chen und zwar, wenn es geistige Errichtung einer Multi-Kulti-Gesell- Teppich gekehrt werden. Kräfte sind, noch rascher und si- schaft. An die Stelle der Vaterlands- Dieser nationale Selbsthass hat cherer, als wenn sich die Beschrän- liebe rückte ein diffuses Weltbürger- die Gemeinsamkeiten unserer Ge- kung auf körperliche Kräfte er- tum. Deutschsein galt als Synonym sellschaft nachhaltig beschädigt und streckt. der Spießigkeit und Kleinkariertheit. versperrte lange Zeit den Blick auf die Wenn nun die Schranken, die diese In kosmopolitischer Manier lobte man tatsächlichen Probleme in unserem Kräfte hemmten, niederfallen: Ent- daher die Lebensfreude der Karibik- Land. Trotz Wiedervereinigung und steht dadurch auch plötzlich wie- staaten, die Spiritualität Indiens, die kollektivem Fahnenschwenken zur derum, wie durch den Schlag einer Offenheit Südamerikas oder das Ge- Fußballweltmeisterschaft wirken die- Zauberrute, das Talent, davon die heimnisvolle der arabischen Welt. se Einstellungen noch immer nach. zweckmäßigste Anwendung zu ma- Nur von Deutschland wollte keiner Wenn wir heute über die Deut- chen? Keineswegs! Vielmehr durch etwas wissen. sche Einheit sprechen, sollten wir im- die lange Dauer einer solchen Be- In den achtziger Jahren ging die mer Friedrich Schiller im Hinterkopf schränkung kann der Mensch so einseitige Sicht der Geschichte sogar haben. Er empfahl den Deutschen im zurückkommen, dass er gänzlich soweit, dass auch in Westdeutschland ausgehenden 18. Jh. nach der Einheit die Fähigkeit dazu einbüßt und nicht wenige äußerten, die Teilung zu streben, sie aber nicht in der Ein- sich durch Aufhebung des Zwan- Deutschlands sei die Voraussetzung förmigkeit zu suchen. Das gilt auch ges weit unglücklicher fühlt, als für Frieden und Stabilität in Europa. für uns heute. durch den Zwang selbst. Die meisten Linken hielten die Wie- Kurz, wird ein Mensch, dem solan- dervereinigung schlichtweg für nicht Einheit in Vielfalt ge der Gebrauch gewisser Kräfte mehr „erstrebenswert“. Die ablehnen- In dem Haus der Bundesrepublik untersagt war in deren freien Ge- de Haltung von Oskar Lafontaine zur leben unzählige verschiedene hete- brauch wieder eingesetzt, so muss Deutschen Einheit dürfte ja allseits rogene Gruppen unter einem Dach er erst lernen von dieser Freiheit bekannt sein. Leider ist es mittler- friedlich zusammen. Holsteiner arran- Gebrauch zu machen, so wie ein weile in Vergessenheit geraten, wie gieren sich mit Bayern, Rheinländer blind geborener, der durch die so manche von Lafontaines Genossen mit Sachsen, Friesen mit Badenern,

72 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 BLICK IN DIE GESCHICHTE

Saarländer mit Mecklenburgern. Wa- besondere Verantwortung. Die Bun- staat leben, zählt zu den größten rum sollten sich nicht auch Ossis mit desrepublik muss – durchaus im eige- Glücksfällen unserer Geschichte. Wessis arrangieren können (wenn es nen Interesse – eine aktive Rolle bei Seien wir Deutschen daher dankbar, die überhaupt gibt)? Vielleicht kann der Vollendung der Einheit Europas dass die Einheit gekommen ist und uns der Wahlspruch der Vereinigten übernehmen. Die Freundschaft mit dass wir genügend Menschen unter Staaten ein Wegweiser sein: „E Plu- unseren transatlantischen Partnern uns haben, die gewillt sind, ihren ribus Unum“ – Aus vielen Eines! und mit unseren Nachbarn in Euro- ganz persönlichen Beitrag zur inne- Vielleicht genügen uns aber auch die pa ist die größte politische Erfolgs- ren Einheit zu leisten. ersten Zeilen unserer Nationalhymne: geschichte unseres Kontinents. Uns Seien wir nicht ungeduldig. „Einigkeit und Recht und Freiheit alle verbinden gemeinsame Werte, Was 45 Jahre gewaltsam getrennt für das deutsche Vaterland – da- Freiheit, Demokratie und Rechts- war, kann nicht in wenigen Jahren nach lasst uns alle streben, brüder- staatlichkeit. bruchlos wieder vereint werden – lich mit Herz und Hand.“ Die Nationen bleiben auch in Zu- auch dass ist eine Lehre, die wir Wir müssen uns wieder auf die- kunft die Grundlage der europäischen aus der Wiedervereinigung ziehen se Brüderlichkeit besinnen, von der Staatlichkeit. Als großes Land im mussten. im Lied der Deutschen die Rede ist. Herzen Europas muss Deutschland Wir Deutschen haben in der Ge- Wenn wir die innere Einheit voll- eine verlässliche und berechenbare schichte Erfahrungen wie kein ande- enden wollen, müssen wir das stär- Nation sein. Deutschland muss sich res Volk gemacht: Demokratie, Na- ken und betonen, was wir gemein- seiner selbst und seiner Interessen tionalsozialismus, Kommunismus, sam schaffen und leisten können, sicher sein. wieder Demokratie. Wir haben die was uns allen gemeinsam ist und uns Der 20. Jahrestag des Mauerfalls Trennung und die Wiedervereini- verbindet. sollte ein Anlass sein, uns auf unse- gung unseres Landes erfahren. Nun Wir brauchen Patrioten, die et- re Kräfte und Fähigkeiten zu besin- gilt es, mit diesen Erfahrungen die was für unser Land und seine Bürger nen. Wir haben das Glück und die Grundlagen für eine gemeinsame leisten wollen, ohne zuerst an den ei- Verpflichtung der Einheit, wir haben Zukunft zu gestalten. genen Vorteil zu denken. Wir müssen die Chance, unsere Zukunft selbst in Wir dürfen nie vergessen, dass die Diskussion über die deutsche Na- einem geeinten Deutschland zu ge- das Geschenk der Deutschen Einheit tion und unsere Zukunft führen. Die stalten – all das ist Anlass zu Freude ein unfertiges Geschenk war, an dem deutsche Einheit gibt uns hierzu die und zugleich auch Ansporn. Zu Recht wir bis heute arbeiten müssen. Wir Chance – ist aber zugleich auch eine können wir auf das gemeinsam Er- alle sind verpflichtet, an der Vollen- Verpflichtung. reichte stolz sein. dung der Einheit mitzuwirken – ge- Als Land im Herzen Europas trägt Dass wir heute in einem geeinten meinsam als ein Volk. ❏ das wiedervereinte Deutschland eine demokratischen und sozialen Rechts-

