Sascha Theisen

HeldentatenDie größten deutschen WM-Spiele Heldentaten

Vom „Wunder von Bern“ bis zum unglaublichen 7:1 in Belo Horizonte, von der Geburtsstunde der längst legendären „Turniermannschaft“ in München 1974 bis hin zum kaiserlichen Triumph von Rom 1990. Sascha Theisen hat sich die großen WM-Spiele der deutschen Nationalmannschaft vorgenommen. Packende und emotionale Reportagen erinnern an jene Stunden, in denen die ganze Nation vor den Bildschirmen saß und Daumen drückte.

ISBN 978-3-7307-0347-2 VERLAG DIE WERKSTATT VERLAG DIE WERKSTATT VERLAG DIE WERKSTATT Inhalt

Aufbruch zu Heldentaten ...... 8 Danksagung ...... 9

Entscheidende Zitterpartien

1965: Uns Sehne ...... 12 1989: Ickes Novembertraum ...... 16 2001: Ohne Holland ...... 21

Unerwartete Kantersiege

1954: Dem Fritz sein Spiel ...... 28 2010: Ein Junge namens Müller ...... 32 2014: Das kroose Kopfschütteln ...... 36

Atemberaubende Elfmeterdramen

1982: Die Nacht von Sevilla ...... 44 1990: Die Nacht von Turin ...... 49 2006: Wem gehört das Spiel? ...... 53

Feuerwerke und Schlachten

1966: Troches Klatsche ...... 60 1970: Revanche mit dem Hinterkopf ...... 64 1974: Im Regen zur Taufe ...... 68 1974: Die Wasserschlacht von Frankfurt ...... 72 1990: Kain gegen Abel ...... 77

 6 Wegweisende Initialzündungen

1990: Sturmlauf in San Siro ...... 84 2006: Uneinholbar ...... 89 1974: Hoch sollen sie leben! ...... 93

Finale Krönungen

1954: Bozsik, immer wieder Bozsik ...... 100 1974: Vogts schlägt Cruyff ...... 105 1990: Den Ball im Blick ...... 110 2014: Finales Drama im Maracanã ...... 114

Bittere Schlappen

1938: Keine Mannschaft könnt ihr sein ...... 120 1958: Heja, Heja Sverige ...... 124 1966: Das ewige Wembley-Tor ...... 128 1970: Partido del Siglo ...... 132 1978: Das narrische Spiel ...... 137 1982: Auf zu hohem Ross(i) ...... 141 1986: „Hart wie Scheiße“ ...... 145 1994: In der falschen Ecke ...... 150 2006: Gross(o) Trauer ...... 154

7 Aufbruch zu Heldentaten

a war ich dabei!“ – wer sich an WM-Spie- die im Giuseppe-Meazza-Stadion im Juni 1990 zu le erinnert, geht über die reine Erinnerung schenken. Und alle vier Jahre werden solche Au- hinaus. Man war „dabei“. Immer. Viel- genblicke aufs Neue geboren – immer dann, wenn leicht nicht jedes Mal im Stadion, aber eine Fußball-Weltmeisterschaft angepfi ffen wird. „ ebenD doch als Teil des Spiels, und das meist mit Dann beginnen vier Wochen Fußball, in denen gro- feuchten Handinnenfl ächen, ungeduldiger Vorfreu- ße Hoffnungen blühen, Träume zerbrechen und de und panischer Angst vor der Niederlage. Die deutsche Helden triumphieren oder fallen. Seit Erinnerung an legendäre WM-Spiele vereint viele 1930 bis heute fi nden Weltmeisterschaften statt, Fußballfans mit häufi g glasigen Augen – auch dann, und mit unzähligen Heldentaten haben Männer wenn sie die Spiele oft an verschiedenen Orten in weißen Trikots und schwarzen Hosen (manch- verfolgten. mal auch in grünen Hemden und weißen Shorts) Wer etwa 1990 schon alt genug war, um das für epische Geschichten gesorgt, die niemand je WM-Achtelfi nale zwischen Franz Beckenbauers Elf wieder vergisst, der sie sah oder auch nur davon gegen die der Niederlande zu durchleben, den las- erzählt bekam. Dieses Buch versammelt all diese sen dieses Spiel und die Erinnerung daran nie wie- Heldentaten an einem Ort. Es ist ein Album der der los. Brehmes genialer Schlenzer, Buchwalds Erinnerungen – eine Verbeugung vor den größten ungelenker, aber dennoch erfolgreicher Überstei- deutschen Spielen bei Fußball-Weltmeisterschaf- ger und van Breukelens zornige Reaktion nach ten. Es erzählt die Geschichten von rauschenden dem Rückstand sind Tickets für eine ganz persön- Siegen, dramatischen Elfmeterschießen, aber liche WM-Zeitmaschine. Auf ihrem Fahrplan steht auch von bitteren Niederlagen, die mindestens der Straßenrand, an dem man einst den Tramper- vier Jahre lang schmerzten. Daumen hob, um in letzter Minute in San Siro an- Der blutende Schweinsteiger, der immer und zukommen. Wieder andere fahren zurück in die immer wieder vom Rasen des Maracanã aufsteht, zum WM-Studio umfunktionierte elterliche Gara- getragen vom Wunsch, den Titel zu gewinnen. Der ge, in der das Spiel auf einem Röhren-Fernseher schwerelose , der in der schwülen lief und selbst sonst distinguierte Mütter zu rot Nacht von Sevilla den Fallrückzieher unsterblich anlaufenden Furien wurden, weil Frank Rijkaard macht. Der in Wankdorf immer wieder aus dem zum dritten Mal in Rudi Völlers Locken spuckte. Hintergrund schießende Rahn. Der in Belo Hori- Sie alle hören noch heute das klatschende Ge- zonte auf den Knien rutschende Miro Klose. Andy räusch des Pfostens, gegen den Klinsmann das Brehme, der ganz alleine mit sich und dem Ball im Leder drosch und hören Heribert Faßbenders ent- Olympia-Stadion in Rom auf die Ausführung die- setzten Ruf, diesen Schiedsrichter „ganz schnell ses einen Elfmeters wartet. zurück in die Pampa“ zu schicken. Aber es sind nicht nur Siege wie diese, die eine „Herzlich willkommen zu 13 Stunden Fußball!“ Weltmeisterschaft unsterblich machen – es sind Es sind solche Sätze, mit denen WM-Begleiter wie auch die großen Niederlagen, die für immer blei- Dieter Kürten einst ihre TV-Zuschauer begrüß- ben. Fabio Grossos unwiderstehlicher und doch ten. In der Vorfreude darauf, ihnen Momente wie so bitterer Jubellauf durch die Nacht von Dort-

