Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Sept/Okt 2007

Die emotionale Botschaft der Musik

Yakov Kreizberg

Yakov Kreizberg, Chefdirigent des Nederlands Philharmonisch Orkest und Nederlands Kamerorkest sowie Erster Gastdirigent der Wiener Symphoniker, hat die Dirigentenlaufbahn mit Mut und Entschlossenheit dem Schicksal abgetrotzt. Die Geschichte einer Leidenschaft, die (s)eine Welt veränderte.

1976 – Yakov Kreizberg ist 16 Jahre alt, und seine Welt im damaligen Leningrad (heute: St. Petersburg) ist alles andere als in Ordnung. „Wenn man als Musiker erzogen wird, ist man der Welt gegenüber emotional empfindsam, man ist sensibel dafür, was um einen herum passiert, was richtig und was falsch ist.“ Rassismus und Diskriminierung hat Kreizberg schon früh kennen gelernt. „Jeder Sowjetbürger hatte einen Pass. In diesem Dokument gab es den sogenannten ‚5. Paragraphen‘, der über die Nationalität Auskunft gab. Wann immer man auf Reisen ging oder sich um einen Job bewarb, musste man den Pass vorweisen. Nach den ‚Rassekriterien‘ wurde man dann eingeordnet. Die kommunistische Propaganda lautete zwar, dass alle Menschen gleich seien. Das war aber keineswegs der Fall.“

Der sieben Jahre ältere Bruder und Dirigent Semyon Bychkov wagte als Erster den Schritt in den Westen. Für die Familie, die in der Sowjetunion zurückblieb, hatte das weitreichende Folgen. Sie kam auf die „schwarze Liste“. „Ich wusste, dass ich für meine künstlerische Ausbildung, für eine Karriere keine Chance haben würde. Die Entscheidung, ins Ausland zu gehen, war leicht.“

Hoher Preis – großes Geschenk Der Preis war dennoch hoch. Mutter und Sohn verließen die Heimat in Richtung USA, der Vater, ein Wissenschaftler, musste bleiben. „Mein Vater galt als Träger von Staatsgeheimnissen und bekam keine Ausreisebewilligung. Die Familie hat viele Jahre getrennt gelebt. Erst nach dem Zerfall der Sowjetunion kam mein Vater in den Westen.“

Dass Yakov Kreizberg seinen ersten Dirigierunterricht nicht am Konservatorium in St. Petersburg erhielt, sondern Privatschüler bei dem bekannten Pädagogen Ilya A. Musin war, bei dem auch Valery Gergiev studierte, hatte allerdings ganz unpolitische Gründe: „Ich war knapp fünfzehn und zu jung für die Hochschule. Musin hat mich am Wochenende unterrichtet,

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hat auch kein Geld dafür genommen. Er hat mir seine Zeit geschenkt. Es ist das größte Geschenk, das ich bis heute in meinem Leben bekommen habe.“

Energie, Geist und Emotion Von der positiven Energie der Musik ist Yakov Kreizberg beseelt. „Musik hat die Kraft, die Welt zu verändern.“ Was wie ein abgenützter Slogan klingt, belegt Yakov Kreizberg mit einem berührenden Beispiel. „Bei meinem Orchester in Amsterdam gibt es ein spezielles Programm für schwer geistig und körperlich behinderte Kinder. Die Musiker gehen in Heime und bereiten die Kinder auf ein Konzert im vor. Auch ein kleiner autistischer Bub kam ins Konzert. Er war ganz in sich selbst zurückgezogen, alle Versuche der Eltern und Psychologen, ihn zu erreichen, schlugen fehl. Aber mitten im Konzert hat er den Kopf gehoben, sein Gesicht spiegelte Emotion und er ist für den Rest des Stückes aufmerksam geblieben. Eltern und Betreuer waren schockiert und begeistert zugleich. Es war ein unglaubliches Erlebnis.“

Die geistige und emotionale Seite der Kunst faszinierte Kreizberg von Anfang an. „Es ist die Sprache, zu der ich am schnellsten Zugang fand und immer noch finde.“ Niemand Geringerer als hat den jungen Dirigenten bei seinen ersten Schritten im Westen ermutigt. „Er hat immer gesagt, ich solle keine Scheu davor haben, mich auszudrücken.“ Das Erlebnis „“ war für Kreizberg prägend. „Bernstein war dort wie eine göttliche Erscheinung. Er war eine absolute Figur, wie man sie ein-, zwei- vielleicht dreimal in einem Jahrhundert erlebt. Er war nicht nur ein fantastischer Dirigent, Komponist, Pianist und toller Lehrer. Er konnte Musik vermitteln wie kein anderer. Er konnte jedem Publikum – egal wie erfahren oder unerfahren es war – die Musik nahe bringen. Er hatte die Begabung des Kommunizierens. Solche Leute brauchen wir heute dringend.“