Kurz berichtet Zusammenarbeit mit den gläubigen Laien apst Benedikt XVI. hat zu Be- Mit Hinweis auf das Lebens- Zweite Vatikanische Konzil die Pginn des Priesterjahres in ei- zeugnis des berühmten Pfarrers von Priester ermutigt, „die Würde der nem Brief alle Priester weltweit Ars, erklärte er in seinem Schrei- Laien und die bestimmte Funkti- zu mehr Zusammenarbeit mit den ben an seine Mitbrüder im pries- on, die den Laien für die Sendung gläubigen Laien und zu einem star- terlichen Dienst: „Sein Beispiel der Kirche zukommt, wahrhaft [zu] ken und überzeugenden Lebens- veranlasst mich, das Feld der Zu- erkennen und [zu] fördern ... Sie zeugnis aufgefordert. Zusammen sammenarbeit zu betonen, das im- sollen gern auf die Laien hören, mit dem Vorschlag, „den neuen mer mehr auf die gläubigen Laien ihre Wünsche brüderlich erwägen Lebensstil“ in der Nachfolge Jesu auszudehnen ist, mit denen die und ihre Erfahrung und Zuständig- Christi nach den „evangelischen Priester das eine priesterliche Volk keit in den verschiedenen Berei- Räten“ zu leben, rief er die Pries- bilden und in deren Mitte sie le- chen des menschlichen Wirkens ter ganz besonders dazu auf, „den ben, um kraft des Weihepriester- anerkennen, damit sie gemein- neuen Frühling zu nutzen, den tums „alle zur Einheit in der Liebe sam mit ihnen die Zeichen der der Geist in unseren Tagen in der zu führen“. Zeit erkennen können“, zitierte Kirche hervorbringt, nicht zuletzt In diesem Zusammenhang er- der Papst das Kirchendekret Lu- durch die kirchlichen Bewegungen innerte Benedikt XVI. „an die leb- men Gentium. und die neuen Gemeinschaften“. hafte Aufforderung mit der das (Angela Reddemann/ZENIT)

AUFTRAGAUFTRAG27 2744 • JJUNIUNI 2009 73 KIRCHE UNTER SOLDATEN

49. Woche der Begegnung

om 14. bis 16. September 2009 tagt die Vollversammlung des Katholikenrates beim Katholischen Militärbi- schof für die Deutsche Bundeswehr in Hamburg-Bergedorf unter dem Thema „Christsein in der Bundeswehr – VÖkumene unter Soldaten“. Anschließend findet vom 17. bis 19. September die Bundeskonferenz der Gemein- schaft Katholischer Soldaten statt. Zur Einstimmung in diesen jährlichen Höhepunkt der Laienarbeit im Jurisdiktions- bereich des Militärbischofs haben für den Katholikenrat dessen Vorsitzender Stabsfeldwebel Ralf Eisenhardt und für die Bundeskonferenz der GKS deren Vorsitzender Oberstleutnant Paul Brochhagen die folgenden Beiträge erarbeitet. Vollversammlung 2009 des Katholikenrates

VON RALF EISENHARDT

er erste ökumenische Kirchentag (ÖKT) hat in der daten verstanden, gelebt und fortentwickelt werden kann. Dkatholischen Kirche, insbesondere im organisierten Eine dazu eingerichtete Arbeitsgruppe wird diese Erklä- Laienapostolat, nachhaltig Spuren hinterlassen. In meh- rung vorbereiten. Damit wird der Katholikenrat dem Mi- reren Erklärungen sowohl der Sachbereiche des ZdK als litärbischof Dr. Walter Mixa einerseits beratend eine Stel- auch der Gesprächskreise beim ZdK hat das Zentralko- lungnahme zur Ökumene überreichen können, zum anderen mitee der deutschen Katholiken (ZdK) den ökumenischen werden aber auch die in der Militärseelsorge engagierten Gedanken weiter getragen und entwickelt. Die Erklärun- Soldatinnen und Soldaten, sowie deren Familienangehöri- gen Islamischer Religionsunterricht als Chance für Integ- ge Orientierung zur gelebten Ökumene in der Bundeswehr ration und Dialog (2008), Europas Identität – Der Beitrag erhalten. So ist die katholische Militärseelsorge bei ihrer der christlichen Kultur zu Europas Vielfalt und Einheit Präsentation auf dem 2. ÖKT zum Thema „gelebte Öku- (2009), Das Vaterunser – ökumenisch Beten und Handeln mene“ in abgestimmter Weise auskunftsfähig. auf dem Weg zum 2.ÖKT (2008) sind nur einige Beispiele Als weitere Themen der vom 14. bis 16. September ta- aus jüngerer Zeit dafür. genden Vollversammlung stehen auf der Tagesordnung: Nun stehen wir vor dem 2. ÖKT, der in München vom – eine Empfehlung für die Neuausrichtung der „Nach- 12. bis 16. Mai 2010 stattfinden wird. In den Räten und barschaftshilfe“/Hilfen katholischer Soldaten für Ost- Verbänden bereiten sich viele Christen, auch in der Bun- europa in Zusammenarbeit mit Renovabis deswehr, auf diese Tage vor. Die diesjährige Woche der Be- – die Präsentation eines neues Handbuch als Hilfen für gegnung und somit auch die Vollversammlung stehen im die Arbeit in den Mitarbeiterkreisen und den Pfarrge- Hinblick auf den 2. ÖKT unter dem Leitwort: „Christsein meinderäten bei den Militärpfarrämtern in der Bundeswehr – Ökumene unter Soldaten“. Mit einer – turnusmäßige Neuwahl des Vorstandes und der Dele- von der Vollversammlung des Katholikenrates (KR) noch gierten des KR in das ZdK. zu verabschiedenden Erklärung soll aufgezeigt werden, wie Damit hat der KR ein anspruchsvolles Progaramm in Ökumene in der Bundeswehr aus Sicht katholischer Sol- Hamburg zu bewältigen.

49. Woche der Begegnung des Laienapostolates Bundeskonferenz der GKS 2009

VON PAUL BROCHHAGEN

er Vorsitzende des Katholikenrates, Stabsfeldwebel aufgeschlossen ....“ zu thematisieren und die Vorgaben des DRalf Eisenhardt, hat in seinem Beitrag das Schwer- Grundsatzprogramms näher in den Blick zu nehmen. Dort punktthema der 49. Woche der Begegnung „Christsein in heißt es in Nr. 3508: der Bundeswehr – Ökumene unter Soldaten“ in den Kon- „Die GKS greift in ihrem Leitsatz … den Gedan- text der Ökumene in Deutschland eingeordnet. ken der Einheit aller Christen auf. Sie will sich bemühen, Die Bundeskonferenz der GKS wird sich traditionell das Trennende zwischen den Konfessionen zu überwinden am Nachmittag des Donnerstags, 17.09.2009, unter dem und zu mehr Gemeinsamkeit zu finden. … Die Trennung Thema „Ökumenisch aufgeschlossen – Welche Chancen der Christen in verschiedene Kirchen und Gemeinschaf- ergeben sich aus diesem Leitsatz der GKS für eine gemein- ten jedoch schwächt die Glaubwürdigkeit ihres Zeugnis- same Arbeit in friedensethischen Fragen?“ in einem Vor- ses. Deshalb ist es auch Aufgabe der GKS, sich in ihrem trag mit anschließender Aussprache damit beschäftigen. Wirkungsbereich um Modelle der Einheit in versöhnter Nichts lag näher, als den Leitsatz 10 der GKS „ökumenisch Verschiedenheit zu bemühen.“