 8 mund, der den Sommer eines ganzen Landes be- listische Möglichkeit gibt, zurück zum 4. Juli 1954 endet. Burruchagas schmuckloser Torabschluss nach Bern oder zum 7. Juli 1974 nach München mit der Innenseite, einen Schritt bevor Hans-Pe- zu reisen. Solange auch niemand ins Stadio Olim- ter Briegel ihn doch noch erreicht. Geoff Hursts pico zu Brehmes Elfmeter oder ins Maracanã zu Schuss an den Querbalken in Wembley und Hans Schweinsteigers Kampf und Götzes Drehung auf- Tilkowskis Tränen auf dem schweren Weg hoch zur brechen kann, lädt dieses Buch zur Reise in die Queen. Erich Juskowiaks rote Karte in Göteborg, Zeit der WM-Heldentaten ein – hin zu feuchten die Sepp Herbergers unbarmherzigen Bannstrahl Handinnenfl ächen, ungeduldiger Vorfreude und für ihn und das Ausscheiden für den Titelverteidi- panischer Angst vor der einen Niederlage, hin zu ger gegen die gastgebenden Schweden bedeutet. Momenten, von denen man anschließend bis in Die Geschichten der Fußball-Weltmeister- alle Ewigkeit sagen darf: „Da war ich dabei!“ schaften sind einzigartig, und die der deutschen Nationalelf haben einen festen Platz darin. Es gibt nur ganz wenige Turniere, in denen sie nicht forterzählt werden. 1962 und 1998 vielleicht – ansonsten lohnt sich je- der Trip zu einem der unvergängli- chen WM-Schauplätze, an denen sich Tragödien und Heldentaten abspiel- ten. Solange Doc Emmett Brown den DeLorean DMC-12 noch nicht erfun- den hat und es auch sonst keine rea-

Sevilla 1982 – eine Sekunde nachdem Klaus Fischer den Fallrückzieher unsterblich gemacht hat. Danksagung

Der erste Dank für die Inspiration zu diesem Buch Darüber hinaus gilt der Dank selbstverständlich gilt Klaus Fischer – dem Klaus Fischer, nicht dem dem großartigen Verlag Die Werkstatt, ohne den Karnickel aus Hamm, das ich einmal kennenlernte, man die Fußballkultur in Deutschland vergebens als ich einen befreundeten Schalke-Fan besuchte suchen würde. Er ist die Heimat für so viele groß- und er mir stolz die Namen seiner Haustiere nann- artige Autoren, die ihre vielfältigen Fußballthemen te. Vielen Dank also an den Klaus Fischer für die- mit so viel Hingabe und Passion recherchieren, sen Moment in Sevilla, als er sich mit dem Rücken aufschreiben und eben veröffentlichen dürfen. zum Tor in die Höhe schraubte, um den Ausgleich Dem versierten Fußballkenner Hardy Grüne im Halbfi nale ’82 gegen Frankreich zu schießen. gilt der Dank für das Lektorat an diesem Buch, das Ohne diesen unsterblichen Moment wäre dieses wunderbar unprätentiös und immer hochsympa- Buch sicher nicht entstanden. Denke ich daran, thisch vonstattenging. Möge Göttingen 05 eines wie ich zum Fußball kam und wie er mich anschlie- Tages zurückkehren! Und vielen Dank auch an die ßend nie wieder losließ, dann ist jener Augenblick großartige Christine Rölke, die die Gestaltung die- eine der Initialzündungen. Ein unvergleichliches ses Buches auf wunderbare Weise umgesetzt hat. Tor, das für so viele andere in der WM-Geschich- Letztlich gilt mein Dank meinem leider ver- te steht, die Weltmeisterschaften so groß und un- storbenen, wunderbaren Freund Peter Schmitz, vergänglich machen. Es bleibt die tiefe Hoffnung, mit dem ich so viele Abende damit verbrachte, in dass diese Erinnerungen am Ende immer größer WM-Erinnerungen zu schwelgen, und mit dem ich sind als die fortwährenden und eifrigen Bemühun- im Sommer 2014 doch noch einmal gemeinsam gen der Verbände, die Schraube im Weltfußball zu den Titel der deutschen Elf feiern durfte. Es ver- überdrehen. geht kein Tag, an dem er nicht fehlt. Sascha Theisen

