Deutschland

PDS Vorwärts und vergessen Die SED-Nachfolgepartei fordert die „Anerkennung von DDR-Biographien“ und die Abschaffung der -Überprüfungen. Folgt nun der Angriff auf die Gauck-Behörde?

denen ändern, die das System der DDR getragen haben“. Die „Berliner Zeitung“ fand, im Anklang an ein kommunistisches Kampflied, das Motto der neuen Zeit: „Vorwärts und vergessen“. Allen Reden des Bundespräsidenten zum Trotz kümmern sich die beiden großen Parteien dieser Republik derzeit herzlich wenig um die Opfer der SED- Diktatur. Als wäre ein Wettbewerb ausge- lobt worden, bemühen sich CDU und SPD vor allem um die Schicht im Osten, die man eher als Gruppe der Täter bezeich- nen könnte, die neuerdings jedoch bei- nahe liebevoll „Funktions-Elite“ genannt wird. Während CDU-Chef Wolfgang Schäuble die frühere SED-Anhängerschaft umwirbt, hat sich die SPD direkt mit der Nachfolge- partei der SED eingelassen. Nicht einmal Parteiaustritte von Sozialdemokraten, die unter Kommunisten gelitten haben, konn- ten den neuen Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Harald Rings- torff, vom Pakt mit der PDS abbringen.

L. CHAPERON / LASA Der Umgang „mit einer bestimmten Bio- Kanzler Schröder, PDS-Fraktionschef Gysi im *: Generalamnestie für die Täter? graphie in der DDR“, frohlockt , werde sich nun ändern. m Berliner Schloß Bellevue empfing innern und diese wo noch möglich zu lin- Als Vorbild für das Verhältnis zu den Roman Herzog vergangenen Diens- dern suchen.“ Systemträgern empfiehlt sich die PDS sel- Itag von Nazis und Kommunisten ver- Am selben Tag vereidigte Landtagsprä- ber. Entgegen allen Parteitagsbeschlüssen, folgte Sozialdemokraten und Wider- sident Heinrich Kuessner, SPD, in Schwe- in denen sie sich vom DDR-Unrecht standskämpfer. Die Verfolgten, darunter rin drei Minister der PDS. Er schlug einen distanzierte, hat sie sich immer als An- auch einen SPD-Genossen, der in der ganz anderen Ton an und mahnte, es sei wältin der ehemaligen DDR-Funktionäre berüchtigten DDR-Haftanstalt Bautzen an der Zeit, „daß wir unser Verhalten zu präsentiert, hat sie Stasi-Überprüfungen gesessen hatte, lobte der Bundespräsident kritisiert und Mauerschützen-Prozesse ver- als „Vorbilder für nachfolgende Genera- * Oben: nach der Wahl Gerhard Schröders zum Bun- urteilt, hat Verbindungen zu den alten tionen“: „Wir müssen uns den Opfern die- deskanzler am 27. Oktober; unten links: im Oktober NVA- und Stasi-Offizieren gehalten, die in 1989 in ; rechts: mit Foto des ehemaligen Stasi- ser Regime zuwenden, an ihre Leiden er- Chefs . diversen Vereinen um Anerkennung ihrer JÜRGENS OST UND EUROPA PHOTO JÜRGENS OST UND EUROPA R. BOSSU / SYGMA Militärparade in der DDR, Stasi-Unterlagen in Berlin*: Kaum Interesse an den Opfern

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Dienstjahre und gegen Rentenkürzungen hielten, waren fest davon überzeugt, Recht Aus Anlaß des „fünften Jahrestages“ des kämpfen. zu schaffen.“ Beitritts der DDR formulierte die PDS da- Zur Freude der alten Kader hat der PDS- Im Koalitionsvertrag von Schwerin ist mals: „Bürger der DDR, die in Ausübung Vorsitzende Lothar Bisky über die „Sie- der Schlußstrich beschlossene Sache: So hoheitlicher Aufgaben für die DDR und ihre gerjustiz“ geschimpft, auch wenn er das wie die SPD-regierten Länder Branden- Behörden tätig wurden, werden mit In- im Wahlkampf bedauerte. Nicht ohne burg und Sachsen-Anhalt verzichtet nun krafttreten dieses Gesetzes für diese Tätig- Heiterkeit beobachten die Spitzengenos- auch Mecklenburg-Vorpommern in Zu- keiten nicht mehr strafrechtlich verfolgt“ sen, wie Politiker von CDU und SPD kunft im öffentlichen Dienst auf generelle – eine Generalamnestie für die Schließer in plötzlich beteuern, daß selbst SED-Mit- Anfragen bei der Gauck-Behörde, auf die Bautzen oder die Schützen an der Mauer. glieder stolz auf ihre Lebensleistungen sein sogenannte Regelüberprüfung. Viel befürchten müssen die Täter oh- könnten. Nicht einmal die Landtagsabgeordneten nehin nicht mehr. Denn die zuständige Für Gysi ist die Geschichte längst zur werden automatisch auf frühere Spitzel- Staatsanwaltschaft in Berlin steht kurz vor Verhandlungsmasse im Koalitionspoker ge- dienste untersucht. „Die Fraktionen von der Auflösung. Erst vor wenigen Tagen gab Justizsenator Ehrhart Kör- ting, SPD, bekannt, daß die Staats- anwaltschaft für Regierungskrimi- nalität im November nächsten Jah- res aufgelöst werden soll. Von rund 23 000 Verfahren sind inzwischen über 21000 eingestellt, lediglich 211 Personen wurden verurteilt. Ein nächster Vorstoß der PDS könnte der Gauck-Behörde gelten. Die Auflösung dieses Amtes, dessen Auskünfte vielen PDS-Aktivisten das Leben schwer machten, gilt un- ter den Funktionären als eines der sehnlichsten Ziele. Gauck selbst sieht den Angrif- fen noch gelassen entgegen. Zwar herrscht unter Mitarbeitern der Behörde Unruhe, doch der Chef meint: „So richtig wagt es ja keiner, einen Schlußstrich zu fordern. Dafür gibt es auch im Bundestag keine par- lamentarische Mehrheit.“ Es solle sich niemand täuschen, warnt er,