74 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 KIRCHE UNTER SOLDATEN

Der Wirkungsbereich ist durch unser Grundsatzpro- Die Befassung mit der neuen „Ordnung“ und deren gramm eindeutig definiert. Die Themenwahl für die BK zielt Verabschiedung nehmen breiten Raum im Programm der deshalb darauf ab, einen Impuls zu setzen für die Vorberei- Bundeskonferenz ein. Die Beschlussvorlage dazu wird tungen der GKS auf den 2. Ökumenischen Kirchentag 2010 auf der Bundesvorstandssitzung Anfang Juli verabschie- in München. Dort wollen wir uns – möglichst gemeinsam det und dann den Bereichen und den Delegierten der mit der Gemeinschaft evangelischer Soldatinnen und Sol- Bundeskonferenz mit Hinweisen zum weiteren Verfah- daten (GES) – u.a. auf Veranstaltungen zu friedensethischen ren zugeleitet. Themen präsentieren. Dazu müssen wir das Gemeinsame Der obligatorische Bildungsteil im GKS-Dreiklang und das Trennende identifizieren, um in der Auseinander- von Begegnung, Besinnung und Bildung soll die Aspek- setzung mit Christen beider Konfessionen, die dem loyalen te Diaspora und Ökumene in der weltoffenen Stadt Ham- Dienst der christlichen Soldaten der Bundeswehr kritisch burg berücksichtigen. gegenüberstehen, bestehen zu können. Grundlagen bilden Turnusgemäß wird der Bundesvorstand bei einer par- das Bischofswort „Gerechter Friede“ aus dem Jahr 2000 so- allel stattfindenden Sitzung den Bundesvorsitzenden und wie die Friedensdenkschrift des Rates der EKD „Aus dem seine beiden Stellvertreter neu wählen sowie die erforder- Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ aus dem Jahr lichen Berufungen vornehmen. ❏ 2007 sowie unsere eigenen Erklärungen der GKS.

Katholische Arbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung (KAS e.V.) Wissenswertes über das Erzbistum Hamburg

Papstaudienz für den Vorsitzenden und as römisch-katholische Erzbistum Hamburg ist eine Di- Dözese im Norden Deutschlands und umfasst die Bundes- Geschäftsführer der KAS länder Hamburg und Schleswig-Holstein sowie den Landesteil Mecklenburg des Bundeslands Mecklenburg-Vorpommern. Es uf Einladung des Vatikans empfing Papst Bene- ist das flächenmäßig größte Bistum Deutschlands. Kennzeich- Adikt der XVI. am 29. März den Vorsitzenden der nend ist die Situation als Bistum in der Diaspora. Sitz des Bi- KAS, MdB Markus Grübel (im Bild rechts vom Hei- schofs ist der Neue Mariendom in Hamburg-Sankt Georg. ligen Vater) sowie den Geschäftsführer Rainer Krotz Die erste Hamburger Kirche wurde 810 im Auftrag Karls (l.) zu einer Audienz in der Engelsburg. Diese in der des Großen durch den Trierer Chorbischof Amalar geweiht; Geschichte der KAS einmalige Gelegenheit ergab als erster Pfarrer wird Heridag genannt. Karl eximierte diese sich am Rande der internationalen Konferenz der Kirche von der Jurisdiktion der Nachbarbischöfe. Doch erst Laienorganisationen der katholischen europäischen Karls Sohn Ludwig gründete das Erzbistum, das im Jahre 831 Militärseelsorgen. In dem 45-minütigen Gespräch von Papst Gregor IV. bestätigt wurde. Heridag, bereits zum zeigte sich das Oberhaupt der katholischen Bischof designiert, starb, so dass 834 der Benediktinermönch Kirche sehr interessiert am Familienkonzept der Ansgar zum ersten Bischof geweiht wurde. Nach der Plünde- KAS und lobte die engagierte Arbeit der deutschen rung Hamburgs durch die Wikinger 845 wurde das Erzbistum Soldatenbetreuer für und um die Soldaten der Bun- Hamburg mit dem Bistum Bremen zum Bistum Bremen verei- deswehr. „Sie sind ein lebendiges Beispiel für die nigt, Sitz des Erzbistums wurde Bremen. In Hamburg bestand Vielfalt der gelebten Caritas“, so der Papst. ❏ ein mit nur wenigen Rechten ausgestattetes Domkapitel weiter, das unter anderem den Bau des Mariendoms betrieb. In der Reformation und endgültig mit dem Westfälischen Frieden wurde das Bistum komplett gelöscht. Die Betreuung der Ka- tholiken auf dem ehemaligen Bistumsgebiet oblag zunächst dem Apostolischen Vikariat des Nordens. Das Erzbistum Hamburg wurde von Papst Johannes Paul II. mit der Apostolischen Konstitution „Omnium Christifi- delium“ vom 24. Oktober 1994 mit Wirkung zum 7. Januar 1995 hauptsächlich aus Teilen des Bistums Osnabrück (mit dem gesamten Bischöflichen Amt Schwerin) sowie kleineren Gebieten des Bistums Hildesheim neu errichtet. Mit dem Apostolischen Schreiben „Constat Christifidelis“ bestätigte Johannes Paul II. am 1. März 1995 den Hl. Ansgar als Bis- tumspatron. Die Kathedralkirche (der so genannte Neue Mariendom) und das Generalvikariat liegen im Hamburger Stadtteil St. Georg im Bezirk Hamburg-Mitte. ❏

AUFTRAGAUFTRAG27 2744 • JJUNIUNI 2009 75 KIRCHE UNTER SOLDATEN

Einladung zur Mitgliederversammlung des Förderkreises der GKS

76 AUFTRAGAUFTRAG 272744 • JJUNIUNI 200920099 KIRCHE UNTER SOLDATEN 12. Seminar der GKS-Akademie Oberst Helmut Korn ie Gemeinschaft Katholischer Soldaten (GKS) führt in Zusammenarbeit mit dem Bonifatiushaus in Ful- da vom 09. bis 13. November 2009 (Montag bis Freitag) das 12. Seminar ihrer Akademie Oberst DHelmut Korn durch. Das Thema lautet: „KANN DER PERSÖNLICHE GLAUBE AN JESUS CHRISTUS FÜR DEN SOLDATEN HILFREICH SEIN IM TÄGLICHEN DIENST – AUCH IM EINSATZ?“