9 2014 Das kroose Kopfschütteln

ls Toni Kroos in der 24. Minute jubelnd zur Auslinie lief, konnte er selbst nicht glauben, was gerade mit ihm und mit die- sem Spiel geschah. Er schlug die Hände vor A das Gesicht, lachte und schüttelte gleichzei- tig ungläubig mit dem Kopf. So wie ihm, der ja unmittelbar dabei und Protagonist dieses his- torischen Augenblicks war, ging es in dieser Se- kunde wohl allen 32,57 Millionen Deutschen, die das ZDF vor den Fernsehapparaten des Landes zählte. Niemand – egal wo er dieses Halbfi nale auch verfolgte – konnte glauben, was dort unten auf dem Rasen des Estadio Mineirão in Belo Ho- rizonte passierte. Wenn man so will, ging in die- sem Moment kein Ruck, dafür aber ein ungläubi- ges nationales Kopfschütteln durch Deutschland. Kroos hatte gerade das 3:0 für Deutschland er- zielt – in einem WM-Halbfi nale in Brasilien, gegen Brasilien, in der 24. Minute! Er und alle anderen, die ihm bei seinem Tor zugesehen hatten, hatten also Grund genug, verblüfft, ein bisschen erschro- cken und leicht fassungslos zu reagieren. Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnte: Es wür- de noch viel unfassbarer werden! Denn innerhalb der nächsten fünf Minuten sollten zwei weitere Tore für die Deutschen fallen und das längst un- glaubliche Spiel in ein monumentales Denkmal in der Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaften verwandeln.

Das Entsetzen steht dem brasilianischen Verteidiger Dante ins Gesicht geschrieben: Toni Kroos krönt seine überragende Leistung mit seinem zweiten Treffer zum 4:0 für Deutschland – gespielt sind in diesem Moment gerade einmal 26 Minuten.

UnErwartEtEKantErsiEgE 36 Begonnen hatte das Spektakel mit zwei Mann- Brasilien – Deutschland 1:7 (0:5) schaften, die nicht unterschiedlicher in diese Par- tie hätten gehen können. Auf der einen Seite die WM-Halbfinale 2014 deutsche Elf, die sich hochkonzentriert auf das 8. Juli 2014, 22 Uhr, Estadio Mineiãro, bevorstehende Halbfinale vorbereitete. In ihrer Belo Horizonte Kabine hing ein Trikot mit den Unterschriften der Brasilien: Julio Cesar – Maicon, Luiz, Dante, bisherigen deutschen Weltmeister. Es war der Jah- Marcelo – Luiz Gustavo, Fernandinho restag des WM-Finales 1990 – ein Omen, an das (46. Paulinho) – Bernard, Oscar, Hulk (46. Ramires) – Fred (69. Willian) die deutsche Delegation mit dem Trikot geschickt erinnerte, ohne zusätzlichen Druck aufzubauen. Deutschland: Neuer – Lahm, Boateng, Hummels (46. Mertesacker), Höwedes – Jogi Löw bildete vor dem Spiel einen Kreis in der Schweinsteiger – Khedira (76. Draxler), Kroos – Müller, Özil – Klose (58. Schürrle) ZS: 58.141 – SR: Rodriguez Moreno (Mexiko), LR: Torrentera (Mexiko), Quintero (Mexiko), 4. Offizieller: Geiger (USA) Tore: 0:1 Müller (11.), 0:2 Klose (23.), 0:3 Kroos (24.), 0:4 Kroos (26.), 0:5 Khedira (29.), 0:6 Schürrle (69.), 0:7 Schürrle (79.), 1:7 Oscar (90.)