Begabung zur Kommunikation Den Zauber der Kommunikation versucht Yakov Kreizberg in seiner Arbeit mit Musikern zu transportieren. „In Proben sage ich oft zu meinen Musikern: ‚Was Sie da eben gesagt haben – sagen Sie es lauter.‘ Damit meine ich nicht dynamisch lauter, sondern von der Aussage her lauter. Das Wichtigste in der Musik ist, dass die emotionale Botschaft durchkommt. Natürlich ist es notwendig, dass alles schön und zusammen und gut motiviert ist. Aber ohne emotionale Botschaft ist es bedeutungslos.“

Dass Yakov Kreizberg die „Begabung zur Kommunikation“ besitzt, hat sich schon sehr rasch gezeigt. Den renommierten Leopold-Stokowski-Dirigierwettbewerb hat er 1984 gewonnen. Dennoch steht der Dirigent dem Wettbewerbsbetrieb kritisch gegenüber. „Zu gewinnen war

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eine schöne Ehre, zweifellos. Ich möchte aber nicht übertreiben, wie wichtig oder auch wie fair solche Bewerbe sind.“ Für die Karriere habe ihm der Wettbewerb nichts gebracht, wohl aber der traditionelle Weg, das Handwerk von der Pike auf zu lernen. „Ich komme vom Klavier und vom Singen her, habe als Bub in Russland in einem Knabenchor gesungen, der etwa den Wiener Sängerknaben entspricht“, erzählt Kreizberg – und Begeisterung schwingt in seiner Stimme mit. „In meiner ersten Zeit in New York habe ich in den Voice-Studios Sänger begleitet, um Geld zu verdienen.“ Fast ehrfurchtsvoll fügt der Dirigent hinzu: „Das Singen kommt direkt vom Körper, viel mehr, als das beim Instrument möglich ist. Diese Erfahrung ist für einen Dirigenten enorm wichtig.“

Die Seele der Musik Der nächste Schritt auf dem Weg des Dirigenten war bald getan. „Ich wollte immer schon durch die traditionelle deutsche Schule des Kapellmeisters gehen. Mein erstes Engagement bekam ich mit 28 Jahren am Theater Krefeld Mönchengladbach. Ich war damals der jüngste Generalmusikdirektor Deutschlands. Ich wollte lernen, was es heißt, mit einem Ensemble, mit dem Orchester zu arbeiten, wollte lernen, das Repertoire zu erarbeiten und ein Haus zu führen. Nach sechs Jahren ging ich an die Komische Oper in Berlin und blieb dort sieben Jahre. Für mich war das der beste Weg. Ein Dirigent, der diesen Weg des Kapellmeisters nicht geht, wird meiner Meinung nach nie so gut sein, wie er sein könnte.“

Yakov Kreizberg vermag sein Potential umzusetzen – das hat er längst bewiesen. Er steht am Pult der berühmtesten Orchester der Welt. Welche Ziele steckt man sich da für die Zukunft? „Unter diesem Aspekt denke ich nicht. Ich bin glücklich, dass ich mit so tollen Orchestern Musik machen darf. Die Arbeit ist für mich immer dann interessant, wenn ich Teil einer musikalischen Familie sein kann.“ Neben dem Nederlands Philharmonisch Orkest – der Vertrag läuft bis 2011 – bieten auch die Wiener Symphoniker ein derartiges musikalisches Familienleben. „Die Symphoniker sind Musikanten. Man kann sie nur motivieren, wenn man ihnen sagt, worüber die Musik spricht, wenn man eine emotionale Verbindung zur Musik aufbaut. Sie sind an meiner emotionalen Sicht als Dirigent interessiert. So werden die Symphoniker neugierig gemacht – oder sind desinteressiert. Genau das spricht mich sehr an, denn die Seele ist das, was auch ich in der Musik suche.“

Petra Haiderer Mag. Dr. Petra Haiderer ist Musikkritikerin des „Standard“ in Wien.

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