it dieser Thematik beschäftigt sich unsere Akademie Merstmalig mit einem Glaubensthema bezogen auf die Programm: Besonderheiten des Soldatenberufes und die Herausforde- rungen dieses Berufes im Alltag des Friedensdienstes in den Kasernen in Deutschland, aber auch den wesentlich Montag, 9. November 2009 veränderten Rahmenbedingungen und den spezifischen Anreise Besonderheiten des Friedensdienstes im Auslandseinsatz, 14:30 Kaffee wo die posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) in erheblichem Maße nach Überwindung der Dunkelziffer 15:00 Begrüßung, Einführung in das Seminar, deutlich zunehmen. sowie Zielsetzung und Organisation, In diesem Seminar geht es unter anderem darum, sich Vorstellung des Bonifatiushauses in besonderer Weise um die „Seelen der Soldaten“ zu sor- Dipl. Volkswirt Gunter Geiger, gen, um in extremen Grenzsituationen einen Angriff auf Direktor des Bonifatiushauses, die Seelen zu vermeiden. Oberst a. D. Dipl.-Ing. Karl-Jürgen Klein, Ziel ist es, in dieser Woche für die Teilnehmerinnen Leiter der Akademie Oberst Dr. Helmut und Teilnehmer einen besonderen Zugang aus dem per- Korn sönlichen Glauben für die Bewältigung schwieriger Situ- 16:00 „Internationale Soldatenwallfahrt ationen zu öffnen und zu finden. nach Lourdes Wir wollen uns in dieser Woche bewusstmachen, dass – Wiege für 60 Jahre Frieden in Europa“ „Glauben“ nach jüdisch-christlichem Verständnis bedeutet Ein persönliches Glaubenszeugnis „Vertrauen“. Damit zeigt sich nicht nur eine unmittelbare von Soldaten, Vortrag mit Diskussion Abhängigkeit zu ethischem Handeln, sondern auch eine Militärdekan Johann Meier, Berlin, Verbindung zu Grundfragen der Entwicklungspsychologie, Geistlicher Beirat der GKS auf Bundes- also zur menschlichen Orientierung in der Welt. Insofern ebene und Deutscher Pilgerleiter lohnt es sich, den Fragen nachzugehen, was Glauben und 19:00 „Aus dem Glauben leben, Gottes Angebot Vertrauen eigentlich beinhalten, wie sie entstehen und wel- an jeden Menschen“, che Bedeutung, aber auch welche Gefährdungspotentiale Vortrag mit Diskussion als offener Akade- sie für die menschliche Existenz besitzen. mieabend des Bonifatiushauses mit Gästen Aus Auslandseinsätzen wissen wir inzwischen, dass re- Gabriele Kuby, Soziologin und ligiös gebundene Soldaten in der Regel mit menschlichen Buchautorin Grenzerfahrungen besser umzugehen in der Lage sind. Ein wesentlicher Aspekt dabei ist sicherlich der Glaube und anschließend: gesellige Kennenlern- das Vertrauen an ein weiterführendes Leben nach dem ir- Runde in der Scheune dischen Tod mit. Diesen unterschiedlichen Ansätzen der Fragestellung unseres persönlichen Glaubens wollen wir in dieser Woche Dienstag, 10. November 2009 gemeinsam nachgehen, wobei nach allen Vorträgen und in 8:30 Hl. Messe in der Kapelle des den Arbeitsgruppen ausreichend Zeit für Nachfragen und Bonifatiushauses zu Aussprache zur Verfügung steht. Zelebrant: Militärdekan Johann Meier, Berlin Wolfgang Korte Karl-Jürgen Klein Gunter Geiger 9:30 „Oberst Dr. Helmut Korn – Soldat und Generalleutnant Oberst a. D. Direktor Bonifatiushaus Christ, – ein Leben aus dem Glauben“. Schirmherr Leiter der Akademie Wissensch. Begleiter Vortrag mit Diskussion (bis 10:45) der Akademie Ehrenbundesvorsitzender der Akademie Brigadegeneral a. D. Friedhelm Koch

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 77 KIRCHE UNTER SOLDATEN

11:15 „Gelebter Glaube und Zeugnis von 18:00 Vesper in der Kapelle des Bonifatius- Jesus Christus hauses während der kommunistischen Zeit“ 19:15 Empfang durch den Katholischen Militär- MilPfr Cpt Mgr. Jan Pacner, Dozent an der bischof, Bischof Dr. Walter Mixa, im Verteidigungsakademie in Brünn, Bonifatiushaus für geladene Gäste und Tschechische Republik Teinehmer der Akademie aus Anlass des 15:30 Führung durch den Dom von Fulda 12. Seminars der GKS-Akademie Oberst (Bonifatiusgrab und Grab von Erzbischof Dr. Helmut Korn mit gemeinsamem Dyba, ehemaliger Militärbischof), Abendessen Michaelskirche und Barockviertel 17:00 Empfang durch den Oberbürgermeister der Stadt Fulda, Gerhard Möller, Donnerstag, 12. November 2009 im Stadtschloss 7:30 Eucharistiefeier in der Kapelle des 19:30 Die Akademie Oberst Dr. Helmut Korn im Bonifatiushauses Überblick von 1987-2009, Thematik und Zielsetzung Zelebrant: Militärbischof Dr. Walter Mixa Oberstleutnant Paul Schulz, 9:30 Exkursion über Homberg (Efze), Empfang Ehrenbundesvor- im Rathaus, Besichtigung der Homberger sitzender der GKS und Leiter der Stadtkirche St. Marien mit der besonderen Akademie bis 2005, Chefredakteur Bedeutung innerhalb des klassischen „AUFTRAG“ bis 2008 Protestantismus als Reformationskirche Hessens – nach Fritzlar. 21:00 Treffen zum Gedankenaustausch in den Dachstuben des Bonifatiushauses In Fritzlar: Besuch des Katholischen Militärpfarramtes, kurzer Vortrag des Militärpfarrers, Andreas Temme, zur Mittwoch, 11. November 2009 Situation vor Ort. 7:30 Hl. Messe Gemeinsames Mittagessen und Besichti- 9:15 „Frauen und Männer in der Bibel – was sie gung des Fritzlarer Doms mit Krypta und uns heute im soldatischen Dienst zu sagen Schatzkammer mit anschließender kurzen haben“ Vortrag mit Diskussion Stadtführung. Dr. Andreas Ruffing, Leiter der Kirchli- 19:00 nach Rückkehr: Abendessen im Bonifatius- chen Arbeitsstelle Männerseelsorge der haus Deutschen Bischofskonferenz, Fulda 20:30 Möglichkeit des Gesprächs in den Dach- 11:00 Kaffeepause stuben des Bonifatiushauses 11:15 Arbeitsgruppen zum Thema: Mein per- sönlicher Glaube / mein persönliches Glaubensbekenntnis als Soldat / Soldatin Freitag, 13. November 2009 15:00 Grußwort des Schirmherrn der Oberst Dr. Helmut Korn-Akademie, 7:30 Eucharistiefeier zum Abschluss des Generalleutnant Wolfgang Korte, Director Seminars mit Reisesegen Joint Warfare Centre, Stavanger, Norwegen Zelebrant: Militärpfarrer Andreas Temme, 15:15 „Die Gemeinschaft Katholischer Soldaten Fritzlar (GKS) – ein katholischer Verband in der 9:15 Auswertung der Woche, Impulse für das Bundeswehr – Hilfen für ein Leben aus 13. Seminar im Jahr 2011 dem Glauben.“ Vortrag mit Diskussion 11:00 Schlusswort und Verabschiedung, Bundesvorsitzender der Gemeinschaft anschließend Abreise Katholischer Soldaten ( GKS ) 16:30 „Der Glaube im Leben eines Soldaten aus Sicht des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr“ Vortrag und Diskussion Militärbischof und Diözesanbischof von Augsburg, Dr. theol. Walter Mixa

78 AUFTRAGAUFTRAG27 2744 • JJUNIUNI 2009 9 AUS BEREICHEN, STANDORTEN UND GKS

GKS Kreis Ingolstadt Bundeswehrkrankenhaus Ulm Neuer Militärpfarrer in Ingolstadt Ein „Stabwechsel“ der besonderen Art