37 Kabine und schwor seine Spieler mit eindringli- chen und mitreißenden Worten noch einmal da- rauf ein, füreinander einzustehen und der zu er- wartenden Kulisse als Einheit entgegenzutreten. Keine Frage: Jeder deutsche Spieler war völlig fokussiert auf die nächsten 90 Minuten – eigent- lich eine Selbstverständlichkeit für ein Spiel wie dieses. Erwähnenswert war es trotzdem, weil das auf die Brasilianer eben ganz und gar nicht zutraf. Schon in der Vorrunde und den ersten K.-o.- Spielen waren sie dem nationalen Druck, der ton- nenschwer auf ihnen lastete, nur mit einem ex- zessiven Pathos bei der Nationalhymne, beim Torjubel und bei beinahe jeder gelungenen Ak- tion begegnet. Immerhin hatten sie diese Emotio- nen, trotz teilweise schwacher Leistungen, bis ins Halbfinale gebracht. Dennoch wurde man als Be- obachter dieser überdimensionierten und an Hys- terie grenzenden Leidenschaft das Gefühl nicht los, dass sie immer ein bisschen über ihre Ver- hältnisse agierten. Das Halbfinale gegen die Deut- schen, für das die „Seleção“ neben heißem Her- zen unbedingt kühlen Verstand gebraucht hätte, ging nun über ihre Kräfte – schon im Vorfeld. Superstar und Volksheld Neymar hatte sich im Viertelfinale gegen Kolumbien schwer verletzt, und nun trug das ganze Land Trauer, statt mit Vor- freude ins Spiel um das Finale zu gehen. Fataler- weise löste sich das Team von Luiz Felipe Scolari nicht von dieser erneut mit großem Pathos aus- gelebten Staatstrauer um einen Fußballspieler, sondern stieg selbst mit in diese ein. Auf dem Weg ins Stadion trugen alle brasilianischen Spie- ler demonstrativ eine Baseball-Kappe, auf der der Schriftzug „Força Neymar“ stand. Kein Akteur der „Seleção“ gab vor dem Spiel ein Interview, ohne ein Statement zum verletzten Star abzugeben. Im Stadion selbst wurden tausende Pappmasken mit dessen Konterfei verteilt, so dass die Mannschaft in eine riesige Menge voller Neymars schaute, als sie sich zur Nationalhymne aufstellte. Und wie um dem Ganzen die theatralische Krone aufzusetzen, hielt Kapitän David Luiz beim Abspielen der brasi- lianischen Hymne Neymars Trikot in die Höhe. Als dann das ganze Stadion die „Hino Nacional Brasi- leiro“ sang und einige Spieler von ihren Gefühlen Augenblick für die Ewigkeit: Kroos kann derart übermannt wurden, dass ihnen die Tränen selbst nicht fassen, was gerade mit ihm und kamen, war klar: An diesem Tag in Belo Horizonte seinen Mannschaftskollegen in Belo Horizonte waren die Brasilianer mit ihren Gedanken überall, geschieht. nur nicht bei ihren Gegnern.

38 Unerwartete Kantersiege Während die deutschen Spieler Tor um Tor feiern, erleben die brasilianischen die schlimmsten Augenblicke ihrer Karriere und müssen einen Ball nach dem anderen aus dem eigenen Netz fischen.

Wie so oft in derartigen Fällen galt es für die teren Strafraumbereich. Dort stand Thomas Mül- deutsche Mannschaft zunächst, die ersten Minu- ler völlig alleine. Der Münchner besaß gar die Zeit, ten zu überstehen. Denn als Schiedsrichter Mar- den Flankenball völlig unbedrängt mit der Innen- co Antonio Rodriguez aus Mexiko das Spiel anpfiff, seite seines rechten Fußes vorbei an Julio Cesar in rannten die Brasilianer los, als wollten sie das die lange Ecke zu seinem fünften Turniertreffer zu Spiel innerhalb weniger Augenblicke für sich ent- platzieren. 1:0 für Deutschland – der erste Schock scheiden. Die Tatsache, dass genau das nur ein für die Brasilianer. bisschen später der DFB-Elf gelang, ist einer von Nur zwölf Minuten später wurde daraus eine vielen Treppenwitzen dieses denkwürdigen Spiels. Schockstarre, und die „Seleção“ fiel beispiellos Bereits nach zwei Minuten schoss Marcelo in sich zusammen. Auslöser war eine Traumkom- zum ersten Mal auf das Tor von Manuel Neuer, der bination der Deutschen. Der überragende Toni zwei Minuten später nach einer Flanke vor Ber- Kroos steckte am Strafraum zu Müller durch, der nard erneut eingreifen musste. Doch allmählich das Leder mit dem ersten Kontakt auf Klose wei- ebbte dieser anfängliche Druck der „Seleção“ ab, terleitete. Der scheiterte zunächst am glänzend und erwartungsgemäß fanden die Deutschen nun parierenden Cesar. Der Abpraller landete jedoch besser in die Partie. Sami Khedira war der Erste, direkt vor seinen Füßen, und dieses Mal vollende- der sich eine Torgelegenheit erspielte, bei seinem te Klose locker und leicht. Ein Treffer, der die Bra- Abschluss aber den eigenen Mann traf. silianer doppelt hart traf. Denn Kloses Tor war ein Minuten später war es wieder Khedira, der die historisches. Das 2:0 markierte seinen 16. Treffer erste Ecke für sein Team herausholte. Toni Kroos bei einer Weltmeisterschaft, womit er ausgerech- legte sich den Ball zurecht und spielte in den hin- net den Brasilianer Ronaldo, der das Spiel von der