R. BOSSU / SYGMA „der Zugriff auf die Unterlagen DDR-Ministerpräsident Modrow*: Ende für die Gauck-Behörde? früherer IM wird weiter möglich sein“. worden. Der Berliner SPD bot er Ge- SPD und PDS wirken darauf hin“, heißt es Die Bürgerrechtler, bisher die vehemen- spräche für eine Zusammenarbeit an – ge- im Koalitionsvertrag, „daß ihre Mitglieder testen Verteidiger der Stasi-Aufarbeitung, wissermaßen als Gegenleistung sei die Par- sich einer freiwilligen Überprüfung“ un- wirken derzeit wie gelähmt.Viele sind froh, tei auch bereit, die Zwangsvereinigung von terziehen. Ob es zu solcher freiwilligen daß es im letzten Bundestag noch gelang, die SED und SPD zu bedauern. Überprüfung kommt, ist ungewiß.Auch die von geführte Enquete- In Mecklenburg-Vorpommern will die Folgen, die ein „positiver Befund“ der Kommission in eine „Stiftung zur Aufarbei- PDS nun, wie ihr Landeschef Helmut Hol- Behörde des Joachim Gauck haben könn- tung der SED-Diktatur“ umzuwandeln. ter betont, für ein „Klima der Integration te, sind nicht festgelegt. Schließlich hat die „Die Stiftung“, sagt , Chef und Versöhnung“ sorgen. Tatkräftige Hilfe frühere Stasi-Tätigkeit nicht einmal den des Stiftungsrates, „soll Pfahl im Fleisch der soll dabei ein Mann aus dem Westen lei- abgesetzten Rektor der Berliner Hum- Verdrängung sein.“ Der PDS ist sie ein Dorn sten. Der Darmstädter Rechtsprofessor boldt-Universität Heinrich Fink (IM „Hei- im Auge: PDS-Vize Wolfgang Gehrcke for- Axel Azzola wird Staatssekretär im PDS- ner“) von der Bundestagskandidatur ab- derte eine „grundsätzlich andere Art und geführten Sozialministerium. halten können. Fink ist nicht der einzige Weise, an der Geschichte zu arbeiten“. Bei den Genossen hat er sich als Anwalt IM, den die PDS im Bundestag stellt. Am 9. November, dem Tag der Mau- ehemaliger Stasi-Leute gegen das „Ren- Demnächst wollen die Genossen Bun- eröffnung, werden die Bürgerrechtler noch tenstrafrecht“ beliebt gemacht. Im April destagsabgeordneten ihrer eigenen Klien- einmal für Aufmerksamkeit sorgen. Wolf- polemisierte er im „Neuen Deutschland“ tel noch ein Geschenk bereiten und den gang Templin, Freya Klier und Ehrhard gegen die Verurteilung von DDR-Militärs Schlußstrich auch juristisch vollenden. Als Neubert übergeben in der Berliner US- wegen der Todesschüsse an der Mauer. Für eine der ersten Initiativen seiner Fraktion Botschaft einen Brief an Präsident Bill ihn ein klarer Fall von „Klassenjustiz“. hat Gysi bereits ein Gesetz zur Beendi- Clinton. Darin fordern sie die Herausgabe Dabei verglich er die zuständigen Berli- gung der Strafverfolgung von früheren der Akten der Hauptverwaltung Auf- ner Richter mit Nazi-Juristen. „Die Richter DDR-Bürgern angekündigt. klärung der Staatssicherheit, die sich die der 31. Strafkammer des LG Berlin werden Es wird sich wenig von dem Antrag un- CIA in den Wendewochen beschafft hat. sich für rechtschaffen halten. Aber auch terscheiden, den die PDS in der letzten Nur mit diesen Akten, schreiben sie in jene Nazi-Richter, die seinerzeit Menschen Legislaturperiode eingebracht hat. Im da- dem Brief, sei es möglich, Agenten, die verurteilten, die sie für ‚Volksschädlinge‘ maligen Entwurf für ein „Strafverfolgungs- „nach der Wende an entscheidenden ge- beendigungsgesetz“ beklagten die SED- sellschaftlichen und politischen Positionen * Im Dezember 1989 in Ost-Berlin auf dem Auflösungs- Nachfolger den „Einsatz des Strafrechts plaziert“ wurden, zu entdecken. Parteitag der SED. als Instrument politischer Verfolgung“. Stefan Berg

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