Dieser Beitrag des Kreises Ingolstadt wurde zeitgerecht am Bundeswehrkrankenhaus Ulm der Redaktion für den AUFTRAG 273 zur Verfügung gestellt. Nach der redaktionellen Bearbeitung wurde er Anstatt des „Marschallstabes“ bei der Drucklegung „vergessen“ und erscheint hier mit wurde der „Hirtenstab“ übergeben einer dreimonatigen Verzögerung. (Die Redaktion) m Rahmen eines festlichen Gottesdienstes am 12. Feb- Iruar wurde Militärdekan Hans Ruf, der bisherige Seel- in Adventswochenende mit der GKS in Strahlfeld ver- sorger am Bundeswehrkrankenhaus Ulm, in den wohlver- Ebrachten die Ingolstädter mit ihrem neuen Militär- dienten Ruhestand verabschiedet. Sein Nachfolger, Pater pfarrer Hans-Tilmann Golde. Er übernahm das Amt vom Andreas, der bereits am 1. September 2008, als Katholi- Katholischen Militärpfarrer Alois Berzl, der im November scher Standortpfarrer Ulm II im Bundeswehrkrankenhaus nach Shape/Belgien versetzt wurde. Ulm, seine Aufgaben übernommen hatte, wurde in sein Amt eingeführt. 1956 in Duisburg gebo- ren, strahlt Pater Andreas eine erfrischend feinsinnige, lie- benswürdige und offene Art aus, die Menschen, vielleicht auch gerade kranke Menschen anspricht. Die Studienjahre verbrachte er in Frankfurt und Würzburg. 1983 empfing Pa- ter Andreas die Priesterweihe und arbeitet fortan als Seelsor- ger in der Jugendarbeit und der Erwachsenenbildung bis 1994. Hiernach sammelte er als Gemeindepfarrer Erfahrungen in der Vielschichtigkeit der Gemeindeseelsorge. Neue Einsichten und Möglichkei- ten eröffneten sich für Pater Andreas als Militärgeistlicher in Stetten am kalten Markt, in seiner ersten „militärischen Verwendung“. Hier lernte er als Standortpfarrer von Ok- tober 2002 bis August 2008 die schwäbische Mentalität kennen und lieben. Man spürt bei Pater Andreas, dass der Ruf an das Bun- deswehrkrankenhaus Ulm für ihn Verpflichtung war. Seine Pfarrer Hans-Tilmann Golde und GKS Vorsitzender aufheiternde, fröhliche Stimme und die Bedeutung seiner Harry Büttel Worte besitzen eine Faszination, die die Aufmerksamkeit seiner Gesprächspartner unwillkürlich weckt. Seine Hei- Da die ursprünglich vorgesehene Referentin wegen terkeit steckt an und lässt in der Umgebung Krankenhaus Krankheit ausfiel, sprang Pfarrer Golde kurzfristig mit alles etwas leichter erscheinen. ❏ dem Thema die „Zeugen Jehowas“ ein. Als ehemaliger (Text und Bild: Pressestelle SanKdo IV) Konzessionskundler fiel ihm die zugedachte Aufgabe nicht schwer. Die Zuhörer verfolgten aufmerksam seinen Bericht über manch Unbekanntes und Neues. In geselliger Runde stellte sich die neue Pfarrersfami- GKS-Kreise Köln und Aachen lie abends dann vor. Pfarrer Golde ist verheiratet, hat drei Kinder und ist zum katholischen Glauben konvertiert. „Innere Führung“ – Thema des Der sonntägliche Gottesdienst, ganz im Zeichen des heilige Nikolaus, beeindruckte die anwesenden Kinder Jahres 2009 des GKS-Kreises Köln und Erwachsenen durch eine fast märchenhaft anmuten- de Predigt. Karnevalswochenende der GKS-Kreise Köln und Aachen Ein sehr harmonisches Wochenende fand nach dem gemeinsamen Mittagsmahl und erteiltem Reisesegen sei- in Familienwochenende in Kooperation mit dem GKS- nen Abschluss. EKreis Aachen wurde mit dem Thema „Innere Führung“ (Text: Eva Forster, Bild: Renate Stangl) unter der Leitung von Oberstleutnant Albert Hecht, Vorsit-

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 79 AUS BEREICHEN, STANDORTEN UND GKS

GKS-Kreis Köln Der gute Draht nach oben…

ennen Sie den guten Draht nach oben? Der Sender Kdes Erzbistums Köln – domradio – bietet ihn. Der GKS-Kreis Köln besuchte den Radiosender domradio in den Redaktionsräumen direkt gegenüber dem Kölner Dom. Redakteur Klaus Schmitt bot einen ausführlichen Einblick in den Sender. Fröhliches Karnevalstreiben nach getaner Arbeit domradio berichtet über Menschen, Ereignisse und ohne Namensnennung, da die handelnden Personen Themen rund um Kirche und Gesellschaft. Zum Pro- verkleidet waren gramm gehören Nachrichten, Informationen, Diskussio- nen und Liturgie. Das alles wird ohne Hektik und ohne zender des GKS-Kreises Köln, in dem Familienferienhaus Werbung mit viel Zeit für den Hörer präsentiert, einge- Arche Noah Marienberge in Elkhausen veranstaltet. Als Referent konnte Oberstleutnant Gerhard Stolz, der Vorsitzende des Sachausschusses Innere Führung der GKS, gewonnen werden. Stolz erklärte, die Basis der Menschenführung sei das Vertrauen. Weiter führte er aus, welches wichtige Eigenschaften für den Führenden seien: Toleranz, Offenheit, Loyalität, Zuverlässigkeit. In der Aussprache wurde von den Teilnehmerinnen hervorgehoben, dass Stolz das Thema auch für die Nicht- Soldaten gut verständlich dargestellt habe. Führung fände auch in der Familie und im zivilen Leben statt. Da wegen des schlechten Wetters die Wanderung durch den Westerwald leider ausfallen musste, wurde diese Zeit zur Diskussion über die neue Zentrale Dienstvorschrift (ZDV) 10/4 „Lebenskundlicher Unterricht“ genutzt. Wäh- rend die Erwachsenen sich mit dem Jahresthema ausei- nandersetzten, wurde in der Kinderbetreuung der Abend vorbereitet. Nach dem gemeinsamen Gottesdienst mit Militär- Der stellvertretende Bundesvorsitzende, Oberstleutnant dekan Michael Berning (Köln-Wahn) und anschließen- Rüdiger Attermeyer, beim Interview (sitzend) vor dem dem Blasiussegen folgte die traditionelle Karnevalsfeier Moderatorentisch, links im Bild Thommy, der Moderator (Bild oben). Die Fami- der Sendung lienl hatten keine Mü- henh gescheut und lie- rahmt von himmlischer Popmusik. domradio – der Sender fertenf viele Beiträge in des Erzbistums Köln – sendet seit Pfingsten 2000 und tollent Kostümen. Als ist der erste kirchliche Sender in offizieller Trägerschaft Belohnung für die Mü- eines Bistums. Begonnen hatte dort alles mit einem Ju- henh wurde der eigens biläumsradio im Jahr 1998 zur Erbauung des Kölner fürf diesen Zweck kre- Doms. Das klappte so gut, dass ein Jahr später bereits ierte GKS-Karnevalsor- die Sendelizenz von der Landesanstalt für Medien für den (Bild links) verlie- einen dauerhaften Sender erteilt wurde. Zu empfangen hen.h In bewährter Form ist der Sender nicht nur in Köln sondern auch landes- führtef Franz Meierhöfer und europaweit über Satellit (Astra 1H) und Internet durch das Programm. (www.domradio.de). AlsA Anregung aus dem Die Gruppe durfte live in der Sendung „Der Musik- vergangenenv Jahr wur- Nachmittag“ dabei sein und mitwirken. Der Moderator de in diesem Jahr erst- Tommy gab Oberstlt Rüdiger Attermeyer, stellvertreten- maligm ein Kinderprin- der Bundesvorsitzender, die Gelegenheit, die GKS vor- Seltenheitswert unter Jecken: zenpaar gekürt. zustellen und einen Musikwunsch zu äußern. der Karnevalsorden der Kölner Nach einem ausgie- Zum Abschluss dieses interessanten Nachmittags GKS bigen Brunch am Sonn- wurde nach dem Besuch des Senders die Abendmesse tag fuhren die Familien in St. Andreas gefeiert – ebenfalls ein direkter Draht gestärkt nach Hause. nach oben. ❏ (Text und Foto: Magdalene Berners) (Text und Foto: Magdalene Berners)