39 Tribüne aus verfolgte, als ewigen WM-Torschützen diesem Tor – auch das ein absoluter Rekord. Ins- ablöste. Auf den Knien rutschend feierte Miroslav gesamt wurden nach Ablauf der Partie sage und Klose die Unsterblichkeit des Augenblicks, der schreibe 35 Millionen Kurznachrichten abgesetzt, gleichsam ihm und seiner Mannschaft gehörte. womit dieses Spiel das meistkommentierte Sport- Was ab diesem Moment in Belo Horizon- ereignis überhaupt wurde. te geschah, ist nach wie vor nicht erklärbar. Die In der zweiten Hälfte versuchten die Brasi- deutsche Elf spielte für die nächsten Minuten lianer zunächst, mit dem Mute der Verzweiflung den perfektesten Fußball in ihrer langen WM- anzugreifen, und scheiterten zwei Mal aussichts- Historie. Die brasilianische dagegen spielte den reich an Manuel Neuer. Als Jogi Löw in der 58. Mi- wahrscheinlich schwächsten, in jedem Fall den nute seinen Joker André Schürrle ins Spiel brachte, ängstlichsten Fußball in ihrer nicht minder lan- zog die deutsche Elf wie aus dem Stand plötzlich gen WM-Geschichte. Nur eine Minute nach Kloses wieder an und versetzte den Brasilianern weitere denkwürdigem Rekordtreffer ging Philipp Lahm Stiche mitten ins Fußballherz. Schürrle traf zwei über die rechte Seite auf und davon und flankte Mal und stellte das Ergebnis damit auf den höchs- den Ball in die Mitte. Dort schlug Müller zunächst ten Sieg in einem WM-Halbfinale, woran auch der über das Leder. Aber solche technischen Fehler brasilianische Ehrentreffer in der letzten Minute spielten an diesem Tag für die deutsche Elf keine durch Oscar nichts mehr änderte. 50 Jahre zuvor Rolle. Denn hinter Müller lauerte schon Kroos, um waren es ebenfalls die Deutschen gewesen, die das Leder humorlos von der Strafraumkante mit in Basel die Mannschaft Österreichs mit 6:1 nach links ins brasilianische Tor zu hämmern. Es folgte Hause geschickt hatten und damit ins Endspiel der ungläubige Jubel an der Außenlinie, für den von Wankdorf eingezogen waren. aber kaum Zeit blieb. Denn wieder nur zwei Mi- Erstaunlich war, dass die Brasilianer trotz des nuten später profitierten die nun wie aufgedreh- Ergebnisses auf 51 Prozent Ballbesitz kamen und ten Khedira und Kroos von einem Fehler Fernan- mit 18:14 auch ein Plus an Torschüssen verbuch- dinhos. Die beiden überragenden Spieler auf dem ten. Die Presse interessierte sich nach diesem Platz gingen wieder auf und davon in Richtung des Spiel allerdings nicht für Statistiken. Zu viel Stoff gegnerischen Tores, und eine kurze Pass-Stafette für große Überschriften hatte sie an diesem epi- später lag das Leder erneut im Netz der Brasilia- schen Abend sammeln können. Die französische ner. Kroos hatte nach einem verwirrend schnellen „Liberation“ sah eine deutsche Mannschaft, die Doppelpass mit Khedira abermals getroffen. 4:0. „auf Wasser lief“. Das portugiesische „Jornal de Doch auch damit war es noch nicht genug. Die Noticias“ schrieb von einem „der denkwürdigsten brasilianische Schockstarre auf Rasen und Tribü- Kapitel der Fußballgeschichte“, und der britische ne verschärfte sich, als wieder nur drei Minuten „Daily Mirror“ sprach vom „tollsten WM-Spiel al- später Mats Hummels in die brasilianische Hälfte ler Zeiten“. Das Empire State Building wurde in eindrang. Pass auf Khedira, der einen fast identi- der Nacht nach dem Spiel schwarz-rot-gold ange- schen Doppelpass mit Özil spielte, wie er es nur strahlt. Groß aber auch das Mitleid mit den unter- kurz zuvor mit Kroos getan hatte, um durch zwei legenen Gastgebern, denen laut der spanischen brasilianische Verteidiger-Beine hindurch zum un- „Marca“ „die größte Demütigung der Fußballge- fassbaren 5:0-Zwischenstand zu vollenden. schichte“ widerfahren war. Die jetzt bitterlich weinenden brasilianischen All diese Schlagzeilen und Gesten waren rich- Fans sowie die jubelnden und immer wieder mit tig und wohl auch treffend formuliert. Und doch dem Kopf schüttelnden deutschen Anhänger im gaben sie nicht wider, was an diesem Mittwoch- Stadion waren Augenzeugen der verrücktesten abend in Belo Horizonte wirklich passiert war. sechs Minuten in 20 Weltmeisterschafts-Turnie- Alle Superlative waren zu gering. Einzig eine Ges- ren geworden. te bleibt in Erinnerung als eine, die dieses unver- Nie zuvor hatte eine Mannschaft bei einer WM gessene Spiel treffend charakterisiert: das un- nach 29 Minuten bereits fünf Tore erzielt. In der gläubige Kopfschütteln des Toni Kroos mitten im Social-Media-Welt überschlugen sich die Kom- Wahnsinn, sein Griff an den Kopf, sein Lachen und mentare. Nach Khediras Treffer zum 5:0 zählten wieder das ungläubige Kopfschütteln – ein Kopf- Experten auf Twitter 580.000 Tweets allein zu schütteln für Millionen.

40 Unerwartete Kantersiege WM-Rekord: Miro Klose erzielt sein 16. Tor bei einer Weltmeisterschaft. Während den brasilianischen Fans im Hintergrund bereits das Entsetzen ins Gesicht geschrieben steht, feiern Lahm und Khedira den historischen Treffer ihres Kollegen. 1974 Hoch sollen sie leben!

er elfjährige Detlef Lange war erster So- standen. Als er für die DDR, die zum ersten und pran der Schöneberger Sängerknaben einzigen Mal an einem großen Fußballturnier teil- und wurde daher auf einem Pressefoto nahm, die Ziffer 3 zog, ging zunächst ein leises seines berühmten Gesangsvereins in Raunen durch den Saal. Es dauerte einige Sekun- der Dersten Reihe platziert. Dort wiederum war er den, bis alle Zuschauer verstanden, was gerade den WM-Organisatoren des DFB aufgefallen, die passiert war. Dann wurde das Raunen lauter und auf der Suche nach einem Kind waren, das ge- ging schließlich in vorfreudigen Beifall über. Der nügend Bühnenerfahrung mitbrachte, um für die kleine Detlef aus Berlin hatte FIFA-Generalsekre- Weltmeisterschaft im eigenen Land die Gruppen tär Helmut Käser, der die Zuordnung der DDR in auszulosen. Nicht zuletzt aufgrund seiner me- Gruppe 1 akribisch notierte und sich auch in die- dienwirksamen blonden Haare wurde Detlef Lan- sem Moment nur zu einem kaum wahrnehmbaren, ge so kurzerhand zur „Glücksfee“ und zog am leichten Kopfschütteln hinreißen ließ, ein brisan- 5. Januar 1974 im großen Sendesaal des Hessi- tes Los beschert: Denn Gruppenkopf der Gruppe schen Rundfunks vor ungefähr 1.000 geladenen war das Team der Bundesrepublik, was wiederum Gästen aus aller Welt die Gegner für die großen bedeutete: Es stand das erste Duell der beiden Spiele der 10. Fußball-Weltmeisterschaft. Dafür deutschen Nationalmannschaften an – und das zog er bunte Röhrchen aus großen Glaskugeln, gleich bei einer Weltmeisterschaft auf deutschem in denen blaue Zettel lagen, auf denen die Teil- Boden. Was damals freilich noch niemand wusste: nehmer-Nationen notiert waren, sowie gelbe auf Dieses Duell sollte es auch danach bis zum Ende denen die entsprechenden Gruppenzuordnungen der DDR 1990 nicht mehr geben. Die WM 1974 hatte also ihre erste ganz große Schlagzeile be- reits ein halbes Jahr bevor der Ball rollte. Auf dem Spielplan stand eine Partie, die die gesamte Na- Bundesrepublik Deutschland – DDR tion mitten im Kalten Krieg auf beiden Seiten des 0:1 (0:0) Eisernen Vorhangs ab diesem Tag elektrisierte. Kaum ein Politiker verzichtete auf einen Kommen- WM-Vorrunde 1974, Gruppe 1 tar zur Auslosung, kaum ein Chefredakteur kam 22. Juni 1974, 19:30 Uhr, Volksparkstadion, ohne einen Leitartikel zu diesem deutsch-deut- Hamburg schen Duell aus. Bundesrepublik: Maier – Beckenbauer – Vor allem für den bundesdeutschen Trainer Vogts, Schwarzenbeck (68. Höttges), Breitner – Hoeneß, Cullmann, Overath (69. Helmut Schön war es eine ganz besondere Par- Netzer) – Grabowski, Müller, Flohe tie. Der gebürtige Dresdner hatte 1950 seine DDR: Croy – Bransch – Kische, Weise, sächsische Heimat verlassen, um sein Glück im Wätzlich – Lauck, Irmscher (65. Hamann), bundesdeutschen Fußball zu suchen. Nachdem Kurbjuweit – Sparwasser, Kreische, die DFB-Elf in der Vorrunde eher schwache Auf- Hoffmann tritte mit zwei Siegen gegen Chile und Australien ZS: 60.200 – SR: Barreto Ruiz (Uruguay), LR: verbucht hatte, sollte das Spiel gegen seine alte Marquèz (Brasilien), Pestarino (Argentinien) Tor: 0:1 Sparwasser (78.) 93 Deutsch-deutsche Sporthistorie: Zum ersten Rechte Seite: und einzigen Mal laufen zwei deutsche Höttges, Vogts und Maier sind auf verlorenem Teams bei einer Weltmeisterschaft auf, um Posten. Sparwasser trifft zum 1:0 für die DDR gegeneinander zu spielen. Natürlich ist der und sorgt so für eines der berühmtesten Tore der Hamburger Volkspark ausverkauft. deutschen Fußballgeschichte.