80 AUFTRAG 274 • JUNI 2009 AUS BEREICHEN, STANDORTEN UND GKS

Bereich Süd 1. Wie gewinnen wir in Zukunft qualifizierte Militär- seelsorger? Militärgeneralvikar Wakenhut 2. Wie gewinnen wir aktive Soldaten und Soldatinnen und Familienangehörige für die Laiengremien PGR zu Besuch bei der Dekanatsarbeits- und GKS? 3. Wie würde die Arbeit und das Angebot der Katholi- konferenz Süd I/2009 schen Militärseelsorge aussehen, wäre sie nicht mit den soliden kirchlichen Finanzmitteln ausgestattet? ie Delegierten der Pfarrgemeinderäte (PGR) und Am Samstagvormittag hatten sowohl die Delegierten Dder Gemeinschaft Katholischer Soldaten (GKS) aus der PGR und der GKS in Einzelsitzungen die Möglichkeit, Bayern und Baden-Württemberg trafen sich vom 27.03. ihre Anliegen zu bearbeiten. Die PGR beschäftigten sich mit der Vorbereitung der Themen für die Woche der Begeg- nung im September 2009 in Hamburg. Die Bereichskon- ferenz der GKS Bereich Süd konnte sich über den Besuch des Bundesvorsitzenden der GKS, Oberstleutnant Paul Brochhagen, und dessen Ausführungen zur Konzeption der neuen Ordnung der GKS freuen. Der Geschäftsführer des bisherigen GKS-Bereichs Bayern, Hptm a.D. Albert Goll, wurde verabschiedet (Bild) und für seinen langjäh- rigen und treuen Dienst für den Verband mit Applaus und einem Geschenk (thematisch passend zum Paulusjahr) geehrt. Anschließend wurde auf Empfehlung des Vorsit- zenden der GKS Süd OStFw Peter Strauß einstimmig der Geschäftsführer des neu fusionierten GKS Bereichs Süd, OStFw a.D. Georg-Peter Schneeberger, bestätigt. Am Samstagnachmittag hatte Militärpfarrer Martin Strasser eine beeindruckende Führung durch die nahe liegende Augustiner-Klosterkirche St. Peter und Paul in Höglwörth im Rupertiwinkel des Berchtesgadener Landes organisiert. Anschließend begrüßten die Teilnehmer der DAK Militärgeneralvikar Walter Wakenhut, Apostolischer Von links: Bundesvorsitzender Oberstleutnant Protonotar, der die Delegierten aus seiner Sicht über die Paul Brochhagen, Hptm a.D. Albert Goll, Bereichs- aktuelle Lage in der Militärseelsorge informierte, bevor er vorsitzender Süd, Oberstabsfeldwebel Peter Strauß, sehr offenherzig die Anliegen und Vorschläge der Dele- Geschäftsführer Süd, Oberstabsfeldwebel a.D. gierten aufnahm. So wurde u. a. der Vorschlag eingebracht, Georg-Peter Schneeberger die Regelung des „Sonderurlaubs“ bei Veranstaltungen der Militärseelsorge in eine „Dienstleistung beim Militärseel- bis 29.03.2009 zur Dekanatsarbeitskonferenz (DAK) sorger“ umzuwandeln, da es in der Praxis immer wieder I/2009 im oberbayerischen Teisendorf, um die Anliegen zu Unstimmigkeiten in der Auslegung von Sonderurlaub der katholischen Soldaten/Soldatinnen an den Standor- kommt. Abschließend dankte Militärgeneralvikar Waken- ten in Süddeutschland zu erörtern, sich auszutauschen hut den Anwesenden und ermutigte sie auch künftig enga- und neue Informationen an die Standorte mitzunehmen. giert die Militärseelsorge zu unterstützen und neue Solda- Die Dekanatsarbeitskonferenz entspricht dem Dekanats- ten/Soldatinnen dafür zu gewinnen. rat der zivilen Seelsorge. Am Sonntag feierten alle Teilnehmer der DAK einen Am Freitagabend eröffnete der Katholische Leiten- festlichen und lebendigen Gottesdienst, den Militärge- de Militärdekan Monsignore Reinhold Bartmann die neralvikar, Apostolischer Protonotar Walter Wakenhut, Konferenz mit einem Bericht zur Lage der Militärseel- zelebrierte. Der abschließende Dank durch Monsignore sorge in Süddeutschland, in dem er im Schwerpunkt Reinhold Bartmann galt in erster Linie Militärgeneralvi- auf die zurzeit erfreuliche Personalsituation, der Ein- kar Wakenhut und allen Delegierten mit Familien, die sich satzbegleitung durch die Militärseelsorger und auf die ehrenamtlich in der Katholischen Militärseelsorge an den neuen Herausforderungen im Lebenskundlichen Un- Standorten engagieren. terricht einging. Der Katholikenrat beim Katholischen Militärbischof Für die Soldaten und Soldatinnen sind Lebens- und setzt sich zusammen aus dem Vorstand, gewählten Vertre- Weltverantwortung und die besondere militärische Ver- tern der Dekanatsarbeitskonferenzen, Vertretern der Ge- antwortung nicht zu trennen. Ethische Ausrichtung ist meinschaft Katholischer Soldaten und einem Beauftrag- insbesondere in Zeitpunkten gesellschaftlichen Wech- ten des Militärbischofs. Die Aufgaben des Katholikenrates sels und nachlassender Konfessionsgebundenheit äu- sind die Förderung der apostolischen Tätigkeit im Bereich ßerst wichtig. der Militärseelsorge und die Koordination aller Kräfte des Darüber hinaus wurden drei Fragen gestellt, die die Laienapostolates. Arbeit in Zukunft bestimmen werden: (Text und Fotos: Georg-Peter Schneeberger)