Heimat und den politischen „Klassenfeind“ ein les entscheidende Jürgen Sparwasser erinnerte Höhepunkt seiner Trainerlaufbahn und die Initial- sich: „Da vergleichen die den Schwarzenbeck, der zündung für das weitere Turnier werden. Eine sol- ja nun mal mein Gegenspieler war, mit dem Spar- che wurde es in der Tat – nur ganz anders, als wasser, benoten und analysieren. Und sagen: Der Schön sich das zuvor wohl vorgestellt hatte. Schwarzenbeck ist der Techniker und der Spar- Bevor dieses ganz besondere Spiel am 22. wasser der Hölzerne. Da will man natürlich bewei- Juni im Hamburger Volksparkstadion begann, war sen, was man auf dem Kasten hat.“ das Säbelrasseln noch ein bisschen lauter gewe- Eine solche Erwartungshaltung war aus Sicht sen als sonst. Beim Gastgeber – zwei Jahre zuvor der DFB-Elf wenig angebracht. Die Stärke des noch in überragender Art und Weise Europameis- DDR-Fußballs hätte sich eigentlich längst über die ter geworden – herrschte große Zuversicht. Die Staatsgrenze hinaus herumsprechen müssen. Ein „BILD“-Zeitung titelte am Spieltag mit der anma- paar Wochen vor der Weltmeisterschaft wäre der ßenden Schlagzeile „Warum wir heute gewinnen!“, FC Bayern um ein Haar im Europapokal der Lan- verglich im dazugehörigen Artikel die Spieler bei- desmeister gegen Dynamo Dresden ausgeschie- der deutscher Staaten. Aus den Ergebnissen fol- den. Zudem hatte der 1. FC Magdeburg im Fina- gerte sie schließlich einen deutlichen Sieg für die le um den Europapokal der Pokalsieger mit den Auswahl Helmut Schöns. Das wiederum motivier- WM-Spielern Seguin, Sparwasser, Pommerenke te die Mannschaft der DDR enorm. Der später al- und Hoffmann den großen AC Mailand in Rotter-

94 Wegweisende Initialzündungen dam mit 2:0 besiegt. Vorsicht wäre also eher an- meterraum des von Jürgen Croy gehüteten Tores gebracht gewesen als große Töne. Stattdessen spielte. Der Frankfurter Stürmer verfehlte das Ge- unterschätzten neben der siegessicheren Öffent- häuse denkbar knapp. Nach dieser Szene über- lichkeit auch viele Spieler den Gegner. Zwar war nahm allerdings die DDR das fußballerische Kom- die Anspannung in der Kabine vor dem Spiel grö- mando. Der Großchance Grabowskis stand die ßer als sonst, zumal Kapitän in des Dresdners Hans-Jürgen Kreische jedenfalls einem leidenschaftlichen Appell noch einmal auf in nichts nach: Der Dynamo-Spieler verfehlte frei- die Bedeutung der 90 Minuten für das Land im All- stehend das leere Tor des bereits geschlagenen gemeinen und Helmut Schön im Besonderen hin- . Kurz darauf war es Reinhard Lauck wies, und doch gab Wolfgang Overath im Rück- vom BFC Dynamo, der gleich zwei Mal knapp blick zu: „Wir hatten die nicht so stark erwartet.“ scheiterte. Das Spiel selbst begann furios. Die DFB-Elf Und so ging es mit einem 0:0 in die Pause, hatte schon nach drei Minuten eine Großchance das eher schmeichelhaft für den großen Favoriten durch den Kölner , der einen fulmi- war, der gut und gerne mit einem Rückstand den nanten Distanzschuss knapp am rechten Winkel Weg in die Kabine hätte antreten können. Das Pu- des DDR-Tores vorbeizirkelte. Kurz danach leitete blikum im Hamburger Volkspark jedenfalls hatte Franz Beckenbauer die nächste Gelegenheit ein, längst begonnen, seiner Unzufriedenheit lautstark als er Gerd Müller unnachahmlich mit einem Steil- Ausdruck zu verleihen. Der indisponierte Overath pass in den Strafraum schickte und dieser nach wurde ausgepfiffen und mit Sprechchören gegen blitzschneller Körpertäuschung einen gefährli- ihn und für Günter Netzer zusätzlich aus der Ruhe chen Querpass zu Jürgen Grabowski in den Fünf- gebracht. Auch vor diesem Hintergrund war es

95 fast folgerichtig, dass die DFB-Elf in keiner Phase lich Gefahr für das DDR-Tor bedeutete, aber letzt- zu ihrem Spiel fand, das sie ohnehin schon die ge- endlich vom alles überragenden Croy meisterhaft samte Vorrunde hindurch gesucht hatte. Die DDR- entschärft wurde. Auswahl jedoch kam, angefeuert durch 1.500 aus- Der Schlusspfiff von Schiedsrichter Ramón gesuchte Schlachtenbummler, die DDR-Reporter Barreto Ruiz aus Uruguay löste enthusiastische Heinz Florian Oertel in seinem Live-Kommentar Jubelstürme bei den Deutschen im blauen Dress standhaft „Touristen“ nannte, immer besser ins und tiefe Enttäuschung bei denen in Weiß aus. Spiel. Während Jürgen Croy aus Zwickau im Tor Während Helmut Schön an der Seite seiner Spie- unüberwindbar schien, gewann sie mit zunehmen- ler tief gebeugt und schwer geschlagen in die Ka- der Spieldauer deutlich an kämpferischem und bine ging, feierten die DDR-Spieler vor ihren li- spielerischem Übergewicht, was schließlich zur nientreuen „Touristen“ im Stadion und stimmten sporthistorischen 78. Minute führte – der Minu- mit ihnen den eher selten in Fußballstadien ge- te, die Jürgen Sparwasser unsterblich machte. In hörten Stimmungsmacher „Hoch sollen sie leben! einem Gespräch mit dem Berliner „Tagesspiegel“­ Drei Mal hoch!“ an. Es war ihr Tag. Sie bestellten erinnerte sich der Mann mit der Rückennummer die Musik! 14 auf seinem dunkelblauen DDR-Trikot an diese Für die DFB-Elf bedeutet die Niederlage gegen unvergessliche deutsch-deutsche Szene: die DDR im Moment der Niederlage zwar die wahrscheinlich schlimmste Schmach ihrer WM- „(…) ein Abwurf von Jürgen Croy auf die rechte Seite, Geschichte, sie war aber auch die Initialzündung Erich Hamann läuft mit dem Ball über die Mittellinie für den WM-Titel, den sie schon gut zwei Wochen und schlägt dann diesen wunderbaren Diagonal- später gegen die Niederlande in München feiern pass über 40 Meter auf die linke Seite. Wenn man sollte. Denn noch in der Nacht nach dem DDR- sich die Szene heute anschaut, muss man sagen: Spiel organisierte Franz Beckenbauer eine hef- Eigentlich bin ich bescheuert gewesen, überhaupt tige und alkoholschwere Aussprache, an deren loszulaufen. Da warteten vier Leute auf mich: Ber- Ende eine andere, eine neue DFB-Mannschaft ti Vogts, Horst-Dieter Höttges, Bernd Cullmann und stand. „Das war der Punkt, wo sich alles gedreht dazu noch Sepp Maier im Tor. Es ist wahrscheinlich hat“, erinnerte sich Wolfgang Overath, und Sepp eine Frage des Instinkts, es trotzdem zu tun. Und Maier ging gar noch einen Schritt weiter: „Eigent- Glück gehört natürlich auch dazu. An und für sich lich müssen wir den DDR-Fußballern dankbar sein, wollte ich den Ball mit der Brust mitnehmen, aber dass sie uns damals geschlagen haben.“ ich habe ihn genau auf die Nase gekriegt. Dass der Nach dem Sieg von München gegen Johan Ball eine andere Bewegung nach vorne macht, ver- Cruyff und Co. jubelten dann auch zahlreiche DDR- schafft mir den entscheidenden Vorteil vor Höttges. Bürger über den westdeutschen Titel, die hinter (…) Wenn ich von der Fünfmeterlinie einfach drauf- verschlossenen Türen der DFB-Auswahl die Dau- plautze, schieße ich wahrscheinlich Sepp Maier an. men gedrückt hatten, selbst als Jürgen Sparwas- Also muss ich das Ding verzögern. Deshalb grätscht ser in Hamburg getroffen hatte. Der erinnerte sich: Höttges ins Leere, und Maier krabbelt wie ein Mai- „Vor der WM hatte ich nie Probleme, wenn ich mit käfer über den Boden, so dass er bei meinem Magdeburg in Leipzig, Dresden, oder Aue gespielt Schuss nicht mehr nach oben reagieren kann.“ habe. Danach ist mir dort viel Missgunst entgegen- geschlagen, vor allem von den Leuten, die im stillen Die Reaktion der DFB-Elf auf den Rückstand gut Kämmerlein das Deutschlandlied gesungen haben zehn Minuten vor Spielende fiel wütend aus. Für und uns den Sieg gegen die BRD verübelt haben.“ Spielkontrolle war es nun zu spät. Der mittlerwei- Der kleine Detlef Lange war seinerzeit üb- le eingewechselte Günter Netzer irrte mehr orien- rigens nicht in Hamburg dabei. Dafür besuchte tierungslos über das Feld, als dass er dem Spiel er die DDR im Trainingslager und durfte auf Ein- seiner Mannschaft hätte Struktur verleihen kön- ladung des Dortmunder Bürgermeisters einige nen. Bis auf den aufopfernd kämpfenden Becken- WM-Spiele anschauen – eine mehr als verdiente bauer fand niemand im weißen Trikot mehr ins Anerkennung für einen der Wegbereiter unverges- Spiel. Und so war es lediglich ein Freistoß von Uli sener deutsch-deutscher Sportgeschichte. Hoch Hoeneß in letzter Minute, der noch einmal wirk- soll er leben! Drei Mal hoch!

96 Wegweisende Initialzündungen Der größte Erfolg einer DDR-Nationalmannschaft: Reinhard Lauck bedankt sich nach dem Schlusspfiff bei dem an diesem Abend überragenden Torwart Jürgen Croy. 97 Sascha Theisen

HeldentatenDie größten deutschen WM-Spiele Heldentaten

Vom „Wunder von Bern“ bis zum unglaublichen 7:1 in Belo Horizonte, von der Geburtsstunde der längst legendären „Turniermannschaft“ in München 1974 bis hin zum kaiserlichen Triumph von Rom 1990. Sascha Theisen hat sich die großen WM-Spiele der deutschen Nationalmannschaft vorgenommen. Packende und emotionale Reportagen erinnern an jene Stunden, in denen die ganze Nation vor den Bildschirmen saß und Daumen drückte.

ISBN 978-3-7307-0347-2 VERLAG DIE WERKSTATT VERLAG DIE WERKSTATT VERLAG DIE WERKSTATT