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 81 AUS BEREICHEN, STANDORTEN UND GKS

GKS-Kreis Bonn Militärdekan Porovne auf die Wallfahrt ein. Auf der Stre- cke zu einem Wegekreuz betete man gemeinsam den glor- Fußwallfahrt zur Rosa Mystica reichen Rosenkranz, wobei man zwischen den einzelnen Gesätzen das Magnificat anstimmte. An den Stationen der in Buschhoven Wallfahrt folgten abwechselnd Lieder und Gebete, bevor man mit einem Marienlied in die Pfarr- und Wallfahrts- ie in jedem Jahr, so lud die Katholische Militärseel- kirche St. Katharina in Buschhoven einzog. Zusammen Wsorge mit dem GKS-Kreis Bonn zur Fußwallfahrt nach mit der Frauengemeinde in Buschhoven wurde der Got- Buschhoven ein. Diese fand am 06.05.2009 statt und führte tesdienst gestaltet, an dessen Schluss man das ausgesetzte über zwei Wegestationen zu der romanischen Mariensta- Allerheiligste anbetete. tue, welche über 600 Jahre im Kloster Schillingscapellen Nach dieser gemeinsamen Feier ließ man bei der tra- stand, bevor sie ditionellen bayerischen Brotzeit im Pfarrgemeindesaal zu- 1806 im Rahmen sammen die Wallfahrt ausklingen. derd Säkularisati- (Text und Fotos: Reinhold Gradl) ono nach Busch- hovenh kam. Fast 70 Personen, da- runterr viele ak- Kurz berichtet tivet Soldaten in UniformU nah- menm unter dem Kein Sonderurlaub PilgerkreuzP und derd Fahne der für Kongress Katholischen Militärseelsorge der Zeugen Jehovas Einstimmung auf die Pilgerschaft an dieser kleinen Umrahmt von Pilgerkreuz und Pilgerreise teil. Gitarre stimmt Militärdekan Benno Oberstlt Tho- in Beamter hat keinen Anspruch auf Son- Porovne die Pilgerschar auf die mas Mayer hat- Ederurlaub zur Teilnahme an einem Bezirks- bevorstehende Pilgerreise ein te in Absprache kongress der Zeugen Jehovas. Das entschied das mit dem Militär- Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Kob- dekan Benno Porovne ein Pilgerbuch für diese Wallfahrt lenz am Freitag. Zur Begründung führte das Ge- verfasst und begleitete während des Weges und an den richt aus, zwar könne einem Beamten Sonder- Stationen die Gläubigen mit der Gitarre. urlaub für die Teilnahme an einem Deutschen Evangelischen Kirchen- oder an einem Deut- schen Katholikentag gewährt werden, weil diese Veranstaltungen über den religiösen Charakter hinaus eine besondere gesellschaftliche Bedeu- tung hätten. Dies sei aber bei Bezirkskongressen der Zeugen Jehovas nicht der Fall. Sie würden von der Religionsgemeinschaft selbst organisiert und beschränkten sich auf ein Wirken nach in- nen; durch sie sollten der individuelle Glauben gefestigt und die religiöse Lebensführung sowie das Zusammengehörigkeitsgefühl der Mitglieder gestärkt werden. Kirchentage dagegen, so das Gericht, wür- den nicht von der Amtskirche organisiert, son- dern von Laienbewegungen getragen, die den Kirchen sogar teilweise kritisch gegenüberstün- den. Außerdem widmeten sich die Kirchenta- Pilger auf dem Weg ge nicht ausschließlich religiösen oder kirch- Mit Pilgerkreuz und Fahne der Militärseelsorge, ein lichen Themen, sondern ganz wesentlich auch Marienlied auf den Lippen, so zieht die Pilgerschar in aktuellen politischen und gesellschaftlichen den Wallfahrtsort Buschhoven ein Fragestellungen. Die Koblenzer Richter lie- ßen Revision zum Bundesverwaltungsgericht zu Kurz hinter dem Startpunkt Südwache Bundesministe- (Az.: 10 A 10042/09.OVG). (KNA) rium der Verteidigung, stimmten sich die Teilnehmer mit einem Lied, einem Gebet sowie einer Einführung durch

82 AUFTRAGAUFTRAG27 2744 • JJUNIUNI 2009 9 BUCHBESPRECHUNGEN

Buchbesprechung Internationaler Schutz der Menschenrechte Stand und Perspektiven im 21. Jahrhundert

ie Herausgeber, Sven Bernhard Gareis dern diese noch fester zu verankern, genauso te“ und schließt mit diesem Ausblick in die Dund Gunter Geiger, veröffentlichen in die- gesprochen wie von der Menschenrechtserklä- Zukunft die Veröffentlichungen. Im Anhang sem Band eine merkenswerte Sammlung von rung aus der Sicht der islamischen Welt. Auch ist dann auch die Allgemeine Erklärung der Aufsätzen, die den aktuellen Stand (2008) der die Sicht des asiatischen Kulturkreises auf die Menschenrechte abgedruckt, sodass jeder- SituationS der Men- Menschenrechte wird erklärt und so wird Ver- mann nachlesen kann, was eigentlich Objekt schenrechtes auf die- ständnis dafür geweckt, dass es unmöglich sein der Diskussion ist. ser Welt widerspie- kann, die Entwicklung der Menschenrechte als Nach dem Amtsantritt des amerikanischen gelt.g Sechzig Jah- abgeschlossen zu betrachten. Hochinteressant Präsidenten Barack Obama und seiner Ent- rer nach der Verab- das Kapitel neun „Menschenrechte und Islam“, scheidung, die Vereinigten Staaten von Ameri- schiedung der All- welches von dem Mitglied des Gesprächskrei- ka in den Menschenrechtsrat zurückkehren zu gemeineng Erklärung ses „Christen und Muslime“ des Zentralkomi- lassen, ist diese Büchlein ein ausgezeichneter derd Menschenrech- tees der Katholiken in Deutschland, Frau Ha- Führer in die Problematik dieser äußerst wich- tet durch die Verein- mideh Mohagheghi, geschrieben wurde. Hier tigen Frage. Die Zukunft der Menschenrechte tent Nationen, veran- wird die Entwicklung der Menschenrechte ist zu wichtig, um sie den normalen ideologi- staltete die Katholi- in der islamischen Welt beschrieben und so schen Gesichtspunkten zu opfern. Die Ent- sches Akademie Ful- deutlich gemacht, dass es außer der westlichen wicklung gibt Anlass zu Hoffnung. dad (Bonifatiushaus) Sichtweise auch noch andere Entwicklungen einee Fachtagung aus auf dieser Welt gab. Ergänzt wird dies durch Internationaler Schutz der Men- Anlass dieses Jahrestages. Das Büchlein do- das Kapitel 10 „Asiatische Werte – asiatische schenrechte, Stand und Perspekti- kumentiert die Ergebnisse dieser Tagung mit Menschenrechte?“, bevor Prof. Dr. Peter Schal- ven im 21. Jahrhundert, von Sven dem Ziel, zur breiteren Diskussion um die lenberg das Kapitel „Menschenbild und Men- Bernhard Gareis und Gunter Geiger Menschenrechte und ihren Schutz in Politik, schenrechte im Christentum“ darstellt. Zum (Hrsg.), 231 Seiten, Verlag Barbara Gesellschaft und Bildungseinrichtungen bei- Abschluss der Aufsätze fragt die ehemalige Budrich, Opladen und Farmington zutragen. Dabei wird von der „Bildungsaufga- Bundesministerin für Justiz, Prof. Dr. Hertha Hills MI, be Menschenrechte“, um in den westlichen Län- Däubler-Gmelin, „Quo vadis, Menschenrech- ISBN 978 – 3 – 86649 – 186 – 1

Buchbesprechung Sozial-ethische Dimensionen in Politik und Wirtschaft

er Autor, Diplomtheologe und promo- tor Frankl (1905-1997). Ausgehend von dem Dvierter Philosoph, beschreibt in seinem Verhältnis des Ich – Du – Wir beschreibt er Buch die Hinwendung des Einzelnen in der die notwendige Hinwendung des Einzelnen in gesamten Masse zum Sinn-haften und ver- der Gesamtheit des Menschseins anhand von antwortlichen Handeln in einem ethischen den erwähnten zwölf Stichworten und arbei- Rahmen. An ausgesuchten Beispielen zeigt er te so seine These heraus, dass keiner für sich das Scheitern von Personen auf, die sich nicht allein handelt, jedes Handeln Auswirkungen daran halten, und versucht zu beweisen, wie auf das Ganze hat. es mit der von ihm propagierten Hinwendung Im dritten Kapitel nimmt der Autor zur besser funktioniert. Dies geschieht immer in Philosophie des Geldes Stellung. Nach einer einem zeitlichen, europäischen Kontext. Des- Eingangsbetrachtung über die Tatsache, dass halb ist es nicht verwunderlich, dass er sei- das Geld für den Menschen da sei, bildet er ne Thesen in zwei Kapiteln einbettet in einen die Trias Geld – Sex – Macht und führt die- Briefwechsel eines 78-jährigen Politikers, der se über in die neue Sichtweise Wert – Liebe nicht mehr im Rampenlicht und in der Verant- – Wirkenkönnen. Anhand von zehn Thesen, wortung steht, der seinem 38-jährigen Freund die der Autor mit Quellen aus der Tagespresse seine Sicht der Dinge in einem ausführlichem belegt, entwickelt er seine Gedanken, immer Brief schreibt. Diese zwei Ausschnitte aus dem ausgehend von der Trias Ich – Du – Wir mit Briefwechsel bilden das erste und das vierte dem Hinweis auf die Gesamtheit des Han- Kapitel des Buches. delns auch des Individuums zum Wohle des Ausgangspunkt ist Europa des 21. Jahrhun- Ganzen. derts. Eine Verleihung eines europäischen Solcherart mit seiner Sicht der Ethik in Po- Preises an einen verdienten Europapoliti- litik und Wirtschaft bekannt gemacht, be- ker, dessen Laudator der ehemalige Kanzler schließt der zweite Teil des Briefwechsels im ist, dient als Ausgangspunkt der Gedanken. Kapitel vier das lesenswerte Büchlein. Da der Schon zu Beginn wird der Leser damit vertraut WiWirtschaft. hf AAn zwölf lfSih Stichworten arbeitet bi er Autor in seinem Buch mit den negativen Bei- gemacht, dass die unveräußerlichen europä- das Thema ab, wobei er sich redlich bemüht, spielen nicht zurückhält, kann es keinen mehr ischen Grundgedanken die griechische Phi- am Beispiel großer, bekannter Skandale und wundern, dass die Finanzkrise, verursacht losophie, das römische Recht und der Mono- weniger bekannten guten Wirtschaftsentwick- durch einige wenige, diese Ausmaße annahm. theismus sind. Dieser müsse sich weiter ent- lungen, seine Sinn-Kontexte in der Wirtschaft Die erfolgten Verurteilungen bestätigen auch wickeln zu einem Monathropismus nach dem darzulegen und begreiflich zu machen. Dabei den Autor, wenn er feststellt, dass jeder seine Wiener Arztphilosophen Viktor Frankl. Mit beruft er sich neben anderen in der Hauptsa- offenen Rechnungen auch bezahlen muss. diesem Einstieg über eine Sinn- und Werte- che auf zwei Männer: Den deutschen Kunstma- Sozial-ethische Dimensionen in Po- orientierung in der Politik beginnt der Autor ler und Lebens-Lehrer Joseph Anton Schneid- litik und Wirtschaft, Dr. Otto Zsok, sein Thema zu entwickeln. Im zweiten Ka- erfranken Bô Yin Râ (1876-1943), sowie den 182 Seiten, eos-Verlag, pitel beschreibt er die Sinn-Kontexte in der schon erwähnten Wiener Arztphilosophen Vik- ISBN 978-3-8306-7341-5

AUFTRAG 274 • JUNI 2009 83 Impressum AUFTRAG ist das Organ der GEMEINSCHAFT KATHOLISCHER SOLDATEN (GKS) und erscheint viermal im Jahr. Hrsg.: GKS, Am Weidendamm 2, Das Kreuz der GKS 10117 Berlin Das »Kreuz der GKS« ist das Symbol www.katholische-soldaten.de der Gemeinschaft Katholischer Sol- Redaktion: verantwortlicher Redakteur daten. Vier Kreise als Symbol für die Bertram Bastian (BB), GKS-Kreise an der Basis formen in Paul Schulz (PS), Oberstlt a.D., Redakteur, einem größeren Kreis, der wiederum Klaus Brandt (bt), Oberstlt a.D., Redakteur die Gemeinschaft ver sinnbildlicht, ein Zuschriften: Redaktion AUFTRAG c/o Bertram Bastian, Kreuz, unter dem sich katholische Sol- Rochusstr. 67, 53123 Bonn, daten versammeln. Tel: 0178-4025613, Fax: 0228-6199164, E-Mail: [email protected] Für unverlangte Einsendungen wird keine Haftung übernommen. Namensartikel werden allein vom Verfasser verantwortet. Nicht immer sind bei Nachdrucken die Inhaber von Rechten feststellbar oder erreichbar. In solchen Aus- nahmefällen verpfl ichtet sich der Herausgeber, nachträglich geltend gemachte rechtmäßige Ansprüche nach den üblichen Honorarsätzen Der Königsteiner Engel zu vergüten. Der »siebte Engel mit der siebten Posaune« Druck: Verlag Haus Altenberg GmbH, (Offb 11,15–19) ist der Bote der Hoff- Carl-Mosterts-Platz 1, 40477 Düsseldorf. Überweisungen und Spenden an: nung, der die uneingeschränkte Herrschaft GKS e.V. Berlin, Pax Bank eG Köln, Gottes ankündigt. Dieser apokalyptische BLZ: 370 601 93, Konto-Nr.: 1 017 495 018. Engel am Haus der Begegnung in Königstein/ Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Ts., dem Grün dungsort des Königsteiner Genehmigung der Redaktion und mit Quellenangabe. Nach be stellung gegen Offi zier kreises (KOK), ist heute noch das eine Schutzgebühr von EUR 10,- an Tradi tionszeichen der GKS, das die katho- den ausliefernden Verlag. lische Laienarbeit in der Militärseelsorge seit mehr als 40 Jahren begleitet. ISSN 1866-0843